Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/16/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der erneuerbaren Energien im Strombereich - Drucksache 15/2327 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen ({1}) - Drucksache 15/2328 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Jürgen Trittin das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen reden wir viel über Innovationen. Dabei bleibt richtig, dass Stillstand vielfach Rückschritt ist. Wer an der Spitze bleiben will, muss die richtigen Innovationen rechtzeitig einführen und diese müssen den zentralen Herausforderungen gerecht werden. Wir brauchen Innovationen, die dem Klimawandel entgegenwirken. Wir brauchen Innovationen, die dazu beitragen, dass Armut und Unterentwicklung überwunden werden, und sie sollten tunlichst die Wettbewerbsfähigkeit und die Technologieführerschaft Deutschlands voranbringen. Wir legen Ihnen heute zwei Gesetzentwürfe vor, die der Innovation in der Energieversorgung dienen: den Entwurf des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes und die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Beide Gesetze machen es wirtschaftlich attraktiv, in klimaschonende Innovationen zu investieren. Klimaschutz wird belohnt, klimapolitische Abstinenz aber bestraft. Beide Gesetze schaffen Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Der Emissionshandel selber ist schon als politisches Instrument eine Innovation. Es ist eine Alternative zum Ordnungsrecht. Künftig regelt der Markt, wo CO2 am kostengünstigsten eingespart wird. Gegenüber der Selbstverpflichtung der deutschen Industrie bringt der Emissionshandel den Unternehmen Einsparungen von bis zu 500 Millionen Euro jährlich. Ab 1. Januar nächsten Jahres soll der Emissionshandel in ganz Europa starten. Das ist ein sehr knapper Zeitplan. Wir sind, glaube ich, mit der Vorlage dieses Gesetzes diesem Zeitplan gerecht geworden. Mittlerweile wissen wir: Wir haben 2 629 Anlagen, die vom Emissionshandel betroffen sind. Wir müssen alles tun, damit zum 1. April der so genannte Nationale Allokationsplan der EU zur Notifizierung vorgelegt werden kann. Die Richtlinie zum Emissionshandel ist eigenständiges europäisches Recht. Wir haben dieses Recht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf unbürokratisch in nationales Redetext Recht umgesetzt. Es bedarf für die Unternehmen keines neuen Genehmigungsverfahrens. Die Zertifikate werden kostenlos vergeben. Die Emissionserklärungen der Unternehmen werden nicht umständlich überprüft, sondern durch Gutachter zertifiziert. Auch deshalb ist dieses Gesetz nicht zustimmungspflichtig. Der Emissionshandel funktioniert nur nach dem Prinzip „cap and trade“. Der „cap“ - also der Deckel - ist vorgegeben. Deutschland insgesamt - private Haushalte, Verkehr, Gewerbe, Industrie und Energiewirtschaft darf zwischen 2008 und 2012 nur noch 846 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Diese Obergrenze müssen alle Sektoren gemeinsam einhalten. Über die Verteilung unterhalb dieses Deckels entscheiden zunächst Sie, also der Deutsche Bundestag. Dabei ist zu beachten: Der Emissionshandel ist ein System kommunizierender Röhren. Anders gesagt: Was der eine Sektor, was die eine Branche nicht schafft, das müssen andere zusätzlich erbringen. Kommt zum Beispiel insgesamt mehr Braunkohle zum Einsatz, so muss etwa die Autoindustrie schneller verbrauchsärmere Fahrzeuge auf den Markt bringen. ({0}) Was man dem Verband der Elektrizitätswirtschaft Gutes gibt, das muss der VDA bezahlen oder umgekehrt. Das hört sich gelegentlich dramatischer an, als es ist, insbesondere für Deutschland. Wir sind nämlich Spitzenreiter im Bereich des Klimaschutzes. Wir haben mit 21 Prozent zwar die höchste Reduktionsverpflichtung; allerdings haben wir dieses Ziel mit 19,1 Prozent im Jahre 2002 schon fast erreicht. Der Emissionshandel wird es uns erleichtern, dieses Ziel zu erreichen. Die Bundesregierung wird der Wirtschaft im Rahmen des Emissionshandels nicht mehr und nicht weniger abfordern, als die Wirtschaft selbst in der Vereinbarung zur Kraft-Wärme-Kopplung zugesagt hat. Danach will sie gegenüber dem Jahre 1998 - damals haben diese Sektoren 508 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen - 45 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Die Wirtschaft hat damals zugesagt, 35 Millionen Tonnen CO2 in den Bereichen Energie und Industrie einzusparen und eine Minderung von 10 Millionen Tonnen CO2 durch eigene Maßnahmen in den Bereichen Haushalt und Verkehr nachprüfbar zu realisieren. Auf dieser Geschäftsgrundlage werden der Emissionshandel und die Verteilung der Rechte hier ablaufen. Sie, der Bundestag, werden im Rahmen des Gesetzes über den Nationalen Allokationsplan auch über die Allokationsregeln entscheiden. Wir wollen gerade bei diesen Regeln dem Grundsatz folgen, dass Wachstum nicht durch Konsum der Bürger, sondern vor allem durch Investitionen in die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen erzeugt wird. Der Emissionshandel soll Impulse für ein nachhaltiges Wachstum geben. Wir werden deswegen Regeln vorschlagen, wie mit bestehenden Anlagen und mit dem Ersatz bestehender Anlagen umzugehen ist, wie Early Action, wie Kraft-Wärme-Kopplung zu berücksichtigen ist und wie mit neuen Anlagen umzugehen ist. Wir wollen beispielsweise prozessbedingte Emissionen aus Stahlwerken und Zementöfen ohne jeden Reduktionsfaktor übernehmen. Über diese Regeln sprechen wir zurzeit noch mit der Wirtschaft. Wir streben mit ihr ausdrücklich einen Konsens an. Wir sind da offen für Vorschläge. Aber auch hierbei gilt der Grundsatz: Es handelt sich um ein System kommunizierender Röhren. Wer zum Beispiel eine größere Reserve für Neuanlagen installieren muss, der muss wissen, dass dies notwendigerweise zur Konsequenz hat, dass bei den bestehenden Anlagen schärfere Reduktionsverpflichtungen bestehen. Das ist die Folge dieses „cap“. Wachstum durch Innovationen im Umweltbereich ist auch ein Ziel des zweiten Gesetzes: der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Durch dieses Gesetz besteht bereits heute eine wichtige Branche; die erneuerbaren Energien sind eine Boombranche - 10 Milliarden Euro Jahresumsatz, 135 000 Arbeitsplätze und 50 Millionen Tonnen CO2-Einsparungen jährlich -, die das Klima schützt. Diese Zahlen schlagen sich übrigens auch in einem wachsenden Export nieder. Deutschland ist heute, beispielsweise was die Stromerzeugung aus Wind angeht, Weltmarktführer. Wir sind mittlerweile die Nummer zwei in der Solartechnologie. Wir liegen vor den USA und knapp hinter Japan. Diese Novelle zielt darauf, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2010 auf mindestens 12,5 Prozent und bis 2020 auf mindestens 20 Prozent der heutigen Stromversorgung zu erhöhen. Wir wollen damit auch eine Vorlage für die große Konferenz „Renewables 2004“ geben, zu der Deutschland die Welt im Juni dieses Jahres nach Bonn eingeladen hat. Mit der vorliegenden Novelle wollen wir die Potenziale aller erneuerbarer Energien optimal erschließen. Bei der Windkraft setzen wir Anreize, neue Anlagen an guten Standorten aufzubauen und ältere Anlagen zu modernisieren. Windschwache Standorte werden nicht mehr in dem Maße wie bisher gefördert. Die Degression, das heißt der Druck, zur Marktfähigkeit zu kommen, wird erhöht. Wir wollen Offshorewindparks gezielt fördern. Wir heben die Vergütung für Strom aus Biomasseanlagen an und verbessern die Förderung des Einsatzes von hochmodernen Technologien wie Brennstoffzellen in diesem Bereich. Mit der Härtefallregelung tragen wir dafür Sorge, dass stromintensive Betriebe künftig stärker entlastet werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz bleibt ein kostengünstiges Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien. Die Stromumlage beträgt für einen privaten Haushalt etwa 1 Euro pro Monat. Wir haben aber auch gesetzlich festgelegt, dass künftig nur noch die Kosten auf die Stromverbraucher umgelegt werden dürfen, die nachweislich von den erneuerbaren Energien verursacht werden. Es kann nicht sein, dass einige Netzbetreiber, wie das heute der Fall ist, 0,25 Cent, andere 0,42 Cent und manche sogar mehr als 0,60 Cent umlegen. Das ist bloße Abzockerei, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Dem schieben wir mit dem neuen EEG einen Riegel vor. So etwas ist künftig illegal. Die neu zu schaffende Wettbewerbsbehörde wird die Einhaltung der Regelungen genau überwachen. ({1}) Wir machen mit den beiden Gesetzen den Weg frei für eine umfassende Modernisierung der Energieversorgung in Deutschland. Das hilft dem Klima, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und sorgt massiv für Innovationen in Deutschland. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Peter Paziorek, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie zum Emissionshandel und der Novelle zum EEG stehen wichtige Weichenstellungen in der Umwelt- und der Energiepolitik in Deutschland bevor, Weichenstellungen, die in ihrer Bedeutung und in ihren Auswirkungen auf den Industriestandort Deutschland nicht unterschätzt werden dürfen. Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, wir seien bei der Meldung der Regelungen betreffend den Emissionshandel gemäß der europäischen Richtlinie im Zeitplan. Herr Minister, für die CDU/CSU-Fraktion bestreite ich dies ausdrücklich. ({0}) Denn spätestens Ende März dieses Jahres müssen die wesentlichen Regelungen betreffend die Zuteilung der Emissionsberechtigungen für die 2 600 Anlagen in Deutschland nach Brüssel gemeldet werden. Wir hatten erwartet, dass die Bundesregierung heute ein Konzept vorlegt, aufgrund dessen der Deutsche Bundestag beurteilen kann, nach welchen Grundregeln die Emissionsberechtigungen den Industrieanlagen zugeteilt werden. Aber der Entwurf eines TEHG, das Sie heute in erster Lesung vorgelegt haben, ist nichts anderes als der Entwurf eines reinen Verfahrens-, Zuständigkeits- und Organisationsgesetzes. Sie wollen lediglich aufgrund einer Kabinettsentscheidung die Regelungen betreffend die Zuteilung der Emissionsberechtigungen nach Brüssel melden, ohne dem Parlament vorher die Möglichkeit zu geben, Einfluss zu nehmen. Das halten wir mit der Stellung des Parlaments für nicht vereinbar. ({1}) Herr Minister, wenn ich mir das Verfahren zur Härtefallregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das Verfahren zum EEG-Vorschaltgesetz und den Terminplan für die Einführung des so genannten Dosenpfands anschaue, dann habe ich den Eindruck, dass Sie immer nach dem gleichen Prinzip arbeiten: Zuerst werden Informationen gegeben. Dann wird plötzlich ein Fahrplan auf den Tisch gelegt, der für Zeitdruck sorgt, sodass im Ausschuss oder im Bundestag kurzfristig entschieden werden muss, auch wenn es sich um wichtige parlamentarische Fragen handelt. Wir haben den Eindruck, dass bei Ihnen Zeitdruck inzwischen auch Methode ist, um in wichtigen politischen Fragen Ihre Weichenstellungen durchzusetzen. Das werden wir bei dieser wichtigen Frage unter keinem Gesichtspunkt mehr akzeptieren. ({2}) Sie haben Recht, wir stehen hinter der Sache: Emissionshandel, wenn man ihn richtig macht, bedeutet ein überzeugendes marktwirtschaftliches Programm, nicht nur reines Ordnungsrecht. Aber hierbei geht es auch um die Frage, welchen Sektoren, welchen Bereichen der Wirtschaft - das geht von der Zement-, Stahl-, Alu-Industrie bis hin zu Kraftwerken zur Stromerzeugung Berechtigungen zugeteilt werden. Die Menge der Berechtigungen entscheidet später darüber, welche wirtschaftlichen Produktionen in welchem Umfang in einem Bereich tatsächlich noch realisiert werden können. Sie sagen ganz einfach: Wir können in dieser Hinsicht jetzt erst einmal unter Vorbehalt Meldungen nach Brüssel geben. Wenn sich Brüssel zurückmeldet, dann soll in einem Gesetz zum Nationalen Allokationsplan dieses Parlament über diese wichtigen Weichenstellungen entscheiden. - So können Sie das doch nicht machen! Die Position der Unionsfraktion ist klar und eindeutig: Beides gehört zusammen. Sie müssen das Verfahrensgesetz vorstellen und Sie müssen sagen, nach welchen Prinzipien und Regeln Sie welche Mengen den einzelnen Sektoren zuteilen wollen. Erst danach kann das Parlament überhaupt darüber entscheiden, ob ihr Vorschlag richtig ist. Das tun Sie nicht. Damit versagen Sie auch in dieser Frage. ({3}) Eines ist ebenfalls klar: Die Europäische Union gibt den einzelnen Staaten in dieser Angelegenheit ganz gewaltige Entscheidungsmöglichkeiten. Jeder Staat kann die Schwerpunkte anders setzen. Aus dem Grunde muss das Parlament natürlich wissen, welche Schwerpunkte die Regierung wirklich setzt. Um auf Ihren Zwischenruf einzugehen, Herr Kelber: Ich habe solche Schwerpunkte heute nicht gehört, obwohl ich dem Minister sehr konzentriert zugehört habe. Der Minister hat vorhin erklärt, warum das bei den Gesprächen mit der Wirtschaft im Augenblick noch ein offener Streitpunkt ist. Dazu hat der Staatssekretär im Ausschuss zwei Stunden lang sehr ruhig im Detail und umfassend berichtet, wie ich zugebe. Aber die von mir im Ausschuss gestellte entscheidende Frage, nämlich wie das Mengengerüst tatsächlich aussehen soll, konnte er nicht beantworten. ({4}) Herr Minister, auch eben haben Sie zu dem Mengengerüst im Konkreten nichts gesagt. Sie haben erklärt, dass das alles gar nicht so dramatisch sei und dass Grundlage der Selbstverpflichtungserklärung der Wirtschaft die KWK-Vereinbarung aus den Jahren 2000/01 sei. Dabei geht es um eine Reduktion der CO2-Emissionen um 45 Millionen Tonnen. Aber es ist bekannt, dass strittig ist, wie viel von diesen 45 Millionen Tonnen CO2 einer Regelung über Emissionshandel oder dem sonstigen gesetzlichen Regelwerk zuzurechnen ist. Da bestehen unterschiedliche Vorstellungen. Da gibt es eine Basisvorstellung von 21 Millionen Tonnen CO2 sowie mittlere Vorstellungen - selbst die Regierung sagt, alles über 45 Millionen Tonnen CO2 brauche nicht abgerechnet zu werden - und nach Ihren Vorstellungen sollen es 36 Millionen bis 37 Millionen Tonnen CO2 sein. Warum sagen Sie das dem Parlament nicht? Warum sagen Sie nicht, dass es noch ganz gewaltige Unterschiede zwischen den beiden Grundpositionen gibt? Diese Grundsatzpositionen sind ganz interessant. Da kann man doch nicht sagen: Wenn die sich in der Wirtschaft insgesamt nicht einigen, dann sollen sich die Stahl- und Zementindustrie oder die Zement- und Alu-Industrie an einen Tisch setzen, vielleicht irgendwo am schönen Rhein, und sich darüber unterhalten, wer was übernimmt. Ich sage Ihnen ganz klar: Diese Regierung ist dafür gewählt, dass sie ihre Hausaufgaben macht. Wenn Sie von der Regierung ihre Hausaufgaben nicht machen, dann sollten Sie zurücktreten; dann haben Sie ihre Aufgabe nicht erfüllt. ({5}) Unter diesem Gesichtspunkt wäre es wirklich gut gewesen, Herr Minister, wenn uns heute alles zusammen in einem Konzept vorgelegt worden wäre. Für uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion bilden das TEHG - nur den Entwurf dazu haben Sie heute vorgelegt - und der Nationale Allokationsplan eine untrennbare Einheit. Beide können nicht losgelöst voneinander behandelt werden. Beide sind inhaltlich eng verzahnt. Deshalb müssen auch beide gemeinsam im Parlament behandelt werden. Wir lehnen Ihren Vorschlag ab, TEHG und Nationalen Allokationsplan getrennt zu behandeln. Deshalb fordern wir Sie auf, Herr Minister, jetzt schnellstens, noch in der nächsten Sitzungswoche im Januar, Ihre Vorstellungen zum Nationalen Allokationsplan konkret vorzulegen, damit dieses Parlament beurteilen kann, wie sich Ihre umweltpolitischen Vorstellungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Arbeitsplätze, auf den Wirtschaftsstandort Deutschland und auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auswirken können. Sie sind verpflichtet, dies so schnell wie möglich vorzulegen. ({6}) - Wenn offenbar von der Regierungsbank gerufen wird „Sehr richtig!“, dann sollte das - so meine Bitte - protokollarisch festgehalten werden; denn das werden wir bei der Debatte sicherlich noch einmal gebrauchen können. Nur eines ist klar: Wer von uns verlangt, heute A zu sagen, der muss auch sagen, was auf uns noch zukommt, bevor er von uns verlangt, auch B zu sagen. ({7}) Diese Emissionsberechtigungen sind nämlich nichts anderes als Lebensmittelmarken für die deutsche Wirtschaft. Somit entscheidet sich hierdurch, welche Bereiche in Deutschland zukünftig noch einen produktiven und positiven Beitrag für den Arbeitsmarkt leisten können. Deshalb müssen Sie in dieser Frage alle Fakten auf den Tisch legen; sonst können wir als Opposition dieser Vorlage nicht zustimmen. Es geht nicht an, von uns zu fordern, einem Gesetz zuzustimmen, in dessen § 7 die Kompetenz zur Erarbeitung weiterer Regelungen an Bundestag und Bundesrat sowie die Bundesregierung gegeben wird. Sie müssen uns schon bei der Beratung dieses Gesetzes sagen, welche Regeln Sie uns tatsächlich vorlegen wollen; sonst können Sie nicht erwarten, dass wir dem TEHG zustimmen. Noch einige kurze Ausführungen zum ErneuerbareEnergien-Gesetz: Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU bekennt sich zu dem Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland zu erhöhen. ({8}) Das haben wir im Wahlprogramm festgeschrieben. Wir bekennen uns auch zu dem Ziel, die EU-Richtlinie umzusetzen und bis zum Jahre 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 12,5 Prozent zu erhöhen. So lautet unsere klare Aussage. ({9}) Genauso treffen wir aber auch die klare Aussage: Wenn Sie an dem Gesetzesentwurf zum EEG festhalten und keinen Kompromiss anstreben, wird die Union diesem Gesetzesentwurf nicht zustimmen. Sie verschlechtern die Situation für die Biomasse; Sie verschlechtern die Situation für die Wasserkraft. Sie setzen zwar durchaus interessante und richtige Schwerpunkte beim so genannten Repowering, der Erneuerung bestehender Windkraftanlagen, und wir sind auch durchaus offen für Beratungen über Offshore-Windenergieanlagen, zum Beispiel im Bereich von Nord- und Ostsee. Es geht aber nicht an, dass Sie das allgemeine Bekenntnis zur Windenergie so ausgestalten, dass weiterhin Mitnahmeeffekte beim Bau von Windenergieanlagen an windungünstigen Standorten im Binnenland möglich sind. Das wollen wir nicht. ({10}) Wir wollen, dass die Schwerpunkte bei der Windenergie im Binnenland anders gesetzt werden. Im gleichen Atemzug weise ich auch darauf hin, dass die Unionsfraktion dem Vorschaltgesetz trotz großer Bedenken zum Verfahren in Sachen Photovoltaik bzw. Solar - ich habe das vorhin geschildert - vor Weihnachten zugestimmt hat. Wir haben damit deutlich gemacht, dass auch wir die erneuerbaren Energien ernst nehmen und sie stärken wollen. Es kann aber nicht sein, dass Sie, um Ihr Klientel zu streicheln, ganz bestimmte Sektoren im Bereich der erneuerbaren Energien weiter stützen und zum Beispiel die Chancen, die die Biomasse bietet, vernachlässigen. Das ist nicht richtig. Gerade die Biomasse bietet die Chance, die Konflikte, die im Binnenland teilweise bei Windkraftanlagen entstehen, zu vermeiden oder zu lösen. Deshalb sagen wir: Wenn die Schwerpunkte nicht anders gesetzt werden als in Ihrer Vorlage, dann kann eine Zustimmung nicht erfolgen. Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch etwas Grundsätzliches sagen: Die Unionsfraktion bekennt sich zu dem Verdopplungsziel bis zum Jahr 2010. Sie aber schreiben in diesem Gesetzentwurf schon eine weitere Zielvorstellung fest, nämlich bis zum Jahre 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 Prozent zu steigern. Wir waren doch gemeinsam der Auffassung, dass die derzeitigen Umlagen - Sie sagen immer, es handele sich nicht um Subventionen; ich würde sie als indirekte Subventionen bezeichnen - daraufhin geprüft werden müssen, ob sie tatsächlich den erneuerbaren Energien zur Marktreife verhelfen; denn irgendwann müssen die erneuerbaren Energien im Vergleich zu den bisherigen Energieangeboten konkurrenzfähig sein. ({11}) Aus dem Grunde muss geprüft werden, ob die erneuerbaren Energien eines Tages tatsächlich ohne Umlagen, also ohne indirekte Subventionen, auskommen. Deshalb ist es richtig, dass man die gesetzliche Förderung auf das Jahr 2010 begrenzt. Wenn Sie aber heute schon davon reden, dass Ihre Zielvorstellungen bis zum Jahr 2020 reichen, dann bedeutet das doch im Klartext, dass die Prüfung im Jahre 2010 keinerlei Bedeutung hat. ({12}) Das wollen wir nicht. Wir sind bereit, das Verdopplungsziel bis zum Jahre 2010 mitzutragen. Wir machen aber nicht mehr mit, wenn Sie heute schon gesetzgeberische Vorgaben für die Jahre 2020 ff. erlassen. Das wäre nämlich ein Verstoß gegen den Grundsatz, dass immer wieder überprüft werden muss, ob erneuerbare Energien konkurrenzfähig sind. Aus dem Grunde richten wir die dringende Aufforderung an Sie, auch in diesem Punkt das Gesetz zu ändern; sonst können wir nicht zustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Ulrich Kelber, SPDFraktion.