Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Entwürfe der
Koalitionsfraktionen zum Beitragssatzsicherungsgesetz
und zum Zwölften SGB-V-Änderungsgesetz nachträglich
an den Haushaltsausschuss gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Deutsche Beiträge zu Frieden
und Wiederaufbau in Afghanistan.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Jahr nach der historischen Konferenz auf dem Petersberg und im Vorfeld
der Verlängerung des Mandats von Enduring Freedom
können wir in gewissem Umfang eine positive Zwischenbilanz der Entwicklung in Afghanistan ziehen, die
aber, wie wir auch in den letzten Tagen wieder sehen, vor
Rückschlägen nicht gefeit ist. Die Taliban sind zwar weitgehend entmachtet, aber es gibt auch Anzeichen für Versuche der Neuorganisation, die sie etwa im Gebiet zu Pakistan hin unternehmen.
Der im Petersberger Abkommen vorgegebene Fahrplan ist von der afghanischen Regierung eingelöst worden. Der von der Loya Jirga gewählte Präsident Karzai hat
mit dazu beigetragen, dass eine Rechtskommission, eine
Menschenrechtskommission und eine Verfassungskommission eingesetzt wurden. Eine unabhängige Zentralbank ist institutionalisiert worden.
Wir als Bundesregierung werden den Terrorismus
wirksam bekämpfen. Deshalb orientieren wir uns an einer
breiten Gesamtstrategie, die terroristische Netzwerke notfalls auch mit militärischer Gewalt zerschlägt, die aber
auch bei den politischen, sozialen und ökonomischen
Problemen ansetzt, die einen Nährboden für Terrorismus
bilden können. Wir verfolgen eine Gesamtstrategie, die
Frieden und Wiederaufbau in Afghanistan unterstützt.
Deutschland hat die Durchführung der Loya Jirga unterstützt. Die Regierung von Präsident Karzai muss ihre
durch die Loya Jirga erlangte politische Legitimität jedoch auch durch die Bereitstellung von Gesundheit, Bildung, Energie, Wasser und Straßen gegenüber der Bevölkerung erkennbar einlösen können. Die Bevölkerung
muss und soll durch den Wiederaufbau spüren, dass es
eine konkrete Verbesserung ihrer Lebensbedingungen
gibt, dass sich Frieden und die Abwendung vom Terrorismus lohnen, nicht Gewalt.
Die Bundesregierung hat Wort gehalten. Wir haben unsere Zusagen gegenüber Afghanistan voll eingelöst. Von
den auf der internationalen Geberkonferenz zugesagten
Finanzmitteln wurden im Jahr 2002 wie angekündigt
80 Millionen Euro in konkrete Programme und Projekte
umgesetzt. Insgesamt sind im Jahr 2002 sogar 126 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Daraus ist unter anderem die Ausbildung der Ausbilder der regulären
Polizei finanziert worden. Es sind 34 Krankenhäuser und
andere Gesundheitseinrichtungen in Kabul instand gesetzt
und ausgerüstet worden. Die Trinkwasserversorgung ist
verbessert worden. Wir haben zusammen mit anderen,
auch nicht staatlichen Trägern, insgesamt 80 Schulen - davon 27 durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau und 30
durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit instand gesetzt. Durch diese Initiative und den Einsatz
deutscher Finanzmittel können jetzt rund 80 000 afghanische Kinder, darunter gerade auch Mädchen, wieder
die Schule besuchen.
Die Frauen sind unter den Taliban fast völlig entrechtet worden. Durch unsere Entwicklungszusammenarbeit
tragen wir aktiv dazu bei, dass die Rolle der Frauen in der
Gesellschaft gestärkt wird, dass Frauen wieder in ihre Berufe zurückkehren können, dass sie ihre Rechte kennen
und dass sie darin gestärkt werden, diese Rechte auch zu
nutzen. Ich werde heute Nachmittag die stellvertretende
Frauenministerin treffen und werde ihr - das ist, wie ich
glaube, auch in Ihrem Sinn - die Unterstützung des
ganzen Hauses aussprechen.
({0})
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit insgesamt 20 Millionen Euro an entsprechenden Fonds beteiligt, damit neue Lehrerinnen und Lehrer, Polizisten und
andere Bedienstete arbeiten können. Aus diesen Fonds
wurden seit Januar die Gehälter von über 450 000 Menschen bezahlt. Das ist wichtig, damit sie unabhängig sind,
also nicht von Personen abhängen, die mit ihren Zahlungen die Durchsetzung bestimmter Interessen verbinden
könnten.
Hinter den Zahlen, die ich genannt habe, verbirgt sich
das Schicksal von Menschen, deren Lebenssituation verbessert wird, die wieder hoffen und an eine friedliche Zukunft glauben können. Wir wollen in Afghanistan auch in
Zukunft helfen, für die Menschen Arbeit und Einkommen
zu schaffen. Die Bundesregierung wird den Aufbau einer
nachhaltigen Energieversorgung in Zukunft noch stärker
unterstützen und wird bei Investitionsförderung und Berufsbildung beraten. Wir geben direkte Hilfe für die
Schaffung von Arbeitsplätzen für Frauen und für zurückkehrende Flüchtlinge. Weitere Schwerpunkte sind Bildung, Rechtsberatung für Frauen, Gesundheit und Wasserversorgung.
Das deutsche Engagement reicht bereits heute weit
über Kabul hinaus. Ich möchte an dieser Stelle den Mitarbeitern der Nichtregierungsorganisationen wie auch den
Mitarbeitern in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit danken, die dort ihre Arbeit leisten. Wir wollen unser
Engagement regional ausweiten. Im Rahmen der entwicklungsorientierten Nothilfe fördert die Bundesregierung in diesem Jahr Projekte auch in anderen Regionen.
Im Sinne einer ethnischen und regionalen Ausgewogenheit wollen wir künftig auch die westlichen Provinzen
Herat, Farah, Badghis und Ghor sowie die südöstlichen
Provinzen Kandahar, Zabul und Uruzgan in unsere Entwicklungszusammenarbeit einbeziehen. Das ist wichtig,
damit nicht nur die Situation in Kabul stabilisiert wird,
sondern auch eine regionale Stabilisierung erfolgt. Die
militärische Sicherheit außerhalb Kabuls wird nur durch
den weiteren Aufbau der afghanischen Armee selbst und
sicher nicht durch die internationale ISAF sichergestellt
werden können. Infolgedessen ist dieser Aufbau natürlich
eine wichtige Arbeit, die aber von anderen Gebern geleistet wird.
Vielen Dank.
({1})
Vielen Dank, Frau Bundesministerin.
Wir kommen nun zu den Fragen. Ich bitte Sie,
zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, der
eben angesprochen wurde. - Als Erster hat sich der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe von der CDU/CSU-Fraktion gemeldet.
Frau Ministerin, ich möchte auf den Punkt eingehen,
den Sie zuletzt angesprochen haben. Wir sind uns in dem
Ziel einig, dass die entwicklungspolitischen Maßnahmen
nicht nur in Kabul durchgeführt werden dürfen. Aber vor
dem Hintergrund, dass sich im Rahmen von ISAF militärische Sicherung auf Kabul konzentriert und dass
außerhalb von Kabul bisher im Wesentlichen nur NGOMitarbeiter tätig sind - Sie sagten gerade, dass Sie sich
auch dort stärker engagieren wollen -, stellt sich mir die
Frage, wie es mit der Sicherheit sowohl der staatlichen als
auch der nicht staatlichen EZ-Mitarbeiter außerhalb
Kabuls aussieht. Wollen Sie sich wirklich auf die afghanischen Streitkräfte und die afghanischen Sicherheitseinrichtungen allein verlassen? Reicht Ihnen das als Sicherheitsgarantie für unsere staatlichen und nicht staatlichen
EZ-Mitarbeiter?
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Ich glaube, wir alle sind uns darin einig, dass es nicht
möglich ist - das sagen alle Beteiligten -, durch die Ausweitung des Einsatzgebiets der ISAF auf das gesamte Land
von der internationalen Seite her militärische Sicherheit zu
garantieren. Nach den Schätzungen würden dafür so große
Kontingente benötigt, dass das nicht möglich ist.
Im Übrigen wurde auch vereinbart, dass die afghanische Armee ausgebildet wird. Dies wird von der amerikanischen Geberseite - allerdings in einem sehr langsamen
Prozess - durchgeführt. Das wird man voranbringen und
fördern müssen. Dass wir uns im Rahmen aller Möglichkeiten und unter Berücksichtigung aller Vorsichtsmaßnahmen natürlich selbst darum bemühen, die Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen zu schützen, ist klar.
Ich weise darauf hin, dass selbst in den schweren Zeiten, in denen die Taliban noch an der Macht waren, Nichtregierungsorganisationen, unter anderem die Welthungerhilfe, vor Ort hervorragende Arbeit geleistet haben. Unter
den entsprechenden Sicherheits- und Rahmenbedingungen, die ich eben genannt habe, ist das also möglich.
Die nächste Frage kommt von dem Kollegen
Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, wir unterstützen die Aktivitäten des
BMZ in Afghanistan ausdrücklich.
Dazu habe ich aber folgende Nachfragen, da das Sonderprogramm - die Zuständigkeit dafür liegt bei mehreren Ministerien - relativ kurzfristig aufgelegt wurde: Ist
die Planungssicherheit der Projekte unter Federführung
des BMZ - als Stichwort nenne ich die VE - in den nächsten Jahren gewährleistet und wie funktioniert die Abstim474
mung - Deutschland ist ja nur eines der Länder, die ein
entwicklungspolitisches Engagement in Afghanistan zeigen - mit anderen wichtigen Gebern, zum Beispiel mit
den Vereinigten Staaten?
Frau Bundesministerin.
Die finanziellen Zusagen werden strikt eingehalten.
An dieser Stelle will ich noch einmal sagen: Bei allen
Konferenzen, aber auch, als ich vor knapp einem Jahr in
Afghanistan war - jeder von Ihnen, der dort war, wird das
bestätigen können -, stellten die Menschen immer wieder
die Frage, ob wir auch dann bei ihnen und auf ihrer Seite
bleiben, wenn die Fernsehkameras nicht mehr unmittelbar
auf ihr Schicksal gerichtet sind. Die finanzielle Unterstützung und die vollständige Einlösung der Versprechen
- sowohl vonseiten der Bundesregierung, wo das sichergestellt ist, als auch vonseiten der internationalen Gemeinschaft - sind Vorbedingungen dafür, dass die Menschen spüren, dass es die Möglichkeit gibt, sich vom
Terrorismus loszusagen. Deshalb ist es - über den Bereich
der Erfahrungen der Menschen dort hinaus - so wichtig,
dass der demokratische, wirtschaftliche und soziale Wiederaufbau in Afghanistan gelingt.
Das gesagt, will ich darauf hinweisen, dass der größte
Teil der Leistungen der internationalen Gemeinschaft bereits geflossen ist. Ein Großteil davon wurde für humanitäre Hilfe aufgewendet, woraus sich ein gewisses Problem ergibt.
Ich denke, die Zusammenarbeit der Geber vor Ort funktioniert insgesamt wohl gut, wobei es natürlich immer das
eine oder andere Problem gibt. Wichtig ist vor allen Dingen, dass auch die Koordinierung auf der afghanischen
Seite, die ja selber die Trägerin des Prozesses ist, funktioniert. Um dies sicherzustellen, gibt es ein Koordinierungsgremium - die Afghan Assistance Coordination Agency unter der Leitung des Finanzministers. Dieses Gremium
nimmt die entsprechende Koordinierung vor Ort wahr und
dabei stimmen sich alle Beteiligten miteinander ab.
Das nächste Fragerecht hat die Kollegin Helga Daub
von der FDP-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt, was in Afghanistan inzwischen schon alles passiert ist. Verglichen mit
dem, was war bzw. was eher nicht war, sind sicherlich
schon große Fortschritte erzielt worden.
Nun besteht Afghanistan nicht nur aus Kabul. Auch das
haben Sie ausgeführt. Sie wollen auch die Provinzen noch
sehr viel mehr einbinden. Damit kommt man schon auf
das Stammesverhalten und die Stammesstrukturen zu
sprechen. Wir alle wissen, dass in Afghanistan eine
Interimsadministration unter der Führung von Präsident
Karzai gewählt wurde. Gibt es schon - ich weiß, es ist sehr
kühn, dies überhaupt zu fragen - irgendwelche Hinweise,
wann denn dort eine normale, demokratisch gewählte Regierung installiert werden könnte?
({0})
Der Zeitplan, der festgelegt worden ist, wird eingehalten. Er ist auch mit der Loya Jirga eingehalten worden.
Wichtig ist - ich denke, das sollte man deutlich machen -,
dass in der Zwischenzeit die Erfolge spürbar und sichtbar
werden. Deshalb ist die Frage der formellen Wahl nachher
die eine Sache. Die andere Sache ist, dass die Veränderungen auch für die Bevölkerung deutlich spürbar werden.
Ich möchte noch zu einem Punkt Ausführungen machen, auch wenn es dazu keine Frage gab. Ich hoffte aber,
dass er angesprochen würde. Ich weiß gar nicht, ob das
möglich ist, Herr Präsident.
Machen Sie das. Bitte schön.
Ich wollte der Aktualität halber - das bezieht sich jetzt
nicht unmittelbar auf Ihre Frage - noch Folgendes sagen.
Sie haben verfolgt, dass es an der Universität in Kabul offensichtlich einen Konflikt gegeben hat, in dessen Verlauf
Studierende erschossen worden sind. Auch unter anderen
Demonstranten und der Polizei gab es Verletzte. Die Bundesregierung hat schnelle Aufklärung dieses schrecklichen Vorfalls gefordert. Sie wird alles tun, um die Situation zu klären. Uns liegen bisher keine ausreichenden
Informationen vor. Aber es sieht so aus, dass Studierende
demonstriert haben, weil sie ihre Lebensbedingungen, zum
Beispiel in den Wohnheimen, für unzureichend halten.
Ich will darauf hinweisen, dass die Bereitschaftspolizei
für dieses Vorgehen verantwortlich gewesen ist. Die Bereitschaftspolizei ist bisher nicht durch die entsprechende
Ausbildung gegangen. Für diesen Bereich ist die amerikanische Seite zuständig. Es ist unmittelbar ersichtlich,
dass die Ausbildung im Bereich der Bereitschaftspolizei
eine Notwendigkeit darstellt. Das ist aber nicht der Bereich,
für den wir als Bundesregierung zuständig sind. Zu den
Aufgaben der Bundesregierung hinsichtlich der regulären
Polizei habe ich vorhin schon ein paar Worte gesagt.
Vielen Dank. Die nächste Frage hat der Kollege Peter
Weiß von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Bundesministerin, drei Fragen. Erstens. Da wir uns
langsam dem Jahresende nähern: Können Sie uns präzise
Peter Weiß ({0})
Angaben dazu machen, in welchem Umfang die 80 Millionen Euro, die derzeit im Haushalt 2002 für den Stabilitätspakt Afghanistan seitens der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung gestellt werden, tatsächlich verausgabt
sind, also wirklich abgeflossen sind, und wie viele Mittel
noch in der Pipeline stecken, also verplant, aber noch nicht
abgeflossen sind?
Zweitens. Können Sie uns zu der bereits angesprochenen Kabul-Problematik sagen, wie viel Prozent dieser
Mittel im Großraum Kabul, in dem die ISAF tätig ist, verausgabt worden sind? Wie viel Prozent dieser Mittel
konnten bislang außerhalb des Großraums Kabul verausgabt werden?
Drittens. Da diese Mittel von 80 Millionen Euro aus
unserem Bundeshaushalt mit nur einer geringen Summe
an Verpflichtungsermächtigungen hinterlegt sind, müssen
sie als Barmittel in diesem Jahr verausgabt werden. Können Sie uns einen Überblick geben, für wie viele Projektträger die Tatsache, dass keine Verpflichtungsermächtigungen für die kommenden Jahre zugesagt werden
konnten, Anlass war, geplante Projekte nicht in Angriff zu
nehmen?
Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass die
Mittel, die eingesetzt worden sind - das unterscheidet uns
von anderen Gebern -, voll zur Verfügung gestellt worden
sind. Es ist nichts mehr in der Pipeline. Das ist wichtig;
denn die Projekte und Programme sollen auch vor Ort ankommen.
Interessant ist vielleicht, dass von den etwa 60 Millionen Euro, die das Entwicklungsministerium eingesetzt
hat, 14,2 Millionen Euro in die Not- und Nahrungsmittelhilfe, 8,7 Millionen Euro in den Gesundheitsbereich,
7,3 Millionen Euro in die Bildung, 3 Millionen Euro in die
Wiederherstellung von Straßen und je 5,4 Millionen Euro
in die Trinkwasserversorgung und in den Energiebereich
geflossen sind. 11,6 Millionen Euro sind durch Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen umgesetzt worden.
Mir ist kein Fall bekannt, in dem eine Organisation aufgrund der Haushaltsregelungen ihre Arbeit hätte einstellen müssen. Gegebenenfalls würde ich Sie schriftlich über
einen solchen Fall informieren. Wer daran interessiert ist,
kann gerne zusätzliche Informationen über die Verwendung und den Einsatz der Mittel erhalten.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Christa Reichard.
Frau Ministerin, Sie haben erwähnt, dass auch die
Welthungerhilfe in Afghanistan tätig ist. Das ist meines
Wissens seit 1993 der Fall. Sie sind aber in Ihrem Redebeitrag nicht darauf eingegangen, was in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Bereich der Entwicklung der ländlichen Räume unternommen werden soll.
Bekanntlich hat sich der Mohnanbau in diesem Jahr
sehr gut entwickelt, sodass die landwirtschaftliche bzw.
die weiterverarbeitende Produktion und der Handel in
großen Teilen durch diesen Anbau geprägt sind. Was
können und wollen Sie auf dem Weg der Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, alternative Einkommensquellen für die Landwirte zu schaffen?
Ich habe an dieser Stelle schon einmal die Arbeit der
Welthungerhilfe sehr gelobt und möchte dieses Lob jetzt
wiederholen. Vorhin wurde die Frage nach der Arbeitsteilung und der Geberkoordinierung angesprochen. Innerhalb der Gebergemeinschaft ist Großbritannien für den
Bereich der Drogenbekämpfung zuständig. Deshalb habe
ich diesen Bereich nicht ausdrücklich angesprochen. Aber
es ist völlig klar - Sie haben das sicherlich auch in der öffentlichen Debatte verfolgt -, dass den Landwirten alternative Formen der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse anzubieten sind.
Im Übrigen geht die afghanische Regierung sehr massiv gegen Landwirte vor, die versuchen, Drogen anzubauen. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir auch eine
Zusammenarbeit auf regionaler Ebene vereinbart haben.
Der Iran, der befürchten muss, dass ein Großteil der Produktion in sein Land fließt, hat ein großes Interesse an der
regionalen Kooperation, die von uns auch entsprechend
genutzt wird.
Die nächste Frage stellt der Kollege Siegfried Helias
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, Sie haben die Menschenrechte angesprochen. Kenner des Landes gehen davon aus, dass Menschenrechtsverletzungen unter den Taliban zentral angeordnet worden sind und heute in die Hoheit einzelner
Warlords fallen. Nach wie vor dramatisch ist die Situation
der Frauen in Afghanistan. Human Rights Watch spricht
von einer undemokratischen Ansammlung von Fürstentümern.
Wie beurteilen Sie, Frau Ministerin, die Entlassung
der Richterin Marsia Basir aus dem Obersten Gericht vor
dem Hintergrund, dass sie auf einem Foto mit Präsident
Bush ohne Kopftuch abgebildet war, und welche konkreten Maßnahmen sind mit den Mitteln der Entwicklungshilfe möglich, um die Rolle der Frauen in Afghanistan zu
stärken und sie insbesondere vor Verfolgung zu schützen?
Zur Frage der Menschenrechtsverletzungen gegen
Frauen habe ich schon zu Beginn einiges gesagt. Es wird
vor allem darum gehen, ein Umdenken zustande zu bringen. Es geht auch darum, in der Zusammenarbeit mit
dem afghanischen Frauenministerium Frauennetzwerke
zu unterstützen und zu finanzieren. Es geht ferner darum,
beim Aufbau eines unabhängigen Rechtssystems sicherzustellen, dass kein Rückfall hin zur Scharia und dergleichen erfolgt, sondern dass wirklich sichergestellt wird,
was in der afghanischen Verfassung in den 60er-Jahren
schon garantiert war und was bei der Petersberg-Konferenz auch international zugesagt worden ist. Daran halten
wir die afghanische Regierung fest.
Wie ich schon sagte, habe ich heute Nachmittag einen
Termin mit der stellvertretenden Frauenministerin und
werde mit ihr gemeinsam noch einmal das weitere Vorgehen, auch in Bezug auf die Situation, die Sie angesprochen haben, diskutieren. Ich werde mich nach dem Gespräch, möglicherweise auch gemeinsam mit ihr, noch
einmal äußern.
Das Fragerecht hat jetzt die Kollegin Sibylle Pfeiffer
von der CDU/CSU-Fraktion.
Frau Ministerin, meine Frage schließt eigentlich direkt
daran an. Obwohl Sie schon etwas dazu gesagt haben und
auch dieses Gespräch heute Nachmittag in Aussicht haben, möchte ich das noch etwas konkretisiert wissen.
Meine Frage lautet: Welche konkreten Informationen
hat die Bundesregierung über die Einführung der Scharia
in Afghanistan?
Es geht um die Frage, welches unabhängige Rechtssystem aufgebaut wird. Am Rande der Loya Jirga hat es
einmal solche Äußerungen gegeben. Die internationale
Gemeinschaft - das habe ich und haben wir alle von der
Bundesregierung auch gegenüber der afghanischen Regierung immer wieder deutlich gemacht - legt Wert darauf, dass die Verpflichtungen, die von der afghanischen
Seite auf dem Petersberg eingegangen worden sind, eingehalten werden, nämlich dass es eine die Menschenrechte, die Frauenrechte und Gleichberechtigung garantierende Verfassung in Afghanistan geben wird.
Infolgedessen engagieren wir uns in dieser Richtung. Das
gilt - das kann ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen für alle Geber.
Nächste Frage, Eckart von Klaeden.
Frau Ministerin, Sie persönlich haben vor einem Jahr
die Zukunft Afghanistans für den Fall eines Militärschlags gegen das Taliban-Regime in düsteren Farben gezeichnet. Sind Sie denn heute bereit, anzuerkennen, dass
Voraussetzung für die Fortschritte, die man erreicht hat
und deren Sie sich auch zu Recht rühmen, genau dieser
Militärschlag war?
Ich weiß jetzt nicht genau, worauf Sie sich bei Ihrer
Frage beziehen.
({0})
Ich kann an der Stelle nur sagen: Ausweislich aller Debatten im Deutschen Bundestag
({1})
habe ich immer klar gesagt - das habe ich heute zu Anfang auch noch einmal erklärt -, dass es gegenüber terroristischen Netzwerken eine unmittelbare Reaktion bis hin
zu einer militärischen Reaktion geben muss. Gegenüber
solchen Netzwerken muss notfalls auch gewaltsam agiert
und reagiert werden, damit sie zerschlagen werden. - Das
ist das eine.
Das Zweite ist aber doch - deshalb gibt es auch die eine
oder andere öffentliche Diskussion -, dass auf Dauer dem
Terrorismus und der terroristischen Agitation der Boden
dadurch entzogen werden muss, dass den Menschen in
allen Regionen der Welt Hoffnungslosigkeit und Ohnmachtsgefühle genommen werden. Deshalb muss auch
der Armut entgegengearbeitet werden. Darauf muss die
internationale Gemeinschaft die Finanzmittel konzentrieren. Sie muss dazu beitragen, dass dem Terrorismus auf
diese Art und Weise der Agitationsboden entzogen wird.
({2})
Diese beiden Elemente sind wichtig. Meine Sorge ist
ein bisschen, dass angesichts anderer aktueller Fragen dieses Ziel nicht mehr in dem Maße verfolgt wird. Die Bundesregierung - das ist absolut klar - verfolgt dieses Ziel.
Der Erfolg dieser Strategie wird - ich sage das noch einmal - davon abhängig sein, ob man in Afghanistan selbst
spürt: Frieden lohnt sich und Gewalt lohnt sich nicht
mehr. Diese wichtige Botschaft muss von Afghanistan in
die Welt ausgehen.
({3})
Die nächste Frage stellt der Kollege Peter Weiß.
Frau Ministerin, Ihr Vorteil ist: Sie dürfen antworten, wie
Sie möchten; Sie müssen nicht auf die Fragen antworten, die
gestellt werden. Ich möchte zwei Fragen wiederholen.
Die Frage des Kollegen von Klaeden war - darauf kann
man schlicht und einfach mit Ja oder Nein antworten -,
Peter Weiß ({0})
ob Sie es heute im Nachhinein richtig finden, dass die
Wende in Afghanistan durch einen militärischen Einsatz
herbeigeführt worden ist. Sie haben diesen Weg öffentlich
infrage gestellt, bevor im Bundestag darüber entschieden
wurde, ob deutsche Soldaten an diesem militärischen Einsatz teilnehmen.
Sie haben auch meine Frage nach den Finanzen nicht
beantwortet; denn Sie haben nur etwas zur sektoralen
Aufteilung der Mittel vorgetragen. Können Sie einmal
präzise sagen, was von den 80 Millionen Euro konkret
verausgabt worden ist?
({1})
Zur ersten Frage: Sie gehen von einer falschen Annahme aus; denn ich habe mich ausweislich jeder Diskussion nicht nur nachträglich zur Strategie der zwei Seiten,
die ich genannt habe, bekannt, sondern auch vorher, und
das zu Zeiten, in denen das vielleicht nicht immer so ganz
einfach war. Ich wiederhole: Sie gehen von einer falschen
Annahme aus.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich habe ausdrücklich gesagt,
dass es keine Mittel mehr „in der Pipeline“ gibt. Das
heißt: Die zugesagten Mittel sind den entsprechenden
Projekten und Programmen zugute gekommen.
({0})
Ich beende jetzt die Behandlung des Themenbereichs
der heutigen Kabinettssitzung.
Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung, die
über diesen Themenbereich hinausgehen? ({0})
Das ist offenkundig nicht der Fall. Dann beende ich die
Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/42 Wir beginnen die Fragestunde mit den Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf:
Wie werden von der Bundesregierung die finanziellen Auswirkungen des Ersten und des Zweiten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt auf die Länder und Kommunen
prognostiziert, und werden signifikante Unterschiede zwischen
den alten und den neuen Ländern erwartet?*
Ich bitte um die Beantwortung der Frage, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Dr. Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Bundesregierung erwartet, dass die zügige
Umsetzung der Empfehlungen der Kommission „Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt“, kurz Hartz-Kommission genannt, zum Abbau der Arbeitslosigkeit führt
und insofern positive Auswirkungen hat. Aussagen zu den
finanziellen Auswirkungen des Ersten und des Zweiten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
im Einzelnen enthalten im Übrigen die Gesetzentwürfe
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen. Dazu muss man sagen, dass diese Aussagen auf
Schätzgrößen beruhen, dass die Zahlen also nicht durchgerechnet worden sind.
Frau Lötzsch, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen? Bitte schön.
Sehen Sie - das ist eigentlich gar keine Zusatzfrage,
sondern war Bestandteil der eingereichten Frage - signifikante Unterschiede zwischen den ostdeutschen und den
westdeutschen Bundesländern? Wenn ja, welche?
Da es keine detaillierten Berechnungen für die verschiedenen Ebenen, Länder und Kommunen, gibt, gibt es
auch keine konkreten Berechnungen bezüglich möglicher
Unterschiede zwischen den westdeutschen und den ostdeutschen Ländern. Ich muss Ihre Frage also mit Nein beantworten: Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass signifikante Unterschiede bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Lötzsch.
Der Bundesregierung ist aber sicherlich nicht unbekannt, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt in den ostdeutschen und in den westdeutschen Ländern sehr unterschiedlich ist. Ich möchte gerne wissen, wie Sie jenseits
von konkreten Berechnungen die Auswirkungen dieser
Gesetze im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit von Ostdeutschland und Westdeutschland einschätzen.
Sie wissen, dass es Diskussionen und auch verschiedene Auffassungen darüber gibt, inwieweit aus dem Konzept der Hartz-Kommission unterschiedliche Konsequen478
* siehe hierzu auch Frage 23
zen für Ost und West gezogen werden müssen. Hierbei
handelt es sich allerdings um Meinungen oder - besser gesagt - um Spekulationen, da hierfür keine konkreten Berechnungen angestellt wurden.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex? - Das ist
nicht der Fall. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Matthias Berninger zur Verfügung.
Zunächst zur Frage 2 des Abgeordneten Peter
Carstensen:
Welche Elemente enthält das so genannte Acrylamid-Minimierungsprogramm der Bundesregierung?
Herr Kollege, für die Bundesregierung beantworte ich
die Frage nach dem Minimierungsprogramm der Bundesregierung wie folgt:
Wir folgen dem Grundsatz „as low as reasonably
achievable“, was hier heißt: so wenig Acrylamid wie
möglich in den Lebensmitteln. Die internationale Abkürzung hierfür heißt ALARA. Das Minimierungskonzept
wird unter der Federführung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit realisiert und
hat folgende Aufgaben: Zunächst werden die Daten über
Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln gesammelt. Dann
werden die Lebensmittel nach verschiedenen Produktgruppen klassifiziert. Als Drittes wird ein Signalwert ermittelt; dieser zeigt an, ab welchem Wert in einer Produktgruppe die 10 Prozent höchstbelasteten Produkte
anzusiedeln sind. Ein Maximalwert von 1 000 Mikrogramm pro Kilogramm darf dabei in keinem Fall überschritten werden. Diese so ermittelten Daten werden an
die Länder weitergeleitet, die dann mit den Herstellern
Kontakt aufnehmen, diese Werte erörtern und darüber hinaus konkrete Maßnahmen zur Minimierung der Acrylamid-Gehalte innerhalb der technischen Herstellungsverfahren erarbeiten.
