Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen und hoffentlich andauernd sonnigen Tag. Sollte die Besetzung ähnlich übersichtlich bleiben, wie sie jetzt ist, habe ich an
dem sonnigen Verlauf unserer Beratungen nicht den geringsten Zweifel.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechte von Verletzten im
Strafverfahren ({0})
- Drucksache 15/2536 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass hierzu
keine Aussprache erfolgen soll. - Ich sehe, dass Einverständnis besteht.
Damit kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung dieses Gesetzentwurfes
auf Drucksache 15/2536 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute im Bundeskabinett diesen Gesetzentwurf beschlossen. Hierbei geht es darum, die Konsequenzen
aus der Jahrhundertflut im Jahre 2002 zu ziehen. Damals sind 21 Menschen ums Leben gekommen. Es gab
Schäden in einer Größenordnung von 9 Milliarden
Euro.
Wir alle wissen, dass sich solche extremen Wetterlagen in den letzten Jahren aufgrund der globalen Erwärmung gehäuft haben. Auch wenn wir ambitioniert Klimaschutz betreiben und dafür Sorge tragen, dass die
globale Temperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts
um nicht mehr als zwei Grad steigt, werden wir mit mehr
solchen extremen Wetterlagen zu rechnen haben. Wir
haben uns also darauf einzustellen, dass die Gefahr,
Hochwasser zu erleben, wächst. Deswegen müssen wir
vorbeugen und Schadensvorsorge betreiben.
Dem dient der vorliegende Gesetzentwurf zur Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes. Durch
ihn werden erstmalig bundeseinheitliche, stringente Vorgaben gemacht. Damit wird das Fünfpunkteprogramm
zur Verbesserung des Hochwasserschutzes umgesetzt,
das damals auf einer großen Konferenz verabredet worden ist. Mit diesem Entwurf knüpfen wir an die offensichtlich bestehenden Vollzugs- und Regelungsdefizite
an. Dies tun wir in Form eines Artikelgesetzes. Das
heißt, dass wir verschiedene Gesetze ändern, die etwas
mit dem Thema Hochwasser zu tun haben. Dabei handelt es sich um Änderungen des Wasserhaushaltsgesetzes, des Baugesetzbuches, des Raumordnungsgesetzes,
des Bundeswasserstraßengesetzes und des Gesetzes über
den Deutschen Wetterdienst, das jetzt allerdings nicht in
„Lex Kachelmann“ umbenannt wird.
Der Grundsatz, der an dieser Stelle gilt, ist: Alle sind
verpflichtet, Hochwasserschäden im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu verhindern. Dazu sollen die Länder erstmalig nach bundeseinheitlichen Vorgaben und ausgehend
vom so genannten hundertjährlichen Hochwasser Überschwemmungsgebiete festsetzen. Dies soll innerhalb
von fünf Jahren geschehen.
Redetext
Darüber hinaus wird erstmalig die Kategorie der
überschwemmungsgefährdeten Gebiete eingeführt. Wir
müssen uns klar machen, dass Deiche und andere Hochwasserschutzeinrichtungen in vielen Fällen keinen
absoluten Schutz gewährleisten können. Allein beim
Jahrhunderthochwasser entlang der Elbe sind über
100 Deiche gebrochen. In diesen Bereichen müssen daher besondere Maßnahmen ergriffen werden.
Schließlich sollen diese Flächen, die Überschwemmungsgebiete und die überschwemmungsgefährdeten
Gebiete, von den Ländern in den Raumordnungs-, den
Flächennutzungs- und, soweit es die Kommunen betrifft,
den Bebauungplänen gekennzeichnet werden, sodass jeder weiß, worum es geht.
Dies muss auch Konsequenzen haben: In festgesetzten Überschwemmungsgebieten dürfen künftig keine
neuen Bau- und Gewerbegebiete mehr ausgewiesen werden. Auf Flächen in Flussauen mit Wohnsiedlungen und
Gewerbeparks hätten wir nämlich die Hochwasserschäden von morgen.
Ähnliches gilt für den Bereich der Landwirtschaft:
Auch sie muss sich stärker an den Gefahren des Hochwassers orientieren. Es ist heute schon so, dass Grünlandumbruch in Überschwemmungsgebieten nicht der
im Bundesnaturschutzgesetz festgelegten guten fachlichen Praxis entspricht. Wir wollen, dass bis 2012 in den
Überschwemmungsgebieten der Ackerbau grundsätzlich
eingestellt und zu anderen Formen landwirtschaftlicher
Nutzung übergegangen wird. Das soll die Bodenerosion
vermindern. Wir haben diese Forderung allerdings auf
jene Teile der Überschwemmungsgebiete beschränkt, in
denen Hochwasser besonders schnell abfließt. Vor Augen hatten wir dabei die Erfahrung, die wir auch beim
Jahrhunderthochwasser gemacht haben, dass in Überschwemmungspoldern, in denen Mais angebaut wurde,
Zehntausende von Fischen gestorben sind - das stank
buchstäblich zum Himmel.
Schließlich widmen wir uns mit dem Gesetzentwurf
auch dem aktiven Hochwasserschutz: Flussgebietsbezogene Hochwasserschutzpläne sind innerhalb von vier
Jahren aufzustellen. Dazu gehören auch Maßnahmen
wie die Deichrückverlegung, die Rückhaltung von Niederschlagswasser sowie die Wiederherstellung von
Auen. Das Bundesumweltministerium hat hier mit zwei
Projekten - im Biosphärenreservat „Mittlere Elbe“ und
am so genannten Bösen Ort, also gegenüber vom
Wendland - Initiativen ergriffen, wie man durch Rückbau von Deichen und Wiederherstellung von Auen Flüssen mehr Raum geben kann und damit gleichzeitig mehr
Hochwasserschutz erreicht. Der Kern dieser Maßnahmen ist eine andere Flusspolitik: den Flüssen wieder
mehr Raum zu geben. Die Bundesregierung hat in Konsequenz des Jahrhunderthochwassers die Staupläne für
die Donau ebenso gestoppt wie die Ausbaupläne für die
Elbe. Wir begrüßen es sehr, dass der tschechische Senat
den Plan von Staustufen auf dem tschechischen Teil der
Elbe nicht weiter verfolgt.
Schließlich haben wir festgelegt, dass Aus- und Neubau von Wasserstraßen künftig hochwasserneutral vorzunehmen sind. Das heißt für uns auch, dass der Sachverstand etwa des Bundesamtes für Naturschutz bei
solchen Planfeststellungsverfahren künftig hinzuziehen
ist.
Alles in allem ist uns ein, wie wir finden, ausgewogener Kompromiss gelungen. Das war nicht immer ganz
einfach. Ich bedanke mich bei den Kollegen im Ministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Ich glaube, wir haben mit diesem
Gesetzentwurf die Konsequenzen aus der Hochwasserkatastrophe gezogen: Künftig setzen wir beim Hochwasserschutz auf Vorsorge und auf Schadensvermeidung.
Danke.
Vielen Dank für den Bericht. - Ich rufe nun Zusatzfragen zu dem Bericht der Bundesregierung auf. Das
Wort hat der Kollege Koppelin.
Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. - Ich habe
eine Vorbemerkung, da Sie gerade das Ministerium von
Frau Künast angesprochen haben: Es erstaunt mich
schon, dass jetzt niemand von diesem Ministerium anwesend ist.
Damit komme ich gleich zum Thema: Sie haben die
Deiche und die Probleme der Landwirtschaft bei Hochwasser angesprochen. Wie können Sie mir dann
erklären - ich hätte diese Frage eigentlich gerne an das
Ministerium von Frau Künast gerichtet; ich bin ja Hauptberichterstatter für den Einzelplan 10 -, dass bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung des Küstenschutzes“
in den letzten Jahren die Mittel in erheblichem Maße
gestrichen worden sind? Selbst nach der Hochwasserkatastrophe sind noch Mittel gestrichen worden. Das
passt doch überhaupt nicht zusammen.
Lieber Herr Kollege Koppelin, ich will hier nicht der
Versuchung erliegen, auf alle Details dieser Gemeinschaftsaufgabe einzugehen. Aber Sie wissen sehr wohl,
dass diese Gemeinschaftsaufgabe keine ausschließliche
Veranstaltung der Bundesregierung ist, sondern ein außerordentlich schwieriger Prozess, der mit den Bundesländern abgestimmt werden muss, worauf diese großen
Wert legen. Sie wissen, dass im Rahmen dieser Gemeinschaftsaufgabe mittlerweile wieder Mittel für den Rückbau zur Verfügung gestellt werden, auch als Konsequenz
aus der Hochwasserkatastrophe.
Ich habe mit Absicht darauf verwiesen, wie man
Deichrückbau und Wiederherstellung von Auen betreiben kann und dass dies zurzeit zum Teil mit Mitteln des
Naturschutzes entlang der Elbe praktiziert wird. Ich
kann und muss Ihre Frage mit dieser Einschränkung beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Herr Minister, ich komme aus Schleswig-Holstein.
Dort hat die rot-grüne Landesregierung die Mittel für
den Küstenschutz erheblich gestrichen; die notwendigen
Mittel stehen nicht zur Verfügung. Der Bund hat ebenfalls Mittel gestrichen. Wie erklären Sie denn den Menschen an der Elbe, zum Beispiel in Lauenburg, dass in
dieser Weise die Mittel sowohl von der Landesregierung
als auch von der Bundesregierung gestrichen wurden
und Sie uns jetzt trotzdem etwas über Küstenschutz erzählen und darstellen, was notwendig ist?
Lieber Herr Kollege Koppelin, ich habe mit Absicht
über den Hochwasserschutz insbesondere entlang der
Flüsse gesprochen. Sie werden feststellen müssen, dass
gerade innerhalb des von Ihnen genannten Zeitraums das
Bundesumweltministerium dabei ist, mit einem erheblichem Aufwand in Millionenhöhe in diesem Bereich für
mehr Hochwasserschutz zu sorgen. Insofern kann ich
Ihre Frage nicht ganz nachvollziehen.
Frau Kollegin Homburger.
Herr Minister, Sie haben dargestellt, dass das Kabinett heute einen Beschluss zu einem Gesetzentwurf zur
Verbesserung des Hochwasserschutzes gefasst hat. Die
Diskussion darüber gibt es ja bereits seit längerer Zeit.
Sie haben am 15. September 2002 eine Flusskonferenz
durchgeführt und bereits im August letzten Jahres haben
Sie einen Gesetzentwurf vorgestellt. Mich würde interessieren, warum es bis zum heutigen Beschluss des Kabinetts noch so lange gedauert hat.
Als ich Ihnen gerade zugehört habe, habe ich einige
Punkte entdeckt, die die FDP gefordert hat, beispielsweise betreffend Baugebiete in Überschwemmungsgebieten, betreffend die Hochwasserschutzpläne oder auch
die Kooperation in Flussgebietseinheiten. Warum haben
Sie den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion auf
Drucksache 15/1334, der bereits im Juli letzten Jahres in
den Deutschen Bundestag eingebracht wurde und all
diese Forderungen enthielt, abgelehnt?
({0})
Ich will an der Stelle aus der Position der Bundesregierung den Hinweis des parlamentarischen -
Es wäre ganz gut, wenn auch zugehört würde, wenn
die vom Minister erbetene Auskunft erteilt wird.
({0})
Ich glaube, der Zwischenruf des geschätzten Parlamentarischen Geschäftsführers der Fraktion der Grünen
ist zumindest sachlich zutreffend.
({0})
Solche Anträge werden in der Tat vom Bundestag und
nicht von der Bundesregierung abgelehnt.
Die Bundesregierung hat diese fünf Eckpunkte umgehend im September 2002 - Sie haben zu Recht auf die
Flusskonferenz verwiesen - vorgelegt. Das Bundesumweltministerium hat einen Gesetzentwurf verfasst und
über diesen Gesetzentwurf sehr ausführlich und sehr
gründlich gerade mit den Betroffenen - das sind zum
Beispiel die kommunalen Spitzenverbände und die Landesregierungen, aber auch die Verbände beispielsweise
der Landwirtschaft und die Naturschutzverbände - diskutiert, um am Ende zu einem Ergebnis zu kommen, von
dem wir glauben, dass es die Notwendigkeit, vorzubeugen und sich dabei auch den Nutzungskonflikten zu stellen, miteinander vereinbart.
Jeder, der aus der Kommunal- oder Landespolitik
kommt, weiß, was für ein Druck beispielsweise auf Gemeinden liegt, neue Wohngebiete auszuweisen. Dass
diesem Druck in vielen Ländern - das sage ich jenseits
aller Parteipolitik - vielfach nachgegeben wird, beschreibt die Notwendigkeit, zu einer bundesgesetzlichen
Regelung zu kommen.
All dies hat eine bestimmte Zeit in Anspruch genommen. Ich glaube, dass wir jetzt für diesen Gesetzentwurf
ein sehr solides und valides Fundament haben. Ich freue
mich auf die Beratungen. Noch mehr freue ich mich darauf, wenn die FDP-Fraktion an dieser Stelle so nachdrücklich, wie Sie es eben angedeutet haben, Frau
Homburger, Ja dazu sagt, dass in Überschwemmungsgebieten nicht mehr geplant und keine neuen Baugebiete
mehr ausgewiesen werden dürfen. Wenn Sie so nachdrücklich dafür plädieren, dass in Überschwemmungsgebieten künftig auch kein Ackerbau betrieben werden
darf, dann sind wir in dieser Frage einen ganzen Schritt
weiter. Ich freue mich über die Unterstützung aus der
Opposition.
Frau Homburger.
({0})
Herr Minister, wir werden diesen Gesetzentwurf, den
wir - im Gegensatz zu Ihnen - in der heute beschlossenen Fassung bisher nicht vorliegen haben, selbstverständlich in allen Punkten prüfen und dann im Rahmen
der Auseinandersetzung im parlamentarischen Bereich
über die Einzelpunkte debattieren. Bei dem einen oder
anderen Punkt werden wir sicherlich nach wie vor divergierende Meinungen haben. Ich sage es einmal so: Es
wäre schön gewesen, wenn man die offensichtlich unstrittigen Punkte - nicht alle Punkte sind unstrittig, aber
solche gibt es - gemeinsam hier hätte beschließen können. Vielleicht hätte Ihnen das sogar ein wenig geholfen.
Das lasse ich aber einmal dahingestellt.
Herr Minister, ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung im Rahmen des Versuchs, ein flussgebietsbezogenes Hochwassermanagement einzuführen, auch
Gespräche mit anderen Ländern geführt hat, bei denen es
über das hinausging, was nun im Hochwasserschutzgesetz festgelegt wurde. Wenn ja: Bezieht sich das auf
alle großen länderübergreifenden - das meine ich nicht
bezogen auf die Bundesländer, sondern bezogen auf unsere Nachbarstaaten - Flussläufe? Wie ist der Stand der
Verhandlungen an dieser Stelle?
Frau Kollegin, ich hatte es ja bewusst konditional gesagt: Wenn Sie es denn gelesen haben und dann zu dem
Ergebnis kommen, würde mich das freuen. Über das entspannte Miteinanderumgehen der FDP und der Bundesregierung gerade in den letzten Tagen freuen wir uns natürlich ganz besonders.
Zu den Hochwasseraktionsplänen: Im vergangenen
Herbst haben wir einen solchen Hochwasseraktionsplan auch für den letzten großen Fluss, die Elbe, beschlossen. Für den Rhein gibt es diesen ja schon. Dieser umfasst alle Anliegerstaaten, also die Tschechische
Republik und die Bundesrepublik Deutschland. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland umfasst er auch
alle Elbe-Anlieger. Ich muss an dieser Stelle sagen, dass
es mit der Tschechischen Republik zwar einen Konflikt
über die Staustufen gab. Bei dem Hochwasseraktionsplan lagen die Probleme aber weniger auf der tschechischen als auf der deutschen Seite. Fairerweise muss ich
betonen, dass die Schwierigkeiten weniger in den ostdeutschen Bundesländern als bei den Unterliegern
lagen. Das ist eine bei Flussfragen nicht untypische
Situation.
In diesem Rahmen wurde inzwischen ein umfassender Plan vorgelegt. Er beinhaltet beispielsweise den
Rückbau von Deichen an sieben Stellen. Dabei geht es
um den Versuch, der Elbe, die als einer der letzten europäischen Flüsse noch frei durch die Landschaft mäandert, dennoch aber nur noch 15 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche umfasst, ein Stück mehr Raum zu geben,
um so zu einer Entspannung zu kommen. Dies wurde
verabschiedet. Man kann sich das beim Sekretariat der
Internationalen Kommission zum Schutz der Elbe im
Detail anschauen.
Gibt es weitere Zusatzfragen, um die mehrfach ausdrücklich zu Protokoll gegebene Freude des Umweltministers am bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren weiter zu befördern? - Frau Kollegin Flachsbarth.
Herr Minister, wurde bei dem nun vorgelegten Gesetzentwurf auch berücksichtigt, dass es Untersuchungen gibt, die eindeutig ausweisen, dass bewachsene
Ackerflächen genauso gut gegen Hochwasser resistent
sind - wenn ich das so sagen darf - wie Grünlandflächen? Wurde außerdem berücksichtigt, dass in Überschwemmungsgebieten einiger Flussläufe, zum Beispiel
der Leine, 75 Prozent der Ackerflächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung herausfallen würden? Was wurde
in Bezug auf die Entschädigungen für die betroffenen
Landwirte geregelt?
Verehrte Frau Kollegin, Sie haben mit der Leine ein
Beispiel angeführt, das mir immer vor Augen steht. Von
1985 bis Mitte der 90er-Jahre bin ich sehr intensiv, eigentlich jeden Tag, zwischen Hannover und Göttingen
gependelt. Entlang der alten Bahnstrecke konnte ich die
Entwicklung erkennen, wie aus Grünland schrittweise
mehr und mehr Ackerland geworden ist. Schon damals
haben alle gesagt: Das ist eine ganz verhängnisvolle Entwicklung, weil es dadurch - das haben Sie beschrieben zur Erosion kommt.
Ist das ein Grund, die Landwirte an dieser Stelle zu
beklagen? - Nein! Die Landwirte sind über den Umstand
in diese Situation gebracht worden, dass die Grünlandwirtschaft weniger Möglichkeiten wirtschaftlicher Art
bietet als bestimmte Formen des Ackerbaus, der, wie gesagt, unter dem Aspekt einer guten fachlichen Praxis
schon damals nicht angemessen gewesen ist.
Wir wollen diesen Prozess mit einer Perspektive, bezogen auf das Jahr 2012, schrittweise rückgängig machen. Wir werden bei diesem Verfahren selbstverständlich berücksichtigen, dass es Veränderungen in der
Finanzierung und Subventionierung der Landwirtschaft
gibt, zum Beispiel den Übergang von Maisprämien auf
eine flächenbezogene Förderung, was den Abstand zwischen Grünlandwirtschaft und Ackerbau vermindert. Es
wird auch die Möglichkeit bestehen, auf Forderungen
nach Entschädigungen einzugehen.
Darüber hinaus haben wir noch etwas getan - das
knüpft an die Idee an, die Sie am Anfang genannt haben -:
Es ist nicht so, dass wir den Ackerbau immer und überall
komplett verbieten. Zurzeit reden wir von etwa
700 000 Hektar Ackerbauflächen in Überschwemmungsgebieten. In anderen Bereichen, wo es keinen
schnellen Abfluss gibt, glauben wir, dass man mit
Ackerbau unter der Voraussetzung, dass es an dieser
Stelle eine ganzjährige Bodenbedeckung gibt - das haben Sie angesprochen -, in solchen als Überschwemmungsgebiete gekennzeichneten Regionen leben kann.
Das heißt, wir haben sehr bewusst eine ausgewogene
Entscheidung getroffen, die das völlige Ackerbauverbot
ab 2012 ausschließlich auf die Gebiete konzentriert, wo
im Falle eines Hochwassers mit sehr schnellen Abflüssen zu rechnen ist und die Bedeckung, die beim Ackerbau möglich ist, nichts mehr nützt.
Weitere Wortmeldungen?
({0})
- Bitte schön, Frau Flachsbarth.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Wie Ackerbau mit einer ganzjährigen Bedeckung funktionieren soll, müssen
Sie mir ehrlich gesagt noch einmal erklären; das habe ich
nicht wirklich verstanden. Außerdem ziele ich auf eine
Untersuchung ab, nach der beim Ackerbau, also dem
Aufwuchs von Pflanzen und der Neubestellung, nur der
Zeitraum unmittelbar um die Neubestellung ein sehr kritischer Zeitraum ist. Sobald aber der Bewuchs auf der
Fläche wieder vorhanden ist, besteht sehr wohl ein mit
der Grünlandwirtschaft gleichwertiger Hochwasserschutz. Da dieser Zeitraum der unmittelbaren Neubestellung relativ kurz ist und zum Teil von den Perioden, in
denen ortsüblich Hochwasser auftreten kann, deutlich
abweicht, möchte ich nachfragen, ob Sie bei Ihrem Gesetzentwurf auch diese Untersuchung berücksichtigt haben.
Wir haben versucht, den Wissensstand in diesem Bereich bei der Ausformulierung des Gesetzes zugrunde zu
legen. Unser Problem ist - das muss ich an dieser Stelle
aus klimapolitischer Sicht sagen -, dass heute nicht mehr
die klare Trennung zwischen Winter- und Sommerhochwasser existiert, die es früher gab. Das heißt, die so genannten typischen Zeiträume, in denen Hochwässer in
besonderer Weise auftreten, haben sich über das Jahr
verteilt. Deswegen sind wir zu der Herangehensweise
übergegangen, dass die primäre und sinnvoll angepasste
Nutzung im Bereich von Überschwemmungsgebieten
Grünlandwirtschaft ist. Die Möglichkeiten zur Umstellung verbessern wir. Den Umstieg in diesem Bereich
können wir über die zweite Säule der EU-Agrarpolitik
finanzieren.
Hinsichtlich der ganzjährigen Bedeckung haben wir
uns auf den Sachverstand der Landwirtschaft verlassen.
Diese Praxis gibt es schon. Insofern glauben wir, einen
vernünftigen und ausgewogenen Kompromiss zwischen dem berechtigten Anspruch auf Ackerbau und
den Erfordernissen des Hochwasserschutzes gefunden
zu haben.
Hierzu liegen offenkundig keine weiteren Fragen vor.
Ich darf nachfragen, ob es möglicherweise Fragen zu
anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung gibt. Das ist nicht einmal beim Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD der Fall.
({0})
Gibt es sonstige Fragen an die Bundesregierung?
({1})
- Ich vermute, dass bei diesen mehr oder weniger ernst
gemeinten Fragen unter den Ministern nicht so schnell
eine Einigung herbeigeführt werden kann, wer sie repräsentativ für die Bundesregierung beantworten soll.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/2564 Die den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Justiz betreffenden Fragen 1 und 2 der Kollegin
Tanja Gönner werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier steht zur
Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär
Christoph Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
Ist die Äußerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder
- in einem gemeinsamen Brief mit Präsident Jacques Chirac
und Premierminister Tony Blair an den Präsidenten des Europäischen Rates, Bertie Ahern, und den Präsidenten der Europäischen Kommission, Romano Prodi, vom 18. Februar
2004 -, Europa müsse sich an Projekten wie ITER beteiligen,
so zu verstehen, dass sich auch Deutschland künftig in der
Großgeräteforschung engagieren will, und wie passt diese
Äußerung des Bundeskanzlers dazu, dass sich Deutschland
ausdrücklich nicht als Standort für ITER beworben hat?
Sehr geehrter Herr Kollege Kretschmer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Deutschland war und ist sehr
erfolgreich in der Forschung mit Großgeräten engagiert.
Beispiele sind die Beschleunigeranlagen der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt und des
Deutschen Elektronen-Synchrotrons ({0}) in Hamburg oder auch das Fusionsexperiment Wendelstein 7-X
in Greifswald sowie die deutsche Beteiligung am CERN
in Genf, an der ESRF in Grenoble oder dem Fusionsexperiment JET in Culham.
Mit dem inzwischen auf europäischer Ebene beschlossenen Standortvorschlag Cadarache in Frankreich
für ITER sind alle weiteren Standortdiskussionen in Europa hinfällig. Im Übrigen hat sich die Bundesrepublik
Deutschland bereits unter der Vorgängerregierung im
Juli 1996 gegen eine Bewerbung um einen ITER-Standort in Deutschland ausgesprochen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Kretschmer.
Es ist nicht so, Herr Staatssekretär, dass Sie sich
grundsätzlich an das halten, was die Vorgängerregierung
gemacht hat, was in einigen Fällen gut für dieses Land
gewesen wäre. Meine Frage bezieht sich auf ITER. Die
Kompetenz für diesen Kernfusionsreaktor ist in
Deutschland vorhanden. Wie bewertet die Bundesregierung, dass das Wissen jetzt offenbar abfließt und die
Kosten in Zukunft die Europäische Union tragen soll?
