Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im
Strombereich
- Drucksache 15/2327 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den
Handel mit Berechtigungen zur Emission von
Treibhausgasen ({1})
- Drucksache 15/2328 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen
Tagen reden wir viel über Innovationen. Dabei bleibt
richtig, dass Stillstand vielfach Rückschritt ist. Wer an
der Spitze bleiben will, muss die richtigen Innovationen
rechtzeitig einführen und diese müssen den zentralen
Herausforderungen gerecht werden.
Wir brauchen Innovationen, die dem Klimawandel
entgegenwirken. Wir brauchen Innovationen, die dazu
beitragen, dass Armut und Unterentwicklung überwunden werden, und sie sollten tunlichst die Wettbewerbsfähigkeit und die Technologieführerschaft Deutschlands
voranbringen.
Wir legen Ihnen heute zwei Gesetzentwürfe vor, die
der Innovation in der Energieversorgung dienen: den
Entwurf des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes
und die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Beide Gesetze machen es wirtschaftlich attraktiv, in klimaschonende Innovationen zu investieren. Klimaschutz wird belohnt, klimapolitische Abstinenz aber bestraft. Beide Gesetze schaffen Arbeitsplätze und
Wirtschaftswachstum.
Der Emissionshandel selber ist schon als politisches
Instrument eine Innovation. Es ist eine Alternative zum
Ordnungsrecht. Künftig regelt der Markt, wo CO2 am
kostengünstigsten eingespart wird. Gegenüber der
Selbstverpflichtung der deutschen Industrie bringt der
Emissionshandel den Unternehmen Einsparungen von
bis zu 500 Millionen Euro jährlich.
Ab 1. Januar nächsten Jahres soll der Emissionshandel in ganz Europa starten. Das ist ein sehr knapper Zeitplan. Wir sind, glaube ich, mit der Vorlage dieses Gesetzes diesem Zeitplan gerecht geworden. Mittlerweile
wissen wir: Wir haben 2 629 Anlagen, die vom Emissionshandel betroffen sind. Wir müssen alles tun, damit
zum 1. April der so genannte Nationale Allokationsplan der EU zur Notifizierung vorgelegt werden kann.
Die Richtlinie zum Emissionshandel ist eigenständiges europäisches Recht. Wir haben dieses Recht mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf unbürokratisch in nationales
Redetext
Recht umgesetzt. Es bedarf für die Unternehmen keines
neuen Genehmigungsverfahrens. Die Zertifikate werden
kostenlos vergeben. Die Emissionserklärungen der Unternehmen werden nicht umständlich überprüft, sondern
durch Gutachter zertifiziert. Auch deshalb ist dieses Gesetz nicht zustimmungspflichtig.
Der Emissionshandel funktioniert nur nach dem Prinzip „cap and trade“. Der „cap“ - also der Deckel - ist
vorgegeben. Deutschland insgesamt - private Haushalte,
Verkehr, Gewerbe, Industrie und Energiewirtschaft darf zwischen 2008 und 2012 nur noch 846 Millionen
Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Diese Obergrenze müssen alle Sektoren gemeinsam einhalten.
Über die Verteilung unterhalb dieses Deckels entscheiden zunächst Sie, also der Deutsche Bundestag. Dabei ist zu beachten: Der Emissionshandel ist ein System
kommunizierender Röhren. Anders gesagt: Was der eine
Sektor, was die eine Branche nicht schafft, das müssen
andere zusätzlich erbringen. Kommt zum Beispiel insgesamt mehr Braunkohle zum Einsatz, so muss etwa die
Autoindustrie schneller verbrauchsärmere Fahrzeuge auf
den Markt bringen.
({0})
Was man dem Verband der Elektrizitätswirtschaft Gutes
gibt, das muss der VDA bezahlen oder umgekehrt.
Das hört sich gelegentlich dramatischer an, als es ist,
insbesondere für Deutschland. Wir sind nämlich Spitzenreiter im Bereich des Klimaschutzes. Wir haben mit
21 Prozent zwar die höchste Reduktionsverpflichtung;
allerdings haben wir dieses Ziel mit 19,1 Prozent im
Jahre 2002 schon fast erreicht. Der Emissionshandel
wird es uns erleichtern, dieses Ziel zu erreichen. Die
Bundesregierung wird der Wirtschaft im Rahmen des
Emissionshandels nicht mehr und nicht weniger abfordern, als die Wirtschaft selbst in der Vereinbarung zur
Kraft-Wärme-Kopplung zugesagt hat. Danach will sie
gegenüber dem Jahre 1998 - damals haben diese Sektoren 508 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen - 45 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Die Wirtschaft hat damals
zugesagt, 35 Millionen Tonnen CO2 in den Bereichen
Energie und Industrie einzusparen und eine Minderung
von 10 Millionen Tonnen CO2 durch eigene Maßnahmen
in den Bereichen Haushalt und Verkehr nachprüfbar zu
realisieren. Auf dieser Geschäftsgrundlage werden der
Emissionshandel und die Verteilung der Rechte hier ablaufen.
Sie, der Bundestag, werden im Rahmen des Gesetzes
über den Nationalen Allokationsplan auch über die Allokationsregeln entscheiden. Wir wollen gerade bei diesen
Regeln dem Grundsatz folgen, dass Wachstum nicht
durch Konsum der Bürger, sondern vor allem durch Investitionen in die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen
erzeugt wird.
Der Emissionshandel soll Impulse für ein nachhaltiges Wachstum geben. Wir werden deswegen Regeln vorschlagen, wie mit bestehenden Anlagen und mit dem Ersatz bestehender Anlagen umzugehen ist, wie Early
Action, wie Kraft-Wärme-Kopplung zu berücksichtigen
ist und wie mit neuen Anlagen umzugehen ist. Wir wollen beispielsweise prozessbedingte Emissionen aus
Stahlwerken und Zementöfen ohne jeden Reduktionsfaktor übernehmen. Über diese Regeln sprechen wir zurzeit noch mit der Wirtschaft. Wir streben mit ihr ausdrücklich einen Konsens an. Wir sind da offen für
Vorschläge.
Aber auch hierbei gilt der Grundsatz: Es handelt sich
um ein System kommunizierender Röhren. Wer zum
Beispiel eine größere Reserve für Neuanlagen installieren muss, der muss wissen, dass dies notwendigerweise
zur Konsequenz hat, dass bei den bestehenden Anlagen
schärfere Reduktionsverpflichtungen bestehen. Das ist
die Folge dieses „cap“.
Wachstum durch Innovationen im Umweltbereich ist
auch ein Ziel des zweiten Gesetzes: der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Durch dieses Gesetz besteht bereits heute eine wichtige Branche; die erneuerbaren Energien sind eine Boombranche - 10 Milliarden
Euro Jahresumsatz, 135 000 Arbeitsplätze und 50 Millionen Tonnen CO2-Einsparungen jährlich -, die das
Klima schützt.
Diese Zahlen schlagen sich übrigens auch in einem
wachsenden Export nieder. Deutschland ist heute, beispielsweise was die Stromerzeugung aus Wind angeht,
Weltmarktführer. Wir sind mittlerweile die Nummer
zwei in der Solartechnologie. Wir liegen vor den USA
und knapp hinter Japan. Diese Novelle zielt darauf, den
Anteil der erneuerbaren Energien bis 2010 auf mindestens 12,5 Prozent und bis 2020 auf mindestens 20 Prozent der heutigen Stromversorgung zu erhöhen. Wir wollen damit auch eine Vorlage für die große Konferenz
„Renewables 2004“ geben, zu der Deutschland die Welt
im Juni dieses Jahres nach Bonn eingeladen hat.
Mit der vorliegenden Novelle wollen wir die Potenziale aller erneuerbarer Energien optimal erschließen.
Bei der Windkraft setzen wir Anreize, neue Anlagen an
guten Standorten aufzubauen und ältere Anlagen zu modernisieren. Windschwache Standorte werden nicht
mehr in dem Maße wie bisher gefördert. Die Degression,
das heißt der Druck, zur Marktfähigkeit zu kommen,
wird erhöht. Wir wollen Offshorewindparks gezielt fördern. Wir heben die Vergütung für Strom aus Biomasseanlagen an und verbessern die Förderung des Einsatzes
von hochmodernen Technologien wie Brennstoffzellen
in diesem Bereich. Mit der Härtefallregelung tragen wir
dafür Sorge, dass stromintensive Betriebe künftig stärker
entlastet werden.
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz bleibt ein kostengünstiges Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien. Die Stromumlage beträgt für einen privaten Haushalt etwa 1 Euro pro Monat. Wir haben aber auch
gesetzlich festgelegt, dass künftig nur noch die Kosten
auf die Stromverbraucher umgelegt werden dürfen, die
nachweislich von den erneuerbaren Energien verursacht
werden. Es kann nicht sein, dass einige Netzbetreiber,
wie das heute der Fall ist, 0,25 Cent, andere 0,42 Cent
und manche sogar mehr als 0,60 Cent umlegen. Das ist
bloße Abzockerei, die durch nichts zu rechtfertigen ist.
Dem schieben wir mit dem neuen EEG einen Riegel vor.
So etwas ist künftig illegal. Die neu zu schaffende
Wettbewerbsbehörde wird die Einhaltung der Regelungen genau überwachen.
({1})
Wir machen mit den beiden Gesetzen den Weg frei
für eine umfassende Modernisierung der Energieversorgung in Deutschland. Das hilft dem Klima, stärkt die
Wettbewerbsfähigkeit und sorgt massiv für Innovationen
in Deutschland.
Vielen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Peter Paziorek,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der Umsetzung der europäischen Richtlinie zum Emissionshandel und der Novelle zum EEG stehen wichtige
Weichenstellungen in der Umwelt- und der Energiepolitik in Deutschland bevor, Weichenstellungen, die in ihrer
Bedeutung und in ihren Auswirkungen auf den Industriestandort Deutschland nicht unterschätzt werden dürfen. Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, wir seien
bei der Meldung der Regelungen betreffend den Emissionshandel gemäß der europäischen Richtlinie im Zeitplan. Herr Minister, für die CDU/CSU-Fraktion bestreite
ich dies ausdrücklich.
({0})
Denn spätestens Ende März dieses Jahres müssen die
wesentlichen Regelungen betreffend die Zuteilung der
Emissionsberechtigungen für die 2 600 Anlagen in
Deutschland nach Brüssel gemeldet werden.
Wir hatten erwartet, dass die Bundesregierung heute
ein Konzept vorlegt, aufgrund dessen der Deutsche Bundestag beurteilen kann, nach welchen Grundregeln die
Emissionsberechtigungen den Industrieanlagen zugeteilt werden. Aber der Entwurf eines TEHG, das Sie
heute in erster Lesung vorgelegt haben, ist nichts anderes als der Entwurf eines reinen Verfahrens-, Zuständigkeits- und Organisationsgesetzes. Sie wollen lediglich
aufgrund einer Kabinettsentscheidung die Regelungen
betreffend die Zuteilung der Emissionsberechtigungen
nach Brüssel melden, ohne dem Parlament vorher die
Möglichkeit zu geben, Einfluss zu nehmen. Das halten
wir mit der Stellung des Parlaments für nicht vereinbar.
({1})
Herr Minister, wenn ich mir das Verfahren zur Härtefallregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das
Verfahren zum EEG-Vorschaltgesetz und den Terminplan für die Einführung des so genannten Dosenpfands
anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass Sie immer
nach dem gleichen Prinzip arbeiten: Zuerst werden Informationen gegeben. Dann wird plötzlich ein Fahrplan
auf den Tisch gelegt, der für Zeitdruck sorgt, sodass im
Ausschuss oder im Bundestag kurzfristig entschieden
werden muss, auch wenn es sich um wichtige parlamentarische Fragen handelt. Wir haben den Eindruck, dass
bei Ihnen Zeitdruck inzwischen auch Methode ist, um in
wichtigen politischen Fragen Ihre Weichenstellungen
durchzusetzen. Das werden wir bei dieser wichtigen
Frage unter keinem Gesichtspunkt mehr akzeptieren.
({2})
Sie haben Recht, wir stehen hinter der Sache: Emissionshandel, wenn man ihn richtig macht, bedeutet ein
überzeugendes marktwirtschaftliches Programm, nicht
nur reines Ordnungsrecht. Aber hierbei geht es auch um
die Frage, welchen Sektoren, welchen Bereichen der
Wirtschaft - das geht von der Zement-, Stahl-, Alu-Industrie bis hin zu Kraftwerken zur Stromerzeugung Berechtigungen zugeteilt werden. Die Menge der Berechtigungen entscheidet später darüber, welche wirtschaftlichen Produktionen in welchem Umfang in einem
Bereich tatsächlich noch realisiert werden können.
Sie sagen ganz einfach: Wir können in dieser Hinsicht
jetzt erst einmal unter Vorbehalt Meldungen nach Brüssel geben. Wenn sich Brüssel zurückmeldet, dann soll in
einem Gesetz zum Nationalen Allokationsplan dieses
Parlament über diese wichtigen Weichenstellungen entscheiden. - So können Sie das doch nicht machen! Die
Position der Unionsfraktion ist klar und eindeutig: Beides gehört zusammen. Sie müssen das Verfahrensgesetz
vorstellen und Sie müssen sagen, nach welchen Prinzipien und Regeln Sie welche Mengen den einzelnen Sektoren zuteilen wollen. Erst danach kann das Parlament
überhaupt darüber entscheiden, ob ihr Vorschlag richtig
ist. Das tun Sie nicht. Damit versagen Sie auch in dieser
Frage.
({3})
Eines ist ebenfalls klar: Die Europäische Union gibt
den einzelnen Staaten in dieser Angelegenheit ganz gewaltige Entscheidungsmöglichkeiten. Jeder Staat kann
die Schwerpunkte anders setzen. Aus dem Grunde muss
das Parlament natürlich wissen, welche Schwerpunkte
die Regierung wirklich setzt. Um auf Ihren Zwischenruf
einzugehen, Herr Kelber: Ich habe solche Schwerpunkte
heute nicht gehört, obwohl ich dem Minister sehr konzentriert zugehört habe. Der Minister hat vorhin erklärt,
warum das bei den Gesprächen mit der Wirtschaft im
Augenblick noch ein offener Streitpunkt ist. Dazu hat
der Staatssekretär im Ausschuss zwei Stunden lang sehr
ruhig im Detail und umfassend berichtet, wie ich zugebe.
Aber die von mir im Ausschuss gestellte entscheidende
Frage, nämlich wie das Mengengerüst tatsächlich aussehen soll, konnte er nicht beantworten.
({4})
Herr Minister, auch eben haben Sie zu dem Mengengerüst im Konkreten nichts gesagt. Sie haben erklärt,
dass das alles gar nicht so dramatisch sei und dass
Grundlage der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft die KWK-Vereinbarung aus den Jahren 2000/01
sei. Dabei geht es um eine Reduktion der CO2-Emissionen um 45 Millionen Tonnen. Aber es ist bekannt, dass
strittig ist, wie viel von diesen 45 Millionen Tonnen CO2
einer Regelung über Emissionshandel oder dem sonstigen gesetzlichen Regelwerk zuzurechnen ist. Da bestehen unterschiedliche Vorstellungen. Da gibt es eine Basisvorstellung von 21 Millionen Tonnen CO2 sowie
mittlere Vorstellungen - selbst die Regierung sagt, alles
über 45 Millionen Tonnen CO2 brauche nicht abgerechnet zu werden - und nach Ihren Vorstellungen sollen es
36 Millionen bis 37 Millionen Tonnen CO2 sein. Warum
sagen Sie das dem Parlament nicht? Warum sagen Sie
nicht, dass es noch ganz gewaltige Unterschiede zwischen den beiden Grundpositionen gibt? Diese Grundsatzpositionen sind ganz interessant. Da kann man doch
nicht sagen: Wenn die sich in der Wirtschaft insgesamt
nicht einigen, dann sollen sich die Stahl- und Zementindustrie oder die Zement- und Alu-Industrie an einen
Tisch setzen, vielleicht irgendwo am schönen Rhein, und
sich darüber unterhalten, wer was übernimmt.
Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Regierung ist dafür
gewählt, dass sie ihre Hausaufgaben macht. Wenn Sie
von der Regierung ihre Hausaufgaben nicht machen,
dann sollten Sie zurücktreten; dann haben Sie ihre Aufgabe nicht erfüllt.
({5})
Unter diesem Gesichtspunkt wäre es wirklich gut gewesen, Herr Minister, wenn uns heute alles zusammen in
einem Konzept vorgelegt worden wäre. Für uns als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion bilden das TEHG - nur
den Entwurf dazu haben Sie heute vorgelegt - und der
Nationale Allokationsplan eine untrennbare Einheit.
Beide können nicht losgelöst voneinander behandelt
werden. Beide sind inhaltlich eng verzahnt. Deshalb
müssen auch beide gemeinsam im Parlament behandelt
werden. Wir lehnen Ihren Vorschlag ab, TEHG und Nationalen Allokationsplan getrennt zu behandeln.
Deshalb fordern wir Sie auf, Herr Minister, jetzt
schnellstens, noch in der nächsten Sitzungswoche im Januar, Ihre Vorstellungen zum Nationalen Allokationsplan konkret vorzulegen, damit dieses Parlament beurteilen kann, wie sich Ihre umweltpolitischen
Vorstellungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Arbeitsplätze, auf den Wirtschaftsstandort Deutschland und
auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auswirken können. Sie sind verpflichtet, dies so
schnell wie möglich vorzulegen.
({6})
- Wenn offenbar von der Regierungsbank gerufen wird
„Sehr richtig!“, dann sollte das - so meine Bitte - protokollarisch festgehalten werden; denn das werden wir bei
der Debatte sicherlich noch einmal gebrauchen können.
Nur eines ist klar: Wer von uns verlangt, heute A zu
sagen, der muss auch sagen, was auf uns noch zukommt,
bevor er von uns verlangt, auch B zu sagen.
({7})
Diese Emissionsberechtigungen sind nämlich nichts anderes als Lebensmittelmarken für die deutsche Wirtschaft. Somit entscheidet sich hierdurch, welche Bereiche in Deutschland zukünftig noch einen produktiven
und positiven Beitrag für den Arbeitsmarkt leisten können. Deshalb müssen Sie in dieser Frage alle Fakten auf
den Tisch legen; sonst können wir als Opposition dieser
Vorlage nicht zustimmen. Es geht nicht an, von uns zu
fordern, einem Gesetz zuzustimmen, in dessen § 7 die
Kompetenz zur Erarbeitung weiterer Regelungen an
Bundestag und Bundesrat sowie die Bundesregierung
gegeben wird. Sie müssen uns schon bei der Beratung
dieses Gesetzes sagen, welche Regeln Sie uns tatsächlich vorlegen wollen; sonst können Sie nicht erwarten,
dass wir dem TEHG zustimmen.
Noch einige kurze Ausführungen zum ErneuerbareEnergien-Gesetz: Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU
bekennt sich zu dem Ziel, den Anteil der erneuerbaren
Energien in Deutschland zu erhöhen.
({8})
Das haben wir im Wahlprogramm festgeschrieben. Wir
bekennen uns auch zu dem Ziel, die EU-Richtlinie umzusetzen und bis zum Jahre 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 12,5 Prozent zu erhöhen. So lautet
unsere klare Aussage.
({9})
Genauso treffen wir aber auch die klare Aussage:
Wenn Sie an dem Gesetzesentwurf zum EEG festhalten
und keinen Kompromiss anstreben, wird die Union diesem Gesetzesentwurf nicht zustimmen. Sie verschlechtern die Situation für die Biomasse; Sie verschlechtern
die Situation für die Wasserkraft. Sie setzen zwar durchaus interessante und richtige Schwerpunkte beim so genannten Repowering, der Erneuerung bestehender
Windkraftanlagen, und wir sind auch durchaus offen
für Beratungen über Offshore-Windenergieanlagen, zum
Beispiel im Bereich von Nord- und Ostsee. Es geht aber
nicht an, dass Sie das allgemeine Bekenntnis zur Windenergie so ausgestalten, dass weiterhin Mitnahmeeffekte
beim Bau von Windenergieanlagen an windungünstigen
Standorten im Binnenland möglich sind. Das wollen wir
nicht.
({10})
Wir wollen, dass die Schwerpunkte bei der Windenergie
im Binnenland anders gesetzt werden.
Im gleichen Atemzug weise ich auch darauf hin, dass
die Unionsfraktion dem Vorschaltgesetz trotz großer Bedenken zum Verfahren in Sachen Photovoltaik bzw. Solar - ich habe das vorhin geschildert - vor Weihnachten
zugestimmt hat. Wir haben damit deutlich gemacht, dass
auch wir die erneuerbaren Energien ernst nehmen und
sie stärken wollen. Es kann aber nicht sein, dass Sie, um
Ihr Klientel zu streicheln, ganz bestimmte Sektoren im
Bereich der erneuerbaren Energien weiter stützen und
zum Beispiel die Chancen, die die Biomasse bietet, vernachlässigen. Das ist nicht richtig. Gerade die Biomasse
bietet die Chance, die Konflikte, die im Binnenland teilweise bei Windkraftanlagen entstehen, zu vermeiden
oder zu lösen. Deshalb sagen wir: Wenn die Schwerpunkte nicht anders gesetzt werden als in Ihrer Vorlage,
dann kann eine Zustimmung nicht erfolgen.
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch etwas
Grundsätzliches sagen: Die Unionsfraktion bekennt sich
zu dem Verdopplungsziel bis zum Jahr 2010. Sie aber
schreiben in diesem Gesetzentwurf schon eine weitere
Zielvorstellung fest, nämlich bis zum Jahre 2020 den
Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent zu
steigern. Wir waren doch gemeinsam der Auffassung,
dass die derzeitigen Umlagen - Sie sagen immer, es handele sich nicht um Subventionen; ich würde sie als indirekte Subventionen bezeichnen - daraufhin geprüft werden müssen, ob sie tatsächlich den erneuerbaren
Energien zur Marktreife verhelfen; denn irgendwann
müssen die erneuerbaren Energien im Vergleich zu den
bisherigen Energieangeboten konkurrenzfähig sein.
({11})
Aus dem Grunde muss geprüft werden, ob die erneuerbaren Energien eines Tages tatsächlich ohne Umlagen,
also ohne indirekte Subventionen, auskommen. Deshalb
ist es richtig, dass man die gesetzliche Förderung auf das
Jahr 2010 begrenzt. Wenn Sie aber heute schon davon
reden, dass Ihre Zielvorstellungen bis zum Jahr 2020 reichen, dann bedeutet das doch im Klartext, dass die Prüfung im Jahre 2010 keinerlei Bedeutung hat.
({12})
Das wollen wir nicht.
Wir sind bereit, das Verdopplungsziel bis zum Jahre
2010 mitzutragen. Wir machen aber nicht mehr mit,
wenn Sie heute schon gesetzgeberische Vorgaben für die
Jahre 2020 ff. erlassen. Das wäre nämlich ein Verstoß
gegen den Grundsatz, dass immer wieder überprüft werden muss, ob erneuerbare Energien konkurrenzfähig
sind. Aus dem Grunde richten wir die dringende Aufforderung an Sie, auch in diesem Punkt das Gesetz zu ändern; sonst können wir nicht zustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kelber, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir am Freitagmorgen, zur so genannten Kernzeit, über Klimaschutz sprechen. Das wird
der Bedeutung des Themas durchaus gerecht. Ganz genau geht es heute um ein neues Instrument für den Klimaschutz in Europa und in Deutschland: den Emissionshandel, also den Handel mit einer immer kleiner
werdenden Zahl von Berechtigungen für die Emission
schädlicher Treibhausgase, um punktgenau klimapolitische Ziele erreichen zu können.