Diese Überprüfung der Betriebe und der technologischen Änderungsmöglichkeiten durch die Länder ist in
einen dynamischen Prozess eingebunden, da alle sechs
bis acht Wochen die Signalwerte neu ermittelt werden
und die in der Regel neuen niedrigeren Werte dazu
führen, dass weitere Betriebe angehalten werden, die
Acrylamid-Konzentrationen in ihren Produkten zu verringern.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie man auch aus Ihrer Antwort
heraushören konnte, ist eine Zusammenarbeit mit der Lebensmittelindustrie in diesem Bereich nötig. Können Sie
bestätigen, dass die Zusammenarbeit in dieser Frage im
Moment sehr gut ist, vielleicht auch deshalb, weil man
nicht ohne weiteres einen Schuldigen finden kann und sich
die Lebensmittelindustrie selbst aktiv einbringen kann?
Zunächst einmal kann ich in der Tat bestätigen, dass die
Kooperation nicht nur mit der Industrie, sondern auch mit
den Lebensmittelbehörden der Länder sehr gut ist. Wir arbeiten hier eng zusammen. Es muss aber auch klar gesagt
werden, dass wir eine Reihe von Produkten und Produktgruppen mit sehr hohen Acrylamid-Werten haben. Es ist
für die betroffenen Unternehmen rein technisch nicht
ohne weiteres möglich, diese Acrylamid-Konzentrationen
zu verringern. Das heißt, es gibt eine Reihe von Unternehmen, die mit unserem Minimierungskonzept nicht
sehr glücklich sind, weil es erhebliche Veränderungen an
ihren zum Teil auch von den Verbrauchern lieb gewonnenen Produkten zur Folge hat. Im Großen und Ganzen aber
ist die Kooperation aller Beteiligten der Schwierigkeit des
Problems, wie ich glaube, sehr angemessen.
Weitere Zusatzfrage.
Von einem Unternehmen, das mit Ihrem Minimierungskonzept nicht so zufrieden ist, ist ja gestern im Mitteldeutschen Rundfunk berichtet worden. Können Sie mir
bitte sagen, warum es bis jetzt nicht möglich gewesen ist,
die Bundesanstalt - schon vom Namen her wäre sie dafür
prädestiniert; sie heißt ja Bundesanstalt für Getreide-,
Kartoffel- und Fettforschung - mit genügend Mitteln auszustatten, um Minimierungskonzepte und -verfahren zu
entwickeln, die von der Industrie - hier insbesondere
einem Knäckebrothersteller in den neuen Bundesländern übernommen werden könnten? So etwas ist in Schweden
bezüglich der Knäckebrotindustrie ja schon lange üblich.
Unsere Bundesanstalt verfügt über eine Reihe von Forschungseinrichtungen, die sehr produktiv arbeiten. Wir
haben zum Beispiel eine hochmoderne Fertigungsstrecke
für Kartoffelchips. Wir werden aber nicht sämtliche Fertigungsstrecken von Getreidefabriken - hierbei handelt es
sich um hochmoderne Anlagen - in unseren Forschungsanstalten nachbilden können.
Gerade deshalb stehen wir und die dafür zuständigen
Bundesländer auf diesem Feld in sehr enger Kooperation
mit der Industrie, die bezüglich der Produktionsanlagen in
ihren Reihen immer auf dem neuesten Stand ist. Gleichwohl ist die Unabhängigkeit gewährleistet, da wir über das
Minimierungskonzept mit einer ganz klaren Zielrichtung
mit den Unternehmen kooperieren. Bei den Unternehmen,
die den Signalwert überschreiten, geht die Kooperation in
die Richtung, dass Produktionsverfahren geändert werden.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Ursula Heinen.
Welche konkreten Unterstützungen geben Sie insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen? Die großen
Hersteller, die auch große Forschungsabteilungen haben,
haben sicherlich weniger Probleme, sich untereinander
auszutauschen, als die kleineren Hersteller. Helfen Sie denen zum Beispiel über die Bundesanstalt, neue Herstellungsmethoden zu entwickeln, oder gibt es entsprechende
finanzielle Unterstützungen?
Frau Heinen, im Zuge der Ermittlung der Daten bekommen wir einen hochinteressanten Überblick. Wir wissen zum Beispiel, dass bei gleichen Produktgruppen zum
Teil eine Varianz der Acrylamid-Konzentrationen von
30 Mikrogramm pro Kilogramm bis zu 1 500 Mikrogramm pro Kilogramm besteht. Anhand dieser Daten
können wir eine Best Practice entwickeln. Das heißt, wir
haben am Ende einen Überblick darüber, welche Produktionsverfahren am ehesten geeignet sind, die Entstehung
von Acrylamid zu vermeiden oder nur sehr niedrige
Acrylamid-Konzentrationen zu verursachen.
Das ist natürlich für große wie für kleine Hersteller
eine ganz wichtige Hilfe; denn so können sie sehen, mit
welchen Produktionsverfahren, mit welchem Handling
der Rohstoffe und mit welchen Ausgangsstoffen sie zu
besseren Ergebnissen kommen. Gut ist, dass die niedrigen
und die hohen Werte zwischen großen und kleinen Unternehmen variieren, sodass wir auch für die kleinen Unternehmen spezifische Lösungen finden werden.
Vielleicht ein einfaches praktisches Beispiel. Es hat
sich herausgestellt, dass die Acrylamid-Konzentration
bei Pommes frites dann niedriger ist, wenn man darauf
verzichtet, beim Frittierfett Zusätze hinzuzugeben, zum
Beispiel Silicon, die für einen niedrigen Wassergehalt sorgen sollen, damit das Fett nicht so spritzt. Das heißt, es
geht nicht immer um hochkomplizierte oder sehr teure Investitionen, sondern manchmal gibt es auch einfache
praktische Tipps. Hier arbeiten wir sehr eng mit allen Unternehmen zusammen, unabhängig von der Unternehmensgröße, mit der Zielsetzung, eine optimale Minimierung von Acrylamid für die Verbraucher zu erreichen.
Damit kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Carstensen:
Welche Maßnahmen zur Minimierung des Acrylamid-Gehaltes bestimmter Lebensmittel plant die Bundesregierung auf nationaler und EU-Ebene und ist insbesondere die Standardisierung des
Herstellungsverfahrens bei von Acrylamid betroffenen Lebensmitteln geplant?
Wir haben mit dem Minimierungsprogramm auf nationaler Ebene einen wichtigen Schritt gemacht. Der zweite
wichtige Punkt ist die Erforschung der konkreten Gesundheitsgefährdung von Acrylamid. Hier haben wir eine
Reihe von Daten. Wir denken aber, dass es sinnvoll ist, die
Kenntnisse noch zu vertiefen.
Es gibt darüber hinaus intensive Gespräche auf europäischer Ebene; die letzten fanden am 15. und 16. Oktober in Brüssel statt. Das Interessante ist, dass, während
wir auf nationaler Ebene mit den Ländern eine sehr gute
Kooperation erreicht haben, auf europäischer Ebene das
Stadium des Handelns noch nicht erreicht ist. Dort sammelt man noch Daten und holt Informationen ein. Deshalb
hat man mit großem Interesse unsere Maßnahmen zur Senkung der Acrylamid-Konzentrationen zur Kenntnis genommen. Vergleichbare Strategien zur Acrylamid-Minimierung
sind in unseren Nachbarländern noch nicht vorzufinden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wir diskutieren über Acrylamid im
Parlament seit Anfang Juni, nachdem die CDU/CSUFraktion dieses Thema in den Ausschuss gebracht hat. Im
Mai gab es die ersten Aktivitäten des Ministeriums. Können Sie mir sagen, ob das Thema Acrylamid schon bei Ministerratssitzungen eine Rolle gespielt hat und, wenn nein,
warum das nicht vonseiten der Bundesregierung auf die
Tagesordnung gesetzt worden ist?
Acrylamid ist ein Thema seit der Schnellwarnung
durch die EU-Kommission; diese erfolgte am 24. April.
Seit 25. April hat die Bundesregierung gemeinsam mit der
nachgeordneten Einrichtung, dem damaligen BgVV, gehandelt und über alle Schritte die Öffentlichkeit informiert. Das Thema ist also nicht etwa dadurch, dass es im
Ausschuss behandelt worden ist, sondern durch die Aktivitäten der Bundesregierung auf die Tagesordnung gekommen. Ich bin aber sehr froh, dass sich das Parlament
für dieses ernste Problem gleichermaßen interessiert.
Wir haben, da es sich um ein globales Problem handelt,
bisher die Strategie gewählt, dieses Thema auf WHO- und
auf EU-Ebene im Kreis der Fachleute zu diskutieren, bis
wir konkrete Daten haben. Diese konkreten Daten gehen
bei uns seit Sommer dieses Jahres ein. Wir haben jetzt die
zweite Runde der Probenahmen der Länder, deren Ergeb480
nisse Ende dieser Woche bei uns abschließend eingehen
müssen und uns dann - nach einer kurzen Ausarbeitungszeit - die nötige Information geben. Ich denke, dass wir
danach ein Stadium der Informationsdichte auch über die
Wirkungszusammenhänge erreicht haben, das es ermöglicht, das Thema dann auf politischer Ebene in Brüssel zu
diskutieren.
Unser Ziel war zunächst einmal nur, bevor wir es in
Brüssel zum Thema machen, eine konkrete Handlungsoption zu entwickeln. Das Problem lediglich unter den
Ministern zu diskutieren wäre Aktionismus, wenn man
die Fachleute nicht in gleichem Maße einbinden würde.
Das haben wir in den letzten Monaten getan. Wenn ich
vergleiche, welche Informationen wir bei der Ausschusssitzung damals hatten und welche Informationen wir bei
der heutigen Ausschusssitzung haben, dann stelle ich fest,
dass ein Fortschritt hinsichtlich der damals unklaren Fragen deutlich erkennbar ist.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich gebe Ihnen Recht, dass wir
nicht genügend Informationen haben. Deswegen meine
zweite Frage: Können Sie mir ganz konkret sagen, welchen Auftrag im Bereich Acrylamid die Bundesanstalt für
Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung von der Bundesregierung bekommen hat, wie die Mittelausstattung ist
und wann dieser Auftrag an die Bundesforschungsanstalt
gegangen ist?
Die Bundesanstalt für Fettforschung ist, wie verschiedene andere Einrichtungen, an der Minimierungsstrategie
beteiligt; das hatten wir im Ausschuss schon besprochen,
dort ging es um die verschiedenen Forschungsvorhaben.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle nicht sagen, mit welchem
Datum welche Aufträge von wem an die Forschungsanstalt gegangen sind. Ich kann Ihnen aber versichern, dass
die Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold, ähnlich wie eine ganze Reihe weiterer Einrichtungen, intensiv an diesem Thema arbeitet.
Ein praktisches Beispiel: Wir wissen, dass Acrylamid
aufgrund des Vorkommens bestimmter reduzierender
Zucker und von Asparaginsäure in Kartoffeln besonders
häufig entsteht. Es gibt Sorten, die wir künftig empfehlen
werden, die geringere Konzentrationen haben. An der Erarbeitung einer Vorschlagsliste werden wir natürlich auch
unsere Kartoffel- und Fettforschung in Detmold beteiligen.
Das ist nur eines von vielen Beispielen, wo wir den
nachgeordneten Forschungsbereich des Ministeriums intensiv mit einbinden. Die Federführung für die Minimierung von Acrylamid hat das neue Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Dieses geht mit
den Experten von Bund und Ländern und auch mit unabhängigen Experten gemeinsam vor.
Eine weitere Frage der Kollegin Gitta Connemann.
Wird im Rahmen der Acrylamid-Minimierung auch an
die Einführung verpflichtender Grenzwerte gedacht, wie
es zum Beispiel beim Trinkwasser üblich ist?
Frau Connemann, das ist für unsere Strategie, wie wir
mit dem Problem umgehen, im Moment eine entscheidende Frage. Es gibt ernst zu nehmende Wissenschaftler,
die sagen, dass die Gefahr von Acrylamid vergleichbar
mit der von Benzpyren ist. Bei Benzpyren gibt es heute
verschiedene Verordnungen, zum Beispiel die Aromenverordnung, die Grenzwerte in der Größenordnung von
30 Mikrogramm pro Kilogramm vorschreibt. Ob man
gleich den Wert des Trinkwassers von 1 Mikrogramm pro
Kilogramm nehmen muss, der vor allem dazu dient, praktisch auszuschließen, dass Acrylamid im Trinkwasser vorkommt, ist eine offene Frage. Es muss aber klar sein, dass
dieser Weg, sollten wir ihn einschlagen, ganz erheblich
in die Konsumgewohnheiten der Menschen und auch in
die Produktionsgewohnheiten einschneidet. Die besten
Knäckebrote etwa haben Acrylamid-Werte, die im Bereich
von 30 oder etwas mehr Mikrogramm pro Kilogramm
liegen.
Das heißt, über dieses Konzept denken wir alternativ
nach. Wir brauchen aber, um einen solchen Grenzwert
festzulegen, wissenschaftlich fundierte Daten, zum Beispiel darüber, ob Acrylamid von Anfang an schädlich ist
oder erst ab einem bestimmten Schwellenwert. Dies wird
zurzeit in Versuchen mit Zellkulturen ermittelt. Erste Daten bekommen wir Mitte nächsten Jahres; darauf wird in
einer anderen Frage auch noch eingegangen. Wie wir im
Einzelnen mit diesen Daten umgehen werden, erörtern
wir dann nicht nur mit Ihnen, sondern auch mit allen anderen Beteiligten. Im Kern aber haben wir heute nicht die
validen und verlässlichen Daten, die wir benötigen, um einen Grenzwert zu bestimmen. Das ginge nur Pi mal Daumen. Deswegen gehen wir pragmatisch vor und sagen:
Auch ohne diesen Grenzwert wollen wir alles dafür tun,
den Eintrag von Acrylamid in die Ernährung zu minimieren.
Wir kommen dann zur Frage 4 der Kollegin Ursula
Heinen:
Trifft die Aussage der Sprecherin des Bundesinstitutes für
Risikobewertung in der „Bild“ vom 2. November 2002 zu, dass
Acrylamid mit Abstand das größte Problem ist, das wir in den letzten Jahren hatten?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Heinen, ein Problem, das sich auf Kartoffeln, Kekse, Brot - sei es Toastbrot, sei es Knäckebrot -,
Kartoffelchips, Pommes frites und auf alle möglichen
Produkte ausdehnt, die wir täglich zu uns nehmen, ist in
der Tat ein sehr großes und ernst zu nehmendes Problem.
Dabei handelt es sich um ein Problem neuen Typs, weil
noch Anfang dieses Jahres seriöse Wissenschaftler den
Kopf geschüttelt haben, als die These aufgestellt wurde,
Acrylamid entstehe bei der Erhitzung von Stärkeprodukten in Abwesenheit von Wasser. Niemand hat damit gerechnet, dass Acrylamid bei diesem Prozess entsteht. Es
ist, wie gesagt, ein sehr ernst zu nehmendes Problem.
Ich habe in den letzten anderthalb Jahren meiner Amtszeit eine Reihe von Lebensmittelskandalen und Problemen im Lebensmittelbereich erlebt. Ich kann aber nicht
sagen, ob das Problem bezüglich Acrylamid größer oder
kleiner als das BSE-Problem ist.
Wir haben mit der zuständigen Mitarbeiterin des Bundesinstituts gesprochen. Sie hat uns gesagt, dass es sich in
der „Bild“ um eine verkürzte Darstellung handele. Es gibt
hier aber nichts zu beschönigen. Es handelt sich bei
Acrylamid - so haben wir es schon am Anfang des Sommers im Ausschuss dargestellt - um ein sehr ernst zu nehmendes Problem. Auf der Ebene der WHO redet man von
einem Problem von Major Concern, das heißt einem Problem von größter Besorgnis. Daher arbeiten wir mit
Hochdruck an Lösungen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Heinen.
Nicht nur die Sprecherin des Bundesinstitutes, sondern
auch seriöse Wissenschaftler sprechen davon - Sie haben
es gerade selber erwähnt -, dass es sich um ein sehr großes
Problem handelt. Die Frage ist: Ist dieses Problem größer
als das Problem, das wir in der Vergangenheit mit Nitrofen hatten? Wie sieht Ihre Beurteilung aus?
Bei dem Nitrofen-Skandal handelte es sich um den
Eintrag einer Chemikalie in das Getreide. Das Problem
war lokal eingrenzbar. Wir wussten am Ende ziemlich genau - das hat auch die Genese des Skandals gezeigt -, wohin die einzelnen Getreidepartien geliefert wurden. Wir
konnten also die lokale Verbreitung verfolgen.
Bei Acrylamid handelt es sich um ein Problem, das wir
wahrscheinlich schon seit mehreren tausend Jahren haben. Denn immer dann, wenn Stärkeprodukte erhitzt werden, entsteht Acrylamid. Dieses Problem lässt sich nicht
auf die industrielle Fertigung beschränken. Acrylamid
entsteht ebenso in der Küche, wenn Kartoffeln gekocht
oder Weihnachtsplätzchen gebacken werden. Das Problem ist also omnipräsent. Deshalb ist es mit dem Nitrofen-Skandal überhaupt nicht vergleichbar. Seine Auswirkungen sind weitreichender.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen gerade an, dass
Acrylamid beim Kochen und Erhitzen entsteht. Sind Ihnen
Untersuchungen bekannt, die belegen, dass in den genannten Lebensmitteln - zum Beispiel in Brot - aufgrund
desselben Prozesses ein Stoff entsteht, der bewirkt, dass
Entgiftungsenzyme freigesetzt werden? Das heißt, es können Stoffe entwickelt und freigesetzt werden, die positiv
auf den Körper wirken. Welche Erkenntnisse haben Sie darüber?
Es gibt eine ganze Reihe von chemischen Prozessen,
die beim Kochen ablaufen. Ich kann Ihnen aber keine Details nennen, schon gar nicht zu den Prozessen, die positive Auswirkungen haben. Ich bitte das zu entschuldigen.
Wir werden leider immer mit den Prozessen konfrontiert,
die negative Auswirkungen haben. Es ist aber sehr klar,
dass wir hinsichtlich des Acrylamid handeln müssen.
Ich will auf einen ähnlichen Vorgang verweisen: Beim
Grillen entstehen Benzpyrene. Das hat man akzeptiert,
weil das Gegrillte besser schmeckt. Dennoch hat die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, über die Gesundheitsrisiken informiert zu werden.
Es gibt sehr praktikable Wege, um hohe Konzentrationen von Acrylamid zu vermeiden. Diese muss man den
Menschen mitteilen. Man kann beispielsweise mit den
Fritteusenherstellern reden, Geräte zu entwickeln, die bei
niedrigerer Temperatur arbeiten. Die Backfrites, die im
Ofen gebacken werden, könnten zukünftig bei niedrigerer
Temperatur erhitzt werden. Es gibt eine Untersuchung
- wir werden die Verbraucher ausführlich darüber informieren, sobald die Ergebnisse vollständig vorliegen; das
kann über das Internet geschehen -, die zeigt, dass man
geringere Konzentrationen von Acrylamid erreichen kann,
wenn man das Backblech nicht halbvoll, sondern voll mit
Pommes frites belegt. Ein letztes Beispiel aus der Küche:
Wenn Sie Bratkartoffeln mit vorgekochten Kartoffeln machen, dann sind die Acrylamid-Werte deutlich niedriger,
als wenn man rohe Kartoffeln verwenden würde.
Es gibt also eine Reihe von Maßnahmen, die AcrylamidWerte zu reduzieren. Inwieweit dadurch auch positive Effekte beeinflusst werden, haben wir nicht untersucht.
({0})
Wir kommen dann zur Frage 5 der Kollegin Heinen:
Trifft es zu, dass im ganzen Land Lebensmittelkontrolleure
unterwegs sind und Proben entnehmen, wie dies aus einer Äußerung einer Vertreterin des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft in der „Bild“ vom 2. November 2002 hervorgeht, und wenn ja, mit welcher Struktur ist die
Untersuchung angelegt?
Frau Kollegin Heinen, es trifft zu, dass im ganzen Land
Lebensmittelkontrolleure unterwegs sind, um sich mit
dieser Frage auseinander zu setzen. Die Grundlage für die
Minimierungsstrategie ist ja, dass wir überall dort, wo betroffene Produktgruppen aufzufinden sind, entsprechende
Untersuchungen in Auftrag gegeben haben.
Ihre Zusatzfrage, bitte schön.
Eine kurze Zusatzfrage: Bis wann rechnen Sie mit endgültigen Forschungsergebnissen?
Es gibt verschiedene Forschungsergebnisse. Zum einen ist es so, dass wir, als wir uns im Juni zum ersten Mal
mit der Frage, warum und wie Acrylamid entsteht, beschäftigt haben, noch ziemlich im Dunkeln getappt sind.
Wir wissen heute sehr genau: Die Voraussetzungen sind
das Vorhandensein von reduzierenden Zuckern und Asparaginsäure sowie eine Erhitzung von mehr als 170 Grad
unter Abwesenheit von Wasser. Wenn all das zusammenkommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Acrylamid entsteht, entsprechend hoch. Es gibt noch ein paar andere
Faktoren; aber das sind die wesentlichen.
Das heißt, es kommen ständig Forschungsergebnisse
hinzu. Darüber hinaus sind wir auf internationaler Ebene
mit allen, die an diesem Thema forschen, vernetzt.
Die wichtigste Frage wird sicherlich die toxikologische Bewertung des Stoffes Acrylamid sein. Wenn wir
diese Frage abschließend geklärt haben, werden wir über
Maßnahmen, die über die Minimierungsstrategie hinausgehen, sprechen müssen. Ich hatte eben gesagt, dass wir
uns vom Bundesinstitut für Risikobewertung im Frühjahr
nächsten Jahres erste Ergebnisse auf diesem Feld - das ist
für uns eine der drängendsten Fragen - erhoffen. Bei einem solchen Problem, gerade wenn es um die Frage geht,
ob etwas krebserregend ist oder nicht, weiß man aber leider nie auf den Tag genau, wann die Forscher zu einem
endgültigen Ergebnis kommen. Denn dies ist doch ein
sehr komplexer Bereich.
Damit kommen wir zur Frage 6 der Kollegin Marlene
Mortler von der CDU/CSU-Fraktion:
Welche Analyseergebnisse des Bundesinstituts für Risikobewertung bei Acrylamid sind bislang ausgewertet worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Mortler, ich möchte auf die soeben beantwortete Frage verweisen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung arbeitet hauptsächlich daran, uns eine unabhängige Abschätzung zu geben, wie gefährlich Acrylamid ist.
Die anderen Fragen, zum Beispiel der Umgang mit Analyseergebnissen, werden im Grunde vom Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit beantwortet, das, wie ich auf die erste Frage des Kollegen Carstensen
geantwortet habe, die Aufgabe hat, die Minimierungsstrategie bundesweit zu bündeln, und damit alle Informationen
zur Hand hat, vor allem die sensiblen über die Hersteller,
bei denen zu hohe Acrylamid-Werte zu verzeichnen sind.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Mortler? - Nein.
Dann kommen wir zur Frage 7 der Kollegin Mortler:
Welche Ergebnisse hat das Expertengespräch der Weltgesundheitsorganisation, WHO, und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, Ende Juni 2002 erbracht?
Ich hatte auf diese Ergebnisse bereits hingewiesen. Die
Expertengruppe hat im Juni dieses Jahres getagt. Wir hatten den Vorteil, dass mit Herrn Arnold einer der großen
Experten auf dem Gebiet Acrylamid anwesend war. Er
führte den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe. Wir hatten also
eine sehr gute Informationsbasis.
Man hat sich auf WHO-Ebene überrascht gezeigt, wie
groß dieses Problem ist, und hat es zu einem Major Concern, das heißt zu einem sehr ernst zu nehmenden Problem, erklärt. Die einzelnen Ergebnisse haben wir im Internet veröffentlicht. Sie finden einen Hinweis auf der
Startseite der Homepage unseres Ministeriums und können sich dann entsprechend informieren.
Das wichtigste Ergebnis ist natürlich: Es besteht weiterer Forschungsbedarf. Wir haben dies dadurch ergänzt,
dass wir neben der Forschungsarbeit konkrete Handlungsschritte im Rahmen der Minimierungsstrategie unternommen haben.
Haben Sie eine Zusatzfrage? - Nein.
Dann eine weitere Frage des Kollegen Carstensen.
Herr Staatssekretär, haben Sie Erkenntnisse darüber,
wie das Thema Acrylamid in anderen Ländern außerhalb
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Peter H. Carstensen ({0})
der EU, also nicht in Schweden, sondern zum Beispiel in
den Vereinigten Staaten und in solchen Ländern, in denen
in großem Umfang Pommes frites verzehrt werden und
Bratfett benutzt wird, behandelt wird?
Herr Kollege Carstensen, ich bitte um Verständnis: Ich
habe keinen Gesamtüberblick über die Diskussion in den
einzelnen Ländern. Ich würde es Ihnen gern schriftlich
nachreichen, falls wir dazu weitergehende Informationen
haben.
Ich weiß, dass in Europa, seitdem es diese Warnungen
im Rahmen des europäischen Schnellwarnsystems gegeben hat, eine sehr intensive Fachdebatte zu diesem Thema
in den verschiedenen Facheinrichtungen geführt wird.
Zum Beispiel die holländischen Kollegen forschen in diesem Bereich sehr intensiv.
Zweifellos ist hier zu erörtern, dass etwa ab dem Jahr
2000 auf wissenschaftlicher Ebene Informationen über
das Problem Acrylamid veröffentlicht wurden, aber nirgends in der Welt richtig wahrgenommen worden sind.
Erst durch die Veröffentlichungen der schwedischen Behörden im April dieses Jahres wurde der Stein ins Rollen gebracht. Das heißt, glücklicherweise wird auch in anderen
Ländern an diesem Problem gearbeitet. Wir sind nicht die
Einzigen.
Die Fragen 8 und 9 des Kollegen Albert Deß sollen
bitte schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zur Frage 10 der Kollegin Gitta
Connemann:
Hat die Bundesregierung wegen Acrylamid mit den Bundesländern und in der Europäischen Union Absprachen getroffen,
wenn ja, welche?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Wie ich schon angedeutet habe, ist die Minimierungsstrategie nur dann erfolgreich, wenn wir Hand in Hand mit
den Bundesländern arbeiten. Diese haben über die Lebensmittelbehörden den konkreten Zugriff auf die Unternehmen. Die Zusammenarbeit mit den Bundesländern
und deren Lebensmittelbehörden ist durchweg konstruktiv, wenngleich es einige Schwierigkeiten mit den Laborkapazitäten gibt, weil die Acrylamid-Untersuchungen in
denselben Labors stattfinden müssen wie zum Beispiel
die Untersuchungen von Nitrofuran - ein Problem, das
Geflügelfleisch betrifft. Aber auch das werden die Bundesländer Schritt für Schritt in den Griff bekommen. Das
zumindest sagen uns die Experten. Wir haben eine Art
Poollösung angeboten, das heißt, dass die Bundesländer
ihre Laborkapazitäten allen anderen zur Verfügung stellen. Das scheint aber nicht nötig zu sein.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Trifft es zu, dass bei der Ermittlung von Signalwerten
durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit bisher keine europäischen Daten einbezogen worden sind und, wenn ja, wann ist im Sinne einer
umfassenden Verbraucheraufklärung damit zu rechnen?
Vielleicht darf ich noch einmal auf die Frage eingehen,
die Sie davor gestellt haben, nämlich ab welchem Wert
Acrylamid als gefährlich anzusehen ist: Einen solchen
Wert müssten wir bei 30, vielleicht 50 Mikrogramm pro
Kilogramm Lebensmittel ansetzen. Es wird ein Aktionswert empfohlen, der bei 1 000 Mikrogramm Acrylamid
pro Kilogramm Lebensmittel liegt, also weit über dem,
was bei vergleichbaren Substanzen heute als Grenzwert in
Lebensmittelverordnungen existiert. Dieser zunächst einmal gegriffene Wert ist als solcher, so glaube ich, nicht zu
kritisieren. Man kann also nicht von Panikmache oder
Ähnlichem sprechen.
Die Vorgehensweisen in anderen europäischen Ländern sind nicht vergleichbar. Eine europäische Diskussion gibt es aber natürlich insofern, als alle Hersteller
betroffen sind, die für den deutschen Markt produzieren,
aber ihre Produkte nicht hierzulande herstellen. Ich habe
mir sagen lassen, Knäckebrot komme häufig aus Schweden.
({0})
- Danke, Ecki!
Natürlich diskutieren wir möglichst oft mit den Kollegen aus den anderen Ländern. Wenn wir die Daten aus der
zweiten Runde bekommen, werden sich, so denke ich,
zwei Ergebnisse ergeben: Erstens wird es gelingen, durch
die Kooperation mit den Beteiligten, also den Ländern
und den Unternehmen, die Acrylamid-Werte deutlich zu
senken, zum Teil durch ganz einfache Maßnahmen. Zweitens wird es trotz einer solchen dynamisch angelegten Minimierungsstrategie Produkte geben, bei denen die
Acrylamid-Werte unakzeptabel hoch sind.
Sobald wir das wissen, werden wir unser Vorgehen auf
europäischer Ebene vorstellen. Dies wird dann natürlich
zu diskutieren sein. Ich hoffe, dass sich unser Vorgehen
auf die anderen europäischen Länder übertragen lässt. Auf
jeden Fall werden wir das für alle Produkte, die auf dem
deutschen Markt sind, anwenden.
Eine zweite Zusatzfrage? - Nein. Dann eine Frage der
Kollegin Ursula Heinen.
Sie hatten die Frage von Herrn Carstensen eben dahin
gehend beantwortet, dass sich der Ministerrat noch nicht
damit befasst hat. Jetzt haben Sie auf die Frage der Kollegin Connemann gesagt, dass europäische Daten bislang
noch nicht einbezogen wurden, dies aber zukünftig geschehen soll. Wir meinen, dass es angesichts dessen an der
Zeit wäre, dieses Thema auf die Agenda des nächsten Ministerrates zu setzen, und erwarten schon, dass Deutschland, dass die deutsche Verbraucherschutzministerin das
besonders vorantreibt. Wird das der Fall sein?
