Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von Einschleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von Kontrolllücken an deutschen Flughäfen
({0})
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper,
Ulrike Flach, Christoph Hartmann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft
und des Innovationsklimas in Deutschland nutzen
- Drucksache 15/2594 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
({3})
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik und zur Änderung der Neuartige
Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung
- Drucksache 15/2520 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({4})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich ({5}), Dr. Max Stadler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Nationale Küstenwache schaffen
- Drucksache 15/2581 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Innenausschuss
ZP 4 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen Beirates für
nachhaltige Entwicklung
- Drucksache 15/2586 ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Christian Ruck,
Dr. Friedbert Pflüger, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Eine neue Politik für Afrika südlich der Sahara - Afrika
fordern und fördern
- Drucksache 15/2574 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm,
Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Friedrich Ostendorff, Volker Beck ({8}), weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln - für mehr Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb
- Drucksache 15/2579 ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Beraterverträge auf den Prüfstand stellen - Transparenz
bei Kosten- und Qualitätskontrolle sichern
- Drucksache 15/2422 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({9})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.
Des Weiteren sollen die Tagesordnungspunkte 11 a
- Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge - sowie 22 - Investitionen in Verkehrsinfrastruktur
sicherstellen - abgesetzt werden.
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der
in der 91. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss
für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden:
Antrag der Abgeordneten Hans Büttner ({10}), Brigitte Wimmer ({11}), Detlef
Dzembritzki, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Marianne Tritz, Claudia Roth ({12}), Volker
Beck ({13}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Stabilisierungsprozess in der Demokratischen Republik Kongo nachhaltig unterstützen
- Drucksache 15/2479 überwiesen:
Auswärtiger Ausschuss ({14})
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2
auf:
4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Innovationen und Zukunftstechnologien im
Mittelstand - Hightech-Masterplan
- Drucksache 15/2551 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({15})
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Christoph Hartmann ({16}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Jahr der Technik zur Stärkung der Forschungslandschaft und des Innovationsklimas
in Deutschland nutzen
- Drucksache 15/2594 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({17})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Dietmar Staffelt das Wort.
({18})
- Immerhin.
({19})
Nach einer kurzen Phase der Verwirrung wird nun Frau
Bundesministerin Edelgard Bulmahn alles Notwendige
zur Klärung beitragen.
({20})
Bundesministerinnen sind ja zu jeder Zeit einsetzbar.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Wissenschaft, Technik, Forschung
und Entwicklung sind die Disziplinen, in denen deutsche
Unternehmen ihre Medaillen gewinnen müssen. Nur
durch Vorsprünge bei der Innovation, der Entwicklung
und der Anwendung von hochwertigen Produkten,
Dienstleistungen und technischen Verfahren sichern wir
unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Nur so
schaffen wir die Arbeitsplätze, die wir in unserem Land
brauchen, und erhalten damit die Grundlage für Wohlstand, Teilhabe und Gerechtigkeit.
({0})
Deshalb ist es für unsere Zukunft entscheidend, dass
wir in den genannten Disziplinen auch weiterhin schnell
und gut genug sind. Die rund 200 000 kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die jährlich
neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren auf den
Markt bringen, spielen dabei eine Schlüsselrolle. Sie
sind im wahrsten Sinne des Wortes das Rückgrat unserer
technologischen Leistungsfähigkeit.
({1})
Ohne ihre Kompetenz und Innovationskraft hätten wir
unsere aktuelle Position als zweitgrößter Technologieexporteur der Welt nicht erreichen können.
Richtig ist aber auch: Die Wachstumsschwäche der
vergangenen drei Jahre hat auch im Innovationsverhalten der deutschen Wirtschaft Spuren hinterlassen. Betroffen sind davon nicht nur Branchenriesen und Global
Players, sondern gerade auch die rund 35 000 kleinen
und mittleren Unternehmen, die regelmäßig in Forschung und Entwicklung investieren. Vor allem die Probleme der Innovationsfinanzierung haben die Spielräume dafür in den vergangenen Jahren zunehmend
begrenzt, und das vor dem Hintergrund, dass wir gerade
in wichtigen Bereichen wie zum Beispiel der Biotechnologie oder der Informations- und Kommunikationstechnologie wirklich erheblich dazugewonnen haben, unsere
Position erheblich verbessern konnten.
Damit das, was wir an Exzellenz, an Leistungsfähigkeit in der Forschung erreicht haben, auch zügig zu
neuen Unternehmungsgründungen, zu neuen Produkten
und zu Unternehmenserweiterungen führt, müssen wir
die Finanzknappheit stoppen, beenden und wieder umkehren.
({2})
Genau da setzt der Hightech-Masterplan an. Hier setzen wir den Hebel an, um Finanzierungshindernisse für
die Gründung und das Wachstum innovativer Unternehmen zu beseitigen. Das heißt im Klartext: Wir erschließen jungen Innovationsunternehmen neue Finanzquellen. Gleichzeitig verbessern wir damit die Einbindung
von kleinen und mittleren Unternehmen in die Forschungs- und Innovationsnetzwerke und unterstützen
den Transfer von Forschungsergebnissen durch die gezielte Förderung von technologieorientierten Aus- und
Neugründungen.
Mit dem Hightech-Masterplan setzt die Bundesregierung ihre Forschungs- und Innovationspolitik fort, die
seit Jahren an den besonderen Belangen von kleineren
und mittleren Unternehmen ausgerichtet ist. Die von uns
nach 1998 auf den Weg gebrachten Maßnahmen zur Förderung junger Technologieunternehmen und innovativer
Gründungen haben sich bewährt und werden deshalb
auch weitergeführt. Gleichzeitig starten wir neue Initiativen, haben wir neue Elemente geschaffen, die am aktuellen Bedarf ausgerichtet sind.
Einige wichtige Punkte möchte ich herausstellen. Wie
ich bereits gesagt habe, müssen Innovationen finanziert
werden; sonst werden sie nicht zu Innovationen. Wir geben deshalb dem Wagniskapitalmarkt einen neuen Impuls. Hierfür richten wir einen gemeinsamen Beteiligungsdachfonds des ERP-Sondervermögens und des
Europäischen Investitionsfonds ein.
Auch im Steuerrecht konnten wir Fortschritte erzielen.
Ich bin sicher: Die Besteuerung des Carried Interest nach
dem Halbeinkünfteverfahren sowie die sachgerechte Abgrenzung von vermögensverwaltenden und gewerblichen
Fonds werden die Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner
und mittelständischer innovativer Unternehmen deutlich
verbessern.
({3})
Wissenschaft braucht Freiheit. In der Forschungspolitik schaffen wir deshalb Freiräume für exzellente Wissenschaft. Gleichzeitig verbessern wir konkret und gezielt die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit
von Wirtschaft und Wissenschaft. Ein wichtiges Beispiel: Wir setzen den Aufbau professioneller Strukturen
zur Patentverwertung von Forschungsergebnissen an den
Universitäten fort, damit das, was wir an Know-how, an
wirklich guten Forschungsergebnissen an den Hochschulen erreicht haben, auch zügig, schnell und konsequent der Verwertung und damit der Anwendung zugeführt wird und damit in neue Produkte eingeht und
Arbeitsplätze schafft.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kleine und mittlere
Unternehmen sind in einem ganz besonderen Maße auf
die Kooperation mit Forschungseinrichtungen, mit
Hochschulen angewiesen; denn sie können in ihrem eigenen Unternehmen nicht die große Zahl von Wissenschaftlerinnen, von Forschern vorhalten, die notwendig
sind, um wirklich Spitze zu sein, um im weltweiten
Wettbewerb auch mithalten zu können. Sie brauchen die
enge Zusammenarbeit, die Kooperation mit Forschungseinrichtungen, mit Universitäten und Fachhochschulen.
Deshalb gestalten wir die Forschungsförderung mittelstandsgerecht und binden kleine und mittlere Unternehmen verstärkt in solche Netzwerke der Spitzenforschung ein. In den letzten Jahren haben wir die Zahl der
geförderten kleinen und mittleren Unternehmen um
50 Prozent auf 1 700 Unternehmen erhöht. Dieses Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen.
Wir brauchen Unternehmergeist, wir brauchen Unternehmer, die bereit sind, Risiken einzugehen und ihre
Chancen zu nutzen. Deshalb forcieren und unterstützen
wir Ausgründungen innovativer Unternehmen aus der
öffentlich geförderten Forschung. Mit der Fördermaßnahme „Exist-Seed“ wurden in den ersten fünf „Exist“Regionen bislang über 100 Unternehmensgründungen
erfolgreich gefördert, wobei eine große Zahl von Arbeitsplätzen entstanden ist. Darüber hinaus werden wir
dieses Jahr für eine umfassende Bestandsaufnahme der
vielfältigen Maßnahmen im Bereich der Bildung zur
Selbstständigkeit nutzen.
Unser Ziel ist klar: ein konsistentes Konzept zur Stärkung der Gründungskultur in Deutschland, dessen Umsetzung in der Schule anfängt und das bis in die Hochschulen, in die berufliche Ausbildung und die
Unternehmen selbst hineinwirkt.
({5})
Innovationen sind ohne qualifiziertes Personal nicht
möglich. Innovation findet in Köpfen statt. Darum sind
Reformen in den Schulen, in der dualen Ausbildung und
in den Hochschulen eine zentrale Grundlage auch für
eine erfolgreiche Innovationspolitik. Wir werden deshalb unsere Reformanstrengungen fortsetzen: Schaffung
von Ganztagsschulen für eine bessere Bildung, Modernisierung und Verbesserung der Qualität der beruflichen
Bildung, Erhöhung der Studienanfängerzahlen. Wir
haben in diesem Jahr die höchsten Studienanfängerzahlen in den Ingenieurwissenschaften und den Naturwissenschaften, die es in Deutschland jemals gab.
({6})
Ich habe die notwendigen Reformschritte genannt, die
wir angehen mussten und müssen, damit wir endlich
wieder das qualifizierte Personal, die qualifizierten Menschen in unserem Land haben, auf denen wirklich alles
ruht.
({7})
Das Wichtigste ist mir aber, dass wir mit der vorliegenden Initiative für kleine und mittlere Unternehmen
die Kompetenzen - das, was wir an Initiativen gestartet
haben - bündeln. Mein Ministerium und das Wirtschaftsministerium führen ihre Programme zusammen,
um sicherzustellen, dass wir wirklich konsistent und
zielgerichtet kleine und mittlere innovative Unternehmen fördern.
Keine Frage: Wir können bei den im Hightech-Masterplan gebündelten Maßnahmen nicht stehen bleiben,
sondern wir werden unsere Forschungspolitik für kleine
und mittlere Unternehmen weiterhin ausbauen. Ich will
noch einige Ansatzpunkte dafür nennen, die mir wichtig
sind.
Wir brauchen einen fokussierten Förderansatz. Wir
werden daher unter Einbeziehung von Wissenschaft und
Wirtschaft mit einer vorausschauenden Innovationspolitik Forschungsfelder ermitteln, die eine große Chance
auf künftige Innovationen und das Potenzial zu Wachstumstreibern haben. Ich möchte ein Beispiel nennen: die
Nanotechnologie. Die Automobilindustrie, die Medizintechnik und die pharmazeutische Industrie werden in einem ganz starken Maße ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit auch darauf gründen müssen, dass diese
neue Technologie in ihren Unternehmen Einzug hält.
({8})
Deshalb müssen wir die Forschungsförderung auf genau
diese Felder fokussieren.
Eines ist klar: Wir müssen das Wissen in Hochschulen
und Unternehmen noch gezielter für Innovationen nutzen. Deshalb werden wir die Projektförderung stärker
auf eine solche Missionsorientierung ausrichten. Politik,
Wissenschaft und Wirtschaft verständigen sich dabei auf
ein Ziel und einen Umsetzungszeitraum. Entscheidend
ist dabei, dass die Wissenschaft über den besten Weg zur
Erreichung dieses Ziels wirklich selbst entscheidet.
Staatstechnologien wären der falsche Weg. Es geht vielmehr darum, dass strategische Ziele miteinander - von
Wissenschaft, Wirtschaft und Politik - vereinbart werden und dann Wissenschaft und Wirtschaft selbst über
den besten Weg entscheiden, um diese Ziele zu erreichen.
Wir beobachten aktuell einen Rückzug der Unternehmen aus der Grundlagenforschung. Das ist übrigens eine
Entwicklung, die schon seit mehreren Jahrzehnten spürbar sukzessive fortgeschritten ist. Weil das weltweit so
ist, ist es umso entscheidender, dass wir einen funktionierenden Wissens- und Technologietransfer aus der
Wissenschaft in die Wirtschaft erreichen; wir müssen ihn
unterstützen und organisieren. Das Ziel ist, Anreizsysteme zu entwickeln, damit kommerzialisierbare, also
verwertbare Potenziale neuer Forschungsergebnisse erkannt und genutzt werden. Dabei ist mir wichtig, noch
mehr Transparenz in Bezug auf wissenschaftliche Ergebnisse zu erreichen.
In Deutschland ist die Zusammenarbeit der Hochschulen mit der Wirtschaft noch immer sehr stark durch
die kurzfristig orientierte, zielgerichtete Auftragsforschung gekennzeichnet. Wir brauchen in unserem Land
eine langfristige Partnerschaft, eine langfristige Kooperation - sie ist in anderen Ländern stärker ausgeprägt zwischen Hochschulen und Unternehmen. Das ist wichtig, damit eine Basis des Vertrauens entsteht, damit nicht
nur zufällig, sondern wirklich systematisch neue Forschungsergebnisse zu Innovationen führen. Deshalb
versuchen wir, mit unseren Initiativen genau das zu erreichen, nämlich eine neue Innovationskultur zu entwickeln und Innovationspartnerschaften zu etablieren.
Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern bestehen in
Deutschland zu wenige gemeinschaftlich finanzierte
Forschungseinrichtungen, die anteilig von Staat und Unternehmen getragen werden. Diese Forschungseinrichtungen können Themen bearbeiten, die zwar eine langfristige und grundlagenorientierte Forschung erfordern,
gleichwohl aber ein hohes wirtschaftliches Anwendungspotenzial besitzen. Ich will ausdrücklich sagen:
Ich begrüße es außerordentlich, dass zwei große Unternehmen endlich auch in unserem Land Forschungsinstitute in Universitäten gründen.
({9})
Das eine Beispiel ist die TU Berlin, das andere Beispiel
ist die Universität in Potsdam. Wir brauchen aber mehr
solcher Initiativen.
Innovationen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, die Freiraum für Neues lassen. Die innovationsgerechte Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen ist daher eine zentrale Aufgabe der
Innovationspolitik, um sicherzustellen, dass Forschungsergebnisse wirklich genutzt und umgesetzt werden können. Als Beispiele für Gesetze, durch die Rahmenbedingungen beschrieben und festgelegt werden, nenne ich
das Telekommunikationsgesetz und das Gentechnikgesetz. Das Gleiche gilt für die Umsetzung der Biopatentrichtlinie. Dadurch werden die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen, die wir brauchen, damit sich
Innovationen wirklich entfalten können und zu Markterfolgen werden.
Unstrittig ist zudem: Zu viel Bürokratie lähmt Innovationen.
({10})
Wir werden die bürokratischen Hemmnisse im Bereich
der Forschung, der Technologie und der Innovation daher weiter abbauen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir
müssen das abbauen, was Sie über Jahrzehnte aufgebaut
haben.
({11})
Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die
Forschungsorganisationen Globalhaushalte aufstellen.
Diese Bundesregierung hat es erreicht, dass die HGF, die
Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren,
nicht mehr jährlich in mühsame HaushaltsverhandlunBundesministerin Edelgard Bulmahn
gen eintreten muss. Unter Ihrer Ägide musste hier alles
- von der Renovierung der Kanalisation bis hin zu den
einzelnen Forschungsprojekten - ausgehandelt werden.
({12})
Ich habe den Forschungseinrichtungen die notwendige
Freiheit gegeben.
Ich würde mich freuen, wenn wir darin übereinstimmten, dass wir weiterhin bürokratische Hemmnisse abbauen müssen.
({13})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Ja, selbstverständlich.
Frau Ministerin, zwischendurch will ich darauf hinweisen, dass Sie Ihre Redezeit schon deutlich überschritten haben. Sie erhalten jetzt aber die Chance, weiterzusprechen. - Bitte schön, Herr Schauerte.
Frau Ministerin, Sie haben gerade die Erfolge sozialdemokratischer Innovationspolitik sehr nach vorne gespielt.
({0})
Können Sie mir beantworten, warum es zum Beispiel bei
den Zahlen der Patentanmeldungen pro 100 000 Menschen in bestimmten Regionen unseres Landes - sie sind
besonders relevant; ich könnte Ihnen viele nennen krasse Unterschiede gibt?
Auf 100 000 Bürger in Nordrhein-Westfalen kommen
50 Patentanmeldungen, auf 100 000 Bürger in BadenWürttemberg kommen 112 Patentanmeldungen
({1})
und auf 100 000 Bürger in Bayern kommen
116 Patentanmeldungen. Die Zahl der Patentanmeldungen in Nordrhein-Westfalen - lange Zeit sozialdemokratisch regiert ({2})
sinkt, während die der Patentanmeldungen in BadenWürttemberg und Bayern steigt. Das nenne ich Innovationspolitik!
({3})
Lieber Kollege, Ihr Beispiel zeigt eines sehr deutlich:
Es ist gerade in der Forschungspolitik, im Übrigen aber
auch in der Innovationspolitik, falsch, nur einen einzigen
Gesichtspunkt herauszupicken.
({0})
Ich gehe davon aus, dass auch Sie wissen, welche Unternehmen ihren Unternehmenssitz in den genannten Ländern haben.
({1})
Ich gehe ferner davon aus, dass auch Sie wissen, wo die
Patentverwertungseinrichtungen der Forschungsorganisationen ihren Sitz haben.
({2})
Das hat im Übrigen überhaupt nichts mit den Rahmenbedingungen zu tun.
({3})
- Ja, es hat damit zu tun, wer es bezahlt. - Die Mittel für
die Forschungseinrichtungen zahlt in erster Linie der
Bund. Bei der FhG sind das zum Beispiel 90 Prozent.
({4})
Ich will ausdrücklich sagen, dass es wirklich falsch
ist, wenn man so argumentiert und vorgeht wie Sie.
({5})
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in unserem
Land - im Übrigen auch in diesem Bundestag - ein bestimmtes Bewusstsein und eine bestimmte Einstellung
brauchen, um unser gesamtes Land nach vorne zu bringen.
({6})
Es gibt in allen Regionen insgesamt erheblichen Verbesserungsbedarf, um die Zahl der Patentanmeldungen
noch weiter zu erhöhen.
Kurz gesagt: Wir brauchen in unserem Land - das gilt
auch für die Opposition - eine Kultur für Innovationen,
die nicht kleinkariert agiert,
({7})
sondern die die Chancen sieht, die in Wissenschaft und
Forschung liegen.
({8})
Wir brauchen Menschen, die bereit sind - das sage ich
ausdrücklich -, auch das Bekannte infrage zu stellen und
den Herausforderungen unserer Zeit mit Mut und Fantasie zu begegnen.
Vielen Dank.
({9})
Frau Ministerin, nicht Ditmar Staffelt, sondern Sie haben heute Geburtstag. Deswegen ein herzlicher Glückwunsch!
({0})
Nun erteile ich das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl,
CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch von
meiner Seite aus, Frau Ministerin, einen herzlichen
Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag. Herr Staffelt hat Ihnen wahrscheinlich den Vortritt gelassen, weil Sie heute
Geburtstag haben. Nehmen wir das zumindest einmal an,
Herr Staffelt.
({0})
Mit dem Hightech-Masterplan wird ein für unser
Land wichtiges zentrales Thema angesprochen. Wir begrüßen das ausdrücklich.
({1})
Unser Land braucht Innovation und Hightech-Produkte.
Unser Land muss schneller, besser und kreativer werden
und bleiben. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund
des Wettbewerbs mit unserer internationalen Konkurrenz. Der 1. Mai mit der EU-Osterweiterung und damit
auch die Billiglohnländer stehen vor der Tür. Wir können, wollen und sollen auch nicht in Konkurrenz mit diesen Billiglohnländern treten. Das wäre vollkommen verfehlt. Wir wissen: Wir brauchen einen funktionsfähigen
Niedriglohnsektor. Die so genannte einfache Arbeit
muss zukünftig auch in Deutschland wieder möglich
sein und darf nicht diskreditiert werden.
Aber um unseren Wohlstand und unser soziales Netz
in der Zukunft aufrechtzuerhalten und die Sozialhilfe,
das Kindergeld und unsere Infrastruktur finanzieren zu
können, müssen wir als Allererstes Produkte herstellen,
die Spitze und besser als die aller anderen Länder sind.
Das gilt für das Auto genauso wie für die Chemie, die
Medizin und die Forschung.
({2})
Wenn wir das Wort Innovation hören,
({3})
dann ist dies für uns nur ein Schlagwort. Wir sehen vor
unseren Augen Hightech und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Aber dahinter steckt ein ganz großer sozialer
Prozess, nämlich Bildung, dicht gefolgt von der Forschung. Wenn wir auf diesen Zug Richtung Zukunft aufspringen wollen, dann brauchen wir Bildung, Forschung
und Unternehmertum.
({4})
Nur so schaffen wir es, die Technologieführerschaft
wieder zurückzugewinnen, die wie einmal gehabt haben.
Wir wissen, wir stellen weiterhin Produkte her, die noch
immer weltweit Spitze sind und die zumindest konkurrenzfähig sind, aber leider mit abnehmender Tendenz.
Der Trend unserer Wirtschaft ist alarmierend. Wir dürfen
davor die Augen nicht verschließen. Das gilt besonders
für die Ausbildung in Technologiebereichen, wie Maschinenbau und Elektrotechnik. Hier haben sich die
Zahlen in den letzten Jahrzehnten nahezu halbiert. Das
ist alarmierend.
({5})
- Es wäre schön, wenn Sie zuhören würden. Ansonsten
können Sie sich zu einer Zwischenfrage melden.
({6})
- Herr Tauss, hören Sie zu! Sie sollten sich wirklich hinter die Ohren schreiben, dass unsere deutschen Unternehmen allein in forschungs- und entwicklungsintensiven Produktionsbereichen einen Anteil von einem
Drittel am Welthandel verloren haben.
Ich sage es Ihnen ganz offen: Ich begrüße es, Frau
Ministerin, dass das Wirtschafts- und Arbeitsministerium zusammen mit dem Bildungsministerium ein gemeinsames Papier auf den Tisch gelegt hat. Aber so gut
dies auch ist, so fehlt mir hier der Glaube in Bezug auf
die Realisierung. Eherne Ziele sind zwar schön und gut,
aber sie müssen auch umgesetzt werden. Wie oft haben
wir aus dem Munde des Wirtschaftsministers von diesem Pult aus immer wieder Versprechungen gehört, von
denen aber keine umgesetzt worden sind! Was nützen
tolle Worte, wenn anschließend die konkreten Taten fehlen? Wo ist denn der Masterplan Bürokratieabbau?
Wo ist denn hier Bürokratie abgebaut worden? Während Ihrer Regierungszeit ist doch immer mehr Bürokratie aufgebaut worden.
({7})
Das hat das Institut für Mittelstandsforschung schwarz
auf weiß dargelegt. Im Jahreswirtschaftsbericht vom
letzten Jahr haben Sie noch ganz toll getönt: Allianz der
Erneuerung. - Das war einer der „Erfolge“, der Ihnen im
neuen Jahreswirtschaftsbericht nicht mehr ein Wort der
Erwähnung wert ist.
({8})
Was hat denn der Wirtschaftsminister alles versprochen?
Er hat beispielsweise versprochen, dass die HandwerksDagmar Wöhrl
ordnung gemeinsam mit der Opposition und dem Handwerk geändert werde. Anschließend hat er alleine einen
Crashkurs gesteuert.
({9})
So schaut Ihre Politik aus.
Wenn Sie im Hightech-Masterplan feststellen, der gesamtwirtschaftliche Nutzen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten in kleineren und mittleren Unternehmen übersteige in der Regel den individuellen Ertrag,
dann stimmt das. Das ist richtig. Aber ich frage mich,
warum Sie dann so wichtige Programme wie zum Beispiel „Pro Inno“ bereits Ende Oktober eingestellt haben.
Über 1 000 Anträge liegen auf Eis, nur weil Sie Ihren
Haushalt nicht in den Griff kriegen und nicht wissen,
wie man mit Finanzen umgeht. Sie verstoßen gegen den
Stabilitätspakt. Sie haben den Europäischen Gerichtshof
schon dazu gebracht, ein Eilverfahren gegen Deutschland in Gang zu setzen.
({10})
Was noch viel schlimmer ist: Sie schreiben zwar, dass
der Hightech-Masterplan im Mittelstand wirken soll.
Aber es ist doch genau der Mittelstand, den Sie mit Ihrer
Wirtschaftspolitik vergraulen. Unser Mittelstand braucht
keine Glanzbroschüren, die Sie auflegen. Er braucht Zuversicht, er braucht Hoffnung, er braucht Planungssicherheit und er braucht Rahmenbedingungen, an denen
er sich orientieren kann. Dann investiert er auch.
({11})
- Richtig, Herr Kollege Hinsken. - Wichtig sind Investitionen, damit man die Strukturen erhalten und die Basis
für eine gesamtwirtschaftlich positive Entwicklung
schaffen kann.
({12})
Schauen Sie sich um! Wo ist denn das Investitionsfieber
in unserem Land? Suchen Sie es doch einmal! Sie werden es nicht finden. Wir haben eine gedämpfte Stimmung.
({13})
Der Sparkassen- und Giroverband stellt zu Recht
fest, Investitionen hingen sehr stark mit der Psychologie
des Wirtschaftens zusammen. Das ist richtig. Das wissen
wir alle. Aber wenn man eine gedämpfte Stimmung hat,
dann hat man auch keinen fruchtbaren Boden für Investitionen. Wie soll denn ein Unternehmer heute noch optimistisch sein, wenn wir in diesem Jahr eine durchschnittliche Umsatzrentabilität von 3,3 Prozent - das
ist der niedrigste Wert seit 1995 - haben und fast
30 Prozent unserer Unternehmen überhaupt keine Gewinne machen und der Rest größtenteils Verluste verbucht? Auch das ist der schlechteste Wert seit 1995 laut
der Studie „Diagnose Mittelstand“ des Sparkassen- und
Giroverbandes. Der Gewinn bzw. die Aussicht auf Gewinn ist doch die Antriebskraft für wirtschaftliche Entwicklung und Innovationen. Was bringen Sie? Zwangsabgaben, Neiddiskussion, Ausbildungsplatzabgabe, Erhöhung der Erbschaftsteuer und Wiederbelebung der Vermögensteuer.
({14})
Uns brechen die Arbeitsplätze weg. Das wissen Sie.
Wir haben aber noch ein ganz anderes Problem. Uns
brechen nicht nur die Arbeitsplätze weg, sondern uns
brechen auch die Unternehmer weg. Wenn wir in unserem Land keine Unternehmer mehr haben und niemand
mehr bereit ist, Unternehmer zu werden, dann werden
wir zukünftig niemanden mehr haben, der Arbeitsplätze
schafft. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass über
45 000 Arbeitsplätze von deutschen Unternehmen jedes
Jahr im Ausland geschaffen werden und nicht bei uns,
wo sie so dringend notwendig sind.
Frau Ministerin, Sie glänzen mit unwahrscheinlich
kreativen Vorschlägen:
({15})
„Deutschland sucht die Super-Uni“ - wunderbar! Für
diesen Aktionismus ist bezeichnend, dass Sie es noch
nicht einmal geschafft haben, bei Ihren eigenen Leuten
oder bei den Grünen den Begriff „Elite-Universität“
durchzusetzen. Der liebe Herr Cohn-Bendit ruft dem
Kanzler zu: „Lieber Gerhard Schröder, das ist Schwachsinn mit der Elite, schmink dir das ab.“ Wir sprechen
hier von Innovation. Das zeigt doch, dass Ihr ganzer
Hightech-Masterplan nicht das Papier wert ist, auf dem
er steht.
({16})
Wir diskutieren über Spitzenprodukte.
({17})
Wir wollen doch die Eliten und die Besten der Besten in
Deutschland ausbilden. Wir wollen, dass diejenigen, die
gut ausgebildet sind, auch hier bleiben und nicht abwandern.
Es gibt leider einen immensen Braindrain, eine hohe
Abwanderung junger Leute mit guter Ausbildung ins
Ausland, und wir wissen ganz genau: Wer weg ist,
kommt selten wieder zurück. Das aber sind die Eliten,
die den Hightechplan mit Leben erfüllen sollen und müssen. Wer soll das denn sonst machen? Es sind die Cleveren und die Mutigen, die Geschäftsideen umsetzen, Arbeitsplätze schaffen, engagiert sind und unbequeme
Fragen stellen. Sie stellen Produktionsabläufe infrage
und öffnen den Weg für neue Verfahren.
Wir brauchen diese Eliten im nationalen Maßstab genauso wie im internationalen Maßstab und wir müssen
uns als Gesellschaft zu diesen Eliten bekennen. Dafür
werbe ich hier.
({18})
Bill Gates hat viele 100 Millionen US-Dollar verdient. Aber er hat auch viele Tausend Menschen in den
USA in Brot und Arbeit gebracht. Das muss hervorgehoben werden; denn das ist die Erfolgsgeschichte dieser
Menschen: Sie schaffen Tausende von Arbeitsplätzen.
Dies sollte man als positives Beispiel nehmen.
Wie wir wissen, legt die Globalisierung unsere
Schwächen offen. Darauf müssen wir reagieren. Wir
müssen aber nicht nur reagieren, sondern wir müssen die
Globalisierung gestalten. Uns rennt die Zeit davon, weil
Sie das im Bildungsbereich nicht anpacken. Wir brauchen aber Perspektiven für die Sozialversicherungen.
({19})
Notwendig ist ein Umsteuern in der Bildungspolitik.
Wir wollen kein zweites PISA mit Ergebnissen auf dem
Niveau von Mexiko. Wir wissen, dass sich keine Investition so stark rechnet wie die Investition in Bildung und
Ausbildung. Die durchschnittliche Rendite eines Hochschulstudiums liegt in Deutschland bei 9 Prozent, in den
USA übrigens bei 15 Prozent. Das ist eine bessere Rendite als bei allen anderen Anlageoptionen. - Vor diesem
Hintergrund muss man sich fragen, warum nur 32 Prozent der deutschen Abiturienten ein Hochschulstudium
in Angriff nehmen. Der internationale Durchschnitt liegt
bei 48 Prozent; in Neuseeland sind es sogar 76 Prozent.
({20})
Sie haben schon viele Fehler gemacht. Das Einzige,
was Sie in diesem Bereich vorhaben, ist aber einer Ihrer
größten Fehler. Eine Ausbildungsplatzabgabe
({21})
- Abgabe! - ist keine Hightechpolitik von morgen.
({22})
Sie ist vielmehr der Sozialismus von gestern, den Sie
wieder auf den Weg bringen. Das, Herr Müntefering
- Sie sind ja hier -,
({23})
war wieder ein Sieg über den gesunden Menschenverstand, wie das schon öfter der Fall war.
Angesichts der neuesten Umfrage des DIHK, derzufolge im Falle einer Ausbildungsplatzabgabe mindestens
jedes sechste Unternehmen künftig nicht mehr in dem
Rahmen ausbilden wird, wie es das bisher getan hat,
wird deutlich, dass Sie nicht nur einen immensen Bürokratismus aufbauen und die mittelständischen Unternehmen mit immensen Kosten belasten, sondern dass Sie
auch hinsichtlich der jungen Leute, die unsere Zukunft
in diesem Lande darstellen, Schaden anrichten.
({24})
Kollegin Wöhrl, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sie haben schon deutlich überzogen.
({0})
Bekanntlich haben Sie sich dieses Thema auf die
Fahne geschrieben. Ich wünsche Ihnen dabei Erfolg. Ich
wünsche vor allem dem Wirtschaftsminister einen großen Erfolg und würde mich freuen, wenn er auch beim
Emissionshandel eine wirtschaftliche Lösung erreichen
würde. Wenn er das schafft, werde ich ihm höchstpersönlich in Demut eine handwerkliche Meisterleistung
meines Kollegen Hinsken überreichen. Richten Sie ihm
das bitte aus!
Danke schön.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch von mir und meiner Fraktion alles Gute und die
besten Wünsche zum Geburtstag, Frau Bulmahn!
Frau Wöhrl, Sie haben ausgeführt, in der Innovationsdebatte fehle es an Gestaltung. Ich muss aber, ehrlich gesagt, feststellen, dass Sie keinen einzigen Vorschlag unterbreitet haben. Sie haben nichts anderes gesagt, als
dass die Stimmung schlecht sei, und damit dazu beigetragen, dass die Stimmung schlecht bleibt. Das ist das
Ergebnis Ihrer Rede.
({0})
In Ihrer zehnminütigen Rede haben Sie nichts Konstruktives und Gestaltendes zustande gebracht. Das hat mich
etwas erstaunt. Ich hätte Ihnen mehr zugetraut.
({1})
Warum wir in Deutschland Innovationen brauchen, ist
klar: weil wir nicht mit Billiglohnländern konkurrieren
können. Deswegen können wir nur mit neuen Produkten,
Dienstleistungen und Produktionsverfahren, die andere
Länder - zu welchen Löhnen auch immer - noch nicht
am Weltmarkt anbieten können, Arbeitsplätze in
Deutschland sichern. Vor diesem Hintergrund ist der
heute vorliegende Masterplan ein richtiger Schritt mit
zum Teil bekannten und zum Teil auch neuen Instrumenten. Seine Qualität besteht vor allem in der Bündelung
der vielen Programme von Wirtschafts- und ArbeitsFritz Kuhn
ministerium sowie Bildungsministerium. Aus diesem
Grund begrüßt meine Fraktion diesen Masterplan.
({2})
Sehr geehrte Frau Bulmahn, ich möchte allerdings
auch etwas Kritisches sagen.
({3})
Der Masterplan stellt zwar ein gutes Zusammenspiel der
verschiedenen möglichen Maßnahmen dar. Aber die gesellschaftliche Dimension, insbesondere die soziale und
die kulturelle, des Innovationsprozesses spricht er nicht
an. Auch darüber müssen wir meines Erachtens reden.
({4})
Denn Innovationen betreffen im Kern immer die gesamte gesellschaftliche Entwicklung. Die Gesellschaft
muss offen, neugierig und visionsfähig sein, um vernünftige und gute Innovationen auf den Weg zu bringen.
Deswegen sind wir, Bündnis 90/Die Grünen, der Meinung, dass der Innovationsprozess eine klare soziale und
ökologische Richtung braucht, damit er die gesamte Gesellschaft ergreifen, durchschlagend wirken und neue
Arbeitsplätze schaffen kann.
({5})
Wir brauchen - auch darüber wollen wir diskutieren Ziele, damit die Menschen wissen, worauf sich technologische Prozesse ausrichten und was insgesamt in der
Technologieentwicklung zu geschehen hat. Die Politik
kann keine Techniken vorschreiben. Dazu ist sie nicht in
der Lage und das ist auch nicht ihre Aufgabe. Wer
anderer Meinung ist, der unterliegt einem großen Missverständnis. Aber sie kann die Zielrichtungen vieler
politischer und gesellschaftlicher Prozesse vorgeben,
aufgrund deren sich dann Techniken, Wissenschaft, Forschung und Intelligenz entwickeln können. Das ist der
Weg, den wir vorschlagen und den wir nach unserer
Meinung für eine gute Innovationsentwicklung brauchen.
Ich möchte drei Beispiele nennen, damit Sie verstehen, was wir meinen. Erstes Beispiel: Das Themenfeld
der ökologischen Modernisierung gibt eine Richtung
vor, die für die Technologieentwicklung und Innovationen wichtig ist. Wenn wir es zum politisch akzeptierten
Ziel in diesem Hause machen, Wirtschaftswachstum mit
besserer Ressourcenproduktivität zu generieren, das
heißt mit weniger Energieverbrauch, insbesondere mit
weniger Wasserverbrauch, und mit weniger Landschaftsverbrauch mehr Wirtschaftswachstum, dann setzen wir
einen guten Innovationsprozess in Gang. Denn eines ist
klar, Herr Schauerte: Man kann mit solchen grünen
Ideen der ökologischen Modernisierung schwarze Zahlen schreiben und neue Arbeitsplätze schaffen. Dagegen
sollten Sie sich nicht länger sperren.
({6})
Der Emissionshandel, insbesondere die Vergabe der
Zertifikate, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls ein entscheidendes Instrument zur Förderung des technischen
Fortschritts in Deutschland. Es ist doch ganz klar: Das
Land, das am schnellsten und am besten Klimaschutz
betreibt, hat Technologievorteile, weil es als erstes die
Technologien einsetzt, die wir brauchen, wenn wir einen
weltweiten Prozess der CO2-Vermeidung einleiten wollen.
({7})
Zweites Beispiel, die Gesundheitspolitik: Die zwölf
Leittechnologien der Fraunhofer-Gesellschaft - darüber
haben Sie vielleicht gelesen - sind vor allem deswegen
sehr intelligent, weil sie sich auf gesellschaftliche Ziele
beziehen. Das Projekt, eine persönliche Pille, mit der die
Medikation auf das genetische Profil des jeweiligen Patienten abgestimmt werden soll, mithilfe der Gentechnik
und der Mikrobiologie zu entwickeln, ist vernünftig;
denn so können Unverträglichkeiten ausgeschlossen und
die medikamentöse Fehlversorgung, insbesondere die
Überversorgung, vermieden werden. Die Patientenversorgung wird also verbessert.
Die Botschaft lautet: Wenn wir gesellschaftliche Ziele
zum Beispiel im gesundheitspolitischen Bereich definieren und den Technologieprozess entsprechend ausrichten, dann leiten wir eine positive Entwicklung ein. Wir
dürfen also nicht einfach sagen: Techniker macht, was
ihr könnt! Wir schauen nachher, ob wir daraus etwas
Vernünftiges machen können. - Gesellschaftliche und
politische Ziele müssen also in den Vordergrund.
({8})
Drittes Beispiel, der Dienstleistungsbereich: Hiermit
müssen wir uns mehr auseinander setzen, als dies im
Rahmen des Masterplans geschehen ist. Da Deutschland
bekanntermaßen eine Schwäche bei den Dienstleistungen hat, müssen wir dafür sorgen, dass auch der Dienstleistungsbereich in den Innovationsprozess einbezogen
wird. Dies tun wir zu wenig, wenn wir nur auf die technische Entwicklung schauen und nicht darauf achten,
welche neuen und innovativen Dienstleistungen in
Deutschland angeboten werden können. Zum Beispiel
bietet die „alternde Gesellschaft“ ein riesiges Feld für
neue Dienstleistungen. Der Gehirnschmalz aller Fraktionen dieses Hauses muss darauf verwendet werden, wie
auf diesem Gebiet neue Arbeitsplätze geschaffen werden
können.
({9})
Ich möchte auf Folgendes hinaus: Wir brauchen Zielsetzungen gesellschaftlicher, sozialer und kultureller
Art, die dem Innovationsprozess vorgeschaltet sind; wir
dürfen nicht allein über Techniken diskutieren. Frau Ministerin Bulmahn, ich bin nicht für die Nanotechnik um
ihrer selbst willen. Ich bin für die Nanotechnik, weil ich
sehe, welche positiven Auswirkungen sie zum Beispiel
im Bereich der Medizin und in anderen Bereichen hat.
Das Gleiche gilt für die neuen Materialtechniken. Wir
müssen also über die Ziele reden. Die Politik muss Ziele
setzen. Wenn das geschieht, dann kommt es zu einem
positiven Technologieprozess.
Ich sage dies deswegen, weil die Innovationsdebatte
in Deutschland merkwürdig kalt ist. Ich finde, sie darf
nicht so kalt bleiben. Es muss zu einer warmen Debatte
kommen, mit der Zielrichtung, dass die Gesellschaft ihre
Probleme mit guten Techniken, mit guten Innovationen
lösen kann. Nur wenn das geschieht, kommen wir einen
Schritt weiter. Wir kommen aber nicht weiter, wenn wir
allein über Technologien diskutieren.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich sage das nicht
aus der Perspektive eines Technikskeptikers. Ich weiß
vielmehr aus der Geschichte, dass ein Technikprozess
mit klaren gesellschaftlichen Zielen viel innovativer, viel
explosiver und viel radikaler vonstatten gehen kann.
Übrigens, wir müssen endlich offen über unsere Probleme reden. Wir in Deutschland tun uns zum Beispiel
extrem schwer damit, Subventionen abzubauen. Da die
Lobbys der alten Techniken das politische System - mit
entsprechendem Erfolg - bearbeiten, ist es so schwer,
die Subventionen abzubauen. Aber eines ist völlig klar:
Nur wer Subventionen radikal und schnell abbaut, ist in
der Lage, einen wirklichen Innovationskurs zu steuern.
Damit wir uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen: Jeder
kann bei den Subventionen anfangen, für die er selbst
eingetreten ist; jeder muss sich die Frage stellen, was er
selbst dafür tut, dass diese Subventionen abgebaut werden.
({10})
Wir haben ein Gesundheitssystem - dafür sind Sie
verantwortlich, Frau Wöhrl -, das den Wettbewerb nicht
fördert und deswegen nicht innovativ sein kann.
({11})
Auch über solche Schwächen muss man reden, wenn
man hier - in diesem Sinne haben Sie sich ausgedrückt gestalten will.
({12})
Wenn man sich hinter den Lobbys des alten Systems
versteckt - Frau Wöhrl, das haben Sie getan -,
({13})
dann gibt es kein Pro für Innovationen, für neue Techniken und für neue Entwicklungen. Sie selbst haben gesagt, Innovationen seien ein sozialer Prozess. Da hatten
Sie wirklich Recht. Aber wenn Sie das so sehen, dann
müssen Sie daraus auch die Konsequenzen ziehen.
({14})
Wir sind der Meinung, dass das, was die Regierung in
diesem Masterplan vorsieht - mehr für Forschung und
Bildung zu tun -, gut ist. Übrigens, im Hinblick auf die
Ausgaben des Bundes für Forschung und Bildung, auf
Ganztagsschulen und auf die Studienanfängerquote
brauchen wir uns in der Tat nicht zu verstecken, weil
sich der damit verbundene Prozess seit 1998 kontinuierlich verbessert. Sie haben in diesen Bereichen abgebaut,
während wir zugelegt haben.
({15})
Frau Bulmahn, ich glaube tatsächlich, dass wir die
Elitediskussion vom Kopf auf die Füße stellen müssen.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen glauben nicht daran,
das es zu exzellenten Hochschulen kommt, wenn man
allein von oben auf die Universitäten einwirkt.
({16})
Die notwendige Entwicklung muss sich in der Breite
vollziehen. Wenn das geschieht, kann man zusätzlich etwas Vernünftiges machen. Wir werden darüber im Detail
reden. Eines aber muss man klarstellen: Die Richtung
muss die Verbesserung des Hochschulsystems in der
Breite sein.
({17})
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat eine Arbeitsgruppe zum Thema Innovationsfinanzierung eingerichtet. Die Ergebnisse der Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe sind erst vor wenigen Tagen veröffentlicht
worden. Man hat fünf sehr interessante, neue Vorschläge
gemacht. Damit es konkret und gestalterisch wird, Frau
Wöhrl, möchte ich drei davon kurz darstellen:
({18})
Erstens. Diese Arbeitsgruppe fordert, dass die Fachprogramme des Wissenschaftsministeriums - es sind
gute Programme; bisher verpufften die damit verbundenen Zuschüsse in vielen Fällen - auf rückholbare und
nicht versicherbare Kredite, also auf Soft Loans, umgestellt werden sollen. Das ist eine vernünftige Forderung,
weil mit dem gleichen Geld für Innovationen viel mehr
Betriebe erreicht werden können.
Zweitens. Wir brauchen einen Spin-off-Fonds in
Deutschland, wodurch öffentliches Geld, privates Geld
und das Geld von Venture-Capital-Gesellschaften zusammenfinden können, damit mehr Existenzgründungen
aus den Universitäten unterstützt werden können, damit
es zu mehr Existenzgründungen kommt, als es bisher
durch das EXIST-Programm der Fall ist.
Drittens. Wir müssen zum Beispiel das FUTOURProgramm, das nur im Osten durchgeführt wird, auf die
ganze Bundesrepublik ausdehnen, weil es ein hervorragendes Technologieprogramm zur Förderung neuer Unternehmen und Techniken ist.
Damit komme ich zum Schluss.
({19})
Wir unterstützen den Masterplan in seinen Maßnahmen,
wie er vorgelegt worden ist. Wir vom Bündnis 90/Die
Grünen werden sehr darauf achten, dass die Innovationsdiskussion endlich eine stärkere politische und gesellschaftliche Richtung bekommt. Das halten wir für notwendig. Es ist sehr gut, dass Rot und Grün das Thema
Innovation aufgegriffen haben, während die Union geschlafen hat
({20})
und sich seit Wochen und Monaten in einem unwürdigen
Prozess zur Findung eines neuen Bundespräsidenten vergnügt, anstatt sich um das Kerngeschäft in der Politik
und um neue Arbeitsplätze zu kümmern.
({21})
Ich erteile Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte Ihnen, Frau Ministerin Bulmahn,
im Namen der FDP-Fraktion erst einmal herzliche
Glückwünsche zu Ihrem heutigen Geburtstag aussprechen und bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, dass
Sie mit Ihrem Amt eine Schlüsselfunktion für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands innehaben.
({0})
Seit dem Beginn des Industriezeitalters in Deutschland waren Wissenschaft, Forschung und Entwicklung
der Motor für den wirtschaftlichen Aufstieg dieses Landes.
({1})
Sie schufen zugleich die Grundlage für eine wettbewerbsfähige moderne Volkswirtschaft, die in der Welt
ihresgleichen suchte. Was Deutschland bis heute so exzellent getragen hat und was zugleich seinen weltweit
guten Ruf begründet, ist sein wissenschaftliches und
technologisches Fundament, auf dem seine technologische Leistungsfähigkeit beruht.
Aber dieses Fundament, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition, hat Risse bekommen. Das
gibt sogar Ihr Koalitionspartner zu. Wenn schon Herr
Kuhn hier kritisiert, dass der Masterplan nicht ausreichend ist, wenn schon Ihr Koalitionspartner von diesem
Masterplan nicht überzeugt ist, dann ziehen Sie ihn doch
zurück und überarbeiten ihn!
({2})
Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands
werfen Sie einen Blick in den Bericht der Deutschen
Bundesbank! Darin sehen Sie, wie gravierend sich der
Saldo Deutschlands seit der Regierungsübernahme von
Rot-Grün
({3})
im Jahr 1998, Herr Tauss, verschlechtert hat.
({4})
Wir geben heute wesentlich mehr für den Kauf von Patenten und Lizenzen, für Ergebnisse aus Forschung und
Entwicklung, für EDV-Leistungen und Ingenieurleistungen aus, als wir Entsprechendes an das Ausland verkaufen.
({5})
Betrug der Negativsaldo 1998 noch 2,5 Milliarden Euro,
so betrug er im Jahr 2001 schon 7,5 Milliarden Euro.
Das geht auf Ihr Konto, meine Damen und Herren von
der Regierungskoalition.
({6})
Einerseits forschen große global operierende Unternehmen dort, wo sie die besten Rahmenbedingungen oder
auch Absatzmärkte vorfinden. Andererseits forschen sie
auch dort, wo sie die geringsten bürokratischen Hindernisse erwarten können. Bürokratie haben wir in
Deutschland leider noch viel zu viel.
Die jüngste Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft zeigt, dass die Aufwendungen der
Unternehmen für Forschung und Entwicklung, die von
1995 bis 2002 eigentlich kontinuierlich gestiegen sind,
im Jahr 2003 das erste Mal sinken. Der Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Wirtschaft
am Bruttoinlandsprodukt betrug 2002 noch 1,75 Prozent,
ein Jahr später 1,73 Prozent.
({7})
Die Unternehmen sparen an der Forschung, Herr Tauss.
So warnte der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zu Recht vor der nachlassenden Innovationsdynamik in unserem Land.
Die Schwächung der technologischen Leistungsfähigkeit verringert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft. Nicht zuletzt durch den Zusammenbruch des
Neuen Marktes, das Scheitern vieler Venture-CapitalGesellschaften sind gerade junge Technologieunternehmen - das wissen auch Sie - nicht mehr in ausreichendem Maß finanzierbar. Die hohe Zahl von Insolvenzen
in Deutschland - über 90 000 - ist doch bezeichnend
und alarmierend. Warum ist das so, meine Damen und
Herren? Das hat natürlich auch etwas mit politischen
Rahmenbedingungen in diesem Land zu tun. Die stimmen einfach nicht. Wir haben zu hohe Steuern. Sie sind
mit der Reform der Sozialsysteme in diesem Land immer noch nicht vorangekommen.
({8})
Trotz aller lautstarken Bekenntnisse haben Sie es,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
in Ihrer jetzt schon sechs Jahre währenden Regierungszeit nicht vermocht, einen wirklichen Strukturwandel
hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft und hin zu einem Höchsttechnologiestandort einzuleiten. Um mit den
klaren Worten der Autoren des Berichts „Zur Technolo8342
gischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ zu sprechen:
Alle Ansätze verlaufen im Schneckentempo. Der Anteil
der Gesamtausgaben von Bund und Ländern und der
Wirtschaft für Forschung und Entwicklung stieg zwar
seit Mitte der 90er-Jahre auf jetzt 2,52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an,
({9})
liegt aber noch weit von der 3-Prozent-Zielmarke der EU
entfernt, zu der sich die rot-grüne Bundesregierung 2002
({10})
- Herr Tauss, schreien hilft nicht, Sie müssen schon die
Fakten zur Kenntnis nehmen - in Barcelona bekannt hat.
Ich habe mir erlaubt, die Bundesregierung zu fragen,
wie sie eigentlich dieses 3-Prozent-Ziel erreichen will.
({11})
Da habe ich von der Frau Ministerin Bulmahn zur Antwort bekommen: Die dafür erforderlichen Steigerungsraten der F-und-E-Ausgaben ergeben sich aus den tatsächlichen Steigerungsraten des BIP bis zum Jahre 2010.
Eine belastbare Voraussage der erforderlichen jährlichen
Steigerungsraten der staatlichen und privaten F-und-EAusgaben ist daher bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. - Was heißt denn das, meine Damen und Herren?
Sie haben gar nicht realistisch in Erwägung gezogen
bzw. haushaltspolitisch nicht kalkuliert, was da auf Sie
zukommt, und haben dieses Ziel überhaupt nicht in die
mittelfristige Finanzplanung eingestellt. Deswegen fordern wir heute die Bundesregierung auf, das auch in der
mittelfristigen Finanzplanung darzustellen. Daran können Sie beweisen, ob Sie es mit der Forschungsförderung ernst meinen oder nicht.
({12})
Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Nur massive Investitionen in Bildung, Wissenschaft, Forschung
und Technologie sichern einen wirklichen Strukturwandel und damit auch Einkommen und Beschäftigung.
Deutschland steht vor der Nagelprobe. Vor dem Hintergrund einer immer noch schwachen Konjunktur ist es
gerade jetzt außerordentlich wichtig, einen deutlich stärkeren staatlichen Beitrag zu leisten. Diese Bundesregierung will uns immer noch glauben machen, dass die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung seit ihrem
Regierungsantritt enorm gewachsen sind.
({13})
Das ist einfach nicht wahr.
({14})
Die gesamten staatlichen F-und-E-Ausgaben in Deutschland
({15})
- Herr Tauss, ich rede jetzt von Ihrer Regierungsverantwortung - sind von 2000 bis 2002 nur um 6 Prozent gestiegen; dagegen waren es in Schweden knapp 30 Prozent und in den USA 25 Prozent. Wenn Deutschland
seine technologische Zukunft nicht aufs Spiel setzen
will, sind Investitionen in die Forschung das Letzte, was
dem Rotstift zum Opfer fallen darf.
({16})
Das Budget des BMBF sinkt gegenüber dem Vorjahr
um rund 103 Millionen Euro. Hinzu kommen die globalen Minderausgaben in Höhe von 229 Millionen Euro.
Da kann man doch nicht von einer Steigerung dieses
Haushaltsansatzes sprechen.
({17})
Denken Sie bitte auch an die Forschungsbereiche in den
anderen Bundesministerien: Allein im Wirtschaftsministerium sinkt der Forschungsetat um 4,7 Prozent. Da ist
also keine Rede von Zukunftsinvestitionen.
({18})
Meine Damen und Herren, die Entwicklung im Osten unseres Landes bleibt weit hinter den Erwartungen
zurück. Auch da setzen Sie keine Zeichen. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass Herr Stolpe so sehr mit der
Maut zu tun hat, dass er sich mit Problemen der neuen
Bundesländer nicht mehr beschäftigen kann. Es besteht
in der Tat eine enorme Innovationslücke in den neuen
Bundesländern. Gerade einmal 9 Prozent des gesamtdeutschen F-und-E-Personals arbeiten in den neuen Bundesländern und nur 6 Prozent aller Aufwendungen für
Forschung und Entwicklung entfallen auf die neuen
Bundesländer.
({19})
- Ja, danke für das Stichwort Biotechnologieregion
Sachsen-Anhalt, Herr Tauss. Auch das will ich an dieser
Stelle ganz deutlich sagen: Frau Ministerin Bulmahn
preist zu Recht den Biotechnologiestandort Deutschland, aber die Koalitionsfraktionen sprechen, was die
Biotechnologie anbelangt, mit gespaltener Zunge. Sachsen-Anhalt ist ein Biotechnologiestandort. Ich nenne
hier nur das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und
Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Indem Sie in
dieser Regierung auf Druck Ihres Koalitionspartners einen wichtigen gentechnischen Versuch gebremst haben,
haben Sie einen Wachstumskern in einer ostdeutschen
Region infrage gestellt.
({20})
Das ist Ihre innovative Politik, die wir nicht mittragen
können.
Es ist schon eigenartig, welchen Rückhalt Frau
Bulmahn in der Regierung hat.
({21})
Ich weiß nicht, ob es der Geist von Neuhardenberg war,
der Bundeskanzler Schröder bei der Regierungsklausur
im Sommer vergangenen Jahres veranlasste, mit seinen
Ministern Bulmahn und Clement sowie der Fraktion das
Thema Forschungs- und Innovationspolitik für den
Standort Deutschland zu diskutieren. Eines ist sicher:
Der Kanzler gesteht ein, dass es an allen Ecken und Enden klemmt und Mitglieder der eigenen Regierung hier
nicht an einem Strang ziehen. Gleich nach der Bundestagswahl zeigte sich bereits, dass wichtige Forschungsund Entwicklungsbereiche wie zum Beispiel die
Energieforschung nunmehr von drei Ministerien verwaltet werden: Frau Bulmahn ist für die Zukunftsenergien zuständig, Herr Clement für die konventionellen Energien und Herr Trittin für die erneuerbaren
Energien, und das mit unterschiedlicher Mittelausstattung. Alles wird überschattet von einem übereilten
Atomausstiegsszenario mit den bekannten schweren
Konsequenzen für die Forschung bezüglich der kerntechnischen Sicherheit und für die Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke, die derzeit für immerhin 30 Prozent der deutschen Stromversorgung zuständig sind.
Dazu gibt es im Moment auch keine Alternative. Wir jedenfalls stehen zu dem Energiemix. Aber wir sagen auch
ganz deutlich, dass gerade in der Energieforschung Prioritäten gesetzt werden müssen, damit neue Technologien
entwickelt werden können.
Meine Damen und Herren, Frau Bulmahn hat das Jahr
der Technik ausgerufen.
({22})
Der Kanzler überholt sie und ruft das Jahr der Innovation
aus.
({23})
- Jahrzehnt wäre umso besser; aber dann müssten Sie
auch im Haushalt der zuständigen Ministerin glaubwürdig entsprechende Zeichen setzen. - Ich frage mich:
Stellt Bundeskanzler Schröder damit nicht die Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit seiner eigenen Ministerin infrage?
({24})
Hinzu kommt, dass Herr Müntefering und der Ex-Generalsekretär Scholz, ohne sich mit der Ministerin rückzukoppeln, ein Programm für fünf Eliteuniversitäten
ausgerufen haben. Einmal davon abgesehen, dass wir als
Liberale seit Jahrzehnten für die Förderung der geistigen
Elite in diesem Land werben, und zwar glaubwürdig,
({25})
muss diese Förderung frühzeitig beginnen, nämlich mit
einer Begabtenförderung im Kindergarten, und bis zu
einer differenzierten und individuellen Betreuung in der
Schule und natürlich entsprechenden qualifizierten Studienangeboten reichen. Aber wenn Eliteuniversitäten per
Beschluss des Zentralkomitees dieser Bundesregierung
verordnet werden, geht das voll an den Realitäten des internationalen Wettbewerbs
({26})
um die besten Universitäten und die besten Köpfe vorbei, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({27})
- Ich werde jetzt nicht ausführen, was Herr Tauss dazu
sagt, sehr verehrter Herr Kollege Dr. Gerhardt, aber ich
sage Ihnen, was die Allianz der Wissenschaftsorganisationen dazu meint: dass wir den Wettbewerb von Exzellenzzentren brauchen, in denen Hochschulen auf
bestimmten Fachgebieten eng mit außeruniversitären
Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen
zusammenarbeiten. Deutschland wird nicht umhinkönnen, insbesondere seine Hochschullandschaft breit zu
fördern und seine Leistungsspitzen zu erhöhen.
({28})
Sie wollen das Gegenteil, meine Damen und Herren
von der Regierungskoalition.
({29})
Sie machen unglaubwürdig Politik: Sie streichen im
Haushalt 2004 die Mittel für die Hochschulen in diesem
Land und
({30})
kürzen die Mittel für den Hochschulbau auch in den
Länderhaushalten, sodass nicht mehr investiert werden
kann,
({31})
und rufen zeitgleich ein Programm für fünf Eliteuniversitäten aus. Das geht meines Erachtens an den Realitäten
vorbei.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Zeit deutlich überzogen.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Erlauben Sie mir als Letztes ein Zitat
({0})
von Benjamin Franklin: Investition in Wissen bringt die
besten Zinsen. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kasparick, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zu unserem Thema zurückkommen.
({0})
Unser Thema heute ist der Mittelstand. Ich hätte erwartet, dass von der FDP zum Thema Mittelstand etwas
kommt. Aber wie wir eben alle verfolgen konnten, kam
nichts - nicht einmal ein Wort - zu diesem Thema.
({1})
Es geht um die Frage, was wir politisch tun können, um
dem Mittelstand zu helfen.
Es sind schon verschiedene Dinge angesprochen worden, die auch das Bundesland betreffen, in dem ich die
Lage einigermaßen gut überschauen kann. Zum Stichwort Gentechnologie in Gatersleben sei mir ein Satz gestattet: Zu dem Forum, zu dem die Landwirtschaftsministerin und der Wirtschaftsminister eingeladen hatten,
sind noch nicht einmal Vertreter der Bauernverbände gegangen. Was Sie da vorhaben, bedarf eines gründlichen
Dialogs.
Die FDP wirft uns in ihrem Antrag Technikfeindlichkeit vor. Ich will Ihnen hier im Plenum die konkrete Situation in meinem Bundesland schildern. Wir haben am
Standort Magdeburg eines der größten Hightech-Unternehmen im Bereich der modernen Energietechnologien.
Wir haben mit vielen Verbündeten versucht, auch die
Forschungsabteilung des Unternehmens an diesen
Standort zu holen. Dieser große Anbieter von modernen
Dienstleistungen im Energiebereich, der mittlerweile in
über 35 Länder dieser Welt exportiert - so erfolgreich ist
er -, lehnte dankend mit der Begründung ab, dass sie
nicht in ein Land gehen, in dem es eine so massive Kampagne gegen Windenergie gibt. Was dort gemacht wird,
ist Technologiefeindlichkeit.
({2})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie - damit meine ich besonders die Verantwortlichen im Wirtschaftsministerium
dieses Bundeslandes - den Standort auf diese Weise
systematisch beschädigen, dann werden Sie keinen Erfolg haben.
({3})
Was wir nämlich in Ostdeutschland brauchen, sind Hightech-Unternehmen, die sich um Zukunftsmärkte kümmern. Wenn die so aus dem Lande vertrieben werden,
wie es Ihr Wirtschaftsministerium tut, dann hilft das unserem Land nicht.
({4})
Kollege Kasparick, es haben sich gleich zwei Kollegen zu einer Zwischenfrage gemeldet.
Das können wir dann erledigen, wenn ich vorgetragen
habe.
Ich möchte nun etwas zu den konkreten Vorschlägen
in dem vorliegenden Hightech-Masterplan sagen. Der
eine oder andere von Ihnen weiß, dass ich wie viele unserer Kollegen viel im Lande unterwegs bin und mit den
Instituten und auch mit den Unternehmern rede. Ich habe
den Hightech-Masterplan von den Praktikern in der Region einmal checken lassen.
Als Erstes möchte ich der Ministerin und unserem
Wirtschaftsminister ein großes Lob für die Zusammenarbeit beider Häuser aussprechen.
({0})
Dabei geht es um die Frage, was wir gemeinsam tun
können, um den Mittelstand voranzubringen. Das ist gerade für Ostdeutschland ein ganz wichtiger Punkt.
Wir haben am vergangenen Wochenende mit den ostdeutschen Abgeordneten und mit Vertretern des für den
Aufbau Ost zuständigen Ministeriums in Zeuthen zusammengesessen. Wir wollen die Anstrengungen verstärken. Wir wollen, dass die Häuser enger kooperieren
und sich stärker auf die Lösung der Probleme fokussieren. Wir müssen schauen, wie wir die Kompetenzen der
Häuser bündeln können, um etwas für den Mittelstand
zu tun.
Die Praktiker sagen, dass es ein brauchbares Papier
ist. Die Praxistauglichkeit der Innovationsförderung
für kleine und mittelständische Unternehmen wurde erheblich gesteigert. Im Übrigen sei mir die Bemerkung
gestattet, dass wir das Programm „Pro Inno“, das in Ostdeutschland läuft, für die alten Bundesländer geöffnet
haben. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man vom
Osten lernen kann.
({1})
Es ist gut, dass das, was gut gelaufen ist und was sich bewährt hat, auch für die alten Bundesländer geöffnet wird.
Für Ostdeutschland ist auch die Zusammenarbeit der
Unternehmen mit den Fachhochschulen wichtig. Ich
stimme der Feststellung in dem vorgelegten Papier ausdrücklich zu, dass das Potenzial für die Verbesserung der
Zusammenarbeit zwischen Fachhochschulen und KMUs
sehr groß ist. Nach meiner Erfahrung liegt es insbesondere an den fehlenden persönlichen Kontakten der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in Ostdeutschland besonders klein sind, dass in diesem
Bereich zu wenig passiert. Wir haben hier Betriebsgrößen von durchschnittlich fünf bis zehn Mitarbeitern. Da
muss deutlich zugelegt werden.
Ich fordere von dieser Stelle die Kammern ausdrücklich dazu auf, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Der
Dialog zwischen den kleinen und mittelständischen Unternehmen und den Fachhochschulen insbesondere in
Ostdeutschland muss deutlich verstärkt werden. Mein
Eindruck bei den weit über 500 Besuchen, die ich in den
letzten Jahren bei den ostdeutschen Instituten gemacht
habe, ist, dass da eine ganz große Schwachstelle liegt.
Diesen Dialog müssen wir fördern.
({2})
Was der Bund in Bezug auf staatliche Förderung tun
kann, hat er in dem Papier dargelegt. Wir müssen aber
beachten, dass die Forschungsintensität insbesondere in
den ostdeutschen Ländern noch sehr zu wünschen übrig
lässt. Ich habe mir sagen lassen, dass in dem Bundesland, aus dem ich komme, nur 5 Prozent der KMUs an
F und E beteiligt sind. Das heißt also: 95 Prozent der
kleinen und mittelständischen Unternehmen beteiligen
sich nicht an der Forschung.
Das alles kann man natürlich dem Bund in die Schuhe
schieben. Nur sage ich Ihnen ganz deutlich, dass dies
auch eine zentrale Aufgabe eines Landeswirtschaftsministeriums ist.
({3})
Meine Erfahrung ist: In meinem Bundesland gab es einen Innovationsbeauftragten. Dann wurde die Stelle abgeschafft.
({4})
Jetzt hat man den Minister zum Innovationsbeauftragten
ernannt. Seither läuft gar nichts mehr.
({5})
Genau das ist die Schwierigkeit. Wir müssen deutlich
besser werden.
Insbesondere muss die sachsen-anhaltinische Landesregierung aufhören, bei den Hochschulen pauschal zu
kürzen. Es bringt das Land nicht einen Deut weiter,
wenn man einfach sagt: Alle Hochschulen müssen
10 Prozent weniger ausgeben.
({6})
Was soll denn das für ein Qualitätsgütesiegel sein?
({7})
30 Millionen Euro sollen die Hochschulen bzw. Universitäten weniger ausgeben. Sie sollten einmal mit Vertretern von Hochschulen sprechen. Ich komme gerade wieder von einer Besuchstour. Ich war beispielsweise bei
der Best Practice University in Wernigerode. Dort wurde
mir gesagt, dass man seit über einem Jahr auf die Genehmigung des Ministers für Berufungen warte. Fünf Personen, die alle Stadien durchlaufen hatten und hätten
anfangen können, sind von der Fachhochschule weggegangen, weil das Ministerium kein Okay gibt.
Ich sage Ihnen deutlich: Da muss nachgebessert werden. Das, was der Bund im Hinblick auf eine bessere
Kooperation zwischen Wirtschaft und Forschung vorlegt, muss von den Länderministerien in Ostdeutschland
endlich nachgemacht werden. Denn das ist der richtige
Weg. Nur so geht es.
({8})
Kollege Kasparick, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage des Kollegen Bergner?
Ich bin fast am Ende. Dann kann er die Zwischenfrage stellen.
({0})
Ich will ein paar Punkte des Programms der Bundesregierung hervorheben, die gut sind und über die wir bisher noch nicht gesprochen haben. Sehr gut finde ich den
Vorschlag, Zuschüsse für die Anmeldung des ersten
Patents an KMUs zu vergeben. Denn bei vielen KMUs
stellt die Finanzierung des ersten Patents eine schwierige
Hürde dar. Ich habe mir gerade sagen lassen: Bei europäischen Patenten reden wir über eine Größenordnung von
35 000 Euro. Wenn es dazu Zuschüsse gibt, ist das eine
hilfreiche und sehr wichtige Sache.
Sehr gut ist, dass die Beratung deutlich verbessert
wird, dass KMUs die Möglichkeit haben sollen, per Telefon oder über Internetangebote sehr viel schneller an
Informationen heranzukommen, die ihnen helfen können.
Die Ungleichgewichtigkeit, die wir zwischen den einzelnen Bundesländern in Ostdeutschland haben, muss
deutlicher ausgeglichen werden. Ich will dazu eine Zahl
nennen: Der Ausdifferenzierungsprozess der Länder in
Ostdeutschland ist mittlerweile so weit, dass von den
Forschungsmitteln für KMUs, die nach Ostdeutschland
fließen, allein das Bundesland Sachsen 43 Prozent erhält. Das sagt etwas über die technologische Leistungsfähigkeit der anderen Bundesländer aus. Deswegen sage
ich: Dies wird offensichtlich nicht dadurch bestimmt, ob
das Land von der Union oder der SPD regiert wird, sondern wird durch die handelnden Personen bestimmt.
({1})
Deswegen müssen die Landesregierungen zulegen. Es
kann nicht sein, dass ein Bundesland 43 Prozent der
F-und-E-Mittel erhält, während sich andere dadurch auszeichnen, dass sie erfolgreiche Unternehmen aus dem
Lande vertreiben oder zumindest verhindern, dass sie
ihre Forschungsabteilung in das Land holen.
Deshalb: Herzlichen Dank für den Vorschlag, der auf
dem Tisch liegt! Wir müssen jetzt ganz genau schauen,
dass die Anregungen in Bezug auf eine Verbesserung der
Zusammenarbeit auch im Alltag vollzogen werden. Das,
was wir Abgeordneten in unseren Wahlkreisen beitragen
können, um den Dialog zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu verbessern, wollen wir gerne tun.
Insgesamt bin ich der festen Überzeugung, dass die
politische Linie in dem vorliegenden Papier richtig ist.
Sie läuft darauf hinaus, dass die Ministerien besser kooperieren und sich zusammentun, um besondere Schwerpunktprobleme beispielsweise bei der Forschungsbeteiligung von KMUs anzugehen. Das ist genau der richtige
Weg; den unterstützen wir gern.
({2})
Gestatten Sie jetzt die Nachfrage?
Jetzt kann er gerne fragen.
Kollege Kasparick, Sie müssen schon am Pult stehen
bleiben. Die Nachfrage bezieht sich ja auf Ihre Rede.
Gerne.
Herr Kollege Kasparick, ich will in meiner Frage unsere gemeinsamen landsmannschaftlichen Erfahrungen
ansprechen. Sie haben im Hinblick auf unser gemeinsames Bundesland Sachsen-Anhalt zwei Behauptungen
aufgestellt, die mich zu einer Nachfrage provozieren.
Die erste Behauptung war, dass Sachsen-Anhalt innovative Aktivitäten von Unternehmen vertreibt,
({0})
weil es die Akzeptanz der Windkraft einschränkt. Ist Ihnen bekannt, dass Sachsen-Anhalt inzwischen in
Deutschland in Bezug auf die Windkraftdichte eine Spitzenposition bei den küstenfernen Ländern erreicht hat
und dass Kommunalpolitiker Ihrer Partei angesichts dieser Dichte die Belastungsgrenze bereits als überschritten
betrachten,
({1})
sodass Sie in die Gruppe derjenigen, die angeblich die
Windkraft verteufeln, Ihre eigenen Kommunalpolitiker
einbeziehen müssen?
Haben Sie zweitens unter wirtschaftspolitischen
Gesichtspunkten berücksichtigt, dass die regionalen
Energieversorger gerade mit Blick auf die unrentablen
Windkraftstandorte die Landesregierung inzwischen hinsichtlich der Energiepreisentwicklung zu Recht warnen,
eine solche Politik fortzusetzen?
Mein zweiter Punkt.
Das wäre jetzt der dritte Punkt.
Mein dritter Punkt: Sie haben den Eindruck erweckt,
als ob in Sachsen-Anhalt die Mittel für die Hochschulen
pauschal um 10 Prozent gekürzt wurden. Ist Ihnen entgangen, dass diese 10 Prozent zwar ein Ziel für die
Haushaltskonsolidierung sind, dass sie aber sehr wohl
mit Vorschlägen zur Strukturveränderung - diese sind,
zugegeben, politisch umstritten - unterlegt sind? Mit
diesen Vorschlägen wollte man vermeiden, der Hochschullandschaft insgesamt Kürzungen abzupressen; das
haben Sie versucht zu unterstellen.
Ich fühle mich aufgrund unserer gemeinsamen landsmannschaftlichen Herkunft verpflichtet, Ihre etwas kühnen Thesen durch drei Fragen klarzustellen.
({0})
Ich möchte Ihre drei Fragen gern beantworten. Herr
Dr. Bergner, eines unterscheidet uns beide: Sie sprechen
über Planungsvorgänge, die den Kommunen und Landkreisen obliegen, nämlich die Entscheidung, wo Windturbinen aufgestellt werden. Ich spreche über Technologiepolitik. Das ist etwas anderes. Es geht um die Frage,
ob es uns gelingen wird, die Kernbetriebe hoch innovativer Unternehmen in den neuen Bundesländern zu halten.
Wir müssen jeden Betrieb im Land halten und jedem Betrieb, der seinen Hauptsitz und seine großen Produktionskapazitäten in die neuen Länder legen will, helfen.
Davon ist die Frage zu unterscheiden, an welchen
Standorten man Windturbinen aufstellt. Es geht darum,
ob man ein Unternehmen unterstützt, das Forschungskapazitäten aufbauen will. Wir haben mit der Geschäftsführung von Enercon gesprochen und wissen, dass diese
dankend ablehnt. Sie hat ausgeführt, dass sie ihre Forschungsabteilung nicht in ein Land verlegt, in dem eine
solche Kampagne gegen sie geführt wird. Das ist das
Problem.
Sie haben die Hochschulen angesprochen, hier gibt es
ein weiteres Problem. Sie wissen, dass ich sehr viele Institute besuche und dabei mit den Professoren spreche.
Ich lade Sie herzlich zu diesen Gesprächen ein. Sie werden aus allen Hochschulen des Landes Sachsen-Anhalt
hören, dass die pauschale Kürzung der Mittel um
10 Prozent durch die Landesregierung in keinerlei Hinsicht förderlich für eine inhaltlich bessere Aufstellung
der Forschungsregionen ist. Es hilft dem Land nicht,
wenn Sie die Forschungsmittel kürzen.
({0})
Wir brauchen auch im Land eine Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschafts- und dem Forschungsministerium, wie es der Bund vormacht.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartmut
Schauerte, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kasparick, nachdem Sie zusammen mit der PDS
das Land Sachsen-Anhalt in Grund und Boden gewirtschaftet haben,
({0})
erteilen Sie hier in arroganter Weise Zensuren, wie ich
das selten von einem jungen Kollegen gehört habe.
({1})
Gucken Sie sich einmal an, was Sie zusammen mit Ihren
Freunden in den letzten Jahren in Sachsen-Anhalt kaputtgemacht haben.
({2})
Bereinigen Sie das, bevor Sie hier eine dicke Lippe riskieren!
({3})
Der Anfang dieser Debatte war höchst bezeichnend.
Das Wirtschafts- und das Forschungsministerium wussten nicht, wer von ihnen anfangen sollte. Auch daran
kann man sehen, dass die Zuständigkeit bei der Innovationspolitik nach wie vor absolut ungeordnet ist. Das ist
ein Teil unseres Problems.
({4})
Hier weiß die Rechte nicht, was die Linke tut. Sie können
sich nicht einmal darüber verständigen, wer die Eröffnungsrede hält. Das setzt sich in den Behörden und bei
den Beamten sowie in der Mittelverwaltung fort. Deswegen kommt Deutschland nicht aus den Puschen und deswegen kommen wir nicht dahin, wo wir hin müssen.
({5})
Das „Jahr der Innovationen“ ist von der SPD zu einem Zeitpunkt ausgerufen worden, als sie erschöpft gesagt hat: Nun ist es mit den Reformen genug.
({6})
Man konnte aber nicht ganz ohne Reformen auskommen, also hat man das „Jahr der Innovationen“ erfunden.
Der Begriff ist sympathisch, er tut nicht weh, er hilft.
Deswegen war ich neugierig, was Sie nun - es wurde am
4. Februar beschlossen - zum „Jahr der Innovationen“
schreiben werden. Ich habe das nüchtern durchgelesen.
Dieser Hightech-Masterplan ist ein Sammelsurium aller Maßnahmen, die sich irgendwie unter die Überschrift
„Technologie im Mittelstand“ einordnen lassen. Sie haben die Bestände in der Bundesregierung durchforstet
und aufgeschrieben, wer oder was entfernt oder nah mit
diesem Thema zu tun hat.
Es ist unglaublich schwer, in diesem Plan einen neuen
Punkt zu finden. Daher bin ich nicht überrascht, dass
noch niemand von Ihnen einen solchen vorgetragen hat.
Sie haben auf keinen neuen Punkt Bezug genommen, auf
keinen einzigen.
({7})
Ich darf Ihnen einen Punkt nennen, den Sie vielleicht
übersehen haben. Es gibt wirklich einen durchaus vernünftigen neuen Punkt, über den man sich gar nicht zu
streiten braucht. Es wurde nämlich ab 2004 ein Dachfonds für Beteiligungskapital des ERP-Sondervermögens und des Europäischen Investitionsfonds geschaffen.
Das ist eine sinnvolle Maßnahme, für die auch wir waren. Das wird aber die Welt nicht verändern. Dieser
Fonds ist bei genauem Hinsehen das einzig Neue in diesem Masterplan der Technologieförderung für den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich bewundere den Mut, mit dem Sie zur besten Debattenzeit eine Diskussion zu einem Thema veranstalten,
zu dem Sie nichts Neues auf den Tisch legen.
({8})
Sie fabrizieren hier eine selbst organisierte Blamage.
Was sollen wir denn den Mittelständlern draußen sagen? Sie wollen ja ganz viel mit Mittelständlern gesprochen haben. Ich weiß nicht, mit welchen Sie gesprochen
haben. Wenn Sie mir einen konkreten Mittelständler zeigen, der mit seinen 10, 15, 20 oder 100 Leuten überlegt,
wie er Aufträge hereinholt, und nach Durchsicht dieses
Papieres sagt, es helfe ihm, dann gebe ich Ihnen einen
Euro extra.
({9})
Sie werden niemanden finden, der damit etwas anfangen
kann.
({10})
Nun zu einem anderen Thema. Sehr geehrter Herr
Kollege Kuhn, sehr geehrte Herren und Damen der SPD,
wir streiten uns sehr wahrscheinlich nur wegen der unpräzisen Bestimmung der Faktoren, über die wir reden
wollen. Innovation im Mittelstand findet zu 90 Prozent, zu 95 Prozent bei mutigen, innovativen, kreativen,
im Markt befindlichen Unternehmern und Mitarbeitern
statt, Gott sei Dank ohne politische Beteiligung.
({11})
Das ist der mit Abstand größte Block. Wenn der nicht
läuft, dann können Sie, Herr Kuhn, auch mit einer noch
so starken Erhöhung von Mitteln - die haben Sie nicht;
aber selbst wenn Sie sie hätten, wäre es so - nicht gegen
das Absterben der Innovationsbereitschaft bei 90,
95 Prozent der Unternehmen in diesem Lande anfinanzieren. Das wird nicht gelingen.
Der Mittelstand-Masterplan, den Sie hier vorlegen,
befasst sich äußerstenfalls mit den restlichen 10 oder
5 Prozent - und für diese legen Sie wirklich nichts
Neues vor.
({12})
- Herr Kuhn, das wissen auch Sie. Sie sind zu intelligent, um das nicht erkannt zu haben;
({13})
dieses eingeschränkte Kompliment möchte ich Ihnen
schon machen.
({14})
Deswegen dürfen Sie bei diesem Thema keine Ruhe geben, wenn Sie wirklich Innovation haben wollen.
Ein nächster Punkt. Sie sagen, wir müssten Subventionen abbauen.
({15})
- Genau, reden Sie doch einmal mit Ihrem Koalitionspartner! - Der Mangel an Patentanmeldungen im Land
Nordrhein-Westfalen, auf den ich vorhin mit meiner
Zwischenfrage eingegangen bin, liegt darin begründet,
dass wir seit 30 Jahren an die 150 Milliarden Euro für
Kohle und nicht für Innovation und Erneuerung ausgegeben haben,
({16})
und Sie von der SPD ändern das nicht. Sie schieben das
weiter vor sich her. In der nordrhein-westfälischen
Strukturpolitik sind Fachleute für Sterbehilfe tätig, die
zur Geburtshilfe für Neues und Frisches völlig unfähig
sind. Deswegen sind wir mit dem Standort, den Patentanmeldungen und der Erneuerung nicht vorangekommen.
({17})
Herr Kuhn, was für eine Politik betreiben Sie denn im
Moment im Energiebereich? Sie ist doch unerträglich
und unglaublich.
({18})
Sie haben den Unternehmen in Deutschland eine Energieverteuerung zugemutet. Seit Ihrem Regierungsantritt
wurden die Strompreise um 20, 30 Prozent erhöht - die
größte Kostenexplosion bei Strom in der Geschichte der
Bundesrepublik. Das ist Ihre Innovationspolitik.
({19})
Wie sollen denn die Unternehmen Erträge erwirtschaften, wenn die Löhne und die Lohnzusatzkosten
steigen, die Bürokratie zunimmt und die Energiekosten
politisch hochgetrieben werden? Woher soll die Innovationskraft für 90 Prozent der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland kommen? Da müssen Sie korrigieren.
({20})
- Das ist das zentrale Problem Ihrer Politik und Ihrer
Wirtschaftsförderung: Sie nehmen die Wirklichkeit
wahr, die Sie durch politisches Handeln glauben beeinflussen zu können. Damit gehen Sie über Land und sagen: Guckt einmal, wie toll wir das gemacht haben. - Sie
nehmen überhaupt nicht wahr, welche Schäden und
Wettbewerbsverzerrungen Sie damit organisiert haben.
({21})
Deswegen kommt Deutschland nicht auf Wachstumskurs. Das ist, wie ich meine, eine ausgesprochen blamable Situation.
Ich möchte noch auf einige konkrete Punkte eingehen, die den Mittelstand wirklich interessieren. Für Innovationen brauchen wir wirtschaftliche, planerische und
gedankliche Freiheit. Welche Bürokratieexpertisen haben Sie erstellen lassen! Welche Vermehrung der Bürokratie in diesem Land haben Sie verwirklicht! Welche
bürokratischen Hindernisse und Hemmnisse haben Sie
zum Beispiel im Bereich der Grünen Gentechnik und in
Energiefragen immer wieder eingeführt!
All das macht die Innovationsbereitschaft eher kaputt.
Das können Sie mit staatlichen Programmen, die Sie
darüber hinaus noch nicht einmal in ausreichendem
Maße mit finanziellen Mitteln ausstatten können, weil
Sie die Wirtschaft nicht organisieren, nicht auffangen.
Weil das Wirtschaftswachstum ausbleibt, werden Sie
auch kein Geld für Innovationen haben. Von einer Idee
will ich ganz schweigen.
Was ist also zu tun? Was brauchen wir wirklich? Wir
müssen für die genannten 90 Prozent der Unternehmen
die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen.
({22})
Dabei geht es auch um Steuern und Abgaben. Ich sage
Ihnen: Allein durch Ihre Debatte über die Erbschaftsteuer zerstören Sie in Deutschland mehr Innovationsbereitschaft, als all Ihre Finanzierungsprogramme herbeiführen könnten.
({23})
Bürokratieabbau, flexibles Arbeitsmarktrecht, Verbesserung der Eigenkapitalquoten, Wettbewerb und Autonomie, Senkung der Energiekosten und Abschaffung der
Gewerbesteuer - all das sind wichtige Aspekte, durch die
Freiräume für Innovationen in unternehmerischer Verantwortung gewonnen werden können. Darüber hinaus
kann es Korridore geben, bei denen wir Incentives setzen, Anregungen geben und Beschleunigungen herbeiführen wollen und für die wir daher öffentliche Mittel
bereitstellen. Dabei muss es sich aber um solche Technologien handeln, die uns wirklich etwas bringen und die
nicht ideologisch besetzt sind.
Die Windenergie ist die unglücklichste Innovation,
die wir in Deutschland betreiben.
({24})
Damit meine ich wohlgemerkt nicht den Bereich der alternativen Energien. Aber die Windenergie ist die unglücklichste, am wenigsten berechenbare und am wenigsten dauerhaft verantwortbare Innovation im
Energiebereich. Aber sie ist Ihr Lieblingskind. Das kann
ich nicht verstehen.
({25})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so kommen
wir bei diesem Thema nicht weiter. Die Zahlen, die wir
alle kennen, sind erschreckend. In Bezug auf den Grad
an wirtschaftlicher Freiheit liegt Deutschland abgeschlagen auf Platz 18. Auch beim Innovationstempo ist
Deutschland abgeschlagen und verliert sogar an Geschwindigkeit. Sehr wahrscheinlich hilft nichts anderes,
als dass wir die Innovationen, wie Sie es formuliert haben, in den Köpfen beginnen lassen. Ich gehe noch einen
Schritt weiter und sage: Wir müssen sie nicht in, sondern
an den Köpfen beginnen lassen. Wir brauchen eine andere Bundesregierung, Herr Kuhn.