Zum ersten Mal sprechen wir heute über den Emissionshandel anhand eines konkreten Gesetzentwurfs.
Auch das macht eine neue Qualität der Diskussion aus.
Stichwort Qualität der Diskussion: Herr Paziorek, ich
fand es überzeugend, wie Sie das entschiedene Jein der
CDU/CSU zur Förderung der erneuerbaren Energien
vorgetragen haben und wie Sie wieder einmal einen Spagat geschafft haben, indem Sie einerseits sagen, das Parlament solle beim Emissionshandel entscheiden, sich
aber andererseits beschweren, dass die Regierung keine
Schwerpunkte setze. Ich habe darauf gewartet, dass Sie
einmal Ihre Position zu den wichtigen Inhalten des
Emissionshandels darstellen. Sind Sie wirklich immer
darauf angewiesen, dass Jürgen Trittin und die SPD für
Sie vordenken? Oder haben Sie auch eine eigene Meinung zu dem Thema?
({0})
Bei der Förderung erneuerbarer Energien erkennt
auch der Laie ziemlich schnell den Zusammenhang zwischen der Maßnahme selbst und dem Klimaschutz. Beim
Emissionshandel ist dieser Zusammenhang für viele Beobachter nicht direkt erkennbar. Mikroallokation, Makroallokation, Erfüllungsfaktor, Zertifikate, Derivate,
Banking, Borrowing - das sind unglaublich viele neue
Begriffe, die eher verwirren als klar machen, worum es
geht.
Bei all diesen neuen Begriffen droht der eigentliche
Zweck des Emissionshandels manchmal in den Hintergrund zu geraten. Deswegen noch einmal ganz deutlich:
Wer wie viel Geld mit dem Handel von Zertifikaten
verdienen kann, ist völlig zweitrangig. Entscheidend ist:
Ist dieses Instrument geeignet, zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten unsere Klimaschutzziele punktgenau zu erfüllen?
({1})
Schaffen wir es, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren?
Der Erfolg hängt auch davon ab, ob wir die Funktionsweise und den Sinn des Emissionshandels einer
breiten Bevölkerungsschicht deutlich machen können,
ob wir erklären können, dass der Emissionshandel ein
Instrument ist, um punktgenau ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen. Dazu werden die knapp 60 Prozent
des Kohlendioxidausstoßes in Deutschland, für die die
großen Kraftwerke und Industrieanlagen verantwortlich
sind, individuell auf die einzelnen gut 2 500 Anlagen
- ganz genau sind es zurzeit 2 629 Anlagen - aufgeteilt.
Bis zum Jahr 2012 muss jede Anlage ihre Emission
von Treibhausgasen um eine bestimmte Menge reduzieren. Das ist der für den Klimaschutz wichtige Teil. Gut
ist, dass jedes Unternehmen den kostengünstigsten Weg
wählen kann: Es kann entweder die Emissionen wie vorgegeben zum Beispiel durch technische Maßnahmen
selbst reduzieren, es kann die Klimaschutzziele übererfüllen und nicht mehr benötigte Emissionsrechte an andere verkaufen oder es kann solche Rechte von anderen
Firmen zukaufen.
Ohne bürokratischen Aufwand werden wir so unsere
Klimaschutzziele erreichen. Da die deutschen Firmen als
Gesamtheit die Klimaschutzziele bis 2012 sogar übererfüllen werden - davon gehe ich aus -, werden sie
Emissionsrechte an Firmen in anderen europäischen
Ländern für viel Geld verkaufen können. Wir werden
also die Klimaschutzziele erfüllen und gleichzeitig als
Volkswirtschaft Geld verdienen. Mehr kann man von einem Gesetz nicht erwarten.
Ich wiederhole noch einmal: Emissionshandel ist ein
Instrument für den Klimaschutz. Anstrengungen für den
Klimaschutz sind wichtiger denn je. Es gibt sehr viele
negative Entwicklungen und bisher nur wenige positive
Nachrichten. Wir haben gestern über die Weigerung
Russlands gesprochen, das Kioto-Protokoll, durch das
der Klimaschutz erweitert werden soll, zu ratifizieren
und damit in Kraft zu setzen. Das ist eine negative Nachricht. Die Verweigerungshaltung der USA beim Klimaschutz insgesamt ist die größte Negativbotschaft, weil
dieses Land der Hauptklimakiller ist und auf Kosten anderer Gesellschaften und vor allem künftiger Generationen lebt. Negativ sind auch neue Erkenntnisse über das
Ausmaß bisheriger Klimaveränderungen, die größer sind
als angenommen. Negativ sind neue Erkenntnisse über
die Gefahr eines Zusammenbruchs des Golfstroms durch
eine Veränderung des Salzgehalts im Nordatlantik. Die
Folge wären drastische, schnelle Klimaveränderungen in
Europa.
Negativ sind auch die neuen Erkenntnisse über einen
schnellen, massiven Anstieg des Meeresspiegels durch
Eisrutsch. Die Gletscher in Grönland und in der Antarktis sind instabiler als gedacht. Wenn sie einmal abrutschen, können sie innerhalb weniger Jahre einen Anstieg
des Meeresspiegels um viele Meter bewirken.
Es gibt aber auch Hoffnungszeichen. Der Emissionshandel der EU ist ein solches Hoffnungszeichen. Aber
auch die Erfolge Deutschlands und Großbritanniens
bei der Minderung der Emission von Treibhausgasen
sind positive Signale. Es ist doch nicht seltsam, dass gerade die beiden großen Länder der EU, die auf diesem
Gebiet die größten Erfolge aufweisen können, nämlich
Großbritannien und Deutschland, darauf drängen, dass
man für die Zeit nach 2012 weitere ehrgeizige Ziele
steckt. Wir haben bewiesen, dass solche Ziele erreicht
werden können. Wir haben bewiesen, dass Klimaschutz
nicht mit Wohlstandsverlust, sondern mit Wohlstandsgewinn - Stichwort „Emissionshandel“ - verbunden sein
kann.
({2})
Die enormen Wachstumsraten beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind ebenfalls ein Pluspunkt für
den Klimaschutz. Natürlich sind wir stolz darauf, dass
Deutschland auf diesem Gebiet Weltspitze ist.
Nach dem Eigenlob für Deutschland möchte ich aber
auch darauf hinweisen, dass China, ein Land mit riesigen Wirtschaftswachstumsraten, angekündigt hat - das
ist eine der besten Nachrichten -, mit dem Ziel modernisieren zu wollen, die Kohlendioxidemissionen zu senken
und nicht zu erhöhen.
({3})
Fazit: Es gibt einige positive Beispiele. Es bieten sich
Chancen für den Klimaschutz.
Zurück zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz.
Heute findet die erste Lesung statt. Am 9. Februar gibt
es eine öffentliche Anhörung des Bundestages. Das Gesetz wird viele technische und juristische Einzelheiten
zum Ablauf des Emissionshandels regeln. Das noch
spannendere Gesetz, das Gesetz zum Nationalen Allokationsplan, wird regeln, welche Anlage wie viel emittieren darf und wie stark die Emissionen vermindert werden müssen. Dieses Gesetz wird noch kommen.
Nach der Anhörung im Umweltausschuss werden wir
natürlich über die Details des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes diskutieren. Zu drei Grundsätzen
möchte ich aber kurz etwas sagen.
Ich halte es für richtig, keine neue Bürokratie für die
Überwachung und Erfassung der Anlagen aufzubauen,
sondern auf die bewährten Instrumente der Bundesländer zu setzen.
Ich halte es für richtig, keine neue Behörde zur Verwaltung der Emissionszertifikate zu schaffen, sondern
diese Aufgabe dem Umweltbundesamt anzuvertrauen.
Ich halte es ferner für richtig, dass das Parlament die
Grundsätze festlegt, nach denen die Verteilung stattfindet. Wir sollten uns aber nicht um die Verteilung der
Emissionen auf 2 629 Anlagen kümmern müssen, sondern die Verteilung in einer Verordnung regeln.
Das sind drei wichtige Festlegungen, die im Gesetz
vorgesehen sind, die wir so auch umsetzen sollten.
Parallel zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz
findet bereits die Diskussion über den Nationalen Allokationsplan statt. In den letzten Tagen wurden frühere
Aussagen von Wirtschafts- und Oppositionsvertretern
über Ausnahmen und Sonderwünsche im Emissionshandel zurückgenommen oder nur noch sehr leise vertreten.
Der Grund dafür ist klar: Jeder dieser Sonderwünsche
hat eine ganz eindeutige Folge. Die Anzahl der Emissionsberechtigungen ist durch die Klimaschutzziele begrenzt. Jeder Sonderwunsch, jede Ausnahme führt dazu,
dass anderen Kraftwerken und anderen Industrieanlagen
höhere Auflagen auferlegt werden müssten und sie demzufolge mit Mehrkosten für den Klimaschutz belegt würden. Das heißt, jede Ausnahme, die Sie fordern, führt
dazu, dass andere stärker belastet werden. Auch das
muss man der Öffentlichkeit deutlich machen.
Noch eines muss gelten: Der Emissionshandel darf
nicht zur Bevorzugung der Anlagen heutiger MarktteilUlrich Kelber
nehmer gegenüber den Anlagen zukünftiger Marktteilnehmer führen. Manche Wirtschaftsverbände vertraten
seltsame Vorstellungen, die aus meiner Sicht mit Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun hatten.
Letztlich muss auch die freiwillige Klimaschutzvereinbarung der deutschen Industrie erfüllt werden. Sie
kann nicht wegdefiniert werden. Gleichzeitig muss die
deutsche Wirtschaft aber auch das Signal erhalten, dass
sie infolge des Emissionshandels nicht mit Mehrbelastungen belegt wird.
Parallel zur Einführung des EU-Emissionshandels
müssen wir uns um andere nationale und internationale
Instrumente des Klimaschutzes kümmern. Wir brauchen
eine Weiterentwicklung des nationalen Klimaschutzprogramms.
Wir müssen uns darum kümmern, dass das Kioto-Protokoll in Kraft gesetzt wird, und darum weiterhin Druck
auf Russland ausüben; darüber haben wir gestern diskutiert. Erst dann können wir die flexiblen Instrumente im
EU-Emissionshandel ebenfalls einsetzen. Erst dann kann
der Export von Klimaschutztechnologien erfolgen und
eine Kooperation mit anderen Industriestaaten und Entwicklungsländern aufgebaut werden.
Über die Zeit nach 2012 müssen wir nachdenken; wir
müssen über so etwas wie Kioto II nachdenken. Wir
brauchen eine weitere deutliche Senkung der Emission
von Treibhausgasen. Diese Koalition hat eine weltweit
anerkannte Schrittmacherfunktion übernommen, indem
sie gesagt hat: Wenn sich die EU zu einer Minderung um
30 Prozent bekennt, dann schaffen wir in Deutschland
auch eine Minderung um 40 Prozent.
({4})
Um mit den Schwellen- und Entwicklungsländern
als Partner im Klimaschutz deutlich zusammenarbeiten
zu können, braucht es ein klares und bestimmtes Bekenntnis, nämlich dass auf lange Sicht jeder Mensch für
die gleiche Menge an Emissionen von Treibhausgasen
verantwortlich sein muss, egal wo er wohnt. Es kann
nicht sein, dass der Norden mit 20 Prozent der Bevölkerung auf Dauer für 80 Prozent der Emission von Treibhausgasen verantwortlich ist. Jeder hat die gleichen
Rechte; das ist die einzige demokratische Möglichkeit.
({5})
Können wir das schaffen? - Ja. Die dazu notwendigen
Technologien sind vorhanden bzw. in wenigen Jahren
entwickelbar. Wir schaffen das!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute nach der Debatte, die wir gestern über das
Kioto-Protokoll geführt haben, die Einführung des
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes und die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz.
Die Einführung des europäischen Emissionshandels
ist im Prinzip eine gute Nachricht. Eine nachhaltige Klimapolitik verlangt, dass pro eingesetztem Euro so viel
Treibhausgase wie möglich vermieden werden. Oder andersherum gesagt: Es geht darum, Treibhausgasemissionen so kostengünstig wie möglich zu verringern. Dazu
kann der Emissionshandel einen wesentlichen Beitrag
leisten. Ich freue mich, dass diese Erkenntnis, die die
FDP seit den 80er-Jahren vertritt, in diesem Hause zwischenzeitlich mehrheitsfähig geworden ist.
({0})
Die FDP war die erste Fraktion, die dazu konkrete
Vorschläge gemacht hat.
({1})
Unermüdlich haben wir unsere Vorstellungen zum Emissionshandel und auch zur Förderung regenerativer Energien hier im Deutschen Bundestag eingebracht. Da fragt
sich natürlich: Was hat eigentlich die Bundesregierung
in all diesen Jahren getan, Herr Trittin?
({2})
Sie haben vorhin Kriterien formuliert und gesagt, eine
rechtzeitige Einführung sei von großer Bedeutung. Dazu
kann ich nur feststellen: Noch im letzten Jahr, und zwar
im Juni 2003, hat nicht nur Ihr Kollege Clement, sondern auch Bundeskanzler Schröder beispielsweise in der
„FAZ“ erklärt, wir brauchten den Emissionshandel nicht.
({3})
Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie davon
sprechen, man müsse ein solches Instrument rechtzeitig
einführen, weil es ein völlig neues Instrument sei und
sich die Beteiligten darauf einstellen müssten, dann haben Sie, Herr Trittin, an dieser Stelle mit Ihrer Verweigerung in den letzten Jahren großen Schaden angerichtet.
Sie sind schuld daran, dass es hier im Augenblick Unsicherheit gibt.
({4})
Nun droht also das Kind in den Brunnen zu fallen.
Die Spielregeln des europäischen Emissionshandels
wurden weitgehend ohne die Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Nun wird mit heißer Nadel und in aller
Eile die Umsetzung vorbereitet. Es gibt durchaus Anlass
zur Sorge, dass ein Debakel droht und dass ein hocheffizientes Instrument in einem rot-grünen chaotischen und
bürokratischen Monster endet.
({5})
Allein die Tatsache, dass die Ökosteuer, die KWK-Regelungen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das BundesImmissionsschutzgesetz und diverse Selbstverpflichtungen mit dem Emissionshandel verknüpft werden müssen, macht das ganze Drama deutscher Regelungswut
deutlich.
({6})
Die FDP hat seit langem für die Einführung des Emissionshandels plädiert. Denn wir halten es für ein überlegenes Instrument. Deshalb stellt sich die Frage, warum
die vorgelegten Regelungsentwürfe im Augenblick
kaum Freude auslösen. Eine aktuelle Umfrage bei den
Unternehmen hat jüngst ergeben, dass rund 75 Prozent
der Unternehmen mit einer Verteuerung ihrer Produkte
durch den Emissionshandel rechnen und nicht etwa mit
einer Vergünstigung, um die es hier ja geht. Wir wollen
doch die Verringerung der Emissionen kostengünstiger
organisieren. Die Unternehmen gehen nicht davon aus,
dass das gelingt. Dazu kann ich nur sagen: Das größte
Problem in diesem Zusammenhang sind rechtliche Unsicherheiten, die dafür sorgen, dass die Unternehmen
derzeit keine verlässliche Investitionsplanung vornehmen können.
({7})
Herr Trittin, Sie haben jüngst geäußert, Sie wollten,
dass der Kraftwerkspark erneuert werde, weil damit
1 Tonne CO2 deutlich günstiger vermieden werden
könne als beispielsweise durch die Förderung der Windenergie.
({8})
Das finde ich lobenswert. Allerdings sind die Bedingungen natürlich nicht klar. § 12 Ihres Entwurfes eines Gesetzes zum Emissionshandel bietet die Möglichkeit, gegen die Zuteilung von Emissionsrechten Widerspruch zu
erheben. Der Widerspruch hat aber keine aufschiebende
Wirkung. In § 15 wird die Rechtsnatur der Emissionshandelsrechte verschwiegen: Es ist völlig unklar, ob es
sich dabei um Waren handelt, also um handelbare Eigentumsrechte, oder ob es sich etwa um Wertpapiere handelt
und deswegen womöglich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auch noch darüber eine Aufsicht
ausübt. In diesen Punkten besteht völlige Unklarheit. Solange diese nicht beseitigt ist, Herr Trittin, so lange kann
die Wirtschaft nicht entscheiden, weil sie keine verlässliche Basis hat. Das ist das Ergebnis schlampiger Vorbereitung durch Sie.
({9})
Ohnehin gilt die mit immensem Aufwand ermittelte
Datenbasis für den Emissionshandel als mangelhaft. Ein
Sprecher des Bundesumweltministeriums wird mit der
Aussage zitiert, man habe noch keinen Überblick. Intern
geht man in Ihrem Hause davon aus, dass die Daten
schlicht unzutreffend sind. Wer ein Softwarepaket zur
Ermittlung der Daten mehrfach ändert - in kürzestem
Zeitraum -, der braucht sich nicht zu wundern, wenn Daten nicht stimmen, der braucht sich auch nicht zu wundern, dass es dann zwischen Ihnen, Herr Trittin, und
Herrn Clement Differenzen gibt in der Frage, wie CO2Minderungen eigentlich zu bewerten sind, die für die
Unternehmen zum Schluss zwischen 80 und 240 Millionen Euro Kosten ausmachen werden.
({10})
Diese Differenzen haben Sie nicht geklärt. Das hängt alles mit der mangelnden Datenbasis zusammen.
({11})
Man hätte das alles vernünftig vorbereiten können; wir
haben Sie in den letzten Jahren mehrfach dazu aufgefordert. Sie haben das alles ignoriert; deswegen haben Sie
jetzt die Verantwortung zu tragen.
({12})
Nicht zuletzt auch deshalb gibt es Schwierigkeiten,
weil das wichtigste und entscheidendste Element des
Emissionshandels, der so genannte Nationale Allokationsplan, vom Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz
getrennt ist. Genau an dieser Stelle werden die Anfangszuteilungen entschieden werden. Wir diskutieren hier
also über die - wenn Sie so wollen - berühmte „Dame
ohne Unterleib“, Herr Minister. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, das sei eine Parodie auf
rot-grüne Umweltpolitik. Aber leider ist die Sache unglaublich ernst.
({13})
Deswegen müssen wir in den Beratungen darauf hinwirken, dass wir die Sache zu einem vernünftigen Abschluss bringen.
Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, nämlich
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Da sieht es leider
kaum besser aus. Dass heute die EEG-Novelle und das
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz gemeinsam beraten werden, ist ein Produkt parlamentarischer Ablaufplanung. Eigentlich müsste es viel mehr sein: Es müsste
nämlich gewollt sein. Ist es denn nicht so, dass der Emissionshandel ein wichtiges Element des Klimaschutzes ist
und dieser wiederum - neben anderen Aspekten - ein
zentrales Argument für die Förderung der erneuerbaren
Energien ist? Wenn das so ist, dann muss man offensichtlich die Förderung erneuerbarer Energien mit der
internationalen Klimapolitik verbinden.
({14})
Nichts liegt näher und nichts anderes wird dringender
gebraucht. Von nichts anderem, Herr Trittin, ist diese
Bundesregierung weiter entfernt, als tatsächlich hier eine
Verknüpfung herzustellen. Sie haben auch das in den
letzten Jahren vollkommen verschlafen.
({15})
Sie haben nach wie vor keine langfristige Klimaschutzstrategie. Wenn Sie hier von einem Gesamtkonzept reden, kann ich Ihnen nur sagen: Wir wollen die Verknüpfung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem
Klimaschutz und wir sind der Meinung, dass an dieser
Stelle das EEG durch ein modernes Instrument ersetzt
werden muss, nämlich durch ein marktwirtschaftliches
Fördermodell.
Wir müssen auch in der Speichertechnologie vorankommen, um zu erreichen, dass die regenerativen Energien auf Dauer grundlastfähig werden. Wenn sie grundlastfähig werden, dann müssen wir die Netze nicht mehr
ausbauen, dann müssen wir die bisherige Regelenergie
nicht mehr vorhalten, dann haben wir eine große Entwicklungschance für die erneuerbaren Energien. Das
will die FDP, meine sehr verehrten Damen und Herren,
und das kapiert diese Bundesregierung nicht.
({16})
Die FDP wird sich - wie immer - konstruktiv an den
Beratungen beteiligen. Die FDP hat einen großen Anteil
daran, dass das Instrument des Emissionshandels politisch mehrheitsfähig wurde. Wir sind überzeugt, dass es
ein überlegenes Instrument ist, dass man klimapolitische
Ziele zu den geringsten Kosten realisieren kann. Deshalb
wird die FDP alles daransetzen, dass dieses Instrument
funktionsfähig wird, dass wir es vernünftig nutzen können und dass es nicht durch grünen Dilettantismus kaputt
gemacht wird.
Vielen Dank.
({17})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Marco Bülow,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Aus meiner Sicht ist der Klimawechsel das größte
Problem, mit dem wir es heute zu tun haben. Er ist
noch ernster zu nehmen als die Terrorgefahr.
Diese Worte von David King, dem obersten wissenschaftlichen Berater von Tony Blair, waren neulich in
der Zeitschrift „Science“ zu lesen. Ich glaube, dieser
Mann hat völlig Recht. In vielen Debatten muss man leider erkennen, dass viele immer noch nicht wissen, um
was es hier geht. Wir stehen mitten in einem Klimawandel und er ist tatsächlich eines der größten Probleme,
wenn nicht das größte Problem.
Wir sprechen häufig - das merkt man an den Wortbeiträgen - über Formalia: wann was eingereicht wurde
usw. Es geht aber darum, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels, in dem wir mittendrin stecken,
einzudämmen. Ich halte nichts von Horrorszenarien.
Deswegen bin ich dafür, darüber zu sprechen - das haben wir getan -, mit welchen Maßnahmen man gegen
den Klimawandel zu Felde ziehen kann und vor allen
Dingen welche Chancen mit dem Klimaschutz verbunden sind.
Auf eine der Maßnahmen zum Klimaschutz ist Herr
Kelber heute schon eingegangen, nämlich den Emissionshandel. Durch moderne Kraftwerke kann Energie
eingespart und können CO2-Emissionen gesenkt werden.
Unser Kraftwerkspark und fast alle Kraftwerke in Europa sind veraltet. Darüber müssen wir sprechen. Wir
müssen über die Vermeidung von CO2 sprechen - auch
das tun wir. Beispielsweise würde die Abschaltung aller
Standby-Geräte dazu führen, dass ein Atomkraftwerk
überflüssig wird. Auch die Förderung der erneuerbaren
Energien - damit komme ich zu dem Thema, das heute
auf der Tagesordnung steht - ist eine wichtige Maßnahme. Die Verknüpfung mit dem Klimaschutz müsste
selbst der FDP mittlerweile offensichtlich sein.
Zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG. Es ist das weltweit erfolgreichste Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien. Das
wird in allen Studien bestätigt, das sagen alle Wissenschaftler.
({0})
Ich meine, wir sollten das auch in Deutschland langsam
zur Kenntnis nehmen.
({1})
Erfolgreich ist es vor allen Dingen deshalb, weil es mithilft - das ist die konkrete Verknüpfung mit dem Klimaschutz -, 50 Millionen Tonnen CO2 in Deutschland zu
vermeiden. Aber nicht nur das: Fast 50 Millionen Tonnen weiterer Luftschadstoffe, die immer unter den Tisch
fallen, die aber auch sehr wichtig sind, werden durch die
Förderung der erneuerbaren Energien vermieden.