Frau Kollegin Heinen, ich denke, dass an meinen Antworten deutlich geworden ist: Wir treiben dieses Thema
voran und sind mit den Aktionen, die wir in Gang gesetzt
haben, europaweit konkurrenzlos. Es gab am 15. und
16. Oktober eine Expertentagung; ich habe bereits darauf
hingewiesen. Die Experten haben sich zu einer zweiten
Tagung verabredet, die im Dezember dieses Jahres stattfinden soll. Ich denke, dass das Ergebnis dieser Expertentagung uns wichtige Hinweise geben wird, ob und zu welchem Zeitpunkt wir das zu einem politischen Thema auf
europäischer Ebene machen können. Klar ist aber auch,
dass wir unabhängig davon unsere Minimierungsstrategie
in Deutschland weiter voranbringen werden.
Damit kommen wir zur Frage 11 der Kollegin
Connemann:
Sind wegen Acrylamid europäische Regelungen geplant und,
wenn ja, welche?
Frau Kollegin, die Beantwortung ergibt sich aus den
bisherigen Antworten: Es gibt zurzeit noch keine europaweiten Aktivitäten, deren Planungsstadium so weit fortgeschritten wäre, dass ich sie hier nennen könnte. Ziel der
Bundesregierung ist es, eine generelle Regelung im Sinne
des europäischen Binnenmarktes zu erreichen. Man stelle
sich die Situation eines Herstellers vor, der bei den Produkten für den deutschen Markt handeln muss, aber bei
denen für den Export nach Frankreich oder Italien nichts
weiter unternehmen muss. Für die deutschen Verbraucher
gilt zwar, dass das Vorkommen von Acrylamid in den Produkten, die sie in Deutschland kaufen, minimiert ist. Aber
natürlich macht es Sinn, wenn Strategien der AcrylamidMinimierung überall stattfinden, sodass auch die Verbraucher im europäischen Ausland so wenig Acrylamid
wie möglich in den Lebensmitteln vorfinden.
Wir sind also dran. Aber alles geht nur Schritt für
Schritt und wir wollen mit dem, was wir machen, auf der
sicheren Seite sein. Daher warten wir auf die Untersuchungsergebnisse der zweite Runde, bevor wir die Pferde
auf europäischer Ebene ein wenig scheuer machen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Sie sagen, dass Bestrebungen, das Risiko zu minimieren, im Gange sind. In welchem Zeitraum können wir
denn mit sichtbaren Erfolgen bei den Minimierungsbemühungen rechnen? Vielleicht bis Ende November
oder Ende Dezember?
Die gute Nachricht ist: Ja, das können wir anhand der
Daten, die wir bisher vorliegen haben. Diese geben nur
eine grobe Übersicht, weil - wie gesagt - erst Ende der
Woche die nächste Runde abgeschlossen wird. Die Daten
besagen, dass wir vom Sommer bis zum Spätherbst dieses
Jahres bei vielen Produkten durchaus eine Verringerung
von Acrylamid-Werten verzeichnen können; das ist die
gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Bei einigen
Herstellern und einigen Produkten klappt dies nicht. Das
wird natürlich eine sehr ernste Diskussion mit diesen Herstellern nach sich ziehen müssen.
Ich denke, dass die Minimierungsstrategie in jedem
Fall einen Erfolg bringt. Diese ist aber nur ein Bestandteil
unserer Strategie. Die Feststellung der Toxizität des Stoffes ist der zweite Bestandteil. Denn es kann sich am Ende
herausstellen, dass dieser Stoff so toxisch ist, dass wir insgesamt in die Produktions- und in die Konsumweise eingreifen müssen.
Darüber hinaus wollen wir die Verzehrgewohnheiten
von Kindern untersuchen. Man kann sich vorstellen, dass
Kinder proportional mehr Pommes frites, Kekse und verschiedene andere Gebäcke zu sich nehmen als Erwachsene. Diese besondere Verzehrstudie ist im Sommer in
Auftrag gegeben worden und wird uns jetzt erste Ergebnisse bringen, sodass wir mit dem Bündel von Informationen, das wir dann haben, konkrete Hinweise für die
Verbraucher und die Hersteller geben können.
Ich habe auch die Hoffnung, dass wir bei der Anhörung, die der Ausschuss für Januar beschlossen hat, in
der Lage sein werden, Ihnen weitere Fortschritte mitteilen
zu können. Denn bis dahin haben wir noch ein paar Wochen Zeit. Das ist ein sehr dynamisches Thema. Ich gehe
davon aus, dass wir dem Ausschuss in der öffentlichen
Anhörung weitere zur Sicherheit der Verbraucher beitragende Informationen mitteilen können. Dann haben wir
auch die Gelegenheit, in der Öffentlichkeit mit den betroffenen Herstellern und deren Verbänden über dieses
Problem zu diskutieren.
Zweite Zusatzfrage.
Sie sagen, das Minimierungsprogramm wird wahrscheinlich zum Teil zunächst nicht greifen. Es gibt, wie Sie
dargestellt haben, keine abschließenden rechtlichen Regelungen. Das Gefahrenpotenzial scheint immens zu sein.
Was wird die Bundesregierung tun, um den Verbraucher
über die offensichtlich doch sehr großen Risiken und auch
darüber, wie er sie vermeiden kann, zu informieren?
Zunächst einmal werden wir unsere Politik der absoluten Transparenz fortsetzen. Wir haben die Öffentlichkeit
über jeden Schritt informiert. Es gibt eine Reihe von Presseveröffentlichungen und Veröffentlichungen im Internet.
Das halten wir für wichtig. Hier ist absolute Transparenz
geboten. Ich sage Ihnen auch: Wir wären gern noch ein
bisschen transparenter. Das ist allerdings damals an der
Union gescheitert, die das Verbraucherinformationsgesetz
im Bundesrat abgelehnt hat.
({0})
Dieses Gesetz taugt in meinen Augen nicht für eine
wahlkampfbedingte politische Auseinandersetzung und
Blockade. Mit dem Verbraucherinformationsgesetz hätten
wir ein wirksames Instrument in der Hand, das es uns ermöglichen würde, die Verbraucher viel stärker über konkrete Produkte zu informieren. Das würde auch den Druck
auf die Hersteller, ihre Herstellungsverfahren zu verändern, beträchtlich erhöhen.
Wir gehen jetzt einen anderen Weg, von dem ich
glaube, dass er zu Verbesserungen führt. Deswegen teile
ich die Grundeinschätzung, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommt, dass wir gar nicht vorankommen würden
oder dass wir keine guten Nachrichten hätten, nicht. Wir
haben in vielen Bereichen wirklich gute Nachrichten. Es
reichen zum Teil schon der Austausch einer Kartoffelsorte
oder die Veränderung der Lagertemperatur von Kartoffelsorten, um dieses Problem einigermaßen in den Griff
zu bekommen. Aber leider können wir das nicht in allen
Fällen mit Sicherheit sagen. Deswegen können wir auch
keinerlei Entwarnung geben. Wir kommen bei manchen
Problemen voran und bei anderen nicht. Wir werden die
Verbraucher vor allem darüber informieren, was sie praktisch tun können. Ich erinnere noch einmal an den Tipp,
nur ein volles Backblech mit Pommes frites in den Ofen
zu schieben.
({1})
Eine weitere Frage des Kollegen Carstensen.
Herr Staatssekretär, nun könnte man die Presseerklärung der Vorsitzenden der Verbraucherzentrale Bundesverband zu diesem Thema anführen. Darin stand nämlich,
die Bundesregierung brauche dieses Verbraucherinformationsgesetz nicht.
Ihre Antworten von vorhin geben mir Anlass, zu fragen, ob es nicht dringend notwendig wäre, dieses Thema
mit auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Ministerrates zu nehmen. Es kann nämlich nicht ausreichen,
dass wir Minimierungsstrategien fahren. Sie machen sich
zwar Sorgen wegen der Firmen, die hier minimieren müssen, aber auch ins Ausland liefern. Ich jedoch mache mir
viel mehr Sorgen wegen der ausländischen Firmen, die
nicht am nationalen Minimierungsprogramm teilnehmen,
aber auf unseren Markt liefern.
Können Sie mir bitte sagen, welche rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen oder welche
Analyseergebnisse oder welche wissenschaftlichen Ergebnisse vorliegen müssen, damit Sie unterbinden können, dass zwar bei uns minimiert wird, aber anschließend
die Pommes frites, die Kartoffelchips oder was auch immer aus dem europäischen Ausland bei uns auf den Markt
kommen?
Herr Carstensen, auf Ihre beiden Fragen kann ich Ihnen gerne eine Antwort geben.
Erstens. Es ist zweifellos so, dass auch die ausländischen Hersteller, die auf den deutschen Markt liefern, in
die Minimierungsstrategie eingebunden sind. Auch mit
diesen Unternehmen wird Kontakt aufgenommen. Sollten
die Produkte dieser Unternehmen die Signalwerte erreichen, müssen diese genauso minimieren wie die Hersteller auf nationaler Ebene.
Ich habe im Rahmen meiner Antwort auf eine andere
Frage darauf hingewiesen, dass der optimale Zustand
zunächst einmal dann erreicht ist, wenn sich diese Strategie auf dem gesamten europäischen Binnenmarkt durchsetzen könnte und vielleicht auch Bestandteil einer abgestimmten WHO-Politik würde. Dies ist sicher auch unser
Ziel, aber es geht alles Schritt für Schritt.
Ich halte es für sinnvoll, dass wir, wenn wir einen derart neuen Weg der Bekämpfung eines Risikos für die Verbraucher gehen, auf nationaler Ebene auf der sicheren
Seite sein sollten, bevor wir auf europäischer Ebene einsteigen. Die Probleme werden nicht ganz ohne Ärger mit
den Unternehmen lösbar sein. Diese Prognose kann ich
heute ziemlich sicher wagen.
Zweitens. Sie hatten auf die Forderung der Verbraucherzentrale Bundesverband abgehoben. Diese zielt darauf ab, ob man nicht aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts Ross und Reiter nennen darf. Wir
haben diese Frage geprüft. Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat einen großen Vorteil: Es stärkt die
Position der Bundesregierung, dass wir ein Verbraucherinformationsgesetz brauchen. Es hat gerade anhand des
Glykolfalles die Informationspflicht des Bundesministeriums für Verbraucherschutz noch einmal unterstrichen.
Das Urteil erstreckt sich aber leider nur auf solche Produkte, die nicht mehr verkehrsfähig sind. Das Urteil beschäftigt sich also mit einem Produkt, das schon vom
Markt genommen worden ist.
Die Produkte, von denen ich hier rede, können die Verbraucher jeden Tag im Lebensmitteleinzelhandel, beim
Bäcker oder bei der Pommesbude um die Ecke erwerben.
Deshalb gibt es uns leider keine Handhabe, um hier Ross
und Reiter zu nennen. Wir bedauern dies und verbinden
dies mit der Bitte an Sie, dass Sie Ihre Blockade im Bundesrat aufgeben mögen und wir ein Verbraucherinformationsgesetz bekommen.
({0})
Eine weitere Frage des Kollegen Peter Bleser.
Herr Staatssekretär, auf welcher Rechtsgrundlage verweigern Sie die Bekanntgabe der Namen jener Unternehmen, deren Produkte eine erhöhte Acrylamid-Belastung
haben, und zwar vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit des Öfteren solche Unternehmen genannt
worden sind, die diese Produkte in Verkehr gebracht haben? - Hier ist offensichtlich eine Gesundheitsgefährdung
vorhanden, Sie jedoch verweigern den Verbrauchern die
entsprechende Information.
Herr Kollege Bleser, mit Verlaub, aber dies schlägt
dem Fass den Boden aus. Wir wollten ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg bringen, welches uns rechtlich auf die sichere Seite bringen würde. Ich würde mich
hier wirklich um Kopf und Kragen reden, wenn ich die
Namen bestimmter Hersteller nennen würde. Ich kommentiere auch nicht diejenigen Namen, die aufgrund anderer Testverfahren an die Öffentlichkeit gelangt sind,
weil dies für das betreffende Unternehmen mit einem erheblichen Risiko verbunden wäre. Dies allein könnte ich
noch verschmerzen, aber dieses Unternehmen könnte sich
dann auf das Birkel-Urteil sowie auf andere Urteile berufen und die Bundesregierung wegen geschäftsschädigenden Verhaltens des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs in der Fragestunde - das wäre mit erheblichen
Kosten für den Steuerzahler verbunden - verklagen. Dies
kann nicht der richtige Weg sein.
Das Verfahren in dem Verbraucherinformationsgesetz,
so wie wir es angelegt haben, hätte wie folgt funktioniert:
Wir hätten mit den Herstellern Kontakt aufgenommen,
hätten ihnen die Gelegenheit gegeben, selber an die Öffentlichkeit zu gehen und dieses bekannt zu geben. Wenn
sie davon abgesehen hätten, hätten wir auf fachlicher
Ebene entscheiden können, ob das Problem so groß ist,
dass es gerechtfertigt ist, den einzelnen Hersteller zu nennen oder nicht. Nach diesem - wie ich finde - sehr vernünftigen, subsidiären Vorgehen wären wir auch schon in
diesem Fall liebend gern vorgegangen. Sie haben aber im
Sommer dieses Jahres die Verabschiedung der dafür notwendigen rechtlichen Möglichkeiten im Bundesrat
blockiert.
Noch einmal: Wir werden mit dem Verbraucherinformationsgesetz Risiken wie das angesprochene für die Verbraucher effektiver bekämpfen können. Deswegen taugt
dieses Gesetz nicht für einen parteipolitischen Streit. Ich
lasse mir aber nicht vorwerfen, dass wir nicht so handelten,
als gäbe es schon ein Verbraucherinformationsgesetz, um
mir hinterher den Vorwurf von Ihnen gefallen zu lassen,
dass wir in erheblichem Maße schadenersatzpflichtig seien.
({0})
Wir kommen jetzt zu Frage 12 des Kollegen Helmut
Heiderich:
Welche Studien befassen sich gezielt mit den gesundheitsgefährdenden Risiken von Acrylamid und dessen Krebs erregenden
Wirkungen vor dem Hintergrund, dass das Bundesinstitut für
Risikobewertung mitgeteilt hat, dass das zusätzliche Krebsrisiko
der Bevölkerung durch die Aufnahme von Acrylamid über
Lebensmittel derzeit noch nicht abzuschätzen sei?
Herr Kollege Heiderich, wir haben schon in der Ausschusssitzung über diese Frage diskutiert. Ich habe der
Kollegin Heinen angeboten, dass wir dem Ausschuss die
Liste all derjenigen Studien, die sich mit der von Ihnen gestellten Frage beschäftigen, zukommen lassen. Ich kann
Ihnen diese Liste aber auch gleich im Anschluss an die
Fragestunde überreichen.
Es ist klar, dass hier erheblicher Forschungsbedarf jenseits vorhandener Studien und solcher, die jetzt von Dritten in Auftrag gegeben werden, vorhanden ist. Deshalb
haben wir - das habe ich schon bei der Beantwortung anderer Fragen angedeutet - das Bundesinstitut für Risikobewertung gebeten, mit verstärkten Forschungsanstrengungen die gesundheitsgefährdende Wirkung und das
Krebs erregende Potenzial von Acrylamid zu ermitteln.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie hatten vorhin erwähnt, dass es
auch auf internationaler Ebene Bedenken gebe. Ich
glaube, Sie hatten die WHO angesprochen. Gibt es vonseiten der Bundesregierung Bestrebungen, zusammen mit
anderen Ländern entsprechende Studien auf internationaler Ebene in Auftrag zu geben, oder befinden sich solche
Studien schon in Vorbereitung? Welche Position hat die
Bundesregierung zu diesem Thema?
Im Juni dieses Jahres haben Experten aller Länder auf
einer FAO/WHO-Tagung über diese Frage diskutiert.
Selbstverständlich sind auch in anderen Ländern solche
Studien in Vorbereitung.
Ich hatte schon bei der Beantwortung einer anderen
Frage darauf hingewiesen, dass wir an einer Vernetzung
der Arbeit sehr interessiert sind. Wir haben in unsere Forschungsarbeiten auch Kollegen aus Nachbarländern einbezogen. Diese können bei Veranstaltungen der uns nachgeordneten Einrichtungen hospitieren und entsprechende
Erfahrungen sammeln. Wir sähen es gerne, wenn sie uns
in gleichem Maße ihre Erfahrungen mitteilen würden.
Das geschieht - das möchte ich nur am Rande sagen - leider nicht immer. Ich glaube, im Kern ist das Problem so
groß, dass die Gemeinschaft der Wissenschaftler schon an
einer Effektivierung der Forschung arbeitet.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben ja vorhin in besonderem
Maße haushaltstechnische Erfahrungen durchblicken
lassen. Wenn es um Backbleche und ähnliche Dinge geht,
könnte ich Ihnen gerne meine Erfahrungen mitteilen.
Aber ich glaube, die hatten Sie eben nicht gemeint.
({0})
Ich möchte gerne noch einmal auf die Frage nach der
internationalen Zusammenarbeit zurückkommen. Gibt es
nach Ihrem Kenntnisstand andere Länder, die bereits
Maßnahmen eingeleitet haben, die Verbraucherinformationen geben und Verhaltensregeln empfehlen, so wie Sie
sie vorhin vorgetragen haben?
Es gibt eine Reihe positiver Beispiele für Rechte der
Öffentlichkeit am Zugang zu Informationen. Ich denke,
dass das Vorgehen in den Vereinigten Staaten für uns alle
beispielhaft ist; denn dort hat man einen erheblich besseren Zugang zu den Informationen der Behörden, als das
bei uns der Fall ist. Die Rechtslage bei uns ist deshalb so
unerquicklich, weil wir zwar ein Umweltinformationsrecht haben, das jedem die Möglichkeit einräumt, beispielsweise die Inhaltsstoffe des örtlichen Klärschlamms
zu erfahren, wir uns aber bisher nicht dazu durchgerungen
haben, im Bereich der Lebensmittel vergleichbare Informationsrechte zu schaffen. Dieser Widerspruch sollte
nicht dauerhaft in Deutschland bestehen bleiben.
Darüber hinaus enthalten die Vorschläge der Europäischen Union, zum Beispiel in der Produktsicherheitsrichtlinie, Passagen, die darauf hinauslaufen, dass die
Verbraucher bessere Rechte auf Zugang zu Informationen
der öffentlichen Verwaltung haben werden. Ich erinnere in
diesem Zusammenhang auch an die Koalitionsvereinbarung. Hier haben die Koalitionsfraktionen festgelegt, dass
sie gemeinsam mit der Wirtschaft daran arbeiten wollen,
dass die Wirtschaft ihrerseits Informationen bereitstellt.
Sollte sie kooperativ sein, dann muss der Gesetzgeber den
Bereich der Wirtschaft nicht regeln. Sollte sie nicht kooperativ sein, dann ist die Sache natürlich ganz anders gelagert.
Danke schön. - Eine weitere Zusatzfrage, Ursula
Heinen.
Gibt es Studien, die sich auch mit den Auswirkungen
von Acrylamid auf schwangere Frauen bzw. auf Neugeborene beschäftigen? Sind bereits Schädigungen bekannt?
Ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Uns liegen bisher
keine Ergebnisse vor. Ich weiß nicht, inwieweit Schwangere in die von uns in Auftrag gegebene Verzehrstudie
einbezogen sind, die sich vor allem mit Kindern und Jugendlichen befasst. Da wir es zum Teil aber mit Produkten zu tun haben, die Kinder schon in sehr frühem Alter zu
sich nehmen, gehe ich davon aus, dass die Experten dies
berücksichtigen und wir darüber Auskünfte bekommen
werden.
Klar ist, dass es sich um einen Stoff handelt, der sowohl
Krebs erregend als auch erbgutschädigend ist und der deswegen in besonderer Weise für Schwangere ein Problem
darstellen kann. Niemand hat damit gerechnet, dass der
Stoff Acrylamid bei der Zubereitung von Lebensmitteln
zum Beispiel samstags abends in der Bratpfanne entsteht.
Das ist aber leider der Fall.
Eine weitere Frage der Kollegin Gitta Connemann.
Wird erwogen, besonders hohe Anforderungen hinsichtlich der Acrylamid-Belastung bei der Herstellung
von Babynahrung zu stellen?
Hohe Anforderungen wird man sicherlich an die Produkte im Bereich der Babynahrung stellen müssen, die betroffen sind. Da ist vor allem Gebäck zu nennen. Im klassischen Baby-Gläschen wird man diesen Stoff eher nicht
finden. Auch Pommes frites sind nicht Bestandteil von
Babynahrung. Kleine Kinder bekommen aber häufig
Kekse und Ähnliches zwischendurch zu essen. Darum
müssen wir uns intensiv kümmern, weil sie besonders viel
- bezogen auf das Kilogramm Körpergewicht - konsu488
mieren. Das ist meine Feststellung als Vater; ich denke
aber, dass das auch die Studien als Ergebnis ermitteln werden.
({0})
- Das will ich nicht sagen. Aber Sie, Herr Kollege, haben
ein größeres Körpergewicht. Deswegen können Sie mehr
zu sich nehmen.
Wir kommen zu Frage 13 des Kollegen Helmut
Heiderich:
Wann werden die Forschungen und Analysen abgeschlossen
sein und wann rechnet die Bundesregierung mit ersten Ergebnissen?
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass es schwierig
ist, Prognosen darüber abzugeben, wann Wissenschaftler
Forschungsergebnisse vorlegen werden. Wir hoffen, dass
wir, da wir glücklicherweise nicht mit Tierversuchen, sondern mit Zellkulturversuchen arbeiten, im nächsten Jahr
vom Bundesinstitut für Risikobewertung erste Ergebnisse
über die Gefährlichkeit des Stoffes Acrylamid bekommen
werden. Darüber hinaus erhalten wir von anderer Stelle
laufend neue Forschungsergebnisse. Ich bin sehr froh darüber, dass im Herbst dieses Jahres Veröffentlichungen
uns darüber, wie Acrylamid entsteht, sehr klare Informationen gegeben haben. Es ist aber noch immer nicht klar,
wie der Reaktionsmechanismus bei der Entstehung von
Acrylamid abläuft. Das ist klassische organische Chemie.
An sich müsste diese Frage einfach zu klären sein. Aber
im Lebensmittelbereich ist es sehr kompliziert und es ist
nicht leicht, zu Ergebnissen zu kommen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär, fühlt sich die Bundesregierung
veranlasst, in der Zwischenzeit, solange diese Ergebnisse
noch nicht vorliegen, die Grenzwerte vorsorglich zu senken? Aus meiner Sicht ist das Körpergewicht in diesem
Fall nicht entscheidend, weil ich davon ausgehe, dass
Menschen mit einem größeren Körpergewicht auch
größere Mengen verzehren.
Herr Kollege Heiderich, das Konzept des „acceptable
daily intake“, ADI, geht davon aus, wie viel Gramm eines
Stoffes pro Kilogramm Körpergewicht man zu sich nimmt.
Wenn ich die Menge an Butterkeksen, die ein kleines Kind
in sich reinstopfen kann, auf das Körpergewicht von mir,
von Herrn Kollegen Carstensen oder von sonst jemandem
unter uns hochrechne, dann komme ich zu dem Ergebnis:
Wir müssten einen Berg an Butterkeksen essen. Es ist
nicht realistisch, dass jemand von uns eine vergleichbare
Menge zu sich nimmt wie ein Kind. Deswegen ist es angeraten, dass wir uns speziell um die Verzehrgewohnheiten von Kindern kümmern.
Sehen Sie sich einmal an, wie viele Kinder wöchentlich beispielsweise Fast-Food-Ketten aufsuchen und dort
Pommes frites zu sich nehmen. Wir müssen einen speziellen Blick auf die Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern richten, die diese Verzehrgewohnheiten haben,
weil gerade sie besonders schutzbedürftig sind.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da die Frage der Grenzwerte eine
solch wichtige Rolle spielt, frage ich Sie: Könnten sich
aus Ihrer Sicht Rückwirkungen auf Regelungen im Haftungsrecht ergeben?
Ich bin leider kein Jurist. Grundsätzlich wird in unseren Gesetzen natürlich davon ausgegangen, dass die Hersteller nur solche Produkte auf den Markt bringen können,
die die Gesundheit nicht gefährden. Ausgehend von diesem Grundsatz - unabhängig von der Frage, wie teuer ein
Lebensmittel ist -, dass wir es mit Mitteln zum Leben zu
tun haben müssen, die keine Gefährdung nach sich ziehen, werden wir natürlich mit den einzelnen Herstellern
über Minimierungsstrategien sprechen. Darüber, inwieweit das Haftungsrecht und andere Rechtskreise berührt
sind, kann ich nur spekulieren. Ich denke, dass wir darüber in den nächsten Monaten, nachdem wir uns mit dieser
Frage näher beschäftigt haben, noch einmal reden müssen.
Zusatzfrage, Kollege Carstensen.
Herr Staatssekretär, wenn ich richtig informiert bin, hat
es insbesondere in Schweden Minimierungsstrategien
und -erfolge gegeben. Haben Sie das Gefühl, dass Sie
über die schwedischen Ergebnisse, Verfahren, Forschungen und Analysen genügend unterrichtet sind?
Zumindest habe ich vonseiten der bei uns dafür Verantwortlichen keine Klagen gehört. Ich weiß auch nicht,
ob mein Gefühl hier ausschlaggebend ist.
Ich denke, dass die Kooperation in diesem Bereich sehr
gut läuft. Wir haben die Hinweise der schwedischen
Behörden nicht erst hinterfragt und wir haben auch nicht
gesagt, dass wir erst einmal abwarten sollten, sondern wir
haben unsere Behörden gleich am nächsten Tag damit befasst, um dieses Problem in Kooperation mit den Schweden - diese sind uns insoweit voraus, als sie als Erste auf
das Problem hingewiesen haben - zu bearbeiten.
Ich glaube, letztlich wird das ein Problem von globaler
Bedeutung sein. Es ist für kein Land und kein Forschungsteam angezeigt, seine Informationen für sich zu behalten.
Zu einer schnellen Lösung werden wir nur unter der Voraussetzung kommen, dass die Kooperationsbereitschaft
der einzelnen Länder und der einzelnen Unternehmen
groß ist. Vor allem bezogen auf die Unternehmen hoffe ich
sehr, dass die Wettbewerber untereinander ihre Informationen fair austauschen werden.
Herr Kollege Schulte-Drüggelte hat eine Zusatzfrage.
- Bitte schön.
Sind die Untersuchungsmethoden in den einzelnen
Bundesländern miteinander abgestimmt? Gibt es unterschiedliche Ergebnisse bei diesen Untersuchungen? Gibt
es schon - Sie sprachen die Gefährlichkeit an - gesicherte
Erkenntnisse darüber, ab welcher Schwelle es wirklich
gefährlich wird?
Es gibt verschiedene Untersuchungsmethoden. Anfang
des Sommers kam die Frage auf, ob die einzelnen Untersuchungsmethoden alle zu einem gültigen Ergebnis
führen.
Aufgrund der Erfahrung ist es natürlich leicht, Acrylamid nachzuweisen. Bisher hat man es aber nur im Wasser gesucht. Das Problem ist also weniger die Analysemethode, mit der man Acrylamid nachweist, sondern eher,
wie man den Ausgangsstoff - in dem Fall also Lebensmittel, zum Beispiel Knäckebrot oder was auch immer so behandelt, dass man eine Acrylamid-Konzentration
nachweisen kann. Hierfür gibt es eine Vielzahl von Verfahren. Die Überprüfung der verschiedenen Verfahren hat
ergeben, dass man, auch wenn unterschiedliche Ansätze
in der Aufbereitung der Proben zugrunde gelegt, also zum
Beispiel unterschiedliche Lösemittel verwendet werden,
in der Regel zu validen und entsprechend gültigen Nachweisen kommt, sodass wir glücklicherweise kein Problem
mit der Analyse haben. Das ist die Voraussetzung dafür,
dass massenhaft Proben genommen werden können, sodass die ermittelten Ergebnisse in die Minimierungsstrategie eingebaut werden können.
Die Frage, ab welcher Konzentration Acrylamid gefährlich ist, habe ich bereits mehrfach beantwortet. Ich
will es noch einmal versuchen:
Wir verfügen noch nicht über eine abschließend valide
Datenbasis darüber, ab wann er gefährlich ist. Wir sind
uns nicht hundertprozentig sicher, ob Acrylamid erst ab
einem Schwellenwert gefährlich ist oder ob schon bei einer geringsten Konzentration eine Krebs erregende und
erbgutschädigende Wirkung gegeben ist. Es gibt Wissenschaftler, die das behaupten und die Vergleiche zu Stoffen
wie 3,4-Benzpyren ziehen. Aufgrund der mir heute vorliegenden Datenlage bin ich mir aber nicht so sicher, dass
ich es Ihnen verbindlich sagen könnte. Das ist der Grund,
weshalb wir intensiv daran forschen.
Unabhängig davon gebietet es der vorsorgende Verbraucherschutz, dass wir schon jetzt tätig werden und versuchen, diesen Stoff, der im Essen nichts zu suchen hat,
zu eliminieren. Dass er gefährlich ist, steht außer Frage,
auch wenn man den genauen Grenzwert noch nicht ermittelt hat.
Damit kommen wir zur Frage 14 der Kollegin Julia
Klöckner:
Wie ist der seinerzeit vom Bundesamt für gesundheitlichen
Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vorgeschlagene Aktionswert von 1 000 Mikrogramm Acrylamid pro Kilogramm wissenschaftlich begründet und welche Maßnahmen sind bei Überschreitung dieses Wertes vorgesehen?
Frau Klöckner, im Grunde kann ich bei der Beantwortung der Frage 14 direkt an die Antwort zur eben gestellten Frage anschließen. Man kann sicher davon ausgehen,
dass der ursprüngliche Aktionswert von 1 000 Mikrogramm Acrylamid pro Kilogramm - diesen haben wir dort
gesetzt - unerwünscht ist.
Man hätte ihn vielleicht etwas niedriger setzen können.
Darüber, welcher Wert zunächst angesetzt wird, lassen
wir unsere Experten wie immer unabhängig entscheiden.
Aufgrund der Minimierungsstrategie und der Daten, die
uns heute vorliegen, wissen wir, dass wir auch bei den besonders belasteten Produktgruppen deutlich unter diese
1 000 Mikrogramm pro Kilogramm kommen werden, sodass im Laufe der nächsten Monate auch darüber zu reden
sein wird, inwieweit dieser Aktionswert von 1 000 Mikrogramm pro Kilogramm überhaupt noch Bestand hat.
