Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/14/2004

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich wünsche Ihnen nachträglich alles Gute zum neuen Jahr und eine erfolgreiche Arbeit in diesem Hause. ({0}) Vor Eintritt in die Tagesordnung ist folgende amtliche Mitteilung bekannt zu geben: Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass der Kollege Dr. Guido Westerwelle als ordentliches Mitglied aus dem Vermittlungsausschuss ausscheidet. ({1}) Als Nachfolger wird der Kollege Jörg van Essen vorgeschlagen. ({2}) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist der Kollege Jörg van Essen als ordentliches Mitglied des Vermittlungsausschusses bestimmt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen - Drucksache 15/2318 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Interfraktionell ist vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Damit kommen wir gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 15/2318 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Lokale Bündnisse für Familie. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Ich habe heute im Kabinett die Initiative meines Ministeriums zu den lokalen Bündnissen für Familie vorgestellt. Sie wissen, dass sich die meisten jungen Menschen Familie wünschen, dass sich aber keine ausreichend große Zahl diesen Wunsch erfüllt. Auch in der Wirtschaft wächst die Erkenntnis, dass Familienfreundlichkeit betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich gesehen Gewinn bringt. Familie ist nicht nur in meinen Augen, sondern, wie ich glaube, auch in den Augen vieler Menschen in allen Bereichen ein Zukunftsthema. Auch Kommunen profitieren wie die gesamte Volkswirtschaft materiell von mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit, weil dadurch der Mut, Kinder zu haben, wächst. Durch die Studien, die wir im letzten Jahr vorgelegt haben, haben wir dies nachgewiesen. Diese Erkenntnisse nützen als abstraktes Wissen wenig. Sie müssen nutzbringend zugunsten von Kindern, Eltern und der gesamten Gesellschaft umgesetzt werden. Dies ist unstrittig; denn bei der Geburtenrate liegt Deutschland heute im weltweiten Vergleich von 207 Ländern auf Platz 185. Die meisten Menschen Redetext wünschen sich Kinder. Aber viele erfüllen sich diesen Wunsch nicht, weil es um die Familienfreundlichkeit in unserem Land nicht ausreichend gut bestellt ist. Niedrige Geburtenraten sind aber kein unveränderbares Schicksal, auch nicht in Deutschland. Hier möchte ich ein Beispiel erwähnen: In der Stadt Laer im Münsterland wurde erreicht, dass die Geburtenrate - verglichen mit durchschnittlich 8,7 Geburten in Deutschland - auf 13,5 gestiegen ist. - Ich sehe an Ihrem Lächeln, dass manche meinen, der Bürgermeister hätte sich persönlich bemüht. ({0}) Nein, das ist nicht der Fall gewesen. ({1}) Er hat sich zwar bemüht, aber in einem anderen Sinne, Herr Bergner. Dort sind nämlich wirklich exzellente Betreuungsmöglichkeiten geschaffen worden. Die ganze Kommune hat an ihrer Familienfreundlichkeit gearbeitet. Dieses Beispiel zeigt: Wir können etwas bewirken, und zwar dort, wo die Familien leben und wo die Väter und Mütter arbeiten, nämlich in den Kommunen, die das Lebens- und Wohnumfeld gestalten, und in den Unternehmen, die die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz schaffen. Vor Ort können die passenden Lösungen für Probleme des Alltags gefunden werden. Die Familien und die Akteure wissen selbst am besten, wo der Schuh drückt. Deshalb habe ich das Projekt „Lokale Bündnisse für Familie“ ins Leben gerufen. Die Zielsetzung dieses Bündnisses ist die Schaffung von familienfreundlichen Arbeitszeiten in mehr Betrieben, von mehr familienfreundlichen Betreuungsmöglichkeiten und von familienfreundlicheren Rahmenbedingungen. Dazu sollen vor Ort konkrete Verabredungen getroffen werden. Dadurch entsteht ein größerer Mut, Kinder zu haben. Besonders wichtig ist mir die gute Zusammenarbeit von Bund und prominenten Repräsentanten der Kommunen. Auf der lokalen Ebene soll die Allianz für Familie, die ich auf Bundesebene ins Leben gerufen habe, ihre Fortsetzung finden. Deshalb habe ich zusammen mit starken Partnern aus Gesellschaft und Wirtschaft die Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“ begründet. In diesen lokalen Bündnissen schließen sich die Partner zusammen, die die Rahmenbedingungen für Familie gestalten. Neben Kommunen und Unternehmen sind dies Vereine, Gewerkschaften, Verbände, Kirchen, freie Wohlfahrtsträger und natürlich die Familien selbst. In einigen Kommunen wurden bereits solche Initiativen für Familie gegründet. Sie tragen unterschiedliche Namen, haben aber meistens die gleichen Zielsetzungen. Ich möchte zwei dieser Initiativen als Beispiele nennen: In meiner Heimatstadt Nürnberg hat der Stadtrat die Kommune mit der Stadtverwaltung, den Stadtratsfraktionen, den Kirchen, Kammern, Gewerkschaften und freien Trägern vernetzt. Mit diesem Bündnis soll ein familienfreundliches Bewusstsein und ein positives Klima für Kinder geschaffen werden. Nur eine von vielen Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden konnte: Mit familiengerechten Angeboten und günstigen Preisen wird die Teilnahme von Familien am kulturellen Leben erleichtert. Damit man nicht immer Beispiele aus Großstädten erwähnt, nun ein zweites Beispiel aus Ostfriesland. Zwei Landkreise und eine Stadt werden zusammen mit 120 kleinen und mittelständischen Betrieben in einem kommunen- und betriebsübergreifenden Bündnis tätig. Eine solche überbetriebliche Verbindung von Firmen fördert erfolgreich die Berufstätigkeit und Qualifizierung von Frauen mit Kindern durch gezielte Beratung und Schulung. Unsere Initiative „Lokale Bündnisse für Familie“ knüpft an solche Beispiele an. Wir wollen bestehende Bündnisansätze bekannt machen. Sie sollen zur Nachahmung anregen und zeigen, was möglich ist - gemeinsam und zum gegenseitigen Vorteil. Außerdem unterstützen wir die Gründung neuer Bündnisse. Unser Ziel ist es, dass in einem ersten Schritt mindestens 100 solcher Bündnisse gegründet werden und sich etablieren. Viele Einzelinitiativen sollen konkrete Verbesserungen vor Ort herbeiführen und so zu einem familienfreundlicheren Klima in unserem Land beitragen. Die wichtigsten Bausteine dieser Initiative sind das neu gegründete Servicebüro in Berlin und das OnlineHandbuch „Lokale Bündnisse für Familie“. Bis Ende 2006 bietet das Servicebüro kostenlose Beratung beim Aufbau eines Bündnisses und bei der Verbesserung bestehender Bündnisse an. In Workshops werden die Grundlagen erfolgreicher Bündnisarbeit vermittelt, damit der Start gelingt. Mitarbeiter des Servicebüros helfen bei der Moderation der Auftaktveranstaltung. Akteure vor Ort erhalten eine Einführung in Pressearbeit. Ich könnte noch vieles andere nennen. Entscheidend sind immer die jeweiligen Anforderungen der lokalen Bündnisse. Insofern steht auch das Leistungsspektrum des Servicebüros noch nicht endgültig fest. Es wird sich parallel zu dieser Initiative entwickeln. Eine weitere Unterstützung bieten wir mit dem Online-Handbuch „Lokale Bündnisse für Familie“, das man auf der Homepage der Initiative finden kann. Darin stehen Ideen für ein familienfreundliches Wohnumfeld, Ansätze zur Verbesserung der Kinderbetreuung, Maßnahmen für eine Balance zwischen Beruf und Familie sowie weitere Anregungen. Fachlich und wissenschaftlich begleitet wird die Initiative vom Deutschen Jugendinstitut. Die Initiative steht auch in Kooperation mit der Gemeinnützigen HertieStiftung und der Bertelsmann-Stiftung, die auch über das Jahr 2006 hinaus an der Verwirklichung des Ziels von mehr Familienfreundlichkeit arbeiten werden. Die Europäische Union unterstützt das Projekt finanziell. Die Zusammenarbeit verschiedener Partner macht den besonderen Charakter dieser Initiative aus. Die Art und Weise, in der alle an einem Strang ziehen - jeder engagiert sich und steuert seinen Teil zum Ganzen bei -, ist eine Form der Politik, die hoffentlich weite Kreise zieht. Die Bundesregierung will aus dem Trend zur Familie einen Trend zu mehr Kindern machen. Gemeinsam rufen wir dazu auf, überall in Deutschland solche lokalen Bündnisse für Familie zu gründen. Wer familienfreundlich handelt, ist ein Trendsetter. Meine Bitte an Sie, die Abgeordneten: Helfen Sie mit und werben auch Sie für diese Initiative! Dadurch kann das Ganze nämlich nur noch erfolgreicher werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. - Ich habe bereits eine Reihe von Wortmeldungen vorliegen. Zunächst hatte sich die Kollegin Maria Eichhorn von der CDU/CSU-Fraktion gemeldet.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, bereits 1992 hat die unionsgeführte Bundesregierung die erste Auflage des Buches „Örtliche und regionale Familienpolitik“ herausgegeben und den Wettbewerb „Kinder- und familienfreundliche Gemeinde“ ausgelobt. Es gibt Gott sei Dank etliche lokale Bündnisse. Die einen nennen es „runder Tisch“ und die anderen „Bündnis für Familie“. Das haben wir, die Unionsfraktion, vor zwei, drei Jahren in unserem Familienkonzept auch noch einmal dargestellt. Es ist sicherlich gut, dass diese Initiative vonseiten der Bundesregierung, also von Ihnen, nun fortgeführt und ausgebaut wird. Man kann sicher einiges tun, ohne dass es Geld kostet. Ganz ohne finanzielle Unterstützung wird es aber nicht gehen. Das zeigt sich auch an vielen Initiativen und Projekten in Bayern, die finanziell unterstützt werden. Es gibt aber auch runde Tische, die bereits seit Jahren ohne finanzielle Unterstützung arbeiten. Sie haben in Ihrer Presseerklärung gesagt, als Ergebnis könnten Sie sich längere Öffnungszeiten der Kindergärten vorstellen, da es um verbesserte Kinderbetreuungsmöglichkeiten gehe. Das kostet aber Geld, Frau Schmidt. Darum stelle ich folgende Fragen: Was wollen Sie tun, damit diese Vorhaben für die Verbesserung der Kinderbetreuung angesichts der knappen - besser gesagt: der zum Teil katastrophalen - finanziellen Ausstattung der Kommunen tatsächlich zu verwirklichen sind? Was wollen Sie grundsätzlich tun - zum Beispiel durch eine kommunale Finanzreform -, um eine Verbesserung der kommunalen Finanzen zu erreichen? Sie haben gerade auch noch die Beratung angesprochen. Auch die Beratung kostet Geld. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Eichhorn, ich bitte, nur eine Frage zu diesem Themenkomplex zu stellen.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Es gibt bundeszentrale Träger, wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft der Familienbildungsstätten. Was haben Sie vorgesehen, damit diese finanziell besser ausgestattet werden, sodass diese Arbeit vor Ort geleistet werden kann?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Sehr geehrte Frau Eichhorn, zunächst zum ersten Teil. Ich glaube, wir wären hier und heute überfordert, wenn wir die Diskussion zu den Kommunalfinanzen, die zuletzt im Vermittlungsausschuss des Deutschen Bundestages und des Bundesrates geführt worden ist, noch einmal führen würden. Es wäre schön gewesen, wenn bestimmte weitere Vorschläge von uns zur besseren Finanzausstattung der Kommunen nicht abgelehnt worden wären. Wir brauchen jetzt nicht mehr nachzukarten, aber die Konzepte lagen auf dem Tisch. ({0}) Wir sind uns darüber einig, dass natürlich die Möglichkeit bestehen muss, dass die Kommunen tatsächlich tätig werden. Die Kommunen sind aber nicht alleine verantwortlich. Ich will gerne ein Stück weiter ausholen. Wie Sie wissen, wollen wir die Kommunen mit den Mitteln, die durch die Verwirklichung des Hartz-Konzeptes eingespart werden, ab dem Jahr 2005 mit 1,5 Milliarden Euro jährlich in die Lage versetzen, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen - dieser liegt nun einmal bei den Kommunen -, die Betreuung für die unter Dreijährigen bedarfsgerecht auszubauen und mehr Ganztagsplätze in den Kindertagesstätten einzurichten. Darüber hinaus muss aber auch die Wirtschaft versuchen, hier ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir wissen - Sie haben darauf hingewiesen -, dass es bereits solche kommunalen Bündnisse gibt - bundesweit sind es insgesamt 40 -, die die unterschiedlichsten Namen tragen und unterschiedlich konzeptioniert sind. Das ist noch zu wenig. Deshalb wollen wir dies ausbauen. Im Rahmen solcher Bündnisse - aber auch darüber hinaus - gibt es Initiativen. Ich nenne zum Beispiel die Initiativen von kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in einer Kommune eine bestimmte Zahl von Ganztagsplätzen für die Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und, wenn sie von ihnen nicht wahrgenommen werden, auch für die Kinder anderer Menschen in dieser Kommune bereitstellen. Ich möchte die Kommunen auch durch Beratung unterstützen. Das Servicebüro ist nicht kostenlos, sondern wird uns bis zum Jahr 2006 insgesamt 4 Millionen Euro kosten, ungefähr zur Hälfte durch den Europäischen Sozialfonds finanziert. Ich möchte aber eines nicht tun: Ich möchte dadurch nicht die Aufgabenstellung der unterschiedlichen Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik Deutschland verändern. Es gibt Bundeszuständigkeiten, Länderzuständigkeiten und kommunale Zuständigkeiten. Wir werden nicht versuchen, über lokale Bündnisse für Familie diese Zuständigkeiten in irgendeiner Art und Weise zu vermischen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, was Sie hier als sehr großen Erfolg verkaufen, ist ganz normale Ministeriumsarbeit. Ich möchte deshalb etwas anderes ansprechen. In Ministerien muss konzeptionell und ordnungspolitisch gedacht werden. Da Sie gesagt haben, dass mehr für die Familie und die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit getan werden muss, möchte ich Sie auf unser neues Steuerkonzept verweisen. Wir sind hier Trendsetter; denn wir fordern die Abschaffung der Steuerklasse V. ({0}) Jeder, der einmal in Steuerklasse V gearbeitet hat, weiß, dass diese Steuerklasse gestrichen werden muss. Davon würden Frauen profitieren. Ich würde mich freuen, wenn Sie uns da unterstützen könnten. Meine Frage: Wie sieht eigentlich das Konzept zur Betreuung der unter Dreijährigen aus? Sie haben versprochen, den Kommunen ab 2004 jährlich 1,5 Milliarden Euro dafür zu geben. Dies haben Sie auf 2005 verschoben. Ich habe heute bisher von Ihnen noch kein ordentliches Konzept für Kinderbetreuung gehört, zum Beispiel bei den Tagesmüttern. Sie wissen, dass in diesem Bereich sehr viel schwarzgearbeitet wird. Noch einmal: Wie genau ist Ihr Konzept zur Betreuung von Kindern unter drei Jahren? Wie wollen Sie da ordnungspolitisch und konzeptionell vorgehen?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Frau Lenke, ich bin gerne bereit, auch über die Frage der Steuerklasse V zu diskutieren. Ich glaube aber, dass dies weniger mit den lokalen Bündnissen zu tun hat. Über dieses Problem sollten wir uns einmal im Ausschuss unterhalten. Ich bin mit Ihnen einig, dass die Einkommensteuerklasse V für manche Frauen eine Benachteiligung darstellt. Das gilt insbesondere für diejenigen, die durchgängig erwerbstätig sind und nicht nur gelegentliche Aushilfstätigkeiten ausüben. Ich habe dem Finanzministerium vorgeschlagen, dies im Zusammenhang mit der Abschaffung der Lohnsteuerklassen insgesamt zu machen, die unmittelbar bevorsteht. Mit der Umstellung auf eine elektronische Bearbeitung können die Einkommen - je nach Größenordnung - entsprechend besteuert werden. In dieser schwierigen Angelegenheit stehen wir in engem Kontakt mit dem Finanzministerium. Zu Ihrer Frage, die nicht unmittelbar mit den lokalen Bündnissen für Familie zu tun hat: Ich habe Ihnen im Ausschuss angekündigt und wiederhole es hier, dass es im Jahr 2004 ein Gesetzgebungsverfahren zum Kinderund Jugendhilferecht in enger Abstimmung mit den Kommunen und den Ländern geben wird. Auch wenn dieses Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist, wollen wir ihre Zustimmung erreichen. Wir wollen dafür sorgen, dass in diesem Gesetz Qualität und Bildungsziele, wie sie in der Nationalen Qualitätsinitiative festgehalten sind, die Behandlung der Tagespflege sowie der Bedarf für die Betreuung der unter Dreijährigen so definiert werden, dass die Kommunen Spielräume haben, um sich auf den konkreten Bedarf vor Ort einzurichten. Wir werden aber sicherstellen, dass die 1,5 Milliarden Euro, die wir zur Verfügung stellen, für diesen Zweck ausgegeben werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Christel Humme.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, zunächst einmal herzlichen Dank für die Darstellung des Projekts „Lokale Bündnisse für Familie“. Sie haben uns gerade aufgefordert, dieses Projekt nach allen Kräften zu unterstützen. Ich denke, dies ist eine der kommenden Aufgaben der Abgeordneten. Von daher kann ich für uns sagen, dass wir dies mit Sicherheit tun werden. Ich glaube, das, was auch schon gesagt hat, ist richtig, nämlich dass es schon einige runde Tische und Aktivitäten gibt, aber nicht flächendeckend. Daher ist zu begrüßen, dass das Ministerium eine Servicestelle einrichten will, um die Aktivitäten, die vorhanden sind, zu unterstützen und weitere Aktivitäten zu entwickeln. Wir brauchen in der Tat in den Kommunen und vor Ort ein stärkeres Bewusstsein für Familie. Da haben wir noch eine Menge zu tun. Wenn Sie, Frau Ministerin, vielleicht einmal darstellen könnten, welche Vorteile - es geht darum, zu transportieren, welche Vorteile die Unternehmen und die Kommunen haben - dieses Projekt hat, wäre ich sehr dankbar.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Sehr geehrte Frau Humme, wir haben im letzten Jahr eine Vielzahl von Studien in Auftrag gegeben und die Ergebnisse vorstellen können. Die Studien erhärten die These, dass es Vorteile bringt, wenn wir zu einer besseren Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit beitragen. Das ist gut für die Kinder selbst, aber auch für die Volkswirtschaft insgesamt, insbesondere die Unternehmen und die Kommunen. Die DIW-Studie hat deutlich gemacht, dass der Ausbau der Kinderbetreuung einen volkswirtschaftlichen Vorteil auf allen Ebenen bedeutet. Nun mache ich mir keine Illusion. Das findet nicht nach dem Motto statt: Ich investiere und am nächsten Tag habe ich schon die Vorteile. Die Vorteile hat man erst mit einer gewissen Zeitverzögerung. Insgesamt wird aber deutlich, dass mehr Mütter erwerbstätig sein können, was sie in einem hohen Ausmaß wollen. Das bedeutet, dass sie unter Umständen von Sozialhilfeempfängerinnen zu Erwerbstätigen werden, Steuern und Sozialabgaben zahlen und dadurch die Sozialleistungen, die aufzuwenden sind, gemindert werden. Es wurde durch eine zweite Studie, die der Prognos AG bei mittelständischen Unternehmen, deutlich, dass die Kinderbetreuung und familienfreundliche Arbeitsbedingungen - dafür sind an erster Stelle die Unternehmen zuständig - betriebswirtschaftliche Vorteile bringen. Alle diese Studien sind in unserem Ministerium abrufbar. Ich nenne hier nur eine Zahl: Jeder eingesetzte Euro bringt eine Rendite von mindestens 25 Prozent. Wenn alle Investitionen in einem Unternehmen eine solche Rendite hätten, wären die Unternehmen wahrscheinlich sehr froh. Wir haben noch eine dritte Studie, nämlich die Studie von Herrn Rürup zur nachhaltigen Familienpolitik. Darin wurde noch einmal deutlich, welchen zentralen Stellenwert für unsere Volkswirtschaft, für unser Bruttosozialprodukt und unser wirtschaftliches Wachstum der Ausbau der Kinderbetreuung hat. Durch den zusammen mit den Arbeitgeberorganisationen durchgeführten Monitor Familienfreundlichkeit bei insgesamt 10 000 Unternehmen wurde deutlich, dass erstens in einem gewissen Ausmaß ein Umdenken stattfindet, aber zweitens in 70 Prozent der Unternehmen noch kein Problembewusstsein vorhanden ist. Das wissen wir jetzt alles. Ich konnte das nur schlaglichtartig beleuchten. Da uns Wissen allein nicht vorwärts bringt, müssen wir schauen, dass wir das Wissen konkret umsetzen. Dazu dienen gesetzliche Maßnahmen über diejenigen hinaus, die ich Frau Lenke genannt habe, nur in begrenztem Ausmaß. Wir haben den Anspruch auf Teilzeitarbeit und wir haben eine flexible Elternzeit. An gesetzlichen Maßnahmen wurde in diesem Zusammenhang nahezu alles getan. Trotzdem wird zu wenig umgesetzt. Zu dieser Umsetzung sollen die lokalen Bündnisse für Familie dienen. Ich sage noch einmal: Das würde auch zu unserer wirtschaftlichen Prosperität beitragen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich habe eine größere Zahl von Wortmeldungen. Wenn Sie sich bei den Fragen wie bei den Antworten kürzer fassen würden, könnten wir sie alle aufrufen. Denn wir haben jetzt nur noch 16 Minuten Zeit. Die nächste Frage hat die Kollegin Renate Gradistanac.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Familienministerin, ich freue mich sehr, dass Sie daraus eine Kampagne machen und die Diskussion vor Ort fördern wollen. Ich glaube, dass sich das von der letzten Kampagne entscheidet. Ich weiß, dass es einzelne Bündnisse gibt, allerdings sind sie, glaube ich, in BadenWürttemberg besonders spärlich. Sie sagen, dass 70 Prozent der Unternehmen keine entsprechende Sensibilität besitzen. Das trifft zumindest für Baden-Württemberg zu. Ich komme aus dem Schwarzwald. Dort haben die Unternehmen noch viel Nachholbedarf. Sie haben sich mit diesem Thema auch an die Wirtschaft herangewagt. Wie ich höre, sind Sie da sehr erfolgreich. Könnten Sie uns die Partner in der Wirtschaft und in der Gesellschaft nennen? Ich denke, dass Sie es geschafft haben, das Engagement in den lokalen Bündnissen vor Ort zu einer Verpflichtung zu machen. Mich interessiert besonders, ob auch Baden-Württemberg daran beteiligt ist.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Wir führen eine bundesweite Kampagne durch, die ich initiiert habe. Ich kann übrigens nicht bestätigen, dass sich in Baden-Württemberg flächendeckend nichts tut. Angefangen bei den Firmen Weleda und Rösch in Tübingen könnte ich Ihnen eine ganze Reihe von Unternehmen nennen, die dort bereits heute viel tun. Von der IHK Heilbronn-Franken ist mir bekannt, dass sie dazu beitragen will, diese Region zur familienfreundlichsten Region in Deutschland zu machen. Es freut mich, wenn solche Wettbewerbe zustande kommen. Für unser Kuratorium, das die lokalen Bündnisse für Familie begleitet, haben wir uns auf die Bundesrepräsentanz verständigt. Zu den Beteiligten gehören der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Herr Braun, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Herr Philipp, der Bundesvorsitzende des DGB, Michael Sommer, und die Hertie-Stiftung. Besonders wichtig ist mir, dass sehr viele Kommunalpolitiker und -politikerinnen beteiligt sind. Was BadenWürttemberg angeht, ist meines Wissens auch die Oberbürgermeisterin von Heidelberg, Frau Weber, vertreten. Ich betone aber noch einmal, dass es sich nicht ausschließlich um SPD-Oberbürgermeister und -bürgermeisterinnen handelt; ich habe vielmehr Wert darauf gelegt, dass die Beteiligung parteiübergreifend erfolgt. Denn ich möchte, dass sich alle Seiten daran beteiligen. Es sollte in der Tat ein Wettbewerb zustande kommen, aber dies im besten Sinne. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Rita Pawelski von der CDU/CSU-Fraktion.