({26})
Mit dieser Bundesregierung ist in Deutschland kein
Innovationsklima herzustellen. Bei der Wahl in Hamburg haben nicht einmal 20 Prozent der Selbstständigen
noch Vertrauen in Ihre Regierungskunst gehabt. Wo soll
dieses Vertrauen denn auch herkommen? Wir allerdings
gehen hier mit gutem Beispiel voran, Herr Kuhn.
({27})
Die CDU/CSU-Fraktion ist heute gut aufgestellt. Unser
Kandidatenvorschlag für das Amt des Bundespräsidenten ist hoch innovativ und tut Deutschland ausgesprochen gut.
({28})
Daher gehen wir zufrieden in diesen Tag.
Herzlichen Dank.
({29})
Ich erteile dem Kollegen Hans-Josef Fell, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin, meinen herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! - Herr Schauerte, Sie haben zu
Recht die alten, Struktur erhaltenden Kohlesubventionen
kritisiert. - Herr Schauerte, ich rede mit Ihnen.
({0})
Das sehen wir genauso. Dass Sie aber ausgerechnet die
volkswirtschaftlich wirklich geringen Kosten für Forschung und Entwicklung sowie für die Markteinführung
erneuerbarer Energien ebenso kritisieren, zeigt auf, dass
Sie in Wirklichkeit mit Zukunftstechnologien nichts am
Hut haben, keinen Strukturwandel wollen und Innovationen dort, wo sie tatsächlich erfolgreich sind, behindern.
({1})
Denn bereits bis heute wurden durch sie mit nur geringen volkswirtschaftlichen Kosten mehr Arbeitsplätze geschaffen, als in der Kohlewirtschaft insgesamt zur Verfügung stehen.
({2})
- Wir kennen sie sehr genau und haben sie genau berechnet, anders als Sie mit Ihren Berechnungen. Wir
können sie in jedem Detail genau hinterfragen und werden dann sehen, dass sie nicht zutreffen.
({3})
Meine Damen und Herren, Innovationen, Zukunftstechnologien und Dienstleistungen, vor allem im Mittelstand, aber auch in der Industrie zu fördern ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Innovationen sind die Grundlage für neues unternehmerisches Handeln. Ihre Umsetzung in marktfähige Produkte und in Dienstleistungen ist damit ein entscheidender Ansatz, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Neue
Arbeitsplätze braucht das Land, nicht bloß die Umschichtung bestehender Arbeitsplätze im Zuge der notwendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme.
Die Bundesregierung hat mit dem „Jahr der Innovation“ einen wichtigen Anstoß dazu gegeben. Die Innovationsstrategie muss nun in den kommenden Monaten
mit Inhalten gefüllt werden. Im vorliegenden HightechMasterplan werden wesentliche Zielvorstellungen vorgestellt und erste Maßnahmen genannt. Aber - hier
stimme ich Ihnen zu, Herr Schauerte - eine Vielzahl
weiter gehender Maßnahmen wird nun folgen müssen,
um diese Ziele auch erreichen zu können. Entscheidend
werden die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sein.
Wir müssen Anreize geben, damit die Wirtschaft und die
Finanzwelt in Forschung und Entwicklung investieren.
Hier stehen die Steuern im Vordergrund. So wird leider
auch heute noch Risikokapital gegenüber anderen Anlageformen steuerlich benachteiligt. Noch immer schneidet Deutschland im europäischen Vergleich schlecht ab.
Dies müssen wir ändern. Der Masterplan hatte hier
ursprünglich angesetzt, aber an dieser Stelle ist man zu
kurz gesprungen. Jetzt sind wir in den Regierungsfraktionen gefragt, das Innovationsjahr an dieser Stelle mit Inhalt zu füllen. Nur dann wird es in breitem Maße zu großen und erfolgreichen Neugründungen kommen, nur
dann können wir den Mittelständlern Innovationen
schmackhaft machen. Darüber hinaus sind weitere begleitende Maßnahmen erforderlich. Hierzu gehören zum
Beispiel Forschungskredite, die auch beim Mittelstand
ankommen, sowie ein Seed-Fonds zur Überwindung der
Finanzknappheit bei der Gründung innovativer Unternehmen. Wir müssen unsere Schulen und Hochschulen
besser ausstatten, wenn wir viele kluge Köpfe mit kreativen Gedanken bekommen wollen. Auch für die Projektforschung benötigen wir mehr Mittel.
Die Bildungsziele und das 3-Prozent-Ziel für Forschung und Entwicklung müssen in den Haushaltsberatungen und in der mittelfristigen Finanzplanung
wiedergefunden werden können, sonst läuft die Innovationsoffensive ins Leere. Das heißt, wir müssen Prioritäten setzen und diese auch umsetzen. Das heißt auch, dass
es wichtiger ist, Hochschulen zu sanieren als Autobahnen zu bauen. Köpfe oder Beton - das, meine Damen und
Herren, ist die Frage! Mit mehr Schulden für Autobahnen
und Kürzungen bei Bildung und Forschung können wir
die Zukunft nicht gewinnen. Damit wir das allseits anerkannte Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Forschung aufzuwenden, erreichen können, sind allein
im Bundeshaushalt jedes Jahr durchschnittlich über
600 Millionen Euro notwendig. Dieses Ziel ist hoch ambitioniert: 2010 müssen Bund, Länder und Wirtschaft
mehr als 22 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung
und Entwicklung ausgeben als heute. Es darf aber nicht
nur um Geld gehen: Die Mittel müssen auch effizienter
ausgegeben werden. Bei technologischen Flops wie beispielsweise der Kernfusion müssen Konsequenzen gezogen werden: Weitere 50 Jahre Geldverschwendung ohne
die Perspektive neuer Arbeitsplätze dürfen wir uns nicht
erlauben.
Es reicht nicht, nur quantitative Ziele zu setzen. Wir
müssen offensiv - darauf hat Fritz Kuhn zu Recht hingewiesen - eine Richtung vorgeben. Nur dann können wir
die Menschen mitnehmen. Nur dann wird die Innovationsoffensive auch dazu beitragen, gesellschaftliche
Probleme zu lösen. Die Zeitungen sind doch jeden Tag
voll davon: Klimawandel, alternde Gesellschaft, anwachsende Verkehrslawinen, Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs. Nichts liegt näher, als die Innovationsoffensive zur Lösung genau solcher Problembereiche zu
nutzen. Schaffen wir uns Ziele und Leitbilder, dann werden die Menschen mitgerissen! Gute Ideen sind vielfach
entwickelt, aber sie warten auf ihre Umsetzung. Als Beispiele, die bei entsprechenden Anstrengungen in den
nächsten Jahrzehnten erreichbar sind, mögen genannt
sein: der emissionsfreie Straßenverkehr. Japan entwickelt im Moment emissionsfreie Automobile oder auch
Hybridautos. Die deutschen Automobilkonzerne beginnen diese Entwicklung zu versäumen.
Wir brauchen neue Dienstleistungen für die
alternde Gesellschaft. Durch neue Ideen zur Betreuung
von Alten und Kranken können in hohem Maße die Sozialversicherungssysteme entlastet und gleichzeitig Arbeitsplätze geschaffen werden. Dienstleistungen zur Prävention halten die Menschen gesund, senken die
Gesundheitskosten und schaffen Arbeitsplätze. Wir
brauchen neue Medikamente gegen Alzheimer, eine zunehmende Bürde unserer alternden Gesellschaft.
Wir brauchen Klimaschutztechnologien. Herr
Schauerte, erneuerbare Energien und Energieeinspartechnologien schützen das Klima und helfen, die Energieversorgungssicherheit aufrechtzuerhalten. Sie entziehen gleichzeitig Kriegen um Erdöl die Ursache und
schaffen zudem viele neue Arbeitsplätze.
({4})
Die Querschnittstechnologien wie die Nanotechnologie, die optischen Technologien, die Informationstechnologie und die Kommunikationstechnologie sowie die
Biotechnologie spielen dabei eine wichtige Rolle. So
wird die Biotechnologie in Kombination mit nachwachsenden Rohstoffen dazu beitragen, die Biokraftstoffe
und die Chemie umwelt- und klimafreundlicher zu gestalten.
Entscheidend wird aber sein, wie sich Wissenschaftler
und die Wirtschaft in den Querschnittsfeldern an den genannten Leitvisionen ausrichten. Es ist die Aufgabe der
Politik, über die Festlegung von Rahmenbedingungen
und Forschungsschwerpunkten hierfür die richtigen Akzente zu setzen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz
Riesenhuber.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen! „Innovationen und Zukunftstechnologien für
den Mittelstand“ - das ist etwas, bei dem wir uns im
Grundsatz sehr einig sind. Der Mittelstand birgt die
- wahrscheinlich einzige - Chance zur Schaffung von
Arbeitsplätzen. Dabei können wir über Ich-AGs und
Überbrückungsgeld sprechen. All das ist sehr wichtig.
Die Chance aber zur Schaffung von Arbeitsplätzen und
zum Firmenwachstum liegt bei den 40 000 mittelständischen forschenden Unternehmen, bei den jährlich
2 000 bis 3 000 neu gegründeten technischen Unternehmen. Es ist eine strategische Frage, wie man die Politik
in diesem Bereich gestaltet.
Wie ist die Lage? Sie ist nicht sehr beglückend. Die
Zahl der Unternehmensgründungen im Mittelstand in
diesem Bereich ist derzeit - das zeigen die Zahlen rückläufig. Die Forschungsaufwendungen im Mittelstand sind rückläufig. In dieser schwierigen Situation
haben wir jedoch diese Bundesregierung. Das macht uns
glücklich und dankbar.
({0})
Wenn alles ganz schief läuft, wird ein Masterplan aufgestellt. Dann bedient man sich des eleganten Beraterjargons, mit dem man auch schon so wertvolle Dinge wie
JUMP und den Jobfloater umschrieben hat.
Jetzt haben wir also einen High-Tech-Masterplan.
Die interessante Frage ist: Was leistet er eigentlich, um
die Probleme zu überwinden, vor denen wir stehen?
Wenn man die Probleme überwinden will, dann sollte
man sie erst einmal analysieren. Ihre Berater würden
sagen: Wir machen eine SWOT-Analyse - Strength,
Weaknesses, Opportunities, Threats. Ich drücke mich
schon langsam in der gebildeten Sprache der gehobenen
Ministerialbürokratie aus, die sich dank Ihrer Berater auf
ein erhebliches Niveau bewegt hat.
({1})
Ich beobachte das mit wachsender Bewunderung.
({2})
Wo liegen die Stärken, die Schwächen, die Chancen
und die Bedrohungen? Es gibt eine ausgezeichnete Möglichkeit, hierauf eine Antwort zu erhalten. Uns steht der
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zur
Verfügung, den uns Frau Bulmahn hier in einer schönen
Tradition - wir haben den Bericht damals aus guten
Gründen erfunden - vorgelegt hat.
Wenn wir in den Bericht hineinschauen und jetzt beschreiben wollen, wo wir stehen, dann kommen wir zu
folgendem Ergebnis: Seit Anfang der 90er-Jahre - so
steht es im Bericht - haben wir in keinem Bereich Vorsprünge gegenüber den Konkurrenten gewonnen. In wesentlichen Bereichen haben wir ständig verloren. Wir
haben bei den Forschungsausgaben, bei den Bildungsausgaben, bei den Ausgaben für I-und-K-Techniken, bei
der Sichtbarkeit von Forschung, beim Nachwuchs in
den technologieorientierten Fächern verloren. Frau
Bulmahn, es ist prima, dass die Zahl der Studienanfänger
in diesem Bereich - das haben Sie gesagt - anfängt, ein
bisschen zu wachsen. Dafür sind wir sehr dankbar.
Aber Ihr Bericht und auch der Masterplan zeigen: Wir
sind weiterhin unter dem Niveau der Konkurrenten. Die
Relation liegt hier bei sieben zu zehn. Das heißt also:
Wir befinden uns hier in einer verdammt kritischen
Lage.
Wir haben gedacht, jetzt kommt der Masterplan, der
uns rausreißt. ({3})
Hartmut Schauerte hat das mit Verve und Sachverstand
vorgetragen. ({4})
Ich tue mich aber wirklich verdammt schwer damit, herauszufinden, wo er irgendetwas Neues aufzeigt. Den
Dachfonds des ERP-Sondervermögens und des EIF loben wir hier seit einem Jahr immer wieder. Diese
500 Millionen Euro sind wirklich prächtig. Ich kann dies
nur wieder lobend erwähnen. Man kann aber nicht in allen Debatten von einem einzigen Projekt leben. Es wäre
schon ganz gut, manchmal etwas Neues zu bringen.
Die Frage, woran das liegt, ist komplex. Es ist hier
voller Bewunderung festgestellt worden, wie schön die
Ministerien zusammenarbeiten. Freunde, das Problem
liegt aber darin, dass die Ministerien die Zuständigkeit
für die Forschung überhaupt erst auseinander gerissen
haben. Seit dem Moment, ab dem die Forschung auf den
Umwelt-, den Wirtschafts- und den Forschungsminister
aufgeteilt worden ist, ist es eher ein Zufall, wenn hier etwas aus einem Guss entsteht.
Die Beamten sind nach wie vor tüchtig. Sie erfinden
prächtige Programme in großer Vielfalt. Es gibt lauter
prächtige Programme: das JUNIOR-Projekt für Schülerinnen und Schüler, das Programm zur Frauenförderung
- das ist wirklich eine gute Sache - und zur Existenzgründungsberatung. All dies sind Referatsprogramme.
Wunderbar! Den großen Hammerschlag aber, den Urknall, nach dem hier etwas Neues entsteht, eine neue
Welt, in der Milliarden für die Innovation ausgegeben
werden und in der die Bundesregierung die Führung ergreift, sodass Deutschland wieder an die Spitze der wettbewerblichen Länder kommt, höre ich leider nicht. Das
ist das Problem.
({5})
Schlüsseln wir das im Einzelnen auf. Diese Zuständigkeitstrennung verursacht natürlich Probleme ganz unterschiedlicher Art. Heute können Sie nicht mehr zwischen der Grundlagenforschung und der angewandten
Forschung trennen. So nah beieinander und so voll integriert war die Forschung noch nie. Die Bildungsministerin hat ihre Freude an BAföG, IGLU, PISA und sonstigen schönen Dingen. Der Wirtschaftsminister, lieber
Herr Staffelt, muss mit Hartz I, Hartz II, Hartz III,
Hartz IV sowie den Regelungen bezüglich der Alteigentümer und den Emissionsrechten kämpfen.
({6})
All das sind bedeutende Sachen. Ich kann aber nicht erkennen, wo die Löwenpranke eines Ministers im Hinblick auf die Forschung auf den Tisch haut und sie sichtbar macht. Die Forschung hat hier kein Gesicht und
keine durchschlagende Kraft, weil die Organisationsform nicht stimmt. Das hat bis in die einzelnen Programme hinein ganz bittere Folgen.
({7})
Ich freue mich ja, wenn die Welt reicher wird. Was
aber könnten diese Fanfarenstöße sein? Frau Bulmahn
hat hier gesagt, jetzt käme ein Programm zur Nanotechnologie. Ich darf daran erinnern: Vor zwei Jahren haben
wir in einer Debatte genau dies vorgeschlagen. Das
Richtige kommt bei der Bundesregierung ja, aber es dauert immer furchtbar lang. Wir können nicht warten.
({8})
Es wäre einmal eine Innovation, bei dem, was richtig
ist, schneller zu sein. Wir haben eine Anfrage zur Forschungspolitik gestellt, um die Sache voranzubringen.
Das ist nun schon neun Monate her. Das ist ungefähr die
Zeit von der Zeugung bis zur Geburt eines Babys. Ob bei
der Antwort etwas herauskommt, was Hand und Fuß hat,
ist noch völlig offen. So etwas dauert und dauert. Das
kann eine herzbrechende Veranstaltung sein.
({9})
Herr Kuhn, einige Ihrer Vorstellungen fand ich im
Übrigen ein wenig gespenstisch. Es war so, als ob Sie
glaubten, dass Sie die Zukunft mit Forschungsprogrammen vorhersagen oder gestalten können. Hier wäre mir
eine ein wenig größere Offenheit des Geistes schon lieber. Dies muss selbst bei einem tüchtigen grünen Politiker möglich sein.
Sie sprachen aber auch von der Alternsforschung.
Das ist ein gutes Thema. Ältere Leute erinnern sich daran, dass es einmal ein prächtiges Programm zur Alternsforschung gab, das man heute leider nicht mehr so
deutlich erkennen kann. Und bei der Pflegeforschung
geht es ja nicht nur um die Fürsorge. Sie haben Recht:
Hier kommen neue, technikbasierte Dienstleistungen
und neue Aufgaben auf uns zu. Es ist gut, dass diese Idee
hier endlich einmal aufgekommen ist. Vielleicht kommt
dann in zwei Jahren ja ein lichtvoller Vorschlag, über
den wir alle sehr glücklich sind.
Der große Hammerschlag - ich glaube, der Kollege
Fell hat es angesprochen - wäre natürlich das gewesen,
was die Forschungsministerin vorgesehen hatte: Vor einem Jahr ging sie davon aus, sie könnte den französischen „Plan Innovation“ abschreiben. Gut, in der Vergangenheit haben die Franzosen von uns abgeschrieben,
aber alles ändert sich. Sie hat vorgeschlagen, junge Forschungsunternehmen acht Jahre lang von der Körperschaftsteuer und anderen Unternehmenssteuern freizustellen. Auch Gewinne aus Stock Options sollten
freigestellt sein. Der Plan enthielt noch eine Reihe anderer Vergünstigungen für junge Unternehmen, die konzernunabhängig forschen. Davon ist leider nichts mehr
übrig.
({10})
- Ich frage lieber den Herrn Eichel. Frau Bulmahn will
es, Herr Clement weiß es und Herr Eichel steht daneben
und mauert. Aber verantwortlich ist die Bundesregierung insgesamt und natürlich auch Sie, verehrter Kollege. Die Fraktion mit ihrer Innovations- und Prägekraft
könnte natürlich das Vernünftige tun, wenn sie es denn
wollte. Dass nun bald Herr Müntefering der Vorgesetzte
von Herrn Schröder wird, macht das Ganze nur noch
überzeugender.
({11})
Beim Thema Business Angels sind wir nicht weitergekommen. Ich werde eine ganze Reihe von Punkten
wie die Fondsbesteuerung, die wir vor drei Wochen besprochen haben, nicht aufgreifen. Wir reden und tagen
sehr oft miteinander. Wir haben sehr viele wunderbare
Ideen, die aber leider nicht umgesetzt werden. Es tagt
und tagt und wird nicht heller.
({12})
Herr Staffelt schaut versonnen in die Innenfläche seiner
Hand, als ob er darin die Zukunft des Landes erkennen
würde. Sie sollen kraftvoll die Zügel ergreifen, Herr
Staatssekretär, damit die Forschung ein Gesicht bekommt, selbst wenn es Ihres ist.
({13})
Es ist von einigen Kollegen mit Stolz auf die finanziellen Leistungen der Bundesregierung hingewiesen
worden. Diese sollte man sich einmal liebevoll anschauen. Der Anteil des Staates am Forschungsbudget
der Nation ist ständig gesunken, und zwar von circa
37 Prozent im Jahr 1995 auf circa 31 Prozent im Jahr
2001. Aber die Programme sind ständig weitergelaufen.
Schauen wir uns einmal das Budget des Wirtschaftsministeriums an. Herr Staffelt, ich diktiere es Ihnen, damit Sie es gleich widerlegen können. Das werden wir
mit Interesse verfolgen.
Die Titelgruppe 05, Forschung, Entwicklung und Innovation im Mittelstandsbereich, ist ausweislich der Unterlagen der Bundesregierung - man muss sich die Istzahlen, nicht die Sollzahlen anschauen - in den
vergangenen vier Jahren prächtig gestiegen und liegt
2003 um etwa 130 Millionen Euro höher als im Jahr
2002. Wenn aber das BTU herausgerechnet wird, dann
steigt die Zahl in vier Haushaltsjahren von 2000 bis
2003 von 387 Millionen auf nur 388 Millionen Euro.
Das BTU ist Ihnen nämlich völlig aus dem Ruder gelaufen, es frisst Ihnen die Gelder weg. Der ganze Forschungs- und Innovationshaushalt für den Mittelstand
stagniert bei Ihnen.
Sie stellen ein großes neues Konzept vor, das Sie nun
umsetzen wollen. Das ist dringend notwendig und überfällig. Sie müssen aber so vorgehen, dass für die Umsetzung Ihres Programms auch Platz ist. In Ihrem Masterplan hatten Sie angekündigt, mittelständischen
Forschungsunternehmen Gelder aus den Fachprogrammen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Mittel für das
Wirtschaftsministerium nicht erhöht werden und die
Projektmittel für das Forschungsministerium im letzten
Jahr um 4 Prozent und in diesem Jahr um 8 Prozent sinken, dann ist das ist nicht die Art von Ermutigung, von
Schwung und Unternehmergeist, die wir brauchen.
In der Forschung werden Millionen abgeknapst. Für
die Ganztagsschulen werden Milliarden ausgegeben.
Dafür sind Sie nicht zuständig.
({14})
Auch die UMTS-Mittel sind aufgebraucht. Wenn Sie
hier einen Anstoß geben wollen, müssen Sie nun ganz
hart Prioritäten setzen und das tun, was Ihnen Herr Fell
gesagt hat: Bringen Sie den Finanzminister dazu, dass er
das Geld freigibt, das wir brauchen.
({15})
Herr Kuhn denkt genauso. Ich bin sicher, auch bei der
SPD gibt es viele vernünftig denkende Leute.
({16})
Denken Sie bitte an Ihre Redezeit, Herr Riesenhuber.
Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich werde
mich sehr beherrschen.
Ihre Redezeit war schon reichlich bemessen.
({0})
Wir sehen dieses Programm durchaus nicht ohne
Sympathie. Es enthält wenig Falsches. Aber es fehlt das
Notwendige. So ist es bei der Bundesregierung häufiger. Oft macht sie aber etwas wirklich Falsches. Was
hier - das ist das Problem - mit den fleißigen Händen
der Beamten vorne aufgebaut wird, wirft die Regierung
mit ihrem Hintern wieder um, wenn sie die Vermögensteuer und die Ausbildungsplatzabgabe bzw. die -umlage einführt. Gleiches gilt für die Drohung mit der
Erbschaftsteuer. Vorne bauen Sie fleißig auf und hinten
fällt alles zusammen, weil das Ganze nicht aus einem
Guss ist.
({0})
Deshalb haben wir eine Landschaft, in der es nicht vorangeht.
({1})
Freunde, wir sind am Beginn der Fastenzeit. Der
Apostel sagt: „Metanoeite!“, „Denkt um!“
({2})
Dies ist eine gute Gelegenheit. Denken Sie um! Gehen
Sie weg von dem Glauben an die Machbarkeit dessen,
was in regierungsamtlichen Papieren steht! Gewähren
Sie den Freiraum, den wir immer wieder eingefordert
haben, damit die Leute Lust haben, etwas zu tun. Denn
ohne Lust geschieht auf der Welt nichts Vernünftiges.
({3})
Herr Kollege Riesenhuber, weil wir Ihnen alle so
gerne zuhören, bekommen Sie nicht nur Szenenapplaus,
sondern immer auch eine reichlich bemessene Redezeit.
Aber das nächste Mal etwas knapper, bitte.
Jetzt hat das Wort der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt. Er kann jetzt die Zügel ergreifen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es fällt mir nach dieser fulminanten Rede des
Kollegen Riesenhuber außerordentlich schwer,
({0})
hier noch Wichtiges beizutragen:
Erstens. Ich habe die Vermutung, Herr Riesenhuber,
dass Sie in Bezug auf die Sprachbildung der Beamten
im Forschungsministerium in Ihrer früheren Rolle als
Bundesforschungsminister ganz erhebliche Vorleistungen erbracht haben. Nur mit dieser intellektuellen Brillanz ist so etwas vermittelbar. Deshalb schreibe ich das
in der Hauptsache Ihnen zu.
Zweitens. Sie haben darüber gesprochen, wo wir an
Boden verloren haben. Ich hatte einen Moment die Idee,
Sie könnten sich wieder in die Zeiten Ihrer Regierung
zurückversetzt haben. Wenn ich mich recht entsinne,
hatte alleine Ihr Kollege Rüttgers in der Zeit zwischen
1994 und 1998 in seinem Haushalt einen Verlust in Höhe
von 400 Millionen Euro zu verzeichnen.
({1})
Das steht im Gegensatz zu dem, was wir gemacht haben.
Auch das gehört zu einer redlichen Beschreibung der Situation, in der wir uns befinden.
({2})
Ich muss ganz offen gestehen: Manches davon hätte
ich einem jungen Kollegen durchgehen lassen. Aber bei
der Erfahrung, die Sie mitbringen, und bei der Kenntnis,
die Sie unbestritten haben, kann ich das bei Ihnen nicht
tun. Wir arbeiten uns im politischen Raum Punkt für
Punkt voran. Die politische Debatte ist nicht vernünftig
und redlich, wenn Sie jeweils das, was wir im Paket beschlossen haben - zum Teil übrigens gemeinsam beschlossen haben -, außen vor lassen und am Ende immer
wieder Einzelpunkte herauspicken und diese zum Anlass
nehmen, alles, aber auch wirklich alles, schlechtzureden.
Das ist doch kein redliches politisches Handeln!
({3})
- So ist das.
Ich will in dem Zusammenhang noch einmal darauf
hinweisen, dass wir in diesem Lande eine nachhaltige
Steuerreform realisiert haben. Das geschah im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat am Ende mit Ihrer Zustimmung. Wir haben im Bereich der Sozialversicherungen wichtige Veränderungen und Einschnitte mit
Ihrer Zustimmung vorgenommen. Wir haben bei der
Handwerksordnung, bei den Hartz-Gesetzen und
beim Bürokratieabbau ganz erhebliche Schritte nach
vorn gemacht. Nicht umsonst gibt es im Lande die
großen Diskussionen. Das können Sie doch nicht einfach
ignorieren. Sie können doch nicht immer wieder auf das
zurückkommen, über das wir schon hinweg sind. Das
glaubt Ihnen doch am Ende keiner, der die politische Debatte wirklich ernsthaft verfolgt.
({4})
Selbst die Verbände, die uns historisch durchgängig
nicht nahe stehen - wie der BDI -, kämpfen doch dafür,
dass diese Regierung ihren Kurs beibehält, und begrüßen
das, was wir bisher erreicht haben. Das kann doch niemand ignorieren.
({5})
Machen Sie es sich deshalb nicht so einfach, wie es insbesondere Herr Schauerte getan hat!
Die Initiative „Innovation und Zukunftstechnologien
im Mittelstand - Hightech-Masterplan“ knüpft durchaus
an Defizite an.
({6})
Diese Defizite ergeben sich auch aus einem Tatbestand,
der nicht verschwiegen werden darf, nämlich dass sich
aufgrund der Erfahrungen in der New Economy das private Venture Capital wieder gänzlich zurückgezogen
hat, sodass der Staat letztlich die Risiken auf sich nehmen muss, damit der Laden wieder läuft. Das ist doch
die pure Wahrheit.
({7})
Auch das ist ein Tatbestand, den wir nicht ignorieren
dürfen. Das hat etwas mit Rahmenbedingungen, aber
auch mit Mentalitäten zu tun. Die Deutschen sind, was
Risikokapital betrifft, in aller Regel nicht so erfahren
und auch nicht so risikofreudig wie die Amerikaner, Briten oder andere Nationen.
({8})
- Dazu äußere ich mich nicht, weil ich, wie Sie wissen,
Westberliner bin. Deswegen halte ich mich aus der
Frage, die Sie möglicherweise implizieren, gänzlich heraus.
In jedem Fall versuchen wir in dieser Phase, die
Rückgänge im Bereich des privaten Venture Capital auszugleichen. Die Early-Stage-Investitionen der Branche
liegen mit rund 290 Millionen Euro im Jahr 2003 inzwischen wieder unter denen des Jahres 1998. Die Gründungsfinanzierungen sind fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Das ist die Realität, der wir richtigerweise
gegensteuern müssen. Das müsste eigentlich in vollem
Umfang Ihre Unterstützung finden, meine Damen und
Herren.
({9})
Bei den KMUs sind die Ausgaben im F-und-E-Bereich 2001/2002 um rund 3 Prozent gesunken. Für 2003
war der gleiche Level wie 2001 und 2002 zu verzeichnen. Erinnern Sie sich auch in diesem Zusammenhang
wieder an Ihre eigene Geschichte! Als es 1993 zu der
großen Rezession kam, ist der gesamte Venture-CapitalMarkt zusammengebrochen. Sie aber hatten staatlicherseits keine Vorkehrungen getroffen. Der Markt musste
zu einem späteren Zeitpunkt erst wieder angekurbelt
werden. Auch das ist ein Teil der historischen Wahrheit,
mit der Sie sich auseinander setzen müssen.
({10})
Was wollen wir mit dem Hightech-Masterplan erreichen? Wir verbessern damit erstens die Finanzierungsbedingungen.
({11})
- Ja, natürlich, Herr Schauerte. - Das gilt insbesondere
für junge Technologieunternehmen.
({12})
Zweitens werden die Möglichkeiten des Mittelstandes
zur Teilnahme an nationalen und internationalen Technologienetzwerken deutlich verbessert.
Drittens. Mit der Förderung der Innovationskompetenz bei kleinen und mittleren Unternehmen und dem
Handwerk stärken wir deren Wettbewerbsfähigkeit.
Viertens. Im Bereich der Bildung schaffen wir mit
den Reformen in der dualen Berufsausbildung und der
Verlängerung der Greencard erste Voraussetzungen für
einen attraktiven Bildungsstandort und begegnen dem
Fachkräftemangel.
Das sind doch positive Ziele, die im Übrigen in den
Diskussionen mit den Mittelständlern auch anerkannt
werden. Diese setzen sich übrigens, was die Finanzierungsthematik betrifft, in viel stärkerem Maße mit den
Banken und ihrer Praxis in diesem Lande als etwa mit
Vorwürfen an die Bundesregierung auseinander.
({13})
Das ist das Thema, um das es auf jeder Versammlung
geht.
Wir müssen uns letztlich - das wäre auch in Ihrem Interesse - mit den Banken, Sparkassen und Volksbanken
darüber auseinander setzen, auf welche Weise wir dabei
helfen können, die Kreditzuweisungen an Unternehmer
zu verbessern und zu vereinfachen.
({14})
Um dieses Thema geht es. Deshalb sollten Sie mit dieser
Art der Auseinandersetzung sehr vorsichtig sein.
Wir haben bereits Ende letzten Jahres - darauf ist
schon hingewiesen worden - gemeinsam mit dem ERPSondervermögen und dem Europäischen Investitionsfonds einen Dachfonds für Beteiligungskapital geschaffen. Frau Wöhrl, Sie haben dem - Sie waren zusammen mit Frau Skarpelis-Sperk von unserer Fraktion
sozusagen an der Spitze der Bewegung - im ERP-Unterausschuss zugestimmt. Aber hier im Bundestag tun Sie
so, als ob Sie mit alledem nichts zu tun hätten. Ist das
politische Redlichkeit?
({15})
Deutschland ist natürlich auf eine weitere Verbesserung der Situation auf dem Beteiligungskapitalmarkt angewiesen. Hier werden wir unsererseits das Notwendige
tun. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf
einen wichtigen Fakt hinweisen, der nicht außer Acht
gelassen werden darf. Neben dem heute diskutierten
Masterplan gibt es die Fachprogramme sowohl des Ministeriums für Bildung und Forschung als auch des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums. Alleine in diesem Bereich haben wir von 1998 bis 2003 die Mittel für die
KMUs um 20 Prozent erhöht. Auch das gehört zur
Wahrheit der politischen Auseinandersetzung.
({16})
Summa summarum: Wir glauben, mit dem vorliegenden Programm mehr Flexibilität zu schaffen sowie die
Bedingungen der internationalen Kooperation für deutsche mittelständische und innovative Unternehmen zu
verbessern. Ich habe als Koordinator der Luft- und
Raumfahrtindustrie viel mit kleinen und mittleren Unternehmen zu tun und weiß daher, wie wichtig eine kleine
Venture-Capital-Unterstützung für diese ist, um Großes
zu leisten und sich im Wettbewerb zu behaupten. Genau
das machen wir, indem wir die Mittel nicht nach dem
Gießkannenprinzip, sondern sehr gezielt dort einsetzen,
wo wir es mit Unternehmen zu tun haben, die erwartungsgemäß in der Lage sind, technologischen Fortschritt zu erzielen und exzellente Spitzenleistungen zu
erbringen. Das ist der Sinn unserer Politik.
({17})
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Resonanz in der
Wirtschaft durchweg positiv sein wird; denn die Wirtschaft weiß sehr wohl - sie ist in der Lage, mit dieser
Tatsache umzugehen -, dass die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte begrenzt sind. Viele Mittelständler
wollen auf Dauer auch gar keine Staatsknete, sondern
nur eine unterstützende Starthilfe, um letztendlich Produkte auf den Markt zu bringen, mit denen sie ihr Unternehmen stabilisieren und entwickeln sowie für die
Volkswirtschaft etwas leisten und Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen können.
Vor diesem Hintergrund wäre mir eine konstruktivere
Diskussion vonseiten der Opposition sehr viel lieber gewesen. Sie wäre auch der Vertretung der Interessen derjenigen, über die wir hier reden, angemessener gewesen.
({18})
Sie sollten lernen, dass Ihre konfrontative Oppositionspolitik unser Land in keiner Weise voranbringt.
Danke schön.
({19})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christoph
Bergner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär Staffelt, vielleicht können wir uns
darauf verständigen, dass eine Diskussion wie die heutige mit möglichst geringem propagandistischen Eifer
und mit möglichst engem Bezug zur Realität geführt
werden sollte.
({0})
Um diesem Grundsatz zu folgen, möchte ich uns die
authentische Studie des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, in der die aktuellen F-und-E-Aufwendungen der Unternehmen in Deutschland analysiert
worden sind, in Erinnerung rufen. Ohne auf die Zahlen
einzugehen, möchte ich die Grundaussagen zitieren:
… auch für 2004 rechnen die befragten Unternehmen tendenziell mit einer weiteren Senkung ihrer
FuE-Aufwendungen: …
({1})
Herr Staatssekretär, wie ich sehe, finden Sie die Unterhaltung mit der Frau Ministerin interessanter. - Das
ist die Realität, der wir uns stellen müssen, wenn wir die
Dimension dieser Aufgabe wirklich erkennen wollen.
Zu dieser Realität gehört auch, dass der Rückgang an
F-und-E-Aufwendungen vorwiegend kleine und mittelständische Unternehmen betrifft.
({2})
Nun möchte ich den Generalsekretär des Stifterverbandes zitieren:
Wenn seitens der Politik kein ermutigendes Signal
gesetzt wird, ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Jahren, 2003 und 2004, der Anteil der FuEAufwendungen am Bruttoinlandsprodukt wieder
sinkt. … So können wir die EU-Zielmarke von 3 %
nicht erreichen.
Ich finde diese Nachricht - auch wenn sie den Staatssekretär nicht interessiert - alarmierend, und zwar aus
zwei Gründen:
Wir wissen, dass wir das 3-Prozent-Ziel wahrscheinlich schon im Bereich der staatlich finanzierten F-und-EAufwendungen verfehlen werden. Wir stellen fest, dass
nun auch noch im Bereich der privat finanzierten wirtschaftlichen Aufwendungen
({3})
das Handtuch geworfen wird und dass sich dort ein Abbau vollzieht.
({4})
- Sie können die Zahlen des Stifterverbandes nicht
widerlegen. Herr Kasparick, es bringt doch nichts, über
Realitäten zu streiten.
({5})
Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, was „3 Prozent“
bedeutet. Ich finde, das ist in der heutigen Diskussion
noch nicht richtig zum Ausdruck gekommen. Der Beschluss, den die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Lissabon gefasst haben, besagt, dass
es um 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Durchschnitt der 2010 erweiterten Europäischen Union geht.
({6})
Das heißt nichts anderes, als dass ein Land wie Deutschland, das den Anspruch erhebt, ein Hochtechnologieland
zu sein,
({7})
im Hinblick auf Länder wie die Slowakei, Litauen und
Griechenland, die diesen Durchschnittswert aus verständlichen Gründen nicht schaffen werden, dadurch einen Ausgleich zu schaffen hat, dass es, was seine F-undE-Aufwendungen angeht, deutlich über der 3-ProzentMarke liegt. Wir sind also weit von dem entfernt, was
wir uns im Rahmen der EU selbst zum Ziel gesetzt.
Wir sollten dieses Thema deshalb ernster nehmen, als
Sie es bisher getan haben. Ich will Ihnen eines sagen:
Was ich bisher als so genannte Innovationsoffensive erlebt habe, ist vor allen Dingen eine Propagandaoffensive
gewesen.
({8})
Zu Jahresbeginn gab es einen Fanfarenstoß „Eliteuniversität“, verbunden mit einer Einladung ins Kanzleramt.
Übrigens, zu dieser Zusammenkunft war kein Vertreter
des Mittelstandes eingeladen. Auch dies gehört - Sie
sprechen über Innovationen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen - bei der Analyse auf die Tagesordnung. Ich kann in all diesen Diskussionen nicht die Bereitschaft erkennen, dicke Bretter zu bohren. Genau
diese Bereitschaft werden Sie allerdings brauchen.
Ich habe bei der Analyse Ihrer internen Reformdiskussion den Eindruck gewonnen - der Kollege
Schauerte hat schon darauf hingewiesen -, dass Sie im
Moment eine ganz andere Parole ausgeben. Diese Parole
lautet - ich halte sie für höchst bedenklich -: Nachdem
wir uns in der Vergangenheit und bis in die Gegenwart
mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme herumschlagen mussten, kommt nun der fröhliche Teil der
Agenda 2010, der es uns möglich macht, Geld zu verteilen und Menschen zu beglücken.
So einfach wird die Aufgabe, die vor Ihnen liegt,
nicht sein. Die Forschungs- und Technologieförderung
ist genauso wie die Bewältigung der Probleme der sozialen Sicherungssysteme eine sehr schwierige Aufgabe. Es
geht nämlich darum, verlorene Wettbewerbsfähigkeit
und verlorene Rahmenbedingungen für mehr Wachstum
wiederzuerlangen. Dies sollten Sie ernster nehmen.
({9})
- Sie machen es eben nicht, Herr Kasparick.
({10})
Ich schränke mich ein: Ich kann mich nur auf das beziehen, was Sie uns vorlegen.
({11})
Der Masterplan, den Sie uns mit der Drucksache 15/2551
vorgelegt haben, ist gemessen an der Größe der Aufgabe
geradezu lächerlich.
({12})
Das ist schon analysiert worden. Ich brauche darauf
nicht mehr im Einzelnen einzugehen, weil es in den Förderprogrammen - der Dachfonds ist schon genannt worden - im Grunde genommen nichts oder fast nichts
Neues bringt. Es ist unzureichend, weil es bei den Förderprogrammen keine belastbaren Finanzierungsperspektiven gibt. Ich stehe unter dem Eindruck eines Gesprächs, das ich neulich mit dem Technologieberater einer Kammer geführt habe. Zur gegenwärtigen Situation
hat er gesagt: Wir haben viele Programme, aber kein
Geld, jedenfalls kein verfügbares. - Das ist die Situation,
in die wir gekommen sind. Wir haben eine ausdifferenzierte Förderkulisse, die sich dann, wenn man nach den
Mitteln fragt, die jetzt verfügbar sind, als Attrappe erweist. Das halte ich für ausgesprochen gefährlich.
({13})
Es ist des Weiteren unzureichend, weil die Herausforderung, die wir in Deutschland haben, nämlich eine gespaltene Forschungs- und Entwicklungslandschaft in Ost
und West, nicht mit adäquaten Mitteln berücksichtigt
wird; im Gegenteil. Frau Ministerin Bulmahn, wenn es
um die staatlich finanzierte Forschungsinfrastruktur
geht, leisten Sie sich Dinge - ich denke nur an Ihre Attacken gegen die Leibniz-Gesellschaft -, die gerade für die
neuen Bundesländer und für den Aufbau der Forschungslandschaft dort hinderlich sind.
Frau Ministerin Bulmahn - ich verbinde dies mit einem Glückwunsch zum Geburtstag -, wenn Sie sagen,
zu viel Bürokratie hemme die Innovationen, so kann ich
nur fragen: Wie verhält sich diese Aussage beispielsweise zu Ihren Plänen einer Ausbildungsplatzabgabe?
Haben Sie sich jemals überlegt, was es für ein innovatives Unternehmen, das sich die Frage stellt, ob es einen
Hochschulabsolventen einstellt, um ein bestimmtes Innovationsprojekt voranzubringen, bedeutet, wenn es mit
einer Zwangsabgabe beauflagt wird, weil es die staatlich
vorgegebene Ausbildungsplatzquote nicht erfüllt? Sie
bauen damit ein beträchtliches zusätzliches Hemmnis
gerade für die kleinen und mittelständischen innovativen
Unternehmen auf.
({14})
Herr Kuhn sagt, grüne Ideen führten zu schwarzen
Zahlen. Ich möchte Ihnen deshalb nur die Frage stellen
- Frau Pieper hat schon gesagt, dass wir in unserem
Bundesland Biotechnologieambitionen haben -, wie Sie
einem innovativen Unternehmen mit einer geringen Eigenkapitalbasis die Haftungsrisiken und Rechtshürden
zumuten können, die Sie im Bereich der Gentechnik
jetzt aufzubauen im Begriff sind.
({15})
Dies ist meines Erachtens für Unternehmen, die gerade
in der grünen Gentechnik ihr Bewährungsfeld suchen,
eine Belastung, die im Grunde genommen den Todesstoß am Anfang der Entwicklung bedeutet. Ich halte das
für höchst fatal.
({16})
An der Vorlage wird noch eines deutlich, das über den
Kontext der unmittelbaren Innovationspolitik für den
Mittelstand hinausgeht und das sich auf mein engeres
Fachgebiet, die Forschungspolitik, bezieht. Wir stellen
fest, dass es bei all diesen Forschungsprogrammen, die
von zwei bis drei Häusern entworfen werden, an einer
Grundphilosophie, an einem Grundwissenschaftsverständnis mangelt, sodass man nicht in der Lage ist, zu
wirklich stimmigen Vorgehensweisen - ich rede nicht
von der technischen Abstimmung von Förderprogrammen, bei der tatsächlich Fortschritte erreicht worden
sind - zu kommen. Ich sehe die Ursache darin, dass die
Bundesregierung einer Herausforderung nicht gewachsen ist, die da lautet: Welches Selbstverständnis an
unseren Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen erfordert die moderne Wissensgesellschaft?
Frau Ministerin Bulmahn, was Sie mit dem Vorstoß
„Deutschland sucht die Superuniversität“ gemacht haben, belegt für mich in besonderer Weise, dass Sie die
Antwort auf diese wissenschaftspolitische Herausforderung in einer schlichten und oberflächlichen Kopie amerikanischer Verhältnisse suchen.
({17})
Davor kann ich nur warnen. Sie, Frau Bulmahn, werden
für diese Nummer doch aus Ihren eigenen Reihen kritisiert. Sie werden berechtigterweise von Ihrem Koalitionspartner und von den Landesministern mit SPD-Parteibuch, die sich um Wissenschaft zu kümmern haben,
kritisiert. Wir müssen hier nicht über die Sache reden,
aber daraus klingt schon ein völlig irriges Wissenschaftsverständnis. Natürlich brauchen wir Wettbewerb
in der Wissenschaft.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Gerne.
Dadurch bekommen Sie, wie Sie sehen, auch noch
Redezeit. Sie müssen aber Ihre Rede mit der Beantwortung beenden.
Aber nur Redezeit, die sich auf die Frage bezieht. Lieber Kollege Bergner, Ihrer Kritik an den Plänen der
Forschungsministerin möchte ich Folgendes entgegenhalten: Würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen - ich weiß nicht, ob Sie dabei waren -, dass, als
Frau Ministerin Bulmahn ihr Konzept vorgetragen hat,
sich Vertreter sowohl der Hochschulrektorenkonferenz
als auch der Wissenschaftsorganisationen am Ende ihrer
Rede deutlich zu Wort gemeldet und gesagt haben, das
sei ein guter Weg und sie seien sehr daran interessiert,
über diesen Weg mit der Ministerin in Verhandlungen
einzutreten und das voranzubringen?
({0})
Herr Kollege Tauss, ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Kultusministerkonferenz mit den
Stimmen der SPD-Wissenschaftsminister kritisch zu diesem Projekt geäußert hat. Ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die Wissenschaftsorganisationen kritisch
zu diesem Projekt geäußert haben.
({0})
Und ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass inzwischen
jeder seriöse Wissenschaftler, mit dem ich darüber gesprochen habe, dies für eine absolute Lachnummer hält.
({1})
Herr Kollege Tauss, lassen Sie mich dies noch sagen:
Der Wettbewerb in der Wissenschaft, den wir beide
wollen
({2})
- Sie können den Stenografischen Bericht mit meiner
Rede gerne Herrn Gaehtgens schicken; ich habe damit
keine Probleme ({3})
- lassen Sie mich erst einmal meine Ausführungen zu
Ende bringen -, findet nicht zwischen Universitäten,
sondern zwischen Wissenschaftlern, Fachgebieten und
Instituten statt. Das ergibt sich auch aus den vorliegenden seriösen Voten.
({4})
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass der Nobelpreis
an Wissenschaftler und nicht an Universitäten verliehen
wird? Das ist doch wohl ein Beleg dafür, dass wir Qualität der Wissenschaft nicht an einer Körperschaft festmachen können.
({5})
Können wir jetzt einmal so lange Ruhe bewahren, bis
die Antwort beendet ist?
Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Kollege Zöllner bei dieser
Gelegenheit völlig zu Recht gesagt hat, der Wettbewerb
muss an Fachbereichen und Instituten ansetzen und nicht
an einzelnen Hochschulen?
Das eigentliche Problem, Herr Kollege Tauss, ist,
dass keine Maßnahmen Ihrer sonstigen Hochschulpolitik
die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Hochschulen einen wirklich ernsthaften Wettbewerb um die Besten durchführen können: weder das Verbot der Habilitation noch das Oktroi der Juniorprofessur.
({0})
- Ich beantworte noch Ihre Frage.
Das geht jetzt aber doch über die Beantwortung der
Frage hinaus. Ich bitte Sie jetzt, zum Schluss zu kommen.
Ich versuche, die Diskussion dadurch zusammenzufassen, dass ich sage: Die Hochschulpolitik leidet an der
Situation, dass die Ministerin ihre Vorschläge so wie ein
Zirkuszauberer die Kaninchen aus dem Hut zieht. Dies
reicht nicht aus. Wir müssen in der Lage sein, zu einem
wirklichen Grundverständnis von Wissenschaft unter
den Voraussetzungen der Wissensgesellschaft zu kommen. Dies traue ich dieser Ministerin nach all den Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe, nicht zu.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hoffmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zunächst einmal ganz sachlich Herrn Dr. Bergner korrigieren, der gesagt hat, dass bei der Kanzlerrunde kein
Vertreter des Mittelstandes anwesend gewesen sei. Das
ist in der Tat nicht so. Es waren Vertreter des Mittelstandes anwesend und haben ihre Interessenlagen in das Gespräch eingebracht.
({0})
- Herr Staatssekretär Staffelt hat mir das gerade bestätigt.
({1})
Darf ich darauf hinweisen, dass wir eigentlich nicht
gewohnt sind, dass von der Regierungsbank aus in die
Debatte eingegriffen wird.
({0})
Aber es dürfen natürlich auch keine Fragen zur Regierungsbank hinübergegeben werden.
({1})
Ich wollte diesen Punkt nur einmal klarstellen, denn
eine solche Aussage ist symptomatisch für die Diskussion insgesamt.
Herr Schauerte hat am Anfang seines Beitrags - da
war er noch gut - ein paar Sätze gesagt, die ich sehr
wohl unterstreiche. Er sagte, die Unternehmer würden
entscheiden und nicht vorrangig die staatliche Wirtschaftspolitik. Ich glaube, es gibt niemand in diesem
Raum, der dem widerspricht. Nur, Herr Schauerte, Sie
wissen genauso gut wie ich, dass Unternehmer nicht im
luftleeren Raum entscheiden. Sie gründen ihre Entscheidungen auf ein bestimmtes Fundament und treffen sie innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, die auch wir
heute hier diskutieren. Ein Fundament ist allerdings äußerst problematisch, Herr Schauerte; deswegen habe ich
vorhin das Beispiel mit der Teilnahme an der Kanzlerrunde gebracht. Wir haben in diesem Land eine Opposition, die seit vielen Monaten und Jahren eine Negativstimmung erzeugt, die im Grunde keinerlei Motivation
beim Mittelstand aufkommen lässt und die ohnehin
schwierige Ausgangssituation verschlimmert.
Wenn ich einen Wunsch äußern darf: Kritisieren Sie
in der Sache klar und deutlich - das bemängele ich
nicht -,
({0})
Walter Hoffmann ({1})
aber versuchen Sie, die Stimmung des Mittelstandes gemeinsam mit uns möglichst zu verbessern, und zwar
durch konkrete Maßnahmen, die das Fundament für eine
Verbesserung der realen wirtschaftlichen Situation legen.
({2})
Ich denke, das machen Sie nicht. Lassen Sie mich das
an einem konkreten Beispiel verdeutlichen. In vielen
Beiträgen, auch in Ihrem, ist von der Bürokratiebelastung des Mittelstandes gesprochen worden. Das ist richtig. Kleine und mittlere Betriebe klagen über zu viel Bürokratie. Wenn wir ehrlich sind, hat sich die Lage im
Prinzip nicht wesentlich gebessert. Aber es gehört ebenfalls zur Wahrheit - wir können das im Jahreswirtschaftsbericht auf Seite 47 ausführlich nachlesen -, dass
sich keine Regierung dieses Themas so systematisch und
strukturiert angenommen hat wie diese Regierung.
({3})
Sie wissen alle, dass wir uns am Anfang des Jahres
2003 im Bereich Bürokratieabbau fünf Schwerpunkte
vorgenommen haben. Wir haben eine Fülle von Einzelmaßnahmen aufgelistet, mit denen wir konkret etwas ändern wollen. Insgesamt sind es 50 Projekte, weitere werden im Jahr 2004 folgen. Wir befinden uns im Moment
in einer Phase, in der diese einzelnen Maßnahmen umgesetzt werden. Ich will Sie mit der Aufzählung nicht langweilen, Sie können sie auf Seite 47 nachlesen: Es geht
um die Vereinfachung und Reduzierung von statistischen
Belastungen, um die Reform der Handwerksordnung,
um die Verschlankung des Vergaberechts, um Änderungen in der Arbeitsstättenverordnung und viele andere
Dinge mehr. Wir gehen das Thema Bürokratieabbau systematisch an. Das ist schwierig und problematisch genug. Wir wissen auch nicht, ob wir letztlich erfolgreich
sein werden; das ist nicht der Punkt. Aber das Ziel ist
klar, der Weg ist klar, die einzelnen Schritte sind klar,
weitere Punkte folgen. Das wird sich auch für kleine und
mittlere Unternehmen positiv auswirken.
({4})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen; der
Kollege Kuhn hat mir hier im wahrsten Sinne des Wortes
aus dem Bauch gesprochen.
({5})
Immer dann, wenn wir konkret werden und versuchen,
reale Erleichterungen für den Mittelstand hinzubekommen, blockieren Sie. Mir fällt unsere Diskussion im
Herbst letzten Jahres ein, als es um die Verbesserung der
Bedingungen für Existenzgründer ging, als wir über Änderungen der Handwerksordnung, über die Befreiung der
Existenzgründer von Kammerbeiträgen in den ersten vier
Jahren und über die Erleichterung bei befristeten Arbeitsverträgen diskutiert haben. Das waren keine leichten Diskussionen für uns. Da standen Sie ständig auf der Seite
derjenigen, die konsequent blockierten und knallharte
Lobbyisten- und Interessenpolitik betrieben haben.
({6})
Gehen Sie also in sich und versuchen Sie, ein bisschen
mehr Bescheidenheit zu praktizieren! Seien Sie an unserer Seite, wenn wir konkrete Vorschläge machen!
Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Fülle
von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die Belastungen des Mittelstandes in der Tat vermindern. Wir befinden uns jetzt in der Phase der Umsetzung. Wir können
nicht schon nach knapp zweieinhalb Monaten eine Bestandsaufnahme machen. Wir werden sehen, wie sich die
einzelnen Maßnahmen auswirken. Diese sollen - nicht
nur, aber auch - ganz entscheidend die Belastungen des
Mittelstandes verringern und vor allen Dingen bürokratische Hürden beseitigen.
Wir haben die Steuern auf das niedrigste Niveau in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gesenkt. Gerade für den Mittelstand ist die Anrechnung der
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer ein ganz
wichtiger Punkt.
({7})
- Das ist ein Volumen von über 10 Milliarden Euro. Darauf sind wir stolz. Wenn man die Mittelständler direkt darauf anspricht, sagen sie deutlich, wie wichtig das
ist. Ich denke, das ist eine gute Sache.
({8})
An dieser Stelle fällt mir eine Diskussion aus dem
letzten Jahr kurz vor Beginn des Vermittlungsverfahrens
ein. Da ging es um die Frage der weiteren Behandlung
der Gewerbesteuer und der Umwandlung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. Rot-Grün
hat die Position vertreten, dass wir eine verbreiterte Bemessungsgrundlage brauchen, damit die Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, entsprechende Investitionen zu tätigen. Wir haben dieses Ziel im Rahmen
des Vermittlungsverfahrens aber nicht erreicht. Die
Kommunen waren über dieses Ergebnis nicht erfreut,
sondern unzufrieden. Sie sagen, dass es ihnen im Grunde
genommen nichts bringt. Daher muss man feststellen,
dass Ihre Blockadestrategie gerade bei der Gemeindewirtschaftsteuer eine Strategie gegen den Mittelstand ist;
denn es ist der Mittelstand, der in erster Linie von kommunalen Investitionen profitiert. Auch hier gilt: Als es
konkret wurde, standen Sie nicht an unserer Seite und
haben nicht mitgemacht. Denken Sie einmal darüber
nach! So kommen wir insgesamt nicht weiter.
Wir haben im Rahmen der Agenda 2010 eine Reihe
von strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt durchgeführt. Ich möchte an die Begrenzung der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes erinnern. Wir haben beim Kündigungsschutz einige Punkte verändert, um gerade Existenzgründern sowie kleinen und mittleren Betrieben die
Möglichkeit zu geben, auf unkomplizierte Weise Beschäftigte einzustellen. Wir haben bei der Bundesagentur
im Rahmen der Umstrukturierung den Schwerpunkt auf
Vermittlung gelegt. Wir haben das deswegen getan, weil
kleine Betriebe in der Regel keine großen Personalabteilungen haben, um Personal zu rekrutieren. Sie sollen - ich
hoffe, dass das gut funktioniert - auf die Dienstleistung
Walter Hoffmann ({9})
der Bundesagentur zurückgreifen können. Das wird diese
Betriebe entlasten.
Wir haben nach schwierigen Diskussionen - wir befinden uns eigentlich noch mittendrin - durch die Gesundheitsreform und durch die Rentenreform dafür gesorgt, dass die Beiträge nicht weiter steigen. Wir sind
optimistisch, dass es uns kurz- und mittelfristig gelingt,
dass ein Teil der Krankenkassen ihre Beiträge senkt.
Alle diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass sich die
Rahmenbedingungen für die kleinen und mittleren Betriebe verbessert haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern,
dass wir in den letzten Monaten im Bereich der Mittelstandsbank eine Reihe von Förderinstrumenten vereinfacht haben; denn wir konnten von den kleinen und mittleren Betrieben immer wieder hören - ich komme auf
das Thema Bürokratieabbau zurück -, das Verfahren sei
insgesamt zu aufwendig, es dauere zu lange und sei zu
kompliziert. Auch deshalb haben wir eine Mittelstandsbank und vereinfachte Förderinstrumente geschaffen,
von denen ein Teil zum 1. April dieses Jahres in Kraft
treten wird. Ich denke, das wird dem Mittelstand weiterhelfen.
Die stärkere Ausrichtung der Forschungsförderung
des BMBF auf die kleinen und mittleren Betriebe ist hier
schon erwähnt worden. Ich brauche das nicht zu wiederholen.
Lassen Sie mich einen Punkt ansprechen, der im
Moment von großer Bedeutung ist. Es geht um das Zuwanderungsgesetz. Wir kommen jetzt in eine ganz entscheidende Phase. Im Hightech-Masterplan wird der
Schwerpunkt darauf gelegt, Arbeitskräfte im Bereich der
Hochqualifizierten, aber auch im Niedriglohnbereich
dauerhaft zu rekrutieren. Diese Arbeitskräfte sollen auch
den Klein- und Mittelbetrieben zugute kommen.
Ich fordere die Opposition auf, gerade in dieser kritischen Phase mit uns zu einer Einigung zu kommen.
Denn wir brauchen diese Arbeitskräfte in unserem Land
sowohl im Hochtechnologiebereich als auch im Niedriglohnbereich kurz-, mittel- und langfristig. Denn es ist
- aus welchen Gründen auch immer; darüber diskutieren
wir jetzt nicht - im Moment nicht möglich, bestimmte
Arbeitsplätze in diesen Sektoren zu besetzen. Deswegen
haben wir ein Interesse an vernünftigen Regelungen im
Bereich der Zuwanderung, um den gerade bei Klein- und
Mittelbetrieben in diesen Sektoren bestehenden Arbeitskräftebedarf zu decken.
In diesem Sinne glaube ich, dass der Hightech-Masterplan ein Schritt nach vorne ist. Er soll den kleinen
und mittleren Unternehmen höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in innovative Produkte
ermöglichen. Er soll die Chance, sich gerade in Hightech-Bereichen selbstständig zu machen, vergrößern, die
Zugänge zu den Ergebnissen öffentlicher Forschung erleichtern und - ich sagte es bereits - genügend gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Land dazu motivieren,
tätig zu werden.
Diesen Plan muss man mit Fleisch füllen. Es ist klar:
Das sind zum Teil Absichtserklärungen. Daran führt
überhaupt kein Weg vorbei. Es gibt, wie ich finde, drei,
vier gute und neue Akzente in diesem Sektor. Sie sollten
sich dem nicht versagen. Es ist klar, dass Innovationen
ein Nährboden sind. Was heute in den Forschungs- und
Entwicklungslabors erdacht und zu marktreifen Produkten geformt wird, ist die Keimzelle für Jobs von morgen.
In diesem Sinne ist der Hightech-Masterplan ein
Schritt in die richtige Richtung. Wir sollten daran arbeiten, ihn jetzt mit Fleisch zu füllen und konkret umzusetzen.
({10})
Zu einer sachlichen Richtigstellung bezogen auf die
Rede des Vorredners - aber bitte wirklich nur darauf bezogen - erteile ich dem Abgeordneten Bergner das Wort.
Herr Kollege Hoffmann, Sie haben mir unter Bezug
auf einen Nebensatz, in dem ich erwähnt habe, dass kein
Mittelständler beim Innovationsgespräch im Bundeskanzleramt anwesend war, eine unredliche Behauptung
unterstellt, was nicht der Tatsache entspricht. Ich habe
zufällig die Teilnehmerliste des Innovationsgespräches
im Kanzleramt am 16. Januar 2004, die im Internet veröffentlicht wurde, vorliegen. Im Sinne der Richtigstellung würde ich diese Liste gern einfach einmal vorlesen
({0})
und Ihnen jeweils kurz die Frage stellen, ob Sie den jeweiligen Betreffenden für einen Mittelständler halten.
Das geht jetzt wirklich zu weit.
({0})
Frau Präsidentin, dann muss ich aber Wert auf die
Feststellung legen, dass ich auf der amtlichen Liste des
Bundeskanzleramtes keinen einzigen Mittelständler gefunden habe. Um den Zuruf von Herrn Staffelt von vorhin aufzugreifen: Es war auch niemand aus Bielefeld anwesend.
Ich will nur sagen: Mir wurde eine unredliche Darstellung - es geht nur um einen Nebensatz - unterstellt.
Ich muss diesen Vorwurf schärfstens zurückweisen.
({0})
Denn er ist - das sieht man, wenn man die offizielle
Liste des Bundeskanzleramtes nachliest - völlig unzutreffend. Auf dieser Liste ist kein einziger Mittelständler
ausgewiesen.
Danke schön.
({1})
Von der SPD kommt noch ein weiterer Redebeitrag,
sodass sie dazu Stellung nehmen kann.
Jetzt hat erst die Abgeordnete Gesine Lötzsch das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der
PDS. - Hightech-Masterplan klingt bombastisch. Aber
dahinter steckt nicht etwas wirklich Neues. Nach leider
altem Muster werden in Ihrem Masterplan, Frau
Bulmahn, alle Maßnahmen aufgelistet, die sich irgendwie mit Technologie und Mittelstand in Verbindung
bringen lassen. Das ist kein Plan, sondern leider nur ein
Sammelsurium von Förderinstrumenten.
({0})
Ich habe mir übrigens alle Artikel, die seit dem Beschluss im Kabinett zu diesem Masterplan erschienen
sind, herausgesucht und sie gezählt: Es waren genau
zwei Stück. Offensichtlich interessieren sich weder die
Presse noch andere allzu sehr für Ihren Masterplan. Eine
Umfrage des „Handelsblatts“ unter Managern zeigt, dass
dieser Masterplan nicht als Priorität angesehen wird.
Was sind die Gründe dafür, dass sich die Begeisterung
in Grenzen hält? Nehmen wir zum Beispiel Ostdeutschland. Hier gibt es ein überdurchschnittliches Wachstum
bei der Herstellung von Gütern der Spitzentechnologie.
Das ist erfreulich und sollte eigentlich gefördert werden.
Ein Grund für die erfolgreiche Zusammenarbeit von
wissenschaftlichen Einrichtungen sowie kleinen und
mittleren Unternehmen liegt in dieser außergewöhnlichen
Kooperation. Das sollte die Bundesregierung eigentlich
befördern. Doch was tut die Wissenschaftsministerin
Frau Bulmahn? Sie fordert lauthals die Auflösung der
Leibniz-Gemeinschaft. Doch gerade die Institute der
Leibniz-Gemeinschaft betreiben anwendungsorientierte
Wissenschaft und pflegen einen engen Kontakt zu forschungsintensiven Unternehmen.
Seit 1992 haben sich aus der Leibniz-Gemeinschaft
fast 80 Unternehmen ausgegründet, davon mehr als die
Hälfte in Ostdeutschland und Berlin. Frau Bulmahn
möchte diese Gesellschaft trotzdem auflösen.
({1})
- Das ist ein Skandal, Herr Dr. Bergner, da sind wir uns
völlig einig.
({2})
Ich befürchte, dass es auch Teil eines Masterplans
sein könnte, diese Institute der Leibniz-Gemeinschaft
zum x-ten Mal zu evaluieren, neu zu strukturieren und
letztendlich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von ihrer Arbeit abzuhalten.
Wir von der PDS stellen uns einen Masterplan anders
vor. Für einen solchen Plan brauchen wir vor allen Dingen eine tragfähige Idee. Diese vermisse ich in dem vorgelegten Hightech-Masterplan. Was soll zum Beispiel
die vereinzelte Förderung von Schlüsseltechnologien?
Jedes Jahr ist eine andere Schlüsseltechnologie in Mode.
Alle freuen sich und strahlen, dass sie das neue Wort
aussprechen können. Aber haben nicht der Transrapidund der Maut-Skandal gezeigt, dass häufig nicht die
Schlüsseltechnologien das Problem sind, sondern deren
Einführung und Vernetzung? Wäre das nicht eine sinnvolle Kernidee eines Masterplans?
({3})
Natürlich sprechen alle, die sich hier zur Wissenschaftspolitik äußern, häufig mit Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern, um sich über die Auswirkungen
der Politik der Bundesregierung zu informieren. Ich
kann ein Beispiel nennen. Wir haben letztens über die
Raumfahrtforschung gesprochen; daran will ich anknüpfen. Ich habe mich mit Menschen, die in der Raumfahrtforschung tätig sind, unterhalten, und mir wurde
von einem Professor gesagt, dass er sehr wohl industrieverwertbare Ergebnisse erzielt, dass aber bisher nur ausländische Firmen Interesse an seinen Ergebnissen gezeigt haben.
Was tut die Bundesregierung? Was tut das Wirtschaftsministerium? Was tut Herr Clement oder der Koordinator für die Raumfahrttechnik - er hat sich hier selber vorgestellt -, damit die Industrie auf Forscher und
Wissenschaft zugeht, um Ergebnisse der Forschung umzusetzen?
Es ist doch wirklich realitätsfremd, zu glauben, dass
jeder Wissenschaftler das Ziel hat, sich mit einer eigenen
Firma selbstständig zu machen. Das kann nicht unbedingt das Ziel jeder wissenschaftlichen Grundlagenforschung sein. Auch der Ostdeutsche Bankenverband bestätigt, dass es sich bei solchen Spin-off-Gründungen,
die sich erfolgreich am Markt etablieren können, in den
seltensten Fällen um Gründungen von jungen Hochschulabsolventen handelt.
Zusammenfassend darf ich Ihnen sagen: Das, was Sie
vorgelegt haben, ist kein Hightech-Masterplan und es ist
auch nicht der große Wurf im Jahr der Innovationen. Es
ist wie so viele Ihrer Pläne und Reformen wieder einmal
nur Stückwerk. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Ein
paar englische Brocken machen noch keinen guten Plan.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Carola Reimann
von der SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Mit dem Hightech-Masterplan hat
die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorgelegt,
um kleine und mittlere Unternehmen im Hochtechnologiesektor stärker als bisher zu fördern. Wir brauchen
mehr Innovationen, auch mehr Basisinnovationen, die in
fundamentaler Art und Weise die Produktionsprozesse
verändern, wie zum Beispiel im Bereich der Erfindung
des Computers oder der neuen Medien.
Voraussetzung für solche Neuerungen sind Menschen, die das Wagnis eingehen, neue Ideen zu realisieren. Deswegen brauchen wir ein innovatives Unternehmertum. Dass die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung im Mittelstand sinken - das wurde heute
Morgen immer wieder beklagt -, ist doch kein Argument
gegen einen Hightech-Masterplan, sondern das beste Argument dafür.
({0})
Deutschland verfügt über gut ausgebildete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ingenieurinnen
und Ingenieure. Wir haben ein breites Know-how. Reden
Sie doch nicht immer unsere Leute schlecht! Herr
Dr. Bergner, ich war entsetzt, als Sie sagten, keine ernsthaften Wissenschaftler hätten dem Wettbewerb der
Hochschulen in irgendeiner Weise etwas abgewinnen
können. Sie können doch nicht wirklich behaupten, dass
die Professoren Gruss, Gaehtgens, Einhäupl keine ernsthaften Wissenschaftler seien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das sagen wollten.
({1})
Wir haben ein enormes Know-how, dies muss künftig
seinen Weg stärker in die Wirtschaft finden; auch ich
sehe das so. Dazu brauchen wir eine intensivere Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Das geht
natürlich am besten, wenn Wissenschaftler und Ingenieure den Weg in die Wirtschaft suchen und als Unternehmer neue Ideen umsetzen.
Aber klar ist auch - darauf hat mein Vorredner hingewiesen -: Ohne Kapital bleiben die beste Idee und im
Übrigen auch das beste Patent schöne Theorie. Denn
- Herr Schauerte ist leider nicht mehr da - ein Patent ist
nur der erste Schritt. Es geht aber nicht nur um Patente,
sondern auch um Produkte.
({2})
In der letzten Zeit wird in diesem Bereich weniger
Wagniskapital investiert; denn Erfolg in Forschung und
Entwicklung ist nur schwer zu kalkulieren. Das wissen
wir. Angewandte Forschung ist ein Experiment mit offenem Ausgang. Deshalb haben wir weniger Wagniskapital für entwicklungsintensive Unternehmen. Ditmar
Staffelt hat auf die Finanzierung im Early-Stage-Bereich
hingewiesen. Es werden keine neuen Venture-CapitalFonds mehr aufgelegt. Gerade in den frühen, forschungs- und entwicklungsintensiven Phasen steht den
Unternehmen derzeit wenig Kapital zur Verfügung. Das
will der Hightech-Masterplan jetzt mit dem Dachfonds
ein Stück weit auffangen.
Nach der Gründungsphase ist Kapital genauso notwendig. Junge Hightech-Unternehmen werden durch das
BMBF in vielen Fällen sehr gut gefördert. Ein Stichwort
ist das Programm Biochance, das nach dem HightechMasterplan jetzt mit Biochance plus und Nanochance
- es war angesprochen, was wir in der Nanotechnologie
machen - fortgesetzt wird. Aber nach der Gründungsphase fehlt es oft an Kapital. Wer mit kleinen und mittelständischen Unternehmen spricht, der kennt das Problem. Das Ganze wird gar nicht an die Bundesregierung
adressiert, sondern an die Banken. Die Unternehmen tun
sich schwer, Kredite zu bekommen. Das gilt umso mehr
für die forschungsintensiven Unternehmensgründungen.
Wir brauchen in der deutschen Wirtschaft mehr innovatives Unternehmertum; denn Unternehmer müssen für
Visionen und für den Mut, Neues zu probieren, stehen.
Die Kehrseite jedes Muts ist ein unternehmerisches Risiko. Wir brauchen mehr Risikofreude als in der Gegenwart. Wir brauchen deshalb ein Klima der Bereitschaft,
neue und unkonventionelle Ideen zu unterstützen. Auch
das gehört zu einer neuen Innovationskultur.
({3})
Meine Damen und Herren, die Politik ist gefordert,
die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für
innovative Unternehmen zu verbessern. Genau darauf
zielt der Hightech-Masterplan ab. Der Dachfonds ist
schon vorgestellt worden; da will ich mich nicht wiederholen. Auch Seed-Fonds sind dort angedacht.
Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur Kritik sagen.
Da kommt immer die Aussage, ein Masterplan alleine
nütze nichts; es müssten noch weiter gehende sozial- und
steuerpolitische Reformen her. Liebe Opposition, diese
Argumentation folgt dem Muster vom Fischer und seiner
Frau. Jede von uns durchgeführte Reform wird mit dem
Ruf nach noch mehr, noch weiter gehenden Reformen beantwortet. Kernproblem dieses Kritikpunktes ist jedoch,
dass hier wirtschaftspolitische Belange mit sozialpolitischen verwechselt werden. Wer aber sozialpolitische Belange als das Grundproblem einer technologieintensiven
Wirtschaft versteht, der hat den Kernbereich dieses Wirtschaftszweiges nicht begriffen.
({4})
Die Bundesregierung setzt deshalb den Hebel an der
richtigen Stelle an: Das Kapitalanlageverhalten soll im
Sinne der Hightech-Unternehmen verbessert werden.
All denen, die dennoch glauben, wirklich jedes
Thema zu einem allgemein politischen Schlachtfeld machen zu müssen, wie wir es heute Morgen erlebt haben,
will ich ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Braunschweig nennen. Da gibt es die Kooperationsinitiative
Maschinenbau in der Region Braunschweig. Sie zeigt,
wie man mit ganz unterschiedlichen Partnern erfolgreich
Innovation organisieren kann. Was dabei herauskommt,
passt gar nicht zu all den lieb gewonnenen Vorurteilen
von gewerkschaftlichen Betonköpfen und dirigistischen
Genossen - Vorurteile, die gepflegt werden.
Die Kooperationsinitiative Maschinenbau umfasst in
Braunschweig zwölf Unternehmen und ist ein Resultat
aus dem Dialog zwischen Arbeitgeberverbänden und IG
Metall. Was haben sie gemacht? - Ausgangspunkt der
Kooperation war ein neuartiger Tarifvertrag zur Arbeitnehmerüberlassung. Dadurch können Fachkräfte zwischen den Kooperationspartnern ausgeliehen werden.
Das alles ist bekannt. Mittlerweile arbeiten die Firmenchefs und ihre Mitarbeiter in Arbeitsgruppen gemeinsam
mit der Technischen Universität vor Ort an der Entwicklung von Möglichkeiten der Prozess- und Produktinnovation, die dann allen Kooperationspartnern zugute
kommen. Das ist die Vernetzung von Wirtschaft und
Forschung sowie von Wirtschaft und Hochschulen, die
wir wollen.
({5})
Herr Schauerte hat den konkreten Bezug auf die
Wirklichkeit angemahnt. Das ist ein solches konkretes
Beispiel aus der Wirklichkeit, an dem man zeigen kann,
was alles möglich ist, wenn man bereit ist, ausgetretene
Pfade zu verlassen. Diese Bereitschaft wollen wir mit
dem Hightech-Masterplan stärker unterstützen, als das in
der Vergangenheit geschehen ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Danke schön. - Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/2551 und 15/2594 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Dr. Klaus
W. Lippold ({0}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Nationale Umsetzung des Emissionshandels
- Drucksachen 15/1282, 15/2390 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek,
Marie-Luise Dött, Dr. Klaus W. Lippold ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Nationalen Allokationsplan als Parlamentsgesetz gestalten
- Drucksachen 15/1791, 15/2533 Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Dr. Reinhard Loske
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Klaus Lippold.
({3})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin sehr
froh, dass wir uns in diesem Hause erneut dem Thema
Klimaschutz widmen; denn Klimaschutz ist eine zentrale
Problematik. Unbeschadet des Sachverhalts, dass von
vielen Seiten Einwendungen erhoben werden, ob Klimaschutz wirklich notwendig sei, da das Problem nicht wissenschaftlich begründet sei, vertrete ich nach wie vor die
Auffassung, dass wir - ebenso wie die überwiegende
Mehrheit der Wissenschaftler - begründet sagen können:
Klimavorsorge ist absolut notwendig.
({0})
Dafür brauchen wir neue Instrumente und sicherlich
auch Zertifikate und den Zertifikatehandel.
({1})
Aber genauso dringend notwendig ist es, den Zertifikatehandel unbürokratisch zu organisieren und ihn so zu
gestalten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht
ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit auch Arbeitsplätze
verliert. Es kann nicht angehen, dass wir Regelungen
schaffen, die dazu beitragen, die Beschäftigungssicherung in der Bundesrepublik Deutschland noch weiter zu
erschweren.
({2})
Meine Damen und Herren, da ich sehe, wie die Behandlung dieser Thematik erfolgt - dass wir auf der einen
Seite über das Treibhausgasemissionsgesetz beraten,
dass aber auf der anderen Seite der Nationale Allokationsplan, in dem die wesentlichen Inhalte für Treibhausgasemissionszertifizierungen geregelt werden, noch
nicht vorliegt -, sage ich ganz deutlich: Das ist ein Skandal.
({3})
Herr Trittin, in der vorausgegangenen Anhörung ist
deutlich geworden, dass die Methode, das eine Thema zu
behandeln, ohne die Inhalte des anderen zu kennen, unsinnig ist.
({4})
Dr. Klaus W. Lippold ({5})
Nun kennen wir Ihre Vorstellungen, Herr Trittin. Denn
wir finden Ihre Papiere in der Straßenbahn und können
deshalb auf sie Bezug nehmen.
({6})
Aber, Kollege Kuhn, das ersetzt nicht ihre sorgfältige
Behandlung und Beratung im Deutschen Bundestag.
({7})
Das, was sich hier abzeichnet, ist ein weiterer Skandal: dass Sie das TEHG und den Nationalen Allokationsplan in Brüssel behandeln lassen wollen, ohne dass die
Zustimmung des deutschen Parlaments zum Nationalen
Allokationsplan vorliegt. Dies unter dem Aspekt des
Parlamentsvorbehalts in Brüssel behandeln zu lassen,
ohne uns aber sagen zu können, wie die Behandlung dieses Themas auf europäischer Ebene fortgesetzt wird, ist
skandalös, Herr Trittin.
Das Ganze liegt daran - auch das muss man sehen -,
dass Sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben,
die Dinge so auf den Weg zu bringen, dass sie parallel
zueinander beraten und behandelt werden können. Stattdessen leisten Sie sich im Parlament die üblichen Kleinkriege - diesmal wiederum mit dem Bundeswirtschaftsminister -, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ganz
im Gegenteil: In der letzten Runde, aus der weißer
Rauch aufsteigen sollte, wurde deutlich, was bei Ihnen
immer wieder deutlich wird: erneut vertagt, keine Entscheidung. Noch kürzlich hat der Kanzler in altbewährter Manier gesagt, er werde nicht eingreifen, er werde
zusehen, Sie sollten sich einigen. Aber die Zeit verstreicht, Sie lassen diese Zeit ohne Einigung verstreichen. Das kann es nicht sein!
Dazu leisten Sie sich - aus meiner Sicht - weitere
Skandale: Da gibt es in einer Gremiensitzung mit Wirtschaftsvertretern zum einen den Vertreter des Umweltministeriums und zum anderen den Vertreter des Wirtschaftsministeriums, vom Rang her Staatssekretäre. Nun
erfährt der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium erst
während der Sitzung, dass Sie einen Nationalen Allokationsplan vorgelegt haben, und verlässt aus Protest gegen Ihre Vorgehensweise die Sitzung. Es ist insgesamt
ein nicht adäquates Verhalten der Regierung, sich solche
Streitigkeiten in Gegenwart von Wirtschaftsvertretern zu
liefern. So etwas haben Sie gefälligst vorher abzuklären
und nicht in Gremiensitzungen vorzutragen!
({8})
- Sie wissen doch: Sie liefern mehr als genug Stoff. In
der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich gar nicht
alle Ihre Schwächen ansprechen.
Was wir im Zusammenhang mit dieser Gesetzgebung
auch nicht wollen, ist, dass Sie unter dem Deckmantel
des Klimaschutzes Lenkungspolitik betreiben.
({9})
Hier ist ganz klar: Die Vorschriften, die Sie vorlegen,
führen dazu, dass Kohlekraftwerke in Zukunft aus dem
Prozess herausgeworfen werden; denn Sie zwingen sie
in ein Benchmarking hinein, das nicht auf diese abgestellt ist. Ich kenne natürlich die hervorragenden Streiter
aus Nordrhein-Westfalen, die alle gesagt haben: Das
kann so nicht sein. - Ich bin einmal gespannt, was von
diesem Streit übrig bleibt. Es wird so sein wie immer,
nämlich dass man für NRW zwar heldenhaft in die
Schlacht zieht, aber genauso heldenhaft unterliegt. Diesen Prozess - das sage ich ganz deutlich - werden wir
nicht nur jetzt beobachten, sondern das ganze Jahr über.
Es kann nicht angehen, dass Lenkungspolitik gemacht
wird zulasten des Energiemixes sowie von Beschäftigung und Beschäftigungssicherung.
({10})
Sie glauben, Sie könnten Ihre erfolglose Beschäftigungspolitik unter der Hand noch weiter verschärfen, indem
Sie über andere Instrumente dazu beitragen, dass noch
weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Zumindest
wir werden das nicht mitmachen.
Wie ich die Situation in NRW kenne, wird sowohl Ihr
dortiger Premier umfallen als auch Ihr dortiger Parteivorsitzender Schartau, der noch einmal vollmundig angekündigt hat, das werde alles geändert werden, das
werde so nicht durchgehen. Ich bin einmal gespannt, wie
sich diese Helden verhalten, wenn es zum Schwur
kommt. Wir jedenfalls werden den Nordrhein-Westfalen
ganz deutlich sagen, wie sie sich verhalten haben - das
lassen wir nicht unter den Teppich kehren, mit uns läuft
das nicht.
({11})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist
wichtig, dass wir die europäische Einbindung beachten.
Im Rahmen der europäischen Einbindung ist es für mich
genauso wichtig, dass wir für unsere Unternehmen die
Flexibilität erhalten, die andere Länder - ich kann das
deren Anstrengungen entnehmen - ihren Unternehmen
erhalten wollen. Das heißt, man muss einen Berechnungsfaktor vorgeben, der den Unternehmen die Möglichkeit lässt, mit wachsender Wirtschaft weiter zu
wachsen, und für Existenzgründungen Emissionsberechtigungen vorhält, damit sie bezüglich des internationalen
Wettbewerbs nicht geschädigt werden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fell?
Ja, gerne.
({0})
Herr Kollege Dr. Lippold, wir hatten gerade eine Debatte über den Innovationsstandort Deutschland. Ihr
Kollege Schauerte hat die Kohlesubventionen ganz heftig als innovationsfeindlich kritisiert. Sie haben gerade
die Kohle als wichtigen Standortfaktor bezeichnet. Ich
frage mich: Was ist denn eigentlich die Position Ihrer
Fraktion?
Das kann ich Ihnen ganz eindeutig sagen: Wir sind für
einen Mix. Innerhalb dieses Mixes sind wir dafür, dass
wir die Kohlesubventionen zurückfahren, aber nicht
vollständig outphasen, weil wir im Gegensatz zu Ihnen
({0})
- darauf komme ich noch - auch noch die Verbindung
zur Bergwerkstechnologie herstellen.
({1})
Wir wollen Ihre kleinkarierte deutsche Betrachtungsweise beseitigen. Was wir international, weltweit brauchen - stehen bleiben, Herr Fell! -, sind neue Kraftwerkstechnologien, die wesentlich effizienter sind als
das, was wir derzeit haben. Das berücksichtigen Sie
nicht.
({2})
Das ist aber ein Kernpunkt; denn international können
Sie - das sagen Ihnen alle Experten - allein mit Windkraft nichts machen. Das heißt, wir haben eine in sich
stimmige Position nicht nur unter Innovationsaspekten,
sondern auch unter dem Aspekt des internationalen Klimaschutzes.
Ich will Ihnen eines sagen: Wenn Sie die Lausitz
schlussendlich deindustrialisieren wollen, werden wir
deutlich machen, dass das nicht der Weg ist, den wir mitgehen.
({3})
Sie haben sich bislang dadurch ausgezeichnet, wesentlich
dazu beigetragen zu haben, dass die Konjunktur, das
Wachstum in der Bundesrepublik Deutschland zurückgehen. Wir werden dafür sorgen, dass es in Zukunft wieder
zu einer Wachstumspolitik kommt. Wir werden uns jetzt
von Ihnen keine Rahmenbedingungen aufoktroyieren lassen, die eine solche Wachstumspolitik nicht mehr möglich machen. Das kann es beim besten Willen nicht sein.
({4})
Herr Kollege, lassen Sie mich kurz etwas sagen. Herr Kollege Fell, es ist üblich, dass man stehen bleibt,
wenn man eine Antwort bekommt. Die Antwort war
jetzt zu Ende, wenn ich das richtig gesehen habe.
({0})
Es gibt einen weiteren Punkt, der mir aufgefallen ist.
Sie haben offen gelassen, nach welchen Kriterien die
Zuteilungsrechte bei einigen Töpfen gestaltet werden
sollen. Vorsichtshalber haben Sie aber - wenn ich das
richtig erkannt habe - vorgesehen: Wenn diese Töpfe
- wir sehen die Problematik anders - nicht vollständig
ausgeschöpft werden, dann sollen Zuteilungsrechte an
den Bundesfinanzminister zurückfallen. Das heißt, Sie
sehen bereits im Vorhinein vor, all diese Zuteilungsrechte der Wirtschaft, die sie wirklich dringend braucht,
zukommen zu lassen. Sie denken gar nicht daran, das zu
tun. Vielmehr wollen Sie in Ihren ohnehin hochdefizitären Haushalt jetzt auf diese Art und Weise Finanzreserven hineinschmuggeln. Das kann es doch beim besten
Willen nicht sein. Herr Eichel soll seinen Haushalt gefälligst in Ordnung bringen; er soll den Haushalt aber nicht
auf diesem Wege - über die Kriterien, die Sie geschaffen
haben -, durch die Vermarktung von Zuteilungsrechten,
mit finanzieren. Das kann es beim besten Willen nicht
sein.