Wir sind aber aufgrund der eben genannten Daten nicht
in Aktionismus verfallen und haben nicht irgendeinen
Wert Pi mal Daumen halbiert. Um das Prinzip des Minimierungsprogramms noch einmal zu erörtern: Bei einer
Produktgruppe, in der der höchste Wert bei 500 Mikrogramm liegt, müssen wir dafür sorgen, dass dieser Wert
abgesenkt wird. Wir gehen an jedes Produkt mit der Zielsetzung der Absenkung heran. Es mag Produktgruppen
mit einem Signalwert von 800 Mikrogramm geben. Bei
anderen mag er deutlich niedriger liegen. Wir wollen bei
allen Produktgruppen die Werte absenken. Das Prinzip ist
eben, so wenig Acrylamid wie möglich auf den Tisch
kommen zu lassen.
Eine Zusatzfrage, Frau Klöckner.
Herr Staatssekretär, was geschieht mit den Lebensmitteln, deren Wert signifikant über dem Signalwert liegt?
Ich denke, sie werden aus dem Handel genommen. Sie
werden hoffentlich nicht zu Tierfutter verarbeitet.
Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass man diese Produkte
nicht zu Tierfutter weiterverarbeiten kann. Das wird in der
Regel aber nicht passieren. Wir sind jetzt darüber in der
Auseinandersetzung mit der Wirtschaft. Einzelne Produkte, die sehr hohe Werte aufwiesen, sind inzwischen
aus den Regalen verschwunden.
Insgesamt glaube ich, dass wir gemeinsam mit der
Wirtschaft die unangenehmen Entscheidungen - dafür
brauche ich die Rückendeckung des Parlaments - durchsetzen müssen. Das heißt, Herstellern, deren Produkte einen zu hohen Wert aufweisen, muss dann, wenn sie es
nicht freiwillig tun wollen, gesagt werden: Das Produkt
muss vom Markt genommen werden. Dies muss auch
dann geschehen, solange wir noch keine Konzentration
festgesetzt haben, ab der Acrylamid gefährlich ist. Einige
Hersteller könnten darauf pochen, ihre Produkte, solange
noch keine Grenzwerte festgelegt sind, weiter verkaufen
zu können. Wir überprüfen die rechtliche Handhabe. Wir
glauben, gemeinsam mit den Ländern - das haben wir
heute im Ausschuss erörtert - eine rechtliche Handhabe
zu besitzen, um diese Unternehmen im Zweifel zu zwingen, diese Produkte aus den Regalen zu nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ich habe noch eine Zusatzfrage zum Verbraucherschutz bzw. zur Aufklärung. Sie sagten: Solange die Produkte im Handel sind, dürfen die Hersteller nicht genannt
werden. Wenn sich aber jemand konkret an Sie wendet
und wissen möchte, ob das Produkt, das er zu Hause hat,
gefährlich ist, und zwar nicht öffentlich, sondern über
das Forum Ihrer viel genannten Website www.was-wiressen.de - Voraussetzung ist, dass man sie findet -, antworten Sie dann oder lassen Sie diesen Menschen mit seinem Problem alleine?
Ich empfehle den Verbrauchern, sich direkt an die Hersteller zu wenden.
({0})
Die Hersteller selber sind nicht verpflichtet, die gewünschte Auskunft zu geben. Aber ich denke, im Sinne einer verbraucherorientierten Marktwirtschaft sind die Hersteller gut beraten, dies zu tun. Darüber hinaus gibt es eine
Reihe von Veröffentlichungen. Wir können in einem solchen Forum für die Hausfrauen der Bundesrepublik das
Verbraucherinformationsgesetz nicht durch die Hintertür
einführen, weil sich sonst das komplette journalistische
Corps in Berlin als Hausfrau tarnen würde, um sich diese
Informationen zu besorgen.
({1})
Wir hätten dann wieder den juristischen Ärger.
Ich sage es noch einmal: Die einfachste Lösung des
Problems wäre es - das können wir sehr schnell machen -,
wenn wir, Opposition und Regierung, uns darauf einigen,
in den nächsten Monaten ein Verbraucherinformationsgesetz in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden.
Dieses Verbraucherinformationsgesetz würde uns das Leben bei diesen und bei kommenden Problemen leichter
machen.
Warum sage ich „kommende Probleme“?
({2})
Ich habe „kommende Probleme“ deshalb gesagt, weil die
EU in den nächsten Jahren die Altwirkstoffe im Chemikalienbereich überprüfen wird. Ohne Kenntnis über einzelne Altwirkstoffe zu haben, mit denen wir heute schon
Probleme haben, gehe ich davon aus, dass die eine oder
andere Chemikalie, die wir bisher als eher unbedenklich
angesehen haben und die sich in Lebensmitteln oder Kinderspielzeug findet, doch bedenklich ist. Je mehr Informationsmöglichkeiten wir haben, desto schneller können
diese Missstände beseitigt werden, weil weder die Unternehmen noch die Verwaltung noch sonst irgendjemand
ein Interesse daran haben kann, dass solche Produkte weiterhin am Markt käuflich erhältlich sind.
Kollegin Connemann.
Finden Sie Ihre Reaktion, den Verbraucher in diesen
Fällen an den Hersteller zu verweisen, vor dem Hintergrund angemessen, dass zum Beispiel die Ministerin für
diesen Bereich beim kleinsten Verdacht auf Vorliegen von
Hormonen in Milch oder Fleisch, der sich hinterher nicht
bestätigt hat, sofort öffentlich dazu aufgerufen hat, besagte Lebensmittel zu boykottieren?
Zunächst einmal, Frau Kollegin, hat sie das so nicht getan, um den Ausgangspunkt Ihrer Frage deutlich zu verneinen. Richtig ist, dass wir im Zusammenhang mit den
fortwährenden Problemen im Futtermittelbereich darauf
hingewiesen haben, dass es nicht so weitergehen kann und
dass schärfere Regelungen nötig sind, wie wir sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Wir werden Ihnen diese
Regelungen demnächst vorstellen und sie - hoffentlich
mit Ihrer Unterstützung - auch möglichst schnell umsetzen.
Ich bin, dass wir uns nicht missverstehen, mit diesem
Zustand nicht glücklich. Ich würde liebend gerne über den
einen oder anderen Hersteller das Verbraucherinteresse an
Information erfüllen. Ich hätte Ihnen heute Morgen im
Ausschuss viel dazu vortragen können. Aber Sie haben
uns mit Ihrer Gestaltungsmehrheit im Bundesrat in dieser
Frage die Hände gebunden. Deswegen würde ich, wenn
ich dies dürfte, Herr Präsident, mit einer Gegenfrage antworten. Ich gehe allerdings davon aus, dass Sie wissen,
welche Gegenfrage ich meine.
Sie dürfen keine Fragen stellen, sondern nur Fragen beantworten.
({0})
Deswegen bitte ich jetzt den Kollegen Hartwig Fischer,
seine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund, dass Sie
eben in Ihrer Antwort ausgeführt haben, man könne sich
an den Hersteller wenden, der einen unter Umständen
warnen könne, und dass Sie keinen Grenzwert benennen
können, frage ich Sie: Vor welchem Fall bzw. vor welchem Grenzwert soll denn der Hersteller warnen?
Die Minimierungsstrategie hat einen wesentlichen
Vorteil: Wir bekommen einen Gesamtüberblick über die
Werte, die zum Beispiel bei dem Produkt Knäckebrot bestehen, und die Varianz, das heißt über die Frage, wo die
Werte besonders hoch und wo sie besonders niedrig sind.
Auch die Hersteller bekommen diesen Überblick und
können ihrerseits die Verbraucher entsprechend informieren.
Ich gehe im Übrigen davon aus, dass diejenigen Unternehmer, deren Produkte besonders niedrige Werte aufweisen, Maßnahmen ergreifen werden, um die Verbraucher darüber zu informieren. Ich gehe aber nicht davon
aus, dass sich für diejenigen, bei denen es Probleme gibt,
die Strategie empfiehlt, die Probleme zu verheimlichen.
Insofern gehe ich davon aus, dass Verbraucher, die sich an
die Unternehmen wenden, von den Unternehmen, die verantwortungsvoll mit dieser Frage umgehen, die entsprechenden Informationen bekommen werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Carstensen.
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicherlich bekannt, dass
die Sendung „plusminus“ im Internet Hersteller, von denen Lebensmittelproben im NAFU-Labor auf Acrylamid
untersucht worden sind, genannt und die Ergebnisse der
Analysen aufgeführt hat. Ihnen ist sicherlich auch bekannt, dass darunter auch verschiedene ausländische
Firmen sind. Können Sie bestätigen, dass nach dem von
Ihnen vorgelegten Verbraucherinformationsgesetz den
Verbrauchern zum Beispiel keine Informationen über die
im Ausland hergestellten Produkte hätten gegeben werden
können, die bei uns auf den Markt kommen?
Das kann ich überhaupt nicht bestätigen, weil alle Informationen, die den Behörden bzw. uns vorliegen, in den
Geltungsbereich des Verbraucherinformationsgesetzes
fallen. Dazu gehören auch Informationen über ausländische Hersteller. Das heißt, wenn eine Behörde - zum
Beispiel das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - über eine Information verfügt,
wäre sie nach dem Verbraucherinformationsgesetz in der
Lage, als Servicedienstleistung den Verbrauchern diese
Information in angemessener Form zur Verfügung zu
stellen. Auch hierbei gilt der zeitliche Vorlauf, mit dem
zunächst dem Unternehmen selbst die Möglichkeit eingeräumt wird, diese Information weiterzugeben, was sich
in der Regel als der bessere Weg herausgestellt hat. Im Zusammenhang mit der Nitrofen-Belastung von Lebensmitteln haben wir die Erfahrung gemacht, dass Unternehmen,
die versuchen, ein Problem mit stillen Rückrufaktionen zu
lösen, mit dieser Verfahrensweise auf Dauer nicht besonders glücklich sind, weil sie zu Recht das Misstrauen des
Verbrauchers nach sich zieht.
({0})
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Julia Klöckner auf.
Sind die ermittelten Acrylamid-Belastungen angesichts unterschiedlicher Analysemethoden - insbesondere unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lösungsmittel - zwischen den Bundesländern vergleichbar, und wenn nicht, ab wann wird die
Analysemethodik standardisiert sein?
Frau Kollegin, ich habe diese Frage bereits vorhin auf
Nachfrage eines Kollegen beantwortet. Es gibt eine Reihe
von Analysemethoden, die sich zwar in der Methodik,
aber nicht in der Validität der Aussagen unterscheiden.
Das heißt, es gibt ein ganzes Spektrum von Labors, die
wir einsetzen können. Das ist die Voraussetzung für eine
erfolgreiche Minimierungsstrategie.
Eine Zusatzfrage von Frau Klöckner, bitte schön.
Herr Staatssekretär, vielleicht liegt es daran, dass ich
noch nicht die entsprechende Parlamentserfahrung habe,
um die Antworten zwischen den Zeilen zu verstehen. Sie
haben mir vorhin keine klare Antwort auf die Frage gegeben, was mit den Produkten geschieht, die als signifikant
gefährlich erkannt wurden. Können Sie wirklich garantieren, dass sie nicht in irgendeinem Kreislauf wieder auftauchen? Wird darüber Rechenschaft abgelegt und werden die Angaben überprüft?
Ich kann Ihnen zu der Frage, wie mit einem Produkt
vorgegangen wird, das aus dem Regal genommen wird, in
dieser Fragestunde keine konkrete Antwort geben, weil
mir der Überblick über all diese Verfahren fehlt.
({0})
Sie bemerken sicherlich, dass ich sehr auskunftsfreudig
bin, und ich würde Ihnen auch diese Frage beantworten.
Ich habe diese Informationen nicht. Zurückgerufene Lebensmittel können aber sicherlich nicht Bestandteil von
Futtermitteln sein.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Gerade Jugendliche oder auch Kinder - das haben wir
vorhin schon kurz angesprochen - sind gefährdet, weil sie
etwa Chips oder Pommes frites präferiert konsumieren.
Haben Sie ein besonderes Konzept oder eine so genannte
Task Force - von so etwas wird ja gerne gesprochen -, um
gerade an Schulen oder auch an Kindergärten Aufklärung
zu leisten?
In der Tat ist „Kinder und Ernährung“ einer der
Schwerpunkte unserer Arbeit. Es gibt eine ganze Reihe
von Maßnahmen im Bereich der allgemeinen Ernährungsaufklärung. Ich möchte in diesem Zusammenhang
an Folgendes erinnern: Allein der Umstand, dass etwa
40 Prozent aller 10-Jährigen in Deutschland adipös, das
heißt zu Deutsch: zu fett, sind, ist Anlass zur Sorge. Selbst
die gesunden Lebensmittel nehmen die Kinder also häufig in einer Art und Weise zu sich, die nicht besonders gesund ist. Insofern müssen wir über die Werbung zu Produkten und auch über Verzehrgewohnheiten reden.
Es gibt aber auch eine Reihe von Chancen. Etwa im
Zusammenhang mit der Schaffung von Ganztagsschulen
können wir mit für eine ausgewogene Ernährung der Kinder sorgen.
In diesem speziellen Fall war eine unserer ersten Maßnahmen, eine besondere Verzehrstudie in Auftrag zu geben, die die vorgenannten Produkte und die entsprechenden Konsumgewohnheiten der Kinder zum Inhalt hat.
Klares Ziel ist natürlich, besondere Tipps und Handlungsweisen für Kinder und Jugendliche zu erarbeiten, die
wir dann in geeigneter Form den Kindern und Jugendlichen, aber natürlich auch deren Eltern nahe bringen wollen. Aufgrund eigener Erfahrungen mache ich mir da aber
überhaupt keine Illusionen. Überzeugen Sie einmal ein
Kind davon, an einer Pommesbude vorbeizugehen! Das
ist nicht sonderlich leicht.
Kollege Heiderich, noch eine weitere Frage dazu.
Herr Staatssekretär, noch einmal zu der Behandlung
der eventuell gefährdenden Lebensmittel. Sie haben vorhin mehrfach deutlich gemacht, dass die Gefährdung im
Wesentlichen davon abhängt, wie man diese Lebensmittel behandelt. Dabei haben Sie durchaus haushaltstechnische Kenntnisse offenbart, nämlich darüber, wie man das
in der Bratpfanne oder in der Friteuse oder wie auch immer behandelt. Gibt es irgendeine besondere Form der
Behandlung oder Entsorgung von Lebensmitteln, die auf
diese Weise entstanden sind? Wie soll dieses Problem
gelöst werden?
Wir haben es hier zum Glück nicht mit einem akut lebensgefährdenden Vorgang zu tun. Die Acrylamid-Konzentrationen, von denen wir hier reden, die beim Braten
einer Bratkartoffel entstehen, sind sicherlich gesundheitsgefährdend, aber damit sind die Bratkartoffeln noch kein
Sondermüll.
Generell ist unser Ziel, möglichst praktische Hinweise
zu geben. Dabei ist es wichtig, dies in einer Art und Weise
zu tun, dass die breite Öffentlichkeit informiert ist. Ich
habe ein paar praktische Hinweise genannt. Ich glaube
auch, dass diejenigen, die Backöfen oder Friteusen herstellen, sehr gute Partner sein können, wenn es darum
geht, solche Informationen zur Verfügung zu stellen. Auf
den Verpackungen könnten die Rezepte geändert werden,
beispielsweise in der Hinsicht, dass man für die Zubereitung von Pommes frites im Backofen nicht zu hohe Temperaturen wählt.
Ein ganz wichtiger Punkt scheint auch zu sein, dafür
Sorge zu tragen, dass solche Rohstoffe, die besonders viel
Acrylamid erzeugende Ausgangsbestandteile haben, bei
der industriellen Fertigung nicht mehr präferiert werden.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Peter Bleser auf:
Liegen über die im „Acrylamidforum“ der Internetseiten
„www.was-wir-essen.de“ zum Acrylamid-Gehalt von Zwiebackproben und Butterkeksen wiedergegebenen Informationen hinaus
weitere Daten für betroffene Produkte vor?
Herr Kollege Bleser, wir haben anonymisierte Daten
an verschiedenen Stellen bereitgestellt. Daten über das
Spektrum der Belastung von Produkten können wir
in anonymisierter Form bereitstellen. Leider können wir
nicht Ross und Reiter nennen. Infolgedessen liegen Daten über die auf den von Ihnen genannten und sehr zu
empfehlenden Internetseiten, zum Beispiel „www.waswir-essen.de“, gegebenen Informationen hinaus nicht
vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen, um die Bevölkerung darüber zu informieren, welche Acrylamid minimierenden Zubereitungsmethoden es
gibt? Welche Haushaltsmittel und in welcher Größenordnung wollen Sie hierfür zur Verfügung stellen? Sind Sie
bereit, dafür aus den 25 Millionen Euro, die Sie im Haushalt für die Verbreitung ökologisch erzeugter Nahrungsmittel einsetzen wollen, umzuschichten?
Herr Kollege, sobald wir aufgrund der Datenlage eine
solide Information über das Ausmaß des Problems haben, werden wir die Öffentlichkeit in angemessener
Form informieren und auch entsprechende Mittel zur
Verfügung stellen. Ich gehe aber davon aus, dass wir das
nicht allein machen können, sondern dass hierbei insbesondere auch die Wirtschaft mit in der Verantwortung
ist, um das Thema breit bekannt zu machen. Wir geben
etwa 3 Cent pro Person und Jahr für Informationen im
Lebensmittelbereich aus, während 13,50 Euro pro Person und Jahr in die Werbung für Lebensmittel fließen.
Wir werden in der Wirtschaft sicherlich eine Reihe von
verantwortungsbewussten Partnern finden, die an einer
sachlichen Information der Verbraucher ebenfalls ein Interesse haben.
Es ist jetzt zu früh, darüber zu spekulieren, wie wir dieses Vorhaben finanzieren; aber eines kann ich Ihnen versichern: Wir werden sicherlich nicht diejenigen Mittel
antasten, die dazu dienen, über den Ökolandbau zu informieren. Um dafür Mittel aufzubringen, werden wir auf
andere schöne Haushaltstitel zurückgreifen, worüber Sie
sich dann allerdings ärgern werden. Insofern freue ich
mich schon auf die dann folgende Diskussion.
({0})
Herr Kollege Bleser, möchten Sie eine weitere Zusatzfrage stellen? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Bleser auf:
Wie viele Unternehmen und wie viele Produkte sind von
Acrylamid betroffen?
Ich habe ganz am Anfang gesagt, dass Pommes frites,
Chips, Knäckebrot, Toastbrot, Weihnachtsgebäck, Gebäck aller Art, zu Hause zubereitete Waren aus Rohstoffen wie Kartoffeln und alles Mögliche einen hohen
Acrylamidgehalt haben können. Daraus folgt, dass wir
mit einem großen Teil der Unternehmen des Lebensmittelsektors im Dialog zu stehen haben und dass sehr viele
Unternehmen dazu bereit sein müssen, sich zu verändern.
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen heute hier die Zahl der
betroffenen Unternehmen zu nennen. Wir wollen mit unserem Konzept möglichst viele Unternehmen untersuchen, um so sichere branchenspezifische Daten darüber
zu erhalten, wo die höchsten und wo die geringsten Konzentrationen von Acrylamid sind. Wir haben die betroffenen Produkte in weit über 60 Gruppen unterteilt. Anhand
dieses Hinweises kann man sich, salopp gesagt, zusammenreimen, wie groß die Anzahl der betroffenen Produkte
sein wird. Wie gravierend dieses Problem für die Verbraucher allein von der Menge her ist, ist auch aus diesem
Spektrum ersichtlich.
Herr Bleser, möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Ja.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass die Bundesregierung diejenigen, die Lebensmittel industriell herstellen, anders behandelt als diejenigen, die Lebensmittel
landwirtschaftlich herstellen?
Nein.
({0})
Der Herr Kollege Carstensen möchte eine weitere Zusatzfrage stellen.
Das ist eine ganz wichtige Frage. Die Bundesverbraucherschutzministerin hat den Ausschuss für den 4. Dezember zu einem Weihnachtsessen eingeladen. Herr Staatssekretär, können Sie uns sagen, was es da zu essen gibt?
({0})
Herr Carstensen, wir sollten es nicht zu laut sagen: wie
immer viel und „bio“, natürlich.
({0})
Nach dieser Fragestunde sind Sie nur dann auf der
sicheren Seite, wenn Sie ganz aufs Essen verzichten.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und soziale Sicherung. Zur
Beantwortung stehen zunächst einmal der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes und später die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur
Verfügung.
Die Fragen 18, 19 und 20 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 21 des Kollegen Albrecht
Feibel:
In welcher Weise und in welchem Zeitraum beabsichtigt die
Bundesregierung, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
dazu anzuhalten, die gesetzlich vorgeschriebene Veräußerung der
Gemeinnützigen Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten, GAGFAH, umzusetzen?
Herr Staatssekretär, bitte schön.
Herr Kollege Feibel, zunächst ist darauf hinzuweisen,
dass gemäß § 293 Abs. 4 SGB VI die Erfüllung der gesetzlichen Veräußerungspflicht vorrangig von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu bewirken ist.
Insbesondere im Interesse der Beitragszahler beinhaltet
der Gesetzesauftrag die Forderung, den Verkauf wirtschaftlich zu gestalten. Ein Veräußerungsverfahren sollte
nur dann eingeleitet werden, wenn wirtschaftlich angemessene Rahmenbedingungen auf den Immobilienmärkten zu erwarten sind.
Vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel in den Ländern
Nordrhein-Westfalen und Berlin - dort befinden sich zwei
Drittel der GAGFAH-Wohnungen, nach denen Sie fragen bereits große Wohnungsbestände auf dem Markt zum Verkauf angeboten werden, hat der Vorstand der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte beschlossen, ein neutrales
Gutachten zur Analyse der Marktchancen einzuholen. Das
Gutachten soll die Ermittlung der wertbeeinflussenden
Faktoren und die sich daraus ableitenden Verwertungschancen in einem neuen Bieterverfahren umfassen.
Das Gutachten wird nach Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Kürze vorliegen. Erst
auf der Grundlage der Ergebnisse des Gutachtens kann
dann entschieden werden, ob die Einleitung eines neuen
Bieterverfahrens erfolgversprechend ist.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Welche Kriterien, Herr Staatssekretär, sind für Ihre
Feststellung ausschlaggebend, dass die Immobilien immer mehr und nicht immer weniger wert werden? Eigentlich wurde schon im März dieses Jahres vom Bundesrechnungshof angemahnt, dafür Sorge zu tragen, dass
diese Immobilien veräußert werden.
Herr Kollege Feibel, es hat im April dieses Jahres im
Haushaltsausschuss auf der Basis von Anträgen Ihrer
Fraktion und der Koalitionsfraktionen eine Diskussion
um den Verkauf der GAGFAH gegeben. Man hat sich einvernehmlich darauf verständigt, dass die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gebeten werden sollte,
schnellstmöglich wieder ein Bieterverfahren einzuleiten.
Man war sich auch darüber einig, dass man die vorhandenen Werte nicht einfach so auf dem Markt verkaufen
sollte, sondern dafür auch ein anständiger und vernünftiger Gegenwert geboten werden müsste.
Ich habe in der Antwort auf Ihre Frage vorhin darzustellen versucht, dass man natürlich auch die Marktbedingungen in den jeweiligen Regionen einschätzen muss. Sie
wissen, wie sich die Marktbedingungen in Berlin und
Nordrhein-Westfalen insbesondere vor dem Hintergrund
von Wohnungsleerständen entwickelt haben. Derartige
Kriterien sollen jetzt von einem Dienstleistungsanbieter
abgefragt werden, der dann ein entsprechendes Gutachten
als Voraussetzung für ein vernünftiges Bieterverfahren
der BfA vorlegen wird.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Angesichts der demographischen Entwicklung wird
sich die Situation wahrscheinlich nicht, wie Sie es erwarten, bessern, sondern eher verschlechtern. Glauben Sie,
dass Sie trotzdem noch weiter zuwarten können? Immerhin sollten die Immobilien gemäß der Forderung des Bundesrechnungshofes schon im März neu ausgeschrieben
werden. Jetzt haben Sie zugewartet und es ist schon November; es sind also acht Monate ins Land gegangen.
Glauben Sie, dass ein weiteres Zuwarten die Lage verbessert? Oder sind Sie nicht vielmehr mit mir der Meinung, dass sich die Erlössituation eher verschlechtern
wird?
Ich teile Ihre pessimistische Sichtweise nicht. Vielmehr richte ich mein Augenmerk darauf, dass der Haushaltsausschuss im April - Sie sprechen immer von März beschlossen hat, den Bericht des Bundesrechnungshofes
zur Kenntnis zu nehmen und die Bundesregierung und die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aufzufordern,
ihrer gesetzlichen Pflicht zur Veräußerung der GAGFAH
nachzukommen, die Vorbereitungen für ein neues Bieterverfahren zu treffen und - das war der dritte Punkt - dazu
Stellung zu nehmen, ob eine Erhöhung der Bruttodividende möglich ist.
Im April ist also dieser Auftrag erfolgt; im August hat
die BfA den Auftrag an einen Dienstleister gegeben, ein
Gutachten als Basis für die Ausschreibung zu erstellen,
und in Kürze - ich gehe von Ende des Jahres aus - wird
dieses, wie ich Ihnen gerade gesagt habe, vorliegen. Danach kann man zu den Kriterien Stellung nehmen und auf
dieser Basis Einschätzungen vornehmen. Wir sehen das
zurzeit nicht so negativ wie Sie und wollen erst einmal abwarten, was im Gutachten stehen wird.
Wir kommen damit zur Frage 22 des Kollegen Feibel:
Um welchen Prozentsatz niedriger könnte die Anhebung der
Beiträge für die Rentenversicherung ausfallen, wenn die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte die GAGFAH veräußert und
damit der gutachterlich festgestellte Ertragswert von rund 3,2 Milliarden DM - 1,7 Milliarden Euro - realisiert wird und zur Entlastung dieses Sozialversicherungsträgers beiträgt?
Die Veräußerung der GAGFAH zu einem gutachterlich
festgestellten Ertragswert von 1,6 Milliarden Euro hätte
keine Auswirkung auf den Beitragssatz der Rentenversicherung, da der Wert der Gesellschaft bereits in der
Schwankungsreserve enthalten ist und damit bei der Berechnung des Beitragssatzes berücksichtigt wird.
Bitte schön.
Der Bundesrechnungshof geht nicht davon aus, dass
dieser Wert in die Schwankungsreserve Eingang gefunden hat. Sie müssten mir Ihre Information schon näher erläutern und begründen, woraus Sie dies folgern.
Der Wert der GAGFAH ist in der Schwankungsreserve,
die sich in einen liquiden und einen nicht liquiden Teil
aufgliedert, enthalten. Wir haben gestern eine sehr umfangreiche Anhörung im Ausschuss für Gesundheit und
soziale Sicherung des Deutschen Bundestages gehabt, in
der wir uns mit den Vorhaben der Bundesregierung zur
Änderung und zur Stabilisierung der Rentenbeitragssätze
befasst haben. Mir ist ausdrücklich von den Sachverständigen, aber auch von der BfA und vom Verband Deutscher
Rentenversicherungsträger bestätigt worden, dass dieser
Komplex in der Schwankungsreserve enthalten ist.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Wenn der Erlös dieser Veräußerung der BfA zugeführt
würde, in welchem Umfang hätte dann - auch das war Bestandteil der Frage - auf eine Erhöhung des Rentenbeitrages
verzichtet werden können? Können Sie dazu etwas sagen?
({0})
Ich habe gerade deutlich gemacht, dass, wenn die
GAGFAH zu dem Wert, zu dem sie zurzeit in der Liquiditätsreserve enthalten ist, verkauft werden würde, dies
keine Auswirkungen auf den Beitragssatz hätte, den wir
nun neu festlegen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Frage 23 soll schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 24 des Abgeordneten Detlef
Parr, FDP:
Wie steht die Bundesregierung dazu, den Besitz von
10 Gramm Cannabis freizustellen, während die Berliner Justizsenatorin Karin Schubert in der „Berliner Morgenpost“ vom 6. November 2002 15 Gramm vorschlägt, und auf welchen
wissenschaftlichen oder anderen Grundlagen stehen diese unterschiedlichen Bewertungen?
Frau Kollegin Caspers-Merk steht zur Beantwortung
zur Verfügung.
Herr Kollege Parr, die Bundesregierung beabsichtigt
nicht, den Besitz von 10 Gramm Cannabis freizustellen.
Ich habe als Drogenbeauftragte der Bundesregierung lediglich darauf hingewiesen, dass laut einer Studie, die das
Bundesgesundheitsministerium bereits im Jahre 1997 in
Auftrag gegeben hat, nach der gegenwärtigen Rechtspraxis die geringe Menge, die zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hat, im Durchschnitt in über 80 Prozent
der Fälle bei höchstens 6 Gramm und in mehr als 90 Prozent der Fälle bei höchstens 10 Gramm liegt. Die Praxis
hat also gezeigt, dass sich das Ganze in der Größenordnung von 6 bis 10 Gramm einpendelt.
Dies sind aber Zahlen von 1997. Deswegen hat die
Bundesregierung in Abstimmung zwischen dem Bundesjustizministerium und dem Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung nun einen neuen Anlauf
genommen und noch für den November eine Abfrage bei
den Ländern dazu veranlasst, wie die jetzige Einstellungspraxis aussieht und ob gegebenenfalls, wenn diese
Praxis sehr unterschiedlich sein sollte, Handlungsbedarf
besteht. Wir gehen davon aus, dass uns die Ergebnisse
spätestens im Oktober 2004 vorliegen werden. Es ist eine
sehr umfangreiche Studie, weil wir auch nach den Konsequenzen der strafrechtlichen Praxis für die Prävalenzzahlen und für die aktuellen Konsumtrends unter Jugendlichen fragen. Mit dieser Studie ist das Max-Planck-Institut
für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg beauftragt worden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Parr.
Frau Staatssekretärin, wie ich einem „Länderspiegel“Beitrag entnehmen konnte, gibt es jetzt Doppeltestgeräte,
mit denen man Drogenschnelltests durchführen kann.
Außer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind diese Geräte bundesweit im Einsatz. Sind Ihnen
Erfahrungen mit diesen Testgeräten und hinsichtlich des
damit verbundenen Umgangs mit den Ergebnissen bekannt? Wir sind uns einig in der Frage der bundeseinheitlichen Festlegung der Mengen, die eine einheitliche
Rechtsprechung ermöglicht.