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir am Freitagmorgen, zur so genannten Kernzeit, über Klimaschutz sprechen. Das wird der Bedeutung des Themas durchaus gerecht. Ganz genau geht es heute um ein neues Instrument für den Klimaschutz in Europa und in Deutschland: den Emissionshandel, also den Handel mit einer immer kleiner werdenden Zahl von Berechtigungen für die Emission schädlicher Treibhausgase, um punktgenau klimapolitische Ziele erreichen zu können. Zum ersten Mal sprechen wir heute über den Emissionshandel anhand eines konkreten Gesetzentwurfs. Auch das macht eine neue Qualität der Diskussion aus. Stichwort Qualität der Diskussion: Herr Paziorek, ich fand es überzeugend, wie Sie das entschiedene Jein der CDU/CSU zur Förderung der erneuerbaren Energien vorgetragen haben und wie Sie wieder einmal einen Spagat geschafft haben, indem Sie einerseits sagen, das Parlament solle beim Emissionshandel entscheiden, sich aber andererseits beschweren, dass die Regierung keine Schwerpunkte setze. Ich habe darauf gewartet, dass Sie einmal Ihre Position zu den wichtigen Inhalten des Emissionshandels darstellen. Sind Sie wirklich immer darauf angewiesen, dass Jürgen Trittin und die SPD für Sie vordenken? Oder haben Sie auch eine eigene Meinung zu dem Thema? ({0}) Bei der Förderung erneuerbarer Energien erkennt auch der Laie ziemlich schnell den Zusammenhang zwischen der Maßnahme selbst und dem Klimaschutz. Beim Emissionshandel ist dieser Zusammenhang für viele Beobachter nicht direkt erkennbar. Mikroallokation, Makroallokation, Erfüllungsfaktor, Zertifikate, Derivate, Banking, Borrowing - das sind unglaublich viele neue Begriffe, die eher verwirren als klar machen, worum es geht. Bei all diesen neuen Begriffen droht der eigentliche Zweck des Emissionshandels manchmal in den Hintergrund zu geraten. Deswegen noch einmal ganz deutlich: Wer wie viel Geld mit dem Handel von Zertifikaten verdienen kann, ist völlig zweitrangig. Entscheidend ist: Ist dieses Instrument geeignet, zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten unsere Klimaschutzziele punktgenau zu erfüllen? ({1}) Schaffen wir es, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren? Der Erfolg hängt auch davon ab, ob wir die Funktionsweise und den Sinn des Emissionshandels einer breiten Bevölkerungsschicht deutlich machen können, ob wir erklären können, dass der Emissionshandel ein Instrument ist, um punktgenau ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen. Dazu werden die knapp 60 Prozent des Kohlendioxidausstoßes in Deutschland, für die die großen Kraftwerke und Industrieanlagen verantwortlich sind, individuell auf die einzelnen gut 2 500 Anlagen - ganz genau sind es zurzeit 2 629 Anlagen - aufgeteilt. Bis zum Jahr 2012 muss jede Anlage ihre Emission von Treibhausgasen um eine bestimmte Menge reduzieren. Das ist der für den Klimaschutz wichtige Teil. Gut ist, dass jedes Unternehmen den kostengünstigsten Weg wählen kann: Es kann entweder die Emissionen wie vorgegeben zum Beispiel durch technische Maßnahmen selbst reduzieren, es kann die Klimaschutzziele übererfüllen und nicht mehr benötigte Emissionsrechte an andere verkaufen oder es kann solche Rechte von anderen Firmen zukaufen. Ohne bürokratischen Aufwand werden wir so unsere Klimaschutzziele erreichen. Da die deutschen Firmen als Gesamtheit die Klimaschutzziele bis 2012 sogar übererfüllen werden - davon gehe ich aus -, werden sie Emissionsrechte an Firmen in anderen europäischen Ländern für viel Geld verkaufen können. Wir werden also die Klimaschutzziele erfüllen und gleichzeitig als Volkswirtschaft Geld verdienen. Mehr kann man von einem Gesetz nicht erwarten. Ich wiederhole noch einmal: Emissionshandel ist ein Instrument für den Klimaschutz. Anstrengungen für den Klimaschutz sind wichtiger denn je. Es gibt sehr viele negative Entwicklungen und bisher nur wenige positive Nachrichten. Wir haben gestern über die Weigerung Russlands gesprochen, das Kioto-Protokoll, durch das der Klimaschutz erweitert werden soll, zu ratifizieren und damit in Kraft zu setzen. Das ist eine negative Nachricht. Die Verweigerungshaltung der USA beim Klimaschutz insgesamt ist die größte Negativbotschaft, weil dieses Land der Hauptklimakiller ist und auf Kosten anderer Gesellschaften und vor allem künftiger Generationen lebt. Negativ sind auch neue Erkenntnisse über das Ausmaß bisheriger Klimaveränderungen, die größer sind als angenommen. Negativ sind neue Erkenntnisse über die Gefahr eines Zusammenbruchs des Golfstroms durch eine Veränderung des Salzgehalts im Nordatlantik. Die Folge wären drastische, schnelle Klimaveränderungen in Europa. Negativ sind auch die neuen Erkenntnisse über einen schnellen, massiven Anstieg des Meeresspiegels durch Eisrutsch. Die Gletscher in Grönland und in der Antarktis sind instabiler als gedacht. Wenn sie einmal abrutschen, können sie innerhalb weniger Jahre einen Anstieg des Meeresspiegels um viele Meter bewirken. Es gibt aber auch Hoffnungszeichen. Der Emissionshandel der EU ist ein solches Hoffnungszeichen. Aber auch die Erfolge Deutschlands und Großbritanniens bei der Minderung der Emission von Treibhausgasen sind positive Signale. Es ist doch nicht seltsam, dass gerade die beiden großen Länder der EU, die auf diesem Gebiet die größten Erfolge aufweisen können, nämlich Großbritannien und Deutschland, darauf drängen, dass man für die Zeit nach 2012 weitere ehrgeizige Ziele steckt. Wir haben bewiesen, dass solche Ziele erreicht werden können. Wir haben bewiesen, dass Klimaschutz nicht mit Wohlstandsverlust, sondern mit Wohlstandsgewinn - Stichwort „Emissionshandel“ - verbunden sein kann. ({2}) Die enormen Wachstumsraten beim Ausbau der erneuerbaren Energien sind ebenfalls ein Pluspunkt für den Klimaschutz. Natürlich sind wir stolz darauf, dass Deutschland auf diesem Gebiet Weltspitze ist. Nach dem Eigenlob für Deutschland möchte ich aber auch darauf hinweisen, dass China, ein Land mit riesigen Wirtschaftswachstumsraten, angekündigt hat - das ist eine der besten Nachrichten -, mit dem Ziel modernisieren zu wollen, die Kohlendioxidemissionen zu senken und nicht zu erhöhen. ({3}) Fazit: Es gibt einige positive Beispiele. Es bieten sich Chancen für den Klimaschutz. Zurück zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz. Heute findet die erste Lesung statt. Am 9. Februar gibt es eine öffentliche Anhörung des Bundestages. Das Gesetz wird viele technische und juristische Einzelheiten zum Ablauf des Emissionshandels regeln. Das noch spannendere Gesetz, das Gesetz zum Nationalen Allokationsplan, wird regeln, welche Anlage wie viel emittieren darf und wie stark die Emissionen vermindert werden müssen. Dieses Gesetz wird noch kommen. Nach der Anhörung im Umweltausschuss werden wir natürlich über die Details des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes diskutieren. Zu drei Grundsätzen möchte ich aber kurz etwas sagen. Ich halte es für richtig, keine neue Bürokratie für die Überwachung und Erfassung der Anlagen aufzubauen, sondern auf die bewährten Instrumente der Bundesländer zu setzen. Ich halte es für richtig, keine neue Behörde zur Verwaltung der Emissionszertifikate zu schaffen, sondern diese Aufgabe dem Umweltbundesamt anzuvertrauen. Ich halte es ferner für richtig, dass das Parlament die Grundsätze festlegt, nach denen die Verteilung stattfindet. Wir sollten uns aber nicht um die Verteilung der Emissionen auf 2 629 Anlagen kümmern müssen, sondern die Verteilung in einer Verordnung regeln. Das sind drei wichtige Festlegungen, die im Gesetz vorgesehen sind, die wir so auch umsetzen sollten. Parallel zum Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz findet bereits die Diskussion über den Nationalen Allokationsplan statt. In den letzten Tagen wurden frühere Aussagen von Wirtschafts- und Oppositionsvertretern über Ausnahmen und Sonderwünsche im Emissionshandel zurückgenommen oder nur noch sehr leise vertreten. Der Grund dafür ist klar: Jeder dieser Sonderwünsche hat eine ganz eindeutige Folge. Die Anzahl der Emissionsberechtigungen ist durch die Klimaschutzziele begrenzt. Jeder Sonderwunsch, jede Ausnahme führt dazu, dass anderen Kraftwerken und anderen Industrieanlagen höhere Auflagen auferlegt werden müssten und sie demzufolge mit Mehrkosten für den Klimaschutz belegt würden. Das heißt, jede Ausnahme, die Sie fordern, führt dazu, dass andere stärker belastet werden. Auch das muss man der Öffentlichkeit deutlich machen. Noch eines muss gelten: Der Emissionshandel darf nicht zur Bevorzugung der Anlagen heutiger MarktteilUlrich Kelber nehmer gegenüber den Anlagen zukünftiger Marktteilnehmer führen. Manche Wirtschaftsverbände vertraten seltsame Vorstellungen, die aus meiner Sicht mit Marktwirtschaft nicht mehr viel zu tun hatten. Letztlich muss auch die freiwillige Klimaschutzvereinbarung der deutschen Industrie erfüllt werden. Sie kann nicht wegdefiniert werden. Gleichzeitig muss die deutsche Wirtschaft aber auch das Signal erhalten, dass sie infolge des Emissionshandels nicht mit Mehrbelastungen belegt wird. Parallel zur Einführung des EU-Emissionshandels müssen wir uns um andere nationale und internationale Instrumente des Klimaschutzes kümmern. Wir brauchen eine Weiterentwicklung des nationalen Klimaschutzprogramms. Wir müssen uns darum kümmern, dass das Kioto-Protokoll in Kraft gesetzt wird, und darum weiterhin Druck auf Russland ausüben; darüber haben wir gestern diskutiert. Erst dann können wir die flexiblen Instrumente im EU-Emissionshandel ebenfalls einsetzen. Erst dann kann der Export von Klimaschutztechnologien erfolgen und eine Kooperation mit anderen Industriestaaten und Entwicklungsländern aufgebaut werden. Über die Zeit nach 2012 müssen wir nachdenken; wir müssen über so etwas wie Kioto II nachdenken. Wir brauchen eine weitere deutliche Senkung der Emission von Treibhausgasen. Diese Koalition hat eine weltweit anerkannte Schrittmacherfunktion übernommen, indem sie gesagt hat: Wenn sich die EU zu einer Minderung um 30 Prozent bekennt, dann schaffen wir in Deutschland auch eine Minderung um 40 Prozent. ({4}) Um mit den Schwellen- und Entwicklungsländern als Partner im Klimaschutz deutlich zusammenarbeiten zu können, braucht es ein klares und bestimmtes Bekenntnis, nämlich dass auf lange Sicht jeder Mensch für die gleiche Menge an Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich sein muss, egal wo er wohnt. Es kann nicht sein, dass der Norden mit 20 Prozent der Bevölkerung auf Dauer für 80 Prozent der Emission von Treibhausgasen verantwortlich ist. Jeder hat die gleichen Rechte; das ist die einzige demokratische Möglichkeit. ({5}) Können wir das schaffen? - Ja. Die dazu notwendigen Technologien sind vorhanden bzw. in wenigen Jahren entwickelbar. Wir schaffen das! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Birgit Homburger, FDPFraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute nach der Debatte, die wir gestern über das Kioto-Protokoll geführt haben, die Einführung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes und die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die Einführung des europäischen Emissionshandels ist im Prinzip eine gute Nachricht. Eine nachhaltige Klimapolitik verlangt, dass pro eingesetztem Euro so viel Treibhausgase wie möglich vermieden werden. Oder andersherum gesagt: Es geht darum, Treibhausgasemissionen so kostengünstig wie möglich zu verringern. Dazu kann der Emissionshandel einen wesentlichen Beitrag leisten. Ich freue mich, dass diese Erkenntnis, die die FDP seit den 80er-Jahren vertritt, in diesem Hause zwischenzeitlich mehrheitsfähig geworden ist. ({0}) Die FDP war die erste Fraktion, die dazu konkrete Vorschläge gemacht hat. ({1}) Unermüdlich haben wir unsere Vorstellungen zum Emissionshandel und auch zur Förderung regenerativer Energien hier im Deutschen Bundestag eingebracht. Da fragt sich natürlich: Was hat eigentlich die Bundesregierung in all diesen Jahren getan, Herr Trittin? ({2}) Sie haben vorhin Kriterien formuliert und gesagt, eine rechtzeitige Einführung sei von großer Bedeutung. Dazu kann ich nur feststellen: Noch im letzten Jahr, und zwar im Juni 2003, hat nicht nur Ihr Kollege Clement, sondern auch Bundeskanzler Schröder beispielsweise in der „FAZ“ erklärt, wir brauchten den Emissionshandel nicht. ({3}) Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Wenn Sie davon sprechen, man müsse ein solches Instrument rechtzeitig einführen, weil es ein völlig neues Instrument sei und sich die Beteiligten darauf einstellen müssten, dann haben Sie, Herr Trittin, an dieser Stelle mit Ihrer Verweigerung in den letzten Jahren großen Schaden angerichtet. Sie sind schuld daran, dass es hier im Augenblick Unsicherheit gibt. ({4}) Nun droht also das Kind in den Brunnen zu fallen. Die Spielregeln des europäischen Emissionshandels wurden weitgehend ohne die Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Nun wird mit heißer Nadel und in aller Eile die Umsetzung vorbereitet. Es gibt durchaus Anlass zur Sorge, dass ein Debakel droht und dass ein hocheffizientes Instrument in einem rot-grünen chaotischen und bürokratischen Monster endet. ({5}) Allein die Tatsache, dass die Ökosteuer, die KWK-Regelungen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das BundesImmissionsschutzgesetz und diverse Selbstverpflichtungen mit dem Emissionshandel verknüpft werden müssen, macht das ganze Drama deutscher Regelungswut deutlich. ({6}) Die FDP hat seit langem für die Einführung des Emissionshandels plädiert. Denn wir halten es für ein überlegenes Instrument. Deshalb stellt sich die Frage, warum die vorgelegten Regelungsentwürfe im Augenblick kaum Freude auslösen. Eine aktuelle Umfrage bei den Unternehmen hat jüngst ergeben, dass rund 75 Prozent der Unternehmen mit einer Verteuerung ihrer Produkte durch den Emissionshandel rechnen und nicht etwa mit einer Vergünstigung, um die es hier ja geht. Wir wollen doch die Verringerung der Emissionen kostengünstiger organisieren. Die Unternehmen gehen nicht davon aus, dass das gelingt. Dazu kann ich nur sagen: Das größte Problem in diesem Zusammenhang sind rechtliche Unsicherheiten, die dafür sorgen, dass die Unternehmen derzeit keine verlässliche Investitionsplanung vornehmen können. ({7}) Herr Trittin, Sie haben jüngst geäußert, Sie wollten, dass der Kraftwerkspark erneuert werde, weil damit 1 Tonne CO2 deutlich günstiger vermieden werden könne als beispielsweise durch die Förderung der Windenergie. ({8}) Das finde ich lobenswert. Allerdings sind die Bedingungen natürlich nicht klar. § 12 Ihres Entwurfes eines Gesetzes zum Emissionshandel bietet die Möglichkeit, gegen die Zuteilung von Emissionsrechten Widerspruch zu erheben. Der Widerspruch hat aber keine aufschiebende Wirkung. In § 15 wird die Rechtsnatur der Emissionshandelsrechte verschwiegen: Es ist völlig unklar, ob es sich dabei um Waren handelt, also um handelbare Eigentumsrechte, oder ob es sich etwa um Wertpapiere handelt und deswegen womöglich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auch noch darüber eine Aufsicht ausübt. In diesen Punkten besteht völlige Unklarheit. Solange diese nicht beseitigt ist, Herr Trittin, so lange kann die Wirtschaft nicht entscheiden, weil sie keine verlässliche Basis hat. Das ist das Ergebnis schlampiger Vorbereitung durch Sie. ({9}) Ohnehin gilt die mit immensem Aufwand ermittelte Datenbasis für den Emissionshandel als mangelhaft. Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums wird mit der Aussage zitiert, man habe noch keinen Überblick. Intern geht man in Ihrem Hause davon aus, dass die Daten schlicht unzutreffend sind. Wer ein Softwarepaket zur Ermittlung der Daten mehrfach ändert - in kürzestem Zeitraum -, der braucht sich nicht zu wundern, wenn Daten nicht stimmen, der braucht sich auch nicht zu wundern, dass es dann zwischen Ihnen, Herr Trittin, und Herrn Clement Differenzen gibt in der Frage, wie CO2Minderungen eigentlich zu bewerten sind, die für die Unternehmen zum Schluss zwischen 80 und 240 Millionen Euro Kosten ausmachen werden. ({10}) Diese Differenzen haben Sie nicht geklärt. Das hängt alles mit der mangelnden Datenbasis zusammen. ({11}) Man hätte das alles vernünftig vorbereiten können; wir haben Sie in den letzten Jahren mehrfach dazu aufgefordert. Sie haben das alles ignoriert; deswegen haben Sie jetzt die Verantwortung zu tragen. ({12}) Nicht zuletzt auch deshalb gibt es Schwierigkeiten, weil das wichtigste und entscheidendste Element des Emissionshandels, der so genannte Nationale Allokationsplan, vom Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz getrennt ist. Genau an dieser Stelle werden die Anfangszuteilungen entschieden werden. Wir diskutieren hier also über die - wenn Sie so wollen - berühmte „Dame ohne Unterleib“, Herr Minister. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, das sei eine Parodie auf rot-grüne Umweltpolitik. Aber leider ist die Sache unglaublich ernst. ({13}) Deswegen müssen wir in den Beratungen darauf hinwirken, dass wir die Sache zu einem vernünftigen Abschluss bringen. Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, nämlich dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Da sieht es leider kaum besser aus. Dass heute die EEG-Novelle und das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz gemeinsam beraten werden, ist ein Produkt parlamentarischer Ablaufplanung. Eigentlich müsste es viel mehr sein: Es müsste nämlich gewollt sein. Ist es denn nicht so, dass der Emissionshandel ein wichtiges Element des Klimaschutzes ist und dieser wiederum - neben anderen Aspekten - ein zentrales Argument für die Förderung der erneuerbaren Energien ist? Wenn das so ist, dann muss man offensichtlich die Förderung erneuerbarer Energien mit der internationalen Klimapolitik verbinden. ({14}) Nichts liegt näher und nichts anderes wird dringender gebraucht. Von nichts anderem, Herr Trittin, ist diese Bundesregierung weiter entfernt, als tatsächlich hier eine Verknüpfung herzustellen. Sie haben auch das in den letzten Jahren vollkommen verschlafen. ({15}) Sie haben nach wie vor keine langfristige Klimaschutzstrategie. Wenn Sie hier von einem Gesamtkonzept reden, kann ich Ihnen nur sagen: Wir wollen die Verknüpfung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit dem Klimaschutz und wir sind der Meinung, dass an dieser Stelle das EEG durch ein modernes Instrument ersetzt werden muss, nämlich durch ein marktwirtschaftliches Fördermodell. Wir müssen auch in der Speichertechnologie vorankommen, um zu erreichen, dass die regenerativen Energien auf Dauer grundlastfähig werden. Wenn sie grundlastfähig werden, dann müssen wir die Netze nicht mehr ausbauen, dann müssen wir die bisherige Regelenergie nicht mehr vorhalten, dann haben wir eine große Entwicklungschance für die erneuerbaren Energien. Das will die FDP, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das kapiert diese Bundesregierung nicht. ({16}) Die FDP wird sich - wie immer - konstruktiv an den Beratungen beteiligen. Die FDP hat einen großen Anteil daran, dass das Instrument des Emissionshandels politisch mehrheitsfähig wurde. Wir sind überzeugt, dass es ein überlegenes Instrument ist, dass man klimapolitische Ziele zu den geringsten Kosten realisieren kann. Deshalb wird die FDP alles daransetzen, dass dieses Instrument funktionsfähig wird, dass wir es vernünftig nutzen können und dass es nicht durch grünen Dilettantismus kaputt gemacht wird. Vielen Dank. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion.