({2})
Das EEG ist auch ein Beschäftigungsprogramm.
135 000 Menschen sind im Bereich der erneuerbaren
Energien beschäftigt; das ist eine Beschäftigungswirksamkeit, die kein anderer Energiebereich erreicht.
Es ist ein Mittelstandsprogramm, weil die Menschen,
die im Bereich der erneuerbaren Energien in Arbeit gebracht werden, und die Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, hauptsächlich im Mittelstand angesiedelt sind;
das fordern wir ja auch immer.
Es ist ein Technologieprogramm, das eine innovative
und moderne Technologie fördert, die Zukunft hat und
bei der Deutschland an der Spitze mitmacht.
Deswegen ist es auch ein Exportprogramm. Wenn
sich die Technologien weiter durchsetzen und auch andere Länder darauf bauen - das tun sie; sie kopieren das
EEG zunehmend -, werden wir die Möglichkeit haben,
diese Technologien zu exportieren.
Es ist auch ein Sicherheitsprogramm. Wir wissen,
dass viele fossile Ressourcen in Ländern und Regionen
zu finden sind, in denen die sicherheitspolitische Lage
schwierig ist und in denen die Konflikte und Kriege um
Öl und andere Ressourcen zunehmen werden. Deshalb
bringt die Förderung der erneuerbaren Energien auch die
Sicherheit nach vorne.
({3})
Das EEG übererfüllt also die Anforderungen und
schafft viele Möglichkeiten; das meinte ich mit „Chancen“. Man könnte sagen: Es ist eine unserer wichtigsten
„Nachwuchshoffnungen“, die wir für die Zukunft brauchen, die unentbehrlich wird und die uns Perspektiven
gibt.
Jetzt geht es darum, den Nachwuchs in eine neue Lebensphase zu begleiten. Wir novellieren das Erneuerbare-Energien-Gesetz, um es an die neuen Verhältnisse
anzupassen und um es noch effizienter und erfolgreicher
zu machen. Dies ist die erste Lesung zur Novellierung.
Seit Dezember liegt der Regierungsentwurf zur Novellierung vor, der eine gute Grundlage für unsere Beratungen bildet. Ich werde hier keine Detaildiskussion beginnen. Aber wir müssen natürlich in den Ausschüssen und
in den Fraktionen über die Details reden und mit den
Sachverständigen darüber diskutieren; das ist bereits in
vollem Gange. Dazu sind alle herzlich eingeladen. Am
8. März findet zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung in diesem Hause statt. Ich glaube, dann werden wir
noch einmal über die Details zu reden haben und auch
vernünftige Ergebnisse bekommen.
Ich möchte nur ganz kurz auf die Punkte eingehen,
die für uns wichtig sind.
Zu der kleinen und großen Wasserkraft. Auf der einen
Seite müssen wir darüber diskutieren, dass wir weiterhin
die kleine Wasserkraft betreiben und sie auch fördern,
auf der anderen Seite gibt es im Novellierungsentwurf
die Öffnung - zumindest ein kleines Tor - zur großen
Wasserkraft. - Das ist der erste Diskussionspunkt.
Der zweite Diskussionspunkt ist die Bioenergie, die
sehr große Chancen bietet. Ich glaube, dass wir diese
Chancen noch weiter verfolgen müssen, als wir es im
Gesetzentwurf getan haben.
({4})
Außerdem haben wir über die Windkraft und die Härtefallregelung zu reden. Auch hier gibt es Diskussionspunkte, die wir noch näher ansprechen müssen. Über die
Photovoltaik müssen wir Gott sei Dank nicht mehr sprechen. Denn mit unseren Beschlüssen vom Dezember
letzten Jahres haben wir hierfür eine gute Grundlage geschaffen. So stellt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarenergie, Gerhard Stryi-Hipp, fest, mit der
Verabschiedung des Photovoltaik-Vorschaltgesetzes sei
Deutschland einer der weltweit attraktivsten Märkte für
Solaranlagen. Genau diese Bedingung wollen wir für
alle Sparten schaffen oder erhalten. Das ist im Bereich
der erneuerbaren Energien unser Ziel. Hier sind wir auf
dem richtigen Weg.
({5})
Wir laden alle, insbesondere die Union, ein, sich dem
erfolgreichen Projekt EEG anzuschließen. Allerdings
dürfen wir bei unseren Diskussionen nicht hinter den jetzigen Stand des Entwurfes zurückfallen. Aber bei den
Diskussionen im Plenum höre ich ja immer - das freut
mich jedes Mal -, dass die Union eigentlich viel mehr
will, als in den Entwürfen enthalten ist. Aber ich weiß,
dass gerade bei Ihnen von der CDU/CSU eine Riege
sitzt, die in diesem Bereich eigentlich viel weniger will.
Darüber müssen Sie innerhalb der Union eine Diskussion führen. Dann, denke ich, können wir eine gute Basis
schaffen.
({6})
Herr Paziorek, wirklich absoluter Blödsinn ist es,
beim Thema Energiepolitik zu sagen: Wir diskutieren
nur bis zum Jahr 2010. - Nein, auch die Perspektive des
Jahres 2020 ist fast zu niedrig gegriffen. Natürlich muss
man sich Nahziele wie die Jahre 2010 oder 2020 setzen.
Aber man muss auch weiter in die Zukunft schauen.
Wenn man sich überlegt, dass ein Kraftwerkspark, der
gebaut wird, 40 Jahre Bestand hat, also zwei Generationen lang vorhanden ist, dass die Auswirkungen des Klimas nicht in zehn oder 20 Jahren zu reparieren sind und
dass Atomenergie zig Generationen strahlt, dann kann
man beim Thema Energiepolitik nicht sagen, dass man
nur bis zum Jahr 2010 diskutiert. Vielmehr muss man
auch darüber hinaus eine Perspektive schaffen.
({7})
Eine wichtige Neuerung im Entwurf zur Novellierung
ist die eingeforderte Transparenz, gerade im Umgang
mit den Kosten. Bereits im Dezember letzten Jahres
habe ich zur Kostendiskussion Stellung genommen. Die
entsprechenden Übertreibungen sind aber immer noch
vorhanden und die unfairen Kostenvergleiche hören
nicht auf. Der neueste Clou zeigt sich bei der Begründung für die Steigerung der Stromkosten für den Kunden in diesem Jahr. Da werden die steigenden Kosten,
die die Stromanbieter den Kunden aufbürden, mit den
Regelungen im Bereich der erneuerbaren Energien begründet. Das ist wieder eine Milchmädchenrechnung,
der man entgegentreten muss.
Zur Erklärung möchte ich Folgendes sagen: Im letzten Jahr haben die Stromversorger den Verbrauchern für
die erneuerbaren Energien Kosten in Rechnung gestellt,
deren Höhe über den realen Ausgaben lag. Hierbei
stützte man sich auf Prognosen. Das kann man so hinnehmen, wenn diese Kosten in diesem Jahr verrechnet
werden und den Kunden gegebenenfalls Geld zurückerstattet wird.
({8})
Stattdessen liegen für das Jahr 2004 Prognosen vor,
die wieder völlig überhöhte Kosten beinhalten. Die realistischen Kosten betragen 0,1 Cent pro Kilowattstunde.
Die Versorger führen aber Erhöhungen von teilweise
0,8 Cent pro Kilowattstunde durch. Wer diesen Umstand
mit dem Verweis auf die erneuerbaren Energien erklärt,
der hat, wie ich finde, den Schuss nicht mehr gehört.
({9})
Hierbei handelt es sich also um eine achtmal so hohe
Rechnung. Übrigens, weitere Stufen der Ökosteuer haben wir dieses Jahr auch nicht eingeführt. Also kann
diese Begründung für die Erhöhungen nicht richtig sein.
Also, lieber Verbraucher, liegt diese deutliche Erhöhung der Preise nicht an den erneuerbaren Energien. Haken Sie bei Ihrem Stromanbieter genauer nach, wenn er
die Preise erhöht.
Denken Sie daran, dass es richtig teuer wird, wenn
wir die Energiewende nicht konsequent fortsetzen und
dem Klimawandel nicht entgegenwirken.
({10})
Wir sind dazu gewillt, aber wir brauchen die Unterstützung aller.
Danke und Glückauf!
({11})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Peter Paziorek das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bülow, Sie haben gesagt, in der Energiepolitik müsse über das Jahr
2010 hinausgeschaut werden. Mir haben Sie vorgeworfen, dass meine Aussage, wir müssten im Jahre 2010
prüfen, welchen Beitrag die erneuerbaren Energien weiterhin leisten könnten, nicht den Grundanforderungen an
Energiepolitik entspricht.
({0})
- Das hat er sehr wohl so gesagt.
({1})
Klar ist: Wir brauchen in Deutschland ein Energiekonzept, das belastbar ist und Schwerpunkte setzt: für
den Anteil von konventionellen, fossilen Energieträgern,
von Gaskraftwerken, von - dieser Ansicht sind wir - der
Kernenergie und von erneuerbaren Energien. Das alles
muss in Deutschland geleistet werden.
Ihre Regierung hat den Versuch gemacht, ein solches
Energiekonzept zu formulieren. Der frühere Wirtschaftsminister Müller musste an einem parlamentarischen
Abend vor kurzem aber erklären, dass er leider dabei gescheitert ist, ein solches Energiekonzept in der rot-grünen Bundesregierung durchzusetzen.
({2})
In einem solchen Energiekonzept könnten die Weichenstellungen für eine Energiepolitik vorgenommen
werden, die über das Jahr 2010 hinausreicht.
({3})
Ich kritisiere, dass Sie es nicht schaffen, ein belastbares
Energiekonzept für die Energiepolitik insgesamt zu formulieren, dass Sie aber ausgerechnet für den Teilbereich
der erneuerbaren Energien Ziele festsetzen wollen, die
bis weit über das Jahr 2010 hinausgehen und bis 2020
oder 2025 reichen. Man muss sich die Frage stellen: Warum legen Sie ein solches Konzept nur für einen Teilbereich und nicht für alle Bereiche der Energiepolitik vor?
Sie wären glaubwürdiger, wenn Sie den Anteil der erneuerbaren Energien in einem Gesamtkonzept zur Energiepolitik ausweisen würden, das über das Jahr 2010 hinausgeht.
Wir haben den Eindruck, Sie machen nur Klientelpolitik. Für die Brennstoffe, bei denen es wirklich spannend wird, nämlich bei der Braunkohle und der Steinkohle - hier spielt auch die Frage der heimischen Kohle
und der Importkohle eine Rolle -, schaffen Sie es nicht,
ein Energiekonzept vorzulegen. Sie beschränken sich
nur auf einen einzigen Teilbereich, nämlich auf den Bereich der erneuerbaren Energien. Sie drücken sich vor
den Schularbeiten, die Sie tatsächlich zu leisten haben.
({4})
Kollege Bülow, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.
({0})
Das hätten Sie wohl gerne. Ich bin aber nicht so
schnell sprachlos.
Herr Kollege Paziorek, ich habe nicht gesagt, dass wir
hinsichtlich des Jahres 2010 keine Prüfung mehr unternehmen sollten. Ich habe nur festgestellt, dass es Zwischenschritte geben muss, um zu überprüfen, ob man auf
dem richtigen Weg ist. Man kann doch nicht so tun, als
ob im Jahr 2010 die Zeit endet, sondern man muss über
diesen Zeitpunkt hinaus Perspektiven haben.
Darüber hinaus habe ich, wie ich denke, deutlich gemacht, dass gerade in der Energiepolitik kleine Schritte
nicht reichen, sondern dass man mutig nach vorne gehen
muss.
({0})
Wie sieht die Realität in Deutschland aus? Der Anteil
der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung beträgt mittlerweile 8 Prozent. Wir wollen bis zum
Jahr 2010 einen Anteil von 12,5 Prozent erreichen. Sie
haben gesagt, dass Sie hinter diesem Ziel stehen. Dieses
Ziel geht also in Ordnung. Aber in der Zeit danach muss
es doch auch weitergehen, schließlich geht der Vorrat an
fossilen Brennstoffen dann zu Ende. Deswegen haben
wir uns zum Beispiel das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2020
der Anteil der erneuerbaren Energien 20 Prozent betragen soll. Das ist im Vergleich zu 12,5 Prozent keine
große Steigerung mehr; vielleicht müsste man sich noch
ehrgeizigere Ziele setzen.
Ich gebe Ihnen in dem Punkt Recht, dass wir ein umfassendes Energiekonzept brauchen.
({1})
- Es ist schön, dass Sie mit uns einer Meinung sind.
Dann werden wir gemeinsam intensiv daran arbeiten
können. - Hier sind wir auf dem Weg. Wir haben nun
erst das Konzept für den Bereich der erneuerbaren
Energien vorgelegt. Wir haben auch Konzepte zu den
anderen Bereichen erarbeitet, die heute aber nicht zur
Diskussion stehen. Darüber werden wir zusammen diskutieren.
Ihnen gefällt aber nicht, dass in unserem Konzept geschrieben steht, dass wir den Atomausstieg verfolgen.
Die weitere Nutzung der Atomkraft bringen Sie immer
wieder zur Sprache. Das wollen wir nicht. Die Nutzung
der Atomkraft fehlt in unserem Energiekonzept. Dafür
ist unser Energiekonzept nachhaltig und reicht über das
Jahr 2010 hinaus. Es ist aber nicht nur in dem Punkt
nachhaltig, dass wir festschreiben, dass wir den nachfolgenden Generationen keine Atomstrahlung und keine
Endlager zumuten wollen. Es geht vielmehr darüber hinaus und ist ein nachhaltiges Energiekonzept, das auch
den nächsten Generationen dient. Dieses Ziel werden
wir erreichen.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegen Georg Girisch, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Bülow, lassen Sie mich vorweg eines klarstellen: Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind nicht gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz;
({0})
das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Wir haben mit dem
Stromeinspeisungsgesetz aus den 90er-Jahren das Fundament für das heutige EEG gelegt.
({1})
Wir haben unseren Willen in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur verlautbaren lassen, wie die
Bundesregierung das in den vergangenen Monaten öfter
getan hat. Wir haben nicht blockiert. Trotz des von unserer Seite schon oft beklagten Hauruck-Verfahrens bei der
Novellierung des EEG haben wir kurz vor Weihnachten
dem so genannten Photovoltaik-Vorschaltgesetz zugestimmt. Hier haben wir unter Beweis gestellt, dass wir
im EEG zusammenarbeiten wollen, dass wir zur Kooperation bereit sind. Wir haben erfahren müssen, wie
schwierig es ist, wenn die Industrie Planungsunsicherheit hat. Deshalb, glaube ich, sollten wir uns insbesondere beim EEG auf die Zusammenarbeit in den künftigen Wochen und Monaten einstellen.
({2})
Für die Anlagenbetreiber, die Strom aus erneuerbaren
Energien ins Netz einspeisen, ist es wünschenswert und
sogar lebensnotwendig, dass baldmöglichst klare Regelungen geschaffen werden, damit sie Planungssicherheit
haben. Es ist wichtig, in dieser Diskussion allen Beteiligten Gehör zu verschaffen. Deshalb möchte ich an dieser
Stelle auch auf den Fachkongress, den die Unionsfraktion am 28. Januar 2004 abhält, hinweisen. An diesem
Tag wollen wir Vertreter der Wirtschaftsunternehmen
verstärkt zu Wort kommen lassen.
Lassen Sie mich zu den einzelnen Regelungen im
Entwurf der Regierungskoalition Stellung nehmen:
Zu den Vorhaben im Bereich der Biomasse muss ich
ganz klar sagen: So nicht! Nicht mit uns!
({3})
Würde der Entwurf unverändert angenommen werden,
könnte dies das Aus für die Biomasse bedeuten. Wir sind
gegen eine Verkürzung des Vergütungszeitraums auf
15 Jahre und wir sind gegen eine Erhöhung der Degression auf 2 Prozent. Der Vergütungszeitraum muss stattdessen auf 20 Jahre festgesetzt und die Degression muss
gesenkt werden. Gerade die Biomasse als Grundlastenergie stellt eine, wenn nicht sogar die Chance für das
zweite Standbein der Landwirtschaft dar. Hier dürfen
wir den deutschen Landwirten keine Möglichkeiten verbauen, die sie zur Existenzsicherung nutzen können.
({4})
In diesem Zusammenhang möchte ich eines erwähnen: Ich sehe die Nutzung der Windkraft nicht gerade als
typischen Nebenerwerb eines Landwirtes an,
({5})
wenngleich in den vergangenen Wochen wiederholt versucht wurde, dies zu suggerieren. Ich sage ganz klar Ja
zur Biomasse, aber nicht zu diesem Entwurf; denn durch
ihn werden die Zukunftschancen im Bereich der Biomasse zerstört.
({6})
Zur Windkraft, der wohl am heftigsten umstrittenen
Art der Energieerzeugung, muss ich sagen: Durch den
vorliegenden Entwurf könnte eine bislang bestehende
falsche Lenkungsfunktion durchaus beseitigt werden.
Wir wollen keine Förderung der erneuerbaren Energien
an jedem Ort und wir wollen sie auch nicht um jeden
Preis. Es muss klar sein, dass Windkraftanlagen an
äußerst windungünstigen Standorten keine Berechtigung
haben.
({7})
Wir wollen die erneuerbaren Energien voranbringen und
nicht Technologien an dafür nicht geeigneten Standorten
fördern.
({8})
Fazit - das sage ich auch ganz deutlich -: Wir sagen
Ja zur Windkraft, aber nur dort, wo sie hingehört. Es gibt
nun einmal nicht zu leugnende Unterschiede zwischen
nördlichen und südlichen Bundesländern. Diese müssen
einfach respektiert werden und sich im Sinne des von
uns geforderten Energiemix regional auch widerspiegeln. Nicht jede Energieart ist für jede Region geeignet.
({9})
Diese einfache Weisheit hat sich beispielsweise bei der
Photovoltaik schon längst durchgesetzt.
({10})
Wir sagen auch Ja zur Wasserkraft. Die Wasserkraft
ist die älteste Quelle der erneuerbaren Energien. Sie hat
sich bestens bewährt und bietet auch heutzutage noch
einiges an Potenzial. Bewährtes sollte man auch in der
Politik nicht verändern.
({11})
Nach unserem Willen sollte bei den Regelungen zur
Wasserkraft im EEG deshalb alles beim Alten bleiben.
Der Entwurf von Rot-Grün beinhaltet einige ökologische Kriterien, die innerhalb des EEG allerdings systemfremd und somit fehl am Platze sind. Wenn sie nicht gestrichen werden, so müssen sie zumindest mit den
Regelungen der so genannten Wasserrahmenrichtlinie
und den jeweiligen Bundes- und Landesgesetzen in Einklang gebracht werden, wobei ich anmerken möchte,
dass die Regelungen der Wasserrahmenrichtlinie bereits
eine enorme Einschränkung und auch Belastung für die
Wasserkraft darstellen. Speziell für diesen Bereich
möchte ich anfügen, dass es bei den Investitionskosten
keinen Spielraum mehr gibt. Die Technologie auf dem
Gebiet der Wasserkraft ist seit Jahren ausgereift und bietet eben keine Einsparmöglichkeiten mehr, wie dies zum
Beispiel bei der Photovoltaik der Fall ist.
Die im EEG bisher nur vorläufig aufgenommene so
genannte Härtefallregelung soll nun einen dauerhaften
Platz im EEG finden. Allerdings sollen jetzt wesentlich
mehr Unternehmen von dieser Regelung profitieren können. Die deutsche Wirtschaft muss leben und konkurrieren können. Wir können hier nicht noch zusätzliche Hürden aufbauen, sodass es zu zusätzlichen Belastungen
kommt, sondern wir müssen zusehen, dass wir im Inland
gute Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen.
Wir werden die Diskussion zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes jetzt beginnen. Fest steht aber
bereits heute, dass sich alle Parteien - darauf haben Gott
sei Dank alle Redner hingewiesen - einig sind, dass wir
bis zum Jahr 2010 eine Verdoppelung des Anteils von
erneuerbaren Energien erreichen wollen. Dieses Ziel
dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Um es zu erreichen, müssen wir aber auf einen Energiemix setzen.
Das bedeutet, dass die Diskussionen in den nächsten
Wochen nicht zugunsten der einen und zulasten einer anderen Energieart geführt werden. Wir brauchen für die
erneuerbaren Energien eine breite Basis.
({12})
Die Regierung bleibt allerdings weiterhin ein schlüssiges Konzept zur Energieversorgung schuldig und legt
einen Entwurf zum EEG vor, der nur als Diskussionsgrundlage dienen kann. In der jetzigen Form kann ihm
die Union auf keinen Fall zustimmen.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Mit dem Emissionshandelsgesetz wird ein Instrument
für die Effizienzsteigerung beim Einsatz neuer Kraftwerke auf den Weg gebracht und mit dem EEG steht uns
ein Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien
zur Verfügung. Damit stehen zwei zentrale Säulen eines
Klimaschutzprogramms für die nächsten Jahrzehnte.
Ich weiß, wie hart das Umweltministerium daran gearbeitet hat. Deswegen möchte ich Jürgen Trittin, Rainer
Baake und den Mitarbeitern ausdrücklich für das danken, was sie geleistet haben.
({0})
Mit dem Emissionshandelsgesetz und dem EEG stehen
zwei zentrale Eckpunkte eines rot-grünen Energiekonzeptes. Der Umweltminister hat zusammen mit dem Vorlegen des Allokationsplanes seinen Teil für ein rot-grünes Energiekonzept beigetragen.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation hat
der von Menschen gemachte Treibhauseffekt 2002 schon
150 000 Tote gefordert. Daran wird deutlich: Klimaschutz ist kein grüner oder rot-grüner Luxus, sondern
eine dringend notwendige Vorsorge. Dies ist kein weiches, sondern ein hartes Thema. Dieses Thema geht jeden an.
({1})
Wir reden aktuell über Innovationen. Wir müssen die
anstehenden Möglichkeiten zur Innovation als Chance
nutzen, um Deutschland mit Technikvielfalt zum Schaufenster für den Export zu machen. Wir brauchen effizientere fossile Kraftwerke. Wir müssen Sonnen- und
Windenergie, Erdwärme, Biomasse, Meeresenergie,
Brennstoffzellen und BHKWs stärker als bisher nutzen.
Wir brauchen eine Vielfalt der Technologien in Deutschland. Die nun vorliegenden Instrumente werden den Einsatz dieser Technologien vorantreiben.
({2})
Das Fraunhofer-Institut hat die dezentralen Energieerzeugungsanlagen mit den intelligenten Netzen und den
virtuellen Kraftwerken als die zentrale Leitinnovation
bezeichnet. Diese können zu einem Motor für weltweite
Innovation mit Deutschland als Zentrum werden. Ich
würde mich freuen, wenn auch die Opposition diesen
Weg mitgehen würde.
Das EEG ist deswegen auch ein Innovationsinstrument. Wir sind mit der Vorlage aus dem BMU außerordentlich zufrieden. Aber ich möchte einige Punkte nennen, bei denen wir noch genauer hinschauen müssen.
Erster Punkt. Wir wollen den weiteren Ausbau der
Windkraft auch im Binnenland. Dabei müssen wir prüfen, ob dies mit dem vorliegenden Gesetz gewährleistet
wird. Zweiter Punkt. Wir wollen, dass auch die Kleine
Wasserkraft in Deutschland ausgebaut werden kann.