Herr Kollege Kretschmer, Sie wissen wahrscheinlich
so gut wie ich, dass ITER ein internationales Projekt ist,
an dem sich viele Staaten beteiligen. Verhandelt wird das
Projekt für uns von der Europäischen Union. Natürlich
werden sich deutsche Forschungseinrichtungen an diesem Projekt beteiligen. Hätten wir uns als Sitzland beworben, dann müssten wir - das ist noch nicht ganz ausgehandelt - etwa 10 bis 20 Prozent der Baukosten
tragen. Das sind nach den gegenwärtigen Schätzungen
500 Millionen bis 1 Milliarde Euro. Das würde bedeuten, dass wir andere Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet, auch Wendelstein 7-X in Greifswald, nicht mehr
finanzieren könnten. Insofern war die Entscheidung der
Vorgängerregierung, sich nicht um einen Standort für
ITER zu bewerben, konsequent. Wir haben keinen
Grund, diese Entscheidung zu ändern.
Herr Staatssekretär, der Bundeskanzler schreibt in seinem Brief, dass ITER ein Beispiel für Großprojekte sei,
die auf europäischer Ebene unterstützt werden sollen.
Meine zweite Frage lautet: Welche anderen Großgeräteforschungsanlagen sind von der Bundesregierung geplant? Wie viele dieser Anlagen sollen in Zukunft über
die Europäische Union finanziert werden? Ist möglicherweise an die Realisierung der Neutronenspallationsquelle ESS gedacht?
Herr Kollege Kretschmer, Sie kennen die Schwerpunkte, die die Bundesregierung bei den Großgeräten
gesetzt hat. Das sind Großgeräte, die in internationaler
Kooperation gebaut werden. Dazu laufen Verhandlungen
mit anderen Partnern in Europa. Es gibt keine Empfehlung vom Wissenschaftsrat, die europäische Neutronenspallationsquelle jetzt zu realisieren. Deshalb verfolgen
wir dieses Projekt im Moment nicht.
Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen
nicht vor.
Wir kämen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Da die für die Beantwortung vorgesehene
Staatsministerin Müller auf dem Wege hierher ist und
wegen der beschleunigten Beendigung der Regierungsbefragung, wie ich finde, zu akzeptieren ist, dass sie
nicht früher hier sein musste, schlage ich vor, dass wir
die drei Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern vorziehen, da sowohl der zuständige Parlamentarische Staatssekretär als auch die
erste Fragestellerin hier sind. Kann ich dazu Einvernehmen feststellen? - Das ist so. Ich bedanke mich.
Wir kommen dann zur Frage 14 der Abgeordneten
Petrau Pau:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im vierten
Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Herr Kollege Körper.
Herr Präsident! Ich beantworte die Frage der Abgeordneten Pau wie folgt: Im vierten Quartal 2003 wurden
insgesamt 339 antisemitische Straftaten, die dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität - rechts“
zuzuordnen sind, gemeldet. Darunter waren 52 so genannte Propagandadelikte und sechs Gewaltdelikte. Bei
letzteren handelt es sich um fünf Körperverletzungen
und eine Brandstiftung.
Im vierten Quartal 2003 wurden zwei Personen verletzt. Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.
Frau Pau.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. - Da Sie sicherlich wie immer auch auf meine Nachfrage umfassend vorbereitet sind, frage ich Sie, wie sich diese Straftaten auf die einzelnen Bundesländer aufteilen.
Wie Sie wissen, wird darüber keine offizielle Statistik
geführt. Insofern liegt uns dazu kein zu veröffentlichendes Material vor.
Ich kann Ihnen mitteilen, dass diese Art von Straftaten in allen Bundesländern vorkommen. Ich will es
nicht wagen, von einem besonderen Schwerpunkt in
einem Bundesland zu sprechen. Das geben die Zahlen in
ihrer jeweiligen Zuordnung nach meinem Dafürhalten
nicht her. Es gibt vielmehr sozusagen eine relativ breite
Streuung.
Weitere Zusatzfrage.
Ich habe noch eine zweite Nachfrage. Wir wissen,
dass diese Zahlen jeweils vorläufig sind und dass sich im
Laufe des Jahres noch Veränderungen ergeben. Haben
Sie schon einen Überblick über die Entwicklung in den
ersten drei Quartalen aufgrund von Nachmeldungen und
Korrekturen?
Weil sich Ihre Frage auf das vierte Quartal 2003 bezogen hat, habe ich sofort intern nachgefragt, ob wir nicht
das gesamte Jahresergebnis mitteilen können. Aber - das
ist Ihnen bekannt - es ist dabei ein bestimmtes Verfahren
zu berücksichtigen. So hat beispielsweise im Jahr 2002
die Nachmeldequote 45 Prozent betragen. Das ist erheblich und zeigt, dass, wenn man exakte Ergebnisse übermitteln will, die Nachmeldequote abzuwarten ist. Anderenfalls hätte ich Ihnen gerne auch das Jahresergebnis
mitgeteilt.
Ich rufe nun die Frage 15 - ebenfalls von der Kollegin
Pau - auf:
Wie viele Abschiebungen - bitte genau nach den Zielregionen aufschlüsseln - wurden in den Jahren 2002 und 2003
auf dem Luftweg von deutschen Flughäfen durchgeführt?
Frau Kollegin Pau, über deutsche Flughäfen wurden
im Jahr 2003 insgesamt 23 944 Abschiebungen auf dem
Luftweg durchgeführt. Für das Jahr 2002 war eine Größenordnung von exakt 26 286 Abschiebungen zu verzeichnen. Im Jahr 2003 wurden insgesamt 127 Zielländer angeflogen. Eine Auflistung der einzelnen Länder
kann ich Ihnen zukommen lassen. Zu Ihrer Information:
Bei den Zielländern war 2002 fast die gleiche Größenordnung zu verzeichnen; statt 127 waren es 124 Zielländer.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, zunächst herzlichen Dank für
diese Fakten. Die erwähnte Auflistung würde ich gerne
bekommen.
Liegen Ihnen Angaben vor, in wie vielen Fällen Abschiebungen gegen den Widerstand von Abzuschiebenden vorgenommen wurden?
Nein, diese Angaben liegen mir nicht im Einzelnen
vor. Ihre Frage bezieht sich sicherlich insbesondere auf
die Fälle, in denen Gewalt eine Rolle gespielt hat. Zu
dem Vorgang der Abschiebung kommt es immer dann,
wenn jemand auf die Aufforderung, das Land zu verlassen, nicht eingeht, sodass er in das jeweilige Zielland abgeschoben werden muss. Darauf bezieht sich Ihre Frage.
Wie Sie wissen, sind für die Abschiebungen in erster Linie die Länder zuständig. Der Bundesgrenzschutz ist im
Zuge der Amtshilfe daran beteiligt.
Wie schwierig sich ein Abschiebungsprozess im Einzelfall darstellt und wie schwierig er ist, kann statistisch
wohl nur sehr schwer erfasst werden. Tatsache ist, dass
die eine oder andere Abschiebung leichter durchzuführen ist, während die eine oder andere leider zu schwierigsten Situationen führt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich möchte gern noch erfahren,
wie sich die Bundesregierung gegenüber der italienischen Initiative verhält, die auf einen Erlass des Rates
zur Organisation von Sammelflügen abzielt.
Ich glaube, bisher haben wir nur in ganz wenigen Fällen Sammelflüge organisiert. Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, dann ist dies bisher in einem besonderen Fall erfolgt. Aufgrund des föderalen Systems
in Deutschland - darauf habe ich schon vorhin hingewiesen - sind die Bundesländer für Abschiebungen zuständig. Sie schieben in der Regel diejenigen ab, für die sie
jeweils zuständig sind. Das ist bei der Beantwortung der
Frage nach den Sammelabschiebungen zu berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ist
Ihnen bekannt, wie viele Menschen aus Furcht vor drohender Abschiebung einen Selbstmordversuch unternommen bzw. Selbstmord begangen haben?
Dass es zu dem einen oder anderen von Ihnen geschilderten Vorfall gekommen ist, weiß jeder, der aufmerksam die Zeitungen liest. Aber ich kenne keine diesbezügliche statistische Auflistung. Es ist auf jeden Fall
wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass der schwierige Vorgang der Abschiebung, der in der Tat sehr einschneidend
für die Betroffenen ist, human gestaltet wird. Die Beamtinnen und Beamten, die damit betraut sind, sind sehr
sensibel und achten darauf, dass nach Möglichkeit solche Vorkommnisse nicht eintreten. Aber die Vergangenheit hat, wie gesagt, gezeigt, dass diesbezüglich das eine
oder andere nicht auszuschließen ist.
Vielen Dank. - Ich wäre Ihnen dankbar, Herr Kollege
Körper, wenn Sie so lange warten könnten, bis der Kollege Sehling - hoffentlich - eingetroffen ist. Wir sollten
natürlich fair gegenüber allen Seiten sein.
Herr Präsident, aber ich muss nicht im Stehen warten.
Darauf können wir uns sofort verständigen. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass nur die Beantwortung der
Fragen im Stehen zu absolvieren ist. Laut unserer Geschäftsordnung sind also Wartezeiten nicht mit Stehverpflichtungen verbunden.
({0})
- Das wäre aber schon hart an der Grenze zu einer Ergänzung der Geschäftsordnung, die ich auf dem üblichen
formalen Wege zu betreiben bitte.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Kerstin Müller zur Verfügung.
Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Dr. Schröder sowie
die Frage 6 des Kollegen Dr. Jüttner werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 7 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch auf:
Was unternehmen die Bundesregierung und die in Afghanistan stationierten Bundeswehrtruppen politisch, militärisch
und finanziell gegen den zunehmenden Rohopiumanbau in
Afghanistan und auf welche Erfolge kann die Bundesregierung im Kampf gegen den Rohopiumanbau verweisen?
Die Frage beantworte ich wie folgt: Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und zum
Wiederaufbau Afghanistans. Unser Engagement haben
wir durch die Übernahme eines regionalen Wiederaufbauteams in Kunduz, die Einrichtung einer Außenstelle
der Botschaft in Herat und die Verstärkung der Hilfe
beim Polizeiaufbau erheblich ausgeweitet. Wir tragen
maßgeblich dazu bei, dass die Menschen in Afghanistan
wieder mit Optimismus in die Zukunft blicken können
und dass von diesem Land weniger Bedrohung für die
Welt, insbesondere für Europa und Deutschland, ausgeht.
Deutschland hat im Rahmen einer internationalen Arbeitsteilung in Afghanistan die Führungsfunktion beim
Aufbau der Polizei übernommen. Dies schließt auch den
Aufbau einer afghanischen Drogen- und Grenzschutzpolizei ein und stellt einen wichtigen Beitrag zur von
Großbritannien übernommenen Aufgabe der Bekämpfung des Drogenanbaus dar.
Entwicklungspolitisch fördern wir Maßnahmen zur
Schaffung alternativer Einkommensmöglichkeiten für
Menschen, die bisher vom Opiumanbau bzw. -handel leben. Ebenfalls engagieren wir uns in einem Projekt zur
Drogenkonsumprävention. Insgesamt hat Deutschland
bisher 320 Millionen Euro für den Zeitraum 2002 bis
2005 an Unterstützung für Afghanistan zugesagt.
Im Rahmen der parlamentarischen Behandlung des
aktuellen Bundestagsmandates zur Beteiligung an ISAF
hat die Bundesregierung zugesichert, dass die Drogenbekämpfung nicht im Mandat des Bundeswehreinsatzes
enthalten ist. Zentrale Aufgabe der Sicherungskomponente im deutschen Wiederaufbauteam ist die Schaffung
eines Klimas der Sicherheit, in dem unter anderem
afghanische Kräfte zur Drogenbekämpfung ausgebildet
werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin,
ist der Bundesregierung bekannt, dass der Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen, INCB, in seinem
Jahresbericht einschätzt, dass der Drogenanbau in
Afghanistan trotz politischer Veränderungen nicht zurückgeht, sondern - im Gegenteil - ansteigt? Welche
Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung daraus?
Das ist uns bekannt. Wir ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass wir uns im Rahmen unserer finanziellen
Möglichkeiten und im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung weiter für diejenigen Aufgaben einsetzen,
die ich Ihnen gerade genannt habe. Wir sind insbesondere in der Ausbildung der Polizei tätig. Dabei geht es
unter anderem um den Aufbau einer Polizei, die im Bereich der Drogenbekämpfung eingesetzt werden kann.
Für die Bekämpfung des Drogenanbaus und Drogenhandels ist Großbritannien zuständig.
Ich kann nur sagen: Dies ist ein Problem, das man
nicht von heute auf morgen lösen kann; es geht vielmehr
um langfristige Strategien. Vor allen Dingen muss es darum gehen, Einkommensalternativen für die Menschen
zu entwickeln. Ich könnte Ihnen jetzt sehr ausführlich
darstellen, was wir da machen. Sie wissen ja: Die jährlichen deutschen Leistungen in Afghanistan betragen
circa 80 Millionen Euro. Sie werden für die Schaffung
von Einkommensmöglichkeiten - Arbeitsplätze, der
Ausbau einer sozialen wirtschaftlichen Infrastruktur, Ernährungssicherungsvorhaben im ländlichen Raum, die
Förderung der Privatwirtschaft, Maßnahmen zur Trinkwasseraufbereitung, Elektrifizierungsprogramme, die
Förderung der Privatwirtschaft, Minikreditprogramme eingesetzt.
Durch diese Hilfe entstehen sukzessive Erwerbsalternativen zum Opiumanbau. Das dient dazu, die Lebensverhältnisse ländlicher Familien zu verbessern. Ich
könnte Ihnen noch ausführlicher darstellen, wie genau
und in welchem Umfang wir dort die Polizei ausbilden.
Zusammengefasst: Es geht hier um eine langfristige
Strategie. Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung
soll sich gerade nicht jedes Land um alle Probleme in
Afghanistan kümmern.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatsministerin,
wenn Sie sagen, nicht jedes Land solle sich um alle Probleme kümmern, dann scheint es mir doch ein sehr zentrales Problem zu sein - aber gut.
In dem von mir erwähnten Bericht wird auch die
Einschätzung getroffen, dass Österreich für den Drogenhandel als Tor in den Westen dient, dass also
gerade über Österreich viele Drogen, viele Opiate
direkt aus Afghanistan nach Europa kommen. Welche
Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus dieser Erkenntnis? Wie arbeitet sie mit den österreichischen Behörden zusammen, um dem Drogenhandel
über den Weg Afghanistan-Österreich-Europa entgegenzutreten?
Man könnte jetzt wahrscheinlich verschiedene Länder
nennen, über die der Opiumhandel und der Handel mit
anderen Drogen abgewickelt werden. Wir arbeiten natürlich im Rahmen Europas, im Rahmen der internationalen
Gemeinschaft - es gibt eine entsprechende Kommission
im Rahmen der Vereinten Nationen - mit den Österreichern zusammen.
Noch einmal: Ich glaube, dass kurzfristige Strategien
hier nicht helfen. Man muss zum einen mit polizeilichen
Maßnahmen antworten; zum anderen muss es letztlich
darum gehen - davon bin ich fest überzeugt -, für die
Menschen in Afghanistan eine Einkommensalternative
zu entwickeln. Nur wenn das gelingt, ist es möglich,
dass der Bauer vor Ort eben nicht Opium, sondern etwas
anderes anbaut.
Bis es uns, damit meine ich die internationale Gemeinschaft, gelungen ist, eine solche Alternative zu entwickeln, wird sicherlich - das verhehle ich nicht - einige
Zeit vergehen. Die internationale Gemeinschaft verfolgt
einen langfristigen, nachhaltigen politischen Ansatz. Bis
es so weit ist, muss man alles tun, was im Rahmen der
Zusammenarbeit mit Österreich oder anderen Ländern
möglich ist, um zu verhindern, dass hier Drogen eingeschmuggelt werden. Langfristig muss es darum gehen,
die Ursachen zu bekämpfen.
Frau Pau, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, Sie sagten, dass Sie über die
Erfahrungen beim Aufbau der Polizei bzw. bei der Polizeiausbildung ausführlicher berichten können. Ich
möchte Ihnen mit meiner Nachfrage diese Gelegenheit
geben: Wie sind die bisherigen Erfahrungen beim Aufbau einer Drogen- und Grenzpolizei? Auf welche
Schwerpunkte konzentrieren Sie sich bei der Ausbildung?
Wie gesagt, die Polizeiausbildung ist einer der
Schwerpunkte der deutschen Unterstützung. Dafür wurden seit 2002 9 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Dies umfasst die Ausbildung von circa 3 500 Polizeibeamten, übrigens Polizisten und Polizistinnen. Das ist ein
wichtiges Pilotprojekt, das sehr interessant ist und auch
Vorbildfunktion für andere Länder haben wird. Es umfasst ferner den Aufbau einer Polizeiakademie und die
Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen wie Kfz und
Telekommunikationseinrichtungen.
Von den bisherigen Aktivitäten beim Aufbau der Antidrogenpolizei, der Counter Narcotics Police of Afghanistan, CNPA, lassen sich die Renovierung und die Ausstattung zweier Gebäude, die Erstellung spezifischer
Ausbildungskonzepte sowie die Durchführung von
Schulungsmaßnahmen hervorheben, durch die die Auswertungs- und Informationsbeschaffungseinheit ihre Arbeit bereits aufnehmen konnte.
Des Weiteren unterstützt die Bundesregierung Afghanistan beim Aufbau der Grenzpolizei, zu deren Aufgaben die Unterbindung des Schmuggels gehört.
Von den von Deutschland jährlich insgesamt erbrachten Leistungen von 80 Millionen Euro werden 30 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt und 30 Millionen Euro
vom BMZ verwaltet. 20 Millionen Euro sind für Leistungen an multilaterale Geber wie das VN-System in
Afghanistan, also UNAMA, vorgesehen, zum Beispiel
zur Bezahlung von Gehältern von Polizisten und Polizistinnen sowie Lehrern und Lehrerinnen über das UNDP.
Neben den genannten Bereichen unterstützt Deutschland Afghanistan auch auf dem Gebiet der Rechtsberatung - es ist sehr wichtig, diese Institutionen aufzubauen -, des Universitätswesens und der politischen
Bildung. Auch Projekte im Bereich Kultur, unter anderem von der Deutschen Welle, das Projekt Goethe-Institut - das ist eines der ersten Kulturinstitute, das in
Afghanistan überhaupt wieder eröffnet hat -, sowie im
Bereich der Bildung und Frauenförderung, zum Beispiel
in Kandahar, werden gefördert.
Dies alles ist im Rahmen einer Gesamtstrategie und
natürlich auch im Rahmen der Mittel zu sehen, die von
den anderen Gebern im Zuge der internationalen Arbeitsteilung zur Verfügung gestellt werden.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Eckart von Klaeden
auf:
Wie verhält sich die Aussage im Schreiben des Auswärtigen Amts, AA, vom 25. Juni 2003 in der Angelegenheit Hans
E. O., Dresden, an den Petitionsausschuss, dass die Auslandsvertretungen weltweit in jedem Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind, zu den Vorwürfen des Kölner
Landgerichts an das AA im Zusammenhang mit der Urteilsverkündung im Fall A. B. sowie zu der Tatsache, dass das so
genannte Reisebüroverfahren praktiziert wurde, sowie zu der
Aussage im Schreiben des AA vom 2. August 2001 an den
Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen, wo es
heißt, dass bei Gruppenreisen aus der Ukraine in die EU der
Reisezweck und die Umstände der Reise nur einmal für alle
Gruppenmitglieder geprüft werden?
Herr von Klaeden,
({0})
Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Bei der Visumerteilung bewegen sich unsere Botschaften und Generalkonsulate in einem Spannungsfeld.
Einerseits hat unser Land ein sehr großes Interesse am
regelmäßigen persönlichen Austausch mit dem Ausland,
sei es aus wirtschaftlichen, kulturellen oder sei es aus
rein persönlichen Gründen. Andererseits müssen wir den
zahlreichen Versuchen der illegalen Einreise nach
Deutschland und Europa effektiv begegnen und zudem
unserer inneren Sicherheit Rechnung tragen.
Nur ein Beispiel für dieses Spannungsfeld sind die
zahlreichen Schreiben, auch von Oppositionsabgeordneten, die das Auswärtige Amt, den Bundesminister, mich
persönlich, den Kollegen Bury, immer wieder erreichen.
Ich kann Ihnen versichern: Bei diesen Schreiben geht es
nicht um Beschwerden des Inhalts, unser Visumverfahren sei zu lax; in aller Regel wird gefordert, die Ablehnung von Visumanträgen zu überprüfen oder zurückzunehmen.
Ich habe nicht alle Ordner mitgebracht, aber doch einige Beispiele. Da gibt es ein Schreiben des Kollegen
Koschyk,
({1})
der auch eine Frage dazu gestellt hat. Er bittet in diesem
Schreiben vom 8. Mai 2003, das an Herrn Fischer persönlich gerichtet ist, um Unterstützung. Es geht um die
Visaerteilung an junge Chinesen. Er bittet darum, die
Visa zu erteilen. Ich zitiere:
Nun droht dem erfolgreichen Unternehmen die Geschäftsaufgabe. Grund ist die restriktive Verfahrensweise des Auswärtigen Amtes, das seit
Dezember 2002 den potenziellen chinesischen
Schülern keine Visa mehr erteilt.
({2})
- In China gibt es natürlich keine Schlepper; klar. Wohlgemerkt: Das Schreiben ist vom Mai 2003.
({3})
- Sie wollen doch zuhören.
Ich zitiere weiter:
Die deutsche Botschaft in Peking verweigert den
BBI-Bewerbern, die alle vereinbarten Voraussetzungen erfüllen, die Visa zur Berufsausbildung unter dem Hinweis, dass berufliche Erstausbildung für
ausländische Jugendliche nicht im Ausländergesetz
vorgesehen sei.
Wir werden also aufgefordert, entgegen dem Ausländergesetz Visa zu erteilen.
({4})
Das tun wir natürlich nicht. Das können wir auch nicht.
Wir halten uns an die rechtlichen Vorgaben.
Ich zitiere weiter:
In meinen Augen steht diese Vorgehensweise einem
Land wie der Bundesrepublik Deutschland, die sich
üblicherweise als weltoffen und auf interkulturellen
Austausch bedacht präsentiert, nicht gut zu Gesicht.
Gemeint ist die restriktive Visapraxis.
Ich zitiere nicht den gesamten Brief, obwohl ich das
gern täte. Er endet jedenfalls damit, dass der kulturelle
und zwischenmenschliche Austausch sehr wichtig ist
und dass dies für die wirtschaftliche Entwicklung
Deutschlands wichtig ist. Deshalb bittet man darum,
doch alles dafür zu tun, dass diese Visa erteilt werden,
und noch einmal zu schauen, ob im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten nicht doch eine andere Entscheidung in Frage kommt.
Ich könnte Ihnen auch noch einen Brief des Kollegen
Grill vortragen. Dieser ist interessant, denn da geht es
um die Ukraine. Dieser Brief ist vom 10. Februar dieses
Jahres.
({5})
Das ist interessant, nicht wahr? Es geht um die Visumerteilung für einen ukrainischen Staatsbürger Herrn I. Hier
wurde die Bitte an uns herangetragen, zu prüfen, was wir
natürlich immer tun, ob man nicht ein Visum erteilen
könne.
Ich gebe Ihnen das als Beispiel, um deutlich zu machen, dass dieses Spannungsverhältnis existiert und dies
ganz offensichtlich auch von vielen Abgeordneten Ihrer
eigenen Fraktion so gesehen wird.
({6})
Es geht hier immer um die Abwägung, einerseits die
Sicherheitsinteressen unseres Landes zu beachten, andererseits natürlich wirtschaftliche Entwicklung und kulturellen Austausch zu fördern und unserem Ruf - ich
möchte das noch einmal zitieren, denn ich teile ja die
Auffassung von Herrn Koschyk - als weltoffenes Land
gerecht zu werden. In diesem Abwägungsprozess befinden wir uns; die Abwägung erfolgt.
Ich habe nun bereits eine ganze Reihe von Wünschen
nach Zusatzfragen. Zunächst hat aber selbstverständlich
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
der Fragesteller die Möglichkeit, zwei Zusatzfragen zu
stellen.
Ich will schon jetzt darauf hinweisen, dass ich nach
der Frage 9 die vorhin zurückgestellte Frage 16 des Kollegen Sehling aufrufen möchte, damit Staatssekretär
Körper auch die erforderliche Dauer seiner Anwesenheit
halbwegs verlässlich kalkulieren kann.
Zusatzfrage, Herr Kollege von Klaeden.
Frau Staatsministerin, Ihre umfangreichen Ausführungen zu Briefen, die die Volksrepublik China betreffen, haben leider überhaupt nichts mit meiner Frage zu
tun gehabt. Ich habe Sie zu dem in der Öffentlichkeit ja
mittlerweile auch bekannt gewordenen massenhaften
Visamissbrauch - ich finde, dieser so schwer wiegende
Vorgang verdient eigentlich keine so ironische Darstellung ({0})
befragt und danach, ob die Aussagen, die das Auswärtige Amt gegenüber dem Petitionsausschuss gemacht
hat, nämlich dass in den Auslandsvertretungen in jedem
Einzelfall geprüft werde, vereinbar sind mit der Aussage
des Auswärtigen Amtes vom 2. August 2001 an den
Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen, in
der es heißt, dass bei Gruppenreisen aus der Ukraine in
die Europäische Union der Reisezweck und die Umstände der Reise nur einmal für alle Gruppenmitglieder
geprüft werden. Das ist eine Frage, die man ganz einfach
mit Ja oder Nein beantworten kann und wozu man nicht
Ausflüchte in Bezug auf die Volksrepublik China machen muss.