({0})
Ich will auch ganz deutlich sagen, dass ich der Überzeugung bin, dass wir eine schlanke, eine nicht überzogene Bürokratie brauchen. Ich bin der Meinung, dass wir
in dieser Frage nicht an den Bundesländern vorbeigehen können und sollten. Ich weiß, dass auch in der Regierung auf der Fachebene die Frage der Zuständigkeit
der Länder durchaus umstritten ist und nicht in ihrem
Sinne gesehen wird. Wenn Sie es aber dabei belassen
wollen, dass Sie das Gesetz nur deshalb umstricken, um
die Mitwirkung der Bundesländer auszuschalten, dann
treffen Sie auf unseren ganz entschiedenen Widerstand.
Das Ganze - das kann ich Ihnen schon jetzt sagen - wird
der verfassungsrechtlichen Überprüfung zugeführt werden. Da sind Sie früher schon runtergefallen; das werden
Sie auch diesmal.
Ich sage Ihnen ganz klar: Die Lösungen gehen dorthin, wo wir den Sachverstand haben, und zwar vor Ort.
Ich könnte es nicht verstehen, wenn Sie x neue Stellen
- ich weiß, Sie brauchen grüne Versorgungspositionen,
weil diesbezüglich in den Bundesländern nicht mehr so
viel zu machen ist - schaffen würden. Das ist nicht notwendig; das Ganze kann man in die Länderbehörden integrieren. Ich bin dafür, dass wir die Möglichkeit, das in
die Länderbehörden zu integrieren, deutlich verankern.
Ich will noch einmal unterstreichen, dass wir darauf
hinarbeiten müssen, dass das Kioto-Protokoll verabschiedet wird. Die Achse Paris-Moskau-Berlin, die Sie
geschlossen haben, hat bislang noch nicht dazu geführt,
dass die Russen den Vertrag ratifiziert haben. Ich meine,
hier sind mehr Anstrengungen als bisher notwendig, damit sie ratifizieren.
({1})
Ich sage auch ganz deutlich: Wenn das Protokoll nicht
ratifiziert wird, müssen wir schauen, wie das Ganze in
die Landschaft passt, damit unsere Wirtschaft im Vergleich zu anderen nicht unmäßig und zusätzlich belastet
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
wird. Ich erwarte von Ihnen zumindest - dabei nehme
ich nicht einmal die Position von Frau Palacio ein -, dass
Sie, auch ohne dass das Kioto-Protokoll ratifiziert
wurde, einen Weg dafür ebnen, dass der Clean Development Mechanism und die Joint Implementation auch auf
EU-Ebene realisiert werden, damit wir auf diese Art und
Weise mehr Flexibilität schaffen. Auch hier sehe ich
noch keine Vorstöße von Ihnen. Sie behandeln das in der
üblichen dilatorischen Art. Das können wir so nicht akzeptieren.
Ich fasse zusammen: Zertifikate ja, aber schlank, unbürokratisch und nicht zulasten der deutschen Wirtschaft
in einer Form, durch die Arbeitsplätze und der Standort
gefährdet werden.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen
Trittin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es außerordentlich, dass wir heute hier über den
Fortgang bei der Umsetzung des Emissionshandels sprechen.
Lieber Herr Kollege Lippold, Sie sind von dem gemeinsamen Problembewusstsein und dem gemeinsamen
Wissen ausgegangen, dass wir, wenn wir die globale Herausforderung des Klimawandels annehmen wollen, Klimaschutz aktiv und - das betone ich ausdrücklich - über
das Jahr 2012 hinaus betreiben müssen. Ich hätte mich
gefreut, wenn Sie diesen Anfangsgedanken bis zum
Ende durchgehalten hätten. Stattdessen haben Sie dilatorisch abgelehnt.
({0})
Nur eine Bemerkung am Anfang: Sie werfen dem
Kollegen Fell die Deindustrialisierung der Lausitz vor.
Ich will Sie nur darauf hinweisen, dass es zur Deindustrialisierung der Lausitz zu der Zeit gekommen ist, als
der Kanzler Helmut Kohl hieß.
({1})
Das ist keine Ursachenbeschreibung. Nicht dass wir uns
missverstehen: Ich mache Herrn Kohl nicht dafür verantwortlich. Ich rate Ihnen aber dringend, zu vermeiden,
dem Kollegen Fell das anzulasten, was damals als Folge
der von uns allen begrüßten deutschen Einheit geschehen ist.
Da Sie gerade den Kollegen Fell, einen der Fürsprecher der erneuerbaren Energien, angesprochen haben:
Denken Sie einmal einen Moment lang nach und überlegen Sie sich, welche wenigen Industrien nach 1998 neu
in die Lausitz gekommen sind.
({2})
Dazu gehört zum Beispiel die Vestas Deutschland
GmbH, die Windenergieanlagen produziert und durch
die 500 Arbeitsplätze entstanden sind. Sie wurde in
Sachsen nicht gewollt, sodass wir sie nach Lauchhammer geholt haben. Erzählen Sie uns also nichts über Industrie- und Existenzgründungen in der Lausitz. Hierfür
sind Sie der schlechteste Zeuge.
({3})
Sie haben einen weiteren Konsens angesprochen. Er
lautet: Lasst uns beim Klimaschutz weniger auf das Ordnungsrecht und mehr auf den Markt setzen. Das ist der
Kern des Emissionshandels. Der Emissionshandel ist ein
Instrument, um das, was die deutsche Industrie versprochen hat, nämlich gegenüber 1998 bis zum Jahre 2010
45 Millionen Tonnen CO2 einzusparen, aus zwei Gründen einfacher und kostengünstiger zu erreichen:
({4})
Die Selbstverpflichtung bezog sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sie beinhaltete keinen ökonomischen Mechanismus, durch den es dort zur Reduktion
kommt, wo es am günstigsten ist.
Der Emissionshandel führt dazu, dass die Tonne vermiedenen CO2-Ausstoßes einen Preis bekommt. Dies hat
zur Folge, dass es vor allem dort zu Emissionen kommen
wird, wo es am kostengünstigsten ist. Herr Lippold, ich
hätte mir angesichts des strukturkonservativen Geredes
einzelner Branchen gewünscht, dass dieser Ansatz - ich
weiß, dass er von Ihnen lange Zeit mitverfolgt wurde von Ihnen gemeinsam mit uns hier hochgehalten worden
wäre.
Lassen Sie uns diesen Schritt gemeinsam gehen, weil
in dem Emissionshandel eine gewaltige Chance für die
deutsche Wirtschaft steckt, die Klimaschutzziele günstiger und effizienter als mit den alten Instrumenten zu erreichen.
({5})
Wenn wir darüber einen Konsens erreicht haben und
dies nicht nur beharrlich als Belastung sehen, dann können wir uns nicht nur in Deutschland, sondern gemeinsam in Europa darüber verständigen: Wie setzen wir diesen richtigen Gedanken möglichst einfach um? Das ist
der ganze Streit, wenn ich von Ihren anfangs gesagten
Worten ausgehe, dass Sie den Emissionshandel wollen.
Es tut mir Leid, aber ich mag die Forderung nach einer unbürokratischen Regelung aus den Reihen von
CDU/CSU und FDP nicht mehr hören.
({6})
Wir haben Folgendes gemacht: Jedes Unternehmen in
Deutschland, das nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz eine Berechtigung hat, hat automatisch die Genehmigung, mit CO2-Emissionen zu handeln. Dieser einfache Grundgedanke ohne neue Genehmigungsverfahren
wird zurzeit von CDU/CSU und FDP im Bundesrat blockiert. Sie haben die Industrie als Geisel genommen,
weil Sie damit Mitbestimmungsrechte und - das geht
noch weiter - die Abwicklung des Emissionshandels auf
die einzelnen Emissionsschutzbehörden der Länder
übertragen wollen.
({7})
Bei diesem Abgrund von Bürokratie werden wir nicht
mitmachen. Das sehen wir nicht ein. Wir wollen eine
schlanke und einfache Umsetzung. Hören Sie angesichts
solcher Ideen auf, von Entbürokratisierung zu reden!
({8})
Kommen wir zur Zuteilung. Lieber Herr Lippold,
wie sieht denn nach Ihrer Meinung die Menge der zu
verteilenden Zertifikate aus, da Sie kritisiert haben, wir
seien zu restriktiv? Wir haben an der Verabredung mit
der Industrie festgehalten: Wir verteilen die Zertifikate
kostenlos auf der Basis der Selbstverpflichtung der deutschen Industrie.
({9})
- Nur noch eine gilt, die andere ist mit der KWK-Vereinbarung aus dem Verkehr gezogen. - Nach dieser, unterschrieben von Herrn Rogowski, Herrn Rauscher und
dem Bundeskanzler, gilt eindeutig: Wir wollen bis zum
Jahre 2010 45 Millionen Tonnen CO2 einsparen, davon
10 Millionen Tonnen - das muss man der Fairness halber erwähnen - in den nicht emissionshandelsrelevanten
Bereichen, nämlich beim Verkehr und in den privaten
Haushalten. Das haben wir an dieser Stelle eins zu eins
umgesetzt.
Von allen, die uns vorwerfen, wir hätten falsch gerechnet, erwarte ich den Nachweis, warum wir falsch gerechnet haben und wie man an dieser Stelle richtig rechnet;
({10})
denn die Grundrechenarten, sehr geehrter Herr Dr. Lippold,
sollten auch Sie wenigstens beherrschen.
({11})
- Wenn Sie alle durcheinander rufen, habe ich Schwierigkeiten, Sie zu verstehen. Deswegen kann ich nicht
darauf eingehen, es tut mir Leid.
({12})
Kommen wir zu der Frage: Warum brauchen wir den
Emissionshandel? Wir brauchen den Emissionshandel,
weil sich abzeichnet, dass die Selbstverpflichtung nicht
erfüllt zu werden droht. Wir haben aufgrund der Isterhebung von 2 420 Anlagen festgestellt, dass ein Besorgnis
erregender Trend nicht in der Industrie und bei den prozessbedingten Emissionen, sondern bei den Emissionen
zu beobachten ist, die energiebedingt in der Energiewirtschaft auftreten. Bei dieser Entwicklung zeichnet sich
ab, dass die Emissionen steigen, anstatt zu sinken. Das
ist eine der Herausforderungen, der wir uns, wie ich
finde, bei der Umsetzung des Emissionshandels gemeinsam stellen sollten. Wie bekommen wir diese Sache wieder so auf die Spur, damit das, was die Industrie in der
Selbstverpflichtung zugesagt hat, tatsächlich erreicht
wird?
Denn um eines kommen wir nicht herum: Bis zum
Jahre 2012 muss die Bundesrepublik Deutschland ihre
Emissionen auf 846 Millionen Tonnen CO2 reduziert haben. Alle, die heute mehr Vergünstigungen erwarten,
sind auch verpflichtet, zu sagen, wem sie dann mehr
Emissionsreduktionen auflasten wollen. Denn es gibt in
diesem System keine kostenlosen Vergünstigungen. Das,
was ich dem einen gebe, muss ich dem anderen nehmen.
Meine letzte Bemerkung: Hören Sie auf, so zu tun, als
würde Deutschland einen Alleingang machen. Ich empfehle Ihnen, einfach einmal die Ausführungen der EUKommission zur Kenntnis zu nehmen. Danach ist es
schlicht und ergreifend so, dass die großen Wettbewerber mit Deutschland das gemeinsam ambitioniert umsetzen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Kommission mit Nachdruck erklärt hat, dass sie
Überallokationen nicht dulden wird, wie sie übrigens in
Österreich stattgefunden haben, nämlich dass man mehr
Emissionszertifikate verteilt, als überhaupt emittiert
wird. Das ist das Gegenteil von Emissionshandel. Denn
bei einem Überangebot - das müssten Sie als Ökonom
wissen - besteht kein Anreiz, Emissionen zu reduzieren.
Dann sind die Kostenvorteile des Emissionshandels
weg.
Wir hätten viel mehr gemeinsam haben können, wenn
Sie den Tenor zu Beginn Ihrer Rede, lieber Herr Lippold,
beibehalten hätten. Dann hätten wir einen Konsens über
mehr Markt im Klimaschutz statt mehr Ordnungsrecht.
({13})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal in diesem
Hause über den Emissionshandel. Leider können wir die
entscheidenden Gesetzentwürfe nicht beraten, weil sich
die Bundesregierung nicht einigen kann.
({0})
Mit dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz liegt im
Augenblick einzig und allein das formale Gerüst für den
Handel als solchen auf dem Tisch. Die materiell relevanten Regelungen über die Zuteilung, also welche Anlage
welche Emissionsrechte erhält, sollen im Nationalen Allokationsplan verankert werden. Über diesen Nationalen
Allokationsplan streiten sich, obwohl er Ende dieses
Monats nach Brüssel gemeldet werden muss, nach wie
vor die Herren Trittin und Clement.
({1})
Wir können das nicht im Deutschen Bundestag beraten. Das ist nicht in Ordnung.
({2})
Ich sage Ihnen, Herr Trittin: Das ist im Verfahren und im
Ablauf zum wiederholten Male eine Missachtung des
Parlaments und im Übrigen ein Armutszeugnis für die
Klimapolitik der Bundesregierung.
({3})
Die FDP steht zum Emissionshandel und Sie wissen
das. Wir haben seit vielen Jahren den Emissionshandel
gefordert, weil er enorme umweltpolitische und wirtschaftspolitische Bedeutung hat und weil wir mit dem
Instrument des Emissionshandels das klimapolitische
Ziel, das wir teilen, auf der einen Seite sicher erreichen
können, auf der anderen Seite aber Treibhausgasemissionen dort vermieden werden können, wo dies zu geringsten Kosten möglich ist. Ziel des Emissionshandels ist es,
pro eingesetzten Euro so viel Treibhausgase wie möglich
zu vermeiden, um Klimaschutz effizienter zu organisieren.
({4})
Da muss ich Ihnen sagen, Herr Minister Trittin: Es
fehlt der Bundesregierung leider wie so oft die Gesamtkonzeption. Weder gibt es eine Abstimmung der unterschiedlichen Instrumente, die wir derzeit in der Bundesrepublik haben, noch gibt es eine Koordinierung mit
dem internationalen Klimaschutz. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die rot-grüne Bundesregierung
von dieser Emissionshandelsrichtlinie geradezu überrascht wurde. Tatsächlich versuchen Sie, Herr Minister,
diesen Eindruck zu erwecken. Sie wollen davon ablenken, dass Sie über Jahre hinweg die Vorbereitung des
Emissionshandels in Deutschland, von dem wir lange
wissen, dass er kommen wird, verschlafen haben. Jetzt
tun Sie so, als ob der „Kaiser aus Brüssel“ diese Richtlinie bringt und Sie sich ganz arg bemühen, sie so schnell
wie möglich umzusetzen. Das sind Ihre eigenen Versäumnisse, Herr Trittin.
({5})
Die wesentlichen nationalen Grundlagen des Emissionshandels hätte die Bundesregierung bereits parallel
zu den Beratungen auf europäischer Ebene erarbeiten
und zwischen den Ressorts abstimmen können und müssen. Das hat sie versäumt. Sie haben jahrelang verneint,
dass der Emissionshandel notwendig ist. Wenn ich Sie
heute so reden höre, dann muss ich feststellen, dass eine
unglaubliche Wandlung stattgefunden hat. Für eine vernünftige Umsetzung scheint sie allerdings immer noch
nicht zu reichen.
Da Sie um den Emissionshandel nicht mehr herumkommen, wollen Sie jetzt damit Strukturpolitik betreiben. Sie versuchen den Emissionshandel indirekt zur
Durchsetzung politisch motivierter Entscheidungen über
den Einsatz von Energieträgern zu nutzen, indem für
Neuanlagen, die keine Altanlagen ersetzen, eine Messlatte angelegt wird, die sich am Wirkungsgrad hocheffizienter Gas- und Dampfkraftwerke orientiert. So werden
selbst modernste Kohlekraftwerke unangemessen benachteiligt. Milliardeninvestitionen werden fragwürdig.
Das hat mit Klimaschutz nichts mehr zu tun, Herr
Trittin.
({6})
Ich will Ihnen deutlich sagen: Angesichts des Bedarfs
an Ersatzinvestitionen in Kohlekraftwerke, insbesondere in Anlagen für Steinkohle - bei der Braunkohle
stellt sich das anders dar -, von denen rund die Hälfte in
der Bundesrepublik Deutschland älter als 30 Jahre ist,
könnten wir, wenn die Mittel, die teilweise in anderen
Bereichen für den Klimaschutz ausgegeben werden, für
Ersatzinvestitionen genutzt würden, deutlich mehr CO2Emissionen einsparen, als es mit anderen Maßnahmen
der Fall ist. Mit Ihrem Vorgehen vergrößern Sie die Verunsicherung noch.
({7})
Wenn Sie über Klimaschutz reden, dann müssen Sie
auch den Aspekt der Versorgungssicherheit dieses Landes im Blick haben. Deswegen brauchen wir einen Energiemix und deswegen ist Ihr Versuch, die Kohlekraftwerke - selbst hochmoderne Kohlekraftwerke, die im
Übrigen mit anderen Technologien gekoppelt und hinsichtlich ihrer Effizienz gesteigert werden können - zu
benachteiligen, ein großer Fehler. Er führt zu einer großen Verunsicherung, die uns noch schwer zu schaffen
machen wird.
({8})
Die von der Bundesregierung geplante Umsetzung
des Emissionshandels droht den Emissionshandel in
Misskredit zu bringen, weil Sie die EU-Richtlinie unnötig bürokratisch und unnötig kostenintensiv umsetzen.
Statt die Chancen, die der Emissionshandel bietet, entschlossen zu nutzen, bleibt der Entwurf des Nationalen
Allokationsplans nach wie vor dem ordnungsrechtlichen
Denken verhaftet; denn die Emissionsrechte sollen den
einzelnen Anlagen zugeteilt werden.
Zu einer modernen marktwirtschaftlichen Umweltpolitik gehören mehr Engagement und Fantasie, Herr
Trittin, als lediglich dem alten Ordnungsrecht einen
neuen Hut aufzusetzen, auf dem Emissionshandel steht.
So funktioniert das nicht.
({9})
Ich will Ihnen das kurz begründen. Warum ist der
Emissionshandel zu teuer und zu bürokratisch? Er ist in
Deutschland schon deshalb zu teuer, weil es die Untätigkeit der Bundesregierung deutschen Unternehmen bislang nicht ermöglicht hat, günstige Emissionsgutschriften aus Klimaschutzmaßnahmen mit und in anderen
Ländern zu erwerben. Diese Verknüpfung ist aber dringend notwendig.
({10})
Neben den Anstrengungen im Inland ist auch eine Verknüpfung mit den internationalen Instrumenten erforderlich. Das haben Sie in Deutschland nicht ermöglicht. Andere Länder sind schon weit vorangegangen. Deswegen
fordern wir von Ihnen, dass dies auch in Deutschland zulässig wird.
({11})
Wir haben als FDP immer wieder darauf hingewiesen, dass es unverzichtbar ist, die anderen klimapolitischen Instrumente - beispielsweise Ökosteuer, KWKGesetz und EEG - auf den Emissionshandel abzustimmen. Sie bleiben alle nebeneinander stehen. Sie haben in
der Anhörung des Umweltausschusses im Prinzip die
Lösung auf dem Silbertablett präsentiert bekommen, indem uns die Experten empfohlen haben, in einem Klimaschutzartikelgesetz eine Regelung zu treffen, derzufolge eine Anlage, die in den Emissionshandel
einbezogen wird und die die Klimaschutzziele erreicht,
von anderen Regeln ausgenommen und somit auch von
der Ökosteuer befreit wird. Das aber wollen Sie nicht.
Im Gegenteil: Ihr Staatssekretär hat gestern im Umweltausschuss noch einmal betont, dass alle Instrumente beibehalten würden. Das geht aber nicht an, weil es unnötige Kosten verursacht. Das werden wir nicht
akzeptieren, Herr Trittin.
({12})
- Lieber Ernst Burgbacher, es lohnt sich nicht, sich darüber aufzuregen.
({13})
- Stimmt, es gibt auch Stilfragen in diesem Parlament.
Darüber, dass es unterschiedliche Stile gibt, kann sich
aber jeder sein eigenes Bild machen.
Herr Trittin, ich möchte auf Ihre Aussage eingehen,
dass Sie den Emissionshandel unbürokratisch über das
Bundes-Immissionsschutzgesetz regeln wollen. Sie haben sich dabei auf den Streit mit den Ländern bezogen.
Das ist allerdings nicht der Punkt, über den Sie sich im
Augenblick mit den Ländern streiten. Es geht vielmehr
darum, dass der Bund die Emissionsrechte zuteilen soll,
dass die Länder aber für die Umsetzung zuständig sein
sollen. Wenn es Klagen der betroffenen Unternehmen
gibt, weil sie mit Emissionsrechten nicht ausreichend
ausgestattet wurden, dann sollen die Länder die Beklagten sein. Das darf nicht sein. Die Länder wollen eine unbürokratischere Regelung und wollen den Emissionshandel von vornherein an einer Börse abwickeln. Vor
diesem Hintergrund frage ich mich, warum Sie in § 20
des TEHG vorsehen, das beim Umweltbundesamt anzusiedeln. Mir scheint es einfacher zu sein, den Emissionshandel von vornherein in private Hände zu geben und an
einer Börse abzuwickeln. Sonst muss eine neue Bundesbehörde mit circa 600 bis 1 000 Mitarbeitern errichtet
werden. Das wollen wir definitiv nicht, weil es die Sache
unnötig verkomplizieren würde.
({14})
Der Emissionshandel soll Anfang 2005 beginnen. Es
wird also Zeit, dass die Bundesregierung ein vernünftiges Gesetzespaket vorlegt. Die Vorschläge der FDP liegen seit langem auf dem Tisch. Ich kann Ihnen nur noch
einmal unsere konstruktive Zusammenarbeit anbieten.
Wir erwarten aber Lösungen, die uns sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Effizienz - es geht um geringere Kosten - voranbringen. Das ist bisher nicht der Fall.
Aber das wollen wir und daran werden wir arbeiten.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eigentlich sollten alle Rednerinnen und Redner
in dieser Debatte über die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und Emissionshandel sprechen. Aber ich
gehe jede Wette ein, dass wir bis zum Ende dieser Debatte das übliche Schauspiel der Opposition ertragen
müssen. Anstatt Vorschläge für notwendige Maßnahmen
zum Klimaschutz zu machen, wird über Formalismen lamentiert. Statt Beiträge zur Umsetzung des Emissionshandels zu liefern, werden die Redner der Opposition
abwechselnd und wahlweise über Zeitdruck oder eine zu
langsame Umsetzung jammern, ohne sich dabei über die
eigenen Widersprüche zu wundern. Statt inhaltliche Vorschläge zum Nationalen Allokationsplan zu machen,
wird mit jeder Rede versucht, die Teilnehmer und die
Öffentlichkeit zu verunsichern. Dabei ist der Klimaschutz notwendiger denn je.
Vor zehn Jahren haben wir noch darüber diskutiert, ob
man den Klimawandel verhindern kann. Heute sprechen wir darüber, dass man nur noch mit größten Anstrengungen die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abmildern kann. Sommer mit Hitze und Dürre
wie der im letzten Jahr werden in wenigen Jahrzehnten
eher der Normalfall sein als der Extremfall. Es gibt weitere düstere Szenarien des Klimawandels. Wir wissen
heute, dass manche Eisschilde im Landesinneren durch
die Erwärmung instabiler geworden sind als angenommen. Kommen diese ins Rutschen, kann der Meeresspiegel sehr schnell ansteigen. Neue Untersuchungen zeigen
außerdem, dass der Salzgehalt des nördlichen Atlantiks
durch das Abschmelzen von Inlandeis und Gletschern
schneller sinkt als erwartet und dass ein Versiegen von
wichtigen Meeresströmungen wie des Golfstroms möglich ist. Die Klimaauswirkungen auf Europa wären verheerend.
({0})
Vor diesem Hintergrund muss die Debatte über den
Emissionshandel vor allem auch eine Debatte über die
Chancen für den Klimaschutz durch den Emissionshandel sein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Grill?
Ja.
Herr Kollege Kelber, Ihre dramatische Schilderung
der Folgen des Klimawandels steht in einem nicht unerheblichen Widerspruch zu der just veröffentlichten Studie der Bundesforschungsministerin, in der der Klimawandel mit einem großen Fragezeichen versehen wird.
Welchem Teil der Bundesregierung soll man nun eigentlich glauben?
Herr Grill, Sie waren einmal in einer der EnqueteKommissionen, die sich neben der Frage der Zukunft der
Energieversorgung auch mit diesem Thema beschäftigt
hat. Von daher sind Sie ein aufmerksamer Leser aller
möglichen Studien. Sie wissen, wohin die breite Entwicklung in der Wissenschaft geht, was absolut - so
würden das die Juristen nennen - die Mehrheitsmeinung
ist. Sie kennen die neuen Studien aus Amerika, die
neuen Studien des IPCC, die alle eher in die Richtung
gehen, dass sich die Situation verschärft. Wir glauben
deswegen, dass der Emissionshandel eine gute Chance
bietet, die Klimaschutzverpflichtungen punktgenau zu
erfüllen, dass er vor allem eine Chance für Unternehmen
in Europa und in Deutschland darstellt, dies mit den kostengünstigsten Verfahren umzusetzen.
Es wird in Deutschland oft gesagt, man wolle eine
Harmonisierung des Umweltrechts. Es ist wichtig, festzustellen, dass der Emissionshandel eine Harmonisierung der Klimaschutzbemühungen in Europa bedeutet.
Die scharfe Kritik der EU-Kommission an den Ländern,
die zum Thema Emissionshandel bisher überhaupt nichts
vorgelegt haben oder deren Vorschläge ein deutlicher
Verstoß gegen die Klimaschutzauflagen sind, gibt Anlass zur Hoffnung, dass eine Harmonisierung stattfinden
wird.
Die Fragen an uns sind jetzt: Wie setzen wir den
Emissionshandel um? Wann sollen Regierung und Parlament entscheiden? Welche staatliche Ebene ist zuständig? Bis Ende dieses Monats müssen wir der EU-Kommission unsere Vorschläge zur Umsetzung des
europäischen Emissionshandels in Deutschland übermitteln. Eines ist klar: Bis dann kann die parlamentarische
Beratung nicht abgeschlossen werden. Deswegen wird
die Regierung ihre Vorschläge auch nur mit Parlamentsvorbehalt nach Brüssel geben können. Diesen Parlamentsvorbehalt nehmen wir als Abgeordnete der Regierungskoalition ernst. Da können Sie uns beim Wort
nehmen.
({0})
Jetzt gibt es von der Opposition Kritik daran, dass
über die zwei entscheidenden Gesetze zum Emissionshandel in Deutschland, also über das TreibhausgasEmissionshandelsgesetz und über ein Gesetz über den
Nationalen Allokationsplan, nicht zeitgleich diskutiert
werden kann. Zugegeben, eine zeitgleiche Diskussion
wäre wünschenswert; aber auch die Opposition muss zugestehen, dass im Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz zum Teil erst die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um die Verordnungen und den
Nationalen Allokationsplan in dieser Form aufzustellen.
Auch die Opposition muss Zugeständnisse an den europäischen Terminplan machen. Fast kein EU-Land wird
alle notwendigen Beschlüsse des nationalen Parlaments
bis zum 31. März umgesetzt haben. Und diese Länder
haben keinen Bundesrat, in dem die Opposition vor allem Blockade betreibt.
Stichwort Bundesrat: Die dort eingenommene Rolle
ist wirklich nur noch durch die Kür des Kandidaten für
die Bundespräsidentenwahl an Peinlichkeit zu überbieten. In den Ausschüssen des Bundestages verweigern Sie
zumindest nur die Beratung über die Gesetze und versuchen, die entsprechenden Punkte von der Tagesordnung
zu nehmen.
({1})
Im Bundesrat lehnen Sie aber die kostengünstigste Umsetzung, für die keine neuen Institutionen geschaffen
werden müssen, ab und Sie nehmen tatsächlich in Kauf,
dass eventuell eine hohe Zahl zusätzlicher Prüfer eingestellt werden muss. Die Kosten dafür müssen auf unsere
Unternehmen umgelegt werden. Wie rechtfertigen Sie
eigentlich den Wettbewerbsnachteil, den die Unternehmen durch die Kosten der Zertifikate wegen der unnötigen Zahl von zusätzlichen Beschäftigten im Vergleich
mit anderen Ländern erfahren? Dafür würden Sie ganz
allein die Verantwortung tragen.
({2})
Am dreistesten ist aber der Versuch der Opposition,
jedem am Emissionshandel Beteiligten alles Gewünschte zu versprechen. Man muss dazu nur einmal in
die Medien schauen: Dort liest man von Forderungen der
Opposition nach einem Sondertopf und nach noch einem
Sondertopf oder nach einer günstigen Ausstattung. Liebe
Kollegen von der Opposition, hat Ihnen noch nie jemand
gesagt, dass diese Sondertöpfe dadurch gefüllt werden
müssen, dass die Unternehmen zusätzliche Auflagen bekommen, dass die Unternehmen diese Sonderwünsche
bezahlen müssen? Ist es in Ordnung, eine zusätzliche
Belastung für die Unternehmen zu riskieren, nur um bei
Interessenverbänden parteipolitisch glänzen zu können?
Wollen Sie die andere Methode wählen, nämlich die freiwillige Zusage von Energiewirtschaft und Industrie zum
Klimaschutz auf die privaten Haushalte und die Verkehrsteilnehmer abwälzen? Frau Dött, Sie haben heute
die Gelegenheit, das öffentlich zu bestätigen. Will Frau
Merkel eine höhere Ökosteuer im Verkehr? Will Herr
Westerwelle zusätzliche Belastungen und Auflagen für
Immobilienbesitzer, damit der BDI seine Klimaschutzzusagen nicht einhalten muss?
Eines ist klar: Die Gesamtmenge an Treibhausgasemissionen im Jahr 2012 ist durch internationale Zusagen gedeckelt. Wer Branchen und Interessenverbänden
Zusagen macht - das tun Sie in aller Form öffentlich -,
muss irgendwann auch öffentlich sagen, wer die zusätzlichen Belastungen dafür tragen soll.
({3})
Diesen Mut zur Ehrlichkeit lässt die Opposition leider
vollständig vermissen.
Dabei liegen die Eckpunkte für den Emissionshandel
doch auf der Hand. Es gibt eine Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft. Diese muss eingehalten werden,
nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der Emissionshandel muss seine marktwirtschaftliche Funktion behalten
können, damit die kostengünstigsten Wege gefunden und
nicht versperrt werden. Deswegen sind mir manche Forderungen des BDI in dieser Frage völlig unverständlich.
Vielleicht hat das damit zu tun, dass sich der BDI nach
internen Regieanweisungen dazu entschlossen hat, im
Emissionshandel nur noch holzschnittartig - Zitat aus
seinen eigenen Papieren - zu argumentieren.
Der Emissionshandel muss vor allem einen Anreiz
setzen - darin sind wir uns einig -, den veralteten deutschen Kraftwerkspark zu modernisieren. Ich gebe da
einmal etwas zurück: In den 16 Jahren der Regierung
von CDU/CSU und FDP ist in Westdeutschland in keinem einzigen Braunkohlekraftwerk und praktisch auch
in keinem einzigen Steinkohlekraftwerk der Effizienzgrad verbessert worden.
({4})
Auf Ihren möglichen Einwand, dass diese Kraftwerke
damals noch nicht so alt waren, sage ich: Das gilt ebenfalls für die Kraftwerke aus den 50er-Jahren. Auch die
über 40 Jahre alten Anlagen sind zu Zeiten Ihrer Regierung nicht angefasst worden.
({5})
Für diese Modernisierung braucht es Anreize aus
dem Emissionshandel. Das wäre mit dem Prinzip „Jeder
bekommt so viel Emissionsrechte, wie er benötigt, egal
wie ineffizient die Anlage ist“ nicht zu machen. Aber eines ist auch klar: Wir werden für die Unternehmen Investitionssicherheit schaffen müssen. Dazu gehört natürlich auch, dass wir sowohl für Neu- als auch
Ersatzanlagen sagen müssen, wie sie nach dem Jahr
2012 behandelt werden. Man kann an der Stelle nicht
nur eine Regelung bis zum Jahr 2012 schaffen.
Der Emissionshandel wird zum wichtigen wirtschaftlichen Faktor bei der Entscheidung über den Bau neuer
Kraftwerke werden. Aber er darf nicht der einzige Faktor sein. Deswegen ist mit uns ein Prinzip des Emissionshandels, das bestimmte Energieträger unabhängig
von der technologischen Notwendigkeit bevorzugt oder
ausschließt, nicht zu machen. Auch das muss für den
Emissionshandel festgehalten werden.
Wir wollen beim Klimaschutz weiter Spitze bleiben.
Temperaturbereinigt haben wir 2003 - so die aktuellen
Schätzungen von gestern - die Emissionen des Treibhausgases CO2 in Deutschland um 0,6 Prozent senken
können. Das ist weniger als gewünscht, aber ist weiterhin ein deutlicher Kurs auf die Erfüllung des Klimaschutzziels 2010.
Wenn es diesen Trend nach unten gibt, dann - das
muss doch klar sein - muss auch in der ersten Periode
des Emissionshandels, also für den Durchschnitt der
Jahre 2005 bis 2007, eine weitere Senkung der Emission
von Treibhausgasen erreicht werden.
({6})
Wir wollen keinen Stillstand beim Klimaschutz. Ich
nenne Ihnen hier eine Zahl: Industrie und Energiewirtschaft müssen im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2007
unter die Grenze von 500 Millionen Tonnen CO2 pro
Jahr kommen. Unabhängig davon brauchen wir natürlich
auch weitere Anstrengungen in den Bereichen Verkehr
und private Haushalte.
Oft wird in der hitzigen Debatte über den Emissionshandel vergessen, dass wir unser Klimaschutzziel 2010
schon fast erfüllt haben. 21 Prozent Emissionsminderung wollten wir bis 2010 schaffen. Über 19 Prozent
Emissionsminderung sind bereits erreicht. Es geht also
nur noch um zwei Prozentpunkte. Das ist fast ein Luxusproblem, jedenfalls verglichen mit Ländern wie Italien,
Spanien, Irland, Österreich oder Dänemark, in denen
zum Teil eine Minderung um mehr als 20 Prozent notwendig ist.
Gleichzeitig entsteht dadurch in Europa ein riesiger
Markt für neue Technologien, für neue Dienstleistungen,
den wir mit dem, was wir hier entwickelt haben, nutzen
können. Ein Denkanstoß für die, die immer glauben
- ohne Prüfung, nur aus Vorurteilen heraus -, wir seien
die Einzigen, die beim Klimaschutz vorneweg gingen:
Auch Großbritannien hat diesen Markt, nämlich den
Markt für Emissionsrechte, für Technologien, für
Dienstleistungen, für sich erkannt. Großbritannien legt
seinen nationalen Allokationsplan so aus, dass mit dem
Emissionshandel die Klimaschutzverpflichtungen sogar
übererfüllt werden. Zu Recht verspricht man sich davon
viele wirtschaftliche Vorteile. Einige Analysten der Banken sehen gerade für die energie- und emissionsintensiven Unternehmen in Deutschland und in Großbritannien,
gerade weil das die Länder sind, die im Klimaschutz
vorneweg sind, große Wertentwicklungen. RWE ist in
Kenntnis der neuen Gesetze gerade auf „Strong Buy“ gesetzt worden.
Für uns heißt das: Klimaschutz ist nicht nur eine moralische Verpflichtung, sondern auch eine riesige wirtschaftliche Chance. Klimaschutz wird in Deutschland
- das steht außer Zweifel - zum Klimaknüller werden.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als
Zwischenergebnis der heutigen Diskussion können wir
festhalten, dass der Bundesumweltminister wiederum
nicht in der Lage gewesen ist, eine abgestimmte Position
der Bundesregierung zum Thema Emissionshandel dem
Parlament vorzutragen und darzulegen, welchen Nationalen Allokationsplan Deutschland nach Brüssel melden
will - und das wenige Tage vor Ablauf der Frist. Uns
wird dazu gesagt, das Kabinett, insbesondere der Wirtschafts- und der Umweltminister, wird sich bis Ende
März schon einigen. Man muss dazu in aller Deutlichkeit sagen: Es wird nach Brüssel ein Nationaler Allokationsplan gemeldet, der nicht mit den Gremien des Deutschen Bundestages abgestimmt ist. Das ist ein Faktum,
und das können wir nicht hinnehmen.
({0})
Man kann den Emissionshandel in der Tat nur folgendermaßen beschreiben: Er ist ein wichtiges umweltpolitisches Instrument, das massiv in die wirtschaftliche
Struktur Deutschlands eingreift. Ein solches Instrument muss deshalb im deutschen Parlament beraten werden, bevor es nach Brüssel gemeldet wird.
({1})
Sie setzen sich damit doch auch dem Vorwurf aus,
dass Sie Angst haben, dass noch rechtzeitig vor der Meldung nach Brüssel darüber diskutiert wird, was wirklich
in dem Plan steht. Wovor haben Sie eigentlich Angst?
Haben Sie vielleicht Angst, dass dann deutlich wird,
dass es sich um eine Mogelpackung handelt, auf der
außen Umweltschutz steht, in der aber in Wirklichkeit
der Wirtschaft ein Schraubstock angelegt wird? Genau
das könnten wir im Augenblick nicht gebrauchen. Um
einen solchen Vorwurf aus dem Weg zu räumen, sollten
Sie all das auf den Tisch legen, was inoffiziell bekannt
ist. Warum weigern Sie sich, eine offene Diskussion in
diesem Hause zu führen?
({2})
Noch eines sage ich ganz deutlich: Methodisch kann
ein Emissionshandel - Herr Kelber, Sie haben das in Ihrer Rede auch angesprochen - natürlich nur dann laufen,
wenn gleichzeitig eine Strategie der Verknappung verfolgt wird. Ohne eine Verknappung kann tatsächlich kein
Preis gebildet werden.
({3})
Jetzt stellt sich doch als Erstes die Frage, von welchen
Zahlen überhaupt ausgegangen wird. Ich als Abgeordneter halte es schon für ein starkes Stück, dass wir in den
letzten Tagen laufend in den Zeitungen Meldungen lesen
konnten, dass die Wirtschaft 501, 505 oder 508 Millionen Tonnen CO2 ausstoße, dass aber der Deutsche Bundestag dazu keine Zahlen bekommt. Ich habe am Mittwoch im Ausschuss die Frage gestellt, ob die Zahlen
überhaupt plausibel sind und gegengeschätzt worden
sind. Wenn sich bei einer Prüfung herausstellen sollte,
dass 508 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß nicht stimmen, ist auch Ihr Vorwurf, Herr Bundesumweltminister,
dass die Wirtschaft ihre Selbstverpflichtung nicht eingehalten habe, gegenstandslos. Dieser Vorwurf ist letztlich
nur berechtigt, wenn die Zahlen plausibel dargelegt worden sind.
Ich habe am Mittwoch im Ausschuss auch die Frage
gestellt: Wie kommen Sie zu dem Ergebnis - wir wissen
das ja nur inoffiziell -, dass Deutschland circa 35 Millionen Tonnen prozessbedingte CO2-Emissionen angerechnet werden können? Ich kann genauso gut anhand von
Gegenschätzungen belegen - wir haben uns schon mit
einigen Leuten unterhalten -, dass die Zahlen so nicht
stimmen und Deutschland eventuell sogar über 50 Millionen Tonnen prozessbedingter CO2-Emissionen angerechnet werden müssen. Das bedeutet, all Ihre Reduktionszahlen stimmen nicht.
({4})
- Zum Inhaltlichen komme ich gleich noch, Herr
Kelber. - Ich möchte also der Öffentlichkeit sagen: Bis
jetzt gibt es keine Prüfung, ob die Zahlen, die Sie schon
vorab herausgegeben haben, plausibel sind und stimmen.
Sie machen diese Zahlen aber zur Grundlage für eine
Meldung nach Brüssel. Das halten wir für unverantwortlich.
({5})
Dann sagen Sie, um das Beispiel einmal fortzuführen,
wir setzten nur das um, was mit der Wirtschaft vereinbart wurde. Zunächst einmal haben Sie anderthalb Jahre
gewartet, bevor Sie diese Vereinbarung unterschrieben
haben. Hier stellt sich gleich eine methodische Frage:
Soweit ich das richtig in Erinnerung habe, sind die in der
Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft enthaltenen Fristen nicht identisch mit denen im Kioto-Protokoll. In der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft
stehen als Fristen die Jahre 2005 und 2010, nach dem
Kioto-Protokoll beginnt die entscheidende Phase 2012.
({6})
Ich möchte gerne einmal wissen, wie die in der Selbstverpflichtungserklärung enthaltenen Zahlen und Ihre
Zahlen vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen
Zeitschienen tatsächlich abgestimmt sind. Darüber muss
man doch diskutieren können, Herr Kelber, ohne sich
gleich den Vorwurf einzuhandeln, einer objektiven Diskussion zum Emissionshandel ausweichen zu wollen.
Das ist nämlich nicht der Fall. Wir wollen aber die verträglichen, guten und richtigen Grundlagen eines Emissionshandels erfahren und keine Scheinzahlen, wie sie
im Augenblick durch die interessierte Landschaft geistern. Das muss man einmal klar und deutlich sagen.
Herr Minister, Frau Homburger hat gerade schon auf
den tatsächlichen Hintergrund des Streits im Bundesrat
hingewiesen. Es war interessant, dass Sie sich fünf Minuten lautstark mit der Rede von Dr. Lippold befasst haben, aber an keiner Stelle gesagt haben, wo Sie inhaltlich
wirklich stehen. Dann haben Sie sich inhaltlich positioniert und gesagt, der Bundesrat wolle keine Vereinfachung der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung.
({7})
- Nein, das stimmt nicht. - Aus meiner Sicht war das
wiederum eine typische Halbinformation für die Öffentlichkeit, die suggeriert, nur Ihr Weg sei unbürokratisch
und einfach. Sie nennen nicht den wirklichen Streitpunkt; denn wenn Sie ihn nennen würden, könnten Sie
Ihre Argumentationsschiene nicht weiter fahren.
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es ist doch bekannt,
dass der Bundesrat die Frage gestellt hat, ob Ihr TEHGEntwurf wirklich richtig sei oder ob dort nicht Bestimmungen aus der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung aufgenommen werden sollten. Darüber kann man
sich doch streiten. Das wäre vielleicht sogar eine sinnvolle Lösung, denn dann wäre dieses Verfahren Bestandteil einer gesetzlichen Regelung. Was haben Sie gemacht? Sie haben gesagt, darüber diskutieren wir
überhaupt nicht, fertig, aus. Wer so mit dem Bundesrat
umspringt, der darf sich nicht wundern, wenn der Bundesrat als Verfassungsorgan sagt: Herr Trittin, das ist
kein ordentliches Auftreten vor dem Bundesrat. - Sie
tragen damit die Verantwortung dafür, dass keine Diskussion mit dem Bundesrat darüber zustande kommt,
wie das Verfahren einfacher gestaltet werden kann. Sie
sagen immer nur: Wenn nicht anerkannt wird, dass
meine Zahlen stimmen, dann diskutiere ich mit der Öffentlichkeit und der Industrie nicht. Sie sagen: Entweder
übernimmt der Bundesrat meine Vorschläge zu der Abwicklung des Verfahrens oder ich diskutiere mit dem
Bundesrat nicht.
Das ist eine Politik, die dem Klimaschutz auf Dauer
nur Schaden zufügen wird. Deshalb sagen wir: Hören
Sie auf mit dieser Betonhaltung und versuchen Sie, saubere Kompromisse anzustreben! Dann hätten Sie auch in
Sachen Emissionshandel eine bessere Position.
({8})
Dann wird gesagt, das Ganze werde wohl keine Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur haben. Es ist
schon spannend, zu sehen, dass wir im Deutschen Bundestag vor der Abgabe nach Brüssel nicht rechtzeitig
darüber diskutieren sollen, ob ein Benchmarking für den
Neubau von Erdgaskraftwerken richtig ist. Die Antwort finden Sie in Nordrhein-Westfalen. Dort soll eines
der modernsten Braunkohlekraftwerke der Welt gebaut werden. Wenn sich das Benchmarking für Erdgaskraftwerke durchsetzt, dann lohnt sich der Bau dieses
Braunkohlekraftwerkes in Nordrhein-Westfalen nicht
mehr.
Dabei darf nicht übersehen werden, dass Sie damit
auch die heimische Energieversorgung durcheinanderwirbeln. Man muss doch im Deutschen Bundestag einmal über die Frage diskutieren, ob es immer richtig ist,
auf Erdgas zu setzen.
({9})
- Herr Loske, das Benchmarking für Erdgaskraftwerke
wird die Position des Erdgases so stärken, dass die heimische Braunkohle aus Mitteldeutschland, Ostdeutschland und dem Rheinland nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Da muss man doch die Frage stellen, ob es richtig ist,
über den Emissionshandel eine solche Strukturveränderung herbeizuführen. Das muss auch im Deutschen Bundestag diskutiert werden.
({10})
Die Antwort aus Nordrhein-Westfalen haben wir
schon bekommen, Herr Kelber. Der Infrastrukturminister, Herr Horstmann, hat ganz deutlich erklärt, das Konzept des Nationalen Allokationsplanes könne nicht akzeptiert werden, es sei auch eindeutig gegen die
wirtschaftlichen Interessen Nordrhein-Westfalens gerichtet. Es ist sehr interessant, dass Sie als Abgeordneter
aus Nordrhein-Westfalen erklärt haben, im Zweifel interessiere Sie das alles nicht, Sie verträten die Position des
Umweltministers. Das wird vor allem mit Blick auf die
in den nächsten Wochen anstehende politische Diskussion in Nordrhein-Westfalen interessant werden.
({11})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kelber?
Ja.
Die Zeit ist eigentlich abgelaufen.
Deshalb erlaube ich sie ja.
({0})
Ich bitte dann um eine kurze Antwort. - Bitte.
Er muss ja gar keine Antwort geben, denn nach § 27
Abs. 2 der Geschäftsordnung ist auch eine Zwischenbemerkung erlaubt.
Sie haben gerade einen sehr unfairen Trick versucht,
indem Sie behauptet haben, dass der Ersatz eines Braunkohlekraftwerks bei einer Gas-Benchmark nicht machbar wäre und ich das als Abgeordneter aus NordrheinWestfalen unterstützen würde. Da auch Sie aus Nordrhein-Westfalen kommen und da Sie als Umweltpolitiker
vor Ihrer Rede hoffentlich wenigstens Entwürfe und
auch Stellungnahmen der SPD gelesen haben, müsste Ihnen bekannt sein, dass bei der Übertragung auf ein neues
Kohlekraftwerk die Menge von Zertifikaten mitgenommen werden kann, während das bei der Übertragung auf
ein Gaskraftwerk zeitlich begrenzt ist. Auch das sollten
Sie wenigstens sagen, um die Öffentlichkeit nicht bewusst in die Irre zu führen.
Herr Kelber, ich muss Ihnen dazu in aller Deutlichkeit
sagen, dass die Übertragungsregelungen nicht ausreichend sind. Sie sind nach dem bisherigen Entwurf - die
SPD hat vielleicht noch etwas anderes vor -, den wir in
der Straßenbahn gefunden haben, nur bis 2012 gültig.
Das bedeutet im Klartext, dass all das, was nach 2012
passiert, eindeutig zulasten der heimischen Energieversorgung geht. Herr Kelber, dieser Punkt muss öffentlichkeitswirksam diskutiert werden, damit es nicht eine Entscheidung gibt, die zulasten Nordrhein-Westfalens und
der neuen Bundesländer geht.
({0})
Zum Abschluss will ich deutlich sagen: Wir sind für
den Emissionshandel. Ich hoffe sehr, deutlich gemacht
zu haben, dass die Unionsfraktion dafür plädiert, dass
die Zahlen auf den Tisch kommen. Wir können nämlich
nur dann Klimaschutz und Wirtschaftspolitik zusammenführen, wenn wir eindeutig wissen, auf welcher Datenbasis wir entscheiden. Wenn wir das nicht erreichen,
dann laufen wir in der Tat Gefahr, die Weichen falsch zu
stellen und damit zulasten Deutschlands eine negative
Entscheidung für unsere Wirtschaft zu treffen. Das wollen wir nicht. Deshalb, Herr Minister, haben wir die
große Bitte, dass das deutsche Parlament vor der Abgabe
Ihrer Stellungnahme beteiligt wird.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich meine eigenen Argumente vortrage, will ich auf
einige Argumente meiner Vorredner eingehen.
Erstens. Ein Argument, das von beiden Oppositionsfraktionen vorgetragen wurde, war, das TreibhausgasEmissionshandelsgesetz - das ist ein furchtbar langer Titel - könne nicht behandelt werden, bevor der Nationale
Allokationsplan verabschiedet sei. Ich glaube, dieses Argument ist falsch. Denn der NAP verhält sich zum
TEHG wie das Kioto-Protokoll zur Klimarahmenkonvention. Das eine ist das Dachgesetz und das andere sind
die konkreten Durchführungsbestimmungen, in denen
die Lastenverteilung definiert wird.
({0})
Das heißt, wir haben es einerseits mit der Struktur und
andererseits mit der konkreten Zuteilung zu tun. Dieses
vernünftige Vorgehen ist in gar keiner Weise kritikwürdig.
Zweitens. Den Vorwurf, es gebe mehr Bürokratie,
müssen wir mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Im
Gegenteil gilt: Was Sie vorschlagen, bedeutet mehr Bürokratie. Der Vorschlag des Umweltministeriums hinsichtlich der Übertragungsregelung ist so einfach, dass
er an Schlichtheit praktisch nicht mehr zu überbieten ist.
Ihr Vorschlag - dazu gehören das doppelte Verfahren,
das Sie uns über den Bundesrat aufdrücken wollen, aber
nicht durchbekommen werden, und inhaltlich die brennstoffspezifischen Benchmarks - würde viel mehr Bürokratie nach sich ziehen. Es ist eindeutig, dass wir das
nicht mitmachen werden.
({1})
Drittens. Sie haben so getan, als würden unterschiedliche Zahlen im Raum kursieren.
({2})
Das ist nicht zutreffend.
({3})
Die Zahl von 508 Millionen Tonnen für das Jahr 1998 ist
seit langem in der Öffentlichkeit bekannt und ist zwischen BMWA und BMU unstrittig.
({4})
Insofern geht dieser Vorwurf ins Leere.
Ich komme jetzt zu meinen Argumenten. Wenn man
sich einmal die Diskussion der letzten Monate anschaut,
dann erkennt man, dass das Klimathema aufgrund
zweier Aspekte sehr stark im Mittelpunkt gestanden hat.
Es geht zum einen um das Thema Sicherheit und zum
anderen um das Thema Innovation. Vor wenigen Wochen ist ein Szenario bekannt geworden - es wurde interessanterweise im Auftrag des Pentagons entwickelt -,
das beschreibt, was ein abrupter Klimawechsel für die
nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bedeuten
würde. Dieses Szenario basiert im Wesentlichen auf Forschungen in Deutschland, nämlich auf den Erkenntnissen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Stefan Rahmsdorf bekam dafür den höchsten amerikanischen Wissenschaftspreis.
({5})
Diesem Szenario kann man entnehmen: Wenn wir in
Sachen Klimapolitik so weitermachen wie bisher, dann
wird es möglicherweise zu einem abrupten Klimawandel
kommen, der uns sehr teuer zu stehen kommen könnte.
Ich kritisiere - das ist mein Hauptkritikpunkt -, dass Sie
die Kosten aufgrund unterlassenen Handelns überhaupt
nicht berücksichtigen.
({6})
Vor wenigen Wochen hat das Fraunhofer-Institut
seine zwölf Leitinnovationen vorgestellt. Wenn man sie
einmal systematisch durchgeht, dann kann man ganz
klar erkennen: Viele Innovationen, um die es geht, beziehen sich unmittelbar auf erneuerbare Energien, dezentrale Systeme, Energieeffizienz und Energieeinsparung.
Diese Innovationen können wir nur mobilisieren und
lostreten, wenn wir die Rahmenbedingungen tatsächlich
so setzen, dass sie förderlich sind. Wir sollten das Thema
Klimawandel also auch unter dem Aspekt Innovationsanreiz sehen. Diesem Ziel dient der Emissionshandel.
Zur Rolle Europas. Die Europäische Union war immer der Vorreiter und der Hoffnungsträger in Sachen internationaler Klimapolitik. Wir waren diejenigen, die
das Kioto-Protokoll zusammen mit der G 77 und Japan
durchgesetzt haben. Was wir jetzt in Sachen Emissionshandel erleben, ist nichts anderes - Herr Kollege
Paziorek, vielleicht hören Sie einmal zu - als die Manifestation des europäischen Willens, die Kioto-Ziele tatsächlich zu erreichen.
({7})
Darum geht es.
({8})
Man kann nicht nach dem Motto verfahren: Wasch mir
den Pelz, aber mach mich nicht nass!
({9})
Ich habe manchmal den Eindruck von Ihnen, dass Sie
den Emissionshandel schlagen, in Wahrheit aber den
Klimaschutz meinen, sich jedoch nicht trauen, das zu sagen.
({10})
Wenn man sich anschaut, wie es in den anderen Ländern aussieht, dann muss man feststellen: Es gibt bereits
in vielen Ländern Nationale Allokationspläne. Die Briten haben einen vorgelegt, der sehr ambitioniert ist und
sehr weit geht, sogar über das Kioto-Ziel hinaus. Die
Franzosen haben einen vorgelegt, der respektabel ist.
Auch bei den Dänen sieht es, obwohl sie noch weit von
der Zielerreichung entfernt sind, ganz respektabel aus.
Es gibt aber auch Nationale Allokationspläne - das muss
man sagen; dazu gehört nach unserer Einschätzung der
österreichische -, die nicht notifizierungsfähig sind, weil
sie sich nicht an den klaren Aussagen des Kioto-Protokolls orientieren. Es geht um ein Ziel und um die Erreichung dieses Ziels. Man kann nicht erst die Emissionen
anwachsen lassen und versprechen, dass man später vielleicht reduziert. Es ist gut, dass die Kommission zugesagt hat, dass sie alle Nationalen Allokationspläne gleich
streng behandelt und diejenigen, die nicht schlüssig sind,
zurückweist. Das ist ganz wichtig für uns.
({11})
Zum nächsten Punkt. Für uns ist ganz zentral und so
viel Ehrlichkeit erwarten wir von Ihnen - Uli Kelber hat
es angesprochen -: Wenn Sie der Industrie mehr Emissionen zugestehen wollen und gleichzeitig sagen, dass
Sie das Kioto-Ziel erreichen wollen, dann müssen Sie
auch sagen, wer mehr machen muss und wie das bezahlt
werden soll. Denn eines geht nicht: Wir können nicht der
Industrie mehr Rechte zuweisen und gleichzeitig bei den
privaten Haushalten und beim Verkehr mehr Einsparungen verlangen, ohne Instrumente anzubieten. Insofern ist Ihre Politik überhaupt nicht stimmig.
Zwischen 1990 und 1998 haben wir doch folgende
Tendenz gehabt: Bei den privaten Haushalten und beim
Verkehr stiegen die Emissionen an, bei der Industrie und
bei der Energiewirtschaft sanken sie aufgrund des industriellen Zusammenbruchs in Ostdeutschland und aufgrund von Modernisierungsinvestitionen. Seit 1999 sieht
die Tendenz anders aus: Im Bereich der privaten Haushalte und im Bereich des Verkehrs gehen die Emissionen
vor allen Dingen aufgrund der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, leicht - wenn auch zu langsam - zurück
und im Bereich der Energiewirtschaft steigen sie wieder
an. Das heißt, jetzt ist die Industrie an der Reihe. Das
muss man im Sinne von Ausgewogenheit und Gerechtigkeit sehen.
({12})
Jetzt konkret zum Emissionshandel. Für uns sind folgende Punkte wichtig und ganz zentral:
Erstens. Wir brauchen Ziele für beide Perioden, also
für die Periode 2005 bis 2007 und für die Periode 2008
bis 2012, damit wir Planungssicherheit haben. Es
kommt in der Tat - das wurde von mehreren Rednern gesagt - auf die langen Linien an. Das ist entscheidend. Es
kommt, wie Uli Kelber zu Recht sagt, darauf an, was
nach 2012 ist. Wir haben es ja häufig mit Investments zu
tun, die von der Kapitalbindungszeit her weit über 2012
hinaus reichen. Deswegen setzen wir uns für lange Linien, für Klarheit auf der langen Linie, für Planungssicherheit ein. Das heißt, für die erste und die zweite Periode brauchen wir ein Ziel.
Zweitens zur Zielmarke. Für 2005/2007 muss das Ziel
lauten, deutlich unter 500 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu liegen. Das ist ganz klar. Wir erwarten, dass die
Industrie im Jahr 2012 ihre Zusage einlöst, um 45 Millionen Tonnen unter dem Niveau von 1998 zu liegen. Das
ist für uns sehr zentral.
Zur Architektur. Wichtig ist für uns, dass wir eine
wirksame Übertragungsregelung haben, die wirklich
Anreize für frühe Investitionen und Innovationen
schafft. Vor allen Dingen ist auch wichtig - da stimme
ich sowohl der Union als auch der FDP zu -, dass wir
eine Regelung brauchen, die handhabbar, einfach und
unbürokratisch ist und die vor allen Dingen eine geringe
Missbrauchsanfälligkeit aufweist. Wir müssen höllisch
aufpassen, dass keine Fehlanreize dahin gehend gesetzt
werden, dass man anfängt, mit dem ganzen Instrumentarium zu spielen. Das heißt, Einfachheit und Transparenz
sind ganz wichtig.
Zum letzten Punkt, zum technischen Benchmark. Ich
will jetzt nicht in die Details gehen. Aber die Wahrheit
gebietet es natürlich, auch zu sagen, dass eine Teilstrategie des Klimaschutzes die Substitution von kohlenstoffreichen Energieträgern durch kohlenstoffarme oder kohlenstofffreie Energieträger ist. Das ist der ganze Sinn des
Klimaschutzes. Es wäre gelogen, wenn man sagen
würde, dass das kein Motiv sei. Aber bei der Übertragungsregelung - jetzt komme ich zu dem eigentlichen
Punkt - gibt es überhaupt keinen technischen Benchmark. Das heißt - um es einmal konkret zu sagen -, der
Profiteur unserer Übertragungsregelung wären RWE und
Eon.
Was die Early Action, also die frühe Reduzierung, betrifft, sind gerade wir diejenigen, die sagen: Okay, wir
erkennen an, was in den neuen Bundesländern geleistet
worden ist.
({13})
Es geht um das, was in den neuen Bundesländern zwischen 1990 und 1998 geleistet worden ist. Das wollen
wir ausdrücklich anerkennen.
Ich komme zum Schluss. Für uns ist der Emissionshandel kein Ziel. Der Emissionshandel ist ein Instrument, mit
dem wir unserem Klimaschutzziel näher kommen werden. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass wir alle einmal bis zum Jahr 2005 eine Reduktion von 25 Prozent
erreichen wollten. Es kommt mir daher ein wenig seltsam vor, wenn Sie hier von einer angeblichen Überbelastung reden.
Zum Zweiten muss es Anreize für Investitionen und
Innovationen geben. Dafür werden wir streiten. Das geht
auf der Grundlage des Entwurfs, der jetzt im Raum steht.
Danke schön.
({14})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Dr. Peter Paziorek das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Reinhard Loske,
Sie haben mich gerade persönlich angesprochen. Ich
möchte die Gelegenheit zur Klarstellung nutzen, damit
der Eindruck, den Sie gewonnen und wiedergegeben haben, nicht als richtig und dauerhaft im Raum stehen bleibt.
Derjenige, der kritische Fragen stellt - wir haben das
in unseren Redebeiträgen gemacht - und hinterfragt, ob
das Zahlenwerk richtig und damit eine richtige Grundlage für die Ausgestaltung des Nationalen Allokationsplans vorhanden ist, darf nicht zum Handlanger oder zu
jemandem, der die Instrumente der Wirtschaft vorbehaltlos übernimmt, degradiert werden. Das geht nicht.
Es muss klar und deutlich gesagt werden, lieber
Reinhard Loske, dass zum Beispiel gewaltige technische
Probleme zu lösen sind. Wenn wir den jetzigen CO2Ausstoß mit 100 Prozent definieren und uns zum Ziel
setzen, im Jahr 2008 oder 2012 92 Prozent zu erreichen,
dann verlangt das gewaltige technische Anstrengungen.
Von der Kalk- und Zementindustrie beispielsweise wissen wir aber genau, dass sie technologisch nicht in der
Lage sind, zu weiteren Einsparungen zu kommen. Daher
stellt sich die Frage: Ist es ein sinnvoller Weg, bestimmte
Industriezweige in Deutschland zu belasten, die sich im
Augenblick technologisch nicht verbessern können?
Diese wären gezwungen, Kosten aufzuwenden, um Zertifikate zu kaufen; damit würde sich die Produktion in
Deutschland verteuern. Das können Sie doch nicht wollen; denn das hätte zur Konsequenz, dass zum Beispiel
die Zementproduktion im Ausland günstiger wird. Wir
müssen doch berücksichtigen, dass wir Zement mit dem
Schiff von Australien nach Deutschland bringen können.
({0})
Das sind unsere konkreten Fragen. Wir wollen uns
doch nicht vom Emissionshandel absetzen, sondern wir
wollen die offenen Fragen in Ausschuss und Parlament
diskutieren. Derjenige, der das will, ist doch kein Gegner
des Emissionshandels oder gar Handlanger der Industrie,
sondern es handelt sich um jemanden, der bereit ist, über
offene Punkte zu diskutieren, damit wir Umwelt- und
Wirtschaftspolitik zusammenführen können.
Herzlichen Dank.
({1})
Zur Erwiderung erhält Herr Dr. Loske das Wort.
Herr Präsident! Lieber Kollege Paziorek, selbstverständlich stelle ich Ihre klimapolitische Integrität nicht
infrage. Wie käme ich dazu? Wir ziehen in vielerlei Hinsicht an einem Strang. Zwei Ihrer Argumente halte ich
jedoch nicht für stark, ehrlich gesagt halte ich sie für
falsch und schwach.
Sie haben die Zementindustrie angesprochen. Gerade
die Prozessenergie wird komplett mit einem Erfüllungsfaktor eins ausgestattet.
({0})
- Doch, das ist der Fall. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Industrie anders als die Elektrizitätswirtschaft tatsächlich auf einem moderaten Pfad nach unten
ist und deswegen mit der bedarfsgerechten Ausstattung
in der ersten Verpflichtungsperiode auskommen wird.
Daher ist das Argument, das Sie angeführt haben,
schlicht und einfach unzutreffend.
({1})
- Ich habe es doch genannt: Prozessenergie.
({2})
Ihr zweites Argument bezog sich auf das Zwischenziel. Wir haben doch das „Endziel“ - ich benutze Gänsefüßchen, weil das Wort Endziel in der deutschen Sprache
belastet ist - oder, anders gesagt, das Abschlussziel
2012. Sie sagten: Macht doch keine Zwischenfestlegungen, keine Etappenziele. Dazu möchte ich zweierlei festhalten: Erstens. Wir haben das Etappenziel, das uns die
Industrie zugesagt hat, und geben noch etwas dazu.
Zweitens. Ich möchte Ihnen das Bild des Flusses vor Augen führen. Ein Fluss fließt grundsätzlich von oben nach
unten. Er mäandriert zwar manchmal ein wenig, das soll
und darf er auch, aber er fließt niemals zuerst bergauf
und dann bergab. So wollen auch wir das ausgestalten,
der Fluss soll von oben nach unten fließen. Dass er zwischenzeitlich ein wenig mäandriert, ist vollkommen klar.
Es handelt sich schließlich nicht um ein Korsett oder um
einen Schraubstock, sondern um ein Flussbett und in
diesem muss er sich bewegen.
({3})
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marie-Luise Dött von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum
Thema Emissionshandel schreibt die „FAZ“ in der letzten Woche: „Das Parlament … tappt noch im dunklen.“
({0})
Wie wahr! Denn auch die Beantwortung unserer Großen
Anfrage an die Bundesregierung war nicht wirklich erhellend. Auf unsere detaillierten und sehr konkreten Fragen zur nationalen Ausgestaltung des Emissionshandels
gibt die Bundesregierung keine Auskünfte oder vertröstet uns auf einen späteren Zeitpunkt. Erst mit der Vorlage
des Nationalen Allokationsplanes soll zu den drängenden Fragen der Umsetzung Stellung bezogen werden.
Dabei hatte das Ministerium, als es unsere Große Anfrage beantwortete, schon längst einen Entwurf des Nationalen Allokationsplanes in der Schublade liegen. Denn
nur einen Tag später wurde den Wirtschaftsvertretern
vom Bundesumweltministerium ein erster Entwurf überreicht. Auch dem Parlament hätte zu diesem Zeitpunkt
unschwer Auskunft erteilt werden können.
({1})
Es ist nur eine Frage des Willens.
({2})
Herr Trittin, die unzureichende und späte Antwort auf
unsere Anfrage reiht sich nahtlos in die Desinformationspolitik ein, die Ihr Haus gegenüber dem Deutschen Bundestag betreibt. Für mich ist es nicht nur eine Frage der
Rechtsstaatlichkeit, sondern auch eine Frage von Respekt gegenüber der Bevölkerung und gegenüber den
Volksvertretern. Es ist eine Frage von Respekt, dem Parlament die Möglichkeit und auch die Zeit zu geben, sich
mit den Inhalten eines Gesetzentwurfes zu befassen, insbesondere wenn es sich um ein Gesetz handelt, das den
Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort Deutschland
ganz erheblich verändern kann. Beides wird uns im Fall
des NAP-Gesetzes verwehrt.
An dem übereilten Tempo, mit dem Sie das Gesetz
durch die parlamentarischen Gremien schleifen wollen,
wird deutlich, wie wenig Ihnen an der Meinung und der
Einschätzung des Bundestages liegt.
({3})
Durch Ihren unnötig straffen Zeitplan verwehren Sie den
Abgeordneten eine dezidierte und fachliche Auseinandersetzung mit der Materie.
Gleiches spielte sich diese Woche beim TEHG ab. Sie haben erhebliche Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf angekündigt. Dem Vernehmen nach soll die administrative
Struktur des Handelssystems völlig neu gestaltet werden. Es soll eine Bundeszuständigkeit für die behördliche Überwachung und Kontrolle etabliert werden. Zur
Anberatung des Gesetzes am Mittwoch, also gestern,
wurden dem federführenden Umweltausschuss die Änderungen aber vorenthalten. Die Abgeordneten wurden
nicht informiert.
({4})
Aber nicht nur durch das enge Zeitfenster, sondern
auch durch das äußerst unübliche Gesetzgebungskonstrukt, das Sie für das NAP-Gesetz vorschlagen, missachten Sie die Rechte des Parlaments. Herr Trittin, machen Sie uns doch nicht weis, dass der Bundestag beim
Nationalen Allokationsplan überhaupt noch mitreden
könnte. Wir Abgeordneten - damit spreche ich vor allem
auch die Kollegen von der Regierungskoalition an - haben doch gar keine wirkliche Einflussmöglichkeit mehr.
({5})
Jeder Änderungsentwurf des Parlaments bedeutet
zwangsläufig eine Verzögerung des Zuteilungsverfahrens im nationalen Bereich. Die Folge sind Wettbewerbsverzerrungen zulasten unserer Unternehmen. Wer
möchte denn das auf sich nehmen?
Tatsache ist, dass die entscheidenden Weichenstellungen für den Emissionshandel in Deutschland mit der
Vorlage des Nationalen Allokationsplanes bei der EUKommission festgelegt werden. Die Spielräume des Parlaments werden auf null reduziert, wenn es seine Entscheidungen inhaltlich auf der Grundlage eines
Beschlusses fassen muss, der durch die Vorlage bei der
Kommission schon bindend ist. Nicht das deutsche
Parlament entscheidet, wie der Emissionshandel in
Deutschland aussehen wird, sondern das Umweltministerium in Absprache mit der EU-Kommission.
Der Gesetzgeber wird somit faktisch an die Vorgaben
der Verwaltung gebunden. Das widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip. Die Sachverständigen haben in der Anhörung des
Umweltausschusses sogar von einer Entmachtung des
Parlaments gesprochen.
Dieser faktische Ausschluss des demokratisch gewählten Gesetzgebers wiegt umso schwerer, wenn man
sich die Folgen, die der Nationale Allokationsplan haben
kann, vor Augen führt. Mit der Zuteilung der Bewirtschaftungsrechte können Sie, Herr Trittin, wesentlich in
den Arbeitsmarkt und den Wirtschaftsstandort
Deutschland eingreifen. Es kann zu Wettbewerbsverzerrungen und zu Arbeitsplatzverlusten kommen. Schon gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten können einschneidende Standortnachteile eintreten; denn andere
europäische Länder haben erheblich geringere CO2-Minderungslasten übernommen als Deutschland. Hinzu
kommt, dass Frankreich und die Niederlande die Belastungen für ihre Klientel so gering wie möglich halten
wollen. Dadurch haben die französischen und niederländischen Unternehmen gegenüber den deutschen geldwerte Vorteile.
Die teilnehmende Industrie, beispielsweise die Stahlund Chemieindustrie, steht aber nicht nur im europäischen, sondern auch im weltweiten Wettbewerb. Ihre
Produkte konkurrieren mit Produkten aus China, aus den
USA und aus Russland. Diese Länder haben das KiotoProtokoll nicht ratifiziert. Sie unterliegen also nicht dem
Emissionshandel und warten nur darauf, die deutschen
Hersteller über ihre Preise zu schlagen. Mit Ihrer Form
des Emissionshandels spielen Sie, Herr Trittin, diesen
Wettbewerbern genau in die Hände.
({6})
Wenn Sie die Industrie zwingen, über ihre Selbstverpflichtung hinaus Zertifikate hinzuzukaufen, weil Sie
zum Beispiel die prozessbedingten Emissionen nicht anerkennen - was prozessbedingt ist, ist ja noch gar nicht
definiert -,
({7})
können unsere Unternehmen, was die Preise betrifft, international nicht mithalten. Das hat Folgen für den
Standort Deutschland: eine Einschränkung der Produktion, eine massive Verlagerung der Produktionsstandorte, Werksschließungen und damit zwangsläufig einhergehend Arbeitsplatzverluste. Allein in der Stahlindustrie
sind in Deutschland 10 000 Arbeitsplätze durch den
Emissionshandel bedroht. Diese Arbeitsplätze zu verlieren, das können wir uns schlichtweg nicht leisten. Denken Sie nur an die Arbeitsmarktzahlen, die heute veröffentlicht worden sind.
({8})
Angesichts der verheerenden Auswirkungen, die der
Emissionshandel in Deutschland haben kann, ist eine
Beschneidung der parlamentarischen Rechte bei der nationalen Gesetzgebung unverantwortlich.
({9})
So, wie Sie, Herr Trittin, es im TEHG beschreiben, sieht
ein sauberes Gesetzgebungsverfahren nicht aus. Ein sauberes Gesetzgebungsverfahren hätte dem Parlament
seine Entscheidungsmacht belassen und es bereits vor
der Vorlage des Allokationsplans auf europäischer
Ebene beteiligt. Das, was Sie, Herr Trittin, anstreben, ist
kein Gesetzgebungsverfahren, sondern eine Farce. Es
steht auf verfassungsrechtlich wackeligen Füßen und
missachtet die Rechte des Parlaments. Die Rechte des
Parlaments zu missachten bedeutet in meinen Augen allerdings nichts anderes, als die Bevölkerung zu missachten, die dieses Parlament gewählt hat.
({10})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Trittin das Wort.
Herr Präsident! Liebe Frau Dött, da Sie so schwere
Geschütze aufgefahren haben - Sie haben ja von einer
beabsichtigten Missachtung des Parlaments gesprochen -, bitte ich Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:
Zur Umsetzung dieser Richtlinie, die wir aktiv betrieben
haben, hatten wir einen Monat und wenige Tage Zeit.
Daher sind wir zurzeit im Verzug. Die eigentliche Frage,
die sich jeder vor dem Hintergrund stellen muss, dass
wir alle - auch Sie - dieses Instrument im Prinzip befürworten, lautet: Hat die Bundesrepublik Deutschland einen ökonomischen Vorteil oder einen ökonomischen
Nachteil, wenn wir diese Richtlinie nicht fristgemäß umsetzen, wenn also deutsche Unternehmen nicht ab dem
1. Januar 2005 am Emissionshandel teilnehmen können?
Diese Frage beantworte ich ganz ruhig und übrigens
auch im Konsens mit der Industrie. Ich sage, dass wir
davon keinen Vor-, sondern einen Nachteil haben werden.
Wenn deutsche Unternehmen aber ab dem 1. Januar
2005 teilnehmen können, dann muss im Herbst, also am
30. September, dieses Jahres mit der Zuteilung der Zertifikate begonnen werden; denn selbstverständlich muss
die Zuteilung rechtsfest geschehen. Wenn es aber zum
30. September dieses Jahres zur Verteilung der Zertifikate kommen soll, dann muss schon heute klar sein, wer
überhaupt - nicht, was die Menge, wohl aber, was den
Grundsatz betrifft - die Berechtigung hat, an der Zuteilung teilzunehmen.
Ihrer Mehrheit im Bundesrat werfen wir vor, dass sie
die einfache Feststellung, dass deutsche Unternehmen
am Emissionshandel teilnehmen dürfen, blockiert, indem sie nicht entscheidet. Es wurde auch nicht etwa eine
andere Entscheidung herbeigeführt, sondern man hat
sich schlicht und einfach vertagt. Das nenne ich Missachtung der Interessen der deutschen Wirtschaft.
Eine weitere Bemerkung. Wir haben Ihnen immer gesagt: Auch wir hätten uns ein anderes Verfahren gewünscht. Aber wegen des Zeitrasters der Richtlinie und
der Umsetzung derselben bleibt kein anderer Weg, als
zunächst einmal die Frage der Verteilregeln zu definieren. Dann werden wir - es gibt mehrere Äußerungen
von mir hier im Hause, die Sie alle nachlesen können diesen Nationalen Allokationsplan quasi unter dem Vorbehalt der Ratifizierung durch das Parlament nach Brüssel melden. Ich sage Ihnen eines in aller Deutlichkeit:
Wenn der Deutsche Bundestag zu dem Ergebnis kommt,
dass er die eine oder andere Regel anders gestalten will
- Sie werden nicht nur über die Menge, sondern auch
über die grundsätzlichen Regeln zu entscheiden haben -,
und dass er dem einen oder anderen mehr zuteilen will,
werden wir dieses in Brüssel nachnotifizieren.
Herr Kollege Trittin, die Zeit ist vorbei.
Den Vorwurf, wir würden das Parlament missachten,
muss ich aus diesem Grunde mit aller höflichen Entschiedenheit zurückweisen.
({0})
Zur Erwiderung Frau Kollegin Dött.
Sehr geehrter Herr Minister Trittin, was ich besonders
bemängele, ist, dass Sie zwar immer von Transparenz
und von Schnelligkeit reden, dass aber diese Transparenz einfach nicht da ist. Es kann doch nicht sein, dass
die beteiligten Unternehmen nur teilweise Unterlagen
haben, wir als Abgeordnete sogar überhaupt keine. Wir
sollten zum Beispiel gestern im Ausschuss über ein deutsches TEHG beraten, sogar abschließend beraten. Wir
haben uns für eine „Anberatung“ entschieden, weil überhaupt nichts vorlag, wir somit über Luft debattieren sollten. Daher müssen Sie uns doch bitte gestatten, dass wir
das anmerken, da wir uns als Volksvertreter nicht ernst
genommen fühlen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich zu dieser letzten Debatte noch das eine
oder andere hinzufügen. Die Oppositionsparteien haben
sich jetzt im Wesentlichen auf die Frage konzentriert, ob
das Parlament in geeigneter Form einbezogen worden
ist. Auch ich habe selbstverständlich meine Besorgnis
darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Parlament
durch das außerordentlich enge Zeitraster eine zu geringe Mitbeteiligungsmöglichkeit gehabt hat. Ich habe es
aber peinlichst vermieden, hieraus einen Vorwurf an die
Bundesregierung zu konstruieren, denn das Zeitraster
kommt aus Brüssel. Natürlich ist es von der Bundesregierung mitbeschlossen worden; das ist völlig klar.
Aber es drängt ja auch, dass wir mit dem Klimaschutz
bis 2005 endlich anfangen.
Natürlich hätten wir uns ein parlamentarisches Verfahren gewünscht und wir verlangen es weiterhin, bei
welchem eine öffentliche Anhörung über den Allokationsplan stattfindet. Dieses kann aber doch nicht auf der
Basis eines Referentenentwurfes eines Hauses geschehen. Ein solcher ist jedoch das Einzige, was gegenwärtig
vorliegen könnte. Wir sind also aus praktischen Gründen
gar nicht in der Lage, all dieses vor dem 31. März abzuwickeln.
Ich habe den Parlamentsvorbehalt, auf den Herr
Kelber schon hingewiesen hat, dem Herrn Minister gegenüber noch einmal deutlich gemacht. Er hat soeben
bestätigt, dass er diesen außerordentlich ernst nimmt; dafür bin ich dankbar. Dankbar bin ich auch der CDU/
CSU-Fraktion für ihre Große Anfrage, die uns die Möglichkeit gibt, jetzt, im März, noch einmal über die wichtige Frage des Klimaschutzes miteinander zu sprechen.
Der Ausgangspunkt dieser Debatte ist selbstverständlich der Klimaschutz selbst. Das haben viele Redner gesagt. Der Abgeordnete Loske hat schon auf die Pentagon-Studie hingewiesen. Ich gestatte mir noch zu
ergänzen: Wir wissen seit 20 Jahren, dass die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen eine wesentliche Klimaveränderung bewirken. Wir wissen überdies, wenn auch erst seit kurzem, dass die polaren
Eismassen nicht automatisch mechanisch stabil sind. Da
sind möglicherweise so genannte nicht lineare plötzliche
Ereignisse zu befürchten, die dann natürlich einen Meeresspiegelanstieg von 5, 10 oder 15 Metern bedeuten
können. Dann wäre Holland in Not, aber zusätzlich wären es auch Ägypten, Bangladesch, Hamburg, Venedig
und alle möglichen anderen Regionen. Diese Dimension
ist letzten Endes wichtiger als die Frage, ob die Aktionäre von 20 bis 30 Firmen glücklich sind. Das müssen
wir uns einfach immer wieder vergegenwärtigen.
({0})
Die CO2-Reduzierung um 21 Prozent, die Frau
Dr. Merkel 1997 als damalige Umweltministerin in
Kioto als Verpflichtung Deutschlands zugesagt hat, haben wir, wie schon gesagt wurde, bereits zum allergrößten Teil erreicht; es geht jetzt nur noch um 2 Prozent. Es
war die Basis der Selbstverpflichtung der deutschen
Industrie, mit diesem Kioto-Ziel konform zu gehen.
Diese Selbstverpflichtung - das hat der Minister gesagt war die Basis für die Empfehlung, die aus seinem Hause
kommt, Emissionslizenzen auf der Basis der Emissionen
der Jahre 2000 bis 2002 kostenlos zuzuteilen. Wenn der
Bundesverband der Deutschen Industrie dieses Vorgehen
des BMU als eine Art ökologischen Angriff auf die
Wettbewerbsfähigkeit versteht, dann kann das nur auf
Vorurteilen gegenüber der Bundesregierung oder dem
grünen Umweltminister beruhen.
Ich habe eher das Gefühl, dass die Vorgabe des Bundesumweltministers zu strukturkonservativ ist. Wenn
das, was 2000 bis 2002 Realität war, sozusagen geschenkt und als Basis für den künftigen Handel genommen wird, dann muss man sagen: Wir sind fast schon so
schlimm wie die Österreicher. Nur, die Österreicher liefern etwas nach Brüssel, was dort gar nicht akzeptiert
werden kann und darf. Ich enthalte mich aber einer Kritik in Richtung Strukturkonservativismus gegenüber
dem Minister, erstens weil ich die politische Gemengelage kenne und zweitens weil ich weiß, dass doch noch
eine Strategie zustande kommen wird, bei der das Emittieren von CO2 einen Preis hat. Das ist auch zwingend
notwendig; denn ansonsten ist - wie vom Minister bereits ausgeführt - gar kein Anreiz zu Effizienz da.
Gewiss haben wir in den letzten Wochen eine Überraschung erlebt, als wir erfuhren, dass die industriebezogenen CO2-Emissionen der letzten drei Jahre trotz Wirtschaftsflaute ganz erheblich zugenommen haben. Wenn
man das im Einzelnen analysiert, dann stellt man aber
fest, dass das in keiner Weise eine geeignete Begründungsbasis für die Industrie ist, nun Besorgnis gegenüber ihren eigenen Selbstverpflichtungen zu haben; denn
die Industrie im engeren Sinne hat ihre Emissionen weiter reduziert. Lediglich bei der Stromwirtschaft stellen
wir einen erheblichen Anstieg der CO2-Emissionen fest.
Dieser Anstieg basiert auf zwei Faktoren: Erstens fand
eine Verschiebung in Richtung Braunkohle statt - was
nicht unbedingt notwendig ist - und zweitens hat
Deutschland 8 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr exportiert. Auch das ist nicht unbedingt ein Zeichen von
strukturellem Fortschritt. Wir brauchen nicht unbedingt
ein Stromexportland zu sein.
Lassen Sie mich etwas systematischer auf die Frage
eingehen, was wir uns eigentlich industriepolitisch vornehmen müssen, um mit dem Thema Klimaschutz angemessen umzugehen. Wir müssen - das wird auch von
Dr. Paziorek und von anderen gesagt - Umwelt und Industrie, Umwelt und Wirtschaft zusammenbringen. Das
heißt, wir als Hightechland müssen sehen, dass wir die
Abkopplung des Wohlstands von CO2-Emissionen zustande bringen. Hightech heute bedeutet etwas ganz
anderes als Hightech vor 40 Jahren. In den letzten
40 Jahren hat zum Beispiel die Energieintensität der chemischen Industrie in Deutschland um mehr als den Faktor vier abgenommen. Das wird noch weiter gehen. Wir
brauchen noch einmal einen Faktor vier für die Abkopplung des Wohlstands von den CO2-Emissionen. Das
muss aber einmal in Gang gesetzt werden. Dafür brauchen wir den entsprechenden Anreiz.
({1})
Natürlich hat der BDI und haben auch die Oppositionsparteien Recht mit der Aussage, dass die CO2-Minderungsleistung nicht allein aus der Industrie kommen
kann, sondern dass Haushalte und Verkehr mit beteiligt
sein müssen.
Ich bin der Opposition für die Frage dankbar, die sie
im Rahmen ihrer Großen Anfrage an die Bundesregierung gestellt hat, ob nämlich diese Sektoren in das Emissionshandelssystem einbezogen werden können. Es war
völlig richtig, diese Frage zu stellen. Die Antwort der
Regierung ist aber ebenfalls richtig. Sie sagt, man müsse
sich vorstellen, was es bedeuten würde, 37 Millionen
Haushalte und 45 Millionen PKWs im Einzelnen zu erfassen. Wenn das keine Bürokratie ist, dann möchte ich
nicht wissen, was Bürokratie ist! Das heißt, wir müssen
uns hierfür etwas ganz anderes ausdenken. Von Herrn
Kelber und anderen wurde dazu Entsprechendes gesagt.