Auch hier müssen wir sehen, ob dies mit dem Gesetz
möglich ist.
({3})
Dritter Punkt. Wir wollen bei der Biomasse - das kann
ich Ihnen schon jetzt zusagen - deutlich nachbessern.
({4})
Wenn wir das machen, dann hoffe ich, dass wir auch die
CDU/CSU mit ins Boot holen können, sodass wir das
EEG gemeinsam auf den Weg bringen.
Abschließend möchte ich sagen: Viele von Ihnen waren neulich auf dem Parlamentarischen Abend von BP,
Aral, Shell, VW und Daimler-Chrysler. Diese Firmen,
die nun wahrlich keine Anhänger der Grünen sind, haben mit großem Engagement erklärt: Deutschland muss
beim Klimaschutz Vorreiter sein, Deutschland muss
schrittweise vom Öl wegkommen und auf Biokraftstoffe
umsteigen. - Ich fand das unheimlich ermutigend und
habe das als eine Herausforderung an die Politik gesehen, gemeinsam mit diesen Firmen diesen Weg zu gehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Stromkonzerne eine ähnliche Bereitschaft zeigen, in die Zukunft
zu schauen und die Herausforderungen des Klimaschutzes anzunehmen, wie diese Firmen.
Danke schön.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser
Debatte geht es beim TEHG um eine der wichtigsten
wirtschafts- und umweltpolitischen Neuerungen dieser
Wahlperiode.
({0})
Es gibt kaum ein anderes Umweltgesetz, das so weit reichende Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort
Deutschland haben wird. Immerhin besteht die Gefahr,
dass unter dem Deckmantel des marktwirtschaftlichen
Instruments hier planwirtschaftliche Ansätze eingebracht werden.
({1})
Diese Problematik wollen Sie hier in ganzen 75 Minuten, die zur Hälfte auch noch für die EEG-Lesung
bestimmt sind, über das Parkett bringen. Diese unbegründete Eile, die sich durch das gesamte Gesetzgebungsverfahren zum Emissionshandel zieht, geht
Hand in Hand mit der mangelhaften Informationspolitik
Ihres Hauses, Herr Trittin.
({2})
Das Ergebnis haben wir heute auf dem Tisch und das ist
in der Folge nur konsequent. Der Gesetzentwurf, den Sie
uns vorgelegt haben, ist sowohl inhaltlich als auch formal absolut unzureichend. Man muss sich beim Lesen
des TEHG schon auf die Suche nach den Inhalten machen. Zunächst stellt sich doch die Frage, wo der Anwendungsbereich liegt, der über bereits bestehende
Gesetze wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz hinausgeht.
({3})
Sicher, das Gesetz schreibt vor, dass die Freisetzung von
Treibhausgasen jetzt einer Genehmigung bedarf. Aber
ist das tatsächlich etwas Neues? Die Freisetzung von
Treibhausgasen, so erklärt uns das TEHG, ist eine Tätigkeit, die schon dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterliegt - Betrieb von genehmigungsbedürftigen Anlagen. Wo also ist der eigenständige Regelungsgehalt der
§§ 4 und 5 und in welchem Verhältnis steht die Emissionsgenehmigung des TEHG zu der bestehenden Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz?
Auch dazu, nach welchen Regeln die Emissionszertifikate verteilt werden sollen, schweigt sich das TEHG
aus. Es trifft keine Aussage zur Kostenpflichtigkeit der
Zuteilung. Es trifft keine abschließende Aussage zu Banking und Borrowing. Auch die für die neuen Bundesländer vordringliche Frage, ob und wie Vorleistungen anerkannt werden - Stichwort: Early Actions -, ist nicht
geklärt.
({4})
Auch ob und wie die notwendigen Rückstellungen für
den Atomausstieg und für wirtschaftlichen Aufschwung
getätigt werden, bleibt im Bereich der Spekulation.
({5})
Die Gesamtheit der essenziellen Fragen wurde im TEHG
ausgespart und dem Nationalen Allokationsplan vorbehalten. Dass der parlamentarische Gesetzgeber an der
Aufstellung der Regeln der Allokation beteiligt werden
muss, haben Sie inzwischen Gott sei Dank erkannt, Herr
Trittin. An der Rechtmäßigkeit des von Ihnen vorgeschlagenen Weges bleibt jedoch nach wie vor ein erheblicher Zweifel.
({6})
Nach Ihrem Willen soll der Nationale Allokationsplan
zunächst vom Bundesumweltministerium als Plan beschlossen, der EU-Kommission vorgelegt und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.
({7})
Erst danach soll dann dieser Plan als Grundlage für ein
Gesetz über den Nationalen Allokationsplan dienen.
Bleibt denn dann noch Platz für eine wirkliche inhaltliche Beratung der Allokationsregeln im Parlament oder
soll das Parlament Ihren Plan nur noch abnicken und
durchwinken? Ich denke, bei dieser Konstellation besteht die Gefahr, dass die Entscheidung der Parlamentarier durch das vorgelegte Planungsverfahren in großem
Umfang präjudiziert wird.
({8})
Das Einzige, was in Ihrem Entwurf zum TEHG wirklich erkennbar ist, ist ein erheblicher Zuwachs an Bürokratie.
({9})
Auf die teilnehmenden Unternehmen kommt ein bunter
Strauß an zusätzlichem administrativen Aufwand hinzu:
Genehmigungen, Anträge, Sachverständigengutachten,
Nachweise, Bilanzierungen und Prüfberichte, um nur einiges zu nennen. Die Kosten hierfür wie auch für den
Aufbau neuer behördlicher Strukturen wollen Sie vollständig auf die Unternehmer abwälzen.
({10})
- Das ist ein sehr schöner Zwischenruf, Herr Kelber.
Noch im vergangenen Jahr hat sich die Bundesregierung mit der Aussage geschmückt, Kompetenz in Sachen Bürokratieabbau zu verkörpern. Bundesminister
Clement hat damals seinen Masterplan Bürokratieabbau
vorgestellt. Nach meinem Verständnis sollte dieser für
alle Ressorts Gültigkeit haben. Nach einigen Monaten
wird nun deutlich, dass das Vorhaben zumindest in der
Umweltpolitik im Planungsstadium stecken bleibt. Der
von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf passt in keinem Fall
zu einem Konzept der schlanken Strukturen.
({11})
Unter formalen Gesichtspunkten stellt sich Ihr TEHG
ähnlich schwach dar wie unter inhaltlichen. So finden
sich beispielsweise Zirkelschlüsse. Die Freisetzung von
Treibhausgasen wird - wenn man die §§ 2 bis 4 im Zusammenhang liest - schlussendlich mit der Freisetzung
von Treibhausgasen definiert.
Auch Doppelregelungen finden sich wieder. So bleibt
unklar, nach welcher Norm der Anlagenbetreiber die
Anzahl Zertifikate zurückzugeben hat, die seinen Emissionen entspricht: nach § 6 TEHG oder nach § 2 der
34. Bundes-Immissionsschutzverordnung? Die Rückgabe ist an beiden Stellen geregelt.
Dass sich Ihr Ministerium selber auch noch nicht
richtig schlüssig ist, wie es diesen Gesetzentwurf erklären soll, wird in der Gesetzesbegründung deutlich. Oder
gibt es eine andere Erklärung für den folgenden verbalen
Unsinn? Ich zitiere aus der Begründung zu § 4:
Im Hinblick auf eine Verzahnung von Emissionshandelsrecht und Immissionsschutzrecht werden
die diese Genehmigungspflicht umsetzenden Regelungen für die derzeit in den Anwendungsbereich
des Gesetzes fallenden Tätigkeiten Anlagen,
ausschließlich der Betrieb von nach dem Bundesimmissionsschutzrecht genehmigungsbedürftige
Anlage, ausschließlich im Rahmen des Bundesimmissionsschutzrechts getroffen.
Der Nachbesserungsbedarf ist überdeutlich. Legen
Sie uns einen Gesetzentwurf vor, Herr Trittin, der zum
einen tatsächlich etwas regelt und der zum anderen belastbar ist! Dann können wir in die Beratungen eintreten.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Hermann Scheer, SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor
vielleicht ein weiterer Redner der Union an dem guten
Willen seiner Fraktion zweifeln lässt, möchte ich auf einige Punkte in dieser Debatte aus meiner Sicht eingehen.
Wir sollten bei dem Erneuerbare-Energien-Gesetz
keine Angst vor der eigenen Courage haben. In den vergangenen beiden Jahren waren Steigerungsraten von
über 1 Prozent im Jahr zu verzeichnen. Derzeit sind
bereits 8,5 Prozent erreicht worden; bis 2010 werden es
voraussichtlich 14 bis 15 Prozent sein, sofern kein
Kurswechsel in der Politik erfolgt. Einen solchen Kurswechsel beabsichtigen wir jedoch nicht, im Gegenteil.
({0})
Das bedeutet: Zwischen 2000 und 2010 würde die Steigerungsrate insgesamt mehr als 10 Prozent betragen.
Wer meint, Herr Kollege Paziorek, dass die im Gesetzentwurf für den Zeitraum 2010 und 2020 vorgesehenen
7,5 Prozent ein überdimensioniertes Ziel auf dem Etappenweg hin zur großen, historisch notwendigen Energiewende seien, dem ist entgegenzuhalten, dass es
- wenn wir die Relation im Blick behalten - realistischer
ist, dass bei Fortführung unseres Kurses, den wir hoffentlich gemeinsam verfolgen werden, bis zum
Jahr 2020 25 bis 30 Prozent erreicht sein könnten. Das
wäre für alle Beteiligten positiv.
({1})
Das EEG geht wie sein Vorgänger, das Stromeinspeisungsgesetz, auf eine Initiative des Parlaments zurück.
Wir haben es jetzt erstmals mit einem Regierungsentwurf zu tun. Es kann sicherlich nicht überraschen, wenn
vonseiten des Parlaments Verbesserungsvorschläge
kommen. Es wird auch nicht überraschen, wenn einige
es möglicherweise verwässern wollen; aber die heutige
Debatte hat nicht den Anschein erweckt.
Auch ich befürworte selbstverständlich einige Verbesserungsvorschläge, die unter anderem den Bereich
Kleinwasserkraft betreffen. Es ist nicht einsehbar, warum - das wäre die Folge der Verabschiedung des jetzigen Gesetzentwurfs - die Kleinwasserkraft praktisch
zum Stillstand kommen soll.
({2})
Es ist auch nicht einsehbar - das mag der Union, gemessen an den heutigen Reden, vielleicht etwas weniger
gefallen -, warum der Ausbau der Windenergienutzung im Binnenland gebremst werden soll. Die Fixierung auf Offshore in der öffentlichen Debatte ist problematisch. Offshore-Windenergieanlagen können teurer
werden als Windenergie im Binnenland. Niemand kann
das gegenwärtig argumentativ widerlegen. Wir haben erhebliche Möglichkeiten, die Windenergie im Binnenland
weiter auszubauen. Das ist auch notwendig und wahrscheinlich kosteneffektiver.
Wir dürfen hinsichtlich der Kosteneffektivität nicht
nur die Kosten der Anlagen betrachten. Dazu gehören
noch sehr viele andere Faktoren. Wenn man auch noch
an das Repowering denkt, dann weiß man: Windenergie
im Binnenland hat in der Perspektive ein enormes Potenzial; wir sollten das nicht kleinreden. Wir sollten in dieser Beziehung auch nicht mit dem Naturschutz argumentieren.
({3})
Nach dem neuen Naturschutzgesetz sind erneuerbare
Energien aktiver Bestandteil des Naturschutzes, und
zwar zu Recht. Fast alle Emissionen sind Folgen der
Umwandlung fossiler Ressourcen. Die Emissionen aus
solchen Umwandlungsprozessen beeinträchtigen weltweit schwerwiegend die Natur. Die Vermeidung solcher
Emissionen ist deshalb aktiver Naturschutz. Das sollten
wir bei all diesen Debatten nicht vergessen.
({4})
Das EEG beinhaltet eine Vergütungsregelung, die angemessene Relationen schaffen soll, um Investitionen zu
ermöglichen. Die Angelegenheiten des Naturschutzes
werden in diesbezüglichen Gesetzgebungsprozessen behandelt oder in vorhandenen anderen Gesetzen geregelt.
Ich komme zur Biomasse. Natürlich sehe auch ich
hierbei - das ist auch in den Verlautbarungen aus den
Regierungsfraktionen deutlich geworden - einen Verbesserungsbedarf: Es ist nicht einsehbar, warum es einen
kürzeren Vergütungszeitraum als bei der Windenergie
oder bei der Photovoltaik geben soll. Gerade die Bioenergie wird eine wesentliche, eine verstärkte Rolle
spielen müssen, weil sie die große Möglichkeit bietet, im
Bereich der erneuerbaren Energien einen zunehmenden
Anteil an Regelenergie bereitzustellen. Im Mix aus erneuerbaren Energien wird die Biomasse eine Schlüsselrolle spielen. Darüber hinaus wird so das Ziel erreicht,
der Landwirtschaft eine neue, dauerhafte, wirtschaftliche Perspektive neben der Nahrungsmittelproduktion zu
geben. Auch das liegt in unser aller Interesse.
({5})
Damit komme ich zum Thema Transparenz. Wir
brauchen bei den tatsächlichen Mehrkosten für erneuerbare Energien - sie werden von der Gesellschaft akzeptiert - Transparenz. Deswegen entspricht es meiner
Wunschvorstellung, dass in jeder Stromrechnung die tatsächlich ermittelten, nicht die denunziatorisch behaupteten Mehrkosten der erneuerbaren Energien offenkundig
werden und für jeden einsichtig sind. Auf diesem Wege
würde sich eine sehr viel maßstabsgerechtere Debatte
über die Mehrkosten, die deutlich niedriger sind als oft
behauptet wird, ergeben. Ich glaube, diese Kosten werden von der Allgemeinheit akzeptiert, weil sie sehr viel
weiter denkt als viele Interessenvertreter der Energiewirtschaft, die nur ihre eigenen Strukturen und deren Erhaltung im Auge haben.
({6})
Ich komme zu meinem letzten Punkt. Ich halte es für
eine parlamentarische Selbstverständlichkeit - es geht
um das Prinzip -, dass das, was wir im Gesetzgebungsprozess behandeln sollen - das gilt auch für das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz -, dem Parlament vorliegen muss, bevor der EU-Kommissar seine Prüfungen
dazu vornimmt.
Denn de facto ist damit - das habe ich schon bei vielen
anderen Gesetzen erlebt - eine Vorentscheidung gefallen. Es wird sehr schwer sein, im Nachhinein Änderungen vorzunehmen. Es besteht die Gefahr, dass dann,
wenn wir später Korrekturen anbringen, nochmalige
Prüfungen notwendig sind.
Herr Kollege Scheer, Sie müssen zum Ende kommen.
({0})
Das Parlament hat aber immer das Recht, Korrekturen
vorzunehmen. Wir sollten aus prinzipiellen Gründen den
Parlamentsvorbehalt, wie immer man zu den einzelnen
Regelungen steht, von niemandem infrage stellen lassen.
Danke schön.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wirklich schizophren. Einerseits reden Sie
von der Regierung und von Rot-Grün gebetsmühlenartig
von Innovationsoffensiven und davon, dass der Aufschwung vor der Tür stehe, starten Sie Wachstumsoffensiven und veranstalten Innovationsgipfel. Andererseits
unternehmen Sie wirklich alles, um die Rahmenbedingungen für Innovation und Wachstum zu verschlechtern,
statt sie zu verbessern. Was erreichen Sie mit Ihrer Politik? - Sie zerstören Wachstum!
Erstes Beispiel: Telekommunikation. Gestern
Morgen ging es in diesem Hause um eine potenzielle
Wachstumsbranche, die Telekommunikation. Statt mehr
Wettbewerb, Wachstum und Innovation in der Telekommunikation zu schaffen, legen Sie den Entwurf eines Gesetzes vor, das Verbraucher und Unternehmer mit administrativen Mehrkosten und Abgaben belastet, das keine
Rechts- und Planungssicherheit für Investitionen und
Arbeitsplätze schafft und das neue Marktanbieter benachteiligt. Was ist das Ergebnis? Sie zerstören Wachstum!
Zweites Beispiel: die Härtefallregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Mit dieser Regelung versuchen Sie, Härten abzumildern. Aber was bedeutet dies in
der Praxis zum Beispiel für ein mittelständisches Unternehmen, das in Deutschland im Bereich der Elektrolyse
tätig ist? Zukünftig wird es gegenüber seinen europäischen Wettbewerbern extrem benachteiligt sein. Während der unmittelbare Konkurrent in den Niederlanden in
Summe maximal 65 000 Euro an Energiesteuern zahlt,
beläuft sich die durchschnittliche Belastung in Deutschland, die sich aus dem EEG ergibt, auf rund 500 000 Euro.
Das heißt, die Belastung in Deutschland ist um das Achtfache höher, und das bereits unter Berücksichtigung der
neuen Härtefallklausel. Das ist kein Sonderfall. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verhält es sich
ähnlich. Dieses Unternehmen ist in Deutschland nicht
mehr wettbewerbsfähig. Was ist das Ergebnis? - Sie zerstören Wachstum!
Drittes Beispiel: Emissionshandel und Kioto-Protokoll. In der Theorie ist der Emissionshandel ein gutes
und marktkonformes Instrument. Aber angesichts der
Art und Weise, wie Sie ihn umsetzen, und der gegenwärtigen Gefechtslage stellt er eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland dar. Ich möchte sogar noch weitergehen: Wenn das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz
in der jetzigen Form umgesetzt wird und wenn das
Kioto-Protokoll nicht ratifiziert wird, dann ist das ein
Morgenthau-Plan für die deutsche Wirtschaft.
({0})
Warum? Wir alle wissen, dass das Kioto-Protokoll
nur in Kraft tritt, wenn mindestens 55 Länder mit
55 Prozent des CO2-Ausstoßes zustimmen. Wenn Russland - danach sieht es aus - nicht beitritt, ist das KiotoProtokoll in der beabsichtigten Form gescheitert.
({1})
Unabhängig davon, ob es nun scheitert oder nicht, wird
die entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt und in Kraft
sein. Das wiederum bedeutet für die Industrie in
Deutschland - diese scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren - eine Katastrophe; denn Deutschland trägt im
Rahmen des europäischen Burden Sharings fast
75 Prozent aller zu erzielenden Einsparungen bei den
CO2-Emissionen. Die Folge ist also eine einseitige Belastung der deutschen Wirtschaft.
Das Ganze wird noch dadurch verschlimmert, dass
Sie die Chancen, die die flexiblen Instrumente Joint Implementation und Green Development Mechanism bieten würden, nicht eröffnen. Sie betreiben damit eine gezielte Deindustrialisierung Deutschlands. Mit Ihrer
Politik verhindern Sie Investitionen in Deutschland, vernichten Arbeitsplätze bzw. sorgen dafür, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Was ist das Ergebnis? - Sie zerstören Wachstum!
Das lässt sich fortführen. Viertes Beispiel: Chemikalienpolitik. Nach dem, was ich höre, und so, wie ich die
Staatsgläubigkeit und Regelungswut von Rot-Grün einschätze, steht uns da das nächste Horrorszenario für die
Wirtschaft bevor. Die Umsetzung der EU-Richtlinie lässt
nichts Gutes ahnen. Es ist geradezu bezeichnend und
entlarvend, dass vorhin bei der Rede von Herrn Trittin
der erste Beifall von Rot-Grün zu hören war, als er angekündigt hat, dass in Deutschland eine neue Behörde eingerichtet wird. Das ist das Verständnis, das Sie an den
Tag legen!
Was ist zu tun? Beim EEG brauchen wir einerseits
Planungs- und Investitionssicherheit für Anlagenbetreiber, für Netzbetreiber und für Stromverbraucher. Andererseits dürfen die Vergütungszahlungen aber auch nicht
ins Unermessliche steigen. Die Belastungen dürfen nicht
dazu führen, dass wir keine europaweit wettbewerbsfähigen Strompreise haben und Verbraucher und Wirtschaft die Zeche zahlen. Das EEG muss in eine Energiepolitik aus einem Guss eingebettet sein.
({2})
Das Ergebnis der jetzt angekündigten Nachbesserungen darf nicht das größte gemeinsame Vielfache sein, bei
dem jeder in seinem Sektor, der ihn interessiert, das bekommt, was er will. Wenn da der Kollege Scheer, dessen
Verhärmung ich ja verstehe, weil er im Wahlkreis erst
siebenmal gegen meinen Vorgänger verloren hat, jetzt
auch noch gegen mich verloren hat und weiterhin verlieren wird - das kann ich ihm schon heute prophezeien -,
von Interessenvertretern spricht, dann frage ich einmal,
welche Interessen er denn eigentlich vertritt. Er ist ja
wohl mehr als ein einseitiger Interessenvertreter. Sich
dann hier moralisch überhöhend hinzustellen, dazu gehört schon einiges.
({3})
Wir sind der Meinung, dass das jährliche Vergütungsvolumen beim EEG auf eine Größenordnung von
4 bis 4,5 Milliarden Euro zu begrenzen ist. Bei Erreichen
des Verdoppelungsziels oder bei Überschreiten des vorgegebenen maximalen Vergütungsvolumens soll die Förderung für neue Anlagen abbrechen.
Wie bereits von den Vorrednern angesprochen, schlagen wir darüber hinaus ein differenziertes Vorgehen in
den einzelnen Sektoren vor. Im Onshorebereich gilt es,
vor allem Wirtschaftlichkeit und Landschaftsschutz zu
berücksichtigen. Im Offshorebereich, einem völlig
neuen Geschäftsfeld, wollen wir eine Ausschreibung. Es
handelt sich um ein industrielles Großprojekt, bei dem
die installierte Leistung auszuschreiben ist.
Wir wollen, dass der Klimaschutz marktkonform und
effizient erfolgt. Maßstab muss dabei die Kostenwirksamkeit sein. Das heißt, bereits jetzt müssen die flexiblen Instrumente - Joint Implementation und Clean
Development Mechanism - einbezogen werden. Darüber hinaus ist die Bürokratie auf ein Minimum zu reduzieren. Ebenso ist die Verzahnung mit anderen Instrumenten im Umweltrecht wie der Ökosteuer zu
verbessern bzw. überhaupt erst vorzunehmen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung und von Rot-Grün, von der zukünftigen Opposition,
({4})
nutzen Sie die Anhörungen und Beratungen in den Ausschüssen bis zur Beschlussfassung! Zerstören Sie nicht
Wachstum, sondern nehmen Sie in den anstehenden Beratungen im Interesse der Bürger und der Wirtschaft in
diesem Land unsere Anregungen und Vorschläge auf!
Nur so schaffen wir Wachstum.
({5})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Hermann Scheer das Wort.
Ich möchte nur auf eine Bemerkung des Kollegen
Pfeiffer Bezug nehmen.
Herr Kollege Pfeiffer, würden Sie bitte zur Kenntnis
nehmen, dass ein Interessenvertreter jemand ist, der
ein wirtschaftliches Einzelinteresse vertritt und dafür
auch entsprechend honoriert wird? Da Sie mich als Interessenvertreter bezeichnet haben, weise ich Sie auf
Folgendes hin - Sie wissen das zwar ohnehin, behaupten aber immer Gegenteiliges, um einen anderen Eindruck zu erwecken -: Ich habe nicht ein einziges
Aufsichtsratsmandat. Ich nehme von niemandem Geld
für mein Engagement für erneuerbare Energien. Das
Engagement für erneuerbare Energien ist im allgemeinsten Interesse, weil es im allgemeinsten Interesse
ist, dauerhafte und emissionsfreie Energien zur Verfügung zu haben. Ich bin Vorsitzender von zwei Organisationen. Sie sind gemeinnützig und keine wirtschaftlichen Interessenvereinigungen. Ich mache das
ehrenamtlich.