Herr Kollege Parr, Sie sprechen jetzt einen anderen
Sachverhalt an, nämlich die Fahrerlaubnis-Verordnung
und die Rechtspraxis beim Autofahren. Wir haben hier unterschiedliche Kontrolldichten bei den Landespolizeien.
Einige der Landespolizeien arbeiten mit diesen neuen
Testgeräten, mit denen man Drogentests auf sehr schnellem Wege durchführen kann.
({0})
Die Federführung in diesem Bereich liegt, soweit sie das
Thema Fahrerlaubnis-Verordnung betrifft, natürlich beim
Infrastruktur- und Verkehrsministerium, nicht bei uns. Ich
habe aber angeregt, dazu eine Expertenrunde einzuladen,
um sich die Sicherheit der neuen Drogenschnelltestmöglichkeiten darlegen zu lassen und vielleicht auch zu überlegen, welche Konsequenzen diese für die FahrerlaubnisVerordnung haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte schön.
Ich frage ergänzend, Frau Staatssekretärin, ob die Bundesregierung in Bezug auf den Einsatz der Testverfahren,
die jetzt möglich sind und in den Ländern offensichtlich, unterschiedlich intensiv, eingesetzt werden, beabsichtigt, mit
Blick auf die Vorbeugung etwas Druck zu machen. Denn ich
denke, wenn junge Leute wissen, dass, wenn sie in den Morgenstunden die Diskothek verlassen, ihr Ecstasy- oder
Cannabiskonsum sehr schnell durch die Polizei festgestellt
werden kann, kann dies eine abschreckende Wirkung haben.
Herr Kollege Parr, ich bin sehr dankbar für diese Zusatzfrage, denn sie gibt mir Gelegenheit, darzulegen, dass
wir in dem Punkt Frühintervention und Aufklärung
viel machen. Es gibt ein Bundesmodellprojekt zur Frühintervention erstauffälliger Drogenkonsumenten - FRED
heißt das abgekürzt -, in dem wir alle erfassen, die das
erste Mal mit Drogen in Kontakt kommen und bei der Polizei auffällig werden. Wenn ermittelt wird und sich herausstellt, dass es sich nur um eine geringe Menge Drogen
zum Eigenkonsum handelt, werden in aller Regel die Ermittlungen eingestellt.
In dieser Phase der Unsicherheit bieten wir speziell
diesen Jugendlichen ein Seminar an, in dem ein Gruppengespräch geführt wird. Für uns ist sehr interessant, dass
diese Jugendlichen oft noch keine Risikodiskussionen geführt haben. Das wird in der Gruppe nachgeholt. Erstens
wird sehr intensiv über das Thema Risiken im Straßenverkehr diskutiert. Zweitens wird über die Folgen des
Ecstasy-Konsums aufgeklärt. Sie wissen, dass es hier ein
großes Informationsdefizit gibt, weil viele meinen: Früher
habe ich eine Pille gegen Kopfschmerzen genommen,
heute nehme ich eine, um glücklich zu sein - was ist der
Unterschied, wo liegt das Risiko? Auch über die langfristigen Folgen - es gibt ja neue Erkenntnisse zum Thema
Parkinson - wird geredet.
Über all diese Fragen wird also eine sehr intensive
Risikodebatte geführt. Acht Bundesländer haben sich an
diesem Modellprojekt beteiligt. Wir werden die Ergebnisse dieses Projekts im Frühjahr nächsten Jahres auswerten und dann gegebenenfalls überlegen, wie wir unsere
Präventionsanstrengungen verbessern können.
Zusatzfrage, Herr Kollege van Essen.
Frau Staatssekretärin, ich habe mit Interesse gehört, dass
das Max-Planck-Institut in Freiburg beauftragt werden soll.
Vor dem Hintergrund, dass ein Gutachten zur Frage des
Abhörens von Telefonaten, das bei diesem Institut in Auftrag gegeben wurde, inzwischen mehrjährig verspätet ist,
frage ich, ob es nicht sinnvoll wäre, einen neuen Auftrag an
dieses Institut erst dann zu vergeben, wenn frühere Aufträge endlich erledigt sind? Die Bundesregierung und der
Rechtsausschuss warten nämlich dringend auf das Ergebnis dieses früheren Gutachtens.
Herr Kollege, Sie erwischen eine südbadische Abgeordnete bei dieser Frage natürlich voll. Ich kann Ihnen nur
zustimmen. Wir werden dafür Sorge tragen, dass das bei
diesem neuen Gutachten nicht passiert. Es handelt sich
um eine andere Fachabteilung, die diesmal das Gutachten
erstellt, die auch Vorerfahrungen hat. Diese Abteilung hat
bereits zwei Gutachten abgeliefert, zum Beispiel eine internationale Studie zu den neuen Drogenrouten, die sich
über den ganzen Bereich der ehemaligen Sowjetunion
entwickelt haben; beim Drogenkonsum in diesen südosteuropäischen Staaten haben sich ja neue Strukturen herausgebildet. Mit den Ergebnissen dieser Studie waren wir
sehr zufrieden. Deswegen erfolgte vor diesem Hintergrund die Vergabe. Ich danke Ihnen aber für den Hinweis
und werde mich persönlich darum kümmern, dass die Ergebnisse rechtzeitig vorliegen.
Weitere Fragen liegen hierzu nicht vor. Vielen Dank,
Frau Staatssekretärin.
Wir kommen als nächstes zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Gleicke zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Grund auf:
Wann wird die Bundesregierung die Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen Bahn AG, DB AG, aktualisieren, in der
der Weiterbau der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“, hier Projekt 8.1 und 8.2 ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt-Berlin, in Thüringen festgeschrieben wird, und welche Maßnahmen können vor
dieser Unterzeichnung durchgeführt werden?
Herr Abgeordneter Grund, zum Projekt VDE 8.1 besteht eine Finanzierungsvereinbarung, auf deren Grundlage die weitergehenden Baumaßnahmen finanziert werden können. Daher hat die Anpassung des Bauzeiten- und
Finanzierungsplanes an die verlängerte Bauzeit für die
Fortführung der Bauarbeiten keine Auswirkungen.
Zum VDE 8.2 wird derzeit eine Finanzierungsvereinbarung für den Abschnitt Gröbers-Erfurt erarbeitet. Mit
der Unterzeichnung der Vereinbarung ist im Jahre 2003 zu
rechnen.
Zusatzfrage?
Zunächst, Frau Kollegin Gleicke, wünsche ich Ihnen
alles Gute für Ihre Aufgabe in Ihrem neuen Amt im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Unser gemeinsames Heimatland Thüringen, in der
Mitte Deutschlands liegend, ist natürlich auf eine gute Infrastruktur angewiesen. Die ICE-Trasse gehört mit dazu.
Ich entnehme Ihren Worten, dass die Bundesregierung
nicht beabsichtigt, wie 1998 leider geschehen, diese Maßnahme des Infrastrukturprojekts auf den Prüfstand zu stellen, sondern an einer zügigen Realisierung interessiert ist.
Was steht eigentlich dem Abschluss der Finanzierungsvereinbarung für das VDE-Projekt 8.2 im Wege? Ich frage
deshalb noch einmal nach, weil uns mehrfach in Aussicht
gestellt wurde, dass der Abschluss im Sommer, spätestens
aber im Oktober erfolgt. Gibt es hier Probleme seitens der
Deutschen Bahn AG oder der Bundesregierung? Woher
kommt die Verzögerung?
Die Verzögerung resultiert aus noch nicht abgeschlossenen Detailplanungen.
Weitere Zusatzfrage.
Ein Beschluss des Vorstandes der Deutschen Bahn AG,
der die Finanzierung der Projekte 8.1 und 8.2 betrifft, beinhaltet möglicherweise nicht mehr die flexible Disponierung von Mitteln, wie sie bisher bei Infrastrukturprojekten mit hoher Priorität zu finden waren. Kann es also sein,
dass die Beschlusslage der Deutschen Bahn AG Probleme
macht?
Ich will auf folgenden Punkt hinweisen: Für das Projekt 8.1 gibt es eine Finanzierungsvereinbarung. Sie muss
nur an die geänderten Zeitabläufe angepasst werden. Bezogen auf das Projekt 8.2 kann ich sagen, dass die Strecke
zwischen Leipzig und Gröbers im nächsten Jahr fertig gestellt sein wird. Die Bahn arbeitet an einer Vereinbarung,
damit der Bau der Strecke zwischen Gröbers und Erfurt
sichergestellt ist. Nachdem der Bundeskanzler die Entscheidung zum Weiterbau bekannt gegeben hat, betreibt
die Bahn selbstverständlich die Fortführung dieser Maßnahme.
Zusatzfrage, Frau Kollegin Blank.
Frau Staatssekretärin, der Bundeskanzler hat zwar die
Zusage gegeben, dass die Trasse zwischen Nürnberg und
Erfurt gebaut wird. Könnte es aber nicht sein, dass die Finanzierungsvereinbarung noch weiter hinausgeschoben
wird? Es ist ja bekannt, dass die Grünen im Deutschen
Bundestag und auch die bayerische SPD dieses Projekt
nicht wollen. Dies ist vielleicht der Grund, warum das
Projekt immer weiter hinausgeschoben wird.
Da wir uns nicht weiter vertrösten lassen wollen, frage
ich Sie: Könnten Sie etwas mehr ins Detail gehen und uns
mitteilen, was die Verzögerung - ursprünglich war vom
Sommer und dann vom Oktober 2002 die Rede; nun sprechen Sie vom Jahr 2003 - hervorgerufen hat? Könnten Sie
eine detailliertere Auskunft geben, warum es diese weitere Verzögerung gibt?
Frau Kollegin Blank, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass es bei einem derartigen Bauvorhaben mit einer
nicht ganz unkomplizierten Topographie - Sie wissen,
dass die Strecke über ehemalige Bergbaugebiete und über
den Kammzug des Thüringer Waldes führt - zu Planungsverzögerungen kommen kann. Damit sind auch die
Schwierigkeiten der Bahn zu erklären, die Finanzierungsvereinbarung vollständig zu erarbeiten. Darin liegt der
Grund für die Verzögerung. Das bedeutet aber nicht - das
steht fest -, dass das Projekt nicht vorangetrieben und zu
Ende gebracht wird.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Bestehen die Probleme in der Detailplanung aufgrund
technischer Schwierigkeiten, die von der DB AG zu verantworten sind, oder aufgrund finanzieller Fragen, in denen man sich mit der DB AG nicht einig ist?
Die Deutsche Bahn AG ist ein privates Unternehmen.
Das heißt, sie plant dieses Projekt in eigener Verantwortung und beantragt beim Bund die Geldmittel. Der Bund
wird im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung die
Mittel auf Antrag der DB AG ordnen.
Nächste Zusatzfrage, Frau Nolte, bitte.
Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund der Bemerkungen von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen verstehen Sie sicherlich unsere Skepsis, was das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ 8.2 anbelangt. Ich habe
deshalb die Bitte, dass Sie einmal konkret sagen, wann Sie
mit einer abschließenden Finanzierungsvereinbarung
rechnen. Könnte es sein, dass aufgrund der neuen Steuerschätzungen, die heute veröffentlicht wurden, wiederum
Verzögerungen mit längeren Zeitabläufen entstehen oder
dass die Fertigstellung des Projekts vielleicht auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wird?
Frau Kollegin Nolte, ich kann verstehen, dass Sie nachfragen. Noch im Herbst hatte ich die Information, dass die
Vereinbarung abgeschlossen werden kann. Ich gebe ehrlich zu, dass die Verzögerung nicht schön ist. Wir können
es aber im Moment nicht ändern. Diese Verzögerung wird
allerdings nicht dazu führen, dass es zu Verzögerungen
beim Baufortschritt kommt. Wie Sie wissen, ist mit dem
Bau der Strecke schon vorzeitig begonnen worden.
({0})
Man kann nur eine Zusatzfrage stellen, wenn man nicht
selber eine Frage eingereicht hat.
({0})
- Es liegt in der Kunst nicht nur der Fragestellung, sondern auch der Beantwortung, das so oder so zu handhaben. Ich will mich möglichst eng an die Bestimmungen
unserer Geschäftsordnung halten. Bei der nächsten Frage
gibt es ja neue Möglichkeiten.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Manfred Grund auf,
die sich erkennbar dem gleichen Gegenstand widmet:
An welchen Streckenabschnitten der oben beschriebenen Verkehrsprojekte wird zurzeit gearbeitet und wann rechnet die Bundesregierung mit der Inbetriebnahme des durchgängigen Verkehrs?
Herr Abgeordneter Grund, beim Verkehrsprojekt
„Deutsche Einheit“ 8.1 wurde vor kurzem mit den Bauarbeiten zur Westeinfahrt Erfurt begonnen. Beim VDE 8.2
ist, wie ich schon erwähnt hatte, der Abschnitt Leipzig-Gröbers kurz vor der Fertigstellung. Nach den aktuellen Einschätzungen soll eine durchgängige Realisierung
bis 2015 erfolgen. Soweit möglich, wird seitens des Bundes eine frühere Fertigstellung angestrebt, was jedoch
vom erreichbaren Baufortschritt abhängt.
Herr Kollege Grund.
Frau Staatssekretärin, bis 2015 ist ein langer Zeitraum.
Es war schon einmal 2012 im Gespräch; auch das ist weit
hin. Unsere Lebensentwürfe sind endlich. Sie werden
verstehen, dass wir darauf drängen, dass diese Maßnahme,
die für die Infrastruktur Thüringens wichtig ist, möglichst
zügig abgearbeitet wird.
Wenn ich Sie richtig verstehe, ist beim VDE-Projekt
8.1 sowohl das Baurecht gegeben als auch eine gültige Finanzierungsvereinbarung getroffen worden, sodass an
diesem Abschnitt bis zur Westeinfahrt am Bahnhof Erfurt
zügig gebaut werden könnte. Der gesamte Baufortgang
der letzten vier Jahre ist nur eine Abarbeitung dessen gewesen, was bis 1998 begonnen worden ist. Es ist nichts
Neues hinzugekommen. Warum wird am Abschnitt 8.1,
für den zum einen Baurecht besteht und dessen Finanzierung zum anderen geklärt ist, nicht zügig weitergearbeitet?
Herr Abgeordneter Grund, es wird, wie Sie wissen, am
Abschnitt 8.1 gebaut. Seit dem 16. April 1996 wird der
Abschnitt Erfurt-Ilmenau - das ist entlang der Bündelungstrasse - gebaut. Die Fertigstellung ist bis 2006
geplant. Es gibt außerdem Maßnahmen im Abschnitt
Ilmenau-Ebensfeld, die besonders dringlich sind - Sie
sprachen das an - und wofür Baurecht besteht. Hier wird
zügig weitergeplant, damit das Baurecht erhalten bleibt.
Weitere Zusatzfrage?
Eine Nachfrage hätte ich noch; denn ich würde gern einen Vergleich zu der ICE-Trasse ziehen, die zwischen
Frankfurt und Köln gebaut worden ist. Diese Strecke ist
bei einer Verdoppelung der Baukosten zügig gebaut worden. Ausgerechnet der Bau der Trasse, die durch Thüringen, durch die neuen Bundesländer, führt und die nicht
nur für die Infrastruktur Thüringens, sondern auch für die
Anbindung an Berlin wichtig ist, wird regelrecht verschleppt. Gibt es dafür vonseiten der Bundesregierung
eine Erklärung?
Die Strecke des ICE-Projektes 8.1 und 8.2 wird weitergeplant und soll zügig gebaut werden. Ich habe dazu
entsprechende Ausführungen gemacht. Von Verschleppung kann man hier nicht sprechen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Blank.
Frau Staatssekretärin, wenn dieses Projekt aus Sicht
der Bundesregierung jetzt nun doch eine große Wichtigkeit und Bedeutung erhält, können Sie mir dann sagen,
warum für die ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt im entsprechenden Investitionsprogramm damals nur 5 Millionen DM vorgesehen worden sind und diese Maßnahme
weder im Anti-Stau-Programm noch im Programm
„Bauen-jetzt - Investitionen beschleunigen“ enthalten
ist? Denn wie wollen Sie den Bau dieser Trasse bis 2012
bzw. 2015 beenden, wenn in der nächsten Zeit in den
dafür infrage kommenden Programmen kein Geld vorgesehen wird?
Frau Abgeordnete Blank, ich habe vorhin darauf aufmerksam gemacht, dass der Bund die Mittel natürlich zuordnen muss. Warum diese Maßnahme nicht im AntiStau-Programm enthalten ist, das wissen Sie. Da geht es
um Lückenschlüsse, um Engpassbeseitigungen. Wir werden all das uns Mögliche tun, um im weiteren Fortschritt
die einzelnen Finanzanteile den einzelnen Jahren zuzuordnen.
Nun kann Frau Kollegin Nolte die Zusatzfrage stellen,
die sie schon vorhin gerne stellen wollte.
Herr Präsident, um es zu umgehen, wieder eine solche
Antwort zu bekommen, werde ich eine andere Frage stellen.
Frau Staatssekretärin, Sie sprachen die Bündelungsstrecke zwischen Erfurt und Ilmenau an. Haben Sie eigentlich Zahlen greifbar, was der dreijährige Baustopp an
Zusatzkosten verursacht hat?
Nein, im Moment nicht. Ich kann Ihnen das aber gerne
nachliefern.
Die Fragen 27 und 28 der Kollegin Tillmann werden
schriftlich beantwortet.
Dann rufe ich jetzt die Frage 29 des Kollegen Vogel
auf:
Welche Mittel stellt die Bundesregierung in den Jahren 2003
und 2004 für Baumaßnahmen an den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, hier Projekt 8.1 und 8.2 ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt-Berlin, zur Verfügung?
Herr Abgeordneter Vogel, für das Projekt VDE 8.1 sind
für das Jahr 2003 104,8 Millionen Euro und für das Jahr
2004 114 Millionen Euro vorgesehen. Für das Projekt 8.2,
Abschnitt Leipzig-Gröbers, sind aufgrund der bevorstehenden Fertigstellung in 2003 lediglich noch 2,9 Millionen Euro vorgesehen. Zum Neubauabschnitt Gröbers-Erfurt können derzeit noch keine Angaben gemacht werden,
da die Deutsche Bahn AG noch an der Finanzierungsvereinbarung mit einem entsprechenden Finanzierungsplan
arbeitet.
Herr Kollege Vogel, eine Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir hatten ja bereits heute Morgen im Ausschuss Gelegenheit, uns als
Thüringer begrüßen zu dürfen. Gestatten Sie mir eine
Nachfrage: Bei der Beantwortung der Fragen sind Sie
schon darauf eingegangen, dass es sich um sehr komplizierte Planungsleistungen und Genehmigungsverfahren
handelt. Ist es, wenn diese Probleme abschließend gelöst
sind, gegebenenfalls möglich, dass die Bundesregierung
zusätzliche Mittel zur Verfügung stellt, um die Realisierung des Gesamtvorhabens schnell voranzubringen - und,
wenn ja, in welcher Höhe?
Herr Abgeordneter Vogel, Frau Kollegin Nolte hat vorhin selber darauf hingewiesen, wie schwierig die Haushaltslage ist. Ich halte nichts davon, Versprechungen zu
machen, deren Einhaltung ungewiss ist. Wir sollten vorrangig bemüht sein, die Realisierung dieses Bauvorhabens so schnell wie möglich abzuschließen.
Herr Kollege Vogel, haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage? - Gerne.
Wie Sie selbst sagen, ist die finanzielle Situation
schwierig und die Bewältigung des Gesamtvorhabens
technisch sehr anspruchsvoll. Deswegen die Frage: Wie
oft informiert sich die Bundesregierung über den Baufortschritt des Gesamtvorhabens und über die entstandenen bzw. zu erwartenden Kosten?
Herr Kollege Vogel, natürlich informieren wir uns regelmäßig über den Baufortschritt. Glauben Sie es mir: Ich
als Thüringerin schaue des Öfteren selber nach, was an
dieser Strecke passiert.
Zusatzfrage des Kollegen Grund.
Frau Staatssekretärin, da wir uns im Moment ja sehr
häufig über Geld unterhalten: Welche Summe ist bisher
verbaut worden und von welchen noch anstehenden Kosten gehen Bundesregierung und Deutsche Bahn AG aus,
bis das Projekt im Jahre 2015 realisiert ist?
Ich habe hier lediglich eine Gesamtkostenaufstellung
vorliegen, Herr Kollege Grund. Ich kann das jetzt so
schnell nicht zusammenrechnen. Vielleicht können wir
das, wenn Sie einverstanden sind, gleich bilateral klären.
({0})
Nächste Zusatzfrage, Frau Kollegin Blank.
Frau Staatssekretärin, da diese ICE-Trasse Nürnberg-Erfurt nicht nur für Thüringen, sondern natürlich auch für
Bayern und für ganz Deutschland von Bedeutung ist
({0})
- zumindest europaweit, Kollege Grund -, erlaube ich mir
noch eine Detailfrage: Die Bundesregierung hat in der
letzten Legislaturperiode das S-Bahn-Projekt Nürnberg-Forchheim vom Neubau der ICE-Trasse abgekoppelt. Dieses S-Bahn-Projekt ist jetzt im Grunde genommen auf Eis gelegt. Meine Frage: Ist die Bundesregierung
nach wie vor dazu bereit, das S-Bahn-Projekt Nürnberg-Forchheim abgekoppelt vom Bau der ICE-Trasse
Nürnberg-Erfurt - der, wie wir gehört haben, noch etwas
dauern wird - zu sehen und seine Finanzierung weiter im
Programm zu belassen?
Frau Abgeordnete Blank, auf der Ausbaustrecke Nürnberg-Ebensfeld - das ist der Abschnitt Nürnberg-Forchheim - wird mit den Mitteln aus dem Anti-StauProgramm in Höhe von rund 204 Millionen Euro sichergestellt, dass die Realisierung der notwendigen Zusammenhangsmaßnahmen, insbesondere der viergleisige
Ausbau zwischen Nürnberg und Fürth und der Ausbau der
S-Bahn-Strecke Nürnberg-Forchheim, ab 2003 finanziert
werden kann. Die Finanzierungsvereinbarung hierzu befindet sich auch in der Vorbereitung.
Nun rufe ich die Frage 30, die ebenfalls vom Kollegen
Vogel stammt, auf:
Welche Vorhaben plant die Bundesregierung in den Jahren
2003 und 2004 als Baumaßnahmen für die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ 8.1 und 8.2 und handelt es sich dabei um
punktuelle baurechtserhaltende Maßnahmen oder um den faktischen Weiterbau?
Herr Abgeordneter Vogel, die Bundesregierung finanziert die Investitionen in das Schienennetz des Bundes.
Die konkrete Umsetzung obliegt der Deutschen Bahn AG
im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit ausgerichtet an den konkreten Notwendigkeiten vor Ort. Die Bundesregierung geht entsprechend ihrer Entscheidung zum
Weiterbau davon aus, dass nunmehr der vollständige
Ausbau erfolgt.
Zusatzfrage, Herr Kollege Vogel.
Frau Staatssekretärin, können Sie als Bundesregierung
damit ausschließen, dass die Bahn nur bestimmte Maßnahmen fortführt, damit das Baurecht oder andere Genehmigungen nicht verloren gehen?
Herr Kollege Vogel, ich habe das vorhin schon einmal
gesagt: Es gibt vorzeitige Baubeginne an den Stellen, an
denen das Baurecht erhalten wird. Aber wir gehen selbstverständlich davon aus, dass die Bahn selbst ein Interesse
daran hat, die Strecke insgesamt zu Ende zu bauen.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage?
Ja. - Sehen Sie die Bahn aus jetzigem Kenntnisstand es klingt ja recht deutlich, dass die Bahn in der Lage ist,
das Gesamtvorhaben tatsächlich zu Ende zu bringen - mit
ihren finanziellen Mitteln in der Lage, das Ganze tatsächlich zum Abschluss zu bringen, oder muss hier nachgeschossen werden?
Ich sehe die Bahn sehr wohl in der Lage, das zu Ende
zu bringen.
Herr Kollege Kranz, ich bitte um Nachsicht, dass ich
Sie vorhin offenkundig übersehen habe. Falls sich Ihre
Zusatzfrage auf die vorherige Frage beziehen sollte, werden wir das selbstverständlich großzügig handhaben.
Danke, Herr Vorsitzender. - Da sich die CDU Thüringen ja sehr für die Erweiterung des Schienennetzes besonders in Thüringen interessiert, möchte ich betonen,
dass auch wir als SPD uns dafür einsetzen.
({0})
Frau Staatssekretärin, könnten Sie einmal, da die
Schienenverbindung, um die es gerade ging, also Berlin-Erfurt, besonders wichtig für uns ist, darstellen, wie
sie sich in das gesamte Netzausbauprogramm der
Bahn AG eingliedert?
Der Bundeskanzler hat am 10. März 2002 öffentlich
verkündet, dass die Strecke 8.1 weitergebaut wird. Die
Deutsche Bahn AG hat diesen Ausbau begrüßt und betreibt die Planung und den Weiterbau auch in Bezug auf
die Finanzierung. Dieses Vorhaben in Thüringen ist ein
sehr großes und teures Projekt, das sich natürlich in die
Planungen der Deutschen Bahn AG in Thüringen, was das
Schienennetz betrifft, einzuordnen hat.
Herr Kollege Grund.
Wir freuen uns im Interesse nicht nur des Landes
Thüringen, sondern auch der Bahnkunden natürlich über
jeden Verbündeten, wenn es darum geht, diese Strecke zu
realisieren. Wir freuen uns ferner über jeden, der, auch
wenn er in den letzten vier Jahren etwas abseits stand, jetzt
dabei ist, wenn es darum geht, das Projekt voranzubringen.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass die Deutsche Bahn AG ein Interesse am zügigen Weiterbau dieser
Strecke hat. Wie lässt sich denn die Bundesregierung von
der Bahn unterrichten bzw. wie unterrichtet die Deutsche
Bahn AG die Bundesregierung über den Fortgang der
Baumaßnahmen?
Sie wissen, dass ein beamteter Staatssekretär des Verkehrsministeriums im Aufsichtsrat der Bahn sitzt. Die regelmäßigen Informationen laufen ganz normal über die
Abteilungen des Hauses.
Frau Kollegin Nolte.
Bei der Inaussichtstellung, dass bereits im Jahre 2015
Züge dort entlangrollen können, ist für mich die Frage interessant, was die Bundesregierung tun wird, um die
ganze Zeit über Baurecht sicherzustellen, also um zu verhindern, dass es verfällt und nicht mehr gültig ist.
Es ist sichergestellt, dass das Baurecht dort, wo es
schon vorhanden ist, nicht verfallen wird, indem gebaut
wird. Ich gehe davon aus, dass das auch im Zuge des weiteren Verlaufs der Maßnahme so erfolgt.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Für die Beantwortung der Fragen steht Staatssekretär Stather zur Verfügung.
Zunächst rufe ich Frage 31 der Kollegin Mayer auf:
Welche durchschnittliche jährliche Steigerungsrate des Mittelansatzes im Einzelplan 23, Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, setzt die Bundesregierung
nach gegenwärtiger Kalkulation bis zum Jahre 2006 an, um die
Verpflichtung aus der Vereinbarung mit den EU-Mitgliedstaaten
vom Barcelona-Gipfel und aus der Koalitionsvereinbarung von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu erfüllen, den Anteil der deutschen Entwicklungsausgaben am Bruttonationaleinkommen, BNE,
auf 0,33 Prozent zu steigern?
Sehr verehrte Frau Abgeordnete, im Rahmen des Europäischen Rates am 15. und 16. März 2002 haben die
Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Blick auf die
Konferenz in Monterrey beschlossen, dass sie bis zum
Jahre 2006 die durchschnittliche ODA-Quote auf 0,39 Prozent anheben wollen. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, den Anteil der deutschen Entwicklungshilfeausgaben am Bruttonationaleinkommen bis zum Jahre 2006
auf 0,33 Prozent anzuheben. Dies spiegelt sich in der Koalitionsvereinbarung, in der Regierungserklärung des
Bundeskanzlers sowie in der Finanzplanung des Bundeskabinetts, die noch in der alten Legislaturperiode beschlossen wurde, wider. Nach der jetzigen Finanzplanung
wird unser Anteil - ausgehend von 3,8 Milliarden Euro im
Jahre 2003 - bis zum Jahre 2006 auf 4 Milliarden Euro im
Einzelplan 23 steigen.
Man muss jedoch wissen, dass die ODA-Quote ein Gesamtkunstwerk ist. Sie besteht aus den Leistungen des
Einzelplanes 23, sie besteht in erheblichem Umfang aus
den deutschen Leistungen an die Europäische Union, sie
besteht aus Anteilen anderer Ressorts, aus Anteilen der
Bundesländer und vor allen Dingen - und in den kommenden Jahren besonders verstärkt - aus der Entschuldungsinitiative und den daraus anfallenden Anteilen der
jeweiligen Haushalte. Auf der Basis der Finanzplanung
und der genannten Faktoren, die zum großen Teil Steigerungsraten vorsehen, gehen wir davon aus, dass wir dieses Ziel bis zum Jahre 2006 erreichen können.
Zusatzfragen, bitte schön.
Ich frage einmal ganz konkret nach: Wird die Bundesregierung in der kommenden Woche mit der Verabschiedung einer neuen Haushaltsvorlage eine mittelfristige
Finanzplanung beschließen, die gewährleistet, dass die
deutschen Entwicklungshilfeausgaben bis zum Jahre
2006 auf 0,33 Prozent steigen können?
Ich habe die beschlossene Finanzplanung bereits angesprochen. Das Bundeskabinett wird am 20. November den
Haushalt für das Jahr 2003 beschließen, den der Finanzminister vorlegen wird. Ich möchte dem Finanzminister und
auch den Beratungen durch die Bundesregierung nicht vorgreifen, gehe aber davon aus, dass die Finanzplanung Bestand hat.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Peter Weiß auf:
Hat die Festlegung in der Koalitionsvereinbarung von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, bis zum Jahr 2006 den Anteil der
deutschen Entwicklungshilfeausgaben am BNE auf 0,33 Prozent
zu steigern, zur Folge, dass der Mittelansatz für den Einzelplan 23
im Entwurf für den Nachtragshaushalt 2002 gegenüber dem derzeit geltenden Bundeshaushalt 2002 gesteigert wird?