Sollte die Opposition vorschlagen, dies mit einer brutalen Ökosteuer zu leisten, dann möchte ich gerne sehen,
wie die Medien darauf reagieren.
Wir kommen nicht darum herum, die Verminderung
von Treibhausgasemissionen bei gleichzeitigem Wohlstandszuwachs und technischem Fortschritt sehr ernst zu
nehmen. Es wäre vollkommen verfehlt, wenn wir diese
Strategie im Wesentlichen hasenfüßig und mit einem
ängstlichen Betrachten der Industriestruktur der Vergangenheit angehen würden. Gehen wir sie stattdessen mit
Mut und mit Zutrauen hinsichtlich der Modernisierungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an! Das wäre diesem
Thema und der heutigen Debatte angemessen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren heute über ein Gesetz, durch das der Handel
mit Emissionen, also der Handel mit Umweltverschmutzungen ermöglicht werden soll. Wir reden über ein Mittel zum Zweck. Deshalb stellt die PDS im Bundestag
auch den Zweck voran. Es geht darum, den CO2-Ausstoß
weltweit und hierzulande deutlich zu reduzieren. Das ist
notwendig, um eine Klimakatastrophe zu verhindern,
und das eilt, damit es nicht tatsächlich zu spät ist. Mein
Vorredner hat ja schon einige Szenarien angesprochen.
Die jüngste Warnstudie aus den USA wurde hier bereits angeführt. Im Gegensatz zu den Grünen berufe ich
mich allerdings nicht auf die CIA oder das Pentagon.
Dazu fehlt mir nicht erst seit dem Irakkrieg der Glaube
an den amerikanischen Geheimdienst.
({0})
Überhaupt sind die USA in Sachen Klima- und Umweltschutz das Gegenteil von guten Ratgebern. Sie taugen
nicht einmal als Beispiel.
Es gibt aber genug andere Zeugnisse und Zeugen. Einer davon ist sogar CDU-Mitglied. Ich meine Klaus
Töpfer. Der UNO-Umweltchef drängt: „Niemand zweifelt, dass ein Klimawandel stattfindet“. Er spricht von einer „ökologischen Aggression der Reichen gegen die
Armen“ und er fasst richtig zusammen: „Klimapolitik ist
Friedenspolitik“. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, schon deshalb verdient er Respekt, was
ich beileibe nicht zu allen Kandidaten sagen kann, die
Sie in den letzten Tagen in der Debatte über das Amt des
Bundespräsidenten genannt haben.
({1})
Der europäische Handel mit Emissionsrechten soll
nun im Januar 2005 beginnen. Deshalb debattieren wir ja
auch über die deutschen Regeln. Das Ziel ist klar: Verglichen mit dem Jahr 1998 soll der CO2-Ausstoß bis
2010 um 45 Millionen Tonnen reduziert werden. So lautete jedenfalls die Selbstverpflichtung der deutschen
Industrie. Ich finde, es darf kein Zurück dahinter geben.
Auch das Grundprinzip des Emissionshandels ist
übersichtlich: Wer das Klima weniger belastet, als ihm
zugestanden wird, kann mit seinen Anteilsscheinen handeln und so noch ein Plus erwirtschaften. Wer das Klima
aber über Gebühr belastet, der muss zusätzliche Anteilsscheine kaufen; er zahlt drauf.
Das ist also ein Versuch, der Umweltverschmutzung
mit marktwirtschaftlichen Mitteln beizukommen. Er ist
auch unter den Linken nicht unumstritten; denn das
Klima ist nun einmal ein Allgemeingut und keine Handelsware. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass sich
ausgerechnet die Wirtschaft weigert, in diesem Bereich
marktwirtschaftlich zu agieren; denn von ihr kommen
derzeit die übelsten Widerstände gegen ein Emissionshandelsgesetz. Es wird um jede Tonne CO2-Ausstoß
geschachert, die nicht abgebaut werden muss. Die Wirtschaft versucht, mit Extratricks Extraprofite zu ergaunern, als ginge es nicht um eine alle betreffende, eine
globale Herausforderung.
Dabei bilden sich ganz „ungewöhnliche Koalitionen“,
wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 25. Februar schrieb: Auf der einen Seite protestieren die Gewerkschaften im Verein mit den Wirtschaftsverbänden
und Bundeswirtschaftsminister Clement. Auf der anderen Seite agieren Umweltverbände und Klimaschützer
mit Umweltminister Trittin. - Das macht es nicht leichter. Es zeigt aber auch: Im ökologischen „Friedenskampf“, wie Klaus Töpfer meint, geht der Riss mitten
durch Rot-Grün.
Hinzu kommt: In den letzten Jahren hat der CO2-Ausstoß durch die deutsche Wirtschaft nicht ab-, sondern zugenommen, und zwar trotz der Rezession in den zurückliegenden drei Jahren. Ich möchte noch an etwas anderes
erinnern. Die deutsche Wirtschaft hält sich zugute, seit
1990 die Umwelt bereits drastisch entlastet zu haben.
Das stimmt. Das liegt aber fast ausschließlich daran,
dass CO2-Schleudern im Osten stillgelegt wurden und
obendrein Konkurrenz aus den neuen Bundesländern abgewickelt wurde.
Die eigentliche Klimaschutzleistung steht uns also
noch bevor. Vor diesem Hintergrund geschehen allerdings seltsame Dinge. Da garantiert Wirtschaftsminister
Clement der CO2-trächtigen Kohleindustrie West auf
Jahre hinaus milliardenschwere Subventionen. Zugleich
attackiert dieser Minister die Förderung erneuerbarer
Energien. Das ist keine Innovation. Das ist Klientelpolitik auf Kosten von allen.
({2})
Abschließend: Der Emissionshandel ist kein Wundermittel. Er kann bestenfalls Teil in einem Mix verschiedener Instrumente sein. Vornan steht alles, was den Energieverbrauch tatsächlich senkt. Hinzu kommt: Solare
Energien müssen Vorrang vor fossilen und atomaren
Energien haben. Natürlich dürfen Klimakiller nicht noch
vergoldet werden. Vielmehr müssen sie dringend reduziert werden.
Danke.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
wichtig, dass wir heute eine Debatte über den Emissionshandel und die entsprechenden Gesetze sowie die
Fragen des Nationalen Allokationsplans führen. Wir sollen die Gelegenheit nutzen, die Bundesregierung noch
einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass die Gesetze, die wir umzusetzen haben, enorm wichtig sind.
Ich möchte betonen, dass wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowohl zu den Zielen des Klimawandels als
auch zu dem marktwirtschaftlichen Instrument des Zertifikatehandels stehen. Wenn wir allerdings das Gesetzgebungsverfahren betrachten, beschleichen uns große Sorgen, weil wir Angst haben, dass die Bundesregierung
diese Gesetze in der gleichen Art wie beispielsweise die
Pfandpflicht oder die ganze Geschichte mit der Maut
vollzieht. Diese Angst steckt in uns. Deswegen möchten
wir auf das Angebot, Herr Bundesumweltminister, gern
zurückkommen, Ihnen bei der Abfassung der notwendigen Gesetze zu helfen. Aber so, wie die Dinge stehen,
bleibt uns kaum Raum und Zeit, diese Themen im Einvernehmen vorzubereiten und dem Parlament vorzulegen.
Der Emissionshandel soll ab Januar 2005 beginnen.
Er wird einen ganz entscheidenden Einfluss auf die
deutsche Volkswirtschaft haben. Ich habe die große
Sorge, dass dieses Element seitens der Bundesregierung
nicht gesehen wird.
Herr Bundesumweltminister, Sie haben uns vor einiger Zeit erklärt, dass der Zertifikatehandel für die deutsche Volkswirtschaft kostenneutral sein wird. Heute war
Ihre Aussage schon wesentlich differenzierter. Nach allem, was wir von der betroffenen Wirtschaft hören, wird
es mit der Kostenneutralität nicht mehr so weit her sein.
Ich habe konkrete Fälle in meinem Wahlkreis. Beispielsweise hat ein relativ kleines Steinkohlekraftwerk ausgerechnet, dass ihm durch die Maßstäbe 2000 bis 2002 bei
einem angenommenen Preis von 10 Euro ein Kostennachteil von 3 Millionen Euro entsteht. Das ist genau der
Betrag, den das Energieversorgungsunternehmen an
diesem Standort in den letzten Jahren an Personalkosten
eingespart hat. Da ist von Kostenneutralität keine Rede
mehr.
Jetzt stellt sich die Frage, wie man derartige Elemente
minimieren oder ganz ausschalten kann. Das scheint mir
einigermaßen schwierig zu sein. Tatsache ist, dass nach
dem Mengengerüst bei den CO2-Emissionen die Bundesrepublik Deutschland die Reduktionsverpflichtungen
auch erfüllen würde, wenn wir jetzt keinen Zertifikatehandel einführen würden. Das bedeutet, dass wir ab
2005 eigentlich recht behutsam an den Zertifikatehandel
herangehen könnten,
({0})
ohne dass wir unsere zugesagten Reduktionsverpflichtungen verletzen würden.
Was will ich damit sagen? Ich will damit sagen, dass
die Situation für meine Begriffe schon schwierig ist.
Denn die für Energie zuständige Kommissarin der Europäischen Kommission sagte dieser Tage, dass man sehr
wohl Überlegungen anstellen muss, wenn das KiotoProtokoll keine völkerrechtliche Verbindlichkeit erlangt, der Zertifikatehandel auf Europa beschränkt bleibt
und zu erwarten ist, dass die Zertifikate einen höheren
Preis haben werden. Die Kommissarin de Palacio spricht
von einem so genannten Plan B. Mich würde schon interessieren, was das bedeutet. Heißt das, dass sich die
Europäische Union von dem Ziel, die Gesamtmenge um
8 Prozent zu reduzieren, verabschiedet?
({1})
- Das ist eine Äußerung aus den jüngsten Tagen von
einer für meine Begriffe wichtigen Kommissarin. Das
stellt uns vor das Problem, dass wir für die deutsche
Wirtschaft Wettbewerbsverzerrungen in Kauf nehmen
müssen. Ich bitte Sie, Herr Bundesumweltminister, das
zu verhindern.
Lassen Sie mich noch einen Punkt anschneiden, der
mir wichtig erscheint. Es zeigt sich jetzt bei der Debatte
über die Energiepolitik und die Energiewirtschaft, dass
es von größtem Nachteil ist, dass die Bundesregierung
fünf Jahre lang kein Energiekonzept vorgelegt hat.
Herr Kollege Obermeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kelber?
Ich kann es ihm nicht abschlagen.
Bitte schön, Herr Kelber.
Vielen Dank, Herr Kollege. Ich möchte Sie fragen, ob
Ihnen die Studie der Dresdner Kleinwort Wasserstein bekannt ist. Sie haben gerade von Wettbewerbsverzerrungen gesprochen und vorhin das Beispiel eines Kraftwerks erwähnt, das vermutlich zu Eon gehört, da Sie von
Ihrem Wahlkreis gesprochen haben.
Schon auf der ersten Seite dieser Studie vom
2. Februar 2004 heißt es sinngemäß: Im Hinblick auf
den Nationalen Allokationsplan in Deutschland schätzt
man dessen Auswirkungen so ein, dass der Gewinn
({0}) von Eon um 15 Prozent gegenüber der bisher
allgemein erwarteten Entwicklung ansteigen wird.
Herr Kollege Kelber, ich kenne diese Studie. Im Unterschied zu Ihnen bin ich aber nicht so studiengläubig.
Denn ich habe schon viele Erfahrungen damit, was Wissenschaftler in Studien festgelegt und was Analysten gesagt haben.
Schauen Sie sich an, was sich in unserem Land abspielt! Ich würde Ihnen - Sie sind ja, wie Sie selber sagen, auch Wissenschaftler - dringend raten, sich mit den
objektiven Zahlen der vergangenen Jahre auseinander zu
setzen und die weitere Entwicklung einigermaßen abzuschätzen.
Ich komme auf das Energiekonzept zurück. Wir
brauchen in der Bundesrepublik Deutschland dringend
ein Energiekonzept, um denen Planungssicherheit zu
bieten, die investieren wollen. Ich drücke mich deswegen so vorsichtig aus, weil das nicht nur die Energieversorgungsunternehmen betrifft, sondern auch diejenigen,
die im Bereich der erneuerbaren Energien investieren.
Auch sie müssen wissen, wie die Energiepolitik in der
Bundesrepublik Deutschland mittel- und langfristig aussehen wird.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Aussage anmerken, Herr Trittin, dass die Länder eine entsprechende
Regelung blockieren. Ich habe nicht an den Beratungen
im Bundesrat und in den zuständigen Ausschüssen teilgenommen. Aber aus dem, was mir aus den Ministerien
zugeleitet wird, schließe ich, dass ausschließlich Sie und
Ihre Mitarbeiter an dem Desaster schuld sind. Ich habe
deswegen die große Sorge, dass Sie das wichtige Anliegen des Zertifikatehandels genauso vergurken wie die
Pfandpflicht im Bereich der Mehrwegregelungen und
dass Sie Ihr Vorhaben gegenüber den Ländern mit derselben Arroganz umsetzen, statt mit ihnen auf einen
Konsens hinzuarbeiten.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren Ausführungen
sagen, Herr Kelber. Es stimmt nicht, dass seit den 80erJahren in der Bundesrepublik Deutschland keine Kraftwerke mit erheblich höheren Effizienzgraden gebaut
worden sind. Vor meiner Haustür wurden in dem Zeitraum, von dem Sie gesprochen haben, vier Kohlekraftblöcke abgebrochen und ein neuer, moderner und größerer Kohlekraftblock errichtet. Später kam noch eine
große Kraft-Wärme-Kopplungsanlage für einen großen
Wärmeverbraucher hinzu. Es gab in diesem Zeitraum
also durchaus zielorientierte Investitionen, die uns vorangebracht haben.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Wir brauchen eine
vernünftige Basis für die Diskussion der Gesetze und wir
brauchen in der Bundesrepublik Deutschland ein Energiekonzept, um das Thema vernünftig beurteilen zu können. Zu beidem ist die Bundesregierung nicht in der
Lage. Deswegen sehen wir der zukünftigen Entwicklung
in der Energiewirtschaft mit großer Sorge entgegen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Wilfried Schreck von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heißen Luft, die einige der Kollegen aus der Opposition abgelassen haben, hätten wir schon einen schwunghaften
Handel beginnen können.
Aber im Ernst: Es wurde über die Theorie des Klimaschutzes und über Formalismen bei der Gesetzgebung
diskutiert. Ich denke, auf den wesentlichen Aspekt des
parlamentarischen Vorbehalts ist mein Kollege von
Weizsäcker ausführlich eingegangen. Es ist sicherlich allen klar geworden, dass wir diese Debatte in aller Kürze
fortsetzen werden, dass wir also noch ausreichend Gelegenheit haben, uns hierüber auszutauschen.
Der Hintergrund der heutigen Debatte ist offenkundig
die völlig abwegige Annahme der Union, dass die Bundesregierung mit der Einführung des Emissionshandels
finstere Absichten zulasten des Wirtschaftsstandortes
Deutschland im Schilde führt. Darauf kann man wohl
nur kommen, wenn man glaubt, dass man aus den noch
fehlenden rund 2 Prozent Emissionsminderung bis zum
Jahr 2012 der deutschen Wirtschaft im Allgemeinen und
der deutschen Industrie im Besonderen einen Strick drehen kann. Daran hat jedoch wirklich niemand ein Interesse und ich bezweifle auch, dass das überhaupt möglich wäre; denn bis 2012 ist die Erreichung des KiotoZiels von 21 Prozent Teil des gewöhnlichen Geschäftsablaufs, also das, was wir bei normaler Entwicklung von
Wachstum und Effizienz erwarten können.
Bis 2012 brauchten wir - an dieser Stelle haben die
Kritiker Recht - in Deutschland überhaupt keinen Emissionshandel. Aber gerade in dieser Feststellung liegt der
springende Punkt. Wir brauchen den Emissionshandel
als ein kosteneffizientes Klimaschutzinstrument für die
Zeit nach 2012.
({0})
Das bedeutet: Wir brauchen möglichst zügig Klarheit
darüber, wohin die Reise geht, und zwar national, aber
auch international; denn es ist die internationale Dimension des Klimaschutzes, die das internationale Instrument des Emissionshandels so interessant macht. Die
Auswirkungen des Emissionshandels auf die deutsche
Wirtschaft sind also in meinen Augen bis 2012 relativ
moderat.
Wichtig und entscheidend ist, möglichst noch in dieser Legislaturperiode eine Verständigung über die lange
Linie des Klimaschutzes - der Kollege Loske hat darauf
schon hingewiesen - zu erzielen,
({1})
und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch und gerade innerhalb Europas, in der EU, die zukünftig nicht
mehr 15, sondern 25 gleichberechtigte Mitglieder haben
wird. Das wird sicherlich nicht einfach sein. Dennoch ist
das von ganz grundlegender Bedeutung; denn damit
schaffen wir genau das, was die Wirtschaft, insbesondere
die Industrie, und die Verbraucher nicht ohne Grund von
uns einfordern: Klarheit über die längerfristigen Rahmenbedingungen für Investitionen in den Energiesektor. Allerdings sollte uns dabei auch bewusst sein, dass
Politik in einem liberalisierten Wettbewerbsmarkt nur
relative Planungssicherheit für überschaubare Zeiträume
schaffen kann. Alles andere wäre übrigens Planwirtschaft und zudem eine etwas merkwürdige Vollkaskoanspruchshaltung, mit der unternehmerisches Risiko möglichst vollständig bei der Politik abgeladen werden soll.
({2})
Sinnvoll kann es jedoch sein - zumindest für die Periode, die von der EU-Richtlinie abgedeckt ist, also bis
2012 -, eine klare Zielfestsetzung vorzunehmen. Damit
wäre schon ein gutes Stück Berechenbarkeit geschaffen.
Wir werden bei den anstehenden Beratungen über den
Emissionshandel darauf achten, dass ausreichende Anreize für Investitionen, für Modernisierung und für
Wertschöpfung in Deutschland gesetzt werden. Es kann
dabei weder um Strukturbrüche noch um die Zementierung des Status quo gehen. Das bedeutet auch, dass klimapolitische Vorleistungen anerkannt werden müssen
und dass Effizienz zum Beispiel bei der Modernisierung
und dem Neubau von Kraftwerken belohnt und nicht abgestraft wird.
({3})
Wer eine hoch effiziente Stromproduktion betreibt, muss
besser ausgestattet werden als derjenige, der das „goldene Ende“ abgeschriebener Kraftwerke hat. Es wäre
energie- und volkswirtschaftlich unsinnig, wenn die Betreiber neuer Anlagen Zertifikate zukaufen müssten.
Neue Anlagen stehen in erster Linie in Ostdeutschland, aber nicht ausschließlich. Allerdings ist die bisherige Reduktionsleistung bei den Klimagasen von rund
19 Prozent, derer wir uns im europäischen Vergleich gemeinsam rühmen, fast vollständig im Osten erbracht
worden, und zwar zum einen durch die schmerzliche Deindustrialisierung - übrigens, Herr Dr. Lippold, nicht nur
in der Lausitz - und zum anderen durch die Modernisierung der Energiewirtschaft. Die modernsten Braunkohle8384
kraftwerke der Welt kann man bei Anwendung technischen und kaufmännischen Sachverstands nicht schon
wieder verbessern. Die Branche ist nach vielen schwierigen Jahren endlich stabil und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Wer ernsthaft an einer Belebung des Ostens interessiert ist, kann den Zugpferden nicht neue Lasten aufbürden. Wer in den 90er-Jahren seine Anlage nach dem
Stand der Technik erneuert hat, muss bis 2012 von Zukäufen freigestellt werden. Dies gilt gleichermaßen für
Ost und West. Aber auch für die Industriezweige, die
Prozessenergie benötigen, wird eine angemessene Regelung gefunden werden müssen, damit es zu keinen Verwerfungen kommt und damit Wirtschaftswachstum nicht
bestraft wird. Wenn wir den Emissionshandel unter den
Leitgedanken der Effizienz und des Anreizes von Investitionen stellen, dann wird es uns gelingen, auch durch
dieses moderne und neue Instrument einen Beitrag zur
Modernisierung unserer Wirtschaft und zur Aktivierung von Innovationen, also zur Gestaltung des Strukturwandels zu leisten.
({4})
Auch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken.
Danke.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/2533 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Nationalen Allokationsplan
als Parlamentsgesetz gestalten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1791 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion bei Ent-
haltung der FDP-Fraktion und der fraktionslosen
Abgeordneten Petra Pau angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 k sowie
die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf:
23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
({0})
- Drucksachen 15/2562, 15/2591 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen
Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen
und Altersbezügen ({2})
- Drucksachen 15/2563, 15/2592 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Erneuerbaren Energien
im Strombereich
- Drucksachen 15/2539, 15/2593 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Handel mit Berechtigungen zur Emission von
Treibhausgasen ({5})
- Drucksache 15/2540 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmer-
vertreter in den Aufsichtsrat
- Drucksache 15/2542 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die
Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die
Wohnsituation der Haushalte ({7})
- Drucksache 15/2543
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
g) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in
Rom am 17. November 1997 angenommenen
Fassung des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens
- Drucksache 15/2544 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({1})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 19. August 2002 zwischen
den Vertragsstaaten des Übereinkommens zur
Gründung einer Europäischen Weltraumorganisation und der Europäischen Weltraumorganisation über den Schutz und den
Austausch geheimhaltungsbedürftiger Informationen
- Drucksache 15/2545 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Beschlusses des Rates ({3})
vom 2. Oktober 2003 zur Änderung von
Art. 40 Abs. 1 und 7 des Übereinkommens zur
Durchführung des Schengener Übereinkommens vom 14. Juni 1985 betreffend den
schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen
- Drucksache 15/2546 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Innenausschuss
j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 13 vom 3. Mai 2002 zur Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung
der Todesstrafe
- Drucksache 15/2549 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
k) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({6}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: TA-Projekt: Biometrische Identifikationssysteme - Sachstandsbericht
- Drucksache 14/10005 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
ZP 3a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen
Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gentechnik
und zur Änderung der Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung
- Drucksache 15/2520 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({8})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Horst Friedrich ({9}),
Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Nationale Küstenwache schaffen
- Drucksache 15/2581 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10})
Innenausschuss
Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 15/2540 soll
zusätzlich an den Finanzausschuss überwiesen werden.
Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 15/2520 liegt inzwischen auf Drucksache 15/2597 die Gegenäußerung
der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates vor, die - wie der Gesetzentwurf - überwiesen
werden soll. Die Vorlage auf Drucksache 15/2581 soll
zusätzlich an den Rechtsausschuss, an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft und an den Ausschuss für die
Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 f auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 24 a:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Finanzierung der Beseitigung von Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland
({11})
- Drucksache 15/1888 ({12})
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({13})
- Drucksache 15/2434 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Anja Hajduk
Dr. Günter Rexrodt
Der Haushaltsausschuss empfiehlt auf Drucksache
15/2434, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen
die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit
entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 24 b:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Investitionszulagengesetzes 2005 ({14})
- Drucksache 15/2249 ({15})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({16})
- Drucksache 15/2605 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Hilsberg
Manfred Kolbe
bb)Bericht des Haushaltsausschusses ({17})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/2606 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2605, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 24 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 95 zu Petitionen
- Drucksache 15/2473 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 95 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 d:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 96 zu Petitionen
- Drucksache 15/2474 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 96 ist ebenfalls einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 24 e:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20})
Sammelübersicht 97 zu Petitionen
- Drucksache 15/2475 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -Enthal-
tungen? - Die Sammelübersicht 97 ist einstimmig ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 24 f:
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 98 zu Petitionen
- Drucksache 15/2476 -
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Die Sammelübersicht 98 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:
Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN und der FDP
Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Beirates für nachhaltige Entwicklung
- Drucksache 15/2586 -
Wer stimmt für den Wahlvorschlag auf Drucksache
15/2586? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 5 auf:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
6 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Afrika auf dem Weg zu Eigenverantwortung
und Selbstbestimmung unterstützen
- Drucksache 15/2478 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({22})
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({23}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans
Büttner ({24}), Reinhold Hemker, Karin
Kortmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Thilo
Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck
({25}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Unterstützung von Landreformen zur Bekämpfung der Armut und der Hungerkrise im
südlichen Afrika
- Drucksachen 15/1307, 15/1843 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Büttner ({26})
Anke Eymer ({27})
Marianne Tritz
Harald Leibrecht
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Christian Ruck, Dr. Friedbert Pflüger,
Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Eine neue Politik für Afrika südlich der
Sahara - Afrika fordern und fördern
- Drucksache 15/2574 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({28})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. - Wir sollten noch einen
Moment warten, bis der Personalwechsel stattgefunden
hat.
({29})
Ich bitte Sie, sich zügig zu setzen, damit wir die Beratungen fortsetzen können.
Als erste Rednerin hat die Bundesministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
diesem Jahr feiern wir den zehnten Jahrestag des Endes
der Apartheid in Südafrika. Es ist den Menschen in Südafrika gelungen, dieses menschenverachtende System zu
überwinden und eine offene demokratische Gesellschaft
zu schaffen. Südafrika nimmt heute eine wichtige Ankerfunktion auf diesem Kontinent wahr. Wir danken an dieser Stelle Nelson Mandela für seine historische Leistung.
({0})
Das weit verbreitete einseitige Bild von Afrika als einem Krisenkontinent ist falsch. Beispiele wie Südafrika
oder auch andere Länder zeigen, dass Afrika kein verlorener Kontinent, sondern ein Zukunftskontinent ist. Wir
dürfen die positiven Signale nicht übersehen; denn sie
sind Ausdruck einer Erneuerung in Afrika selbst.
Mit der so genannten NEPAD-Initiative, der Neuen
Partnerschaft für Afrikas Entwicklung, haben sich die
afrikanischen Regierungen zu ihrer Eigenverantwortung
und zur Bekämpfung von Korruption bekannt. Sie unterziehen sich einem unabhängigen Mechanismus der gegenseitigen Überprüfung. Das ist ausgesprochen hilfreich und ebenso positiv wie der Plan zur Einrichtung
eines afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs.
({1})
Die Bundesregierung und wir als Entwicklungsministerium unterstützen die Initiative zur Schaffung eigener
Friedenstruppen ebenso wie die NEPAD-Initiative, damit die Konflikte auf diesem Kontinent auch von Afrikanern selbst gelöst werden können. In diesem Zusammenhang unterstützen wir den Aufbau von afrikanischen
Friedenstruppen in den afrikanischen Regionen und
von Peacekeeping Centern, in denen Menschen ausgebildet werden, die sich zum Beispiel als Menschenrechtsbeobachter beteiligen können. Auch das ist ein
sehr positives Zeichen.
({2})
Im Moment fehlen in manchen afrikanischen Ländern
noch rechtliche und makroökonomische Voraussetzungen für das notwendige Engagement der Privatwirtschaft. Auch deshalb ist es entscheidend, dass wir in unserer Entwicklungszusammenarbeit einen Schwerpunkt
auf die Förderung von guter Regierungsführung legen.
Wo ein funktionsfähiges Justizsystem existiert, wächst
die Rechtssicherheit im Land - für die Menschen, aber
auch für Investitionen. Diese Initiativen unterstützen wir.
Im Rahmen unserer Entwicklungspartnerschaften mit
der Wirtschaft fördern wir in Afrika südlich der Sahara
rund 300 solcher Initiativen für Investitionen. Das ist ein
gutes Zeichen für das Vertrauen in die afrikanischen
Länder.
({3})
Positiv sind die Entwicklung und die Umsetzung von
nationalen Armutsbekämpfungsstrategien.
Dass dieser Prozess zurzeit 31 afrikanische Länder
unter Beteiligung der Zivilgesellschaften, zumal der
Frauen, umfasst, ist Ausdruck der Eigenverantwortung
dieser Partnerländer. Das sind positive Zeichen aus
Afrika. Dieser Zukunftskontinent ist und bleibt eindeutiger Schwerpunkt unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit.
({4})
2002 sind über 30 Prozent der gesamten Mittel unserer
öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit nach Afrika
geflossen.
Wir unterstützen die neue Dynamik, die sich gebildet
hat. Das hat Bundeskanzler Schröder bei seiner Afrikareise klar und deutlich signalisiert. Das ist auch die
Kernbotschaft des Antrages der Fraktionen der SPD und
der Grünen, der Ihnen heute vorliegt. Beim Millenniumsgipfel im Jahr 2000 in New York hat sich die internationale Gemeinschaft ehrgeizige Ziele der Armutsbekämpfung gesetzt. Das setzt zwei Dinge voraus: zum einen, dass sich in den Entwicklungsländern die
Regierungen selbst auf Armutsbekämpfung konzentrieren, zum anderen aber auch, dass sie unterstützt werden.
Bei allen Schwierigkeiten im Einzelnen hat die Verkopplung von Armutsbekämpfung und Entschuldung bis jetzt schon hervorragende Ergebnisse gebracht.
Allein für die afrikanischen Staaten wird sich die Schuldenlast um 42,5 Milliarden US-Dollar verringern; im
Gegenzug werden Investitionen zur Bekämpfung von
Armut erwartet.
Ich will Ihnen am Beispiel Tansania aufzeigen, dass
sich das direkt auf das Leben der Menschen auswirkt.
Tansania hat von einem multilateralen Schuldenerlass in
Höhe von 3 Milliarden US-Dollar profitiert. Dadurch
wurde die Abschaffung der Grundschulgebühren
möglich. Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in
den Grundschulen hat sich von 800 000 vor dem Schuldenerlass auf 1,6 Millionen heute verdoppelt. Das bedeutet mehr Hoffnung, mehr Chancen und mehr Perspektiven für 1,6 Millionen Kinder. Das Gleiche gilt
- wiederum bezogen auf mein Beispiel Tansania - für
den Zugang der Menschen zu sauberem Trinkwasser.
Im Rahmen dieser Verkopplung haben wir es geschafft,
den Anteil der Bevölkerung, die Zugang zu sauberem
Trinkwasser hat, von 38 Prozent auf 68 Prozent im Jahr
2001 zu steigern; und es geht immer weiter voran. Auch
damit engagieren wir uns im Kampf gegen Tod, Krankheit und Armut. Das ist zugleich ein hervorragender Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben den hoffnungsvollen Nachrichten aus Afrika wollen und dürfen
wir nicht die Länder vergessen, die von Konflikten erschüttert werden oder wo die Staatswesen zerfallen. Das
gilt ganz besonders für Simbabwe, wo Präsident Mugabe
das Land zugrunde richtet und den Menschen ihre Zukunft nimmt.
Die Demokratische Republik Kongo ist ein Land,
das von einem afrikanischen Weltkrieg verwüstet wurde,
in dem ungefähr 3 Millionen Menschen gestorben sind.
In diesem Konflikt wurden auch systematisch die Vergewaltigung von Frauen als so genannte Waffe benutzt.
Hierbei handelt es sich um die widerwärtigste Menschenrechtsverletzung, die es gibt. Sie müssen wir mit
allen Mitteln bekämpfen. Wir unterstützen mit einer Initiative der GTZ die betroffenen und traumatisierten
Frauen in dieser Region und versuchen, ihnen zu helfen.
({6})
Ich habe dem kongolesischen Präsidenten Kabila, als
er zu Besuch in der Bundesrepublik war, signalisiert,
dass wir zur Unterstützung bereit sind, aber auch klar gemacht, dass sich die an der Übergangsregierung Beteiligten ihrer Verantwortung für die Zukunft der gesamten
kongolesischen Bevölkerung bewusst sein müssen und
den Friedensprozess engagiert voranbringen müssen.
Ich habe zugesagt, dass wir die Vorbereitung der ersten demokratischen Wahlen seit 40 Jahren dort unterstützen werden. Von diesen Wahlen hängt der Erfolg für das
Zusammenwachsen dieses Landes stark ab. Unsere Unterstützung gilt auch der Wiedereingliederung von
180 000 Ex-Kombattanten.
Das ist ein wichtiger Beitrag zum Versuch einer Versöhnung und zur Konfliktprävention. Vor allen Dingen
wollen wir dazu beitragen, den unzähligen Kindersoldaten wieder eine Perspektive und eine Chance im zivilen
Leben zu ermöglichen, so schwierig das für sie auch
werden mag.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss zwei
Anmerkungen. Zunächst zum Thema Aids. Wir kennen
die schrecklichen Nachrichten, aber es gibt auch Fortschritte, die ich jetzt ansprechen will. Durch die Vereinbarungen im Vorfeld der Konferenz von Cancun wurde
es möglich, die Kosten für die Generika zur Behandlung
von aidsinfizierten Menschen um rund 98 Prozent zu
verringern. Ich habe auf einer Reise nach Benin feststellen können, dass diese verbilligten Medikamente inzwischen auch eingesetzt werden. Das hat große Vorteile;
denn die Menschen lassen sich eher testen, wenn sie wissen, dass die Möglichkeit zur Behandlung besteht, und
wenn sie sich testen lassen, schützen sie sich auch eher.
Zur Erinnerung: In Afrika leben 12 Millionen Aidswaisen. Das sind so viele, wie in unserem Land Kinder
leben. Wir haben die Verpflichtung, tätig zu werden und
zu helfen. Das ist ein Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit und das zieht sich durch alle Bereiche unserer politischen Arbeit.
({8})
Zweite Anmerkung. Durch den Abbau von Handelshemmnissen und Subventionen vor allem im Agrarbereich können wir dazu beitragen, dass gerechtere Handelsbeziehungen zwischen den Industrieländern und den
Entwicklungsländern hergestellt werden, sodass die Entwicklungsländer an den Chancen durch die Globalisierung teilhaben können. Lassen Sie mich, auch aus den
Erfahrungen von meiner Reise nach Benin, eines zum
Thema Baumwolle sagen. Es ist ein Skandal, dass in
den USA 25 000 große Baumwollfarmer mit 3,7 Milliarden US-Dollar und in der Europäischen Union, in Griechenland und Spanien, kleine Baumwollfarmer mit rund
700 Millionen Euro subventioniert werden, während in
den westafrikanischen Ländern 15 Millionen Menschen
ausschließlich von der Produktion von Baumwolle abhängig sind. Wenn ihnen die Industrieländer auf derart
unfaire Weise Konkurrenz machen, dann ist das ein
Skandal. Das widerspricht allen Prinzipien der internationalen Gemeinschaft.
({9})
Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Löning?
Ja, klar. - Ich weiß aber, was Sie sagen wollen; ich
wollte darauf zum Schluss zu sprechen kommen. Thema
EU?
Sie wissen ja, dass wir Ihre Einschätzung zum Thema
Baumwolle teilen. Ich wollte Sie fragen, was die Bundesregierung in der EU unternommen hat, um in diesem
Bereich Fortschritte zu erzielen.
Herr Kollege Löning, ich bedanke mich für die Frage.
Wir haben das nicht abgesprochen, aber ich wollte auf
dieses Thema wirklich zum Schluss eingehen.
Die Europäische Union hat den westafrikanischen
Ländern eine Partnerschaftsinitiative unterbreitet. Teile
dieser Initiative sind gut und werden von uns unterstützt.
Sie liegen jetzt zur Beratung vor. Sie umfassen eine Unterstützung der Diversifizierung im Bereich des Baumwollsektors, wodurch vor allen Dingen verarbeitete Produkte aus den westafrikanischen Ländern nach Europa
exportiert werden können. Das ist eine wichtige Voraussetzung.
Zweitens hat die Europäische Kommission eine Entkopplung zwischen dem Produkt Baumwolle und den
entsprechenden Subventionen vorgeschlagen. Die Entkopplung von 60 Prozent reicht uns aber nicht aus. Wir
setzen uns für eine Entkopplung von 75 Prozent ein und
versuchen mit möglichst vielen Bündnispartnern zu erreichen, dass die Entkopplung in diesem Maße vorankommt.
({0})
Ich will nicht verhehlen, dass eigentlich 100 Prozent notwendig wären. Aber es gibt Länder, denen im Grunde
schon die 60 Prozent zu viel sind.
Sie sehen also, dass wir etwas voranbringen. Ohne
diese Initiative hätte es die Initiative der EU-Kommission nicht gegeben.
({1})
Ich bedanke mich noch einmal für diese Zwischenfrage, Herr Löning.
Zum Schluss möchte ich daran erinnern - das ist mir
bei meiner Reise nach Benin wieder bewusst
geworden -, dass ungefähr die Hälfte der Menschen, die
in Afrika südlich der Sahara leben, unter 15 Jahren sind.
Die Frage, ob diese Kinder und Jugendlichen Chancen
auf eine gute Zukunft haben, können wir mit beeinflussen. Die Frage, was wir zur Entwicklung beitragen, wird
mit darüber entscheiden, ob unsere Welt in Zukunft
friedlicher wird oder ob sie von mehr Gewalt geprägt
sein wird. Wir haben es in der Hand. In diesem Sinne
sage ich: Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken!
Danke sehr.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Arnold Vaatz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin, es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Bundeskanzler im Januar 2004 Afrika als
Feld der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik
endlich entdeckt hat. Es ist aber bedauerlich, dass er
dazu mehr als eine Legislaturperiode gebraucht hat.
Ich finde es ein ausgesprochen wichtiges Zeichen,
Frau Wieczorek-Zeul, dass Sie vor kurzem für einige
Tage nach Benin geflogen sind und sich dort für die
Baumwollfarmer stark gemacht haben. Die EU-Problematik wurde gerade schon angesprochen. Die Antwort,
die Sie auf die Zwischenfrage des Kollegen gegeben haben, lässt nur den Schluss zu, dass Sie in diesem Bereich
für die Beseitigung von Problemen kämpfen, die Sie
vorher selbst verursacht haben.
({0})
Denn Sie haben erst im Jahre 2002 die entsprechenden EU-Subventionen für Griechenland und Spanien für
weitere Jahre fortgeschrieben.
({1})
Das haben Sie im Zusammenwirken mit unseren französischen Freunden getan. Wenn die Gastgeber in Benin
Sie vielleicht aus Höflichkeit nicht daran erinnert haben,
dann möchten wir es jetzt tun.
({2})
Ich halte es auch für sehr wichtig, Frau WieczorekZeul, dass Sie einmal die Erfolge der deutschen Entwicklungshilfepolitik vorgetragen haben; denn es ist insbesondere für die Menschen vor Ort außerordentlich motivierend, einmal das Echo des Deutschen Bundestages
und ein Lob für ihre Arbeit von dieser Stelle aus zu hören.
({3})
Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Es ist auch für die Legitimierung der Finanzierung zukünftiger Entwicklungshilfe aus dem Bundeshaushalt ausgesprochen wichtig, zu
zeigen, dass es Erfolge gibt und dass die Mittel, die wir
für diesen Zweck ausgeben werden, auch tatsächlich
positive Wirkungen zeitigen.
Frau Ministerin, allerdings ist das alles noch nicht
das, was wir unter einem schlüssigen Gesamtkonzept
verstehen. In diesem schlüssigen Gesamtkonzept müsste
berücksichtigt werden, dass sich die Lage der Entwicklungsländer differenziert darstellt. Das Lager der Länder mit Entwicklungsrückständen ist vielfältiger geworden, da mittlerweile sehr unterschiedliche Probleme
auftreten. Deshalb sind unterschiedliche Strategien notwendig. Es muss außerdem zu einer Zusammenführung
der Außenpolitik mit anderen Politikfeldern kommen.
Ferner bedarf es einer Konzentration der Mittel auf die
Kernpunkte der Entwicklungszusammenarbeit. Dazu
hätte ich heute von Ihnen Aussagen in Bezug auf Afrika
erwartet. Aber das, was Sie vorgetragen haben, Frau Ministerin, ist mir, ehrlich gesagt, etwas zu wenig.
({4})
Ich möchte an einem Beispiel meine Vorstellungen
deutlich machen. Sie wissen, dass vor kurzem der WTOGipfel in Cancun gescheitert ist. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass die offenen Fragen, mit denen sich
dieser Gipfel befasst hat, weniger dringlich und weniger
lösungsbedürftig sind. Sie müssen natürlich gelöst werden.
Deutschland hat ganz besonders in Afrika eine hohe
Autorität, und zwar unabhängig davon, welche Partei in
Deutschland die Regierung stellt. Den Menschen in
Afrika ist natürlich noch gegenwärtig, was vor ungefähr
zehn Jahren die Koordinierungsleistung unseres damaligen Umweltministers Klaus Töpfer in Rio zuwege gebracht hat. Eine solche Energie für die Probleme, die in
Cancun zu lösen gewesen wären, aufzuwenden und eine
solche Koordinierungsleistung zu erbringen erwartet
man von einem der stärksten Länder Europas und der
Welt. Dies ist bis jetzt ausgeblieben.
({5})
Man erwartet von der deutschen Regierung ein klares
und deutliches Engagement und vor allen Dingen auch
die Fähigkeit, zu koordinieren und Probleme zu lösen.
Das ist bis jetzt, wenn Sie das einmal mit dem eben zitierten Beispiel vergleichen, ausgeblieben. Das sollten
Sie wissen.
Einen weiteren Punkt möchte ich nennen. In der letzten Plenarwoche, glaube ich, haben wir einen interessanten Beitrag des Kollegen Büttner gehört; darauf möchte
ich eingehen. Er hat uns darauf hingewiesen, wie lange
wir in Deutschland gebraucht haben, die Emanzipation
der Frau durchzusetzen. Es sei eine Überheblichkeit, zu
meinen, dass sie in den afrikanischen Staaten in zwei,
drei Jahren durchsetzbar sei. Da habe ich Sie sicher richtig zitiert. Herr Kollege Büttner, ich teile diese Einschätzung. Ich halte dieses Argument aber für sehr gefährlich,
wenn man es über diesen Sachverhalt hinaus anwendet.
Ich will Ihnen erklären, warum.
({6})
- Natürlich hat er das nicht so gesagt. Aber ich will die
Grenzen dieses Arguments einmal beleuchten.
({7})
Auch in Europa ist es erst seit kurzem gelungen, ganz
andere Verhaltensweisen abzulegen. Wie Sie wissen, ist
die jüngste europäische Geschichte auch durch Diktatur,
systematische Kriegsverbrechen, Massenmord und Ähnliches gekennzeichnet. Genau an dieser Stelle ist es nicht
arrogant von uns, bei solchen Erscheinungen sofortigen
Einhalt zu fordern, sondern es ist eine dringende Verpflichtung gegenüber den Opfern, eine unverzügliche
Einstellung zu fordern und nicht auf Geduld, Abwarten
und auf eine kulturelle Entwicklung zu setzen.
({8})
Das ist die Aufgabe, die wir haben. Das geschieht, verehrter Herr Büttner, meines Erachtens nicht mit ausreichendem Nachdruck.
Wir sind überhaupt bei der sprachlichen Identifikation
der Probleme Afrikas nicht genügend stringent. Ich will
Ihnen ein Beispiel nennen: Sie kennen vielleicht das
Buch von Bartholomäus Grill: „Ach, Afrika“.
({9})
In dem Buch „Ach, Afrika“ unterscheidet Bartholomäus
Grill zwischen exogenen und endogenen Ursachen der
Probleme in Afrika. Wir in Deutschland bzw. in ganz
Westeuropa sind viel zu stark darauf fixiert, die exogenen Probleme und Einwirkungen, die zu Notständen in
Afrika geführt haben - dazu gehören der Kolonialismus
und die Globalisierung; beides hat fraglos Wirkungen -,
politisch zu behandeln. Wir müssen aber allmählich wesentlich deutlicher auf die endogenen Fragen zu sprechen kommen. Eine solche Herangehensweise, wie Sie
sie in der letzten Sitzungswoche vorgetragen haben, hinArnold Vaatz
dert uns daran natürlich erheblich - und dies schon bei
der Identifikation der Sachverhalte. Diese Einstellung
müssen wir meines Erachtens ablegen, wenn wir wirklich zu den Kernpunkten vorstoßen wollen, bei denen
Hilfe nötig und erforderlich ist.
Ich möchte noch eine Bemerkung zu Simbabwe machen; das ist eben auch von der Frau Ministerin angesprochen worden. Ich finde es richtig und gut, dass der
Bundeskanzler dieses Problem in Südafrika angesprochen hat. Ich finde es weniger gut, dass er die Möglichkeit nicht genutzt hat, in Südafrika selbst mit Vertretern
der simbabwischen Opposition zu sprechen. Das wäre
ein Signal gewesen, das diese Menschen, die einen für
unsere Verhältnisse nahezu nicht nachvollziehbaren Mut
aufbringen, weiter ermutigt hätte, ihre gegenwärtige
Haltung durchzuhalten und sich von dem System nicht
unterkriegen zu lassen. Das ist leider ausgeblieben.
({10})
Ich bin froh, dass es ein großes Thema beim Gespräch
zwischen dem Bundeskanzler und dem südafrikanischen
Präsidenten Mbeki war. Im Nachhinein ist jedoch zu
konstatieren: Mbeki hat seine Politik gegenüber Simbabwe bis jetzt trotz der Einwirkung von Bundeskanzler
Schröder nicht geändert.
({11})
Es sind keinerlei Anzeichen dafür zu erkennen. Die Informationen, die uns darüber vorliegen, stammen aus
Gesprächen mit Oppositionellen aus Südafrika und aus
Simbabwe. Erst gestern haben wir ein derartiges Gespräch geführt, darin wurde genau dieser Sachverhalt in
aller Deutlichkeit festgestellt.
Ich erwarte von der Bundesrepublik Deutschland,
dass sie ihre Autorität in die Waagschale wirft und dafür
sorgt, dass in Südafrika verstanden wird, dass die deutsche Politik daran interessiert ist, die Katastrophe in
Simbabwe zu beenden, bevor es notwendig wird, dort
mit Friedenstruppen einzugreifen.
({12})
Ich erwarte ferner, dass die Bundesrepublik Deutschland
der Republik Südafrika erklärt, dass das große Ansehen,
das durch Nelson Mandela und die Entwicklung in Südafrika nach dem Ende der Apartheid erworben wurde,
auf dem Spielt steht, wenn sich Südafrika als Schutzmacht von Herrn Mugabe erweisen sollte. Dies ist leider
ausgeblieben.
({13})
- Ich kann Ihnen das Zitat von Herrn Mbeki gern vortragen, wenn Sie mir nicht glauben.
Herr Mbeki ist der Einzige gewesen, der mit harschen
Worten kritisiert hat, dass die Mitgliedschaft Simbabwes
im Commonwealth of Nations - das ist aus meiner Sicht
völlig berechtigt - für weitere Zeit suspendiert worden
ist. Diese Kritik hat er in Worte gefasst, die meines Erachtens nicht tolerierbar sind.
({14})
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat Frau Dr. Uschi Eid.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor
fast drei Wochen haben sich in der ruandischen Hauptstadt Kigali elf afrikanische Staats- und Regierungschefs
getroffen, um den Startschuss für einen bisher einmaligen Prozess gegenseitiger Bewertung zu geben. Vor
fünf Jahren wäre es noch völlig undenkbar gewesen,
dass afrikanische Politiker einwilligen, ihre Kollegen
einzuladen und ihre Politik gegenseitig zu überprüfen.
16 Politiker haben sich hierzu bislang verpflichtet.
Die gegenseitige Beurteilung soll Aufschluss über
Fortschritte und Hemmnisse auf dem Weg hin zu Demokratie und Wohlstand geben. Sie soll Schwächen, aber
auch Stärken der eigenen Politik identifizieren und somit
den anderen, den Nachbarn, die Möglichkeit geben, daraus zu lernen. Ghana, Kenia, Mauritius und Ruanda
- Ruanda ist ein Land, das vor fast zehn Jahren einen
ganz furchtbaren Völkermord erlebte - werden noch in
diesem Jahr diesen Prozess durchlaufen.
Die so genannte neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung, NEPAD, also die Reformagenda afrikanischer
Politiker, hat dieses neue Denken ausgelöst. NEPAD ist
aus Sicht der Bundesregierung eine wegweisende Strategie für die Entwicklung Afrikas und genau deswegen unterstützen wir sie.
({0})
Viele meinen, dass wir, wenn wir diese Strategie euphorisch unterstützen, die zahlreichen Probleme auf diesem Kontinent leugnen. Das ist nicht der Fall. In vielen
Teilen Afrikas müssen wir das Auseinanderbrechen von
Staaten beklagen, häufig begleitet durch gewalttätige
Konflikte oder Bürgerkriege. Wir kennen die verheerenden Auswirkungen von Aids und die Defizite im Bildungs- und Gesundheitswesen. Klientelismus und Korruption verhindern produktives Wachstum.
Doch gerade weil es diese Probleme gibt, müssen wir
diejenigen in Afrika unterstützen, die genau diese Misere beenden wollen. Herr Vaatz, ich halte nichts davon,
dass wir die Verantwortung übernehmen; vielmehr geht
es darum, die Reformer in Afrika zu stärken. Deshalb
hilft die Bundesrepublik Deutschland, den beeindruckenden Reformwillen in Afrika zu unterstützen.
Den gibt es trotz Simbabwe. Natürlich gibt es Simbabwe, aber Simbabwe steht nicht stellvertretend für den
gesamten Kontinent.
NEPAD und die Neugründung der Afrikanischen
Union sind Ausdruck dieses neuen Denkens. Die Reformer übernehmen Eigenverantwortung für ihre Fehler.
Sie unternehmen eigenverantwortliche Schritte zu notwendigen Problemlösungen. Südafrikas und Ghanas
Rolle in der Vermittlung von Friedensprozessen können
wir doch nicht übersehen.
Afrika zeigt ein neu erwachtes Selbstbewusstsein als
Kontinent, der etwas zu bieten hat. Afrika ist reich an
Rohstoffen. Ohne dessen kulturellen Einfluss sind unsere moderne Musik, unsere Malerei und unsere Museen
überhaupt nicht denkbar.
Afrika will nicht mehr der internationale Sozialhilfefall sein. Afrika will ein starker, attraktiver Wirtschaftsstandort werden. Angesichts der Probleme Afrikas hört
sich das traumwandlerisch an. Doch die Bundesregierung nimmt die afrikanischen Reformer ernst. Wir haben
die Bedeutung dieser politischen Dynamik früh erkannt
und sie konsequent umgesetzt.
Der Bundeskanzler hat zusammen mit den anderen
G-8-Staats- und -Regierungschefs bereits 2001 in Genua
NEPAD Unterstützung zugesagt. Herr Vaatz, ich bitte
Sie: Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der Bundeskanzler
nicht erst im Januar 2004 Afrika entdeckt hat. Er hat spätestens auf dem G-8-Gipfel in Genua mit den afrikanischen Staatschefs über ihre neue Reformstrategie diskutiert, sie für gut befunden und Unterstützung zugesagt.
({1})
2002 wurde in Kananaskis der G-8-Afrika-Aktionsplan
verabschiedet. Er legt die konkrete Unterstützung der
afrikanischen Reformschritte systematisch fest. Der Aktionsplan wurde in einem intensiven Dialog zwischen
den G-8-Afrika-Beauftragten und den NEPAD-Vertretern ausgearbeitet. Ich war im Laufe eines Jahres neunmal mit afrikanischen Kollegen zusammen, um diesen
Plan auszuarbeiten.
Dieser Plan setzt inhaltliche Prioritäten, die für die Entwicklung Afrikas zentral sind. Es geht um die Förderung
von afrikanischen Eigenanstrengungen bei Konfliktverhütung und -bewältigung, von verantwortungsvoller, entwicklungsorientierter Innenpolitik, von wirtschafts- und
investitionsfreundlichen staatlichen Rahmenbedingungen, von Handel und Wirtschaftswachstum, von Bildung
und Kampf gegen Aids, des Wassersektors und der Landwirtschaft und um Entschuldung. Dies sind Prioritäten,
die die Agenda von NEPAD widerspiegeln.
Der G-8-Afrika-Aktionsplan bildet einen wichtigen
Orientierungsrahmen für die Afrikapolitik der Bundesregierung. Deshalb haben wir begonnen, unsere Unterstützung für Afrika entsprechend neu zu gewichten. Das
Auswärtige Amt hat für die fünf Regionen Afrikas Strategien entworfen, die nicht nur die Probleme, sondern
auch die deutschen Interessen und die Ziele sowie die
Umsetzungsmöglichkeiten analysieren. Der Kollege
Volmer hat dies in der letzten Legislaturperiode federführend eingeleitet.
Das BMZ hat seinerseits mit einem Positionspapier
zur Entwicklungszusammenarbeit mit Subsahara-Afrika
auf die von mir skizzierte neue politische Dynamik in
Afrika reagiert. Auch die Ministerin hat also sofort auf
diese Dynamik in Afrika reagiert.
Der Bundeskanzler hat den politischen Aufbruch auf
dem afrikanischen Kontinent mit seiner jüngsten Afrikareise sichtbar unterstützt. Davor taten dies der Außenminister und die Entwicklungsministerin. Ich bin dankbar,
dass Bundespräsident Rau in zwei Wochen noch einmal
nach Afrika reist und eines der aktivsten NEPADLänder, nämlich Nigeria, besucht und damit Präsident
Obasanjo den Rücken stärkt. Er hat es in seinem eigenen
Land wahrlich nicht einfach.
({2})
Deswegen ist dies ein wichtiges Signal, mit dem wir ihn
als einen wichtigen Reformer auf dem afrikanischen
Kontinent stärken können.
All das ist nicht nur im Interesse Afrikas - das muss
uns klar sein -, sondern auch in unserem Eigeninteresse.
Denn die Entwicklung Afrikas ist für Europa und für
Deutschland wichtig. Wenn auf unserem Nachbarkontinent Aids nicht eingedämmt wird, wenn Konflikte nicht
gemindert werden und Fundamentalismus und Terrorismus aufeinander treffen, dann schlägt dies auch auf
Europa zurück.
({3})
Wenn wir die Mobilisierung des Entwicklungspotenzials in Afrika zur Wohlstandsmehrung und für demokratische Stabilisierung unterstützen können, gewinnen
wir alle: durch mehr internationale Stabilität und Sicherheit, aber auch durch wachsende wirtschaftliche
Chancen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Deutschland
seinem europäischen Nachbarkontinent zuwendet, von
dem uns bei Gibraltar nur 14 Kilometer trennen.
Wie setzt die Bundesregierung den G-8-Afrika-Aktionsplan um? Lassen Sie mich das anhand nur weniger
Beispiele aufzeigen. Wie stärken wir Frieden und Sicherheit? Diese Frage wird im ersten Kapitel des
NEPAD-Dokuments und des G-8-Afrika-Aktionsplans
behandelt. Denn in Afrika heißt es zu Recht: Ohne Frieden keine Entwicklung. Was tun wir also? Auf dem G-8Gipfel, der im Juni letzten Jahres in Evian stattfand,
wurde ein gemeinsam mit den afrikanischen Partnern erarbeiteter Plan zur Förderung der Fähigkeiten Afrikas
zur Durchführung von Friedensmissionen verabschiedet. Wir alle wissen: Konflikte können letztlich nur von
den betroffenen Gesellschaften selbst bewältigt werden.
Daher hat sich Deutschland maßgeblich für die gemeinsame Afrika-G-8-Friedensinitiative eingesetzt. Ihr Ziel
ist es, die afrikanischen Staaten bis zum Jahr 2010 zu befähigen, selbst effektive Friedenseinsätze durchzuführen.
An dieser Stelle möchte ich eines ausdrücklich betonen: Trotz dieser gemeinsamen Anstrengungen zur
Stärkung eigener Friedensmissionen Afrikas wäre es
eine Illusion, zu glauben, dass bis dahin und möglicherweise auch darüber hinaus in akuten Konflikten wie unlängst im Kongo oder in Liberia keine Interventionen der
internationalen Gemeinschaft mehr notwendig wären.
Die Unterstützung der Bundeswehr, zum Beispiel durch
den Artemis-Einsatz im Kongo, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir - wie es Bundesverteidigungsminister Struck am letzten Wochenende meiner ganz persönlichen Meinung nach richtigerweise gefordert hat - unsere
Verantwortung gegenüber Afrika auch in Extremsituationen wahrnehmen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, sage
ich: Konfliktprävention und ziviles Konfliktmanagement
sind für uns das A und O. Im Rahmen der G-8-Afrikapolitik besteht Deutschlands Beitrag insbesondere in der
Stärkung der zivilen Komponente. Dies tun wir bereits,
zum Beispiel mit der Förderung des Kofi-Annan-Friedensausbildungszentrums in Ghana. Dieses Ausbildungszentrum, das aus Mitteln des Auswärtigen Amtes
erbaut wurde, hat der Bundeskanzler kürzlich auf seiner
Afrikareise eröffnet. Die Entwicklung entsprechender
Lehrpläne für die Ausbildung ziviler Friedensfachkräfte
und die Durchführung der Kurse werden aus Mitteln des
BMZ finanziert. Die Beraterleistung vor Ort stellt das
Verteidigungsministerium. Das ist ein wahrhaft gutes
Beispiel für kohärente, präventive Friedenspolitik.
({4})
Unsere Initiative „Wasser teilen - Konflikte in Afrika
vermeiden“ bildet eine weitere friedenspolitische Säule.
Wasser ist für die Entwicklungschancen jedes Landes
von zentraler Bedeutung. Deshalb ist die Frage der Verteilungsgerechtigkeit eine Frage von Frieden und Sicherheit, insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent, wo
59 Flüsse von mehr als einem Staat genutzt werden. Unsere Maßnahmen zielen auf die friedliche, grenzüberschreitende Nutzung des Wassers im Einzugsgebiet der
großen afrikanischen Flüsse. Die aktuellen Auseinandersetzungen um den Nil zeigen, wie drängend dieses
Thema ist.
Vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Nachbarländern unterstützen wir auch mit der KongobeckenWaldinitiative. Ihr Anliegen ist es, eine gemeinsame,
nachhaltige Forstpolitik der sechs Kongobeckenländer
zu entwickeln, um damit das größte Tropenwaldgebiet in
Zentralafrika zu retten, und zwar jenseits der Frage, wie
das Verhältnis zwischen den jeweiligen Nachbarländern
ist.
Aus Zeitgründen ist es mir nicht möglich, noch mehr
über die Umsetzung des Aktionsplanes zu berichten.
Aber ich glaube, die Ministerin hat sehr eindrucksvoll
dargestellt, was in diesem Bereich alles getan wird. Herr
Präsident, es war mir wichtig, die Umrisse der Afrikapolitik der Bundesregierung aufzuzeigen, um klar zu machen, dass es sich hierbei nicht um eine Entwicklungshilfekooperation mit Afrika handelt, Herr Vaatz.
({5})
Das Konzept der Afrikapolitik der Bundesregierung besteht in einem Zusammenspiel von Außen-, Sicherheits-,
Entwicklungs-, Umwelt- und Außenwirtschaftspolitik.
({6})
Sie ist eine der wichtigsten Säulen im Rahmen der G-8Afrikapolitik. Sie ist nicht nur bilateral, sondern sogar
international abgestimmt und stellt einen wesentlichen
Bestandteil der Afrikapolitik der wichtigsten Industrienationen dieser Erde dar.
Zum Schluss: Wir haben beim G-8-Gipfel im nächsten Jahr wieder Afrika auf der Tagesordnung. Vielleicht
wäre dies ein guter Anlass, Herr Präsident, dem Hohen
Hause über die weitere Umsetzung des G-8-Afrika-Aktionsplanes wieder Bericht zu erstatten. Den ersten Bericht, den der Bundeskanzler hat drucken lassen, darf ich
Ihnen überreichen.
({7})
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Ulrich
Heinrich, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Als Freund Afrikas begrüße ich außerordentlich, dass
mit dieser Debatte das politische und das öffentliche Interesse wieder auf diesen ach so geschundenen Kontinent gelenkt wird. Wir beobachten mit großer Aufmerksamkeit und fördern mit Kräften, was die Afrikaner
selber tun, bei der Afrikanischen Union, bei der NEPAD,
im Peer-Review-Prozess. Wir sind der Meinung: Nur
Afrika kann sich selbst helfen. Wir können dabei zwar
mithelfen, aber Afrika muss seine eigenen Positionen allein finden. Nur so kann es Erfolg haben.
({0})
Wir haben eine Bilanz der Afrikapolitik der Bundesregierung zu ziehen, auch bezüglich des hohen finanziellen Aufwandes. Wir müssen schauen: Was ist angekommen, wie haben wir gearbeitet und wo müssen wir
umsteuern? Bei dieser Bilanz müssen wir zunächst einmal die Situation in Afrika selber beurteilen. Hier kommen wir - trotz allem eigenen Bemühen, das ich gerade
unterstrichen habe - zu dem Resümee, dass SubsaharaAfrika - bis auf wenige Ausnahmen - aus ausgesprochen
schwachen Staaten besteht. Die Schwäche der Staaten
führt zum Staatszerfall, wie wir ihn zum Beispiel in Somalia zu beklagen haben. Die Schwäche der Staaten führt
natürlich ferner dazu, dass die Armut nicht erfolgreich
bekämpft werden kann. Alle Maßnahmen führen zu
nichts, wenn der Staat selber nicht stark genug ist, die
entsprechenden Strukturen mit aufrechtzuerhalten und
mit zu begleiten; das gehört unmittelbar zusammen.
({1})
Wir müssen feststellen: Konflikte größeren Ausmaßes
in Afrika sind nach wie vor an der Tagesordnung. Rund
zwölf Kriege werden derzeit auf diesem Kontinent geführt, die kleineren Konflikte habe ich dabei überhaupt
nicht mitgezählt. Es sind zu nennen: Westafrika, die
Große-Seen-Regionen, das Horn. All diese Regionen
sind ausgesprochen instabil, was dazu führt, dass sich
Wachstum und Wohlstand nicht entwickeln können und
dass die Armut nicht bekämpft werden kann. Ein weiterer großer Bereich, der in unserer Politik behandelt werden muss, ist HIV/Aids, diese große Geißel der Menschheit. Von weltweit 34 Millionen HIV-Infizierten leben
24 Millionen in Afrika. Diese Zahl ist sehr deutlich.
Wie haben wir die derzeitige Politik der Regierung zu
bewerten? Vor dem Hintergrund der von mir genannten
Herausforderungen müssen wir sagen: Die Bundesregierung reagiert sehr unzureichend auf sie. Für die Bundesregierung stehen Projektorientierung und starre Budgetrichtlinien nach wie vor im Vordergrund. Eine große
Zahl von Projekten wird häufig - leider Gottes - ohne
Beachtung des Prinzips der Nachhaltigkeit betrieben.
Wir müssen nach wie vor feststellen, dass die Bekämpfung von HIV/Aids nicht ausreichend gefördert wird.
Die Koordination der deutschen Durchführungsorganisationen vor Ort ist mangelhaft. Auch die Koordination
der Geberstaaten ist mangelhaft.
Wir stellen fest: Bei einer fehlenden Gesamtstrategie
müssen die immer knapper werdenden Mittel, die wir
auch in diesem Fall zu registrieren haben, effektiver eingesetzt werden.
({2})
Wie sieht der liberale Weg aus? Wir dürfen nicht
mehr den Entwicklungen hinterherlaufen, sondern
müssen selber die Richtung bestimmen. Unser Hauptaugenmerk in der Entwicklungspolitik muss auf ein
funktionierendes Staatswesen gerichtet sein. Good
Governance und die Herstellung oder Förderung staatlicher Leistungsfähigkeit und staatlicher Institutionen
durch Regierungsberatung müssen hier im Vordergrund
stehen. Dazu gehören die Reformen des Sicherheitssektors. Die Rechtssicherheit muss hergestellt werden.
Wir brauchen unabhängige Gerichte und eine Verbesserung des Steuersystems, Rechnungshöfe müssen eingerichtet werden. Wir brauchen Korruptionsbekämpfung,
die Unterstützung von Sektorvorhaben und Basketfinanzierung.
({3})
Wir müssen dazu beitragen, dass den Staaten, die
selbst nicht in der Lage sind, Konflikte gewaltfrei auszutragen, die Befähigung dazu gegeben wird. Einige Positionen sind hier bereits positiv angemerkt worden. Das
Kofi-Annan-Center ist hierzu ein wichtiger Beitrag,
reicht aber bei weitem nicht aus. Nachhaltige
Entwicklung - das möchte ich hier noch einmal ganz
deutlich machen - ist nur mit einigermaßen stabilen
Staaten zu erreichen. Wir brauchen für jeden Staat einen
Masterplan, der uns in die Lage versetzt, Schwerpunkte
richtig zu setzen, um unsere Hilfe dann auch strategisch
richtig einsetzen zu können.
Wir brauchen eine klare Koordinierung der Geber,
inklusive der EU; die Geber müssen in den Dialog mit
den Regierungen der afrikanischen Staaten eingebunden
werden. Da gibt es derzeit ein riesiges Defizit.
({4})
Bei der Koordinationsarbeit ist es auch von großem
Nachteil, dass die Bundesregierung mit zwei Häusern
vertreten ist. Wir setzen uns deshalb nachdrücklich dafür
ein, dass das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und das Auswärtige Amt zusammengelegt werden.
({5})
Auf meinen Reisen erlebe ich immer wieder, dass
deutsche Entwicklungspolitik vor Ort nicht verstanden
wird;
({6})
denn die Menschen wissen nicht, an wen sie sich zu
wenden haben, weil ihnen ein ganzer Strauß von Angeboten überreicht wird. Das sind Aussagen von Mitgliedern der Organisationen vor Ort.
Ich sage zum Schluss noch einmal ganz deutlich: Wir
Liberale stehen auch dem Gedanken einer Entkopplung
von unternehmerischen Interessen und Durchführungsauftrag bei GTZ und KfW nahe. Hier müssen wir einen
Schritt weiterkommen.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.
Wir halten auch sehr viel von einer Lösung, die das
bestehende Monopol auflöst und die Konkurrenz mit anderen Wettbewerbern aufnehmen muss.
Lassen Sie mich zusammenfassend zum Schluss
sagen -
Nein, Herr Kollege.
Lassen Sie mich den letzten Satz noch sagen. - Wir
wollen, dass wir neben der finanziellen und der technischen Zusammenarbeit auch eine politische Zusammenarbeit, eine PZ, mit einer eigenständigen Budgetierung bekommen, sodass wir stärker zur Stabilisierung
von Staaten beitragen können. In diesem Sinne hoffe ich,
dass die Afrikapolitik in Zukunft auf einem besseren
Weg ist.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Hans Büttner, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In
der Tat, diese Afrikadebatte stößt auf großes öffentliches
Interesse, vor allem auch unserer afrikanischen Freunde
und Kollegen. Ich darf hier die Vertreter der Botschaften
herzlich begrüßen, die dieser Debatte folgen.
({0})
Herr Vaatz und Herr Heinrich, gestatten Sie mir zwei
kurze Einwände auf Ihre Hinweise. Sicherlich ist es richtig, dass man nicht alles nur aus der Geschichte erklären
und erläutern darf. Nur, ohne Kenntnis der Geschichte,
ohne Wahrnehmung dessen, was einmal war, kommt
man sehr schnell ins Schleudern oder lässt sich dazu verleiten, Forderungen aufzustellen, die wieder sehr stark
an das erinnern, was europäische und selbst deutsche
Kolonialgeschichte ausgemacht hat.
({1})
Ich will Ihnen durch zwei Zitate einen Rückblick auf
die Entwicklung Afrikas - auch auf die positiven Entwicklungen - geben.
Der Direktor der Deutschen Afrikagesellschaft, der
für das Kolonialamt für Afrika zuständig war, hat 1906,
nachdem das Deutsche Reich durch seine sehr menschenunwürdige Kolonialpolitik sehr große Defizite erwirtschaftet hatte, erklärt, man brauche ein Umdenken:
„Hat man früher mit Zerstörungsmitteln kolonialisiert,
so kann man heute mit Erhaltungsmitteln kolonialisieren. Dazu gehören der Missionar, der Arzt, die Eisenbahn und die Maschine, also die fortgeschrittenen
theoretischen und angewandten Erkenntnisse der Wissenschaft auf allen Gebieten. Dadurch kann man mehr
aus den Ländern herausholen, als wenn man sie unterdrückt.“ Das hat übrigens auch Cäsar schon einmal gesagt. So viel dazu.
Genau diese Aussage hat auch Harold Macmillan gemacht, als er die englischen Kolonien 1960 und 1964 in
die Unabhängigkeit entlassen hat. Er hat immer erklärt:
Wenn wir sie in die Unabhängigkeit entlassen, sie aber
nach wie vor an uns binden, dann werden wir genauso
viele Profite haben wie vorher. Das war damals die Philosophie in Bezug auf die Unabhängigkeit, die im OstWest-Konflikt noch verstärkt worden ist. Herr Vaatz, ich
habe darauf hingewiesen, weil diese Erkenntnis für die
neue afrikanische Elite Auslöser dafür war, zu erkennen
- das galt zuerst für Thabo Mbeki und sein Konzept der
„African Renaissance“ -, dass man sich auf seine eigenen Fähigkeiten und Stärken zurückbesinnen und dafür
sorgen muss, dass Afrika in seinem Handeln und mit seiner Wirtschaft nicht länger als einzige Entwicklungsregion ausschließlich von den früheren Kolonialmächten
abhängig ist.
({2})
Heute finden immer noch 80 Prozent des Handels der
afrikanischen Länder mit den ehemaligen Kolonialländern statt. Nur 20 Prozent verbleiben dem innerafrikanischen Handel. Es gibt keine Region auf der Welt, in der
es ein solches Ungleichgewicht gibt, das zu der entsprechenden Vernachlässigung und Erschwerung der Entwicklung führt. Das hat dazu geführt, dass es in Afrika
auch in den Jahren nach der Unabhängigkeit zu keinerlei
Wirtschaftswachstum gekommen ist, während die Bevölkerung gleichzeitig enorm zugenommen hat. Das war
die Ursache für die Verarmung. Es ist die Absicht des
„African Renaissance“-Konzepts und der NEPAD-Initiative, dies umzukehren und dort eine Infrastruktur zu
schaffen, die den innerafrikanischen Handel stärkt.
Seit einigen Jahren wird das Ziel, dies in einer kooperativen, technischen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit innerhalb Afrikas umzusetzen, von den Regierungen und ihren Parlamenten, die sich zunehmend in
sehr positiver Weise beteiligen, vorangetrieben. Man
muss mit Straßen und Schienen innerhalb des südlichen und westlichen Afrikas dafür sorgen, dass untereinander Handel getrieben werden kann. Wenn man von
Südafrika oder Äthiopien nach Nigeria fliegen will, dann
darf man nicht erst über London oder Johannesburg fliegen müssen. Es ist erkannt worden, dass diese Ziele und
Aufgaben, die Voraussetzung für eine Entwicklung in
Afrika sind, angegangen werden müssen.
Ich freue mich, dass die Bundesregierung mit ihrer
Politik auf diese neue Zielsetzung konsequent und sofort
eingegangen ist. Sie ist von ihrer ursprünglichen Aussage abgekommen, nach der der alte Weg, in den einzelnen Ländern zu helfen, weiterhin beschritten werden
soll. Das war gut, es ist humanistisch und richtig. Das
musste man tun. Sie hat aber erkannt, dass man hier kooperieren und koordinieren muss, und sie hat das schon
kurz nach der Regierungsübernahme mit Blickrichtung
auf die G 8 und die EU in Angriff genommen.
Wir alle wissen, dass das nicht von heute auf morgen
geht. Seit 20, 30 Jahren reden wir über eine Änderung
des Länderfinanzausgleichs und eine Änderung der Kooperation der Länder untereinander. Auch das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das gilt auch für
Maßnahmen innerhalb der EU. Wir beklagen uns ja häufig darüber, wie schwerfällig der Apparat ist.
In unserer nationalen Entwicklungspolitik konzentrieren wir uns inzwischen auf die Entwicklung, die
Armutsbekämpfung, die Wasserversorgung. In der
EU-Entwicklungspolitik müssen wir uns auf die Schaffung von Infrastruktur, nämlich auf den Bau von Straßen, auf den Verkehr usw. konzentrieren. Dies sind Voraussetzungen für die Zusammenarbeit in diesem Bereich. Es ist völlig klar, dass man hier immer noch besser
Hans Büttner ({3})
werden kann. Wichtig ist aber, dass es sofort und nicht
erst fünf oder zehn Jahre später in Gang gekommen ist.
Daneben haben wir die Initiativen der Afrikaner
unterstützt, bei denen es um die Herstellung von Sicherheit geht.
Ich habe es in böser Erinnerung - das schmerzt mich
heute noch -: 1992 hat mein Kollege Werner Schuster,
der leider viel zu früh gestorben ist, in Bonn einen Antrag eingebracht, nachdem er aus Ruanda und Burundi
zurückgekommen war.
Er hat erklärt: Wenn wir nicht bereit sind, die Afrikaner, die eine Friedenstruppe nach Ruanda und Burundi
schicken wollten, um einen Völkermord zu verhindern,
mit 20 Millionen DM zu unterstützen - dies war die Forderung des Antrags -, dann wird es dort einen Völkermord geben. Dieser Antrag wurde damals mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen abgelehnt. Zwei Jahre
später kam es zum Völkermord. Wir haben viele Millionen an Hilfsmitteln zahlen müssen, aber das wäre noch
das Geringste gewesen. Wir haben jedoch Millionen an
toten Kindern und Erwachsenen erleben müssen.
Diese Regierung hat jetzt frühzeitig die Initiative ergriffen, um nicht nur in Ghana, sondern auch in den drei
afrikanischen Regionalzentren, die in Kenia und auch im
Bereich der SADC entstehen, eine eigenständige Friedenstruppe aufzubauen. Dies hat sich jedoch ein wenig
verzögert, weil wir nicht damit einverstanden waren,
dass hier Mugabe die Verantwortung trägt.
Diese Initiative hat dazu geführt, dass sich diese Regierung darauf eingestellt hat, mithilfe der NEPADInitiative stabile Strukturen innerhalb Afrikas zu schaffen. Ich freue mich, dass sich sowohl die GTZ als auch
andere Stiftungen verstärkt darauf konzentrieren, Verwaltungen aufzubauen, die durchgängig dafür sorgen,
dass dort Recht, Gesetz und Entwicklung überhaupt zum
Tragen kommen. Wie kann man denn meinen, man
könnte etwas in einem Land wie dem Kongo erreichen ich habe das letzte Mal darauf hingewiesen -, das so
groß wie ganz Westeuropa ist, aber nur zwei oder drei
Straßenverbindungen besitzt? Wie kann man 50 Millionen Menschen erreichen, wenn es keine Straßen, keinen
Verkehr und keinen Zugang zueinander gibt?
({4})
- Auch die Polizei, die dort aufgebaut werden muss,
muss erreichbar sein. Sie muss außerdem bezahlt werden. Das ist der Punkt. Auch dabei helfen wir. Deswegen
wurde zugesagt, dass wir beim Aufbau einer Polizei
auch im Kongo helfen werden.
({5})
- Doch.
Ich will noch einen anderen Punkt erwähnen. Uns
liegt noch ein zweiter Antrag zur Beratung vor. Liebe
Kolleginnen, liebe Kollegen, auch das gehört dazu: Wir
erklären vollmundig, mit Überzeugung und wahrscheinlich aus vollem Herzen und mit gutem Gewissen, dass
wir die Selbstbestimmung und die Verantwortung der
Staaten respektieren. Wenn man ein bisschen auf die
Entwicklung der Länder zurückschaut, dann wird jedoch
so manches deutlich. Ich empfehle jedem, dieses Buch
über deutsche Kolonialgeschichte, das ich in der Hand
halte, zu lesen. Mir geht es nicht darum, in uns allen
Schuldgefühle zu wecken, aber wir müssen erkennen,
wie stark wir durch eine falsche Propaganda geprägt
sind, die in den 20er- und 30er-Jahren eine Mystifizierung nach sich zog.
Wir haben wie alle anderen Kolonialmächte dazu beigetragen, dass die Bevölkerung Afrikas patriarchalisiert,
unterdrückt und vor allem ihres Lebensraumes beraubt
worden ist, indem zahlreiche Menschen vertrieben und
riesige Farmen aufgebaut wurden, die weder ökologisch
noch ökonomisch sinnvoll waren, aber zu großer Ungerechtigkeit geführt haben. Wenn deswegen in einigen
dieser Staaten - dazu zähle ich Südafrika, Simbabwe
und Namibia, aber auch Äthiopien - von den Regierungen das Thema Landreform auf die Tagesordnung gesetzt worden ist - dieses Thema ist nicht neu -, dann ist
das wichtig und richtig. Wenn diese Landreform legal
abläuft, dann müssen wir sie massiv unterstützen und
nicht wieder infrage stellen.
({6})
Jetzt geht es darum, alles dafür zu tun, dieses drängende Problem nicht beiseite zu schieben und dadurch
zu diffamieren, dass vielleicht in dem einen oder anderen Fall landlose Menschen unruhig werden, wenn
nichts passiert. Ich nenne als Beispiele Namibia und
Südafrika. Ich finde es wirklich nicht gut, dass es in der
heutigen Zeit immer noch mächtige Farmbesitzer gibt,
die nichts dabei finden, ihre Farmarbeiter, die seit
15 oder 20 Jahren auf der Farm tätig sind, von ihrem
Grund und Boden zu verjagen, weil sie ihre Viehbetriebe
in Gameparks umwandeln.
Ich finde es erst recht nicht gut, dass es heute noch
passiert, dass eine Familie, deren Vater, der 15 Jahre auf
der Farm gearbeitet hat, gestorben ist, auf die Straße gesetzt wird und das Land verlassen muss. Darüber sollten
wir uns massiv aufregen. Dann könnten wir Unruhen
verhindern. Das würde auch verhindern, dass Regierungen solche Notlagen ausnützen und gegen Recht und Gesetz verstoßen, um an der Macht zu bleiben.
Ein letzter Satz dazu: Die Menschen in Afrika sind
aufgrund ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen sehr wohl
in der Lage, mehr zu leisten und sich selbst zu helfen,
wenn wir sie lassen und sie dabei unterstützen. Ich
glaube, dass noch viele Vorurteile in den Köpfen derer
sind, die in Afrika tätig sind. Es wird gesagt, die Afrikaner seien nicht so fleißig und wollten nicht arbeiten.
Diese Einstellung ist in vielen Jahren aufgebaut worden.
Ich will mit einem Zitat des deutschen Bauherrn der Eisenbahn zwischen Daressalam und Moshi von 1906
schließen:
Ohne die zweifellos vorhandene natürliche Begabung der Schwarzen und ohne ihren guten Willen
und ihre gute Anpassungsgabe, vor allem für technische Dinge, wäre es nicht zu schaffen gewesen.
Hans Büttner ({7})
Das gilt auch heute noch.
Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Politik auf
diese neue Initiative der Afrikaner voll eingestellt.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss
kommen.
Das ist in den Anträgen festgehalten. Die CDU/CSU
hat das mit ihrem Antrag eigentlich bestätigt. Sie hat nur
versucht, irgendetwas herauszufinden und uns zu toppen. Das ist mein Schlusssatz.
Herr Kollege, Ihr Schlusssatz hätte vor zwei Minuten
sein müssen.
Sie haben in Ihrem Antrag nur ausgesagt, es müsste
noch mehr geschehen. Ich sage euch: Ich finde das etwas
verwegen. Wer uns einen solchen Schuldenberg hinterlassen hat, der sollte insbesondere angesichts dessen,
was wir bereits machen, nicht noch mehr verlangen und
etwas stiller sein.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Conny Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich freue mich sehr, dass wir heute im Deutschen
Bundestag die Gelegenheit zu einer Afrikadebatte haben. Nur durch Diskussionen wie diese gelingt es uns,
das Bewusstsein für die Chancen und die Herausforderungen des Kontinentes zu wecken.
Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit,
das bevölkerungsreichste Land Afrikas zu besuchen. Ich
war in Nigeria. Nigeria ist mit rund 130 Millionen Einwohnern das geostrategisch wichtigste Land in Westafrika und in Zentralafrika. Ein Land, das mit großem
Ölreichtum gesegnet ist und dessen Landschaft durch
eine unglaubliche Vielfalt beeindruckt. Die wirtschaftliche Metropole Lagos mit geschätzten 13 Millionen Einwohnern ist die größte Stadt in Subsahara-Afrika.
Das Land ist ein wichtiger Erdöllieferant und nicht
nur das. Es war bis vor wenigen Jahren auch Schwerpunktland deutscher Wirtschaftsinvestitionen in Westund Zentralafrika. Doch spielt Deutschland in Nigeria so
gut wie keine Rolle mehr, weder politisch noch wirtschaftlich. Nigeria ist ein Beispiel, das uns zeigt, dass
wir es verpasst haben, unsere Interessen zu definieren
und diesem strategisch wichtigen Land unsere Partnerschaft anzubieten. Dieses Beispiel zeigt uns auch: Das
Schicksal Afrikas südlich der Sahara sollte uns nicht nur
aus ethisch-moralischen Gründen am Herzen liegen.
Afrikas Zukunft hat auch und gerade für unsere ureigensten Interessen Bedeutung. Das mag in vielen Ohren
erstaunlich klingen. Ich will dies an fünf Punkten deutlich machen.
Erstens. Wir müssen intensiver als bisher gegen
Zonen der Instabilität und Ordnungslosigkeit in
Afrika vorgehen.
Diese stellen eine sicherheitspolitische Gefahr dar. Sie
sind Rückzugsraum sowie eine Rekrutierungs- und Finanzierungsquelle für Terrorismus und internationale
Kriminalität.
Zweitens. Wir müssen unseren Beitrag zur Stabilisierung in Afrika leisten. Denn dort entspringen länder- und
kontinentübergreifende Migrations- und Flüchtlingsströme, die bis nach Europa und damit auch bis nach
Deutschland reichen.
Drittens. Wir müssen eine sich selbst tragende wirtschaftliche Entwicklung der afrikanischen Völker und
insbesondere den Aufbau eines soliden Mittelstands in
afrikanischen Staaten fördern. Nur so können wir gleichwertige Wirtschaftspartner und zukünftige Absatzmärkte für unsere exportorientierte Wirtschaft finden.
Viertens. Wir müssen gleichzeitig unserer Wirtschaft
Hilfestellung bei der Wahrnehmung unserer Außenwirtschaftsinteressen - vor allem im südlichen Afrika - auch
in Richtung einer vernünftigen und fairen Nutzung afrikanischer Rohstoffressourcen leisten.
({0})
Fünftens, der letzte Punkt. Wir müssen durch den
Schutz der Ökosysteme und der Artenvielfalt die Vielfalt der Schöpfung bewahren. Die eigenen Interessen
zu benennen und zu verfolgen hat nichts mit Nationalismus oder Neokolonialismus zu tun. Aber nur so machen
wir unsere Afrikapolitik für unsere afrikanischen Partner
kalkulierbar und für unsere Bürgerinnen und Bürger
plausibel.
({1})
Sicherlich darf man sich keinen Illusionen hingeben.
Die schwierige afrikanische Realität macht es uns nicht
einfach, unsere Interessen zu verfolgen. Wir haben aber
in unserem ureigenen Interesse keine Alternative. Im
Übrigen gibt es im heutigen Afrika - wie wir in unserem
Antrag zu Beginn deutlich hervorgehoben haben - nicht
nur Schatten, sondern auch Licht. Ich erinnere in diesem
Zusammenhang an die bereits erwähnte viel versprechende NEPAD-Initiative und an den politischen und
wirtschaftlichen Aufbruch in Südafrika, Ghana und jetzt
auch in Kenia.