Schon einmal hat ein Kollege, Herr Hirche von der
FDP-Fraktion, eine ähnliche Suggestivbehauptung hier
aufgestellt, hat das hier im Parlament aber unmittelbar
darauf zurückgenommen. Wenn Sie Ehre im Leib haben,
machen Sie das jetzt auch.
({0})
Kollege Pfeiffer, Sie haben das Wort.
Lieber Herr Scheer, ich habe überhaupt nichts zurückzunehmen.
({0})
Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, dass Sie bezahlt werden; das haben Sie hier in die Diskussion eingeführt. Offensichtlich - getroffene Hunde bellen - müssen Sie sich
rechtfertigen. Ich habe nicht behauptet, dass Sie finanziell abhängig sind.
({1})
Sie sorgen ja in der Tat auch dafür, dass in der Lokalpresse, wo dies immer wieder angesprochen wird
({2})
- ich habe es nicht angesprochen -, entsprechende Gegendarstellungen abgedruckt werden. Ich habe mich an
solchen Diskussionen weder dort noch hier beteiligt. Das
wissen Sie.
Aber Sie werden doch nicht bestreiten wollen, dass
Sie als Präsident von Eurosolar und als Vorsitzender diverser Beiräte von Organisationen, die intensiv und auf
das Engste mit erneuerbaren Energien verknüpft sind
und sich zum Teil ausschließlich auf diesem Gebiet
betätigen, ein Interessenvertreter erneuerbarer Energien
sind. Es wäre absurd, wenn Sie das bestreiten wollten.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzes-
entwürfe auf den Drucksachen 15/2327 und 15/2328 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor-
geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung der Ausbildung
und Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen
- Drucksache 15/1783 ({0})
- Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
- Drucksache 15/2318 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
- Drucksache 15/2357 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubert Hüppe
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung nach § 160 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch ({4})
über die Beschäftigungssituation schwerbehin-
derter Menschen
- Drucksachen 15/1295, 15/1546 Nr. 1.3, 15/2357 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubert Hüppe
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate
Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Undine Kurth ({6}), Dr. Reinhard
Loske, Volker Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Reisen ohne Handicap - Für ein barrierefreies
Reisen und Naturerleben in unserem Land
- Drucksachen 15/1306, 15/2292 Berichterstattung:
Abgeordnete Renate Gradistanac
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau vor 16 Tagen ist das Europäische Jahr der
Menschen mit Behinderungen zu Ende gegangen. Es ist
gut, dass wir uns knapp drei Wochen nach dem Ende
dieses Jahres auf der Basis des Gesetzentwurfes der
Bundesregierung bereits wieder mit dem wichtigen
Thema der Förderung, der Ausbildung und der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderungen befassen. Ich glaube, es ist sicherlich zu früh, heute eine Bilanz über das Europäische Jahr der Menschen mit
Behinderungen zu ziehen. Eines ist aber in diesem Jahr
klar geworden: Das Thema „Integration behinderter
Menschen“ ist stärker in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden.
({0})
Das haben wir auch den vielen Initiativen von Wohlfahrts- und Behindertenverbänden, Gewerkschaften und
Arbeitgebern zu verdanken, die sich hier wirklich über
alle Maßen engagiert haben.
Viele von uns haben auch an Aktivitäten teilgenommen. Ich selbst habe Tagungen bei der Metro Group und
der VW AG besucht, wo ich beispielhafte Projekte der
guten Zusammenarbeit von Wirtschaft und Arbeit von
Gewerkschaften, Belegschaftsvertretungen und Schwerbehindertenvertretungen sehen konnte. Ich denke auch
an die Besuche in Rehabilitationseinrichtungen und
Werkstätten, wo durch das Engagement aller Beteiligten
Menschen mit Schwerbehinderungen ein guter Weg in
Arbeit und Beschäftigung geebnet wird. Mit dieser Arbeit für Menschen mit Behinderung werden unschätzbare Beiträge zur Integration geleistet und hervorragende Beispiele für den lebendigen Sozialstaat gegeben.
Allen, die bei diesen vielfältigen Aktivitäten mitgewirkt
haben, gebührt, wie ich denke, von dieser Stelle aus ein
großes Dankeschön.
({1})
Teilhabe, Chancengleichheit, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben - das sind Ziele, die sich diese Bundesregierung für ihre Behindertenpolitik gesetzt hat.
Dazu gehört auch, dass behinderten Menschen verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegeben werden
müssen. Sie fordern zu Recht: Wir wollen, dass nicht
mehr über uns, sondern mit uns entschieden wird. Sie
wollen ihr Leben in freier Selbstbestimmung gestalten
und gleichberechtigt wie andere an der Gesellschaft teilhaben. Das können sie aber nur, wenn sie eine Arbeit
finden, mit der sie ihren Lebensunterhalt aus eigener
Kraft bestreiten können. Denn wer arbeitet, ist unabhängig von staatlicher Hilfe; wer arbeitet, nutzt und entwickelt seine Fähigkeiten, findet Anerkennung und damit
auch seinen Platz in der Gesellschaft.
Die uneingeschränkte Teilhabe behinderter Menschen
an Arbeit und Ausbildung muss daher oberstes Ziel der
Behindertenpolitik sein. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam mit den Behinderten und mit den Unternehmen
erreichen.
({2})
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter haben wir in der letzten Legislaturperiode einen sehr guten Grundstein für die Verwirklichung dieses Ziels gelegt. Es ist dank gemeinsamer
Anstrengungen von Wirtschaft, von Gewerkschaften,
von Verbänden, von Schwerbehindertenvertretungen
und den Belegschaftsvertretungen in den Betrieben gelungen, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen binnen dreier Jahre um 24 Prozent zu senken.
({3})
Wir müssen allerdings ehrlich sagen: Die konjunkturelle Entwicklung und die Lage auf dem Arbeitsmarkt
haben dieses gute Ergebnis zwischenzeitlich wieder erheblich geschmälert. Umso mehr war es für uns Ansporn, diese Entwicklung mit einer neuen Gesetzesinitiative wieder umzukehren. Es ist noch immer so, dass ein
Drittel der beschäftigungspflichtigen Unternehmen in
Deutschland keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt. Das kann so nicht weitergehen.
({4})
Mit dem neuen Gesetz zur Förderung der Ausbildung
und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen wollen
wir Arbeitgeber motivieren, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen. Ich war über die weitgehend in
guter Übereinstimmung stattfindenden Beratungen im
Ausschuss sehr erfreut. Ich hoffe auch, dass die CDU/
CSU-Fraktion ihre Position noch einmal überdenkt, sich
dem breiten Votum von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und FDP anschließt und zu einer gemeinsamen guten
Beschlussfassung beiträgt, statt Nein zu sagen, wie es im
Ausschuss geschehen ist. Manche Punkte sind aufgenommen worden; andere, auf denen Sie noch beharren,
sind nicht einmal von der Ländermehrheit im Bundesrat
unterstützt worden. Es wäre wirklich ein gutes Signal,
wenn Sie sich heute im Interesse der gemeinsamen Sache und auch der Behinderten dem breiten Votum anschließen würden.
({5})
Ein wichtiger Schwerpunkt des Gesetzes ist die Regelung, dass, wo in Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt
werden, 5 Prozent dieser Ausbildungsplätze für junge
Menschen mit Behinderung angeboten werden sollen.
Wir glauben, dass es ganz wichtig ist, gerade diesem
Personenkreis zusätzliche Chancen zu geben. Ein Ausbildungsplatz ist entscheidend für die Entwicklung junger Menschen, behinderter wie nicht behinderter. Sie
dürfen nicht das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Deshalb muss die Ausbildungsbereitschaft in den
Betrieben erhöht werden.
Möglichst viele Jugendliche sollen, wenn sie sich in
überbetrieblicher Ausbildung befinden, zum Beispiel in
einem Berufsbildungswerk, in Zukunft Teile ihrer Ausbildung in den Betrieben absolvieren. Im Jahr 2000 gab
es circa 1,1 Millionen Plätze, auf denen schwerbehinderte Jugendliche hätten ausgebildet werden können.
Nur rund 5 300 wurden tatsächlich ausgebildet; das ist
nur ein Bruchteil. Auch diese Situation darf sich so nicht
weiterentwickeln. Wenn junge Menschen in Deutschland
die Schule beenden, dann darf ihnen die Tür zum Einstieg in das Beschäftigungsleben, in das Wirtschaftsleben nicht vor der Nase zugeschlagen werden!
({6})
Weiterhin haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Beschäftigung behinderter Menschen in kleinen und
mittleren Betrieben zu verbessern. Häufig finden wir
gerade in diesen Betrieben bei den Arbeitgebern erhebliche Informationslücken. Oft ist das auch der Grund für
fehlende Beschäftigungsbereitschaft. Vielen Betrieben
sind die Förderinstrumente nicht hinreichend bekannt.
Viele wissen nicht, welcher Träger für die Leistung zuständig ist. Hier sollen in Zukunft die Integrationsfachdienste als Hauptansprechpartner für die Arbeitgeber zur
Verfügung stehen und stärker in einer Verzahnung mit
Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern daran mitwirken, dass der Informationsfluss verbessert wird und die Menschen eher Beschäftigung finden können.
Wir wissen, dass die Entwicklung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auch von
der allgemeinen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängt. Aber die Einstellung hängt auch von der Einstellung ab, und zwar von der Einstellung im Kopf. Auch da
gibt es viel zu tun, um, wie wir es mit unserem Gleichstellungsgesetz vorgesehen haben, Barrierefreiheit zu erreichen, und zwar im Denken und im Handeln, im Zusammenarbeiten und Zusammenleben mit Behinderten.
Auch hier muss sich in den Betrieben einiges ändern.
Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin aus dem Jahre 1998 zeigt: Körperliche
und seelische Belastungen in der Arbeitswelt führen in
Deutschland zu direkten und indirekten Krankenkosten
von mehr als 50 Milliarden Euro. Dabei könnte ein
Großteil der Arbeitsunfähigkeit durch betrieblichen Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung vermieden werden.
Deshalb ist die betriebliche Prävention ein weiterer
Schwerpunkt unseres neuen Gesetzes. „Rehabilitation
statt Entlassung“, das muss das Motto sein. Hierzu wollen wir ein umfassendes Eingliederungsmanagement in
den Betrieben vorsehen. Denn viele Abgänge in die Arbeitslosigkeit erfolgen noch immer aus Krankheitsgründen. Auch werden die Integrationsämter vor einer Kündigung noch zu wenig eingeschaltet. Hier müssen
rechtzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden. Die
Integrationsvereinbarung kann hierbei eine wichtige
Rolle spielen; auch sie muss gestärkt werden. Wir wollen die Situation auch durch zusätzliche Prämien für die
Unternehmen verbessern. Sie sollen Mittel aus dem Ausgleichsfonds erhalten können. Darüber hinaus sollen
Modellprojekte geschaffen werden.
Wir wollen aber auch die Rechte der Schwerbehindertenvertretung verbessern. Diese Vertretung muss
von den Arbeitgebern als ein ernst zu nehmendes Mitwirkungsinstrument in den Betrieben begriffen werden.
Deswegen werden wir die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Stellvertreterinnen und Stellvertreter verbessern.
Wir werden auch dafür sorgen, dass die Bußgelder an
die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes angeglichen werden. Eine Erhöhung der möglichen Geldbuße von 2 500 auf 10 000 Euro wird mit dazu beitragen, dass die Arbeitgeber, die ihren Informations- und
Anhörungspflichten gegenüber der Schwerbehindertenvertretung nicht im Sinne des Gesetzes nachkommen, ihr
Verhalten überdenken werden und die Zusammenarbeit
so suchen, wie sie in der Mehrzahl der Betriebe in
Deutschland heute schon stattfindet.
({7})
Verantwortung und Pflichten gehören zusammen. Wir
erleichtern Verantwortung durch ein Stück Entbürokratisierung in einigen Bereichen der Vorschriften, durch verbesserte Förderungen und auch dadurch, dass wir die
Beschäftigungspflichtquote bei 5 Prozent gesetzlich
festschreiben. Auch dies wird Teilhabe und Mitwirkung
verbessern.
Werte Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt es
darauf an, die gesamten Bedingungen für Arbeit, Wohlstand und Fortschritt zu verbessern. Das ist der Prozess
der Agenda 2010. Aber gerade die Integration von Menschen mit Behinderung in Arbeit sollte den lebendigen
und den aktivierenden Sozialstaat erfahrbar machen.
Lassen Sie uns daher heute mit einer breiten Mehrheit in
diesem Haus den Startschuss für eine weitere Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungschancen von
Menschen mit Behinderung in Deutschland geben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Daniel Bahr, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
uns Liberale ist Behindertenpolitik keine Sparten-, sondern Bürgerrechtspolitik. Gerade die FDP will stets sowohl die größtmögliche Freiheit als auch ein höchstmögliches Maß an Eigenverantwortung für jeden einzelnen
Menschen. Es geht um Teilhabe und Selbstbestimmung
für Menschen mit Behinderung. Es gibt keine behinderten Menschen. Es gibt nur Menschen, die behindert werden.
({0})
Herr Staatssekretär Thönnes, Sie haben eben gesagt,
es sei noch zu früh, eine Bilanz über das Europäische
Jahr der Menschen mit Behinderung zu ziehen. Aber angesichts der Erwartungen, die in dieses Jahr gesetzt wurden, und angesichts der vollmundigen Ankündigungen
ziehen die Verbände, die sich besonders engagiert haben,
natürlich ein ernüchterndes und zum Teil auch enttäuschendes Fazit.
Bundesministerin Ulla Schmidt betonte am 19. Februar 2003 in einer Pressemitteilung zum Europäischen
Jahr der Menschen mit Behinderung - und ich zitiere die
Pressemitteilung wörtlich -, „die Bundesregierung habe
sich zur Aufgabe gemacht, die völlig gleichberechtigte
Teilhabe der Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben sowie in der Arbeitswelt zu erreichen.“ Daran wollen wir die Bundesregierung auch im
Rahmen der Debatte über die vorliegenden Gesetzentwürfe messen.
({1})
In dieser Pressemitteilung wurde als ein Schwerpunkt
genannt, „die Gesundheitsleistung für chronisch Kranke
und für Behinderte zu verbessern“. Ich möchte an dieser
Stelle gar nicht näher ausführen, was die Regelungen des
Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes seit dem
1. Januar dieses Jahres gerade für die Behinderten und
für die chronisch Kranken bedeuten.
({2})
Das gesetzte Ziel ist jedenfalls konterkariert worden.
({3})
Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Ich sage ganz
deutlich: Dieses Thema eignet sich nicht für gegenseitige Unterstellungen. Dafür stehen viel zu viele Einzelschicksale auf dem Spiel. Ziel für uns alle muss es doch
sein, dass die Rahmenbedingungen für Menschen mit
Behinderung in Beschäftigung und Ausbildung merklich
besser werden.
({4})
Daniel Bahr ({5})
Wir stimmen dem Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen zu, weil wir der Meinung sind, dass das Gesetz
eine Verbesserung für die Betroffenen mit sich bringt.
({6})
Es ist zwar mehr nötig; aber auch kleine Verbesserungen
sind Verbesserungen.
Mit dem In-Kraft-Treten des SGB IX vom 1. Juli
2001 ist es gelungen, einen wegweisenden Richtungswechsel in der Behindertenpolitik zu vollziehen. Erstmals ist die Förderung der Eigenkompetenz und Selbstverantwortung der behinderten Menschen klares Ziel
und Aufgabe des neuen Rechts. Es geht nicht mehr um
Fürsorge, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir unterstützen dies nachdrücklich.
({7})
Wir hätten uns allerdings bei der Erstellung dieses
Gesetzentwurfs weniger Fehler gewünscht. Dann wären
auch nicht so viele Änderungsanträge vonnöten gewesen. Die Anhörung hat uns in der Auffassung bestätigt,
dass der Gesetzentwurf noch einen erheblichen Nachbesserungsbedarf hatte. Deswegen waren, wie gesagt,
viele Änderungsanträge nötig. Daher ist es gut, dass wir
sie berücksichtigt haben.
Ausdrücklich begrüßen wir die Festschreibung der
Beschäftigungspflichtquote auf 5 Prozent bis Juni
2007. Das schafft Planungssicherheit in den Betrieben.
Ich glaube, da sind wir uns alle in diesem Hause einig.
Ich darf an dieser Stelle aus einer Stellungnahme des
Sozialverbandes VdK zitieren:
Durch eine ... Anhebung würde, wie alle bisherigen
Erfahrungen beweisen, die Beschäftigungssituation
behinderter Menschen nicht verbessert.
({8})
Stattdessen würden die ... positiven Rahmenbedingungen des SGB IX empfindlich gestört, da die Arbeitgeber dies als kollektive, ungerechte Strafe
empfinden.
Der VdK, die Koalitionsparteien und auch andere
Verbände schließen sich damit der langjährigen Position
der FDP an.
({9})
Wir begrüßen dies nachdrücklich und wollen auch in
anderen Bereichen Initiativen starten. Die betriebliche
Praxis zeigt nämlich, dass vor Ort durch eine enge Zusammenarbeit der Unternehmensleitung, der Schwerbehindertenvertretung, des Betriebsrates und der Sozialverbände größere Verbesserungen erzielt werden können
als durch regulierende Gesetzentwürfe, durch Vorgaben
von oben.
({10})
Beispielsweise konnte durch eine kontinuierliche
Schulung von Führungskräften und Arbeitnehmervertretern innerhalb von vier Jahren bei der Real SB Warenhaus GmbH die Schwerbehindertenquote von 2,6 auf
fast 4,4 Prozent erhöht werden. Dieses Beispiel steht
nicht allein. Das sind ganz konkrete Verbesserungen für
die Betroffenen, für die, die aktiv in den Betrieben sind
und die vor Ort ein Interesse haben, sich zu engagieren.
Meine Damen und Herren, haben Sie doch endlich
den Mut, der deutschen Wirtschaft zu vertrauen, anstatt
immer wieder durch Vorgaben und Regelungen zu gängeln! Verbesserungen müssen gelebt und nicht verordnet
werden. Umfangreiche Sonderregelungen für schwerbehinderte Arbeitnehmer laufen manchmal - nicht immer den eigentlichen Zielen zuwider. Wir müssen den Mut
haben, Einstellungsbarrieren und betriebliche Hemmnisse vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen, um die
Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen.
Dazu gehört vor allem eine Diskussion über den besonderen Kündigungsschutz und den Zusatzurlaub für
schwerbehinderte Arbeitnehmer dort, wo sie eine Einstellungsbarriere und ein betriebliches Hemmnis darstellen, weil sie für die Betriebe höhere finanzielle und bürokratische Belastungen bedeuten. Solche Regelungen
dienen möglicherweise den Menschen, die einen Arbeitsplatz haben. Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz
suchen, sind sie oft ein Einstellungshemmnis. Deswegen
müssen wir darüber eine Diskussion führen.
({11})
Es kann einfach nicht im Sinne der Betroffenen sein,
die deutsche Wirtschaft durch unrealistische Ansprüche
zu überfordern. In Zeiten der Globalisierung müssen wir
eine verantwortungsvolle Politik machen und die Stellung der Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb berücksichtigen. Es ist eben ein unbestreitbarer Wettbewerbsnachteil, wenn die Lufthansa als Einzige der großen
Luftfahrtgesellschaften nach eigenen Angaben eine jährliche Kompensationszahlung von circa 3 Millionen USDollar zahlen muss, während die anderen internationalen
Luftfahrtgesellschaften das nicht tun müssen. Es ist nicht
so, dass Unternehmen keine Menschen mit Behinderungen einstellen möchten. Aufgrund bestehender Verordnungen und Vorschriften dürfen aber manche Arbeitsplätze nicht mit schwerbehinderten Menschen besetzt
werden. Dennoch werden diese Arbeitsplätze zum Gesamtpersonal addiert. Wir finden es nicht richtig, dass
diese Arbeitsplätze eingerechnet werden. Deswegen haben wir gegen den entsprechenden Änderungsantrag gestimmt und wollen hierüber eine weitere Diskussion führen.
({12})
Wie gesagt, der FDP kommt es auf praktische Hilfen
im betrieblichen Alltag an, die die Beschäftigungs- und
Ausbildungssituation von Menschen mit Behinderungen
konkret verbessern. Nach unserer Meinung führt eine
Mitbestimmung mit Wirksamkeitsvoraussetzung der
Schwerbehindertenvertretung, so wie die CDU/CSU sie
beantragt hat, nicht zu konkreten Verbesserungen. Bereits nach geltendem Recht kann ein stellvertretendes
Mitglied zur Unterstützung der Vertrauensperson für einzelne Aufgaben hinzugezogen und dafür freigestellt
Daniel Bahr ({13})
werden. Eine weitere Ausweitung führt nur zu finanziellen Zusatzbelastungen, mit denen Beschäftigung verhindert und nicht gefördert wird. Für uns ist und bleibt der
Betriebsrat das zentrale Organ der Mitbestimmung. Wir
wollen keinen Nebenbetriebsrat.
Ein weiterer Schwerpunkt, der in der Pressemitteilung
des Gesundheitsministeriums seinerzeit angeführt
wurde, heißt: „Barrierefreiheit beim Bauen, im Verkehr
und bei den Informationsangeboten umsetzen.“ Wir unterstützen den Antrag „Reisen ohne Handicap - Für ein
barrierefreies Reisen und Naturerleben in unserem
Land“ ausdrücklich.
({14})
Aber es muss doch unser gemeinsames Ziel sein, uns zunächst Gedanken darüber zu machen, wie im alltäglichen Leben, beim Gang zur Arbeit und beim Einkaufen,
Barrierefreiheit gewährleistet wird, bevor wir uns als
Schwerpunkt um Naturerlebnisse Gedanken machen.
({15})
Natürlich muss es auch darum gehen, den Tourismus in
Deutschland barrierefrei zu gestalten. Aber unser erstes
Interesse muss sein, uns für Barrierefreiheit im Alltag zu
engagieren. Wir können uns überall ein Bild davon machen, dass dies leider noch nicht erreicht ist.
Im Sinne der Menschen mit Behinderungen dürfen
wir nicht nachlassen, für die Verbesserung ihrer Lebenssituation zu kämpfen. Ich hoffe, dass wir in diesem
Punkt gemeinsam nach praxistauglichen und vernünftigen Regelungen suchen können. Ich freue mich auf die
weitere Debatte.
Herzlichen Dank.
({16})
Ich erteile das Wort Kollegen Markus Kurth, Fraktion
des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
der vorgelegten Änderung des Sozialgesetzbuches IX
gehen wir drei wichtige Bereiche an: Zum Ersten lösen
wir eine ganze Reihe von konkreten Problemen, die sich
für Menschen mit Behinderungen ergeben haben. Zum
Zweiten gehen wir mit harten Anreizen deutlich auf die
Arbeitgeber und Unternehmen zu. Damit meine ich insbesondere die Ausgleichsabgabe bzw. die Beschäftigungspflichtquote. Zum Dritten erweitern wir die so genannten weichen Maßnahmen. Staatssekretär Thönnes
hat bereits die Präventionspläne und die betrieblichen
Eingliederungspläne angesprochen.