Rita Pawelski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, die Bundesregierung hat schon vor Jahren mit den Wirtschaftsverbänden eine Vereinbarung getroffen mit dem Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Betrieben zu verbessern. Inwieweit beteiligt sich der Staat als Arbeitgeber an dieser Zielsetzung und inwieweit beteiligt sich der Staat als Arbeitgeber an den lokalen Bündnissen? Denn bei einem lokalen Bündnis zum Beispiel in Berlin, spielt der Staat als Arbeitgeber eine wichtige Rolle.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Es ist sicherlich richtig - deshalb lege ich auch Wert darauf -, dass sich vor Ort die Kommunen beteiligen und in den Bündnissen vertreten sein müssen. Wenn die Kommunen als staatliche Organe nicht vertreten sind, ist meiner Ansicht nach das gesamte Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Wenn die staatlichen Organe außen vor blieben, können sie nur Vorschläge machen, die aber sicherlich nicht umgesetzt würden. Ich glaube, dass sich alle gemeinsam in die Pflicht nehmen lassen müssen. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie danach gefragt, welchen Beitrag der Bund leistet. ({0}) In meinem Ministerium wie auch in anderen Ministerien sind viele Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Kindern und Erwerbstätigkeit, angefangen bei variablen und flexiblen Arbeitszeitsystemen bis hin zu besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten, in Angriff genommen worden. Ich hatte erst kürzlich mit einem strittigen Fall im Zusammenhang mit einem Betriebskindergarten in Bonn zu tun, den mein noch dort ansässiges Ministerium auch für andere Ministerien dort betreibt. Es gibt bereits eine ganze Reihe von Initiativen. Was mein Ministerium betrifft, können wir sicherlich sogar ein Stück weit als Vorbild dienen. Ob das allerdings für alle gleichermaßen zutrifft, wage ich zu bezweifeln. In diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Eine Aktion, wie wir sie durchführen wollen, kann hier zu einem besseren Drive führen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Ingrid Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich möchte Ihnen zunächst einmal für die gute Idee danken, die Betriebe, den Mittelstand und die Industrie in die Familienpolitik einzubeziehen, die übrigens seinerzeit schon von der Ministerin Nolte verfolgt wurde. Sie hat bereits in den 90er-Jahren Wettbewerbe wie die Wahl des familienfreundlichsten Betriebs ausgelobt. Frau Kollegin Gradistanac hätte sich besser informieren sollen: Diesen Wettbewerb haben baden-württembergische Betriebe gewonnen. Denn sie haben diese Idee auf wunderbare Weise aufgegriffen und deutlich gemacht, dass sich Familienfreundlichkeit für die Betriebe lohnt und rechnet. Frau Ministerin, Sie haben gegen Ende Ihrer Ausführungen gesagt, der Trend zur Familie soll ein Trend zu mehr Kindern werden; dieses würde familienfreundliches Handeln bedingen. Kann ich daraus ableiten, dass Sie zukünftig bei allen Gesetzgebungsverfahren, die auf Bundesebene erfolgen, eine Familienfreundlichkeitsprüfung durchführen werden?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Frau Kollegin, ob das eine formale Prüfung sein muss, stelle ich infrage. Aber dass mein Ministerium, das unter anderem für Familien und Kinder zuständig ist, die Gesetzentwürfe der Bundesregierung und des Parlaments daraufhin zu überprüfen hat, wie sie sich auf Kinder, Jugendliche und die Familien insgesamt auswirken, versteht sich in meinen Augen von selbst. Dazu fühle ich mich regelmäßig aufgefordert. Gerade im letzten Jahr hatten wir damit nicht gerade wenig Arbeit. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt die Kollegin Michaela Noll.

Michaela Tadjadod (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Ministerin, ich freue mich natürlich über das Engagement für lokale Bündnisse. Ich habe aber eine konkrete Frage. Wir alle wissen: „Ohne Moos nix los!“ Wir wissen außerdem, wie es in den Kommunen aussieht und dass es 40 000 Insolvenzen gibt. In der Pressemitteilung der Bundesregierung vom 8. Januar 2004 steht: „Sie bezuschusst die Ganztagsbetreuung von Kindern in Unternehmen.“ - Ich hätte gern dazu eine Auskunft, wie das in der Praxis aussehen soll; denn ohne eine entsprechende Finanzierung wird es relativ schwierig sein, die Unternehmen dazu zu bewegen, dass sie mehr Ganztagsbetreuung für Kinder anbieten.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Das stimmt nicht, Frau Kollegin. Es ist nicht daran gedacht, dass der Bund das Engagement einzelner Unternehmen bezuschusst. Ich bin aber sehr offen für Vorschläge - teilweise sind sie schon vorhanden, teilweise müssen sie noch verifiziert werden -, die dazu dienen, den Großbetrieben zu helfen, die beispielsweise wie MTU in München Kinderbetreuung in Eigenregie durchführen wollen - für kleine und mittlere Betriebe lohnt sich so etwas nicht - und die dabei feststellen, dass sie eine Vielzahl von bürokratischen Hindernissen zu überwinden haben. Wenn sich hier Notwendigkeiten für eine Gesetzesänderung ergeben, dann sind wir gerne bereit, diese in Angriff zu nehmen. Das Ganze hat sich aber noch nicht genügend erhärtet. Wir denken, wie gesagt, nicht an Zuschüsse durch den Bund. Ich sage noch einmal: Für Kinderbetreuung und deren Finanzierung gibt es eine verfassungsmäßig festgelegte Zuständigkeit. Diese liegt bei den Kommunen und nicht beim Bund. Dass wir dabei helfen, weil wir das für die Modernisierung unseres Landes für dringend notwendig halten, ist in meinen Augen schon außergewöhnlich. Aber vor dem Hintergrund, dass Deutschland in dieser Beziehung Schlusslicht in Europa ist, versteht sich das meines Erachtens von selbst. Deshalb werden wir das tun. Ich glaube, solche Anstöße wie die lokalen Bündnisse können dazu dienen, dass Unternehmen einsehen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, hier etwas zu tun. Ich betone noch einmal: Die Unternehmen, die selber Kinderbetreuungseinrichtungen betreiben, sagen, dass sich diese Investitionen für sie lohnten; denn unter dem Strich rechneten sich solche Investitionen dadurch, dass man an anderen Stellen einen Gewinn habe, zum Beispiel durch geringere Personalbeschaffungskosten und geringere Krankenstände.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Christoph Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben - wie ich meine: aus gutem Grund - die bedrückende Geburtenstatistik zum Ausgangspunkt Ihrer Ausführungen gemacht. Die negative Geburtenentwicklung hat den Nebeneffekt, dass Familien mit Kindern in unserer Bevölkerung immer mehr in eine Minderheitenposition geraten. Ich denke insbesondere an großstädtische Siedlungsgebiete, in denen das bereits gegenwärtig in gravierendem Maße der Fall ist. Dies hat zur Konsequenz, dass die Interessen von Familien mit Kindern im demokratischen Willensbildungsprozess eigentlich kaum noch angemessen wahrgenommen werden können, gerade wenn es um Interessenkonflikte geht, in deren Mittelpunkt Kinder stehen. Jedenfalls besteht die Gefahr, dass die Vertreter dieser Interessen überstimmt werden. Frau Ministerin, Sie wissen, dass sich Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses um eine Wahlrechtsänderung bemühen. Auch wenn ich diesen Weg für falsch halte, denke ich, dass das Problem wichtig ist. Deshalb frage ich Sie: Zeigen Sie mit Ihrer Initiative auch Wege auf, mit denen man die Mitwirkungsmöglichkeiten von Familien mit Kindern im demokratischen Willensbildungsprozess in den Regionen verstärken und verbessern kann?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Bergner, die lokalen Bündnisse sind genau ein solches Instrument. Vielleicht entwickeln sich daraus weitere Instrumente. Sie kennen meine Position zu dem von Ihnen erwähnten Antrag, der in das Parlament eingebracht worden ist. Sie wissen auch, dass das nicht die Position der Bundesregierung ist. Ich erhoffe mir aber allein durch eine breite Diskussion über eine eventuelle Änderung des Wahlrechtes Bewusstseinsveränderungen in der Gesellschaft, die dazu beitragen können, dass man Familien mehr einbezieht. Für mich ist ein lokales Bündnis für Familien erst dann vollständig, wenn die Familien selbst und ihre Vertretungen, also Elternbeiräte in Kindertagesstätten, in Schulen, Familienorganisationen, daran beteiligt sind. Diejenigen lokalen Bündnisse, die bisher erfolgreich waren, weisen genau das auf: Nicht nur die Fachleute, die Kinder- und Jugendhilfepolitiker und Vertreter von Kammern und Ähnlichem, reden dort miteinander, vielmehr werden die Familien einbezogen. Ich habe in meinem einführenden Referat gesagt, dass die Familien am besten wissen, wo sie der Schuh drückt. Es wäre in meinen Augen falsch, ihre Erfahrungen nicht einzubeziehen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wenn es keine Fragen außerhalb dieses Themenbereichs gibt, dann können wir die letzten fünf Minuten nutzen, um die vorliegenden Wortmeldungen abzuwickeln. - Das scheint der Fall zu sein. Der Kollege Klaus Haupt hat das Wort.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, ich begrüße ausdrücklich jede Initiative, die dazu beiträgt, dass Deutschland familien- und kinderfreundlicher wird. Ich glaube, wir sind uns einig: Familienfreundlichkeit und Kinderfreundlichkeit kann man nicht trennen; das eine bedingt das andere. Das zeigen auch einige Beispiele, die Sie hier angeführt haben. Eine kinderfreundliche Kommune ist einfach lebens- und liebenswerter. Ich habe bei den Initiatoren - Stichwort Wohnumfeld - einen Mangel festgestellt. Daraus resultiert meine Frage. Ich schließe damit an das an, wonach Herr Bergner gefragt hat. Es ging ihm um den Einfluss und die Mitentscheidungsrechte von Familien. Wir beide wissen, dass Kinder laut UNKinderrechtskonvention das Recht haben, bei allen Dingen, die sie betreffen - das umfasst auch das Wohnumfeld -, mitzubestimmen. Ich frage ganz konkret: Wie kann die Partizipation von Kindern - darüber wird auch in Ihrem Hause diskutiert - mit der von Ihnen vorgestellten Bewegung vernetzt und gekoppelt werden? Ich frage, weil ganz entscheidend sein wird, dass die betroffenen Kinder dort ein Mitspracherecht bekommen, wo sie mitentscheiden dürfen.

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Haupt, ich bedanke mich ausdrücklich für diese noch einmal geäußerte Anregung. Wir haben den lokalen Bündnissen natürlich nicht im Einzelnen vorgeschrieben, wie es abzulaufen hat. Ich habe in meinen Eingangsbemerkungen deutlich gemacht: Ich möchte, dass sich die unterschiedlichsten Formen und Strukturen etablieren. Das Servicebüro wird Anregungen wie die von Ihnen gerade gemachte in die lokalen Bündnisse einspeisen. Wir werden dort, wo das nicht geschieht, darauf aufmerksam machen, dass Kinder - auch nach der UN-Kinderrechtskonvention - das Recht haben, die sie betreffenden Angelegenheiten mitzugestalten. Wir werden dort, wo das nicht von selbst geschieht, den gebotenen Einfluss ausüben, um das umzusetzen, was Sie hier richtigerweise geäußert haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt der Kollege Andreas Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich mache eine Vorbemerkung, weil Sie gesagt haben, dass Sie im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe etwas erarbeiten wollen. Wenn Sie der Bundesratsinitiative, die momentan beraten wird, zustimmen würden, dann könnten wir uns diese Arbeit sparen, weil sie in enger Abstimmung mit der Praxis und den Kommunen - das hat die Anhörung gezeigt - entwickelt wurde. Zur Politik von Rot-Grün könnte man sagen: Für alles eine schöne Kampagne, aber wenig Taten. - So einfach möchte ich es mir jedoch nicht machen. Trotzdem müssen wir am Image arbeiten. Ich bedanke mich für diese Initiative. Wir wollen einmal sehen, welche Werbeagentur diese Kampagne durchführen soll! Wir werden auch auf die Evaluierungskosten, die bei dieser Kampagne anfallen, schauen, damit es nicht wieder eine Selbstbeschäftigung im eigenen Haus wird. ({0}) Wie teilen sich die Kosten für das Servicebüro Berlin in Höhe von 4 Millionen Euro - Sie haben diese Zahl genannt - auf? Sie haben vom Online-Handbuch „Lokale Bündnisse für Familie“ und von der Homepage dieser Initiative geredet. Können Sie das einmal genau aufschlüsseln? Für die Information wäre ich Ihnen dankbar. Wird ein zusätzliches Gebäude angemietet oder läuft das im Ministerium ab? Wie hat man sich das Servicebüro in operativer Hinsicht vorzustellen?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Das Servicebüro hat seinen Sitz in Bonn. Insgesamt ist ein Finanzvolumen von 4,231 Millionen Euro notwendig. Davon zahlt der Europäische Sozialfonds 2,001 Millionen Euro. Wir werden für das Online-Handbuch insgesamt 85 000 Euro ausgeben. Dem Deutschen Jugendinstitut, das das ganze Vorhaben begleitet und damit auch evaluiert, werden dafür insgesamt 296 000 Euro zur Verfügung gestellt werden. Die große Masse des Geldes geht also in die konkrete Beratung und Unterstützung der lokalen Initiativen. Wir haben weder irgendeine Werbeagentur noch sonst jemanden beauftragt, sondern wir wollen versuchen, das Projekt erfolgreich durchzuführen und möglichst viele solcher lokalen Bündnisse zu installieren. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit auch noch einmal auf das eingehen, was einige Ihrer Kolleginnen schon gesagt haben. Ja, es stimmt; so eine Idee ist natürlich schon da gewesen. Ich habe mich darüber gefreut. Man kann doch voneinander lernen. Es ist um Himmels willen nicht so, dass die Weisheit immer nur auf einer Seite des Hauses ist. Wenn etwas gut begonnen hat, aber leider Gottes irgendwo stecken geblieben ist - bundesweit sind es insgesamt nur, meine ich, 40 solcher Initiativen -, dann ist es in meinen Augen an der Zeit, weiterzuhelfen. Ich glaube, dass auf freiwilliger Basis manchmal Besseres entsteht als durch gesetzliche Vorschriften. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Zeit für die Befragung der Bundesregierung ist eigentlich abgelaufen. Mir liegen noch drei Wortmeldungen vor. Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich die noch auf; das ginge dann auf Kosten der Zeit für die Fragestunde. Aber die Zahl der Fragen ist heute ohnehin nicht so groß. - Dann verfahren wir so. Die nächste Frage hat der Kollege Thomas Dörflinger.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, um der Gefahr vorzubeugen, die der Kollege Scheuer eben beschrieben hat, nämlich dass das Ganze ein Selbstbefassungsprogramm für PR-Agenturen oder auch für Ihr Haus wird, ({0}) muss natürlich ein bisschen „Butter bei die Fische.“ Sie haben von einem Leitfaden für Pressearbeit gesprochen. In einem lokalen Bündnis für Familie, in dem professionelle Kräfte aus der öffentlichen Verwaltung und aus Unternehmen sitzen, braucht meines Erachtens niemand einen Leitfaden für Pressearbeit. Die Leute wissen, wie das geht. Sogar ein Privatmann kriegt es auf die Reihe, einen Zeitungsartikel zu schreiben oder ein Rundfunkinterview zu führen; ({1}) das wird ja ordentlich zusammengeschnitten. Mir geht es aber noch um etwas ganz anderes, was Sie eben auch angedeutet haben. Ist denn sichergestellt, dass, wenn sich aus diesen lokalen Bündnissen für Familie Handlungsbedarf ergibt, der über den eigentlichen Zuständigkeitsbereich der Kommunen deutlich hinausgeht, der politische Handlungsbedarf, der sich daraus beispielsweise auf der Bundesebene ergibt, nicht nur dokumentiert, sondern anschließend auch in die Tat umgesetzt wird? Beispiel: Es wird sich relativ schnell herausstellen, dass die Betreuungsfrage, die jetzt diskutiert wird, nicht allein durch die Schaffung von Ganztagseinrichtungen gelöst werden kann, weil zum Beispiel Kindergärten sowohl in Unternehmen als auch in der öffentlichen Verwaltung nur ab einer bestimmten Größe möglich sind. Alles das, was darunter liegt, beispielsweise im ländlichen Raum Gemeinden mit 1 000, 2 000 oder 3 000 Einwohnern, fällt durch den Rost. Ist also sichergestellt, dass das in der Weise evaluiert wird und anschließend auch die politischen Konsequenzen daraus gezogen werden?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Herr Kollege Dörflinger, es ist so, wie ich vorhin gesagt habe, nämlich dass wir das bis zum Jahr 2006 ausgelegt haben. Mein hohes Interesse richtet sich darauf, dann wirklich zu wissen: Erstens. Was hat sich auf der kommunalen Ebene tatsächlich getan? Das ist der eine wichtige Aspekt. Zweitens. Welchen Handlungsbedarf gibt es über die kommunale Ebene hinaus, wie Sie es gerade geschildert haben, auf anderen Ebenen - das können die Länder sein, das kann der Bund sein -, der erfüllt werden muss, um Verbesserungen für Familien zu erreichen? Daraus müssen dann die Konsequenzen gezogen werden. Ich bitte um Verständnis dafür, dass das am Ende und nicht am Anfang geschieht. Wir fangen ja gerade erst mit diesen lokalen Bündnissen an. Sie haben außerdem gesagt, dass ich von einem Leitfaden für Pressearbeit gesprochen hätte. Das haben Sie wahrscheinlich falsch verstanden; vielleicht habe ich mich auch versprochen. Ich habe jedenfalls gemeint: Wenn es vor Ort gewünscht wird, werden wir unter Umständen auch bei der Presse- und Medienarbeit helfen. Ich möchte mit diesem Büro vor allem auf die Bedürfnisse der Kommunen und dieser lokalen Bündnisse abstellen und ihnen nichts vorschreiben. Nur wenn wir so verfahren, wird etwas Vernünftiges daraus. ({0}) Deshalb ist es nicht geplant, einen Leitfaden für Pressearbeit zu erstellen, vielmehr wird es ein Handbuch für Unternehmen geben, in dem dargestellt wird, wie familienfreundliche Unternehmenspolitik gemacht werden kann. Das wird gemeinsam mit der IHK erarbeitet; wir befinden uns da im Moment kurz vor dem Abschluss und werden es Ihnen dann auch zur Verfügung stellen. Ich glaube, daraus kann dann wirklich etwas Vernünftiges werden. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Hannelore Roedel.