Ich finde, es stellt sich jetzt die Frage, wer die schriftliche Frage, die von einem Ihrer Kollegen an uns gestellt
wurde, ernst nimmt. Wir nehmen diese Frage ernst und
beantworten sie auch.
({0})
- Doch, ich beantworte Ihre Frage, aber so, wie ich das
für richtig halte.
({1})
Bei den Schreiben, die Sie erwähnt haben - jetzt muss
man einmal die Verfahren auseinander halten -, geht es
um das zwischen den Schengen-Partnern in Kapitel VIII
Ziffer 5 ihrer Gemeinsamen Konsularischen Instruktion
niedergelegte Reisebüroverfahren, das eine Ausnahme
von der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Verpflichtung macht, dass Antragsteller von Visa persönlich bei
der jeweiligen Botschaft vorsprechen müssen. Das heißt,
jeder Einzelfall wird zwar geprüft, aber beim Reisebüroverfahren muss der Antragsteller dafür nicht persönlich
vorsprechen. Diese Ausnahme dient der Förderung der
Reiseindustrie der EU-Mitgliedstaaten. Es handelt sich
also um eine Verabredung, die von allen Schengen-Staaten im wohlverstandenen Eigeninteresse vorgesehen
worden ist.
Deutschland hat dieses Verfahren in Kiew praktiziert,
und zwar so lange, wie sich keine Hinweise darauf ergaben, dass es zur illegalen Einreise missbraucht wurde.
Wie gesagt, es geht hier um das Reisebüroverfahren,
nicht um die Reiseschutzversicherung und erst recht
nicht um den so genannten Volmer-Erlass, der ganz andere Kriterien der Visaprüfung betrifft. Nachdem Hinweise auf Missbrauch im Sommer 2001 vorlagen, wurde
das Verfahren seitens des Auswärtigen Amtes eingestellt, und zwar mit einer Anweisung vom 3. August
2001 zum 1. Oktober 2001. Das heißt, alle Antragsteller
müssen seitdem wieder persönlich bei der Botschaft vorsprechen. Da dies für deutsche Reiseunternehmen - jetzt
komme ich zu Ihrem Brief -,
({2})
die mit Reiseunternehmen aus der Ukraine zusammenarbeiteten, von Bedeutung war, hat das Auswärtige Amt
die Verfahrensänderung in einem Schreiben an deutsche
Reiseunternehmen und an den Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen e.V. - aus diesem Schreiben zitieren Sie - erläutert. Das Auswärtige Amt hat darin den Grundsatz der persönlichen Vorsprache jedes
einzelnen Reiseteilnehmers bekräftigt und gleichzeitig
angeboten, für ukrainische Kooperationspartner deutscher Reiseunternehmen die Vorsprache sämtlicher Teilnehmer einer Reisegruppe zu einem einzigen Termin zu
ermöglichen. Wir haben uns also selbst in diesem Fall
darum bemüht, ein unbürokratisches Verfahren zu finden. Das bedeutet, jeder Reiseteilnehmer wurde einzeln
befragt, aber für das Reisebüro war es weiterhin möglich, die Anträge gesammelt einzureichen.
Dieses Beispiel - ich sage es noch einmal - zeigt
doch deutlich, wie sehr die Bundesregierung bemüht ist,
in der Visumspraxis zu Lösungen zu kommen, die auf
Basis der geltenden Rechtslage sowohl unseren Sicherheitsinteressen als auch, wie in diesem Fall, den wirtschaftlichen Interessen deutscher Reiseunternehmen gerecht werden.
Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege von Klaeden.
Frau Staatsministerin, der Vorsitzende Richter am
Landgericht Köln, der, wie in der Öffentlichkeit bekannt
ist, vor einigen Wochen ein Urteil in einem Schleuserprozess zu sprechen hatte, welcher sich mit den Vorfällen in der deutschen Botschaft in Kiew auseinander gesetzt hat, hat festgestellt, dass in Kiew seit dem
Jahr 2000 1,1 Millionen Visa erteilt worden seien. Das,
so der Richter, bedeute, dass alle zwei Minuten ein Visum erteilt worden sei, und zwar bei einer Arbeitszeit
von 24 Stunden am Tag. Ich frage Sie erstens, ob Sie
diese Zahlen bestätigen können - von mir aus auch nur
die Anzahl der erteilten Visa -, und zweitens, ob das
Auswärtige Amt die notwendigen Vorkehrungen getroffen hat, um eine sorgfältige Prüfung, wie von Ihnen gerade vorgetragen, in Kiew möglich zu machen.
Darf er zwei Fragen stellen?
In der gleichen Weise, wie in der Antwort auf verschiedene, nicht ausdrücklich nachgefragte Briefe Bezug
genommen wurde.
Ich kann die Zahlen so nicht bestätigen.
({0})
- Das ist meine Antwort. - Ich kann Ihnen nur sagen, in
welchem Jahr wie viele Visa in Kiew erteilt wurden.
Zu Ihrer zweiten Frage, die ja sehr generell war, kann
ich nur Folgendes sagen: Zunächst gibt es das Problem
der Reiseschutzversicherung. Darum ging es in dem
Kölner Prozess. Nachdem wir am 27. Juni 2002 Kenntnis davon erhalten haben, dass gegen den Inhaber der
Reise-Schutz AG ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden war, haben wir sofort und unmittelbar, nämlich am
28. Juni 2002, an unsere Vertretung in Kiew den Erlass
weitergegeben, dass die Anerkennung des Reiseschutzpasses aufgrund dieses eröffneten Ermittlungsverfahrens
auszusetzen sei. Die Möglichkeit der Anerkennung von
Reiseschutzpässen, die ja im Zusammenhang mit Finanzierungsfragen eine Rolle spielt, haben wir dann im
März 2003 grundsätzlich und weltweit eingestellt. Insofern haben wir in Bezug auf das Problem der Reiseschutzpässe - und darum geht es in dem Kölner Fall; es
geht um Missbrauch, der mit diesen Pässen im Einzelfall
getrieben wurde - gehandelt.
Bei dem Reisebüroverfahren - ich habe es eben schon
erwähnt - geht es um etwas ganz anderes, nämlich darum, dass das persönliche Erscheinen ersetzt werden
kann. Auch dieses Verfahren haben wir eingestellt, nachdem Probleme aufgetaucht waren. Heute ist es so, dass
die Reisenden persönlich vorsprechen müssen, im Rahmen einer Reisegruppe möglicherweise zu einem gemeinsamen Termin.
Das heißt, immer wenn wir von Missbrauchsfällen erfahren haben, hat das Auswärtige Amt unmittelbar gehandelt. Aber ich sage Ihnen auch - das habe ich schon
in der letzten Fragestunde sehr deutlich gesagt -: Bei
insgesamt 3 Millionen Visaanträgen ist natürlich nicht
auszuschließen, dass Fehler passieren und dass Missbrauch getrieben wird.
Nächste Zusatzfrage, Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatsministerin, sind Sie der Auffassung, dass
das Bemühen anerkannter Bildungsträger in Deutschland, jungen Menschen aus der Volksrepublik China
Aus- und Fortbildungsaufenthalte in Deutschland anzubieten, ein Thema ist - nach meinen Informationen hat
auch der Bundeskanzler bei seinem letzten Besuch in der
Volksrepublik China dieses Thema angesprochen -, bei
dem das Auswärtige Amt den Missbrauch im Hinblick
auf die Erteilung von dazugehörigen Visa so gegeben
sieht wie bei dem festgestellten Missbrauch von Visaerteilungen bei der deutschen Botschaft in Kiew?
({0})
Wenn ja: Was hat das Auswärtige Amt unternommen,
um gegenüber dem Bundeskanzleramt im Hinblick auf
das Werben für Ausbildungsaufenthalte junger Chinesen
in der Bundesrepublik Deutschland den Visamissbrauch
deutlich zu machen?
Ich weiß nicht, ob ich Ihre Frage richtig verstanden
habe, weil sie sehr kompliziert war. So weit ich sie verstanden habe, will ich sie beantworten.
Ich habe das Anliegen in diesem Brief hier vorgetragen, um zu zeigen, dass man in einem Spannungsfeld
steht. Natürlich haben wir ein Interesse, dass hier ausgebildet wird. Aus Gesprächen mit Ihrer Fraktion wissen
Sie, dass die Bundesregierung an einem Zuwanderungsgesetz arbeitet. Zugleich aber müssen wir auch unseren
Sicherheitsinteressen gerecht werden.
In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns und bewegen sich auch die Mitarbeiter an den Botschaften, die
solche Visa zu erteilen haben. Für dieses Spannungsfeld
habe ich Ihnen ein Beispiel genannt. Natürlich ist es so,
dass wir Visa nur auf der Basis der gültigen Rechtslage
erteilen können.
Ich mache noch einmal darauf aufmerksam, dass nach
unseren Regeln für die Fragestunde jeder Fragesteller
zwei Zusatzfragen und jedes andere Mitglied des Hauses
eine Zusatzfrage stellen kann. Es wäre schön, wenn auch
die Form der Nachfrage keine Zweifel an der Einhaltung
dieser Vorgabe aufkommen lässt.
({0})
- Ich wollte nur auf diese Regelung hinweisen.
Nun hat als nächste Fragestellerin die Kollegin Tritz
das Wort.
Frau Staatsministerin, können Sie noch einmal ausdrücklich bestätigen, dass das Reisebüroverfahren keine
deutsche Erfindung und insbesondere keine Erfindung
des Auswärtigen Amtes war, sondern dass es ein von den
Schengen-Partnern vereinbartes Verfahren ist und dass
dieses Verfahren auch deswegen ermöglicht wurde, um
die Reiseunternehmen der Schengen-Staaten zu fördern?
Das kann ich eindeutig bestätigen. Es handelt sich um
ein Verfahren, das mit den Schengen-Partnern vereinbart
wurde. Im Übrigen haben diesem Verfahren alle Bundesländer, also auch die CDU-regierten Länder, zugestimmt.
Dieses Verfahren wurde von uns an der Botschaft in
Kiew eingestellt. An anderen Botschaften in der Welt
wird es - nicht nur von uns, sondern auch von anderen
Schengen-Partnern - weiter durchgeführt. Das Ziel ist,
die wirtschaftliche Tätigkeit zu erleichtern. Deshalb bekommen wir gerade in diesem Bereich immer wieder
Briefe von mittelständischen Unternehmen oder von
Mitgliedern der Fraktionen dieses Hauses, in denen darum gebeten wird, dass man zur Erreichung dieses Zieles
Verfahrensmöglichkeiten findet, die Visaerteilungen zu
beschleunigen. Das Reisebüroverfahren gehört dazu.
Herr Kollege Volmer.
({0})
Frau Staatsministerin, nachdem Sie ausgeführt haben,
dass in jedem Einzelfall ein Visumsantrag nach Recht
und Gesetz geprüft wird, möchte ich Sie fragen: Können
Sie meiner Einschätzung zustimmen, dass die Aussage
der CDU-Parteivorsitzenden Angela Merkel in der vorletzten Ausgabe der „Bild am Sonntag“,
({0})
dass nach den Bestimmungen des zitierten Erlasses im
Rahmen der Visaerteilungen nicht mehr Rückkehrbereitschaft, Reiseziel und Reisezweck geprüft werden müssen, nichts anderes als falsch ist?
({1})
Diese Aussage ist in der Tat falsch. Vielleicht sollte
ich angesichts dieser Frage noch einmal erläutern, was
der so genannte Volmer-Erlass bedeutet.
({0})
- Herr von Klaeden, ich komme Ihnen entgegen. Ich
könnte auch sagen: der Erlass Nr. 514-516.20 vom
3. März 2000. Dann wüssten sicher alle, was gemeint ist.
Dieser Erlass bezieht sich auf ein Kriterium, das bei
der Visaerteilung zu prüfen ist, nämlich die Rückkehrbereitschaft. Wenn ein Ermessen eröffnet ist - wenn Sicherheitsinteressen berührt sind, steigt man überhaupt
nicht in eine Ermessensprüfung ein -, soll nicht jeder
Zweifel an der Rückkehrbereitschaft, sondern erst die
hinreichende Wahrscheinlichkeit der fehlenden Rückkehrbereitschaft zur Ablehnung führen. Wenn sich die
Umstände die Waage halten, soll der Grundsatz gelten:
im Zweifel für die Reisefreiheit.
Alle weiteren Kriterien - die Finanzierung, die in
Form einer Verpflichtungserklärung usw. gesichert sein
muss; die Einhaltung des Reisezweckes; die Rückkehrberechtigung - müssen weiterhin geprüft werden.
Bevor alle diese Prüfungen erfolgen, erfolgt eine Anfrage beim Ausländerzentralregister, dem so genannten
AZR, und beim SIS, dem Schengen-Informationssystem. Wenn hier eine Einreisesperre vorliegt, wird erst
gar nicht in die Ermessensprüfung eingestiegen.
Nächste Zusatzfrage. Herr Kollege Binninger.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin mehrfach das Spannungsfeld - das sicher niemand bestreitet -, in dem man
sich hier bewegt, beschrieben und versucht, einen Zusammenhang zwischen einzelnen Schreiben von Abgeordneten und den illegalen Schleusungen in Kiew herzustellen. Wären Sie bereit, zuzugeben, dass all die Fragen,
die wir in der heutigen Fragestunde stellen, sich nicht an
dem Spannungsfeld orientieren, sondern sich allein auf
die kriminellen Machenschaften beziehen, die dazu geführt haben, dass in der Botschaft in Kiew massenweise
Schleusungen begangen wurden wie noch nie in der Geschichte dieser Republik?
Ich weise natürlich die Behauptung zurück, dass dort
„massenhaft Schleusungen begangen wurden wie noch
nie in der Geschichte dieser Republik“.
Ich weise nicht zurück, dass dort Schleusungen passiert und Missbrauchsfälle vorgekommen sind. Kiew ist
eine der Botschaften, bei der Visaanträge in sehr hoher
Zahl gestellt wurden. Man muss Verfahren finden, dessen Herr zu werden.
Ich habe das Spannungsfeld deshalb noch einmal dargestellt. Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind - das
will ich betonen - in einer solchen Botschaft einem ungeheuren Druck ausgesetzt. Sie haben alle diese Dinge
in den Abwägungsprozess einzubeziehen, wenn sie in
die Ermessensprüfung einsteigen. Es geht einerseits um
das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an kulturellem Austausch und wirtschaftlicher Tätigkeit und andererseits um unsere Sicherheitsinteressen.
Deshalb wird die Visaerlasspraxis ständig fortentwickelt. Es wird ständig auf neue Situationen reagiert.
({0})
Wir haben hier gemeinsam die Gesetze beschlossen.
Nach dem 11. September wurde die Visapraxis verschärft. Zum Beispiel erfolgt für bestimmte Risikostaaten eine besondere Prüfung.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Erteilung
eines Visums immer. Wir bemühen uns natürlich, Missbrauch auszuschließen. Wenn wir von solchen Fällen hören, reagieren wir sofort und unmittelbar.
Herr Kollege Koppelin.
Frau Staatsministerin, nachdem Sie aus einem Brief
eines Abgeordneten zitiert haben, was ich in der Fragestunde unmöglich finde - das mag Ihr Stil sein -, möchte
ich Sie, weil da auch junge Chinesen angesprochen wurden, fragen: Wie beurteilen Sie, dass das Auswärtige
Amt 25 jungen Chinesen, die aufgrund der SARS-Katastrophe von einem Unternehmen in Lübeck als Hygienetechniker an Krankenhäusern in China ausgebildet werden sollten - alle Voraussetzungen, die Sie angesprochen
haben, einschließlich der Finanzierung waren erfüllt -,
kein Visum erteilt hat?
Jetzt geht es doch darum, dass Deutsche nach China
gehen.
Nein, es gehen nicht Deutsche nach China, sondern
Chinesen nach Deutschland, und zwar zur Ausbildung
als Hygienetechniker; sie wollten in Krankenhäusern in
China arbeiten.
Sie können mir diesen Fall gern schriftlich einreichen.
Der Schriftverkehr liegt dem Auswärtigen Amt vor;
schade, dass Sie ihn nicht dabei haben.
Den habe ich leider nicht dabei.
Schade, dann haben Sie die falsche Postmappe bekommen.
Ich sagte gerade, dass ich zu diesem Sachverhalt mehrere Aktenordner habe. Diese habe ich aber nicht mitgebracht. Ich werde diesen Fall aber genauso gründlich bearbeiten und die Frage genauso ausführlich beantworten,
wie das meine Kollegen und ich mit allen anderen Briefen auch tun. Ich kann Ihnen jetzt nicht aus dem Stegreif
sagen, ob es hier einen Ermessensspielraum gibt.
Sobald sich ein Ermessensspielraum öffnet, werden
wir ihn prüfen. Wenn das möglich ist - es scheint auf
den ersten Blick sinnvoll -,
({0})
werden wir das machen. Wir können aber nur auf der
Basis der geltenden Rechtslage vorgehen.
({1})
Wir werden die Rechtslage prüfen und wenn diese keinen Ermessensspielraum hergibt, können wir die Visa,
um die es hier geht, nicht erteilen.
Ihr Fall zeigt wieder einmal, wie kompliziert die Abwägung ist. Ich mache hier nur deutlich, wie sehr die
Bundesregierung und die damit befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darum bemüht sind, diese Abwägungen in jedem Einzelfall vorzunehmen.
({2})
Ich möchte darum bitten, dass sich die Zusatzfragen
möglichst im unmittelbaren Umfeld der gestellten Ausgangsfrage bewegen sollten.
({0})
- Die Antworten auch, wenngleich auf beiden Seiten ein
bisschen Toleranz walten sollte, weil der Gesamtkomplex sicher manche Verflechtungen aufweist, wie die
Fragen und Antworten deutlich machen.
Nun hat der Kollege Uhl das Wort.
Frau Staatsministerin, Sie sind in keiner sehr beneidenswerten Situation, wenn Sie die Folgen des unsäglichen so genannten Volmer-Erlasses verteidigen müssen.
Erstaunlich ist es aber doch, wenn Sie sagen, dass massenhafter Missbrauch nicht stattgefunden habe, obwohl
Ihnen bekannt sein müsste, dass die Zahlen explosionsartig angestiegen sind, von 150 000 Visa in 1999 auf
210 000 Visa in 2000 und auf 300 000 Visa in 2001. Alles in allem wurden mehr als 1 Million Visa erteilt - allein von der Botschaft in Kiew!
({0})
Dies hat auch das Bundesinnenministerium beunruhigt. Es gibt ein Schreiben des Bundesinnenministers an
das Auswärtige Amt vom 13. März 2000 - das war zehn
Tage nach dem Volmer-Erlass -, in dem die Bedenken
dargestellt wurden. Am 17. April 2000 antwortete
Staatssekretär Pleuger gegenüber dem Innenministerium. Wissen Sie etwas über diese Korrespondenz? Wissen Sie, ob der Dissens zwischen Innen- und Außenministerium, der nur logisch ist, das Kanzleramt beschäftigt
hat? Wurde der Dissens auf höherer Ebene auf irgendeine Weise gelöst oder hat der Innenminister gesagt:
Es ist eben so, dass die Zahlen explodieren und Hunderttausende von Missbrauchsfällen in Kiew stattfinden?
85 Prozent der Schengen-Visa, die in Kiew ausgestellt
wurden, stammen aus der deutschen Botschaft, als gäbe
es keine anderen Staaten in der EU, die auch SchengenVisa erteilen können. Wissen Sie -
Ich weise noch einmal darauf hin, dass Sie eine Zusatzfrage stellen können.
({0})
Sie stellen jetzt die dritte Zusatzfrage zum gleichen
Sachverhalt. Sie spüren doch die Nervosität, die auf den
verteilten Plätzen herrscht. Ich bitte Sie darum, diese
nicht unnötig zu strapazieren.
Ich glaube, ich habe die Staatsministerin schon genug
belastet, ich will hier innehalten.
Ich bedanke mich.
Erstens belasten Sie mich nicht und zweitens brauchen wir nicht von Nervosität zu reden; denn die habe
ich nicht. Ich kann Ihnen gern unsere Position zum so
genannten Volmer-Erlass deutlich machen.
Also: Es hat diesen Brief des Innenministers gegeben
und die Bedenken wurden ausgeräumt.
({0})
Herr Kollege Beck.
Angesichts der Diskussion über die Sicherheitsrelevanz dieses Erlasses gestatten Sie mir, Frau Staatsministerin, eine Frage zu diesem Bereich. Wir haben damals
im Rahmen der Einführung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes erstmals Ordnung in die Visadateien gebracht. Bis zur Einführung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes konnte anhand der Visadatei
({0})
weder der Verlauf oder das Ergebnis eines Visaverfahrens noch die Identität der Visa-Antragsteller hinreichend festgestellt werden. Damals war ein Abgleich von
Visaanträgen aus verschiedenen Botschaften ganz einfach technisch nicht möglich, sodass die neue Bundesregierung seinerzeit eine Situation vorgefunden hat, in der
die Sicherheitsinteressen in keiner Weise gewahrt werden konnten. Stellt sich die jetzige Diskussion vor diesem Hintergrund nicht als Heuchelei dar und teilen Sie
mit mir die Auffassung, dass eine solche Sicherheitslücke bei diesem Erlass nicht vorhanden ist?
Nach dem 11. September haben wir - ich bin als
Fraktionsvorsitzende damals persönlich damit befasst
gewesen - sehr gründlich nach Sicherheitslücken gesucht. Die Visadatei spielte auch eine Rolle. Wir haben
hier mit breiter Mehrheit des Hauses Veränderungen vorgenommen, von deren Richtigkeit ich tief überzeugt bin.
Nach dem 11. September hat es hier also Veränderungen gegeben. Ich habe eben bereits gesagt, dass die Erlasspraxis ständig weiterentwickelt wird, auch den aktuellen Anforderungen angepasst wird, dass sie sich auch
regional unterscheidet. Das Reisebüroverfahren zum
Beispiel, das ich erwähnt habe und das von allen Schengen-Staaten angewendet wurde, wird heute nicht mehr in
Kiew, aber noch in anderen Ländern und Botschaften angewandt.
Ich will noch einmal betonen: Auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte sehe ich überhaupt keinen
Grund, den Runderlass des Auswärtigen Amtes vom
3. März 2000, Nr. 514-516.20, zurückzunehmen, der
- wie gesagt - durch andere Erlasse weiterentwickelt
wurde. Soweit mir bekannt ist, sind die Missbrauchsund Schleuserfälle, die öffentlich diskutiert werden,
nicht auf diesen Erlass zurückzuführen. In all diesen Fällen ging es um andere bei der Visaerteilung zu prüfende
Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere um die Frage
der Finanzierung, deren Nachweis zeitweise durch Vorlage von so genannten Reiseschutzpässen ersetzt werden
konnte.
Herr Kollege Grindel.
Frau Staatsministerin, Sie haben auf die hohe Arbeitsbelastung der Mitarbeiter in der Botschaft in Kiew hingewiesen. Gleichzeitig haben Sie gesagt, es habe eine
Einzelfallprüfung gegeben, und Sie haben - wie in der
letzten Antwort - einige Missbrauchsfälle angesprochen,
die aber auf eine Fehleinschätzung hinsichtlich der
Finanzierungsfragen bezogen.
Können Sie mir vor dem Hintergrund dessen, was Sie
gerade gesagt haben, erklären, warum in Reaktion auf
den Sachverhalt, über den wir uns hier unterhalten,
18 Ortskräfte und ein deutscher Mitarbeiter in der Botschaft in Kiew fristlos entlassen worden sind? Was haben Sie denen vorgeworfen, wenn angeblich - so wie Sie
es hier darstellen - im Rahmen der Ermessensausübung
alles einigermaßen korrekt abgelaufen ist? Dies ist wohl
ein Fall ohne Beispiel - korrigieren Sie mich -, wenn
18 Ortskräfte auf einmal fristlos entlassen werden.
({0})
Erstens waren es nicht 18, sondern 16.
({0})
- Nur, um korrekt zu bleiben. - Zweitens wurden die
16 Ortskräfte nicht fristlos entlassen. Drittens geschah
dies nicht als ausschließlich unmittelbare Reaktion auf
die Missbrauchsfälle. Ein Teil von ihnen wurde im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen entlassen. Aber
ein anderer Teil wurde aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen entlassen, die in der entsprechenden Botschaft durchgeführt wurden.
Überdies habe ich nicht behauptet, dass Fehler auszuschließen sind. Ich habe das genaue Gegenteil behauptet:
Fehler sind nicht auszuschließen. Auch Missbrauch ist
angesichts der großen Anzahl der zu bearbeitenden Fälle
nicht auszuschließen. Wir haben, sofern uns von Missbrauchsfällen bekannt wurde, immer unmittelbar darauf
reagiert.
Die letzte Zusatzfrage zu diesem Punkt, Kollege
Gewalt.
Frau Staatsministerin, eben haben Sie erklärt, dass es
sich hierbei um andere Missbrauchsfälle handelt. Wenn
dem so ist, bitte ich Sie, dem Hause zu erklären, welche
Missbrauchsfälle Ihrer Schilderung zugrunde liegen,
wenn nicht diejenigen, die heute zur Debatte stehen.