Ein zentraler Punkt der Diskussion über Afrika ist die
Bekämpfung von HIV/Aids. Sie haben dieses sehr wichtige Thema bereits angesprochen, Frau Ministerin. Ich
bin der Überzeugung, dass wir entgegen Ihren anders
lautenden Bekenntnissen immer noch weit davon entfernt sind, die Seuche auf dem afrikanischen Kontinent
Conny Mayer ({2})
zu bekämpfen. In dem, was wir leisten können, bleiben
wir hinter Staaten wie Frankreich und Italien zurück.
({3})
Ich will einen weiteren Punkt ergänzen, der zwar
schon angesprochen wurde, den ich aber für einen zentralen Punkt halte, wenn es um die Entwicklung des afrikanischen Kontinents geht. Unsere Außen- und Entwicklungspolitik ist immer noch zu schwerfällig. Sie
müsste flexibler werden und schneller auf sich verändernde Situationen reagieren, sei es bei der Vergabe von
Entwicklungsgeldern oder bei der Verhängung von
Sanktionen. Trotz gegenteiliger wortreicher Bekundungen hat es die Bundesregierung - das möchte ich als
maßgeblichen Kritikpunkt anführen - bisher versäumt,
auf internationaler Ebene eine längst überfällige Initiative zur Straffung der Geberkoordinierung zu ergreifen.
Der Kollege Hans Büttner hat angesprochen, dass
eine Koordination der Länder notwendig ist. Notwendig
ist aber vor allem die Koordinierung in den einzelnen
afrikanischen Ländern.
({4})
Auch der jüngste Aktionsplan des Entwicklungsministeriums für eine bessere Koordinierung hat, wie viele andere Aktionspläne, noch keinen nennenswerten und
messbaren Erfolg gebracht.
Wir als Unionsfraktion fordern deshalb die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, eine neue Zeit einzuläuten und in der deutschen Afrikapolitik den Weg nach
vorn einzuschlagen. Deutschland braucht mehr Realismus, eine klare Interessendefinition, eine klare Strategie
und das nötige Engagement für den Umgang mit dem
sich wandelnden afrikanischen Kontinent. Die Reise des
Bundeskanzlers war ein wichtiger Schritt und auch der
Außenminister hat Afrika besucht. Aber Afrika braucht
stärker als bisher politische Beachtung auf allerhöchster
Ebene der Bundesregierung.
Lassen Sie mich mit einem afrikanischen Sprichwort,
mit einem Appell enden, der sich an die Bundesregierung und alle hier im Hause Vertretenen richtet: „Viele
kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine
Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“
Wir, die Unionsfraktion, wollen gemeinsam mit der
Bundesregierung und unseren afrikanischen Partnern
Schritt für Schritt, aber mit großem Nachdruck und
Engagement den Weg in eine bessere Zukunft Afrikas
gehen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege KarlTheodor Freiherr von und zu Guttenberg.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In dieser Debatte haben Redner von allen Fraktionen viele verdienstvolle Gedanken vorgetragen, auch
wenn sie letztendlich, Herr Kollege Büttner, vielleicht
etwas pauschal ausgefallen sind. Zudem ist die Idee der
Krisenprävention angesichts der Notwendigkeit zur
Neugestaltung im Wachstum begriffen. Ein Wachstums- und Gestaltungsprozess erfordert jedoch auch
die Kraft zur Koordinierung. Frau Staatssekretärin Eid,
ich kann vieles erkennen, aber keine Koordinierung der
in diesem Fall relevanten Politikfelder. Eine Koordinierung der Außenpolitik, der Sicherheitspolitik, der Verteidigungspolitik und der Entwicklungspolitik ist insbesondere in der Afrikapolitik nicht erkennbar.
({0})
- Herr Kollege Büttner, die fehlende Koordinierungsleistung ist kein Verdienst, sondern eine der eklatantesten Schwächen der Bundesregierung.
({1})
Rufen Sie sich doch einmal die letzten Wochen in Erinnerung. Der Bundeskanzler ist - Gott sei Dank - mit
dem gebotenen Ernst nach Afrika gereist. Er hat beispielsweise mit Kenia eine Zusammenarbeit im Bereich
der Polizei und der Geheimdienste vereinbart. Er hat in
Ghana ein Trainingszentrum für afrikanische Sicherheitstruppen eingeweiht. Aber im selben Atemzug wird
unsere diplomatische, kulturelle und sicherheitspolitische Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent sukzessive verringert. Angesichts dessen kann in meinen Augen von Koordinierung keine Rede sein.
Frau Staatsministerin Müller hat in einem militärischen Kontext - offenbar ebenfalls „großartig“ abgestimmt - ihre Vorstellungen über den Sudan kundgetan.
Die Reaktionen sind hinlänglich bekannt. Vergangene
Woche hören wir Minister Struck etwas von Bundeswehreinsätzen in Afrika murmeln. Wie passt das alles
zusammen? Ich sehe keine Koordinierung und Abstimmung in der Afrikapolitik. Eine kohärente, schlüssige
und letztlich einander bedingende Verknüpfung der unterschiedlichen Politikfelder ist schlichtweg nicht erkennbar, Herr Büttner.
({2})
Das Auswärtige Amt mit seinen teilweise hervorragend funktionierenden Botschaften und Ihr Ministerium,
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, mit der GTZ und anderen Organisationen der Entwicklungshilfe arbeiten nicht
nur in Einzelfällen gegeneinander statt miteinander.
Wenn es selbst an Orten außerhalb Afrikas, auf die gerade der Fokus der Öffentlichkeit gerichtet ist, wie etwa
Kunduz, zwischen den Vertretern der verschiedenen Ministerien - milde gesagt - knirscht, dann wagt man gar
nicht, sich die Zusammenarbeit in Afrika, auf einem weit
weniger beachteten Kontinent, auszumalen. Einen solchen „Luxus“ können wir uns gerade in Zeiten knappster
Ressourcen schlicht nicht leisten.
Stichwort Ressourcen: Es ist auch im sicherheitspolitischen Kontext bemerkenswert, wie weit Zielsetzung
und Realität auseinander klaffen, wenn man die vorhandenen Ressourcen sieht. Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang - ich sage das auch im Hinblick auf Ihre
Anträge - hilfreich, die Ziele weniger romantisierend
denn realitätsnah zu formulieren.
({3})
Das erfordert aber den Mut - dieser ist in unserem Land
nur sehr marginal ausgeprägt -, die eigenen Interessen zu
definieren und angesichts der knappen Mittel Prioritäten
zu setzen. Beiden Ansprüchen werden die Anträge von
Rot-Grün nicht gerecht. Angesichts der Formulierungen
muss man feststellen, dass sie - ohne jegliche Interessennennung - einem mittlerweile überholten Verständnis
von Werteorientierung und Entwicklungszusammenarbeit verpflichtet sind. Aber der von mir angesprochene
Kontext fehlt. Auch hier ist ein Koordinierungsdefizit zu
erkennen.
Der Kollege Heinrich hat darauf schon hingewiesen.
Erstaunlicherweise taucht nicht einmal der Begriff einer
europäischen Sicherheitsstrategie auf, auch nicht die von
vielen als Teufelswerk apostrophierte nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten.
Überall wird ein klarer Bezug zu Afrika gesucht,
nicht nur dort, wo es um Präemption geht. Die Worte
sind sehr viel weiter gefasst. Nichts davon steht in diesem Antrag. Es handelt sich auch hier - gerade im internationalen Kontext - um eine Koordinierungsaufgabe,
die zum Ziel hat, eine Verbindung zu diesen Strategien
herzustellen.
({4})
Es geht nicht zuletzt darum, die Außenpolitik sowie
die Afrikapolitik auf europäischer Ebene und auf der
Grundlage - wenn man so will - interkontinentaler Notgemeinschaften erkennbar in unserem Sinne zu beeinflussen. Sie sollten nicht in einem neokolonialen Sinne,
sondern in unserem Sinne - möglicherweise stimmen
wir darin überein - beeinflusst werden.
Herr Kollege Büttner, anderenfalls drohen wir zum
Spielball der Ambitionen anderer zu werden. Es gibt
hierfür ein sehr aktuelles Beispiel: die britisch-französische Initiative zu „superschnellen Eingreiftruppen“, zu
so genannten Battle Groups, mit denen eine klare Afrikaperspektive verbunden ist. Es handelt sich hierbei um
eine britisch-französische Initiative. Irgendwann sind
wir auf diesen Zug noch hechelnd aufgesprungen. Es ist
keine deutsche Initiative. Ich möchte einmal wissen, wie
die Koordinierung in diesem Fall aussah und wie sich
hier die Suche im europäischen Kontext als solche dargestellt hat.
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen
ganz anderen Koordinierungsfaktor eingehen. Es stellt
sich die Frage, wie sich etwa diese Politik mit der Suche
nach einem Parlamentsbeteiligungsgesetz in Einklang
bringen lässt. Auch das ist eine Koordinierungsaufgabe.
Wir laufen möglicherweise Gefahr, die Bundeswehr in
ihrem jetzigen Zustand, aber auch unsere Bevölkerung
durch solche derart übereilten Ideen - die Initiative ist an
sich begrüßenswert, weil sie europäisch gedacht ist und
die Briten einbindet -, durch ein schnelles Aufspringen
zu überfordern.
({5})
- Herr Büttner! - Bevor Sie über Eingreiftruppen in
Afrika offensiv nachdenken oder ein überholtes Entwicklungskonzept beweihräuchern, sollten Sie und die
Bundesregierung erst einmal Gedanken über ein großes,
abgestimmtes außen-, entwicklungs- und verteidigungspolitisches Konzept entwickeln, das schlüssig und kohärent ist. Sie sollten eben nicht nur Schlaglichter setzen,
sondern sich auch einmal innerhalb der Ministerien abstimmen, damit auch von außerhalb das Gefühl erlangt
werden kann, hier werde Politik aus einer Hand betrieben.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2478 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 6 b: Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 15/1843 zu dem Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Unterstützung von Landreformen zur Bekämpfung der
Armut und der Hungerkrise im südlichen Afrika“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1307
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.
Zusatzpunkt 5: Interfraktionell wird die Überweisung
der Vorlage auf Drucksache 15/2574 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen,
Hartmut Koschyk, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
der Opfer im Strafprozess ({0})
- Drucksache 15/814 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im
Strafverfahren
({2})
- Drucksache 15/2536 ({3})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier,
Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, HansChristian Ströbele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren
({4})
- Drucksache 15/1976 ({5})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6})
- Drucksache 15/2609 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt ({7})
Siegfried Kauder ({8})
Jörg van Essen
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({9}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen,
Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Opferrechte stärken und verbessern
- Drucksachen 15/936, 15/2609 Berichterstattung:
Abgeordnete Andreas Schmidt ({10})
Siegfried Kauder ({11})
Jörg van Essen
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Immer wieder ist der Vorwurf erhoben worden, die Justiz kümmere sich nur um die Täter
und lasse die Opfer allein. Dieser Vorwurf trifft heute in
unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr so
sehr wie vor 20 Jahren zu. In den letzten Jahren hat in
der Strafverfolgung, in der Justiz, in der Politik und in
der Gesellschaft insgesamt insoweit ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Das hat tatsächliche Verbesserungen
zur Folge. Wir haben zum Beispiel Zeugenbetreuungsstellen in den Gerichten eingerichtet und haben auch
schon auf dem Gesetzwege zahlreiche Verbesserungen
für die Opfer erreicht. Aber wir sind der Auffassung,
dass die Stellung des Opfers noch weiter verbessert werden kann, wohlgemerkt ohne die Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu beeinträchtigen. Dies ist uns
wichtig. Die Strafprozessordnung gibt dem Beschuldigten Rechte, die rechtsstaatlich eingehalten werden müssen. Dabei muss es auch bleiben. Gleichwohl werden wir
mit dem von uns vorgelegten Gesetzentwurf die Position
der Opfer im Strafverfahren noch einmal entscheidend
verbessern und stärken. Wir setzen damit auch eine der
Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag um.
Das Opferrechtsreformgesetz der Regierungskoalition verfolgt vier große Ziele:
Erstens wollen wir die Belastungen für das Opfer
durch das Strafverfahren so gering wie möglich halten.
Wir wollen erreichen, dass mehrfache Vernehmungen
nur dann stattfinden, wenn sie unabdingbar sind. Wir
wollen die Gelegenheit geben, statt beim Amtsgericht
gleich beim Landgericht anzuklagen, um den Opferzeugen eine zweite Tatsacheninstanz zu ersparen, wenn
Rechtsmittel eingelegt werden und das Verfahren in die
nächsthöhere Instanz geht. Bei landgerichtlichen Urteilen gibt es nur noch den Weg zum Bundesgerichtshof.
Dort geht es aber lediglich um die Frage, ob ein Rechtsfehler vorliegt. Dort werden die Zeuginnen und Zeugen
nicht nochmals vernommen.
Aber auch in den Fällen, die ihren Ausgang vor dem
Amtsgericht nehmen, wollen wir zu einer Reduzierung
der Zahl der Vernehmungen in der Berufungsinstanz
vor dem Landgericht beitragen. Dazu sollen die Vernehmungen vor dem Amtsgericht nicht nur wie bisher in ihrem wesentlichen Ergebnis schriftlich protokolliert werden, sondern sie sollen insgesamt auf Tonträger
aufgezeichnet werden können, die dann gegebenenfalls
abgespielt werden können. Die nächsthöhere Instanz
muss dann nicht noch einmal die Zeugen vorladen und
befragen, sondern kann sich die Aufnahmen anhören.
Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist,
dass wir die Zulassung der Videovernehmung von Zeugen erleichtern wollen. Öfter als bisher soll es möglich
sein, dem Opfer die Begegnung mit dem Beschuldigten
im Verhandlungssaal oder die Aussage im Angesicht der
Öffentlichkeit zu ersparen. Das ist insbesondere dann
wichtig, wenn Kinder Verbrechensopfer sind. In solchen
Fällen sollte man diese Konfrontation im Gerichtssaal
vermeiden. Festzuhalten ist also: Es gibt erweiterte
Möglichkeiten der Videovernehmung.
Das zweite Ziel, das wir bei unserem Gesetzentwurf
in den Vordergrund stellen, ist die Stärkung der Rechte
des Opfers im Verfahren. Insoweit gibt es noch ganz erhebliche Defizite. Wir werden jetzt die Möglichkeit
schaffen, dass weiteren Nebenklageberechtigten kostenlos ein Rechtsanwalt als Opferanwalt beigeordnet
wird, der ihnen im Strafverfahren beisteht. Auch die Angehörigen des durch eine Straftat Getöteten können
künftig einen solchen Opferanwalt in Anspruch nehmen;
ansonsten gibt es den Opferanwalt schon.
Zur Nebenklage sollen künftig auch die Frauen berechtigt sein, die als Prostituierte ausgebeutet oder Opfer
von Zuhälterei wurden. Wir hoffen, dass dadurch eine
weitere Verbesserung für Opfer im Umfeld von Menschenhandel erreicht wird.
Ein weiterer Schritt besteht darin, dass wir Vertrauenspersonen die Möglichkeit geben, bei der Vernehmung anwesend zu sein. Es geht um Vertrauenspersonen
von Verletzten, die als Zeugen vernommen werden. Die
Zeugen sollen die Möglichkeit haben, jemanden mitzunehmen, dem sie wirklich vertrauen. Das soll auch möglich sein, wenn eine Videovernehmung stattfindet. Man
muss dann nicht allein dasitzen, sondern kann jemanden
bei sich haben, dem man vertraut.
Das dritte Ziel, das wir mit unserem Gesetzentwurf
verfolgen, ist die Verbesserung der Durchsetzung von
Schadensersatzansprüchen der Geschädigten. Zu diesem Zweck wollen wir das so genannte Adhäsionsverfahren ausbauen. Dem Verletzten wird der zusätzliche
Gang vor das Zivilgericht erspart, indem das Strafgericht
beispielsweise über den Anspruch auf Schmerzensgeld
gleich mitentscheidet. Zugleich werden die Ressourcen
der Justiz so effizienter genutzt. Bisher ist es in der Praxis die Regel, dass die Gerichte von der Möglichkeit Gebrauch machen, von einer Entscheidung über diesen
Ersatzanspruch des Verletzten abzusehen. Eine Entscheidung über den tatsächlichen Anspruch ist hingegen immer noch die Ausnahme. Dieses Verhältnis wollen wir
mit der gesetzlichen Änderung umkehren, indem wir die
Voraussetzungen einschränken, unter denen das Gericht
von der Entscheidung absehen kann. Ist das Opfer zum
Beispiel durch eine Schlägerei erheblich verletzt worden, wird die Zuerkennung des geltend gemachten Schadensersatzes im Strafprozess künftig die Regel sein. Das
Gericht kann von einer solchen Entscheidung nur absehen, wenn sonst erhebliche Verfahrensverzögerung
droht. Im Fall des Schmerzensgeldes ist das Opferinteresse vom Gericht ganz besonders zu berücksichtigen.
Der vierte Aspekt, meine Damen und Herren, ist die
Information der Verletzten, der Opfer, über ihre Rechte
und den Ablauf des Strafverfahrens. Diese gibt es heute
kaum; die wollen wir deutlich verbessern. Künftig wird
der Verletzte Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens, über die Entscheidung der Eröffnung des Hauptverfahrens, über den Sachstand der Anklage und auch
über freiheitsentziehende Maßnahmen erhalten, insbesondere darüber, wann die freiheitsentziehenden Maßnahmen beendet werden. Hintergrund dieser Regelung
ist, dass wir die Opfer vor unbeabsichtigtem, unvorbereitetem Zusammentreffen mit ihren Peinigern schützen
wollen. Das gilt natürlich insbesondere für die Opfer von
Sexual- oder Gewaltstraftaten; solchen, die körperliche
Gewalt erfahren haben, wollen wir also ersparen, unvorbereitet dem Täter auf der Straße zu begegnen. Deshalb
gibt es, wie gesagt, Informationen über die Dauer der
Haft, über die Dauer der Unterbringung, aber auch über
Vollzugslockerungen und Hafturlaub.
Meine Damen und Herren, wenn man auch manche
Einzelregelungen dieses Gesetzentwurfs unterschiedlich
betrachten kann, so hat dieser Gesetzentwurf doch von
den Opferschutzverbänden und auch in der Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses dieses Hauses im
Dezember letzten Jahres sehr viel Zustimmung erfahren.
Ich bin froh darüber - auch darüber, dass wir uns trotz
aller Differenzen im Detail im Grundsatz in diesem
Hause darin einig sind, für die Rechte der Opfer mehr zu
tun.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Siegfried Kauder,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Frau Bundesjustizministerin! Meine
Kolleginnen und Kollegen! Die Botschaft, die von der
Ministerin verbreitet wurde, wird bei Opfern ankommen: Wir kümmern uns um die Rechte der Opfer von
Straftaten, aber die Interessen der Beschuldigten dürfen
nicht tangiert werden. Zudem werden wir am 22. dieses
Monats ja auch den Tag des Kriminalitätsopfers begehen. So sieht auch der Grundansatz dieses Gesetzes, das
die Regierung „Opferrechtsreformgesetz“ nennt, aus:
Man reibt sich nicht an konkurrierenden Rechten, man
überlegt nicht, wo man Opferrechten mehr Gewicht verleihen und maßvoll Rechte Beschuldigter eingrenzen
kann; doch das geht. Dieser Entwurf hat mit einer Reform wenig zu tun. Er korrigiert im Randbereich. Selbst
dort, wo eine Kollision mit Rechten Beschuldigter nicht
zu erwarten ist, hat man zu wenig getan. Wird etwa ein
Beschuldigtenrecht eingegrenzt, wenn künftig in einer
Anklageschrift der Wohnort eines misshandelten Kindes
nicht mehr genannt würde? Diese Forderung des Weißen
Ringes wurde nicht berücksichtigt.
Es handelt sich hierbei, meine Damen und Herren, um
ein Flickwerk, das man niemals als großen Wurf bezeichnen wird. Wenn es nur zu wenig wäre, was in diesem Opferrechtsreformgesetz steht, könnten wir von der
Opposition zustimmen; und es steht viel zu wenig drin.
Aber teilweise geht davon auch eine falsche Botschaft
aus. Da wird propagiert, man könne jetzt besser Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche für Opfer
in Strafverfahren durchsetzen. Dabei ist die Regierung
schon am Rechtsmittelproblem gescheitert und sie ist zurückgerudert, weil sie das nicht in den Griff bekommen
hat. Das Grundübel bei den Opferrechten bleibt bestehen: Wird ein Opferrecht verletzt, kann das Opfer diesen
Verstoß in aller Regel nicht mit einem Rechtsmittel rügen. Deswegen wird die Botschaft, die Richter sollten
Siegfried Kauder ({0})
stärker als bisher das Adhäsionsverfahren zulassen, nicht
verfangen, weil das Opfer sich gegen einen ablehnenden
Beschluss nicht zur Wehr setzen kann.
({1})
- Herr Ströbele, ich kann Ihnen das gern einmal schriftlich erklären, dann werden auch Sie es verstehen.
Was den Opferanwalt auf Staatskosten anbelangt,
hat man die Korrektur eines Redaktionsversehens im
letzten Gesetz vorgenommen, aber keine Reform für die
Zukunft geschaffen. Warum den Opferanwalt auf Staatskosten nur für Hinterbliebene von Opfern einer Straftat
und nicht auch bei Geiselnahme, bei Raub mit Todesfolge und bei Körperverletzung mit Todesfolge? Man
bleibt immer wieder auf halber Strecke stehen.
Das ist nicht die Botschaft, die Opfer brauchen. Opfer
müssen sich in ihrer schwierigen Situation der Unterstützung des Staates gewiss sein können. Das ist nicht der
Fall. Opfer müssen sich auch darauf verlassen können,
dass ihre persönlichen Daten sicher sind, denn sie haben
ja Angst, dass der Beschuldigte ihnen auflauert oder sie
weiter belästigt. Genau das versuchten wir im Entwurf
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sicherzustellen. Die
Videoprotokolle von der Vernehmung eines kleinen
Kindes, das weinend von der Tat berichtet, sollen nicht
dem Verteidiger zur Verfügung gestellt werden, der sie
auch dem Mandanten zeigen muss. Wir waren der Auffassung - die sich im Übrigen mit der Meinung des Bundesdatenschutzbeauftragten deckt -, dass dieses als Beweismittel nur bei der Staatsanwaltschaft und sonst
nirgends eingesehen werden darf.
({2})
In diesen zwei gravierenden Punkten unterscheiden
wir uns vom Opferrechtsreformgesetz. Deswegen werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.
({3})
Aber, meine Damen und Herren, die Frau Bundesjustizministerin hat am 13. November 2003 in einem Interview gegenüber dem Weißen Ring erklärt, man werde
sich auch Gedanken darüber machen, die Nebenklage
im Jugendstrafverfahren zuzulassen. Damit komme
ich auf den Änderungsantrag der FDP zu sprechen. Seit
vier Monaten denkt man darüber nach. Man muss nur
zwei Vorschriften im Jugendgerichtsgesetz ändern. Der
Kollege van Essen, ich und andere wissen, dass man nur
in § 80 JGG den Abs. 3 und, wenn man das Adhäsionsverfahren will, in § 109 JGG den Verweis auf § 81 JGG
streichen müsste und schon hätte man - nur mit der Änderung dieser zwei Vorschriften - ein hervorragendes
Reformwerk. Wenn man das nach vier Monaten Nachdenkens nicht meistert, liegt das meiner Meinung nach
nicht daran, dass man nicht zu einem Ergebnis kommen
kann, sondern daran, dass man sich mit gewissen Bedenkenträgern bezüglich des Opferrechts, die ich hier in
den Reihen der Koalitionsfraktion ausmachen kann,
nicht anlegen will.
({4})
Deswegen werden wir den gewünschten Erfolg im Bereich des Opferschutzes auch weiterhin nicht erzielen,
solange die Regierungskoalition so zusammengesetzt ist,
wie sie es zurzeit ist.
Frau Justizministerin, wir werden Ihnen unsere Unterstützung weiterhin nicht versagen. Soweit es sich um
sachlich vernünftige Ansätze handelt, werden wir sie im
Interesse der Opfer mittragen können und auch mittragen. Aber das, was hier als großer Wurf angeboten wird,
ist für Opfer eine Enttäuschung. Das wird man diesen
am 22. März, dem Tag des Kriminalitätsopfers, so auch
sagen müssen - schade.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kauder, für eine Ablehnung unseres Antrages waren Ihre Argumente eigentlich relativ schwach. Ich sehe
das anders. Rot-Grün setzt nämlich mit dem heutigen
Entwurf eines Opferrechtsreformgesetzes den konsequenten Schutz im gesamten Strafprozessverfahren fort.
Von der Verbesserung der verfahrensrechtlichen Stellung
von Zeugen und Zeuginnen im Strafverfahren profitieren
besonders Kinder und Frauen als Opfer sexualisierter
und auch häuslicher Gewalt.
Wegen der oft lebenslangen Traumatisierung ist es
notwendig, dass das gesamte Ermittlungs- und Strafverfahren so zu gestalten ist, dass es nicht noch zu zusätzlichen Verletzungen kommt. Für viele Opfer, besonders
für Kinder, stellt die nochmalige Konfrontation mit dem
Täter im Ermittlungsverfahren oder als Zeuge vor Gericht eine unzumutbare Belastung dar. Daher soll eine
Vernehmung der kindlichen Opfer - die Ministerin hat
es gerade vorgestellt - aus dem Nebenraum per Videostandleitung ermöglicht werden. Bis zu diesem Punkt
sind wir uns im Hause alle einig.
Allerdings wollen wir, dass der oder die Vorsitzende
im Gerichtssaal verbleibt und das Kind außerhalb des
Gerichtssaals, unterstützt durch eine Vertrauensperson,
vernommen wird. Wir ziehen dieses Modell dem Mainzer Modell vor, das Sie, meine Damen und Herren von
der Union, in Ihrem Gesetzentwurf präferieren. Dabei
wird der Vorsitzende mit dem Kind allein in einem anderen Raum sein und die Vernehmung per Video in den
Gerichtssaal übertragen. Bei beiden Methoden ist eine
Belastung des kindlichen Opfers niemals ganz auszuschließen. Frau Kollegin Noll, wir haben gestern sehr intensiv darüber diskutiert: Nicht nur eine Kamera, sondern unter Umständen auch das Zusammensein mit
einem Richter in einem separaten Raum kann das Kind
verunsichern.
Wir sind ebenso wie die Mehrheit der Sachverständigen der Meinung, dass das von uns gewählte Verfahren
geeigneter ist; denn für die Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung ist es besser, wenn der Richter oder die
Richterin im Saal bleibt, auch um die Reaktion des Angeklagten zu erleben.
In diesem Zusammenhang ist es natürlich besonders
wichtig, dass das Kopieren und die Herausgabe von
Videobändern über die Vernehmung von Kindern an
den Angeklagten nicht erfolgen. Dieses Material darf
nur den zur Akteneinsicht Berechtigten überlassen werden. Das verhindert, dass solche Bänder in Umlauf geraten können. Ich muss Ihnen sagen: Ich habe keinen
Zweifel daran, dass sich die Verteidiger an diese Vorschrift halten. Ein technischer Kopierschutz, wie er auch
vom Datenschutzbeauftragten gefordert wurde, wäre
dennoch sinnvoll. Ich glaube, wir sind technisch inzwischen auch so weit.
Um besonders schutzbedürftige Zeuginnen und Zeugen wie zum Beispiel Opfer von Sexualverbrechen künftig vor Belastungen durch mehrfache Vernehmungen
zum gleichen Gegenstand zu bewahren, muss die Klage
künftig nicht erst beim Amtsgericht erhoben werden,
sondern sie kann gleich beim Landgericht eingereicht
werden.
Wir stärken mit diesem Gesetzentwurf konsequent die
Rechte aller Opfer. Ich sage: aller Opfer. Prostituierte,
die durch Zuhälter ausgebeutet wurden, können sich
jetzt dem Strafverfahren gegen einen solchen als Nebenklägerin anschließen. Sie schlechter zu behandeln als
alle anderen Opfer kann durch nichts legitimiert werden.
In diesem Zusammenhang muss ich doch einmal die
Kolleginnen und Kollegen von der Union fragen, wie sie
es eigentlich begründen, dass sie dem Staatsanwalt und
dem Verteidiger bezogen auf die Zeugen jegliches Fragerecht in allen Fällen des sexuellen Missbrauchs, der
Vergewaltigung, des Menschenhandels, ja sogar der
Körperverletzung abschneiden wollen, dass sie dabei
aber eine Gruppe ausnehmen wollen, nämlich Prostituierte, die Opfer von Zuhältern geworden sind. Erklären
Sie doch einmal der Öffentlichkeit, warum Sie Zuhältern
ein höheres Maß an Verteidigung zuerkennen wollen als
anderen Angeklagten!
({0})
Eine körperliche Untersuchung kann das Schamgefühl von Menschen verletzten. Darum sollen Frauen und
Männer - nicht nur die Frauen, wie es der Unionsentwurf vorsieht - auch das Recht haben, von einer Person
gleichen Geschlechts untersucht zu werden. Aber das
Opfer muss auch selbst entscheiden können. Ich meine
zum Beispiel Fälle von Jungen, die sexualisierte Gewalt
durch Männer erlebt haben und die vielleicht nicht von
einem Mann untersucht werden möchten. Das ist Opferschutz, der sich an den Realitäten orientiert.
Nur wer informiert ist, kann seine Rechte wahrnehmen und sich schützen. Künftig werden die Verletzten
nicht nur über ihre Rechte, sondern auch über den Ablauf des Strafverfahrens, über Verfahrenseinstellung,
Haft, Vollzugslockerung und Entlassung des Täters informiert, und das nicht nur auf Antrag, wie Sie von der
Union das wollen. Denn gerade Opfer von Gewaltverbrechen wollen wissen, ob und wann sich ihr Peiniger
auf freiem Fuß befindet. Sie können sich leicht die Situation einer vergewaltigten Frau vorstellen, die sich sicher
fühlt, weil der Täter angeblich in Haft ist, ihn aber plötzlich in der Nähe ihrer Wohnung trifft. Solche Situationen
wollen wir den Opfern ersparen.
Ich komme zu einem weiteren wichtigen Bereich,
dem Ausgleich des Schadens. Momentan - auch das hat
die Ministerin vorgetragen - werden in der Regel die
meisten Schadenersatzansprüche in einem weiteren, zivilrechtlichen Verfahren entschieden. Wir wollen es ermöglichen, gleich im Strafverfahren auch den Ersatz für
den aus der Straftat entstandenen Schaden feststellen zu
lassen. Dieses Adhäsionsverfahren kann eine zusätzliche
Klage vor einem Zivilgericht ersparen.
In der Anhörung wurden die Details zwar kontrovers
diskutiert. Was aber nicht geht, meine Damen und Herren von der Union, ist, dass Sie die Strafgerichte bei bestimmten Straftaten zwingen wollen, die Adhäsion
durchzuführen, selbst dann, wenn das Gericht nach Prüfung eine Adhäsion für ungeeignet hält. Das geht nicht.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kauder?
Nein. Ich weiß, dass Herr Kauder gestern sehr ausführlich im Rechtsausschuss diskutiert hat. Herr Kauder,
ich habe Sie schon gelobt. Sie sind ein hervorragender
Jurist. Ich möchte mich jetzt gerne mit der FDP beschäftigen.
({0})
Ich komme zum Schluss. Vor zwei Tagen hat uns ein
Änderungsantrag der FDP erreicht, in dem gefordert
wird, sowohl die Nebenklage als auch das Adhäsionsverfahren in das Jugendgerichtsgesetz aufzunehmen.
Bei meiner Fraktion gibt es da eine gewisse Offenheit.
Allerdings müssen wir die Bedenken der 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission ernst nehmen. Sie hat sehr
grundsätzliche Bedenken gegen diese Ausweitung und
sagt, man könne dies nicht mit dem normalen Verfahren
bei Erwachsenen vergleichen. Darum sage ich: Lassen
Sie uns eine sachgerechte Lösung im Rahmen einer Gesamtreform des Jugendstrafrechts und der Strafprozessordnung suchen! Ich bin sicher, dass wir damit auf einen
guten Weg kommen, die Opfer zu stärken.
Ich finde es sehr schade für dieses Haus, dass wir es
bei diesem gemeinsamen Ziel, bei dem wir nicht weit
auseinander sind, nicht geschafft haben, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren.
({1})
Für die Sache wäre dies wirklich ein guter Dienst gewesen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Jörg van Essen, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bedauern, das die Kollegin Schewe-Gerigk ausgesprochen hat, nämlich dass wir nicht zu einem gemeinsamen Antrag gekommen sind, teile ich. Ich darf vielleicht
der SPD-Fraktion den freundlichen Hinweis geben, einfach einen anderen Berichterstatter wie zum Beispiel den
Kollegen Manzewski für diesen Vorgang zu benennen.
Ihm gelingt es offensichtlich immer wieder, ein Klima
zu schaffen, das ein vernünftiges Rechtsgespräch ermöglicht und dazu führt, sich auf eine gemeinsame Vorlage
zu einigen.
({0})
Es ist nämlich richtig, was die Kollegin Schewe-Gerigk
festgestellt hat: In weiten Teilen dieses Hauses gibt es
Übereinstimmung darin, dass es Verbesserungen für den
Opferschutz geben muss. Deshalb ist es heute ein guter
Tag.
Die Ministerin hat vorhin zu Recht darauf hingewiesen, dass inzwischen Gott sei Dank anders diskutiert
wird, dass das Opfer stärker wahrgenommen wird. Als
ein Zeichen dafür, dass es diese stärkere Wahrnehmung
gibt, sehe ich es an, dass einer der Landesjustizminister
heute hier auf der Bundesratsbank sitzt und an dieser Debatte teilnimmt; denn die Länder sind in diesem Zusammenhang in besonderer Weise gefordert. Ich freue mich
darüber, dass er dieses Interesse durch seine Anwesenheit bekundet.
Neben all den Dingen, die wir rechtlich regeln, sind
es zum Teil auch organisatorische Maßnahmen, die dazu
führen, dass sich die Zeugen und Opfer vor Gericht besser behandelt sehen. Ich habe bei den verschiedenen Debatten, die wir in diesem Zusammenhang geführt haben,
auf ein Beispiel aus Baden-Württemberg hingewiesen,
wo wir eine von der FDP gestellte Justizministerin haben. Dieses Beispiel ist aus meiner Sicht besonders dafür
geeignet, den Opferschutz voranzubringen. Dort werden
nämlich Referendare während ihrer Ausbildung bei Gericht gebeten, Opfer und Zeugen zu betreuen. Sie lernen
auf diese Weise die Situation der Opfer kennen und es
tritt nicht das ein, was häufig in der Juristenausbildung
stattfindet, nämlich dass man ausschließlich täterorientiert denkt: Als Staatsanwalt ermittelt man gegen den Täter, als Verteidiger verteidigt man einen Täter und als
Richter hat man über die Schuld eines Täters zu entscheiden. Ich denke, dass neben all den gesetzgeberischen Maßnahmen auch solche organisatorischen Vorgänge dazu dienen können, den Opferschutz zu
verstärken.
Wir als FDP werden das Opferrechtsreformgesetz der
Koalition heute unterstützen. Es gibt dafür zwei wesentliche Gründe. Ein Aspekt ist hier schon angesprochen
worden. Das ist die Frage: Wie ist die Vernehmung einer Person, die außerhalb des Gerichtssaals zu vernehmen ist, durchzuführen? Wir halten das Modell, das die
Koalition vorschlägt und das anders ist als das so genannte Mainzer Modell, bei dem der Vorsitzende hinausgeht und sich mit der zu vernehmenden Person in einen
anderen Raum begibt, für das bessere.
({1})
Es ist schon gesagt worden: Die Umsetzung des Modells der Koalition führt dazu, dass alle am Verfahren
Beteiligten, Richter, Staatsanwalt und Verteidiger, das
gleiche Bild und den gleichen Eindruck haben. Ich bin
14 Jahre Staatsanwalt und Oberstaatsanwalt gewesen.
Daher weiß ich, dass es außerordentlich wichtig ist,
beispielsweise die Reaktion des Angeklagten - Frau
Schewe-Gerigk hat das angesprochen - auf bestimmte
Äußerungen zu beobachten. Deshalb muss diese Möglichkeit bestehen.
({2})
Das ist für uns ein ganz wichtiger Grund, dem Gesetzentwurf der Koalition zuzustimmen.
Der zweite Grund ist das Adhäsionsverfahren, das
die bisherige Debatte bestimmt hat. Ich brauche daher
nicht ausführlich darauf eingehen; aber eines will ich sagen: Ich weiß nicht, den wievielten Versuch wir heute
unternehmen, das Adhäsionsverfahren zu stärken. Es
gibt gute Gründe, es zu stärken. Das führt nämlich dazu,
dass diejenigen, die Opfer geworden sind, nicht zwei
verschiedenen Verfahren - zunächst das Strafverfahren
und dann, beispielsweise wegen des Schadensersatzes,
das zivilrechtliche Verfahren - hinter sich bringen müssen. Das Adhäsionsverfahren trägt ganz wesentlich dazu
bei, die Belastungen von Opfern einer Straftat zu reduzieren.
Im Gegensatz zum Ausland, wo dieses Verfahren
ohne jegliche Probleme seit vielen Jahrzehnten funktioniert, ist es in Deutschland offensichtlich nicht wirklich
einführbar.
({3})
Dieses Mal muss es gelingen.
({4})
- Herr Ströbele, ich bin leider auch skeptisch. Wir dürfen
aber nicht nachlassen. Es muss auch in Deutschland
selbstverständlich sein, dass in Strafverfahren über Schadensersatzansprüche eines Opfers von Straftaten mitentschieden wird, damit danach alles klar ist.
({5})
Zum Schluss möchte ich die Frage der Nebenklage
und des Opferanwalts im Jugendstrafverfahren ansprechen. Wir möchten das einführen. Der Erziehungsgedanke, der das Jugendstrafrecht zu Recht beherrscht,
wird nach unserer Auffassung nicht beschädigt, wenn
man sich mit dem Opfer intensiver befassen muss, weil
das Opfer an der Verhandlung teilnehmen und Rechte
wahrnehmen kann oder weil das Opfer anwaltlich beraten ist. Das führt dazu, dass dem Jugendlichen die Auswirkungen seiner Tat viel deutlicher werden.
({6})
Damit wird aus unserer Sicht der Erziehungsgedanke gestärkt.
Frau Schewe-Gerigk hat gesagt, dass wir unseren Änderungsantrag erst in diesen Tagen eingebracht haben.
Das haben wir tatsächlich getan; aber es sind alte, bekannte Vorschläge des Weißen Rings, die wir uns zu Eigen gemacht haben.
({7})
Ich freue mich, dass die gestrige Debatte im Rechtsausschuss gezeigt hat: Wir alle wollen in die Prüfung
dieser Frage eintreten. Mit unserem Änderungsantrag
haben wir, die FDP, einen ganz wichtigen Anstoß gegeben. Ich freue mich auf diese Debatte. Ich hoffe, dass wir
zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Auch im Jugendverfahren müssen die Rechte von Opfern gestärkt
werden. Das ist unser Ziel.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Opferrechtsreformgesetz in der Fassung des Regierungsentwurfs verabschieden wir heute eine Verbesserung der Rechte der
Verletzten im Strafverfahren, die alle hier im Hohen
Hause wollen. Wenn in den zurückliegenden Wochen
und Monaten auch unterschiedliche Reformansätze Gegenstand der Ausschussberatungen waren, so ist die in allen Ansätzen zum Ausdruck gekommene rechtspolitische
Philosophie doch gleich gewesen. Wir alle wollen - das
ist es wert zu unterstreichen - die Stellung des Opfers einer Straftat im gesamten Strafverfahren, also vom Beginn der Ermittlungen bis zum Vollzug und darüber hinaus, stärken. Die Frau Ministerin hat die einzelnen
Punkte dargestellt. Von daher muss ich darauf nicht im
Einzelnen eingehen.
Weil wir das gemeinsam wollen, sollten wir das auch
von dieser Stelle aus öffentlich bekunden und nicht zerreden, Herr Kollege Kauder. Für mich ist bei der Diskussion über diese Frage kein Platz für vordergründige, populistische politische Polemik. Dieses Thema eignet sich
nicht für den politischen Tageskampf. Herr Kollege
Kauder, ich will trotzdem auf einiges, was Sie angesprochen haben, kurz eingehen.
Es ist nicht so, dass wir nicht in der Lage seien - das
haben Sie der Ministerin vorgeworfen -, die Rechte des
Beschuldigten zu beschneiden. Bei allem Bemühen um
Opferschutz geht es darum - das muss man sich ins Gedächtnis rufen -, dass es verschiedene Stadien des Verfahrens gibt. In diesen verschiedenen Stadien des Verfahrens ist oft gar nicht klar, ob derjenige, den wir für
den Täter halten, der Beschuldigte, der Angeschuldigte,
der Angeklagte, auch der Täter ist und ob das Opfer
auch das Opfer ist. Das stellt sich erst im Laufe des Verfahrens heraus. Das ist nicht immer so. Aber in vielen
Fällen muss man darauf Rücksicht nehmen. Von daher
ist es wichtig, das fein und exakt zu ziselieren.
Herr Kollege Kauder, das Ergebnis kann nicht so
holzschnittartig und einseitig sein, wie Sie als Vertreter
des Weißen Ringes es hier immer wieder vortragen. Wir
müssen dabei schon die Gesamtschau im Auge behalten.
({0})
Ich spreche Ihnen Ihr Engagement nicht ab. Aber wir
müssen immer wieder auf das Strafverfahren im Ganzen
hinweisen.
Zweitens haben Sie gefragt, warum es nicht möglich
sei, die Anschrift von geschädigten Zeugen in der Anklageschrift wegzulassen. Meines Wissens kann man das
aus Schutzgründen schon heute tun: § 200 in Verbindung
mit § 68 der Strafprozessordnung.
({1})
In meiner jugendrichterlichen Praxis ist das so gehandhabt worden. Im Übrigen ist das in der Praxis überhaupt
kein Problem, Herr Kollege Kauder.
Drittens. - Nun ist Herr Kollege van Essen dabei,
weitere Komplimente auszuteilen, und ist zur Bundesratsbank enteilt. - Herr Kollege van Essen, es ist sicherlich sehr vernünftig und lobenswert, dass Sie dem Entwurf der Regierung jetzt zustimmen möchten. Zu dem
Änderungsantrag, den Sie eingebracht haben und über
den wir noch abzustimmen haben: Wir werden uns sehr
gründlich mit dieser Frage beschäftigen und auseinander
setzen. Aber Änderungen im JGG, im Jugendgerichtsgesetz, sollte man sich sehr gründlich überlegen. Man
sollte nicht, wie Herr Kollege Kauder darzustellen
versucht hat, meinen, man könne das mit einem Federstrich machen. Wir werden das sehr gründlich überlegen.
({2})
- Sie haben 16 Jahre gebraucht, Herr Kauder.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Kollege van
Essen hat auf einen wichtigen Punkt hingewiesen, weshalb es mir immer sehr wichtig ist, die Gemeinsamkeiten
zu betonen. Frau Noll, Sie werden uns vielleicht gleich
wieder vorwerfen, alles nicht richtig zu machen. Ich
werde das dann ertragen. Aber die Gemeinsamkeit ist
mir sehr wichtig, weil von hier aus nach draußen, in die
Praxis hinein, die Botschaft ausgehen muss: Der Gesetzgeber will das.
Die Verbesserungen, die auch Sie wollen - teilweise
gehen sie Ihnen nicht weit genug -, in der Praxis durchzusetzen wird noch schwierig werden, insbesondere die
Verwirklichung von Schadensersatzansprüchen bereits
im Strafprozess. Für 90 Prozent der Strafprozesse, die jeden Wochentag von Flensburg bis zum Bayerischen
Wald stattfinden, nehmen wir einen Paradigmenwechsel
vor: Wir sagen den Gerichten, dass sie, wenn der Antrag
gestellt wird, Schadensersatzansprüche in der Regel im
Strafprozess ausurteilen müssen. Das wird für viele neu
sein. Die Praxis sieht ganz anders aus. Herr van Essen
hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in der Vergangenheit oft versucht worden ist, das durchzusetzen; es hat
aber nicht funktioniert.
Darum ist es mir sehr wichtig, dass von dieser Debatte die Botschaft ausgeht: Wir wollen alle gemeinsam,
dass zukünftig den Opfern, den Geschädigten einer
Straftat, die Möglichkeit gegeben wird, im Regelfall bereits im Strafprozess Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche durchzusetzen. Was dem deutschen Strafprozess in der Tat bisher fremd gewesen ist, soll die
Regel werden. Daher wäre es für mich wünschenswert,
dass wir das nicht im politischen Tageskampf zerreden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Regierungskoalition sind der Meinung, dass das Opferrechtsreformgesetz ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der rotgrünen Reformen in der Rechtspolitik seit 1998 ist.
Wir haben uns im Jahre 1998 sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Wir haben uns in der 14. Legislaturperiode im Wesentlichen mit dem Zivilprozessrecht im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschäftigt, um eine
Strukturreform auf den Weg zu bringen, die zu Entlastungseffekten führt. Wir haben damals gesagt: Die Reform des Strafprozesses wird der 15. Legislaturperiode
vorbehalten sein.
Wir haben Ihnen im Jahre 2001 unser Eckpunktepapier vorgelegt. Auch darin sind die Aspekte, die wir
heute mit dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Opferrechte verabschieden, enthalten.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die
Strukturreformen hinweisen. Im Jahr 1998 haben wir
uns entschieden, die Reformmodelle der 90er-Jahre, die
immer nur zu höheren Belastungen statt zu höheren Entlastungen geführt haben, nicht weiter zu verfolgen. Damals sind wir, insbesondere im Bereich des Zivilprozessrechts, schwer bekämpft worden. Heute stellen wir fest,
dass sich die ZPO-Reform zunehmend durchsetzt.
({3})
- Herr Kollege Röttgen, erst heute habe ich mit Freude
gelesen, dass mittlerweile auch CDU-Landesminister
dem Modell der Dreistufigkeit, das wir damals vehement
vertreten haben, sehr viel abgewinnen können und dieses
Modell sogar in öffentlichen Reden propagieren. Gewisse Reformen brauchen nun einmal einige Zeit, bis sie
sich durchsetzen. Ich denke, auch hier sind wir auf einem guten Weg.
In der nächsten Woche werden wir mit dem Justizmodernisierungsgesetz den zweiten Schritt unseres Modells
zur Reform des Strafprozessrechts tun. Auch in ihm sind
noch einige Vorschriften zum Opferschutz enthalten, die
in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind. Als dritten Schritt haben der Kollege Montag und ich am 13. Februar dieses Jahres der Öffentlichkeit einen Diskussionsentwurf für eine weitere Reform des Strafprozessrechts
vorgestellt.
Diese drei Schritte gehören für uns zusammen und
bilden eine Einheit, die wir im Jahre 2001 mit unserem
Eckpunktepapier auf den Weg gebracht haben. Daher
sind wir sehr zufrieden, dass wir diesen Gesetzentwurf
heute und den zweiten Schritt unseres Reformmodells in
der nächsten Woche verabschieden können. Am Wochenende können wir dann auf dem Stafverteidigertag
und im Verlaufe der nächsten Wochen und Monate bis
hin zum Deutschen Juristentag im September dieses Jahres über eine weitere grundlegende Reform des Strafprozessrechts diskutieren.
Wenn wir diese, vielleicht auch mit ein wenig Gemeinsamkeit, durchsetzen können, haben wir in zwei Legislaturperioden - ich hoffe, wir werden das schaffen für die ordentliche Gerichtsbarkeit als Ergebnis sehr viel
erreicht, was Sie in 16 Jahren nicht einmal im Ansatz auf
den Weg gebracht haben.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Michaela Noll, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Stünker, auch wenn Sie mir gerade nicht
zuhören, muss ich Ihnen sagen: Sie scheinen mich schon
sehr gut zu kennen. Ich verspreche Ihnen: Ich werde Ihre
Erwartungen nicht enttäuschen. Denn wir sind nicht nur
hier, um Nettigkeiten auszutauschen, sondern auch, um
über die Defizite Ihres Entwurfs zu diskutieren.
({0})
Um es auf den Punkt zu bringen: Vor circa einem Jahr
habe ich Sie im Interesse eines bestmöglichen Opferschutzes hier an dieser Stelle um die Unterstützung unseres Gesetzentwurfs gebeten. Mit Ihrer Zustimmung hätten Sie dem Land und den Opfern einen wirklich guten
Dienst erwiesen, auf den die Opfer lange genug gewartet
haben.
Aber lassen wir doch einmal Revue passieren, wie die
Zeit danach verlaufen ist. Erst einmal hat sich ein halbes
Jahr lang überhaupt nichts getan. Das war für die Opfer
verlorene Zeit. Dann haben Sie Ihren Gesetzentwurf zur
Opferrechtsreform vorgelegt. Warum Sie bei diesem Gesetzentwurf allerdings von einer großen Reform sprechen, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Was ist denn mit
den Opferrechten in Jugendstrafverfahren? Was ist mit
der Forderung des Weißen Rings und der Empfehlung
des 64. Deutschen Juristentages, im Verfahren gegen Jugendliche die Nebenklage zuzulassen?
({1})
Kollege van Essen, das haben Sie eben bereits angesprochen. Ich denke, konstruktive Vorschläge lagen vor.
Aber sehen wir uns doch einmal die Gegenäußerung
der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates an. Sie zeigt, dass hier Nachbesserungsbedarf besteht. Dort heißt es zu § 58 a Abs. 2 Satz 2 StPO: „Die
Bundesregierung wird den Vorschlag prüfen.“ Worum
ging es hier? Es ging um die Herausgabe der Kopien der
Videoaufzeichnungen an den Verteidiger. Mein Kollege
Kauder hat das eben schon angesprochen. Nur unser
Entwurf macht deutlich, dass die Aufzeichnungen besonderen Schutz verdienen. Denn wir wollen nicht, dass
Kopien von Aufzeichnungen herausgegeben werden.
Mit dieser Ansicht stehen wir, wie Sie sehen, nicht ganz
allein.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie alle - das gilt
auch für Sie, Herr Stünker - haben den Vermerk des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz hoffentlich gelesen. Darin steht, dass unsere Fassung vorzugswürdig
erscheint, weil sie die Interessen der Betroffenen besser
schützt.
Ich denke, deutlicher kann man es nicht sagen.
({3})
Sie sehen, meine Damen und Herren: Opferschutz
wollen ist die eine Seite, ihn aber konsequent umsetzen
die andere. Letzteres ist Ihnen in dem Entwurf aber nur
dort gelungen, wo Sie unsere Vorstellungen übernommen haben. Dass Sie einiges übernommen haben, sehr
geehrte Frau Ministerin, haben Sie ja netterweise schon
bei der Regierungsbefragung eingeräumt.
Schlimmer ist jedoch, was im Regierungsentwurf
fehlt. Da spreche ich Sie an, Frau Kollegin ScheweGerigk: Es geht um die Kinder. Sie wissen, es gab gestern bei uns im Familienausschuss eine heftige Diskussion. Ich bin nach wie vor eine Verfechterin des Mainzer Modells. Danach haben kindliche Opfer die
Möglichkeit, in einem separaten Raum unmittelbar vom
Vorsitzenden vernommen zu werden. Versetzen Sie sich
einmal in die Situation eines kindlichen Vergewaltigungsopfers! Glauben Sie denn nicht, dass es für das
Opfer verletzend und demütigend ist, in eine Kamera zu
sprechen? Das können nicht alle Kinder. Ich habe Ihnen
doch schon letztes Mal erklärt: 94 Prozent der Täter
stammen aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld der
Kinder.
({4})
Deswegen möchte ich eine möglichst vertrauensvolle
und schonende Vernehmungsatmosphäre schaffen; das
ist weniger belastend für die Kinder. Sie können sicher
sein, dass eine persönliche Ansprache zu mehr Opferschutz führt.
({5})
Darauf zielte unser Gesetzentwurf ab.
({6})
Ich kann Ihnen nur klipp und klar sagen, auch wenn
Sie sich ein wenig echauffieren, Herr Kollege Ströbele
und Frau Kollegin Schewe-Gerigk: Wir hatten die Expertenanhörung. Da hatten Sie Gelegenheit, mit den Experten zu reden. Sie waren nicht da - ich war da! Ich
möchte Sie gerne daran erinnern, was die Oberstaatsanwältin wortwörtlich gesagt hat und was jeder nachlesen
kann:
Angesichts der Ablehnung der Simultanvernehmung durch die Praxis sollte die Umsetzung des so
genannten Mainzer Modells angedacht werden.
Gleich lautende Zustimmung kam von Professor
Rössner, den Sie eingeladen hatten. Die gleiche Meinung vertraten auch der Deutsche Juristentag, der Weiße
Ring und der Bundesrat.
Es ist beschämend, an dieser Stelle sagen zu müssen:
Kinder, die in Österreich Opfer eines Sexualverbrechens
werden, sind besser gestellt; denn dort werden sie regelmäßig durch einen kinderpsychologisch befähigten
Sachverständigen vernommen, der sich gemeinsam mit
der Vertrauensperson und dem Kind in einem gesonderten Raum befindet, während sich der Richter im Sitzungssaal aufhält. Das nenne ich Kindeswohl; davon
sind wir weit entfernt! In Österreich wird genau das praktiziert, was Professor Rössner in seiner Stellungnahme
„perspektivisch“ für den deutschen Strafprozess vorgeschlagen hat. Ich empfehle die Lektüre! Bei uns wird immer gesagt: Es scheitert an schwierigen rechtlichen und
praktischen Fragen. Da sind die Österreicher anscheinend weiter!
Ihre Verweigerungshaltung geht erneut zulasten der
Schwächsten in der Gesellschaft. Frau Ministerin, ich
denke, gerade diese Opfer brauchen den Schutz der
Rechtsordnung. Das sage ich Ihnen als Abgeordnete, als
Frau und als Mutter.
Sie müssen sich auch Untätigkeit vorwerfen lassen,
denn ich kann mich daran erinnern: Am 12. Februar dieses Jahres haben Sie, Frau Ministerin, hier im Deutschen
Bundestag angekündigt, demnächst eine gesetzliche Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung zu
präsentieren.
({7})
Bis heute liegt nichts vor. Das heißt, wir laufen Gefahr,
dass drei hochgefährliche Kinderschänder ab 1. September dieses Jahres auf freien Fuß gesetzt werden müssen.
Für mich ist das heute kein guter Tag für den Opferschutz.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Daniela Raab, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Opferschutz ist ein Ziel - wir haben es in
dieser Debatte oft genug gehört -, das wir unbestritten Gott sei Dank ist das so - gemeinsam verfolgen. Es ist
ein Thema - auch das haben wir jetzt bemerkt -, das
Emotionen weckt, nicht nur bei uns, wenn wir darüber
diskutieren, sondern insbesondere bei den Betroffenen
und in der Bevölkerung. Jeder sieht ein, dass es nicht
sein kann, dass die Interessen des Opfers in einem Prozess weniger gewahrt werden als die des Täters. Keiner
möchte, dass das Opfer im Prozess nochmals traumatisiert wird. Man bemüht sich, weiteres Leiden zu verhindern und einen gerechten Prozess zu führen, der in ein
gleichermaßen gerechtes Urteil münden soll. Das sollte
man meinen, aber bis jetzt kann man sich nicht immer
darauf verlassen.
Auch das ist schon gesagt worden: Eine Reform ist
nicht immer eine Reform, oder besser: Nicht überall, wo
„Reform“ draufsteht, ist auch „Reform“ drin, besonders
nicht, wenn sie von Ihnen kommt - aber diese Erfahrung
haben wir ja schon öfter gemacht. „Reform“ bedeutet für
uns den Abbau unnötiger Bürokratie und eine noch aktivere Beteiligung des Opfers am Strafprozess, als dies
bisher möglich ist.
In den letzten Debatten und auch heute von meinen
Vorrednern ist bereits einiges an Fakten ausgeführt worden. Ich möchte das nicht unnötig wiederholen. Es ist
von allen Seiten aufgezeigt worden, wie viel sich in den
letzten Jahren für die Opfer schon zum Besseren verändert hat und welche Fortschritte im Opferschutz gemacht
wurden.
Eines möchte ich ganz gerne wiederholen: Opferschutz war immer ein Thema der Union und der FDP.
1994 wurde das erste Opferschutzgesetz verabschiedet
und noch 1998 gab es die Regelungen zum Zeugenschutz. Und dann kamen Sie!
({0})
Die Entstehungsgeschichte des heutigen Gesetzentwurfes geht immerhin schon auf das Jahr 1999 zurück, er
verfiel aufgrund Ihrer nachhaltigen, konsequenten Untätigkeit der Diskontinuität.
({1})
Das Ganze wurde nur dadurch durchbrochen, dass der
Bundesrat die Initiative ergriffen hat, der wir uns als
Union dankbar angeschlossen haben. Erst, als das bereits
lief, haben Sie sich mit einem eigenen Entwurf auf den
Weg gemacht. Man möchte fast sagen: Respekt, das ging
ja richtig schnell.
Dennoch darf ich sagen, dass es gut ist, dass wir uns
zumindest darin einig sind, dass Opferschutz ein Thema
ist, das wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.
({2})
Umso bedauernswerter ist es - auch das sage ich ganz
klar -, dass wir uns nicht auf einen gemeinsamen Entwurf einigen konnten.
Auch die Expertenanhörung im Dezember hat deutlich gemacht, dass sich viel verbessert hat, dass es aber
nötig ist, weitere rechtliche Voraussetzungen zu schaffen, um die Opferrechte zu stärken. Ich möchte kurz
- auch wenn dazu heute schon etwas gesagt worden ist einige der von uns geforderten Maßnahmen nennen, die
zur Stärkung der Opferrechte beitragen sollen.
Ich nenne zunächst die Erweiterung der Nebenklage
und die Bereitstellung eines Opferanwalts für Hinterbliebene. Dies sind Bedingungen, die definitiv schon längst
hätten durchgesetzt werden müssen und die jetzt wieder
nur rudimentär durchgesetzt werden.
Auch muss es einen verbesserten Informationsfluss
zwischen Opfern und Behörden über Opferrechte und
den Stand des Verfahrens geben. Soweit sind wir nun.
Das begrüßen wir sehr; denn das Opfer muss in die Lage
versetzt werden, seine Rechte in vollem Maße wahrzunehmen. Dazu gehört nun einmal als erste Voraussetzung eine umfassende Information und Aufklärung.
Eine Erleichterung für die Opfer, aber auch für die
Gerichte ist das geforderte Adhäsionsverfahren. Dessen
Ausgestaltung gefällt uns trotz Ihres Nachbesserungsvorschlages aus dieser Woche immer noch nicht. Mein
Kollege Kauder hat dazu in gewohnt präziser Weise
schon Stellung genommen.
Es sollte - dieser Punkt liegt uns wirklich sehr am
Herzen - dem Verteidiger des Angeklagten nicht gestattet sein, Bild- und Tonaufzeichnungen einer Vernehmung des Opfers aus dem Gericht mitzunehmen, ohne
dass das Opfer dem vorher zugestimmt hat; denn man
muss bedenken, dass das Opfer bei dieser Vernehmung
möglicherweise noch stark unter dem Eindruck der Tat
steht und dass Bilder des Opfers in einer solchen doch
sehr intimen Situation, in der das Opfer verletzbar ist,
unter besonderem Schutz stehen müssen. Dies ist gerade
deshalb nötig, weil es noch keinen sicheren Kopierschutz für Videos gibt. Auch das ist bereits erwähnt worden: Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hat das
auch bestätigt.
Sie sehen, wir waren verhandlungsbereit. Ihr Entwurf
geht uns leider an diesen wichtigen Stellen definitiv
nicht weit genug. Der Opferschutz müsste wesentlich
konsequenter weitergeführt werden. Die Chance dazu
besteht nach wie vor. Dennoch können wir Ihrem Entwurf heute leider nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({3})
Die Kollegin Petra Pau hat ihre Rede zu diesem Tages-
ordnungspunkt zu Protokoll gegeben.1) Deshalb schließe
ich die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen zum Tagesord-
nungspunkt 7 a. Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Stärkung der Rechte der
Opfer im Strafprozess auf Drucksache 15/814. Der
Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/2609, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP gegen die Stim-
men der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Noch Tagesordnungspunkt 7 a. Abstimmung über den
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafver-
fahren auf Drucksache 15/2536. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/2609, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungs-
antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/2615 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der
SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der CDU/CSU
gegen die Stimmen der FDP abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
1) Anlage 2
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und
der FDP gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit demselben Stimmverhältnis wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung
der Rechte von Verletzten im Strafverfahren, Drucksache
15/2609. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1976 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 7 b. Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses auf Drucksache 15/2609 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Opferrechte
stärken und verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung, den Antrag
auf Drucksache 15/936 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Betreuungsrechts ({0})
- Drucksache 15/2494 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In dem Ziel der Sache, um die es hier geht, sind
sich Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung einig.
Wir alle wollen die Rechte psychisch kranker oder behinderter Menschen erhalten und gegebenenfalls weiter
stärken. Mit dem Betreuungsrecht, über das wir hier
reden, unterstützen wir psychisch kranke oder behinderte Menschen dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu
führen - so gut es eben geht.
Im Zuge der jetzt vom Bundesrat aufgekommenen
Initiativen zur Veränderung des Betreuungsrechts wurde
teilweise die Behauptung aufgestellt, dass das Betreuungsrecht ein schlechtes Gesetz sei und dass es erhebliche Missstände gebe. Diese Aussage würde ich gerne
zurückweisen und ihr widersprechen. Ich meine nicht,
dass das geltende Betreuungsrecht ein schlechtes Gesetz
ist.
({0})
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl der
Betreuten in den letzten Jahren sehr stark gestiegen ist.
Das zeigt auf der einen Seite, dass es ein gutes Gesetz
ist, weil es angewandt wird. Auf der anderen Seite führt
dies aber auch dazu, dass die Haushalte der Bundesländer stärker belastet werden. Von daher habe ich vollstes
Verständnis dafür, dass die Länder hier Veränderungen
vornehmen wollen und dieses Gesetz, wie man auf Neudeutsch sagt, evaluieren wollen.
Ich glaube, die stetig steigenden Betreuungskosten
kann man unter anderem auf zwei Gründe zurückführen.
Zum einen stehen die amtlich bestellten Betreuer nicht
nur für die ihnen obliegenden Aufgaben, also für die
rechtliche Betreuung, zur Verfügung, sondern sie nehmen darüber hinaus zahlreiche andere Aufgaben wahr,
die eigentlich nicht zur rechtlichen Betreuung gehören.
Diese rechnen sie aber gleichwohl ab. Das kann man unter mitmenschlichen Gesichtspunkten gut verstehen.
Allerdings habe ich aber, wie gesagt, Verständnis für
das Interesse der Länder, die die Berufsbetreuung auf die
erforderliche rechtliche Betreuung zurückführen wollen. Das, was im Sinne der Menschen darüber hinaus geleistet werden muss, muss in anderer Form sichergestellt
werden. Ich glaube, das schulden wir denjenigen, die für
ihre Betreuungskosten selbst aufkommen müssen, genauso wie denjenigen, die ihre Betreuungskosten durch
die Staatskasse erstattet bekommen.
Der zweite Gesichtspunkt ist, dass das jetzt geltende
Betreuungsrecht einen erheblichen bürokratischen Aufwand vorsieht; denn jede Tätigkeit eines Betreuers muss
einzeln dokumentiert und abgerechnet werden. Das erscheint schon auf den ersten Blick nicht sonderlich vernünftig. Von daher glaube ich schon, dass die unnötige
Bürokratie ruhig zurückgeführt werden kann, wenn
man den Grundprinzipien des Betreuungsrechts treu
bleibt, also dem Wohl und dem Erhalt größtmöglicher
Selbstbestimmung der Betroffenen.
Einen wesentlichen Ansatz im Gesetzentwurf des
Bundesrates halte ich für richtig, nämlich die Stärkung
der Vorsorgevollmacht, ein Thema, dem sich das Bundesministerium der Justiz schon längere Zeit widmet.
Wir werben schon immer dafür, dass diese Vorsorgevollmacht stärker in Anspruch genommen wird.
({1})
Wir haben ein einheitliches Muster entwickelt, das von
möglichst allen benutzt werden sollte, damit der Wirrwarr mit verschiedenen Mustervollmachten aufhört.
Das gilt auch für die vorgesehene Entbürokratisierung
und Verfahrensvereinfachung im Betreuungswesen. Ich
habe es schon angesprochen: Es macht eindeutig Sinn,
zu einer Pauschalierung der Vergütung und des Aufwendungsersatzes für Berufsbetreuer zu kommen. Das
ist von einer Arbeitsgruppe sorgfältig berechnet worden.
Ich verspreche mir davon, dass durch den Wegfall von
aufwendigen Abrechnungen für die Betreuer und mühsamer Überprüfung für die in der Justizverwaltung dafür
Zuständigen auf beiden Seiten Kapazitäten frei werden,
die für Sinnvolleres genutzt werden können.
({2})
Nun ist es nicht überraschend, dass sich insbesondere
die betroffenen Berufsbetreuer und Betreuungsvereine
sehr dagegen wehren, von der Spitzabrechnung hin zu
einer Pauschalierung zu kommen. Ich möchte ihnen ungern unterstellen, dass sie dies nur aus Besitzstandsdenken heraus tun und sich weigern, sachgerechten Veränderungen zuzustimmen. Wir sollten uns in den
Beratungen im Ausschuss sehr sorgfältig anschauen,
welches die Kritikpunkte der Berufsbetreuer und Vereine
sind, um darauf gegebenenfalls eingehen zu können.
({3})
Mir ist schon aufgefallen, dass nicht alle Beanstandungen von der Hand zu weisen sind.
Ein anderer Punkt, bei dem ich mit dem Gesetzentwurf der Länder Probleme habe, betrifft die Einführung
einer gesetzlichen Vertretungsmacht für Ehegatten und
Lebenspartner im Bereich der Vermögensvorsorge.
({4})
Das ist ein schwieriges Thema, dem wir uns in der Diskussion stellen müssen. Es ist sicherlich schon in der
sozialen Wirklichkeit problematisch, generell eine Vollmacht für Ehepartner einzuführen, um dann festzustellen, dass nur 13 Prozent der Betreuten verheiratet sind.
Ich glaube, der Anlass und das Ergebnis der Regelung
sind auch aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch. Diese gesetzliche Vertretungsmacht in Vermögensangelegenheiten widerspricht zudem dem Grundprinzip der selbstständigen Vermögensverwaltung. Man
muss sich auch die Frage stellen: Warum haben sich
Ehepartner nicht während ihrer Ehe gegenseitig eine
Vollmacht über ihre Konten erteilt? Wenn sie es nicht
gewollt haben, dann muss man dies auch zu einem Zeitpunkt respektieren, zu dem sie darüber nicht mehr
selbstständig entscheiden können.
({5})
All das müssen wir uns sorgfältig ansehen. Wie gesagt, in dem Grundansatz der Länder, die Kosten zu senken, unnötige Bürokratie zu vermeiden und Vereinfachungen zu suchen, sind wir uns einig. Wir müssen aber
sehen, dass wir alles im Rahmen der erforderlichen
rechtsstaatlichen und persönlichkeitswahrenden Grundsätze regeln.
Dazu gehört im Übrigen auch, dass die vorgeschlagene zwangsweise Zuführung zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung aufgrund richterlicher Genehmigung für meine Begriffe besser gestrichen werden sollte.
({6})
Die Bundesregierung hat hier ganz erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Wir sollten sehen, dass wir
zu einer anderen Regelung kommen. Es gibt hier hinreichend andere Möglichkeiten, um zu sachgerechten Entscheidungen zu kommen.
Zusammenfassend: Die Bundesregierung wird die
vorgeschlagenen Verfahrensvereinfachungen und Entbürokratisierungen mittragen, soweit dies das Betreuungsrecht wirklich stärkt und die Rechte der betroffenen
Menschen wahrt.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Ute Granold, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute in erster Lesung mit der Änderung des Betreuungsrechtes, das 1992 als eine der bedeutendsten und tiefgreifendsten Reformen des
deutschen Zivilrechts gepriesen wurde. Ich stimme Ihnen, Frau Ministerin, zu: Es ist ein gutes Gesetz und wir
sind heute aufgerufen, das, was ansteht, zu ändern, und
zwar aufgrund der Veränderungen in der Alterspyramide
etc. Ziel der Reform damals war es, die Rechte der Betroffenen zu stärken und eine bis dahin beklagte Verwaltung der Menschen durch eine persönliche Betreuung zu
ersetzen. Dieser Weg war richtig.
Vom Betreuungsrecht betroffen sind Erwachsene, das
heißt Menschen, die wegen ihrer psychischen Krankheit
oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre rechtlichen Interessen - nur darum geht es nicht selbst vertreten können und dabei auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sind. Vom Gericht bestellte
Betreuer gewähren den notwendigen Schutz und die erforderliche Fürsorge, sind aber zugleich auch darum bemüht, ein größtmögliches Maß an Selbstbestimmung
dieser Menschen zu erhalten.
Mitte der 90er-Jahre führte eine erste Reformdiskussion im Betreuungsrecht zu einer Präzisierung der Vergütungsregelung und einer Änderung einzelner Verfahrensvorschriften. Das Weitere und Wesentliche jedoch,
die Notwendigkeit umfassender struktureller Veränderungen, führte danach schließlich zur Einsetzung einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Vor dem Hintergrund, dass
die Betreuungsfallzahlen von 1992 - seien es damals
nun 250 000 oder 450 000 gewesen - auf über 1 Million
im Jahre 2002 gestiegen und die Kosten im Betreuungsrecht im gleichen Zeitraum nahezu explodiert sind, ist es
erforderlich, die Zahl der Betreuungsfälle durch Förderung der Eigeninitiative zu reduzieren, Bürokratie abzubauen und die ehrenamtliche Betreuung als unverzichtbares Element zu stärken.
In dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus dem vergangenen Jahr wurden Vorschläge
unterbreitet, über die wir nun zu beraten haben: Stärkung
der Vorsorgevollmacht, Einführung einer gesetzlichen
Vertretungsmacht, Pauschalierung der Vergütung und diverse Änderungen im Verfahrensrecht. Seitdem diese
Vorschläge bekannt sind, gibt es eine sehr intensive Diskussion nicht nur in den Fachkreisen - teilweise kontrovers geführt -, sondern auch in der Bevölkerung. Dies
zeigt die große Betroffenheit und die gesellschaftspolitische Dimension dieses Themas. Nicht nur die immer
größer werdende Zahl unserer älteren Mitbürger, sondern auch die Jungen, grundsätzlich jeder kann betroffen
sein und sollte sich daher informieren und entsprechende
Vorsorge treffen.
Der jetzt zur Beratung anstehende Gesetzentwurf des
Bundesrates setzt die Empfehlungen der Bund-LänderArbeitsgruppe um. Dies bedarf jedoch einer genauen
Überprüfung. Entsprechend dem Ziel, die Zahl der Betreuungsfälle zu reduzieren und die Eingriffe in das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen auf das Notwendige zu beschränken, ist die Stärkung der Vorsorgevollmacht - Frau Ministerin, hier stimmen wir überein unbestritten der richtige Weg.
Um auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung
sicherzustellen, muss statt der zum Teil geforderten notariellen Beurkundung der Vorsorgevollmacht eine Beglaubigung der Unterschrift bzw. des Handzeichens genügen. Einigkeit besteht auch dahin gehend, dass die
Einrichtung eines zentralen Registrierungssystems für
Vorsorgevollmachten unabdingbar ist. Die Bundesnotarkammer verfügt bereits über ein ausgereiftes System.
Dort sind bislang mehr als 70 000 Vorsorgevollmachten
registriert. Die hierfür erforderliche gesetzliche Grundlage könnte längst geschaffen sein, wenn die Koalition
nicht in den vergangenen Wochen erheblich blockiert
hätte. Das ist bedauerlich und ich hoffe, dass das kurzfristig nachgeholt wird.
Sehr umstritten und daher genau zu prüfen ist die
Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine
gesetzliche Vertretungsmacht im Bereich der Vermögensfürsorge für Ehegatten bzw. Lebenspartner der Betroffenen eingeführt werden soll. Wir verkennen nicht
die Gefahr eines Missbrauchs und einer möglichen
Überforderung der Angehörigen, auch bei zum Teil nicht
immer klaren Familienverhältnissen. Die weiteren Beratungen werden zeigen, ob es Kompromisse etwa dahin
gehend gibt, den möglichen Gefahren eines Missbrauchs
durch Haftungsregelungen im Innenverhältnis vorzubeugen. Es besteht daneben auch die Gefahr, dass durch eine
gesetzliche Vertretungsmacht die Vorsorgevollmacht geschwächt wird, anstatt dass sie gestärkt wird, was das erklärte Ziel des Gesetzgebers ist. Wir wollen und müssen
eindeutig die Eigeninitiative fördern.
Gegen eine gesetzliche Vertretungsmacht im Bereich der Gesundheitsfürsorge gibt es sicherlich keine
Bedenken und es gibt in dieser Hinsicht sicherlich auch
keine unterschiedlichen Meinungen. Denn anders als im
Bereich der Vermögensfürsorge herrscht hierüber in der
Bevölkerung Einigkeit. Die meisten Menschen gehen
davon aus, dass sie im Krankheitsfall ohnehin zur Abgabe einer Willenserklärung für ihre nächsten Angehörigen berechtigt sind.
Äußerst bedenklich - darin teile ich die Meinung der
Ministerin - ist die vom Bundesrat geplante zwangsweise
Zuführung zur ambulanten ärztlichen Heilbehandlung. Diese Regelung ist mit der Zielrichtung des Betreuungsrechts schwerlich vereinbar. Dabei würden erstmalig
die Interessen des Betreuten gegenüber dem Aspekt des
Schutzes der Allgemeinheit in den Hintergrund treten.
Ungeachtet dessen würde damit ein Grundrechtseingriff
erfolgen, der verfassungsrechtlich außerordentlich bedenklich und unter medizinischen Gesichtspunkten nach
unserer Meinung nicht erforderlich ist.
({0})
Der zentrale und gleichzeitig umstrittenste Teil der
Reform betrifft die gestaffelte, fallbezogene Pauschalierung der Vergütung von Berufs- und Vereinsbetreuern.
Die ehrenamtliche Aufwandsentschädigung bleibt hiervon unberührt. Niemand wird angesichts der dramatischen Kostenexplosion - ich nenne als Beispiel Nordrhein-Westfalen, wo innerhalb von zehn Jahren die
Kosten um das Achtzigfache von 2,5 Millionen DM auf
104 Millionen Euro gestiegen sind - bestreiten wollen,
dass eine grundlegende Reform der Vergütungsstruktur
erforderlich ist. Zielsetzung müssen hierbei Effizienz
und Transparenz sein, selbstverständlich bei gleichzeitig
bestmöglicher Betreuungsleistung.
Frau Ministerin, ich stimme auch darin mit Ihnen überein, dass über die Bedenken, die hinsichtlich der Pauschalierung aus der Fachwelt vorgetragen wurden - ob es um
die Gleichbehandlung von bemittelten und nicht bemittelten Betreuten oder um die Differenzierung zwischen
leichten und schweren Betreuungsfällen geht -, eingehend diskutiert werden muss. Diese Bedenken sollten
wir nicht ohne weiteres vom Tisch fegen.
Im Großen und Ganzen ist der vorliegende Gesetzentwurf eine gute Beratungsgrundlage, um das erklärte Ziel
- ich denke, von uns allen - der Stärkung der Eigeninitiative, insbesondere der Vorsorgevollmacht, zu erreichen. Was wir bisher von Regierungsseite gehört haben,
verspricht eine konstruktive Diskussion. Wir sind gespannt und warten auf die Beratungen.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem meine beiden Vorrednerinnen das 1992 neu
gefasste Betreuungsrecht so gelobt haben, möchte ich
nicht hintanstehen, festzustellen, dass dieses Betreuungsrecht im Vergleich zu der früheren Rechtslage ein
erheblicher Fortschritt war. Das aus grundrechtlicher
Sicht mehr als problematische Rechtsinstrument der Entmündigung bzw. der Gebrechlichkeitspflegschaft wurde
durch ein zeitgemäßes Rechtsinstrument ersetzt, das die
Selbstbestimmung und den Rehabilitationsgedanken in
den Vordergrund gestellt hat.
Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass sich
diese Neuregelungen des Betreuungsrechts im Grundsatz bewährt haben und dass das Betreuungswesen in
Deutschland funktioniert. Die Berufsbetreuer und die
Betreuungsvereine leisten hervorragende Arbeit. Die ehrenamtliche Betreuung hat sich in den vergangenen
zwölf Jahren ebenfalls bewährt.
Wir können aber vor dem Anstieg der Kosten für
Betreuungen insgesamt nicht die Augen verschließen.
Ich möchte an dieser Stelle nicht darauf eingehen, ob es
sich um eine explosionsartige Kostenentwicklung - wie
bei dem extremen Zahlenbeispiel aus Nordrhein-Westfalen - gehandelt hat oder ob der Anstieg der Fälle von
450 000 auf 1 Million nicht vielmehr Ausdruck eines realen gesellschaftlichen Bedarfs ist, der vorher nicht zum
Tragen gekommen ist. Gleichwohl wird die demographische und gesellschaftliche Entwicklung dazu führen,
dass die Anzahl der Betreuungen in den kommenden
Jahren in einem Maße ansteigen wird, dass sie mit den
derzeit vorhandenen Ressourcen kaum noch zu bewältigen ist.
Wir wissen, dass wir den weiteren Anstieg der Zahl
der Betreuungsfälle nicht aufhalten können. Die demographische Entwicklung, die Zunahme der Zahl von älteren Menschen und Menschen, die an Demenzerkrankungen leiden, und die Zunahme der Zahl psychisch kranker
Menschen bestimmen einen Trend, den wir vonseiten
der Politik nicht stoppen können. Daher steht das Betreuungsrecht vor ähnlichen Herausforderungen wie die
Eingliederungshilfe der Sozialhilfe oder die Pflegeversicherung.
Hier wird deutlich, dass das Betreuungsrecht nicht
von Reformen in den Sozialsystemen ausgenommen
werden kann. Deswegen ist es wichtig, in der Sozialpolitik auch die Erfordernisse des Betreuungsrechts zu berücksichtigen und entsprechende Lösungsansätze zu entwickeln; denn das unkoordinierte Nebeneinander von
Kostenträgern - so beteiligen sich die Sozialressorts
der Länder an der Finanzierung der Betreuungsvereine;
die Vergütung der Berufsbetreuer erfolgt aber über die
Landesjustizverwaltungen; die Kommunen finanzieren
vielfach die von den Berufsbetreuern beantragten
Leistungen - führte bisher nicht zu Ansätzen, die geeignet sind, den Kostenanstieg im Betreuungswesen zielgerichtet und abgestimmt anzugehen sowie grundsätzlich
dem Subsidiaritätsprinzip und dem Erforderlichkeitsprinzip Vorschub zu leisten.
Es geht schließlich darum, Betreuung zu vermeiden.
({0})
Der Begriff der Betreuung hat vielfach eine sehr positiven Konnotation. Ich möchte vor allem den Zuhörerinnen und Zuhörern auf der Tribüne deutlich sagen, dass es
sich bei der rechtlichen Betreuung, also bei der Erledigung von Rechtsgeschäften für andere Personen, um einen ganz erheblichen Grundrechtseingriff handelt, den
wir so gering wie möglich halten sollten.
({1})
Ich möchte in der verbleibenden Zeit aus Sicht der
Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen einige
wesentliche Punkte des Betreuungsrechts nennen und
unsere Position dazu darstellen. In vielen Punkten begrüße ich sehr, was die Justizministerin ausgeführt hat.
Auch wir sind der Auffassung, dass die Stärkung der
Vorsorgevollmacht ein ganz entscheidendes Instrument sein wird, um sowohl dem Grundsatz der Selbstbestimmung Geltung zu verschaffen als auch dem Ziel der
Kosteneinsparung ein ganzes Stück näher zu kommen.
Allerdings sind wir der Auffassung, dass dafür eine sehr
starke Beratungsinfrastruktur erst noch geschaffen werden muss, damit die betroffenen Personen auch wissen,
welche Rechte sie übertragen, wenn sie zu Betreuungsfällen werden.
Frau Zypries, es hat mich sehr gefreut, dass Sie kritische Anmerkungen zur gesetzlichen Vertretungsmacht
von Ehepartnern gemacht haben; denn auch wir haben
große Bedenken, wenn über das Vermögen von Ehepartnern oder - auch das ist nicht zu vergessen - über die
Einweisung in ein Pflegeheim entschieden werden soll.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch betonen,
dass für uns, Bündnis 90/Die Grünen, ein Festhalten am
Richtervorbehalt bei der Anordnung der Betreuung die
einzige Möglichkeit ist, der Bedeutung dieses Grundrechtseingriffs gerecht zu werden; denn der Gesetzentwurf sieht vor, zahlreiche derzeit von Richtern wahrgenommene Aufgaben im Betreuungsbereich auf die
Rechtspfleger zu übertragen. Nach unserer Auffassung
handelt es sich aber bei der Bestellung eines Betreuers
um einen zu starken Grundrechtseingriff, als dass man
ihn ungeprüft den Rechtspflegern überlassen sollte.
Hierüber muss man sicherlich noch einmal diskutieren.
Mich hat es ebenfalls sehr gefreut, dass Sie bei der
Pauschalierung von Vergütung und Aufwendungsersatz für Berufsbetreuer Nachdenklichkeit gezeigt haben;
denn in der Tat lassen sich nicht alle Einwände vom
Tisch wischen, auch wenn es Fälle gegeben hat, in denen
im Rahmen der Spitzabrechnung Missbrauch betrieben
wurde. So haben zum Beispiel einzelne Berufsbetreuer
und Berufsbetreuerinnen innerhalb von 24 Stunden
36 Stunden abgerechnet. Aber das ist sicherlich nicht der
Regelfall. Wir müssen sehen, dass wir im Rahmen eines
pauschalen Vergütungssystems den unterschiedlichen
Aufwendungen - vielleicht reichen zwei oder drei Pauschalen - gerecht werden und es den Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuern ermöglichen, ihren Aufgaben
exakt nachzukommen.
Ich glaube, wenn die konstruktive Atmosphäre, die
geherrscht hat, als die Kolleginnen und Kollegen und
insbesondere Sie, Frau Zypries, ihre Reden gehalten haben, Bestand hat, dann werden wir zu einer vernünftigen
und guten Überarbeitung des Betreuungsrechts kommen.
Danke schön.
({2})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das
Grundgesetz gibt uns den Maßstab, mit dem dieser Gesetzentwurf zu messen ist. In Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Darauf fußt auch die Reform von 1992, deren
Zielsetzung jetzt weiter verfolgt und verbessert werden
soll. Ich habe mich natürlich gefreut, hier die allgemeine
Anerkennung der Reform von 1992 zu vernehmen. Die
damalige Reform war ein Ergebnis der Arbeit der FDPJustizminister Engelhard und Kinkel. Der damalige Berichterstatter war der Kollege Funke, der auch heute bei
uns ist.
({0})
Für die FDP-Fraktion ist unverzichtbar, dass der freie
Wille eines jeden Menschen auch im Alter oder bei chronischer Krankheit absoluten Vorrang genießt und als
Ausdruck seiner Würde und seines Selbstbestimmungsrechts erhalten bleibt. Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die Betonung der Vorsorgevollmacht als frei zu
wählendes Regelungsinstrument der Bürger und Bürgerinnen. Die Vorsorgevollmacht sollte als Alternative zur
Betreuung besonders gefördert werden.
({1})
Gerade in Anbetracht dieses Instruments lehnt es die
FDP-Fraktion aber ab, die gesetzliche Vertretungsmacht für Ehegatten und nahe Angehörige einzuführen.