Lassen Sie mich zunächst etwas Wichtiges zu dem
vielleicht drängendsten konkreten Problem sagen, das
Menschen mit Behinderungen, aber auch die Träger von
Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in der
Vergangenheit besonders betroffen und beschäftigt hat.
Es geht hier um das Eingangsverfahren, um den Berufsbildungsbereich in Werkstätten für Menschen mit
Behinderungen. Wir wissen, dass für viele nur diese
Möglichkeit infrage kommt, um berufliche Erfahrung zu
sammeln, um aber auch dort in angepasster Weise langsam integriert zu werden und nicht zuletzt auch einen
Rentenanspruch zu erwerben.
Das Eingangsverfahren dient der Feststellung, ob die
Werkstatt für Menschen mit Behinderungen die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Es
dient auch der Feststellung, in welcher Art und Weise
der betriebliche Prozess der Integration in die Werkstatt
vorgenommen werden kann.
Bislang wurden diese Leistungen nur im Einzelfall
für drei Monate erbracht, obwohl die Praxis gezeigt hat,
dass drei Monate der Regelfall hätten sein müssen und
dass vier oder sechs Wochen viel zu kurz sind. Wer diese
Einrichtungen einmal in Ruhe und ohne großen Tross
besucht und sich dort alles genau angeschaut hat, der hat
festgestellt, dass sich die Menschen mit Behinderungen
und hier insbesondere diejenigen mit starken Lernbehinderungen nach vier oder sechs Wochen überhaupt erst
langsam an die Einrichtung gewöhnt, ihre Anleiter sowie
Betreuerinnen und Betreuer kennen gelernt haben und
dann auch erst auf dem Sprung waren, mit der eigentlichen beruflichen oder handwerklichen Tätigkeit in der
Werkstatt zu beginnen.
In der Vergangenheit war es häufig so, dass genau
dann das Eingangsverfahren gestoppt wurde, die Bewilligung vom Arbeitsamt nicht kam und dann erst lange
Briefwechsel oder sogar Gerichtsverfahren geführt werden mussten, bis das Verfahren fortgesetzt werden
konnte. Ergebnis war, dass die Menschen mit Behinderungen die Werkstatt zunächst verlassen mussten, die gesamten Erfolge der ersten vier bis sechs Wochen weggewischt waren und man dann, wenn das Verfahren denn
fortgesetzt wurde, wieder bei null anfangen musste. Das
ist gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht nur ökonomisch unsinnig, sondern das trägt auch nicht zur Planungssicherheit für die Träger der Werkstätten bei. Ich
bin sehr froh, dass alle Fraktionen dieses Hauses einvernehmlich gesagt haben, dass es so nicht weitergehen
kann.
Wir haben auch im Berufsbildungsbereich im Allgemeinen festgestellt, dass der notwendige Zeitraum zwei
Jahre und nicht nur ein Jahr beträgt. Ich denke, dass wir
auch der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam klar machen müssen, dass sektorales Denken hier nur schädlich
ist und daher dringend überwunden werden muss. Diesem Denken begegnen wir auch im Bereich der Rehaträger. Wir müssen hier endlich vernetzt und auch an die
Nachhaltigkeit sowie die langfristigen Konsequenzen
denken.
({0})
Wir nehmen die Bundesagentur für Arbeit auch nicht
im Bereich der aktiven Arbeitsmarktförderung für Menschen mit Behinderung aus der Verantwortung. Mit
diesem Gesetzentwurf verlegen wir aber insgesamt die
Strukturveranwortung für die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt stärker auf Integrationsämter und Integrationsfachdienste, die durch die Rechtsverordnung
mit höheren Mitteln aus der Ausgleichsabgabe bedacht
werden. Es geht darum, jetzt einen einheitlichen und
kompetenten Ansprechpartner für Arbeitgeber zu schaffen, damit die Beratung dazu, wie der Arbeitsplatz umgestaltet werden kann, welche Förderinstrumente, Prämien und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sowie
die Beratung über geeignete Bewerberinnen und Bewerber aus einer Hand kommen. So viel zu den konkreten
Problemen.
Wir schaffen aber auch eine ganze Reihe von harten
Anreizen. Der wichtigste ist sicherlich, dass die Beschäftigungspflichtquote erst einmal auf 5 Prozent der
Beschäftigten festgeschrieben und nicht auf 6 Prozent
erhöht wird, wie das ursprünglich vorgesehen war. Ich
glaube, hiermit senden wir schon ein deutliches Signal
an die Wirtschaft, das lautet: Wir kommen ihnen einen
großen Schritt entgegen. Sie sparen dadurch 340 Millionen Euro pro Jahr. - Es sind 340 Millionen Euro, die dadurch nicht als Mehrbelastung auf die Arbeitgeberinnen
und Arbeitgeber zukommen.
({1})
Ergänzend leiten wir bei der Gestaltung der Beschäftigungspflichtquote und der Ausgleichsabgabe
weitere Schritte ein. Wir bieten ein ganzes Set von Maßnahmen an. So werden zum Beispiel Beschäftigte, die
aus der Behindertenwerkstatt in den ersten Arbeitsmarkt
kommen, doppelt auf die Beschäftigungspflichtquote angerechnet, ebenso wie entsprechende Personen, die nach
der Ausbildung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Wenn eine Zeitarbeitsfirma
eine schwerbehinderte Person beschäftigt, die im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für einen Betrieb
arbeitet, wird jetzt auch diese Person auf die Beschäftigungspflichtquote angerechnet.
({2})
Die Unterstellungen, die Herr Bahr hier geäußert hat, indem er gesagt hat, wir kämen der Wirtschaft nicht genug
entgegen, hier würden Schwierigkeiten gemacht, sind
also einfach nicht richtig.
({3})
Wir bieten eine ganze Reihe von Maßnahmen an. Das
muss man gegenüber der Wirtschaft auch vertreten.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, wenn
Arbeitgeber versuchen, Arbeitsplätze aus der Beschäftigungspflichtquote herauszurechnen, indem sie sagen:
Für diesen Arbeitsplatz sind Schwerbehinderte gar nicht
geeignet. - Sollte sich dies durchsetzen, würde dies unserem Politikansatz, den wir hier bisher gemeinsam
- vor allen Dingen die rot-grüne Koalition - verfolgt haben, diametral entgegenstehen.
({4})
Wir versuchen doch gerade, Arbeitgeber zu motivieren, sich zu überlegen, wie sie Arbeitsplätze gestalten
können, um schwerbehinderte Menschen beschäftigen
zu können. Daher kann es nicht sein, dass wir jetzt Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnen, zu schauen, wie sie
Arbeitsplätze so definieren können, dass sie zum Integrationsamt gehen und sagen können: Diesen Arbeitsplatz kann ich gar nicht mit einem Schwerbehinderten
besetzen.
Man kann sich dies am Beispiel der Lufthansa anschauen. Die Lufthansa beschäftigt sogar im Bereich des
Flugpersonals Menschen mit Behinderungen. Man kann
in der Statistik nachlesen, dass von den dort 71 000 Beschäftigten gerade einmal 4 000 zum fliegenden Personal, also zu den Piloten, zu dem Crewpersonal, gehören.
Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten innerhalb
des Konzerns der Lufthansa, wie Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden können, zum Beispiel im
Catering und in der Abfertigung.
Außerdem wird von einem sehr verengten Begriff
ausgegangen, wer eigentlich ein Mensch mit Behinderung ist. Jemand, der eine schwere Krebserkrankung
überstanden hat, verfügt in aller Regel über einen
Schwerbehindertenausweis. Niemand aber sagt doch,
dass eine ehemals krebskranke Person nicht auch Flugbegleiter werden kann. Wir müssen hier also sehr genau
differenzieren und versuchen, uns einer Argumentation
entgegenzustellen, die nur dazu führen würde, Tür und
Tor zu öffnen, um die Ausgleichsabgabe zu unterhöhlen
und sie letzten Endes vollkommen zu demontieren.
({5})
Das führt mich zu einem weiteren Aspekt, der in der
öffentlichen Debatte viel zu wenig Beachtung findet.
Wir sollten Menschen mit Behinderungen - natürlich haben sie Handicaps - nicht als Behinderer der Gesellschaft, der Arbeitgeber oder unserer Sozialsysteme sehen. Das ist aus meiner Sicht ein außerordentlich
kurzfristiger Wachstumsbegriff.
Wir sollten auch die Chancen und das Potenzial an
gesellschaftlichen und technologischen Innovationen für
Menschen mit Behinderungen sehen. Man braucht sich
nur einmal die Möglichkeiten anzuschauen, die mittlerweile allein im Bereich der Telekommunikation und der
Medienkompetenz existieren, zum Beispiel die technischen Hilfen für Sehbehinderte und für Menschen mit
Hörstörungen. Es gibt eine große Produktpalette, die
sich immer weiter entwickelt.
({6})
Auf diesen Märkten sollten wir ebenfalls eine Innovationsoffensive starten. Es wird viel von Innovation geredet. Aber das Innovationspotenzial im Bereich der
Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen liegt brach. Wir haben die Möglichkeit, zu gesellschaftlichen Innovationen zu kommen und dort endlich einen qualitativen Wachstumsbegriff anzulegen.
Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz Möglichkeiten
schaffen, weiter in diese Richtung zu denken und den
Begriff der Innovation in Zukunft gesellschaftlich wie
technologisch auch im Bereich der Menschen mit Behinderungen zu entfalten.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen endete das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Ein Jahr lang haben Tausende von Menschen in zahlreichen Veranstaltungen auf
kreative Weise auf ihre Situation aufmerksam gemacht.
Unter dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ haben sie
sich für Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung eingesetzt. Ihr Engagement und eine erfolgreiche
Öffentlichkeitsarbeit haben sicher einiges an positiver
Bewusstseinsänderung angestoßen.
Dennoch, meine Damen und Herren, bleibt der traurige Beigeschmack, dass auf der politischen Habenseite
nicht viel zu verbuchen ist. Herr Thönnes, eines muss ich
jetzt, weil Sie ja voll des Lobes für die Bundesregierung,
also für sich selbst, waren, schon festhalten: Wenn man
die Situation in Deutschland betrachtet, muss man realistischerweise sagen, dass es vielen betroffenen Menschen
mit Behinderungen heute schlechter geht als noch vor einem Jahr. Das ist nun mal so.
({0})
- Doch, das ist so, schon allein deshalb, weil mehr Behinderte arbeitslos sind. Darauf komme ich gleich noch
zu sprechen.
({1})
Dabei sind wir uns im Ziel doch tatsächlich einig.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der auch Menschen mit
Beeinträchtigung gleichberechtigt am Alltagsleben teilnehmen können. Jede und jeder von uns will doch im
Leben seine Frau bzw. seinen Mann stehen, den Lebensunterhalt selbst verdienen, statt von Fürsorge abzuhängen, will seine Begabungen, so gut es geht, auch im
Beruf verwirklichen, Anerkennung für die eigene Leistung bekommen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Beruf und Beschäftigung sind wichtige Elemente, den
Menschen mit Behinderungen Teilhabe, Gleichstellung
und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Deshalb ist es so
bedauerlich, dass die Bundesregierung positive und für
uns entscheidende Punkte aus ihrem Referentenentwurf,
den sie vorgelegt hatte, gestrichen hat. Dieser Entwurf
war ja gut. Wir haben unsere Zustimmung zu ihm signalisiert. Hätten Sie die Punkte, die uns wichtig sind, nicht
verändert, würden wir zustimmen. Sie waren aber nicht
bereit, auf die Punkte, die uns, der Union, wichtig sind,
einzugehen. Dies hätte ich mir gewünscht, weil die Aufbruchsstimmung des Europäischen Jahres der Menschen
mit Behinderungen dann auch in die Tat umgesetzt worden wäre.
Meine Damen und Herren, der Titel Ihres Gesetzentwurfes lautet - Sie haben ihn ja eben gerade selbst
genannt -: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der
Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Wenn man sich diesen Titel anschaut, muss man
feststellen, dass der Inhalt diesem hohen Anspruch nicht
genügt. Im Gegenteil: Ich hätte es viel ehrlicher gefunden, wenn Sie den Gesetzentwurf „Änderungen zum
SGB IX“ genannt hätten.
Unsere Zusage gilt weiterhin: Die CDU/CSU ist zur
fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit bereit, wenn
es wirklich darum geht, die Integration behinderter Menschen wirksam zu fördern und vor allen Dingen nachhaltige Verbesserungen zu schaffen.
({2})
Diese Bereitschaft haben wir übrigens schon häufiger
bewiesen. Ich erinnere nur an die Verabschiedung des
SGB IX und des Bundesgleichstellungsgesetzes. Hier
haben wir Ihnen unsere Zustimmung gegeben. Im vorliegenden Gesetzentwurf sind solche Verbesserungen für
behinderte Menschen aus unserer Sicht jedoch nicht zu
erkennen.
Meine Damen und Herren, im Juni 2003 hat die Bundesregierung ihren Bericht zur Beschäftigungssituation
Schwerbehinderter vorgelegt. Auch hier hatte sie viel
Lob für sich übrig.
({3})
Angesichts des desolaten Zustands des Arbeitsmarktes
und der noch ungünstigeren Situation für Behinderte war
so viel Lob jedoch unangemessen. Dennoch ist ein solcher Bericht notwendig. Wir hätten uns gewünscht, dass
der nächste Bericht nicht erst im Jahr 2007 erstellt werden soll, sondern dass dies, wie es auch jetzt der Fall
war, regelmäßig alle zwei Jahre geschieht.
In dem Bericht wird geschildert, wie sich die Zahl
der schwerbehinderten Arbeitslosen nach der Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ zwischen Oktober 1999 und 2002 verringert hat. Wenn man aber genau
hinschaut, stellt man fest, dass diese Zahlen nicht dadurch zu erklären sind, dass die Menschen tatsächlich
auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz gefunden haben. Vielmehr beruht der Rückgang hauptsächlich
auf Frühverrentung. Der größte Rückgang überhaupt ist
bei den über 55-jährigen Schwerbehinderten zu verzeichnen. Sie wollen uns hier ja wohl nicht erklären,
dass ausgerechnet bei den über 55-jährigen Behinderten
die erfolgreichste Eingliederung gelungen ist.
({4})
Die Zahlen vom Dezember 2003 sind deswegen so erschreckend, weil an ihnen deutlich wird, dass hier kein
nachhaltiger Erfolg erzielt wurde. Im Dezember 2003
waren 168 951 Schwerbehinderte arbeitslos gemeldet.
Das sind fast 13 000 Personen mehr als ein Jahr zuvor.
Das ist eine Zunahme von 8,1 Prozent. Von einer Verbesserung der Situation kann also nicht die Rede sein.
({5})
Wir haben vor einem Jahr der Absenkung der
Pflichtquote zugestimmt und würden ihr auch heute
wieder zustimmen. Grund für uns war nicht, dass wir geglaubt haben, dass dadurch mehr Arbeitsplätze für behinderte Menschen geschaffen würden - so schön das
auch wäre -, sondern dass den meisten Betrieben aufgrund der Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung
das Wasser bis zum Hals steht. Das ist der eigentliche
Grund. Das muss ich so deutlich sagen.
({6})
Herr Thönnes, wenn Sie wirklich der Auffassung sind,
dass durch die Absenkung der Pflichtquote Arbeitsplätze
geschaffen werden - das haben Sie behauptet -, dann
frage ich mich, wie die SPD auf die Idee kommen
konnte, dass eine Ausbildungsplatzabgabe zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen führen werde.
({7})
Das ist ein Widerspruch in sich, den ich nicht verstehe.
Ich verkenne nicht die Probleme; das möchte ich an
dieser Stelle deutlich sagen. Wir alle wissen, dass die Situation nicht einfach ist. Deswegen danke ich an dieser
Stelle den vielen Unternehmen, besonders den kleinen
und mittleren Unternehmen, den Gewerkschaften und
den Verbänden, die einen Beitrag dazu geleistet haben,
dass die Situation nicht noch schlimmer geworden ist.
({8})
Wer Missstände beheben will, der muss bereit sein,
sie auch zu erkennen. Dazu sind Sie nicht bereit. Der
vorliegende Gesetzentwurf wird Ihrer Intention, die Sie
eben dargestellt haben, nicht gerecht. Ich teile die Ziele,
die Sie genannt haben; das gilt auch für meine Fraktion.
Von diesen Zielen ist aber in Ihrem Gesetzentwurf nichts
zu lesen. Er enthält hauptsächlich Soll- und Kannvorschriften und Verfahrensänderungen, die sich aus der
praktischen Umsetzung des SGB IX ergeben. Ich behaupte nicht, dass alle Regelungen falsch wären; wir haben uns ja auch nur auf drei Punkte konzentriert. Das haben wir im Ausschuss auch dargestellt.
Durch dieses Gesetz wird unter anderem die Möglichkeit des Missbrauchs des Kündigungsschutzes eingeschränkt. Das ist ein gutes Beispiel. Jeder, der schon einmal mit Behindertenvertretern gesprochen hat, weiß,
dass es in der Tat Menschen gibt, die bei einer drohenden Kündigung noch schnell einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung stellen, obwohl sie
wissen, dass nicht der geringste Grad von Schwerbehinderung anerkannt wird. Dadurch genießen sie einen
Kündigungsschutz, der eigentlich anderen Menschen zusteht. Dass dieser Missbrauch eingegrenzt wird, finden
wir in Ordnung. Damit ist nicht nur den Betrieben gedient; Missbrauch bringt ja auch den Kündigungsschutz
insgesamt in Verruf. Der Vorschlag, der jetzt aufgenommen worden ist, kam übrigens vom Bundesrat.
Hinsichtlich der Frage, ob man den Kündigungsschutz für diese Menschen aufheben sollte, bin ich anderer Meinung als die FDP.
({9})
Dieser Kündigungsschutz ist kein Einstellungshindernis,
auch wenn er in manchen Fällen problematisch für einen
Betrieb ist. Er dient hauptsächlich den Menschen, die
während des Erwerbslebens eine Behinderung bekommen. Ziel ist also, dass diese Menschen einen sicheren
Arbeitsplatz haben. Deswegen bin ich nicht dafür, ihn
aufzuheben.
({10})
Es wurden hier schon die Punkte genannt, die uns
wichtig sind. Ich hätte Herrn Kurth während der ganzen
Rede Beifall zollen können, weil er das vertreten hat,
was in unseren Anträgen steht.
({11})
Wenn er unserem Antrag dann noch zugestimmt hätte,
hätte ich noch mehr geklatscht. Das wird heute aber
wohl nicht mehr eintreten.
Wir wollten die Leistungsdauer im Eingangsverfahren
und bei der Berufsbildung grundsätzlich ohne Ausnahme
festschreiben. Das hätte nicht zu höheren Kosten geführt.
Sie wissen, dass für das zweite Jahr der Berufsbildung,
wenn es nicht vom Arbeitsamt bezahlt wird, die Sozialhilfeträger und somit letztlich die Kommunen aufkommen. Diese Regelung hätte sogar zu niedrigeren Kosten
geführt, da die Bürokratie hätte abgeschafft werden können, die notwendig ist, um festzustellen, ob das zweite
Jahr der Berufsbildung noch gewährt werden kann.
({12})
Außerdem hätten wir damit vermieden, dass Klagen erhoben werden und es zu teuren und schwierigen Rechtsverfahren kommt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass
sie uns zugestimmt hätten. Dann hätten Sie uns viel erspart. Vor allem hätten Sie allen Betroffenen Sicherheit
gegeben, den Einrichtungen und den Behinderten selbst.
({13})
Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zu der
Regelung des Anhörungsrechts der Schwerbehindertenvertretung sagen. Auch hier muss ich der FDP widersprechen.
({14})
Sie sagt, sie sei gegen dieses Anhörungsrecht. Da das
Anhörungsrecht im SGB IX schon längst verankert ist,
hätten Sie dann den Antrag stellen müssen, dieses Gesetz zu ändern. Die Frage ist aber, wie es in der Praxis
umgesetzt wird.
Wir haben gesagt: Da das Anhörungsrecht gesetzlich
schon zementiert ist, muss auch gefordert werden, dass
bei seiner Verletzung eine in einem Betrieb getroffene
Maßnahme, die einen Behinderten besonders betrifft,
ungültig ist. Sie haben dieses Problem wahrscheinlich
erkannt, weil dies auch in Ihrem Referentenentwurf
stand und weil Sie jetzt das Bußgeld, das bei Nichtbeachtung zu zahlen ist, erhöhen wollen. Das schlichte Erhöhen des Bußgeldes würde aber längst nicht ausreichen, um das Ergebnis zu erzielen, das wir anstreben.
Ich frage Sie: Wie soll eine Schwerbehindertenvertretung überhaupt mitwirken, wenn sie noch nicht einmal
die Chance hat, sich dort zu informieren, wo die Probleme entstanden sind? Das könnte ja auch dem Betrieb
dienen. Vielleicht hat dieser zusammen mit dem Integrationsamt und den Integrationsfachdiensten neue Lösungen entwickelt, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Herr
Kurth, es gibt heute in der Tat mehr technische Möglichkeiten, als so mancher denkt. Da man vom Integrationsamt Zuschüsse aus der Ausgleichsabgabe erhält, könnte
man den entsprechenden Arbeitsplatz möglicherweise
sogar derart optimieren, dass der Behinderte leistungsfähiger ist als jemand, der diese Arbeit ohne Behinderung
leisten würde.
({15})
Zum Abschluss: Ich hätte mir gewünscht, dass wir
dem Antrag zustimmen könnten.
({16})
Wir konnten Sie leider nicht von Ihren eigenen Anliegen, die im Referentenentwurf noch enthalten waren,
überzeugen. Trotzdem erkläre ich natürlich unsere weitere Bereitschaft, an echten und wirklich konkreten Verbesserungen für die Behinderten mitzuarbeiten. Ich sage
aber: Dies fängt nicht erst im Erwerbsleben an. Mein
Wunsch ist es, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam leben und lernen. Das heißt, ich wünsche mir integrative Einrichtungen nicht erst im Berufsleben, sondern bereits viel früher, nämlich in den
Schulen und Universitäten.
({17})
Ich bedauere zum Beispiel, dass all diese Bereiche im
Gleichstellungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen
- es bestand die Möglichkeit, dort so etwas festzuschreiben - nicht enthalten sind. Ich hätte es mir anders gewünscht; denn nun haben die Sonderschulen und Sondereinrichtungen wieder einen erhöhten Zulauf.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits überzogen.
Wenn man vom Kindesalter an mit behinderten Menschen zusammenlebt, dann schafft dies das Bewusstsein
dafür, dass Behinderte in manchen Bereichen viel mehr
leisten können, als sich das so mancher schwerst mehrfach Normaler, wie ich ihn jetzt einmal bezeichnen
möchte, vorstellen kann.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
- Nein.
Diese gedehnten Schlusssätze! - Das Wort hat jetzt
die Abgeordnete Silvia Schmidt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Hüppe, Ihnen ist wahrscheinlich tatsächlich irgendetwas entgangen. Ihre Partei
- diese Diskussion haben wir bereits regelmäßig geführt - möchte die Befugnisse gemäß der Betriebsverfassung einschränken. Sie wollen grundsätzlich das Gegenteil. Ich denke, dass die Praxis durchaus beweist,
dass Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräte
gut zusammenarbeiten können und dass eine Erhöhung
des Bußgeldes durchaus die bessere Alternative ist, um
mit den Unternehmen nicht nur ins Gespräch zu kommen, sondern auch Druck auszuüben.