Ich habe gesagt, dass nicht alle 16 Ortskräfte, die entlassen wurden bzw. deren Verträge nicht verlängert wurden, unmittelbar aufgrund der Missbrauchsfälle nicht
mehr weiter beschäftigt werden.
({0})
So verhielt es sich nur bei einem Teil von ihnen. Ein anderer Teil wurde aus anderen Gründen nicht weiter beschäftigt, zum Beispiel aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen.
({1})
Ich rufe Frage 9 des Kollegen Eckart von Klaeden
auf:
Welchen Inhalt hat - vergleiche Schreiben des Petitionsausschusses an das AA vom 2. Oktober 2003 - der vom oben
genannten Petenten benannte Erlass des AA Nr. 519?
Auf diese Frage muss ich antworten: In diesem Zusammenhang existiert kein Erlass Nr. 519 des Auswärtigen Amtes.
Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, ich möchte noch einmal auf die
Missbrauchsfälle zu sprechen kommen, die Sie gerade
im Zusammenhang mit den Entlassungen erwähnt haben. Habe ich Sie richtig verstanden, dass es sich dabei
lediglich um solche Missbrauchsfälle gehandelt hat, bei
denen Personen betroffen waren, welche offensichtlich
die notwendigen finanziellen Voraussetzungen nicht
erfüllt haben, denen aber das Visum dennoch erteilt
worden ist? Oder hat es auch andere Missbrauchsfälle
gegeben - und wenn ja: welche?
Von „anderen Missbrauchsfällen“ habe ich nicht gesprochen.
Genau das möchte ich wissen. Handelte es sich also,
wie Sie selbst gesagt haben, lediglich um Fälle finanziellen Missbrauchs?
Was meinen Sie mit Fällen finanziellen Missbrauchs?
Ich meine solche Fälle, in denen aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse die finanziellen Voraussetzungen für die Erteilung von Visa nicht erfüllt waren.
Das kann ich Ihnen im Einzelnen nicht sagen.
Aber so lautete doch gerade Ihre Antwort auf meine
Frage.
Welche finanziellen Voraussetzungen meinen Sie?
Meinen Sie die Problematik der Reiseschutzpässe, meinen Sie das Reisebüroverfahren? Sie müssen Ihre Frage
schon präzisieren.
Frau Staatsministerin, ich greife lediglich Ihre eigene
Formulierung auf, um etwas Licht in das Dunkel Ihres
verwirrenden Vortrags zu bringen.
Meine Formulierung lautete wie folgt: Ein Teil der
Ortskräfte wurde unmittelbar aufgrund von Missbrauchsfällen entlassen. Sie haben pflichtverletzend gehandelt. - In anderen Fällen wurden Ortskräfte aufgrund
von Rationalisierungsmaßnahmen entlassen bzw. ihre
Verträge wurden aus diesem Grunde nicht verlängert.
Um eines gleich zu ergänzen: Die genauen Zahlen und
Umstände - wer, wie viele, warum? - kann ich Ihnen
hier nicht nennen, weil sie mir nicht vorliegen.
Ich mache noch einmal folgenden Hinweis: Ich
möchte hier nur ungern restriktiver agieren, als ich das
zu tun gewohnt bin. Aber die Zusatzfragen müssen sich
schon im Kontext der Frage bewegen, die Gegenstand
der Antwort ist.
Herr von Klaeden, ich habe Ihre Zusatzfrage beantwortet, obwohl sie nichts mit Ihrer Ausgangsfrage zu tun
hatte.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr von Klaeden.
Frau Staatsministerin, vorhin haben Sie gesagt, dass
die Zahlen, die ich - den Richter zitierend - genannt
habe, falsch seien und dass Sie selbst Zahlen dabei hätten, was die in Kiew erteilten Visa angeht. Hätten Sie die
Freundlichkeit, diese Zahlen - nach den entsprechenden
Jahren aufgeschlüsselt - vorzutragen?
({0})
Diese Zahlen würde ich Ihnen gerne schriftlich zukommen lassen, damit das alles ganz präzise ist. Ich
wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir sagen, welche Jahre
und welche Botschaften Sie interessieren und ob es Ihnen um die erteilten oder die abgelehnten Visa geht. Es
würde zu lange dauern, die komplette Tabelle hier vorzutragen. Diese Frage beantworte ich Ihnen daher
schriftlich. Soweit ich weiß, sind diese Zahlen aber auch
schon in den entsprechenden Ausschüssen vorgelegt
worden.
Herr Kollege Volmer.
Frau Staatsministerin, Sie haben gerade die Ortskräfte
angesprochen, von denen einige aus besagten Gründen
entlassen worden sind. Ich möchte einmal insgesamt ein
Wort für den Stamm der Ortskräfte einlegen, ohne die
eine Botschaft im Prinzip überhaupt nicht funktionieren
kann, und in diesem Zusammenhang die Frage stellen:
Sind Sie angesichts der massiven Zuwächse an Visaanträgen - nicht nur in Kiew, sondern auch in zahlreichen
osteuropäischen Staaten sowie in anderen Staaten wie
etwa der Türkei oder in außereuropäischen Staaten - der
Meinung, dass die Visastellen personell überhaupt hinreichend ausgestattet sind, und können Sie bestätigen,
dass auf unsere Initiative hin bei den im Bundeshaushalt
vorgesehenen linearen Stellenstreichungen eine einzige
Beamtengruppe ausgenommen ist, nämlich die Gruppe
der Konsularbeamten, sodass wir die Möglichkeit haben,
den jetzigen Personalstand wenigstens zu erhalten, wenn
es auch eigentlich nötig wäre, ihn zu erhöhen?
Letzteres kann ich bestätigen. Was wir in diesem Bereich im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten an
Personal aufstocken können, das tun wir sicherlich. Je
nachdem, wie viel Personal zur Verfügung steht, dauert
die notwendige gründliche Bearbeitung - wichtig ist die
Prüfung aller Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung von Visa - eben länger. Damit wären wir wieder bei
dem berühmten Spannungsfeld, in dem sich die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der individuellen Prüfung für die Visaerteilung bewegen.
Herr Kollege Grindel.
Frau Staatsministerin, Sie haben gerade in Ihrer vorletzten Antwort gesagt, dass ein Teil dieser 16 Ortskräfte
entlassen worden sei, weil Visaanträge missbräuchlich
begutachtet bzw. beschieden worden seien. Können Sie
mir schildern, in welcher Form dort Missbrauch betrieben worden ist? Der reine Irrtum über die finanzielle
Leistungsfähigkeit kann ja für eine Entlassung nicht ausreichen: Es kann schließlich immer einmal sein, dass auf
etwas unsicherer Tatsachengrundlage eine sich im Nachhinein als falsch herausstellende Ermessensentscheidung
getroffen wird. Aber wenn in diesem Umfang Ortskräfte
entlassen werden, muss schon mit Vorsatz gehandelt
worden sein. Können Sie mir sagen, was für Missbrauchsfälle das gewesen sind und inwieweit vorsätzlich
Visa erteilt worden sind, die nicht hätten erteilt werden
dürfen?
Ich verweise insofern auf die Antwort, die ich Eckart
von Klaeden gegeben habe.
Im Übrigen möchte ich darauf aufmerksam machen,
Herr Präsident, dass die Ausgangsfrage war: „Welchen
Inhalt hat der vom o. g. Petenten benannte Erlass des
AA Nr. 519 ({0})?“ Ich bin gerne bereit,
hier auf dieses Petitionsverfahren einzugehen, aber diese
Frage hat damit nichts zu tun.
Das ist leider völlig zutreffend. Zusammen mit meinen Schriftführern hatte ich eben genau dies festgehalten: Dies ist die dritte aufeinander folgende Frage - das
ging quer durch die Fraktionen -, die erkennbar mit der
gestellten Frage nicht in unmittelbarem Zusammenhang
steht. Nach den Regeln unserer Geschäftsordnung sind
solche Zusatzfragen zurückzuweisen. Zweimal habe ich
den freundlichen Versuch unternommen, das auf dem
Wege der Selbstdisziplinierung zu lösen. Dieser Versuch
ist offenkundig gescheitert. Ich werde bei weiteren Fragen von dieser Regelung der Geschäftsordnung Gebrauch machen müssen.
Nun hat sich der Kollege Koschyk zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Frau Staatsministerin, Sie sagten, der Erlass, nach
dem hier gefragt worden ist, sei dem Auswärtigen Amt
nicht bekannt.
({0})
- So war doch Ihre Antwort, oder?
Die Nr. 519 existiert nicht.
Können Sie sich vorstellen, dass es sich in diesem Zusammenhang vielleicht um einen Erlass mit einer anderen Nummer handelt?
Das können wir uns vorstellen. Dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wurde daher mit
Schreiben vom 24. Oktober 2003 mitgeteilt, dass davon
ausgegangen wird, dass sich der Petent auf den Erlass
Nr. 514-516.20 vom 3. März 2000 bezieht. Dieser
Runderlass konkretisiert für bestimmte Fallgruppen den
pflichtgemäßen Gebrauch des Ermessens innerhalb des
bestehenden rechtlichen Rahmens; wir sprachen darüber.
Dieser Runderlass war bereits Gegenstand der letzten
Fragestunde und ist auch in dieser Woche ausführlich
behandelt worden, sowohl in schriftlichen als auch in
mündlichen Fragen. Insofern möchte ich auf meine Antworten verweisen.
Nun rufe ich wie vereinbart die Frage 16 des Kollegen Sehling aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf:
Wieso bekam A. B., obwohl er seit seiner Einreise von Sozialhilfe gelebt hat und unter anderem wegen Zigarettenschmuggels durch ein Urteil des Amtsgerichts Köln vom
24. Mai 1998 vorbestraft war - Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln -, am 28. Februar 2002 die deutsche Staatsbürgerschaft und welche ausländerrechtlichen Konsequenzen
zieht die Bundesregierung aus diesem fast zehnjährigen
Sozialhilfebezug und der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft?
Ich bitte den Staatssekretär Körper, das freundlicherweise zu beantworten.
Herr Kollege Sehling, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der mit dem Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 - ich habe mich jetzt nicht
versprochen, sondern sage dies ganz bewusst: 9. Juli
1990 - eingeführten Anspruchseinbürgerung stehen ein
Bezug von Sozialhilfe, wenn dieser nicht vom Ausländer zu vertreten ist, sowie die Verurteilung wegen einer
Straftat unterhalb einer so genannten Unbeachtlichkeitsgrenze nicht entgegen. Für den Vollzug der Einbürgerungsvorschriften der §§ 85 ff. des Ausländergesetzes sind die Länder zuständig. Das ist Ihnen mit
Sicherheit bekannt. Die Bundesregierung hat daher
keine Kenntnis von einzelnen Einbürgerungsverfahren
in den Ländern.
Zusatzfrage? - Keine.
Dann kehren wir zurück zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Ich rufe die Frage 10 des Kollegen
Hartmut Koschyk auf.
Erhält die Bundesregierung ihre Behauptung im Schreiben
des AA vom 23. April 2003 an den Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages aufrecht, dass der Vorwurf, nach Herausgabe des Runderlasses des AA 514-516.20 betreffend das
Visumverfahren bei den Auslandsvertretungen vom 3. März
2000 - so genannter Volmer-Erlass - sei der Erhalt eines Visums problemlos möglich gewesen, jeglicher Grundlage entbehre?
Herr Kollege Koschyk, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Die von Ihnen zitierte Passage aus dem Schreiben
des Auswärtigen Amts vom 23. April 2003 enthält keine
Behauptung, sondern eine Darstellung allgemeiner Fakten zum Visumverfahren. An diesen Aussagen zu den
Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums im Rahmen des geltenden Ausländerrechts hält die Bundesregierung fest. Der Runderlass des Auswärtigen Amts
vom 3. März 2000 konkretisiert für bestimmte Fallgruppen den pflichtgemäßen Gebrauch des Ermessens innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens. Dieses
Ermessen ist nur dann eröffnet, wenn aufgrund der automatisierten Registerabfrage beim Ausländerzentralregister und beim Schengener Informationssystem keine
Einreisesperre besteht und die übrigen Erteilungsvoraussetzungen gegeben sind. Hierzu gehören zum Beispiel
eine gesicherte Finanzierung, die Glaubhaftmachung des
Reisezwecks und anderes. Ich verweise hierzu auf die
Antworten der Bundesregierung auf die schriftlichen
Fragen 2/196 und 2/227.
Herr Kollege Koschyk.
Frau Staatsministerin, in diesem Erlass heißt es - ich
muss dies zitieren, Herr Präsident, um meine Nachfrage
zu stellen -:
Nicht jeder Zweifel an der Rückkehrbereitschaft,
sondern erst die hinreichende Wahrscheinlichkeit
der fehlenden Rückkehrbereitschaft rechtfertigt die
Ablehnung eines Besuchsvisums.
Ich möchte Sie fragen, Frau Staatsministerin, welche
Fallgestaltung Sie nennen können, bei der ein Beamter
des Auswärtigen Amtes oder eine Ortskraft in Kiew zu
dem Ergebnis kommen kann, dass bei dem Petent die
„hinreichende Wahrscheinlichkeit der fehlenden Rückkehrbereitschaft“ nicht gegeben ist.
Dazu habe ich jetzt keinen Beispielsfall vor Augen.
Weitere Zusatzfrage?
Ich habe eine weitere Frage: Es ist in diesem Zusammenhang, Frau Staatsministerin, am 31. Mai und 1. Juni
zu einer Reise der EU-Ratsarbeitsgruppe „Visa“ nach
Kiew gekommen, in deren Rahmen beim Besuch in der
deutschen Botschaft in Kiew die Reisenden aufgrund
dieses Erlasses und des in diesem Zusammenhang praktizierten Verfahrens als ein erhöhtes Risiko dargestellt
wurden. Ich möchte wissen, wie in Anwendung dieses
Erlasses nach einer Kritik der EU-Ratsarbeitsgruppe
„Visa“ das Auswärtige Amt auf diese Kritik reagiert hat?
Wann war diese Reise?
Am 31. Mai und 1. Juni 2001. Also vier Monate nach
dem Erlass, um es der Frau Staatsministerin noch einmal
zu sagen, hat es eine Reise der Arbeitsgruppe „Visa“
nach Kiew gegeben, wo man das Verfahren und die erteilten Visa an Reisende als ein erhöhtes Risiko bezeichnet hat.
Ich kenne die Ergebnisse dieser Reisegruppe nicht.
Das muss ich Ihnen hier einfach sagen.
({0})
- Nein, sie sind mir nicht bekannt. Ich habe deshalb jetzt
auch nicht schriftlich vorliegen oder vor Augen, was
dort konkret kritisiert wurde. Dies war der Besuchsstand
von 2001. Im August 2001 haben wir das so genannte
Reisebüroverfahren eingestellt.
Ich erinnere noch einmal daran: Es gibt verschiedene
Gründe für Verfehlungen und weshalb ein Visum zu Unrecht erteilt wurde. Das Reisebüroverfahren - ich rufe
noch einmal in Erinnerung: alle Schengen-Staaten führen das durch - wurde in Kiew im August 2001 zum Oktober 2001 eingestellt. Durch dieses Verfahren wurde bei
Reisegruppen das persönliche Erscheinen ersetzt. Es
wurde also aufgrund der Aktenlage geprüft. Man stellte
jedoch fest, dass dies auch bei seriösen und glaubwürdigen Reiseunternehmen zu Problemen führen konnte.
Deshalb wurde das Reisebüroverfahren eingestellt.
Nun zu den so genannten Reiseschutzpässen. Diese
ersetzten den Nachweis der Finanzierbarkeit. Da es eine
öffentliche Diskussion ist, möchte ich es hier noch einmal erklären: Der Versicherer sichert zu, dass er die
Kosten übernimmt. Das ist für die Behörde sicherer und
für den Antragsteller einfacher. Nachdem wir am
27. Juni 2002 erfuhren, dass ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen den Inhaber einer Reise-Schutz
AG eröffnet wurde, haben wir am 28. Juni auch die Anerkennung der so genannten Reiseschutzpässe ausgesetzt.
Noch einmal: Mir ist nicht bekannt, dass irgendwelche Missbrauchsfälle auf den hier diskutierten Erlass
vom 3. März 2000 zurückzuführen sind, in dem bestimmte Prüfungskriterien für die Rückkehrbereitschaft
vorgesehen sind. Die Missbrauchs- und Problemfälle beziehen sich immer auf das Reisebüroverfahren oder auf
die Reiseschutzversicherungen.
Herr Kollege Uhl.
Frau Staatsministerin, es geht um die Frage, ob aufgrund des Volmer-Erlasses der Erhalt eines Visums problemlos möglich gewesen sei.
Wie Juristen unschwer erkennen können, beinhaltet
der Volmer-Erlass eine so genannte Beweislastumkehr:
Der Antragsteller, der Ausländer, muss seine Rückkehrbereitschaft nicht beweisen,
({0})
sondern die Behörde muss beweisen, dass er keine
Rückkehrbereitschaft hat.
({1})
Die Formulierung wurde gerade vorgelesen:
Nicht jeder Zweifel
- des Beamten ..., sondern erst die hinreichende Wahrscheinlichkeit ... rechtfertigt die Ablehnung eines Besuchsvisums.
Zweifel reichen also nicht aus, sondern die Wahrscheinlichkeit muss gegeben sein. Diese kann der Beamte niemals beweisen, also muss er das Visum erteilen.
Ich komme nun zu meiner Frage an Sie. Sie haben
vorhin behauptet, diese Formulierung im Volmer-Erlass
decke sich mit EU-Bestimmungen. Teilen Sie meine
Auffassung, dass sich diese Formulierung im VolmerErlass, der die von mir behauptete Beweislastumkehr
enthält, angesichts des Umstands, dass in den EU-Bestimmungen genau die gegenteilige Formulierung steht,
gerade nicht mit diesen deckt? Die Gemeinsame Konsularische Instruktion - die einschlägige Richtlinie - beinhaltet zu diesem Thema folgende Formulierung:
Der
- ausländische Antragsteller muss die mit dem Antrag befasste
Auslandsvertretung davon überzeugen, dass ... die
Rückreise in das Herkunftsland gewährleistet ist.
Die Beweislast liegt also eindeutig beim Antragsteller.
Es ist nicht so, wie Sie es sagen, dass nämlich der Beamte eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Annahme haben muss, um ablehnen zu können.
({2})
Jetzt diskutieren wir unter Juristen. Man weiß, dass es
dabei zu einem Problem immer mehrere Meinungen
gibt.
Nach meinem unmaßgeblichen juristischen Verständnis beinhaltet der Volmer-Erlass vom 3. März 2000 keinesfalls eine Beweislastumkehr. Ich lese die Formulierung vollständig vor; denn Sie haben den Punkt zu früh
gemacht. Dort steht:
... sondern erst die hinreichende Wahrscheinlichkeit
der fehlenden Rückkehrbereitschaft rechtfertigt die
Ablehnung eines Besuchsvisums.
Jetzt kommt aber etwas Wichtiges:
Wenn sich nach pflichtgemäßer Abwägung und Gesamtwürdigung des Einzelfalls
- es geht also immer um eine Einzelfallprüfung ({0})
die tatsächlichen Umstände, die für und gegen eine
Erteilung des Besuchsvisums sprechen, die Waage
halten,
- nur dann gilt: „in dubio pro libertate“, im Zweifel für die
Reisefreiheit.
({1})
- Ja, dazu stehe ich auch. Das ist das Ansinnen vieler,
vieler Schreiben, die aus Ihrer Fraktion kommen. Diese
Formulierung ersetzt in keiner Weise - das will ich hier
sehr deutlich sagen - für den entsprechenden Mitarbeiter
oder die Mitarbeiterin, der bzw. die das Visum erteilt, die
Prüfung der anderen Voraussetzungen, dass die Finanzierbarkeit gegeben ist,
({2})
der Reisezweck eingehalten wird und die Rückkehrberechtigung vorliegt. All das wird geprüft. Vor dieser
Prüfung aber wird beim AZR und beim SIS abgefragt,
ob eine entsprechende Einreisesperre besteht.
Ich sage noch einmal: Mir ist auch durch das Urteil
nicht bekannt - die schriftliche Urteilsbegründung liegt
noch nicht vor -, dass bisher einer der diskutierten Missbrauchs- und Problemfälle auf diese Formulierung des
Erlasses vom 3. März 2000 zurückzuführen ist. Die Ursachen für die Missbrauchsfälle liegen im so genannten
Reiseschutzpass und im so genannten Reisebüroverfahren, das - wie Sie soeben zu Recht zitiert haben - Gegenstand der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion
der Schengen-Staaten ist und von allen Schengen-Staaten angewendet wird. Von uns wird es seit dem
3. August 2001 in Kiew nicht mehr angewendet. Darauf
beziehen sich die Problemfälle; das will ich hier klar herausstellen.
Solange dies so ist, gibt es für uns überhaupt keinen
Grund, von dieser Formulierung Abstand zu nehmen.
Ich glaube, dass der entsprechende Erlass vom
3. März 2000 exakt eine Antwort auf das Spannungsfeld
ist, in dem wir uns bei der Visaerteilung befinden und
worüber wir ausführlich diskutiert haben.
Herr Kollege Volmer.
({0})
Meine Frage gehört zum Thema; denn die Frage 10
von Herrn Koschyk bezieht sich auch auf den Petitionsausschuss und dessen Haltung zu dem gesamten Verfahren.
Meine Frage: Frau Staatsministerin, trifft es zu, dass
nicht nur zahlreiche Einzelabgeordnete aus allen Fraktionen, sondern insbesondere auch zahlreiche Mitglieder
des Petitionsausschusses und des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages im Jahre 1998/99,
als Rot-Grün das Auswärtige Amt gerade übernommen
hatte, zahlreiche Zuschriften an das Auswärtige Amt gerichtet haben, in denen diese Abgeordneten und Ausschussmitglieder eine gründliche Überprüfung und Änderung der bis dahin geltenden Visumpraxis forderten,
einer Visumpraxis, die noch auf der Weisungslage der
Minister Kanther und Kinkel fußte, und dass der Menschenrechtsausschuss einstimmig, also mit den Stimmen
der CDU/CSU, den damals von mir vorgelegten und hier
vielfach zitierten Erlass gebilligt hat?
({0})
Dies trifft zu. Weil der Kollege Volmer dies erwähnt
hat, will ich ergänzend sagen: Das so genannte Carnet
de Touriste bzw. die Reiseschutzpässe gehen in der Tat
auf eine Initiative des Bundesaußenministers Kinkel
und des Bundesinnenministers Kanther zurück. Sie haben mit Erlass vom 10. August 1995 an die Vertretungen in Bulgarien, Rumänien, Estland, Lettland und
Litauen zu der Einführung des Carnet de Touriste des
ADAC geführt. Diese Praxis, die damals von der Vorgängerregierung eingeführt wurde, für Länder, die auch
Sie wahrscheinlich nicht für unbedingt unproblematisch halten, haben wir mit den so genannten Reiseschutzpässen fortgeführt. Wir haben dann im
Oktober 1999 das Carnet de Touriste auf alle Vertretungen der GUS-Staaten ausgeweitet.
Ziel war - das teilen wohl alle Abgeordneten und
Fraktionen hier im Haus -, den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch zwischen uns und den Ländern
Osteuropas zu erleichtern.
Frau Kollegin Tritz.
Frau Staatsministerin, können Sie bestätigen, dass
weder das Reisebüroverfahren noch das Verfahren bezüglich der Reiseschutzversicherung Gegenstand des so
genannten Volmer-Erlasses aus dem Jahre 2000 waren?
Das ist richtig. Die Reiseschutzpässe beziehen sich
auf das Kriterium der Finanzierbarkeit. Beim Reisebüroverfahren geht es darum, dass das persönliche Erscheinen durch eine Entscheidung nach Aktenlage ersetzt
werden kann. Bei dem genannten Erlass vom
3. März 2000 geht es um die Prüfungsabfolge und die
Kriterien der Prüfung der Rückkehrbereitschaft.
Danke.
Die letzte Zusatzfrage zu der Frage 10 hat der Kollege
Binninger.
Frau Staatsministerin, Sie haben gesagt, der VolmerErlass habe nicht dazu geführt, dass problemlos Visa
hätten erteilt werden können. Sie haben als Begründung
unter anderem aufgeführt, dass umfangreiche Überprüfungsmaßnahmen durchgeführt wurden, zum Beispiel
die AZR-Abfrage, die SIS-Abfrage etc. Wie erklären Sie
sich dann die Diskrepanz zwischen dem dafür notwendigen Zeitansatz, den ich pro Visum bei mindestens einer
halben Stunde sehen würde, und der tatsächlich erteilten
Anzahl von Visa, die den Rückschluss zulässt, dass man
maximal zwei Minuten, eher sogar noch weniger, pro
Visum aufgewandt hat?
Ich will die Zahl von zwei Minuten nicht bestätigen.
({0})
- Nein, das ist eben keine reine Rechenaufgabe. - Wenn
Sie eine Einzelfallprüfung machen - ich weiß nicht, ob
Sie Jurist sind -, dann brauchen Sie in dem einen Fall
länger und in dem anderen Fall geht es schneller.
({1})
Ich erinnere noch einmal an das Reisebüroverfahren.
Bei diesem Verfahren werden für eine Reisegruppe Visumanträge gesammelt vorgelegt und es wird nach Aktenlage entschieden. Dieses Verfahren geht schnell, während es bei anderen Entscheidungen länger dauert.