Hannelore Roedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben in einer Ihrer Presseerklärungen bemerkt, dass es Ihnen gelungen sei, die Wirtschaft miteinzubeziehen; im gleichen Atemzug haben Sie die Schuld für das familienfeindliche Klima in unserem Land eindeutig der Wirtschaft zugewiesen. Das liegt mir schriftlich vor. Sie können es ja klarstellen, wenn Sie es anders sehen. Ist es nicht eher so, dass es die falsche Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung den Unternehmen unmöglich macht, irgendwo Geld locker zu machen, das nötig wäre, um für familienfreundlichere Regelungen zu sorgen? Sehen Sie es nicht auch so, dass Frauen keine Motivation haben, Kinder zu bekommen, weil sie nicht wissen, wie es später mit der Rückkehr in den erlernten Beruf aussieht, sie also um ihren Arbeitsplatz fürchten?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Es gibt - das betone ich ausdrücklich - keine familienfeindliche Wirtschaft. Ich habe wirklich sehr engen Kontakt und gutes Einvernehmen sowohl mit den Präsidenten des BDA, des BDI, des DIHK als auch des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks. Wir führen kontinuierliche Arbeitsgespräche und unterstützen uns gegenseitig. Herr Hundt und ich haben gemeinsam - er war bei dieser Pressekonferenz dabei - den Monitor Familienfreundlichkeit vorgestellt. Erstmals werden 10 000 Wirtschaftsunternehmen anhand eines Fragebogens mit über 40 Fragen gefragt, wie sie es mit der Familienfreundlichkeit halten, wo sie Hinderungsgründe sehen usw. Ihr Zitat bezieht sich wahrscheinlich darauf, dass sich zwar auf der einen Seite eine zunehmende Zahl von Unternehmen Gedanken über familienfreundliche Arbeitszeiten macht, aber bei immerhin rund 70 Prozent der Unternehmen - darauf dürfte sich wahrscheinlich das Zitat beziehen; das hat nichts mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation zu tun - kein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass es auch ihre Aufgabe ist, Familienpolitik zu betreiben. Herr Hundt und ich sehen unsere gemeinsame Aufgabe darin, dieses Bewusstsein zu wecken. Dazu tragen auch die lokalen Bündnisse bei. Wir werden den Familienmonitor gemeinsam fortschreiben und in regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Jahren vorlegen, damit wir erkennen, ob sich in diesem Bereich etwas geändert hat. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die letzte Frage hat die Kollegin Kerstin Griese.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen über die lokalen Bündnisse für Familie. Ich bin immer noch ganz erschüttert, dass der Kollege Scheuer meint, mit dem Streichen der Hilfen für seelisch behinderte Jugendliche, Kinder und junge Erwachsene könne man mehr Kinder- und Familienfreundlichkeit erreichen. Unsere Anhörung hat ja das Gegenteil bewiesen. ({0}) Eine Frage an Sie, Frau Ministerin, zu den lokalen Bündnissen. Ich finde es gut - das ist ja auch gut gelungen -, dass Sie auf breiter Grundlage eingeladen und verschiedene Träger wie die Kammern, die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände einbezogen haben. Der Kollege Tauss ruft dann ja immer von hinten, dass es sich hierbei auch um ein Männerthema handele. Auch das ist richtig, sie müssen bei den lokalen Bündnissen für Familie mitmachen. Deshalb beglückwünsche ich Sie zunächst zu dem guten Auftakt und frage: Wie geht es weiter? Was haben Sie vor? Was sind die weiteren Schritte nach diesem Auftakt? Wir alle hoffen und werden sicherlich gerne dazu beitragen, dass möglichst viele solcher lokalen Bündnisse gegründet werden. Was planen Sie also, um dem noch weiteren Nachdruck zu verleihen?

Renate Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002016

Jetzt müssen natürlich erst einmal weitere entstehen. Wir werden außerdem mit der geplanten Handreichung den Unternehmen - das habe ich ja gerade gesagt Wege aufzeigen, wie sie eine familienfreundliche Unternehmenspolitik gestalten können, und ihnen Antwort auf die Frage geben, was eigentlich dazu gehört. Am 11. Mai 2004, also noch in der ersten Hälfte dieses Jahres, wird in der Dortmunder Westfalen-Halle eine Fachtagung stattfinden, auf der positive Beispiele für Bündnisse, die es bis dahin gibt, aufgezeigt werden. Das Interesse daran ist, wie sich jetzt schon abzeichnet, groß. Das wird hoffentlich dazu führen, dass manche Kommunalvertreter - und ich hoffe, auch manche Abgeordnete ihren Stadtrat, ihre Gemeindegremien fragen: Warum haben wir eigentlich so etwas noch nicht? Warum macht nicht auch ihr das? Ich habe die Vorstellung, dass das einen Schneeballeffekt bewirken wird, dass sich weitere etablieren werden, auch über das Jahr 2006 hinaus. Wir beabsichtigen nicht, das ad infinitum weiterzuführen, sondern hoffen, dass sich dann andere in diesem Bereich von selber etablieren. Außerdem haben uns die Bertelsmann- und die Hertie-Stiftung, die beide daran beteiligt sind, zugesagt, sich auch über das Jahr 2006 hinaus zu engagieren. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Bundesministerin, für Ihre Bereitschaft zu einer ausführlichen Antwort. Die Befragung der Bundesregierung ist damit beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 15/2317 Die Fragestunde beginnt diesmal mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 1 des Kollegen Helmut Lamp: Wie ist zu erklären, dass einerseits der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung Klaus-Günther Biederbick in einer Mitteilung vom November 2003 zum Konzept zur Neuordnung der ortsfesten logistischen Einrichtungen, OLE, den Personalstärkeabbau mit 31 Bundeswehrangehörigen und 186 Zivilbediensteten des Marinedepots 1 Laboe bekannt gegeben hat, dass mir andererseits aber bei einem Informationsbesuch vor Ort die heutige Personalstärke mit insgesamt deutlich weniger als 200 Personen mitgeteilt wurde, und trifft es weiterhin zu, dass entgegen der in der oben bezeichneten Mitteilung dargestellten „signifikanten Reduzierung“ damit eine „moderate Anpassung“ beabsichtigt ist?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Lamp, die Personalzahlen des Marinemunitionsdepots 1 in Laboe beruhen auf der zurzeit gültigen Stärke- und Ausrüstungsnachweisung, der so genannten STAN, von circa 290 Dienstposten. Dies muss nicht der aktuellen Tagesdienststärke im Depot entsprechen. Für die Zielstruktur waren zunächst die Planzahlen für die jeweiligen Stärken in der zukünftigen Depotorganisation gesetzt worden. Nachdem über das Konzept zur Neuordnung der ortsfesten logistischen Einrichtungen der Streitkräfte entschieden ist, wird nunmehr der endgültige Personalumfang des Marinemunitionsdepots erarbeitet. Sie können allerdings davon ausgehen, dass die derzeitige Planzahl für Laboe von 70 militärischen und zivilen Dienstposten, einschließlich der Feuerwehr, einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad an Genauigkeit hat. Dies bedeutet, bezogen auf die bis jetzt gültige STAN, nach derzeitigen Planungen einen Abbau von circa 220 Dienstposten. Damit handelt es sich nach unserer Definition um eine signifikante Reduzierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfragen, Kollege Lamp?

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Mitteilung aus dem Verteidigungsministerium, die auch in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, musste so verstanden werden, dass das Verteidigungsministerium im Munitionsdepot Laboe 220 Arbeitsplätze abbauen wollte, obwohl dort nur 185 Leute beschäftigt sind. Das hat in der Region zu großer Verwirrung geführt. Erst im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Grundlagen für die Berechnung aus der Vergangenheit stammten. Können für die zukünftigen Planungen der Bundeswehr insgesamt solche missverständlichen Äußerungen, die in einzelnen Regionen zur großer Aufregung führen können, ausgeschlossen werden?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege, wenn ich das ausschließen wollte, dann würde ich die menschlichen Schwächen nicht berücksichtigen. So etwas kann immer einmal passieren. In diesem konkreten Fall ist es so, dass die Iststärke, die Sie bei Ihrem Besuch vor Ort angetroffen haben, nicht mit der Sollzahl in Höhe von circa 290 Dienstposten, die wir zugrunde gelegt hatten, übereinstimmt. Krankheitsfälle und Abwesenheit durch Urlaub werden in diese Zahl nicht einbezogen und dadurch entsteht eine solche Differenz. Tatsache ist, dass nach der endgültigen Ausplanung 70 Dienstposten verbleiben werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Frage 2 des Kollegen Lamp: Welche konkreten Planungen hat die Bundesregierung zur mittelfristigen - bis zum Jahr 2020 - Verwendung und zum weiteren Ausbau des Marinedepots 1 Laboe?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Lieber Herr Kollege Lamp, das Marinemunitionsdepot 1 in Laboe wird zum 1. April 2004 in „Munitionsdepot Laboe“ umbenannt und mit einer neuen Stärke- und Ausrüstungsnachweisung in eine neue Organisationsstruktur umgegliedert. Zum gleichen Zeitpunkt werden dem Munitionsdepot Laboe die Munitionslager Boostedt, Enge-Sande, Kropp, Süderlügum und Löwen-stedt unterstellt. Hauptauftrag wird zukünftig die Lagerung und Instandhaltung von marineeigentümlicher Munition und die Auf- und Abmunitionierung von schwimmenden Einheiten sein. Darüber hinausgehende Aussagen bis zum Jahre 2020 sind nicht möglich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Keine Zusatzfrage? - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Peter Weiß ({0}) auf: Welche Auswirkungen wird nach Erkenntnissen der Bundesregierung die im Rahmen der von der Europäischen Kommission vorgelegten Europäischen Wachstumsinitiative - KOM({1}) 690 endgültig - zur Stärkung der Transeuropäischen Verkehrsnetze vorgesehene Baumaßnahme der Schienenverbindung Dijon-Mulhouse-Müllheim auf das zu erwartende Schienenverkehrsaufkommen auf der Rheintalbahnstrecke zwischen Basel und Karlsruhe haben?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Weiß, belastbare Aussagen zur Veränderung des zu erwartenden Schienenverkehrsaufkommens auf der Eisenbahnstrecke zwischen Basel und Karlsruhe durch den Bau der Strecke Dijon-Mulhouse-Müllheim sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, da diese entscheidend vom bisher nicht bekannten künftigen Betriebskonzept der beteiligten Bahnen, also der Société Nationale des Chemins de Fer Français und der Deutschen Bahn AG, abhängen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Großmann, da Sie wissen, dass für die derzeit laufenden Planungen für das dritte und vierte Gleis der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel die Frage der Belastung dieser neuen Gleiskörper eine große Rolle spielt, möchte ich Sie fragen: Halten Sie es unter diesen Umständen nicht doch für gerechtfertigt und notwendig, dass im Rahmen dieser Planungen untersucht wird, wie sich das Vorhaben „Transeuropäische Netze“, das auf EU-Ebene verabredet worden ist, auf diese Strecke auswirkt? Damit könnte man den Planern, aber vor allen Dingen auch den betroffenen Städten und Gemeinden sowie den Bürgerinnen und Bürgern eine einigermaßen verlässliche Perspektive geben, sodass sie wissen, was auf sie zukommt. ({0})

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Weiß, diese verlässliche Perspektive ist ja vorhanden. Das Verfahren ist normalerweise so, dass sich zunächst einmal die Regierungen dazu bereit erklären, Investitionen in die Schieneninfrastruktur zu leisten. Die betroffenen Unternehmen - im Falle der SNCF handelt es sich um ein staatliches Unternehmen und im Falle der DB AG handelt es sich um ein privatisiertes Unternehmen - müssen dann Kriterien aufstellen. Zurzeit wird in Frankreich das öffentliche Interesse am Bau des Ostastes für den TGV Rhein-Rhone ermittelt. Nach dem, was wir von den französischen Freunden hören, soll das Projekt im Jahre 2006 begonnen werden. Mit einer Fertigstellung ist im Jahre 2012 zu rechnen. Sie wissen, wie lang die Vorlaufzeiten sind. Wenn der TGV-Verkehr aufgenommen wird, kommt es - das wissen auch Sie; das ist von anderen TGV-Strecken bekannt - nur zu einer überschaubaren Zahl von neuen Verbindungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach der Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, Herrn Mehdorn, wird die DB AG aufgrund der mangelhaften Mittelzuweisung durch den Bund frühestens ab dem Jahre 2008 in der Lage sein, die Ausbaumaßnahmen auf der Rheinstrecke zwischen Karlsruhe und Basel in Angriff zu nehmen. Ist es richtig, dass daher auch für den Planungsprozess eine Verzögerung wahrscheinlich ist? Es könnte also möglich sein, dass die nach Ihrer Aussage noch zu erhebenden und zu bewertenden Zahlen in das Planverfahren zum Ausbau des dritten und vierten Gleises einbezogen werden.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Weiß, Sie haben gestern eine entsprechende Frage schriftlich eingereicht. Wir geben uns im Ministerium große Mühe, diese Fragen fundiert zu beantworten. Ich glaube, dass das, was ich Ihnen gerade gesagt habe, zutrifft, nämlich dass wir bei der TGV-Strecke Rhein-Rhone eine sehr lange Vorlaufzeit haben werden. Wenn diese Strecke in Betrieb sein wird, wird die Zahl der neuen Verbindungen nur sehr begrenzt sein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - das sind die Fragen 4 und 5 - sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung. Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Wie unterscheidet sich nach Ansicht der Bundesregierung eine geplante Eliteuniversität von einer bereits heute bestehenden Hochschule?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Kretschmer, Ihre Frage nach dem Unterschied zwischen Eliteuniversitäten und den bereits heute bestehenden Hochschulen will ich wie folgt beantworten: Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen erbringen auch heute überall in Deutschland in vielen Disziplinen exzellente Leistungen in Wissenschaft und Forschung. Aus Sicht der Bundesregierung müssen wir auf diese Leistungen aufbauen, damit unsere Hochschulen mit ihren Spitzenleistungen künftig mit Universitäten wie Harvard, Stanford, Oxford oder Cambridge Schritt halten können. Solche Spitzenleistungen können nur im Wettbewerb der stärksten Einrichtungen entstehen. Die Hochschulen brauchen dafür eine entsprechende Ausstattung und leistungsfördernde Rahmenbedingungen. Elite misst sich am Output; sie entsteht nur durch Leistung. Der Maßstab ist eindeutig: Weltspitze in der Forschung. In der Ausbildung muss eine solche Spitzeneinrichtung in der Lage sein, Spitzennachwuchskräfte aus dem Ausland anzuziehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage? - Bitte schön.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben die Ihrer Meinung nach mangelhaften Rahmenbedingungen und Ausstattungen der Universitäten angesprochen und haben ausgeführt, dass das bei Eliteuniversitäten anders sein soll. Ich hätte die Frage: Welche Rahmenbedingungen müssen nach Ihrer Vorstellung geändert werden und warum gilt dies nur für Eliteuniversitäten?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Kretschmer, ich habe nicht gesagt, dass veränderte Rahmenbedingungen nur für Eliteuniversitäten gelten sollen. Wir wollen vielmehr den Wettbewerb zwischen den Universitäten, den Hochschulen, verstärken. Dazu gehört es, dass sich die Rahmenbedingungen aller Universitäten ändern. Was das im Einzelnen bedeutet, darüber muss mit den Ländern diskutiert werden, die in dieser Frage eine wichtige Entscheidungskompetenz haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte noch einmal nachfragen, Herr Staatssekretär: Es gibt eine ganze Reihe von Rahmenbedingungen, die Sie als Bund selbst ändern können. Dieses Thema ist sehr hochgekocht worden; Sie selbst haben sich daran beteiligt. Daher können Sie uns vielleicht sagen, welche Rahmenbedingungen vonseiten des Bundes Ihrer Meinung nach umgehend geändert werden sollten.

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Wir stehen im Moment ganz am Anfang der Debatte über die Weiterentwicklung unserer Universitätslandschaft. Diese Debatte muss gemeinsam mit den Ländern geführt werden. ({0}) In den letzten Tagen ist deutlich gemacht worden, dass die Universitäten mehr Flexibilität und mehr Spielräume für eigenständige Entscheidungen brauchen. Dazu gehört eine leistungsbezogene Vergütung, für die ja in der Bundesrahmengesetzgebung Voraussetzungen geschaffen worden sind. Ich hoffe, dass dies in möglichst vielen Bundesländern aufgegriffen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich habe dazu eine ganze Reihe von Wortmeldungen. - Zunächst der Kollege Dr. Christoph Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Kollege Kretschmer hat nach den Rahmenbedingungen gefragt. Ich möchte mich über die Berücksichtigung der Ausgangsbedingungen im Rahmen des Projektes „Eliteuniversität“ erkundigen, wozu meines Erachtens bisher überhaupt keine Auskunft gegeben wurde. Sie wissen, wir haben in Deutschland erstens eine Eliteförderung durch die Wissenschaftsorganisationen Max-Planck-Institut und Deutsche Forschungsgemeinschaft. Sie wissen, wir haben zweitens ein funktional differenziertes Hochschulwesen, das aus Fachhochschulen und Universitäten besteht. Sie kennen drittens die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Berufsfreiheit gemäß Art. 12 des Grundgesetzes, nach der der Hochschulzugang prinzipiell offen gehalten werden muss. Ich möchte Sie fragen: Wie sind diese drei Gesichtspunkte bei der Idee der Schaffung von Eliteuniversitäten und der entsprechenden Konzeption berücksichtigt worden?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, es gibt bisher keine fertigen Konzeptionen. Wir haben vielmehr einen Diskussionsprozess darüber begonnen, wie wir die Rahmenbedingungen der Hochschulen so weiterentwickeln, dass mehr Wettbewerb entstehen kann und beispielsweise eine stärker leistungsbezogene Vergütung möglich ist. Letztendlich wird nur in Zusammenarbeit mit den Ländern zu entscheiden sein, wie sich die Rahmenbedingungen konkret weiterentwickeln lassen. Deshalb halte ich es für falsch, von vornherein Festlegungen zu treffen, ohne dass über diese Fragen mit den Ländern ausreichend diskutiert worden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Axel Fischer.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, Sie stünden am Anfang der Debatte. Dafür, dass Sie am Anfang der Debatte stehen, haben Sie - so muss ich feststellen schon sehr viel Wind im Zusammenhang mit diesem Thema gemacht. Man hat fast den Eindruck, es gehe eigentlich gar nicht um Elitehochschulen in Deutschland, sondern mehr darum, mit welchem Thema man von der aktuellen katastrophalen Lage ablenken kann, wie man die Reform der Bundeswehr, über die diskutiert wird, und die Steuerpolitik zur Seite schieben kann, wie man im Prinzip von den wichtigen Themen ({0}) - genau, zum Beispiel von der Arbeitslosigkeit; man könnte beliebig viele Punkte nennen; das will ich aber nicht; ich will vielmehr eine konkrete Frage stellen ({1}) ablenken kann. Man hat den Eindruck, dass es vor allem ein Versuchsballon ist. Aber ich versuche trotzdem, eine Frage zu stellen. Vielleicht haben Sie zu dem einen oder anderen Punkt doch eine Idee oder können bereits mitteilen, wie Sie sich das vorstellen. Zum einen möchte ich wissen, welchen Einfluss staatliche Behörden dann auf die Auswahl der Studierenden haben sollen und ob das überhaupt geplant ist. Zum zweiten möchte ich wissen, wie Sie in diesem Zusammenhang über Studiengebühren denken.

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Zunächst einmal zur Debatte: Wer sie in den letzten Tagen aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass es eine ganze Menge wichtiger Stimmen aus der Wissenschaft gibt, die sagen: Wir brauchen eine Diskussion über mehr Spitzenleistung und mehr Spitzenuniversitäten und deren Entwicklung in Deutschland. Wir haben ein starkes Wissenschaftssystem, aber wir müssen es weiterentwickeln. Gerade in der Spitze müssen wir mehr Sichtbarkeit erzeugen. Deshalb ist es eine notwendige Debatte. Ich verstehe nicht, warum man etwas Falsches daran finden kann, wenn wir in diesem Land darüber reden, wie wir mehr Spitzenqualität erzeugen können. Das ist auch für unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit notwendig. ({0}) Zur Auswahl der Studierenden will ich Ihnen sagen, dass wir seit einiger Zeit in Gesprächen mit den Ländern sind, um eine Regelung zu finden, wie die Universitäten in Zukunft ihre Studierenden vermehrt selbst aussuchen können. Ich glaube, dass auch das eine notwendige Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Hochschulsystems ist. Zur Gebührenfrage gibt es eine gesetzliche Regelung im Hochschulrahmengesetz. Dazu gibt es keine neue Auffassung im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, als der Abgeordnete des Wahlkreises Heidelberg, der schon mit einer Eliteuniversität hinreichend ausgestattet ist, freue ich mich, dass die deutsche Sozialdemokratie mittlerweile erkannt hat, dass wir auch außerhalb des Spitzensportes Spitzenleistungen in Wirtschaft und Wissenschaft benötigen. Insofern ist dies ein Lob von mir dafür, dass diese Erkenntnis gewonnen wurde. Aufgrund Ihrer Antworten habe ich allerdings das Gefühl, dass Sie noch gar nicht so genau wissen, was Sie machen wollen. Sie haben richtig festgestellt: Elite bildet sich durch Wettbewerb. Das heißt, die Politik kann Elite nicht verordnen. Wettbewerb bildet sich aber auch nur durch Freiheit der Bildungseinrichtungen und durch Freiheit der Studierenden. Deswegen frage ich ganz konkret: Sind Sie bereit, die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze als Studentenlandverschickung abzuschaffen, den Universitäten das Recht auf freie Auswahl ihrer Studierenden zu geben und auf der anderen Seite den Studierenden das Recht auf freie Auswahl ihrer Hochschule? Sind Sie bereit anzuerkennen, dass die Hochschulen dann, wenn sie diese Elitebildung im Wettbewerb mit anderen Einrichtungen erreichen wollen, die Freiheit haben müssen, im Wettbewerb mit anderen Einrichtungen auch ihre Gebührenstrukturen so zu organisieren, wie es für richtig gehalten wird? Zu Deutsch: Zum Beispiel sollte im Rahmen nachlaufender Studiengebühren, wenn jemand aufgrund einer hervorragenden Qualifikation auch ein hervorragendes Gehalt bezieht, die Bildungseinrichtung, die diese Qualifikation vermittelt hat, mit einem Rückfluss von Geldern versehen werden.