Die Fragen 32 und 33 gehören zusammen. Ich würde
sie gern zusammen beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 33 des Abgeordneten
Peter Weiß auf:
Hat die Festlegung in der Koalitionsvereinbarung von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen, bis zum Jahr 2006 den Anteil der
deutschen Entwicklungshilfeausgaben am BNE auf 0,33 Prozent
zu steigern, zur Folge, dass der Mittelansatz für den Einzelplan 23
im neuen Entwurf für den Bundeshaushalt 2003 gegenüber dem
Mittelansatz im bisherigen Entwurf für den Bundeshaushalt 2003,
Bundestagsdrucksache 14/9750, gesteigert wird?
Ich beantworte die erste Frage mit Nein und die zweite
Frage mit Nein.
Jetzt gibt es gleich viermal die Möglichkeit, diesen
außergewöhnlich präzisen Antworten Nachfragen entgegenzusetzen, bitte schön.
Herr Staatssekretär, obwohl Sie vorhin dargestellt haben, wie sich die ODA-Quote zusammensetzt, müssen Sie
doch zugeben, dass mit der mittelfristigen Finanzplanung
bis zum Jahre 2006, da der Entwicklungshilfehaushalt auf
3 960 Millionen Euro ansteigen soll, die ODA-Quote von
0,33 Prozent keinesfalls erreicht werden kann.
Peter Weiß ({0})
Die anderen großen Blöcke, die Sie genannt haben, wie
zum Beispiel der EU-Entwicklungshilfehaushalt, steigen
nach den Planungen, die die EU vorgelegt hat, nicht besonders an, sondern bleiben etwa gleich, sodass die anderen Argumente, die Sie zum Erreichen der Quote von
0,33 Prozent brauchen, nicht ziehen. Sie müssen doch zugeben, dass das 0,33-Prozent-Ziel nur zu erreichen ist,
wenn der deutsche Beitrag zur Entwicklungshilfe, nämlich
der Einzelplan 23, über das Maß hinaus gesteigert wird, das
derzeit in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen ist.
Es gibt immer unterschiedliche Interpretationen. Ich
weiß nicht, welche Zahlen Ihnen vorliegen, aber die mir
vorliegenden Prognosen für den EU-Haushalt sagen eindeutig, dass eine Steigerung zu erwarten ist. Allein vom
Jahre 2001 auf das Jahr 2002 liegt eine Steigerung von
etwa 800 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden Euro vor, um
eine konkrete Zahl zu nennen.
Die Anteile der Ressorts sowie die Anteile am Gesamtvolumen der Entschuldungsmaßnahmen sind auch
deutlich steigend. Das Gesamtvolumen beträgt etwa
6 Milliarden Euro, die die Bundesrepublik den Entwicklungsländern erlassen hat. Dies wird in den nächsten Jahren deutlich spürbar werden. Diese können auf die ODAQuote voll angerechnet werden und werden zu einem
deutlichen Anstieg unserer ODA-Quote führen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Aufgrund unserer Kalkulationen und Berechnungen, die wir auch zusammen mit anderen erstellen, sind wir unter Berücksichtigung verschiedener Unsicherheitsfaktoren wie des Anstiegs des
Bruttosozialprodukts bzw. der Wachstumsraten auf der
Basis unseres Haushaltes und des Einzelplans 23 der Auffassung, dass dieses Ziel erreichbar ist. Aber sicher kann
es passieren, dass wir in den einzelnen Haushaltsjahren
- wir reden über die Finanzplanung - Nachjustierungen
vornehmen müssen. Dazu hat sich der Bundeskanzler bekannt und dazu bekennt sich die Koalitionsvereinbarung.
Nächste Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wenn Sie zu Recht darauf abheben,
dass die Frage, ob die Quote von 0,33 Prozent erreicht
wird, auch von der Entwicklung des Bruttonationaleinkommens in den kommenden Jahren abhängig ist, frage
ich Sie: Geht die Bundesregierung davon aus, dass das
Bruttonationaleinkommen in den nächsten Jahren insbesondere aufgrund der Maßnahmen, die derzeit im Bundestag diskutiert werden, sinkt und damit die Quote von
0,33 Prozent erreicht wird?
Nein, davon geht die Bundesregierung nicht aus. Ich
sagte Ihnen ja bereits, dass die jetzige Finanzplanung auf
dem Haushalt basiert, der noch vor der Bundestagswahl
verabschiedet worden ist. Sie haben wahrscheinlich Recht
- man müsste einmal nachrechnen -, wenn Sie sagen, dass
das 0,33-Prozent-Ziel leichter zu erreichen sein werde,
wenn das Wachstum zurückgehe, als wenn es deutlich
steige.
Eine Zusatzfrage, Herr Weiß.
Herr Staatssekretär, genauso ist es. Deswegen war eine
solche Frage nicht scherzhaft, sondern ernsthaft gemeint.
Sie haben behauptet, dass Sie auf der Grundlage der
derzeitigen mittelfristigen Finanzplanung im Jahr 2006
einen Entwicklungshilfehaushalt in Höhe von 3,96 Milliarden Euro erreichen wollen. Das ist übrigens, wenn ich
das nebenbei bemerken darf, weniger als das, was 1998
im letzten von der CDU/CSU-FDP-Regierung zu verantwortenden Bundeshaushalt für die Entwicklungshilfe vorgesehen war.
Können Sie darlegen, welche Elemente - deutscher
Beitrag aus dem BMZ-Haushalt, deutscher Beitrag zum
EU-Haushalt und Entschuldungsmaßnahmen - nach
Ihren Berechnungen in welcher Höhe dazu beitragen, dass
2006 das 0,33-Prozent-Ziel erreicht werden wird?
Herr Abgeordneter, der Ansatz für 2006 liegt bei 4 Milliarden Euro. Es hilft nichts, ihn auf 3,96 Milliarden Euro
herunterzurechnen.
Wir gehen nach gegenwärtiger Einschätzung - wie gesagt, bis 2006 müssen wir noch viele Faktoren beachten davon aus, dass wir ein Volumen von roundabout 7 Milliarden Euro benötigen. Wenn ich davon ausgehe, dass der
deutsche Beitrag aus dem BMZ-Haushalt bei 4 Milliarden
Euro und der deutsche Beitrag zum EU-Haushalt bei etwa
1,2 Milliarden bis 1,5 Milliarden Euro - gegenwärtig beträgt er schon 1,2 Milliarden Euro - liegt, dass die Entschuldung etwa 1,5 Milliarden bis 2 Milliarden Euro
bringt und dass der gesamte Beitrag der einzelnen Ressorts, der gegenwärtig bei 600 Millionen Euro liegt, auf
bis zu 800 Millionen bis 900 Millionen Euro gesteigert
wird, dann stelle ich fest - das ist eine Milchmädchenrechnung -, dass wir schon bei gut 7 Milliarden Euro angelangt sind.
Eine letzte Zusatzfrage? - Herr Kollege Weiß verzichtet. Dann sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung.
Wir kommen nun noch zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Dr. Weiss zur Verfügung.
Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Barthle werden genauso schriftlich beantwortet wie die Fragen 36 und 37
des Kollegen Otto ({0}).
Ich rufe die Frage 38 des Kollegen von Stetten auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussichten darauf, dass
in Anbetracht ihres bestimmenden Einflusses auf den Deutschen
Musikrat Projektträger und andere Gläubiger des Deutschen Musikrates den Bund selbst unter dem Gesichtspunkt der insolvenzrechtlichen Durchgriffshaftung in Anspruch nehmen werden?
Herr Abgeordneter von Stetten, ein bestimmender Einfluss des Bundes auf den Zuwendungsempfänger Deutscher Musikrat ist nicht gegeben, sodass eine direkte Inanspruchnahme der Bundesregierung durch Gläubiger
des Deutschen Musikrates nicht möglich ist.
Eine Zusatzfrage? - Herr von Stetten hat keine.
Dann rufe ich die Frage 39 des Abgeordneten von
Stetten auf:
Wie sinnvoll erscheint es der Bundesregierung, unter Abwägung der letztlich auf sie zurückfallenden Verantwortlichkeiten,
mit allen damit verbundenen Nachteilen für die betroffenen Musiker und musikalischen Einrichtungen im Lande sowie für die
Durchführung der haushaltsgesetzlich vorgegebenen Programme
ein Insolvenzverfahren zu betreiben, und welche Möglichkeiten
sieht sie, den Deutschen Musikrat auf eine andere Weise so zu
strukturieren, dass er künftig weiter und mit größerer Transparenz
und Effizienz die Aufgaben eines zentralen Mittlers im deutschen
Musikleben wahrnehmen kann?
Herr Abgeordneter von Stetten, nicht die Bundesregierung betreibt das Insolvenzverfahren. Vielmehr ist nach
den gesetzlichen Vorschriften der betroffene Rechtsträger
für die Prüfung verantwortlich, ob die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen ist. Er muss, wenn die
Prüfung positiv ausfällt, die entsprechenden Schritte einleiten. Zwischenzeitlich wurde ein Insolvenzantrag gestellt. Die Entwicklung einer neuen Struktur, die eine
größere Transparenz und vor allem auch Effizienz bei der
Aufgabenerfüllung und damit die Wahrnehmung der Aufgabe eines zentralen Mittlers im deutschen Musikleben
ermöglichen soll, ist daher die ureigene Aufgabe des
rechtlich selbstständigen Vereins.
Die Bundesregierung ist aber nicht nur für konstruktive
Vorschläge offen. Sie beteiligt sich vielmehr seit längerem
auch an den Planungen einer völligen Neustrukturierung
des Deutschen Musikrates. So hat sie zusammen mit dem
Deutschen Musikrat einen Gesamtfinanzierungsplan für
das Haushaltsjahr 2003 entwickelt, der die notwendige
Transparenz und Flexibilität für eine effiziente Mittelverwendung ermöglichen sollte.
Darüber hinaus hat die Beauftragte für Kultur und Medien eine Untersuchung der Organisations- und Personalstruktur des gesamten Deutschen Musikrates veranlasst,
deren Ergebnis noch aussteht. Aber die Prüfung läuft schon.
Herr von Stetten.
Frau Staatsministerin, in der Frage des Kollegen Barthle,
die schriftlich beantwortet wird, ist bereits ein bisschen von
dem enthalten, wonach ich fragen möchte. Da aber gleich
eine Sitzung des Kulturausschusses stattfindet, möchte ich
nur noch eben fragen, seit wann der Bundesregierung die
Probleme beim Deutschen Musikrat bekannt waren.
Die Probleme beim Deutschen Musikrat, insbesondere
das Problem der Überschuldung, hat die Bundesregierung
erst Anfang Oktober 2002 zur Kenntnis erhalten.
Es war allerdings seit längerem bekannt, dass die
Haushaltsführung des Deutschen Musikrates nicht problemlos war. Ein Grund dafür ist die sehr komplexe Förderstruktur. Zur Vereinfachung arbeiten wir an einer Organisationsneustruktur. So werden im Moment zum
Beispiel die Mittel der BKM nahezu vollständig von der
Kulturstiftung der Länder, da sie das als eigene Angelegenheit ansehen, und nur zu einem geringen Teil vom
Bundesverwaltungsamt zugewendet und geprüft. Weitere
Zuwendungsgeber - auch das zeigt, wie kompliziert das
System bei den Geldzuwendungen ist - sind das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend sowie das Sekretariat der Kultusministerkonferenz der Länder.
Um die hieraus resultierenden Probleme zu beheben,
wurde - das habe ich schon gesagt - für das Haushaltsjahr 2003 zusammen mit dem Deutschen Musikrat unter
Beteiligung der Kulturstiftung der Länder und des BVA
eine Prüfung eingeleitet. Ein Gesamtfinanzierungsplan
soll entwickelt werden, der die notwendige Transparenz
der Mittelverwendung herstellen und die Mittelverwendung flexibler machen wird.
Die Prüfung der Organisationsstruktur und der Personalstruktur habe ich ebenfalls schon erwähnt.
Vielen Dank, Frau Weiss.
Die Zeit für die Fragestunde ist schon überschritten.
Ich habe Ihnen fairerweise aber noch die Gelegenheit zu
einer Nachfrage gegeben.
Die übrigen Fragen werden nach den Regeln unserer
Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. Wir sind am
Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aktuelle Vorwürfe von Verstößen gegen das
Parteiengesetz durch mögliche illegale Finanzzuflüsse bei der FDP
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Als erster Redner hat der Kollege Hofmann von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Juli hatten wir im Deutschen
Bundestag eine Debatte anlässlich der Vorlage des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses zu Helmut
Kohl und zur CDU-Spendenaffäre. Ich denke, wir alle haben uns gewünscht, dass damit dieses Thema beendet sei.
Jetzt werden Verstöße gegen das neue Parteiengesetz
bekannt.
({0})
- Ich mache keinen Sprung und es war auch nicht scheinheilig, Herr Kollege. Auch wir hatten in Köln einen Parteispendenskandal; das ist keine Frage.
({1})
Aber im Mittelpunkt stand die CDU und deren Parteispendenskandal.
Mir stellt sich die Frage, ob Herr Möllemann und andere weitergemacht haben, obwohl es ein neues Parteiengesetz gegeben hat und obwohl man Ende 1999 gesehen
hat, wie alleine Helmut Kohl dastand und welche Bedeutung das alles für die CDU hatte. Wenn Personen in der
FDP trotzdem weitergemacht haben, dann, finde ich, ist
das eine besondere Dreistigkeit.
Seit Wochen steht nun das Finanzgebaren der FDP in
Nordrhein-Westfalen im Blickpunkt. Seit Wochen lädt die
FDP alle Schuld bei Möllemann ab. Für mich steht fest:
Es handelt sich dabei nicht um eine „Affäre Möllemann“;
denn es gab Mitwisser, Mitläufer und Personen, die mitgemacht haben.
Die Aufklärungsbemühungen von Herrn Rexrodt gehen aus meiner Sicht in die richtige Richtung. Sie greifen
allerdings zu kurz. Richtig ist, dass man Auskunft verlangt und Schadenersatz einfordert. Diesen Weg geht auch
die SPD in Köln. Das ist richtig so, wir unterstützen das.
Die FDP muss allerdings gründlicher vorgehen. Sie
darf nicht erst dann mit Prüfungen beginnen, wenn die
Presse neue Unregelmäßigkeiten aufdeckt. Die Aufklärung muss umfassend sein und muss deshalb bis in die
90er-Jahre zurückgehen, bis zum Panzerdeal mit den
Fuchs-Spürpanzern und den Schmiergeldzahlungen von
Thyssen. Es ging immerhin - das wissen Sie alle - um
Schmiergeldzahlungen in Höhe von 220 Millionen DM.
Der Anteil des langjährigen Weggefährten und Geschäftspartners von Herrn Möllemann Rolf Wegener als Treuhänder der Briefkastenfirma Great Aziz belief sich dabei
auf 8,93 Millionen. Dieses politisch heikle Panzergeschäft
mit Saudi-Arabien aus dem Jahr 1991 hat uns im Untersuchungsausschuss lange Zeit beschäftigt. Es beschäftigt
heute noch Justiz und Fiskus.
Sehr geehrte Damen und Herren, es geht um eine mögliche Bestechung in Millionenhöhe und einen neuen,
schwerwiegenden Verdacht: Möllemann, der einstige bundesdeutsche Vizekanzler, könnte an dem Geschäft mitverdient und zwei FDP-Wahlkämpfe mit ebendiesen
Schmiergeldern bezahlt haben.
({2})
Fahnder des Düsseldorfer Finanzamtes gehen diesem Verdacht nach. - So die Presse. Wenn das stimmt, hätte die
FDP-Affäre Kohl-Niveau erreicht. Falls sich der Verdacht, dass der Ex-Bundeswirtschaftsminister über einen
Strohmann an dem Panzerdeal mitverdiente, erhärtet,
wäre das einer der größten politischen Skandale der Nachkriegszeit. Es ginge dann nicht mehr nur um politische
Korruption - Herr Stadler, über diesen Begriff haben wir
gestritten -, sondern damit wäre der Nachweis gelungen,
dass die schwarz-gelbe Regierung genau das war, was
FDP und Union bis heute wortreich bestreiten, nämlich
bestechlich. Das hat eine andere Dimension.
Das lässt sich nicht mehr auf den Fall Möllemann eingrenzen, wie es der FDP-Parteivorsitzende gerne tut. Hier
ist die FDP gefordert, im wahrsten Sinne des Wortes aufzuklären. Herr Westerwelle schiebt die Verantwortung auf
die Staatsanwaltschaft. Ich sage: Für den Saustall der FDP
ist Herr Westerwelle und nicht die Staatsanwaltschaft verantwortlich.
({3})
Es ist seine Aufgabe, den Saustall aufzuräumen. Der FDPBundesvorsitzende sieht sich selbst fest im Sattel. Hat er
aber auch die Zügel in der Hand? Bestimmt er auch die
Richtung oder sitzt er lediglich auf einem Schaukelpferd?
({4})
Dass es den FDP-Parteichefs an Einfluss auf ihre Partei
mangelt, ist nicht neu. Schon unter Herrn Gerhardt hat die
Bundes-FDP gezeigt, wie schwach ihr Einfluss zum Beispiel auf die hessische Landesfürstin Ruth Wagner war.
({5})
Das hat man damals der Person Gerhardt angelastet. Der
Einfluss von Herrn Westerwelle auf die FDP in NRW ist
offenbar nicht größer. Es scheint also nicht unbedingt allein an der Person zu liegen; es ist ein politisches Problem
der FDP. Es hat mit politischer Beliebigkeit, mangelnder
Ehrlichkeit, mangelnder Glaubwürdigkeit, mangelndem
Aufklärungswillen und mit Machterhalt zu tun.
({6})
Ruth Wagner klebt an Roland Koch,
({7})
obwohl er im Zusammenhang mit dem hessischen Honigtopf im Süden mehrmals gelogen und aktiv an der Verschleierung mitgewirkt hat. So steht es im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses.
Bei Möllemann liegen die Interessen von Ruth Wagner
anders. Ihn fordert sie auf, aus der FDP auszutreten. Hier
wird das falsche Spiel der hessischen FDP aktuell noch
einmal deutlich. Es ist Ausdruck einer Doppelmoral, dass
sich Ruth Wagner und die hessische FDP nun gegen
Möllemann und seine Mitwisser, Mitmacher und Mitläufer wenden. Das macht sie vollends unglaubwürdig.
({8})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Der Aufklärungswille der FDP muss sich erkennbar zeigen. Die bisherigen Prämissen, unter denen Herr
Westerwelle die Aufklärung betreiben lässt, lauten: nicht
in die Tiefe gehen, nicht in die 90er-Jahre zurückgehen
und nicht andere beschädigen. Ich sage: Die FDP muss die
Kraft aufbringen, alles schnell, gründlich - und ohne auf
das Ansehen der Personen zu achten - aufzudecken.
Herzlichen Dank.
({0})
Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Stadler das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Hofmann, nach meiner Erinnerung
haben wir hier im Juli in der Tat über Spendenskandale,
nämlich den der CDU, aber auch den der SPD in Nordrhein-Westfalen, debattiert. - So viel einleitend zur Klarstellung.
Wir haben auch über ein neues Parteiengesetz, das die
FDP mitgetragen hat, diskutiert. Niemand von uns aber
hat geahnt, dass wir uns jetzt schon wieder damit befassen müssen.
({0})
Wir bedauern es sehr, dass der Anlass hierzu aus den Reihen der FDP gekommen ist. Verstöße gegen das Parteiengesetz können wir in keiner Weise akzeptieren.
({1})
Am selben Tag, da diese Aktuelle Stunde beantragt
worden ist, tauchten bei der CDU in Leverkusen fast
137 000 Euro auf, deren Herkunft ungeklärt ist.
({2})
Einen Tag zuvor konnte ein CSU-Landtagsabgeordneter
in München nicht erklären, warum er Spendenquittungen
ausgestellt hat, obwohl gar keine entsprechenden Spendengelder bei seiner Partei eingegangen waren.
Die Vorgänge sind natürlich nicht miteinander vergleichbar. Ich nenne sie auch nicht, um von den Vorgängen in der FDP abzulenken.
({3})
Aber es zeigt sich eines, Herr Wiefelspütz: Bei der Debatte über das neue Parteiengesetz haben manche Skeptiker hier an diesem Rednerpult Folgendes formuliert - sie
scheinen leider Recht zu behalten -: Das beste Gesetz
nützt dann nichts, wenn Einzelne mit krimineller Energie
bewusst dagegen verstoßen.
({4})
Wenn dies passiert, dann hat eine Partei eine Pflicht: Sie
muss sofort von sich aus umfassend aufklären.
({5})
Genau das tut die FDP und genau das tut Herr Rexrodt.
({6})
Es werden allerdings auch Vorwürfe erhoben, die unzutreffend sind und die wir zurückweisen müssen. Heute
gibt es eine Presseberichterstattung über angeblich
schwarze Fraktionskassen der FDP. Daran ist nichts Zutreffendes. Herr Gerhardt und Herr Hahn haben dies heute
deutlich zurückgewiesen. Darauf beziehe ich mich.
({7})
Herr Hofmann hat in Zweifel gezogen, dass durch die
FDP hinreichende Aufklärungsarbeit geleistet würde. Der
umstrittene Flyer, um dessen Finanzierung es zunächst
geht - nicht nur, aber auch - ist am Ende des Wahlkampfes aufgetaucht. Unmittelbar nach dem Wahltag ist von
der FDP auf der Arbeitsebene mit dem Bundestagspräsidium und dem damaligen Geschäftsführer der FDP in
Nordrhein-Westfalen Kontakt aufgenommen worden, um
zu klären, ob gegen die Veröffentlichungspflicht bei einer
Großspende verstoßen worden ist. Am 2. Oktober hat
Herr Rexrodt Herrn Möllemann geschrieben und hat ihm
eine Frist bis zum 4. Oktober gesetzt, um den Vorgang
aufzuklären. Wirtschaftsprüfer und die Innenrevision sind
beauftragt worden. Es gab interne Nachforschungen. Ich
will Ihnen die Details ersparen.
({8})
Wichtig ist eines: Am 30. Oktober hat die FDP Auskunftsklage gegen Herrn Möllemann wegen der Herkunft
der Spende erhoben - ein Verfahren, das wir der CDU immer wieder angeraten haben, das aber bei der CDU im Gegensatz zur FDP nicht praktiziert worden ist.
({9})
Frank Hofmann ({10})
Von der FDP wird zeitnah aufgeklärt. Die Aufklärungsarbeit läuft.
({11})
Die Schlussberichte werden demnächst vorgelegt werden.
Ich sage Ihnen noch eines: In dem Untersuchungsausschuss, in dem wir mit den Vorgängen der CDU und der
SPD befasst waren, haben wir es von der FDP bewusst
vermieden, mit irgendeiner besserwisserischen Attitüde
auf Vorfälle in den anderen Parteien einzugehen.
({12})
Wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir das, was dort
verhandelt worden ist, objektiv bewertet haben. Die deutsche Öffentlichkeit erwartet von Ihnen, dass Sie die Aufklärungsarbeit der FDP ähnlich fair bewerten. Das ist
mein Wunsch am Ende dieser Ausführungen.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Täglich
neue Meldungen über den Verdacht von finanziellen Unregelmäßigkeiten und illegalen Praktiken bei der FDP bis
hin zum Verdacht der Bestechlichkeit. Es stellen sich immer mehr Fragen nach Verantwortung, Hintergründen,
Mitwisser- und Mittäterschaft. Mehr Fragen als Antworten hat die bisherige Aufklärungsarbeit der FDP ergeben.
Herr Westerwelle hat sich im Mai 2001 vor den FDPParteitag mit dem Anspruch gestellt, das Schiff der FDP
zu steuern: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt,
gibt’s einen, der die Sache regelt - und das bin ich.“
({0})
Die letzten Monate haben gezeigt: Der Kapitän war unter
Deck; auf der Brücke führte der Klabautermann das Kommando.
({1})
Der FDP-Skandal hat zwei Dimensionen - nur eine davon haben Sie überhaupt erörtert, Herr Kollege Stadler -:
Es geht zum einen um das Dulden einer antisemitischen
Kampagne durch den Parteivorsitzenden
({2})
und zum anderen um die damit im Zusammenhang stehenden illegalen Finanzierungspraktiken insbesondere
im Umfeld des nordrhein-westfälischen Landesverbandes.
Man muss nicht so streng sein wie der Kollege
Rexrodt, der die Meinung vertreten hat, ein Büroleiter
sei auch für das Versagen seiner Mitarbeiter verantwortlich,
({3})
um an dieser Stelle festzustellen, dass es sich auch um
eine Affäre Westerwelle handelt. Im Frühjahr, als
Möllemann in einem Interview mit der „taz“ Selbstmordattentate gerechtfertigt
({4})
und antisemitische Ausfälle gegen Michel Friedman gemacht hat, hat der FDP-Vorsitzende seinen Stellvertreter
verteidigt, man müsse doch auch einmal Israel kritisieren
dürfen, und hat dadurch selbst mit einem antisemitischen
Topos das Handeln seines Vize zu decken versucht.
Westerwelle erinnerte damit sehr stark an den Kapitän der
Titanic.
({5})
Wie dieser die Gefahr der Eisberge ignorierte, übersah jener geflissentlich die antisemitischen Umtriebe seines
Stellvertreters. Die Affäre Möllemann ist die Quittung für
die Mutlosigkeit bei der politischen Führung und sie ist
deshalb auch eine Affäre Westerwelle.
({6})
Der Kapitän Westerwelle hat sich als Leichtmatrose erwiesen.
({7})
Er hat den „Spiegel“ zu Hilfe gerufen, um die FDP bei der
Aufklärung der illegalen Praktiken bei der Parteienfinanzierung zu unterstützen. Wir kommen diesen Aufklärungsbemühungen heute mit der Aktuellen Stunde entgegen.
({8})
Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion,
wenn Sie uns herzlich bitten, werden wir Ihnen auch noch
mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
unterstützend zur Seite springen. Denn es gibt eine Reihe
von Fragen, die bis heute nicht beantwortet wurden und zu
denen ich auch von Ihnen, Herr Stadler, nichts gehört habe:
Wer hat an der Finanzierung des antisemitischen Flyers mitgewirkt? Wer hat wann davon gewusst und wer hat
wann dazu geschwiegen? Wer hat nichts dagegen getan?
Welche Summen sind von wem für welche Wahlkämpfe
der FDP illegal in die Kassen geflossen? Wer wollte mit
welchen Interessen und welchen Hintergedanken womöglich politisch stärkend auf bestimmte Personen in der FDP
Einfluss nehmen?
Düsseldorfer Steuerbeamte sind im Oktober bei einer
Betriebsprüfung von Möllemanns Firma Web/Tec auf
Hinweise gestoßen, dass Möllemann zwei Wahlkämpfe
mit Geldern aus Liechtenstein geführt haben könnte. Zwischen 1995 und 1999 seien in fünf Tranchen insgesamt
5,2 Millionen DM von einer Briefkastenfirma namens
Curl AG in Vaduz auf ein Web/Tec-Konto transferiert
worden. Woher kommt dieses Geld, dessen Herkunft und
Begründbarkeit von den Steuerbeamten nicht festgestellt
werden konnte?
({9})
Auch sind angeblich zwischen 1996 und 1997 rund
510 000 Euro aus Monaco auf einem Web/Tec-Konto eingegangen. Welche Funktion hat in diesem Zusammenhang
der ominöse Möllemann-Freund, Herr Rolf Wegener? Welche Zusammenhänge bestehen mit der Tatsache, dass Wegeners Briefkastenfirma Great Aziz Corp. von 1991 bis
1994 für die Vermittlung der Lieferung der Fuchs-Panzer
durch Thyssen nach Saudi-Arabien 8,93 Millionen DM Provision erhalten hat? Ist ein Teil des Geldes über Web/Tec an
Möllemann und am Ende an die FDP geflossen?
({10})
Das alles sind Fragen, die wir klären müssen.
Neben den strafrechtlich relevanten Fragen, die sich in
diesem Zusammenhang stellen und die womöglich die
Staatsanwaltschaften zu klären haben, hat sicherlich auch
die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf, die Hintergründe zu erfahren. Denn die Staatsanwälte und Strafrichter müssen sich allein mit der Frage befassen, ob ein
strafbares Delikt vorliegt. Wir aber wollen auch wissen,
welche Interessen dahinter standen, welche Zusammenhänge es gab und wer für diese Vorgänge die politische
Verantwortung übernehmen muss.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Röttgen, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jede Finanzaffäre, jede Spendenaffäre und jede Korruptionsaffäre im Bereich der politischen Parteien
schwächt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in
die Parteien, in uns alle, die politische Verantwortung tragen, und insofern auch in das Parlament. Wenn diese Enttäuschung begleitet wird von der Enttäuschung über die
Unfähigkeit einer gerade erst gewählten Regierung, mit
den Problemen dieses Landes fertig zu werden
({0})
- ich sage es bewusst ganz ruhig, ernst und besorgt -,
({1})
dann kommen wir in die Gefahr, dass wir das Vertrauen in
die Parteiendemokratie, in ihre Seriosität und in ihre Problemlösungskompetenz erschüttern und dass wir die Akzeptanz verlieren.
({2})
Wenn das zusammenkommt, wenn der Zweifel an der Integrität der handelnden Personen
({3})
verbunden wird mit dem Zweifel an der Fähigkeit, der
Pflicht nachzukommen, Probleme zu lösen, dann kann
sich das zu einem Problem unserer Parteiendemokratie
auswachsen.
Ich möchte drei Anmerkungen zum Umgang mit diesen Affären machen.
({4})
- Reden wir doch vernünftig miteinander über ein ernsthaftes Problem!
Erstens. Niemand von uns kann eine Garantie dafür
übernehmen, dass es in Zukunft nicht mehr zu Gesetzesverletzungen kommt. Wir haben gerade erst ein neues Gesetz beschlossen. Dafür, dass in einem Kreisverband, in
einem Landesverband oder auch in einem Bundesverband
Verantwortliche nicht erneut gegen Gesetze verstoßen,
kann niemand eine Garantie übernehmen. Darum ist es
das Entscheidende, wie diejenigen, wie wir, die wir Verantwortung tragen, wie auch die Parteien, in deren Verantwortungsbereich Gesetzesverletzungen vorkommen,
mit solchen Verstößen umgehen. Es ist entscheidend, ob
sie aufklären oder ob sie vertuschen wollen, ob sie die
Wahrheit sprechen oder nicht. Ich muss sagen, dass ich
keine Versäumnisse der FDP feststellen kann, was die
Aufklärung angeht.