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus meiner Sicht ist der Klimawechsel das größte Problem, mit dem wir es heute zu tun haben. Er ist noch ernster zu nehmen als die Terrorgefahr. Diese Worte von David King, dem obersten wissenschaftlichen Berater von Tony Blair, waren neulich in der Zeitschrift „Science“ zu lesen. Ich glaube, dieser Mann hat völlig Recht. In vielen Debatten muss man leider erkennen, dass viele immer noch nicht wissen, um was es hier geht. Wir stehen mitten in einem Klimawandel und er ist tatsächlich eines der größten Probleme, wenn nicht das größte Problem. Wir sprechen häufig - das merkt man an den Wortbeiträgen - über Formalia: wann was eingereicht wurde usw. Es geht aber darum, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels, in dem wir mittendrin stecken, einzudämmen. Ich halte nichts von Horrorszenarien. Deswegen bin ich dafür, darüber zu sprechen - das haben wir getan -, mit welchen Maßnahmen man gegen den Klimawandel zu Felde ziehen kann und vor allen Dingen welche Chancen mit dem Klimaschutz verbunden sind. Auf eine der Maßnahmen zum Klimaschutz ist Herr Kelber heute schon eingegangen, nämlich den Emissionshandel. Durch moderne Kraftwerke kann Energie eingespart und können CO2-Emissionen gesenkt werden. Unser Kraftwerkspark und fast alle Kraftwerke in Europa sind veraltet. Darüber müssen wir sprechen. Wir müssen über die Vermeidung von CO2 sprechen - auch das tun wir. Beispielsweise würde die Abschaltung aller Standby-Geräte dazu führen, dass ein Atomkraftwerk überflüssig wird. Auch die Förderung der erneuerbaren Energien - damit komme ich zu dem Thema, das heute auf der Tagesordnung steht - ist eine wichtige Maßnahme. Die Verknüpfung mit dem Klimaschutz müsste selbst der FDP mittlerweile offensichtlich sein. Zur Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, kurz EEG. Es ist das weltweit erfolgreichste Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien. Das wird in allen Studien bestätigt, das sagen alle Wissenschaftler. ({0}) Ich meine, wir sollten das auch in Deutschland langsam zur Kenntnis nehmen. ({1}) Erfolgreich ist es vor allen Dingen deshalb, weil es mithilft - das ist die konkrete Verknüpfung mit dem Klimaschutz -, 50 Millionen Tonnen CO2 in Deutschland zu vermeiden. Aber nicht nur das: Fast 50 Millionen Tonnen weiterer Luftschadstoffe, die immer unter den Tisch fallen, die aber auch sehr wichtig sind, werden durch die Förderung der erneuerbaren Energien vermieden. ({2}) Das EEG ist auch ein Beschäftigungsprogramm. 135 000 Menschen sind im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigt; das ist eine Beschäftigungswirksamkeit, die kein anderer Energiebereich erreicht. Es ist ein Mittelstandsprogramm, weil die Menschen, die im Bereich der erneuerbaren Energien in Arbeit gebracht werden, und die Firmen, die in diesem Bereich tätig sind, hauptsächlich im Mittelstand angesiedelt sind; das fordern wir ja auch immer. Es ist ein Technologieprogramm, das eine innovative und moderne Technologie fördert, die Zukunft hat und bei der Deutschland an der Spitze mitmacht. Deswegen ist es auch ein Exportprogramm. Wenn sich die Technologien weiter durchsetzen und auch andere Länder darauf bauen - das tun sie; sie kopieren das EEG zunehmend -, werden wir die Möglichkeit haben, diese Technologien zu exportieren. Es ist auch ein Sicherheitsprogramm. Wir wissen, dass viele fossile Ressourcen in Ländern und Regionen zu finden sind, in denen die sicherheitspolitische Lage schwierig ist und in denen die Konflikte und Kriege um Öl und andere Ressourcen zunehmen werden. Deshalb bringt die Förderung der erneuerbaren Energien auch die Sicherheit nach vorne. ({3}) Das EEG übererfüllt also die Anforderungen und schafft viele Möglichkeiten; das meinte ich mit „Chancen“. Man könnte sagen: Es ist eine unserer wichtigsten „Nachwuchshoffnungen“, die wir für die Zukunft brauchen, die unentbehrlich wird und die uns Perspektiven gibt. Jetzt geht es darum, den Nachwuchs in eine neue Lebensphase zu begleiten. Wir novellieren das Erneuerbare-Energien-Gesetz, um es an die neuen Verhältnisse anzupassen und um es noch effizienter und erfolgreicher zu machen. Dies ist die erste Lesung zur Novellierung. Seit Dezember liegt der Regierungsentwurf zur Novellierung vor, der eine gute Grundlage für unsere Beratungen bildet. Ich werde hier keine Detaildiskussion beginnen. Aber wir müssen natürlich in den Ausschüssen und in den Fraktionen über die Details reden und mit den Sachverständigen darüber diskutieren; das ist bereits in vollem Gange. Dazu sind alle herzlich eingeladen. Am 8. März findet zu diesem Thema eine öffentliche Anhörung in diesem Hause statt. Ich glaube, dann werden wir noch einmal über die Details zu reden haben und auch vernünftige Ergebnisse bekommen. Ich möchte nur ganz kurz auf die Punkte eingehen, die für uns wichtig sind. Zu der kleinen und großen Wasserkraft. Auf der einen Seite müssen wir darüber diskutieren, dass wir weiterhin die kleine Wasserkraft betreiben und sie auch fördern, auf der anderen Seite gibt es im Novellierungsentwurf die Öffnung - zumindest ein kleines Tor - zur großen Wasserkraft. - Das ist der erste Diskussionspunkt. Der zweite Diskussionspunkt ist die Bioenergie, die sehr große Chancen bietet. Ich glaube, dass wir diese Chancen noch weiter verfolgen müssen, als wir es im Gesetzentwurf getan haben. ({4}) Außerdem haben wir über die Windkraft und die Härtefallregelung zu reden. Auch hier gibt es Diskussionspunkte, die wir noch näher ansprechen müssen. Über die Photovoltaik müssen wir Gott sei Dank nicht mehr sprechen. Denn mit unseren Beschlüssen vom Dezember letzten Jahres haben wir hierfür eine gute Grundlage geschaffen. So stellt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarenergie, Gerhard Stryi-Hipp, fest, mit der Verabschiedung des Photovoltaik-Vorschaltgesetzes sei Deutschland einer der weltweit attraktivsten Märkte für Solaranlagen. Genau diese Bedingung wollen wir für alle Sparten schaffen oder erhalten. Das ist im Bereich der erneuerbaren Energien unser Ziel. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. ({5}) Wir laden alle, insbesondere die Union, ein, sich dem erfolgreichen Projekt EEG anzuschließen. Allerdings dürfen wir bei unseren Diskussionen nicht hinter den jetzigen Stand des Entwurfes zurückfallen. Aber bei den Diskussionen im Plenum höre ich ja immer - das freut mich jedes Mal -, dass die Union eigentlich viel mehr will, als in den Entwürfen enthalten ist. Aber ich weiß, dass gerade bei Ihnen von der CDU/CSU eine Riege sitzt, die in diesem Bereich eigentlich viel weniger will. Darüber müssen Sie innerhalb der Union eine Diskussion führen. Dann, denke ich, können wir eine gute Basis schaffen. ({6}) Herr Paziorek, wirklich absoluter Blödsinn ist es, beim Thema Energiepolitik zu sagen: Wir diskutieren nur bis zum Jahr 2010. - Nein, auch die Perspektive des Jahres 2020 ist fast zu niedrig gegriffen. Natürlich muss man sich Nahziele wie die Jahre 2010 oder 2020 setzen. Aber man muss auch weiter in die Zukunft schauen. Wenn man sich überlegt, dass ein Kraftwerkspark, der gebaut wird, 40 Jahre Bestand hat, also zwei Generationen lang vorhanden ist, dass die Auswirkungen des Klimas nicht in zehn oder 20 Jahren zu reparieren sind und dass Atomenergie zig Generationen strahlt, dann kann man beim Thema Energiepolitik nicht sagen, dass man nur bis zum Jahr 2010 diskutiert. Vielmehr muss man auch darüber hinaus eine Perspektive schaffen. ({7}) Eine wichtige Neuerung im Entwurf zur Novellierung ist die eingeforderte Transparenz, gerade im Umgang mit den Kosten. Bereits im Dezember letzten Jahres habe ich zur Kostendiskussion Stellung genommen. Die entsprechenden Übertreibungen sind aber immer noch vorhanden und die unfairen Kostenvergleiche hören nicht auf. Der neueste Clou zeigt sich bei der Begründung für die Steigerung der Stromkosten für den Kunden in diesem Jahr. Da werden die steigenden Kosten, die die Stromanbieter den Kunden aufbürden, mit den Regelungen im Bereich der erneuerbaren Energien begründet. Das ist wieder eine Milchmädchenrechnung, der man entgegentreten muss. Zur Erklärung möchte ich Folgendes sagen: Im letzten Jahr haben die Stromversorger den Verbrauchern für die erneuerbaren Energien Kosten in Rechnung gestellt, deren Höhe über den realen Ausgaben lag. Hierbei stützte man sich auf Prognosen. Das kann man so hinnehmen, wenn diese Kosten in diesem Jahr verrechnet werden und den Kunden gegebenenfalls Geld zurückerstattet wird. ({8}) Stattdessen liegen für das Jahr 2004 Prognosen vor, die wieder völlig überhöhte Kosten beinhalten. Die realistischen Kosten betragen 0,1 Cent pro Kilowattstunde. Die Versorger führen aber Erhöhungen von teilweise 0,8 Cent pro Kilowattstunde durch. Wer diesen Umstand mit dem Verweis auf die erneuerbaren Energien erklärt, der hat, wie ich finde, den Schuss nicht mehr gehört. ({9}) Hierbei handelt es sich also um eine achtmal so hohe Rechnung. Übrigens, weitere Stufen der Ökosteuer haben wir dieses Jahr auch nicht eingeführt. Also kann diese Begründung für die Erhöhungen nicht richtig sein. Also, lieber Verbraucher, liegt diese deutliche Erhöhung der Preise nicht an den erneuerbaren Energien. Haken Sie bei Ihrem Stromanbieter genauer nach, wenn er die Preise erhöht. Denken Sie daran, dass es richtig teuer wird, wenn wir die Energiewende nicht konsequent fortsetzen und dem Klimawandel nicht entgegenwirken. ({10}) Wir sind dazu gewillt, aber wir brauchen die Unterstützung aller. Danke und Glückauf! ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Peter Paziorek das Wort.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bülow, Sie haben gesagt, in der Energiepolitik müsse über das Jahr 2010 hinausgeschaut werden. Mir haben Sie vorgeworfen, dass meine Aussage, wir müssten im Jahre 2010 prüfen, welchen Beitrag die erneuerbaren Energien weiterhin leisten könnten, nicht den Grundanforderungen an Energiepolitik entspricht. ({0}) - Das hat er sehr wohl so gesagt. ({1}) Klar ist: Wir brauchen in Deutschland ein Energiekonzept, das belastbar ist und Schwerpunkte setzt: für den Anteil von konventionellen, fossilen Energieträgern, von Gaskraftwerken, von - dieser Ansicht sind wir - der Kernenergie und von erneuerbaren Energien. Das alles muss in Deutschland geleistet werden. Ihre Regierung hat den Versuch gemacht, ein solches Energiekonzept zu formulieren. Der frühere Wirtschaftsminister Müller musste an einem parlamentarischen Abend vor kurzem aber erklären, dass er leider dabei gescheitert ist, ein solches Energiekonzept in der rot-grünen Bundesregierung durchzusetzen. ({2}) In einem solchen Energiekonzept könnten die Weichenstellungen für eine Energiepolitik vorgenommen werden, die über das Jahr 2010 hinausreicht. ({3}) Ich kritisiere, dass Sie es nicht schaffen, ein belastbares Energiekonzept für die Energiepolitik insgesamt zu formulieren, dass Sie aber ausgerechnet für den Teilbereich der erneuerbaren Energien Ziele festsetzen wollen, die bis weit über das Jahr 2010 hinausgehen und bis 2020 oder 2025 reichen. Man muss sich die Frage stellen: Warum legen Sie ein solches Konzept nur für einen Teilbereich und nicht für alle Bereiche der Energiepolitik vor? Sie wären glaubwürdiger, wenn Sie den Anteil der erneuerbaren Energien in einem Gesamtkonzept zur Energiepolitik ausweisen würden, das über das Jahr 2010 hinausgeht. Wir haben den Eindruck, Sie machen nur Klientelpolitik. Für die Brennstoffe, bei denen es wirklich spannend wird, nämlich bei der Braunkohle und der Steinkohle - hier spielt auch die Frage der heimischen Kohle und der Importkohle eine Rolle -, schaffen Sie es nicht, ein Energiekonzept vorzulegen. Sie beschränken sich nur auf einen einzigen Teilbereich, nämlich auf den Bereich der erneuerbaren Energien. Sie drücken sich vor den Schularbeiten, die Sie tatsächlich zu leisten haben. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Bülow, Sie haben Gelegenheit zur Antwort. ({0})

Marco Bülow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003512, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das hätten Sie wohl gerne. Ich bin aber nicht so schnell sprachlos. Herr Kollege Paziorek, ich habe nicht gesagt, dass wir hinsichtlich des Jahres 2010 keine Prüfung mehr unternehmen sollten. Ich habe nur festgestellt, dass es Zwischenschritte geben muss, um zu überprüfen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Man kann doch nicht so tun, als ob im Jahr 2010 die Zeit endet, sondern man muss über diesen Zeitpunkt hinaus Perspektiven haben. Darüber hinaus habe ich, wie ich denke, deutlich gemacht, dass gerade in der Energiepolitik kleine Schritte nicht reichen, sondern dass man mutig nach vorne gehen muss. ({0}) Wie sieht die Realität in Deutschland aus? Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung beträgt mittlerweile 8 Prozent. Wir wollen bis zum Jahr 2010 einen Anteil von 12,5 Prozent erreichen. Sie haben gesagt, dass Sie hinter diesem Ziel stehen. Dieses Ziel geht also in Ordnung. Aber in der Zeit danach muss es doch auch weitergehen, schließlich geht der Vorrat an fossilen Brennstoffen dann zu Ende. Deswegen haben wir uns zum Beispiel das Ziel gesetzt, dass im Jahr 2020 der Anteil der erneuerbaren Energien 20 Prozent betragen soll. Das ist im Vergleich zu 12,5 Prozent keine große Steigerung mehr; vielleicht müsste man sich noch ehrgeizigere Ziele setzen. Ich gebe Ihnen in dem Punkt Recht, dass wir ein umfassendes Energiekonzept brauchen. ({1}) - Es ist schön, dass Sie mit uns einer Meinung sind. Dann werden wir gemeinsam intensiv daran arbeiten können. - Hier sind wir auf dem Weg. Wir haben nun erst das Konzept für den Bereich der erneuerbaren Energien vorgelegt. Wir haben auch Konzepte zu den anderen Bereichen erarbeitet, die heute aber nicht zur Diskussion stehen. Darüber werden wir zusammen diskutieren. Ihnen gefällt aber nicht, dass in unserem Konzept geschrieben steht, dass wir den Atomausstieg verfolgen. Die weitere Nutzung der Atomkraft bringen Sie immer wieder zur Sprache. Das wollen wir nicht. Die Nutzung der Atomkraft fehlt in unserem Energiekonzept. Dafür ist unser Energiekonzept nachhaltig und reicht über das Jahr 2010 hinaus. Es ist aber nicht nur in dem Punkt nachhaltig, dass wir festschreiben, dass wir den nachfolgenden Generationen keine Atomstrahlung und keine Endlager zumuten wollen. Es geht vielmehr darüber hinaus und ist ein nachhaltiges Energiekonzept, das auch den nächsten Generationen dient. Dieses Ziel werden wir erreichen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Georg Girisch, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bülow, lassen Sie mich vorweg eines klarstellen: Wir von der CDU/CSU-Fraktion sind nicht gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz; ({0}) das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Wir haben mit dem Stromeinspeisungsgesetz aus den 90er-Jahren das Fundament für das heutige EEG gelegt. ({1}) Wir haben unseren Willen in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur verlautbaren lassen, wie die Bundesregierung das in den vergangenen Monaten öfter getan hat. Wir haben nicht blockiert. Trotz des von unserer Seite schon oft beklagten Hauruck-Verfahrens bei der Novellierung des EEG haben wir kurz vor Weihnachten dem so genannten Photovoltaik-Vorschaltgesetz zugestimmt. Hier haben wir unter Beweis gestellt, dass wir im EEG zusammenarbeiten wollen, dass wir zur Kooperation bereit sind. Wir haben erfahren müssen, wie schwierig es ist, wenn die Industrie Planungsunsicherheit hat. Deshalb, glaube ich, sollten wir uns insbesondere beim EEG auf die Zusammenarbeit in den künftigen Wochen und Monaten einstellen. ({2}) Für die Anlagenbetreiber, die Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz einspeisen, ist es wünschenswert und sogar lebensnotwendig, dass baldmöglichst klare Regelungen geschaffen werden, damit sie Planungssicherheit haben. Es ist wichtig, in dieser Diskussion allen Beteiligten Gehör zu verschaffen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch auf den Fachkongress, den die Unionsfraktion am 28. Januar 2004 abhält, hinweisen. An diesem Tag wollen wir Vertreter der Wirtschaftsunternehmen verstärkt zu Wort kommen lassen. Lassen Sie mich zu den einzelnen Regelungen im Entwurf der Regierungskoalition Stellung nehmen: Zu den Vorhaben im Bereich der Biomasse muss ich ganz klar sagen: So nicht! Nicht mit uns! ({3}) Würde der Entwurf unverändert angenommen werden, könnte dies das Aus für die Biomasse bedeuten. Wir sind gegen eine Verkürzung des Vergütungszeitraums auf 15 Jahre und wir sind gegen eine Erhöhung der Degression auf 2 Prozent. Der Vergütungszeitraum muss stattdessen auf 20 Jahre festgesetzt und die Degression muss gesenkt werden. Gerade die Biomasse als Grundlastenergie stellt eine, wenn nicht sogar die Chance für das zweite Standbein der Landwirtschaft dar. Hier dürfen wir den deutschen Landwirten keine Möglichkeiten verbauen, die sie zur Existenzsicherung nutzen können. ({4}) In diesem Zusammenhang möchte ich eines erwähnen: Ich sehe die Nutzung der Windkraft nicht gerade als typischen Nebenerwerb eines Landwirtes an, ({5}) wenngleich in den vergangenen Wochen wiederholt versucht wurde, dies zu suggerieren. Ich sage ganz klar Ja zur Biomasse, aber nicht zu diesem Entwurf; denn durch ihn werden die Zukunftschancen im Bereich der Biomasse zerstört. ({6}) Zur Windkraft, der wohl am heftigsten umstrittenen Art der Energieerzeugung, muss ich sagen: Durch den vorliegenden Entwurf könnte eine bislang bestehende falsche Lenkungsfunktion durchaus beseitigt werden. Wir wollen keine Förderung der erneuerbaren Energien an jedem Ort und wir wollen sie auch nicht um jeden Preis. Es muss klar sein, dass Windkraftanlagen an äußerst windungünstigen Standorten keine Berechtigung haben. ({7}) Wir wollen die erneuerbaren Energien voranbringen und nicht Technologien an dafür nicht geeigneten Standorten fördern. ({8}) Fazit - das sage ich auch ganz deutlich -: Wir sagen Ja zur Windkraft, aber nur dort, wo sie hingehört. Es gibt nun einmal nicht zu leugnende Unterschiede zwischen nördlichen und südlichen Bundesländern. Diese müssen einfach respektiert werden und sich im Sinne des von uns geforderten Energiemix regional auch widerspiegeln. Nicht jede Energieart ist für jede Region geeignet. ({9}) Diese einfache Weisheit hat sich beispielsweise bei der Photovoltaik schon längst durchgesetzt. ({10}) Wir sagen auch Ja zur Wasserkraft. Die Wasserkraft ist die älteste Quelle der erneuerbaren Energien. Sie hat sich bestens bewährt und bietet auch heutzutage noch einiges an Potenzial. Bewährtes sollte man auch in der Politik nicht verändern. ({11}) Nach unserem Willen sollte bei den Regelungen zur Wasserkraft im EEG deshalb alles beim Alten bleiben. Der Entwurf von Rot-Grün beinhaltet einige ökologische Kriterien, die innerhalb des EEG allerdings systemfremd und somit fehl am Platze sind. Wenn sie nicht gestrichen werden, so müssen sie zumindest mit den Regelungen der so genannten Wasserrahmenrichtlinie und den jeweiligen Bundes- und Landesgesetzen in Einklang gebracht werden, wobei ich anmerken möchte, dass die Regelungen der Wasserrahmenrichtlinie bereits eine enorme Einschränkung und auch Belastung für die Wasserkraft darstellen. Speziell für diesen Bereich möchte ich anfügen, dass es bei den Investitionskosten keinen Spielraum mehr gibt. Die Technologie auf dem Gebiet der Wasserkraft ist seit Jahren ausgereift und bietet eben keine Einsparmöglichkeiten mehr, wie dies zum Beispiel bei der Photovoltaik der Fall ist. Die im EEG bisher nur vorläufig aufgenommene so genannte Härtefallregelung soll nun einen dauerhaften Platz im EEG finden. Allerdings sollen jetzt wesentlich mehr Unternehmen von dieser Regelung profitieren können. Die deutsche Wirtschaft muss leben und konkurrieren können. Wir können hier nicht noch zusätzliche Hürden aufbauen, sodass es zu zusätzlichen Belastungen kommt, sondern wir müssen zusehen, dass wir im Inland gute Arbeitsbedingungen zur Verfügung stellen. Wir werden die Diskussion zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes jetzt beginnen. Fest steht aber bereits heute, dass sich alle Parteien - darauf haben Gott sei Dank alle Redner hingewiesen - einig sind, dass wir bis zum Jahr 2010 eine Verdoppelung des Anteils von erneuerbaren Energien erreichen wollen. Dieses Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Um es zu erreichen, müssen wir aber auf einen Energiemix setzen. Das bedeutet, dass die Diskussionen in den nächsten Wochen nicht zugunsten der einen und zulasten einer anderen Energieart geführt werden. Wir brauchen für die erneuerbaren Energien eine breite Basis. ({12}) Die Regierung bleibt allerdings weiterhin ein schlüssiges Konzept zur Energieversorgung schuldig und legt einen Entwurf zum EEG vor, der nur als Diskussionsgrundlage dienen kann. In der jetzigen Form kann ihm die Union auf keinen Fall zustimmen. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Michaele Hustedt, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Emissionshandelsgesetz wird ein Instrument für die Effizienzsteigerung beim Einsatz neuer Kraftwerke auf den Weg gebracht und mit dem EEG steht uns ein Instrument zur Förderung der erneuerbaren Energien zur Verfügung. Damit stehen zwei zentrale Säulen eines Klimaschutzprogramms für die nächsten Jahrzehnte. Ich weiß, wie hart das Umweltministerium daran gearbeitet hat. Deswegen möchte ich Jürgen Trittin, Rainer Baake und den Mitarbeitern ausdrücklich für das danken, was sie geleistet haben. ({0}) Mit dem Emissionshandelsgesetz und dem EEG stehen zwei zentrale Eckpunkte eines rot-grünen Energiekonzeptes. Der Umweltminister hat zusammen mit dem Vorlegen des Allokationsplanes seinen Teil für ein rot-grünes Energiekonzept beigetragen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation hat der von Menschen gemachte Treibhauseffekt 2002 schon 150 000 Tote gefordert. Daran wird deutlich: Klimaschutz ist kein grüner oder rot-grüner Luxus, sondern eine dringend notwendige Vorsorge. Dies ist kein weiches, sondern ein hartes Thema. Dieses Thema geht jeden an. ({1}) Wir reden aktuell über Innovationen. Wir müssen die anstehenden Möglichkeiten zur Innovation als Chance nutzen, um Deutschland mit Technikvielfalt zum Schaufenster für den Export zu machen. Wir brauchen effizientere fossile Kraftwerke. Wir müssen Sonnen- und Windenergie, Erdwärme, Biomasse, Meeresenergie, Brennstoffzellen und BHKWs stärker als bisher nutzen. Wir brauchen eine Vielfalt der Technologien in Deutschland. Die nun vorliegenden Instrumente werden den Einsatz dieser Technologien vorantreiben. ({2}) Das Fraunhofer-Institut hat die dezentralen Energieerzeugungsanlagen mit den intelligenten Netzen und den virtuellen Kraftwerken als die zentrale Leitinnovation bezeichnet. Diese können zu einem Motor für weltweite Innovation mit Deutschland als Zentrum werden. Ich würde mich freuen, wenn auch die Opposition diesen Weg mitgehen würde. Das EEG ist deswegen auch ein Innovationsinstrument. Wir sind mit der Vorlage aus dem BMU außerordentlich zufrieden. Aber ich möchte einige Punkte nennen, bei denen wir noch genauer hinschauen müssen. Erster Punkt. Wir wollen den weiteren Ausbau der Windkraft auch im Binnenland. Dabei müssen wir prüfen, ob dies mit dem vorliegenden Gesetz gewährleistet wird. Zweiter Punkt. Wir wollen, dass auch die Kleine Wasserkraft in Deutschland ausgebaut werden kann. Auch hier müssen wir sehen, ob dies mit dem Gesetz möglich ist. ({3}) Dritter Punkt. Wir wollen bei der Biomasse - das kann ich Ihnen schon jetzt zusagen - deutlich nachbessern. ({4}) Wenn wir das machen, dann hoffe ich, dass wir auch die CDU/CSU mit ins Boot holen können, sodass wir das EEG gemeinsam auf den Weg bringen. Abschließend möchte ich sagen: Viele von Ihnen waren neulich auf dem Parlamentarischen Abend von BP, Aral, Shell, VW und Daimler-Chrysler. Diese Firmen, die nun wahrlich keine Anhänger der Grünen sind, haben mit großem Engagement erklärt: Deutschland muss beim Klimaschutz Vorreiter sein, Deutschland muss schrittweise vom Öl wegkommen und auf Biokraftstoffe umsteigen. - Ich fand das unheimlich ermutigend und habe das als eine Herausforderung an die Politik gesehen, gemeinsam mit diesen Firmen diesen Weg zu gehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass die Stromkonzerne eine ähnliche Bereitschaft zeigen, in die Zukunft zu schauen und die Herausforderungen des Klimaschutzes anzunehmen, wie diese Firmen. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte geht es beim TEHG um eine der wichtigsten wirtschafts- und umweltpolitischen Neuerungen dieser Wahlperiode. ({0}) Es gibt kaum ein anderes Umweltgesetz, das so weit reichende Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland haben wird. Immerhin besteht die Gefahr, dass unter dem Deckmantel des marktwirtschaftlichen Instruments hier planwirtschaftliche Ansätze eingebracht werden. ({1}) Diese Problematik wollen Sie hier in ganzen 75 Minuten, die zur Hälfte auch noch für die EEG-Lesung bestimmt sind, über das Parkett bringen. Diese unbegründete Eile, die sich durch das gesamte Gesetzgebungsverfahren zum Emissionshandel zieht, geht Hand in Hand mit der mangelhaften Informationspolitik Ihres Hauses, Herr Trittin. ({2}) Das Ergebnis haben wir heute auf dem Tisch und das ist in der Folge nur konsequent. Der Gesetzentwurf, den Sie uns vorgelegt haben, ist sowohl inhaltlich als auch formal absolut unzureichend. Man muss sich beim Lesen des TEHG schon auf die Suche nach den Inhalten machen. Zunächst stellt sich doch die Frage, wo der Anwendungsbereich liegt, der über bereits bestehende Gesetze wie das Bundes-Immissionsschutzgesetz hinausgeht. ({3}) Sicher, das Gesetz schreibt vor, dass die Freisetzung von Treibhausgasen jetzt einer Genehmigung bedarf. Aber ist das tatsächlich etwas Neues? Die Freisetzung von Treibhausgasen, so erklärt uns das TEHG, ist eine Tätigkeit, die schon dem Bundes-Immissionsschutzgesetz unterliegt - Betrieb von genehmigungsbedürftigen Anlagen. Wo also ist der eigenständige Regelungsgehalt der §§ 4 und 5 und in welchem Verhältnis steht die Emissionsgenehmigung des TEHG zu der bestehenden Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz? Auch dazu, nach welchen Regeln die Emissionszertifikate verteilt werden sollen, schweigt sich das TEHG aus. Es trifft keine Aussage zur Kostenpflichtigkeit der Zuteilung. Es trifft keine abschließende Aussage zu Banking und Borrowing. Auch die für die neuen Bundesländer vordringliche Frage, ob und wie Vorleistungen anerkannt werden - Stichwort: Early Actions -, ist nicht geklärt. ({4}) Auch ob und wie die notwendigen Rückstellungen für den Atomausstieg und für wirtschaftlichen Aufschwung getätigt werden, bleibt im Bereich der Spekulation. ({5}) Die Gesamtheit der essenziellen Fragen wurde im TEHG ausgespart und dem Nationalen Allokationsplan vorbehalten. Dass der parlamentarische Gesetzgeber an der Aufstellung der Regeln der Allokation beteiligt werden muss, haben Sie inzwischen Gott sei Dank erkannt, Herr Trittin. An der Rechtmäßigkeit des von Ihnen vorgeschlagenen Weges bleibt jedoch nach wie vor ein erheblicher Zweifel. ({6}) Nach Ihrem Willen soll der Nationale Allokationsplan zunächst vom Bundesumweltministerium als Plan beschlossen, der EU-Kommission vorgelegt und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. ({7}) Erst danach soll dann dieser Plan als Grundlage für ein Gesetz über den Nationalen Allokationsplan dienen. Bleibt denn dann noch Platz für eine wirkliche inhaltliche Beratung der Allokationsregeln im Parlament oder soll das Parlament Ihren Plan nur noch abnicken und durchwinken? Ich denke, bei dieser Konstellation besteht die Gefahr, dass die Entscheidung der Parlamentarier durch das vorgelegte Planungsverfahren in großem Umfang präjudiziert wird. ({8}) Das Einzige, was in Ihrem Entwurf zum TEHG wirklich erkennbar ist, ist ein erheblicher Zuwachs an Bürokratie. ({9}) Auf die teilnehmenden Unternehmen kommt ein bunter Strauß an zusätzlichem administrativen Aufwand hinzu: Genehmigungen, Anträge, Sachverständigengutachten, Nachweise, Bilanzierungen und Prüfberichte, um nur einiges zu nennen. Die Kosten hierfür wie auch für den Aufbau neuer behördlicher Strukturen wollen Sie vollständig auf die Unternehmer abwälzen. ({10}) - Das ist ein sehr schöner Zwischenruf, Herr Kelber. Noch im vergangenen Jahr hat sich die Bundesregierung mit der Aussage geschmückt, Kompetenz in Sachen Bürokratieabbau zu verkörpern. Bundesminister Clement hat damals seinen Masterplan Bürokratieabbau vorgestellt. Nach meinem Verständnis sollte dieser für alle Ressorts Gültigkeit haben. Nach einigen Monaten wird nun deutlich, dass das Vorhaben zumindest in der Umweltpolitik im Planungsstadium stecken bleibt. Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf passt in keinem Fall zu einem Konzept der schlanken Strukturen. ({11}) Unter formalen Gesichtspunkten stellt sich Ihr TEHG ähnlich schwach dar wie unter inhaltlichen. So finden sich beispielsweise Zirkelschlüsse. Die Freisetzung von Treibhausgasen wird - wenn man die §§ 2 bis 4 im Zusammenhang liest - schlussendlich mit der Freisetzung von Treibhausgasen definiert. Auch Doppelregelungen finden sich wieder. So bleibt unklar, nach welcher Norm der Anlagenbetreiber die Anzahl Zertifikate zurückzugeben hat, die seinen Emissionen entspricht: nach § 6 TEHG oder nach § 2 der 34. Bundes-Immissionsschutzverordnung? Die Rückgabe ist an beiden Stellen geregelt. Dass sich Ihr Ministerium selber auch noch nicht richtig schlüssig ist, wie es diesen Gesetzentwurf erklären soll, wird in der Gesetzesbegründung deutlich. Oder gibt es eine andere Erklärung für den folgenden verbalen Unsinn? Ich zitiere aus der Begründung zu § 4: Im Hinblick auf eine Verzahnung von Emissionshandelsrecht und Immissionsschutzrecht werden die diese Genehmigungspflicht umsetzenden Regelungen für die derzeit in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallenden Tätigkeiten Anlagen, ausschließlich der Betrieb von nach dem Bundesimmissionsschutzrecht genehmigungsbedürftige Anlage, ausschließlich im Rahmen des Bundesimmissionsschutzrechts getroffen. Der Nachbesserungsbedarf ist überdeutlich. Legen Sie uns einen Gesetzentwurf vor, Herr Trittin, der zum einen tatsächlich etwas regelt und der zum anderen belastbar ist! Dann können wir in die Beratungen eintreten. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Dr. Hermann Scheer, SPDFraktion, das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor vielleicht ein weiterer Redner der Union an dem guten Willen seiner Fraktion zweifeln lässt, möchte ich auf einige Punkte in dieser Debatte aus meiner Sicht eingehen. Wir sollten bei dem Erneuerbare-Energien-Gesetz keine Angst vor der eigenen Courage haben. In den vergangenen beiden Jahren waren Steigerungsraten von über 1 Prozent im Jahr zu verzeichnen. Derzeit sind bereits 8,5 Prozent erreicht worden; bis 2010 werden es voraussichtlich 14 bis 15 Prozent sein, sofern kein Kurswechsel in der Politik erfolgt. Einen solchen Kurswechsel beabsichtigen wir jedoch nicht, im Gegenteil. ({0}) Das bedeutet: Zwischen 2000 und 2010 würde die Steigerungsrate insgesamt mehr als 10 Prozent betragen. Wer meint, Herr Kollege Paziorek, dass die im Gesetzentwurf für den Zeitraum 2010 und 2020 vorgesehenen 7,5 Prozent ein überdimensioniertes Ziel auf dem Etappenweg hin zur großen, historisch notwendigen Energiewende seien, dem ist entgegenzuhalten, dass es - wenn wir die Relation im Blick behalten - realistischer ist, dass bei Fortführung unseres Kurses, den wir hoffentlich gemeinsam verfolgen werden, bis zum Jahr 2020 25 bis 30 Prozent erreicht sein könnten. Das wäre für alle Beteiligten positiv. ({1}) Das EEG geht wie sein Vorgänger, das Stromeinspeisungsgesetz, auf eine Initiative des Parlaments zurück. Wir haben es jetzt erstmals mit einem Regierungsentwurf zu tun. Es kann sicherlich nicht überraschen, wenn vonseiten des Parlaments Verbesserungsvorschläge kommen. Es wird auch nicht überraschen, wenn einige es möglicherweise verwässern wollen; aber die heutige Debatte hat nicht den Anschein erweckt. Auch ich befürworte selbstverständlich einige Verbesserungsvorschläge, die unter anderem den Bereich Kleinwasserkraft betreffen. Es ist nicht einsehbar, warum - das wäre die Folge der Verabschiedung des jetzigen Gesetzentwurfs - die Kleinwasserkraft praktisch zum Stillstand kommen soll. ({2}) Es ist auch nicht einsehbar - das mag der Union, gemessen an den heutigen Reden, vielleicht etwas weniger gefallen -, warum der Ausbau der Windenergienutzung im Binnenland gebremst werden soll. Die Fixierung auf Offshore in der öffentlichen Debatte ist problematisch. Offshore-Windenergieanlagen können teurer werden als Windenergie im Binnenland. Niemand kann das gegenwärtig argumentativ widerlegen. Wir haben erhebliche Möglichkeiten, die Windenergie im Binnenland weiter auszubauen. Das ist auch notwendig und wahrscheinlich kosteneffektiver. Wir dürfen hinsichtlich der Kosteneffektivität nicht nur die Kosten der Anlagen betrachten. Dazu gehören noch sehr viele andere Faktoren. Wenn man auch noch an das Repowering denkt, dann weiß man: Windenergie im Binnenland hat in der Perspektive ein enormes Potenzial; wir sollten das nicht kleinreden. Wir sollten in dieser Beziehung auch nicht mit dem Naturschutz argumentieren. ({3}) Nach dem neuen Naturschutzgesetz sind erneuerbare Energien aktiver Bestandteil des Naturschutzes, und zwar zu Recht. Fast alle Emissionen sind Folgen der Umwandlung fossiler Ressourcen. Die Emissionen aus solchen Umwandlungsprozessen beeinträchtigen weltweit schwerwiegend die Natur. Die Vermeidung solcher Emissionen ist deshalb aktiver Naturschutz. Das sollten wir bei all diesen Debatten nicht vergessen. ({4}) Das EEG beinhaltet eine Vergütungsregelung, die angemessene Relationen schaffen soll, um Investitionen zu ermöglichen. Die Angelegenheiten des Naturschutzes werden in diesbezüglichen Gesetzgebungsprozessen behandelt oder in vorhandenen anderen Gesetzen geregelt. Ich komme zur Biomasse. Natürlich sehe auch ich hierbei - das ist auch in den Verlautbarungen aus den Regierungsfraktionen deutlich geworden - einen Verbesserungsbedarf: Es ist nicht einsehbar, warum es einen kürzeren Vergütungszeitraum als bei der Windenergie oder bei der Photovoltaik geben soll. Gerade die Bioenergie wird eine wesentliche, eine verstärkte Rolle spielen müssen, weil sie die große Möglichkeit bietet, im Bereich der erneuerbaren Energien einen zunehmenden Anteil an Regelenergie bereitzustellen. Im Mix aus erneuerbaren Energien wird die Biomasse eine Schlüsselrolle spielen. Darüber hinaus wird so das Ziel erreicht, der Landwirtschaft eine neue, dauerhafte, wirtschaftliche Perspektive neben der Nahrungsmittelproduktion zu geben. Auch das liegt in unser aller Interesse. ({5}) Damit komme ich zum Thema Transparenz. Wir brauchen bei den tatsächlichen Mehrkosten für erneuerbare Energien - sie werden von der Gesellschaft akzeptiert - Transparenz. Deswegen entspricht es meiner Wunschvorstellung, dass in jeder Stromrechnung die tatsächlich ermittelten, nicht die denunziatorisch behaupteten Mehrkosten der erneuerbaren Energien offenkundig werden und für jeden einsichtig sind. Auf diesem Wege würde sich eine sehr viel maßstabsgerechtere Debatte über die Mehrkosten, die deutlich niedriger sind als oft behauptet wird, ergeben. Ich glaube, diese Kosten werden von der Allgemeinheit akzeptiert, weil sie sehr viel weiter denkt als viele Interessenvertreter der Energiewirtschaft, die nur ihre eigenen Strukturen und deren Erhaltung im Auge haben. ({6}) Ich komme zu meinem letzten Punkt. Ich halte es für eine parlamentarische Selbstverständlichkeit - es geht um das Prinzip -, dass das, was wir im Gesetzgebungsprozess behandeln sollen - das gilt auch für das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz -, dem Parlament vorliegen muss, bevor der EU-Kommissar seine Prüfungen dazu vornimmt. Denn de facto ist damit - das habe ich schon bei vielen anderen Gesetzen erlebt - eine Vorentscheidung gefallen. Es wird sehr schwer sein, im Nachhinein Änderungen vorzunehmen. Es besteht die Gefahr, dass dann, wenn wir später Korrekturen anbringen, nochmalige Prüfungen notwendig sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Scheer, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das Parlament hat aber immer das Recht, Korrekturen vorzunehmen. Wir sollten aus prinzipiellen Gründen den Parlamentsvorbehalt, wie immer man zu den einzelnen Regelungen steht, von niemandem infrage stellen lassen. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist wirklich schizophren. Einerseits reden Sie von der Regierung und von Rot-Grün gebetsmühlenartig von Innovationsoffensiven und davon, dass der Aufschwung vor der Tür stehe, starten Sie Wachstumsoffensiven und veranstalten Innovationsgipfel. Andererseits unternehmen Sie wirklich alles, um die Rahmenbedingungen für Innovation und Wachstum zu verschlechtern, statt sie zu verbessern. Was erreichen Sie mit Ihrer Politik? - Sie zerstören Wachstum! Erstes Beispiel: Telekommunikation. Gestern Morgen ging es in diesem Hause um eine potenzielle Wachstumsbranche, die Telekommunikation. Statt mehr Wettbewerb, Wachstum und Innovation in der Telekommunikation zu schaffen, legen Sie den Entwurf eines Gesetzes vor, das Verbraucher und Unternehmer mit administrativen Mehrkosten und Abgaben belastet, das keine Rechts- und Planungssicherheit für Investitionen und Arbeitsplätze schafft und das neue Marktanbieter benachteiligt. Was ist das Ergebnis? Sie zerstören Wachstum! Zweites Beispiel: die Härtefallregelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Mit dieser Regelung versuchen Sie, Härten abzumildern. Aber was bedeutet dies in der Praxis zum Beispiel für ein mittelständisches Unternehmen, das in Deutschland im Bereich der Elektrolyse tätig ist? Zukünftig wird es gegenüber seinen europäischen Wettbewerbern extrem benachteiligt sein. Während der unmittelbare Konkurrent in den Niederlanden in Summe maximal 65 000 Euro an Energiesteuern zahlt, beläuft sich die durchschnittliche Belastung in Deutschland, die sich aus dem EEG ergibt, auf rund 500 000 Euro. Das heißt, die Belastung in Deutschland ist um das Achtfache höher, und das bereits unter Berücksichtigung der neuen Härtefallklausel. Das ist kein Sonderfall. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verhält es sich ähnlich. Dieses Unternehmen ist in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig. Was ist das Ergebnis? - Sie zerstören Wachstum! Drittes Beispiel: Emissionshandel und Kioto-Protokoll. In der Theorie ist der Emissionshandel ein gutes und marktkonformes Instrument. Aber angesichts der Art und Weise, wie Sie ihn umsetzen, und der gegenwärtigen Gefechtslage stellt er eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland dar. Ich möchte sogar noch weitergehen: Wenn das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz in der jetzigen Form umgesetzt wird und wenn das Kioto-Protokoll nicht ratifiziert wird, dann ist das ein Morgenthau-Plan für die deutsche Wirtschaft. ({0}) Warum? Wir alle wissen, dass das Kioto-Protokoll nur in Kraft tritt, wenn mindestens 55 Länder mit 55 Prozent des CO2-Ausstoßes zustimmen. Wenn Russland - danach sieht es aus - nicht beitritt, ist das KiotoProtokoll in der beabsichtigten Form gescheitert. ({1}) Unabhängig davon, ob es nun scheitert oder nicht, wird die entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt und in Kraft sein. Das wiederum bedeutet für die Industrie in Deutschland - diese scheint Sie überhaupt nicht zu interessieren - eine Katastrophe; denn Deutschland trägt im Rahmen des europäischen Burden Sharings fast 75 Prozent aller zu erzielenden Einsparungen bei den CO2-Emissionen. Die Folge ist also eine einseitige Belastung der deutschen Wirtschaft. Das Ganze wird noch dadurch verschlimmert, dass Sie die Chancen, die die flexiblen Instrumente Joint Implementation und Green Development Mechanism bieten würden, nicht eröffnen. Sie betreiben damit eine gezielte Deindustrialisierung Deutschlands. Mit Ihrer Politik verhindern Sie Investitionen in Deutschland, vernichten Arbeitsplätze bzw. sorgen dafür, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden. Was ist das Ergebnis? - Sie zerstören Wachstum! Das lässt sich fortführen. Viertes Beispiel: Chemikalienpolitik. Nach dem, was ich höre, und so, wie ich die Staatsgläubigkeit und Regelungswut von Rot-Grün einschätze, steht uns da das nächste Horrorszenario für die Wirtschaft bevor. Die Umsetzung der EU-Richtlinie lässt nichts Gutes ahnen. Es ist geradezu bezeichnend und entlarvend, dass vorhin bei der Rede von Herrn Trittin der erste Beifall von Rot-Grün zu hören war, als er angekündigt hat, dass in Deutschland eine neue Behörde eingerichtet wird. Das ist das Verständnis, das Sie an den Tag legen! Was ist zu tun? Beim EEG brauchen wir einerseits Planungs- und Investitionssicherheit für Anlagenbetreiber, für Netzbetreiber und für Stromverbraucher. Andererseits dürfen die Vergütungszahlungen aber auch nicht ins Unermessliche steigen. Die Belastungen dürfen nicht dazu führen, dass wir keine europaweit wettbewerbsfähigen Strompreise haben und Verbraucher und Wirtschaft die Zeche zahlen. Das EEG muss in eine Energiepolitik aus einem Guss eingebettet sein. ({2}) Das Ergebnis der jetzt angekündigten Nachbesserungen darf nicht das größte gemeinsame Vielfache sein, bei dem jeder in seinem Sektor, der ihn interessiert, das bekommt, was er will. Wenn da der Kollege Scheer, dessen Verhärmung ich ja verstehe, weil er im Wahlkreis erst siebenmal gegen meinen Vorgänger verloren hat, jetzt auch noch gegen mich verloren hat und weiterhin verlieren wird - das kann ich ihm schon heute prophezeien -, von Interessenvertretern spricht, dann frage ich einmal, welche Interessen er denn eigentlich vertritt. Er ist ja wohl mehr als ein einseitiger Interessenvertreter. Sich dann hier moralisch überhöhend hinzustellen, dazu gehört schon einiges. ({3}) Wir sind der Meinung, dass das jährliche Vergütungsvolumen beim EEG auf eine Größenordnung von 4 bis 4,5 Milliarden Euro zu begrenzen ist. Bei Erreichen des Verdoppelungsziels oder bei Überschreiten des vorgegebenen maximalen Vergütungsvolumens soll die Förderung für neue Anlagen abbrechen. Wie bereits von den Vorrednern angesprochen, schlagen wir darüber hinaus ein differenziertes Vorgehen in den einzelnen Sektoren vor. Im Onshorebereich gilt es, vor allem Wirtschaftlichkeit und Landschaftsschutz zu berücksichtigen. Im Offshorebereich, einem völlig neuen Geschäftsfeld, wollen wir eine Ausschreibung. Es handelt sich um ein industrielles Großprojekt, bei dem die installierte Leistung auszuschreiben ist. Wir wollen, dass der Klimaschutz marktkonform und effizient erfolgt. Maßstab muss dabei die Kostenwirksamkeit sein. Das heißt, bereits jetzt müssen die flexiblen Instrumente - Joint Implementation und Clean Development Mechanism - einbezogen werden. Darüber hinaus ist die Bürokratie auf ein Minimum zu reduzieren. Ebenso ist die Verzahnung mit anderen Instrumenten im Umweltrecht wie der Ökosteuer zu verbessern bzw. überhaupt erst vorzunehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierung und von Rot-Grün, von der zukünftigen Opposition, ({4}) nutzen Sie die Anhörungen und Beratungen in den Ausschüssen bis zur Beschlussfassung! Zerstören Sie nicht Wachstum, sondern nehmen Sie in den anstehenden Beratungen im Interesse der Bürger und der Wirtschaft in diesem Land unsere Anregungen und Vorschläge auf! Nur so schaffen wir Wachstum. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hermann Scheer das Wort.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte nur auf eine Bemerkung des Kollegen Pfeiffer Bezug nehmen. Herr Kollege Pfeiffer, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ein Interessenvertreter jemand ist, der ein wirtschaftliches Einzelinteresse vertritt und dafür auch entsprechend honoriert wird? Da Sie mich als Interessenvertreter bezeichnet haben, weise ich Sie auf Folgendes hin - Sie wissen das zwar ohnehin, behaupten aber immer Gegenteiliges, um einen anderen Eindruck zu erwecken -: Ich habe nicht ein einziges Aufsichtsratsmandat. Ich nehme von niemandem Geld für mein Engagement für erneuerbare Energien. Das Engagement für erneuerbare Energien ist im allgemeinsten Interesse, weil es im allgemeinsten Interesse ist, dauerhafte und emissionsfreie Energien zur Verfügung zu haben. Ich bin Vorsitzender von zwei Organisationen. Sie sind gemeinnützig und keine wirtschaftlichen Interessenvereinigungen. Ich mache das ehrenamtlich. Schon einmal hat ein Kollege, Herr Hirche von der FDP-Fraktion, eine ähnliche Suggestivbehauptung hier aufgestellt, hat das hier im Parlament aber unmittelbar darauf zurückgenommen. Wenn Sie Ehre im Leib haben, machen Sie das jetzt auch. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Pfeiffer, Sie haben das Wort.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Scheer, ich habe überhaupt nichts zurückzunehmen. ({0}) Ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, dass Sie bezahlt werden; das haben Sie hier in die Diskussion eingeführt. Offensichtlich - getroffene Hunde bellen - müssen Sie sich rechtfertigen. Ich habe nicht behauptet, dass Sie finanziell abhängig sind. ({1}) Sie sorgen ja in der Tat auch dafür, dass in der Lokalpresse, wo dies immer wieder angesprochen wird ({2}) - ich habe es nicht angesprochen -, entsprechende Gegendarstellungen abgedruckt werden. Ich habe mich an solchen Diskussionen weder dort noch hier beteiligt. Das wissen Sie. Aber Sie werden doch nicht bestreiten wollen, dass Sie als Präsident von Eurosolar und als Vorsitzender diverser Beiräte von Organisationen, die intensiv und auf das Engste mit erneuerbaren Energien verknüpft sind und sich zum Teil ausschließlich auf diesem Gebiet betätigen, ein Interessenvertreter erneuerbarer Energien sind. Es wäre absurd, wenn Sie das bestreiten wollten. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzes- entwürfe auf den Drucksachen 15/2327 und 15/2328 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen - Drucksache 15/1783 ({0}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen - Drucksache 15/2318 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2}) - Drucksache 15/2357 - Berichterstattung: Abgeordneter Hubert Hüppe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung nach § 160 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch ({4}) über die Beschäftigungssituation schwerbehin- derter Menschen - Drucksachen 15/1295, 15/1546 Nr. 1.3, 15/2357 - Berichterstattung: Abgeordneter Hubert Hüppe c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate Gradistanac, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Undine Kurth ({6}), Dr. Reinhard Loske, Volker Beck ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Reisen ohne Handicap - Für ein barrierefreies Reisen und Naturerleben in unserem Land - Drucksachen 15/1306, 15/2292 Berichterstattung: Abgeordnete Renate Gradistanac Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Franz Thönnes.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Genau vor 16 Tagen ist das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen zu Ende gegangen. Es ist gut, dass wir uns knapp drei Wochen nach dem Ende dieses Jahres auf der Basis des Gesetzentwurfes der Bundesregierung bereits wieder mit dem wichtigen Thema der Förderung, der Ausbildung und der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderungen befassen. Ich glaube, es ist sicherlich zu früh, heute eine Bilanz über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen zu ziehen. Eines ist aber in diesem Jahr klar geworden: Das Thema „Integration behinderter Menschen“ ist stärker in das Licht der Öffentlichkeit gerückt worden. ({0}) Das haben wir auch den vielen Initiativen von Wohlfahrts- und Behindertenverbänden, Gewerkschaften und Arbeitgebern zu verdanken, die sich hier wirklich über alle Maßen engagiert haben. Viele von uns haben auch an Aktivitäten teilgenommen. Ich selbst habe Tagungen bei der Metro Group und der VW AG besucht, wo ich beispielhafte Projekte der guten Zusammenarbeit von Wirtschaft und Arbeit von Gewerkschaften, Belegschaftsvertretungen und Schwerbehindertenvertretungen sehen konnte. Ich denke auch an die Besuche in Rehabilitationseinrichtungen und Werkstätten, wo durch das Engagement aller Beteiligten Menschen mit Schwerbehinderungen ein guter Weg in Arbeit und Beschäftigung geebnet wird. Mit dieser Arbeit für Menschen mit Behinderung werden unschätzbare Beiträge zur Integration geleistet und hervorragende Beispiele für den lebendigen Sozialstaat gegeben. Allen, die bei diesen vielfältigen Aktivitäten mitgewirkt haben, gebührt, wie ich denke, von dieser Stelle aus ein großes Dankeschön. ({1}) Teilhabe, Chancengleichheit, das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben - das sind Ziele, die sich diese Bundesregierung für ihre Behindertenpolitik gesetzt hat. Dazu gehört auch, dass behinderten Menschen verbesserte Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegeben werden müssen. Sie fordern zu Recht: Wir wollen, dass nicht mehr über uns, sondern mit uns entschieden wird. Sie wollen ihr Leben in freier Selbstbestimmung gestalten und gleichberechtigt wie andere an der Gesellschaft teilhaben. Das können sie aber nur, wenn sie eine Arbeit finden, mit der sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft bestreiten können. Denn wer arbeitet, ist unabhängig von staatlicher Hilfe; wer arbeitet, nutzt und entwickelt seine Fähigkeiten, findet Anerkennung und damit auch seinen Platz in der Gesellschaft. Die uneingeschränkte Teilhabe behinderter Menschen an Arbeit und Ausbildung muss daher oberstes Ziel der Behindertenpolitik sein. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam mit den Behinderten und mit den Unternehmen erreichen. ({2}) Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter haben wir in der letzten Legislaturperiode einen sehr guten Grundstein für die Verwirklichung dieses Ziels gelegt. Es ist dank gemeinsamer Anstrengungen von Wirtschaft, von Gewerkschaften, von Verbänden, von Schwerbehindertenvertretungen und den Belegschaftsvertretungen in den Betrieben gelungen, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen binnen dreier Jahre um 24 Prozent zu senken. ({3}) Wir müssen allerdings ehrlich sagen: Die konjunkturelle Entwicklung und die Lage auf dem Arbeitsmarkt haben dieses gute Ergebnis zwischenzeitlich wieder erheblich geschmälert. Umso mehr war es für uns Ansporn, diese Entwicklung mit einer neuen Gesetzesinitiative wieder umzukehren. Es ist noch immer so, dass ein Drittel der beschäftigungspflichtigen Unternehmen in Deutschland keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt. Das kann so nicht weitergehen. ({4}) Mit dem neuen Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen wollen wir Arbeitgeber motivieren, mehr Menschen mit Behinderungen einzustellen. Ich war über die weitgehend in guter Übereinstimmung stattfindenden Beratungen im Ausschuss sehr erfreut. Ich hoffe auch, dass die CDU/ CSU-Fraktion ihre Position noch einmal überdenkt, sich dem breiten Votum von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP anschließt und zu einer gemeinsamen guten Beschlussfassung beiträgt, statt Nein zu sagen, wie es im Ausschuss geschehen ist. Manche Punkte sind aufgenommen worden; andere, auf denen Sie noch beharren, sind nicht einmal von der Ländermehrheit im Bundesrat unterstützt worden. Es wäre wirklich ein gutes Signal, wenn Sie sich heute im Interesse der gemeinsamen Sache und auch der Behinderten dem breiten Votum anschließen würden. ({5}) Ein wichtiger Schwerpunkt des Gesetzes ist die Regelung, dass, wo in Unternehmen mit mindestens 100 Beschäftigten Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, 5 Prozent dieser Ausbildungsplätze für junge Menschen mit Behinderung angeboten werden sollen. Wir glauben, dass es ganz wichtig ist, gerade diesem Personenkreis zusätzliche Chancen zu geben. Ein Ausbildungsplatz ist entscheidend für die Entwicklung junger Menschen, behinderter wie nicht behinderter. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Deshalb muss die Ausbildungsbereitschaft in den Betrieben erhöht werden. Möglichst viele Jugendliche sollen, wenn sie sich in überbetrieblicher Ausbildung befinden, zum Beispiel in einem Berufsbildungswerk, in Zukunft Teile ihrer Ausbildung in den Betrieben absolvieren. Im Jahr 2000 gab es circa 1,1 Millionen Plätze, auf denen schwerbehinderte Jugendliche hätten ausgebildet werden können. Nur rund 5 300 wurden tatsächlich ausgebildet; das ist nur ein Bruchteil. Auch diese Situation darf sich so nicht weiterentwickeln. Wenn junge Menschen in Deutschland die Schule beenden, dann darf ihnen die Tür zum Einstieg in das Beschäftigungsleben, in das Wirtschaftsleben nicht vor der Nase zugeschlagen werden! ({6}) Weiterhin haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Beschäftigung behinderter Menschen in kleinen und mittleren Betrieben zu verbessern. Häufig finden wir gerade in diesen Betrieben bei den Arbeitgebern erhebliche Informationslücken. Oft ist das auch der Grund für fehlende Beschäftigungsbereitschaft. Vielen Betrieben sind die Förderinstrumente nicht hinreichend bekannt. Viele wissen nicht, welcher Träger für die Leistung zuständig ist. Hier sollen in Zukunft die Integrationsfachdienste als Hauptansprechpartner für die Arbeitgeber zur Verfügung stehen und stärker in einer Verzahnung mit Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern daran mitwirken, dass der Informationsfluss verbessert wird und die Menschen eher Beschäftigung finden können. Wir wissen, dass die Entwicklung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung auch von der allgemeinen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängt. Aber die Einstellung hängt auch von der Einstellung ab, und zwar von der Einstellung im Kopf. Auch da gibt es viel zu tun, um, wie wir es mit unserem Gleichstellungsgesetz vorgesehen haben, Barrierefreiheit zu erreichen, und zwar im Denken und im Handeln, im Zusammenarbeiten und Zusammenleben mit Behinderten. Auch hier muss sich in den Betrieben einiges ändern. Eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahre 1998 zeigt: Körperliche und seelische Belastungen in der Arbeitswelt führen in Deutschland zu direkten und indirekten Krankenkosten von mehr als 50 Milliarden Euro. Dabei könnte ein Großteil der Arbeitsunfähigkeit durch betrieblichen Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung vermieden werden. Deshalb ist die betriebliche Prävention ein weiterer Schwerpunkt unseres neuen Gesetzes. „Rehabilitation statt Entlassung“, das muss das Motto sein. Hierzu wollen wir ein umfassendes Eingliederungsmanagement in den Betrieben vorsehen. Denn viele Abgänge in die Arbeitslosigkeit erfolgen noch immer aus Krankheitsgründen. Auch werden die Integrationsämter vor einer Kündigung noch zu wenig eingeschaltet. Hier müssen rechtzeitig präventive Maßnahmen ergriffen werden. Die Integrationsvereinbarung kann hierbei eine wichtige Rolle spielen; auch sie muss gestärkt werden. Wir wollen die Situation auch durch zusätzliche Prämien für die Unternehmen verbessern. Sie sollen Mittel aus dem Ausgleichsfonds erhalten können. Darüber hinaus sollen Modellprojekte geschaffen werden. Wir wollen aber auch die Rechte der Schwerbehindertenvertretung verbessern. Diese Vertretung muss von den Arbeitgebern als ein ernst zu nehmendes Mitwirkungsinstrument in den Betrieben begriffen werden. Deswegen werden wir die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Stellvertreterinnen und Stellvertreter verbessern. Wir werden auch dafür sorgen, dass die Bußgelder an die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes angeglichen werden. Eine Erhöhung der möglichen Geldbuße von 2 500 auf 10 000 Euro wird mit dazu beitragen, dass die Arbeitgeber, die ihren Informations- und Anhörungspflichten gegenüber der Schwerbehindertenvertretung nicht im Sinne des Gesetzes nachkommen, ihr Verhalten überdenken werden und die Zusammenarbeit so suchen, wie sie in der Mehrzahl der Betriebe in Deutschland heute schon stattfindet. ({7}) Verantwortung und Pflichten gehören zusammen. Wir erleichtern Verantwortung durch ein Stück Entbürokratisierung in einigen Bereichen der Vorschriften, durch verbesserte Förderungen und auch dadurch, dass wir die Beschäftigungspflichtquote bei 5 Prozent gesetzlich festschreiben. Auch dies wird Teilhabe und Mitwirkung verbessern. Werte Kolleginnen und Kollegen, natürlich kommt es darauf an, die gesamten Bedingungen für Arbeit, Wohlstand und Fortschritt zu verbessern. Das ist der Prozess der Agenda 2010. Aber gerade die Integration von Menschen mit Behinderung in Arbeit sollte den lebendigen und den aktivierenden Sozialstaat erfahrbar machen. Lassen Sie uns daher heute mit einer breiten Mehrheit in diesem Haus den Startschuss für eine weitere Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderung in Deutschland geben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Daniel Bahr, FDP-Fraktion.

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns Liberale ist Behindertenpolitik keine Sparten-, sondern Bürgerrechtspolitik. Gerade die FDP will stets sowohl die größtmögliche Freiheit als auch ein höchstmögliches Maß an Eigenverantwortung für jeden einzelnen Menschen. Es geht um Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung. Es gibt keine behinderten Menschen. Es gibt nur Menschen, die behindert werden. ({0}) Herr Staatssekretär Thönnes, Sie haben eben gesagt, es sei noch zu früh, eine Bilanz über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung zu ziehen. Aber angesichts der Erwartungen, die in dieses Jahr gesetzt wurden, und angesichts der vollmundigen Ankündigungen ziehen die Verbände, die sich besonders engagiert haben, natürlich ein ernüchterndes und zum Teil auch enttäuschendes Fazit. Bundesministerin Ulla Schmidt betonte am 19. Februar 2003 in einer Pressemitteilung zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung - und ich zitiere die Pressemitteilung wörtlich -, „die Bundesregierung habe sich zur Aufgabe gemacht, die völlig gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben sowie in der Arbeitswelt zu erreichen.“ Daran wollen wir die Bundesregierung auch im Rahmen der Debatte über die vorliegenden Gesetzentwürfe messen. ({1}) In dieser Pressemitteilung wurde als ein Schwerpunkt genannt, „die Gesundheitsleistung für chronisch Kranke und für Behinderte zu verbessern“. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht näher ausführen, was die Regelungen des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes seit dem 1. Januar dieses Jahres gerade für die Behinderten und für die chronisch Kranken bedeuten. ({2}) Das gesetzte Ziel ist jedenfalls konterkariert worden. ({3}) Wir beraten heute über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Ich sage ganz deutlich: Dieses Thema eignet sich nicht für gegenseitige Unterstellungen. Dafür stehen viel zu viele Einzelschicksale auf dem Spiel. Ziel für uns alle muss es doch sein, dass die Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung in Beschäftigung und Ausbildung merklich besser werden. ({4}) Daniel Bahr ({5}) Wir stimmen dem Gesetzentwurf und den Änderungsanträgen zu, weil wir der Meinung sind, dass das Gesetz eine Verbesserung für die Betroffenen mit sich bringt. ({6}) Es ist zwar mehr nötig; aber auch kleine Verbesserungen sind Verbesserungen. Mit dem In-Kraft-Treten des SGB IX vom 1. Juli 2001 ist es gelungen, einen wegweisenden Richtungswechsel in der Behindertenpolitik zu vollziehen. Erstmals ist die Förderung der Eigenkompetenz und Selbstverantwortung der behinderten Menschen klares Ziel und Aufgabe des neuen Rechts. Es geht nicht mehr um Fürsorge, sondern um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir unterstützen dies nachdrücklich. ({7}) Wir hätten uns allerdings bei der Erstellung dieses Gesetzentwurfs weniger Fehler gewünscht. Dann wären auch nicht so viele Änderungsanträge vonnöten gewesen. Die Anhörung hat uns in der Auffassung bestätigt, dass der Gesetzentwurf noch einen erheblichen Nachbesserungsbedarf hatte. Deswegen waren, wie gesagt, viele Änderungsanträge nötig. Daher ist es gut, dass wir sie berücksichtigt haben. Ausdrücklich begrüßen wir die Festschreibung der Beschäftigungspflichtquote auf 5 Prozent bis Juni 2007. Das schafft Planungssicherheit in den Betrieben. Ich glaube, da sind wir uns alle in diesem Hause einig. Ich darf an dieser Stelle aus einer Stellungnahme des Sozialverbandes VdK zitieren: Durch eine ... Anhebung würde, wie alle bisherigen Erfahrungen beweisen, die Beschäftigungssituation behinderter Menschen nicht verbessert. ({8}) Stattdessen würden die ... positiven Rahmenbedingungen des SGB IX empfindlich gestört, da die Arbeitgeber dies als kollektive, ungerechte Strafe empfinden. Der VdK, die Koalitionsparteien und auch andere Verbände schließen sich damit der langjährigen Position der FDP an. ({9}) Wir begrüßen dies nachdrücklich und wollen auch in anderen Bereichen Initiativen starten. Die betriebliche Praxis zeigt nämlich, dass vor Ort durch eine enge Zusammenarbeit der Unternehmensleitung, der Schwerbehindertenvertretung, des Betriebsrates und der Sozialverbände größere Verbesserungen erzielt werden können als durch regulierende Gesetzentwürfe, durch Vorgaben von oben. ({10}) Beispielsweise konnte durch eine kontinuierliche Schulung von Führungskräften und Arbeitnehmervertretern innerhalb von vier Jahren bei der Real SB Warenhaus GmbH die Schwerbehindertenquote von 2,6 auf fast 4,4 Prozent erhöht werden. Dieses Beispiel steht nicht allein. Das sind ganz konkrete Verbesserungen für die Betroffenen, für die, die aktiv in den Betrieben sind und die vor Ort ein Interesse haben, sich zu engagieren. Meine Damen und Herren, haben Sie doch endlich den Mut, der deutschen Wirtschaft zu vertrauen, anstatt immer wieder durch Vorgaben und Regelungen zu gängeln! Verbesserungen müssen gelebt und nicht verordnet werden. Umfangreiche Sonderregelungen für schwerbehinderte Arbeitnehmer laufen manchmal - nicht immer den eigentlichen Zielen zuwider. Wir müssen den Mut haben, Einstellungsbarrieren und betriebliche Hemmnisse vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen, um die Beschäftigungschancen von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. Dazu gehört vor allem eine Diskussion über den besonderen Kündigungsschutz und den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer dort, wo sie eine Einstellungsbarriere und ein betriebliches Hemmnis darstellen, weil sie für die Betriebe höhere finanzielle und bürokratische Belastungen bedeuten. Solche Regelungen dienen möglicherweise den Menschen, die einen Arbeitsplatz haben. Für diejenigen, die einen Arbeitsplatz suchen, sind sie oft ein Einstellungshemmnis. Deswegen müssen wir darüber eine Diskussion führen. ({11}) Es kann einfach nicht im Sinne der Betroffenen sein, die deutsche Wirtschaft durch unrealistische Ansprüche zu überfordern. In Zeiten der Globalisierung müssen wir eine verantwortungsvolle Politik machen und die Stellung der Wirtschaft im weltweiten Wettbewerb berücksichtigen. Es ist eben ein unbestreitbarer Wettbewerbsnachteil, wenn die Lufthansa als Einzige der großen Luftfahrtgesellschaften nach eigenen Angaben eine jährliche Kompensationszahlung von circa 3 Millionen USDollar zahlen muss, während die anderen internationalen Luftfahrtgesellschaften das nicht tun müssen. Es ist nicht so, dass Unternehmen keine Menschen mit Behinderungen einstellen möchten. Aufgrund bestehender Verordnungen und Vorschriften dürfen aber manche Arbeitsplätze nicht mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden. Dennoch werden diese Arbeitsplätze zum Gesamtpersonal addiert. Wir finden es nicht richtig, dass diese Arbeitsplätze eingerechnet werden. Deswegen haben wir gegen den entsprechenden Änderungsantrag gestimmt und wollen hierüber eine weitere Diskussion führen. ({12}) Wie gesagt, der FDP kommt es auf praktische Hilfen im betrieblichen Alltag an, die die Beschäftigungs- und Ausbildungssituation von Menschen mit Behinderungen konkret verbessern. Nach unserer Meinung führt eine Mitbestimmung mit Wirksamkeitsvoraussetzung der Schwerbehindertenvertretung, so wie die CDU/CSU sie beantragt hat, nicht zu konkreten Verbesserungen. Bereits nach geltendem Recht kann ein stellvertretendes Mitglied zur Unterstützung der Vertrauensperson für einzelne Aufgaben hinzugezogen und dafür freigestellt Daniel Bahr ({13}) werden. Eine weitere Ausweitung führt nur zu finanziellen Zusatzbelastungen, mit denen Beschäftigung verhindert und nicht gefördert wird. Für uns ist und bleibt der Betriebsrat das zentrale Organ der Mitbestimmung. Wir wollen keinen Nebenbetriebsrat. Ein weiterer Schwerpunkt, der in der Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums seinerzeit angeführt wurde, heißt: „Barrierefreiheit beim Bauen, im Verkehr und bei den Informationsangeboten umsetzen.