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, das war gleich ein ganzes Bündel von Fragen. Ich will Ihnen insofern eine Antwort geben, als ich sage: Sie haben Recht, wir brauchen mehr Entscheidungsfreiheit der Hochschulen. Was die Entwicklung von Spitzenuniversitäten angeht, habe ich eingangs deutlich gemacht, dass wir schon über eine ganze Reihe von Spitzenleistungen in Deutschland verfügen. Aber es ist auch klar, dass wir in den internationalen Rankings mit unseren Hochschulen bisher keine entsprechende Rolle spielen. Deshalb müssen wir unser Leistungspotenzial weiterentwickeln. Dazu gehört für mich die bessere Zusammenarbeit von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. In diesem Bereich müssen wir organisationsübergreifend zu besserer Zusammenarbeit in der Wissenschafts- und Forschungslandschaft kommen. Mein Eindruck ist, dass wir jetzt das Gespräch mit den Ländern brauchen, um die Rahmenbedingungen gemeinsam genau zu beschreiben. Diese kann und will der Bund nicht allein festlegen. Die Hochschulen fallen zu einem erheblichen Teil in die Kompetenz der Länder. Deshalb wird es ohne die Länder nicht gehen. Ich will Ihnen auch Recht geben in der Aussage: Politik kann nicht darüber entscheiden, was Spitzenleistung oder Elite ist. Das muss sich im Wettbewerb herausbilden. - Für diesen Wettbewerb wollen wir sorgen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Jens Spahn. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nach dem, was Sie gerade zu der einen oder anderen Bestimmung des Hochschulrahmengesetzes gesagt haben, könnte man sich fragen, warum es denn eigentlich eines auf Bundesebene gibt, wenn doch immer alles in Länderhand liegt. Meine Frage: Welches Betreuungsverhältnis zwischen Studenten und Lehrern an Hochschulen gibt es heute und welches Betreuungsverhältnis ist angedacht? Es muss wohl ein anderes angedacht sein, sonst bräuchten wir die ganze Debatte nicht. Wie wollen Sie Ihre Pläne vor den vielen Tausend Studenten rechtfertigen, die an den bereits bestehenden Hochschulen eingeschrieben sind?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, Sie wissen wahrscheinlich genauso gut wie ich, dass das Betreuungsverhältnis von Hochschule zu Hochschule, aber auch von Fach zu Fach sehr unterschiedlich ist. Ich glaube, dass wir auch daran arbeiten müssen, im Durchschnitt ein besseres Betreuungsverhältnis zu bekommen. Die jetzt stattfindenden Studierendenproteste haben einen ganz realen Hintergrund, nämlich dass die Studienbedingungen nicht in allen Fällen als ausreichend empfunden werden, weil es in verschiedenen Einrichtungen an entsprechend guten Betreuungsrelationen fehlt. Deshalb halte ich es für notwendig, an dieser Stelle den Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu verstärken, damit auf diesem Wege insgesamt bessere Studienbedingungen entstehen. Spitze entwickelt sich dann aus diesem Wettbewerb. Ich bin sicher, dass von diesem Wettbewerb, der dann entsteht, alle Hochschulen etwas haben werden, weil sie sich in diesem Wettbewerb weiterentwickeln können.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Uwe Schummer.

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der chronischen Unterfinanzierung unserer Hochschulen und dem Vergleich mit den USA, wo für jeden Studenten aus öffentlichen und privaten Mitteln bis zu fünfmal mehr Geld ausgegeben wird als in Deutschland und in der Europäischen Union, frage ich Sie: Sehen Sie einen direkten Zusammenhang zwischen der Zahl der Stipendiaten und den Studiengebühren in den USA sowie der verbesserten Selbstfinanzierung, die dort entsprechend organisiert ist? Wären Sie auch bereit, im Zusammenhang mit der Schaffung von Eliteuniversitäten das Verbot der Erhebung von Studiengebühren in Deutschland aufzuheben? ({0})

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, Sie haben die Situation in den USA angesprochen. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass der Anteil der Studiengebühren an der Gesamtfinanzierung der Hochschulen dort sehr unterschiedlich hoch ist. Bei einer ganzen Reihe von Hochschulen spielen die Gebühren bei der Gesamtfinanzierung der Hochschulen eine eher untergeordnete Rolle. Ich sage hier noch einmal: Es gibt zu Studiengebühren eine Regelung im Hochschulrahmengesetz und die Position unseres Ministeriums dazu hat sich nicht geändert. Wir sind der Auffassung, dass wir mehr Geld für das Wissenschafts- und Forschungssystem in Deutschland brauchen. In Weimar ist die Zielstellung klar beschrieben worden, nämlich im Laufe dieses Jahrzehnts dazu zu kommen, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bereiche Forschung und Entwicklung zu lenken. Das ist eine Herausforderung für die öffentliche Hand, aber auch für die Industrie, die auch heute zwei Drittel dieser Ausgaben trägt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Niebel, ich will jetzt nicht lokalpatriotisch auf die Spitzenuniversität Karlsruhe zu sprechen kommen, nachdem Sie Heidelberg angesprochen haben. ({0}) Ich will aber immerhin meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass die Innovationsoffensive der Bundesregierung und der Koalition bei Ihnen so viel Kreativität und Interesse auslöst. Ich würde mich freuen, wenn Sie dort, wo Sie mitregieren, mitziehen und die Rahmenbedingungen verbessern würden. Das wäre sicherlich sinnvoll. Eines aber - darauf bezieht sich meine Frage - erfüllt mich gerade unter diesem Gesichtspunkt mit großer Sorge, gerade wenn ich in den Süden zu den so genannten reichen Bundesländern schaue: Herr Staatssekretär, wir sind uns sicher darüber einig, dass der bayerische Weg, an den Hochschulen und Universitäten nach der Rasenmähermethode in der Breite massiv Geld einzusparen und dies in wenige Spitzenförderungen zu stecken, nichts mit dem zu tun hat, was wir wollen, ({1}) nämlich tatsächlich zu einer Verbesserung in der Breite zu kommen und dadurch auch mehr Spitze zu gewinnen. Das muss der deutsche Weg sein. Stimmen Sie mir da zu? ({2})

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Tauss, ich gebe Ihnen in dieser Frage Recht. Es kann nicht nur darum gehen, die Spitze stärker zu fördern. Wir brauchen insgesamt mehr Mittel für das Hochschulsystem. Das ist auch in den vielen Auseinandersetzungen der letzten Wochen deutlich geworden. Spitzenforschung braucht übrigens auch in der Breite eine gute Fundierung, damit sie sich weiterentwickeln und aus einem möglichst großen Reservoir schöpfen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Andreas Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in der Geschichte war der Begriff „Elite“ im Weltbild von SPD und Bündnis 90/Die Grünen immer ein Pfuiwort. Daher wundert mich jetzt dieser Schwenk. Ihre Äußerungen zeigen mir, dass man aufseiten der Bundesregierung vielleicht erst hätte nachdenken und dann den Begriff kreieren bzw. reden sollen. Meine Frage lautet: Ist vor der Erstellung dieses Konzeptes bzw. der Wahl dieses Begriffes - denn von einem „Konzept“ kann man bei dem, was Sie uns hier sagen, eigentlich nicht reden; daher möchte ich nur von der Klärung des Begriffes sprechen - eine Analyse der großen Finanzbudgets von US-Eliteuniversitäten wie Harvard durchgeführt worden? Hat die Bundesregierung Vorstellungen davon, welches Finanzbudget eine Eliteuniversität braucht? ({0})

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, natürlich kennen wir die Finanzdaten von Spitzenuniversitäten, auch die von Harvard, Stanford oder anderen Universitäten. Ich will hier deutlich machen: Unser Weg ist nicht einfach eine Kopie dessen, was in anderen Staaten gemacht worden ist. Wir wollen vielmehr die Bedingungen für die Hochschulen so verändern, dass sich hier stärker Spitzenleistungen herauskristallisieren und dass sich einzelne Hochschulen zu solchen Spitzenuniversitäten weiterentwickeln können. Das halte ich für den richtigen Weg. An dieser Stelle brauchen wir mehr Sichtbarkeit, auch um international die besten Köpfe anwerben zu können. Das brauchen wir nicht nur für unsere weitere wissenschaftliche, sondern auch für unsere wirtschaftliche Entwicklung. ({0}) Deshalb ist es gut, dass wir diese Diskussion jetzt führen. Herr Kollege, was den Elitebegriff angeht, möchte ich Ihnen nur sagen, dass sich die Mitglieder der SPD und wahrscheinlich auch die der Grünen schon immer auch als Elite empfunden haben. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat der Kollege Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, dieses Empfinden will ich gar nicht infrage stellen. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit es mit der Realität übereinstimmt. Aber auch das ist ein anderes Thema. In Ihrer vorletzten Antwort haben Sie selbst die Tagung Ihrer Partei in Weimar erwähnt. Dort hat sich Ihre Staatssekretärskollegin Frau Vogt für die Lenkungswirkung von Studiengebühren ausgesprochen. Auch von dem so genannten Netzwerk Ihrer Partei, dem Sie angehören, wurde ein entsprechendes Papier verfasst. Namhafte Hochschulpolitiker wie der frühere niedersächsische Hochschulminister Thomas Oppermann haben sich für die Lenkungswirkung von Studiengebühren ausgesprochen. Hier interessiert mich einmal Ihre persönliche Meinung, Herr Staatssekretär. ({0}) Vertreten Sie persönlich die Position, die in dem Netzwerk-Papier von einer Reihe jüngerer SPD-Abgeordneter eingenommen wird, oder sind Sie der Ansicht Ihres Hauses?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege, es ist kein Geheimnis, dass über diese Frage mit unterschiedlichen Akzenten diskutiert wird und dass es auch Befürworter von Gebühren gibt. An dieser Stelle sage ich: In unserem Hause gibt es keine veränderte Position zu dem, was im Hochschulrahmengesetz festgelegt ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die vorerst letzte Frage zu diesem Komplex hat der Kollege Helmut Lamp.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihre Antworten sind in vielen Bereichen sehr vage. Sie selbst sagen, dass wir ganz am Anfang der Diskussion stehen. Meine Frage lautet: Hat es vorab in irgendeiner Form - es drängt sich der Verdacht auf, dass dies nicht der Fall gewesen ist - zwischen dem Bundeskanzler und den zuständigen Fachbereichen der Regierung, und wenn ja, wann, eine Abstimmung gegeben? Oder ist die Regierung von diesem Schwenk genauso überrascht gewesen wie die Regierungsparteien?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Kollege Lamp, vielleicht wissen Sie, dass die Diskussion darüber, wie wir auch Spitzenleistungen stärker fördern und sichtbar machen können, schon seit einer Weile geführt wird. Auch in unserem Hause wird schon seit längerem über solche Fragen nachgedacht und diskutiert. Deshalb hat es an dieser Stelle auch keine Überraschung gegeben. Das, was im Rahmen dieser Klausurtagung öffentlich gemacht worden ist, entspricht den Vorstellungen, die auch in unserem Hause entwickelt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das war die letzte Frage zu diesem Komplex. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Matschie. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung. Ich rufe Frage 7 des Kollegen Dirk Niebel auf: Wie rechtfertigt die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung zur Durchführung des „Bundespressegipfels“ - Skirampe in der Nähe des Bundeskanzleramtes zwischen der Schweizer Botschaft und der Spree -, der Fortsetzung der im Sommer sehr erfolgreichen Ich-AG „Bundespressestrand“, für die notwendige Investitionen bereits getätigt wurden, und trifft es zu, dass die Haltung der Bundesregierung ausschlaggebend für die Absage des Projekts durch die Senatsverwaltung gewesen ist?

Not found (Gast)

Herr Kollege Niebel, die Antwort lautet wie folgt: Nach Angaben der Betreiberin handelt es sich um eine Winterwelt mit Tannenbäumen, Ski- und Schlittenberg, Après-Ski-Bar und Holzhäusern. Der für die Genehmigung zuständige Berliner Senat hat dieses Projekt abgelehnt. Er hat es aus Gründen des Protokolls, aus sicherheitstechnischen Überlegungen sowie aufgrund der Angemessenheit des Ortes als nicht genehmigungsfähig bewertet. Im Vorfeld dieser Entscheidung hatte der Senat den Anliegern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. In dem von ihm mit Vertretern der Verwaltung des Deutschen Bundestages, der Schweizerischen Botschaft, der Berliner Polizei und des Bundeskanzleramtes geführten Gespräch wurden diese Aspekte zur Sprache gebracht. Dazu gehörten auch Aspekte der Sicherheit und des Protokolls, die die Bundesregierung betrafen. Welche der auch vonseiten der verschiedenen Anlieger diskutierten Aspekte für die Entscheidung des Senats ausschlaggebend waren, entzieht sich der Kenntnis der Bundesregierung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, die „Berliner Zeitung“ hat dieses Thema am 7. Januar mit der Überschrift „Regierungsviertel bleibt Ski- und rodelfrei“ aufgegriffen. Laut dieses Artikels waren die Bedenken des Bundeskanzleramtes Grund für die ablehnende Haltung des Senats - ursprünglich hatte die Genehmigung der Berliner Senatsverwaltung schon vorgelegen und die Schweizerische Botschaft und der Deutsche Bundestag hatten keine Probleme angemeldet -, dass Lärm von der Skipiste bei Staatsempfängen, beispielsweise wenn die Nationalhymnen gespielt würden, die protokollarischen Abwicklungen stören könne. Dies soll der ausschlaggebende Grund dafür sein, dass für dieses Projekt keine Genehmigung erteilt wurde, obwohl es im Vorfeld genehmigt wurde und dafür immerhin über 200 000 Euro Sponsorengelder eingeworben wurden. Ist es richtig, was die „Berliner Zeitung“ schreibt?

Not found (Gast)

Herr Kollege Niebel, Sie wissen, dass die Bundesregierung Pressemeldungen grundsätzlich nicht kommentieren oder bewerten kann. Ich habe mich im Vorfeld der Beantwortung Ihrer Frage mit dem Vertreter des Bundeskanzleramtes in Verbindung gesetzt und ihn befragt; das ist in meiner Antwort ja angeklungen. Nicht nur das Bundeskanzleramt hat im Rahmen seiner Stellungnahme entsprechende Anmerkungen gemacht. Vier verschiedene Stellen - ich habe sie genannt -, deren Argumente etwa gleich viel zählen, haben ihre Positionen eingebracht. Insofern will ich das gern korrigieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Würde die Bundesregierung zur Kenntnis nehmen und mir den Widerspruch erklären, der darin besteht, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit in diesem Sommer mit dem „Bundespressestrand“ als bemerkenswerte Ich-AG geworben hat, dass aber die gleiche IchAG durch Einwendung des Bundeskanzleramtes, die sie an der Fortsetzung, dem „Bundespressegipfel“, hindert, in den Ruin getrieben wird?

Not found (Gast)

Kollege Niebel, Ihre Bewertung, die Sie gerade vorgenommen haben, halte ich nicht für sachgerecht. Dass die Bundesregierung Ich-AGs fördert, liegt in der Natur der Sache. Sie wissen, dass es dazu groß angelegte Initiativen insbesondere des BMWA gibt. In diesem Fall kenne ich den Förderstatus der Betreiberin nicht. Insofern kann ich die These, dass es sich um eine Ich-AG gehandelt hat, nicht bestätigen. ({0}) Ich will aber ausdrücklich sagen, dass man die Beteiligungsrechte von Anliegern nicht deshalb konterkarieren oder sogar infrage stellen kann, nur weil es sich um eine Ich-AG handelt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Welche EU-Agenturen sind derzeit neben den neuen auf dem Europäischen Rat von Brüssel - 12./13. Dezember 2003 beschlossenen zur Gründung in der Diskussion?

Not found (Gast)

Herr Kollege Kretschmer, über den Ihrer Frage zugrunde liegenden Beschluss des Europäischen Rates in Brüssel hinaus besteht über die Einrichtung von zwei weiteren Behörden politischer Konsens. Dabei handelt es sich um die Agentur zum Schutz der Außengrenzen und um die Rüstungsagentur. Daneben gibt es Vorschläge für die Einrichtung weiterer Agenturen, zu deren Einrichtung bisher noch kein Konsens besteht. Dazu gehören eine Agentur für den Katastrophenschutz, eine Beobachtungsstelle für Wanderungsbewegungen, ein EU-Gleichstellungsinstitut, eine europäische Enforcementstelle zur Durchsetzung der Rechnungslegungsvorschriften und das europäische Kolleg für Sicherheit und Verteidigung. Generell möchte ich betonen, dass in jedem Einzelfall zunächst geprüft werden muss, ob eine europäische Agentur einen Mehrwert bringt. Dabei sind insbesondere auch Subsidiaritätsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Gerade unter Subsidiaritätsgesichtspunkten ist es aus Sicht der Bundesregierung nicht erstrebenswert, eine europäische Katastrophenschutzbehörde einzurichten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich stimme Ihnen ohne Frage zu, dass es eine dringende Notwendigkeit geben muss, um eine EU-Agentur einzurichten. Für den Fall, dass sie gegeben ist, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass zur Unterstützung der EU-Erweiterung, in deren Rahmen Probleme im Grenzgebiet zu erwarten sind, die Ansiedlung in den Grenzregionen sinnvoll ist, und ob die Bundesregierung entsprechende Pläne verfolgt.

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Europäische Rat in Brüssel hat einen Grundsatzbeschluss gefasst, Herr Kollege Kretschmer, neue Agenturen prioritär in den neuen Mitgliedstaaten anzusiedeln. Ich denke, das trägt Ihrem Anliegen Rechnung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben die Erkenntnis, dass sich die Bundesregierung für die Ansiedlung weiterer Agenturen, beispielsweise der Europäischen Polizeiakademie mit Sitz in Münster, beworben hat. Können Sie uns dazu etwas sagen?

Hans Martin Bury (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000312, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Kretschmer, die Polizeiakademie war Bestandteil des Sitzpaketes, über das auf dem ER in Brüssel entschieden worden ist. Wir hatten unsere Priorität auf die Luftsicherheitsbehörde mit dem Standort Köln gelegt und haben uns durchsetzen können. Es ist nachvollziehbar, dass ein zweiter deutscher Sitz im Rahmen dieses Paketes nicht zu realisieren war. Insgesamt können wir mit dem Ergebnis zufrieden sein.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister Bury. - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Tanja Gönner auf: Sieht die Bundesregierung durch die Risikoprüfung für private Krankengeldversicherungen bzw. private Krankenversicherungen eine Benachteiligung für behinderte Menschen, und wenn ja, wie könnte hier Abhilfe geschaffen werden?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Kollegin Gönner, ich darf Ihnen zunächst einmal herzlich danken, dass Sie diese im Moment in der Öffentlichkeit ebenfalls diskutierte wichtige Frage gestellt haben. Ich gebe Ihnen folgende Antwort auf Ihre Frage: Dass private Versicherungen vor Abschluss eines Vertrages eine Risikoprüfung durchführen, ist sachgemäß. Dies gilt auch für die in der Frage angesprochenen Versicherungen. Für die Krankenversicherung ist die Risikoprüfung in § 12 des Versicherungsaufsichtsgesetzes ausdrücklich vorgeschrieben. Die Tatsache allein, dass das Risiko geprüft wird, und zwar auch dann, wenn sich behinderte Menschen versichern wollen, stellt keine Benachteiligung dar. Eine Benachteiligung kann sich indes ergeben, wenn nach einer Risikoprüfung gleiche Sachverhalte ungleich behandelt werden. Vor dem Abschluss der in der Frage genannten Versicherungen wird die Versicherung insbesondere das Erkrankungsrisiko prüfen. Ob ein höheres Erkrankungsrisiko besteht, ist eine Frage des Einzelfalls, die insbesondere unter medizinischen Gesichtspunkten zu beantworten ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Kollegin Gönner.