({5})
Das sollte für andere durchaus vorbildlich sein.
({6})
Das gilt auch in anderen Bereichen, was etwa die SPD in
Köln anbelangt. Es geht also um den Umgang mit Verstößen, wenn denn Verstöße festgestellt worden sind.
Dann dürfen sich auch die Konkurrenten mahnend zu
Wort melden.
Zweitens. Wir haben gerade ein neues Parteiengesetz
beschlossen. Die Parteien haben Verantwortung für
ihren eigenen Bereich. Aber wir als Parlament haben die
Verantwortung dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen so sind, dass der Anspruch der Bürger auf Transparenz und Kontrolle auch
erfüllt werden kann. Darum haben wir ein neues Parteiengesetz beschlossen, das mehr Transparenz ermöglicht, mehr Kontrolle bedeutet und mehr Sanktionen
vorsieht.
Es ist ein Teil der Wahrheit, die wir hier doch ruhig aussprechen sollten, dass diese Affären, so schlimm sie sind,
Volker Beck ({7})
auch immer ein Gutes haben, weil sie nämlich einen Reinigungsprozess im Parlament initiieren.
({8})
- Empören Sie sich doch nicht so künstlich, verehrter Herr
Wiefelspütz! - Es ist ein Teil der Wahrheit, dass wir ohne
die CDU-Spendenaffäre die Gesetzesinitiativen der letzten
Legislaturperiode wahrscheinlich nicht ergriffen hätten.
({9})
Es ist ein zweiter Teil der Wahrheit, dass Sie von der
SPD-Fraktion uns nicht so weit entgegengekommen
wären, wenn Sie nicht Ihre Affären in Köln und Wuppertal
gehabt hätten.
({10})
So ist doch die Wahrheit. Das weiß jeder. Bestreiten Sie
nicht das, was jeder weiß, meine Damen und Herren!
({11})
Das Dritte, für mich Wichtigste und eigentlich Entscheidende ist meine und unsere Bitte, ist mein und unser
Appell als CDU/CSU-Fraktion an das Parlament: Hören
wir damit auf, die jeweilige Affäre des politischen Konkurrenten zum vermeintlichen eigenen Vorteil zu instrumentalisieren! Hören wir mit dieser Haltung auf! Hören
wir damit auf, schon deshalb, weil es unter den Parteien
keine Gewinner gibt! Wir alle sind die Verlierer, wenn wir
versuchen, aus Verstößen, die beim politischen Gegner
vorkommen, für uns politisches Kapital zu schlagen. Wir
alle sind die Verlierer, weil die Bevölkerung dann sagt: Ihr
seid alle gleich. - Darum ist es unsere Aufgabe, Konsequenzen zu ziehen. Suchen wir nicht den kleinen politischen Vorteil aus Verstößen, die das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie erschüttern, sondern ziehen
wir Konsequenzen!
Darum müssen wir fragen, ob wir mit dieser Aktuellen
Stunde dieser Verantwortung gerecht werden.
({12})
Wenn diese Aktuelle Stunde vorbei ist, sollten wir einmal
überlegen, ob es eine gute Stunde war. Sie sind der Anforderung, Konsequenzen zu ziehen, nicht gerecht geworden.
Schon der Titel dieser Aktuellen Stunde ist verräterisch.
Sie beantragen eine Aktuelle Stunde über mögliche Finanzzuflüsse. Sie rühren die Themen Finanzzuflüsse, Spekulationen, Berichterstattungen und Antisemitismus zusammen.
({13})
Sie beleidigen und machen mit dem Instrument der Spekulationen Vorwürfe.
Die Informationen, die wir haben, kommen größtenteils von der FDP selbst. Sie spekulieren, Sie reden über
Zeitungsartikel und Sie erheben Vorwürfe, ohne dass wir
den Sachverhalt überhaupt kennen. Die Angeklagten von
gestern schwingen sich heute als Ankläger auf, ohne dass
der Sachverhalt überhaupt schon feststeht.
({14})
Herr Kollege Röttgen, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie haben heute keinen guten Beitrag dazu geleistet,
das Vertrauen in unsere Parteiendemokratie zu stärken.
Ich bedauere sehr, dass Sie diese Aktuelle Stunde beantragt und wie Sie sie bislang gestaltet haben.
({0})
Nächster Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Edathy, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Röttgen, es wäre sicherlich begrüßenswert gewesen,
wenn Sie zur Sache gesprochen hätten.
({0})
Diese Angelegenheit ist nämlich sehr gravierend. Die
FDP-Affäre, die die Republik seit Wochen beschäftigt, ist
zum einen - Herr Kollege Hofmann hat das deutlich gemacht - eine Frage des Brechens von Gesetzen. Sie offenbart aber zum anderen etwas, was uns Demokraten
mindestens ebenso große Sorgen machen muss: Eine Partei, die für das politische Spektrum der Bundesrepublik
von nicht geringer Bedeutung ist, die in zwölf von
15 Wahlperioden an der Bundesregierung beteiligt gewesen ist, die aktuell in sechs Landesregierungen sitzt, eine
solche Partei, nämlich die FDP, hat in den letzten Jahren einen Weg eingeschlagen, der mit dem Begriff Beliebigkeit
keineswegs verkürzt, sondern hinreichend beschrieben ist.
({1})
Wenn eine gestandene liberale Politikerin wie unsere
frühere Kollegin Hildegard Hamm-Brücher erklärt - dies
ist jüngst geschehen -, die FDP sei nicht mehr ihre politische Heimat, dann unterstreicht dies: Jenseits einer verbandsorientierten Wirtschaftspolitik verfügt die FDP über
keine inhaltliche Orientierung mehr.
({2})
Erst der Verlust an politischer Substanz, einhergehend
mit dem Verlust des bürgerrechtlichen Flügels der FDP,
konnte dazu führen, dass Ihre Partei, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der rechten Seite des Hauses, in eine Situation geraten ist, in der ein skrupelloser Populist wie
Jürgen Möllemann eine derartig zentrale Machtposition
erlangen konnte. Es mag ja so sein - Sie argumentieren
auch so -, dass Herr Möllemann die FDP zum Teil missbraucht hat. Aber - das muss man einmal öffentlich festhalten - diese FDP hat sich gerne missbrauchen lassen,
weil sie ihren inneren Kompass längst verloren hat.
({3})
Weil das so ist, haben wir es nicht mit einer
Möllemann-Affäre, sondern mit einer FDP-Affäre zu tun.
({4})
Man wird erinnern dürfen: Dem Versuch von Herrn
Möllemann, antisemitische Befindlichkeiten zum Zwecke
des Gewinns von Wählerstimmen zu instrumentalisieren,
ist von der FDP-Führung lange Zeit nicht entschieden entgegengetreten worden. Es wurde stattdessen beschwichtigt, verharmlost und bagatellisiert. Man muss sich das vor
Augen halten: Eine Partei, der Menschen wie Burkhard
Hirsch und Gerhart Baum angehören, eine Partei, der ein
Mensch wie Ignatz Bubis angehört hat, eine Partei, die sich
traditionell dem Ziel gewidmet hat, das Feuer des Antisemitismus, das Feuer der Intoleranz, das Feuer der Fremdenfeindlichkeit zu löschen, hat es zumindest hingenommen und gebilligt, dass mit diesem Feuer gespielt wird,
({5})
weil das Ziel des Wahlerfolgs in ihren Augen offenkundig
alle Mittel zu rechtfertigen schien.
({6})
In dieser Angelegenheit haben die gesamte FDP und vor
allem ihr schwacher Vorsitzender versagt.
Zur Beliebigkeit der FDP gehört auch - ich ziehe das
nicht an den Haaren herbei -, sich in Hamburg an einer
Regierung unter Einschluss des Rechtspopulisten Ronald
Schill zu beteiligen.
({7})
Man muss nicht dabei gewesen sein, als Herr Schill vor
der Bundestagswahl hier, im Bundestag, gesprochen hat,
um behaupten zu können: Die Tatsache, dass CDU und
FDP dafür sorgen, dass Herr Schill in Hamburg Regierungsverantwortung tragen kann, ist ein Skandal für sich.
({8})
Dass die aktuelle Affäre nicht nur eine Möllemann-Affäre ist, zeigt auch ein Blick nach Hessen, wo Frau
Wagner, FDP-Landesvorsitzende, stellvertretende Ministerpräsidentin, Ministerin im Kabinett Koch, jüngst erklärt hat, Herr Möllemann müsse aus der FDP ausgeschlossen werden, weil es offenkundig so ist, dass der
Landtagswahlkampf der FDP in Nordrhein-Westfalen aus
schwarzen Kassen finanziert worden ist.
({9})
Dieselbe Frau Wagner hat allerdings keine Bedenken
gehabt, mit Roland Koch in Hessen eine Koalition einzugehen, mit einem Mann, dessen Wahlkampf ebenfalls aus
schwarzen Kassen finanziert worden ist und der obendrein auch noch einen fremdenfeindlichen Wahlkampf
geführt hat.
({10})
Das macht deutlich: Es tut sich bei einer Partei ein befremdliches Rechtsstaatsverständnis auf, die sich selber
immer als Rechtsstaatspartei definiert hat und, wie ich
glaube, in der Vergangenheit auch nicht ganz zu Unrecht.
Lassen Sie es mich klar sagen, meine Damen und Herren: Das Streben nach Regierungsverantwortung kann
man keiner Partei zum Vorwurf machen.
({11})
Der Vorwurf, den sich die FDP gefallen lassen muss, ist
ein anderer, nämlich, dass sie offenkundig, um in Regierungsverantwortung zu gelangen und zu bleiben, zu jedem beliebigen Mittel greift,
({12})
dass sie gewissermaßen auf dem Schiff des Herrn
Westerwelle den Kompass über Bord geworfen, das
Steuerrad abgebaut hat und sich nur noch vom Wind treiben lässt.
({13})
Dazu kann man nur sagen: Wer sich als Partei nur noch
vom Wind des Populismus treiben lässt, kommt vielleicht
vorwärts, aber nicht mehr ans Ziel.
({14})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich habe in den
letzten Wochen
({15})
sehr aufmerksam die Debatten hier im Bundestag verfolgt. Ich habe auch verfolgt, mit welcher Besserwisserei,
Häme und Verbissenheit die FDP diese Regierung kritisiert hat.
({16})
Wenn die FDP am 22. September wirklich die Wahl gewonnen hätte, dann wäre die Situation dieses Landes, das
sich aufgrund der wirtschaftlichen Lage in einer schwierigen Situation befindet, wirklich problematisch, denn
dann hätten wir jetzt eine massive Regierungskrise.
({17})
Es ist gut, dass uns dies erspart geblieben ist.
({18})
Die FDP sollte die Chance nutzen, sich in der Opposition
inhaltlich und personell zu erneuern und wieder zu politischer Handlungsfähigkeit zu finden.
Lassen Sie mich abschließend feststellen: Ich habe
nicht die Sorge, dass der politische Liberalismus
Herr Kollege, das ist jetzt die zweite abschließende
Feststellung von Ihnen, die wie die erste deutlich nach
Ende der Redezeit erfolgt.
- ein Satz - in Deutschland keine Zukunft mehr hat, ich
bezweifele aber, dass dessen Heimat in Zukunft die FDP
ist.
Vielen Dank.
({0})
Bevor ich dem Kollegen Dr. Friedrich für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort gebe, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Redezeit in Aktuellen
Stunden präzise fünf Minuten beträgt.
({0})
Ich werde mich daran halten.Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Lieber Kollege Edathy, die Botschaft
ist angekommen: Jeder, der Ihre unfähige rot-grüne Regierung kritisiert, wird mit rüpelhaftem Verhalten und Polemik überzogen. Das haben wir alle verstanden. Das ist
unglaublich.
({0})
Sie haben das Koalitionsverhalten anderer Parteien
nicht zu kritisieren, weil Sie selber mit Kommunisten paktieren. Das sollten Sie sich immer vor Augen halten.
({1})
Gestatten Sie mir, dass ich mit einem Kompliment beginne. Als vor vier Wochen die ersten Meldungen in der
Presse zu lesen waren - wo hat Möllemann das Geld für
sein Flugblatt her, steckt ein neuer Spendenskandal dahinter? -, da hatten viele, die den Möllemann vielleicht
nicht leiden können oder ihm alles Mögliche zutrauen, die
Unterstellung, dass da vielleicht doch etwas dran sein
könnte, für etwas starken Tobak gehalten. Mein Kompliment an die Damen und Herren von der Presse, die hartnäckig an der Sache drangeblieben sind: Sie haben sich in
den letzten vier Wochen dadurch, dass sie immer wieder
Fragen gestellt und nicht locker gelassen haben,
({2})
auch ein Stück weit um die Hygiene unseres politischen
Systems verdient gemacht. Das verdient, wie ich denke,
allergrößten Respekt.
Dass für solche Fragen inzwischen Sensibilität in unserem politischen System vorhanden ist, ist, wie ich
glaube, positiv. Wir haben das bei der CDU-Spendenaffäre, bei den Fällen von Korruptionsverdacht bei der SPD
und - in jüngster Zeit - auch bei der Bonusmeilenaffäre
kurz vor der Wahl gespürt.
({3})
Auch wenn die Dinge sicherlich unterschiedlich zu gewichten sind, gibt es hier doch eine Gemeinsamkeit. Die
Botschaft heißt nämlich: Nicht der Ehrliche ist der
Dumme, sondern der, der sich nicht an die Spielregeln und
an Gesetz und Recht hält, ist am Schluss der Dumme.
({4})
Ich finde, das ist ein positiver Aspekt, den man der ganzen
Sache auch abgewinnen sollte.
({5})
Was einen aufregt, ärgert und nervt - dazu haben Sie,
lieber Kollege Hofmann, wieder beigetragen -, ist diese
unglaubliche Heuchelei, mit der jetzt versucht wird, diese
Affäre hochzuziehen und parteipolitisch zu instrumentalisieren. Wer wie Sie so tief im Schlamassel sitzt - ich darf
noch einmal an Nordrhein-Westfalen, an Wuppertal und
Köln, erinnern -, der darf nicht mit dem Finger auf andere
zeigen, wahrlich nicht.
({6})
Ich kann mich noch erinnern, Frau Wettig-Danielmeier,
Herr Neumann, dass das Prüfprotokoll der Revisoren der
SPD in Wuppertal, das bereits im Oktober 2000 vorlag,
Herrn Müntefering, der inzwischen Fraktionsvorsitzender
ist, ein Jahr später nicht davon abgehalten hat, sich in bodenloser Heuchelei moralisch über die CDU zu erheben.
Das ist Ihnen dann hinterher gewaltig um die Ohren geflogen.
({7})
Beim Thema Möllemann stellt, wenn ich das der Zeitung richtig entnehme, die Staatsanwaltschaft kritische
Fragen,
({8})
ermittelt der „Kommissar“ Rexrodt, wenn ich das Ihrem
neuen Titel so entnehmen darf, ist eine Auskunftsklage erhoben worden. Es wird also eigentlich alles getan, um die
Aufklärung voranzutreiben. Wenn Sie jetzt sagen, dabei
müsse noch weiter zurückgegangen werden, bis in die
90er- und die 80er-Jahre, dann frage ich Sie, Herr
Hofmann: Sind wir denn zurückgegangen bis zu Herrn
Nau und zu Herrn Halstenberg? Soll ich Ihnen die Protokolle der Anhörung von Herrn von Brauchitsch vom Juni
2000 einmal vorlesen?
({9})
Wollen wir aufgrund dessen einmal zurückgehen bei der
SPD?
({10})
Dann viel Vergnügen! Frau Wettig-Danielmeier wird
schon ganz blass.
Worum geht es denn heute wirklich? Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht versucht ja Herr Beck,
eine neue Spielwiese für Herrn Ströbele zu finden, nach
dem Motto: Dann hat er was zu tun, dann stört er unsere
Kreise nicht mehr,
({11})
dann stört er nicht mehr den unaufhaltsamen Selbstkastrationsprozess der Grünen.
Oder aber war es die Idee der SPD, diese Aktuelle
Stunde zu beantragen? Dann können wir über NordrheinWestfalen, über Köln, über Trienekens, über Steinmüller
reden, dann kommen wir vielleicht auch in die Nähe Ihres
neuen Superministers. Wir können in diesem Zusammenhang über viele Dinge reden.
Oder aber geht es um etwas ganz anderes? Das habe ich
ein bisschen bei Ihnen gedacht, Herr Edathy, als Sie Frau
Wagner genannt haben und in ein anderes Bundesland,
nämlich Hessen, abgelenkt haben. Vielleicht versuchen
Sie ja, von der Unfähigkeit dieser Regierung, das Land
anständig und ordentlich zu regieren, abzulenken. Das
steckt vermutlich dahinter.
({12})
Ich sage Ihnen: Es wird Ihnen kein zweites Mal gelingen, monatelang den Schleier über Ihre Unfähigkeit zu legen und in der Öffentlichkeit davon abzulenken, dass Sie
dieses Land in Grund und Boden regieren.
({13})
Da können Sie mit einem Untersuchungsausschuss und
Aktuellen Stunden drohen, das wird Ihnen trotzdem nicht
gelingen.
Ich fordere an dieser Stelle
({14})
die FDP auf, ihren Aufklärungskurs fortzusetzen und sich
nicht beirren zu lassen. Die Koalition fordere ich auf, bei
der nächsten Aktuellen Stunde über die wirklich aktuellen, wichtigen Probleme, die die Menschen im Land angehen und betreffen, zu diskutieren, statt das Parlament
mit solchen Veranstaltungen aufzuhalten.
Vielen Dank.
({15})
Das Einhalten der Redezeit wird vielleicht etwas erleichtert, wenn sich die Anzahl der Zwischenrufe in überschaubaren Grenzen hält.
({0})
- Dem will ich in keiner Weise im Wege stehen. Aber es
schadet ja nichts, wenn zwischen den Zwischenrufen die
Redner auch noch zu Wort kommen können.
({1})
Nun hat der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
({2})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Friedrich, Sie haben die Presse gelobt; dem kann ich
mich anschließen. Warum haben Sie dann aber nicht zum
Thema geredet
({0})
und etwas darüber erzählt, wo eigentlich die Spendenblocks Ihres Kollegen Thomas Zimmermann in München
geblieben sind und welche Spenden er quittiert hat, die gar
nicht gegeben worden sind? Das hätte uns interessiert.
Ebenso hätte der Kollege Röttgen ein paar Sätze über
Leverkusen verlieren können und über die 130 000 Euro,
die dort jetzt in einer Kasse aufgetaucht sind und von denen keiner weiß, woher sie kommen. Dafür treffen wir uns
hier und heute doch: damit wir der Öffentlichkeit und der
Bevölkerung diese Fragen beantworten. Dazu haben Sie
nichts beigetragen. Sie haben sich vielmehr wieder in einer Debatte verloren, die Sie selber immer wieder kritisiert haben.
({1})
Ich frage mich: Wo ist der Bundestagsabgeordnete
Möllemann eigentlich?
({2})
- Der Kollege Westerwelle ist auch nicht da. - Ich bedauere außerordentlich, dass die Geschäftsordnung uns
Dr. Hans-Peter Friedrich ({3})
keine Möglichkeit gibt, auch Bundestagsabgeordnete herbeizuzitieren.
({4})
Es wäre doch einmal etwas Hervorragendes, dass sie hierher kommen, wenn es um ihre Machenschaften geht, und
hier, vor dem deutschen Parlament, Rede und Antwort stehen.
({5})
- Ja, der Kollege Möllemann.
({6})
- Herr Wiefelspütz, jetzt bin ich dran. Sie dürfen gleich.
({7})
Am 2. Dezember 1999, vor fast drei Jahren, habe ich
hier schon einmal gestanden. Das war zu dem Zeitpunkt,
als Herr Kollege Schäuble ein Geständnis abgelegt hat jedenfalls ein Teilgeständnis. Da habe ich meine Rede damit angefangen, dass ich gesagt habe: Ich verstehe nicht,
wieso sich die FDP - damals vertreten durch Herrn
Koppelin - so auf die Seite der CDU stellt, warum sie sich
so schützend davor stellt. Des Weiteren habe ich gesagt,
dass ich am selben Tag im „Stern“ gelesen habe, dass auch
der Kollege Möllemann und noch ein anderer Geld bekommen haben sollen. Da ist Herr Westerwelle, der ja
heute leider nicht anwesend ist, aufgesprungen und hat
eine Zwischenfrage gestellt. In zwei Sätzen kam dreimal
das Wort Unverschämtheit vor, die er mir damals vorgeworfen hat.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie damals das, was
der „Stern“ geschrieben hat und was ich im Deutschen
Bundestag erklärt habe, ernst genommen hätten, dann hätten Sie sich schon damals hingesetzt und hätten angefangen, die Affäre Möllemann aufzuklären. Dann wäre uns
und dem deutschen Volk viel erspart geblieben.
({8})
- Wenn Sie es immer noch nicht gelesen haben: Da steht,
dass Herr Möllemann seinerzeit nicht nur den Panzerdeal
mit Saudi-Arabien gefördert hat und die Firma Thyssen
damals so lange mit dem Panzerdeal gewartet hat, bis
Möllemann Wirtschaftsminister geworden ist, sondern
dass auch die FDP in Nordrhein-Westfalen damals über
300 000 DM bekommen haben soll, und zwar nicht in den
80er-Jahren, sondern 1994 im Zusammenhang mit diesem
Panzerdeal. Wären Sie doch einmal dieser Sache nachgegangen! Aber das haben Sie nicht gemacht.
({9})
Jetzt versuchen Sie aufzuklären und alle loben den
Kollegen Rexrodt. Ich sage ganz ungeschützt im Deutschen Bundestag: Herr Kollege Rexrodt, ich habe auch
bei Ihnen Zweifel, ob Sie der geeignete Mann sind, eine
solche Affäre aufzuklären.
({10})
Denn ich weiß, Herr Kollege Rexrodt, dass Sie im Jahre
1995, unter der Regierung Kohl - da waren Sie Minister -,
mit nach Kanada gefahren sind und sich bei der damaligen Regierung vehement für das Panzerprojekt von Herrn
Schreiber, das Bearhead-Projekt, eingesetzt haben.
({11})
Ich frage mich: Was haben die Zahlungen an die FDP in
den Jahren darauf - gerade auch an den Landesverband in
Nordrhein-Westfalen, wo wir jetzt nicht wissen, aus welchen Mitteln der letzte Landtagswahlkampf finanziert
worden ist - mit diesen Unterstützungshandlungen etwa
des Kollegen Rexrodt zu tun?
({12})
Die Affäre des Kollegen Möllemann ist genauso wenig
eine Affäre nur des Kollegen Möllemann, wie das System
Kohl nur ein System des ehemaligen Abgeordneten und
Bundeskanzlers Kohl war. Vielmehr ist die Affäre des
Kollegen Möllemann eine Affäre der FDP.
({13})
Das kann nicht Herr Möllemann alleine gewesen sein, der
in 158 Bankfilialen erschienen ist und dort Geld eingezahlt hat. Da waren noch mehr Leute am Werk. Es ist richtig und wichtig, dass Sie ihn verklagen. Aber warum lassen Sie die anderen alle außen vor?
({14})
Dieses System stinkt weiter. Dieses System stinkt auch
in die Vergangenheit. Es hat sich nicht nur ausgewirkt
etwa bei dem Flugblatt kurz vor der letzten Bundestagswahl, sondern, wie wir inzwischen wissen, wahrscheinlich auch im Jahr der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, als sich Herr Möllemann seinerzeit den glorreichen
Sieg auf seine Fahnen geschrieben hat.
Wir wollen von Ihnen wissen: Woher kommt dieses
Geld? Es gibt den dringenden Verdacht, dass dieses Geld
aus arabischen Quellen gekommen ist.
({15})
Das haben nicht nur Zeitungen berichtet, sondern das ergibt sich möglicherweise - auch ich weiß nichts Näheres ({16})
aus den engen Connections des Kollegen Möllemann und
der FDP hin in den arabischen Raum. Schließlich war Herr
Möllemann derjenige, der bereits Anfang der 90er-Jahre
arabischen Wünschen etwa nach Waffenlieferungen im
großen Umfang entsprochen hat.
Solange Herr Möllemann nicht sagt, woher er das Geld
hat, ist jede Spekulation, auch in diese Richtung, begründet. Wenn sein antisemitisches Flugblatt mit arabischen
Geldern finanziert worden ist, dann ist der Skandal vollständig.
({17})
Deshalb: Es muss sofort und vollständig aufgeklärt werden.
({18})
Das Wort hat der Kollege Thomas Strobl, CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in aller Ruhe drei Bemerkungen machen.
Erstens. Die Geschehnisse um den FDP-Politiker
Möllemann sind äußerst bedauerlich, nicht nur für die
FDP, sondern für die Demokratie und ihre Institutionen
insgesamt. Wieder einmal nimmt die Politik Schaden und
es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen der Bevölkerung
insgesamt Schaden nimmt.
Zweitens. Die FDP-Führung hat freilich zugesagt,
möglichst alles aufzuklären. Ich habe derzeit durchaus
den Eindruck, dass dies ernst gemeint ist und dass sie willens ist, eine entsprechende Auskunft sogar gerichtlich
einzuklagen.
Drittens. Natürlich muss die Staatsanwaltschaft ihre
Pflicht tun. Sie hat mögliche strafrechtliche Verfehlungen
zu untersuchen und gegebenenfalls anzuklagen. Ich habe
auch hier keinen Zweifel, dass die Staatsanwaltschaft ihre
Aufgabe erfüllt. Ich weiß nicht, was es hierzu in einer Aktuellen Stunde zu debattieren gäbe.
({0})
- Eine Aktuelle Stunde sollte eine Aussprache über ein
Thema von allgemeinem aktuellen Interesse sein, Herr
Wiefelspütz.
({1})
Die Frage ist daher, ob das heutige Thema von allgemeinem Interesse ist - der eine oder andere Debattenbeitrag
hat diesbezüglich zu Zweifeln Anlass gegeben - oder ob
es sich um ein sehr durchsichtiges Manöver handelt, um
von den wahren Problemen in unserem Land und von der
tiefen Krise, in der sich unser Land befindet, abzulenken.
({2})
Offensichtlich geht es der SPD darum - Ihnen verdanken wir ja die Aktuelle Stunde -,
({3})
vom kompletten Chaos der ersten rot-grünen Regierungswochen in Ihrer zweiten Legislaturperiode abzulenken.
Draußen demonstrieren die Menschen, die durch die katastrophale Politik der Bundesregierung in Bedrängnis
geraten sind,
({4})
für den Fortbestand ihrer nackten Existenz und gegen die
rot-grüne Politik für höhere Steuern und höhere Abgaben.
Aber die SPD eröffnet wieder einmal einen Nebenkriegsschauplatz, indem sie diese Aktuelle Stunde beantragt hat,
die in keiner Weise auf Erkenntnisgewinn zielt, sondern
lediglich dazu geeignet ist, von den wahren Problemen
dieses Landes und der Unfähigkeit von Rot-Grün, sie zu
lösen, abzulenken.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD,
wenn Sie schon mit einem so hohen moralischen Anspruch auf andere herabsehen, dann sollten Sie diese moralische Messlatte an sich selbst anlegen,
({6})
nach dem Motto: Ein jeder kehr’ vor seiner Tür und sauber ist das Stadtquartier.
({7})
Übrigens: Gegen wie viele Oberbürgermeister aus den
Reihen der SPD laufen eigentlich gerade Ermittlungsverfahren wegen Betruges, wegen Untreue und wegen Bestechlichkeit?
({8})
Wo sind denn die Aufklärer in der SPD, wenn es um den
Genossenfilz in Nordrhein-Westfalen, in Bremen, in
Schleswig-Holstein oder wo auch immer geht?
({9})
Wer im Glashaus sitzt, verehrter Herr Kollege Edathy, der
sollte nicht mit Steinen werfen, schon gar nicht, wenn er
wie Sie in die Nähe von Felsbrocken geraten ist.
({10})
In Köln ist die SPD in einen Korruptions- und Spendenskandal verwickelt.
({11})
Namhafte Vertreter der SPD sollen über Scheinfirmen
Schmiergelder in Millionenhöhe erhalten haben. Gegen
38 Kölner SPD-Politiker ermittelt die Staatsanwaltschaft
wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, der Untreue, der Beihilfe zum Betrug usw.
Als weitere Beispiele nenne ich den Saarbrücker Oberbürgermeister Hajo Hoffmann von der SPD, der wegen
Thomas Strobl ({12})
Untreue in zwei Fällen vom Amtsgericht Saarbrücken zu
einer Geldstrafe verurteilt worden ist, der aber immer
noch im Amt ist, und weiter die Korruptionsaffäre der
Landesregierung in Schleswig-Holstein, bei der es ebenfalls um Kreditbetrug, Steuerhinterziehung, Bestechlichkeit usw. geht. Es gibt weitere Affären in Gladbeck, Recklinghausen und Mülheim. Sie alle aufzuführen, dazu
reicht die Zeit nicht.
({13})
Bei Matthäus steht geschrieben: „Was siehst du aber
den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge.“
({14})
Ich kann Ihnen, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, nur raten: Hören Sie auf, ständig
Fehler bei anderen zu suchen und anzuprangern, solange
Sie nicht bereit sind, eigene Fehler einzuräumen!
({15})
Hören Sie auf, ständig den Versuch zu unternehmen, von
den wahren Problemen dieses Landes abzulenken!
({16})
Produzieren Sie keine Scheindebatten und Nebenkriegsschauplätze!
({17})
Wenden Sie sich vielmehr den Problemen dieses Landes,
der Arbeitslosigkeit, der steigenden Staatsverschuldung,
dem mangelnden Wirtschaftswachstum und der Bedrohung der inneren Sicherheit, zu! Tragen Sie damit dazu
bei, dass die Bürgerinnen und Bürger insgesamt wieder
mehr Vertrauen in die Politik gewinnen! Wenn jeder bei
sich selbst anfängt, wenn jeder seine Aufgaben wahrnimmt,
({18})
dann - aber auch nur dann - kann uns das gemeinsam
glaubhaft gelingen.