“ Wir unterstützen den Antrag „Reisen ohne Handicap - Für ein barrierefreies Reisen und Naturerleben in unserem Land“ ausdrücklich. ({14}) Aber es muss doch unser gemeinsames Ziel sein, uns zunächst Gedanken darüber zu machen, wie im alltäglichen Leben, beim Gang zur Arbeit und beim Einkaufen, Barrierefreiheit gewährleistet wird, bevor wir uns als Schwerpunkt um Naturerlebnisse Gedanken machen. ({15}) Natürlich muss es auch darum gehen, den Tourismus in Deutschland barrierefrei zu gestalten. Aber unser erstes Interesse muss sein, uns für Barrierefreiheit im Alltag zu engagieren. Wir können uns überall ein Bild davon machen, dass dies leider noch nicht erreicht ist. Im Sinne der Menschen mit Behinderungen dürfen wir nicht nachlassen, für die Verbesserung ihrer Lebenssituation zu kämpfen. Ich hoffe, dass wir in diesem Punkt gemeinsam nach praxistauglichen und vernünftigen Regelungen suchen können. Ich freue mich auf die weitere Debatte. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Markus Kurth, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der vorgelegten Änderung des Sozialgesetzbuches IX gehen wir drei wichtige Bereiche an: Zum Ersten lösen wir eine ganze Reihe von konkreten Problemen, die sich für Menschen mit Behinderungen ergeben haben. Zum Zweiten gehen wir mit harten Anreizen deutlich auf die Arbeitgeber und Unternehmen zu. Damit meine ich insbesondere die Ausgleichsabgabe bzw. die Beschäftigungspflichtquote. Zum Dritten erweitern wir die so genannten weichen Maßnahmen. Staatssekretär Thönnes hat bereits die Präventionspläne und die betrieblichen Eingliederungspläne angesprochen. Lassen Sie mich zunächst etwas Wichtiges zu dem vielleicht drängendsten konkreten Problem sagen, das Menschen mit Behinderungen, aber auch die Träger von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in der Vergangenheit besonders betroffen und beschäftigt hat. Es geht hier um das Eingangsverfahren, um den Berufsbildungsbereich in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Wir wissen, dass für viele nur diese Möglichkeit infrage kommt, um berufliche Erfahrung zu sammeln, um aber auch dort in angepasster Weise langsam integriert zu werden und nicht zuletzt auch einen Rentenanspruch zu erwerben. Das Eingangsverfahren dient der Feststellung, ob die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Es dient auch der Feststellung, in welcher Art und Weise der betriebliche Prozess der Integration in die Werkstatt vorgenommen werden kann. Bislang wurden diese Leistungen nur im Einzelfall für drei Monate erbracht, obwohl die Praxis gezeigt hat, dass drei Monate der Regelfall hätten sein müssen und dass vier oder sechs Wochen viel zu kurz sind. Wer diese Einrichtungen einmal in Ruhe und ohne großen Tross besucht und sich dort alles genau angeschaut hat, der hat festgestellt, dass sich die Menschen mit Behinderungen und hier insbesondere diejenigen mit starken Lernbehinderungen nach vier oder sechs Wochen überhaupt erst langsam an die Einrichtung gewöhnt, ihre Anleiter sowie Betreuerinnen und Betreuer kennen gelernt haben und dann auch erst auf dem Sprung waren, mit der eigentlichen beruflichen oder handwerklichen Tätigkeit in der Werkstatt zu beginnen. In der Vergangenheit war es häufig so, dass genau dann das Eingangsverfahren gestoppt wurde, die Bewilligung vom Arbeitsamt nicht kam und dann erst lange Briefwechsel oder sogar Gerichtsverfahren geführt werden mussten, bis das Verfahren fortgesetzt werden konnte. Ergebnis war, dass die Menschen mit Behinderungen die Werkstatt zunächst verlassen mussten, die gesamten Erfolge der ersten vier bis sechs Wochen weggewischt waren und man dann, wenn das Verfahren denn fortgesetzt wurde, wieder bei null anfangen musste. Das ist gesamtgesellschaftlich betrachtet nicht nur ökonomisch unsinnig, sondern das trägt auch nicht zur Planungssicherheit für die Träger der Werkstätten bei. Ich bin sehr froh, dass alle Fraktionen dieses Hauses einvernehmlich gesagt haben, dass es so nicht weitergehen kann. Wir haben auch im Berufsbildungsbereich im Allgemeinen festgestellt, dass der notwendige Zeitraum zwei Jahre und nicht nur ein Jahr beträgt. Ich denke, dass wir auch der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam klar machen müssen, dass sektorales Denken hier nur schädlich ist und daher dringend überwunden werden muss. Diesem Denken begegnen wir auch im Bereich der Rehaträger. Wir müssen hier endlich vernetzt und auch an die Nachhaltigkeit sowie die langfristigen Konsequenzen denken. ({0}) Wir nehmen die Bundesagentur für Arbeit auch nicht im Bereich der aktiven Arbeitsmarktförderung für Menschen mit Behinderung aus der Verantwortung. Mit diesem Gesetzentwurf verlegen wir aber insgesamt die Strukturveranwortung für die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt stärker auf Integrationsämter und Integrationsfachdienste, die durch die Rechtsverordnung mit höheren Mitteln aus der Ausgleichsabgabe bedacht werden. Es geht darum, jetzt einen einheitlichen und kompetenten Ansprechpartner für Arbeitgeber zu schaffen, damit die Beratung dazu, wie der Arbeitsplatz umgestaltet werden kann, welche Förderinstrumente, Prämien und Möglichkeiten zur Verfügung stehen, sowie die Beratung über geeignete Bewerberinnen und Bewerber aus einer Hand kommen. So viel zu den konkreten Problemen. Wir schaffen aber auch eine ganze Reihe von harten Anreizen. Der wichtigste ist sicherlich, dass die Beschäftigungspflichtquote erst einmal auf 5 Prozent der Beschäftigten festgeschrieben und nicht auf 6 Prozent erhöht wird, wie das ursprünglich vorgesehen war. Ich glaube, hiermit senden wir schon ein deutliches Signal an die Wirtschaft, das lautet: Wir kommen ihnen einen großen Schritt entgegen. Sie sparen dadurch 340 Millionen Euro pro Jahr. - Es sind 340 Millionen Euro, die dadurch nicht als Mehrbelastung auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zukommen. ({1}) Ergänzend leiten wir bei der Gestaltung der Beschäftigungspflichtquote und der Ausgleichsabgabe weitere Schritte ein. Wir bieten ein ganzes Set von Maßnahmen an. So werden zum Beispiel Beschäftigte, die aus der Behindertenwerkstatt in den ersten Arbeitsmarkt kommen, doppelt auf die Beschäftigungspflichtquote angerechnet, ebenso wie entsprechende Personen, die nach der Ausbildung in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Wenn eine Zeitarbeitsfirma eine schwerbehinderte Person beschäftigt, die im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung für einen Betrieb arbeitet, wird jetzt auch diese Person auf die Beschäftigungspflichtquote angerechnet. ({2}) Die Unterstellungen, die Herr Bahr hier geäußert hat, indem er gesagt hat, wir kämen der Wirtschaft nicht genug entgegen, hier würden Schwierigkeiten gemacht, sind also einfach nicht richtig. ({3}) Wir bieten eine ganze Reihe von Maßnahmen an. Das muss man gegenüber der Wirtschaft auch vertreten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, wenn Arbeitgeber versuchen, Arbeitsplätze aus der Beschäftigungspflichtquote herauszurechnen, indem sie sagen: Für diesen Arbeitsplatz sind Schwerbehinderte gar nicht geeignet. - Sollte sich dies durchsetzen, würde dies unserem Politikansatz, den wir hier bisher gemeinsam - vor allen Dingen die rot-grüne Koalition - verfolgt haben, diametral entgegenstehen. ({4}) Wir versuchen doch gerade, Arbeitgeber zu motivieren, sich zu überlegen, wie sie Arbeitsplätze gestalten können, um schwerbehinderte Menschen beschäftigen zu können. Daher kann es nicht sein, dass wir jetzt Arbeitgebern die Möglichkeit eröffnen, zu schauen, wie sie Arbeitsplätze so definieren können, dass sie zum Integrationsamt gehen und sagen können: Diesen Arbeitsplatz kann ich gar nicht mit einem Schwerbehinderten besetzen. Man kann sich dies am Beispiel der Lufthansa anschauen. Die Lufthansa beschäftigt sogar im Bereich des Flugpersonals Menschen mit Behinderungen. Man kann in der Statistik nachlesen, dass von den dort 71 000 Beschäftigten gerade einmal 4 000 zum fliegenden Personal, also zu den Piloten, zu dem Crewpersonal, gehören. Es gibt also eine Vielzahl von Möglichkeiten innerhalb des Konzerns der Lufthansa, wie Menschen mit Behinderungen beschäftigt werden können, zum Beispiel im Catering und in der Abfertigung. Außerdem wird von einem sehr verengten Begriff ausgegangen, wer eigentlich ein Mensch mit Behinderung ist. Jemand, der eine schwere Krebserkrankung überstanden hat, verfügt in aller Regel über einen Schwerbehindertenausweis. Niemand aber sagt doch, dass eine ehemals krebskranke Person nicht auch Flugbegleiter werden kann. Wir müssen hier also sehr genau differenzieren und versuchen, uns einer Argumentation entgegenzustellen, die nur dazu führen würde, Tür und Tor zu öffnen, um die Ausgleichsabgabe zu unterhöhlen und sie letzten Endes vollkommen zu demontieren. ({5}) Das führt mich zu einem weiteren Aspekt, der in der öffentlichen Debatte viel zu wenig Beachtung findet. Wir sollten Menschen mit Behinderungen - natürlich haben sie Handicaps - nicht als Behinderer der Gesellschaft, der Arbeitgeber oder unserer Sozialsysteme sehen. Das ist aus meiner Sicht ein außerordentlich kurzfristiger Wachstumsbegriff. Wir sollten auch die Chancen und das Potenzial an gesellschaftlichen und technologischen Innovationen für Menschen mit Behinderungen sehen. Man braucht sich nur einmal die Möglichkeiten anzuschauen, die mittlerweile allein im Bereich der Telekommunikation und der Medienkompetenz existieren, zum Beispiel die technischen Hilfen für Sehbehinderte und für Menschen mit Hörstörungen. Es gibt eine große Produktpalette, die sich immer weiter entwickelt. ({6}) Auf diesen Märkten sollten wir ebenfalls eine Innovationsoffensive starten. Es wird viel von Innovation geredet. Aber das Innovationspotenzial im Bereich der Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen liegt brach. Wir haben die Möglichkeit, zu gesellschaftlichen Innovationen zu kommen und dort endlich einen qualitativen Wachstumsbegriff anzulegen. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz Möglichkeiten schaffen, weiter in diese Richtung zu denken und den Begriff der Innovation in Zukunft gesellschaftlich wie technologisch auch im Bereich der Menschen mit Behinderungen zu entfalten. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hubert Hüppe.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen endete das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Ein Jahr lang haben Tausende von Menschen in zahlreichen Veranstaltungen auf kreative Weise auf ihre Situation aufmerksam gemacht. Unter dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ haben sie sich für Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung eingesetzt. Ihr Engagement und eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit haben sicher einiges an positiver Bewusstseinsänderung angestoßen. Dennoch, meine Damen und Herren, bleibt der traurige Beigeschmack, dass auf der politischen Habenseite nicht viel zu verbuchen ist. Herr Thönnes, eines muss ich jetzt, weil Sie ja voll des Lobes für die Bundesregierung, also für sich selbst, waren, schon festhalten: Wenn man die Situation in Deutschland betrachtet, muss man realistischerweise sagen, dass es vielen betroffenen Menschen mit Behinderungen heute schlechter geht als noch vor einem Jahr. Das ist nun mal so. ({0}) - Doch, das ist so, schon allein deshalb, weil mehr Behinderte arbeitslos sind. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen. ({1}) Dabei sind wir uns im Ziel doch tatsächlich einig. Wir wollen eine Gesellschaft, in der auch Menschen mit Beeinträchtigung gleichberechtigt am Alltagsleben teilnehmen können. Jede und jeder von uns will doch im Leben seine Frau bzw. seinen Mann stehen, den Lebensunterhalt selbst verdienen, statt von Fürsorge abzuhängen, will seine Begabungen, so gut es geht, auch im Beruf verwirklichen, Anerkennung für die eigene Leistung bekommen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Beruf und Beschäftigung sind wichtige Elemente, den Menschen mit Behinderungen Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung zu ermöglichen. Deshalb ist es so bedauerlich, dass die Bundesregierung positive und für uns entscheidende Punkte aus ihrem Referentenentwurf, den sie vorgelegt hatte, gestrichen hat. Dieser Entwurf war ja gut. Wir haben unsere Zustimmung zu ihm signalisiert. Hätten Sie die Punkte, die uns wichtig sind, nicht verändert, würden wir zustimmen. Sie waren aber nicht bereit, auf die Punkte, die uns, der Union, wichtig sind, einzugehen. Dies hätte ich mir gewünscht, weil die Aufbruchsstimmung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen dann auch in die Tat umgesetzt worden wäre. Meine Damen und Herren, der Titel Ihres Gesetzentwurfes lautet - Sie haben ihn ja eben gerade selbst genannt -: Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Wenn man sich diesen Titel anschaut, muss man feststellen, dass der Inhalt diesem hohen Anspruch nicht genügt. Im Gegenteil: Ich hätte es viel ehrlicher gefunden, wenn Sie den Gesetzentwurf „Änderungen zum SGB IX“ genannt hätten. Unsere Zusage gilt weiterhin: Die CDU/CSU ist zur fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit bereit, wenn es wirklich darum geht, die Integration behinderter Menschen wirksam zu fördern und vor allen Dingen nachhaltige Verbesserungen zu schaffen. ({2}) Diese Bereitschaft haben wir übrigens schon häufiger bewiesen. Ich erinnere nur an die Verabschiedung des SGB IX und des Bundesgleichstellungsgesetzes. Hier haben wir Ihnen unsere Zustimmung gegeben. Im vorliegenden Gesetzentwurf sind solche Verbesserungen für behinderte Menschen aus unserer Sicht jedoch nicht zu erkennen. Meine Damen und Herren, im Juni 2003 hat die Bundesregierung ihren Bericht zur Beschäftigungssituation Schwerbehinderter vorgelegt. Auch hier hatte sie viel Lob für sich übrig. ({3}) Angesichts des desolaten Zustands des Arbeitsmarktes und der noch ungünstigeren Situation für Behinderte war so viel Lob jedoch unangemessen. Dennoch ist ein solcher Bericht notwendig. Wir hätten uns gewünscht, dass der nächste Bericht nicht erst im Jahr 2007 erstellt werden soll, sondern dass dies, wie es auch jetzt der Fall war, regelmäßig alle zwei Jahre geschieht. In dem Bericht wird geschildert, wie sich die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen nach der Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ zwischen Oktober 1999 und 2002 verringert hat. Wenn man aber genau hinschaut, stellt man fest, dass diese Zahlen nicht dadurch zu erklären sind, dass die Menschen tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz gefunden haben. Vielmehr beruht der Rückgang hauptsächlich auf Frühverrentung. Der größte Rückgang überhaupt ist bei den über 55-jährigen Schwerbehinderten zu verzeichnen. Sie wollen uns hier ja wohl nicht erklären, dass ausgerechnet bei den über 55-jährigen Behinderten die erfolgreichste Eingliederung gelungen ist. ({4}) Die Zahlen vom Dezember 2003 sind deswegen so erschreckend, weil an ihnen deutlich wird, dass hier kein nachhaltiger Erfolg erzielt wurde. Im Dezember 2003 waren 168 951 Schwerbehinderte arbeitslos gemeldet. Das sind fast 13 000 Personen mehr als ein Jahr zuvor. Das ist eine Zunahme von 8,1 Prozent. Von einer Verbesserung der Situation kann also nicht die Rede sein. ({5}) Wir haben vor einem Jahr der Absenkung der Pflichtquote zugestimmt und würden ihr auch heute wieder zustimmen. Grund für uns war nicht, dass wir geglaubt haben, dass dadurch mehr Arbeitsplätze für behinderte Menschen geschaffen würden - so schön das auch wäre -, sondern dass den meisten Betrieben aufgrund der Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung das Wasser bis zum Hals steht. Das ist der eigentliche Grund. Das muss ich so deutlich sagen. ({6}) Herr Thönnes, wenn Sie wirklich der Auffassung sind, dass durch die Absenkung der Pflichtquote Arbeitsplätze geschaffen werden - das haben Sie behauptet -, dann frage ich mich, wie die SPD auf die Idee kommen konnte, dass eine Ausbildungsplatzabgabe zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen führen werde. ({7}) Das ist ein Widerspruch in sich, den ich nicht verstehe. Ich verkenne nicht die Probleme; das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen. Wir alle wissen, dass die Situation nicht einfach ist. Deswegen danke ich an dieser Stelle den vielen Unternehmen, besonders den kleinen und mittleren Unternehmen, den Gewerkschaften und den Verbänden, die einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Situation nicht noch schlimmer geworden ist. ({8}) Wer Missstände beheben will, der muss bereit sein, sie auch zu erkennen. Dazu sind Sie nicht bereit. Der vorliegende Gesetzentwurf wird Ihrer Intention, die Sie eben dargestellt haben, nicht gerecht. Ich teile die Ziele, die Sie genannt haben; das gilt auch für meine Fraktion. Von diesen Zielen ist aber in Ihrem Gesetzentwurf nichts zu lesen. Er enthält hauptsächlich Soll- und Kannvorschriften und Verfahrensänderungen, die sich aus der praktischen Umsetzung des SGB IX ergeben. Ich behaupte nicht, dass alle Regelungen falsch wären; wir haben uns ja auch nur auf drei Punkte konzentriert. Das haben wir im Ausschuss auch dargestellt. Durch dieses Gesetz wird unter anderem die Möglichkeit des Missbrauchs des Kündigungsschutzes eingeschränkt. Das ist ein gutes Beispiel. Jeder, der schon einmal mit Behindertenvertretern gesprochen hat, weiß, dass es in der Tat Menschen gibt, die bei einer drohenden Kündigung noch schnell einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung stellen, obwohl sie wissen, dass nicht der geringste Grad von Schwerbehinderung anerkannt wird. Dadurch genießen sie einen Kündigungsschutz, der eigentlich anderen Menschen zusteht. Dass dieser Missbrauch eingegrenzt wird, finden wir in Ordnung. Damit ist nicht nur den Betrieben gedient; Missbrauch bringt ja auch den Kündigungsschutz insgesamt in Verruf. Der Vorschlag, der jetzt aufgenommen worden ist, kam übrigens vom Bundesrat. Hinsichtlich der Frage, ob man den Kündigungsschutz für diese Menschen aufheben sollte, bin ich anderer Meinung als die FDP. ({9}) Dieser Kündigungsschutz ist kein Einstellungshindernis, auch wenn er in manchen Fällen problematisch für einen Betrieb ist. Er dient hauptsächlich den Menschen, die während des Erwerbslebens eine Behinderung bekommen. Ziel ist also, dass diese Menschen einen sicheren Arbeitsplatz haben. Deswegen bin ich nicht dafür, ihn aufzuheben. ({10}) Es wurden hier schon die Punkte genannt, die uns wichtig sind. Ich hätte Herrn Kurth während der ganzen Rede Beifall zollen können, weil er das vertreten hat, was in unseren Anträgen steht. ({11}) Wenn er unserem Antrag dann noch zugestimmt hätte, hätte ich noch mehr geklatscht. Das wird heute aber wohl nicht mehr eintreten. Wir wollten die Leistungsdauer im Eingangsverfahren und bei der Berufsbildung grundsätzlich ohne Ausnahme festschreiben. Das hätte nicht zu höheren Kosten geführt. Sie wissen, dass für das zweite Jahr der Berufsbildung, wenn es nicht vom Arbeitsamt bezahlt wird, die Sozialhilfeträger und somit letztlich die Kommunen aufkommen. Diese Regelung hätte sogar zu niedrigeren Kosten geführt, da die Bürokratie hätte abgeschafft werden können, die notwendig ist, um festzustellen, ob das zweite Jahr der Berufsbildung noch gewährt werden kann. ({12}) Außerdem hätten wir damit vermieden, dass Klagen erhoben werden und es zu teuren und schwierigen Rechtsverfahren kommt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass sie uns zugestimmt hätten. Dann hätten Sie uns viel erspart. Vor allem hätten Sie allen Betroffenen Sicherheit gegeben, den Einrichtungen und den Behinderten selbst. ({13}) Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zu der Regelung des Anhörungsrechts der Schwerbehindertenvertretung sagen. Auch hier muss ich der FDP widersprechen. ({14}) Sie sagt, sie sei gegen dieses Anhörungsrecht. Da das Anhörungsrecht im SGB IX schon längst verankert ist, hätten Sie dann den Antrag stellen müssen, dieses Gesetz zu ändern. Die Frage ist aber, wie es in der Praxis umgesetzt wird. Wir haben gesagt: Da das Anhörungsrecht gesetzlich schon zementiert ist, muss auch gefordert werden, dass bei seiner Verletzung eine in einem Betrieb getroffene Maßnahme, die einen Behinderten besonders betrifft, ungültig ist. Sie haben dieses Problem wahrscheinlich erkannt, weil dies auch in Ihrem Referentenentwurf stand und weil Sie jetzt das Bußgeld, das bei Nichtbeachtung zu zahlen ist, erhöhen wollen. Das schlichte Erhöhen des Bußgeldes würde aber längst nicht ausreichen, um das Ergebnis zu erzielen, das wir anstreben. Ich frage Sie: Wie soll eine Schwerbehindertenvertretung überhaupt mitwirken, wenn sie noch nicht einmal die Chance hat, sich dort zu informieren, wo die Probleme entstanden sind? Das könnte ja auch dem Betrieb dienen. Vielleicht hat dieser zusammen mit dem Integrationsamt und den Integrationsfachdiensten neue Lösungen entwickelt, um den Arbeitsplatz zu erhalten. Herr Kurth, es gibt heute in der Tat mehr technische Möglichkeiten, als so mancher denkt. Da man vom Integrationsamt Zuschüsse aus der Ausgleichsabgabe erhält, könnte man den entsprechenden Arbeitsplatz möglicherweise sogar derart optimieren, dass der Behinderte leistungsfähiger ist als jemand, der diese Arbeit ohne Behinderung leisten würde. ({15}) Zum Abschluss: Ich hätte mir gewünscht, dass wir dem Antrag zustimmen könnten. ({16}) Wir konnten Sie leider nicht von Ihren eigenen Anliegen, die im Referentenentwurf noch enthalten waren, überzeugen. Trotzdem erkläre ich natürlich unsere weitere Bereitschaft, an echten und wirklich konkreten Verbesserungen für die Behinderten mitzuarbeiten. Ich sage aber: Dies fängt nicht erst im Erwerbsleben an. Mein Wunsch ist es, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam leben und lernen. Das heißt, ich wünsche mir integrative Einrichtungen nicht erst im Berufsleben, sondern bereits viel früher, nämlich in den Schulen und Universitäten. ({17}) Ich bedauere zum Beispiel, dass all diese Bereiche im Gleichstellungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen - es bestand die Möglichkeit, dort so etwas festzuschreiben - nicht enthalten sind. Ich hätte es mir anders gewünscht; denn nun haben die Sonderschulen und Sondereinrichtungen wieder einen erhöhten Zulauf.