Tanja Gönner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003536, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Nachfrage, bei der ich mir insbesondere vor dem Hintergrund der letzten Ausführungen nicht sicher bin, ob sie in Ihr Ressort gehört: Wie sieht die Risikoprüfung bei Behinderten bezogen auf die Dinge aus - ich denke hierbei insbesondere an den Zahnersatz -, die aus dem Leistungskatalog für die Pflichtversicherten in der GKV herausgenommen wurden und von den Versicherten somit extra zu versichern sind?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich kann nur auf meine Antwort von eben verweisen. Dabei wird es sich um den gleichen Weg handeln. Ich kann Ihnen allerdings dazu sagen, dass unser Haus derzeit prüft, wie man Menschen mit Behinderungen in diesen Fällen gegebenenfalls entgegenkommen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Tanja Gönner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003536, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß nicht so recht, wie ich mit einem Lob der Bundesregierung dafür umgehen soll, dass ich eine Frage stelle, die die Menschen bewegt. - Warum wurde dieses Thema nicht bereits von der Bundesregierung vorab aufgenommen, da es ja die Menschen bewegt?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich habe Sie für Ihre Frage gelobt, verehrte Frau Kollegin, nachdem die Frage an Herrn Staatsminister Schwanitz für meine Begriffe nicht unbedingt in dieses Hohe Haus passte, Ihre Frage hingegen sehr wohl. ({0}) Das von Ihnen angesprochene Problem ist in vielfältiger Art und Weise aufgetreten. Wir prüfen die Sachlage schon seit längerer Zeit. In der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem austarierten Rechtssystem ist es sehr schwierig, in das Prinzip der Vertragsfreiheit im Privatrecht einzugreifen. Das wird mir Herr Hinsken als langjährig tätiger Selbstständiger sicherlich zugestehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Herr Kollege Schockenhoff, dem Präsidenten steht keine inhaltliche Bewertung von Fragen und Antworten zu. Er ist nur für den fairen Ablauf zuständig. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk zur Verfügung. Wir beginnen mit der Frage 10 des Kollegen Jens Spahn: In welchem Umfang kommen nach Kenntnis der Bundesregierung die Kliniken der Verpflichtung nach dem Transplantationsgesetz nach, jeden Hirntoten, der als potenzieller Organspender infrage kommt, an die zuständigen Stellen zu melden, und wie bewertet die Bundesregierung die derzeitige Meldepraxis?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Spahn, Sie haben nach der tatsächlichen Praxis bei Organspenden und der Umsetzung der Meldepflicht nach dem Transplantationsgesetz gefragt. Im Jahre 2002 - die Zahlen für 2003 liegen uns Anfang Januar 2004 noch nicht vor - haben nach Angabe der Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation von den 1 400 Krankenhäusern mit Intensiv- oder Beatmungsbetten in Deutschland 42 Prozent Mitteilung über verstorbene Patienten, die nach ärztlicher Beurteilung als postmortale Organspender in Betracht kommen, gemacht. Bundesweit lässt sich dabei eine positive Entwicklung gegenüber den Jahren 1995 bis 1999 feststellen, als die Beteiligungsquote bei durchschnittlich 34 Prozent lag. Hierbei handelt es sich um die von den Kliniken und Krankhäusern gemeldeten Zahlen. Für uns entscheidender ist die Zahl der tatsächlich postmortalen Organspender, die nach Klärung der medizinischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine Organspende verbleiben. Diese Zahl hat sich nach den vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr positiv entwickelt. Sie betrug 1 140 und lag damit um 10,8 Prozent höher als im Jahre 2002 und um 6,9 Prozent höher als im Durchschnitt der Jahre 1995 bis 1999. Insoweit können wir hier eine positive Bilanz ziehen. Richtig ist: Es könnte besser sein. Aber der Anstieg der Zahl der Organspenden stimmt uns hoffnungsvoll; denn viele Menschen sind auf Organspenden angewiesen. Deswegen ist es wichtig, die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung zu fördern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, danke für die Antwort. - Ich habe eine Frage zu den Sanktionsmöglichkeiten. Mir liegt ein Zeitungsartikel vor, in dem eine Sprecherin des Düsseldorfer Gesundheitsministeriums erklärt, dass das Transplantationsgesetz ein Bundesgesetz sei und keine Sanktionsmöglichkeiten vorsehe. Das Ganze sei ein politischer Kompromiss: Die Kliniken seien zwar zur Meldung verpflichtet, Sanktionen gebe es aber keine. Wie bewertet die Bundesregierung diese Aussage und die Situation, wenn sie denn so ist? Gibt es aus Sicht der Bundesregierung Handlungsbedarf?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das Problem ist, dass in unserem föderalen Staat das Transplantationsgesetz ein Bundesgesetz ist und eine Meldepflicht umfasst, aber die Länder für die Durchführungspraxis zuständig sind. Die Frage ist, ob man sofort mit Sanktionen drohen muss oder ob man durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen in Form eines Gesprächs, einer Beratung oder eines Hinweises auf die Meldepflicht nicht mehr erreicht. In Vorbereitung auf die Beantwortung Ihrer Frage war es für uns interessant, in unserem Haus nachzuforschen, ob es regionale Besonderheiten gibt. Wichtig ist, durch gezielte Maßnahmen und Gespräche mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass die Länder ihre Kliniken - egal ob Universitätskliniken, Kliniken in privater, kommunaler oder Landesträgerschaft - auf die Meldepflicht hinweisen. Es ist ganz interessant, dass wir zwei Spitzenreiter bei der Beteiligung haben, und zwar einmal Bayern mit 49 Prozent und die Region Nord - Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein - mit 47 Prozent. Wir haben in der Region Ost eine Beteiligung von 33 Prozent. Die Beteiligung ist dort am niedrigsten. Das zeigt, dass wir einen Aufklärungs- und Handlungsbedarf in den Ländern haben. Wir werden Ihre Frage zum Anlass nehmen, in den Bund-Länder-Koordinierungsgremien - wir haben regelmäßig Treffen - auch dieses Thema anzusprechen. Es muss mehr auf die Meldepflicht hingewiesen werden. Die Länder haben eine Mitwirkungspflicht und müssen von sich aus die betroffenen Kliniken darauf hinweisen, dass es ein wichtiges Anliegen ist, die Zahl der potenziellen Spender durch die Meldepflicht überhaupt einmal zu erfassen. Man sieht, dass, wenn die Zahl der Meldungen zunimmt, auch die Zahl der Organspender zunimmt. Dieser Zusammenhang muss noch einmal klar gemacht werden. Ich glaube, Sanktionen sind ein ungeeignetes Mittel. Wir müssen mit den Bund-Länder-Koordinierungsgremien darauf hinwirken, dass die Länder aktiv für die Meldungen werben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann stimmen Sie abschließend mit mir überein, dass es, wenn keine Verbesserung aufgrund dieser Gespräche erreicht wird, zu Sanktionen kommen muss? Denn Sie kennen genauso gut wie ich viele Fälle, in denen Menschen, auch Kinder, auf Organspenden warten und in denen eine Nichteinhaltung der Meldepflicht mehr als ärgerlich ist.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Spahn, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu. Wir brauchen in Deutschland ein anderes gesellschaftliches Klima. Es muss klar werden, dass die Organspende notwendig ist und wir sie brauchen, weil viele Menschen, die auf ein Spenderorgan angewiesen sind, auf Wartelisten stehen. Wir müssen auch darauf hinwirken, dass das, was wir mit der Meldepflicht wollten, umgesetzt wird. Es handelt sich um ein Umsetzungsproblem. Ich hoffe, dass sich nach den Gesprächen mit den Ländern die Zahl der Meldungen erhöht. Wir müssen sehen, wie sich das Ganze entwickelt. Aber die Zahl von knapp über 40 Prozent ist für uns nicht ausreichend.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann kommen wir zur Frage 11 des Kollegen Spahn: Trifft es zu, dass der erweiterte Bewertungsausschuss der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkassen, der im Dezember 2003 den neuen Einheitlichen Bewertungsmaßstab, EBM, für den kalkulatorischen Arztlohn - EBM 2000 Plus - verabschiedet hat, keinen eigenen EBM für Kinder- und Jugendärzte vorgesehen hat, und, wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben sich im Dezember 2003 auf die zukünftige allgemeine Struktur des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs, EBM, geeinigt. Unter anderem ist vorgesehen, dass die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgeführten ärztlichen Leistungen nach einzelnen Arztgruppen untergliedert werden. Insgesamt sind im Einheitlichen Bewertungsmaßstab neben einem Hausarztkapitel diverse Facharztkapitel, so zum Beispiel ein EBM „Innere Medizin“ und ein EBM „Orthopädie“, vorgesehen. Für die Kinderärzte ist kein eigenes Kapitel vorgesehen, sondern für diese gilt das Hausärztekapitel des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs. Die grundsätzlich nur von Kinderärzten, nicht von den übrigen Hausärzten abrechenbaren Leistungen, zum Beispiel Untersuchungen und Beurteilungen der Entwicklung von Säuglingen, des Kleinkindes oder von Kindern bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr, sind dabei in zwei gesonderten Unterabschnitten des Hausärztekapitels aufgeführt. Nach Auffassung der Bundesregierung bestehen keine grundsätzlichen Einwände gegen eine solche EBM-Systematik. Insofern besteht gegenwärtig kein Handlungsbedarf. Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um gesetzgeberisches Handeln handelt, sondern die Selbstverwaltung ihrem Auftrag nachkommt, Vorschläge zu entwickeln. Wenn wir kein staatliches Gesundheitssystem wollen, dann muss die gemeinsame Selbstverwaltung Arbeitsaufgaben übernehmen. Wenn die Ergebnisse der Arbeitsaufgaben so ausfallen, wie sie ausfallen, dann steht es uns nicht zu, daran etwas zu ändern, wenn wir keine rechtlichen Einwände haben. Ich finde es ganz interessant, dass immer dann, wenn jemandem Detailregelungen der Selbstverwaltung nicht gefallen, staatliches Handeln eingefordert wird. Wenn wir sagen, dass das Bundesgesundheitsministerium gesetzgeberisch tätig werden muss, kommt von Ihrer Seite der Vorwurf der Staatsmedizin. ({0}) [SPD]: So ist das leider! - Jörg Tauss [SPD]: Das sind die Widersprü- che!) Man muss sich schon auf eine Richtung einigen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich bin ein großer Verfechter der Selbstverwaltung und stelle diese nicht infrage. Gleichwohl machen wir auch Gesetze. In § 73 SGB V steht, dass Kinderärzte auch an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können. Das heißt letztlich, dass im neuen EBM spezielle Maßnahmen für Kinder- und Jugendärzte - über die zwei derzeit geltenden kleineren Regelungen hinaus - notwendig sind. Ähnlich haben Sie sich - zumindest im Grundsatz - auch in einer Antwort auf eine zu einem früheren Zeitpunkt von mir gestellte Frage bezüglich eines Beschlusses des Deutschen Bundestages hinsichtlich der Kinder- und Jugendmedizin geäußert. Von daher beharre ich darauf. Ich würde auch gerne Ihre Meinung zu der Möglichkeit der Beanstandung hören, durch die seitens des Ministeriums darauf hingewirkt werden kann, dass die Kinder- und Jugendärzte in den Katalog aufgenommen werden, zumal derzeit auch die Fachausbildung installiert wird und die Maßnahme insofern sozusagen ein Pendant hätte.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Wenn wir Zuständigkeiten an die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärzten delegieren, die eine Regelung treffen, die unseres Erachtens durchaus eine sinnvolle Möglichkeit darstellt - auch wenn sicherlich eine andere Lösung möglich gewesen wäre -, dann sehen wir nicht die Notwendigkeit einer Beanstandung. Es kann nicht angehen, dass immer dann, wenn einem Teil der Leistungserbringergruppe die Arbeitsergebnisse der gesamten Leistungserbringergruppe nicht zusagen, der Gesetzgeber handeln soll. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die zweite Zusatzfrage, bitte.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie mir zu, dass es gleichwohl bei dem mehr als unangenehmen Zustand bleibt, dass der relativ geringen Zahl von Kinder- und Jugendärzten durch eine anders geartete Mehrheit in der Selbstverwaltung einmal mehr keine angemessenen Möglichkeiten eingeräumt werden? Das gilt auch hinsichtlich der im Gesundheitswesen entstehenden Kosten. Denn beispielsweise ist eine Darmspiegelung beim Kleinkind anders und auch aufwendiger durchzuführen als beim Erwachsenen. Es würde auch zu einer dauerhaften Kostensenkung beitragen, wenn eine vernünftige Behandlung honoriert würde. Stimmen Sie mir zu, dass die bestehenden Regelungen sehr unbefriedigend sind und dass in allen Fragen der Selbstverwaltung Handlungsbedarf besteht?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Angesichts der durchschnittlichen Einkommen der unterschiedlichen Arztgruppen stimme ich Ihnen zu, dass sie ein sehr deutliches Ungleichgewicht aufweisen, da zum Beispiel die Kinder- und Jugendärzte am Ende der Tabelle stehen, obwohl sie eine sehr wichtige und auch im Sinne der Prävention notwendige Arbeit leisten. Es ist klar - das haben wir auch immer betont -, dass sich innerhalb der Ärzteschaft etwas bewegen muss. Aber das Beispiel macht deutlich, dass innerhalb der Selbstverwaltung, in der in der Regel Konsens und Kompromisse gesucht werden, nicht immer jedes Einzelinteresse zum Zuge kommt. Die Selbstverwaltung würde jedoch ad absurdum geführt, wenn sie zunächst aufgefordert würde, Regelungen zu finden, aber immer dann, wenn es ihr nicht möglich ist, allen Einzelinteressen Rechnung zu tragen, der Gesetzgeber tätig würde. Ich kann nur die Kinder- und Jugendärzte auffordern, sich stärker in den Gremien der Selbstverwaltung zu beteiligen. Vielleicht würde sich dadurch einiges ändern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen jetzt zur Frage 12 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch: Wie hoch ist die durchschnittliche monatliche finanzielle Belastung eines Krebspatienten, der sich einer ambulanten Chemotherapie unterziehen muss und der nicht als chronisch krank gilt, und welches Krankheitsstadium muss ein Krebspatient erreichen, damit er als chronisch krank eingestuft wird?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, Sie haben nach den finanziellen Belastungen eines Krebspatienten unter ambulanter Chemotherapie und nach den Bedingungen gefragt, unter denen ein Krebspatient als chronisch krank eingestuft wird. Auch dafür gilt - das will ich grundsätzlich festhalten -, dass der Selbstverwaltung auferlegt wurde, klar zu definieren, wer chronisch krank ist. Denn die im GKVModernisierungsgesetz enthaltenen Zuzahlungsregelungen setzen mit der Deckelung in Höhe von 1 Prozent für chronisch Kranke und 2 Prozent für alle anderen voraus, dass hinsichtlich der chronisch Kranken eine klare Regelung besteht. Die Selbstverwaltung hat uns einen Richtlinienvorschlag für chronisch Kranke vorgelegt, den wir in der Tat ablehnen mussten. Er muss überarbeitet werden, weil nach dem in der Richtlinie vorgesehenen Krankheitsbegriff nur diejenigen als chronisch krank gelten würden, die in die Pflegestufe 2 oder 3 eingestuft sind und für die mindestens zweimal im Jahr ein Krankenhausaufenthalt erforderlich war. Das bildet meines Erachtens die tatsächliche Situation von chronisch Kranken nicht ab. Wir haben im Fachausschuss über dieses Thema gesprochen. Der neue Gemeinsame Bundesausschuss ist aufgefordert, uns bis zum 31. Januar verbindliche Richtlinien vorzulegen, in denen definiert wird, wer als chronisch krank gilt. Generell verschlechtert sich für die Versicherten die Situation bis dahin nicht, weil zu hohe Zuzahlungen von den Kassen zurückzuerstatten sind. Das heißt, dass zu viel gezahltes Geld auf keinen Fall verloren ist. Die gemeinsamen Organe der Selbstverwaltung wissen, was auf sie zukommt. Für uns ist wichtig, dass Klarheit herrscht. Aber auch hier gilt: In Deutschland gibt es kein staatliches Gesundheitssystem - wenn es das gäbe, dann könnten wir alles selbst regeln -, sondern Selbstverwaltungsorgane, in denen die Vertreter der fachlichen Seite, also der Ärzte, der Krankenkassen, die alles finanzieren, und der Patientenverbände - das ist eine Neuerung; diese sind seit dem 1. Januar 2004 mit einer vollen dritten Bank in den Selbstverwaltungsorganen vertreten - gemeinsam definieren, wer als chronisch krank zu gelten hat. Ich bin mir sicher, dass es hier zu einer Klarstellung im Interesse der Patientinnen und Patienten kommen wird. Auch mir gefällt die Verunsicherung nicht, die dadurch entstanden ist, dass die Selbstverwaltung nicht umfassend und rechtzeitig gehandelt hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Erste Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist ja nicht erst gestern, sondern - im Gegensatz zu den anderen Gesetzen, die auf der von Ihnen hochgelobten und von uns stark kritisierten Agenda 2010 basieren - bereits kurz nach der Sommerpause beschlossen worden. Wieso tauchen jetzt so viele Probleme auf? Wieso ist das Ministerium nicht seiner Pflicht nachgekommen, zu kontrollieren, ob die Gesetze, insbesondere das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, so umgesetzt werden, dass keine Verunsicherung und Probleme für die Patienten auftreten?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Hierzu sage ich ganz klar: Unmittelbar nachdem das GKV-Modernisierungsgesetz im Deutschen Bundestag am 17. Oktober letzten Jahres verabschiedet worden ist, haben wir die gemeinsamen Gremien der Selbstverwaltung aufgefordert, die Richtlinien zu erarbeiten. Wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass es im Moment zwei Richtlinien gibt, die zu den meisten Nachfragen Anlass geben, weil hier vieles noch nicht geklärt ist. Die eine betrifft die Fahrtkosten - auch das haben Sie in Ihrer Frage angesprochen - und die andere betrifft die Frage, wer als chronisch krank zu gelten hat. Die Gremien der Selbstverwaltung haben gewusst, was sie zu tun haben. Wir haben immer auf eine zügige und rechtzeitige Umsetzung der Richtlinien im Jahr 2003 hingewirkt. Beide Richtlinienentwürfe sind dem BMGS erst Mitte Dezember letzten Jahres zugeleitet worden. Wir haben dann im Interesse der Patientinnen und Patienten Verbesserungen und Klarstellungen gefordert. Wenn wir also gehandelt haben, dann im Interesse der Patientinnen und Patienten. Verzögerungen haben wir nicht zu vertreten und zu verantworten. Wir drücken sehr stark auf das Tempo. Aber auch hier weise ich noch einmal darauf hin, dass es in Deutschland kein staatliches Gesundheitssystem gibt. Wir mussten uns aber immer vor der Opposition rechtfertigen. Wenn wir gesagt haben, dass wir das gesetzlich regeln wollten, dann hieß es immer, dass es ein föderales System und eine Selbstverwaltung gebe. Wenn dem so ist, dann muss man auch die jetzigen Probleme in Kauf nehmen und die Kritik dort anbringen, wohin sie gehört. Die Gremien der Selbstverwaltung, in denen die Ärzte und die Krankenkassen vertreten sind, haben nicht, wie von Ihnen gefordert, die Richtlinien rechtzeitig und umfassend vorgelegt. Die Selbstverwaltung steht vor der Bewährung. Wir gehen davon aus, dass bis Ende Januar dieses Jahres die beiden Richtlinien vorliegen werden, dass sie nachvollziehbar sind und Rechtsklarheit bringen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage der Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, ich habe in meiner schriftlich eingereichten Frage konkret nach den Kosten für eine ambulante Krebstherapie gefragt. Bei einer solchen Therapie wird ein ganzer Cocktail an Medikamenten benötigt, der zum einen aus verschreibungspflichtigen Medikamenten, die von der Kasse erstattet werden, und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten besteht, die nach dem neuen Gesetz nicht mehr erstattet werden. Ist die Bundesregierung der Meinung, dass Patienten, die sich einer ambulanten Chemotherapie unterziehen, einzelne Bestandteile des Medikamentencocktails extra bezahlen müssen oder nicht?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Generell gilt, dass niemand durch Zuzahlungen überfordert werden soll. Dem dient die Regelung, dass höchstens 2 Prozent des Jahresbruttohaushaltseinkommens an Zuzahlungen zu leisten sind und nicht mehr. Deswegen ist die Frage, wie viel im Einzelfall zu entrichten ist, nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr - das ist schon jetzt klar -, dass die Summe des Ganzen bei nicht mehr als 2 Prozent liegen darf. Wenn jemand nach der neuen Richtlinie als chronisch krank eingestuft wird, dann liegt die Obergrenze bei 1 Prozent. Zusätzlich will ich noch zu dem Bereich „OTC, nicht verschreibungspflichtige Medikamente“ - Sie haben dies hier angesprochen - Stellung nehmen. Frau Kollegin, das Gesetz enthält in der Tat eine klare Übergangsregelung: Bis zum 31. März dürfen OTC-Präparate zulasten der GKV verschrieben werden, wenn sie Bestandteil einer Behandlung sind. Für die Zeit danach erwarten wir - auch das ist dem Bundesausschuss bekannt - eine klare Vorgabe. Wenn OTC-Präparate für eine leitliniengerechte Behandlung einer schweren Erkrankung notwendig sind - das sind sie in Ihrem Beispiel -, dann können sie nach wie vor verschrieben werden. Hierbei sind wir allerdings auf eine Liste der Krankheiten und der zu deren Heilung notwendigen Medikamente angewiesen. Ich fasse zusammen: Bis zum 31. März gibt es im Prinzip keine Änderung; danach gibt es eine Änderung im Hinblick darauf, was als schwerwiegende Krankheit eingestuft wird. Generell gilt die Überforderungsklausel von 2 Prozent.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt stellt der Kollege Jens Spahn eine weitere Frage.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, darf ich feststellen, dass zwischen Ihrer eben auf die Frage der Kollegin Lötzsch gegebenen Antwort, dass Sie in die Selbstverwaltung eingegriffen haben bzw. etwas beanstandet haben, weil es Ergebnisse gab, die Sie nicht zufrieden gestellt haben, und der mir gegebenen Antwort, dass das die Selbstverwaltung macht und dass die Ergebnisse am Ende egal sind, eine Diskrepanz besteht?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Spahn, im Protokoll werden Sie keine Formulierung von mir finden, die besagt, dass uns das egal ist. Ich habe vielmehr gesagt: Man braucht gute Gründe, um eine Richtlinie, die die Selbstverwaltung vorlegt, zu beanstanden. Wenn die Ärzte, die von dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab unmittelbar betroffen sind, den Gremien angehören und einen Katalog vorlegen, der plausibel erscheint, dann sehen wir keinen Grund zur Beanstandung. Wir haben aber Grund, eine Richtlinie zu beanstanden, die von einem Bundesausschuss alten Rechts, in dem auf der einen Seite nur die Kassen und auf der anderen nur die Ärzte vertreten waren, vorgelegt wurde, wenn, wie wir meinen, im Sinne der Patienten nicht ausreichend definiert wird, wer chronisch krank ist. Hierbei müssen wir als Treuhänder der Patienten handeln. Wenn eine Leistungserbringergruppe betroffen ist, dann hat sie über ein Engagement in der Selbstverwaltung selbst die Chance, auf die Besserung ihrer Lage hinzuwirken. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage stellt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatssekretärin, Sie haben auf die Möglichkeit der Erstattung nach Überschreiten der 1- oder 2-ProzentGrenze mehrfach hingewiesen. Was soll aber beispielsweise ein Sozialhilfeempfänger machen, der, wie wir inzwischen hinreichend wissen, genau diese Grenze mit der Zuzahlung von 71 Euro schon überschritten hat, der aufgrund einer bisher als chronisch eingestuften Erkrankung und einer entsprechenden Behandlung vielleicht schon jetzt, also in der ersten Hälfte des Januars, 50 Euro bezahlen musste, ohne die er für den Rest des Monats seinen Lebensunterhalt bestreiten muss?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, wir sind der Auffassung, dass Sozialhilfeempfänger in doppeltem Sinne gleichgestellt sind. Sie erinnern sich an die Diskussion in diesem Hause, in der beklagt wurde, dass Sozialhilfeempfänger anders als Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden. ({0}) - Der Vorwurf lautete: Sie werden besser behandelt. Wir haben mittlerweile dafür gesorgt, dass Sozialhilfeempfänger gleichgestellt werden; sie werden jetzt wie alle anderen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt. Das heißt, die Struktur ihrer Behandlung ist gleich. Angesichts dessen kann man erwarten, dass Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit Behandlungskosten übernehmen, wie es alle anderen auch tun müssen. Wir haben festgelegt - ich halte das für eine faire Regelung -, dass dabei nicht das Gesamtfamilieneinkommen, sondern das Einkommen des Haushaltsvorstands, also die Transferleistungen, die ein Sozialhilfeempfänger bekommt, zugrunde gelegt wird. Bei chronisch Kranken handelt es sich um eine Größenordnung von 3,50 Euro pro Monat. Wenn die reguläre Zuzahlungsregelung gilt, dann sind es 7 Euro pro Monat. Ich glaube, dass das niemanden überfordert; schließlich stehen damit sämtliche Leistungen, die allen anderen gesetzlich Versicherten angeboten werden, zur Verfügung. Die Aufsummierung in einem Monat ist ein Problem, das die Träger der Sozialhilfe und die Kassen lösen müssen. Wir haben Vorschläge dazu erarbeitet. Der Bund ist aber, wie Sie wissen, nicht der Träger der Sozialhilfe. In einzelnen Fällen gibt es pragmatische Lösungen, bei denen auch auf die Überforderungsgrenze Rücksicht genommen wird, sodass nicht in einem Monat alles auf einmal anfällt. Die kommunalen Spitzenverbände und die Spitzengremien der Kassen sind in einem Schreiben von uns ausdrücklich auf diese Problematik hingewiesen worden. Beide Seiten müssen praxisnahe Lösungen vorsehen. Angesichts dessen, dass man die Sozialhilfeempfänger mit den anderen gesetzlich Versicherten gleich behandelt, sowohl was die Rechte als auch was die Pflichten angeht, halte ich das nicht für eine Überforderung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechtsposition von Augenärzten, die die Verschreibung einer Sehhilfe - Brille oder Kontaktlinsen - privat abrechnen wollen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Lötzsch, Sie wissen, dass sich dazu auch Ministerin Ulla Schmidt öffentlich geäußert hat. Wir haben klargestellt, dass dies eine rechtswidrige Praxis der Augenärzte ist, dass die Ermittlung der Sehschärfe weiterhin Kassenleistung bleibt, dass es also ein Vorgehen der Augenärzte ist, das weder durch das Gesetz gedeckt noch ethisch zu verantworten ist. Gerade weil wir in dieser Woche eine Aktuelle Stunde unter anderem zum Thema Praxisgebühr haben werden, möchte ich dazu noch eine Bemerkung machen. Eine Argumentation in diesem Zusammenhang finde ich merkwürdig: Ärztevertreter sagen uns, dass es das Arzt-Patient-Verhältnis negativ beeinflusst, wenn man eine Praxisgebühr von 10 Euro verlangt. Gleichzeitig werden ungeniert 25 Euro verlangt, auf die kein Anspruch besteht. Da muss man bitte schön doch bei einer Linie bleiben. Es war meines Erachtens unvertretbar, dass versucht wurde, auf kaltem Weg ein Zusatzentgelt für eine Arztgruppe zu erschleichen. Das war gesetzlich nicht gedeckt. Das ist von uns auch klargestellt worden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, gestern ist bekannt geworden, dass die Kassen im Gegensatz zu den früheren Gepflogenheiten künftig nur noch die Sehstärkenbestimmung beim Augenarzt, aber nicht mehr beim Augenoptiker übernehmen wollen. Wie steht die Bundesregierung zu dieser Haltung der Kassen, und ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, dass eine derartige Praxis eher zur Kostenerhöhung als zur Kostensenkung im Gesundheitswesen führen würde?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich kann dies nicht erkennen. Für uns war entscheidend, dass die ärztliche Leistung nach wie vor erbracht wird. Bislang ist das Vorgehen der Optiker sehr uneinheitlich. Manche verlangen eine Gebühr, manche verlangen keine. Es gibt keine einheitliche Praxis. Die Optiker haben diese Leistung früher erbracht, um Kunden an sich zu binden. Insofern ist jeder Versicherte aufgefordert, bei seinem Optiker nachzufragen, unter welchen Bedingungen er diese Leistung erbringt. Uns liegen keine Erkenntnisse darüber, dass es einen einheitlichen Satz gibt, den die Optiker fordern. Der Markt wird entscheiden, ob sich eine Gebühr überhaupt durchsetzt. Für uns ist wichtig, dass es dabei bleibt: Bei der Leistung durch den Arzt handelt es sich um eine Kassenleistung. - Vielfach ist es auch notwendig, dass der Arzt diese Leistung erbringt. Wenn Optiker eine solche Leistung zusätzlich anbieten, gehört das zum Marktgeschehen. Da muss jeder selbst entscheiden, ob er bereit ist, dafür etwas auszugeben. Der Wettbewerb wird dazu führen, dass von überzogenen Forderungen, von denen auch ich gehört habe, Abstand genommen wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, die Fragestellung war eigentlich ein bisschen anders. Ich habe auf Folgendes hingewiesen: Die Krankenkassen haben bekannt gegeben, dass sie anders als früher, vor In-Kraft-Treten der Neuregelung, die Kosten für die Sehstärkenbestimmung beim Optiker nicht mehr übernehmen wollen, also nur noch für eine entsprechende augenärztliche Leistung zahlen wollen. Meine Frage war, wie Sie diese neue Praxis, die sich von der vorhergehenden Praxis eben unterscheidet, einschätzen.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich kann Ihnen nur sagen: Es war so nicht. Es gibt eine neue Rechtssituation. Früher ist für die Sehhilfe von der Kasse ein Anteil erstattet worden. Von den Optikern wird jetzt gesagt: Darin war auch ein Teil für die Ermittlung der Sehschärfe enthalten. - Die Kassen sehen dies anders. Die Optiker versuchen, eine Zusatzleistung anzubieten und dafür von den Patientinnen und Patienten eine Gebühr zu erhalten. Ich kann nur noch einmal sagen: Die Bestimmung der Sehschärfe durch den Arzt gehört zu den Leistungen, auf die gesetzlich Versicherte Anspruch haben. Niemand muss eine Gebühr für eine Leistung entrichten, die er gar nicht will. Die Optiker fordern eine Gebühr für eine Leistung, die früher schon keine Kassenleistung gewesen ist; diese Leistung wird auch zukünftig nicht von den Kassen übernommen werden. Noch einmal: Der Markt wird mit Sicherheit zu einer Änderung dieser Praxis führen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir Frage 14 der Kollegin Petra Pau: Wie viele Anfragen und Beschwerden sind bei der Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, bezüglich des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung eingegangen und auf welche konkreten Problemstellungen bezogen sich diese?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Pau, Sie fragen nach der Zahl der Anfragen und Beschwerden bei der Patientenbeauftragten und danach, auf welche Bereiche sich diese Beschwerden konzentrieren. ({0}) Als Vorbemerkung möchte ich dazu sagen, dass das Gesundheits- und Sozialministerium schon vor In-KraftTreten dieses Gesetzes reagiert hat, indem es beispielsweise im Internet die wichtigsten Neuregelungen dargestellt hat. Dieses Internetangebot wurde täglich aktualisiert. Hier wurden auch Fragen und Antworten auf der Basis von Anfragen der Patientinnen und Patienten wiedergegeben. Diese Internetseite wurde täglich 30 000mal aufgerufen, also sehr rege genutzt. Darüber hinaus haben wir eine Hotline mit einer einheitlichen kostenlosen Telefonnummer eingerichtet, unter der das BMGS Auskünfte erteilt hat. Die Einsetzung einer Patientenbeauftragten der Bundesregierung hat selbstverständlich dazu geführt, dass zusätzlich auch bei ihr eine Vielzahl von Beschwerden und Anfragen einging. Die Patientenbeauftragte ist seit dem 2. Januar im Amt. Es gab täglich mehrere hundert Anrufe und Faxanfragen; ebenso gingen unzählige E-Mails ein. All diese werden jetzt von zehn Mitarbeitern - wir haben die Zahl hausintern aufgestockt, damit die Fragen schnell bearbeitet werden - beantwortet. Insgesamt summiert sich das auf einige tausend verschiedene Fragestellungen. Es ist also klar, dass all das nicht von heute auf morgen abgearbeitet werden kann; die Anfragen werden vielmehr in der Reihenfolge des Eingangs beantwortet. Mein Eindruck ist, dass derzeit die Anzahl der Anfragen tendenziell geringer wird, unter anderem deswegen, weil jetzt endlich auch die Krankenkassen ihrer Pflicht nachkommen, ihre Versicherten ordnungsgemäß zu informieren. Es gab im Vorfeld große Probleme, weil einige Kassen falsch, unvollständig oder gar nicht informiert haben. Für uns ist interessant, dass die Spitzenverbände offensichtlich nicht dafür gesorgt haben, dass die Informationen, wie uns ursprünglich zugesagt, an jede Geschäftsstelle weitergeleitet wurden. Nur so ist die Diskussion zu erklären, wie wir sie beispielsweise über die Feiertage erlebten, dass die Barmer Ersatzkasse keine Sozialhilfeempfänger mehr aufnehme. Es hat sich ja hinterher herausgestellt, dass das so nicht zutrifft und es sich dabei um eine Einzelmeinung handelte, die rechtlich nicht gedeckt war. Ich habe die Patientenbeauftragte gefragt, zu welchen Komplexen die meisten Fragen kommen. Es kristallisieren sich dabei - das sehen wir auch an unserer Hotline drei große Fragenkomplexe heraus: erstens die Chronikerregelungen - ich habe eben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir diesbezüglich vom Gemeinsamen Bundesausschuss bis 31. Januar Klarstellungen einfordern -, zweitens die Fahrtkostenregelungen und drittens die Praxisgebühr. Bezüglich der Fahrtkostenregelung wird ebenfalls bis 31. Januar eine Richtlinie vorgelegt. Bei der Praxisgebühr hat die KBV, die für die Umsetzung ja auch Verantwortung trägt, reagiert, indem sie die Detailregelungen auf ihrer Homepage veröffentlicht hat, sodass auch hier die Zahl der Anfragen abnimmt. Wenn uns eine rechtswidrige Praxis gemeldet wird - so haben zum Beispiel einzelne Ärzte statt 10 Euro 12 Euro Praxisgebühr verlangt und das mit internen Verwaltungskosten gerechtfertigt -, gehen wir jedem Einzelfall nach.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatssekretärin, Sie haben schon dargestellt, wo die Schwerpunkte der Anfragen lagen und in welchen Bereichen das Informationsbedürfnis am höchsten war. Zeichnet sich ab, dass die Patientenbeauftragte der Bundesregierung eventuell zum Monatsende Vorschläge unterbreiten wird, wo Nachbesserungs- oder Regelungsbedarf besteht? Wir hören ja im Moment, dass die Frau Bundesministerin ankündigt, zum Beispiel im Bereich der gynäkologischen Versorgung, beim Nachfolgerezept für die Pille, eine Klarstellung vorzunehmen. Zeichnen sich im Zuge der Tätigkeit der Patientenbeauftragten weitere Komplexe ab, bei denen dringend nachgebessert oder etwas klargestellt werden muss?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich will noch einmal ausdrücklich sagen, dass wir keinen Nachbesserungsbedarf sehen. Solcher ist auch von der Ministerin nicht angekündigt worden. Hier hat sich ein Duktus eingeschlichen, der den Eindruck erweckt, dass der Gesetzgeber nicht in der Lage sei, ordnungsgemäß Gesetze zu machen. Dabei ist es doch so, dass Aufgaben, die wir untergesetzlich an die Selbstverwaltung delegieren, von dieser nicht wahrgenommen werden. Es gibt keinen Nachbesserungsbedarf, es gibt einen Umsetzungs- und Klarstellungsbedarf; die Selbstverwaltung muss endlich ihre Arbeit tun. Dies haben wir eingefordert. Die Klarstellungen wird es geben. Wo zum Beispiel Dinge rechtswidrig passieren, muss jemand sagen: Das ist rechtswidrig! Das haben wir bei den Augenärzten getan, ebenso dort, wo Praxisgebühren ungerechtfertigt erhoben wurden. Dort werden wir tätig und weisen klar auf die Gesetzeslage hin. Mir ist nicht bekannt, dass die Patientenbeauftragte die Forderung nach einer Nachbesserung erhoben hätte. Ich halte diese Begrifflichkeit nicht für angemessen. Unser Problem liegt darin, dass in einem Gesundheitswesen, das so komplex ist wie das unsere - mit der Verantwortung für die Fachaufsicht teilweise bei den Ländern, mit der Verantwortung der Beteiligten in der Selbstverwaltung -, die Umsetzungsprobleme enorm sind. Ich bin zwar neu im Feld der Gesundheitspolitik. Aber ich habe mir von Erfahrenen wie zum Beispiel Herrn Seehofer, der sich dazu ja heute Morgen im „Morgenmagazin“ auch öffentlich äußerte, sagen lassen: Diese Umsetzungsprobleme gab es jedes Mal. Sie sind ärgerlich; aber man muss die Verantwortung dort ansiedeln, wohin sie gehört.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Frau Pau?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatssekretärin, jenseits unserer offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zum Inhalt des Gesetzes komme ich auf den Komplex der Zuzahlungen und Härteregelungen zurück. Welchen Rat würde die Patientenbeauftragte oder würden auch Sie einem Rat suchenden Patienten geben, der in folgender konkreter Lebenssituation ist: Er bezieht Arbeitslosenhilfe, hat nach Abzug aller feststehenden Kosten für den Lebensunterhalt noch 100 Euro übrig, hat bis zum heutigen Tag schon 50 Euro für Medikamente ausgegeben, die er zur Versorgung seiner chronischen Krankheit braucht, zahlt für weitere Hilfsmittel und entrichtet die Praxisgebühr. Wovon soll er den Rest des Monats und bis zur eventuellen Erstattung am Ende des Quartals leben?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich habe eben schon einmal darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit der Befreiung schon jetzt besteht, wenn jemand überfordert ist. Hier ist natürlich jeweils der Träger der Arbeitslosenhilfe oder der Sozialhilfe aufgefordert, an Lösungen mitzuarbeiten. Das ist jederzeit bereits möglich; man muss nicht ein ganzes Jahr Zuzahlungen leisten - das suggerieren Sie ja -, bevor man etwas einreichen und zurückbekommen kann. Sobald man in die Größenordnung der Überforderung - 2 Prozent des Bruttoeinkommens - kommt, kann man sofort zur Kasse gehen und wird für den Rest des Jahres befreit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Spahn.