({2})
Ich halte von dieser Hochrechnung nichts und möchte
sie nicht bestätigen. Solange mir nichts Gegenteiliges
bekannt ist, gehe ich davon aus, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Botschaft in Kiew oder in anderen Botschaften, die Visumanträge zu prüfen haben,
dies nach bestem Gewissen tun und alle Tatbestandsvoraussetzungen prüfen, die sie zu prüfen haben.
({3})
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Koschyk auf:
Wie verhält sich diese vom AA vertretene Behauptung zu
den Aussagen im Schreiben des AA vom 2. August 2001 an
den Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen, in
dem von „erheblichen Problemen“ im Zusammenhang mit Visamissbrauch und dem so genannten Reisebüroverfahren die
Rede ist?
Herr Kollege Koschyk, da Sie aus demselben Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 2. August 2001 an den
Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen wie
Herr Kollege von Klaeden zitieren, verweise ich insofern auf meine Antwort auf die Frage 8 des Abgeordneten von Klaeden.
Zusatzfrage?
Ja. - Frau Staatsministerin, in dem Schreiben vom
2. August 2001 räumt das Auswärtige Amt ein:
Aufgrund des Missbrauchs von Visa, die in diesem
Verfahren seitens der deutschen Botschaft in Kiew
erteilt worden sind, kann dieses Verfahren in Kiew
in der bisher praktizierten Form nicht mehr beibehalten werden.
Meine Frage bezieht sich darauf, dass Sie, Frau
Staatsministerin, uns gesagt haben, dass bei dem Reisebüroverfahren außer den beiden Anfragen nichts weiter
geprüft worden ist. Ist dann beim Reisebüroverfahren
die im Volmer-Erlass vorgesehene Prüfung der Rückkehrbereitschaft erfolgt oder nicht?
Natürlich. Bei dem von Ihnen erwähnten Schreiben
geht es um das zwischen den Schengen-Partnern in
Kapitel VII Ziffer 5 ihrer Gemeinsamen Konsularischen
Instruktion niedergelegte Reisebüroverfahren, das eine
Ausnahme von der gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen
Verpflichtung macht, dass Antragsteller von Visa persönlich bei der jeweiligen Botschaft vorsprechen müssen. Diese Ausnahme dient der Förderung der Reiseindustrie der EU-Mitgliedstaaten, ist also von den
Schengen-Partnern durchaus im wohlverstandenen Eigeninteresse vorgesehen worden. Deutschland hat dieses
Verfahren in Kiew praktiziert, und zwar solange sich
keine Hinweise darauf ergaben, dass es zu illegalen Einreisen missbraucht wurde.
Nachdem im Sommer 2001 solche Hinweise vorlagen - darauf bezieht sich der Passus, den Sie gerade zitiert haben; das Schreiben liegt mir vor - wurde das Verfahren seitens des Auswärtigen Amtes am 3. August
2001 zum 1. Oktober 2001 eingestellt. Das heißt, alle
Antragsteller mussten wieder persönlich bei der Botschaft vorsprechen.
Da dies für deutsche Reiseunternehmen, die mit Reiseunternehmen aus der Ukraine zusammenarbeiteten,
von Bedeutung war, hat das Auswärtige Amt die Verfahrensänderungen in einem Schreiben an deutsche Reiseunternehmen und an den Bundesverband mittelständischer Reiseunternehmen e.V. - aus dem Schreiben haben
Sie zitiert - erläutert. Das Auswärtige Amt hat darin den
Grundsatz der persönlichen Vorsprache jedes einzelnen
Reiseteilnehmers bekräftigt und gleichzeitig angeboten,
für ukrainische Kooperationspartner deutscher Reiseunternehmen die Vorsprache sämtlicher Teilnehmer einer
Gruppenreise zu einem einzigen Termin zu ermöglichen.
Dabei werden alle Tatbestandsvoraussetzungen individuell geprüft. Geprüft werden die Finanzierbarkeit, die
Rückkehrbereitschaft und die Einhaltung des Reisezwecks. Auch wird vorab durch AZR- und SIS-Anfrage
geprüft, ob etwa eine Einreisesperre vorliegt. Das bedeutet, jeder Reiseteilnehmer wurde einzeln befragt, aber es
war für das Reisebüro weiterhin möglich, die Anträge
gesammelt einzureichen.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, nachdem Sie uns berichtet haben, dass man mit dem so genannten Reisebüroverfahren
negative Erfahrungen gemacht hat und dass dieses Verfahren daraufhin geändert wurde, frage ich Sie, warum
sich das Auswärtige Amt auch im Benehmen mit dem
Bundesinnenminister entschlossen hat, trotzdem das sich
im Nachhinein als nicht minder problematisch herausgestellte Reiseschutzpassverfahren in Gang zu setzen.
Dabei geht es um etwas anderes. Bei dem Reisebüroverfahren geht es um das persönliche Erscheinen, das ersetzt wird. Beim Reiseschutzpass geht es darum, dass
der Nachweis der Finanzierbarkeit durch einen solchen
Reiseschutzpass ersetzt wird. Auch hierbei möchte ich
darauf hinweisen - dies betrifft genau das genannte
Spannungsfeld -, warum das Verfahren eingesetzt
wurde. Vorläufer war übrigens das im August 1995 von
Innenminister Kanther und Bundesminister Kinkel eingeführte Carnet de Touriste. Dabei geht es um den Nachweis der Finanzierbarkeit. Das macht auch durchaus
Sinn. Es ist aus der Sicht der Behörde sicherer, weil ein
Unternehmen für die Kosten garantiert. Für die Antragsteller war es einfacher, weil sie einen Reiseschutzpass
vorlegen konnten. Ich nehme an, dass dies die Motive
waren, weshalb die Vorgängerregierung - also Außenminister Kinkel und Bundesinnenminister Kanther - gemeinsam mit dem ADAC-Präsidenten damals ein solches Carnet de Touriste eingeführt haben.
Deshalb haben auch wir zunächst an dem anonymen
Reiseschutzpassverfahren festgehalten. Dabei sind verschiedene Unternehmen, die entsprechend überprüft
wurden, tätig gewesen. Wir haben das Verfahren aber sofort, nachdem wir am 27. Juni 2002 Kenntnis von dem
Ermittlungsverfahren gegen einen Inhaber einer Reiseschutzpass AG erhalten haben, mit einem Erlass an
Kiew vom 28. Juni eingestellt. Inzwischen haben wir
dieses Verfahren mit Erlass vom 28. März 2003 leider
weltweit einstellen müssen.
Herr Kollege Uhl.
Frau Staatssekretärin, wenn in fünf Jahren 1 Million
Menschen aus Kiew mit der Begründung einreist, sie
wollten eine Reise nach Deutschland machen, und Sie
auf das Risiko der mangelnden Finanzierbarkeit der
Reise und vor allem der mangelnden Rückkehrbereitschaft hinweisen, wodurch dem Staat Rückführungskosten entstehen könnten, dann ist es von Vorteil, wenn
diese Risiken versichert sind. Ich frage Sie: Ist das Problem bei dieser 1 Million Menschen nicht ein ganz anderes? Wissen Sie überhaupt, wie viele Fälle bei dieser
wahnsinnig großen Zahl aufgetreten sind, in denen der
Staat den Rücktransport finanzieren musste? Bei
1 Million müssten das mehrere Hunderttausend gewesen
sein. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ist das Problem
nicht vielmehr gewesen, dass die überwältigende Mehrheit dieser 1 Million Menschen keine Schwierigkeiten
mit der Finanzierung der Rückreise hatte und sie keine
Touristen waren, sondern im EU-Raum schwarzarbeiten
wollten und dies auch getan haben, sich dabei nicht erwischen lassen wollten sowie auf eigene Kosten gelebt
haben und zurückgereist sind? Deswegen konnte beim
Staat gar kein Risiko entstehen, eine Rückführung finanzieren zu müssen. Die Versicherung hat also etwas versichert, was mehrheitlich gar kein Risiko war.
Es wird schon ein Interesse daran bestanden haben.
Sonst hätten die Unternehmen das nicht gemacht. Das
scheint zunächst einmal zu einer Entbürokratisierung der
Verfahren geführt zu haben. Sonst hätte Ihre Regierung
das damals nicht eingeführt. Es gab also ganz offensichtlich einen Bedarf - wahrscheinlich auch viele Briefe aus
den Fraktionen -, woraufhin Bundesaußenminister Kinkel und Bundesinnenminister Kanther gehandelt haben.
Wir haben, wie gesagt, festgestellt, dass diese Praxis
im Hinblick auf den wirtschaftlichen Austausch und die
Förderung mittelständischer Unternehmen - ich weiß,
dass das gerade Ihnen, Herr Uhl, ein großes Anliegen
ist - sinnvoll war.
({0})
Insofern kann ich Ihre Pauschalierung nicht teilen, dass
es sich bei den Visumantragstellern mehrheitlich um
Prostituierte und Schwarzarbeiter gehandelt habe. Sie
malen hier ein Schreckensbild, das ich ganz klar und eindeutig zurückweisen möchte. Es sind Missbrauchsfälle
vorgekommen. Wir versuchen aber, solche Fälle zukünftig zu verhindern und gleichzeitig den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik nachzukommen.
Ich kann jedenfalls nur davor warnen, in dieser Debatte Schreckensbilder und Zerrbilder zu malen, die mit
der Realität nichts zu tun haben; denn in unserem gemeinsamen Interesse liegt - Herr Uhl, ich brauche Ihre
Frage eigentlich nicht zu beantworten, wenn Sie sich gerade mit Ihren Kollegen unterhalten -, weiterhin den
kulturellen und den wirtschaftlichen Austausch zu fördern sowie unserem gemeinsamen Anspruch als weltoffenes Land nachzukommen und gleichzeitig - hier bewegt man sich natürlich in einem Spannungsfeld unsere Sicherheitsinteressen zu beachten. Sie diffamieren diejenigen, die ganz regulär ein Visum beantragt und
es nicht missbraucht haben. Das ist nach unserer Erkenntnis die übergroße Zahl derjenigen, die ein Visum
bei der Botschaft in Kiew und bei anderen Botschaften
beantragt haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Göbel.
Frau Staatsministerin, eine zentrale Rolle bei diesem
ganzen Vorgang hat die Reiseschutz AG gespielt. Meine
Frage lautet: Sind die maßgeblichen Repräsentanten der
Reiseschutz AG sicherheitsüberprüft worden, und wenn
ja, in welchem Umfang?
Das können eigentlich Sie, Herr Körper, besser beantworten.
({0})
Meines Wissens nach: Ja. Wir haben uns aber in allen
Fragen betreffend die Reiseschutz AG und den Personenkreis eng mit dem BMI abgestimmt. Entweder beantworte ich Ihre Frage schriftlich oder der Kollege Körper
antwortet jetzt mündlich; denn das fällt eigentlich in die
Zuständigkeit des BMI.
({1})
- Ich glaube aber, dass das schon schriftlich beantwortet
worden ist.
({2})
Die letzte Zusatzfrage zu diesem Punkt hat der Kollege Binninger.
Frau Staatsministerin, Sie haben gerade gesagt, dass
nach Ihrer Erkenntnis die Mehrzahl der Visa nicht missbräuchlich erteilt worden sei. Sind Sie bereit, uns zu sagen, worauf sich diese Erkenntnis stützt und was
„Mehrzahl“ - 500 000 oder mehr? - bedeutet?
Ich kann Ihnen das nicht beziffern.
({0})
- Genau, die Mehrzahl; das weiß ich. Ich kann Ihnen das
in einer schriftlichen Antwort gerne genauer darstellen,
soweit das möglich ist, bevor ich mich jetzt auf eine Zahl
festlege, die nicht stimmt.
Den aufgetretenen Missbrauchsfällen sind wir nachgegangen. Wir haben die entsprechenden Ursachen bekämpft, Stichworte „Reisebüroverfahren“ und „Reiseschutzpass“.
Herr Binninger, Sie können gleich stehen bleiben. Ich
rufe nun Ihre Frage 12 auf:
Hat es Beschwerden der Schengen-Partner gegenüber dem
Bundesministerium des Innern oder dem AA im Hinblick auf
die durch den Runderlass des AA 514-516.20 betreffend das
Visumverfahren bei den Auslandsvertretungen vom 3. März
2000 - so genannter Volmer-Erlass - veränderte Visaerteilungspraxis gegeben und, wenn ja, wann?
Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundesregierung sind im speziellen Zusammenhang mit dem Erlass des Auswärtigen Amtes vom 3. März 2000 keine
Beschwerden der Schengen-Partner bekannt geworden.
Allerdings gab es im Sommer 2001 Hinweise von
Schengen-Partnern auf vermehrten Missbrauch von an
der Deutschen Botschaft Kiew ausgestellten Besuchsvisa. Die Bundesregierung ist diesen Hinweisen nachgegangen und hat daraufhin das so genannte Reisebüroverfahren mit Erlass vom 3. August 2001 zum 1. Oktober
2001 eingestellt.
Zusatzfrage?
Ja, ich habe eine Zusatzfrage.
Die Missbrauchshinweise bezogen sich meines Wissens nicht nur auf das Reisebüroverfahren, sondern auch
auf das Reiseschutzversicherungsverfahren der ReiseSchutz Versicherungs AG. Ihnen lagen diese Hinweise
- Sie haben das gerade selbst eingeräumt - im Jahr 2001
vor. Trotz der Hinweise aus dem Sommer 2001, dass
Missbrauch betrieben wird, wurde mit dieser Reiseschutzversicherung ab 2002 sogar weltweit gehandelt.
Warum haben Sie nicht reagiert?
Meines Wissens lagen uns zu diesem Zeitpunkt lediglich Hinweise vor - ich kann Ihnen nach bestem Wissen
und Gewissen nur diese Antwort geben -, die auf das so
genannte Reisebüroverfahren zurückzuführen waren.
Deshalb haben wir dieses Verfahren eingestellt. Wenn
man glaubwürdige und überzeugende Hinweise in Bezug auf einen Missbrauch von Reiseschutzpässen gehabt
hätte, dann hätte man den Handel in der Tat nicht ausweiten sollen. Ich gehe davon aus, dass solche Hinweise
nicht vorlagen.
({0})
Die Frage 13 wird schriftlich beantwortet. Damit sind
wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht
freundlicherweise Frau Staatssekretärin Hendricks zur
Verfügung.
Die Frage 17 des Kollegen Kretschmer, die Frage 18
der Kollegin Leonhard1), die Fragen 19 und 20 des Kollegen Gewalt und die Frage 21 des Kollegen Rupprecht
({0}) sind zur schriftlichen Beantwortung angemeldet.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Binninger auf:
Verfügt die RS Reise-Schutz Versicherungs AG in 74189
Weinsberg über die nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz
erforderliche Erlaubnis für den Geschäftsbetrieb und, wenn ja,
von wem wurde diese erteilt?
Herr Präsident! Herr Kollege Binninger, der RS
Reise-Schutz Versicherungs Aktiengesellschaft ist durch
Verfügung vom 17. Dezember 2002 durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Genehmigung zum Geschäftsbetrieb erteilt worden.
Eine Zusatzfrage?
({0})
- Dann ist auch dieser Geschäftsbereich erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Wirtschaft und Arbeit auf. Hier sind die
Fragen 23 bis 32 zur schriftlichen Beantwortung ange-
meldet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft auf. Hier sind die Fragen 33 bis 36 zur schriftli-
chen Beantwortung angemeldet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-
ums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur Be-
antwortung ist der Kollege Staatssekretär Franz Thönnes
verfügbar.
Die Fragen 37 und 38 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 39 der Kollegin Dr. Lötzsch auf:
Wird bei der neuen Verordnung zur Höhe der Sozialhilfe
bei der Festlegung der Regelsätze berücksichtigt, dass durch
das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenver-
sicherung, GKV-Modernisierungsgesetz, für viele Bezieher
von Sozialhilfe eine faktische Kürzung der Sozialhilfe um
mindestens 2 Prozent erfolgt ist, und wie will die Bundesre-
gierung die Grundsicherung und damit den Schutz vor Armut
für Langzeitarbeitslose und für Altersrentner sichern in Anbe-
tracht steigender privater Gesundheitskosten?
1) Die Antwort lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem
späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Verehrte Frau Kollegin Lötzsch, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Der Entwurf der Regelsatzverordnung
- sie wird auf der Grundlage von § 28 Sozialgesetzbuch
XII erlassen - berücksichtigt die Zuzahlungen aufgrund
des GKV-Modernisierungsgesetzes. Die in § 2 Abs. 2
Nr. 5 des Verordnungsentwurfs genannte Abteilung 06,
die die Bedarfsposition Gesundheitspflege betrifft, regelt
die Höhe der monatlichen Belastungen von Sozialhilfeempfängern durch Zuzahlungen. Dies bedeutet eine bewusste Gleichstellung von Sozialhilfeempfängern und
anderen Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung.
({0})
Diese Regelung gilt gleichermaßen für die Grundsicherung von Arbeitsuchenden, also für das, was ab
dem 1. Januar 2005 im Sozialgesetzbuch II geregelt
wird, sowie für die Grundsicherung im Alter und bei
dauerhafter Erwerbsminderung. Die Belastung - das
muss man vor dem Hintergrund der Fragestellung noch
einmal sagen - beträgt höchstens - nicht mindestens 2 Prozent. Sie ist zumutbar. Diese Auffassung wird auch
von den kommunalen Spitzenverbänden geteilt, mit denen seit Ende 2003 mehrfach Gespräche über diese Fragen geführt wurden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, die Formulierung „mindestens
2 Prozent“ leitet zu meiner Zusatzfrage über. Die Gesundheitskosten sind zusätzlich dadurch gestiegen, dass
viele Medikamente nicht mehr verschreibungspflichtig
sind, nicht mehr verschrieben werden dürfen, also vom
Patienten selbst bezahlt werden müssen. Werden diese
zusätzlichen Kosten bei der Neufestsetzung der Regelsätze im Rahmen der Sozialhilfe einbezogen?
Nein. Ich wiederhole: Einbezogen sind die Größenordnungen, die bei der Bedarfsposition „Gesundheitspflege“ erfasst werden. Bei den Zahlungen, die für Medikamente geleistet werden müssen, für die seitens der
Kassen keine Erstattung erfolgt, sind diejenigen, die sozialhilfeberechtigt sind, genauso erfasst wie jeder andere
GKV-Versicherte. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass es
im Verantwortungsbereich des Arztes liegt, zu entscheiden, welches Medikament im Hinblick auf Wirksamkeit
und Nutzen verschrieben wird.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Ja. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist schon einige Wochen in Kraft. Es ist viel über die Auswirkungen
diskutiert worden. Es liegen schon konkrete Erfahrungen
vor. Auch wenn Sie sagen, es liege selbstverständlich im
Ermessen des Arztes, zu entscheiden, was verschrieben
wird, frage ich: Gibt es Erkenntnisse darüber, welche
durchschnittlichen zusätzlichen Kosten auf die Versicherten, insbesondere auf Sozialhilfeempfänger, dadurch
zugekommen sind, dass sie nicht verschreibungspflichtige Medikamente selbst zahlen müssen?
Nein, Frau Kollegin Lötzsch, darüber haben wir keine
Erkenntnisse, weil die Durchführung des Sozialhilferechts den Ländern und Kommunen obliegt. Uns liegen
darüber keine Daten vor.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Matthias Sehling
auf:
Weswegen erhielt der am 9. Februar 2004 im Kölner
Schleuserprozess verurteilte A. B. - nach Ermittlungen der
Kölner Staatsanwaltschaft - bei seiner Einreise am
1. November 1992 sofort eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und seitdem Sozialhilfe ebenso wie seine Ehefrau, die später nachzog, und wie hoch ist der Gesamtbetrag der Sozialhilfe zwischen 1992 und 2004, den die Familie B. - inklusive
Kind - erhielt?
Herr Staatssekretär, beantworten Sie bitte die
Frage 40.
Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Vielleicht
ist meine Reaktion damit zu erklären, dass der Kollege
Sehling und ich vorhin schon einen Dialog über das
Thema hatten. Aber natürlich gehört es sich, die Frage
von hier aus zu beantworten.
Herr Kollege Sehling, ich beantworte Ihre Frage 40
wie folgt: Die Bundesregierung hat im Zusammenhang
mit dem früheren Ausländer A. B., der im Kölner
Schleuserprozess am 9. Februar 2004 verurteilt worden
ist, keine Erkenntnisse zu dem problematisierten Bezug
von Sozialhilfeleistungen. Von Verfassungs wegen obliegt die Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes, wie
ich in der Antwort auf die vorangegangene Frage schon
ausführte, den Ländern und Kommunen. Eine Rechtsoder Fachaufsicht des Bundes besteht nicht. Nähere Angaben zu dem in der Frage angesprochenen Fall können
daher nicht gemacht werden.
Allgemein ist jedoch anzumerken, dass Ausländer mit
aufenthaltsrechtlichem Status, die sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gemäß § 120 Bundessozialhilfegesetz im Vergleich zu den übrigen Sozialhilfeempfängern deutlich eingeschränkte Leistungen
erhalten. Auch die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung fällt in die Kompetenz der Bundesländer, die von
den Ausländerbehörden wahrgenommen wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege. - Keine Zusatzfrage.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung steht die Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke bereit.
Die Fragen 41 und 42 der Kollegin Dr. Maria
Flachsbarth werden schriftlich beantwortet. Die Frage 43
des Kollegen Egon Jüttner und die Frage 44 des Kollegen Ernst Hinsken werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Fragen 45 und 46 der Kollegin Renate Blank
werden auch schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 47 des Kollegen Gero Storjohann
auf:
Bis wann und mit welcher Zielsetzung in Bezug auf den
künftigen Leistungsumfang plant die Bundesregierung die im
Rahmen der Verhandlungen des Vermittlungsausschusses zu
Protokoll gegebene Erklärung, zeitnah das Wohngeldrecht mit
dem Ziel deutlicher Einsparungen strukturell zu überarbeiten,
umzusetzen?
Herr Kollege Storjohann, die Bundesregierung prüft
derzeit, auf welche Weise die Umsetzung der Protokollerklärung erfolgen kann. Dazu werden zunächst die Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens zum Hartz-IV-Gesetz, das heißt die bereits beschlossene und zum
1. Januar 2005 erfolgende grundlegende Vereinfachung
des Systems der Leistung von Unterkunftskosten aus öffentlichen Kassen, in ihren Auswirkungen auf das
Wohngeld aufbereitet.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, schließt die Bundesregierung
Leistungskürzungen beim Wohngeld aufgrund der beabsichtigten Änderungen aus?
Herr Kollege Storjohann, wie Sie wissen, haben wir
ja gemeinsam im Vermittlungsausschuss die Ergebnisse
beschlossen. Wie ich Ihnen gerade gesagt habe, sind die
von uns beschlossenen Regelungen bezüglich des Wohngeldrechtes derzeit in Prüfung.
Eine zweite Zusatzfrage? - Nein.
Die Frage 48 des Kollegen Hans Michelbach soll
schriftlich beantwortet werden.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Frage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers
und des Bundeskanzleramtes auf.
Die Fragen 49 und 50 des Kollegen Helmut Heiderich
sollen ebenso wie die Fragen 51 und 52 des Kollegen
Hans-Joachim Otto schriftlich beantwortet werden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.35 Uhr.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von Einschleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von Kontrolllücken an deutschen Flughäfen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Hartmut Koschyk, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Montag dieser Woche müssen wir aufgrund eines Berichts des Magazins „Report“ des Bayerischen Rundfunks in München davon ausgehen, dass am
Münchner Flughafen über lange Zeit Nicht-EU-Bürger
ohne Kontrolle durch den Bundesgrenzschutz nach
Deutschland eingereist sind. Entgegen allen bestehenden
Vorschriften soll es bis zu fünf Stunden gar keine oder
nur oberflächliche Kontrollen gegeben haben. Dies belegen die in dem Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks gezeigten Dienstpläne. Dort heißt es „Kontrollverzicht“ oder „keine schengenmäßige Kontrolle“. Nach
diesem Bericht sollen fast täglich Ein- und Ausreisekontrollen ausgefallen sein.
Das beinhaltet natürlich drastische Verstöße gegen die
Schengen-Verträge, wonach wir verpflichtet sind, eine
lückenlose Kontrolle der Einreise aus Nicht-SchengenStaaten zu gewährleisten. Das bedeutet aber auch eine
massive Verletzung ureigener deutscher Sicherheitsinteressen; denn infolge des Verzichts auf vorgeschriebene
Kontrollen durch den Bundesgrenzschutz können alle
möglichen Personen, ob sie nun aus dem Bereich der organisierten Kriminalität kommen, ob es illegal Einreisende oder auch gesuchte Terroristen sind, leicht nach
Deutschland einreisen.
Es ist doch bedauerlich, dass es eines solchen Fernsehbeitrages bedarf,
({0})
damit auf eine solch immense Kontroll- und damit
Schutzlücke auf einem der größten deutschen Flughäfen
hingewiesen wird. Ich bedaure eigentlich auch, dass eine
Aktuelle Stunde, beantragt von der Unionsfraktion, notwendig war, um dieses Thema ins Plenum zu bringen.