Hierdurch würden Ehegatten mit einer Aufgabenstellung
betraut, die sonst nur zwischen Eltern und Kindern besteht. Wer aber weiß, wie schwierig familiäre Beziehungen sein können, muss der freiwilligen Bevollmächtigung oder der Betreuung durch Fachkräfte den Vorzug
geben.
({2})
Bei der Beurteilung freiheitsentziehender Maßnahmen im Rahmen einer Betreuung kann die Effizienz
nicht das Hauptmerkmal sein. Daher lehnt die FDPFraktion auch die zwangsweise Zuführung zur ambulanten Heilbehandlung mit dem vorgeschlagenen
§ 1906 a BGB ab. Hier liegt ein unverhältnismäßiger
Eingriff in Freiheitsrechte vor, der nach meiner Auffassung einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde.
({3})
Einem erfahrenen Betreuer ist es möglich, auch ohne
Zwangsmaßnahmen einen Betreuten zu einer notwendigen medizinischen Behandlung zu bewegen, und nur im
Falle der Eigen- oder Fremdgefährdung sind Zwangsmaßnahmen bei Unterbringung zulässig. In Deutschland
besteht die Freiheit zur Krankheit. Auch deshalb benötigen wir die rechtliche Basis, um höher qualifizierte Betreuer in diesem jungen Berufsfeld zu halten. Die angestrebten Qualitätssicherungen werden Gegenstand der
Ausschussberatungen sein.
Dies gilt auch für die Pauschalierung der Betreuervergütung. Hierbei muss der Spagat zwischen einer auskömmlichen Bezahlung für die geleisteten Dienste und
den steigenden Kosten für die Länderkassen bewältigt
werden. Eine Pauschalierung unter Überprüfung der Abrechnungen durch die Gerichte scheint mir ein gangbarer
Weg zu sein. Die von den Ländern vorgeschlagene Ermittlung des Bedarfs dürfte dem leeren Staatssäckel zu
sehr verpflichtet sein. Ich halte eine laufende Evaluation
sowohl bezüglich des nötigen Zeitaufwands als auch der
jeweiligen Vergütungssätze für sinnvoll.
Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, dass die Betreuer ihr Einkommen nicht über eine unverantwortlich
hohe Zahl von Betreuungen erzielen sollten. Diese Massenbetreuungen hat man mit der Novelle von 1992 zu
Recht beseitigt. Eines muss allerdings klar sein: Eine
qualifizierte Betreuung ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Bei der Konzentration auf die Berufsbetreuer darf
man aber nicht die Mehrzahl von ehrenamtlichen Betreuern vergessen, die die manchmal mit schweren Entscheidungen verbundenen Aufgaben wahrnehmen und
Angehörigen oder auch fremden Menschen die notwendige Unterstützung in der Bewältigung ihres Alltags geben.
Aus meinen eigenen Erfahrungen als anwaltliche Betreuerin von psychisch Kranken kann ich sagen, dass für
die Betroffenen gerade das Gefühl, vom Betreuer ernst
genommen zu werden, wichtig ist, damit sich die Betreuten nicht als Menschen zweiter Klasse fühlen und damit
man ihre Würde schützt.
Vielleicht bietet dieser fiskalisch motivierte Gesetzentwurf die Möglichkeit, über gesellschaftspolitische
Fragestellungen grundsätzlich zu diskutieren. Ich halte
es auch für sinnvoll, dass die Registrierung sozusagen in
einem Wurf mitbehandelt wird. So viel zu Ihrem Einwand, Frau Kollegin Granold.
Abschließend möchte ich Sie alle dazu aufrufen, die
Kernfrage der Lebensgestaltung von Alten und psychisch Kranken gerade in Zeiten leerer Kassen sehr ernst
zu nehmen.
Ich danke Ihnen.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Bätzing,
SPD-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Spätestens seit dem Vorliegen des Abschlussberichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum
Betreuungsrecht wird über die zu erwartenden Gesetzesänderungen nicht nur in Fachkreisen ausführlich diskutiert. Heute beschäftigt sich auch der Deutsche Bundestag in erster Lesung mit dem Bundesratsentwurf eines
zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes. Es ist erfreulich, wenn eine Gesetzesinitiative mit so viel Interesse verfolgt wird. Ich möchte an dieser Stelle allen Beteiligten danken, die auch schon bisher so aktiv und
engagiert mit uns darüber diskutiert und uns auf Erfahrungen und Bedenken hingewiesen haben.
Ich möchte Ihnen versichern, dass wir uns die Zeit für
eine ausführliche Auseinandersetzung nehmen und uns
mit Anregungen, Wünschen und auch Bedürfnissen der
Betroffenen intensiv beschäftigen werden.
({0})
Ende April wird es eine öffentliche Anhörung im
Rechtsausschuss geben. Erst danach geht der Gesetzentwurf in die abschließende Beratung. Wir werden uns weder zeitlich drängen noch inhaltlich einschränken lassen.
Wir haben es schon mehrfach von den Vorrednern gehört: Uns ist vor zwölf Jahren mit dem Betreuungsgesetz
wirklich eine Jahrhundertreform gelungen.
({1})
Damit hat unter anderem ein neues Vokabular Einzug in
unsere Gesellschaft gefunden. An die Stelle von Entmündigung traten Selbstbestimmung und Mitsprache.
Der Betreuer ersetzte den Vormund. Der Mensch stand
im Mittelpunkt. Der Dank und die Anerkennung hierfür
sind allen Müttern und allen Vätern dieses Gesetzes gesichert.
Aber gerade weil das Betreuungsrecht eine Kehrtwende im BGB darstellt, ist es erforderlich, es an die
ständig stattfindenden Veränderungen anzupassen, um
für bestehende und zukünftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Zum Beispiel wird aktuell 1 Million
Menschen von Betreuern unterstützt. Diesen rasanten
Anstieg hat niemand erwartet. Mit Blick auf die Zukunft
und die demographische Entwicklung bei uns begrüßen
wir daher die Ansätze im Bundesratsentwurf, die das
Ziel verfolgen, Verfahren zu entbürokratisieren und Betreuung, wo möglich, zu vermeiden. Aber der Mensch
muss dabei weiter im Mittelpunkt stehen.
({2})
Deshalb gilt: So viel Selbstbestimmung wie möglich und
so wenig Betreuung wie nötig; denn jede Betreuung
stellt einen gravierenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen dar.
Von daher unterstützen wir die im Gesetzentwurf
vorgesehene Stärkung der Vorsorgevollmacht, die
ebenfalls Betreuung vermeiden hilft. Wir müssen die
Vorsorgevollmacht in der Gesellschaft noch bekannter
machen - auch das ist schon angesprochen worden - und
den interessierten Bürgerinnen und Bürgern verlässliche
und verständliche Informationen dazu verschaffen.
({3})
Eine Mustervorsorgevollmacht ist dabei sicherlich sehr
hilfreich.
Jedoch werden in zahlreichen Fällen auch weiterhin
Betreuungen erforderlich sein. So ist zum Beispiel - das
mag einige überraschen - auch für einen Ehepartner
grundsätzlich ein Betreuer zu bestellen. Deshalb möchte
die Länderkammer eine gesetzliche Vertretungsmacht
für Ehegatten im BGB verankern, die sich auf die Vertretungsbefugnis in der Vermögenssorge, den Wohnungs- und Heimangelegenheiten sowie der Gesundheitssorge erstreckt.
Ich halte lediglich die Vertretungsmacht in der Gesundheitssorge für diskutabel. Denn in der Bevölkerung
wird ohnehin davon ausgegangen, dass die Ehepartner
zur Abgabe solcher Erklärungen berechtigt sind. Allerdings werden wir noch über Einzelheiten diskutieren
müssen, damit wir uns mit der gesetzlichen Vertretungsmacht nicht ein Ei der unkontrollierten Fremdbestimmung ins Nest legen.
Anders als bei der Gesundheitssorge stehen wir der
gesetzlichen Vertretungsmacht in der Vermögenssorge
und auch in den Wohnungs- und Heimangelegenheiten
eher skeptisch gegenüber. Bei der Vermögenssorge besteht ja bereits heute die Möglichkeit - die Ministerin
hat es erwähnt -, durch eine Kontovollmacht dem Ehegatten vollen Zugriff auf sein Konto zu gewähren. Die
Realität zeigt aber, dass Ehepartner selten davon Gebrauch machen, da sie entweder ein gemeinsames Konto
haben oder es schlicht und ergreifend nicht wollen. Eine
gesetzliche Regelung würde einen Eingriff in die selbstständige Vermögensverwaltung darstellen, die in diesem
Rahmen nicht erforderlich ist.
Auch eine gesetzliche Vertretungsregelung im Bereich der Heim- und Wohnungsangelegenheiten entspricht kaum der Überzeugung der Bevölkerung.
Wir würden damit dem betreuenden Ehegatten die gesetzliche Befugnis zur Aufenthaltsbestimmung in die
Hand geben.
In diesen letztgenannten Regelungen können wir weder betreuungsvermeidende noch mit dem Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen in Einklang zu bringende
Regelungen erkennen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch die
Zwangsmedikation lehnen wir aus den vorhin schon erwähnten Gründen ab. Damit würden das Wohl des Menschen und auch die unverzichtbare vertrauensvolle
Ebene zwischen Betreuer und Betreuten verletzt und zerstört.
Festgelegt sind wir dagegen noch nicht in der Diskussion um die geplante Vergütungspauschalierung. Im
Grundsatz wird sich wahrscheinlich niemand dieser Pauschalierung verschließen, aber in zahlreichen Gesprächen und Veranstaltungen zum Thema sind unter anderem auch nachvollziehbare Kritik und Bedenken
vorgetragen worden, die sich gegen die Höhe und die
Differenzierung richten. Wir werden über diese Pauschalierung sicherlich noch reden müssen, damit sie sachgerecht und angemessen festgelegt wird. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass die Betreuungskosten
nicht gesenkt, sondern verlagert werden.
Da ich in einem Flächenwahlkreis wohne, liegt mir
auch die besondere Berücksichtigung der ländlichen Regionen bei der Aufwandsentschädigung am Herzen. Hier
gibt es Unterschiede, denen man gerecht werden muss
und über die wir reden müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird sicherlich noch Bewegung in die Diskussion über den Gesetzentwurf kommen. Das zeigt ja auch unsere heutige
Debatte. In der gesamten parlamentarischen Auseinandersetzung und bei aller Notwendigkeit einer zweiten
Änderung des Betreuungsrechts werden wir unseren Fokus aber weiterhin auf ein funktionierendes Gesamtsystem richten und die einzelnen Vorschläge auf ihre Zielerreichung und Folgewirkung überprüfen müssen. Ich bin
mir aber sicher, dass wir in Abstimmung mit allen Beteiligten und unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus
der Anhörung zu einer vernünftigen Lösung kommen
werden, die nicht an den Grundstrukturen des Gesamtsystems rüttelt und dem Grundsatz unserer Jahrhundertreform treu bleibt: Im Mittelpunkt steht der Mensch.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Markus Grübel, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kosten der rechtlichen Betreuung - nur um die
rechtliche Betreuung geht es heute, nicht um die tatsächliche Hilfe und Pflege - sind für die Länder in den letzten Jahren explosionsartig gestiegen. Die Bund-LänderArbeitsgruppe zur Lösung der anstehenden Probleme hat
eine fast unlösbare Aufgabe übertragen bekommen: Sie
soll die Kosten senken, gleichzeitig aber die Anliegen
des Betreuungsrechts, nämlich das Wohl der Betroffenen, nicht aus dem Auge verlieren. Die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe sind in den vorliegenden Gesetzentwurf eingeflossen. Wie stark der Schuh die Länder
drückt, zeigt sich schon allein daran, dass die Länder
Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen hier gemeinsame Sache gemacht haben, also ein SPD-, ein CSUund ein CDU-geführtes Bundesland.
Bei allem Verständnis für die finanziellen Probleme
müssen wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren aber
die Auswirkungen auf die Betroffenen, die hilfsbedürftigen Menschen, im Auge behalten. Viele Menschen denken, wenn sie selbst ihre Angelegenheiten nicht mehr regeln können, können ihre Angehörigen sie vertreten. Es
entspricht aber auch dem Willen der Menschen, selbst zu
bestimmen, wer für sie handelt. Jeder, der zuverlässige
Angehörige oder andere Vertrauenspersonen hat, sollte
frühzeitig eine Vorsorgevollmacht erteilen. Denn wenn
eine Vorsorgevollmacht besteht, ist die Anordnung einer
Betreuung entweder nicht mehr nötig oder gar nicht
mehr möglich. Nach meiner Meinung ist die Vorsorgevollmacht genauso wichtig wie ein Testament oder eine
Lebensversicherung. Das Ziel des Gesetzentwurfs, die
Vorsorgevollmacht zu stärken - da scheinen wir uns alle
einig zu sein -, ist daher uneingeschränkt zu unterstützen.
({0})
Neben der Stärkung und besseren Verbreitung der
Vorsorgevollmacht will das Betreuungsrechtsänderungsgesetz die Rechte der Ehegatten und Familien stärken.
({1})
Unser Grundgesetz stellt ja Ehe und Familie unter den
besonderen Schutz des Staates. Es entspricht sicherlich
auch dem Ideal von Ehe und Familie, dass Ehegatten,
Kinder oder Eltern eine Vertretungsbefugnis für Notfälle
haben. Zudem entspricht es in der Regel auch den allge-
meinen Vorstellungen. In meiner beruflichen Beratungs-
praxis waren viele Ehegatten verwundert, dass sie sich
gegenseitig im Notfall nicht vertreten können.
Es ist aber leider auch nicht zu leugnen, dass die
Wirklichkeit nicht immer dem Ideal von Ehe und Fami-
lie entspricht. Das Gesetz erkennt das Problem und
schreibt, dass von den Eheleuten schriftlich zu versi-
chern ist - ich zitiere -,
b) nicht getrennt zu leben,
…
d) dass der verhinderte Ehegatte einen der Vertretung entgegenstehenden Willen nicht geäußert hat
…
Bei Eheleuten unterscheidet der Gesetzentwurf zwischen dem Bereich der Vermögenssorge und der Gesundheit. Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme die Vertretung von Eheleuten im Bereich der
Vermögenssorge abgelehnt. Sie bezweifelt - wir haben
es vorhin gehört -, dass damit die Zahl der Betreuungen
verringert werden kann, und sieht auch die Gefahr des
Missbrauchs.
Interessant ist, Frau Ministerin Zypries und Frau
Bätzing, dass die Missbrauchsgefahr im Bereich der Vermögenssorge gesehen wird, aber nicht im Bereich der
Gesundheit. Missbrauch ist also wohl eher zu befürchten, wenn es ums Geld geht; das sagt auch die schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung. Wenn es um
Leben und Tod geht, scheint die Missbrauchsgefahr
nicht so groß zu sein.
({2})
Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird zu klären
sein, ob Ehe und Familie durch eine gesetzliche Vertretungsmacht gestärkt werden können oder ob die von der
Bundesregierung vorgetragenen Bedenken überwiegen.
Würde die Vorsorgevollmacht weitere Verbreitung finden und die gesetzliche Vertretungsmacht greifen, würde
dies insbesondere die Vormundschaftsgerichte massiv
entlasten und die Betroffenen hätten nichts mit dem Gericht zu tun. Die Anordnung einer Betreuung greift massiv in das Leben eines Betroffenen und seiner Angehörigen ein. Dies zu vermeiden ist aller Mühe wert. Wie
gesagt, wir werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren
das Für und Wider abzustimmen haben. Dies gilt auch
für die vorgesehene Pauschalierung der Vergütung der
Betreuer.
Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen,
das im vorliegenden Gesetzentwurf gar nicht enthalten
ist, bei dem aber dringender Handlungsbedarf besteht. In
der Öffentlichkeit, aber auch unter Juristen und Ärzten
gibt es eine große Unsicherheit im Zusammenhang mit
Fragen, die am Ende des Lebens stehen. Diese Unsicherheit ist durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 17. März 2003 noch gewachsen. Die EnqueteKommission „Recht und Ethik“ in der modernen Medizin“ befasst sich zurzeit intensiv mit Fragen von Sterbebegleitung, Sterbehilfe und Patientenverfügung, aber
auch mit Hospiz und Palliativmedizin. Der Gesetzgeber sollte klarstellen, ob und unter welchen Bedingungen
die Einwilligung eines Vorsorgebevollmächtigten, eines
Betreuers oder eines gesetzlichen Vertreters im Sinne
des Gesetzentwurfs für medizinische Entscheidungen
am Lebensende, zum Beispiel die Beendigung von medizinischen Maßnahmen - zu denken wäre etwa an die
Beendigung der Ernährung durch PEG-Sonde -, einer
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, insbesondere bei Vorhandensein einer Patientenverfügung
und Vorsorgevollmacht.
Bei der Diskussion stehen auf der einen Seite diejenigen, die zum Schutz des Lebens einen möglichst weitgehenden Kontrollvorbehalt wünschen. Auf der anderen
Seite stehen diejenigen, die auf die Überlastung der Vormundschaftsgerichte hinweisen, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gefährdet sehen und eine
angemessene Überprüfung durch die Vormundschaftsgerichte in jedem Einzelfall als schlechterdings unmöglich
erachten.
Die Vorsorgevollmacht für den Gesundheitsbereich
und die Fragen rund um die Patientenverfügung hängen
sehr eng zusammen. Wer die Vorsorgevollmacht stärken
will, muss auch die Fragen rund um die Patientenverfügung klären. Dazu sollte im Gesetzgebungsverfahren
auch eine Stellungnahme der Enquete-Kommission eingeholt werden. Die wichtigen Fragen im Zusammenhang
mit der Sterbehilfe und der Patientenverfügung müssen
vom Gesetzgeber und dürfen nicht von Gerichten und
schon gar nicht von demokratisch nicht legitimierten
Gremien geklärt werden. Das Gesetzgebungsverfahren
bietet die Chance, § 1904 BGB neu zu formulieren.
Wie eingangs bereits gesagt, gibt es im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch viel abzuwägen und zu klären. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stehen die
Würde des Betroffenen, das Selbstbestimmungsrecht,
möglichst wenig unnötige Verfahren und ein sparsamer
Umgang mit Steuermitteln. Insgesamt ist der Gesetzentwurf zu begrüßen. Er zielt in die richtige Richtung.
Danke schön.
({3})
Für den Bundesrat erhält jetzt der Herr Justizminister
des Landes Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Gerhards,
das Wort.
Wolfgang Gerhards, Minister ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach
den Vorreden kann ich es in vielen Punkten sehr kurz
machen, weil ich festgestellt habe, dass wir uns in
wesentlichen, zentralen Punkten einig sind. Die Bundesjustizministerin und auch die Abgeordneten, die gesprochen haben, haben dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass es uns nicht darum geht, die Grundstruktur
des Betreuungsrechts zu ändern. Ganz im Gegenteil, das
war ein Jahrhundertwerk. Es geht uns nur darum, an den
Stellen, an denen das gut Gemeinte nicht mit dem Guten
identisch ist, Korrekturen anzubringen.
Das kann man in zwei Punkten zusammenfassen: Das
Gesetz ist an manchen Stellen zu aufwendig geraten - es
atmet noch den Geist der 80er- und 90er-Jahre - und es
ist zu teuer in der Umsetzung, und zwar ohne dass diese
Kosten erforderlich wären.
Ich muss nicht alle Punkte wiederholen, weil vieles
von dem, was in meinem Redemanuskript steht, schon
gesagt worden ist. Ich will nur auf einige wesentliche
Punkte eingehen, die von Ihnen schon angesprochen
wurden und die den Gang der weiteren Beratung sicherlich noch bestimmen werden.
Die Zahl der Betreuungsfälle ist zum einen wegen
der demographischen Entwicklung übermäßig gestiegen.
Das ist gar keine Frage. Zum anderen hat aber das Gesetz dafür gesorgt, dass den Familien die Flucht aus der
Verantwortung erleichtert wird. Wir haben nämlich in
vielen Fällen das Prinzip der Erforderlichkeit nicht so
ausgestaltet, dass an der Spitze der Überlegung die Frage
steht, ob überhaupt eine Betreuung vom Gericht angeordnet werden muss, ob andere Personen in Betracht
kommen und ob es Möglichkeiten gibt, die wir als Gesetzgeber nachjustieren sollten, durch die die Familien
und auch die Betroffenen selbst zu dem Zeitpunkt, zu
dem sie das noch leisten können, in die Pflicht genommen werden.
Der zentrale Punkt an dieser Stelle - Sie haben ihn
bereits angesprochen - ist die Stärkung der Vorsorgevollmacht. Dazu muss ich nichts sagen; alles Wichtige
ist dazu schon ausgeführt worden. Ich bin sehr dankbar,
dass wir uns da einig sind. Ich bin insbesondere für das
Muster dankbar, das das Bundesjustizministerium vorgeschlagen hat und auf das sich die Länder inzwischen verständigt haben; denn es ist völlig richtig, in der Republik
mit einer Mustervollmacht und nicht mit verschiedenen
zu arbeiten.
Dass wir ein zentrales Register brauchen, ist auch
schon gesagt worden. Da muss ich nichts weiter ausführen.
An zweiter Stelle sieht der Entwurf aber eine Entlastung aller Beteiligten - also nicht nur der Gerichte und
der öffentlichen Finanzen, sondern gerade auch der
Betroffenen - dadurch vor, indem wir neben der Vorsorgevollmacht für bestimmte Fälle die gesetzliche Vertretungsmacht einführen. Dies ist richtig - dazu haben
mehrere Redner schon einiges gesagt -, weil es einem
weit verbreiteten Bedürfnis der Betroffenen und ihrer
Familien entgegenkommt, zumindest bestimmte Fälle
der Betreuung in der Familie zu regeln. Man kann davon
ausgehen, dass in den Krankheitsfällen, in denen beispielsweise operiert werden muss oder in denen ärztliche
Entscheidungen abgesichert werden müssen, die Ehegatten füreinander eintreten. Das ist ja auch ein Hauptgrund
dafür, weshalb die Leute heiraten. Das darf man nicht
unterschätzen. Ich glaube, in diesem Punkt sind wir uns
einig.
Sie haben an der Stelle noch einen anderen Punkt angesprochen, der in der Tat heikler ist, weil es dafür - darauf
haben Sie hingewiesen - keine so breite Zustimmung in
der Bevölkerung gibt. Es geht um die Vermögensvorsorge. Dieser Begriff führt allerdings zu Missverständnissen. Es geht eben nicht um das Vermögen der Betroffenen. Es geht um bestimmte, exklusiv aufgeführte
Leistungen. Es geht beispielsweise um den Zugriff auf
das laufende Konto bis zu einem Betrag von maximal
3 000 Euro. Das ist für manchen in der Tat sehr viel.
Aber es handelt sich nicht um das Vermögen, das die
Menschen besitzen. Es geht also nicht um das Häuschen
und auch nicht um das Aktienpaket, sondern nur um laufende Einnahmen.
Es geht ferner um das Stellen von Anträgen auf Sozialleistungen und um die Entgegennahme der Bewilligung von Leistungen bei der Renten- und der Krankenversicherung. Es geht gegebenenfalls auch um die
Möglichkeit, für die Steuererklärung, wenn sie unproblematisch ist, eine Unterschrift abzugeben, ohne dass dafür
ein Betreuer bestellt werden muss. Es geht in der Tat
auch um die Frage, ob ein Mietverhältnis aufgelöst werden kann, wenn ein Heimvertrag abgeschlossen wird.
Ich räume ein, dass bei dem letzten Punkt die Abwägung
besonders schwierig sein kann und dass man sie unter
Umständen auch anders treffen kann, als sie der Gesetzentwurf vorgibt.
Ich sage ausdrücklich: Wir sollten an dieser Stelle
nicht immer von Missbrauch ausgehen. Wir neigen als
Juristen dazu, immer den pathologischen Fall im Auge
zu haben und nicht die Vielzahl der Fälle, in denen das
ganz normal funktioniert. Es ist ganz wichtig, dass wir
an der Stelle nicht mit der Missbrauchsfrage und mit
dem Bedenken überziehen und deswegen eine Regelung
zu klein halten, die sich im Prinzip, so glaube ich, als
sehr vernünftig darstellt.
Ein weiterer Punkt, auf den ich eingehen will, ist die
Frage der Vergütung. Ich meine, dass das geltende
Recht an manchen Stellen zum Missbrauch animiert;
denn es werden die Falschen prämiert. Derjenige, der
Minister Wolfgang Gerhards ({1})
langsam arbeitet und der jede Minute aufschreibt, wird
gegenüber dem, der sehr viel schneller in der Lage ist,
eine Entscheidung zu treffen, bevorzugt, weil er am
Ende mehr Geld für seine Leistung bekommt. Das kann
nicht richtig sein. Die Vergütung muss pauschaliert werden. Ich habe auch noch keine generelle Kritik an dem
Ansatz der Pauschalierung gehört.
Ich höre an der Stelle immer die Frage - sie ist aus
den Beratungen bekannt -, ob wir mit dem jetzt vorgeschlagenen Pauschalsystem wirklich alle Fälle umfassend abdecken. Es gibt den Einwand, dass es Betreuer
gibt, die sich auf die besonders schwierigen Fälle konzentrieren, bei denen der Aufwand größer ist. Erstens
glaube ich nicht, dass das der Wahrheit entspricht, weil
die meisten einen Mix von Fällen haben. Manche machen es sich vielleicht auch zu leicht. Zweitens denke
ich, dass die Gerichte sehr wohl in der Lage sind, dafür
zu sorgen, dass bei den zu treffenden Betreuungsentscheidungen darauf geachtet wird, dass die Betreuer
gleichermaßen bedient werden. Das heißt, es wird darauf
geachtet, dass nicht einer nur die leichten Fälle und ein
anderer nur die schweren Fälle bekommt. Es muss für
einen Mix gesorgt werden, sodass sich für jeden Betreuer ein ausgewogenes Verhältnis an Fällen ergibt.
Wenn man die heutige Praxis zugrunde legt, dann
kann man davon ausgehen, dass 40 bis 50 Fälle von einem Berufsbetreuer bearbeitet werden können. Ohne die
Aufwandsentschädigung verdient er damit 40 000 bis
50 000 Euro im Jahr. Das ist angemessen; aber mehr
muss es auch nicht sein.
Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen will, ist in diesem Zusammenhang, was der Betreuer eigentlich leisten
muss. Da sind wir an einer sehr sensiblen Stelle. Da geht
es um den Abgleich mit dem, was die Familie, andere
soziale Institutionen, aber auch der gesunde Mensch tun
müssten. Ich habe eine Menge an Beispielen gehört, was
Berufsbetreuer alles im Zusammenhang mit Vermögenspaketen zu leisten haben. Dafür würde sich der Gesunde
einen Anwalt oder einen Steuerberater nehmen. Das
muss der Berufsbetreuer nicht leisten. Da soll er einen
Auftrag erteilen und dann ist er aus dem Schneider.
Mehr muss er nicht tun.
Sie haben den Vorschlag zu § 1906 a BGB angesprochen, mit dem Zwangsbehandlungen ermöglicht werden
sollen. An dieser Stelle bin ich ganz bei Ihnen. Das war
Teil eines Kompromisses, den die Länder geschlossen
haben. Ich persönlich und auch die Landesregierung von
Nordrhein-Westfalen sind sehr damit einverstanden, dass
an dieser Stelle wieder klar gezogen wird, dass der Betreuer ausschließlich im Interesse des Betreuten arbeitet
und nicht in die Pflicht genommen wird für eine Situation, in der er auf zwei Schultern tragen müsste. Das
kann das Vertrauensverhältnis in vielen Fällen stören.
Ich akzeptiere an dieser Stelle einen Änderungsbedarf.
Ein Letztes - denn meine Redezeit ist gleich abgelaufen
Richtig!
Wolfgang Gerhards, Minister ({0}):
- will ich ansprechen. Es gibt eine Reihe von Dingen
außerhalb dessen, was die Justiz betreiben muss. Da geht
es um die Frage, ob die Vergütung für die Betreuungsvereine richtig gestaltet ist. Das ist eine Länderangelegenheit außerhalb der Justiz. Es geht auch um die Frage,
ob die Betreuungsbehörden wie bisher nicht ihre Pflicht
wahrnehmen müssen oder sich ihrer Aufgabe entledigen
können, wie sie das in der Vergangenheit getan haben,
weil die rechtlichen Betreuer in vielen Fällen soziale Betreuung geleistet haben.
Das gehört nicht in diesen Gesetzentwurf. Es gehört
aber zu der Diskussion, die die Sozialminister bereits
führen, wobei sie gebeten haben, dass sich eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bestehend aus den
Justizverwaltungen einerseits und den Sozialverwaltungen andererseits, mit diesen Fragen befasst. Ich bin zuversichtlich, dass man das am Ende wieder in einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den verschiedenen Ressorts angemessen besprechen kann. Das ist aber ein
Thema, das unabhängig von dem jetzigen Gesetzentwurf
zu betreiben ist und diesen Gesetzentwurf nicht blockieren darf.
Ich danke Ihnen für die Bereitschaft, das Thema gemeinsam so sachgerecht anzugehen, wie es die heutige
Diskussion gezeigt hat.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Röttgen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Als letzter Redner in dieser ersten Lesung würde
ich gerne etwas dazu sagen, was nach meiner Auffassung den Charakter und die Qualität dieses Themas ausmacht. Ich bin der Überzeugung, dass das Thema, über
das wir heute debattieren, nicht nur ein juristisches
Fachthema ist und auch nicht nur fiskalisch betrachtet
werden kann. Es geht hier vielmehr der Sache nach um
einen zentralen und wichtigen Bereich der Gesellschaftspolitik.
({0})
Das kommt zwar in der Rechtspolitik ebenso häufig wie
unbemerkt vor; aber es ist ein ganz zentraler Bereich unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Es geht um die Menschen - das ist schon gesagt
worden -, die, weil sie krank sind, psychisch krank oder
seelisch, geistig oder körperlich behindert sind, ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr erledigen können,
also um Menschen, die Hilfe brauchen. Es geht um die
Organisation und um die staatliche Verantwortung, den
Menschen, die ihr Leben nicht allein gestalten können,
zu helfen.
({1})
Es befindet sich mehr als 1 Million Mitmenschen in
dieser Situation. Diese Zahl macht deutlich, dass uns in
dem Phänomen bzw. Problem der Betreuung und Hilfe
auch Trends, die unsere Gesellschaft prägen, begegnen.
Es ist die Überalterung, die Veränderung des Altersaufbaus in unserer Gesellschaft. Altersdemenz ist eine wesentliche Ursache für Betreuungsbedürftigkeit. Der
Trend wird immer stärker werden. Wir werden immer
mehr Hilfsbedürftige haben. Darin drückt sich die Auflösung der Familie, familiärer Stabilität, der Nächstenliebe im Familienverband und auch des sozialen Zusammenhalts überhaupt aus. Ich will die Gesellschaft
überhaupt nicht schlechtreden. Aber dies sind Trends,
die damit enden, dass Menschen ihr Leben nicht mehr
selber gestalten können.
Das ist das Thema, über das wir heute reden, das sicherlich auch juristische Fachfragen nach sich zieht und
hohe fiskalische Relevanz hat. Aber für unsere Fraktion
möchte ich betonen, dass sich dieses Thema auch in der
politischen Debatte darin nicht erschöpfen darf.
({2})
Es geht - ich meine, es ist kein unangemessenes Pathos,
dies zu sagen - um konkrete Humanität in unserer Gesellschaft. Wie gehen wir mit diesen Menschen, mit diesem Personenkreis um? Wie teuer sind sie uns?
Ich möchte ebenso betonen, dass ich Effizienz nicht
als Gegensatz zu Humanität sehe. Das wäre falsch. Effizienz ist angesichts der Realität knapper staatlicher Ressourcen ein Gebot von Humanität. Wir müssen die Ressourcen effizient einsetzen, um helfen zu können.
Damit komme ich zur ersten konkreten Schlussfolgerung, die meine Fraktion zieht. Wir schließen uns der
Einschätzung aller anderen an: Es besteht Reformbedarf. Es ist ein Bedarf vorhanden, die Effizienz des bisherigen Systems, des bisherigen Rechts zu verbessern.
Das ist geboten.
Neben der prinzipiellen Anerkennung des Reformbedarfs möchte ich - nicht erschöpfend; da wir in der ersten Lesung sind, ist mein Beitrag kurz - eine inhaltliche
Leitlinie unserer Fraktion betonen: Das ist das Prinzip
der Subsidiarität, ein ebenso altes, aus der christlichen
Sozialethik stammendes wie heute aktuelles gesellschaftsethisches Gestaltungsprinzip. Was heißt Subsidiarität in der Betreuung? Es heißt im ursprünglichen Sinn:
Wir müssen die Betreuung so organisieren, dass die Gesellschaft, die kleine Einheit, Vorrang gegenüber dem
Staat hat, weil sie die nähere, die familiärere und die
menschlichere Zuwendung zum Hilfsbedürftigen gegenüber staatlichen Hilfeleistungen bedeutet.
Darum ist es richtig, dass die Vorsorgevollmacht als
private Gestaltungsmöglichkeit gestärkt wird. Dieser
Entwurf sieht das auch vor. Ich möchte nur ergänzen,
dass es nicht damit getan ist, möglichst viele Bürger
dazu zu bringen, eine Vorsorgevollmacht zu unterschreiben, sondern wir müssen, wenn das Institut in der Wirklichkeit greifen soll, auch dafür sorgen, dass die Hilfe im
Fall der Betreuungsbedürftigkeit tatsächlich gewährt
werden kann. Wenn der Betreuungsfall eintritt, muss
also Hilfe geleistet werden, muss Rat gegeben werden.
Wenn Subsidiarität gilt, dann hat ehrenamtliche Betreuung Vorrang. Die Mehrzahl der über 1 Million betreuungsbedürftigen Menschen - das muss gesagt werden - wird ehrenamtlich betreut. Das ist etwas Positives.
Die große Mehrzahl findet eine familiäre oder ehrenamtliche Betreuung. Dafür müssen wir dankbar sein.
({3})
Wir müssen auch dankbar sein, weil dadurch die staatlichen Ressourcen geschont werden. Der pauschale Aufwendungsersatz für ehrenamtliche Betreuer beträgt
312 Euro im Jahr. Er ist steuerpflichtig! Wenn ein Berufsbetreuer eingesetzt werden muss, weil kein Ehrenamtlicher da ist, kostet das Tausende von Euro. Darum
plädiere ich dafür, dass wir im eigenen staatlichen Interesse noch mehr darüber nachdenken, wie man mehr Ehrenamtliche finden kann. Wir müssen das Ehrenamt in
diesem Bereich attraktiv machen.
Neben allen steuersystematischen Diskussionen, die
geführt werden, finde ich - das ist meine persönliche
Meinung - es falsch und schließe mich damit dem Votum der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ an, dass diese 312 Euro besteuert werden. Das darf doch nicht wahr sein! Das
müssen wir korrigieren.
({4})
Ich komme zum Ende. Ich wollte auf den Leitsatz der
Subsidiarität und den damit zusammenhängenden Diskussionsbedarf hinweisen. Es wird Fachfragen geben, ob
wir bei der Vertretungsmacht, bei der Pauschalierung
oder bei der Zwangsmedikation zu viel Schematismus
haben. Wir müssen ein Einlasstor für individuelle Regelungen schaffen. Darüber werden wir debattieren. Unsere Fraktion wird das schon in der nächsten Woche im
Rahmen einer breit angelegten Anhörung tun. Ich
glaube, wir werden zu einem guten Ergebnis kommen
und uns der gesellschaftspolitischen Relevanz des Themas bewusst sein.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/2494 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das scheint nicht der
Fall zu sein. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 6
auf:
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
9a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({0})
zu dem Antrag der Abgeordneten Julia Klöckner,
Uda Carmen Freia Heller, Ursula Heinen, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Kennzeichnung allergener Stoffe in Lebens-
mitteln vernünftig regeln
- Drucksachen 15/1227, 15/1597 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Hans-Michael Goldmann
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({1})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta DäublerGmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Volker Beck ({2}), Cornelia Behm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Lebensmittelüberwachung effizienter gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula
Heinen, Peter H. Carstensen ({3}),
Gerda Hasselfeldt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Wirksamere und breitere Lebensmittelüberwachung und -kontrolle in Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula
Heinen, Julia Klöckner, Uda Carmen Freia
Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Verbraucher aufklären und schützen - Innovation und Vielfalt in der Produktentwicklung und Werbung für Lebensmittel erhalten
- Drucksachen 15/2339, 15/2386, 15/1789, 15/
2595 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Ulrike Höfken
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta DäublerGmelin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken,
Friedrich Ostendorff, Volker Beck ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben
auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln - für mehr Verbraucherschutz und fairen
Wettbewerb
- Drucksache 15/2579 Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Gerald
Thalheim.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grüne Bundesregierung hat 1998, wie wir uns alle noch gut erinnern können, ein schweres Erbe angetreten.
({5})
Das betraf insbesondere die immense Staatsverschuldung, die natürlich inbesondere mit den Problemen bei
der Wiedervereinigung in Zusammenhang steht. Professor Sinn ist kürzlich in der Öffentlichkeit mit der Aussage zitiert worden, die Wiedervereinigung sei auf wirtschaftlichem Gebiet gescheitert - was natürlich Folgen
für die Staatsverschuldung hatte.
({6})
Meine Damen und Herren, die Defizite gab es nicht
nur auf solch spektakulärem Gebiet wie dem der Staatsverschuldung, sondern auch in dem Bereich, über den
wir heute diskutieren, nämlich bei der Lebensmittelsicherheit und dem Verbraucherschutz. Uns allen ist die
BSE-Krise noch recht gut in Erinnerung, die die Versäumnisse offenkundig gemacht hat.
Worin lagen die Versäumnisse? Sie lagen ganz eindeutig in der politischen Schwerpunktsetzung. Themen wie Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz
war einfach zu wenig Beachtung geschenkt worden. In
den wenigen Monaten seit dem Regierungswechsel war
auch die rot-grüne Bundesregierung nicht in der Lage, in
allen Ecken aufzuräumen.
({7})
So haben die Versäumnisse bei Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit eine solche Dimension angenommen. Bei BSE gab es ein regelrechtes Denkverbot in
Deutschland. Die Folgen mussten wir alle tragen, insbesondere die Bäuerinnen und Bauern.
Es bleibt aber festzuhalten, dass es nicht nur an politischer Schwerpunktsetzung mangelte, sondern auch ein
Institutionsversagen in diesem Bereich vorlag. Das hat
das Gutachten der damaligen Präsidentin des Bundesrechnungshofes, Frau von Wedel, ans Tageslicht gefördert. Nach Vorliegen dieses Gutachtens hat die BundesParl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
regierung die Probleme mit Nachdruck in Angriff
genommen.
({8})
Es wurde eine ganze Reihe von Gesetzen und Regelungen zur Problematik der Lebensmittelsicherheit und
des Verbraucherschutzes deutlich verschärft. Das Ministerium wurde neu strukturiert. Dem Verbraucherschutz
wurde nicht nur im Namen des Ministeriums, sondern
auch in der Rangfolge Priorität eingeräumt.
Es folgten Entscheidungen im nachgeordneten Bereich. Es wurde die Empfehlung aufgegriffen, zwischen
Risikobewertung und Risikomanagement zu trennen.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und das Bundesinstitut für Risikobewertung wurden geschaffen. Es kam zur Zusammenführung
der Bundesforschungseinrichtungen und zur Gründung
der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel.
Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Es reicht
nicht aus, Gesetze und Vorschriften zu verschärfen; diese
müssen auch kontrolliert werden.
({9})
Insofern liegen unsere Bewertungen - auch wenn es auf
den ersten Blick anders erscheinen mag - nicht weit auseinander. Ich denke, wir sind uns einig, dass die für die
Überwachung zuständigen Länder in Zukunft mehr tun
und effizienter arbeiten müssen.
Die Bundesregierung hat auch an dieser Stelle die
Schlussfolgerungen aus dem Von-Wedel-Gutachten gezogen. Dort wurde explizit ausgeführt, dass es insbesondere in der Koordinierung und in der Zusammenarbeit
in diesem Bereich Defizite gibt. Die Bundesregierung
hat am 17. Dezember des vergangenen Jahres den Entwurf der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über
Grundsätze zur Durchführung der amtlichen Überwachung lebensmittelrechtlicher und weinrechtlicher Vorschriften beschlossen. Um die Umsetzung dieser Allgemeinen Verwaltungsvorschrift geht es in der heutigen
Debatte. Es geht nicht nur darum, darüber zu reden, sondern auch darum, durch entschlossenes Handeln in der
Zukunft Verbesserungen zu erreichen.
({10})
- Lieber Peter Harry, wenn du mir zugehört hättest, hättest du festgestellt, dass meine Ausführungen insbesondere das Verwaltungshandeln in den Ländern betrafen.
Gerade die Diskussionen über die Allgemeine Verwaltungsvorschrift haben deutlich gemacht, dass die
Bereitschaft der Länder, hier im notwendigen Ausmaß
mitzuziehen, bisher nicht gegeben war. Ich denke, wenn
wir gemeinsam die entsprechenden Signale setzen, werden wir auch in diesem Punkt vorankommen. Es geht darum, Doppelarbeit zu vermeiden, Reibungsverluste abzubauen und auch hier wirtschaftlich effizient vorzugehen.
Die Kritik der Länder richtet sich vor allen Dingen dagegen, dass für eine Verbesserung der Arbeit in diesem Bereich in erheblichem Umfang - es wird mit Finanzmitteln
in einer Größenordnung von über 100 Millionen Euro gerechnet - zusätzliche Investitionsmittel, zum Beispiel für
Laboreinrichtungen, aber auch für das Verwaltungshandeln, notwendig sind.
Das kann man allerdings auch anders sehen und den
Blick darauf richten, dass die Bereiche Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz um genau diesen Betrag
unterfinanziert sind; denn wir sind uns ja einig, dass hier
Verbesserungen notwendig sind. Jetzt geht es darum,
durch effizientes Handeln - hier sind auch die Länder
angesprochen - zu einer Regelung zu kommen, die den
verschiedenen Risikogruppen Rechnung trägt. Es muss
dort, wo die größten Risiken bestehen, auch am genauesten hingeschaut werden, während dort, wo die Risiken
geringer sind, auch größere zeitliche Abstände zwischen
den Kontrollen toleriert werden können.
Wir sind der Meinung, dass hier jeder an seiner Stelle
- die Bundesregierung an ihrem Platz und die Länder in
ihrer Verantwortung - aktiv werden muss. Eingangs
habe ich ausgeführt, was alles vonseiten des Bundes unternommen wurde, wohlgemerkt: trotz der Haushaltsschwierigkeiten - sie sind in Bund und Ländern sicher
ähnlich groß -, in denen wir uns befinden. Ich kann nur
an Sie appellieren, gemeinsam mit den Ländern zu versuchen, hier eine Grundlage zu finden, um vor Ort die
Kontrollen durchführen zu lassen, die wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern in Deutschland schuldig
sind, um in diesem sensiblen Bereich den notwendigen
Fortschritt zu erreichen.
({11})
Meine Damen und Herren, nur wenn wir das tun, können wir den anderen Mitgliedsländern der Europäischen
Union glaubhaft gegenübertreten. Häufig höre ich die
Aussage, dass wir und nicht die anderen Länder die
höchsten Standards hätten.
({12})
Das können wir aber nur dann glaubhaft vertreten, wenn
wir es durch unser Handeln im eigenen Land deutlich
machen.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Unsere heutige verbraucherpolitische Debatte steht ganz
im Zeichen der Lebensmittelsicherheit, der Werbung und
vieler anderer Themen, die damit zu tun haben. Herr
Staatssekretär Thalheim, das Thema Lebensmittelüberwachung spielte auch gestern im Ausschuss eine große
Rolle. Daher wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Sie
gestern dabei gewesen wären. Denn dort haben wir sehr
umfangreiche Berichte erhalten: sowohl von den Lebensmittelkontrolleuren zu ihrer tatsächlichen Situation
und den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben,
({0})
als auch von den Vertretern der betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.
Die Probleme der Lebensmittelüberwachung, die
Sie vorhin angesprochen haben, sind uns bekannt. Es
geht um mangelnde technische und personelle Ausstattungen, gleichzeitig ständig zunehmende Aufgaben - zu
erinnern ist hier an die Gentechnikkennzeichnung - und
Mängel bei der Zusammenarbeit von Betrieben, Landesbehörden und Bundesbehörden. Im Ausschuss haben wir
gestern gehört, dass Lebensmittelkontrolleure sogar ihre
Fortbildung selbst bezahlen müssen, weil die Länder dafür kein Geld zur Verfügung stellen. Ein Bundesland ist
sogar so weit gegangen, die Fortbildung zu untersagen.
All dies sind Zustände - ich denke, darüber besteht im
gesamten Hause Einigkeit -, die wir nicht hinnehmen
dürfen. Daher ist es in der Tat zu begrüßen, dass die
Bundesregierung, dass Staatssekretär Thalheim die Allgemeine Verwaltungsvorschrift vorgelegt hat; denn nur
einheitliche Verfahren können ein wirklich gleichmäßig hohes Niveau der Lebensmittelüberwachung sicherstellen. Wir müssen dafür sorgen, dass ein Sich-Auseinanderentwickeln der einzelnen Bundesländer verhindert wird.
({1})
So weit, so gut im Grundsatz. In den Beratungen werden wir natürlich darauf achten müssen, dass die Regelungen nicht zu starr geraten: Den Ländern müssen
- auch das ist Prinzip und Wesen unseres Föderalismus gewisse Spielräume erhalten bleiben, es muss den Besonderheiten von Verwaltungsstrukturen Rechnung getragen werden; auch dies haben wir gestern am Beispiel
von NRW und Baden-Württemberg gehört. Ganz besonders wichtig ist: Wir dürfen die Kosten durch neue Verfahren, neue Gesetze und neue Verordnungen nicht einseitig den Ländern aufbürden.
({2})
Wenn wir zulasten der Länder etwas beschließen, müssen wir dafür geradestehen. Wenn Peter Harry
Carstensen nächstes Jahr Ministerpräsident in Schleswig-Holstein wird,
({3})
müssen wir natürlich ein großes Interesse daran haben,
dass er seine Aufgaben in Schleswig-Holstein - da gibt es
richtig etwas aufzuräumen, Staatssekretär Thalheim! auch wahrnehmen kann.
Was die Allgemeine Verwaltungsvorschrift angeht,
sind wir uns im Prinzip einig. Weniger Einigkeit besteht
bezüglich Ihrer Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zur Regelung von nährwertund gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln. Lange haben wir überhaupt nichts gehört. Seitens
der Bundesregierung kam lediglich von Ministerin
Künast auf der „Anuga“ eine Äußerung, die Sympathien
für den Richtlinienentwurf erkennen lässt. Gestern nun
haben die Koalitionsfraktionen quasi aus dem Hut einen
Antrag gezaubert, mit dem sie ihre Positionierung festlegen.
({4})
Ich möchte darauf hinweisen: Es waren die CDU/CSU
und die FDP, die bereits im letzten Jahr mit Entschließungsanträgen Stellungnahmen zu dem Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission abgegeben haben,
während Sie leider geschwiegen haben, wie auch schon
vor Wochen in der Anhörung im Ausschuss. Jetzt legen
Sie ein Papier vor, das mehr als schwammig ist.
({5})
Ich möchte etwas aus diesem Papier zitieren, was eigentlich das I-Tüpfelchen der Schwammigkeit und des unklaren Formulierens ist. Da heißt es, Sie wollen kein
„völliges Verbot“ impliziter gesundheitsbezogener Angaben, was auch immer das heißen mag. Ich bin gespannt darauf, wie Sie gleich erklären, was „kein völliges Verbot“ sein soll! Was ist denn ein „teilweises
Verbot“? Oder ist es eine „teilweise Erlaubnis“? - Ich
glaube, dass Sie da noch erheblich nachbessern müssen.
Ich möchte ein paar konkrete Beispiele nennen, bei
denen sich etwas ändern wird. Sie zeigen auch, wie
schwierig es mitunter sein wird, mit diesem Verordnungsentwurf klar zu kommen. „Milch macht müde
Männer munter“ - mehr will ich nicht zur konkreten
Werbung sagen. Es geht hier aber auch um allgemeine
Formulierungen: Ein Bonbon sei wohltuend für Rachen
und Hals, ein Getränk entschlacke den Körper, ein Joghurt fördere eine gesunde Darmflora. Das sind Werbeaussagen, die in Zukunft nicht mehr so einfach getroffen
werden können.
Wir lehnen diesen Vorschlag nicht grundsätzlich ab,
sind aber der Meinung, dass er in der Art und Weise, wie
er formuliert ist, viel zu kompliziert ist. Im Europäischen
Parlament sind zu diesem Verordnungsentwurf mehr als
400 Änderungsanträge
({6})
eingegangen; da weiß man schon ziemlich genau, was
man von ihm zu halten hat: Kompetenzüberschreitung,
Dirigismus, mangelnde Flexibilität, Bürokratiemonster,
Hemmung der Innovationskraft sind die Worte, mit denen dieser Vorschlag in Verbindung gebracht wird.
({7})
Wo bleibt die Eigenverantwortung der Verbraucher
für ihre Lebens- und Essgewohnheiten? Wo bleibt Raum
für regionale und nationale Unterschiede? - Gerade in
der Europäischen Union haben sich Ess- und Trinkgewohnheiten über Jahrhunderte hinweg ganz unterschiedlich herausgebildet. Man muss sich nur einmal die Essund Trinkgewohnheiten in Deutschland und in Frankreich anschauen. Wir können uns schon denken, dass es
mit den Nahrungsmitteln in beiden Ländern entsprechend unterschiedlich aussieht.
({8})
Die Kommission will jetzt ein Verfahren einführen,
nach dem sie genehmigt, was gesund ist und was nicht.
Sie will es letztlich politisch entscheiden. Eigentlich soll
die Grundlage für die Bewertung dieser gesundheitsbezogenen Angaben von der europäischen Lebensmittelbehörde kommen. Das ist gut und richtig so; das können
wir unterstützen. Warum aber anschließend die Kommission noch einmal darüber beschließt
({9})
und politisch entscheidet, was gut ist und was nicht gut
ist, können wir nicht nachvollziehen. Wir meinen, dass
sich die Bundesregierung entsprechend einsetzen muss,
damit diese Formulierungen aus dem Verordnungsentwurf herausfallen.
({10})
Ich fasse zusammen - meine Kollegin Julia Klöckner
wird darauf noch genauer eingehen -: Der Verordnungsentwurf spricht den Verbrauchern ab, selbstständig zu
urteilen; er entmündigt die Verbraucher. Das entspricht
natürlich wieder dem, was die Bundesregierung will: Sie
will dem Verbraucher sagen, was er zu tun und zu lassen
hat, und ihn nicht mehr eigenständig sein lassen.
({11})
Ein solcher Vorschlag darf nicht Wirklichkeit werden.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Höfken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Frau Präsidentin! Das passt ja
gut: Wir führen eine Debatte zur Verbraucheraufklärung
und haben das Kant-Jahr. Aufklärung ist ein wichtiger
Teil von Kants Aussage. Er sagt:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.
({0})
Ein Wahlspruch der Aufklärung ist:
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
Wenden wir Kants Aufklärungsbegriff auf die rotgrüne Verbraucherpolitik an, so müssten wir sagen, dass
der Weg von der Unmündigkeit zur Mündigkeit über
Aufklärung, Transparenz und Information führt; denn
die Märkte bieten in der Regel nicht per se die notwendige Transparenz und Information an. Je transparenter
der Markt ist, je besser die Verbraucher informiert sind,
desto mündiger und desto freier, liebe Kollegen von der
FDP, können sie auf dem Markt agieren. Deswegen stärken wir mit unserer Politik die Autonomie und die Freiheit des Verbrauchers und damit den fairen Wettbewerb.
Das ist sowohl für die Verbraucher als Marktteilnehmer
als auch für die Unternehmen gut.
Unser Hauptziel bleibt deshalb, alle Schritte in Richtung der verbesserten Information zu gehen. Dazu zählt
auch das Verbraucherinformationsgesetz. Wir glauben, dass wir damit zu einer positiven Entwicklung kommen können. Die ersten Weichenstellungen sind ja schon
mit dem bereits verabschiedeten Geräte- und Produktsicherheitsgesetz gemacht. Es ist jetzt die besondere Aufgabe der Bundesländer, aber auch der Unternehmen, den
von Kant geforderten Mut, sich des eigenen Verstandes
zu bedienen, aufzubringen und die Diskussion um das
Verbraucherinformationsgesetz gemeinsam mit der Bundesregierung weiter voranzubringen.
Das bündnisgrüne Verbraucherbild unterscheidet sich
- das hat man heute wieder gehört - ganz entscheidend
von dem der Opposition.
({1})
Wir haben das ganz aktuell bei der Diskussion um die
Werbebeschränkungen für gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln und übrigens auch bei der Diskussion um das Gentechnikgesetz erlebt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Carstensen?
Ja.
Frau Kollegin Höfken, wie bewerten Sie eigentlich in
diesem Zusammenhang die Aussage der Präsidentin der
Verbraucherverbände, die einmal gesagt hat: Wir haben
es bei den Verbrauchern mit einem Analphabetismus in
der Küche zu tun?
({0})
Frau Müller hat in dem Zusammenhang wahrscheinlich auf etwas ganz anderes abgezielt. Ich kenne den Zusammenhang, in dem das Zitat steht, nicht,
({0})
aber es bezieht sich natürlich auf das mangelnde Wissen
um die Qualität von Nahrungsmitteln und um den Umgang mit Nahrungsmitteln. Das kritisieren wir übrigens
alle gemeinsam und bemühen uns fraktionsübergreifend,
gerade auf dem Bildungswege jungen Menschen wieder
mehr Wissen und mehr Information zu vermitteln. Die
Bundesregierung und das BMVEL, Frau Künast an der
Spitze, führen große Kampagnen durch, um dieses Defizit zu beheben.
({1})
Es gibt übrigens auch eine Kampagne der Landfrauen,
die wir unterstützen.
Das bündnisgrüne Verbraucherbild unterscheidet sich
von dem der Opposition gerade im Bereich der eben erwähnten Werbebeschränkung bei gesundheitsbezogenen
Angaben, aber auch bei der Gentechnik. Die Union beschwört nämlich nur den mündigen Verbraucher, aber sie
- und noch weniger die FDP - schafft ihm keine adäquaten Rahmenbedingungen.
({2})
Dabei zitiert sie den Europäischen Gerichtshof übrigens
auch noch falsch. In mehreren Entscheidungen hat er
nämlich entgegen den Aussagen der Opposition den
Durchschnittsverbraucher, also den mit durchschnittlicher Sorgfalt handelnden, angemessen sachkundigen
und verständigen Verbraucher, zum Maßstab gemacht.
Ich finde, das entspricht dem kantischen Vernunftprinzip.
Dass der mündige Bürger und die Entscheidungsfreiheit bei CDU/CSU und FDP nur Makulatur sind, wird
gerade in deren Stellungnahmen zum Gentechnikgesetz
überdeutlich.
({3})
Alle regelnden Maßnahmen werden mit der Zielsetzung
abgelehnt, die Kontamination des gesamten Landes mit
der Gentechnik durch produziertes Chaos und in Kauf
genommene Auskreuzung gezielt herbeizuführen.
({4})
Ich finde, das ist eine Art der Freiheitsberaubung. Das
lassen wir der CDU/CSU und der FDP nicht durchgehen.
Aus dem gleichen Grund unterstützen wir gleichzeitig
den Vorschlag der EU-Kommission bezüglich der nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben. Mit Ihren
Aussagen zu der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verordnung machen Sie schlichtweg die Pferde
scheu. Frau Heinen, bei den entsprechenden Paragraphen handelt es sich um Verbote mit Erlaubnisvorbehalt. Darum ist die Formulierung in unserem Antrag absolut korrekt. Um es ganz klar zu sagen: Weder wird die
deutsche Werbewirtschaft an kreativen Aussagen gehindert noch geht die Wirtschaft aus sonstigen Gründen unter. Milch darf auch weiterhin müde Männer munter machen.
({5})
Bei manch gesundheitsbezogener Werbung wird
der Missbrauch beschränkt. Ich habe einmal ein Produkt
der Firma Coca Cola mitgebracht. Es könnte aber durchaus auch etwas anderes sein. Solche Getränke gibt es ja
nicht nur von diesem Unternehmen. Dieses Produkt wird
als gesunder Trinkspaß beworben und entsprechend ausgezeichnet. Was verbirgt sich hinter diesem gesunden
Trinkgenuss? Er besteht nur aus 12 Prozent Apfelsaft
- aus Apfelsaftkonzentrat - und ansonsten aus massig
Wasser, Zucker, Traubenzucker, Zitronensäure, Aromastoffen, Säureregulatoren, Antioxydantien, Farbstoffen
und - jetzt kommt die Krönung - sieben zugesetzten
Vitaminen.
Man kann sich massiv über Sinn bzw. Unsinn solcher
zugesetzten künstlichen Vitamine streiten. Überdosierungen machen durchaus eher krank als gesund. Ich sage
ganz klar: Diese Art der Werbung ist - um beim Thema
zu bleiben - nicht aufklärerisch, sondern schlicht und ergreifend entmündigend. Besser ist es nämlich, fünfmal
am Tag gesundes Obst und einen vernünftigen Saft zu
sich zu nehmen.
Deswegen muss der Wahrheitsgehalt der Werbeaussagen zum Gesundheitsnutzen im Lebensmittelbereich
stärker sichergestellt werden. Es ist richtig, wie die EUKommission und die Bundesregierung vorschlagen, dass
solche Aussagen künftig nur auf der Grundlage eines
wissenschaftlichen Nachweises erlaubt werden dürfen.
Wir sagen, das soll so unbürokratisch wie irgend möglich geschehen. Nährwertprofile sind eine hilfreiche
Referenzgröße für die ernährungsphysiologische Qualität von Lebensmitteln. Damit wird dann auch der Unsinn
beendet, dass vitaminisierte Bonbons - natürlich stark
zuckerhaltig - als gesund beworben werden dürfen.
Auch das ist nämlich irreführend. Insofern sind wir mit
unserem Antrag auf einem guten und richtigen Weg.
Bei der Aufklärung gibt es besonders schutzbedürftige Gruppen. Gerade der Anspruch von Mündigkeit beinhaltet, dass besonders schutzbedürftige Gruppen - also
Kinder und Jugendliche - auch wirklich geschützt werden. Deswegen müssen wir die Jugendlichen vor der Alkohol- und Tabakwerbung schützen. Darum ist es sehr
zu begrüßen, dass die rot-grüne Koalition mit ihrer Gesetzesinitiative den hier alarmierend ansteigenden Konsumzahlen entgegentritt: In dieser Vorschrift sind Regelungen bezüglich einer Sondersteuer auf Alcopops, eines
Etikettenhinweises für das bestehende Abgabeverbot an
Minderjährige, des Verbots der Abgabe kostenloser Zigaretten und der Mindestpackungsgröße von 17 Stück
enthalten. Für die Jugendlichen ist der Preis nämlich
eine sehr relevante Entscheidungsgröße.
({6})
Zur Entscheidungsfreiheit gehört auch, dass die Verbraucher darauf vertrauen können, dass Qualität und Hygiene gesichert sind. Gerald Thalheim hat die VerbesseUlrike Höfken
rungen im Bereich der Lebensmittelkontrolle schon
ausgeführt. Anlass war die BSE-Krise. Das BMVEL hat
auf Bundesebene die institutionelle und strukturelle Neuorganisation durchgeführt. Hier gibt es weitere Ansätze
zur besseren Koordinierung. Insbesondere bedarf es eines bundeseinheitlichen Überwachungsplans. Effizienz und Sicherheit unter Einschluss einer sachgerechten Risikobewertung, zum Beispiel bei Lebensmittelimporten, müssen gesteigert werden.
Wir als Fraktion begrüßen die von der Bundesregierung vorgelegte Allgemeine Verwaltungsvorschrift mit
den Nachkennzeichnungen AVV Rahmen-Überwachung. Ich denke, diese können wir gemeinsam mit der
Opposition begrüßen.
Ich bedanke mich.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael
Goldmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Um es gleich vorweg zu sagen: Die FDP sieht viele
Dinge völlig anders.
({0})
Unsere heimischen Lebensmittel sind viel besser, als sie
von Ihnen hier beschrieben worden sind. Herr Thalheim,
dies ist nicht nur heute so, sondern das war auch schon
früher der Fall. Deutsche Lebensmittel haben international einen sehr guten Ruf. Die Arbeitsplätze in der deutschen Lebensmittelwirtschaft sind Hightech-Arbeitsplätze und es kommen Superprodukte auf den Markt.
Die immer älter werdende Bevölkerung, die sowohl
geistig als auch körperlich mobiler als früher ist, belegt
das. Ich denke hier an meine bald 90-jährige Mutter.
Nach dem, was Sie gesagt haben, müsste sie sich früher
mit den Lebensmitteln vergiftet haben. Das ist alles
Quatsch. Die Wahrheit ist: Deutsche Lebensmittel sind
gut. Nur an der einen oder anderen Stelle besteht Verbesserungsbedarf.
({1})
Liebe Frau Höfken, Sie waren doch bei der Anhörung
dabei. Für Sie muss sie doch eine Ohrfeige gewesen
sein. In Baden-Württemberg sind im Rahmen der Lebensmittelüberwachung nur 0,3 Prozent der Proben als
gesundheitsschädlich beanstandet worden. In diesem
Bereich gibt es keine Defizite. Vor dem Hintergrund der
Fülle an Proben, die vorgenommen werden, sind das hervorragende Ergebnisse.
Ein anderes Thema sind Rückstände aus Pflanzenschutzmitteln. Sie machen sich im Moment mit Unterstützung anderer auf den Weg, verdeckte Ermittler bzw.
Agrarspione einzuführen.
({2})
Auch in diesem Bereich gibt es keine Probleme. Diese
sind von Ihnen herbeigeredet und entsprechen überhaupt
nicht der Realität in unserer Gesellschaft.
({3})
Sie aber brauchen diese Argumente, um Ihre rotgrüne Ernährungspolitik auf den Weg zu bringen. Sie beruht auf Entmündigung und Irreführung der Menschen.
({4})
Ich finde es schlimm, was Sie gemacht haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höfken?
Nein, heute einmal nicht.
({0})
Wissen Sie, Frau Höfken, ich habe nicht besonders viel
Neigung, mich mit diesen Dingen auseinander zu setzen.
({1})
- Frau Höfken, lassen Sie mich es ganz ruhig sagen: Das
Ganze wurde gestern im Ausschuss viel besser vorgetragen, als Sie es heute hier gemacht haben. Ich finde es
schlimm, wie Sie hier bestimmte Teile unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft im Grunde genommen zerstören und aus unserem Land verdrängen. Sie tragen
dazu bei, dass hier eine Fülle von Arbeitsplätzen und
Qualität verloren gehen.
({2})
Für mich ist das mit einer verantwortungsvollen Sozialpolitik einfach nicht in Einklang zu bringen.
({3})
Ich weiß, dass Sie BSE als Thema brauchen. Auch
den Pseudobegriff der Agrarwende benötigen Sie, um
den Schein zu wahren und das zu rechtfertigen, was Sie
hier machen. Das entspricht jedoch schlicht und ergreifend nicht der Wirklichkeit. Sehen Sie sich die Zahlen in
diesem Bereich doch einmal an. Nehmen Sie einfach
einmal zur Kenntnis, dass es in unserer Gesellschaft kein
BSE-Problem gibt und dass nichts so sicher wie unsere
Lebensmittel ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie hier
einen Popanz aufgebaut haben. Andere europäische Länder untersuchen Tiere ab 90 Monaten auf BSE, Sie aber
haben eine Untersuchung ab 24 Monaten angeordnet
und tragen damit zu zusätzlichen Kosten bei, wodurch
wesentliche Marktanteile verloren gehen.
Sie zitieren Kant. Das ist genau der Punkt. Sie setzen
überhaupt nicht darauf, den Verbraucher zu informieren,
sondern Sie setzen ganz bewusst darauf, bei dem Verbraucher ein Bild zu erzeugen, das ihn total verunsichert
und das dazu beiträgt, dass er zum Teil meint, es sei alles
ganz schlimm bei uns. Ich halte es für einen Skandal,
was Sie hier betreiben.
Ich will Ihnen ehrlich sagen: Sie wollen eine Politik,
die auf Bevormundung abzielt, und dabei werden Sie zu
meiner großen Überraschung auch noch von den Sozialdemokraten unterstützt.
Vorhin haben Sie die Alcopops angesprochen. Versuchen Sie es doch einmal mit Aufklärung und Kampagnen, die vielleicht ein bisschen intelligenter angelegt
sind als das, was in den letzten Tagen von Ihnen veröffentlicht worden ist. Dabei ging es um Erdbeeren und
junge Menschen. Ich persönlich halte es für furchtbar
schlimm, was da auf den Weg gebracht worden ist. Ich
bin froh darüber, dass es mittlerweile aus dem Internet
verschwunden ist. Zocken Sie nicht an jeder Stelle ab!
Belegen Sie die Dinge nicht mit zusätzlichen Kosten,
sondern setzen Sie auf den mündigen Bürger, der sich informieren kann!
Der Kollege Carstensen hat es vorhin völlig zu Recht
angesprochen: Wir tun gerade so, als ob wir in einem
Land leben würden - Frau Höfken, offenbar sind Sie nicht an meinen Ausführungen interessiert. Sie wollten eine Frage stellen,
aber Sie wollen gar keine Antwort haben. Ich rede mal
ruhig und gelassen weiter.
Nein, leider nicht, weil die Zeit abgelaufen ist.
Ich habe es gesehen, Frau Präsidentin. Ich danke Ihnen für die Information.
({0})
Lassen Sie mich noch einen Satz zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln sagen.
({1})
Schlusssatz.
- Herr Kollege, Sie verausgaben sich mit Ihrer
Schreierei. Unter Verbraucherschutzgesichtspunkten
muss ich Sie bitten, sich zu schonen.
Wir werden in diesem Bereich Erfolge erzielen, wenn
wir gemeinsam vorgehen. Ihre rot-grüne Politik ist nicht
geeignet, Verbraucher wirklich zu informieren, sondern
sie ist eine Bevormundung, die wir in keiner Weise akzeptieren.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gabriele HillerOhm.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kollege Goldmann, Sie haben sich heute hier einen
Orden für Doppelzüngigkeit verdient.
({0})
Sie haben heute hier gesagt, es gebe kein BSE-Problem,
im Ausschuss aber haben Sie uns stundenlang mit diesem Thema terrorisiert. Es ist wirklich unglaublich, was
Sie sich heute geleistet haben.
({1})
Zum Thema. Seit mehreren Monaten hält uns eine
von der EU-Kommission angeschobene Initiative zur
Stärkung von Verbraucherinteressen regelrecht in
Atem. Es geht um den Vorschlag der Kommission für
eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des
Rates über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben
bei Lebensmitteln. Was will die geplante Verordnung?
({2})
Längst nicht alle Lebensmittel halten, was sie versprechen. Damit soll jetzt Schluss sein. Wenn ein Produkt
mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben
wirbt, müssen diese auch stimmen. Das fordert die Kommission in dem Verordnungsvorschlag. Begriffe wie
„fettfrei“, „halbfett“, „salzarm“ oder „zuckerreduziert“
sollen zukünftig europaweit einheitlich definiert und angewendet werden.
({3})
Lebensmittel mit einem ungünstigen Nährwertprofil,
also mit zu viel Salz, Zucker oder Fett,
({4})
dürfen nicht mehr mit Angaben werben, die das Produkt
als gesund und wertvoll erscheinen lassen.
Für gesundheitsbezogene Angaben wie zum Beispiel
„stärkt die Knochen“ muss ein Wirkungsnachweis erbracht werden.
({5})
Durch diese Regelungen sollen Verbraucherinteressen
und der Wettbewerb in Europa gestärkt werden. Die Initiative aus Brüssel wird durchweg im Grundsatz begrüßt.
({6})
Warum aber dann diese Aufregung? Die Lebensmittelindustrie fürchtet Mehrkosten durch aufwendige Nachweisverfahren, die Werbewirtschaft Einschränkungen ihrer Freiheit, die Politik Auswüchse an Bürokratie.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von
Herrn Silberhorn?
Nein.
Von Herrn Carstensen auch nicht?
Ich möchte gern meine Ausführungen zu Ende bringen, Herr Carstensen.
({0})
Auch meine Fraktion hat Zweifel, dass der Verordnungsvorschlag der Weisheit letzter Schluss ist. Trotzdem unterstützen wir die Initiative, weil sie in die richtige Richtung geht. Verbraucherinnen und Verbraucher
müssen sich gerade bei lebensnotwendigen Produkten
für Essen und Trinken auf deren Güte verlassen können.
({1})
Hinzu kommt, dass immer mehr Bürgerinnen und
Bürger diese Produktinformationen einfordern. Der
Trend hin zu gesunder Ernährung muss durch verlässliche, verständliche und genaue Informationen unterstützt
werden. Das ist sehr wichtig; denn unsere Gesellschaft
wird nicht nur älter, sondern auch immer schwerer. Bereits unsere Kinder haben die schlimmen Folgen von Bewegungsmangel und Fehlernährung gepaart mit genetischen Veranlagungen im wahrsten Sinne des Wortes zu
tragen. „Deutschland steht vor einem Fettdesaster“, resümierte kürzlich ein bekanntes deutsches Magazin.
Schon in wenigen Jahren drohen uns amerikanische
Verhältnisse. 64 Prozent der US-Bürger sind übergewichtig. Bei uns sind es 60 Prozent. Fast jeder dritte
Amerikaner ist fettsüchtig.
({2})
Doch nicht nur Bewegungsmangel, Gene und Fehlernährung spielen eine Rolle. Übergewicht und Fettsucht haben auch soziale Ursachen.
({3})
In den USA sind Kinder aus unteren Schichten deutlich
stärker betroffen als Kinder aus dem Mittelstand. Dies
gilt auch für Deutschland. Eine Gesundheitsstudie des
Berliner Senats ergab, dass 2001 rund 16 Prozent aller
Schulanfängerinnen und Schulanfänger aus sozial
schwächeren Familien übergewichtig waren. Bei Kindern aus Familien mit hohem Sozialstatus dagegen war
es gerade einmal die Hälfte.
({4})
Dieses Verhältnis sollte uns zu denken geben.
Übergewicht ist für die betroffenen Menschen zum einen,
ein psychisches Problem. Dicke Kinder werden ausgegrenzt, gehänselt und finden nur schwer ihren Platz in der
Gemeinschaft. Übergewicht ist zum anderen aber auch
ein knallhartes gesundheitliches Problem. Es führt zu einem deutlich erhöhten Risiko von Herzinfarkt und
Schlaganfall, Diabetes, Bluthochdruck und Arthrose, und
zwar immer häufiger auch schon bei unseren Kindern.
({5})
Wenn es uns nicht gelingt, die Übergewichtsproblematik
in den Griff zu bekommen,
({6})
ist mit enormen Belastungen unseres Gesundheitssystems zu rechnen.
Was können wir tun? Lachen hilft hier nicht weiter,
Frau Heinen.
({7})
Die Verordnung allein wird keine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten bringen. Sie kann aber einen
wichtigen Beitrag leisten. Deshalb unterstützen wir die
Initiative aus Brüssel.
Uns ist es sehr wichtig, dass vor allem Kinder und Jugendliche vor irreführenden Werbeversprechungen
und Verführung zu ungesunder Ernährungsweise geschützt werden.
Wir fordern deshalb in unserem Antrag ein generelles
Verbot von nährwert- und gesundheitsbezogenen Werbeaussagen auf Lebensmitteln, die sich hauptsächlich an
Kinder richten.
({8})
Kinder und Jugendliche sind für die Lebensmittelindustrie und Werbebranche als Konsumenten überaus interessant. Im vergangenen Jahr verfügten die Sechs- bis
19-Jährigen über eine Kaufkraft von 20 Milliarden Euro.
Das entspricht 1 800 Euro pro Kind und Jahr.
({9})
Wir müssen etwas tun, damit die Kids nicht dazu verführt werden, dieses Geld für Pommes, Hamburger,
Chips und Schokoriegel auf den Kopf zu hauen.
Auch die CDU/CSU hat sich intensiv mit dem Verordnungsvorschlag befasst
({10})
und schon im Oktober, lange vor der Anhörung, einen
Antrag eingebracht.
({11})
Wir stimmen mit einigen Ihrer Positionen überein.
Auch wir wollen keine überzogenen Beschränkungen der
Lebensmittelindustrie oder ein Anwachsen der Bürokratie. Auch wir halten eine Überarbeitung der Positivliste
für notwendig und sind gegen ein grundsätzliches Verbot
von unbestimmten Angaben wie „verbessert das Wohlbefinden“.
Wenn wir die Anträge der Koalitionsfraktionen mit denen der CDU/CSU abgleichen, erkennen wir viele Gemeinsamkeiten. Gerade deshalb, Frau Kollegin Klöckner,
war ich sehr überrascht, als ich heute Morgen in der
„Berliner Zeitung“ Ihre heftigen Attacken gegen unseren
Antrag gelesen habe.
({12})
Es hat mich umso mehr gewundert, als Ihnen unser Antrag zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal vorlag.
({13})
Denn wenig später forderte ihn Ihr Mitarbeiter von meinem Büro an.
({14})
Das ist schon ein sehr merkwürdiger politischer Stil.
Kommen wir nun zu den Unterschieden zwischen den
Anträgen. Unser Antrag ist sehr viel klarer und weitreichender besonders in Bezug auf Kinderlebensmittel.
Deshalb haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, eigentlich nur eine einzige Konsequenz:
Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Zum Schluss möchte ich auch noch den Antrag der
Kolleginnen und Kollegen der FDP würdigen.
({15})
Frau Kollegin, ich glaube, dass das nicht mehr möglich ist, weil Ihre Redezeit schon zu Ende ist. Ich gestehe
Ihnen noch einen Satz zu, aber nicht mehr.
({0})
Sie von der FDP haben Ihren Antrag schon im Oktober 2003 formuliert, also lange bevor alle Argumente auf
dem Tisch lagen. Wenn einem nur die Argumente der
Lebensmittelindustrie und der Werbebranche wichtig
sind, mag das ja auch schlüssig sein. Wieder einmal ist
sehr deutlich geworden: Ihre Lobbyisten sind die Vertreter der Wirtschaft.
({0})
Unsere Lobbyisten sind dagegen die Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland und in ganz
Europa. Für die tun wir etwas. Und das ist auch richtig
so.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Julia Klöckner.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Europa ist wunderbar vielfältig. Die vielen Gesichter der Europäischen Union tragen zu einem spannenden und befruchtenden Miteinander bei. Doch das
Schönheitsideal wie das Bild eines mündigen Verbrauchers oder die Freiheit des Wettbewerbs scheint jetzt der
Bürokratie und der Fremdbestimmung gewichen zu sein.
Liebe Frau Hiller-Ohm, wenn Sie anmahnen, dass man
erst zu denken und Anträge zu formulieren beginnen
solle, wenn eine Anhörung stattgefunden hat, dann muss
ich Ihnen sagen, dass das ein falscher Ansatz ist, den
man bei Ihnen leider sehr oft sieht. Der Verordnungsentwurf lag schon lange vor. Wir haben uns frühzeitig darüber Gedanken gemacht, wie man Einfluss nehmen kann;
denn sich erst dann zu beklagen, wenn etwas verabschiedet ist, ist für uns keine Möglichkeit.
({0})
Alles, worüber wir diskutieren, ist kein Scherz. Auch
der Kommission ist nicht zum Scherzen zumute. Das
zeigen zum Beispiel der Diskurs - ich muss leider etwas
Schleichwerbung machen, da es sonst nicht anschaulich
genug ist - zum Thema „Haribo macht Kinder froh“ und
die Analyse, ob sich diese Werbebotschaft auf eine psychische Funktion bezieht. Das macht schnell deutlich,
wo die Probleme der EU-Kommission liegen, nämlich in
den Krümeln, ganz nach dem Motto: Der liebe Gott erhalte mir doch meine Vorschriften, damit ich nicht bedeutungslos werde. Wenn das die einzige Sorge der
Kommission ist!
({1})
Das, was uns im Verordnungsentwurf präsentiert wird,
ist für die Union und insbesondere für mich persönlich eigentlich eine Neudefinition der Lebensfremdheit. Proklamiert werden vom Kommissariat Byrne ein höheres
Verbraucherschutzniveau, Rechtssicherheit, freier Warenverkehr, gleiche Wettbewerbsbedingungen und die
Förderung der Innovationsfähigkeit. Das hört sich zwar
gut an - Sie sind leider darauf hereingefallen -, aber in
der Verordnung steht etwas ganz anderes. Um das Ganze
zu entlarven, braucht man nicht viel. Das Produkt
„Nimm 2“ zum Beispiel - ich muss leider wieder einen
Produktnamen nennen - gilt nach Herrn Byrne als ein
schlechtes Produkt; denn in ihm steckt viel Zucker. Nun
sind diesen Süßigkeiten noch Vitamine beigegeben, die
den Zuckergehalt zwar nicht verringern, die aber immerhin erwähnenswert sind, nicht aber für Herrn Byrne;
denn die Angabe der Vitamine wäre irreführend, würde
vom Zuckergehalt ablenken und vor allen Dingen eine
gesunde Ernährung verhindern. Wer glaubt denn bitte
schön, dass eine Mutter wegen der Vitamine in diesen
Bonbons ihrem Kind statt eines Apfels kiloweise „Nimm
2“ in die Hand drücken und gegebenenfalls noch auf das
Kochen des Mittagessens verzichten würde? Tut sie dies
tatsächlich, dann liegt das Problem nicht in der Produktzusammensetzung. Vielmehr stellt sich dann die Frage
nach der Verantwortung der Elternschaft und der Erziehung. Auch dieser Frage können wir uns gerne stellen.
Aber den Verbraucher zu entmündigen und ihm womöglich Tag für Tag ein Carepaket zur Verfügung zu stellen
geht entschieden zu weit.
({2})
Klarheit und Wahrheit sind wichtig.
({3})
Die Angaben auf den Verpackungen müssen verständlich und nachvollziehbar sein.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Carstensen, der heute sehr viel nachzufragen hat?
Sehr gerne.
Frau Präsidentin, ich glaube, das Folgende wird auch
Sie erfreuen. Es war von Verständlichkeit die Rede. Im
Anhang zu dieser Verordnung steht in Bezug auf den Begriff „leicht“:
Die Angabe, ein Produkt sei „leicht“, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, muss dieselben Bedingungen erfüllen wie die Angabe „reduziert“; die
Angabe muss außerdem einhergehen mit einem
Hinweis auf die Eigenschaften, die das Lebensmittel „leicht“ machen.
Frau Kollegin - eigentlich hätte ich diese Frage gern
Frau Hiller-Ohm gestellt -, können Sie mir einmal erklären, was das bedeutet?
Ich kann das nicht erklären; deshalb würde ich alles
so belassen, wie es ist. Ich werde krank, wenn ich so etwas lesen muss.
({0})
Lieber Kollege Carstensen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die EU-Kommission übernimmt jetzt die Kontrolle und diktiert sogar, dass „Mars macht mobil“,
„Merziger macht herziger“ oder „Gutes kann so gesund
sein“ den Verbraucher eindeutig intellektuell überfordern. Das ist die symbolische Verdichtung intellektueller
EU-Ratlosigkeit. Mehr ist das nicht.
Zurück zu den leeren Versprechungen. Rechtssicherheit
wird uns verheißen; doch unbestimmte Rechtsbegriffe
sind letztlich das Ergebnis. Der vorliegende Entwurf
wird zu einer schier endlosen Bemühung der europäischen Gerichte führen, die - Herr Carstensen hat darauf
hingewiesen - Sachbegriffe wie „suggeriert“, „irreführend“, „generell“ oder „alarmierend“ letztlich zu klären
hätten. Das ist die Persiflage einer Rechtssicherheit.
({1})
Nächster Punkt - Sie haben es eben angesprochen -:
freier Warenverkehr unter gleichen Wettbewerbsbedingungen. Wer kann uns denn erklären, welche gesundheitliche Bedrohung für den Franzosen von der
deutschen Aufmachung einer Packung Süßigkeiten ausgeht? Wann wurden Sie das letzte Mal von einem portugiesischen Werbeslogan zum übermäßigen Verzehr von
Schokoriegeln animiert?
Die Beschränkung des Warenverkehrs ist in diesem
Fall doch eher auf die sprachlichen Barrieren zurückzuführen. Keine Frage, dass man da zu einer Harmonisierung finden muss. Aber Regelungen wie die, die im Anhang zu finden sind, führen zu Bürokratie und vor allen
Dingen zur Entmündigung des Bürgers.
({2})
Damit kommen wir zum größten Hammer. Die EU-Kommission sagt: Die Innovationsfähigkeit wird gefördert.
Das hört sich an sich zwar sehr gut an. Aber bitte helfen
Sie mir; denn ich scheine ein grundlegend falsches Verständnis vom Begriff der Innovation zu haben. Innovation à la Byrne heißt: Wir müssen uns mehr anstrengen,
neue Werbebotschaften zu kreieren; denn diejenigen, die
es jetzt gibt, werden verboten. Wenn das Innovation ist!
Das ist eher eine ABM.
({3})
Die einen oder anderen denken: Ja, Moment; hierfür
sieht der Entwurf doch ein fein abgestuftes Ausnahmeverfahren vor. Die Kommission möchte Nährwertprofile
und Lebensmittelkategorien festlegen. Das Schlimme
ist, dass all dies am Parlament vorbeigeht, da es im
freien Ermessen der Kommission disponiert werden soll.
Übrigens führt diese Profilerstellung zur Stigmatisierung von Nahrungsmitteln und zur Unterteilung in gute
und schlechte Nahrungsmittel. Es sollte Ihnen doch klar
sein, dass es hierbei um Lebens- und Ernährungsweisen
geht, dass es letztlich der Mix macht und nicht ein Zuviel an Gutem oder ein Zuviel an Schlechtem.
Zum Schluss möchte ich darauf eingehen, wohin es
führt, wenn die EU-Kommission alle Regelungen,
gerade im Gesundheitsbereich, an sich ziehen möchte.
Was den Weinbereich angeht, hat das zur Folge, dass
man auf den Etiketten keine Gesundheitsangaben mehr
machen darf. Das war vielleicht weder Herrn Byrne
noch Ihnen klar. Ich behaupte das, auch wenn ich nicht
bestreite, dass Mitglieder Ihrer Fraktion in Weinfragen
kompetent sind. Auf den Etiketten dürfte zum Beispiel
nicht mehr „Für Diabetiker geeignet“ stehen. Jetzt sagen
Sie mir bitte einmal, wovor Sie den Verbraucher denn
schützen möchten! Vor Genuss oder wovor?
({4})
- Erlaubnismöglichkeiten? Herrn Byrne war das so nicht
klar; er hat mir schriftlich geantwortet. - Wir sollten
nicht damit anfangen, diesen Weg zu beschreiten. Ich
kann nur sagen: Bitte nachdenken, bevor eine Verordnung erlassen wird!
({5})
Frau Kollegin, das war eigentlich ein schöner
Schlusssatz.
Ich habe einen noch schöneren Schlusssatz.
({0})
Also, bitte.