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade schon angedeutet, wie viele Mitarbeiter zurzeit im Ministerium für die Patientenbeauftragte arbeiten; das resultiert ja jetzt eher vorübergehend aus dem großen Bauch an Anfragen, der sich mit dem Jahreswechsel ergeben hat. Wie soll die Personalausstattung der Patientenbeauftragten in Zukunft aussehen, wie die sachliche Ausstattung? Insbesondere höre ich immer etwas munkeln von Dienstwagen und Chauffeur. Gehört das tatsächlich zur Ausstattung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Spahn, für uns ist entscheidend, dass wir eine arbeitsfähige Struktur herstellen. Insofern - das finde ich wichtig - braucht die Patientenbeauftragte qualifizierte Mitarbeiter. Sie stimmen mir sicher zu, dass die Patientenbeauftragte eine tragfähige Ausstattung braucht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist ausweislich des Haushaltsplans vorgesehen, dass die Patientenbeauftragte - wie im Übrigen andere Beauftragte auch; ich als Drogenbeauftragte habe ebenfalls einen solchen Mitarbeiterstab - sechs Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter zur Verfügung hat. Klar ist, dass in solchen Leistungsspitzen wie jetzt ausgeholfen wird und man sich im Interesse der Patientinnen und Patienten flexibel zeigt. Ich halte es für ein Riesenproblem, wenn man auf der einen Seite vorgibt die Funktion solle mit Leben erfüllt werden, und auf der anderen Seite kritisiert, wenn entsprechende Sachmittel und Personalmittel zu etatisieren sind. Es ist doch klar: Wenn eine solche Funktion geschaffen wird, muss sie arbeitsfähig sein. Die Erwartung der Menschen ist: Wenn ich dort anrufe, nimmt jemand meinen Anruf an und beantwortet kompetent meine Fragen. Deswegen halte ich es für vertretbar, dass die Patientenbeauftragte einen Mitarbeiterstab im Ministerium hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatssekretärin, ich möchte an die Fragen meiner Kollegin Petra Pau und an die Fragen nach den sozialen Härten anknüpfen. Sie haben bereits vorhin gesagt, Sie erwarten, dass zwischen den Kassen und den Trägern der Sozialhilfe Vereinbarungen getroffen werden. Vom Standpunkt der Regierung ist das eine naheliegende Erwartung. Aber der betroffene Bürger oder Sozialhilfeempfänger, der nur wenig Geld hat, ist in den ersten Wochen dieses Monats mit der Tatsache konfrontiert, dass in vielen Fällen diese Vereinbarung zwischen den Kassen und den Trägern der Sozialhilfe offenbar nicht getroffen worden ist. Können Sie sagen, ob es entsprechende Vereinbarungen zwischen den Trägern der Sozialhilfe und den Kassen gibt? Ich möchte ferner wissen, ob diese Vereinbarungen dazu beitragen, dass es erstens nicht zu sozialen Härten für die Bürger kommt und dass zweitens die Bürger von den zuständigen Stellen informiert werden und dieses Durcheinander aufhört.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich erinnere mich an einen Dankesbrief Ihrer Kollegin Frau Pau für das Zusenden des Informationspakets zum Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz, das die Bundesregierung allen Abgeordneten zukommen ließ, um sie rechtzeitig und umfassend zu informieren. Unser Ministerium hat darüber hinaus - auch das habe ich vorhin gesagt - eine aktuelle Seite ins Internet gestellt und eine Hotline eingerichtet. Ich glaube daher, dass wir unserer Informationspflicht umfassend nachgekommen sind. Die Ministerin, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hauses und auch ich selbst als Parlamentarische Staatssekretärin haben mehrere öffentliche Veranstaltungen zu diesem Thema durchgeführt. Ich stand mindestens drei Zeitungen für die Beantwortung von Bürgerfragen mehrere Stunden lang zur Verfügung. Wir haben also versucht, umfassend zu informieren. Aber diese Information kann nicht nur vonseiten der Bundesregierung erfolgen. Auch die Kassen, die Ärzte und die Leistungserbringer haben eine Informationspflicht. Das gilt auch für die Länder, die an diesem Gesetz mitgewirkt haben. Ich meine, dass die notwendigen Informationen geflossen sind. Zur Verunsicherung hat teilweise beigetragen, dass sie nicht rechtzeitig geflossen sind. Ich habe vorhin schon das genannt, was noch zu verbessern ist. Darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass jede Ebene ihre Aufgabe zu erfüllen hat. Es kann nicht angehen, dass einzelne Teile der Selbstverwaltung bestimmte Aufgaben nicht erledigen oder Maßnahmen blockieren. Wir haben jetzt zum Beispiel die unbefriedigende Situation, dass es noch einen Streit zwischen den Sozialhilfeträgern und den Kassen gibt. Wir haben die Beteiligten aufgefordert, die offenen Punkte im Sinne der Patientinnen und Patienten zu regeln. Wir gehen davon aus, dass dies geschehen wird. Abschließend will ich sagen: Diese Operation fällt niemandem leicht, auch uns nicht. Denn wir wissen, dass die Patientinnen und Patienten belastet werden. Es ist ebenfalls klar, dass diese Regelungen für viel Unmut sorgen. Aber man muss sich einmal anschauen, was die Alternative gewesen wäre. Angesichts der Verschuldungssituation der Kassen wären die Alternative Beitragssatzanhebungen gewesen. Das hätte eine Flucht derjenigen aus der gesetzlichen Krankenversicherung bewirkt, die zu einer privaten Krankenversicherung wechseln können. Wer die Entsolidarisierung und einen Anstieg der Lohnnebenkosten nicht will, muss den Mut zu Ausgabenbegrenzungen haben. Auch wenn es unbequem ist, müssen diese Maßnahmen vertreten werden. Natürlich haben Sie es einfacher, jedem alles zu versprechen, weil Sie nicht sagen müssen, woher die gesetzlichen Krankenkassen das Geld nehmen sollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Die Fragen 15 und 16 der Kollegin Kristina Köhler ({0}), die Fragen 17 und 18 des Kollegen Hartmut Koschyk sowie die Fragen 19 und 20 des Kollegen Dr. Nobert Röttgen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe nun die Frage 21 der Kollegin Petra Pau auf: Wie viele antisemitische Straftaten wurden im dritten Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, im dritten Quartal 2003 wurden insgesamt 253 antisemitische Straftaten, die dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität rechts“ zugeordnet wurden, gemeldet. Darunter befanden sich 46 so genannte Propagandadelikte und sieben Gewaltdelikte. Bei letzteren handelt es sich um fünf Körperverletzungs- und zwei Widerstandsdelikte. Im dritten Quartal 2003 wurden dabei sechs Personen verletzt. Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich gehe sicherlich recht in der Annahme, Herr Staatssekretär, dass Sie auch auf meine Zusatzfrage wie immer umfassend vorbereitet sind: Können Sie mir diese Statistik nach Ländern getrennt vortragen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nach Bundesländern?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ja, nach Bundesländern.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich werde meinem Ruf, dass ich hervorragend vorbereitet bin, wieder gerecht und könnte das jetzt im Einzelnen tun. Aber um das Verfahren ein bisschen abzukürzen, bekommen Sie diese Information schriftlich. ({0}) Frau Pau, ich möchte jedoch so viel dazu sagen, dass aus der statistischen Erfassung keine besonderen Schwerpunkte in Bezug auf einzelne Bundesländer herauszulesen sind. Das werden auch Sie sehen, wenn Sie sich diese Zahlen zu Gemüte führen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich möchte keine Zusatzfrage stellen, wenn wir, das Präsidium, der Herr Staatssekretär und ich, darin übereinstimmen, dass diese nachgereichte Information Bestandteil des Stenografischen Berichts wird und nicht nur zwischen uns beiden ausgetauscht wird.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Wenn das möglich ist, ist das kein Problem.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Es war bisher einmal möglich und einmal nicht. Des- halb möchte ich das klargestellt wissen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich sehe überhaupt keine Probleme, schon gar nicht dann, wenn alle darin übereinstimmen, dass es sinnvoll wäre, diese Information allen zugänglich zu machen.1) Ich rufe jetzt die Frage 22 des Kollegen Ernst Hinsken auf: Aus welchen Gründen will der Bundesminister des Innern, Otto Schily, die Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft 2006 nach Berlin verlegen, obwohl das Eröffnungsspiel in München ausgetragen wird - vergleiche „Süddeutsche Zei- tung“ vom 20./21. Dezember 2003 -, und wie hoch sind die dadurch entstehenden Kosten?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Hinsken, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Deutsche Fußball-Bund hat als Aus- richter der WM 2006 gegenüber dem Veranstalter FIFA zugesagt, unmittelbar vor dem Eröffnungsspiel im Sta- dion im üblichen Rahmen eine Eröffnungszeremonie zu veranstalten. Diese Zusage steht nicht infrage. Ganz unabhängig davon wird darüber nachgedacht, ob sich Deutschland nicht der Welt wie beispielsweise nach dem Vorbild der Olympischen Spiele 2000 in Syd- ney und der Fußball-WM 1998 in Frankreich einen Tag vor dem Eröffnungsspiel mit einer ansprechenden Feier als weltoffenes, gastfreundliches und interessantes Gast- geberland präsentieren sollte. Insofern geht es nicht da- rum, eine Feier von München nach Berlin zu verlegen, sondern um die Frage, ob es neben der Eröffnungszere- monie vor dem Eröffnungsspiel im Stadion eine zusätzli- che Veranstaltung geben soll, um die herausragende Chance zu nutzen, dass die Welt auf unser Land blickt. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass es überhaupt keinen Anlass zu Streit geben muss und dass die Verant- wortlichen bzw. die Entscheidungsträger diese Konzep- tion mittragen und befürworten. Dies sind im Übrigen Konzeptionen, wie wir sie bei den Beispielen, die ich Ih- nen genannt habe, erlebt haben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Hinsken. 1) Anlage 7