({1})
Es gab keinen Versuch der Bundesregierung, heute im
Innenausschuss von sich aus einen Bericht im Hinblick
auf diesen Vorgang anzubieten und vor einer solchen
Aktuellen Stunde Aufklärung zu leisten.
({2})
Wir müssen - lassen Sie mich das sehr deutlich
sagen - unterscheiden: Wir wollen durch diese Debatte
keine Kritik an der hervorragenden Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes üben.
({3})
Sie leisten hervorragende Arbeit.
({4})
Es scheint hier allerdings offensichtlich große Organisationsmängel zu geben. Das Schlimmste an diesem
ganzen Vorgang ist, dass man glaubt, durch diese Art
von Öffentlichkeitspolitik des Bundesministeriums des
Innern - da kann man sich nur an den Kopf greifen - die
Gemüter beschwichtigen zu können.
In einer Mitteilung des Sprechers des Bundesinnenministeriums heißt es, dass man diese Kontrolllücken
einräume; es habe sich aber um Flüge gehandelt, die im
Wesentlichen mit deutschen und österreichischen Touristen besetzt gewesen seien. Sie wollen der Bevölkerung in Deutschland und der an diesem Vorgang interessierten Öffentlichkeit in so naiver Weise einreden, dass
über Stunden hinweg, tagelang, am Flughafen München
nur deutsche und österreichische Touristen eingereist
sind.
({5})
Dazu kann man nur einen Kommentar der „FAZ“ von
dieser Woche zitieren, in dem es treffend heißt:
Die Grenzschützer haben nicht das Recht, öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass in
München - und wer weiß, wo noch - zahlreiche
Planstellen unbesetzt sind. Das darf aber Schily
nicht dazu verführen, Dinge schönzureden, die in
Wahrheit im Argen liegen. Er ist nicht der Bundesberuhigungsminister.
({6})
Wissen Sie: In der Fragestunde des Bundestages haben wir heute ja eindrucksvoll erlebt,
({7})
wie sich dieser „Mister law and order“ gegen den zweifelhaften Volmer-Erlass des Auswärtigen Amtes gewehrt
hat. In einem Schreiben, das er als Minister Schily an
Minister Fischer geschrieben hat, hat er seine Bedenken
deutlich gemacht. Minister Fischer hat ihm aber nicht
einmal selbst geantwortet, sondern hat dies von Staatssekretär Pleuger tun lassen. Heute Nachmittag hat die
Bundesregierung ausgeführt, dass die Bedenken des
Bundesinnenministeriums damit ausgeräumt worden
sind.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man sollte
sich nicht immer so aufblasen,
({9})
als sei man der beste Bundesinnenminister, den diese
Republik je hatte,
({10})
wenn man dann vor der skandalösen Visapolitik des
Auswärtigen Amtes einknickt und damit deutlich macht,
dass man nicht einmal seinen eigenen Laden im Griff
hat.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Frank Hofmann,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Koschyk!
Das, was Sie hier gesagt haben, reicht nicht einmal für
eine Märchenstunde, geschweige denn für eine Aktuelle
Stunde.
({0})
War das tatsächlich alles? Sie wissen doch mindestens
genauso gut wie ich: Nicht alles, was im bayerischen
schwarzen Fernsehen gesendet wird, ist Realität.
({1})
Die Überschrift „Flughäfen als Eldorado für illegale Einwanderung“ ist völlig daneben.
({2})
Halten wir uns an die Tatsachen: Im Sommer 2003
wurde am Flughafen München das Terminal 2 neu eröffnet. Mit der Eröffnung wurde die Flughafendienststelle
Frank Hofmann ({3})
um 300 Polizeivollzugsbeamte verstärkt. - Herr
Koschyk, wenn Sie zuhören würden, wäre das hilfreich. - Im Oktober 2003 und im Januar 2004 wurde
weiteres Unterstützungspersonal zur Flughafendienststelle abgeordnet. Sie wissen ja, dass unbesetzte Planstellen auch durch Abordnungen besetzt werden können.
Hier hat der Bundesgrenzschutz also Abordnungen vorgenommen.
({4})
- Hören Sie mir doch zu! Ich rede über die Realität und
mache nicht, wie Sie, eine Märchenstunde.
({5})
Trotz dieser Personalzuweisungen hat die Flughafendienststelle des Bundesgrenzschutzes entgegen den Vorschriften in einzelnen Fällen ganz auf die Passkontrolle
bei einreisenden Auslandspassagieren verzichtet.
({6})
Fest steht, dass der BGS in München damit seinen gesetzlichen Auftrag verletzt hat.
({7})
Das ist nicht zu entschuldigen, auch wenn es sich gemessen an der Gesamtzahl der überprüften Passagiere nur
um einige wenige Fälle handelt.
Herr Koschyk, das Thema der Aktuellen Stunde, die
wahrscheinlich auf Ihre Initiative zurückgeht, lautet:
„Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von
Einschleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von
Kontrolllücken an deutschen Flughäfen“. Die CDU/CSU
würde die Verantwortung also gerne - so haben Sie sich
hier ja auch aufgeblasen - dem Bundesinnenminister in
die Schuhe schieben.
({8})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das klappt nicht. Bei dieser Panne handelte es
sich um ein lokales Problem bzw. einen Managementfehler der Personalverwaltung, auf den der Bundesgrenzschutz und der Bundesinnenminister reagiert haben.
({9})
Auf keinem anderen Flughafen in der Verantwortung des
Bundesgrenzschutzes sind derartige Rechtsverstöße festgestellt worden.
({10})
So weit zum Ersten.
Zum Zweiten: Erste personelle Konsequenzen wurden gezogen. Die Kontrolllücken sind geschlossen.
Auch die in engen Grenzen möglichen Lockerungen
werden nicht hingenommen.
Da Sie, Herr Koschyk, dazu im Innenausschuss keine
Nachfragen gestellt haben, muss ich davon ausgehen,
dass Sie diese Sachlage sehr gut kennen. Trotzdem schämen Sie sich aber nicht, so zu tun, als würde der Bundesgrenzschutz Einschleusungen und illegale Einreisen erleichtern. Das weisen wir zurück.
({11})
Hier wollen Sie aus einer Mücke einen Elefanten machen.
An Ihre Adresse muss gesagt werden, dass Kontrollverzichte nicht gleichzusetzen sind mit der Unterstützung von illegalen Einschleusungen und illegaler Einwanderung. Oder wollen Sie diesen absurden Vorwurf
weiterhin aufrechterhalten? Wollen Sie allen Ernstes so
tun, als begünstige der Bundesinnenminister aufgrund
von längst wieder geschlossenen Kontrolllücken am
Flughafen München die organisierte Kriminalität? Auch
das weisen wir zurück.
({12})
Mit Ihrem Antrag auf Durchführung einer Aktuellen
Stunde unterstellen Sie Sodom und Gomorrha. Sie erheben sogar den Vorwurf, dass illegale Einschleusungen
geduldet werden. Im eigenen Verantwortungsbereich dagegen halten Sie Ihre Hände ruhig und nehmen Sicherheitsdefizite in Kauf. Ich finde, das ist unglaublich. Fassen gerade Sie von der CSU sich doch an Ihre eigene
Nase! Während die Kontrolllücken beim BGS in München geschlossen sind, der Mangel erkannt und beseitigt
ist, finden an bestimmten Stellen der bayerisch-tschechischen Grenze so gut wie keine Kontrollen nach dem
Schengen-Standard statt.
({13})
- Hören Sie einfach zu! - Am Grenzübergang in Bernau
wurde 70 Meter von der Straße entfernt, die nach Tschechien führt, ein Haus gebaut. Im Haus sitzt ein Polizist,
der aus dem Haus heraus die Autos durchwinkt.
({14})
Ist das der bayerische Standard? Bevor Herr Beckstein
den Bundesinnenminister auf dessen gesetzlichen Auftrag hinweist, sollte er erst einmal seinen eigenen Bereich in Ordnung bringen.
Schauen Sie doch auf den Nürnberger Flughafen; Sie
fliegen ja oft genug auch nach Nürnberg.
({15})
Auch dort ist die bayerische Polizei zuständig. Dort werden laxe Einreisekontrollen zu Spitzenzeiten sehenden
Auges in Kauf genommen und auch künftig nicht abgestellt.
({16})
Das bayerische Innenministerium denkt nicht daran, das
Personal dort aufzustocken. Im Gegenteil: Das vorgeseFrank Hofmann ({17})
hene Sparprogramm von Stoiber und Beckstein sieht für
Bayern einen Abbau von 1 500 Beamten vor.
Wir dagegen haben ein Offensive zur Verbesserung
der Personal- und Planstellenstruktur beim BGS eingeleitet. Trotz der schwierigen Haushaltslage hat die innere
Sicherheit bei dieser Koalition höchste Priorität. Nehmen Sie sich an uns ein Beispiel!
({18})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Diese von der CDU/CSU-Fraktion beantragte
Aktuelle Stunde hat einen sachlichen Aspekt, den wir als
FDP ausdrücklich teilen, aber auch einen leicht durchschaubaren politischen Zweck. Der politische Zweck besteht darin - auch das ist durchaus die Aufgabe einer Oppositionspartei -, zu versuchen, in letzter Zeit verstärkt,
Bundesinnenminister Otto Schily als Unsicherheitsminister hinzustellen. Meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, auch wenn die FDP ebenfalls in Opposition
zu Schily steht - diesen Vorwurf kann man ihm nicht
machen.
({0})
Unsere Sorge ist eher, dass die schwierige Balance
zwischen innerer Sicherheit und innerer Liberalität bei
diesem Innenminister und dieser Koalition nicht in besten Händen ist.
({1})
Ich finde, die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff sollte uns allen
eine Mahnung sein, die Aspekte des Grundrechtsschutzes in diesem schwierigen Spannungsfeld wieder stärker
zu betonen.
({2})
- Die FDP hat es mitgetragen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Wir alle sollten in diesem schwierigen Spannungsfeld, in dem es darum geht, die innere Sicherheit zu gewährleisten, ohne dabei die innere Liberalität zu
verlieren, versuchen, die Gewichte richtig zu setzen. Sie
werden doch wohl nicht bestreiten, Herr Grindel, dass
das unsere Aufgabe ist.
({3})
In der Sache selbst, dass es am Münchner Flughafen
offenkundig Kontrolllücken gegeben hat, die in keiner
Weise akzeptiert werden können, hat die Union Recht.
Wir haben vor kurzem hier in diesem Hohen Hause
über das Luftsicherheitsgesetz diskutiert und über die
Frage - da sind wir mit unserer Diskussion noch nicht
am Ende -, ob im Extremfall ein Flugzeug sogar abgeschossen werden darf, wenn es als Waffe gegen Menschen oder Gebäude eingesetzt wird. In der damaligen
Diskussion hat Schily zu Recht gesagt: Es kommt im
Luftverkehr darauf an, dass die Kontrollen am Boden
optimal sind. Das schafft Sicherheit und gilt sowohl für
die Kontrollen beim Einsteigen in ein Flugzeug als auch
für die Einreisekontrollen. Deswegen fordern wir als
FDP: Da dürfen Lücken nicht geduldet werden.
Die Lücken, die hier aufgetreten sind und offenbar
auf Organisations- und Personalmängel zurückzuführen
sind, werfen natürlich weitere Fragen auf. Derselbe Bundesinnenminister Otto Schily hat auf der letzten EUInnenministerkonferenz gegen die Haltung der EUKommission biometrische Merkmale in Reisepässen
durchsetzen wollen, darunter auch Fingerabdrücke. Ich
frage mich, wer denn dann diese Fingerabdrücke kontrollieren soll,
({4})
wenn jetzt schon die normale Passkontrolle nicht funktioniert.
Das führt mich des Weiteren zu einer Schlussfolgerung - Sie werden mir verzeihen, wenn ich auf einen
Grundsatz Bezug nehme, den ich hier für die FDP häufig
formuliert habe -: Es kommt für die innere Sicherheit offenbar nicht darauf an, dass man ständig neue Gesetze
fordert oder neue Gesetze macht, sondern es kommt darauf an, dass man bestehende Vollzugsdefizite angeht.
({5})
Wir brauchen nicht ständig neue Gesetze, sondern wir
brauchen eine optimale finanzielle, technische und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden und der
Polizei. Daran fehlt es offenbar.
In der kurzen Zeit seit Montag - am Montag lief die
entsprechende Fernsehsendung - haben natürlich auch
wir versucht, zu recherchieren. In München sind offenbar 20 Stellen am Flughafen unbesetzt, rein praktisch sogar 50, am Stuttgarter Flughafen 75;
({6})
es gibt nach unseren Informationen in Frankfurt 200 bis
250 unbesetzte Dienstposten und es gibt Probleme an
den Regionalflughäfen, etwa in Paderborn und Dortmund.
Ich fordere die Bundesregierung auf, bei der heutigen
Gelegenheit Stellung zu nehmen, ob dies zutrifft. Wenn
das nämlich nur durch Abordnung gelöst werden kann,
dann fehlen die abgeordneten Beamten woanders. Auch
das kann nicht richtig sein.
({7})
Wir sollten um optimale Arbeitsbedingungen für unsere Polizei bemüht sein. Die Aschermittwochsdemonstration am letzten Mittwoch in Passau, bei der alle drei
Polizeigewerkschaften erstmals gemeinsam beim CSUAschermittwoch darauf hingewiesen haben, dass sich
auch die Arbeitsbedingungen in Bayern drastisch verschlechtern, sollte auch eine Mahnung für uns sein, an
dieser Stelle nicht nachzulassen.
Insbesondere brauchen wir keine Wasserköpfe. Wir
haben offenbar in vielen Bereichen zu viele Häuptlinge
und zu wenig Indianer. Es ist unsere Aufgabe und Aufgabe der Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass sich
dies ändert, damit der Bundesgrenzschutz seine Aufgaben optimal erfüllen kann.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Scharfsinnig hat der von mir hoch geschätzte Kollege Stadler
erkannt,
({0})
dass es zu dem eigentlichen Thema der Aktuellen Stunde
recht wenig zu sagen gibt. Deswegen nutze auch ich die
Gelegenheit, zu betonen: Das war heute ein guter Tag für
die Bürgerrechte. Wir haben uns über das Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes sehr gefreut,
({1})
das den heiß umstrittenen großen Lauschangriff in vielen
Punkten für verfassungswidrig erklärt hat.
({2})
Ich muss um der Wahrheit willen allerdings auch sagen: Meine Fraktion war die einzige, die vehement dagegen gekämpft hat.
({3})
Sie haben die sehr sympathische Justizministerin
Leutheusser-Schnarrenberger damals auf dem Weg zum
großen Lauschangriff geopfert. Ich freue mich, dass sie
mit ihrer Klage jetzt einen späten Sieg errungen hat.
({4})
Jetzt komme ich zum Thema. Es gibt wirklich nicht
so viel dazu zu sagen. Zu den Berichten über den
Münchner Flughafen muss man zu Beginn eines ganz
deutlich machen: Es hat hier Verstöße gegen das Schengen-Abkommen gegeben. Kontrolllockerungen sind erlaubt. Kontrollverzichte sind jedoch ein eindeutiger Verstoß gegen die Schengen-Bestimmungen. Wir begrüßen
in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass das
Bundesinnenministerium umgehend eine Prüfkommission eingesetzt hat, nachdem sie Kenntnisse von diesen
Verstößen erlangt hatte.
Ich möchte auch sagen, dass es für mich wenig nachvollziehbar ist, wie es möglich ist, dass es im Intranet
des BGS, zugänglich für die gesamte BGS-Führung, zumindest die des Grenzschutzpräsidiums Süd, über Wochen eine Dokumentation von Kontrollverzichten gibt,
die - das weiß jeder BGS-Beamte - rechtswidrig sind,
ohne dass die Führung hier ihre Verantwortung wahrnimmt und eingreift.
Ich teile auch nicht die Auffassung - unbesetzte Planstellen haben wir in allen Bereichen der Landespolizei -,
dass wir hier ein Problem in Bezug auf die Personalstärke haben. Wir haben in diesem Bereich ganz offensichtlich ein Problem in der Frage des Personalmanagements. Man kann es vielleicht mit der Neueröffnung des
Terminals 2 auf dem Münchner Flughafen begründen.
({5})
- Ihr Einwand ist richtig. Deswegen verstehe ich überhaupt nicht, wie Sie den BGS trotz eines solchen Verhaltens hier so pauschal loben können.
({6})
Es ist natürlich nicht zu loben, dass es die zuständige
Führung in diesem Flughafen über Wochen geduldet hat,
dass gegen den Verzicht auf Kontrollen, wodurch gegen
das Schengen-Abkommen verstoßen wurde,
({7})
nicht vorgegangen wurde und dass er im Intranet dokumentiert wurde.
Ich denke, die Frage, wie viele Abordnungen des
BGS es in diesem Zeitraum zur Unterstützung der bayerischen Landespolizei gegeben hat, ist ebenfalls wichtig.
Diese würde ich gerne an Herrn Beckstein richten.
({8})
Als Beispiele nenne ich Großeinsätze, die Unterstützung
bei Fußballspielen usw. Ich denke, wir sollten dies zum
Anlass nehmen - ich habe das hier in anderen Zusammenhängen bereits gesagt -, darauf zu achten, dass sich
der BGS auf seine grenzpolizeilichen Kernaufgaben
konzentriert. Wir sollten den Mut haben, den Ländern
mitzuteilen, dass die Dauerabordnungen zur Unterstützung der Landespolizei keine Bundesaufgabe sind.
({9})
Ich erinnere an unseren Landkreis Lüchow-Dannenberg. Hier hat kein Mensch Verständnis dafür, dass der
niedersächsische Innenminister Schünemann die Landespolizei in der Fläche ausdünnt und gleichzeitig der
BGS einschreitet, um die fehlenden Streifen zu ersetzen.
Ich denke, der BGS gehört an die Flughäfen. Dort hat
er seine Arbeit zu erledigen. Das Personal dafür ist vorSilke Stokar von Neuforn
handen. Ich erwarte, dass es dort, wo es hingehört, auch
eingesetzt wird.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSUFraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist bekannt: Der Bundesinnenminister lässt keine
Gelegenheit aus, sich wegen seiner so hervorragenden
Politik im Bereich der inneren Sicherheit zu loben.
({0})
Die Realität sieht aber leider anders aus. Es fehlt vor allem an Taten.
({1})
Es zieht sich wie ein roter Faden durch diese rot-grüne
Bundesregierung: große Überschriften, große Sprüche,
aber wenige Taten.
({2})
Der Bundesinnenminister legt Sätze wie Eier; aber er
vergisst, sie auszubrüten.
({3})
Die Realität ist folgendermaßen: Seit einigen Tagen
wissen wir, dass bei den Personenkontrollen am Flughafen München eindeutige Sicherheitslücken bestehen,
weil der BGS nicht genügend Personal hat, um die erforderlichen Einreisekontrollen zu gewährleisten. Ich
möchte klar sagen: Der Fehler liegt nicht beim BGS oder
bei den anderen Sicherheitsorganen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BGS und der anderen Sicherheitsbehörden machen einen schweren und hervorragenden Job. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte
ich den Polizeien und dabei insbesondere den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten des BGS auch an dieser
Stelle unseren Respekt und unsere Anerkennung für ihre
Arbeit aussprechen.
({4})
Typisch ist jedoch, wie Rot-Grün und auch das Bundesinnenministerium reagieren.
({5})
Mir liegt eine Meldung von „Spiegel online“ vor. Dies
war auch anderswo nachzulesen. Herr Kollege, das
klingt etwas anders als das, was Sie hier vorgetragen haben: „Bundesregierung räumt Sicherheitsmängel ein“.
({6})
So war es auch. Ein offizieller Ministeriumssprecher
räumte die Mängel zunächst ein. Danach wurde widersprochen. Der Kollege von der SPD-Fraktion kommt
dann hierher und sagt, dass doch eigentlich alles in Ordnung ist. Ich kann nur sagen: Das ist das blanke Chaos.
Die Dosen-Maut-Helden Trittin und Stolpe sind nicht
weit.
({7})
Im Übrigen: Der Bundesinnenminister hat personelle
Konsequenzen angedroht. Ich würde wirklich gerne einmal zusammenzählen. Die Zahl der Beamten, die unter
der politischen Führung dieses Bundesinnenministers
und unter politischen Fehlentscheidungen und Versäumnissen zu leiden haben
({8})
und die dafür den Kopf hinhalten müssen, steigt jede
Woche. Der Herr Bundesinnenminister wird mit seinem
Staatssekretär irgendwann allein im Innenministerium in
Moabit sitzen.
({9})
Vor dieser Vorstellung graust selbst dem Herrn Staatssekretär Körper.
({10})
Wir führen im Augenblick eine Debatte über die Neuregelung unseres Zuwanderungsrechtes. Rot-Grün, vor
allem der grüne Teil dieser Koalition, möchte mehr Zuwanderung in unser Land, die Union eine restriktivere
Zuwanderungspolitik. Darüber streiten wir. Ich stelle mir
nur die Frage, ob es eigentlich sinnvoll ist, sich de lege
ferenda darüber im Rahmen eines Vermittlungsverfahrens zu unterhalten, wenn nebenbei durch Verwaltungsvorschriften und Runderlasse, durch eine laxe Verwaltungspraxis und eine schludrige Kontrollpraxis auf
kaltem Wege dafür gesorgt wird, dass mehr Zuwanderung in unser Land stattfindet.
({11})
Im Übrigen entsteht der Eindruck: Es ist völlig egal,
wer in unser Land kommt.
({12})
Das ist unter Sicherheitsgesichtspunkten eine Katastrophe.
({13})
Wem nützen Einreisegesetze, wenn sie nachlässig oder
gar nicht umgesetzt werden? Wem nützen Visaregelungen und Regelanfragen bei der Ausländerbehörde, wenn
in deutschen Botschaften auf Erlass des Außenministeriums sowieso jeder ein Visum bekommt, ohne dass
Thomas Strobl ({14})
vorher genau geprüft wird, ob überhaupt eine Berechtigung vorliegt?
({15})
Wozu haben und brauchen wir Gesetze zur Verbesserung der inneren Sicherheit, wenn Terrorgruppen oder
deren Sympathisanten mehr oder weniger ungehindert in
unser Land eingeschleust werden können, weil die Behörden bzw. das Auswärtige Amt und das Innenministerium offensichtlich kein gesteigertes Interesse daran haben, Einreisende überhaupt zu überprüfen, geschweige
denn zu verhindern, dass diese Leute gefasst bzw. an der
Einreise nach Deutschland gehindert werden?
({16})
Wir haben in dieser Debatte und in diesem Parlament
noch nicht ausreichend über den verantwortungslosen
Leichtsinn gesprochen, der im Zusammenhang mit der
massenhaften und ungeprüften Erteilung von Visa durch
die Botschaft in Kiew zutage getreten ist.
({17})
Offensichtlich sind hier über einen langen Zeitraum Hinweise der Sicherheitsbehörden ignoriert worden. Wir
werden darüber noch sehr viel länger zu reden haben,
Herr Kollege Volmer. Sie persönlich tragen zusammen
mit dem Herrn Außenminister Fischer ein gerütteltes
Maß an Verantwortung dafür,
({18})
dass Tausende, ja Hunderttausende Illegale, Kriminelle,
Prostituierte, Schwarzarbeiter und auch Terroristen in
dieses Land einreisen konnten.
({19})
Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen.
({20})
Der Bundesinnenminister sollte nicht zum Bundesbeschwichtigungsminister werden. Reden Sie nicht, sondern handeln Sie, bevor Schlimmeres passiert und bevor
es zu spät ist!
Besten Dank.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Peter Kemper,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem ich die Rede des Kollegen Strobl gerade gehört habe, bin ich schon ein bisschen überrascht.
({0})
Er kritisiert hier Dinge, die sicherlich kritisiert werden
müssen.
({1})
- Danke für den Applaus. Sie müssen aber zunächst einmal eine saubere und ehrliche Analyse abliefern. Dazu
sind Sie ganz offensichtlich nicht bereit. Darauf komme
ich gleich noch zu sprechen.
Es wird von uns überhaupt nicht bestritten, dass es am
Flughafen in München Missstände beim Bundesgrenzschutz gegeben hat. Das hat weder der Kollege Hofmann
noch sonst jemand von uns beschönigt; dazu stehen wir.
Bei 127 Flügen ist die notwendige Kontrolle unterblieben. Dabei sage ich ganz deutlich: Es ist völlig unerheblich, ob es Ferienflieger oder Flieger aus irgendwelchen
gefährlichen oder verdächtigen Ländern sind. Das ist
nicht zu entschuldigen. Das sind massive Dienstpflichtverletzungen.
({2})
Es hat nicht nur durch die Kollegen und Beamten vor
Ort erhebliche dienstliche Verletzungen gegeben, sondern es hat auch ganz erhebliche Mängel in der Dienstaufsicht gegeben. Dazu sage ich Ihnen: Das darf nicht
beschönigt werden; das hat niemand getan. Auch das Innenministerium hat dies nicht getan. Es hat bereits personelle Konsequenzen gegeben. Der Amtsleiter wurde
suspendiert und auch der Inspektionsgruppenleiter wird
zur Verantwortung gezogen. Hier wird überhaupt nichts
beschönigt und verschleiert. Aber wenn Sie hier tränenreich den angeblichen Personalmangel in München und
Bayern bejammern, dann sage ich Ihnen: Auch durch
ständiges Wiederholen wird das nicht wahrer, Herr
Strobl.