Lassen Sie uns lieber an einem Entwurf arbeiten, der
letztlich quadratisch, praktisch und gut ist.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Thomas
Silberhorn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch
ich möchte den „Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über nährwertund gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel“
der EU-Kommission herausgreifen. Bevor wir über die
Sinnhaftigkeit der einzelnen Regelungen debattieren,
müssen wir uns die vorrangige Frage stellen, ob die Europäische Union in diesem Bereich überhaupt tätig werden darf. Diese Problemstellung wird uns künftig noch
häufiger beschäftigen, weil der Entwurf des europäischen Verfassungsvertrages vorsieht, dass die nationalen
Parlamente die Subsidiaritätskontrolle leisten. Das ist
auch der Grund dafür, dass ich als Mitglied des Europaausschusses in dieser Debatte heute rede.
({0})
- Wir denken vernetzt. - Wir müssen uns also die Frage
stellen, ob die Europäische Union hier überhaupt tätig
werden darf.
In der Sache besteht die zentrale Zielsetzung des Verordnungsvorschlags darin, die Verbraucher vor Irreführung und vor Täuschung zu schützen. Bekanntermaßen
hat die Europäische Union im Verbraucherschutz aber
nur eine ergänzende Kompetenz. Ein umfassendes Zulassungsregime für alle gesundheits- und nährwertbezogenen Angaben über Lebensmittel, wie es hier vorgestellt wird, ein Zulassungsregime, das an die Stelle der
nationalen Politik treten soll, fällt schlichtweg nicht
mehr in die Kompetenz der Europäischen Union.
Auch der Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes
reicht da nicht. Auch wenn wir Fehlernährung bekämpfen müssen - da stimme ich Ihnen zu -: Eine Harmonisierung in diesem Bereich ist auf europäischer Ebene sogar ausdrücklich untersagt. Das heißt, der einzige Weg,
auf dem die Europäische Union hier überhaupt zu einer
Harmonisierung kommt, ist die Rechtsangleichung im
Binnenmarkt, auf die sich die Kommission formaliter
auch beruft. Rechtsangleichung kann es aber nur dort geben, wo der Handel im Binnenmarkt beeinträchtigt wird.
Dazu ist selbst der Kommission bislang noch nichts eingefallen.
({1})
So wie die vorgeschlagene Verordnung im Detail ausschaut, fördert sie nicht den freien Warenverkehr, sondern behindert ihn. Man muss sich das einmal in der Praxis vorstellen. Jede nährwert- und gesundheitsbezogene
Angabe, Frau Höfken, soll künftig grundsätzlich verboten werden.
({2})
Selbst wahre Angaben sind danach grundsätzlich unzulässig.
({3})
- Sie haben von einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
gesprochen. Das funktioniert so, dass im Grundsatz alles
verboten ist und nur ausnahmsweise Angaben erlaubt
werden können,
({4})
wenn sie in einer Positivliste vermerkt sind oder wenn
sie ein europaweites Zulassungsverfahren in jedem Einzelfall und in allen Amtssprachen der Europäischen
Union durchlaufen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Höfken?
Bitte schön.
Ich möchte Sie nur fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
die Verordnung gesundheitsbezogene Aussagen nicht
verbietet, sondern, im Gegenteil, die Möglichkeit, gesundheitsbezogene Aussagen zu machen, noch ausweitet,
und zwar dahin, dass es auch Angaben im Hinblick auf
krankheitsreduzierende Wirkung und eine entsprechende
Bewerbung geben darf, dass sich das Ganze aber im Gegensatz zu heute auf einer wissenschaftlichen, allgemeingültigen und anerkannten Grundlage bewegen soll.
Frau Kollegin Höfken, heute ist der Rechtszustand
wie folgt: Krankheitsbezogene Werbung ist verboten;
gesundheitsbezogene Werbung ist grundsätzlich erlaubt
und nur im Falle der Irreführung oder Täuschung der
Verbraucher verboten. Das ist übrigens bereits europarechtlich geregelt, und zwar in der Etikettierungsrichtlinie. In Deutschland ist sie im Gesetz über Lebensmittel
und Bedarfsgegenstände umgesetzt.
Was die Kommission jetzt will, ist das komplette Gegenteil. Es werden nicht grundsätzlich Angaben erlaubt
und im Einzelfall verboten, sondern umgekehrt: Im
Grundsatz wird alles verboten und ausnahmsweise wird
etwas erlaubt. Das ist Inhalt des Begriffs „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“, den Sie vorhin selbst verwendet haben. Das zeichnet sich dadurch aus, dass grundsätzlich
verboten wird. Der Begriff „grundsätzlich“ impliziert,
Frau Kollegin Höfken, dass es Ausnahmen gibt. Aber
die Ausnahmen beschränken sich in diesem Fall darauf,
dass entweder eine Angabe in einer Positivliste ausdrücklich vermerkt ist oder aber im Einzelfall ein europaweites Zulassungsverfahren durchlaufen wird,
({0})
und zwar für jede einzelne nährwert- und gesundheitsbezogene Angabe und in allen Amtssprachen der Europäischen Union. Bisher sind es elf Sprachen. Ab dem
1. Mai werden es noch ein paar mehr sein.
({1})
Das heißt im Klartext: Ohne die Zustimmung der zuständigen EU-Gremien geht künftig nichts mehr. Selbst
der Landwirt, der Obst auf dem lokalen Marktplatz verkauft
({2})
und seine Ware mit der Bezeichnung „Obst ist gesund“
bewerben will, braucht dafür künftig die ausdrückliche
Genehmigung der Europäischen Union
({3})
und muss dazu ein Zulassungsverfahren anstrengen, das
Monate dauern
({4})
und vor allem viel Geld kosten wird.
Dieser bürokratische Wahnsinn wird natürlich vor allem die kleinen und mittleren Betriebe massiv belasten.
Gerade in Deutschland - das wissen wir - ist die Ernährungswirtschaft überwiegend mittelständisch geprägt.
Die Regulierungswut der Kommission begünstigt dagegen multinationale Konzerne, während die Kleinen in
der Flut von Vorschriften versinken und so aus dem
Markt gedrängt werden.
({5})
Das wird das Ergebnis rot-grüner Verbraucherschutzpolitik sein. Das werden wir nicht mittragen.
Es kommt noch schlimmer: Bei Lebensmitteln, die
ein ungünstiges Nährwertprofil aufweisen, sollen
nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nahezu
vollständig verboten werden. Wenn das Realität wird,
wird es Hustenbonbons bald nicht mehr geben. Bonbons
mit einem hohen Zuckergehalt haben eben ein ungünstiges Nährwertprofil und dürfen dann nicht mehr Hustenbonbons heißen. Wohlgemerkt: Ein Wort, das längst in
den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und sogar im Duden verzeichnet ist, darf dann für eine Packung
Hustenbonbons nicht mehr verwendet werden. Ja glaubt
denn im Ernst jemand, dass man Verbraucher davor
schützen muss?
Der Europäische Gerichtshof hat das Leitbild des
verständigen Verbrauchers entwickelt; das ist schon
angesprochen worden. Der Vorschlag der Kommission
steht dazu in diametralem Gegensatz. Diese Lust am
Verbieten, dieser Eifer zur Bevormundung - das sind die
Auswüchse einer überbordenden Bürokratie in Brüssel,
({6})
die die Freiheit des Binnenmarktes in ihr Gegenteil verkehrt und den Verbraucher für dumm verkauft.
Meine Damen und Herren, vor den Europawahlen
am 13. Juni werden wir alle wieder den mündigen Bürger beschwören und erklären, dass wir ein bürgernahes
Europa wollen. Im Konkreten praktiziert die Europäische Kommission das glatte Gegenteil und schießt damit
wieder einmal weit übers Ziel hinaus. Ich habe immerhin
eine gewisse Hoffnung, dass diese völlig überzogene
Harmonisierung auf ein erträgliches Maß zurückgedrängt wird, entweder durch den Europäischen Gerichtshof oder durch die Welthandelsorganisation; denn beide
bleiben dem freien Handel verpflichtet. Es ist aber jetzt
Aufgabe des Ministerrates und damit der Bundesregierung, uns vor diesem Europa der Bürokraten zu bewahren. Wir wollen ein Europa der Bürger, das wieder blühen kann. Bürgernähe statt Bürokratie darf kein
Textbaustein im Wahlkampf sein, sondern muss auch im
Einzelfall konkret verwirklicht werden.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich schließe damit die Aussprache.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/1597 zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Kennzeichnung
allergener Stoffe in Lebensmitteln vernünftig regeln“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
15/1227 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Opposition angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache 15/2595: Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/2339 mit dem Titel „Lebensmittelüberwachung effizienter gestalten“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
15/2386 mit dem Titel „Wirksamere und breitere Lebensmittelüberwachung und -kontrolle in Deutschland“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP
angenommen worden.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1789 mit
dem Titel „Verbraucher aufklären und schützen - Innovation und Vielfalt in der Produktentwicklung und Werbung für Lebensmittel erhalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der gesamten Opposition angenommen worden.
Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 15/2579 mit dem Titel „Nährwert- und
gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln - für mehr Verbraucherschutz
und fairen Wettbewerb“. Wer stimmt für diesen Antrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen worden:
SPD und Bündnis 90/Die Grünen dafür, Gegenstimmen
von CDU/CSU und FDP.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Gabriele LösekrugMöller, Ulrike Mehl, Petra Bierwirth, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Undine Kurth ({1}),
Volker Beck ({2}), Winfried Hermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Naturschutz geht alle an - Akzeptanz und Integration des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter stärken
- Drucksachen 15/1318, 15/2053 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller
Undine Kurth ({3})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, nur in diesem Haus ist der Weg vom Hustenbonbon zum Naturschutz kurz. Eine Verbindung ist ansonsten eigentlich nur herzustellen, wenn sich Hustenbonbonpapier in der Natur findet. Es ist immer ein bisschen
schwierig, den Bogen zu einem neuen Thema zu schlagen. Zum Glück wird uns das nicht immer abverlangt;
ich glaube, das wäre eine große Hürde für alle Redner,
die bei einem neuen Tagesordnungspunkt den Anfang
machen müssen.
45 Minuten Reden über Naturschutz im Spezial-Biotop Bundestag, da werden viele Naturschützer sagen:
Lasst uns lieber Kröten sammeln, Trockenmauern und
Fischtreppen bauen und in der Landwirtschaft naturnah
ackern! Dennoch, eine Dreiviertelstunde zu einer einigermaßen guten Zeit über diesen hervorragenden Antrag
- so will ich ihn bewerten - zu sprechen dient dem Naturschutz in Deutschland außerordentlich. Das wird
schon klar durch die zentrale Botschaft dieses Antrages:
„Naturschutz geht alle an - Akzeptanz und Integration
des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter stärken“.
Zu Recht stellen wir fest: Rot-Grün hat für den Naturschutz in Deutschland viel erreicht.
({0})
Dafür bekamen wir soeben Lob von kompetenter Stelle,
das ich hier gern weitergebe. Dieses Lob kam von Kurt
Kretschmann. Einige werden ihn kennen: Er ist der Vater des schwarz-gelben Schildes mit der Waldohreule als
Zeichen für Schutzgebiete, das wir übernommen haben
und das uns, wenn wir es sehen, signalisiert: Wir sind
der Natur im Fast-Urzustand näher als sonst wo, ganz
besonders als hier. Der Vater dieser Waldohreule, der
gestern 90 Jahre alt wurde, äußerte große Anerkennung
hinsichtlich der Naturschutzerfolge der vergangenen
Jahre.
Gewissermaßen im Vorgriff auf die erwartbare Argumentation vonseiten der Opposition - wir kennen solche
Argumente aus dem Ausschuss: Die Fortschritte im Naturschutz lagen samt und sonders vor 1998, danach kam
nichts Erwähnenswertes mehr ({1})
muss ich anmerken - der Beifall kam zu früh, werte
Kollegen -: Sollten diese Argumente heute erneut vorgebracht werden, ist wichtig zu wissen, dass sie falsch
sind.
({2})
Richtig dagegen ist: Wir haben mit dem Bundesnaturschutzgesetz eine Grundlage für solide Naturschutzpolitik geschaffen. Auf dieser Grundlage arbeiten wir nun
weiter. Da gilt es, Gutes nachdrücklich zu verteidigen.
Den ersten Verteidigungsfall hatten wir bereits im Umweltausschuss, nämlich das Ansinnen der Abschaffung
des Verbandsklagerechts. Wir haben es abgewehrt. Ich
danke noch einmal insbesondere der FDP, die mit uns
votiert hat. Ich denke, es ist der richtige Weg, an dieser
Stelle Herr zu bleiben; denn dann sind und bleiben wir
europatauglich. Alles andere wäre ein Sonderweg, den
wir uns aus guten Gründen nicht leisten wollen.
Der Schutz öffentlicher Güter - dazu gehört Natur ist nur möglich, wenn der Staat sich zu dieser Verantwortung bekennt. So ist es auch mit dem Naturschutz. Er
ist nicht Kür, sondern Pflicht. Er erfordert klare gesetzliche Vorgaben und darüber hinaus staatliches Handeln.
Obwohl wir bereits viel erreicht haben, zum Beispiel
eine Verdoppelung der ausgewiesenen Naturschutzflächen, gibt es viel zu tun.
Bleiben wir beim Beispiel Naturschutzflächen. Erfolge sind erzielt, aber dennoch bleiben offene Posten.
So viel Ehrlichkeit muss sein, das zuzugeben. Ich nenne
als Stichwort: Grünes Band. Wir haben ehrgeizig begonnen und wir sind, Herr Kollege Göppel, noch lange nicht
da, wo wir eigentlich hinwollten. Es gibt noch viel zu
tun. Ich nenne als weiteres Stichwort: Schutzgebietsystem Natura 2000. Wir haben noch lange nicht die Ziellinie erreicht. Hier bewegen wir uns - die Experten unter
uns haben das erkannt - nicht mehr nur auf Naturschutzflächen, sondern im Zuständigkeitsdickicht zwischen
Bund und Ländern.
Vielleicht ist es ein frommer Wunsch von mir. Aber
ich erhoffe mir als ein Ergebnis der großen Föderalismusdebatte, dass es an dieser Stelle Klarheit für den Naturschutz und - das sage ich unumwunden - Klarheit zugunsten der Bundesebene geben wird. Denn schaue ich
als Niedersächsin auf Naturschutz- und Umweltpolitik in
meinem Heimatland, dann wird mir angst und bange.
({3})
Als Beispiel nenne ich die Ersatzgeldlösung in der
Novelle zum Naturschutzgesetz. Wir werden hier nicht
darüber streiten. Aber diese Politik ist für mich Anlass,
Sorge zu haben, wenn solche Zuständigkeiten immer
weiter an die Länder abgegeben werden. Das ist meine
Position. Ich befinde mich dabei in guter Gesellschaft
mit sehr vielen Umweltschutzverbänden.
({4})
Wie gesagt, der Schutz des öffentlichen Gutes Natur
ist beim Bund besser aufgehoben.
({5})
Im vergangenen Jahr haben wir an dieser Stelle das
Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen „Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes“ diskutiert. Die Empfehlung in diesem Gutachten ist, eine nationale Naturschutzstrategie zu
entwickeln. Wir greifen sie mit unserem Antrag auf und
binden sie in unseren Prozess zur nachhaltigen Entwicklung ein. Das ist der richtige Weg. So ist es auch ein Teilstück dieses Weges, wenn wir fordern, die Integration des
Naturschutzes in andere Politikfelder weiter zu stärken.
Am Beispiel Artenvielfalt wird dies besonders deutlich. Wir haben uns verpflichtet, den Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen. Dies ist ein
ehrgeiziges Ziel - nicht nur für uns, sondern für die
ganze Welt. Das hat die Vertragsstaatenkonferenz zur
Konvention über die biologische Vielfalt in Kuala Lumpur gerade gezeigt. Dennoch ist dieser Weg, so sehe ich
das, alternativlos.
Arten- und Naturschutz muss auch bei uns besondere
Priorität genießen. Die Frage ist berechtigt: Wie wollen
wir das erfolgreich umsetzen? Ein Weg, den dieser Antrag aufzeigt, ist die Integration in andere Politikfelder.
Das ist allerdings mehr als ein schlichtes juristisches
Umsetzen. Es heißt nämlich, die Sinnhaftigkeit dieses
Ziels zu kommunizieren. Das müssen wir uns auf die
Fahnen schreiben und darin müssen wir besser werden.
Das ist die klare Aussage des Gutachtens und das ist
auch eine zentrale Forderung unseres Antrages.
Das geht Hand in Hand mit der zweiten großen Forderung, die wir in diesem Antrag formulieren. Sie lautet:
Akzeptanz erhöhen. Es ist sicherlich so, dass wir bei uns
anfangen können, aber an dieser Stelle noch lange nicht
aufhören dürfen.
Ich begrüße es sehr, dass das Bundesumweltministerium - so habe ich gelesen - mehr tun will, um bestehende Image-, Wahrnehmungs- und Überzeugungsdefizite des Naturschutzes im öffentlichen Bewusstsein
abzubauen. Ich halte das für dringend geboten. Wir erleben bei jeder Debatte vor Ort genau diese Schwierigkeiten. Wir, die wir die Naturschutzpolitik vertreten, müssen an vorderster Stelle stehen und dafür sorgen, dass die
Bedeutung dieses Politikbereiches allen klar wird. Ansonsten wird dieser Bereich schnell aus dem Bewusstsein verschwinden.
({6})
Akzeptanz erhöhen wir aber auch dadurch, dass wir
Konfliktlösungsstrategien in Sachen Naturschutz voranbringen. Das gilt für alle Politikbereiche: für Verkehr
und Landwirtschaft, für Sport und Tourismus, für Gentechnik usw. Wir haben in den letzten Monaten wirklich
gute Erfolge erzielt. Für den Bereich des Tourismus haben wir darüber an dieser Stelle debattiert. Für die Landwirtschaft hören wir das ebenfalls immer wieder. Auch
Sport und Naturschutz passen inzwischen besser zusammen, als man sich das vor Jahren vorstellen konnte.
An einem aktuellen Beispiel möchte ich jedoch eine
Naturschutzkonfliktlage - ich meine: eine vermeintliche erläutern. Wir diskutieren gerade im Rahmen des EEG
die kleine Wasserkraft. Ich sage für die, die sich nicht
so genau damit auskennen, dass das Anlagen sind, die
bis zu 500 Kilowatt Leistung erzeugen. Man muss allerdings sagen, dass viele kleine Wasserkraftanlagen häufig
deutlich weniger leisten.
In diesem Zusammenhang gibt es eine große Debatte,
die man so beschreiben kann: Es tritt Klimaschutz gegen
Naturschutz an. Dabei sind doch Klimaschützer und Naturschützer von Natur aus Zwillinge. Aber so ist das,
wenn sich zwei - so will ich einmal sagen - entwickeln:
Es kommt zu Abgrenzungsfragen. So ist das auch hier.
Was können wir daraus schließen? Beide sind erwachsen
geworden, beide sind selbstbewusst. Es geht darum, eine
Lösung zu finden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen wird,
dem berechtigten Anliegen der Verbesserung der Förderung der kleinen Wasserkraft in Deutschland und dem
Naturschutz zu entsprechen und ihn zu wahren.
({7})
Ich bin sogar davon überzeugt, dass sich die Akzeptanz
der Nutzung der erneuerbaren Energien verbessert, wenn
wir dem nötigen Respekt vor der Natur Raum geben und dies auch im EEG.
({8})
Akzeptanz für Naturschutz erhöhen, das gilt für uns
Parlamentarier. Das gilt auch in Bezug auf die Anerkennung aller Verbände und Vereinigungen, die aktiv Naturschutz betreiben. Dazu können auch wir beitragen, indem wir Lösungen finden, sollte es einmal keine Zivis
mehr für das Krötensammeln oder nicht mehr genügend
FÖJler für die Streuobstwiesen oder das Vogelzählen geben. Da kommen noch große politische Fragen auf uns
zu, bei denen wir beweisen können, wie wir es mit dem
Naturschutz halten.
Fazit: Bisher viel erreicht und noch viel zu tun! - Bei
den Kröten entschuldige ich mich ausdrücklich, dass ich
sie zweimal für meine Argumentation missbraucht habe.
Vielen Dank.
({9})
Das wird den Kröten gefallen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Cajus Julius
Caesar.
({1})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Naturschutz spielt für die politische Ausrichtung der Union eine sehr maßgebliche Rolle. Wir wollen
die Lebensgrundlagen für den Menschen selbst, aber
auch für eine Vielzahl von Arten sichern. Wir wollen unseren Kindern eine intakte Umwelt übergeben.
Die Union hatte zu ihren Regierungszeiten maßgebliche Erfolge zu verzeichnen.
({0})
Wir haben international insbesondere unter den Ministern Töpfer und Merkel Maßgebliches vorangebracht.
Ihre Minister sollten sich bemühen, Gleiches zu tun. Das
wäre die richtige Art und Weise, den Naturschutz international voranzubringen. Stattdessen kürzen Sie die Gelder für die Erhaltung des Tropenwaldes. Jeden Tag gehen Tausende von Hektar verloren und Sie schreiben
hier den einzelnen Waldbesitzern vor, welches Pflänzchen sie an welcher Stelle setzen sollen. Das ist Bürokratie. Das ist kein praktischer Naturschutz.
({1})
SPD und Grüne werden ihren eigenen Anforderungen
in keinster Weise gerecht. Das haben Sie bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes gezeigt. Das zeigen
Sie wieder bei den im Zusammenhang mit der Novellierung des Bundeswaldgesetzes und des Bundesjagdgesetzes
angedachten Formulierungen. Sie setzen auf mehr Staat,
auf mehr Reglementierung. Wir setzen auf den praktischen Naturschutz vor Ort. Doppelzuständigkeiten, die
dadurch verursacht werden, wollen wir vermeiden.
Wenn Sie neben den Fachgesetzen, neben dem Naturschutzgesetz, dem Bundeswaldgesetz und anderen Gesetzen, in Rahmengesetzen wahllos herausgegriffene Regelungen, die auf die gute fachliche Praxis Bezug
nehmen, auf den Weg bringen, entstehen Doppelzuständigkeiten und mehr Bürokratie. Gleichzeitig wird die
Förderung durch die EU, die dies als Standard ansieht,
gefährdet. Das kann nicht unser Bestreben sein.
Wir als Union setzen auf die praktische Umweltpolitik. Wir wollen ein Miteinander von Ökologie, Ökonomie und sozialer Komponente. Wir haben dazu eine
Reihe von Initiativen und Ideen eingebracht. Wir wollen
den Vorrang für den Vertragsnaturschutz und damit ein
Miteinander mit den vor Ort lebenden, arbeitenden und
wirtschaftenden Menschen. Wir wollen dem ländlichen
Raum eine Chance geben.
Wir haben einen Antrag gestellt, der vorsieht, dass
3 Millionen Euro für den Vertragsnaturschutz ausgegeben werden sollen. Das ist praktischer Naturschutz. Sie
haben diesen Antrag abgelehnt. Das ist ein Votum gegen
den praktischen Naturschutz. Die Union will Kooperation statt Konfrontation. Sie sind dagegen.
Die Union hat ganz konkrete Vorstellungen. Wir wollen den Naturschutz beispielsweise durch Patenschaften
voranbringen. Sie greifen diese Vorschläge von uns nicht
auf. Sie haben das Grüne Band angesprochen. Sie haben die Möglichkeiten, die sich hier geboten haben,
nicht genutzt. Auf einer Länge von fast 1 400 Kilometern gibt es hervorragende Möglichkeiten, Naturschutzflächen zum Biotopverbund zu vereinen. Der Bund Naturschutz Bayern hat Daten erhoben und ausgewertet.
Diese zeigen, dass schon jetzt 15 Prozent der Flächen
gefährdet sind, weil Sie die rechtliche Sicherstellung
nicht regeln. Das kritisiert die Union. Hier müssen Sie
dringend etwas tun. Wenn Sie diese Steilvorlage nicht
nutzen, dann können Sie im Bereich des Naturschutzes
nie als erfolgreiches Team vom Platz gehen.
Beim Naturschutz gilt auch hinsichtlich der Ausweisung von Großschutzgebieten: Naturschutz muss mit
wirtschaftlicher Entwicklung, etwa mit Tourismus und
Sport, verbunden werden. Eben wurde diese Verbindung
angesprochen. Bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes war ein Konsens in diesem Bereich nur
möglich, weil von der Union Vorschläge und Anträge
vorgelegt wurden. So wurde eine Beweislastumkehr
beim Sport und beim Tourismus vermieden.
Sie müssen die Kräfte bündeln, die Menschen mitnehmen. Dann werden Sie erfolgreich sein. Die Menschen
müssen Vertrauen zu dem haben, was die Regierung
sagt. Vertrauen kann man aber nur haben, wenn Versprechungen gehalten werden. Bei der Ausweisung von
FFH-Gebieten hat Ihr Staatssekretär Berninger erklärt,
dass es auch Entschädigungszahlungen für den Wald
gebe. Wo sind diese Entschädigungszahlungen? Ich sehe
sie nicht.
({2})
Sie hätten das umsetzen und EU-weit durchsetzen müssen. Das haben Sie aber nicht getan. Sie brechen das Vertrauen der Menschen und der vor Ort Wirtschaftenden.
Das ist nicht die Politik der Union.
({3})
Wir wollen das Eigentumsrecht achten. Wir wollen
nicht, dass Naturschutzpolitik zulasten des ländlichen
Raumes und der dort arbeitenden und lebenden Menschen gemacht wird. Das ist nicht die Politik der Union.
Wir wollen weniger Staat; wir wollen praktische Umweltpolitik. Wir wollen auch, dass die Arbeit derjenigen,
die etwas mehr für den Naturschutz und Umweltschutz
tun als andere, anerkannt und finanziell gefördert wird.
Deshalb ist es nicht sinnvoll, wenn Sie die Mittel für
Projekte der Heimatvereine kürzen. Das ist nicht die Politik der Union. Wir brauchen das Ehrenamt; denn nur
wenn das Ehrenamt, die Institutionen, die Verbände und
die dort tätigen Personengruppen gefördert werden, ist
es möglich, im Natur- und Umweltschutz voranzukommen.
Auch im Bereich des Hochwasserschutzes wollen
Sie Regelungen treffen, die zwar dem Hochwasserschutz
dienen, bei denen Sie aber die Betroffenen vor Ort wieder einmal nicht mitnehmen. Immerhin handelt es sich
um 900 000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen. Das
sind 7,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen mit einer Wertschöpfung von 2,3 Milliarden Euro insgesamt.
Man kann die vor Ort wirtschaftenden Land- und Forstwirte nicht dafür bestrafen, dass in der Vergangenheit
kommunale Planungsfehler gemacht wurden.
Sie müssen dafür sorgen, dass Überflutungsmulden geschaffen werden, damit der Wasserabfluss langsamer erfolgt. Sie dürfen die Eigentümer nicht durch hoheitliche,
durch staatliche, durch gesetzgeberische Maßnahmen in
ihren Eigentumsrechten beschneiden. Das ist nicht die
Politik des Miteinanders. Sie setzen auf Konfrontation
statt Kooperation. Das ist nicht die Politik der Union.
Es ist auch ein Unding, dass die Waldbesitzer in einigen Gebieten mit Abgaben an die Wasser- und Bodenverbände in Höhe von rund 15 Euro pro Jahr und Hektar
belastet werden. Diejenigen, die dafür sorgen, dass sauberes Wasser langsam abfließt und im Wald gespeichert
wird, sollen über Gebühr bezahlen. Das kann keine Politik des Miteinanders im Sinne unserer Umwelt sein.
Sie haben die Mittel für den BHU, den Zusammenschluss der Heimatvereine, in den letzten drei bis vier
Jahren auf einen Bruchteil gekürzt. Das kann doch nicht
wahr sein. Wir brauchen das Ehrenamt und nicht allein
den Staat.
SPD und Grüne setzen auf den Verwaltungshaushalt.
Der Anteil des Verwaltungshaushaltes ist in den letzten
Jahren deutlich angestiegen und steigt weiter. Die Investitionen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes gehen zurück.
Wenn jetzt beispielsweise die Heimatvereine Anträge
zu Projekten stellen, dann sagen Sie zwar, diese Projekte
würden gefördert. Aber tatsächlich werden die Anträge
des BHU mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt.
Das kann nicht die Umweltpolitik sein, die wir brauchen,
die uns nach vorne bringt.
({4})
Bei der Novellierung des EEG - auch das wurde eben
angesprochen - fördern Sie die Windenergie auch in
nicht so windintensiven Lagen mit über 2 Milliarden Euro
pro Jahr - bald mehr als bei der Steinkohle - und stellen
die Biomasse hintenan: Leider wollen Sie hier den Förderungszeitraum verkürzen. Die nachwachsenden Rohstoffe hätten wirklich eine Chance verdient, in unserem
Land vorangebracht zu werden. Das ist keine Politik im
Sinne des Waldes, der Biomasse, der Chancen für nachwachsende Rohstoffe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Ziel der
Union ist es, die Umwelt und die Biotope zu erhalten, sie
zu schützen, sie wiederherzustellen, sie weiterzuentwickeln und sie zu vernetzen. Dabei kommt es für uns wesentlich auf vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Es ist
wichtig, dabei die ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft, den Tourismus und den Sport, die Vereine
und Institutionen sowie die Menschen, die in den ländlichen Regionen aktiv sind und arbeiten, mit einzubeziehen. Auf dieses Miteinander kommt es maßgeblich an.
Wir als Union wollen die Ressourcenschonung und
die Artenvielfalt. Wir alle müssen Nachhaltigkeit voranstellen. Zentrale Aufgabe hat zu sein, zukünftigen Generationen eine intakte Umwelt zu übergeben.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Undine Kurth.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Auch ich möchte
meinen Beitrag mit Kurt Kretschmann und seiner wunderbaren schwarzen Waldohreule beginnen. Er hat sie
1950 - in einer Zeit, als es vermeintlich Wichtigeres als
Naturschutz gab - erfunden und unters Volk gebracht ein Symbol, das heute jeder kennt.
({0})
Dabei galt damals die Eule als Totenvogel. Er hat dem
aber die Eule als Symbol der Weisheit entgegengesetzt.
Auch unsere jetzige Debatte steht unter dieser Zweideutigkeit der Eule. Wir müssen die Frage beantworten,
ob wir mit Weisheit und großer Voraussicht mit unserer
Natur umgehen, sie bewahren, sie schützen und sie in ihrer Schönheit, aber auch in ihrer Nützlichkeit für die
nächsten Generationen erhalten wollen oder ob wir den
nahen Tod einer kranken Natur einfach hinnehmen, ihn
beklagen, aber meinen, wir könnten ihn nicht abwenden.
Zur Beantwortung dieser Frage, wofür wir uns entscheiden wollen, ist ein Blick zurück wichtig. Denn die
Naturschutzpolitik hat in den letzten Jahren wirklich
viele Erfolge gebracht. Das ist eben schon gesagt worden.
Begonnen wurde mit den BVVG-Flächen in Ostdeutschland, die für den Naturschutz gesichert wurden.
Herr Caesar, wenn Sie hier beklagen, dass das Grüne
Band noch nicht so weit ist, wie wir es haben wollten,
dann reden Sie doch bitte einmal mit den Landesregierungen Ihrer politischen Couleur, die ganz maßgeblichen
Anteil daran haben, dass wir nicht dort sind, wohin wir
wollen!
({1})
Es tut dem Naturschutz nicht gut, mit billiger Polemik zu
argumentieren. Wenn wir, wie Sie sagen, dort gemeinsam weiterkommen wollen, dann sollten wir ehrlich miteinander umgehen.
Der Stiftungszweck der Deutschen Bundesstiftung
Umwelt wurde zugunsten des Naturschutzes geändert.
Jetzt trägt die größte europäische Umweltstiftung ihren
Teil dazu bei, dass der Naturschutz in Deutschland ganz
erheblich vorangebracht werden kann. Mit dem Bundesnaturschutzgesetz haben wir eine nachdrückliche Stärkung und Modernisierung des Naturschutzes erreicht. Es
ist zum Beispiel wichtig, dass in den nächsten Jahren
zehn Prozent der Fläche unseres Landes in einen Biotopverbund gegeben werden sollen. Wenn wir bedenken,
wie stark die Rückdrängung wild lebender Pflanzen und
Tiere durch unsere Zivilisation voranschreitet, ist das
eine Entscheidung, die ungeheuer wichtig ist.
Wenn man sich die entsprechenden Zahlen ansieht,
stellt man fest: 69 Prozent der Biotope in Deutschland
sind gefährdet, 15 Prozent von Vernichtung bedroht. Das
sind Zahlen, die Angst machen. Deshalb ist es notwendig, dass wir diesen Biotopverbund in die Tat umsetzen
und dass ihn das Bundesamt für Naturschutz koordiniert.
Es muss tätig werden, damit der Biotopverbund auch
überregional funktioniert und sich auch in internationale
Netze integriert.
Im neuen Naturschutzgesetz haben wir vor zwei Jahren die Ausweisung von Nationalparks erleichtert.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihres Kollegen
Schirmbeck?
Ja, bitte.
Frau Kollegin, 10 Prozent der Fläche unseres Landes
sollen für den Naturschutz zur Verfügung gestellt werden. Wollen Sie das durch ordnungsrechtliche Maßnahmen oder durch Vertragsnaturschutz erreichen?
Ein Biotopverbund ist weder nur über den Vertragsnaturschutz noch nur ordnungsrechtlich zu organisieren.
Ich bin ganz verblüfft, dass mich jemand in einer solchen Debatte in dieser Art und Weise über einen Biotopverbund befragt.
({0})
- Ich müsste Ihnen ja grundsätzlich erklären, was ein
Biotop und ein Biotopverbund sind. Dafür reicht die Zeit
nicht aus. Das müssten wir anschließend tun. Dann kann
ich Ihnen das erklären.
({1})
Im Ergebnis gibt es erfreulicherweise seit Beginn dieses Jahres zwei neue Nationalparks in Deutschland: den
Nationalpark Kellerwald-Edersee in Hessen und den Nationalpark Eifel in NRW.
Ich kann auch noch etwas zum Meeresnaturschutz sagen. Im Ergebnis seiner Bemühungen um den MeeresnaUndine Kurth ({2})
turschutz hat das Bundesministerium für Umwelt zehn
Schutzgebiete in der Nord- und der Ostsee vorgeschlagen. Damit sind wir führend in Europa.
Jetzt möchte ich auf einen Punkt kommen, der auch
schon angesprochen worden ist: dass wir uns in unserem
Antrag sehr deutlich für die Beibehaltung des 2002 eingeführten Verbandsklagerechtes aussprechen. Dies tun
wir aus gutem Grund. Schließlich sind, wie wir alle wissen, Naturschutzverbände die besten Anwälte der Natur.
Deshalb appelliere ich sehr an meine Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, dieses Recht weder zu diskreditieren noch auszuhöhlen. Denn das zeugt wirklich
nicht von Weisheit, sondern von einem grundfalschen
Verständnis von Bürgerbeteiligung und Bürgerrechten.
({3})
Alle Erfahrungen zeigen nämlich, dass sich Verzögerungen bei Planungen nur dann ergeben, wenn man geltendes Recht nicht einhält. Wenn man die Belange des Naturschutzes rechtzeitig berücksichtigt, muss man dieses
Klagerecht in keiner Weise fürchten.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der heute zur Verabschiedung anstehende Antrag belegt, dass wir es nicht
bei unseren Erfolgen belassen wollen und dürfen, sondern dass wir die Naturschutzpolitik des Bundes kontinuierlich entwickeln wollen.
({4})
Dabei ist die Formulierung „Naturschutzpolitik des Bundes“ wichtig; denn wir alle wissen, dass der Naturschutz
aufgrund unseres föderalen Systems eine wesentliche
bzw. die Hauptaufgabe der Länder ist. Die Punkte unseres Antrages belegen aber, wie wichtig auch der bundesgesetzliche Rahmen ist. In unserem Antrag fordern wir
eine nationale Naturschutzstrategie, die sich in die nationale Nachhaltigkeitsstrategie einfügen soll.
Es muss endlich gelingen, in allen Ressorts das Verständnis eines nachhaltigen Naturschutzes zu vertiefen.
Es kann doch wohl nicht angehen, dass man jedes Mal,
wenn das Wort „Nachhaltigkeit“ fällt, der Meinung ist,
dass das jeweilige Thema in den Zuständigkeitsbereich
des BMU fällt, das sich damit beschäftigen sollte. Naturschutz ist eine Querschnittsaufgabe, die in allen Ressorts
mit gedacht und mit bearbeitet werden muss. Auch hoffe
ich, dass, wenn Naturschutzargumente angeführt werden, irgendwann niemand mehr sagt, dies sei ein Einbringen sachfremder Kriterien in Politikfelder bzw. politische Entscheidungen, wie man es heute noch
manchmal hört. Der neue Parlamentarische Beirat für
Nachhaltigkeit wird hierzu sicherlich seinen Beitrag leisten.
({5})
Unser Antrag spiegelt wider, dass moderne Naturschutzpolitik mehr als den reinen Arten- und Gebietsschutz umfasst, obwohl dieser selbstverständlich eine
sehr wichtige Stütze des Naturschutzes ist. Wir brauchen
eine umfassende Integration des Naturschutzes in alle
Politikbereiche. Naturschutzpolitik muss sich in fast alle
aktuellen politischen Debatten einmischen. Es ist bereits
gesagt worden, dass unter anderen hier sowohl die Verkehrs- und Energiepolitik als auch die Ausgestaltung der
Agrarpolitik gemeint sind. All dies sind wichtige Felder,
auf denen Naturschutz eine Rolle spielen muss. Ich
glaube auch, dass man die Bildungspolitik nicht vergessen darf; auch da gehört er hin. Unser Antrag setzt in genau diesem integrativen Sinne wichtige, richtige und
notwendige Akzente für die Politik des Bundes.
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, angesichts der
weltweiten Zerstörung von Natur und der damit verbundenen Probleme wissen wir, dass nationale, ja nicht einmal europäische Anstrengungen allein ausreichen; auch
darauf weist unser Antrag hin. Auf maßgebliche deutsche Initiative hin wurden im Februar in Kuala Lumpur
auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt sehr ehrgeizige Arbeitsprogramme zur Einrichtung
eines weltweiten Netzes von Schutzgebieten beschlossen. Es soll erreicht werden, dass dieses weltweite Netz
von Schutzgebieten zu Land bis 2010 und auf dem Meer
bis 2012 errichtet werden kann. Ich glaube, dass uns immer wieder bewusst werden muss, wie dringend diese
Aufgabe ist.
Mit unserem Antrag „Naturschutz geht alle an“ wollen wir den Naturschutz einen großen Schritt voranbringen. Ich hoffe, dass sich die Opposition und auch die
Länder dem anschließen können. Vielleicht hilft Ihnen,
meine liebe Kollegen von der Opposition, ein Wort von
Richard von Weizsäcker, diesem Antrag doch noch zuzustimmen:
Das grundlegende Ziel ist es, die Schöpfung zu bewahren. Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst
willen schützen, wird sie uns Menschen erlauben zu
leben.
Es reicht eben nicht, darüber zu reden, wie wichtig Naturschutz ist. Vielmehr müssen wir den Naturschutz bei
Zielkonflikten mit anderen Politikbereichen wirklich
ernsthaft verteidigen und durchsetzen.
Zum Schluss meiner Rede möchte ich die Gelegenheit nutzen, von dieser Stelle aus all den Verbänden und
Initiativen herzlich für ihr unglaubliches Engagement zu
danken, mit dem sie Naturschutzarbeit in vielen Bereichen überhaupt erst möglich machen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika
Brunkhorst.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Keine Angst - ich werde das Buch nicht in voller Gänze
vorlesen. Ich will Ihnen nur einen Tipp geben.
Der uns vorliegende Antrag fordert Akzeptanz und
die verstärkte Integration von Naturschutz in alle Politikfelder. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, wir sind doch schon auf dem besten Wege,
wir sind doch schon gut dabei. Ich sehe die Lage viel positiver, als Sie sie hier jetzt skizziert haben. Nicht nur
Sie, sondern auch die FDP will die Natur erhalten, will
sie schützen. Auch wir glauben natürlich, dass eine intakte Natur für die Lebensqualität wichtig ist. Die wollen
wir sichern, auch für die kommenden Generationen.
({0})
Deshalb können wir den Empfehlungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen in seinem Sondergutachten zum Naturschutz vollständig folgen, ebenso dem
TAB-Bericht zu dem Thema „Tourismus in Großschutzgebieten“.
Allerdings wird der Naturschutz von den Bürgern im
Alltag oft als Bevormundung und als Eingriff in ihre
Nutzung und ihre Eigentumsrechte empfunden; das
muss man hier auch einmal ganz klar sagen.
({1})
Wir Liberale setzen in dieser Frage auf mehr Eigenverantwortung und auf Kooperation mit den Bürgern und
mit der Wirtschaft.
({2})
Die Liberalen sehen den Menschen als Partner im Naturschutz. Hier möchte ich voller Stolz sagen: Unser Umweltminister, der FDP-Umweltminister in Niedersachsen, hat das Motto ausgegeben: Naturschutz mit den
Menschen. Ich denke, das ist eine gute Losung. Damit
sind wir zufrieden.
({3})
Wir wollen nicht, dass Naturschutzpolitik den Menschen
aus der Natur verdrängt, sondern wir wollen ihn einbinden. Der Mensch ist Naturnutzer und greift seit jeher in
Naturräume ein; die Natur ist teilweise die Existenzgrundlage in der Land- und Forstwirtschaft. Hier müssen
Chancen gewahrt bleiben, zu wirtschaften und etwas zu
erwirtschaften. Deswegen haben Kooperation und Vertragsnaturschutz für uns absoluten Vorrang gegenüber
jeglicher anderen staatlichen Einflussnahme unter dem
Deckmäntelchen der ökologischen Ausrichtung. Das sehen wir sehr kritisch.
({4})
Nicht akzeptabel ist dabei insbesondere Ihre Vorstellung
einer naturnahen Waldbewirtschaftung. Da droht uns
dann unter Umständen das Pendant zur Ökolandwirtschaft. Das halten wir nicht für ein Erfolgsmodell.
({5})
Das heißt aber nicht, dass wir nicht dafür sind, einzelne
Waldabschnitte oder Wälder ökologisch umzugestalten,
um neue Lebensräume für bestimmte Arten zu schaffen
und die Artenvielfalt zu stärken. Wir haben auch auf
Landesebene eine Reihe von Projekten mithilfe von EUMitteln unterstützt.
Natur ist als Wohn- und Erholungsraum auch soziales Umfeld. Unter den verschiedenen Nutzern - Bewohnern, Wanderern, Jägern, Sportlern, Erholungssuchenden - gibt es viele engagierte Bürger, die sich
angesprochen fühlen, die den Argumenten von Naturund Artenschutz durchaus ein offenes Ohr und eine offene Haltung entgegenbringen und sich auch in die Erhaltung und Pflege der Natur mit einbinden lassen. Es
gibt sehr viele Beispiele für engagierte Projekte. Individuelles Engagement von Bürgern hat zum Beispiel
auch dazu geführt, dass die Wiedereingliederung verschiedener Tierarten - des Lachses, des Uhus und auch
des Luchses im Harz - erfolgreich war. Das muss man
hier einmal erwähnen.
({6})
Ihr Antrag greift dankenswerterweise mögliche naturschutzrelevante Fehlentwicklungen, die das EEG mit
sich bringen kann, auf. Ich möchte hier auf Gesetzeslücken hinweisen. Laut UVPG, also dem Gesetz über die
Umweltverträglichkeitsprüfung, müssen Windparks
erst ab drei Mühlen auf ihre Umweltverträglichkeit geprüft werden. Investorengruppen machen in der Praxis
einen Umweg, indem jede Person einfach nur zwei Mühlen anmeldet. Damit umgeht man das UVPG. Das ist
nicht hinnehmbar.
({7})
Auch die Flächeninstallationen von Photovoltaikanlagen sind unter Naturschutz- und Landschaftsaspekten
kritisch zu betrachten.
({8})
So berichtet der „Spiegel“ in seiner Ausgabe von dieser
Woche über die ersten Auswüchse: die Verkleidung von
Weinbergen mit Photovoltaikanlagen. Angesichts dieser
ökologischen Konsequenzen frage ich mich: Ist dies der
richtige Weg?
({9})
Ich möchte Sie jetzt zu einem Gedankensprung einladen, der nicht direkt mit diesem Antrag zu tun hat. Da
aber dieses dicke Buch hier liegt und mir die Akzeptanz
der Umweltpolitik und damit des Naturschutzes so am
Herzen liegt, möchte ich trotzdem darauf eingehen. Die
Umweltpolitik trägt die Verantwortung dafür, Umweltund Naturschutz transparent darzustellen. Ich denke, die
Bürger haben auch ein Anrecht darauf, die Umweltpolitik als Ganzes begreifen zu können. Deswegen möchte
ich noch darauf hinweisen: Wir haben 30 UmweltgeAngelika Brunkhorst
setze. Wir haben 38 Verordnungen. Ich möchte daran
erinnern, dass wir, die FDP, in der letzten Legislaturperiode darauf gedrängt haben, endlich ein Umweltgesetzbuch auf den Weg zu bringen.
Frau Kollegin, Sie wollen dieses Oeuvre hoffentlich
nicht zur Verlesung bringen.
({0})
Ich möchte daran erinnern. Dies ist der Entwurf von
1997; die Arbeit ist also schon fast getan. Die Koalitionsparteien haben versprochen, die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu modifizieren. Ich frage
Sie: Wann sind Sie soweit?
Danke.
({0})
Vielleicht geben Sie das jetzt durch die Reihen; denn
jeder, der damit beschäftigt ist, scheidet als Zwischenrufer aus, was den weiteren Verlauf der Debatte vielleicht
befördert.
({0})
Nun erteile ich der Kollegin Gabriele Groneberg für
die SPD-Fraktion das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich möchte mich bei meinen Ausführungen auf die Punkte unseres Antrages beziehen, die sich
mit städtebaulichen und verkehrspolitischen Aspekten
beschäftigen.
Wenn wir über nationale Strategien zum Naturschutz
und über ein umfassendes Konzept reden, dann ist die
Flächeninanspruchnahme von zentralem Interesse. In
der von der Bundesregierung im April 2002 beschlossenen Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie - wir haben sie
„Perspektiven für Deutschland“ genannt - haben wir uns
ein Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung gegeben
und die grundsätzlichen Ziele und Aufgaben für Politik
und Gesellschaft definiert.
Tatsächlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich
in den letzten 40 Jahren die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland fast verdoppelt. Das heißt für uns:
Wir müssen mit unseren vorhandenen Flächen sparsam
umgehen.
({0})
Im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie
ist deshalb unter anderem vorgesehen, die Inanspruchnahme neuer Flächen für den Siedlungs- und Verkehrsbereich von zurzeit circa 117 Hektar pro Tag bis zum
Jahre 2020 auf maximal 30 Hektar pro Tag abzusenken.
Ich denke, dass ist sicherlich ein ehrgeiziges und gutes
Ziel.
({1})
Der Idealfall wäre, die tatsächliche neue Inanspruchnahme von Flächen langfristig durch die erneute Nutzung bereits vorhandener Flächen zu ersetzen.
({2})
Die komplexe Materie und die Vielzahl der betroffenen
Akteure und ihrer verschiedenen, zum Teil vollkommen
gegensätzlichen Interessen bei diesem Vorhaben erfordern jedoch eine vernünftige Abstimmung bei der Umsetzung. Darum soll und muss dieses Ziel in mehreren
Schritten erreicht werden.
Die mit der Flächeninanspruchnahme einhergehende
Versiegelung hat viele negative Folgen. Herr Caesar hat
ja bereits auf das vermehrte Auftreten von Hochwasserereignissen hingewiesen. Ich denke, wir brauchen uns
auch überhaupt nicht darüber zu streiten, dass es hier einen politischen Handlungsbedarf zur Eindämmung des
Flächenverbrauchs gibt. Das ist allgemein anerkannt. In
einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland ist es
wirklich zwingend notwendig, die unterschiedlichen Anforderungen, die wir an die Flächennutzung stellen - ich
denke dabei zum Beispiel ans Bauen und Wohnen, an
die Erholung und den Verkehr, an die Erzeugung von Lebensmitteln, an nachwachsende Rohstoffe, an die wirtschaftliche und öffentliche Nutzung und eben auch an
die Zwecke des Naturschutzes -, so in Einklang zu bringen, dass die nachhaltige Nutzung unseres Lebensraumes erhalten und gestärkt werden kann. Das ist kein
kleines Problem.
Weitgehender Konsens in den prinzipiellen Vorstellungen zur Erreichung unseres Zieles besteht - das haben wir heute mehrfach gehört - bei der Erhöhung der
Effizienz der Flächennutzung, der Verbesserung des regionalen Flächenmanagements, der Mobilisierung vorhandener Flächenreserven, der Sanierung und Nutzung
von Brachflächen - hier ist bestimmt noch einiges zu
tun -, der Umlenkung von Investitionen im Wohnbaubereich vom Neubau in den Bestand - wir haben versucht,
das in den vergangenen Monaten mit der Lenkung durch
die Eigenheimzulage zu organisieren - und der Verbesserung der Lebensbedingungen in der Stadt. Spätestens
bei der Aufgabe, die allgemein geforderte Trendumkehr
beim Flächenverbrauch zu erreichen, wird es mit der Einigung ein wenig schwerer bzw. ist Schluss mit der Einigkeit. Die Nutzungskonflikte bei den knapper werdenden Flächen können zurzeit wirklich nur schwer gelöst
werden.
Gerade im Parlament werden wir uns in diesem Jahr
noch intensiv mit diesem Thema beschäftigen. Seit kurzem liegen uns die beschriebenen Gutachten vor. Vom
Büro für Technikfolgenabschätzung haben wir diesbezüglich noch einiges zu erwarten. Insofern gehe ich davon aus, dass wir uns hier an dieser Stelle noch kontrovers mit diesem Thema auseinander setzen werden. Aber
nicht nur wir hier im Bundestag sind bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema gefordert. Ich begrüße es,
dass die Bundesregierung dazu einen breit angelegten
Dialog zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie organisiert hat.
Alle Bürgerinnen und Bürger sowie alle gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland sind aufgerufen, sich mit
den Anregungen und Vorschlägen, die dort gemacht
werden, zu beschäftigen, selbst auch Anregungen und
Vorschläge einzubringen und sich an diesem Dialog zu
beteiligen. Frau Brunkhorst, ich gehe davon aus, dass
wir es durch diesen Dialog schaffen werden, eine breite
Beteiligung in der Bevölkerung zu erreichen und dadurch natürlich auch die Akzeptanz der Maßnahmen wesentlich zu erhöhen. Die zu entwickelnden Konzepte zur
Verminderung der Flächeninanspruchnahme können nur
im Konsens mit den Betroffenen und den Beteiligten
durchgesetzt werden. Ich muss ganz ehrlich sagen: Eine
solch umfassende Möglichkeit zum Dialog hätte ich mir
bereits in den Jahren vor 1998 gewünscht. Ich denke,
dann wären wir heute schon weiter.
({3})
In der generellen Zielsetzung sind wir uns nun wirklich einig: Wir alle möchten nämlich, dass unsere Enkel
und Urenkel noch einen Naturraum zum Leben und natürlich auch zum Wirtschaften vorfinden werden. Dafür
kann man nun wirklich nicht genug Vorsorge treffen.
Ich möchte noch ein kurzes Wort zu unserer Forderung im Antrag an die Bundesregierung sagen. Wir bitten die Bundesregierung, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass das im Bundesnaturschutzgesetz eingeführte
Verbandsklagerecht keine abweichenden landesrechtlichen Regelungen erfährt. Ich halte es für wichtig, dass
wir auch diesen Punkt kurz ansprechen.
({4})
Im letzten Jahr haben wir uns mit einem Antrag des
Bundesrates befasst, mit dem die Absicht verfolgt
wurde, das gemäß dem Bundesnaturschutzgesetz anerkannten Vereinen eingeräumte Verbandsklagerecht einzuschränken. Die Bundesländer sollten die Befugnis erhalten, vom Bundesgesetz abweichende Regelungen zu
treffen. Begründet wurde dieses Erfordernis mit dem zügigen Aufbau der notwendigen Verkehrsinfrastruktur in
den neuen Ländern. Ich möchte hier deutlich machen,
dass wir diese Regelung ablehnen. Nach den bisher gemachten Erfahrungen ist das Verbandsklagerecht, das
den Vereinen eingeräumt wurde, nicht ausgenutzt worden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass es ausgenutzt
werden wird.
({5})
- Man kann auch sagen, dass es nicht missbraucht wird.
Im Übrigen wird die vorzunehmende Umsetzung der
EU-Richtlinie zur Öffentlichkeitsbeteiligung ohnehin
spätestens ab April 2005 eine entsprechende Regelung
zur Verbandsklage im nationalen Recht erfordern. Diese
werden wir auch umsetzen. Insofern wäre zu dem Zeitpunkt die durch die Bundesländer angestrebte Lösung
mit dem Europarecht schlicht und einfach nicht mehr
vereinbar. Die im Naturschutzgesetz vorgenommene Regelung sollte man als Chance begreifen, sich vorher im
Konsens zu einigen. Die Klage eröffnet nur die Möglichkeit, im Anschluss an die Beteiligung weitere Schritte zu
unternehmen. - Wie ich sehe, muss ich zum Ende kommen. Ich werde gleich aufhören. - Letztendlich sollen
die Verbände und Vereine Klagen vermeiden und durch
frühzeitige Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden eine vernünftige Lösung erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen -
Nein, Sie können jetzt nicht noch einmal zu einem
Schlusschor ansetzen, weil Ihre Redezeit schon abgelaufen ist.
({0})
Herr Präsident, ich wollte dem Kollegen Schirmbeck
nur den guten Rat geben: Falls er noch Aufklärungsbedarf hat, soll er die Internetseite der Bundesregierung zur
Nachhaltigkeitsstrategie und Umweltnutzung aufrufen.
Dort kann er sich umfassend informieren.
Herzlichen Dank.
({0})
Frau Kollegin, ich überlege gerade, was Sie mit Ihrer
übrigen Redezeit gemacht hätten, wenn Sie mit dieser
Empfehlung begonnen hätten.
({0})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte frage ich mich: Welche
Schlussfolgerungen ziehen wir nun? Zunächst ist mir
das ehrliche Bemühen der Antragsteller aufgefallen, im
Naturschutz weiterzukommen. Das möchte ich ausdrücklich anerkennen. Die Frage ist nur: Wie und auf
welchen Wegen kommen wir wirklich weiter, um diesen
momentanen Durchhänger im Naturschutz zu überwinden?
Jede Zeit braucht ihre besondere Herangehensweise
und Argumente, damit die Menschen zuhören. Dazu
muss ich als ersten Punkt sagen: Wir müssen jetzt die
Interessen der Menschen, die wir erreichen wollen,
stärker berücksichtigen, egal ob es Kanuten, Kletterer,
Waldbesitzer oder Kommunalpolitiker sind. Als einer,
der selber im Naturschutz aktiv ist, weiß ich: Wenn wir
die Menschen bei den für sie wichtigen Anliegen nicht
auf dem richtigen Ohr erreichen, kommen wir nicht weiJosef Göppel
ter. Es mag gut gemeint sein, wenn jemand eine wertvolle Fläche schützen will. Man muss aber erlebt haben,
wie Menschen denken, die von einem Stück Land leben
müssen. Deren Sichtweise stärker einzubeziehen, halte
ich für besonders wichtig.
({0})
Der zweite Punkt ist, dass wir Sonderbelastungen
verlässlich und dauerhaft honorieren. In diesem Zusammenhang greife ich die FFH-Prämie auf, die mein Kollege Caesar schon angesprochen hat. Diese FFH-Prämie
ist wichtig, wenn wir das europäische Schutzgebietsnetz
ohne ständige Proteste durchsetzen wollen.
Der dritte Punkt ist die Kooperation verschiedener
Nutzer mit den Schützern. Ich denke zum Beispiel an
die deutschen Landschaftspflegeverbände, deren Wesenskern die Drittelparität zwischen Landwirten, Naturschützern und Kommunalpolitikern ist. Die Erfahrungen
zeigen, dass mit solchen Konstruktionen Vertrauen
wächst und Gräben überwunden werden können.
Der nächste Punkt, der mir bei meiner Vorrednerin,
Frau Kollegin Groneberg, aufgefallen ist, ist der Flächenverbrauch. Auch ich bin der Meinung, dass der
Flächenverbrauch eingedämmt werden muss. Nur werden wir das ohne die Kommunalpolitiker nicht schaffen.
({1})
Wie machen wir das also? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Selbstverpflichtungen oder Appelle nicht
reichen.
({2})
Wir brauchen ein finanzielles Instrumentarium, das
eine Steuerungswirkung entfaltet. Das muss jedoch mit
den Beteiligten entwickelt werden. Ich bin selber Kommunalpolitiker und weiß, dass man diese Dinge belastungsneutral und aufkommensneutral im Rahmen der
Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer regeln kann.
Das sind die Wege, auf denen wir gehen können.
Wie gewinnt man zum Beispiel Regionalpolitiker? Es
wird immer deutlicher, dass intakte Landschaften ein
wichtiger Standortfaktor sind. Mir fällt ein, dass kürzlich bei einer Umfrage in meiner bayerischen Heimat die
Frage gestellt wurde: „Was gefällt Ihnen an Bayern am
besten?“ Es wurden zwölf Antwortmöglichkeiten angeboten. Etwas überraschend ist vielleicht, dass mit großem Abstand am häufigsten die Landschaft genannt
wurde.
({3})
- Das habe ich auch nicht gesagt, lieber Kollege.
({4})
Ich wollte deutlich machen, dass es ein Bewusstsein der
Menschen über den Wert der Landschaft gibt. Gerade für
uns, die Konservativen, ist das ein Bestandteil der Heimat. Schöpfungsschutz und Heimatschutz - dahinter stehen letztlich ethische Gründe.
Die Frage, wie wir zu den gemeinsamen Zielen kommen, entscheidet sich an den Wegen dorthin. Ich möchte
Ihnen ausdrücklich sagen: Es gibt bei uns die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Naturschutzstrategie. Sie
müssen nur mehr mit uns über die gemeinsamen Wege
reden. Dann werden wir auch zu einem gemeinsamen
Antrag kommen. Dass wir in dieser Frage weiterkommen müssen, um unser Land attraktiv zu erhalten und
den Naturschutz mit der Möglichkeit, von solchen Flächen zu leben, zu verknüpfen, ist der entscheidende
Punkt. Wenn diese Debatte auch der Koalition dazu einen Anstoß gegeben hat, dann hat sie ihren Nutzen gehabt.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
auf Drucksache 15/2053 zu dem Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Naturschutz geht alle an - Akzeptanz und Integration des Naturschutzes in andere Politikfelder weiter
stärken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1318 anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit des Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 b auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dieter Thomae, Birgit Homburger, Detlef
Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Abschaffung der Praxisgebühren
- Drucksache 15/2351 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb für die FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Verunsicherung der Bevölkerung ist seit In-Kraft-Treten des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes immens hoch. Ein nicht abreißen wollender Protest in Form
von E-Mails, Briefen und Anrufen, wie ich ihn in
13 Jahren Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag
noch nicht erlebt habe, und die Beteiligung an Telefonaktionen zum Thema Gesundheitsreform machen diese
Verunsicherung deutlich.
Unmutsfaktor Nummer 1 - das ist wirklich ernst, Herr
Kollege Kirschner - ist die Praxisgebühr. Insbesondere
die Menschen, die alt und durch ihre Krankheit ohnehin
gehandicapt sind, fühlen sich mit dieser neuen Regelung
überfordert.
({0})
Weil die Erhebung der Praxisgebühr in der jetzigen
Form der falsche Weg ist, muss sie aus unserer Sicht abgeschafft werden.
({1})
Damit es keine Missverständnisse gibt, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich deutlich machen: Die FDP ist
nach wie vor der Auffassung, dass eine Beteiligung an
den Heilungskosten über den Versicherungsbeitrag hinaus als steuerndes Element sinnvoll und notwendig ist.
Die Menschen brauchen einen Anreiz, darüber nachzudenken, wie hoch die Ausgaben sind, die sich aufgrund
der Behandlung einer Krankheit ergeben. Sie brauchen einen Anreiz, mit ihrem Arzt darüber zu reden, welche
Maßnahmen tatsächlich notwendig sind, um den Heilungsprozess zu fördern. An einer stärkeren Eigenverantwortung des Einzelnen führt kein Weg vorbei. Das ist klar.
({2})
Wir begrüßen auch ausdrücklich, dass dies mittlerweile
selbst SPD und Grüne eingesehen haben. Es hat lange
genug gedauert, Herr Kollege Kirschner und Frau Kollegin Lotz. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern - so
lange gehöre ich diesem Haus schon an -, in denen die
FDP hier für diese Selbstverständlichkeit verteufelt worden ist.
Das Problem ist nur, dass - wie in anderen Bereichen
auch - das System sozusagen erst vor die Wand gefahren
werden muss, bevor Rot-Grün zu den notwendigen Veränderungen bereit ist. Hätte man nicht im Wahlkampf
1998 unrealistische Ankündigungen gemacht und früher
mit der Reform des Gesundheitswesens begonnen, dann
könnten wir heute damit schon wesentlich weiter sein.
({3})
Die Freude darüber, dass Sie und auch die Regierungskoalition jetzt für erweiterte Zuzahlungen sind,
wird aus unserer Sicht durch die Art und Weise der Umsetzung getrübt. Man hätte eine einfache Regelung in
Form der Erstellung einer Rechnung finden können, wie
wir das auch aus anderen Wirtschaftszweigen kennen.
Der Patient hätte die Rechnung bei seiner Krankenversicherung eingereicht und dann den Rechnungsbetrag abzüglich der vorgesehenen Zuzahlung erstattet bekommen. Das wäre in unseren Augen eine vernünftige,
unbürokratische Art und Weise des Umgangs mit dieser
Problematik gewesen.
({4})
Aber der bürokratische Aufwand, der jetzt in den
Praxen entsteht, ist unglaublich.
({5})
Die Ärzte, die sich eigentlich um ihre Patienten kümmern sollen, müssen erst ihre Praxis umorganisieren, damit die 10 Euro eingezogen werden können.
({6})
Sofern die Patienten das Geld nicht dabeihaben, müssen
die Ärzte es schriftlich einfordern. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen müssen mahnen, wenn das Geld nicht gezahlt wird. Das entspricht nicht dem, was wir uns unter
Qualitätsverbesserungen im deutschen Gesundheitswesen vorstellen.
({7})
Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Ausnahmen, die, wenn nicht inkonsistent, so doch für das medizinische Personal in den Praxen - das sind schließlich
diejenigen, die vor Ort mit dieser Regelung umgehen
müssen - zumindest sehr schwer zu durchschauen sind.
Die Regelung ist und bleibt bürokratisch. Deshalb muss
sie, wie gesagt, aus unserer Sicht abgeschafft werden.
({8})
Ich will noch eines deutlich machen: Mit unserem
Antrag wollen wir auch eine Rückkehr zur Wiedereinführung der früheren Härtefallregelung erreichen,
({9})
nach der Menschen, die von Sozialhilfe leben, von der
Zuzahlung befreit waren. Wir müssen leider feststellen,
dass in der Praxis erhebliche Probleme auftreten. Wie
will man beispielsweise von einem demenzkranken
Heimbewohner die Zuzahlungen einfordern? Wir wissen
doch alle, dass das am Ende beim Betreuungspersonal
hängen bleibt, das die Zeit auch besser nutzen könnte als
für den Umgang mit der Zuzahlung.
({10})
Alles in allem gilt in diesem Fall: Gut ist das Gegenteil von gut gemeint. Wir begrüßen es, dass Sie sich ein
Stück in Richtung Mitbeteiligung bewegen. Aber wir,
die Liberalen, kennen einen wesentlich einfacheren, unbürokratischeren Weg zur Handhabung der Eigenbeteiligung:
({11})
Transparenz und Kostenerstattung.
({12})
Das sind die Schlagworte, die wir in die Diskussion einführen wollen. Deswegen bitten wir Sie, unserem Antrag
zuzustimmen, um das auf den Weg zu bringen.
({13})
Das Wort hat die Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ihr
Antrag, lieber Herr Kolb, erinnert mich an eine frühere
Fernsehsendung. Sie trug den Titel „Nepper, Schlepper,
Bauernfänger“. Sie versuchen sich heute als Bauernfänger.
({0})
In Ihrem Antrag geht es Ihnen angeblich um den Abbau von Bürokratie und eine höhere Akzeptanz der Zuzahlungen. In der letzten Woche musste ich meinen
Hausarzt aufsuchen und als AOK-Versicherte habe ich
einfach 10 Euro mitgebracht. Ich muss Ihnen sagen: Es
war ganz unproblematisch, die 10 Euro zu zahlen. Von
einem höheren bürokratischen Aufwand war in dieser
Praxis nichts zu spüren.
Sie haben die Katze dann doch aus dem Sack gelassen. In Wahrheit geht es Ihnen um die Einführung des
Kostenerstattungsprinzips. Sie glauben noch immer,
dass in der Kostenerstattung das Heil der gesetzlichen
Krankenversicherung liegt. Diesen Irrglauben kann und
will ich Ihnen gar nicht nehmen. Aber die Patientinnen
und Patienten sollen wissen, dass das Kostenerstattungsprinzip für sie ganz und gar nicht günstig ist. Wir halten
deshalb am Sachleistungsprinzip fest.
({1})
Es ist und bleibt Ihr gutes Recht, Herr Kolb, im Deutschen Bundestag Anträge zu stellen,
({2})
auch solche, die auf falschen Annahmen und Schlussfolgerungen beruhen. Anträge aber in der Absicht zu stellen, der Öffentlichkeit etwas vorzuspiegeln und sie zu
täuschen, ist unredlich, wie Sie selbst wissen. Einen Antrag auf Einführung des Kostenerstattungsprinzips in der
ambulanten Versorgung hinter einem Antrag auf Abschaffung der Praxisgebühr zu verbergen mag für Sie ein
gerissener Schachzug sein. Aber ich sehe darin eine Verknüpfung von Kostenerstattungsideologie und hemmungslosem Populismus.
({3})
Es gab Zeiten, in denen die FDP nicht die Lufthoheit
über den Stammtischen suchte. Aber das scheint längst
vorbei zu sein.
({4})
Damals wäre jedenfalls niemand auf den Gedanken gekommen, der sich heute vielen unwillkürlich aufdrängt,
das Kürzel FDP mit „Fraktion der Populisten“ zu übersetzen.
({5})
Zur Sache selbst: Jedes neue Verfahren braucht Zeit,
um sich einzuspielen. Natürlich gab und gibt es bei der
Einziehung der Praxisgebühr sowohl auf der Arzt- als
auch auf der Patientenseite Kinderkrankheiten. Aber
diese werden bald ausgestanden sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, verabschieden Sie sich von der „Fraktion der Populisten“ und
beginnen Sie, konstruktiv zu denken und zu arbeiten.
({6})
Zur Verdeutlichung dessen, was ich unter konstruktiver
Arbeit verstehe, lassen Sie mich kurz auf unser Ziel der
Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen eingehen. Wir haben uns seit jeher für eine Steigerung der realen Versorgungsqualität unseres Gesundheitssystems
eingesetzt. Seit der Regierungsübernahme haben wir
nachweislich an der Erreichung dieses Ziels gearbeitet.
Wir haben einen roten Faden der Qualitätssicherung in
unserem Gesundheitssystem gespannt. Wir haben die
Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung ins Leben gerufen und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit
im Gesundheitswesen aus der Taufe gehoben. Die neue
Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz
wird dafür sorgen, dass eine flächendeckende Versorgungsforschung in Deutschland versicherungs- und einrichtungsübergreifend eingeführt werden kann.
({7})
Arbeiten Sie konstruktiv mit und kehren Sie zurück
zu einer realen Politik!
Danke schön.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn wir heute über den Antrag der FDP beraten, dann sollten wir fairerweise die Gründe für die
Einführung der Praxisgebühr nochmals kurz ansprechen:
Erstens. Die Praxisgebühr soll auch ein Instrument
zur Verhaltenssteuerung sein.
({0})
Aufgrund der weit über 500 Millionen Arztkontakte, die
die Patienten in Deutschland pro Jahr veranlassen, sollten die Menschen zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit medizinischen Versorgungsleistungen motiviert werden. Es ist heute unbestritten, dass zahlreiche
Arztbesuche medizinisch nicht unbedingt erforderlich
sind.
({1})
Die hohe Zahl der Arztkontakte erschwert letztlich eine
bessere Versorgung von tatsächlich behandlungsbedürftigen Kranken.
Zweitens. Darüber hinaus zielt die Praxisgebühr auf
eine Ausgabenverminderung der Krankenkassen.
Die Praxisgebühr ist nämlich keine Einnahme der Krankenkassen, sondern Teil der ärztlichen Vergütung. Der
Arzt erhält sein Honorar teilweise als Vorauszahlung direkt vom Patienten.
Drittens. Die Praxisgebühr ist schließlich auch im
Vergleich zu anderen denkbaren Reformmaßnahmen das
mildere Mittel.
Angesichts der enormen Finanzierungskrise der gesetzlichen Krankenversicherung - höchste Beitragssätze,
höchster Schuldenstand - bestand ein dringender Reformbedarf, der von niemandem bestritten wurde. Die
katastrophale Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt
verbot ein Drehen an der Beitragsschraube. Die Lohnnebenkosten waren zwingend zu senken. Also musste zwischen Leistungsausgrenzung und verhaltenssteuernder
Eigenbeteiligung entschieden werden. Letztere ist ohne
Zweifel der sozial verträglichere Weg.
Nachdem den Politikern Anfang des Jahres wegen der
Praxisgebühr der Wind ins Gesicht blies, gab es plötzlich
Streit um die Vaterschaft der Praxisgebühr. Der SPDKollege Schösser sagte: Diese Gebühr wollten wir nie;
das war die CDU. Hingegen sagte der Bundeskanzler bei
der Vorstellung der Agenda 2010 bereits im März 2003:
Gerade weil Eigenverantwortung gestärkt werden
muss, sollten wir … - Instrumente wie differenzierte Praxisgebühren und Selbstbehalte nutzen.
({2})
Auch die von der Regierung eingesetzte Rürup-Kommission wollte die Einführung einer Praxisgebühr.
Selbst die FDP hatte vor ihrem Ausstieg aus den Konsensgesprächen unter Anerkennung der oben genannten
Gründe ihr Ja zur Praxisgebühr gegeben.
({3})
Das hat sie bei der Festlegung der Eckpunkte erklärt.
({4})
Jetzt, wo der Druck auf die Politik gestiegen ist, wo es
darauf ankommt, auch zu unpopulären Maßnahmen zu
stehen, verlässt einige der Mut. Ich sage für die CDU/
CSU-Fraktion: Wir stehen zu der Praxisgebühr.
({5})
Sicher: Es gab zahlreiche Vollzugsmängel und Anlaufschwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Gesetzes. Sicher: Die teilweise systematisch geschürten Widerstände gegen die Praxisgebühr haben zu einer
enormen Verunsicherung in der Bevölkerung und in der
Ärzteschaft geführt. Denken wir nur an die in den Medien genannten Extrembeispiele! Dort wurde die Frage
gestellt, ob ein Arzt nach einem schweren Verkehrsunfall erst an den Geldbeutel eines Verletzten gehen muss,
um 10 Euro herauszuholen, bevor er ihn behandeln darf.
Solche Szenarien waren zu weit hergeholt und haben nur
zur Verunsicherung, aber nicht zur Versachlichung beigetragen.
({6})
Ich bin sehr froh, dass die Kassen für die schwierigen
Fallgestaltungen bei Heimbewohnern und bei Taschengeldempfängern mittlerweile sogar ganz unbürokratische Lösungen angeboten haben. Das hat zwar lange gedauert; aber man hat es erfreulicherweise getan.
Herr Dr. Kolb, ihr Beispiel von vorhin, bezog sich auf
das, was beim Arzt passiert ist. Auch ich musste im ersten Quartal dieses Jahres zum Arzt.
({7})
Siehe da: Der Arzt hat einfach einen Vermerk gemacht.
Auf diesem Vermerk stand: Der Patient hat seine
10 Euro bezahlt. - Fertig! Das war die ganze bürokratische Arbeit. Ich hatte mit meinem Arzt in diesem Fall
also keine Probleme.
Allerdings - auch das muss unumwunden gesagt
werden -: Handwerkliche Vollzugsprobleme begründen
keine Mithaftung der Union; aber sie begründen auch
nicht die Behauptung, die Praxisgebühr sei prinzipiell
das falsche Instrument.
({8})
Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Die ersten Untersuchungen zeigen, dass die Menschen eine größere Sensibilität für den Umgang mit medizinischen Dienstleistungen entwickeln; sie bemühen sich auch um einen
rationelleren Umgang mit medizinischen Versorgungsleistungen. Mittlerweile gibt es sogar zahlreiche Bürger,
die offen zugeben, dass sie durch das Diskutieren über
ein Vor und ein Zurück in Bezug auf diese Gebühr eher
verunsichert als aufgeklärt wurden.
Verunsicherungen werden auch durch Widersprüche
im FDP-Antrag verursacht:
Erstens. Ihr Antrag zielt auf die Rücknahme einer finanziellen Belastung in Höhe von 10 Euro pro Quartal;
das entspricht 3,33 Euro pro Monat.
Für den Einzelnen wäre das eine verhältnismäßig geringe Entlastung. Sie hätte aber im Gesamtsystem eine
große Auswirkung. Dies zu fordern ist nicht überzeugend. Dann hätten Sie in Ihrem Antrag zumindest eine
Gegenfinanzierung aufzeigen müssen.
({9})
Zweitens. Nachdem geklärt ist, dass die Praxisgebühr
ein Teil des ärztlichen Honorars ist, hat sich der Widerstand vieler Ärzte verringert. Als es vorher hieß, sie
müssten 10 Euro für die Krankenkassen einziehen, waren die Ärzte verständlicherweise nicht begeistert.
Drittens. Der Antrag zielt letztendlich auf die Einführung des Prinzips der Kostenerstattung.
({10})
- Da sind wir uns einig. - Die Kostenerstattung fordert
vom Arzt aber ebenfalls diesen bürokratischen Aufwand, und zwar etwas mehr als bei der Praxisgebühr.
Nehmen wir nur einmal den Fall einer ärztlichen Beratung, für die ein Betrag von unter 10 Euro anfällt! Auch
dieser Betrag muss vom Versicherten bezahlt werden.
Dann muss sich der Versicherte das von der Krankenkasse erstatten lassen
({11})
oder er lässt es sich erst geben und zahlt dann den Betrag. Beim Arzt zu bezahlen bleibt dem Patienten nicht
erspart. Wer Ja zur Kostenerstattung sagt, kann logischerweise nicht Nein zur Praxisgebühr sagen, weil das
eigentlich vergleichbare Schritte sind.
({12})
Viertens. Sie haben die Forderung erhoben - da war
ich eigentlich etwas enttäuscht, Herr Dr. Kolb -, Sozialhilfeempfänger von den Zuzahlungen zu befreien.
({13})
Das steht in diametralem Gegensatz zu der Aussage, die
wir hier im Bundestag gemeinsam getroffen haben, nämlich dass Sozialhilfeempfänger in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht besser gestellt werden dürfen als
Leute, die ein niedriges Einkommen haben. Wir haben
gemeinsam gewollt, dass Sozialhilfeempfänger genauso
behandelt werden.
({14})
Fünftens. Zu der geforderten Wiedereinführung der
Härtefallregelung ist zu sagen, dass diese Regelung
auch nicht frei von Widersprüchen war. Sie war ursprünglich als Ausnahmeregelung konzipiert. Im letzten
Jahr stellte man fest, dass 51 Prozent der deutschen Bevölkerung unter diese Ausnahmeregelung fallen. Wir haben gesagt: Es kann nicht sein, dass 51 Prozent der Deutschen ein so niedriges Einkommen haben, dass sie von
den Zuzahlungen befreit sind. Es kann nicht angehen,
dass jemand durch eine formale Härtefallregelung von
den Zuzahlungen befreit wird; vielmehr muss er nach
seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einen Kostenbeitrag leisten. - Das ist meines Erachtens eine bessere
Lösung als die, die wir vorher hatten.
({15})
Lassen Sie mich wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Wir brauchen jetzt keine neue Gesundheitsdebatte, sondern wir brauchen endlich mehr Planungssicherheit und Ruhe für alle an unserem Gesundheitssystem Beteiligten.
({16})
Die Reform braucht eine faire Chance, ihre Wirkung zu
zeigen.
Zweitens. Rot-Grün muss alles daransetzen, die Irritationen der Bevölkerung durch mangelhaften Gesetzesvollzug zu vermeiden. Das gilt für die Liste der nicht
verschreibungspflichtigen Medikamente, die noch kommen soll,
({17})
und für die Regelung bezüglich der Zusatzversicherung
im Bereich des Zahnersatzes. Für beides drängt bereits
heute die Zeit.
Drittens. Wir brauchen hier keine populistischen Anträge, die durch ihre Widersprüche zu mehr Verunsicherung führen, aber nicht zur Lösung der Probleme beitragen. Die Reform des Gesundheitswesens braucht
Unterstützung. Ich sage: Das Gesetz ist wesentlich besser als sein Ruf.
({18})
Nun hat die Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der FDP erhebt drei Forderungen:
({0})
Wiedereinführung der alten Härtefallregelung bei Zuzahlungen, Abschaffung der Praxisgebühr und Einführung des Kostenerstattungsprinzips.
({1})
Zunächst zur Härtefallregelung. Lieber Herr Kolb,
wie Sie vielleicht wissen, war die Härtefallregelung im
ursprünglichen rot-grünen Gesetzentwurf nicht vorgesehen. In den parteiübergreifenden Konsensverhandlungen
war eine Forderung der Union, die bisherige Härtefallregelung aufzugeben, und Rot-Grün hat zugestimmt.
Ich frage Sie jetzt aber: Wenn Ihnen dieser Punkt so
wichtig war, warum sind Sie dann damals aus den Verhandlungen ausgestiegen? Die beiden, die damals mitverhandelt haben, sind heute Abend ja nicht einmal da.
Ist denen Ihr Antrag peinlich?
({2})
- Auch das kann sein. - Sie haben jedenfalls in den Verhandlungen nicht für eine Härtefallregelung gekämpft keinen Pieps habe ich da vernommen; jetzt aber machen
Sie hier so ein Gedöns -, sondern sich aus der Verantwortung gestohlen. Heute aber zeigen Sie mit erhobenem Zeigefinger auf diejenigen, die sich jetzt dieser Verantwortung stellen.
({3})
Das ist nicht nur ärmlich, lieber Herr Kolb, das ist erbärmlich.
({4})
Ich weiß ja, dass verantwortungsvolles Handeln nicht
unbedingt in das Konzept einer Spaßpartei - oder was
sind Sie jetzt? - passt. Aber dass Sie es so weit treiben,
mein lieber Herr Kolb,
({5})
hätte ich nun doch nicht gedacht. Ich hatte gedacht, die
FDP wäre doch zu einer etwas ernsthafteren Politik noch
fähig.
Im Übrigen sind wir auf dem besten Weg, hinsichtlich
der Zuzahlungen von Sozialhilfeempfängern umfangreiche Vereinbarungen herbeizuführen. Das zuständige
Ministerium, die Krankenkassen und die kommunalen
Spitzenverbände haben mittlerweile Lösungen für die
bestehenden Probleme erarbeitet. Ein entsprechendes
Rundschreiben wird es demnächst geben. Wie sich das
Ganze entwickelt, werden wir abwarten müssen. Jetzt
aber, nachdem dieses Gesetz gerade zweieinhalb Monate
in Kraft ist, wieder irgendwelche Änderungen vorzunehmen, würde nur weitere Ausnahmeregelungen nötig machen. Ich frage Sie da ehrlich: Welchen Gedanken verfolgen Sie dabei und wie soll dieses Konzept ernsthaft
funktionieren?
({6})
- Vermutlich.
Die zweite Forderung der FDP lautet: Abschaffung
der Praxisgebühr. In der Einführungsphase zu Beginn
gab es zugegebenermaßen an der einen oder anderen
Stelle Probleme.
({7})
Das lag aber zu einem guten Teil daran, dass die Selbstverwaltung die notwendigen Regelungen noch nicht implementiert hatte.
({8})
Mittlerweile ist das geschehen. Der Umgang mit der Praxisgebühr funktioniert in der Zwischenzeit.
({9})
Außerdem wissen Sie genauso gut wie wir, dass es durch
die Einführung dieser Praxisgebühr zu einem enormen
Entlastungseffekt für die solidarische Krankenversicherung in Höhe von mehreren Milliarden Euro kommt,
nämlich ganz genau 4,3 Milliarden Euro.
({10})
Wie Sie nun im Falle der Abschaffung der Praxisgebühr
dieses dann entstehende Finanzierungsloch stopfen wollen, das sagen Sie in Ihrem Antrag, wahrscheinlich aus
gutem Grund, nicht. Oder wollen Sie das Loch gar nicht
schließen und stattdessen höhere Beitragssätze?
({11})
Auch dazu steht in Ihrem Antrag kein Wort. Ich kann
hierzu wiederum nur sagen: viel Populismus, wenig
Substanz.
Nun zur Kostenerstattung. Diejenigen, die nach wie
vor am lautesten über die Praxisgebühr klagen, sind komischerweise nicht die Patienten, die die Gebühr bezahlen müssen, sondern die Ärzte. Bei manchen hört es sich
an, als ob sie die Sozialhilfeempfänger von morgen wären.
({12})
- Ich weiß es nicht, ich bekomme sie nicht.
Ganz klar wird das bei Ihrer Forderung nach der Einführung der Kostenerstattung. Wir haben den Patienten
mit der Gesundheitsreform die Möglichkeit gegeben, auf
freiwilliger Basis Kostenerstattung zu wählen. Denn die
Kostenerstattung hat auch Nachteile. Deshalb waren und
sind wir der Meinung, dass es alleine dem Patienten
überlassen bleiben muss, ob er die Kostenerstattung
wählt. Kostenerstattung bedeutet nämlich, dass die Patienten beim Arzt erst einmal alles aus eigener Tasche
bezahlen müssen.
({13})
- Natürlich. - Danach müssen sie dann die Rechnung bei
ihrer Kasse einreichen, um sich die Kosten erstatten zu
lassen. Auch das ist bürokratischer Aufwand, nur haben
den dann die Patienten und nicht mehr die Arztpraxen.
Wenn die Patienten freiwillig die Kostenerstattung
wählen, ist das meiner Ansicht nach völlig in Ordnung.
Dazu kommt, dass die Kostenerstattung nach allen bisherigen Erfahrungen die Patienten viel teurer kommt als
eine wie auch immer geartete Praxisgebühr. Das liegt daran, dass die Patienten bei der Kostenerstattung erhebliche Eigenanteile zuschießen müssten. Ich kann Ihnen ein
Beispiel nennen: Erst vor einigen Wochen wurde bekannt, dass in zahlreichen Fällen Kieferorthopäden ihre
Patienten mehr oder weniger gemobbt haben, sich bei
der Abrechnung für die Kostenerstattung zu entscheiden.
Faktisch nutzt eine ganze Reihe von schwarzen Schafen
in der Ärzteschaft die neue Wahlmöglichkeit der Patienten, um Druck auf die Patienten auszuüben.
({14})
Warum ist das so? Das wissen Sie: Die Ärzte können
nämlich höhere Gebührensätze verlangen. Das Problem
dabei ist - ich rate Ihnen, das einmal im „Deutschen
Ärzteblatt“ nachzulesen -, dass es auch bei den Ärzten
einige schwarze Schafe gibt.
({15})
Um das noch einmal ganz klar zu betonen: Wenn sich
ein entsprechend informierter Patient freiwillig dafür
entscheidet, mehr zu bezahlen, dann finde ich das in
Ordnung. Von einer Verpflichtung der Patienten, höhere
Kosten zu übernehmen, halte ich gar nichts.