({0})
Herr Hüppe, der Staatssekretär Herr Thönnes hat vorhin deutlich gesagt, dass wir dieses Gesetz heute auch
deshalb mit einbringen, weil wir erkannt haben und
durchaus wissen, dass die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten jungen Menschen zugenommen hat. Natürlich müssen wir hier reagieren. Wie gesagt: Das scheint
Ihnen entgangen zu sein.
1998 haben wir, die wir alle hier sitzen, mit der Reform der Behindertenpolitik begonnen,
({1})
mit einer Reformpolitik, die den behinderten Menschen
als kompetenten Experten in eigener Sache und als Akteur der eigenen Entwicklung sieht und unterstützt. Wir
waren mit unserer Politik für die Menschen mit Behinderungen in der letzten Legislaturperiode sehr erfolgreich.
Silvia Schmidt ({2})
Ich denke - das wissen auch Sie, Herr Hüppe -, dass
sich die gesamte Situation für behinderte Menschen
grundsätzlich verbessert hat.
({3})
Dies ist das größte gesetzgeberische Programm seit
30 Jahren. Als Erstes ist hier das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zu nennen,
aber auch mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch und
dem Behindertengleichstellungsgesetz haben wir eine
emanzipierte Behindertenpolitik eingeleitet. Unser Ziel
ist es nämlich, Menschen mit Behinderungen mehr
Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu garantieren.
Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen war und ist ein großer Erfolg. Es hat nämlich die
Menschen weiter sensibilisiert und die öffentliche Wahrnehmung ist durchaus gewachsen. Viele Menschen erlebten auf Tausenden Veranstaltungen - jeder von uns
hatte in seinem Wahlkreis mit Sicherheit zwei oder drei
Veranstaltungen - ein Miteinander und spürten, wie
selbstverständlich und einfach dieses Miteinander ist.
Wir durften es erleben. Für dieses gleichberechtigte
Miteinander müssen noch weitere Schritte folgen. Dieses Gesetz ist ein weiterer Abschnitt, ein Bindeglied und
ein Baustein.
Ich erwähnte bereits die ausgesprochen schwierige
und angespannte konjunkturelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, die niemand leugnen will. Die Verpflichtung unseres Koalitionsvertrages, die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten mit weiterentwickelten Zielvorgaben umzusetzen, führt zu einem deutlichen Handlungsbedarf. Im Bericht der Bundesregierung
- ich nenne hier nur beispielhaft § 160 SGB IX - wurden
unsere Erfolge durchaus sichtbar. Wir haben aber auch
erkannt: Unser Gesetz wird die Beschäftigungs- und
Ausbildungssituation schwerbehinderter Menschen jetzt
wieder deutlich verbessern müssen.
({4})
Ein weiterer wesentlicher Punkt. Die Anhörung am
12. November 2003 hat klar gezeigt, dass dieses Gesetz
grundsätzlich begrüßt wird.
({5})
Der nachvollziehbaren Detailkritik sowie den Vorschlägen des Bundesrates haben wir mit unseren Änderungsanträgen durchaus Rechnung getragen.
({6})
Eines muss ich noch erwähnen: Anhörungen sind dafür
da, einen Gesetzentwurf zu beraten. Eine vernichtende
Kritik der Verbände an unserem Gesetzentwurf, sehr geehrter Kollege Hüppe, konnte ich wirklich nicht feststellen. Ich habe mir das Protokoll der Sitzung extra noch
einmal durchgelesen.
Allerdings wurde Ihr Vorschlag, lieber Kollege, den
gesetzlichen Zusatzurlaub für behinderte Menschen aufzuheben - mit einer Entlastung von 2,5 Prozent bei den
Unternehmen - und andererseits die Schutzquote auf
6 Prozent zu erhöhen, um damit Druck auf die Unternehmen auszuüben, von allen Verbänden nicht verstanden
und konnte nicht nachvollzogen werden, auch dann
nicht, als Sie noch einmal nachgefragt haben.
({7})
Diese Idee wurde grundsätzlich abgelehnt. Eines möchte
ich beiden Oppositionsparteien klar sagen: Zusatzurlaub
ist kein Geschenk für Menschen mit Behinderungen. Zusatzurlaub hat einen Grund und ist aus medizinischen
Gründen meist leicht nachvollziehbar.
({8})
Unser Staatssekretär Franz Thönnes hat schon darauf
hingewiesen - das ist auch in der Anhörung deutlich geworden -, dass der Ausbau der betrieblichen Prävention im Sinne von Rehabilitation statt Entlassung besonders gelobt wurde. Dr. Hase, Sachverständiger der
Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, hält
die Anreizsysteme, um die Beschäftigungssituation und
die Ausbildung gerade junger Menschen zu fördern, für
äußerst sinnvoll. Herr Kuhn von der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin begrüßte das Eingliederungsmanagement. Ich könnte mit diesen positiven
Beispielen fortfahren. Erwähnen möchte ich noch, dass
unser Gesetz prinzipiell positiv bewertet wurde.
Die Aufgaben der Integrationsämter und der Integrationsfachdienste werden so zugeschnitten, dass
diese passgenaue Vermittlungs- und Unterstützungsleistungen sowohl für schwerbehinderte Menschen als auch
für die Arbeitgeber erbringen können. Die Informationsdefizite der Unternehmen müssen weiter abgebaut werden. Es wurde bereits erwähnt, dass 38 Prozent der Arbeitgeber zurzeit keinen einzigen Schwerbehinderten
beschäftigen. Die neuen Instrumente werden nicht nur
Anreize schaffen, sondern sie müssen auch die Bereitschaft und das Verständnis der Unternehmen für Behinderte fördern, um ein intensives Kennenlernen zu ermöglichen.
Liebe FDP, auch die Wirtschaft hat eine Verantwortung, die sie wahrnehmen muss.
({9})
- Die muss sie weiter und auch verstärkt wahrnehmen,
sehr geehrter Kollege Kolb.
Jetzt wird im Gesetz die Dauer des Eingangsverfahrens im § 40 rechtssicher festgeschrieben. Ich muss das
nicht noch einmal erwähnen, sonst müsste ich das Gesetz zitieren. Ich finde den Einwand dagegen nicht gerade sehr anständig.
Unerträglich war die so genannte Lex-Lufthansa-Diskussion. Der Buchstabe b des § 73, der bedeutet, dass
Silvia Schmidt ({10})
die gesundheitliche Eignung bei der Höhe der Ausgleichsabgabe und der Beschäftigungspflichtquote zu
berücksichtigen ist, wurde endgültig gestrichen.
({11})
Für mich bedeutete dieser Vorschlag eine gravierende
Diskriminierung sowie einen Verstoß gegen die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU. Wir arbeiten übrigens an einem Antidiskriminierungsgesetz. Die Stellungnahme von Verdi macht dies sehr deutlich. Es heißt
dort, das sich eine derartige Lex Lufthansa als ein Beschäftigungsprogramm für Widerspruchsausschüsse und
Sozialgerichte erweisen würde.
Weiter heißt es:
Die Ausgleichsabgabe ist ein Instrument des Ausgleiches zwischen Arbeitgebern, die ihre Pflicht erfüllen, und denjenigen, die sie nicht erfüllen.
Letztlich leugnet eine solche Rechtsvorschrift die Vielfalt der Behinderungen, die zu einer Schwerbehinderung
führen können.
Integrationsprojekte werden im Steuerrecht -
Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Zeit. Sie sind
schon eine Minute darüber.
Dann muss ich gleich abbrechen. Das möchte ich aber
noch erwähnen.
Nein, Sie sollen zum Schluss kommen.
Dann komme ich jetzt zum Schluss. Die Integrationsprojekte werden jetzt steuerrechtlich als gemeinnützig angesehen. Gerade die Praxis hat gezeigt, dass
sich Integrationsprojekte positiv entwickelt haben und
dass die Integrationsämter den Integrationsprojekten und
Unternehmen Fördermittel zur Verfügung gestellt haben.
Hier fühlen sich unsere behinderten Mitmenschen durchaus sehr wohl.
Liebe Frau Kollegin, es geht jetzt wirklich nicht mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
stimmen Sie zu!
Vielen Dank.
({0})
Jetzt kommt eine wirklich kurze Kurzintervention des
Kollegen Hüppe, der etwas richtig stellen möchte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich wollte nur darauf hinweisen, dass das, was Frau Kollegin Schmidt in
einem Punkt über mich behauptet hat, nicht stimmt. Ich
habe in der Anhörung nicht, wie es auch in Ihrer Presseerklärung dargestellt worden ist, gefordert, den Zusatzurlaub abzuschaffen, sondern ich habe die Frage gestellt, ob es nicht ein Weg sein könnte, die Pflichtquote
bei 6 Prozent zu belassen, um Druck auszuüben, mehr
Behinderte zu beschäftigen, und es auf der anderen Seite
für die Betriebe dadurch günstiger zu machen, dass die
über 2 Prozent Mehrkosten durch den Zusatzurlaub wegfallen.
Denn in der Tat ist es nicht so, dass Behinderte, so
wie Sie es dargestellt haben, generell Kranke sind und
diesen Zusatzurlaub brauchen. Im Gegenteil: Die Statistik sagt, dass Behinderte wesentlich weniger Krankentage als andere Menschen haben.
Diese Anregung ist von den Verbänden abgelehnt
worden. Deswegen haben wir es auch nicht weiter gefordert. Aber wenn man in einer Anhörung nicht mehr fragen und über das Normale hinaus denken darf, dann sollten wir Anhörungen grundsätzlich sein lassen.
({0})
Wollen Sie antworten?
({0})
- Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje
Blumenthal.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung präsentiert uns mit ihrem Bericht
über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter
Menschen nach § 160 des SGB IX Zahlen, die uns leider
- das muss ich hier ganz deutlich sagen - nur die Illusion
eines Erfolges vermitteln. Frau Schmidt, daran ändern
Sie mit Ihren Lobpreisungen hier überhaupt nichts. Ich
werde Ihnen gleich einige deutliche Zahlen nennen.
({0})
Das betrifft auch Ihre Einschätzung der Anhörung mit
dem Lob oder dem Einverständnis der Verbände. Da hat
unsere Fraktion einen deutlich anderen Eindruck gewonnen, als Sie uns hier vermitteln wollen.
({1})
Von Oktober 1999 bis Oktober 2002 sollte die Zahl
der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen durch
das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter um mindestens 25 Prozent gesenkt
werden.
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Jugendlicher unter 25 Jahren - darauf lege ich
mein Schwergewicht - gestaltet sich in dem fraglichen
Zeitraum im Bundesgebiet allerdings wie folgt: Ende
September 1999 waren 6 334 Schwerbehinderte unter
25 Jahren als arbeitslos gemeldet. Das sind 4,7 Prozent
aller Behinderten im erwerbsfähigen Alter bis 25 Jahre.
Ende September 2001 waren sogar 7 117 Schwerbehinderte unter 25 Jahren als arbeitslos erfasst. Das
sind schon 5,1 Prozent aller Behinderten im erwerbsfähigen Alter bis 25 Jahre.
({2})
- Hören Sie lieber zu, dann wird Ihnen vielleicht einiges
klar! - Ich habe Ihnen diese statistischen Zahlen bewusst
genannt; denn vonseiten der Bundesregierung hören wir
nicht so deutliche, sondern schöngefärbte Zahlen.
({3})
Die Zahlen belegen eindeutig: Die Arbeitslosigkeit
bei den schwerbehinderten Jugendlichen ist insgesamt
nicht zurückgegangen. Die Wahrheit ist sogar noch
schlimmer. Ein Vergleich der Zahlen vom September 2003 mit denen vom September 1999 fällt verheerend aus. Ende 2003 waren 8 287 Schwerbehinderte
unter 25 Jahren arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer
Quote von 1,6 Prozent. Damit waren aber Ende 2003
1 953 schwerbehinderte Jugendliche mehr arbeitslos als
vor dem In-Gang-Setzen der von der Bundesregierung
1999 initiierten Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“. Das entspricht einer Steigerung der Jugendarbeitslosigkeit behinderter Menschen von über 30 Prozent seit 1999.
({4})
Frau Schmidt ist leider nicht mehr im Saal. Es hätte ihr
vielleicht einmal gut getan, sich diese Zahlen zu Gemüte
zu führen.
In einer solchen Situation sprechen diese Bundesregierung und die Regierungskoalition von einer Verbesserung! Ich glaube, in solchen Fällen heißt es in Zeugnissen gemeinhin:„War redlich bemüht, aber das Ziel
wurde verfehlt“.
({5})
- Ich belege das mit Zahlen. - Ich denke, dass Ihre Aussagen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen um 24 Prozent gesenkt zu haben, am Toleranzlimit
der Interpretation von Statistiken kratzt.
Zum einen stelle ich mir die Frage, ob Sie bei der absoluten Zahl der Eintritte ins erwerbsfähige Alter die Geburtenrückgänge berücksichtigt haben. Zum anderen
sind im Zeitraum 1999 bis 2002 Abgänge aus der Statistik in Höhe von nahezu 800 000 Schwerbehinderten
zu verzeichnen, ein sehr großer Teil davon aus Altersgründen. Ihre positiv dargestellten Ergebnisse sind nicht
zuletzt auch auf diese Abgänge und nicht etwa auf die eigenen Leistungen Ihrer Regierung zurückzuführen.
Leider verbergen sich hinter diesen Zahlen auch
menschliche Schicksale, sodass ich es persönlich als
Hohn empfinde - so müssen es auch die betroffenen behinderten Menschen selbst empfinden -, wenn die Bundesregierung ihre Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten als großen Erfolg
bewertet.
Handlungsbedarf sieht aber glücklicherweise auch die
Bundesregierung. So sollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf insbesondere für schwerbehinderte Jugendliche die Chancen für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere in kleinen
Betrieben, verbessert werden. Doch nur mit einer nachhaltigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die auf
Dauer Arbeitsplätze schafft und sichert, kann es gelingen, dauerhaft Arbeitsplätze auch für schwerbehinderte
junge Menschen zu schaffen.
Speziell für die Zielgruppen der jugendlichen Arbeitslosen wurde das Programm JUMP von der
Bundesregierung aufgelegt; daran schloss sich ab
1. Juli 2003 die Neuauflage des Programms mit dem
vielversprechenden Namen „JUMP plus“ an.
({6})
Die eben von mir angeführten Zahlen zur Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Jugendlichen zeigen,
dass das Programm JUMP zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit offensichtlich an der Gruppe der schwerbehinderten Jugendlichen vorbeigegangen ist. Nach wie
vor ist der Anteil der schwerbehinderten jugendlichen
Arbeitslosen deutlich zu hoch. Ob das „plus“ zukünftig
etwas daran ändern wird, wage ich an dieser Stelle zu
bezweifeln.
Gestatten Sie mir einen Blick auf die Förderung
schwerbehinderter Menschen in meinem Wahlkreis in
Hamburg. Dort werden nicht langwierige Programme
ins Leben gerufen, sondern es wird versucht, Schwerbehinderte praxisnah in direktem Kontakt mit den Betrieben in den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern.
So wird das neue Programm „Arbeit für schwerbehinderte Menschen“ aus Mitteln des hamburgischen Senates, hier: aus Mitteln der Behörde für Soziales und Familie, jährlich mit bis zu 2 Millionen Euro finanziert und
vom Arbeitsamt durchgeführt.
Zum Schluss ein Resümee: Rund 37 Millionen Europäer, davon 8 Millionen Personen in Deutschland, sind
Menschen mit Behinderung. Diese Zahlen zeigen, wie
wichtig es ist, die Chancengleichheit für Menschen mit
Behinderung zu fördern. Der Aktionsplan der Europäischen Union im Anschluss an das soeben abgelaufene
Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung zeigt
Perspektiven für die Behindertenpolitik auf, die aber
weitestgehend in der nationalen Verantwortung liegen.
Deshalb mein Appell an die Bundesregierung: Nehmen
Sie die nationale Verantwortung wahr! Rühmen Sie sich
nicht Ihrer vermeintlichen Erfolge, sondern sorgen Sie
für deutliche Verbesserungen!
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate
Gradistanac.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir alle kennen das: Man befindet sich in einem
Restaurant und muss einen Stock tiefer gehen, um die
Toilette aufzusuchen. Manchmal ist die Beleuchtung
dort nicht so gut. Wenn wir Abgeordnete einen Anschlusszug erreichen wollen, dann rennen wir oft mit unserem Gepäck treppab und danach wieder treppauf.
Manchmal hören wir auch nicht, welches Bahngleis angesagt wird. Ich frage mich dann: Wie viel beschwerlicher muss dies für Reisende mit einem Kinderwagen
oder mit einem Gipsbein, für Schwangere, für ältere
Menschen, für Gehörlose oder für Rollstuhlfahrer sein?
Für mich als Tourismuspolitikerin steht fest: Barrierefreiheit ist Bürgerinnen- und Bürgerrecht.
({0})
Zu einer uneingeschränkten gesellschaftlichen Teilhabe
gehört die Möglichkeit des barrierefreien Reisens. Reisen ohne Barrieren muss zum Normalzustand werden.
Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun.
({1})
Menschen mit Behinderungen wollen wie alle Touristinnen und Touristen über den Ort - das Naturerlebnis
gehört selbstverständlich dazu -, die Zeit und die Gestaltung ihres Urlaubs selbst entscheiden. Hierzu braucht es
verlässliche und - das ist der Punkt - ehrliche touristische Angebote.
Wie Hotels, Gemeinden oder Freizeiteinrichtungen
ihr touristisches Angebot barrierefrei gestalten können,
zeigt - das will ich ausdrücklich lobend erwähnen - die
ADAC-Planungshilfe „Barrierefreier Tourismus für
alle“. Wilfried Steinmüller, Vorsitzender des Vereins
„Ohne Barrieren“, nennt vier Faktoren, die gegeben sein
müssen: Ist die Unterkunft barrierefrei? Ist die Infrastruktur behindertengerecht? Sind die Freizeitangebote
ohne große Schwierigkeiten zu erreichen? Lässt es sich
in öffentliche Verkehrsmittel leicht einsteigen?
Menschen mit Behinderungen geben jährlich
1,5 Milliarden Euro für den Tagestourismus und
1,6 Milliarden Euro für Übernachtungen aus.
({2})
Etwa die Hälfte von ihnen würde gern noch öfter verreisen, wenn es für sie mehr barrierefreie Angebote gäbe.
Hier steckt noch ein unglaublich großes wirtschaftliches
Potenzial. Dies belegt die Untersuchung „Ökonomische
Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle“ wirklich
eindrucksvoll. Ich danke der Bundesregierung ausdrücklich dafür, dass sie diese Studie in Auftrag gegeben hat.
Es lohnt sich, diese Studie einmal durchzulesen.
Wie viele Menschen haben Behinderungen? Ungefähr
6,7 Millionen, also rund 8 Prozent unserer Bevölkerung,
sind schwerbehindert. Darunter sind 700 000 Rollstuhlfahrer. Etwa 20 Millionen Menschen - das ist etwa ein
Viertel unserer Bevölkerung - sind in ihrer Mobilität
eingeschränkt. Nur 4,5 Prozent, also rund 300 000 Menschen, sind von Geburt an behindert. Die meisten werden es im Laufe ihres Lebens, durch Unfälle oder im Alter. In 3 Prozent aller Familien lebt ein Kind mit
Behinderungen.
Das Familienministerium hat den Wettbewerb „Willkommen im Urlaub - Familienzeit ohne Barrieren“ ausgerufen. Ich finde, das war eine gute Idee; alle haben
gerne mitgemacht. Es wurden vorbildliche familienorientierte, barrierefreie Ferienangebote, also BestPractice-Modelle, ausgezeichnet.
Als Schwarzwälderin freut es mich ganz besonders - ich
glaube, dass Sie mir das nachsehen werden -, dass Baden-Württemberg in diesem Punkt ein Musterländle ist.
({3})
Rot-Grün fordert in seinem Antrag - diesen kennen
Sie wahrscheinlich -, im Rahmen des internationalen
Jugendaustauschs Treffen von behinderten und nicht
behinderten Jugendlichen verstärkt zu fördern. Im Kinder- und Jugendplan des Bundes sind eigens Mittel für
die Arbeit mit behinderten jungen Menschen eingestellt.
Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen ist zu Ende gegangen. Wir setzen unsere offensive
Arbeit zugunsten von Menschen mit Behinderungen
fort. Alle, auch der DEHOGA, sind dazu eingeladen, daran mitzuarbeiten, dass „barrierefrei“ zu einem Markenzeichen des Deutschlandtourismus wird, also zu einem
echten Standortvorteil.
({4})
Dieser Appell richtet sich ganz besonders an die CDU/
CSU-Fraktion mit der Bitte, auf ihren tourismuspolitischen Sprecher Klaus Brähmig einzuwirken.
({5})
- Es lohnt sich, jetzt gut zuzuhören. - Dieser antwortete
- das ist in der „Travel Tribune“ vom 8. Januar 2004
nachzulesen - auf die Frage nach der Bewertung der rotgrünen Tourismuspolitik mit der schockierenden Aussage, sie beschäftige sich „zu sehr mit Schattenthemen
wie Behindertentourismus“.
Wir wissen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden.“ So heißt es in unserer Verfassung.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Josef
Sebastian.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lange Zeit wurden Menschen mit Behinderungen
als passive Leistungsempfänger betrachtet. Heute wissen
wir - das hat die Gesellschaft auch anerkannt -, dass behinderte Menschen ebenso als Leistungsträger zum gesellschaftlichen Erfolg beitragen und daher einen berechtigten Anspruch auf Chancengleichheit haben.
Barrierefreier Tourismus ist ein wichtiger und zukunftsträchtiger Bestandteil des touristischen Gesamtangebotes in Deutschland. Es ist unsere gemeinsame gesellschaftspolitische Aufgabe, ihn zu fördern. Er birgt ein
großes ökonomisches Potenzial zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen. Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass es sich bei behinderten Menschen
nicht um eine einheitliche Zielgruppe handelt, die einfach zu bewerben ist und für die sehr leicht Angebote geschaffen werden können. Wenn man in der Statistik die
Aufzählung der unterschiedlichen Behinderungen sieht,
wird deutlich, wie schwierig es ist, die entsprechenden
Einrichtungen zu schaffen. Die über 6 Millionen Schwerbehinderten sind allein für die statistische Erfassung in
Gruppen mit einer Vielzahl von Untergruppen entsprechend ihrer Behinderung eingeteilt. Für jede einzelne
Untergruppe müsste ein spezielles Angebot geschaffen
werden, um die Wünsche dieser Menschen zufrieden zu
stellen.
Vor diesem Hintergrund wird es natürlich sehr schwierig sein, zu sagen: Das ist die Tourismuspolitik für behinderte Menschen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es notwendig, dass man sich mit dieser Thematik auseinander
setzt und konsequent an einer Weiterentwicklung im Themenkomplex „barrierefreier Tourismus“ arbeitet. Es sollten aber auf keinen Fall Versprechungen gemacht werden, die nicht eingehalten werden können. PRKampagnen sind sicherlich nicht der einzig richtige Weg.
Vielmehr sind Veränderungen in der Infrastruktur notwendig, um ein entsprechendes Angebot zu schaffen.