Bei der Eröffnung des Terminals 2 sind zusätzlich
300 Beamte zum Flughafen München versetzt worden.
Weitere 30 Beamte sind im Juni dazugekommen.
({3})
- Nicht Stellen. Das zeigt, dass Sie sich nicht schlau gemacht haben.
({4})
Die Stellen mögen fehlen, die Köpfe sind da. Es ist ein
Unterschied, wenn jemand abgeordnet und dort nicht geführt wird. Als Arbeitskraft ist er da. Es fehlt niemand in
München.
({5})
Sie müssen sich erst einmal schlau machen.
({6})
Unterstellt, es würden wirklich 20 oder 30 Leute fehlen: Das Grenzschutzpräsidium Süd verfügt über
7 000 BGS-Bedienstete. Wollen Sie uns wirklich weismachen, dass es nicht möglich gewesen wäre, im internen Austausch diese Lücken zu schließen? Das gibt es
überhaupt nicht.
Sie wissen, dass ich über 30 Jahre lang selbst Polizeibeamter gewesen bin. Die Personalfrage war immer ein
Problem bei der Polizei. Es sollte immer mehr Personal
geben. Ich glaube, es geht Ihnen gar nicht darum. Hier
ist zeitnah gehandelt worden. Das Personal ist da. Es
geht Ihnen um etwas ganz anderes - das ist gerade bei
der Rede des Kollegen Strobl deutlich geworden -:
({7})
Sie versuchen, die Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik infrage zu stellen und schlechtzureden. Das
wird bei der Verquickung mit dem Volmer-Erlass deutlich, der damit nichts zu tun hat. Sie scheuen sich noch
nicht einmal, die Maut oder das Dosenpfand in diesem
Zusammenhang in die Diskussion zu bringen.
({8})
Das ist sehr durchsichtig. Es wird Ihnen nicht gelingen, die innere Sicherheit in der Bundesrepublik
schlechtzureden. Ihr Versuch ist nicht neu. Sie haben das
oft versucht, aber es ist Ihnen nie gelungen. Das kann Ihnen auch gar nicht gelingen.
({9})
Denn wir haben einen hervorragenden Innenminister
und einen guten Staatssekretär. Das ist keine Frage. Aber
was noch viel wichtiger ist: Wir haben in dieser Koalition gute Innenpolitiker.
({10})
Diese Innenpolitiker gehen Mängeln nach. Deswegen ist
die Innenpolitik in dieser Koalition in guten Händen.
Es geht hier um ein regional begrenztes Fehlverhalten
im Süden unserer Republik. Das ist durch eine Kombination von Leistungsverweigerung und fehlender
Dienstaufsicht möglich geworden. Die Konsequenzen
werden gezogen. Aber ich will auch ganz deutlich sagen:
Polizei und Bundesgrenzschutz liefern gute Arbeit ab.
Sie arbeiten motiviert und engagiert, oft unter Zurückstellung ihrer persönlichen Belange.
({11})
Sie sorgen dafür, dass die innere Sicherheit bei uns in der
Bundesrepublik in Ordnung ist. Sie haben es nicht verdient, niedergemacht oder angemacht zu werden. Das ist
mit uns nicht zu machen und das werden wir nicht zulassen.
({12})
Sie haben erfolgreich gearbeitet. In den Jahren 2000 bis
2003 sind über 100 000 unerlaubt Eingereiste festgenommen und zurückgewiesen worden. Davon waren
30 000 Personen, die geschleust worden sind. Es sind
über 8 000 Schleuser festgenommen worden. Das ist
eine Erfolgsstory, die für sich spricht.
Wir haben ein höchstmögliches Maß an Sicherheit.
Dass es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt, wissen
wir alle. Wenn dem so wäre, wäre das Leben nicht mehr
lebenswert. Wir haben eine gute Balance zwischen persönlicher Freiheit und innerer Sicherheit garantiert. Daran werden wir weiter arbeiten. Wir werden uns in dieser
Frage auch nicht von der CDU/CSU beeinflussen lassen.
Wenn Sie vernünftige Innenpolitik und innere Sicherheit wollen, dann arbeiten Sie mit uns zusammen. Aber
unterlassen Sie unnötige Anwürfe! Die sind nicht glaubwürdig und die nimmt Ihnen keiner ab.
({13})
Der nächste Redner ist der Kollege Ralf Göbel, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In einer Rede im Deutschen Bundestag am
11. Oktober 2001 führte Bundesminister Otto Schily
aus:
Sicherheitssysteme dürfen nicht so aufgebaut sein,
dass nach dem Versagen der ersten Stufe auch die
zweite nicht funktioniert. Die verbrecherischen Anschläge in New York und in Washington waren
nicht mehr zu verhindern, als sich die Flugzeuge
auf das World Trade Center und auf das Pentagon
zubewegt haben. Sie wären zu verhindern gewesen,
wenn bei der Fluggastkontrolle und auf anderen
Gebieten einige andere Möglichkeiten genutzt worden wären.
({0})
Heute haben wir leider Veranlassung, im Deutschen
Bundestag über diese fehlenden Kontrollen zu debattieren.
Die Europäische Union hat mit dem SchengenAcquis, dem die europäischen Staaten beigetreten sind,
einen europäischen Sicherheitsstandard definiert, an den
sich die Mitgliedstaaten zu halten haben. Im Einzelnen
heißt es, dass alle Personen zumindest einer solchen
Kontrolle zu unterziehen sind, die die Feststellung ihrer
Identität anhand der Reisepapiere ermöglicht. Von einer
Ausnahme, nach der nur bestimmte Personen zu kontrollieren sind, ist im Schengener Durchführungsübereinkommen nicht die Rede. Im Gegenteil: Nach diesem
Übereinkommen ist das sogar ausgeschlossen.
Mit dem Vorkommnis, über das wir heute diskutieren,
hat Deutschland eindeutig gegen die europäischen Sicherheitsvorschriften verstoßen, und zwar deswegen,
weil die personellen Voraussetzungen für die Einhaltung
der europäischen Normen offensichtlich nicht gegeben
sind. Nach verschiedenen Pressemeldungen fehlen am
Flughafen München mehr als 60 BGS-Beamte. Nach
Gewerkschaftsangaben, die auch im Internet nachzulesen sind, sollen auch an anderen deutschen Flughäfen
zum Teil erhebliche Personallücken bestehen. Ich kann
das von hier aus nicht nachvollziehen.
Defiziten in dieser Größenordnung kann auch durch
eine flexible Dienstplangestaltung vor Ort nicht begegnet werden. Hier ist vielmehr eindeutig eine politische
Priorisierung der Personalverteilung notwendig.
({1})
Deswegen ist es aus meiner Sicht zu kurz gesprungen,
die Verantwortung vom Bundesinnenminister auf die lokale Ebene zu delegieren.
({2})
Bei diesen Verstößen frage ich mich, wie wir auf europäischer Ebene insbesondere von den neuen Beitrittsländern, die künftig unsere Ostgrenze bilden, ernst genommen werden wollen. Wie wollen wir diesen Ländern
klar machen, dass sie den Schengen-Standard erfüllen
sollen, wenn wir selber in personeller Hinsicht nicht in
der Lage sind, diesen Standard zu gewährleisten? Von
der Technik bzw. dem Digitalfunk will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden.
({3})
Was den Bundesinnenminister angeht, bin ich etwas
anderer Auffassung als der Kollege Stadler. Ich will auch
nicht schlechtreden,
({4})
was der Kollege Kemper dargestellt hat. Ich will nur darauf hinweisen, dass sich der Bundesinnenminister aus
unserer Sicht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland
langsam zu einem Problem entwickelt.
({5})
Nehmen wir nur den Umzug des BKA, bei dem in völlig
unprofessioneller Weise gehandelt worden ist und eine
der wichtigsten Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik
über Wochen und Monate lahm gelegt wurde,
({6})
ganz abgesehen von dem arroganten Umgang mit den
Innenministern der Länder.
Wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte,
so ist er mit der SMS-Fahndung erbracht worden.
({7})
Wie geht der Bundesinnenminister mit seinen Länderkollegen um? Wie geht er mit Ihnen um? Sie wussten ja
auch nichts. Herr Tauss hat sich dazu hinreißen lassen,
von „Blockwartmentalität“ zu reden. Ich teile diese Auffassung des Kollegen Tauss nicht. Ich halte aber das Vorgehen des Ministers in dieser Frage für genauso arrogant
wie seinen Umgang mit dem Bundeskriminalamt. Dieses
Verhalten des Ministers ist vor allem im Umgang mit
den Ländern schädlich, die für die innere Sicherheit genauso Verantwortung tragen wie der Bund.
({8})
Ich bin der Auffassung, dass wir uns bei der derzeit angespannten Sicherheitslage solche Mätzchen nicht länger leisten können.
Ich will abschließend aus der „Welt am Sonntag“ vom
22. Februar 2004 zitieren. Darin wird kolportiert:
Jeden Morgen lässt sich Bundesinnenminister
Schily die Positionen seiner Patrouillenboote mitteilen.
Ich meine, das wird sicherlich dann wichtig werden,
wenn die Koalition unserem Antrag zur Schaffung einer
nationalen Küstenwache zugestimmt hat.
({9})
Bis dahin aber, meine ich, ist es für die Sicherheitslage
der Bundesrepublik wichtiger, dass sich Bundesminister
Schily mit den täglichen Stärkemeldungen des BGS beschäftigt und die erkannten Defizite dann durch entsprechende Personalzuweisungen korrigiert.
({10})
Erst dann bringt er sein Reden und Handeln wieder in
etwa in Kongruenz.
Danke schön.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ludger Volmer, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anders
als Herr Strobl gerade behauptet hat, hat sich das ParlaDr. Ludger Volmer
ment sehr wohl mit den Vorgängen an der Botschaft in
Kiew, mit dem Schleuserprozess in Köln und mit der Visumreform des Auswärtigen Amtes auseinander gesetzt.
Herr Strobl, wären Sie in der Fragestunde anwesend gewesen, hätten Sie eine Stunde lang dieses Thema verfolgen können und hätten Ihre völlig unsinnigen Behauptungen unterlassen; denn das Auswärtige Amt hat gerade
alle unqualifizierten Anschuldigungen überzeugend zurückgewiesen.
({0})
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen zu
sagen - hören Sie gut zu! -, welches Motiv es für die Visumreform des Auswärtigen Amtes gab. Als ich 1998
Staatsminister im Auswärtigen Amt wurde, habe ich einen ganzen Stapel an Beschwerden, und zwar auch von
Abgeordneten Ihrer Fraktion,
({1})
die heute anwesend sind, vorgefunden, in denen darum
gebeten wurde, bestimmte ablehnende Visumbescheide
noch einmal zu überprüfen, weil es hier zu unzulässigen
Härten gekommen sei. Die damalige Weisungslage war
von Innenminister Kanther und Außenminister Kinkel
gebilligt worden. Ich möchte Ihnen an drei Einzelfällen
deutlich machen, wie Sie entschieden haben.
Erster Fall: Ein Mann aus Nordafrika, der einen Gehirntumor hatte, wollte sich in Deutschland operieren
lassen. Er hatte bereits einen Operateur an einer deutschen Universitätsklinik gefunden. Er musste in Algerien einen Papierkrieg führen, um nachzuweisen, dass er
rückkehrbereit ist und dass er seinen Aufenthalt in
Deutschland finanzieren kann. Obwohl er alle notwendigen Unterlagen beigebracht hatte, wurde er wochenlang
hin und her geschickt. Zum Schluss sollte er eine Garantieerklärung des operierenden Chefarztes einer deutschen Universitätsklinik beibringen, dass die Gehirnoperation auf keinen Fall den Betrag übersteigt, der ihm per
Bürgschaft zugesichert worden ist. Da er eine solche Erklärung nicht beibringen konnte, bekam dieser Mann
kein Visum. Er sollte also an seinem Gehirntumor sterben. So sah die Weisungslage von Kinkel und Kanther
aus. Dies war unser Motiv, eine gründliche Reform des
Visumwesens vorzunehmen, und zwar auf Drängen des
Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages.
({2})
- Ich habe um Überprüfung gebeten. Der Mann hat seine
Operation bekommen.
({3})
Zweiter Fall: Eine deutsche Touristin verliebte sich in
Asien, lebte dort mit einem Asiaten zusammen, wurde
schwer krank und musste nach Deutschland zurückkehren. Der Asiate begleitete sie und pflegte die todkranke
Frau aufopferungsvoll. Schließlich musste er aber ausreisen, weil sein Visum abgelaufen war, und durfte nicht
wieder einreisen. Ergebnis: Die todkranke Frau war
ohne Pflege in ihrer Wohnung. So sah die Weisungslage
von Kinkel und Kanther aus. Auch diese Entscheidung
haben wir überprüft. Ich habe wirklich Schwierigkeiten,
im Zusammenhang mit diesen Fällen, von denen es noch
mehr gibt, den Begriff „Menschenrechtsverletzung“ zu
vermeiden.
Dritter, ganz absurder Fall, der aber leider auch Realität ist: Einer der besten russischen Violinisten war von
den Münchner Symphonikern zu einem öffentlichen
Konzert eingeladen worden. Er kam zu spät, weil er
nicht rechtzeitig sein Visum erhalten hatte. Hier bestand
also wirklich Reformbedarf.
Wir haben aber nur Reformen in dem Bereich vorgenommen, für den ausschließlich das Auswärtige Amt zuständig ist, nämlich bei den Besuchervisa. Hier haben
wir den Ermessensspielraum so geändert, dass solche
gruseligen bzw. absurden Fälle nicht mehr vorgekommen sind. Diese Visumreform war absolut überfällig. Sie
ist vom Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig, also mit den Stimmen von CDU
und CSU, gebilligt worden.
({4})
Selbstverständlich gab es Anfragen des Innenministeriums. Das ist auch völlig in Ordnung; denn das Innenministerium muss ein und denselben Sachverhalt immer
aus einem anderen Blickwinkel betrachten als das Außenministerium. Die unterschiedlichen Sichtweisen dieser beiden Ministerien müssen immer wieder abgeglichen werden. Wenn ein Haus eine Reform vornimmt,
dann ist klar, dass man sich mit dem anderen Haus ins
Benehmen setzt. Wir haben dies in gutem Einvernehmen
getan.
Wir arbeiten an der Errichtung eines modernen
Grenzmanagementsystems, das einen reibungslosen und
unbürokratischen internationalen Austausch, den wir aus
außenpolitischen, außenwirtschaftlichen, interkulturellen und touristischen Gründen dringend brauchen,
ermöglicht und das dafür sorgt, dass Menschenrechtsverletzungen, wie sie vorher vorgekommen sind, unterlassen werden. Auf der anderen Seite muss die Arbeit effektiver werden, sodass die Schurken - also diejenigen,
die illegal einreisen wollen, oder diejenigen, die hier
Straftaten begehen wollen - herausgefiltert werden.
Um das Letzte zu gewährleisten, wäre es wirklich
sinnvoll - auch das ist die Aufgabe und ist die Verantwortung des Parlaments -, dass wir im jetzigen
Haushaltsverfahren einen Beschluss fassen, den wir
schon einmal gefasst haben, nämlich dass die Personengruppe der Konsularbeamten von der linearen Stellenkürzung im Bundeshaushalt ausgenommen wird. Die
Visastellen sind unterbesetzt. Man ist auch baulich teilweise überhaupt nicht mehr in der Lage, den Ansturm
zu bewältigen. Man brauchte zum Beispiel Geld dafür,
um neue Liegenschaften kaufen zu können. Sie selbst
sind gefordert - Sie haben teilweise zu Recht einige
Fehlentwicklungen kritisiert -, im Haushaltsverfahren
dafür zu sorgen, dass ein modernes Grenzmanagementsystem möglich wird und dass das Auswärtige Amt sowie unsere Visastellen die notwendigen Mittel zur Verfügung haben.
Danke.
({5})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Eigentlich wollte ich zum Thema „Einreisen
aufgrund von Kontrolllücken an deutschen Flughäfen“
reden. Zum Ende seiner Rede hat der mittlerweile entlassene Staatsminister Volmer
({0})
das Beispiel mit den Münchner Symphonikern gebracht.
Dazu muss ich schon sagen: Das darf ja wohl nicht wahr
sein. Herr Volmer, wollen Sie uns allen Ernstes weismachen: Weil ein Musikant nicht rechtzeitig nach München
gekommen ist, müssten wir die Visabestimmungen so
erleichtern, dass 1 Million Ukrainer nach Deutschland
kommen konnten?
({1})
Sind Sie noch ganz bei Trost, Herr Volmer? Daran erkennt man doch auch den Grund, meine lieben Kollegen
von der SPD, für Ihre Betroffenheit und für die Art, wie
Sie dasitzen. Sie merken plötzlich, was dieser einwanderungspolitische Triebtäter angerichtet hat.
({2})
Das ist doch der Punkt, nicht wahr? Sie merken es plötzlich: Es ist gut, dass er entlassen worden ist. Ein einwanderungspolitischer Triebtäter, nichts anderes ist er!
({3})
Herr Wiefelspütz, Sie werden an Ihren Taten gemessen. Da nützt es gar nichts, dass der Innenminister Schily
martialisch vor jede Kamera tritt und sagt: Ich werde jeden Illegalen und jeden Kriminellen eigenhändig in
Handschellen in die Haftanstalten führen. In Wahrheit
kommt 1 Million nach Deutschland. Die Mehrzahl von
ihnen
({4})
- Herr Volmer, das wissen Sie genauso gut wie ich - sind
bestenfalls Schwarzarbeiter und viele sind Kriminelle.
Frau Kollegin von den Grünen, viele von den Frauen
sind zwangsweise nach Deutschland verschleppte Prostituierte. Zurzeit gibt es einen ganz prominenten Fall, den
Sie alle kennen. Es kamen Kriminelle, ja sogar Terroristen. Dennoch sagen Sie: Wo gehobelt wird, da fallen
Späne; daran kann man nichts ändern.
({5})
Sie sind mit dieser Politik - grinsen Sie nicht so, Herr
Volmer! - ein Sicherheitsrisiko für Deutschland geworden. Das wissen Sie ganz genau.
({6})
Das ist nun einmal das Credo grüner Einwanderungspolitik. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die rotgrüne Regierungspolitik.
({7})
Sie sagen: Das Boot ist noch nicht voll.
({8})
Sie sagen: Im Zweifelsfall für die Reisefreiheit! Außerdem sagen Sie - ich bitte Herrn Stadler, darauf nicht
hereinzufallen - in dubio pro libertate. Sie benutzen eine
solche Formulierung, obwohl Sie genau wissen, dass es
um organisierte Kriminalität, um miesesten, finstersten
Menschenhandel,
({9})
um international organisiertes Schleusertum geht. Es
geht um eine Art von Kriminalität, mit der eine Person
am Tag - so hat es jemand im Schleuserprozess ausgesagt - mindestens 15 000 Euro verdient. Herr Volmer,
Sie haben die Geschäftsgrundlage dafür geschaffen.
Wissen Sie, was Sie sind? - Sie sind Mittäter bei dieser
Form von Kriminalität.
({10})
Sie sind ein Mittäter im strafrechtlichen Sinne.
Der Kölner Richter hat Recht - wir werden das Urteil
ja bald bekommen -: Nicht nur die Schleuser, sondern
auch so einer wie Ludger Volmer gehört auf die Anklagebank.
({11})
Das alles werden wir auch noch erleben.
Sie werden auch in Brüssel erklären müssen, warum
Sie für diesen rechtsbeugenden Erlass gesorgt haben.
({12})
- Hören Sie doch zu!
({13})
Wenn Sie Jura studiert haben, dann müssen Sie verstehen, worüber ich jetzt rede.
In dem Erlass ist eine Beweislastumkehr vorgenommen worden. Das ist contra legem. Das europäische
Recht sagt: Der Ausländer muss überzeugend darlegen,
dass er wirklich als Tourist einreisen und als solcher innerhalb von drei Monaten wieder ausreisen will. Was haben Sie zynischerweise in den Volmer-Erlass hineingeschrieben? - Der Beamte in der Botschaft ist es, der
beweisen soll, was er niemals beweisen kann, nämlich
dass der Ausländer innerhalb von drei Monaten nicht
wieder ausreist und in Wirklichkeit nicht als Tourist,
sondern als Schwarzarbeiter nach Portugal, Deutschland
oder Spanien einreisen will. Das haben Sie hineingeschrieben. Das ist Zynismus.
({14})
Als die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Kiew
gesagt haben: „Wir saufen ab; Auswärtiges Amt, gib uns
Personal, gib uns mehr Entscheider“,
({15})
haben Sie erwidert: Nein, das kriegen Sie nicht; wir wollen ja nicht, dass so genau geprüft wird. Wir wollen
nicht, dass am Münchner Flughafen so genau geprüft
wird; kein Personal für den BGS. Wir wollen nicht, dass
die Visaanträge so genau geprüft werden; kein Personal
für die Botschaft in Kiew. - Das ist Ihre Linie. Glauben
Sie ja nicht, dass die Menschen so blöd sind, das nicht zu
erkennen! Sie werden an Ihren Taten gemessen. Herr
Schily muss sich dafür rechtfertigen und sagen, warum
er diese Taten zugelassen hat
({16})
und wie sich die Verschärfungen der Visabestimmungen
nach den Terroranschlägen zu dem Treiben dieser Leute
verhalten. Das ist die ganz große Frage. Wir werden
keine Ruhe geben, bis das schonungslos aufgedeckt ist.
Sie werden dann hoffentlich an unserer Seite sein und
nicht bei diesem Herrn Ludger Volmer.
({17})
Das Wort hat der Kollege Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Uhl, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, haben Sie
Jura studiert. Wenn das so ist, dann braucht man Sie nur
auf die einschlägigen Straftatbestände der üblen Nachrede und der Verleumdung hinzuweisen, um zu definieren, was Sie mit dem Kollegen Volmer gemacht haben.
({0})
Es ist schon beispiellos, wie Sie dieses Thema behandeln
und wie Sie Kollegen verunglimpfen, die das in sachlicher Form und mit einem Engagement, das man als Abgeordneter haben darf, dargestellt haben. So viel Münchner Beton haben wir im Innenausschuss zum Glück nicht
mehr. Dafür sind wir dankbar, Herr Uhl.
({1})
Vielleicht kann ich zur Versachlichung beitragen. Das
ist etwas, was in der Politik häufiger geschehen sollte.
Herr Uhl, Herr Strobl und andere, schauen wir doch einmal ins Gesetz! Die Kenntnis des Gesetzes und der
Grundlagen des Gesetzes erspart manche nicht so lichtvollen Ausführungen. Worüber reden wir? Herr Uhl, wir
reden über das Schengener Abkommen. Dazu gibt es ein
Durchführungsübereinkommen. Das ist vom 19. Juni
1990. In Art. 6 heißt es:
Der grenzüberschreitende Verkehr an den Außengrenzen unterliegt der Kontrolle durch die zuständigen Behörden. Diese wird nach einheitlichen
Grundsätzen, in nationaler Zuständigkeit … durchgeführt. …
Alle Personen sind zumindest einer solchen Kontrolle zu unterziehen,
({2})
die die Feststellung ihrer Identität anhand der vorgelegten oder vorgezeigten Reisepapiere ermöglicht.
({3})
Dann heißt es allerdings - bitte weiterlesen! -:
Können solche Kontrollen wegen besonderer Umstände nicht durchgeführt werden, sind Schwerpunkte zu setzen.
({4})
Das zum Beispiel ist möglich.
Weiter heißt es:
Die Vertragsparteien verpflichten sich, geeignete
Kräfte in ausreichender Zahl für die Durchführung
der Kontrollen und die Überwachung der Außengrenzen zur Verfügung zu stellen.
({5})
Bitte schön! Was ist Faktum? Was hat das Innenministerium dazu bereits gesagt? Dazu bedurfte es keiner
Aktuellen Stunde in diesem Hohen Hause. Was hat das
Innenministerium dazu schon gesagt? Alles das können
Sie nachlesen. Das ist über Internet und über die Dienste,
die auch Sie beziehen, verfügbar.
Vom Innenministerium heißt es: Auf dem Münchner
Flughafen steht eine ausreichende Zahl von Beamten zur
Verfügung, um den Reiseverkehr gemäß den Vorgaben
des Schengener Abkommens zu kontrollieren. Überdies
wird am Flughafen München ein bedarfsorientiertes, flexibles Schichtmanagement praktiziert, um gerade auf
Verkehrsspitzenzeiten reagieren zu können.
In der offiziellen Erklärung, die auch Sie kennen,
heißt es dann noch:
({6})
Zudem ist bei der Eröffnung des 2. Terminals am
Münchner Flughafen im vergangenen Jahr das BGS-Personal dort durch 300 Beamte verstärkt worden. Weiteres
Unterstützungspersonal aus den BGS-Verbänden des
Grenzschutzpräsidiums Süd wurde der Flughafendienststelle im Oktober 2003 zur Verstärkung zugeführt.
({7})
Es ist alles geregelt.
Was zu diesem Einzelfall München zu sagen ist, haben Hans-Peter Kemper und Herr Hofmann gesagt. Es
ist ein Dienstvergehen vor Ort gewesen. Es ist nirgendwo greifbar, dass es sich dabei um eine politische
Entscheidung handelte, die irgendwie nach Berlin weist.