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Körper, was hat den Bundesinnenminister Schily überhaupt bewogen, zu sagen, dass die Eröffnungsfeier der Fußballweltmeisterschaft 2006 hier in Berlin stattfinden soll, und ist Ihnen und Herrn Schily bewusst, dass es viel Verdruss gegeben hat, dass man sich ärgert und dass hiermit ein Novum eingeführt werden würde, wie wir es bei einer Fußballweltmeisterschaft noch nie gehabt haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Hinsken, es kommt immer darauf an, ob man jemanden wie beispielsweise den Herrn Bundesinnenminister Otto Schily richtig verstehen will oder ob man ihn vielleicht bewusst falsch verstehen will, um ein Konfliktthema in die Welt zu setzen. Es ging ihm bei seinen Überlegungen lediglich darum, ob wir beispielsweise nach dem Vorbild der Olympischen Spiele in Sydney oder nach dem Vorbild der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich eine besondere, von dem Eröffnungsspiel losgelöste Einstiegsfeier vorsehen sollten. Dazu hat er den Gedanken geäußert - im Übrigen auch wieder an dem Beispiel der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich orientiert -, diese Feierlichkeit in der Hauptstadt, also hier in Berlin, stattfinden zu lassen. Ich glaube, wer die Entwicklung dieser Dinge kennt, kann nicht gut nachvollziehen, dass darüber irgendein Streit entsteht. ({0}) - Nein, der Streit ist überhaupt nicht vorhanden. Vielleicht bei Herrn Hinsken, aber ansonsten nicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das wird sich durch die weitere Zusatzfrage des Kollegen Hinsken klären.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Das glaube ich auch.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So ist es, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, was, meinen Sie, könnten wir unternehmen, sodass auch der Oberbürgermeister von München, Herr Ude, in der Lage ist, Herrn Schily richtig zu deuten, und sich nicht sorgenvoll an die FIFA und an Herrn Blatter wenden muss, weil er nicht bereit ist, ohne weiteres hinzunehmen, was hier vom Zaun gebrochen wird? Wann ist im Übrigen das erste Gespräch zwischen Herrn Schily und Herrn Blatter geführt worden?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Hinsken, es gibt einen alten Grundsatz: Es ist besser, miteinander zu reden als übereinander. Es ist schlecht, wenn man miteinander über Pressemeldungen verkehrt. Ich denke, es ist wichtig, dass man die Dinge anspricht. Es ist ganz aktuell und vielleicht auch Ihnen bekannt, dass Herr Blatter und Herr Beckenbauer an Herrn Ude geschrieben und entsprechend klargestellt haben, worum es geht. Ich bin sicher, wenn die Fakten so zur Kenntnis genommen werden, hat auch der Oberbürgermeister von München keinerlei Einwendungen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, ich knüpfe gleich an Ihren guten Rat, lieber miteinander als übereinander zu sprechen, an und frage Sie, ob Sie mit mir der Meinung sind, dass es im Interesse aller Mitglieder des Deutschen Bundestages - auch der bayerischen - sein müsste, dass möglichst viele bedeutende Veranstaltungen in Berlin - immerhin Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland - stattfinden sollten?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Liebe Frau Kollegin, wissen Sie, die Betrachtungsweisen sind unterschiedlich und immer besonders davon motiviert, wo jemand seinen Wohnsitz und sein Arbeitsumfeld hat. Ich habe damit Erfahrung. Insbesondere beziehe ich mich dabei auch auf die nachher anstehende Aktuelle Stunde, deren Thema sich nicht vom Sachkonzept ableiten lässt, sondern eher dadurch bestimmt wird: Wer kommt woher? Ich denke, das ist keine objektive Herangehensweise. ({0}) - Habe ich etwas Falsches gesagt? ({1}) - Ja, es wird auch davon bestimmt, wer wohin kommt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Roedel.

Hannelore Roedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem die Planungen für das Ereignis, das so nun doch nicht in Berlin stattfinden wird, vielleicht woanders schon lange laufen und da die Presse oft nicht die Wahrheit sagt, frage ich Sie direkt: Wie ist denn die Finanzierung dieses Ereignisses, das vor der Eröffnungsfeier stattfinden soll, geplant? Darüber hat sich Ihr Minister sicherlich schon Gedanken gemacht.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin, das ist übrigens die nächste Frage, die mir der Abgeordnete Hinsken gestellt hat. Hinsichtlich der Finanzierungsfrage muss man step by step vorgehen. Es war bisher überhaupt nicht klar, ob die FIFA, die letztendlich Entscheidung zu treffen hat und auch die Verantwortung dafür zu tragen hat, so ein Konzept - eine solche besondere Veranstaltung zur Eröffnung dieses sportlichen Großereignisses in Berlin - umsetzen will. Wenn wir diese Entscheidung kennen und dieses Konzept steht, dann werden wir auch für die entsprechende Finanzierung sorgen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Kaupa.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Herr Beckenbauer hat sich ja bereits zu den Gesprächen mit und über Schily geäußert und dazu gesagt: Wer zahlt, schafft an. Sie haben sich jetzt nicht festgelegt, wo das Geld herkommt. In der Zeitung stand, dass Sie es durch den Münzverkauf finanzieren wollen. Von den Mitteln aus dem Münzverkauf sind dem Sport 30 000 Euro zugesagt worden. Alles, was zusätzlich eingenommen wird, bleibt insgesamt im Staatssäckel. Es gibt auch ein Gremium von Abgeordneten, das über diese Gelder bestimmt. Dabei geht es um kulturelle Veranstaltungen. Handelt es sich hierbei um eine kulturelle Veranstaltung? Für wen ist sie? Für eine Elite? Für besondere Leute, die ihren Arbeitsplatz - wie vorhin angesprochen - nicht in München, sondern in Berlin haben und vielleicht nicht nach München fahren wollen? Die Eröffnungsfeier ist eigentlich für diejenigen gedacht, die den Start der Fußball-EM erleben wollen. Noch allgemein gefragt: Welche weiteren zentralistischen Ideen hat die Bundesregierung im Bereich des Sports, um das föderale System der Bundesrepublik weiter auszuhöhlen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Liebe Frau Kollegin, jetzt könnte ich eigentlich mit Franz Beckenbauer antworten: Schau’n wir mal, wie es weitergeht. Ihr Redebeitrag jedoch veranlasst mich, ein paar Bemerkungen zu diesem Thema zu machen. Ich glaube, dass die Frage, wie unser Land beispielsweise ein sportliches Großereignis organisiert und sich in diesem Zusammenhang auch entsprechend präsentiert, ganz wesentliche Rückschlüsse darüber zulässt, wie wir dieses Ereignis angehen. Ich denke, dass dieses Land, dass die Menschen in Deutschland und dass auch diese Bundesregierung voll hinter dieser Fußballweltmeisterschaft stehen und dass wir dieses Ereignis entsprechend organisieren wollen. Ich halte den Zungenschlag, den Sie mit Ihrer Frage an die Bundesregierung hinsichtlich mehr Zentralismus in die Debatte gebracht haben, nicht für gut. Ich denke, wir haben ein paar ganz gute Vorbilder. Ich nenne hier insbesondere Frankreich, das uns 1998 gezeigt hat, wie man eine Eröffnungszeremonie direkt vor dem Eröffnungsspiel durchführt. Eine schöne Eröffnungsfeier beispielsweise einen Tag vor dem Eröffnungsspiel stünde diesem Ereignis gut zu Gesicht. In Frankreich gab es beispielsweise keine Debatte darüber, ob diese Feier in Paris stattfinden sollte oder nicht. Ich glaube, auch wir sollten eine solche Debatte nicht führen. Diese Art von Einstieg in dieses fußballerische Ereignis hier in Berlin halte ich für überhaupt kein Problem. Zur Frage der Finanzierung habe ich meine Meinung gesagt. Das werden wir in einem weiteren Schritt entsprechend festlegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun rufe ich die Frage 23 des Abgeordneten Ernst Hinsken auf: Aus welchen Haushaltstiteln will die Bundesregierung, falls die Eröffnungsfeier in Berlin stattfindet, diese finanziell unterstützen? Vielleicht ist den angedeuteten Überlegungen zur Finanzierung ja noch etwas hinzuzufügen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Präsident, nein, dem ist nichts hinzuzufügen. Ich hatte die Antwort schriftlich wie folgt fixiert: Die Frage des erforderlichen Aufwandes ist im Hinblick auf Frage 22 noch nicht abschließend geklärt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie wurden vorhin dafür so gelobt, dass Sie immer so gut vorbereitet sind. ({0}) Halten Sie es denn für angemessen, mit Aussagen an die Öffentlichkeit zu treten, ohne zu überlegen, was das Ganze kostet? Ist Ihnen denn überhaupt bewusst, dass der kleine Mann überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten hat, um von der Eröffnungsfeier zur Fußballweltmeisterschaft hier in Berlin zum Eröffnungsspiel nach München und dann wieder zurück zu fahren? Wir aber wollen alle Menschen mit dabeihaben. Das soll ein großes Highlight des Jahres 2006 werden. Deshalb würde mich interessieren, wo der Haushaltsansatz ist. Aus welchen Töpfen wollen Sie diese Eröffnungsfeier hier finanzieren? Ich rufe noch einmal ins Gedächtnis, dass Franz Beckenbauer gesagt hat: Wer zahlt, schafft an. Wenn die Bundesregierung das will, anschafft und auch bezahlt, sollte sie auch - so weit irgend möglich - meinem Wunsch nachkommen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Lieber Herr Kollege Hinsken, ich glaube, dass jeder die Entscheidung treffen kann, ob er zur Eröffnungszeremonie vor dem Eröffnungsspiel nach München oder zur Eröffnungsfeier nach Berlin, zu beidem oder vielleicht zu einem WM-Spiel in Kaiserslautern geht. Das muss man sich dann überlegen. Herr Kollege Kelber, das sage ich deshalb, weil ich dorthin den kürzesten Anfahrtsweg habe.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie sollten schon darauf achten, alle Austragungsorte vollständig zu nennen; sonst entstehen die nächsten

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Vizepräsident, da ich neben dem Austragungsort für das Eröffnungsspiel und dem für das Endspiel nur noch einen weiteren genannt habe, hoffe ich auf Ihr Verständnis. Langer Rede kurzer Sinn: Herr Hinsken, ich glaube, dass die Konzeption richtig ist. Die Verantwortlichen haben sich so entschieden. Das ist auch gut so. Jetzt werden wir für die Durchführung dieses Konzeptes organisatorisch und finanziell sorgen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist denn die Bundesregierung bereit, das, was sie in finanzieller Hinsicht für Berlin in Aussicht gestellt hat, auch für München in Aussicht zu stellen, nachdem jetzt doch die Konzentration auf München vorgenommen wird? Das kostet einige Millionen. Ist die Bundesregierung in der Lage und auch bereit, die Mittel zur Verfügung zu stellen und hier keinen Unterschied zwischen München und Berlin zu machen? ({0})

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Das, was jetzt durch den Zwischenruf des Kollegen Bosbach deutlich geworden ist, ist die viel wichtigere Frage. Hinsichtlich des Titelgewinns jedoch lassen wir uns überraschen. Herr Hinsken, ich gehe davon aus, dass es zu einer objektiven und sachgerechten Umsetzung dieses Konzepts sowohl in organisatorischer als auch in finanzieller Hinsicht kommen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die letzte Frage hat Frau Kollegin Kaupa.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmt der Ablauf der Entscheidungsfindung, wonach das WM-OK und das Bundesinnenministerium miteinander einen Beschluss fassen müssen, der dann aber von der FIFA abgesegnet werden muss, dass sie also das letzte Wort hat? Wird es denn, wenn die FIFA Nein sagt, nicht gemacht? Wenn Sie sich Gedanken machen, was Sie vorhaben, dann müssen Sie doch auch geplant haben, was es kosten wird. Man kann doch nicht ins Blaue hinein planen. Irgendwann wird man doch auch einmal eine Rechnung aufstellen. Ihnen werden doch Zahlen vorliegen. Wenn Sie sie haben, legen Sie sie uns bitte vor.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin, das letzte Wort hat die FIFA. Sie entscheidet darüber, ob diese Konzeption realisiert wird. Ich sage Ihnen: Wenn diese Konzeption auf dem Tisch liegt, wird auch finanziell für ihre Durchführung gesorgt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Körper, nachdem nun nahezu alle Fragen zu den Rahmenbedingungen des Eröffnungsspiels mindestens angesprochen, wenn nicht geklärt sind, bleibt nur die Frage nach dem Ergebnis dieses Spiels. Ich gehe davon aus, dass uns die Bundesregierung rechtzeitig unterrichtet, sobald dazu eine Vereinbarung getroffen worden ist.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Das werden wir tun, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung. Ich rufe Frage 24 der Kollegin Roedel auf: Trifft es zu, dass Auszubildende der deutschen Agenturen für Arbeit mit Billigung der Bundesagentur für Arbeit, BA, regelmäßig mit einem Dienstwagen zu ihren Seminaren gebracht werden, um Kosten zu sparen, und, wenn ja, wurden in die Vergleichsberechnung zwischen Dienstwagennutzung und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch die Personalkosten für die Fahrer eingerechnet?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin Roedel, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Es trifft nicht zu, dass Auszubildende zu ihren Seminaren regelmäßig mit einem Dienstwagen gebracht werden. Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit sind ihre Dienststellen gehalten, für die erforderlichen Dienstreisen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Aus- und Fortbildungsveranstaltungen die insgesamt kostengünstigste Variante einzusetzen. Dabei sind nicht nur die unmittelbaren Kosten zu berücksichtigen, sondern auch mittelbare Faktoren wie die Anbindung an Netze des ÖPNV oder die zeitliche Lage der Veranstaltung. Diese Grundsätze gelten auch für die Teilnahme von Auszubildenden an Aus- und Fortbildungsveranstaltungen. Stets ist eine Prüfung, bezogen auf die jeweilige Veranstaltung, vorzunehmen. Diese einzelfallbezogene Prüfung erfasst sinnvollerweise nur die zusätzlich anfallenden Kosten. Die Nutzung eines Dienstwagens mit Fahrer ist dabei auch dann günstiger, wenn andere Fahrten nicht durchzuführen sind, der Kraftfahrer also nur in Bereitschaft steht und das Fahrzeug ansonsten ungenutzt bleiben würde. Die Bundesagentur strebt einen möglichst hohen Auslastungsgrad vorhandener Ressourcen an. Kosten wie die Fixkosten des ansonsten nicht genutzten Fahrzeuges oder die anfallenden Personalkosten des Fahrers werden beim Kostenvergleich mit öffentlichen Verkehrsmitteln daher nicht in die Berechnung einbezogen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre Zusatzfrage, Frau Roedel.