Bausteine für barrierefreien Tourismus sind erstens
Sensibilisierung für das Thema Barrierefreiheit, zweitens Investitionen der kommunalen Gebietskörperschaften und drittens Investitionen in überregionale Aufgabenstellungen. Unser eindeutiges Ziel sollte sein,
Angebote zu schaffen, die behinderte und nicht behinderte Menschen gemeinsam nutzen können.
Erfahrungsgemäß nehmen Behinderte eher gewisse Unzulänglichkeiten in Kauf, als ghettomäßig untergebracht
zu sein.
Zahlreiche öffentliche und private Projekte und Initiativen dokumentieren, dass nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch die Menschen für das Thema Barrierefreiheit sensibilisiert sind. Die Vielzahl bereits
durchgeführter Maßnahmen in vielen Ferienregionen
zeigt deutlich die Entwicklung eines Bewusstseins für
die Belange behinderter Menschen. Diese Ansätze gilt es
sinnvoll weiterzuentwickeln.
In der Analyse der Situation sowie der Beurteilung
der Notwendigkeit zum Ausbau barrierefreier Angebote
gibt es zwischen den Fraktionen nach meiner Einschätzung keine Meinungsunterschiede, wenn auch manchmal Kleinigkeiten differenziert gesehen werden. Gerade
in den Ausschussberatungen hat sich gezeigt, dass wir da
gemeinsam an einem Strang ziehen.
Was Sie eben in Bezug auf den Kollegen Brähmig gesagt
haben - ich kann nicht für ihn sprechen -, ist so sicherlich nicht richtig. Er hat das so sicherlich nicht gemeint.
({0})
„Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle“ - diese Maxime ist nicht nur die Überschrift der im letzten Dezember vorgestellten Studie des
Bundesministeriums für Wirtschaft, die Sie eben schon
einmal angesprochen haben, Frau Kollegin, sondern sie
beschreibt auch die Triebkraft für positive Entwicklungen im Bereich der touristischen Angebote für Behinderte. Richtigerweise heißt es darin, dass die Erreichung
vollkommener Barrierefreiheit in erster Linie eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist, die sich auch und vor
allem uns mit politischer Verantwortung stellt. Wir müssen uns sehr wohl der Gefahr bewusst sein, dass wir zu
diesem Thema oft Sonntagsreden halten. Das sieht auch
die Studie des Ministeriums so. Darin wird festgestellt:
Da der Markt eine vollkommene Barrierefreiheit
nicht alleine herstellt, kann dies nur durch gesetzliche Vorgaben, staatliche Investitionen und Investitionsanreize erreicht werden.
In Ihrem Antrag ist meines Erachtens von einer aktiven Förderung zu wenig die Rede.
({1})
Es gibt zu viele reine Appelle und Prüfaufträge. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
({2})
Zu viel Hoffnung darauf, dass wir auf dem Gesetzeswege alles erreichen können, sollten wir aber auch nicht
machen:
Es gilt die eindeutige Prämisse, dass eine Förderung des barrierefreien Tourismus nur über eine
ökonomische Argumentation erfolgen kann. Wenn
das ökonomische Interesse bei den Anbietern geweckt ist, ist dies die beste Voraussetzung für den
Ausbau der bestehenden Angebote. Gesetzliche
Vorgaben werden von der Seite der Anbieter als
Zwangsmittel wahrgenommen und führen grundsätzlich eher dazu, dass mentale Barrieren errichtet
und freiwillige Maßnahmen reduziert werden.
Diese Stellungnahme stammt nicht von mir, sondern
vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Sie ist
gleichwohl völlig richtig und wird von uns inhaltlich
voll geteilt.
Auch die „Nationale Koordinierungsstelle Tourismus
für Alle“ sieht als Kernelement der Förderung des barrierefreien Tourismus die Bereitstellung notwendiger
Finanzmittel. Hierzu darf ich sagen: Die kommunale
Finanzausstattung - wir wissen es alle - reicht augenblicklich nicht aus, alle diese Wünsche zu erfüllen und
die notwendigen Investitionen zu tätigen.
({3})
Auch die Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft
sagt dazu eindeutig, dass in Anbetracht der angespannten Haushaltslagen von Städten und Gemeinden der
Spielraum für eine barrierefreie Gestaltung gerade auf
kommunaler Ebene begrenzt ist.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, insofern können wir Ihnen unsere Unterstützung
für eine nachhaltige Förderung des barrierefreien Tourismus jederzeit zusagen. Wir wünschen uns für die Zukunft jedoch einige konkrete und handfeste Schritte
({4})
sowie den Mut, auch einmal Geld in die Hand zu nehmen, um Wachstumsimpulse zu setzen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Hinter uns liegt das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Richtig ist, dass durch viele
Veranstaltungen und Publikationen das Bewusstsein und
das Interesse der Öffentlichkeit für Probleme von Menschen mit Behinderungen geschärft worden sind und sicherlich auch bei dem einen oder anderen ein Verständnis erreicht worden ist, das er vorher nicht hatte.
({0})
Kommen wir nun zurück zu der zentralen Frage dieser Debatte, nämlich der Ausbildung und Beschäftigung
von schwerbehinderten Menschen. Der Kollege von der
FDP, der jetzt nicht mehr anwesend ist, aber dessen Rede
ich noch in Erinnerung habe
({1})
- ja, ich habe die Entschuldigung hier schon angenommen; das ist auch okay -, hat dafür appelliert, mehr Vertrauen in die Wirtschaft zu haben und die Regelungsdichte zurückzufahren. Ich glaube aber, dass dieser Weg
nicht erfolgversprechend ist. Schauen wir uns einmal die
realen Zahlen an: Leider wird immer mehr schwerbehinderten Menschen gekündigt. Ich habe mir die Zahlen
von Berlin für die Jahre 2000 und 2001, also vor dem
Regierungseintritt der PDS, geben lassen: Im Jahre 2000
sind 1 856 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung von
schwerbehinderten Menschen beim Integrationsamt eingegangen; im Jahr darauf haben Berliner Arbeitgeber bereits 1 993 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung gestellt. Das ist eine Steigerung von über 7 Prozent.
({2})
- Das sind die Zahlen aus der Zeit vor dem Regierungseintritt der PDS, Herr Kollege.
({3})
- Das hoffen wir alle sehr. Wir arbeiten hart daran.
Das Berliner Integrationsamt versucht ja ebenso wie
die Ämter in anderen Bundesländern, die Arbeitgeber
zur Rücknahme der Anträge zu bewegen. Aber immerhin wurden in den genannten Jahren noch über
70 Prozent der Anträge bewilligt. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Bundesländern zu beobachten.
Schaut man in die Arbeitslosenstatistik, stellt man erstaunt - das hat auch die Kollegin von der CDU/CSU
schon gesagt - einen kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen über
55 Jahren fest. In der Zeit von 1999 bis 2002 sank die
Zahl bei Männern um fast 59 Prozent und bei Frauen um
fast 39 Prozent. Doch dieser Rückgang ist nicht in erster
Linie durch die Schaffung von Arbeitsplätzen entstanden, sondern durch die zunehmende Verrentung dieser
Jahrgänge. In der gleichen Zeit ist die Arbeitslosigkeit in
der Gruppe der jüngeren schwerbehinderten Menschen,
also der unter 55-Jährigen, nur um knapp 6 Prozent zurückgegangen. Die „FAZ“ zitiert einen Beamten der
Bundesanstalt für Arbeit, der diesen Trend zur schnellen
Verrentung von schwerbehinderten Menschen bestätigt
- ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -: „Wir bitten
beispielsweise Rentenversicherungsträger, Rentenanträge zügig zu bearbeiten.“ Aus Sicht der PDS kann es
nicht das Ziel sein, schwerbehinderte Menschen in das
Rentensystem abzuschieben. Das ist zwar die einfachste
Art der Problemlösung - gemäß dem Motto: „Aus den
Augen, aus dem Sinn“, dient aber nicht den Menschen
mit Behinderungen und ihrer Integration in den Arbeitsprozess.
({4})
Wir können dem Gesetz aus zwei Gründen nicht zustimmen:
({5})
Zum einen dient das Gesetz nicht ausreichend dem selbst
gesteckten Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter, sondern hilft eher dabei, die Statistik
zu bereinigen. Zum anderen finden wir, dass die Senkung der Beschäftigungspflichtquote von 6 auf 5 Prozent das falsche Signal ist. Darum können wir nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, der Herr
Kollege Haack.
Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen:
Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf Bemerkungen
von zwei Kollegen eingehen, nämlich auf die des Kollegen Bahr, der entschuldigt ist, weil er zum Parteitag
muss, und des Kollegen Hüppe.
Sie sprachen zum einen von Belastungen durch das
GMG, das GKV-Modernisierungsgesetz, als sie darauf
hinwiesen, dass die chronisch Kranken und die Behinderten die Verlierer der Reform seien. Meine Antwort
möchte ich mit einem Dank an die Frau Ministerin einleiten, die leider nicht mehr hier sein kann, denn gestern
wurde ein Konzept bezüglich der Definition dessen, was
unter chronisch Kranken zu verstehen ist, und bezüglich deren Belastungen durch die Regelungen des GKVModernisierungsgesetzes verabredet, das in der heutigen
Presse positiv bewertet und von den Verbänden und Organisationen akzeptiert wird. Zum anderen ist man zu einem ebenso positiv bewerteten Ergebnis in der Frage der
Fahrtkosten gekommen.
({0})
Das heißt, die Ministerin hat Wort gehalten. Sie hat
zwischen den Feiertagen gesagt,
({1})
dass sie die Chronikerregelung aussetzen, erneut überprüfen und mit den Betroffenen und der gemeinsamen
Selbstverwaltung versuchen werde, ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Da der Ministerin Zeitversäumnisse vorgeworfen
werden, will ich an das Datum erinnern: Die Chronikerregelung ist kurz vor Weihnachten entstanden. Jetzt befinden wir uns in der dritten Woche des neuen Jahres.
Das heißt, innerhalb von fünf Wochen - wenn man die
Feiertage abzieht, bleiben im Grunde nur drei Arbeitswochen übrig - hat die Ministerin gehandelt. Ich denke,
das ist Ausweis ihrer Handlungsfähigkeit und ihres
Durchsetzungsvermögens.
({2})
In einer verminten Landschaft von Interessen, wo Verteilungskämpfe stattfinden, ist das ein sehr gutes und begrüßenswertes Ergebnis.
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der uns immer wieder begegnet: Bedeutet der Paradigmenwechsel
in der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen unnötige Kosten für die Wirtschaft? Bei dieser
Novellierung ging es um eine Lex Lufthansa, die Bitte
der Lufthansa, technisches Personal in bestimmten Bereichen, etwa dem Sicherheitsbereich, nicht in die Gesamtzahl der Beschäftigten einzurechnen. Herr Bahr hat
gesagt, das Gesetz bedeute für die Lufthansa eine Mehrbelastung von ungefähr 4 Millionen Euro.
Es ist ganz gut, den Blick einmal auf die Konkurrenz
in den USA zu richten. Seit In-Kraft-Treten des Antidiskriminierungsgesetzes in den USA sind dort im Flugbereich erhebliche Investitionen vorgenommen worden.
Die Vertreter der Disability Organization und der Organization of elderly people - das entspricht dem, was bei
uns unter AWO und VdK läuft - haben sich mit dem
Thema „Reisen in Europa“ auseinander gesetzt und informell eine Prioritätenliste mit Empfehlungen erarbeitet, wohin man aus den USA am besten fliegen kann,
wenn man barrierefrei reisen will. Ein großer Flughafen
- ich will den Namen nicht nennen - war sehr erschrocken, dass er sich auf den hinteren Rängen wiederfand
und gewissermaßen auf der Nichtempfehlungsliste
stand. Dieser große Flughafen versucht nun, mithilfe von
Fluggesellschaften wesentliche Verbesserungen zu erreichen, indem er Geld in die Hand nimmt. Das ist ein Beispiel dafür, dass Konkurrenz das Wirtschaftsleben befördert.
Zu dem neuen Gesetz ist viel gesagt worden. Lassen
Sie mich dennoch ein paar Punkte in Erinnerung rufen.
Die Bundesregierung hat 1999 gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen, den Verbänden der behinderten Menschen und den Sozialpartnern einen Erfolg in der Beschäftigungspolitik erzielt. Wir haben seit diesem
Zeitpunkt eine Verringerung des Unterschieds zur allgemeinen Arbeitslosigkeit feststellen können. Wir können
Ihrer Bemerkung nur beipflichten, dass sich mit der Verstetigung der wirtschaftlichen Situation die Schere zwischen den Beschäftigten und den Nichtbeschäftigten
weiter geöffnet hatte. Es gab also einen Grund zu handeln.
Dennoch meine ich, dass man an diesem Punkt ein
Dankeschön an die Verbände und Organisationen aussprechen muss,
({3})
die sich auf der Grundlage eines Gesetzes um Veränderungen bemüht haben. Wir gehen den Weg gemeinsam
weiter. Mit dem Gesetz, das wir heute in zweiter und
dritter Lesung verabschieden, wollen wir einen neuen
Plafond für eine Kampagne zur Verbesserung der Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen
schaffen.
Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen
unterliegt konjunkturellen Einflüssen; das wissen wir.
Dennoch ist es in diesem Bereich in Zusammenarbeit
mit den Sozialpartnern gelungen, die Kräfte zu bündeln.
Auch der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf
steht in dieser Tradition der Zusammenarbeit. Er wird
die inzwischen bewährten Instrumentarien zur Förderung der Beschäftigung von behinderten Menschen in
modifizierter Form weiterentwickeln sowie die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern und die verantwortlich Handelnden in den Betrieben und Institutionen
Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
zielgenau zusammenführen. An entscheidenden Punkten
werden Weichen gestellt. Vor dem Hintergrund der erklärten Bereitschaft der Arbeitgeber in Industrie und
Handwerk setzt die Regierung wirksame Maßnahmen
und Anreize in Kraft, um den Anteil behinderter Jugendlicher bei den Auszubildenden zu erhöhen. Die
ausbildenden Betriebe werden durch Prämien und Zuschüsse unterstützt. Die Integration von behinderten
Auszubildenden und ihre Vermittlungschancen werden
durch eine verstärkte Verzahnung von betrieblicher und
überbetrieblicher Ausbildung verbessert.
Herr Hüppe, es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir
uns einmal zusammensetzen und versuchen würden, die
Debatte um die Ausbildungsabgabe zu entschärfen.
({4})
Wir sollten dieses Instrumentarium, welches wir für eine
kleine Gruppe von jungen Menschen geschaffen haben,
darauf überprüfen, ob es nicht generell auf den dualen
Ausbildungsmarkt übertragen werden kann. Ich werbe
zurzeit in meiner Fraktion, aber auch in der Bundesregierung dafür.
Die Integrationsfachdienste werden stärker mit ihren
Rehabilitationsträgern verzahnt, die zu deren Inanspruchnahme mit den Integrationsämtern gemeinsame Empfehlungen zu erarbeiten haben.
Die Schwerbehindertenvertretungen werden zum
Beispiel durch die Festschreibung ihrer Funktion bei der
betrieblichen Prävention in ihrer Stellung gestärkt. Für
die Umsetzung der Bestimmungen werden aber auch
durch eine Erweiterung des Bußgeldrahmens Anreize
geschaffen. Sie finden damit stärker Eingang in das Bewusstsein und in die betriebliche Praxis.
Die von vielen geforderte Änderung des § 95, über
den auch Sie gesprochen haben, haben wir nach intensiven Gesprächen aus dem ursprünglichen Entwurf genommen, und zwar auf Bitten der Gewerkschaften. Darüber wurde also ein Konsens erzielt.
({5})
Auf Grundlage dieses Gesetzes sollten wir mit der
Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten. Es stehen entsprechende Gespräche an. Die Koalitionsarbeitsgruppen werden im Februar ein intensives Gespräch mit
der Bundesagentur für Arbeit mit der Zielsetzung führen, dass sich die Bundesagentur für Arbeit sozusagen
nicht aus der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt verabschiedet.
Hinter uns liegt das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Die Europäische Kommission hat die Ergebnisse bilanziert und berücksichtigt sie
in einem Gesamtplan für die nächsten Jahre. Unsere
Aufgabe wird es sein, dies in nationales Recht umzusetzen. Wir sollten uns gemeinsam darauf konzentrieren,
eine Harmonisierung der Behindertenpolitik auf der
europäischen Ebene zu erreichen.
Die Erfahrung lehrt, dass Menschen mit Behinderungen hoch mobil sind. Sie setzen ihre Kompetenzen, die
sie im Beruf erworben haben, auch im europäischen
Ausland ein. Es wäre also sehr gut, wenn wir uns alle gemeinsam anstrengen würden, den Blick auf Europa zu
richten und eine Verbesserung der Lebenssituation für
Menschen mit Behinderungen zu erreichen.
({6})
Herr Kollege, ich habe Ihre Redezeit mit Rücksicht
auf Ihre Funktion schon verlängert. Jetzt müssen Sie
aber zum Schluss kommen.
Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen:
Ich komme sofort zum Schluss. - Es muss demnächst
eine Zielvereinbarung zwischen der Bundesregierung
und dem Deutschen Behindertenrat unter dem Stichwort
Mobilität geben.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthäus Strebl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als letzter Redner zu diesem Debattenpunkt
möchte ich noch einmal die Position der CDU/CSUFraktion verdeutlichen.
Liest man die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs, so könnte man denken, dass die rot-grüne Politik zur Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen eine wahre Erfolgsgeschichte ist.
({0})
So entsteht der Eindruck, dass es gelungen sei, die
Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter von Oktober 1999
bis Oktober 2002 um 24 Prozent zu senken. Aber um die
Pflichtquote für die Beschäftigung Schwerbehinderter in
Betrieben auf Dauer von 6 auf 5 Prozent zu senken, hätte
es für diesen Zeitraum einer Reduzierung von mindestens 25 Prozent bedurft.
Man kann Zahlen zwar drehen und wenden, verbiegen lassen sie sich zum Glück aber nicht. Nur durch die
Betrachtung der entsprechenden Zahlen kann man erkennen, wie überhaupt eine Verringerung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zustande gekommen ist:
nämlich nicht durch die tatsächliche Schaffung von
Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Arbeitsplätzen für Behinderte, sondern durch Abgänge
aus der Arbeitslosenstatistik.
({1})
Besonders die Frühverrentung hat hier eine Rolle gespielt und hat dafür gesorgt, dass etliche Schwerbehinderte dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen.
Betrachtet man die Zahl von schwerbehinderten Jugendlichen, ist sogar das Gegenteil zu erkennen. Trotz
groß angelegter Initiativen wie zum Beispiel dem
JUMP-Programm - es wurde heute in der Debatte schon
mehrfach genannt - stieg die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Jugendlicher im Vergleichszeitraum von Oktober 1999 bis Oktober 2002.
Natürlich ist es bei der derzeitigen Wirtschaftslage
bereits schwer, Arbeitsplätze für Nichtbehinderte zu
schaffen. Man bedenke, dass in Deutschland im Jahr
2003 400 000 Arbeitsplätze vernichtet worden sind.
Oder merken Sie sich folgende Zahl: 40 000 Arbeitsplätze wandern pro Monat ins Ausland.
Umso schwieriger ist es angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, die wir derzeit in Deutschland haben,
Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen bereitzustellen. Man kann nur etwas erreichen, wenn man den
Tatsachen ins Auge sieht und sie nicht verschleiert.
Während die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr um
8 Prozent gestiegen ist, erreichte die Statistik arbeitsloser Schwerbehinderter mit einer Quote von 16 Prozent
einen traurigen Höhepunkt. Bezieht man in den Vergleichszeitraum von Oktober 1999 noch den September
2003 ein, so ergibt sich eine Senkung der Arbeitslosigkeit um gerade einmal 11,7 Prozent.
Auch jetzt lässt die Bundesregierung die Behinderten
in vielen Bereichen im Regen stehen. Wichtige und notwendige Verbesserungen, die im Referentenentwurf
noch vorgesehen waren, sind nun zurückgenommen
worden. So fiel auch die Kritik der Vertreter der Sozialund Behindertenverbände in einer Anhörung bezüglich
des Entwurfes eines Gesetzes zum Sozialgesetzbuch IX
zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen vernichtend aus.
({2})
Besondere Hauptkritikpunkte waren hier die Regelung zur Finanzierung der Werkstätten für behinderte
Menschen sowie die mangelhafte Festlegung von Kompetenzen und Rechten der Schwerbehindertenvertretungen. Im Referentenentwurf war zum Beispiel für die
Leistungserbringung eine Frist von drei Monaten im
Eingangsverfahren und von zwei Jahren in der beruflichen Bildung vorgesehen. Dies sind unumgängliche
Voraussetzungen,
({3})
um Menschen, die wegen ihrer Behinderung in ihrer Geschwindigkeit eingeschränkt sind, eine reelle Chance zu
geben. Doch stattdessen wurde die von mir genannte Regelung gestrichen.
Auch bei der Vertretung von Schwerbehinderten gibt
es keine positiven Ansätze. Dabei könnten gerade die
Schwerbehindertenvertretungen eine elementare Rolle
bei der Wahrnehmung der Interessen schwerbehinderter
Menschen spielen. Ich frage mich schon, was solche
Vertretungen wert sind, wenn sie weder über ein Anhörungs- noch über ein Informationsrecht verfügen. Dies
kann und darf so nicht sein.
({4})
Für die CDU/CSU wiederhole ich die Feststellung:
Wenn es um tatsächliche Verbesserungen, um die Integration und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen geht, wenn es gilt, schwerbehinderte
Menschen so weit wie möglich aus den Werkstätten herauszuholen und in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, dann werden wir das unterstützen.
({5})
Ich möchte Sie aber bitten, dem Gesetzentwurf, den
wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, nicht in
dieser Form zuzustimmen. Denn eine Grundvoraussetzung für das genannte Ziel wäre eine andere Politik in
Deutschland: eine Politik für mehr Wachstum und mehr
Beschäftigung. Nur wirtschaftliches Wachstum wird
dazu führen, dass auch Menschen mit Behinderungen
wieder mehr Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Es muss ein vielfältiges System von
Einrichtungen erhalten und ausgebaut werden, damit
Menschen mit geringerem Leistungsvermögen eine Berufsarbeit ermöglicht wird.
Gerade das vergangene Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen sollte uns dafür sensibilisiert
haben, auf die Belange und Interessen Behinderter optimal einzugehen.
({6})
Doch vor allem Behinderte haben im letzten Jahr einiges
einstecken müssen, was ich kurz erwähnen möchte. Am
stärksten werden behinderte Menschen durch die Einschnitte der Bundesanstalt für Arbeit bei den Rehabilitationsmaßnahmen belastet.
Daher dürfen wir es nicht zulassen, dass nun weitere
Belastungen und Einschränkungen auf sie zukommen.
Denn wir, die CDU/CSU, wollen, dass das, was der Titel
des Gesetzentwurfes verspricht, auch eingehalten wird:
die Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen zu fördern.
Vielen Dank.
({7})
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Drucksache 15/2357, in Kenntnis des Berichts der Bundesregierung über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen von CDU/CSU und
PDS angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis
angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem
von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf
zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen auf Drucksache 15/2318.
Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, in Kenntnis des eben genannten Berichts
der Bundesregierung den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 15/2292 zu dem
Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen mit dem Titel „Reisen ohne Handicap - Für
ein barrierefreies Reisen und Naturerleben in unserem
Land“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1306 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen worden.
Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. Januar 2004, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie
den Besuchern auf den Tribünen eine gute Heimfahrt
und Letzteren erst noch einen schönen Aufenthalt in
Berlin.
Die Sitzung ist geschlossen.