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit bereits überzogen.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn man vom Kindesalter an mit behinderten Menschen zusammenlebt, dann schafft dies das Bewusstsein dafür, dass Behinderte in manchen Bereichen viel mehr leisten können, als sich das so mancher schwerst mehrfach Normaler, wie ich ihn jetzt einmal bezeichnen möchte, vorstellen kann. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0}) - Nein.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Diese gedehnten Schlusssätze! - Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silvia Schmidt.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Hüppe, Ihnen ist wahrscheinlich tatsächlich irgendetwas entgangen. Ihre Partei - diese Diskussion haben wir bereits regelmäßig geführt - möchte die Befugnisse gemäß der Betriebsverfassung einschränken. Sie wollen grundsätzlich das Gegenteil. Ich denke, dass die Praxis durchaus beweist, dass Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräte gut zusammenarbeiten können und dass eine Erhöhung des Bußgeldes durchaus die bessere Alternative ist, um mit den Unternehmen nicht nur ins Gespräch zu kommen, sondern auch Druck auszuüben. ({0}) Herr Hüppe, der Staatssekretär Herr Thönnes hat vorhin deutlich gesagt, dass wir dieses Gesetz heute auch deshalb mit einbringen, weil wir erkannt haben und durchaus wissen, dass die Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten jungen Menschen zugenommen hat. Natürlich müssen wir hier reagieren. Wie gesagt: Das scheint Ihnen entgangen zu sein. 1998 haben wir, die wir alle hier sitzen, mit der Reform der Behindertenpolitik begonnen, ({1}) mit einer Reformpolitik, die den behinderten Menschen als kompetenten Experten in eigener Sache und als Akteur der eigenen Entwicklung sieht und unterstützt. Wir waren mit unserer Politik für die Menschen mit Behinderungen in der letzten Legislaturperiode sehr erfolgreich. Silvia Schmidt ({2}) Ich denke - das wissen auch Sie, Herr Hüppe -, dass sich die gesamte Situation für behinderte Menschen grundsätzlich verbessert hat. ({3}) Dies ist das größte gesetzgeberische Programm seit 30 Jahren. Als Erstes ist hier das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zu nennen, aber auch mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch und dem Behindertengleichstellungsgesetz haben wir eine emanzipierte Behindertenpolitik eingeleitet. Unser Ziel ist es nämlich, Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu garantieren. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen war und ist ein großer Erfolg. Es hat nämlich die Menschen weiter sensibilisiert und die öffentliche Wahrnehmung ist durchaus gewachsen. Viele Menschen erlebten auf Tausenden Veranstaltungen - jeder von uns hatte in seinem Wahlkreis mit Sicherheit zwei oder drei Veranstaltungen - ein Miteinander und spürten, wie selbstverständlich und einfach dieses Miteinander ist. Wir durften es erleben. Für dieses gleichberechtigte Miteinander müssen noch weitere Schritte folgen. Dieses Gesetz ist ein weiterer Abschnitt, ein Bindeglied und ein Baustein. Ich erwähnte bereits die ausgesprochen schwierige und angespannte konjunkturelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, die niemand leugnen will. Die Verpflichtung unseres Koalitionsvertrages, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten mit weiterentwickelten Zielvorgaben umzusetzen, führt zu einem deutlichen Handlungsbedarf. Im Bericht der Bundesregierung - ich nenne hier nur beispielhaft § 160 SGB IX - wurden unsere Erfolge durchaus sichtbar. Wir haben aber auch erkannt: Unser Gesetz wird die Beschäftigungs- und Ausbildungssituation schwerbehinderter Menschen jetzt wieder deutlich verbessern müssen. ({4}) Ein weiterer wesentlicher Punkt. Die Anhörung am 12. November 2003 hat klar gezeigt, dass dieses Gesetz grundsätzlich begrüßt wird. ({5}) Der nachvollziehbaren Detailkritik sowie den Vorschlägen des Bundesrates haben wir mit unseren Änderungsanträgen durchaus Rechnung getragen. ({6}) Eines muss ich noch erwähnen: Anhörungen sind dafür da, einen Gesetzentwurf zu beraten. Eine vernichtende Kritik der Verbände an unserem Gesetzentwurf, sehr geehrter Kollege Hüppe, konnte ich wirklich nicht feststellen. Ich habe mir das Protokoll der Sitzung extra noch einmal durchgelesen. Allerdings wurde Ihr Vorschlag, lieber Kollege, den gesetzlichen Zusatzurlaub für behinderte Menschen aufzuheben - mit einer Entlastung von 2,5 Prozent bei den Unternehmen - und andererseits die Schutzquote auf 6 Prozent zu erhöhen, um damit Druck auf die Unternehmen auszuüben, von allen Verbänden nicht verstanden und konnte nicht nachvollzogen werden, auch dann nicht, als Sie noch einmal nachgefragt haben. ({7}) Diese Idee wurde grundsätzlich abgelehnt. Eines möchte ich beiden Oppositionsparteien klar sagen: Zusatzurlaub ist kein Geschenk für Menschen mit Behinderungen. Zusatzurlaub hat einen Grund und ist aus medizinischen Gründen meist leicht nachvollziehbar. ({8}) Unser Staatssekretär Franz Thönnes hat schon darauf hingewiesen - das ist auch in der Anhörung deutlich geworden -, dass der Ausbau der betrieblichen Prävention im Sinne von Rehabilitation statt Entlassung besonders gelobt wurde. Dr. Hase, Sachverständiger der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, hält die Anreizsysteme, um die Beschäftigungssituation und die Ausbildung gerade junger Menschen zu fördern, für äußerst sinnvoll. Herr Kuhn von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin begrüßte das Eingliederungsmanagement. Ich könnte mit diesen positiven Beispielen fortfahren. Erwähnen möchte ich noch, dass unser Gesetz prinzipiell positiv bewertet wurde. Die Aufgaben der Integrationsämter und der Integrationsfachdienste werden so zugeschnitten, dass diese passgenaue Vermittlungs- und Unterstützungsleistungen sowohl für schwerbehinderte Menschen als auch für die Arbeitgeber erbringen können. Die Informationsdefizite der Unternehmen müssen weiter abgebaut werden. Es wurde bereits erwähnt, dass 38 Prozent der Arbeitgeber zurzeit keinen einzigen Schwerbehinderten beschäftigen. Die neuen Instrumente werden nicht nur Anreize schaffen, sondern sie müssen auch die Bereitschaft und das Verständnis der Unternehmen für Behinderte fördern, um ein intensives Kennenlernen zu ermöglichen. Liebe FDP, auch die Wirtschaft hat eine Verantwortung, die sie wahrnehmen muss. ({9}) - Die muss sie weiter und auch verstärkt wahrnehmen, sehr geehrter Kollege Kolb. Jetzt wird im Gesetz die Dauer des Eingangsverfahrens im § 40 rechtssicher festgeschrieben. Ich muss das nicht noch einmal erwähnen, sonst müsste ich das Gesetz zitieren. Ich finde den Einwand dagegen nicht gerade sehr anständig. Unerträglich war die so genannte Lex-Lufthansa-Diskussion. Der Buchstabe b des § 73, der bedeutet, dass Silvia Schmidt ({10}) die gesundheitliche Eignung bei der Höhe der Ausgleichsabgabe und der Beschäftigungspflichtquote zu berücksichtigen ist, wurde endgültig gestrichen. ({11}) Für mich bedeutete dieser Vorschlag eine gravierende Diskriminierung sowie einen Verstoß gegen die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU. Wir arbeiten übrigens an einem Antidiskriminierungsgesetz. Die Stellungnahme von Verdi macht dies sehr deutlich. Es heißt dort, das sich eine derartige Lex Lufthansa als ein Beschäftigungsprogramm für Widerspruchsausschüsse und Sozialgerichte erweisen würde. Weiter heißt es: Die Ausgleichsabgabe ist ein Instrument des Ausgleiches zwischen Arbeitgebern, die ihre Pflicht erfüllen, und denjenigen, die sie nicht erfüllen. Letztlich leugnet eine solche Rechtsvorschrift die Vielfalt der Behinderungen, die zu einer Schwerbehinderung führen können. Integrationsprojekte werden im Steuerrecht -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Zeit. Sie sind schon eine Minute darüber.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann muss ich gleich abbrechen. Das möchte ich aber noch erwähnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Sie sollen zum Schluss kommen.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann komme ich jetzt zum Schluss. Die Integrationsprojekte werden jetzt steuerrechtlich als gemeinnützig angesehen. Gerade die Praxis hat gezeigt, dass sich Integrationsprojekte positiv entwickelt haben und dass die Integrationsämter den Integrationsprojekten und Unternehmen Fördermittel zur Verfügung gestellt haben. Hier fühlen sich unsere behinderten Mitmenschen durchaus sehr wohl.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Frau Kollegin, es geht jetzt wirklich nicht mehr.

Silvia Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003217, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, stimmen Sie zu! Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt kommt eine wirklich kurze Kurzintervention des Kollegen Hüppe, der etwas richtig stellen möchte.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich wollte nur darauf hinweisen, dass das, was Frau Kollegin Schmidt in einem Punkt über mich behauptet hat, nicht stimmt. Ich habe in der Anhörung nicht, wie es auch in Ihrer Presseerklärung dargestellt worden ist, gefordert, den Zusatzurlaub abzuschaffen, sondern ich habe die Frage gestellt, ob es nicht ein Weg sein könnte, die Pflichtquote bei 6 Prozent zu belassen, um Druck auszuüben, mehr Behinderte zu beschäftigen, und es auf der anderen Seite für die Betriebe dadurch günstiger zu machen, dass die über 2 Prozent Mehrkosten durch den Zusatzurlaub wegfallen. Denn in der Tat ist es nicht so, dass Behinderte, so wie Sie es dargestellt haben, generell Kranke sind und diesen Zusatzurlaub brauchen. Im Gegenteil: Die Statistik sagt, dass Behinderte wesentlich weniger Krankentage als andere Menschen haben. Diese Anregung ist von den Verbänden abgelehnt worden. Deswegen haben wir es auch nicht weiter gefordert. Aber wenn man in einer Anhörung nicht mehr fragen und über das Normale hinaus denken darf, dann sollten wir Anhörungen grundsätzlich sein lassen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wollen Sie antworten? ({0}) - Das ist nicht der Fall. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Blumenthal.

Antje Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003480, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung präsentiert uns mit ihrem Bericht über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen nach § 160 des SGB IX Zahlen, die uns leider - das muss ich hier ganz deutlich sagen - nur die Illusion eines Erfolges vermitteln. Frau Schmidt, daran ändern Sie mit Ihren Lobpreisungen hier überhaupt nichts. Ich werde Ihnen gleich einige deutliche Zahlen nennen. ({0}) Das betrifft auch Ihre Einschätzung der Anhörung mit dem Lob oder dem Einverständnis der Verbände. Da hat unsere Fraktion einen deutlich anderen Eindruck gewonnen, als Sie uns hier vermitteln wollen. ({1}) Von Oktober 1999 bis Oktober 2002 sollte die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter um mindestens 25 Prozent gesenkt werden. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Jugendlicher unter 25 Jahren - darauf lege ich mein Schwergewicht - gestaltet sich in dem fraglichen Zeitraum im Bundesgebiet allerdings wie folgt: Ende September 1999 waren 6 334 Schwerbehinderte unter 25 Jahren als arbeitslos gemeldet. Das sind 4,7 Prozent aller Behinderten im erwerbsfähigen Alter bis 25 Jahre. Ende September 2001 waren sogar 7 117 Schwerbehinderte unter 25 Jahren als arbeitslos erfasst. Das sind schon 5,1 Prozent aller Behinderten im erwerbsfähigen Alter bis 25 Jahre. ({2}) - Hören Sie lieber zu, dann wird Ihnen vielleicht einiges klar! - Ich habe Ihnen diese statistischen Zahlen bewusst genannt; denn vonseiten der Bundesregierung hören wir nicht so deutliche, sondern schöngefärbte Zahlen. ({3}) Die Zahlen belegen eindeutig: Die Arbeitslosigkeit bei den schwerbehinderten Jugendlichen ist insgesamt nicht zurückgegangen. Die Wahrheit ist sogar noch schlimmer. Ein Vergleich der Zahlen vom September 2003 mit denen vom September 1999 fällt verheerend aus. Ende 2003 waren 8 287 Schwerbehinderte unter 25 Jahren arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Quote von 1,6 Prozent. Damit waren aber Ende 2003 1 953 schwerbehinderte Jugendliche mehr arbeitslos als vor dem In-Gang-Setzen der von der Bundesregierung 1999 initiierten Kampagne „50 000 Jobs für Schwerbehinderte“. Das entspricht einer Steigerung der Jugendarbeitslosigkeit behinderter Menschen von über 30 Prozent seit 1999. ({4}) Frau Schmidt ist leider nicht mehr im Saal. Es hätte ihr vielleicht einmal gut getan, sich diese Zahlen zu Gemüte zu führen. In einer solchen Situation sprechen diese Bundesregierung und die Regierungskoalition von einer Verbesserung! Ich glaube, in solchen Fällen heißt es in Zeugnissen gemeinhin:„War redlich bemüht, aber das Ziel wurde verfehlt“. ({5}) - Ich belege das mit Zahlen. - Ich denke, dass Ihre Aussagen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen um 24 Prozent gesenkt zu haben, am Toleranzlimit der Interpretation von Statistiken kratzt. Zum einen stelle ich mir die Frage, ob Sie bei der absoluten Zahl der Eintritte ins erwerbsfähige Alter die Geburtenrückgänge berücksichtigt haben. Zum anderen sind im Zeitraum 1999 bis 2002 Abgänge aus der Statistik in Höhe von nahezu 800 000 Schwerbehinderten zu verzeichnen, ein sehr großer Teil davon aus Altersgründen. Ihre positiv dargestellten Ergebnisse sind nicht zuletzt auch auf diese Abgänge und nicht etwa auf die eigenen Leistungen Ihrer Regierung zurückzuführen. Leider verbergen sich hinter diesen Zahlen auch menschliche Schicksale, sodass ich es persönlich als Hohn empfinde - so müssen es auch die betroffenen behinderten Menschen selbst empfinden -, wenn die Bundesregierung ihre Strategien zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten als großen Erfolg bewertet. Handlungsbedarf sieht aber glücklicherweise auch die Bundesregierung. So sollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf insbesondere für schwerbehinderte Jugendliche die Chancen für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere in kleinen Betrieben, verbessert werden. Doch nur mit einer nachhaltigen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die auf Dauer Arbeitsplätze schafft und sichert, kann es gelingen, dauerhaft Arbeitsplätze auch für schwerbehinderte junge Menschen zu schaffen. Speziell für die Zielgruppen der jugendlichen Arbeitslosen wurde das Programm JUMP von der Bundesregierung aufgelegt; daran schloss sich ab 1. Juli 2003 die Neuauflage des Programms mit dem vielversprechenden Namen „JUMP plus“ an. ({6}) Die eben von mir angeführten Zahlen zur Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Jugendlichen zeigen, dass das Programm JUMP zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit offensichtlich an der Gruppe der schwerbehinderten Jugendlichen vorbeigegangen ist. Nach wie vor ist der Anteil der schwerbehinderten jugendlichen Arbeitslosen deutlich zu hoch. Ob das „plus“ zukünftig etwas daran ändern wird, wage ich an dieser Stelle zu bezweifeln. Gestatten Sie mir einen Blick auf die Förderung schwerbehinderter Menschen in meinem Wahlkreis in Hamburg. Dort werden nicht langwierige Programme ins Leben gerufen, sondern es wird versucht, Schwerbehinderte praxisnah in direktem Kontakt mit den Betrieben in den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern. So wird das neue Programm „Arbeit für schwerbehinderte Menschen“ aus Mitteln des hamburgischen Senates, hier: aus Mitteln der Behörde für Soziales und Familie, jährlich mit bis zu 2 Millionen Euro finanziert und vom Arbeitsamt durchgeführt. Zum Schluss ein Resümee: Rund 37 Millionen Europäer, davon 8 Millionen Personen in Deutschland, sind Menschen mit Behinderung. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung zu fördern. Der Aktionsplan der Europäischen Union im Anschluss an das soeben abgelaufene Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung zeigt Perspektiven für die Behindertenpolitik auf, die aber weitestgehend in der nationalen Verantwortung liegen. Deshalb mein Appell an die Bundesregierung: Nehmen Sie die nationale Verantwortung wahr! Rühmen Sie sich nicht Ihrer vermeintlichen Erfolge, sondern sorgen Sie für deutliche Verbesserungen! Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle kennen das: Man befindet sich in einem Restaurant und muss einen Stock tiefer gehen, um die Toilette aufzusuchen. Manchmal ist die Beleuchtung dort nicht so gut. Wenn wir Abgeordnete einen Anschlusszug erreichen wollen, dann rennen wir oft mit unserem Gepäck treppab und danach wieder treppauf. Manchmal hören wir auch nicht, welches Bahngleis angesagt wird. Ich frage mich dann: Wie viel beschwerlicher muss dies für Reisende mit einem Kinderwagen oder mit einem Gipsbein, für Schwangere, für ältere Menschen, für Gehörlose oder für Rollstuhlfahrer sein? Für mich als Tourismuspolitikerin steht fest: Barrierefreiheit ist Bürgerinnen- und Bürgerrecht. ({0}) Zu einer uneingeschränkten gesellschaftlichen Teilhabe gehört die Möglichkeit des barrierefreien Reisens. Reisen ohne Barrieren muss zum Normalzustand werden. Da gibt es noch eine ganze Menge zu tun. ({1}) Menschen mit Behinderungen wollen wie alle Touristinnen und Touristen über den Ort - das Naturerlebnis gehört selbstverständlich dazu -, die Zeit und die Gestaltung ihres Urlaubs selbst entscheiden. Hierzu braucht es verlässliche und - das ist der Punkt - ehrliche touristische Angebote. Wie Hotels, Gemeinden oder Freizeiteinrichtungen ihr touristisches Angebot barrierefrei gestalten können, zeigt - das will ich ausdrücklich lobend erwähnen - die ADAC-Planungshilfe „Barrierefreier Tourismus für alle“. Wilfried Steinmüller, Vorsitzender des Vereins „Ohne Barrieren“, nennt vier Faktoren, die gegeben sein müssen: Ist die Unterkunft barrierefrei? Ist die Infrastruktur behindertengerecht? Sind die Freizeitangebote ohne große Schwierigkeiten zu erreichen? Lässt es sich in öffentliche Verkehrsmittel leicht einsteigen? Menschen mit Behinderungen geben jährlich 1,5 Milliarden Euro für den Tagestourismus und 1,6 Milliarden Euro für Übernachtungen aus. ({2}) Etwa die Hälfte von ihnen würde gern noch öfter verreisen, wenn es für sie mehr barrierefreie Angebote gäbe. Hier steckt noch ein unglaublich großes wirtschaftliches Potenzial. Dies belegt die Untersuchung „Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle“ wirklich eindrucksvoll. Ich danke der Bundesregierung ausdrücklich dafür, dass sie diese Studie in Auftrag gegeben hat. Es lohnt sich, diese Studie einmal durchzulesen. Wie viele Menschen haben Behinderungen? Ungefähr 6,7 Millionen, also rund 8 Prozent unserer Bevölkerung, sind schwerbehindert. Darunter sind 700 000 Rollstuhlfahrer. Etwa 20 Millionen Menschen - das ist etwa ein Viertel unserer Bevölkerung - sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Nur 4,5 Prozent, also rund 300 000 Menschen, sind von Geburt an behindert. Die meisten werden es im Laufe ihres Lebens, durch Unfälle oder im Alter. In 3 Prozent aller Familien lebt ein Kind mit Behinderungen. Das Familienministerium hat den Wettbewerb „Willkommen im Urlaub - Familienzeit ohne Barrieren“ ausgerufen. Ich finde, das war eine gute Idee; alle haben gerne mitgemacht. Es wurden vorbildliche familienorientierte, barrierefreie Ferienangebote, also BestPractice-Modelle, ausgezeichnet. Als Schwarzwälderin freut es mich ganz besonders - ich glaube, dass Sie mir das nachsehen werden -, dass Baden-Württemberg in diesem Punkt ein Musterländle ist. ({3}) Rot-Grün fordert in seinem Antrag - diesen kennen Sie wahrscheinlich -, im Rahmen des internationalen Jugendaustauschs Treffen von behinderten und nicht behinderten Jugendlichen verstärkt zu fördern. Im Kinder- und Jugendplan des Bundes sind eigens Mittel für die Arbeit mit behinderten jungen Menschen eingestellt. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen ist zu Ende gegangen. Wir setzen unsere offensive Arbeit zugunsten von Menschen mit Behinderungen fort. Alle, auch der DEHOGA, sind dazu eingeladen, daran mitzuarbeiten, dass „barrierefrei“ zu einem Markenzeichen des Deutschlandtourismus wird, also zu einem echten Standortvorteil. ({4}) Dieser Appell richtet sich ganz besonders an die CDU/ CSU-Fraktion mit der Bitte, auf ihren tourismuspolitischen Sprecher Klaus Brähmig einzuwirken. ({5}) - Es lohnt sich, jetzt gut zuzuhören. - Dieser antwortete - das ist in der „Travel Tribune“ vom 8. Januar 2004 nachzulesen - auf die Frage nach der Bewertung der rotgrünen Tourismuspolitik mit der schockierenden Aussage, sie beschäftige sich „zu sehr mit Schattenthemen wie Behindertentourismus“. Wir wissen: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ So heißt es in unserer Verfassung. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wilhelm Josef Sebastian.