Besten Dank.
({19})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Fograscher, SPDFraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Fast drei Jahre lang hat sich der Untersuchungsausschuss der vergangenen Legislaturperiode mit illegalen
Parteispenden und der möglichen Beeinflussung staatlichen Handelns durch finanzielle Zuwendungen an
Amtsträger, Parteien oder Institutionen befasst. Zwar
wurde der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses noch vorgelegt; doch war uns allen klar, dass die Aufklärung nicht zu Ende ist. Zu viele Fragen blieben offen.
Es ist und bleibt natürlich von aktuellem Interesse, diesen
Fragen weiterhin nachzugehen.
Dazu haben Sie, Herr Röttgen, Herr Friedrich und Herr
Strobl, nichts gesagt. Woher kam denn das Geld, das sich
in den schwarzen Kassen von Helmut Kohl befand?
({0})
Zu welchem Zweck wurde es gezahlt? Von wem kam es
und wie wurde es verwendet?
({1})
Schien die Flugblattaffäre um Jürgen Möllemann
zunächst eine regional begrenzte und auf den FDP-Landeschef beschränkte Affäre zu sein, zieht das Ganze inzwischen weitere Kreise. Obwohl Herr Rexrodt und Herr
Westerwelle angeblich alles zur Aufklärung tun, fühlen
wir uns stark an die Machenschaften von Kohl, Kiep und
Co erinnert.
({2})
„Spur nach Liechtenstein“ - so der „Spiegel“ in seiner aktuellen Ausgabe. Er bringt ebenso wie die Steuerfahndung
in Düsseldorf Altbekanntes in Verbindung mit
Möllemann. Sie bleiben mit Ihrer Aufklärung im Jahre
2000 stecken. Sie müssen aber weiter zurückgehen: Sie
müssen den Deal mit den Fuchs-Spürpanzern und
Möllemanns Kontakte nach Saudi-Arabien untersuchen
und Sie müssen nachschauen, was er mit der Briefkastenfirma Great Aziz zu tun hat.
({3})
Auch der Umgang mit ominösen Geldern ist altbekannt. Zunächst werden die Geldgeber verschleiert oder
nicht genannt - Helmut Kohl lässt grüßen.
({4})
Dann wird das Geld für zweideutige Kampagnen im
Wahlkampf genutzt - Roland Koch lässt grüßen - und in
Hessen tut die FDP alles, um an der Macht zu bleiben, und
wenig dazu, um aufzuklären.
Es gibt noch mehr Parallelen: Jürgen Möllemann entwickelt sich immer mehr zum nordrhein-westfälischen
Helmut Kohl unter einem angeblich liberalen Deckmäntelchen.
({5})
Möllemann hat die FDP zu seiner eigenen Profilierung
ebenso instrumentalisiert, wie Helmut Kohl es mit der
CDU getan hat.
({6})
Die FDP hat Möllemann viel zu lange gewähren lassen, so
wie es auch die CDU mit Helmut Kohl getan hat.
({7})
Die FDP versucht, diese Affäre als Einmannstück darzustellen. Dies hat sie von der CDU gelernt.
Es ist wahr: Kein noch so gutes und strafbewehrtes Parteiengesetz kann verhindern, dass Einzelne mit entsprechender krimineller Energie Vorschriften zu umgehen
versuchen. Aber differenzieren sollte man schon, wenn
man sich die einzelnen Affären anschaut. Es macht zwar
strafrechtlich keinen Unterschied, ob ein Bundeskanzler
während seiner Amtszeit, ob ein Jürgen W. Möllemann als
amtierender Landes- und Fraktionsvorsitzender und
Landtags- und Bundestagsabgeordneter oder ob ein Kommunalpolitiker gegen das Parteiengesetz verstößt.
({8})
Aber politisch ist das auf keinen Fall gleichzusetzen. Herr
Strobl, Herr Friedrich, mit Ihrem andauernden Versuch einer Gleichsetzung
({9})
drücken Sie sich vor Ihrer politischen Verantwortung. Das
haben Sie im Untersuchungsausschuss stets getan.
({10})
Es macht auch einen Unterschied, ob mit Geldern dubioser Herkunft eine Kommunalwahl oder eine Landtagsoder gar Bundestagswahl beeinflusst werden soll.
({11})
„Transparenz gegen politische Korruption“ - unter dieser
Überschrift zitiert der Abschlussbericht des Parteispenden-Untersuchungsausschusses den Bericht des Flick-Untersuchungsausschusses.
({12})
Ich zitiere:
Politische Parteien und deren Repräsentanten, insbesondere wenn sie in politischen Spitzenämtern Verantwortung tragen, wirken in der auf Rechtstaatlichkeit
gründenden parlamentarischen Demokratie prägend
auf den Umgang mit Verfassung und Gesetzen.
Weiter heißt es: Sie tragen
besondere Verantwortung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger hinlängliche Sicherheit für korrektes
staatliches Handeln haben.
Sorgen Sie von Union und FDP für Aufklärung und
Transparenz! Ziehen Sie endlich die Konsequenzen, anstatt sie nur anzukündigen!
({13})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Günter Rexrodt für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte die Vorgänge um die Spendenpraxis in Nordrhein-Westfalen - wenn man es genau betrachtet: im unmittelbaren Umfeld von Jürgen Möllemann - hier in keiner Weise bagatellisieren. Ich möchte sie auch gar nicht
relativieren,
({0})
etwa unter Hinweis auf die Vorgänge in anderen Parteien. Aber ich möchte, wenn das erlaubt ist, an diesem
Pult ein Stück Betroffenheit über die Kolleginnen und
Kollegen von der SPD äußern. Die stellen sich hier hin
und schlagen um sich: Sie hauen auf die Union und auf
die FDP ein - mit Vorgängen, die man politisch beim Namen nennen muss, die man auch geißeln kann und aufarbeiten muss -, haben dann aber nicht die Fairness und
die Kraft,
({1})
vor ihrer eigenen Tür zu kehren, ja, vermeiden es, ihre eigenen Verfehlungen und Skandale überhaupt nur zu erwähnen.
({2})
Das macht mich fassungslos. Wie kann ein Abgeordneter,
wie eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages auf die
beiden genannten Parteien losprügeln und gleichzeitig so
tun, als sei in den eigenen Reihen überhaupt nichts passiert? Sie legen hier eine Chuzpe an den Tag und eine
Schamlosigkeit, die verwundert.
({3})
Ich möchte für meine Partei und für meine Person
mit Entschiedenheit das zurückweisen, was Sie, Herr
Hofmann, am Anfang gesagt haben, nämlich dass es am
Willen fehle, diese Dinge gründlich aufzuarbeiten.
({4})
- Herr Edathy, dass Sie mit langer Vorbereitungszeit daran gearbeitet haben, heute eine Rede zu halten, in der Sie
sich auch persönlich profilieren können,
({5})
haben wir alle gemerkt.
({6})
Es ist Ihnen ja auch bedingt gelungen.
Ich sage mit aller Deutlichkeit: Wir sind nie getrieben
worden. Wir waren es, die über die Spendenvorgänge informiert haben und an die Öffentlichkeit gegangen sind,
ohne von einer Staatsanwaltschaft dazu gezwungen oder
von Journalisten dazu gedrängt worden zu sein.
({7})
Wir sind diejenigen gewesen, die von sich aus den Bundestagspräsidenten informiert haben. Wir sind an die Presse
gegangen und haben immer wieder Daten, Fakten, relevante Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gebracht,
({8})
weil wir der Meinung sind, dass der Bundestagspräsident,
das Parlament, die Menschen ein Anrecht haben, um diese
Vorgänge zu wissen und sie aufbereitet zu bekommen.
Eine solche Gründlichkeit, eine solche Offenheit - ich
sage auch: eine solche Ehrlichkeit - hat es bisher bei keiner anderen Partei gegeben.
({9})
Ich habe in dieser Angelegenheit - zusammen mit meinen Kollegen, die das vor Ort in Düsseldorf bearbeiten hier und anderswo alles gesagt, was ich weiß.
({10})
Wenn es relevante Tatbestände gäbe, die zu wissen sich
lohnt, dann werde ich sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis
bringen. Bei uns ist ein Aufklärungswille vorhanden, der
in anderen Parteien seinesgleichen sucht.
({11})
- Das Ergebnis haben wir noch nicht.
({12})
Wenn Sie - damit komme ich zum zweiten Punkt - Erkenntnisse haben, die hilfreich sind, um die Spender zu
finden und die Hintergründe aufzuklären, dann teilen Sie
das mit.
({13})
Der Weltmeister in diesen Dingen ist Herr Ströbele mit
Verdächten und der großen Keule. Im Hintergrund waren
Panzer und dieses und jenes.
({14})
Herr Ströbele, das haben Sie ja drauf und wir brauchen im
Parlament auch solche Leute.
({15})
Aber nur mit Verdächten zu arbeiten und nur Begriffe in
den Raum zu stellen, ohne etwas zu wissen und ohne Erkenntnisse zu haben - wenn Sie diese hätten und uns nicht
mitteilten, dann wäre das ein Versäumnis, Herr Ströbele -,
ist eine billige Methode der parlamentarischen Auseinandersetzung.
({16})
Nähren Sie keine Verdächte!
Dann stellt sich Herr Ströbele auch noch hin und sagt:
Der Kollege Rexrodt ist nicht der Richtige, um das aufzuklären, weil er 1995 in Kanada über den Panzer verhandelt hat.
({17})
Herr Ströbele, mit Kanada und anderen Verbündeten verhandelt Ihre Regierung jeden Tag über wehrtechnischen
Austausch, über Exporte und Importe.
({18})
Nun möchte ich Ihnen eins sagen, Herr Ströbele:
({19})
- Hören Sie doch einmal zu! - Ich habe bei dieser Reise
nie ein Wort oder eine Bemerkung oder auch nur ein Augenzwinkern darauf verwendet, über dieses Projekt, das
Sie ansprechen, in Kanada zu verhandeln.
({20})
Nehmen Sie das zur Kenntnis oder prüfen Sie es nach!
Kommen Sie nicht dauernd mit Verdächten! Kommen Sie
mit Fakten! Helfen Sie uns aufzuklären!
({21})
Nun zum letzten Punkt: Ich komme zum schäbigen
Versuch von Herrn Beck und in besonders persönlich profilierter Form von Ihnen, Herr Edathy, unsere Partei nun
in die Ecke zu stellen als eine Partei, die über diese Affäre
ihre Seele verloren und ihre Programmatik aufgegeben
hat. Als ob die Menschen draußen Ihnen das abnehmen
würden! Das ist ein unverzeihlicher und über alle Maßen
bedauerlicher Vorgang. Aber von diesem Vorgang haben
wir uns als gesamte Partei durch entschlossenes Auftreten
und durch unseren Wahlkampf immer distanziert. Wir
sind eine Partei der Weltoffenheit.
({22})
Wir sind eine Partei der Toleranz. Wir sind kosmopolitisch und offen.
({23})
- Wer schreit, ist im Unrecht.
({24})
Als ob Sie nicht wüssten, dass wir eine andere Partei
sind als die, zu der Sie uns durch diese Affäre machen wollen! Die Affäre ist schlimm genug; aber unsere liberale
Partei, die FDP, war und bleibt das, was sie immer war.
({25})
Nächster Redner ist der Kollege Montag für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr
Rexrodt, versuchen, eine Spendenaffäre in Ihrer Partei
aufzuklären. Ich werfe Ihnen, solange ich keine Beweise
habe, nicht vor, dass Sie das nicht richtig und nicht vollständig machen würden. Aber es ist etwas scheinheilig,
wenn man so tut, als ob man einen Anlass gebraucht hätte
- über den Anlass werde ich noch reden -, um sich überhaupt Gedanken über die Spenden an die FDP zu machen.
Im Rückblick auf die Bundestagswahl sage ich Ihnen:
Der Bundestagswahlkampf der FDP war mit dem Geld
der FDP nie zu finanzieren. Das weiß ich deswegen, weil
ich als Landesvorsitzender der bayerischen Grünen - die
Größenordnungen sind hierbei ungefähr gleich - selber
für einen Bundestagswahlkampf politisch und auch finanziell verantwortlich war. Deswegen weiß ich, was man
mit dem Geld, das man offiziell hat, machen kann und was
nicht. Mir jedenfalls war klar, dass Ihr Wahlkampf von
Ihrem Geld nicht zu finanzieren war. Das konnte nur
durch Schulden oder Spenden geschehen.
({0})
Diese Millionenspenden - die haben Sie in NordrheinWestfalen augenzwinkernd eingesteckt und sich gedacht,
Herr Möllemann sei so ein toller Spendeneintreiber wären für Sie Anlass gewesen, sich von Anfang an innerparteilich um Ihr Spendenwesen zu kümmern. Hätten Sie
das getan, bräuchten Sie jetzt nicht in den Einwohnermeldeämtern in Nordrhein-Westfalen mühsam nach irgendwelchen Scheinadressen zu suchen, dann hätten Sie
das von vornherein klären können.
({1})
Ich will zu diesem Anlass - es fängt immer mit einer
kleinen Sache an und wird dann zu einer Lawine - nur
Folgendes sagen: Die Deutsche Post hat einen Fehler gemacht und hat von einem falschen Konto ein paar Millionen Mark abgezogen.
({2})
- Genau so ist es gewesen. Herr Möllemann hat dann
plötzlich gemerkt, dass es von seinem Privatkonto abgeht.
Damit ist die ganze Lawine überhaupt erst ins Rollen gekommen.
Aber schon nach einigen Tagen erkennen wir - verschließen Sie als Wirtschaftspartei doch nicht die Augen
vor folgenden Fakten -: Es wird nur ein paar Tage lang
untersucht und schon tauchen auf: Liechtenstein, Konten
von Treuhändern, Firmen, die nur Briefkastenfirmen sind.
Der Name eines Great Aziz taucht auf. Es gibt ein Scharnier zwischen diesen Fakten, die wir alle kennen, und
dem, was in einem anderen Untersuchungsausschuss
schon besprochen worden ist, nämlich Herrn Schreiber.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass dieses Scharnier
besteht.
Vielleicht interessiert dies die Staatsanwaltschaft nicht,
aber uns im Parlament interessiert schon, welche Verbindungen es über dieses Scharnier zwischen dem Waffenhandel bis in den arabischen Raum hinein und Ihrer Partei mit Herrn Möllemann gegeben hat.
({3})
- Diese wenigen Fakten, die wir haben,
({4})
reichen schon aus, um sich Gedanken zu machen. Die
sollten Sie sich machen.
Herr Rexrodt, ich will zum Inhalt des Flugblattes
zurückkommen,
({5})
das Ausgangspunkt der ganzen Geschichte gewesen ist.
Auch dies interessiert die Öffentlichkeit und interessiert
uns. In diesem Flugblatt sind zwei Menschen abgebildet
worden, Herr Scharon und Herr Friedman, ein Israeli
und ein Deutscher. Beide haben mit dem Bundestagswahlkampf der FDP überhaupt nichts zu tun gehabt
({6})
und wurden benutzt - ich sage: sie wurden missbraucht -,
({7})
um mit diesem Flugblatt zwei Topoi, zwei Idiome zu bedienen. Das erste Idiom ist: Man muss in Deutschland
endlich wieder einmal etwas sagen dürfen; als ob dies in
Deutschland nicht möglich wäre. Das zweite ist vordergründig angeblich eine Kritik an der israelischen Regierung. Geht man aber tiefer, stellt man fest: Es ist sozusagen das Idiom dafür, dass man Juden in Deutschland nicht
kritisieren dürfe, und dies sollte man endlich wieder tun
dürfen.
Dafür haben Sie bei der Bundestagswahl ein respektables Ergebnis bekommen. Ich hätte Ihnen ein schlechteres Ergebnis gewünscht. Sie haben dieses Ergebnis erzielt, weil Sie den rechten Rand bedient haben.
({8})
Deswegen liegt für mich über die Spendenaffäre hinaus
der tiefere Sinn einer solchen Stunde und einer solchen
Debatte darin zu erkennen, dass die FDP radikal nach
rechts in eine antisemitische Ecke gerutscht ist. Deswegen ist Frau Hamm-Brücher aus Ihrer Partei ausgetreten, und deswegen sage ich zum Schluss: Wir sollten
darüber aufklären, wo diese Partei, die einst für Rechtsstaatsliberalismus gestanden hat, heute angekommen
ist, nämlich am rechten Eck der Gesellschaft, weil
Sie Herrn Möllemann allzu lange haben gewähren lassen.
Danke schön.
({9})
Letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde ist die Kollegin Dorothee Mantel. - Nein? Entschuldigung, es spricht
danach noch der Kollege Wend. Dies wäre mir wegen des
virtuosen Umgangs des Kollegen Wiefelspütz mit seiner
angemeldeten Rede fast entgangen.
({0})
Gleichwohl hat zunächst die Kollegin Mantel das Wort.
Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten
Sie mir zunächst ein persönliches Wort, bevor ich mit
meiner Rede beginne. Dies ist meine erste Rede im Deutschen Bundestag. Es ist für mich keine Selbstverständlichkeit, heute hier zu stehen. Es macht mich unheimlich
stolz und ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein darf.
Ich hätte es mir allerdings gewünscht, zu einem anderen
Thema sprechen zu können, aber dies kann man sich leider nicht aussuchen.
({0})
Ich bin etwas verwundert, dass die alte und leider auch
neue Koalition mit dieser Debatte ganz offensichtlich von
den wirklich wichtigen Fragen in unserem Land ablenken
will.
({1})
Ich habe ursprünglich gedacht, dass sich der Deutsche
Bundestag mit der Lösung der wirklich wichtigen Probleme unseres Landes beschäftigt. Ich habe heute in der
„FAZ“ die Prognose eines Wirtschaftsforschers gelesen,
dass allein durch den Anstieg der Beiträge zur Rentenversicherung und zur Krankenversicherung 100 000 Stellen
verloren gingen.
({2})
Diese Nachricht ist kein Zufall, sondern symptomatisch
für jeden Tag der letzten Wochen. Die Probleme in
Deutschland sind die Rentenversicherung, der Arbeitsmarkt, das Gesundheitssystem, die Konjunktur und der
Haushalt. Meine Generation verlangt in diesen Bereichen
nach Antworten.
({3})
Da reicht es nicht, wenn Sie die mehr als berechtigten
Proteste in Ihren eigenen Reihen beseitigen, indem Sie die
hundertste Kommission zur Besänftigung beschäftigen.
Die Generationengerechtigkeit ist ein Thema, über das
wir hier und heute debattieren sollten.
({4})
Sie nutzen jede noch so kleine Gelegenheit, um von den
richtigen Problemen abzulenken. Da greifen Sie nach jedem Strohhalm.
({5})
- Ich habe von Kollegen aller Fraktionen einmal gehört,
dass es üblich sei, bei der ersten Rede eines neuen Kollegen nicht dazwischenzurufen.
({6})
Das war wohl früher einmal so, als wir noch an der Regierung waren. Jetzt scheint der Umgang miteinander anders geworden zu sein.
({7})
Ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Ich
habe kein Verständnis für Gesetzesverstöße. Ich bin froh,
dass das Parteiengesetz in der vergangenen Wahlperiode
gemeinsam auf eine neue Basis gestellt wurde. Es steht
also außer Frage, dass nach Aufklärung der Tatsachen
auch in dem jetzigen Fall entsprechende Konsequenzen
gezogen werden müssen. Aber dies hat die FDP in aller
Deutlichkeit getan. Sie hat uns alles erklärt. Ich wünsche
mir also, dass wir hier jetzt andere Sachen besprechen.
({8})
Aus meinen Gesprächen mit Bürgern vor Ort weiß ich,
dass solche Vorgänge wie der jetzt zur Debatte stehende
das Vertrauen zwischen den Wählern und uns, den Gewählten, zerstören und zu Politikverdrossenheit führen.
Ich weiß aber auch, dass es richtig ist, sich in Parteien und
Parlamenten für das Gemeinwohl einzusetzen. Ich lasse
mir mein persönliches Engagement in der Politik durch
solche Affären nicht kaputtmachen.
({9})
Aber am nachhaltigsten wird Politikverdrossenheit durch
eine ungerechte Regierungspolitik hervorgerufen; denn
die Wähler beurteilen die Vergehen Einzelner anders als
ein verwerfliches Handeln, das der Politik ganz allgemein
zuzuschreiben ist.
({10})
Ich nenne Ihnen als Beispiel einen ehemaligen Kollegen
aus Ihrer Koalition. Ihr ehemaliger Kollege Metzger, der
ja nicht irgendwer, sondern haushaltspolitischer Sprecher
der Fraktion der Grünen war, hat gestern Abend in „Frontal 21“ gesagt:
({11})
In einem Abwägungsprozess - wollen wir weiter regieren? - hat sich die SPD und die Bundesregierung
und auch der Bundeskanzler fürs Weiterregieren entschieden
- jetzt kommt es und gegen die Ehrlichkeit.
So etwas nenne ich verwerfliches Handeln, das zu Politikverdrossenheit führt.
({12})
Denn hier geht es nicht um Verfehlungen Einzelner. Es
geht vielmehr um eine bewusste Wählertäuschung, um
das Haushaltsloch bis nach der Bundestagswahl zu verschweigen. So etwas zerstört Vertrauen und ist unverzeihlich. So etwas führt zu Politikverdrossenheit.
({13})
Das gilt für die Frage des Haushalts, aber auch für viele
weitere Versprechen. Ich finde es nicht in Ordnung, dass
Sie mit der heutigen Aktuellen Stunde von den eigentlichen Problemen unseres Landes ablenken wollen.
({14})
- Ich muss ganz ehrlich sagen, auch wenn es verboten ist:
Das Nicken auf der Zuschauertribüne gibt mir Recht, das
alles in meiner Rede anzusprechen.
({15})
Gerade Sie sollten sich bei Ihrer Selbstgerechtigkeit
überlegen, wo noch Nachholbedarf besteht. Dieser besteht - mein Kollege Friedrich hat schon darauf hingewiesen - zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Korruptionsaffären werden von den Wählern noch ganz anders
eingestuft als Parteispendenaffären. Ich verweise beispielsweise auf Wuppertal.
Ich möchte Ihnen noch ein aktuelles Beispiel aus meinem Bundesland geben. Bei der „Coburger Neuen
Presse“, der „Frankenpost“ oder dem „Nordbayerischen
Kurier“ - das sind alles Zeitungen aus meiner nächsten
Nähe - hat die SPD mit einer Beteiligung von 30 Prozent
faktisch eine beherrschende Stellung.
({16})
Ihre Schatzmeisterin sagt:
Auch dort, wo wir nur 30 oder 40 Prozent haben,
kann in der Regel nichts ohne uns passieren.
Erzählen Sie mir also bitte nicht, dass dies ohne Auswirkungen auf die Schwerpunktsetzung bei der Berichterstattung bleibt.
({17})
- Ich habe dort schon gearbeitet. Ich glaube nicht, dass Sie
die Berichterstattung besser beurteilen können als ich.
({18})
Ich komme zum Schluss. Eine Debatte wie die heutige
bietet schon genug Stoff für diese Zeitungen und lenkt
wieder einmal von den wirklichen Problemen unseres
Landes ab, weil Ihre hoch bezahlten Tageszeitungen - das
sind diejenigen, die wirklich Macht in unserem Staat haben - das anders kommentieren werden. Transparenz tut
also auch bei Ihnen Not!
Vielen Dank.
({19})
Frau Kollegin Mantel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag,
({0})
die Sie sich allerdings zu einem anderen Thema und ohne
Zwischenrufe gewünscht hätten. Da die meisten Reden in
diesem Parlament mit Zwischenrufen angereichert werden,
({1})
sind Sie auf die nächste Rede, die Sie hoffentlich zu einem
Thema halten, das Sie sich noch mehr wünschen, bestens
vorbereitet.
Als letzter Redner hat nun der Kollege Rainer Wend für
die SPD-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich richte
ein Wort an die Kollegin, die gerade gesprochen hat. Sie
hat sich gewünscht, dass sie zu einem anderen Thema
hätte sprechen können. Den Wunsch hat sie sich selber erfüllt; denn sie hat zu dem Thema, das auf der Tagesordnung steht, nichts gesagt.
({0})
Gestatten Sie mir, dass ich versuche, die Gräben, die
sich zwischen SPD und Grünen einerseits und CDU/CSU
und FDP andererseits aufgetan haben, etwas anders beleuchte. Ich möchte - Herr Stadler, bitte fassen Sie das
nicht als belehrend auf - zwei Dinge positiv bewerten.
Das eine ist die starke Präsenz Ihrer Fraktion; damit meine
ich nicht Herrn Westerwelle, der seine Gründe dafür haben wird, dass er nicht da ist. Dadurch zeigt Ihre Fraktion,
dass sie sich der Verantwortung stellt und sich damit auseinander setzt. Das war bei den Kolleginnen und Kollegen
von der CDU nicht immer so, wenn wir über diese Themen gesprochen haben.
({1})
Zweitens. Ich glaube, bei einem Teil der Aufklärung
liegen die Gräben nicht zwischen Rot-Grün einerseits und
CDU/CSU und FDP andererseits, sondern zwischen RotGrün und FDP auf der einen Seite und CDU/CSU auf der
anderen Seite.
({2})
Was will ich damit sagen? Alle Parteien mit Ausnahme der
Grünen, ob die Sozialdemokraten in Köln, die CDU wegen
Helmut Kohl oder jetzt die FDP wegen Möllemann, haben - das ist mehrfach gesagt worden - beträchtliche Probleme. Bei der Aufklärung dieser Probleme bestehen sowohl Parallelen wie auch Unterschiede. Ich kann zum
Beispiel folgenden Unterschied feststellen: Im Untersuchungsausschuss hatten wir das Problem, dass sich Kohl,
Weyrauch und wie sie alle hießen am Ende, als es um die
Beantwortung der Frage ging, wer die Spender waren, auf
ihr Schweigerecht berufen und nichts gesagt haben. Damit
waren uns alle Wege versperrt. Wir kamen an der Stelle
nicht weiter; Herr Stadler, Sie erinnern sich daran.
({3})
Wir haben immer gefordert, gegen die Leute, die für illegale Spenden verantwortlich sind, Auskunftsklage zu
erheben, um zivilrechtlich aus ihnen herauszubekommen,
wer die Spender sind. Als wir im Untersuchungsausschuss
nicht weiterkamen, haben wir gefordert, dass Auskunftsklagen erhoben werden. Wir selber haben zum Beispiel in
Köln eine solche Auskunftsklage erhoben. Sie von der
FDP strengen eine solche bei Möllemann an. Ich hoffe,
Sie halten das bis zum Ende durch. Die CDU/CSU hat bis
heute keine Auskunftsklage erhoben. Merkel deckt bis
heute den Mantel des Schweigens über den Skandal von
Helmut Kohl.
({4})
In Köln wurden die verantwortlichen Sozialdemokraten aus der Partei ausgeschlossen. Das werden Sie bei
Möllemann auch tun, wenn er nicht selbst austritt; da bin
ich mir sicher. Bei uns ist ebenso wie bei Ihnen von der
FDP eine Auskunftsklage angestrengt worden. Doch
Helmut Kohl ist bis heute Ehrenvorsitzender der CDU.
Wie können Sie damit überhaupt leben?
({5})
Das Mädchen - wie Helmut Kohl von Angela Merkel
sprach - deckt den Schleier des Vergessens darüber.
({6})
Ich lese in der Zeitung, dass sich Frau Merkel mit
Herrn Koch darüber streitet, wer in Zukunft die Führung
bei der CDU übernimmt. Frau Merkel ist diejenige - ich
wiederhole das -, die über die politische Korruption von
Helmut Kohl den Mantel des Schweigens deckt. Herr
Koch ist jemand, der mit Geldern aus illegalen Kassen
Ministerpräsident geworden ist.
({7})
Wenn sich zwei solche Menschen in meiner Partei um die
Spitze bewerben würden, ich würde depressiv und
schwermütig und nicht so aggressiv, wie Sie in dieser Debatte sind.
({8})
Da ich zwei positive Dinge zur FDP gesagt habe, gestatten Sie mir auch zwei Bitten.
({9})
Erste Bitte. Das System Möllemann umfasst nach meiner Wahrnehmung drei Dinge: Das Erste sind schwarze
Kassen und eine illegale Finanzierung. Das Zweite ist ein
im weitesten Sinne populistischer brauner Sumpf mit dem
Ziel, Stimmen an sich zu binden, um neue Mehrheiten zu
organisieren.
({10})
Das Dritte ist ein gewisser Größenwahn - ich nenne die
Stichworte 18 Prozent und Kanzlerkandidat.
({11})
Meiner Meinung nach haben Sie sich ein Stück zu
weit - halb gezogen, halb getrieben - auf das System
Möllemann eingelassen. Nicht nur aufgrund des Geldes,
sondern auch aufgrund der inhaltlichen Verfehlungen dieser Person - und auch der Personengruppe - kann ich an
dieser Stelle nur die Bitte an Sie richten - das ist wirklich
nicht scheinheilig gemeint -, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen.
({12})
Das sind Sie sich und auch der deutschen Demokratie
schuldig.
({13})
Bei meiner zweiten Bitte nenne ich das Stichwort
Hessen. In den Zeitungen wird schon jetzt teilweise geschrieben: Na gut, der Möllemann ist am Ende, deswegen
hauen die Liberalen drauf und machen es sich leicht. Ich
finde es richtig, dass Sie das auch weiterhin tun. Wenn Sie
das aber mit gutem Gewissen tun wollen, dürfen Sie in
Hessen nicht anders operieren. Möllemann wollte mit illegalem Geld an die Macht kommen. Herr Koch ist mit illegalem Geld an die Macht gekommen und die FDP hält ihm
noch die Treue.
({14})
Wenn Sie die Trennung konsequent zu Ende bringen wollen, müssen Sie auch in Hessen sagen: Mit Geld, das uns
rechtsstaatlich nicht gehört, wollen wir nicht regieren.
Diesen Trennungsstrich müssen Sie ziehen, um bei der
Aufklärung glaubwürdig zu werden.
({15})
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit zugleich am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 14. November, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.