({8})
Der BGS, den Sie so wunderbar gelobt haben, macht
hervorragende Arbeit. Den menschlichen Faktor, Herr
Koschyk, gibt es überall,
({9})
insbesondere, wenn so viele Beamte eine Rolle spielen.
Herr Kemper hat darauf hingewiesen - das kann man
vielleicht für alle noch einmal sagen -: Der Bundesgrenzschutz hat in den letzten vier Jahren über 100 000
unerlaubt eingereiste Personen festgestellt, von denen
30 000 eingeschleust waren. Diese Erfolgsdaten kann
sich der Bundesgrenzschutz auf die Fahne schreiben. Es
ist also viel passiert und es werden auch weiterhin vom
Bundesgrenzschutz die Aufgaben wahrgenommen, die
er im Rahmen des Schengen-Abkommens wahrzunehmen hat. Im Schengen-Abkommen wird eindeutig festgelegt, dass nicht auf Kontrollen verzichtet werden darf,
sie aber unter bestimmten Umständen gelockert werden
dürfen. Nichts weiter verlangt das Schengen-Abkommen, und das wird gemacht. Das wäre Ihnen auch ohne
diese Aktuelle Stunde bekannt gewesen.
Ich weise noch auf einen anderen Aspekt hin, wodurch vielleicht das allzu kleine Karomuster, das Sie hier
anlegen, überwunden werden kann: Von der UN-Generalversammlung wurde im Dezember 1998 die Ausarbeitung eines Übereinkommens gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität in die Wege geleitet. Wir
alle sind der Meinung, dass etwas gegen Menschenhandel, gegen Schleusung und gegen Schusswaffen getan
werden muss. All das wird in diesem Abkommen behandelt. Dieses Abkommen wird uns in Kürze zur Ratifizierung vorgelegt werden. Dort ist, ähnlich wie beim
Schengen-Abkommen, niedergelegt, was wir international brauchen. Ich bitte Sie, das kleine Karomuster zu
überwinden, das man mit dem bloßen Auge kaum erkennen kann, Ihren Blick auf die größere europäische und
internationale Ebene zu richten und gemeinsam mit uns
vorzugehen.
Danke schön.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Um die Debatte zu versachlichen,
({0})
möchte ich festhalten: Wir sind uns darüber klar, dass Innenminister Schily die Verantwortung für die Sicherheit
in unserem Land trägt. Da wollen wir uns doch einmal
anschauen, wie es mit der Umsetzung von praktischen
Maßnahmen für den effektiven Schutz unserer Bevölkerung aussieht. Aktuell reiht sich ein weiteres Defizit bei
der Gewährleistung der inneren Sicherheit in die inzwischen schon umfangreiche Mängelliste ein:
({1})
Am Münchner Flughafen fielen fast täglich Personenkontrollen bei der Einreise aus - das ist Fakt - und, Herr
Bürsch, die Kontrollen sind nicht Schengen-konform
durchgeführt worden.
({2})
Die vorgeschriebene Trennung von EU-Bürgern und
Passagieren aus Drittstaaten fand nicht statt. Ausweise
von möglichen Terroristen wurden nur flüchtig einer
Sichtkontrolle unterzogen. Welche Folgen haben diese
Versäumnisse? Unzählige Ausländer konnten unkontrolliert in unser Land kommen.
({3})
Darunter befinden sich möglicherweise Terroristen und
Kriminelle. Wie wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern im Falle eines Anschlages erklären, dass das möglich war?
({4})
Meine Damen und Herren, nicht nur die innenpolitischen Konsequenzen von Versäumnissen wie am
Münchner Flughafen sind zu bedenken, auch die Außenwirkungen sind fatal. Wie können wir denn ernsthaft den
neuen Mitgliedstaaten der EU höchste Schengener Sicherheitsstandards abverlangen, wenn wir selbst sie
noch nicht einmal einhalten?
({5})
Wir bekommen so ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem gegenüber unseren polnischen, slowakischen und
ungarischen Freunden.
Eines ist klar: Die Verantwortung für diesen Vorfall
trägt der Bundesinnenminister.
({6})
Der Bundesinnenminister hat es zugelassen, dass am
Flughafen München 60 von 300 notwendigen neuen
Stellen nicht besetzt wurden.
({7})
Das sagt jedenfalls der Präsident von Eurocop, Herr
Kiefer. Er bescheinigt, dass die mangelhaften Kontrollen
in München auf Personalmangel zurückzuführen sind.
({8})
Es darf daher nicht wie bei der BKA-Katastrophe nach
Sündenböcken gesucht werden.
({9})
Wir werden es nicht zulassen, dass der Bundesinnenminister sich wie bei der Katastrophe um den BKA-Umzug aus der Verantwortung stiehlt.
({10})
Die Versäumnisse am Münchner Flughafen sind nicht
die einzigen. Die Reihe der Pannen und Fehler der Bundesregierung wird gerade im Bereich der inneren
Sicherheit immer länger. Der geplante Umzug war mit
Blick auf die Arbeit des BKA und des BND ein Debakel.
Die Verlagerung soll 1 Milliarde Euro kosten. Diese
Milliarde fehlt bei der wichtigen Ausstattung unserer
Polizeien und des Bundesgrenzschutzes.
({11})
Die Bundesrepublik ist in Europa Schlusslicht beim Aufbau eines leistungsfähigen Digitalfunks.
({12})
Der geplante Starttermin, 2006, ist - in Mautmanier nicht mehr zu halten. Der Kalif von Köln konnte nicht
ausgewiesen werden und Terroristen wie Mzoudi wird es
in Deutschland viel zu leicht gemacht.
({13})
Auch der Bereich der Küstenwache gehört natürlich
zur inneren Sicherheit. Die Vorschläge, die das Bundesinnenministerium hierzu gemacht hat, greifen viel zu
kurz.
({14})
Das Schengener Abkommen wird von der Bundesregierung immer wieder bewusst verletzt. Die mangelhaften Flughafenkontrollen am Münchner Flughafen
sind nur ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel ist der Skandal um den Volmer-Erlass aus dem Auswärtigen Amt.
({15})
Die Einschleusung Tausender Illegaler wurde ermöglicht; darunter sind natürlich auch Frauen, die hier in
Deutschland zur Prostitution gezwungen werden.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Anspruch und
Wirklichkeit müssen bei der Gewährleistung der inneren
Sicherheit endlich zusammengebracht werden.
({17})
Die Selbstdarstellung des Bundesinnenministeriums,
nach der angeblich alle erforderlichen Maßnahmen mit
höchster Priorität umgesetzt werden, hat mit der Realität
überhaupt nichts zu tun.
({18})
Die Bürger haben nichts davon, wenn bloß immer versichert wird, dass alles für die Sicherheit in Deutschland
getan werde. Innere Sicherheit wird mit Taten erreicht,
nicht mit Sonntagsreden.
({19})
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich kann nur sagen: Herr Innenminister, übernehmen
Sie die Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes,
und achten wir als Parlamentarier gemeinsam darauf,
dass die Kriterien des Schengener Abkommens endlich
in ganz Deutschland eingehalten werden.
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, insbesondere meine Damen und Herren von der Opposition!
Sie können noch so viel reden und lamentieren: Otto
Schily ist ein erfolgreicher Innenminister.
({0})
- Ich habe das wohlwollend registriert; ich war auch davon überzeugt, dass ich überzeugend war.
Innere Sicherheit „made in Germany“ ist, glaube ich,
für unser Land ein ganz wesentlicher Standortfaktor, den
wir der Innenpolitik und Otto Schily zu verdanken haben.
({1})
Ich sage auch ganz deutlich und einfach: Deutschland ist
eines der sichersten Länder dieser Welt und darauf können wir stolz sein.
({2})
Lieber Kollege Uhl, ich habe die herzliche Bitte, dass
Sie die Möglichkeit ergreifen, einmal nachzulesen, was
Sie heute hier an diesem Pult insbesondere gegenüber
dem Kollegen Volmer gesagt haben.
({3})
Vielleicht haben Sie dann die Größe, sich wenigstens bei
Herrn Volmer zu entschuldigen.
({4})
Angesichts dessen, was aus Ihren Reihen zu dieser
Thematik gesagt wird, bin ich froh, dass es den bayerischen Innenminister Günther Beckstein gibt, der sich für
eine großzügige Anerkennung von Asylbewerbern ausgesprochen hat. Wie der Bayerische Rundfunk am
Montag berichtete, sagte Beckstein am Sonntag zum
Auftakt der Misereor-Fastenaktion in Bamberg, er sei für
die Maxime, lieber einen zu viel anzuerkennen als einen
zu wenig. Er sagte weiter, es komme dabei nicht auf
100 oder 1 000 an; das Boot sei nicht so voll, als dass
wirklich verfolgten Menschen in Deutschland nicht
mehr geholfen werden könnte. Ich hoffe, dass dieser Minister nicht nur vor Kirchenkreisen so redet.
({5})
Dieser Bundesinnenminister und diese Koalition waren es, die in der Zeit nach dem 11. September sofort und
schnell die notwendige Sicherheitsgesetzgebung auf den
Weg gebracht haben. Sie können sich einmal ein Beispiel daran nehmen, wie schnell und konsequent politisches Handeln sein kann.
({6})
Ich will jetzt auf den eigentlichen Punkt zu sprechen
kommen. Dabei will ich gar nicht darum herumreden,
dass am Münchner Flughafen ein Fehler gemacht worden ist. Ich will diesen Fehler auch nicht beschönigen.
Aber ich denke, dass bei genauerem Hinsehen ganz
deutlich wird, dass dieser Fehler nicht aufgrund des Personalmangels passierte - dieser Grund wird vorgeschoben -, sondern dass es an den Problemen im Bereich der
Organisation und des Managements lag. Das ist so und
das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
All das, was Sie zur Personalsituation im Bereich des
BGS am Münchner Flughafen gesagt haben, ist nicht
richtig. Wir hatten im Jahr 2003 ein Planstellensoll von
789 und haben einen Istzustand von 769. Sie wären froh
gewesen, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit solche Quoten zwischen Ist und Soll erreicht hätten.
({7})
Sie wären auch froh gewesen, wenn es Ihnen beispielsweise gelungen wäre, für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes im Hinblick auf
Beförderungen oder auf die Erweiterung des Personalkörpers das zu erreichen, was unter Otto Schily in den
letzten fünf Jahren geschehen ist.
({8})
Es ist völlig klar, dass es bestimmte Verfahren und
Regularien gibt. Es ist auch völlig klar, dass es gewisse
Kriterien gibt, die nach dem Schengener Übereinkommen einzuhalten sind. Es gibt den Bereich der so genannten Kontrolllockerung, die nach dem Schengener
Durchführungsübereinkommen zulässig ist, wenn unverhältnismäßig lange Wartezeiten bei der grenzpolizeilichen Kontrolle abgebaut werden müssen. Das heißt
aber nicht, dass die Reisenden ohne Kontrollen durch die
Kontrollstellen gewunken werden. In jedem Fall ist die
Identitätsfeststellung anhand der vorgelegten Reisedokumente vorzunehmen.
Was die Kontrollverzichte anbelangt, so ist zu sagen,
dass sie nicht zu verantworten sind.
({9})
Sie verstoßen gegen das Schengen-Regime und sind deshalb unzulässig.
({10})
Ich versichere Ihnen, dass die Probleme an dieser Stelle
angegangen werden.
Damit Sie nicht ein Horrorszenario aufbauen können,
will ich Ihnen Folgendes sagen: Nach sorgfältiger Schätzung blieben durch diese Kontrollverzichte - gemessen
am kontrollpflichtigen Fluggastaufkommen - im Zeitraum von August 2003 bis Januar 2004 von circa
4,2 Millionen Reisenden etwa 0,04 Prozent kontrollpflichtiger Personen aus Nicht-Schengen-Staaten bei der
Einreise nach Deutschland und - hören Sie bitte zu! 0,08 Prozent derartiger Personen bei der Ausreise aus
Deutschland unkontrolliert.
({11})
Diese Zahlen sollen nichts entschuldigen. Sie sollen aber
überzogenen Vorstellungen vorbeugen. Deswegen habe
ich sie genannt.
({12})
- Herr Winkler, schönen Dank, dass Sie geklatscht haben.
Personalknappheit kann nicht als Argument dienen;
denn sie gab es am Münchner Flughafen nicht. Die Kolleginnen und Kollegen haben vorhin schon einmal auf
die Situation im Bereich des Personals und auch auf diejenige Situation hingewiesen, die im Zusammenhang mit
dem Terminal 2 und dessen Eröffnung steht. Für diesen
Zweck wurde zusätzliches Personal in der Größenordnung von 330 Personen eingesetzt.
Es wird immer wieder gefragt, was getan worden sei.
Es gibt eine Anweisung des Inspekteurs des Bundesgrenzschutzes vom 14. Juni 2001, die Schengen-Kriterien bei der Grenzkontrollarbeit einzuhalten und die organisatorischen Maßnahmen so zu treffen, dass diese
Kriterien erfüllt werden. Ich denke, das ist wichtig und
macht deutlich, worum es geht.
Meine Damen und Herren, wir haben die personellen
Konsequenzen gezogen oder sind dabei, sie zu ziehen.
Der Bundesgrenzschutz muss sich damit beschäftigen
und das aufarbeiten.
({13})
- Ich habe zehn Minuten, lieber Herr Koschyk. Das unterscheidet uns. Das ist gut so und soll auch so bleiben.
({14})
Die Prüfgruppe des Bundesgrenzschutzes nimmt ihre
Arbeit auf. Auch Bundesinnenminister Schily hat eine
Gruppe eingesetzt, um beispielsweise die Informationsabläufe und die Verantwortlichkeiten aufzuarbeiten und
zu ermitteln. Ich denke, das ist die angemessene Reaktionsweise in dieser Angelegenheit.
Meine Damen und Herren, ich sage ganz offen: All
Ihre Versuche, unsere innenpolitische Kompetenz negativ zu beurteilen, werden nicht gelingen. Wir haben mit
diesem Bundesinnenminister Otto Schily erfolgreich gearbeitet und werden das noch lange Zeit tun - so lange,
dass es Ihnen nicht angenehm sein wird. Das garantiere
ich Ihnen jetzt schon.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Clemens Binninger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Aufgefallen ist mir an den Redebeiträgen von
Rot-Grün in der letzten Stunde,
({0})
dass der Satz „Wir wollen Sicherheit für unsere Bevölkerung“ nicht einmal vorgekommen ist. Sie denken nur
an sich selber, an Ihren Innenminister, an Selbstbeweihräucherung. Von Selbstkritik ist bei Ihnen keine Spur.
({1})
Die Kernaufgabe ist doch, an unseren Außengrenzen
oder, wenn wir solche nicht mehr haben, an unseren
Flughäfen alles zu tun, um Personen, die wir in unserem
Land nicht wollen, nicht hineinkommen zu lassen. - So
sinngemäß auch Otto Schily in der Fernsehsendung.
({2})
Wenn wir feststellen, dass an einem Flughafen wie
dem in München die Kontrollen offensichtlich über einen langen Zeitraum nicht mehr stattgefunden haben,
dann müssen wir Ursachenforschung betreiben.
({3})
Es ist meines Erachtens viel zu kurz gegriffen, zu sagen:
Der BGS war selber schuld; das war ein Managementfehler.
Herr Staatssekretär Körper, wenn Sie für eine Aufgabe nicht genügend Personal haben - die Aufgabe am
Flughafen München ist neu -, dann können Sie organisieren, wie Sie wollen: Es wird nicht reichen. Genau das
war die Ursache für die fehlenden Kontrollen in München: Es ist zu wenig Personal vorhanden.
({4})
- Mehr Personal einsetzen. Das ist doch keine Frage.
({5})
- Vielen Dank, dass Sie so betroffen reagieren. Das
zeigt, dass ich ins Schwarze getroffen habe.
({6})
Ich garantiere Ihnen: Der Flughafen in München wird
nicht der einzige Flughafen sein
({7})
- nein -, bei dem diese Probleme auftreten. Ich habe
mich bei einem Flughafen umgehört. Der BGS ist dort
zum Stillschweigen verpflichtet worden. Die Flughafenbetreiber selber sagen: Wir wundern uns manchmal, dass
bei gewissen Flügen nur ein Schalter besetzt ist, sodass
durchgewunken werden muss. - Diese Geschichte wird
nicht so schnell zu Ende sein.
({8})
Mir geht es darum, festzustellen: Wer trägt dafür die
politische Verantwortung? Der Kollege Stadler - von der
FDP ist im Moment niemand hier; es ist nicht so, dass
ich das gerade heute bedauerte ({9})
hat vorhin gesagt: Wir brauchen nicht so viele Häuptlinge; wir brauchen mehr Indianer. Ich frage: Was ist das
für ein Bundesinnenministerium, in dem es vier Staatssekretäre und einen Minister gibt und das trotzdem nicht
funktioniert? Dort gibt es auch zu viele Häuptlinge. Sie
brauchen daher die Schuld nicht bei der BGS-Führung
abzuladen, auf keinen Fall.
Auch die fehlenden Kontrollen sind kein Einzelfall.
Beim Luftsicherheitsgesetz unternehmen Sie ebenfalls
den Versuch, immer mehr Aufgaben auf Subunternehmen, also auf Private zu delegieren.
({10})
Sie ziehen sich auch dort immer mehr aus den eigentlichen Sicherheitsaufgaben zurück und das wird dazu führen, dass die Sicherheitslücken immer größer werden.
Das, was Sie machen, hat schon Methode.
({11})
- Nein. Ich habe Ihnen gesagt, das hat Methode. Ich
komme noch auf weitere Flughäfen zu sprechen.
({12})
Ihre Politik ist für die Sicherheitslücken verantwortlich. Sie gehen das alles mit großer Arroganz an. Uns gegenüber können Sie sie an den Tag legen - das stört
mich nicht weiter -, aber nicht gegenüber der deutschen
Bevölkerung. Die Art und Weise, in der Sie die Themen
Sicherheit an den Flughäfen und die Situation der Botschaft in Kiew angehen - hier haben Sie gesagt, es habe
keine Vorfälle gegeben, obwohl es aufgrund politischer
Rahmenbedingungen zu Schleusungen in noch nie da
gewesenem Ausmaß gekommen ist -, zeigt, was für eine
Einstellung Sie eigentlich zur Sicherheitspolitik in unserem Land haben.
({13})
Es wäre in der Tat besser, wenn der Innenminister etwas weniger Showauftritte wahrnehmen würde, bei denen er sich vor ein Biometrielesegerät am Flughafen
stellt oder sich mit einem Ausweis mit biometrischen
Merkmalen zeigt. Damit will er nur den Eindruck erwecken, es gäbe bald solche Kontrollmethoden, obwohl wir
noch sehr weit von ihrer Einführung entfernt sind. So
wird ein Nebelschleier über die Sicherheitslücken gelegt.
({14})
Zu Otto Schily und seinen Showeinlagen kann ich nur
sagen:
({15})
Sonntagnacht wurde für gute Showeinlagen dem Film
„Der Herr der Ringe“ der Oscar verliehen, für seine Innenpolitik kann ich dem Minister nur den Titel „Der
Herr der Sicherheitslöcher“ verleihen.
Vielen Dank.
({16})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Binninger, man kann dankbar sein, dass nur relativ wenig Zuschauer auf der Besuchertribüne gewesen sind,
({0})
als Sie Ihre Rede hielten; denn sie hätten den Eindruck
gewinnen müssen, einer sehr seltsamen Veranstaltung
beizuwohnen.
({1})
Ich habe mich zu Beginn der Aktuellen Stunde gefragt, welchen Sinn sie hat; denn sie erschien mir sehr
substanzlos. Mittlerweile sehe ich diese Vermutung völlig bestätigt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union. Das, was Sie hier veranstalten, ist organisierter
Diebstahl von parlamentarischer Arbeitszeit.
({2})
Ich erlaube mir, auf den Titel der Aktuellen Stunde
zurückzukommen. Er heißt: Haltung der Bundesregierung zur Erleichterung von Einschleusungen und illegalen Einreisen aufgrund von Kontrolllücken an deutschen
Flughäfen. Die Debatte hat gezeigt, wir sprechen über
einen konkreten Fall, wir sprechen über den Flughafen
München und über sonst nichts. Sie haben darauf hingewiesen, dass nach Ihrer Mutmaßung das ursächliche Problem ein Personalmangel ist. Ich will Ihnen dazu ein
paar Zahlen nennen, weil es vielleicht hilft, etwas dazuzulernen.
({3})
Ich möchte die Flughäfen Frankfurt, Stuttgart und
München vergleichen und dabei die Zahl der jährlichen
Einreisen zu der Zahl der eingesetzten BGS-Beamten in
Relation setzen. In Frankfurt ist die Relation ein Beamter zu 16 000 Einreisen, in Stuttgart ein Beamter zu
10 200 Einreisen und in München ein Beamter zu 10 400
Einreisen. Offenbar hat es die Probleme, die in München
zu verzeichnen waren, in Stuttgart und Frankfurt nicht
gegeben.
({4})
- Das kann dann ja wohl nicht an einem Personalmangel
gelegen haben, sondern eindeutig an einem Fehlmanagement. Das ist mehr als deutlich geworden. Sie haben also
versucht, einen Popanz aufzubauen, der völlig unangemessen ist.
({5})
Darüber hinaus haben einige der Rednerinnen und
Redner der Union den Versuch unternommen, sachfremde Inhalte in die Debatte hineinzubringen, die mit
dem Thema der Aktuellen Stunde überhaupt nichts zu
tun haben.
({6})
Lassen Sie mich etwas Grundsätzliches sagen: Wenn
wir feststellen, dass es 3 Millionen Visaanträge für
Deutschland pro Jahr gibt, dann tun wir als exportorientiertes und weltoffenes Land gut daran, nicht zu unterstellen, dass jeder dieser 3 Millionen Antragsteller ein
potenzieller Krimineller oder Terrorist ist.
({7})
Das ist doch aberwitzig!
Es ist deutlich geworden, dass dort, wo es Probleme
gegeben hat, nämlich in der Ukraine, in der Botschaft in
Kiew, gegen geltendes Recht gehandelt worden ist. Nun
haben Sie den Versuch gemacht, einen Erlass aus dem
Jahre 2000 damit in einen inhaltlichen Zusammenhang
zu bringen.
({8})
Die beiden Dinge haben aber überhaupt nichts miteinander zu tun. Ganz im Gegenteil.
({9})
Ich kann mich noch gut daran erinnern: Ich bin wie
viele andere Kolleginnen und Kollegen 1998 in den
Bundestag gewählt worden. Ich komme aus einem Wahlkreis,
({10})
in dem es eine Kooperation eines Landkreises mit demokratischen Organisationen aus Weißrussland gibt. Bevor
Herr Volmer ins Amt gekommen ist, musste jeder Teilnehmer einer Reisegruppe aus der Region Witebsk, mehrere hundert Kilometer von Minsk, der Hauptstadt von
Weißrussland, entfernt, die einreisen wollte, persönlich
in der deutschen Botschaft vorstellig werden, obwohl
auch durch einen Datenabgleich festgestellt werden
konnte, dass sie untadelig sind und einreisen können.
Dieser bürokratische Unsinn ist mit dem Volmer-Erlass
überwunden worden.
Herr Uhl, ich hätte mir gewünscht, es wäre hier beanstandet worden: Einem Kollegen des Deutschen Bundestages zu unterstellen, er sei ein Triebtäter, ist unter aller
Sau, um das ganz deutlich zu sagen.
({11})
Der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper hat darauf hingewiesen, dass die Grenzschutzpräsidien mit einem Rundschreiben des Inspekteurs des
Bundesgrenzschutzes vom 14. Juni 2001 darauf hingewiesen worden sind, dass bei den Kontrollen die Maßgaben des Schengen-Abkommens unbedingt einzuhalten
sind. Insofern sind vor Ort am Münchner Flughafen Fehler gemacht worden.
({12})
Herr Kollege Koschyk, ich kann mir aber nicht
vorstellen, dass Sie beispielsweise den bayerischen
Innenminister dafür verantwortlich machen würden,
wenn in einer einzelnen Polizeidienststelle einmal ein
Fehler gemacht würde.
({13})
Das machen Sie aber hier auf Bundesebene und das ist
völlig daneben.
Lassen Sie mich abschließend bemerken:
({14})
({15})
Es ist schlimm genug, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU, dass Sie die Frage der Besetzung des Amtes des Bundespräsidenten zu einer Frage der Parteipolitik gemacht haben.
({16})
Sie sollten aber hier, wo wir miteinander diskutieren, zumindest davon Abstand nehmen, die Frage der Innenpolitik in Deutschland zu einer reinen Frage der Parteipolitik zu machen und zu kritisieren, wo nichts zu kritisieren
ist.
({17})
In diesem Sinne lassen Sie uns gleich in unsere Büros
gehen und unsere Arbeitszeit sinnvoller verbringen als
mit überflüssigen Aktuellen Stunden wie der von Ihnen
beantragten.
Vielen Dank.
({18})
Wir sind damit ganz offensichtlich am Ende der Aktuelle Stunde. Bedauerlicherweise sind weitere Redner
nicht gemeldet, die ich natürlich mit Vergnügen aufgerufen hätte.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Donnerstag, 9.30 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.