Wilhelm Josef Sebastian (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002796, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lange Zeit wurden Menschen mit Behinderungen als passive Leistungsempfänger betrachtet. Heute wissen wir - das hat die Gesellschaft auch anerkannt -, dass behinderte Menschen ebenso als Leistungsträger zum gesellschaftlichen Erfolg beitragen und daher einen berechtigten Anspruch auf Chancengleichheit haben. Barrierefreier Tourismus ist ein wichtiger und zukunftsträchtiger Bestandteil des touristischen Gesamtangebotes in Deutschland. Es ist unsere gemeinsame gesellschaftspolitische Aufgabe, ihn zu fördern. Er birgt ein großes ökonomisches Potenzial zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Einkommen. Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass es sich bei behinderten Menschen nicht um eine einheitliche Zielgruppe handelt, die einfach zu bewerben ist und für die sehr leicht Angebote geschaffen werden können. Wenn man in der Statistik die Aufzählung der unterschiedlichen Behinderungen sieht, wird deutlich, wie schwierig es ist, die entsprechenden Einrichtungen zu schaffen. Die über 6 Millionen Schwerbehinderten sind allein für die statistische Erfassung in Gruppen mit einer Vielzahl von Untergruppen entsprechend ihrer Behinderung eingeteilt. Für jede einzelne Untergruppe müsste ein spezielles Angebot geschaffen werden, um die Wünsche dieser Menschen zufrieden zu stellen. Vor diesem Hintergrund wird es natürlich sehr schwierig sein, zu sagen: Das ist die Tourismuspolitik für behinderte Menschen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es notwendig, dass man sich mit dieser Thematik auseinander setzt und konsequent an einer Weiterentwicklung im Themenkomplex „barrierefreier Tourismus“ arbeitet. Es sollten aber auf keinen Fall Versprechungen gemacht werden, die nicht eingehalten werden können. PRKampagnen sind sicherlich nicht der einzig richtige Weg. Vielmehr sind Veränderungen in der Infrastruktur notwendig, um ein entsprechendes Angebot zu schaffen. Bausteine für barrierefreien Tourismus sind erstens Sensibilisierung für das Thema Barrierefreiheit, zweitens Investitionen der kommunalen Gebietskörperschaften und drittens Investitionen in überregionale Aufgabenstellungen. Unser eindeutiges Ziel sollte sein, Angebote zu schaffen, die behinderte und nicht behinderte Menschen gemeinsam nutzen können. Erfahrungsgemäß nehmen Behinderte eher gewisse Unzulänglichkeiten in Kauf, als ghettomäßig untergebracht zu sein. Zahlreiche öffentliche und private Projekte und Initiativen dokumentieren, dass nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch die Menschen für das Thema Barrierefreiheit sensibilisiert sind. Die Vielzahl bereits durchgeführter Maßnahmen in vielen Ferienregionen zeigt deutlich die Entwicklung eines Bewusstseins für die Belange behinderter Menschen. Diese Ansätze gilt es sinnvoll weiterzuentwickeln. In der Analyse der Situation sowie der Beurteilung der Notwendigkeit zum Ausbau barrierefreier Angebote gibt es zwischen den Fraktionen nach meiner Einschätzung keine Meinungsunterschiede, wenn auch manchmal Kleinigkeiten differenziert gesehen werden. Gerade in den Ausschussberatungen hat sich gezeigt, dass wir da gemeinsam an einem Strang ziehen. Was Sie eben in Bezug auf den Kollegen Brähmig gesagt haben - ich kann nicht für ihn sprechen -, ist so sicherlich nicht richtig. Er hat das so sicherlich nicht gemeint. ({0}) „Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle“ - diese Maxime ist nicht nur die Überschrift der im letzten Dezember vorgestellten Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft, die Sie eben schon einmal angesprochen haben, Frau Kollegin, sondern sie beschreibt auch die Triebkraft für positive Entwicklungen im Bereich der touristischen Angebote für Behinderte. Richtigerweise heißt es darin, dass die Erreichung vollkommener Barrierefreiheit in erster Linie eine gesellschaftspolitische Aufgabe ist, die sich auch und vor allem uns mit politischer Verantwortung stellt. Wir müssen uns sehr wohl der Gefahr bewusst sein, dass wir zu diesem Thema oft Sonntagsreden halten. Das sieht auch die Studie des Ministeriums so. Darin wird festgestellt: Da der Markt eine vollkommene Barrierefreiheit nicht alleine herstellt, kann dies nur durch gesetzliche Vorgaben, staatliche Investitionen und Investitionsanreize erreicht werden. In Ihrem Antrag ist meines Erachtens von einer aktiven Förderung zu wenig die Rede. ({1}) Es gibt zu viele reine Appelle und Prüfaufträge. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. ({2}) Zu viel Hoffnung darauf, dass wir auf dem Gesetzeswege alles erreichen können, sollten wir aber auch nicht machen: Es gilt die eindeutige Prämisse, dass eine Förderung des barrierefreien Tourismus nur über eine ökonomische Argumentation erfolgen kann. Wenn das ökonomische Interesse bei den Anbietern geweckt ist, ist dies die beste Voraussetzung für den Ausbau der bestehenden Angebote. Gesetzliche Vorgaben werden von der Seite der Anbieter als Zwangsmittel wahrgenommen und führen grundsätzlich eher dazu, dass mentale Barrieren errichtet und freiwillige Maßnahmen reduziert werden. Diese Stellungnahme stammt nicht von mir, sondern vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Sie ist gleichwohl völlig richtig und wird von uns inhaltlich voll geteilt. Auch die „Nationale Koordinierungsstelle Tourismus für Alle“ sieht als Kernelement der Förderung des barrierefreien Tourismus die Bereitstellung notwendiger Finanzmittel. Hierzu darf ich sagen: Die kommunale Finanzausstattung - wir wissen es alle - reicht augenblicklich nicht aus, alle diese Wünsche zu erfüllen und die notwendigen Investitionen zu tätigen. ({3}) Auch die Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft sagt dazu eindeutig, dass in Anbetracht der angespannten Haushaltslagen von Städten und Gemeinden der Spielraum für eine barrierefreie Gestaltung gerade auf kommunaler Ebene begrenzt ist. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, insofern können wir Ihnen unsere Unterstützung für eine nachhaltige Förderung des barrierefreien Tourismus jederzeit zusagen. Wir wünschen uns für die Zukunft jedoch einige konkrete und handfeste Schritte ({4}) sowie den Mut, auch einmal Geld in die Hand zu nehmen, um Wachstumsimpulse zu setzen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hinter uns liegt das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Richtig ist, dass durch viele Veranstaltungen und Publikationen das Bewusstsein und das Interesse der Öffentlichkeit für Probleme von Menschen mit Behinderungen geschärft worden sind und sicherlich auch bei dem einen oder anderen ein Verständnis erreicht worden ist, das er vorher nicht hatte. ({0}) Kommen wir nun zurück zu der zentralen Frage dieser Debatte, nämlich der Ausbildung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen. Der Kollege von der FDP, der jetzt nicht mehr anwesend ist, aber dessen Rede ich noch in Erinnerung habe ({1}) - ja, ich habe die Entschuldigung hier schon angenommen; das ist auch okay -, hat dafür appelliert, mehr Vertrauen in die Wirtschaft zu haben und die Regelungsdichte zurückzufahren. Ich glaube aber, dass dieser Weg nicht erfolgversprechend ist. Schauen wir uns einmal die realen Zahlen an: Leider wird immer mehr schwerbehinderten Menschen gekündigt. Ich habe mir die Zahlen von Berlin für die Jahre 2000 und 2001, also vor dem Regierungseintritt der PDS, geben lassen: Im Jahre 2000 sind 1 856 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung von schwerbehinderten Menschen beim Integrationsamt eingegangen; im Jahr darauf haben Berliner Arbeitgeber bereits 1 993 Anträge auf Zustimmung zur Kündigung gestellt. Das ist eine Steigerung von über 7 Prozent. ({2}) - Das sind die Zahlen aus der Zeit vor dem Regierungseintritt der PDS, Herr Kollege. ({3}) - Das hoffen wir alle sehr. Wir arbeiten hart daran. Das Berliner Integrationsamt versucht ja ebenso wie die Ämter in anderen Bundesländern, die Arbeitgeber zur Rücknahme der Anträge zu bewegen. Aber immerhin wurden in den genannten Jahren noch über 70 Prozent der Anträge bewilligt. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen Bundesländern zu beobachten. Schaut man in die Arbeitslosenstatistik, stellt man erstaunt - das hat auch die Kollegin von der CDU/CSU schon gesagt - einen kräftigen Rückgang der Arbeitslosigkeit von schwerbehinderten Menschen über 55 Jahren fest. In der Zeit von 1999 bis 2002 sank die Zahl bei Männern um fast 59 Prozent und bei Frauen um fast 39 Prozent. Doch dieser Rückgang ist nicht in erster Linie durch die Schaffung von Arbeitsplätzen entstanden, sondern durch die zunehmende Verrentung dieser Jahrgänge. In der gleichen Zeit ist die Arbeitslosigkeit in der Gruppe der jüngeren schwerbehinderten Menschen, also der unter 55-Jährigen, nur um knapp 6 Prozent zurückgegangen. Die „FAZ“ zitiert einen Beamten der Bundesanstalt für Arbeit, der diesen Trend zur schnellen Verrentung von schwerbehinderten Menschen bestätigt - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -: „Wir bitten beispielsweise Rentenversicherungsträger, Rentenanträge zügig zu bearbeiten.“ Aus Sicht der PDS kann es nicht das Ziel sein, schwerbehinderte Menschen in das Rentensystem abzuschieben. Das ist zwar die einfachste Art der Problemlösung - gemäß dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn“, dient aber nicht den Menschen mit Behinderungen und ihrer Integration in den Arbeitsprozess. ({4}) Wir können dem Gesetz aus zwei Gründen nicht zustimmen: ({5}) Zum einen dient das Gesetz nicht ausreichend dem selbst gesteckten Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter, sondern hilft eher dabei, die Statistik zu bereinigen. Zum anderen finden wir, dass die Senkung der Beschäftigungspflichtquote von 6 auf 5 Prozent das falsche Signal ist. Darum können wir nicht zustimmen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, der Herr Kollege Haack. Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf Bemerkungen von zwei Kollegen eingehen, nämlich auf die des Kollegen Bahr, der entschuldigt ist, weil er zum Parteitag muss, und des Kollegen Hüppe. Sie sprachen zum einen von Belastungen durch das GMG, das GKV-Modernisierungsgesetz, als sie darauf hinwiesen, dass die chronisch Kranken und die Behinderten die Verlierer der Reform seien. Meine Antwort möchte ich mit einem Dank an die Frau Ministerin einleiten, die leider nicht mehr hier sein kann, denn gestern wurde ein Konzept bezüglich der Definition dessen, was unter chronisch Kranken zu verstehen ist, und bezüglich deren Belastungen durch die Regelungen des GKVModernisierungsgesetzes verabredet, das in der heutigen Presse positiv bewertet und von den Verbänden und Organisationen akzeptiert wird. Zum anderen ist man zu einem ebenso positiv bewerteten Ergebnis in der Frage der Fahrtkosten gekommen. ({0}) Das heißt, die Ministerin hat Wort gehalten. Sie hat zwischen den Feiertagen gesagt, ({1}) dass sie die Chronikerregelung aussetzen, erneut überprüfen und mit den Betroffenen und der gemeinsamen Selbstverwaltung versuchen werde, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Da der Ministerin Zeitversäumnisse vorgeworfen werden, will ich an das Datum erinnern: Die Chronikerregelung ist kurz vor Weihnachten entstanden. Jetzt befinden wir uns in der dritten Woche des neuen Jahres. Das heißt, innerhalb von fünf Wochen - wenn man die Feiertage abzieht, bleiben im Grunde nur drei Arbeitswochen übrig - hat die Ministerin gehandelt. Ich denke, das ist Ausweis ihrer Handlungsfähigkeit und ihres Durchsetzungsvermögens. ({2}) In einer verminten Landschaft von Interessen, wo Verteilungskämpfe stattfinden, ist das ein sehr gutes und begrüßenswertes Ergebnis. Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der uns immer wieder begegnet: Bedeutet der Paradigmenwechsel in der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen unnötige Kosten für die Wirtschaft? Bei dieser Novellierung ging es um eine Lex Lufthansa, die Bitte der Lufthansa, technisches Personal in bestimmten Bereichen, etwa dem Sicherheitsbereich, nicht in die Gesamtzahl der Beschäftigten einzurechnen. Herr Bahr hat gesagt, das Gesetz bedeute für die Lufthansa eine Mehrbelastung von ungefähr 4 Millionen Euro. Es ist ganz gut, den Blick einmal auf die Konkurrenz in den USA zu richten. Seit In-Kraft-Treten des Antidiskriminierungsgesetzes in den USA sind dort im Flugbereich erhebliche Investitionen vorgenommen worden. Die Vertreter der Disability Organization und der Organization of elderly people - das entspricht dem, was bei uns unter AWO und VdK läuft - haben sich mit dem Thema „Reisen in Europa“ auseinander gesetzt und informell eine Prioritätenliste mit Empfehlungen erarbeitet, wohin man aus den USA am besten fliegen kann, wenn man barrierefrei reisen will. Ein großer Flughafen - ich will den Namen nicht nennen - war sehr erschrocken, dass er sich auf den hinteren Rängen wiederfand und gewissermaßen auf der Nichtempfehlungsliste stand. Dieser große Flughafen versucht nun, mithilfe von Fluggesellschaften wesentliche Verbesserungen zu erreichen, indem er Geld in die Hand nimmt. Das ist ein Beispiel dafür, dass Konkurrenz das Wirtschaftsleben befördert. Zu dem neuen Gesetz ist viel gesagt worden. Lassen Sie mich dennoch ein paar Punkte in Erinnerung rufen. Die Bundesregierung hat 1999 gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen, den Verbänden der behinderten Menschen und den Sozialpartnern einen Erfolg in der Beschäftigungspolitik erzielt. Wir haben seit diesem Zeitpunkt eine Verringerung des Unterschieds zur allgemeinen Arbeitslosigkeit feststellen können. Wir können Ihrer Bemerkung nur beipflichten, dass sich mit der Verstetigung der wirtschaftlichen Situation die Schere zwischen den Beschäftigten und den Nichtbeschäftigten weiter geöffnet hatte. Es gab also einen Grund zu handeln. Dennoch meine ich, dass man an diesem Punkt ein Dankeschön an die Verbände und Organisationen aussprechen muss, ({3}) die sich auf der Grundlage eines Gesetzes um Veränderungen bemüht haben. Wir gehen den Weg gemeinsam weiter. Mit dem Gesetz, das wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden, wollen wir einen neuen Plafond für eine Kampagne zur Verbesserung der Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen schaffen. Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen unterliegt konjunkturellen Einflüssen; das wissen wir. Dennoch ist es in diesem Bereich in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern gelungen, die Kräfte zu bündeln. Auch der heute zu verabschiedende Gesetzentwurf steht in dieser Tradition der Zusammenarbeit. Er wird die inzwischen bewährten Instrumentarien zur Förderung der Beschäftigung von behinderten Menschen in modifizierter Form weiterentwickeln sowie die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern und die verantwortlich Handelnden in den Betrieben und Institutionen Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zielgenau zusammenführen. An entscheidenden Punkten werden Weichen gestellt. Vor dem Hintergrund der erklärten Bereitschaft der Arbeitgeber in Industrie und Handwerk setzt die Regierung wirksame Maßnahmen und Anreize in Kraft, um den Anteil behinderter Jugendlicher bei den Auszubildenden zu erhöhen. Die ausbildenden Betriebe werden durch Prämien und Zuschüsse unterstützt. Die Integration von behinderten Auszubildenden und ihre Vermittlungschancen werden durch eine verstärkte Verzahnung von betrieblicher und überbetrieblicher Ausbildung verbessert. Herr Hüppe, es wäre vielleicht ganz gut, wenn wir uns einmal zusammensetzen und versuchen würden, die Debatte um die Ausbildungsabgabe zu entschärfen. ({4}) Wir sollten dieses Instrumentarium, welches wir für eine kleine Gruppe von jungen Menschen geschaffen haben, darauf überprüfen, ob es nicht generell auf den dualen Ausbildungsmarkt übertragen werden kann. Ich werbe zurzeit in meiner Fraktion, aber auch in der Bundesregierung dafür. Die Integrationsfachdienste werden stärker mit ihren Rehabilitationsträgern verzahnt, die zu deren Inanspruchnahme mit den Integrationsämtern gemeinsame Empfehlungen zu erarbeiten haben. Die Schwerbehindertenvertretungen werden zum Beispiel durch die Festschreibung ihrer Funktion bei der betrieblichen Prävention in ihrer Stellung gestärkt. Für die Umsetzung der Bestimmungen werden aber auch durch eine Erweiterung des Bußgeldrahmens Anreize geschaffen. Sie finden damit stärker Eingang in das Bewusstsein und in die betriebliche Praxis. Die von vielen geforderte Änderung des § 95, über den auch Sie gesprochen haben, haben wir nach intensiven Gesprächen aus dem ursprünglichen Entwurf genommen, und zwar auf Bitten der Gewerkschaften. Darüber wurde also ein Konsens erzielt. ({5}) Auf Grundlage dieses Gesetzes sollten wir mit der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten. Es stehen entsprechende Gespräche an. Die Koalitionsarbeitsgruppen werden im Februar ein intensives Gespräch mit der Bundesagentur für Arbeit mit der Zielsetzung führen, dass sich die Bundesagentur für Arbeit sozusagen nicht aus der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt verabschiedet. Hinter uns liegt das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Die Europäische Kommission hat die Ergebnisse bilanziert und berücksichtigt sie in einem Gesamtplan für die nächsten Jahre. Unsere Aufgabe wird es sein, dies in nationales Recht umzusetzen. Wir sollten uns gemeinsam darauf konzentrieren, eine Harmonisierung der Behindertenpolitik auf der europäischen Ebene zu erreichen. Die Erfahrung lehrt, dass Menschen mit Behinderungen hoch mobil sind. Sie setzen ihre Kompetenzen, die sie im Beruf erworben haben, auch im europäischen Ausland ein. Es wäre also sehr gut, wenn wir uns alle gemeinsam anstrengen würden, den Blick auf Europa zu richten und eine Verbesserung der Lebenssituation für Menschen mit Behinderungen zu erreichen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, ich habe Ihre Redezeit mit Rücksicht auf Ihre Funktion schon verlängert. Jetzt müssen Sie aber zum Schluss kommen. Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Ich komme sofort zum Schluss. - Es muss demnächst eine Zielvereinbarung zwischen der Bundesregierung und dem Deutschen Behindertenrat unter dem Stichwort Mobilität geben. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthäus Strebl. ({0})

Matthäus Strebl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002940, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem Debattenpunkt möchte ich noch einmal die Position der CDU/CSUFraktion verdeutlichen. Liest man die Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs, so könnte man denken, dass die rot-grüne Politik zur Förderung der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen eine wahre Erfolgsgeschichte ist. ({0}) So entsteht der Eindruck, dass es gelungen sei, die Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter von Oktober 1999 bis Oktober 2002 um 24 Prozent zu senken. Aber um die Pflichtquote für die Beschäftigung Schwerbehinderter in Betrieben auf Dauer von 6 auf 5 Prozent zu senken, hätte es für diesen Zeitraum einer Reduzierung von mindestens 25 Prozent bedurft. Man kann Zahlen zwar drehen und wenden, verbiegen lassen sie sich zum Glück aber nicht. Nur durch die Betrachtung der entsprechenden Zahlen kann man erkennen, wie überhaupt eine Verringerung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter zustande gekommen ist: nämlich nicht durch die tatsächliche Schaffung von Karl Hermann Haack, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Arbeitsplätzen für Behinderte, sondern durch Abgänge aus der Arbeitslosenstatistik. ({1}) Besonders die Frühverrentung hat hier eine Rolle gespielt und hat dafür gesorgt, dass etliche Schwerbehinderte dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Betrachtet man die Zahl von schwerbehinderten Jugendlichen, ist sogar das Gegenteil zu erkennen. Trotz groß angelegter Initiativen wie zum Beispiel dem JUMP-Programm - es wurde heute in der Debatte schon mehrfach genannt - stieg die Zahl arbeitsloser schwerbehinderter Jugendlicher im Vergleichszeitraum von Oktober 1999 bis Oktober 2002. Natürlich ist es bei der derzeitigen Wirtschaftslage bereits schwer, Arbeitsplätze für Nichtbehinderte zu schaffen. Man bedenke, dass in Deutschland im Jahr 2003 400 000 Arbeitsplätze vernichtet worden sind. Oder merken Sie sich folgende Zahl: 40 000 Arbeitsplätze wandern pro Monat ins Ausland. Umso schwieriger ist es angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, die wir derzeit in Deutschland haben, Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen bereitzustellen. Man kann nur etwas erreichen, wenn man den Tatsachen ins Auge sieht und sie nicht verschleiert. Während die Arbeitslosigkeit im vergangenen Jahr um 8 Prozent gestiegen ist, erreichte die Statistik arbeitsloser Schwerbehinderter mit einer Quote von 16 Prozent einen traurigen Höhepunkt. Bezieht man in den Vergleichszeitraum von Oktober 1999 noch den September 2003 ein, so ergibt sich eine Senkung der Arbeitslosigkeit um gerade einmal 11,7 Prozent. Auch jetzt lässt die Bundesregierung die Behinderten in vielen Bereichen im Regen stehen. Wichtige und notwendige Verbesserungen, die im Referentenentwurf noch vorgesehen waren, sind nun zurückgenommen worden. So fiel auch die Kritik der Vertreter der Sozialund Behindertenverbände in einer Anhörung bezüglich des Entwurfes eines Gesetzes zum Sozialgesetzbuch IX zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vernichtend aus. ({2}) Besondere Hauptkritikpunkte waren hier die Regelung zur Finanzierung der Werkstätten für behinderte Menschen sowie die mangelhafte Festlegung von Kompetenzen und Rechten der Schwerbehindertenvertretungen. Im Referentenentwurf war zum Beispiel für die Leistungserbringung eine Frist von drei Monaten im Eingangsverfahren und von zwei Jahren in der beruflichen Bildung vorgesehen. Dies sind unumgängliche Voraussetzungen, ({3}) um Menschen, die wegen ihrer Behinderung in ihrer Geschwindigkeit eingeschränkt sind, eine reelle Chance zu geben. Doch stattdessen wurde die von mir genannte Regelung gestrichen. Auch bei der Vertretung von Schwerbehinderten gibt es keine positiven Ansätze. Dabei könnten gerade die Schwerbehindertenvertretungen eine elementare Rolle bei der Wahrnehmung der Interessen schwerbehinderter Menschen spielen. Ich frage mich schon, was solche Vertretungen wert sind, wenn sie weder über ein Anhörungs- noch über ein Informationsrecht verfügen. Dies kann und darf so nicht sein. ({4}) Für die CDU/CSU wiederhole ich die Feststellung: Wenn es um tatsächliche Verbesserungen, um die Integration und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht, wenn es gilt, schwerbehinderte Menschen so weit wie möglich aus den Werkstätten herauszuholen und in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, dann werden wir das unterstützen. ({5}) Ich möchte Sie aber bitten, dem Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, nicht in dieser Form zuzustimmen. Denn eine Grundvoraussetzung für das genannte Ziel wäre eine andere Politik in Deutschland: eine Politik für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung. Nur wirtschaftliches Wachstum wird dazu führen, dass auch Menschen mit Behinderungen wieder mehr Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen. Es muss ein vielfältiges System von Einrichtungen erhalten und ausgebaut werden, damit Menschen mit geringerem Leistungsvermögen eine Berufsarbeit ermöglicht wird. Gerade das vergangene Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen sollte uns dafür sensibilisiert haben, auf die Belange und Interessen Behinderter optimal einzugehen. ({6}) Doch vor allem Behinderte haben im letzten Jahr einiges einstecken müssen, was ich kurz erwähnen möchte. Am stärksten werden behinderte Menschen durch die Einschnitte der Bundesanstalt für Arbeit bei den Rehabilitationsmaßnahmen belastet. Daher dürfen wir es nicht zulassen, dass nun weitere Belastungen und Einschränkungen auf sie zukommen. Denn wir, die CDU/CSU, wollen, dass das, was der Titel des Gesetzentwurfes verspricht, auch eingehalten wird: die Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu fördern. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Drucksache 15/2357, in Kenntnis des Berichts der Bundesregierung über die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stimmen von CDU/CSU und PDS angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf Drucksache 15/2318. Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis des eben genannten Berichts der Bundesregierung den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus auf Drucksache 15/2292 zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen mit dem Titel „Reisen ohne Handicap - Für ein barrierefreies Reisen und Naturerleben in unserem Land“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1306 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen worden. Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sitzung nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. Januar 2004, 13 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen sowie den Besuchern auf den Tribünen eine gute Heimfahrt und Letzteren erst noch einen schönen Aufenthalt in Berlin. Die Sitzung ist geschlossen.