Diese Beispiele zeigen deutlich, was die Kostenerstattung für die Patienten in der Praxis bedeuten würde:
mehr Aufwand, mehr Kosten. Die Gewinner wären allein die Ärzte. Herr Kolb, das ist mir von Ihrer Partei bekannt: Lobbyismus pur. Sie ziehen Gartenzäune um die
Lobbygruppen und kämpfen für sie. Die Patienten hätten
nur Nachteile mit den Forderungen Ihres Antrags gegenüber all diesen Dingen, die wir hier beschlossen haben.
Ich sage Ihnen bei aller Freundschaft:
({16})
Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, ist schlicht und
ergreifend nicht umsetzbar. Ich rate Ihnen wirklich, in
Zukunft nicht mehr solche Anträge einzubringen. Sie
sorgen nämlich mit solchen Dingen für Unmut in der Bevölkerung und tragen eigentlich nichts zur Aufklärung in
der Bevölkerung bei.
({17})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Ich bin von Folgendem überzeugt: Wenn diese Regierung bis 2006 überleben will, dann muss sie die Praxisgebühr zurückziehen. Ich gehe auch mit Frau Ministerin
Schmidt jede Wette ein, dass entweder die Praxisgebühr
zum Jahresende fällt oder sie als Ministerin bei der
nächsten Kabinettsumbildung zu Fall kommt.
({0})
Die Praxisgebühr ist für die Menschen der spürbare,
immer wieder sichtbare Beleg für die unsoziale Politik
dieser Bundesregierung. Mindestens einmal im Quartal
denken die Bürgerinnen und Bürger an diese Regierung:
Immer wenn sie den 10-Euro-Schein aus der Tasche ziehen, werden sie daran erinnert, dass ihnen nur geholfen
wird, wenn sie vorher bezahlt haben, dass Hilfe immer
die Zahlung von Geld voraussetzt. Dieser kausale
Zusammenhang - erst Geld, dann Hilfe - trägt zur Auflösung unserer noch solidarischen Gesellschaft bei.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, bis zur Bundestagswahl sind es noch elf Quartale. Die Bürgerinnen
und Bürger haben also noch elfmal die Gelegenheit,
beim Bezahlen ihrer Praxisgebühr an die rot-grüne Regierung zu denken.
({1})
Herr Müntefering könnte die besten Agenturen des
Landes beauftragen, um das soziale Image der SPD aufzubessern, aber die Praxisgebühr wird immer mit der
SPD verbunden bleiben und Ihnen noch viele Wahlniederlagen bescheren. In Hamburg hat Ihnen das die
„Bild“-Zeitung bei der Auswertung der Wahl gleich ins
Stammbuch geschrieben.
Die PDS fordert die Rücknahme der Praxisgebühr.
Wir haben bei vielen Veranstaltungen und auf der Straße
Unterschriften gegen die Praxisgebühr gesammelt. Frau
Ministerin Schmidt hat schon viele Postkarten gegen
diese Gebühr erhalten. Ich biete auch den Kollegen hier
im Saal an, sich ganz unkompliziert diesem Protest anzuschließen. Entsprechende Karten sind bei mir erhältlich. Sie müssen sie nur ausfüllen.
({2})
- Ja, das Kleingedruckte sollten Sie von der FDP lesen.
Das ist völlig klar.
Um gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen und um die Zwischenrufer zu beruhigen, sei gesagt:
Die Forderung: „Weg mit der Praxisgebühr!“ teilen wir
mit der FDP. Unser gesundheitspolitischer Ansatz unterscheidet sich natürlich, wie Sie sich vorstellen können,
grundlegend.
({3})
Das Festhalten an der Praxisgebühr ist eine falsche
Strategie. Der Kollege Zöller hat darauf verwiesen, dass
sich nun alle streiten, wer die Praxisgebühr erfunden hat.
Die SPD - das wissen wir alle - wollte nur eine Praxisgebühr beim Hausarzt.
({4})
Sie haben sich aber bei den Verhandlungen die Praxisgebühr bei jedem Arzt von der CDU in Ihre Gesundheitsreform hineinschreiben lassen.
({5})
Das ist ein Kuckucksei; das müssen Sie nun selbst ausbrüten.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Kirschner, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Dr. Kolb, in der Überschrift des Antrags
der FDP heißt es lapidar: „Abschaffung der Praxisgebühren“. Sie sollten aber deutlich hinzufügen, was weiter unten im Text steht: Erhöhung der Zuzahlungen
durch Einführung der Kostenerstattung. Ihr Antrag ist
deshalb eine Mogelpackung und nichts anderes.
({0})
Sie setzen auf das Kurzzeitgedächtnis der Bürgerinnen und Bürger; denn wo Sie an Koalitionsregierungen
beteiligt sind - ob in Baden-Württemberg, RheinlandPfalz, Sachsen-Anhalt und bis zum vergangenen
Sonntag in Hamburg - haben Sie diesem Gesetz zugestimmt. Auch das sollten Sie hier einmal deutlich machen.
({1})
Ich will ganz klar sagen: Das GKV-Modernisierungsgesetz ist kein sozialdemokratisches Gesetz.
({2})
Zuerst war eine Verständigung mit dem Koalitionspartner, den Grünen, notwendig und dann mit der CDU/
CSU, die - wie Sie wissen - auf alle medizinischen Leistungen eine 10-prozentige Gebühr erheben wollte.
Um die Gesundheitsreform über die parlamentarischen Hürden zu bringen und sie nicht den unkalkulierbaren Mühlen des Vermittlungsausschusses zu überlassen - das ist dort wie auf hoher See und vor Gericht; in
diesen Fällen befindet man sich in Gottes Hand -, wurde
von allen Beteiligten - das ist klar - Kompromissbereitschaft abverlangt. Herr Dr. Kolb, Ihre Kollegen von der
FDP waren dazu nicht bereit und haben den Verhandlungstisch verlassen.
({3})
Sie wollten im Grunde genommen mehr Privatisierung und damit noch höhere Zuzahlungen. Es ist deshalb
unredlich, wenn Sie sich jetzt als Anwälte der Patienten
aufspielen.
({4})
In der Begründung Ihres Antrags heißt es - das muss
man sich einmal vor Augen halten -:
Um Akzeptanz in der Bevölkerung für die notwendige Eigenbeteiligung zu schaffen, bedarf es deshalb einer sozial ausgewogenen transparenten, einfachen und unbürokratischen Lösung im Rahmen
der Kostenerstattung.
({5})
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wie soll das denn unbürokratisch erfolgen? Die
Verwaltungskosten in der privaten Krankenversicherung, bei denen das Kostenerstattungsprinzip gilt, sind
mehr als doppelt so hoch wie die in der gesetzlichen
Krankenversicherung.
({6})
Herr Kollege Dr. Kolb, freiwillig Versicherte in der
GKV, die bereits bisher die Möglichkeit hatten, Kostenerstattung zu wählen, zahlen mehr. Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Patient bekommt von
seiner gesetzlichen Krankenversicherung gemäß Abrechnung EBM für eine Behandlung beim Arzt 70 Euro
erstattet. Der Arzt kann aber vom Patienten nach der Gebührenordnung für Ärzte 100 Euro verlangen. Die Differenz von 30 Euro trägt der Patient. Das ist das Prinzip
der Kostenerstattung. Zusätzlich zieht die Kasse noch
7 bis 8 Prozent für Verwaltungskosten und fehlende
Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab. Das sind noch einmal
5 Euro für den Versicherten. Das macht zusammen
35 Euro. Das ist mehr als das Dreifache der Praxisgebühr, die Sie jetzt abschaffen wollen. Da wollen Sie noch
behaupten, das sei einfacher und unbürokratischer?
({7})
- Herr Präsident, ein Kollege will eine Zwischenfrage
stellen. Bitte schön.
Offenkundig gibt es ein informelles Einvernehmen
zwischen dem Redner und dem präsumtiven Fragesteller. Dem will ich nicht im Wege stehen. Bitte schön.
Herr Kollege, da Sie uns hier die bürokratischen Lasten der Kostenerstattung erläutern, möchte ich Sie fragen: Können Sie uns auch erläutern, wie hoch die Verwaltungskosten für das Sachleistungsprinzip in der
gesetzlichen Krankenversicherung sind?
Verehrter Herr Kollege, ich habe gerade versucht, es
zu erläutern. Die gesetzlichen Krankenkassen haben im
Schnitt Verwaltungskosten in Höhe von ungefähr
5 Prozent. In der privaten Krankenversicherung liegen
sie bei ungefähr 11 Prozent.
({0})
Ist das klar? - Der PKV-Zahlenbericht weist das nach.
Das ist eine unverdächtige Quelle. Ich bin gerne bereit,
Ihnen die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung zu
stellen.
Damit das klar ist: Für die SPD ging und geht es darum, die Praxisgebühr als Steuerungsinstrument einzusetzen. Die jetzige Regelung kann von den Patienten dadurch beeinflusst werden - auch dies muss deutlich
gesagt werden -, dass sie sich gegenüber ihrer Kasse
verpflichten, zuerst den Hausarzt aufzusuchen - jede
Krankenkasse muss ihren Versicherten ein Hausarztprogramm anbieten -, oder dass sie sich in ein strukturiertes
Behandlungsprogramm einschreiben. Ich nenne die
Stichworte Diabetes, Brustkrebs, Herz-Kreislauf- oder
Asthma- und Lungenerkrankungen. Diese Programme
sind bereits vorhanden oder im Werden.
Es liegt im Ermessen der Kassen - auch das haben
wir in diesem Gesetz der Selbstverwaltung zugebilligt -,
die Zuzahlungen und Praxisgebühren zu reduzieren oder
ganz zu streichen. Durch diese so genannten DiseaseManagement-Programme und die hausarztzentrierte Versorgung werden die Kosten gesenkt und wird gleichzeitig die Qualität der Behandlung verbessert. Das, Herr
Kollege Dr. Kolb und verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, ist der Unterschied zu Ihrer Forderung
nach Kostenerstattung. Dass Qualitätsverbesserungen
dringend notwendig sind, hat der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, Professor Höffken, wie Sie alle
dieser Tage in Interviews lesen konnten, verdeutlicht. Im
„Spiegel“ vom 22. Februar 2004 sagte er auf die Frage
nach der Versorgungsqualität bei deutschen Krebspatienten:
Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei sehr
vielen bösartigen Erkrankungen nur noch
Mittelmaß - und wir drohen noch weiter abzustürzen.
Ich sage dies deshalb, weil ich denke, dort gilt es anzusetzen und nicht bei der Kostenerstattung. Denn die
von Ihnen geforderte Kostenerstattung ändert an dem
zentralen Problem unserer Gesundheitsversorgung
nichts.
({1})
Die Qualität wird durch Kostenerstattung um keinen
Deut besser; aber die Patienten zahlen mehr zu.
Sie bekommen für Ihren Antrag nur so lange Beifall,
bis die Patienten die Rechnung in der Hand halten und
dann in Euro und Cent spüren, was für ein Kuckucksei
ihnen die FDP ins Nest zu legen versucht. Ihr Vorsitzender, Kollege Westerwelle, will hier offensichtlich Versprechungen an die Leistungserbringer einlösen. Ich will
daran erinnern, dass er dem Ärzteverband Hartmannbund im Oktober 2001 gesagt hat - das ist im „Spiegel“
vom 22. Juli 2002 nachzulesen -: „Ich will Ihnen zeigen,
dass wir auf Sie hören.“
({2})
Das ist offensichtlich die Handlungsmaxime. Möglicherweise haben Sie auch auf den Bundesärztekammerpräsidenten Professor Hoppe gehört, der die Praxisgebühr ablehnt, weil sie angeblich das Arzt-Patienten-Verhältnis
belaste.
({3})
- Sagen Sie nicht so schnell Ja! - Die Igel-Leistungen,
die individuellen Gesundheitsleistungen, belasten offensichtlich das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht, bei denen
die Patienten dann noch mehr bezahlen. Bevor Sie Ja sagen, wäre ich ein bisschen zurückhaltend, Herr Kollege
Dr. Kolb. Derselbe Professor Hoppe hat am 4. Juli
2003 - das ist noch gar nicht so lange her - der „Berliner
Zeitung“ erklärt: „Ich plädiere für eine generelle Gebühr
bei Arztbesuchen.“
Was hier gemacht wird, ist Standespolitik nach der
Methode: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht
nass! Ich rate Ihnen: Sie sollten nicht darauf hereinfallen. Meine Damen und Herren von der FDP, Hörigkeit
gegenüber den Leistungserbringern im Gesundheitswesen zahlt sich auch für Sie nicht aus.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2351 an den Ausschuss für Gesundheit
und Soziale Sicherung vorgeschlagen. Ich nehme an,
dass Sie damit einverstanden sind. - Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Errichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
- Drucksache 15/2286 ({0})
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 15/2608 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerold Reichenbach
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Fritz
Rudolf Körper.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können heute das Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
verabschieden. Mit dieser Neustrukturierung des Zivilschutzauftrages des Bundes ziehen wir nicht nur eine organisatorische Konsequenz aus der mit den Ländern auf
der Innenministerkonferenz im Juni 2002 verabredeten
„Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung in
Deutschland“. Wir setzen zugleich auch politisch, so
meinen wir, ein deutliches Zeichen für die neue Wertigkeit des Zivil- und Katastrophenschutzes. Der zivile Bevölkerungsschutz wird mit der neuen Behörde nun auch
organisatorisch als wesentliches Element im nationalen
Sicherheitssystem herausgestellt und gewürdigt.
Wir haben bewusst und ausdrücklich die Form eines
Errichtungsgesetzes gewählt, um die politische Bedeutung des neuen Amtes und der von ihm wahrgenommenen Aufgaben herauszustreichen. Die Länder haben auf
der Innenministerkonferenz im Dezember 2002 die Absicht des Bundes - das soll hier festgehalten werden -,
ein solches Amt einzurichten ausdrücklich begrüßt.
Das neue Amt versteht sich als Dienstleistungszentrum des Bundes für die Behörden aller Verwaltungsebenen sowie für die im Bevölkerungsschutz mitwirkenden
Organisationen und Institutionen. Leitprinzipien des
neuen Bundesamtes sind insbesondere: Unterstützung
bei der Vorsorgeplanung, besseres Informations- und
Koordinationsmanagement, insbesondere eine effiziente
Bund-Länder-Zusammenarbeit bei so genannten großflächigen Gefahrenlagen, optimale Warnung der Bevölkerung, Stärkung der Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung, intensiver Wissenstransfer, Ausbildung,
Fortbildung, Krisenmanagementtraining sowie die umfassende Abbildung und Bewertung der Lage im Einzelfall.
Das neue Bundesamt ist keine bloße Wiederauflage
des früheren Bundesamtes für Zivilschutz. Anders als jenes ist es nicht auf den so genannten V-Fall fokussiert.
Es wird vielmehr alle Bereiche der zivilen Sicherheitsvorsorge fachübergreifend berücksichtigen und zu einem wirksamen Schutzsystem für die Bevölkerung und
ihre Lebensgrundlagen verknüpfen.
Es ist damit nicht nur Fachbehörde des Bundesinnenministeriums, sondern berät und unterstützt kompetent
auch die anderen Bundes- und Landesbehörden bei der
Erfüllung ihrer Aufgaben. Die Bezeichnung „Bevölkerungsschutz“ soll diesen übergreifenden Ansatz verdeutlichen. Der weitere Namensbestandteil „Katastrophenhilfe“ verweist ebenfalls auf eine neue Akzentsetzung,
nämlich auf das Angebot des Bundes zur Unterstützung
des Krisenmanagements der Länder bei großflächigen
Gefahrenlagen. Der Bund wird hierfür verstärkt Informations- und Koordinationsfunktionen vorhalten. Darum hat die Innenministerkonferenz insbesondere im
Lichte des Sommerhochwassers 2002 gebeten.
In diesem Zusammenhang möchte ich eines unmissverständlich klarstellen und damit auch einer gelegentlich geäußerten Befürchtung eindeutig entgegentreten:
Mit der Errichtung des neuen Bundesamtes maßt sich
der Bund keine neuen Zuständigkeiten an. Umverteilungen von Zuständigkeiten im Zivil- und Katastrophenschutz zwischen Bund und Ländern sind mit dem neuen
Bundesamt weder vorgesehen noch verbunden. Das neue
Bundesamt soll und will den Ländern Koordinationsund Informationshilfe leisten. Die operativen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Länder bleiben davon unberührt.
Das neue Bundesamt ist zugleich aber auch Ausdruck
der neuen gemeinsamen Verantwortung des Bundes und
der Länder für großflächige Gefahrenlagen, wie sie der
Philosophie der neuen Strategie entspricht. Gemeinsame
Verantwortung besteht also im Sinne eines partnerschaftlichen Zusammenwirkens über föderale Grenzen hinweg.
Wesentliche Einrichtungen des neuen Bundesamtes
sind Ausfluss dieser neuen Kooperation. Ich nenne nur
- die Gemeinsamkeit kommt schon im Namen zum Ausdruck - das Gemeinsame Lage- und Meldezentrum des
Bundes und der Länder. Das GLMZ soll vor allem - dies
ist eine der wichtigsten Erfahrungen, die wir bei dem
Management der Hochwasserkatastrophe im Sommer
2002 gemacht haben - das Ressourcenmanagement, insbesondere das Management von Engpassressourcen, von
Bund und Ländern bei großflächigen Gefahrenlagen unterstützen.
Das ist nur ein Beispiel für den Weg, den wir gewählt
und beschritten haben. Wir streiten nicht um Kompetenzen oder um die Frage, wie eine Auslegung der Verfassung anzugehen ist, sondern arbeiten pragmatisch gemeinsam im Sinne eines effektiven und effizienten
Helfens. Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär, dass ich mit Ihnen - wenn auch
nur in Teilen; darauf komme ich gleich noch zu sprechen - einer Meinung sein würde, hätte ich mir vor einiger Zeit noch nicht träumen lassen.
({0})
Wir werden gleich merken, wer lernfähig ist.
Herr Staatssekretär, um es vorneweg zu sagen: Es
reicht nicht - das wissen wir alle -, das Türschild zu ändern; es muss auch jemand Neues einziehen.
({1})
Man muss schon genau hinsehen. Ich habe bei Ihrer
Rede genau hingehört. Ich komme darauf gleich im Einzelnen zu sprechen. Damit Sie sich beruhigen: Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, betrachten ihn allerdings
nur als einen ersten Schritt.
Herr Staatssekretär, es ist ein Skandal - ich habe das
gestern im Ausschuss deutlich gesagt - und hilft der
Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung überhaupt
nicht, wenn Sie schon bei den ersten Schritten, nämlich
bei der Auswahl des Vizepräsidenten, die Fachkompetenz nicht an die oberste Stelle der Prioritätenliste setzen. Die vorgesehene Besetzung der Stelle des Vizepräsidenten des neuen Bundesamtes halten wir vor allem
aus fachlichen Gründen für falsch. Unserer Auffassung
nach widerspricht es dem Sinn und dem Zweck des Gesetzes, wenn schon in der Anfangsphase bei der Besetzung der Spitze des Amtes nicht nach eindeutig fachlichen Kriterien verfahren wird.
Noch weniger ist zu akzeptieren, dass die Koalition
für diesen Vizepräsidenten - und nur für ihn - auch noch
eine gesetzliche Ausnahme bezüglich der Besoldung
machen will.
({2})
Es heißt in dem Änderungsantrag:
Das Amt steht nur für den ersten Amtsinhaber zur
Verfügung.
Unter „Hinweis“ heißt es weiter:
Die Regelung stellt sicher, dass das Amt nach dem
Ausscheiden des ersten Amtsinhabers nicht mehr
verliehen werden kann.
Das ist eigentlich nicht in Ordnung
({3})
und dient nicht der vom Staatssekretär geäußerten Zielsetzung dieses Verfahrens.
({4})
Insofern beziehen sich meine zustimmenden Äußerungen ausschließlich auf die inhaltlichen Anliegen des Gesetzes. Den Änderungsantrag haben wir schon gestern
im Ausschuss abgelehnt.
Herr Staatssekretär, wie gesagt, ist es leider sehr selten, dass wir als Opposition einem Gesetzentwurf der
Bundesregierung zustimmen. Es ist auch sehr selten,
dass der Bundesrat keine Einwendungen erheben muss.
Für den vorliegenden Gesetzentwurf trifft beides zu. Er
wird - wenn auch nur in Teilen - einer alten Forderung
der Union Rechnung tragen.
Ich habe schon öfter gesagt: Zivil- und Katastrophenschutz eignen sich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen.
({5})
Leider wurde durch die Geschehnisse der letzten Jahre
auf schmerzhafte Weise ins Bewusstsein der Bevölkerung gehoben, dass mehr getan werden muss. Dabei
spielt überhaupt keine Rolle, ob es sich um Naturkatastrophen oder um unmittelbar von Terroristen herbeigeführte Katastrophen wie etwa in New York handelt.
Unsere eben erwähnte Zustimmung beruht allerdings
auch darauf, dass es, wie auch Sie ausgeführt haben, eine
gemeinsame Rahmenkonzeption gibt, die die Innenministerkonferenz im Juni 2002 beschlossen hat. Die vorgesehene Bündelung von Fachkompetenz unter einem
Dach ist die richtige Konsequenz in Bezug auf die aktuelle Lage und nach den Erkenntnissen der Vergangenheit.
Nun wurde die Regierungskoalition in Sachen Behördenumbildung, -verlegung und -umstrukturierung in
letzter Zeit nicht nur gelobt, sondern auch heftig kritisiert, und zwar zu Recht. Ich denke nur an das Bundeskriminalamt. Aber dieser Fall liegt anders. Insofern unterscheidet sich unsere Auffassung von derjenigen der
FDP.
Erstens. Der Kern des neuen Amtes, die Zentralstelle, ist bereits an Ort und Stelle.
Zweitens. Es kommt eine eigene - jedenfalls ist uns
das so zugesagt worden -, unabhängige, praxisbezogene
und konzentrierte Führung hinzu. Das Personal wird für
weitere konkrete Aufgaben aufgestockt werden; auch
das ist uns zugesagt worden. Überdies soll mit dem Bundesverwaltungsamt eine Verwaltungseinheit gebildet
werden, sodass Synergieeffekte - so heißt das, glaube
ich - genutzt werden und nicht zu viel Manpower für
Verwaltungstätigkeit erforderlich sein wird.
Drittens. Die eigenständige Führungsebene wird die
Aufgabe haben, das Thema Zivil- und Katastrophenschutz weiter voran- und auf den neuesten Stand zu bringen. Deswegen können wir dieser Vorlage zustimmen.
Der Bevölkerungsschutz muss einen eigenen Kopf bekommen; denn bei der Manöverkritik nach der Flutkatastrophe ist deutlich geworden - ich darf Herrn von
Kirchbach zitieren -:
Einen Mangel an Hilfskräften hat es nicht gegeben.
Es fehlte aber an einer vorausschauenden Planung
und dem sachgerechten Einsatz dieser Kräfte auf allen Ebenen.
Erforderlich sei „eine adäquate Führung auf höherer
Ebene“ und „eine verantwortungsvolle Koordination der
Zusammenarbeit mit anderen Ländern“.
Deswegen glaube ich, damit werden jetzt die Voraussetzungen geschaffen, um einem solchen Anspruch bzw.
vielleicht nachträglich festgestellten Verbesserungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Auch empfehle ich die
Lektüre des Briefes des Deutschen Feuerwehrverbandes,
den wir wohl alle gestern bekommen haben. Es reicht sicherlich nicht aus, den Mund nur zu spitzen. Wir müssen
auch pfeifen. Das meine ich in Bezug auf die Ausstattung der Feuerwehr. Hier besteht Handlungsbedarf.
({6})
- Wie bitte? Nicht reden, sondern handeln. Das habe ich
schon öfter gesagt.
({7})
Viertens. Bei der Zentralstelle Zivilschutz des Bundesverwaltungsamtes, dem Vorläufer des neuen Amtes,
ist als Erstreaktion auf die eben beschriebenen Defizite
richtigerweise das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum geschaffen worden. Das ist ein guter Anfang. Auch
das wurde hier schon mehrfach festgestellt. Aber es muss
ein gemeinsames Einsatzzentrum des Bundes und der
Länder hinzukommen, um schnell auf aktuelle Erfordernisse und Erkenntnisse reagieren zu können oder um im
Zweifelsfall auch schon im Vorhinein einzuüben, was in
solchen möglicherweise bevorstehenden Katastrophenfällen passiert. Ein solches Einsatzzentrum muss alle
Kräfte des Bundes unter sich bündeln: THW, Bundesgrenzschutz, Bundeswehr, die Dienste der Länder und
die Kräfte der zahlreichen nicht staatlichen Hilfsorganisationen. Ich denke, auch das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um diese Truppe schlagkräftig zu machen.
Diese Aufgabenerweiterung haben wir schon mehrfach gefordert. Wenn man es mit dem Zivil- und Katastrophenschutz ernst meint, wird es auch eine Ausgabenerweiterung geben müssen. Nur das Schild, das draußen
hängt, zu verändern, reicht nicht aus. Wir geben die
Hoffnung nicht auf und bitten die Bundesregierung, die
dazu notwendigen Abstimmungen mit den Ländern in
Angriff zu nehmen. Nun wissen wir alle, die wir hier sitzen, dass die Länder sehr darauf achten, dass sich, was
ihre Kompetenzen angeht, nicht allzu viel verändert.
Aber auch hier geben wir die Hoffnung nicht auf. Es gibt
fraktionsübergreifende Bestrebungen, hier zu neuen Regelungen zu kommen. Das wäre sicherlich ein Punkt,
den man in die gemeinsamen Überlegungen einfließen
lassen kann.
Auch Innenminister Schily scheint in diese Richtung
zu denken. Denn wenn ich ihn richtig verstanden habe,
hat er in seiner Rede zur Eröffnung des 7. Europäischen
Polizeikongresses erklärt: Die neue Strategie soll zwar
keine neuen Zuständigkeiten schaffen. Aber die Bürgerinnen und Bürger erwarten im Notfall kein Kompetenzgerangel,
({8})
sondern wirkungsvolle Hilfe.
Meine Damen und Herren, dafür brauchen wir hier
eine neue Konstruktion. Ohne eine gemeinsame Einsatzzentrale, der für Großschadensereignisse klare Kompetenzen zugewiesen werden, wird es immer wieder Kompetenzgerangel und Koordinierungsprobleme geben.
Darauf ist auch gestern im Ausschuss mehrfach hingewiesen worden.
Fünftens. Wir brauchen eine Anpassung der Gesetzeslage. Auch darüber ist hier im Haus schon mehrfach
gesprochen worden. Wenn das neue Bundesamt wirklich
ein Erfolg werden soll, dann brauchen wir zum Schutz
der Menschen eine Reform, die ausnahmsweise eine
werden könnte, die die Bevölkerung als nachvollziehbar
und zielführend erkennt. Eben haben wir über eine Reform gesprochen, bei der das nicht unbedingt der Fall ist.
({9})
Daher lehne ich mich an den Bericht des Innenministers zur Errichtung des neuen Amtes an. Das bedeutet in
Bezug auf die Namensgebung, dass es auch eine neue
Akzentsetzung geben muss. Ich kann nur immer wieder
an die Bundesregierung appellieren, das, was dort zu lesen ist, auch in die Tat umzusetzen. In Bezug auf die
neue Strategie bin ich so optimistisch, weil die Innenministerkonferenz - wenn ich das gleich hinzufügen darf:
unter Punkt 8 - eine Revision der einschlägigen Normen
vorgeschlagen hat. Die Grundsätze des Föderalismus
müssen dabei selbstverständlich eingehalten werden.
Auf die Dauer wird ein adäquates und rechtzeitiges
Mitwirken der Bundeswehr erforderlich sein. Daher
fordern die Innenminister der Union zu Recht eine Änderung des Grundgesetzes in den Bereichen der Amtshilfevoraussetzungen des Bundes sowie der Erfassung von
Gefahren aus der Luft und von Gefahren von See her.
Darüber ist hier ebenfalls schon gesprochen worden.
({10})
Auch hier bin ich guten Mutes, dass wir eine gemeinsame Lösung finden werden. Denn ich glaube, dass eine
gemeinsame Lösung auch eine sachgerechte Lösung
wäre. Im Bereich der Gefahrenprävention brauchen wir
klare Zuständigkeiten und klare Aufgabenverteilungen.
Deswegen können wir uns nicht darum herummogeln.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass die Bundeswehr ein integraler Bestandteil der erweiterten Katastrophenhilfe ist. Insofern ist, wie gesagt, unschwer zu
erkennen, dass das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz dringend in Angriff genommen werden muss. Im
Schwerpunktepapier im Einzelplan 06, Herr Staatssekretär, wird von der neuen Wertigkeit des zivilen Bevölkerungsschutzes gesprochen. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie
können sich darauf verlassen, dass die Union bei diesem
wichtigen Thema immer wieder nachhaken wird, bis alle
Hausaufgaben gemacht und alle Versprechungen eingelöst worden sind. Wir werden unseren Beitrag zu einem
effektiveren Schutz der Menschen in Deutschland leisten.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort der Kollegin Silke Stokar, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werte
Frau Kollegin Philipps!
({0})
- Philipps, genau, und Stokar mit langem „o“: Das kriegen wir alles noch hin!
Es wird Sie sicherlich nicht verwundern, dass ich unserem sehr verehrten Herrn Staatssekretär Körper in allen Punkten zustimme. Ich habe auch im Innenausschuss
bereits gesagt, dass ich es sehr begrüße, dass zumindest
wir uns in der Frage des Bevölkerungsschutzes und der
Katastrophenhilfe parteiübergreifend einig sind. In dem
Zusammenhang, dass wir einen einmütigen Beschluss
der Innenministerkonferenz umsetzen und es kein einziges Bundesland gibt, das Kritik vorgebracht hat, verstehe ich allerdings nicht, dass sich einzig und allein die
FDP-Bundestagsfraktion sich dem inhaltlich nicht anschließen kann. Was immer Sie hier an Begründungen
anführen mögen ({1})
ich habe manchmal das Gefühl, es geht Ihnen um Opposition um der Opposition willen: Wenn alle dafür sind,
muss auch jemand dagegen sein!
Ich denke, dass es nicht notwendig ist, hier an die rotgrüne Bundesregierung zu appellieren. Wenn Sie den
Prozess richtig mitverfolgt haben, ist Ihnen nicht verborgen geblieben, dass wir in diesem Bereich wesentlich
mehr gemacht haben, als nur Türschilder auszuwechseln.
Ich möchte ein paar Punkte benennen, wo wir neue
Aufgaben übernommen haben und Serviceleistungen für
die Länder und für die Kommunen anbieten. Das Deutsche Notfallvorsorge-Informationssystem, das berühmte DENIS, ist bereits in Betrieb und wird weiter
ausgebaut. In diesem Zusammenhang ist es, denke ich,
wichtig, einmal zu sagen: Es reicht nicht, wenn die Bundesregierung und der Bund in diesem Bereich ihre Aufgaben erfüllen und die Eckpunkte der neuen Strategie
umzusetzen. Es ist ganz besonders wichtig - ich weiß,
wie schwer sich einige Kommunen und Länder da tun -,
dass jetzt die nötigen Informationen von unten bereitgestellt werden. Für das Informationssystem müssen wir
natürlich wissen, über welche Ressourcen wir in einem
großen Unglücksfall im Lande verfügen. Dafür brauchen
wir vernünftige Informationen aus den Kommunen. Die
Kommunen tun sich schwer. Ich weiß aus der Region
Hannover, wie lange es gedauert hat, ein regionales Zentrum aufzubauen. Auch wenn die Zielrichtung richtig ist
- es wird noch eine Weile dauern, bis wir hier ein gemeinsames Bund-Länder-Lagezentrum haben.
Ich möchte auf zwei Aspekte noch besonders hinweisen. Ein neuer Punkt, der oft unterschätzt wird, den ich
aber für besonders erwähnenswert und lobenswert halte,
ist der Ausbau der Akademie für Krisenmanagement,
Notfallplanung und Zivilschutz. In den anderen europäischen Ländern gibt es eine erweiterte Katastrophenforschung bereits. Es ist ganz wichtig, dass wir über die
Akademie den internationalen wissenschaftlichen Austausch verbessern. Wir haben bereits länderübergreifende Übungen gemacht; das reicht aber nicht. Solche
gemeinsamen Übungen sehen in den Medien immer
schön aus; es ist aber wichtig, dass diese Übungen im
Nachhinein gemeinsam ausgewertet werden. Genauso
wichtig ist in diesem Bereich, dass eine wissenschaftlich
fundierte Risikoanalyse gemacht wird.
All dies wird nur funktionieren, wenn wir gemeinsam
daran arbeiten, die bürgerschaftliche Selbsthilfe tatsächlich auszubauen. Es reicht nicht - ich habe das in
meiner ersten Rede hier auch zum Ausdruck gebracht -,
zu sagen: Selbstverständlich danken wir allen Menschen
und sprechen ein Lob für alle Menschen aus, die in diesem Bereich ehrenamtlich tätig sind. Ich denke, wir alle
müssen noch mehr Überlegungen und Konzepte einbringen, nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Länder- und kommunaler Ebene, damit wir wirklich zu einer
Stärkung des Ehrenamtes kommen; denn diese wichtigen Aufgaben können wir in Zukunft nur dann bewältigen, wenn wir trotz einer älter werdenden Gesellschaft
genug Menschen finden, die sich in diesen Bereichen
weiter ehrenamtlich engagieren.
Letzter Punkt. Meine Damen und Herren, zur bürgerschaftlichen Selbsthilfe gehört, die Erste-Hilfe-Ausbildung schon in den Kindergärten zu beginnen, wie es
längst in anderen Ländern üblich ist, sie aber auch in den
Schulen auszuweiten, damit man von klein auf lernt, zu
sagen: Es ist richtig, zu helfen, und ich bin kompetent
und kann helfen.
Danke schön.
({2})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDPFraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Bundesinnenminister hat offensichtlich ein neues
Betätigungsfeld für seine Beamten gefunden: das Umzugskistenpacken.
({0})
Aus unterschiedlichen Gründen müssen der BND, das
BKA und jetzt auch noch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz umziehen; denn es gibt den Wunsch, dass
das Amt dahin zieht, wo jetzt ein anderes ist. Da, wo es
ist, kann es - nach bisherigen Aussagen - eigentlich
kaum bleiben.
Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf nicht etwa deshalb ab, weil wir die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes gering schätzen würden oder die Gefahr von terroristischen Anschlägen herunterspielen wollten.
({1})
Gerade weil wir dieses Thema besonders ernst nehmen
und uns energisch für den effektiven Schutz der Bevölkerung in Großgefahrenlagen einsetzen, sind wir gegen
das Bundesamt in dieser Form.
({2})
Die Hoffnung der CDU/CSU, die Sie, Frau Kollegin
Philipp, hier geäußert haben, reicht der FDP nicht aus.
({3})
Zu unseren Gründen. Die Behörde, um die es hier
geht - ob als eigenes Bundesamt oder eingebettet in das
Bundesverwaltungsamt - wird überhaupt nicht operativ
tätig und hat auch keine diesbezüglichen Kompetenzen.
Die Organisation der Hilfskräfte bei der Oderflut wäre
deshalb genauso wenig ihre Aufgabe, wie es die Einsatzleitung bei einem terroristischen Anschlag wäre. Das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz soll ausschließlich
die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in besonderen Gefahrenlagen vorbereiten. Es fungiert also als reiner Planungsstab.
Ohne die Wichtigkeit dieser Aufgabe in Abrede zu
stellen: Bis heute hat uns niemand überzeugend darstellen können, warum für diese Aufgaben ein neues Amt
unbedingt notwendig ist.
({4})
Wenn ich das so sagen darf: Ich habe noch kein einziges
Mal erlebt, dass mit einem Amt irgendetwas besser geworden wäre in Deutschland.
({5})
Für diese Aufgaben braucht man intelligente Planer
und kompetente Katastrophenschützer, die zweifellos
vorhanden sind. Auf welche Weise sie aber in die Verwaltungsstruktur eingegliedert sind, ist für das Ergebnis
nur sekundär. Ein politisches Signal allein reicht aus unserer Sicht nicht aus, die Erfüllung der Aufgaben in diesem Bereich zu verbessern. Vieles von dem, was Sie gesagt haben, teilen wir; aber dafür brauchen Sie wirklich
kein Amt.
Ich darf Sie weiter daran erinnern, dass Sie erst 2001
das bisherige Bundesamt - zugegeben mit anderer Zielrichtung - mit der Begründung Synergie- und Rationalisierungseffekte aufgelöst haben. Mit der gleichen Begründung schaffen Sie jetzt ein neues Amt. Diesen
Zickzackkurs muss mir einmal jemand erklären.
Am meisten habe ich mich aber über den Änderungsantrag der Koalition gewundert. Die zusätzlichen
1,7 Millionen Euro wurden ohnehin nur für die Leitungsebene in den Haushalt eingestellt. Das hat eine Anfrage von uns bereits im Dezember ergeben. Jetzt besitzen Sie sogar noch die Dreistigkeit - so muss ich es aus
meiner Sicht nennen -, dort einen besonders besoldeten
Vizeposten einzurichten. Das ist ein Deckmantel für
Personalschacher und dient nicht dem Schutz der Bevölkerung.
({6})
Deshalb sind wir auch dagegen.
Noch schlimmer ist: Auch die Sacharbeit wird durch
die Umzugsgerüchte behindert. Das sieht man schließlich auch am BKA. So teuer wie beim BKA wird der
Umzug nicht werden, aber immerhin: Er wird die Mitarbeiter von der Arbeit abhalten.
({7})
Besser wäre es, weitere Mittel in die Ausstattung zu stecken - das ist hier bereits gesagt worden -, nämlich zum
Beispiel in den BOS-Digitalfunk, der beim Zivil- und
Katastrophenschutz dringend gebraucht wird.
({8})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Weil wir als
FDP der Meinung sind, man sollte die Wirksamkeit des
Katastrophenschutzes und nicht dessen Organisation
verstärken, stimmen wir diesem Gesetzentwurf nicht zu.
Vielen Dank.
({9})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Gerold Reichenbach, SPD-Fraktion.
({0})
Ich habe nur fünf Minuten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und
Kollegen! In der letzten Woche hat die Münchner Rückversicherung gemeldet, es würden sich heute weltweit
dreimal so viele Naturkatastrophen wie in den 60erJahren ereignen. Im Jahre 2003 betrugen die wirtschaftlichen Schäden übrigens 60 Milliarden Dollar. Diese
Entwicklung hat sich auch in unserem Land bemerkbar
gemacht. Die Flutkatastrophen an der Elbe, der Oder und
der Donau sind noch gut in Erinnerung. Ich erinnere daran: Das THW war allein in den letzten fünf Jahren dreimal hintereinander im größten Einsatz seiner Geschichte.
Schließlich sind auch noch die Terroranschläge vom
11. September 2001 zu erwähnen. Sie haben uns die Verwundbarkeit westlicher hochkomplexer Gesellschaften,
die es übrigens auch schon davor gegeben hat, schlagartig vor Augen geführt. Dadurch wurde sie aber noch
einmal sehr deutlich. Das hat zu einem Umdenkungsprozess geführt, den Fachleute - das wurde bereits angesprochen - übrigens schon in den 90er-Jahren angemahnt hatten. Die Zivilgesellschaft wird nicht mehr
durch die Auseinandersetzung zwischen Blöcken, sondern sie wird von neuen Gefahren bedroht.
Es ist unsere Pflicht als Parlamentarier, die Bundesregierung darin zu unterstützen, auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren und geeignete Antworten zu
finden. Frau Philipp, Sie haben es angesprochen: Die
rot-grüne Regierung hat reagiert. Nach fünfeinhalb
Jahren können wir sagen, dass die Bedeutung des Bevölkerungsschutzes gegenüber den 90er-Jahren erheblich
aufgewertet wurde, und zwar auch schon vor dem
11. September 2001.
({0})
Die Haushaltsmittel wurden kontinuierlich erhöht,
nachdem sie Anfang der 90er-Jahre drastisch zurückgefahren worden waren. Die intensiven Gespräche mit den
Bundesländern - das haben Sie angesprochen -, die nach
unserer Verfassung für den Katastrophenschutz zuständig sind, führten 2002 schließlich zu der Rahmenkonzeption „Neue Strategien zum Schutz der Bevölkerung
in Deutschland“. Der Bund arbeitet die Verpflichtungen
aus dieser Vereinbarung konsequent ab. Das wurde übrigens im Bericht der Innenministerkonferenz im letzten
Jahr durch die Innenminister aller Länder eindrucksvoll
bestätigt.
Der nächste Schritt ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz - weil es
auch dafür einer Abkürzung bedarf -: BBK, über dessen
Errichtung wir heute abschließend beraten. Das Amt soll
Informations-, Management- und Koordinationsaufgaben bündeln.
Frau Piltz, hier widerspreche ich Ihnen ausdrücklich:
Es gibt auf der Ebene der UNO ein Beispiel dafür, dass
dies funktioniert. Auch das UNDAC hat in bestimmten
Bereichen keine eigenen Kompetenzen, es ist aber
durchaus in der Lage - wie zum Beispiel vor kurzem bei
der Katastrophe in Bam -, eine operative Koordinierung
zu leisten, weil es genau das tut, was auch wir hier machen wollen, es übernimmt nämlich Informations-, Koordinations- und Managementaufgaben. Dies tut es auch
dadurch, dass sich diejenigen, die daran beteiligt sind,
entsprechend einbringen.
Damit wird das Bundesamt für Bevölkerungs- und
Katastrophenschutz quasi die vierte Säule in unserer nationalen Sicherheitsarchitektur. Weil das ein Unterschied
ist, muss es noch einmal deutlich gesagt werden: Es ist
keine Wiederauflage des alten Bundesamtes für Zivilschutz; denn dies hatte damals rein auf die Verteidigung
im V-Fall, also auf den Zivilschutz bezogene Aufgaben.
Das BBK ist vielmehr die Antwort auf Bedrohungslagen, die nicht mehr die klassische Unterscheidung zwischen Zivilverteidigung und Katastrophenschutz zulassen. Es ist die Antwort auf Großschadenslagen und
Naturkatastrophen, die sich nicht an Bundesländergrenzen halten, die dem Katastrophenschutz zu Eigen sind.
Es ist außerdem die Antwort auf die föderale Struktur
unseres Katastrophenschutzes, der wesentlich von den
1,8 Millionen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
getragen wird.
Die Fehleranalysen - das ist angesprochen worden im Nachgang zur Elbeflut - das war aber nicht nur dort
der Fall - haben deutlich gemacht: Die Hauptdefizite betrafen die Information über die Schadenslage und die
Ressourcen sowie die Koordination der zur Verfügung
stehenden Mittel. Ein immer wieder in den Medien gezeigtes Bild - auch das ist angesprochen worden - waren
auf der einen Seite Fahrzeugparks von Feuerwehr, THW
und Rotem Kreuz mit Helfern in Wartestellung. Auf der
anderen Seite bestand ein Mangel an Hilfen, Fahrzeugen
und Einsatzkräften an anderer Stelle. Die Hauptaufgabe
des BBK wird darin bestehen, effizient Informationssysteme aufzubauen und vorzuhalten, die Kooperation und
Verzahnung der Länder und des Bundes sowie der
Hilfsorganisationen zu optimieren, eine abgestimmte
Ausbildung und eine einheitliche Führungsstruktur auszubauen. Das Mittel, die AKNZ, die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz, ist
schon genannt worden.
Last, but not least gilt es, vor dem Hintergrund der
neuen Herausforderungen Krisenpläne für die medizinische Notfallsorge gemeinsam mit den Ländern aufzubauen und entsprechende Strukturen zu schaffen. Gleiches gilt für den Bereich der Verwundbarkeit
lebensnotwendiger Infrastrukturen.
({1})
Das BBK benötigt hierzu nicht unbedingt neue zusätzliche Kompetenzen. Die Erfahrung zeigt, dass im akuten
Fall Zuständigkeiten und Kompetenzen nicht die entscheidende Rolle spielen, wohl aber eine vernünftige
Koordinierung im Vorfeld und die rechtzeitige Bereitstellung von Informationen, Ressourcen und Koordination.
Das Amt hat eine wichtige Vorreiterfunktion für die
Länder. Das BBK konzentriert bereits aufgebaute neue
Strukturen, fördert Synergieeffekte und ist Impulsgeber
für den Aufbau moderner Strukturen im Bevölkerungsschutz. Dazu kann das BBK in hervorragender Weise beitragen und Anregungen geben. Ich freue mich daher, dass
das Gesetz zur Errichtung des Bundesamtes die Zustimmung aller - wenn man von der FDP einmal absieht - wesentlicher Mitglieder im Hause findet.
({2})
Herr Kollege, bitte achten Sie auf Ihre Redezeit.
Dies ist ein guter Beginn für die neue Bundesbehörde.
Sie signalisiert die notwendige Unterstützung für den
Ausbau der Sicherheitssysteme in unserem Lande.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Errichtung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und
Katastrophenhilfe auf Drucksache 15/2286. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2608, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? 8456
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der FDP angenommen.
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich der Stimme
enthalten? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen
Mehrheit angenommen.
({1})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Waldzustandsbericht 2003
- Ergebnisse des forstlichen Umweltmonitorings - Drucksache 15/2210 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({2})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Georg Schirmbeck, Peter H. Carstensen ({3}), Albert Deß, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft der Forstwirtschaft
- Drucksachen 15/1640, 15/2398 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({4})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel
Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Rahmenbedingungen für Waldbesitzer und
mittelständische Holzwirtschaft verbessern Eigentumsrechte stärken
- Drucksachen 15/941, 15/2060 Berichterstattung:
Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm
Cornelia Behm
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Fraktion.
({5})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
jüngste Waldzustandsbericht bestätigt unsere Befürchtungen: Den Wäldern geht es nach einer Phase der Stabilisierung wieder schlechter. Die deutsche Eiche ist besonders betroffen. Noch im Jahre 2002 konnten wir eine
Erholung gerade bei der Eiche verzeichnen. Im letzten
Jahr ging es dann wieder bergab. Insgesamt weisen nur
noch 31 Prozent aller Baumarten keine sichtbaren Schäden auf. Doch Vorsicht: Wer gesund aussieht, muss nicht
zwangsläufig gesund sein. Es kann sogar noch schlimmer sein. Der Zustand unserer Wälder ist besorgniserregend.
Woran liegt das Schwächeln der Wälder? Die Ursache
für den Abwärtstrend hängt nicht wie in der Wirtschaft
mit mangelndem Wachstum zusammen. Ganz im Gegenteil: Unsere Bäume wachsen zu schnell. Das liegt an den
Verkehrs- und Industrieabgasen und dem Stickstoffüberschuss aus der Landwirtschaft. Das unnatürlich schnelle
Wachstum schadet unseren Wäldern, macht die Bäume
krank und schwächt ihre Abwehrkraft und Stabilität.
Im letzten Jahr gaben jedoch hohe Temperaturen und
die damit verbundene lang anhaltende Trockenheit den
Ausschlag. Die Wälder wurden durch die Trockenheit
zusätzlich gestresst und anfällig für Schädlingsbefall.
Der Borkenkäfer hat im letzten Jahr voll zugeschlagen.
Es gab eine Massenvermehrung. In Thüringen konnte
die stärkste Borkenkäferplage seit 50 Jahren verzeichnet
werden. Die gesamte Wald- und Forstwirtschaft leidet
unter der Schädlingsplage. Die befallenen Bäume müssen sehr schnell aus den Wäldern herausgeholt werden.
Das führt zu einem Überangebot und drückt die Holzpreise.
({0})
Es ist schon interessant: Besonders betroffen sind
Fichtenreihenbestände. Ich komme aus Schleswig-Holstein. Bei uns gibt es standortgerechte Mischwälder und
seit langem naturnahe Waldbewirtschaftung und keine
Borkenkäferplage.
({1})
Auch in diesem Jahr ist mit einer Besserung des
Waldzustandes kaum zu rechnen, besonders dann nicht,
wenn es wieder heiß und trocken wird.
({2})
Ein verregneter Frühling wäre also gut. Die leeren Wasserspeicher der Wälder könnten sich wieder füllen und
eine erneute gefährliche Ausbreitung der Borkenkäfer
mit den niedlichen Namen Kupferstecher und Buchdrucker könnte in Grenzen gehalten werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Happach-Kasan?
Ich möchte gerne meine Ausführungen am Stück zu
Ende bringen.
Das ist Ihre Entscheidung.
Sie haben nachher Gelegenheit zu antworten, Frau
Happach-Kasan.
({0})
- Sie brauchen immer etwas länger für Ihre Ausführungen. Das ist mir schon klar.
({1})
Wenn wir schon das Klima nicht so schnell ändern
können, müssen wir zumindest unsere Wälder widerstandsfähiger machen.
({2})
Wir müssen das Konzept der naturnahen Waldbewirtschaftung konsequent umsetzen. Wir müssen unsere
Wälder umbauen, weg von standortuntypischen Reihenbeständen und hin zu Mischwäldern. Natürlich dürfen
wir auch nicht in unseren Anstrengungen nachlassen, der
globalen Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Mir
kommt das oft wie ein Kampf gegen Windmühlen vor.
Wir alle wissen: Kohlendioxid ist die Hauptursache für
den zunehmenden Treibhauseffekt. Die daraus resultierenden Wetterextreme wie Stürme, Dürre und Unwetter
bedrohen das Ökosystem Wald.
Auch die Wirtschaft hat inzwischen die verheerenden
Folgen zu hoher CO2-Ausstöße erkannt. Die deutsche
Industrie hat sich deshalb freiwillig verpflichtet, die
Schadstoffe zu reduzieren. Das sollte uns freuen. Doch
sind die Schadstoffmengen gesunken? Nein, meine Damen und Herren, genau das Gegenteil ist passiert.
Der CO2-Ausstoß ist um 15 Millionen Tonnen gestiegen. Daran können wir sehen, was die Selbstverpflichtungen der Wirtschaft wert sind. Das erinnert mich
übrigens schmerzlich an die Ausbildungsplatzsituation
in Deutschland.
({3})
Achtung! Sogar die Industrienation USA ist in Sorge um
das Klima.
({4})
Bisher hat sie sich nicht gerade viele Gedanken über den
Klimaschutz gemacht. Jetzt fordern immer mehr Stimmen ein radikales Umlenken in der Klimapolitik. Doch
die Industrie bläst den Dreck nach wie vor in die Luft.
Wetterextreme nehmen zu und unsere Wälder sterben
weiter.
({5})
Was können wir tun? Wenn es schon nicht mit der
freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie klappt
- was uns allen das Liebste wäre, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP - dann müssen wir die politischen Rahmenbedingungen ändern. Wir machen das
zum Beispiel mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Mit dem Gesetz schaffen wir Anreize, umweltschonendere Energieträger einzusetzen.
({6})
Holz spielt dabei eine wichtige Rolle. Holz ist gleich
in doppelter Hinsicht ein zukunftsträchtiger Energierohstoff. Erstens bindet der Wald CO2. Zweitens ist Holz ein
nachwachsender Rohstoff. Er kann also fossile Energieträger wie Kohle ersetzen.
({7})
Bei der Wärmegewinnung aus Biomasse ist Holz bereits
Hauptträger. Bei Strom aus erneuerbaren Energien wird
Altholz immer wichtiger.
Wie sehen die Anreize in der EEG-Novelle aus? Der
Kabinettsbeschluss zur EEG-Novelle vom 17. Dezember
2003 sieht unter anderem eine verstärkte Förderung der
Biomasse einschließlich Holz vor. Das ist sehr sinnvoll,
da der energetische Nutzungsgrad gerade bei naturbelassenem Holz zum Teil über 90 Prozent beträgt. Eine weitere Verbesserung der Förderung für den Einsatz von
Waldholz muss geprüft werden.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist ein wichtiges
politisches Steuerungselement. Ein weiteres ist das
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz. Dieses Thema
wurde bereits heute im Bundestag debattiert. Es ging dabei um die nationale Umsetzung des Emissionshandels.
Der Wald spielt in dem Gesamtkomplex eine wichtige
Rolle. Denn der Wald ist eine natürliche CO2-Senke.
Ein erster Schritt zur Einbeziehung des Waldes in den
Emissionshandel ist im Dezember 2003 erfolgt. Das
Kioto-Protokoll ermöglicht den Industrieländern, in der
ersten Phase von 2008 bis 2012 ihre Treibhausgasemissionen mit Senkungsmaßnahmen oder durch Aufforstungen in Drittweltländern zu reduzieren. Das ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Es kann aber auch ein Beitrag
zum Schutz der Urwälder sein.
Wie sieht es heute dort aus? Wenige Menschen bereichern sich auf Kosten der Weltbevölkerung und der Umwelt durch die brutale Zerstörung der letzten Urwälder.
Selbst vor Schutzgebieten wird nicht Halt gemacht. Sogar Ökosiegel werden missbraucht, um die Herkunft des
illegal geschlagenen Holzes zu verschleiern.
({8})
Urwälder sind die grünen Lungen auf unserem Planeten. Zerstören wir sie, nehmen wir uns die Luft zum Atmen. Deshalb müssen wir diesen Raubbau endlich stoppen.
({9})
Die Einbeziehung finanziell interessanter Aufforstungen in den Emissionshandel kann hierbei eine wirkungsvolle Maßnahme sein.
Vor wenigen Tagen ist in Kuala Lumpur in Malaysia
die 7. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die
biologische Vielfalt zu Ende gegangen. Umweltschutzverbände haben erneut auf die anhaltende weltweite Zerstörung der Wälder hingewiesen. Das erfreuliche Ergebnis der Konferenz war, dass bis 2010 ein internationales
Netzwerk von geschützten Gebieten zu Land und bis
2012 ein solches für die Ozeane geschaffen werden soll.
Ich hoffe, es wird gelingen, dieses ehrgeizige Projekt zu
verwirklichen.
Schutzgebiete sind wichtig. Wir brauchen aber auch
dringend wirksame Kontrollen und Sanktionen gegen illegalen Raubbau. Dies könnte mit einem von Greenpeace angeregten Urwaldschutzgesetz erreicht werden.
({10})
Wir sollten diesen Vorschlag - am besten interfraktionell - prüfen und eine Lösung erarbeiten.
Wie geht es in Deutschland mit unseren Wäldern weiter? Die Novellierung des Bundeswaldgesetzes wurde
vorbereitet. Was geschieht daraufhin? Ein riesiger Streit
entbrennt in unserem Land. Bevor der erste Referentenentwurf auf dem Tisch liegt, initiieren private Waldbesitzerverbände ein Bündnis gegen die Novellierung des
Bundeswaldgesetzes, die es noch gar nicht gibt. Das ist
ein bisher wohl einmaliges und leider auch falsches Vorgehen.
Bislang überwog trotz unterschiedlicher Interessenlagen die Bereitschaft zum Konsens. Diese gute Art der
Streitkultur sollten wir nicht aufgeben. Denn eines ist sicher: Niemand hat ein Interesse daran, unsere Wälder
und die damit verbundenen 800 000 Arbeitsplätze zu gefährden. Wir werden deshalb bei der Novellierung des
Bundeswaldgesetzes sehr genau darauf achten müssen,
dass der zurzeit schwächelnden Forst- und Waldwirtschaft auch weiterhin Fördermöglichkeiten in angemessenem Umfang offen stehen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Caesar?
Ich bin sofort am Ende, Herr Kollege Caesar. Dann
können Sie sich zu Wort melden.
Die Bundesregierung wird in Kürze ein Eckpunktepapier zum Bundeswaldgesetz vorlegen. Wir sollten die
kommenden Monate für konstruktive Gespräche nutzen.
Das kann zur Klimaverbesserung nicht nur in diesem
Hause, sondern in der ganzen Welt, insbesondere in
Deutschland, beitragen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat der Kollege Georg Schirmbeck, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Hiller-Ohm, ich staune, was man alles in einer Debatte,
in der es eigentlich um den deutschen Wald gehen soll,
dem Hohen Haus mitteilen kann.
({0})
In der Tat reden wir über Sturmschäden sowie über
das Waldsterben durch den sauren Regen und durch Borkenkäferbefall. Wenn die entsprechenden Bilder durch
die Medien gehen, dann sind wir alle sehr betroffen und
es herrscht großes Jammern und Klagen in der Öffentlichkeit. Wir reagieren darauf mit runden Tischen und
Gutachten und versuchen so, Schäden zu begrenzen.
Doch was tun wir eigentlich wirklich für den Bewuchs
auf einem Drittel der Erdoberfläche in Deutschland? Wir
tun genau das, was auch Sie gerade gemacht haben: Wir
klagen besonders über den Raubbau in den Wäldern der
Entwicklungsländer - Sie haben vorhin Malaysia als
Beispiel genannt - und glauben, dass das konstruktiv für
unseren Wald ist.
Im Endeffekt führen Ihre Politik und vor allen Dingen
Ihre Rhetorik dazu, dass die Deutschen glauben: Wer in
Deutschland einen Baum fällt, der zerstört Leben. Wer
im Wald wirtschaftet, schadet dem Wald. Wer ordnungsgemäß Forstwirtschaft auf höchstem wissenschaftlichen
Niveau betreibt, der schadet der Natur, insbesondere
dem Wald, und damit den Menschen in Deutschland.
Das genaue Gegenteil ist der Fall.
({1})
Im deutschen Wald - nur darum geht es hier - wird
nachhaltig gewirtschaftet. Dort wird der Generationenvertrag, den wir auch in anderen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft brauchen, schon immer vorbildlich vorgelebt. Eigentlich sollten wir dafür dankbar
und darüber einig sein. Aber das, was Sie eben ausgeführt haben, zeigt uns, dass das offensichtlich nicht der
Fall ist.
({2})
Wir sollten uns trotzdem in einem Punkt einig sein:
Egal welche gesetzlichen Regelungen wir beschließen,
ohne die konstruktive Zusammenarbeit mit den Waldbesitzern verändern wir in Deutschland gar nichts und
schaden wir nur unserem Wald.
({3})
Sie müssen auch die Situation der Waldbesitzer berücksichtigen, und zwar nicht nur der privaten. Schließlich
sollten Sie sich auch über den Wald Gedanken machen,
der öffentliches Eigentum ist.
({4})
Die von circa 1,5 Millionen privaten Waldbesitzern
sowie vom Kommunal- und Staatswald praktizierte
nachhaltige Forstwirtschaft hat dazu geführt, dass in
Deutschland erheblich mehr Holz wächst, als geerntet
wird, dass die Waldfläche wächst. Das sollten Sie deutlich machen; das sind die Fakten. Die Probleme, die unsere Wälder haben, sind jedenfalls von den Waldbesitzern nicht verursacht worden. Unsere Wälder werden
durch den sauren Regen geschädigt. Den sauren Regen
verursachen - das haben Sie richtig ausgeführt - nicht
die Förster, die Waldarbeiter oder die Waldbesitzer. In
den 80er- und 90er-Jahren war das Waldsterben durch
den sauren Regen in aller Munde. Wenn die entsprechenden Fotos und Bilder in den Zeitungen und im Fernsehen
aber nicht mehr zu sehen sind, dann geht offensichtlich
auch das politische Bewusstsein für die notwendigen
Maßnahmen verloren.
Die Großfeuerungsanlagenverordnung und die Einführung des Katalysators waren sicherlich zwei wesentliche Maßnahmen, um die Luftschadstoffe zu verringern.
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass weitere Maßnahmen in
diesem Zusammenhang erforderlich sind. Die Länder
und die Kommunen förderten zur damaligen Zeit die
Kompensationswaldkalkung mit 100 Prozent. Die von
Ihnen zu verantwortende Wirtschaftspolitik hat zu einer
katastrophalen Finanzlage unserer Kommunen geführt,
sodass sie nicht mehr in der Lage sind, die Waldkalkung
mitzufinanzieren. Deshalb fanden 2003 und finden 2004
kaum noch Waldkalkungen statt.
({5})
- Herr Schmidt, das sind Fakten, an denen Sie sich orientieren müssen. Die Daten sind so zweifelsfrei, dass Sie
das gar nicht kritisieren können.
({6})
Jetzt empfiehlt die Bundesregierung - das kann man
in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große
Anfrage nachlesen - den Waldbesitzern eine Mitfinanzierung der Waldkalkung, um ihr ernsthaftes Interesse
nachzuweisen - so wörtlich.
({7})
Wollen Sie die Leute auf den Arm nehmen? Wer ist eigentlich Verursacher? Wer ist Täter? Wer ist Opfer?
({8})
Was benötigen unsere Forstbetriebe?
({9})
Die Wirtschaftspolitik, die Sie zu verantworten haben,
führt zu einer Enteignung der Waldbesitzer. Dafür tragen
Sie die politische Verantwortung.
({10})
Unsere Waldbesitzer, unsere Forstbetriebe brauchen
mehr Einnahmen. Dafür zu sorgen wäre eine wirksame
Maßnahme. Wir brauchen einen besseren Holzmarkt in
Bezug auf Quantität und Qualität. Auch wir brauchen
eine Beschaffungsrichtlinie, auf deren Grundlage die
Holznutzung der öffentlichen Hand beispielhaft entwickelt wird. Das führt zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage unserer Forstbetriebe. Das führt zur
Stärkung einer nachhaltigen Forstwirtschaft. Das stärkt
unsere Wälder in jeder Beziehung. Deshalb wäre eine
konkret formulierte Holzcharta, mit konkreten Programmen unterlegt, eine wesentliche forstwirtschaftliche
Maßnahme.
({11})
Die Bundesregierung hat dies lange Zeit angekündigt.
({12})
Passiert ist bisher nichts. Unsere Wälder leiden unter
Klimaschwankungen. Frau Hiller-Ohm, Sie haben das
zu Recht ausgeführt. Im letzten Sommer litten unsere
Wälder unter der Trockenheit. Eine Hilfestellung des
Bundes wegen Trockenschäden wurde nicht für nötig
gehalten. Jetzt befürchten alle Fachleute, dass es in diesem Frühjahr zu einer großen Borkenkäferkalamität
kommt. Kaufverträge für Fichtenstammholz kann man
schon seit einigen Monaten nur noch bis Ende April abschließen. Eine ökologische und ökonomische Katastrophe ist zu befürchten.
Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung? Muss die Katastrophe erst Realität werden?
Müssen die Borkenkäfer erst als Elefanten über den
Bildschirm laufen, ehe die Bundesregierung wirklich
konkret reagiert?
({13})
Sie reden doch immer von Nachhaltigkeit. Nachhaltig
handeln heißt vorausschauend handeln, Herr Parlamentarischer Geschäftsführer Schmidt. Forstwirtschaftliche
Maßnahmen werden in allen Bundesländern gefördert.
In vielen Fällen fließen dabei europäische Mittel. Das
Antragsverfahren, das Bewilligungsverfahren und die
Verwendungskontrolle sind so bürokratisch, dass mit
diesen Programmen fast mehr Bürokraten als Waldarbeiter beschäftigt werden. Das Ehrenamt in den Forstbetriebsgemeinschaften ist schon lange völlig überfordert
und hat resigniert.
Was macht der Bund, um diese Missstände zu beseitigen? Es geht nicht um mehr öffentliche Mittel, sondern
um einen effizienten Einsatz der Mittel und um zumutbare Rahmenbedingungen für Förster, Waldarbeiter und
Waldbesitzer. Wir bezweifeln, dass solche Entlastungen
durch ein neues Waldgesetz erreicht werden können.
({14})
Die Anhebung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums
führt nach einem Gutachten der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft dazu, dass pro Hektar
zusätzlich 230 Euro Kosten entstehen. Dies ist nichts anderes als ein Anschlag auf 70 000 Arbeitsplätze in der
Forstwirtschaft. Es kommt zu mehr gesetzlichen Regelungen und zu weniger tatsächlicher Hilfe für einen
schwierigen Wirtschaftszweig.
Über eine Entlastung der Forstbetriebe von der
Verkehrssicherungspflicht - aber nicht nur im Wald,
sondern auch an öffentlichen Straßen - muss man sicherlich nachdenken. Sie müssen sich auch Gedanken darüber machen, wer das bezahlt.
({15})
Mehr Totholz im Wald bedeutet für viele Standorte mehr
Waldbrandgefahr. Wer haftet dafür? Wer trägt die Kosten?
({16})
Wir sind uns mit den Verbänden der Forstwirtschaft
einig, dass sich auch die Forstwirtschaft neu aufstellen
muss. Schlagkräftige forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse sind sicherlich das Gebot der Stunde. Aufgabe
des Bundes und der Länder müsste es sein, eine tatkräftige Hilfestellung und Förderung zu gewähren. Aber
wenn Sie unseren Wirtschaftswald flächendeckend zu
einem Naturschutzwald entwickeln wollen, dann machen Sie nichts anderes, als die Eigentümer - sie haben
den Wirtschaftswald über Generationen entwickelt - zu
enteignen.
Die öffentlichen und die privaten Waldbesitzer haben
ein Zertifizierungssystem entwickelt und finanziert,
nach dem mittlerweile über 60 Prozent unserer Waldfläche zertifiziert sind. Wir halten dies für eine beispielhafte Aktion. Doch was macht die Bundesregierung? Sie
unterstützt mit erheblichen Haushaltsmitteln einseitig
ein konkurrierendes Zertifizierungssystem, nach dem
bisher nur weniger als 5 Prozent der Waldfläche zertifiziert wurde. Dazu kommt, dass dieses Zertifizierungssystem eigentlich zum Schutz der Tropenwälder entwickelt worden ist. Mittlerweile sind aber auch große
Plantagenmonokulturen in Chile und in Südafrika zertifiziert, und zwar ohne die Beteiligung der gesellschaftlichen Gruppen.
({17})
Hat der Bund in diesem Fall nicht wenigstens eine
Pflicht zur Neutralität? Oder geht es hier gar nicht um
Maßnahmen zum Schutz unserer Wälder, sondern um
Klientelwirtschaft und um die Zerstörung der gewachsenen Eigentumsstrukturen unserer Forstwirtschaft?
({18})
Wer etwas Positives für unsere Wälder tun will, muss
dabei ökonomische, ökologische und soziale Gesichtpunkte berücksichtigen.
({19})
Wer einen dieser Bausteine vernachlässigt, schadet auch
den beiden anderen Bausteinen.
Die Kunst, Fragen zu beantworten, ohne konkret zu
werden, hilft dem deutschen Wald nicht weiter. Konkret:
Streichen Sie § 29 Abs. 2 Wasserhaushaltsgesetz und
entlasten Sie den Waldbesitz von Beiträgen zu den Wasser- und Bodenverbänden! Sorgen Sie durch geeignete
steuerliche oder andere gesetzliche Maßnahmen
({20})
für Rahmenbedingungen zur wirtschaftlichen, energetischen Nutzung unserer Holzreserven! Unterstützen Sie
den Wettbewerb der Zertifizierungssysteme! Sorgen Sie
dafür, dass die Kompensationskalkung zukünftig wieder
möglich wird! Sorgen Sie für eine Entbürokratisierung
der forstlichen Förderprogramme! Erarbeiten Sie mit der
Forstwirtschaft die oft versprochene Holzcharta! Holen
Sie kurzfristig den Sachverstand aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung an einen Tisch und ergreifen Sie
die möglichen und notwendigen Maßnahmen, damit in
den nächsten Wochen die Borkenkäferkalamität nicht zu
einer ökonomischen und ökologischen Katastrophe in
unseren Wäldern führt! Oder müssen wir immer erst die
Katastrophenbilder aus unseren Wäldern in den Medien
sehen, ehe sachgerecht gehandelt wird?
Wir brauchen keine neuen Gesetze und Verordnungen, wir brauchen noch nicht einmal mehr Geld, sondern
wir brauchen eine ideologiefreie und unbürokratische
Zusammenarbeit der staatlichen Ebenen mit der Forstwirtschaft.
({21})
Dann können wir uns auf die Zukunft mit unserem Wald
freuen.
Herzlichen Dank.
({22})
Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger das Wort.
({0})
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einiges,
was der Kollege Schirmbeck gesagt hat, ist schon hochinteressant und bemerkenswert und wird von mir ausdrücklich unterstützt.
({1})
Wenn er zum Beispiel sagt, dass weitere Maßnahmen
etwa zur Luftreinhaltung oder zum Klimaschutz notwendig sind, um dem Wald in Deutschland zu helfen, dann
kann ich das nur nachdrücklich unterstützen. Das Problem, Herr Kollege Schirmbeck, ist nur: Das passt nicht
zu dem, was Ihre Bundestagsfraktion mehrheitlich beschließt.
({2})
Sowohl die Anträge, die Sie zum Thema der Förderung der erneuerbaren Energien einbringen - Sie sind ja
mehrheitlich dagegen -, als auch Ihre ablehnende Haltung gegen den Emissionshandel und andere Maßnahmen konsequenter Umweltpolitik machen deutlich, dass
Sie im Interesse der Waldbesitzer etwas fordern, was in
der Unionsfraktion ganz offenkundig nicht mehrheitsfähig ist. Trotzdem ist es richtig, dass auch Sie in dieser
Debatte darauf hinweisen, dass wir Fortschritte in der
Umweltpolitik brauchen, wenn wir dem Wald helfen
wollen.
Ein Beispiel aus Ihrem Heimatland Niedersachsen:
Der zu hohe Viehbesatz in bestimmten Regionen ist einer der Hauptgründe für das Waldsterben in diesen Regionen, weil die Ammoniakemissionen in dem Bereich
dem Wald heute mehr schaden als zum Beispiel das, was
aus den Auspuffen der Automobile herauskommt. Wenn
die Bundesregierung dafür eintritt, den Viehbesatz zu
verringern und dafür Sorge zu tragen, dass möglichst
nicht mehr als zwei Großvieheinheiten pro Hektar vorhanden sind, sind die Ersten, die dagegen das Wort erheben, in aller Regel die Vertreterinnen und Vertreter der
Unionsfraktion und der FDP-Fraktion.
({3})
Im Interesse des Waldes sollte man die Bundesregierung
bei der Agrarwende deutlicher unterstützen, als das in
der Vergangenheit der Fall war.
Es ist gesagt worden, die Bundesregierung sehe etwa
das Problem des Borkenkäfers nicht. Ich finde das insofern unredlich, Herr Kollege Schirmbeck, als ich mich
erinnere, dass Sie bei Veranstaltungen waren, auf denen
ich geredet habe und bei denen zwei Drittel meiner Rede
das Problem betrafen, dass die Folgen der Trockenheit
des letzten Jahres im Waldbereich wahrscheinlich erst
im Jahr 2004 voll zum Tragen kommen und dass eines
der ganz großen Probleme der Borkenkäfer sein wird.
Ich habe auch ausgeführt, dass die Bundesregierung sehr
wohl daran arbeitet und schon jetzt versucht, in Zusammenarbeit mit den Ländern Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Bei dem, was Sie sagen, gefällt mir nicht, dass Sie die
Verantwortung der Länder, die Verantwortung der staatlichen Ebenen, die überwiegend unionsgeführt sind, einfach außen vor lassen.
({4})
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Mein Heimatland
Hessen - ich könnte auch Bayern nennen - hat eine Reform der Forstverwaltung beschlossen, an deren Ende
die Waldarbeiter vor die Tür gesetzt werden. Man kann
es auch so sagen: Der Borkenkäfer kommt und die Waldarbeiter müssen gehen. Dann kann das, was Sie fordern,
nämlich dass man schnell handelt, wenn die Borkenkäferplage eintritt, im Bundesland Hessen schon deshalb
nicht stattfinden, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Politik Roland Kochs vor die Tür gesetzt werden.
({5})
Das muss man dann, wie ich finde, hier auch selbstkritisch sagen. Es ist schon darauf hingewiesen worden,
dass die Reformen in der Forstverwaltung in BadenWürttemberg, Bayern und Niedersachsen ebenso Thema
sind wie in anderen Bundesländern.
Zweites Beispiel: die Belastung der Waldbesitzer
mit Beiträgen zu den Wasser- und Bodenverbänden. Ein
Beispielland, das immer genannt wird, ist Brandenburg.
Wer regiert da bitte mit? Meines Wissens tragen dort
nicht die die Bundesregierung stellenden Parteien die alleinige Verantwortung, sondern die CDU ist dort der
kleine Koalitionspartner. Vor dem Hintergrund sollten
Sie sich einmal an Ihre Kolleginnen und Kollegen in
Brandenburg wenden, statt nach dem Bund zu rufen, damit er von oben herab Gesetze ändert. Es ist nämlich
nicht in jedem Bundesland so, dass die Waldbesitzer dadurch belastet werden.
Ich sage Ihnen, weil der Waldzustandsbericht ja heute
Thema ist: Wir hatten letztes Jahr ein schlimmes Jahr für
den Wald. Wir werden im Jahre 2004 meiner Einschätzung nach hinsichtlich des Waldschadens das größte
Problem haben, seitdem wir Daten erheben. Insofern ist
es richtig, dass die Bundesregierung die Waldpolitik in
diesem Jahr auf die Tagesordnung setzen wird. Die Bundesministerin Künast wird noch in diesem Frühjahr entsprechende Vorschläge zur Reform des Wald- und des
Jagdgesetzes vorlegen.
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger
Es ist interessant, dass das Thema Jagd in Ihrer Rede
keine Rolle gespielt hat, obwohl wir doch alle miteinander wissen, dass der zu hohe Wildbesatz in vielen Teilen
der Bundesrepublik Deutschland einer der Hauptgründe
dafür ist, dass ein gesunder natürlicher Wald gar nicht
entstehen kann. Die Naturverjüngung des Waldes wird
nämlich durch den Wildverbiss unmöglich gemacht.
Deswegen müssen sich diejenigen, die sich wie Sie für
den Wald stark machen, auch für eine Novellierung des
Jagdgesetzes einsetzen, die dem Wald nützt.
Ich kann Ihnen versichern, dass sowohl die Reform
des Bundeswaldgesetzes als auch die Reform des Bundesjagdgesetzes entbürokratisierende Elemente haben
werden. Wir werden eine Reihe von Paragraphen ersatzlos streichen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass
die Bundesregierung die Charta für Holz in diesem
Frühjahr voranbringen wird. Rund um die Holzwirtschaft sind annähernd 1 Million Menschen beschäftigt.
Das ist ein Beschäftigungspotenzial im ländlichen
Raum, das die Bundesregierung mit sehr konkreten
Maßnahmen auch weiter fördern will.
({6})
Es besteht hier die Kooperation mit der Wirtschaft und
der Wissenschaft, die Sie fordern. Auf diesem Gebiet
wird längst zusammengearbeitet; das wissen Sie. Ich
gehe davon aus, dass wir eine Reihe von interessanten
und ganz konkreten Vorschlägen haben werden, über die
wir dann diskutieren können.
Meine Einschätzung ist: Wem der Wald am Herzen
liegt, der sollte angesichts veränderter Situationen bereit
sein, Gesetze, die zum Teil seit 1975 nicht mehr geändert
wurden, zu ändern und den Wald fit zu machen, damit er
den Klimaveränderungen widersteht. Er sollte auch für
eine naturnahe Waldbewirtschaftung eintreten und nicht
alle Formen der Waldbewirtschaftung gleichsam loben;
denn es gibt Waldbesitzer, die sehr verantwortungsvoll
vorgehen, und andere, die das nicht tun. Die Monokulturen der Letzteren sehen wir dann regelmäßig im Fernsehen, denn diese sind am anfälligsten für Befall durch
Borkenkäfer und für Sturmereignisse. Den Wald naturnah zu machen wird der zentrale Punkt der neuen Waldpolitik der Bundesregierung sein. Mehr dazu, wie gesagt, in diesem Frühjahr durch die Bundesministerin
Künast.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Christel Happach-Kasan,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Sie noch ausharren! Dem Wald geht es schlecht, den
Waldbesitzern geht es finanziell schlecht - beides hängt
miteinander zusammen. Der Waldzustandsbericht beschreibt die Situation unserer Wälder realistisch; daraus
folgt: Ihr Zustand ist schlecht. Dazu haben der trockene
Sommer und die Borkenkäferkalamität im vergangenen
Jahr erheblich beigetragen. Das gilt, Kollegin HillerOhm, auch für Schleswig-Holstein.
({0})
Gerade der Leiter Ihres Forstamtes, Herr Fähser, hat sich
massiv bei mir darüber beklagt, dass die Forstverwaltung im Land Schleswig-Holstein, das als erstes Flächenland für seine Wälder das FSC-Zertifikat erhalten
hatte, auch als erster schleswig-holsteinischer Betrieb
den Einsatz von Insektiziden in seinen Wäldern beantragt hat. So viel zu Ihrer Glaubwürdigkeit.
({1})
Wir wissen alle, dass wir in diesem Jahr weitere Folgeschäden zu erwarten haben. Wir sind alle sehr gespannt,
Herr Staatssekretär Berninger, welche Gegenmaßnahmen Sie in die Wege leiten werden.
Ungelöst bleibt weiterhin das Problem der belasteten
Waldböden, das sich durch Schadstoffeinträge der letzten Jahrzehnte ergeben hat. Die Versauerung ist besorgniserregend, weil sie das Absterben von Bäumen beschleunigt und Einträge von Schwermetallen ins
Grundwasser verursacht. Noch immer übertreffen an
vielen Standorten die Schadstoffeinträge das natürliche
Pufferungsvermögen von Waldböden. Bei der Eiche, um
nur ein Beispiel zu nennen, hat der vorige Sommer für
ein Ende der Erholungsphase der letzten Jahre gesorgt.
Was tut die Bundesregierung in dieser für den Wald bedrohlichen Situation? Sie ruht sich auf ihrer angeblich
guten Klimaschutzpolitik aus.
({2})
Ich möchte deutlich sagen: Die FDP-Fraktion hat sich
als Erste für den CO2-Emmissionshandel eingesetzt. Wir
stimmen gegen Ihr Gesetz, weil wir der Meinung sind,
dass der Nationale Allokationsplan dazugehört. Das Gesetz darf nicht alleine stehen; beides gehört zusammen.
({3})
Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass Deutschland bei der CO2-neutralen Stromerzeugung in der EU
den viertletzten Platz belegt. Es berechnete für das vergangene Jahr 667 Gramm CO2-Äquivalent je Kilowattstunde in Deutschland gegenüber einem Durchschnitt
von 429 Gramm in der EU. Das ist ein Armutszeugnis.
Der Waldzustandsbericht bezeichnet Waldkalkungen
als „zentrale Vorsorgemaßnahme“. Im Bericht heißt es
wörtlich:
Ziel ist es, weitere Säureeinträge aus der Luft abzupuffern und damit nachteilige Veränderungen der
Waldböden zu verhindern.
Angesichts sinkender Holzpreise ist die Forderung
der Bundesregierung, dass die Waldbesitzer die Bekämpfung dieser von der Gesellschaft verursachten
Schäden mitfinanzieren sollen, unrealistisch. Erinnern
wir uns doch einmal daran, welche Haftungsvorstellungen die Bundesregierung bei der Grünen Gentechnik
durchzusetzen versucht. Was macht sie mit den Waldbesitzern? Das ist ungeheuerlich.
Der Bericht macht auch deutlich, dass es keinerlei Bedarf für eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes gibt.
Luftverschmutzung und Klimaschwankungen machen
Probleme, nicht das Gesetz.
({4})
Diese Probleme können mit hoheitlichen Maßnahmen
nicht beseitigt werden.
In der Beantwortung der Großen Anfrage bekräftigt
die Bundesregierung ihre einseitige Bevorzugung der
FSC-Zertifizierung. Dies ist eine Morgengabe gegenüber
einer Auswahl von Umweltverbänden.
Da der PEFC inzwischen mit Ausnahme von Schleswig-Holstein in allen Bundesländern präsent ist und weit
mehr als die Hälfte der Waldfläche in Deutschland
PEFC-zertifiziert ist - bei FSC sind es nur 4 Prozent -,
bedeutet dies gleichzeitig einen Affront gegen die Menschen in unserem Land, die sich mit den Wäldern in ihren Heimatregionen identifizieren.
({5})
Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit.
Ich denke an die Zeit. - Die im Koalitionsvertrag angekündigte Charta für Holz lässt ebenfalls weiter auf
sich warten. Herr Staatssekretär Berninger, Sie machen
Hoffnung. Das ist doch noch etwas wert.
Es ist bezeichnend und fachlich völlig verfehlt, dass
die Bundesregierung keinen Vertreter des Forstwirtschaftsrats in den Rat für nachhaltige Entwicklung berufen hat. Die FDP fordert die Bundesregierung auf, auf
eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes zu verzichten, in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie dem nachwachsenden Rohstoff Holz Priorität einzuräumen - ({0})
- Reden Sie nicht immerzu dazwischen, sondern hören
Sie auch einmal zu, wenn jemand etwas zu sagen hat.
Das sind Sie offensichtlich nicht gewohnt.
({1})
- Frau Hiller-Ohm, Sie hatten zwölf Minuten Zeit, zu sagen, was Sie zu sagen haben. Sie haben sie nicht genutzt,
weil Sie nichts zu sagen hatten. Das ist entsetzlich.
({2})
- Ja, ich bin gelernte Lehrerin.
Ich möchte Sie bitten, nicht nur an die Redezeit zu
denken, sondern auch zum Ende Ihrer Rede zu kommen.
Ich beende meinen Satz. - Die FDP fordert die Bundesregierung auf, in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie dem nachwachsenden Rohstoff Holz Priorität einzuräumen und Vorbild bei der Verwertung von Holz aus
heimischen Wäldern zu sein.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/2210 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
das so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 13 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf
Drucksache 15/2060 zu dem Antrag der FDP-Fraktion
mit dem Titel „Rahmenbedingungen für Waldbesitzer
und mittelständische Holzwirtschaft verbessern - Eigentumsrechte stärken“ Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/941 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({0}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Monitoring - „Gesundheitliche und ökologische Aspekte bei mobiler Telekommunikation und Sendeanlagen - wissenschaftlicher Diskurs, regulatorische Erfordernisse
und öffentliche Debatte“
- Drucksache 15/1403 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Kolleginnen und Kollegen Renate Jäger, Holger
Haibach, Axel E. Fischer ({2}), Dr. Antje
Vogel-Sperl und Michael Kauch haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.1)
1) Anlage 3
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Ich vermute, dass die anwesenden Kolleginnen und
Kollegen damit einverstanden sind, auch ohne Kenntnis
der vorgesehenen Reden über den Überweisungsvorschlag abzustimmen. Sind Sie mit dem in der Tagesordnung aufgeführten Überweisungsvorschlag einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur
Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes
({3}) und der Außenwirtschaftsverordnung
({4})
- Drucksache 15/2537 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({5})
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Auch hierzu war eine halbstündige Aussprache vorgesehen, die wir nicht benötigen, weil die Kollegen
Christian Müller ({6}), Christian Schmidt ({7}),
Erich Fritz und Alexander Bonde sowie die Kollegin
Gudrun Kopp und der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt ihre Reden zu Protokoll geben.1)
({8})
- Das mag bedauerlich sein, ist aber durch die schlichte
Nichtanwesenheit der meisten der genannten Redner
kaum zu verhindern.
({9})
Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf
Drucksache 15/2537 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
1) Anlage 4
weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Begleitregelungen zur Einführung des digitalen Kontrollgeräts zur Kontrolle der Lenk- und
Ruhezeiten ({10})
- Drucksache 15/2538 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Auch hierzu war eine halbstündige Aussprache vorgesehen. Im Interesse der Ausweitung von Ruhezeiten haben die Kollegen Uwe Beckmeyer, Volkmar Vogel,
Klaus Hofbauer, Peter Hettlich und Horst Friedrich
({12}) sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Angelika Mertens ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 15/2538 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Anderweitige
Vorschläge sehe ich nicht. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. März 2004, 9 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen allen noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.