Hannelore Roedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann stimmt also die Aussage eines Arbeitsamtdirektors, dass gerade Behörden mit großem Einzugsbereich auf ihren Fuhrpark zurückgreifen? Hier kommt es dann wohl im Einzelnen auf die Berechnungen an. Denn erst haben Sie mir erklärt, so würde grundsätzlich nicht verfahren. Dann haben Sie Stellung dazu genommen, welche Berechnungen angestellt werden. Das habe ich nicht ganz verstanden.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Ihre Frage lautete, ob es zutreffe, dass Auszubildende regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen chauffiert würden. Dazu habe ich gesagt, dass das nicht zutrifft. Vielmehr werden Einzelfallprüfungen durchgeführt. Im Einzelfall kann das günstiger oder angemessen sein. Diese Möglichkeit wird deshalb nach Bedarf wahrgenommen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Keine weitere Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 25, ebenfalls von Frau Roedel, auf: Wie hoch sind die Kosten, die für öffentliche Verkehrsmittel bzw. Dienstwagen inklusive der Kosten für die Fahrer aufgewendet werden müssen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sie fragen nach den Vergleichskosten einerseits bei Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und andererseits bei Nutzung von Dienstwagen. Hierzu teilt die Bundesagentur Folgendes mit - deshalb beantworte ich Ihre Frage auch in diesem Sinne -: Ein bundesweiter Vergleich der Kosten, die für öffentliche Verkehrsmittel bzw. für Dienstwagen mit Fahrer anfallen, ist nicht möglich. Für Dienstfahrten liegen die direkten und indirekten Kosten pro Fahrzeug und Kilometer bei 0,31 Euro, und zwar auf der Basis von 21 615 844 Kilometern Fuhrparkgesamtfahrleistung im Jahr 2002, unabhängig von der Anzahl der zu befördernden Personen. Hierin sind die Kosten für Kauf, Leasing, Unterhalt sowie die Personalkosten für die Disposition des Fuhrparks enthalten. Nicht enthalten sind jedoch die Personalkosten der Berufskraftfahrer, da die Dienstfahrzeuge sowohl von den Berufskraftfahrern als auch von den Dienstreisenden selbst gefahren werden. Bei Bahnreisen wendet die Bundesagentur unter Berücksichtigung von Rabatten 0,15 Euro pro Kilometer und Person in der zweiten Klasse auf.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Da niemand eine weitere Zusatzfrage stellen möchte, rufe ich die Frage 26 des Kollegen Dr. Christoph Bergner auf: Welche Kosten verursachen die aktuellen Ausschreibungen der BA bzw. der Landesarbeitsämter zur Durchführung von Maßnahmen nach § 37 a bzw. § 48 Drittes Buch Vizepräsident Dr. Norbert Lammert Sozialgesetzbuch, zum Beispiel durch Abordnung von Mitarbeitern aller Agenturen für Arbeit zur Auswertung der Angebote, Anmietung von gesonderten Räumlichkeiten für diese Auswertung, Versendung aller notwendigen Unterlagen, Bearbeitung der Bieteranfragen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrter Herr Kollege Dr. Bergner, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Für die Verwaltungskosten zur Durchführung der Ausschreibungen zur Beauftragung von Dritten mit der Vermittlung sowie der Ausschreibungen von Trainingsmaßnahmen auf regionaler bzw. zentraler Basis wurden keine Erhebungen und separaten Erfassungen vorgenommen. Zusammenfassend kann jedoch davon ausgegangen werden, dass im Vergleich zu den bislang in den Arbeitsämtern abgewickelten Verfahren keine zusätzlichen Kosten entstanden sind und entstehen werden. Zusätzliche Räumlichkeiten zur Auswertung der Angebote wurden nicht angemietet. Durch die Vielzahl der eingegangenen Angebote und Anfragen der Bieter sind lediglich zu vernachlässigende Mehrkosten bei Versandabfertigung und Porto entstanden. Zurzeit werden die Angebote ausgewertet. Die Erteilung von Zuschlägen wird bis Ende Januar vorbereitet. Bereits jetzt kann festgestellt werden, dass es durch Bündelung und bessere Standardisierung bei mindestens vergleichbarem Qualitätsstandard im Vergleich zu den bisher von den Agenturen für Arbeit in Auftrag gegebenen Maßnahmen zu § 48 SGB III Einsparpotenziale in zweistelliger Millionenhöhe gibt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, leider können wir nun nicht über Zahlen sprechen. Es stellt sich aber die Frage nach der Effizienz des gewählten Verfahrens. Die Landesagenturen bzw. Landesarbeitsämter - um beim alten Terminus zu bleiben - sind angehalten, die Ausschreibung unter dem Kriterium vorzunehmen, den billigsten Anbieter auszuwählen. Die örtlichen Arbeitsämter, die diese Aufgabe bisher wahrgenommen haben, werden anschließend daran gemessen, welche Effizienz sie in der Vermittlungsarbeit erreichen. Damit führen Sie einen Interessenkonflikt herbei. Halten Sie es für wirklich für einen geeigneten Weg, die Zuständigkeiten so zu entkoppeln, dass das Kriterium der Effizienz bei der Vermittlung nachrangig ist?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Das Kriterium der Effizienz bei der Vermittlung wird nicht als nachrangig behandelt. Wir fragen selbstverständlich nach, wie erfolgreich die Vermittlung ist und welche Kosten dabei anfallen. Mehr Details hierzu beinhaltet aber meine Antwort auf Ihre zweite Frage. In dieser werde ich nämlich aufzeigen, welches Instrumentarium diejenigen, die sich bewerben, anwenden wollen, um die Vermittlung möglichst effizient durchzuführen.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In diesem Fall bin ich auf die Antwort auf meine zweite Frage gespannt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich die Frage 27 des Kollegen Bergner auf: Inwiefern hält die Bundesregierung die Ausschreibungen im Bereich des Landesarbeitsamtes Sachsen-Anhalt/Thüringen angesichts der jeweiligen gewählten Losgrößen für gesetzeskonform, etwa hinsichtlich der „Mittelstandsklausel“ des § 5 Nr. 1 der Verdingungsordnung für Leistungen/Teil A?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Diese Frage hat das Thema Effizienz zum Inhalt. Ich beantworte sie daher wie folgt: Die Größe der Lose bei den zurzeit laufenden Ausschreibungen wurde nicht statisch festgelegt. Ihre Festlegung wurde vielmehr sowohl von inhaltlichen und wirtschaftlichen Überlegungen als auch von regionalen Gesichtspunkten beeinflusst. Es wird also auch das Kriterium der Regionalität berücksichtigt. Mit Vertretern der jeweiligen Regionaldirektionen wurde gemeinsam die Losbildung auch unter Beachtung der vom Gesetzgeber in § 97 Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgeschriebenen Interessen des Mittelstands vorgenommen. Mehrere Agenturen für Arbeit wurden nur in Ballungsräumen bzw. regional definierten Wirtschaftsräumen im Losverbund zusammengefasst. Fachlich-inhaltliche Aspekte wurden ebenso berücksichtigt. Für kleine Anbieter - jetzt komme ich zur Effizienz der Anbieterseite - sind Bietergemeinschaften der Weg, um Lose zu erhalten. Vielerorts bestehen vorwiegend im Bereich der beruflichen Weiterbildung bereits Trägerverbünde und andere Bildungsnetzwerke. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass entsprechende Kommunikationsstrukturen bei den Trägern vor Ort vorhanden sind und genutzt werden. Rückmeldungen zu den laufenden Ausschreibungen zeigen, dass Angebote auf die Lose in ausreichender Anzahl eingehen und die Angebote in erheblichem Umfang durch Bietergemeinschaften eingereicht wurden. Im Bezirk der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt/ Thüringen wurden zu § 37 a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch 34 Lose gebildet. Daraufhin wurden insgesamt 227 Angebote, an denen die Bietergemeinschaften einen Anteil von 80 Prozent hatten, abgegeben. Zu § 48 SGB III wurden 21 Lose gebildet, auf die 228 Angebote, an denen die Bietergemeinschaften einen 40-prozentigen Anteil hatten, eingegangen sind. Durch diese Zahlen wird bestätigt, dass die Vergabe nach Losen berücksichtigt und diese Vorgehensweise vom Wettbewerb angenommen wurde.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, damit wir wissen, über welche Größenordnung wir bei dieser Ausschreibung sprechen, möchte ich bezüglich der Ausschreibung zu § 37 a SGB III gern den Umfang eines Loses nennen. Bei Los 7 handelt es sich um 84 Maßnahmen für 1 344 Teilnehmer in mindestens 13 Standorten in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Es stellt sich nun tatsächlich die Frage, wie mittelständisch organisierte Bieter hiermit zurechtkommen. Sie verweisen auf die Bietergemeinschaften. Ich möchte Sie fragen, ob Sie es wirklich für die hohe Schule des Vergaberechts halten, wenn mittelständische Bildungsträger mit Konkurrenten der gleichen Branche - das schließt diese spezielle Branche ein - eine Bietergemeinschaft unter Offenlegung ihrer Kalkulationsgrößen und Bildungskonzepte bilden müssen.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Ich kann Ihnen nicht beantworten, was die hohe Schule des Vergaberechts ist. Ich kann Ihnen nur sagen - darauf rekurrieren Sie ja -, dass die Vergabekammer für dieses Verfahren gerügt worden ist. Die Vorgehensweise wurde vom Bundeskartellamt aber legitimiert, das heißt, die Vergaberichtlinien wurden eingehalten. ({0}) Ich glaube, wenn 80 Prozent der Angebote durch Bietergemeinschaften eingereicht werden, dann kann man davon sprechen, dass sich das Verfahren bei den Anbietern durchgesetzt hat. Somit ist es marktkonform und sinnvoll.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nur zur Verständigung bezüglich der Bietergemeinschaften: Sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass die Bietergemeinschaften unter den gegebenen Bedingungen Notgemeinschaften sind?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Ich glaube nicht, dass es Notgemeinschaften sind. Ich denke, es ist sinnvoll, dass sich Anbieter, die verschiedene Angebote haben, zusammenschließen und ein gemeinsames Angebot abgeben.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Ich rufe nun Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu dem von Bundesminister Schily verkündeten Umzug des Bundeskriminalamtes ({0}) zur Zentralisierung aller operativen Einheiten des BKA in Berlin Diese Aktuelle Stunde wurde von der Fraktion der CDU/CSU verlangt. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSUFraktion.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion lehnt die Absicht des Innenministers, die bewährte dezentrale Organisation des BKA zu zerschlagen und das Bundeskriminalamt in Berlin zu zentralisieren, entschieden ab. ({0}) Das gilt sowohl für die komplette Schließung des Standortes Meckenheim als auch für die geplante Verlagerung verschiedener Abteilungen der BKA-Zentrale von Wiesbaden nach Berlin. Es mag sein, Herr Minister, dass es den einen oder anderen vernünftigen Grund für eine Verlagerung bestimmter Abteilungen und Aufgaben des BKA nach Berlin gibt. ({1}) Aber aus polizeifachlicher Sicht gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, das BKA überwiegend nach Berlin zu verlagern; denn bei der notwendigen Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte sprechen wesentlich mehr Argumente gegen als für die geplante Zentralisierung in Berlin. ({2}) Darüber hinaus widersprechen die Pläne des Herrn Schily nicht nur Sinn und Zweck des Berlin/Bonn-Gesetzes. Sie sind auch ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen, die den Standortgarantien geglaubt und sich hierauf auch in ihrer persönlichen Lebensplanung verlassen haben. ({3}) Die Art und Weise, wie der Innenminister mit den betroffenen Mitarbeitern umgeht, wie er sie vor gut einer Woche Knall auf Fall vor vollendete Tatsachen gestellt hat, ist unerträglich. Das ist Politik nach Gutsherrenart, mit der man Mitarbeiter nicht motiviert, sondern völlig demoralisiert. ({4}) Genau das ist das Letzte, was wir uns in dieser höchst angespannten Sicherheitslage erlauben können. Wenn Herr Schily glaubt, mit Umzügen quer durch die Republik und einer Zentralisierung in Berlin mehr Sicherheit produzieren zu können, dann irrt er. Die Investitionen am neuen Standort, die Umzüge selber, aber auch die notwendigen Sozialpläne werden viele Hundert Millionen Euro verschlingen. Angesichts der desolaten Finanzlage des Bundes ist das ein völlig unverantwortliches Vorhaben. Dieses Geld sollten wir lieber in eine optimale Ausund Fortbildung der Mitarbeiter und in modernste Technik zur Verbrechensbekämpfung investieren. Dann hätten wir tatsächlich einen Sicherheitsgewinn. ({5}) Die Pläne des Innenministers führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Verunsicherung gerade derjenigen, auf deren Engagement wir in ganz besonderer Weise angewiesen sind. Wir brauchen keine verstärkte politische Einflussnahme auf die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden. Sie allerdings - das muss ich zugeben wäre in Berlin leichter möglich als an den Standorten Wiesbaden oder Meckenheim. ({6}) Aber gerade das spricht nicht für, sondern ebenfalls gegen die geplante Zentralisierung. Mir kann keiner erklären, wieso es in einem Zeitalter modernster Informations- und Kommunikationstechniken nicht möglich sein soll, die jetzige dezentrale und auch der föderalen Struktur unserer Bundesrepublik entsprechende Standortverteilung beizubehalten. In einem Zeitalter, wo Informationen, Meinungen, Zahlen, Daten und Fakten in Sekundenbruchteilen rund um den ganzen Globus gehen, soll es angeblich nicht mehr möglich sein, die dezentrale Struktur aufrechtzuerhalten. Stattdessen soll es nunmehr notwendig sein, die Sicherheitsbehörden hier in Berlin zu zentralisieren. Eine effiziente Sicherheitspolitik, Herr Minister, ist nicht in erster Linie eine Frage des Standortes einer Behörde, sondern die Folge richtiger politischer Entscheidungen. Deshalb fordern wir den Innenminister auf, seine fatale Fehlentscheidung zu korrigieren und seine Umzugs- und Zentralisierungspläne umgehend aufzugeben. Danke fürs Zuhören. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Frank Hofmann, SPDFraktion. ({0})

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ehemaliger Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes möchte ich an dieser Stelle dem Bundeskriminalamt meinen Dank abstatten. Der hohe Stellenwert, den das Bundeskriminalamt in der nationalen und internationalen Kriminalitätsbekämpfung hat, hat zu einem entsprechend guten Ruf geführt. Dies hat seine Ursachen in der Kompetenz aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diesen hohen Stellenwert hätte es nicht gehabt, wenn sie immer nur Dienst nach Vorschrift gemacht hätten. Vielmehr haben sie immer Dienst nach Sicherheitsbelangen gemacht. Die Zahl der Überstunden, die jedes Jahr dort geleistet werden, geht an die 200 000. Das zeigt, das Amt ist motiviert. Die jeweilige Sicherheitslage stellt an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besondere Herausforderungen, die sie immer gemeistert haben. Sie haben sie auch immer bei Umzügen gemeistert. Sie wissen genau, dass die Abteilung Terrorismus in den 70er-Jahren neu entstanden und das Bundeskriminalamt mit dieser ausgebaut worden ist, dass ein Umzug stattgefunden hat ({0}) und dass das Bundeskriminalamt immer wieder gute Arbeit geleistet hat. Die wird es auch künftig leisten können. ({1}) Die dienstlichen Notwendigkeiten, verstärkt in Berlin tätig zu werden, stehen außer Zweifel. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von einigen Bereichen, die von besonderer politischer Bedeutung sind. Das heißt nicht Politikberatung, sondern Unterstützung durch Politik, damit man international Fälle lösen kann, an denen Deutsche beteiligt sind. Ich erinnere an den Fall in der Wüste von Algerien. Dazu ist es notwendig, dass man in Berlin arbeitet. Ich halte es für wichtig, das einzubeziehen. ({2}) Es kann nicht alles beim Alten bleiben. Man muss auf die Sicherheitslage, die Kosten und auch die sozialen Belange achten. Herr Bosbach, ({3}) Sie haben immer eine neue Sicherheitsarchitektur gefordert. Im Innenausschuss wird ständig davon gesprochen, ein Amt für Homeland Security möglicherweise auch in Deutschland einzurichten. Da ist alles unter einem Dach. Jetzt aber sagen Sie, alles müsse dezentral bleiben. ({4}) Sie betreiben Populismus. So kann es nicht gehen. ({5}) Den Zentralisierungswahn betreiben Sie mit dieser Sicherheitsphilosophie. Wir versuchen, eine sachgerechte Politik zu machen. Das gilt für auch unseren Minister. ({6}) Das Innenministerium hat in der Folge des 11. September 2001 die Notwendigkeiten kriminalpolizeilicher Art aufgezeigt und besonnen reagiert. Diese besonnene Kriminal- und Sicherheitspolitik werden wir fortführen. ({7}) Frank Hofmann ({8}) Für uns war die Kommunikation zwischen dem Ministerium und dem Bundestag schwierig. Es wäre sinnvoll und hilfreich für uns gewesen, wenn eine bessere Kommunikation bestanden hätte. Nachher sind wir aber alle schlauer. Wir stimmen dem Minister zu, ({9}) - Sie können überhaupt nicht zuhören -, dass es eine ergebnisoffene Diskussion über die beste Antwort auf die Sicherheitslage geben muss. ({10}) Dies ist Aufgabe der Führung des Bundeskriminalamtes gemeinsam mit der Personalvertretung unter besonderer Berücksichtigung der föderalen, finanziellen und sozialen Aspekte. Verwunderung möchte ich gegenüber der Position der FDP zum Ausdruck bringen. In ihrem Antrag heißt es: Eine räumliche Umstrukturierung des Bundeskriminalamtes zu diesem Zeitpunkt ist denkbar ungeeignet. Wenn Sie in den Plenarsaal schauen, dann stellen Sie fest, dass die FDP vor allem durch Abgeordnete aus NRW und weniger durch Innenpolitiker vertreten ist. Die sitzen etwas weiter hinten. ({11}) Ich frage Sie: Wenn nicht jetzt, wann muss denn darüber nachgedacht werden? Soll man erst warten, bis es zu einem Anschlag in Deutschland kommt? Wir alle wissen, dann wird mit heißer Nadel gestrickt. Schnelligkeit geht dann oftmals vor Sorgfalt. Nein, so geht es nicht. Heute können wir ergebnisoffen, ohne Sicherheitseinbußen das Richtige tun. Das hat der Minister erkannt. Ich sehe es als gemeinsame Aufgabe des BMI, der Innenpolitiker und der Fachleute im BKA an, alles zu tun, das Bundeskriminalamt so zu organisieren, dass auch künftig angesichts der sicherheitspolitischen Herausforderungen eine gute Arbeit zum Schutz der Bevölkerung, zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger geleistet werden kann. Dazu bedarf es der Loyalität der Angehörigen des Bundeskriminalamtes und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Darauf werden wir achten. Vielen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erteile ich dem Kollegen Dr. Max Stadler das Wort.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! An meinem Tonfall werden Sie bemerken, dass ich aus Bayern komme und nicht aus Nordrhein-Westfalen. ({0}) Trotzdem sage ich: Das Bundeskriminalamt hat bisher hervorragende Arbeit geleistet. Das kann und soll so bleiben an den Standorten Meckenheim, Wiesbaden und Berlin. ({1}) Auch als Oppositionspartei hat die FDP die Politik des Ministers Schily immer konstruktiv begleitet. Erst diese Woche haben wir Ihnen zugestimmt, Herr Schily, und Ihnen Unterstützung für Ihre Pläne zur Modernisierung des öffentlichen Dienstes zugesagt. Die Unterstützung kann sich aber nur auf vernünftige Entscheidungen beziehen. Was den Umzug und die Zentralisierung des Bundeskriminalamts anbelangt, melden wir entschiedenen Widerspruch an. ({2}) Unser Widerspruch bezieht sich sowohl auf das Verfahren, wie die Entscheidung getroffen worden ist, als auch auf den Inhalt der Entscheidung. Das Verfahren war ein Dekret von oben herab. Dieser Stil, ohne mit den Betreffenden zu sprechen und ohne sich mit dem Parlament ins Benehmen zu setzen, ist nicht akzeptabel, auch wenn es sich um eine Exekutiventscheidung des Ministers handelt. ({3}) Wer die besseren Argumente hat, kann von Anfang an offen informieren und diskutieren. Das ist aber in diesem Fall nicht geschehen. Herr Minister Schily, gestatten Sie mir eine kleine Polemik. Ihnen haftet seit vielen Jahren das Etikett der Toskanafraktion an; ({4}) ob zu Recht oder zu Unrecht, weiß ich nicht. Ich glaube, mit diesem Verfahren sind Sie leider - wenn auch zu Unrecht - auf dem besten Weg, noch einer anderen Assoziation Vorschub zu leisten, nämlich der Erinnerung an Niccolò Machiavelli, den Theoretiker der Machtpolitik aus der Renaissance. Ich glaube, eine solche Assoziation ist nicht das, was Sie erstreben. Ich habe Sie bisher eher so verstanden, dass Sie sich gerne als ein Förderer der Künste und Wissenschaften wie Cosimo de’ Medici sehen, der als Pater Patriae - Vater des Vaterlands - bezeichnet wurde. Aber patriarchalische Entscheidungen passen eben nicht mehr in die Moderne. ({5}) Ich komme zum Inhaltlichen: Wenn Sie die besseren Argumente gehabt hätten, dann hätten Sie, wie gesagt, offen über Ihr Vorhaben informieren können. Aber was die Arbeit des Bundeskriminalamts angeht, hat die Praxis auch nach dem 11. September gezeigt, dass die sich durch die schwieriger gewordene Sicherheitslage ergebenden Herausforderungen gemeistert worden sind. Infolgedessen trägt derjenige, der für eine Verlegung des Bundeskriminalamts nach Berlin plädiert, die Beweislast dafür, dass dieser Umzug und die damit verbundene Zentralisierung notwendig sind. ({6}) Wir sind schließlich nicht in der Situation, dass diese Behörde neu zu schaffen und zunächst über ihren künftigen Standort zu entscheiden wäre. In diesem Fall hätte die Behörde ihren Sitz durchaus in Berlin bekommen können. Aber die Behörde existiert bereits und sie arbeitet erfolgreich. Wer ihren Sitz verlegen will, muss begründen, warum das zwingend erforderlich ist. Eine solche zwingende Notwendigkeit sehen wir nicht. ({7}) Darin liegt auch ein Unterschied zum Umzug des Bundesnachrichtendienstes. Bei diesem konnte man durchaus anderer Meinung sein. Aber - das wissen wahrscheinlich viele nicht - ein Großteil der Arbeit des Bundeskriminalamts besteht nicht in der Beratung der Bundesregierung, die vor Ort erfolgen muss. Vielmehr besteht ein Großteil der Arbeit aus reiner Ermittlungstätigkeit und der Zusammenarbeit mit den Landespolizeien und mit Europol, die von jedem Standort in der Bundesrepublik - das heißt, auch in Meckenheim oder in Wiesbaden - mit demselben Erfolg geleistet werden kann. ({8}) Der Begriff der Staatssicherheit, die nach Berlin kommen soll, verleitet viele dazu, zu glauben, es gehe dabei um die Bewachung von Gebäuden, Regierungsbehörden und Ähnlichem. Dabei handelt es sich aber um nichts anderes als die Aufklärung von terroristischen Aktivitäten und den Schutz vor terroristisch Anschlägen, die zur polizeilichen Ermittlungsarbeit gehören und auch in der Zuständigkeit der Polizeien bleiben sollen. Ich möchte einen letzten Gesichtspunkt erwähnen. Zurzeit gibt es eine Föderalismuskommission, in der wir gemeinsam darüber diskutieren, welche zusätzlichen Kompetenzen den Ländern eingeräumt werden sollen. Es bildet einen Widerspruch dazu, wenn eine dezentral arbeitende, bewährte Behörde - wenn auch eine Bundesbehörde - nach Berlin geholt werden soll. Dafür gibt es keine Notwendigkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar von Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe großes Verständnis für die Proteste der BKA-Bediensteten, die es in den vergangenen Tagen auf Betriebsversammlungen und öffentlichen Demonstrationen gegeben hat. Ich wünsche von dieser Stelle aus viel Mut und viel Erfolg für die am Samstag geplanten Demonstrationen an den Standorten. Wir, die Fraktion der Grünen, werden das Unsrige dazu beitragen. ({0}) - Es ist doch schön, dass ich dem BKA einmal viel Erfolg für eine Demonstration wünsche; das hat doch auch etwas. So, wie die Umzugspläne für das BKA entwickelt wurden und wie sie den Bediensteten zur Kenntnis gegeben wurden, kann man mit Menschen nicht umgehen. ({1}) Es ist insbesondere dieser Politikstil, den ich hier angreifen möchte. Wir, das Parlament, geben dem öffentlichen Dienst sonst andere Botschaften. Wir sind der Meinung: Demokratie lebt von Beteiligung und einen modernen Staat kann man nur mit kreativen und kritischen Bürgerinnen und Bürgern schaffen. Wir wollen den öffentlichen Dienst modernisieren und reformieren. Dies ist nur mit offenen Diskussionen und offenen Konzepten möglich. Veränderungen dürfen in einem modernen Staat nicht von oben verordnet werden, sondern sie sollten gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern vorgenommen werden. So stellen wir uns die Reform des öffentlichen Dienstes vor. Ich verstehe deshalb sehr gut, dass erwachsene Menschen, die erst aus der Presse von den Umzugsplänen erfahren haben - der Umzug würde einen tiefen Eingriff in ihre persönliche Lebensplanung bedeuten - und die eine hoch qualifizierte Arbeit leisten, auf den Betriebsversammlungen deutlich gemacht haben: So lassen wir mit uns nicht umspringen! ({2}) Von dem Geheimplan „Umzug des BKA nach Berlin“ haben auch wir, das Parlament, erst aus den Medien erfahren. Die erste Überschrift, die ich im Flugzeug in einer deutschen Zeitung gelesen habe, lautete: BKA zieht für 500 Millionen Euro nach Berlin um. ({3}) Welche politischen Botschaften sind das eigentlich, die im neuen Jahr vermittelt werden sollen? Wie soll ich denn die Sparpolitik, die ich in meinem Wahlkreis tapfer verteidigt habe und die ich auch für richtig gehalten habe - ich habe den Menschen gesagt, dass die öffentlichen Kassen leer sind und dass wir kein Geld mehr für die Erfüllung wichtiger Bildungsaufgaben und sozialer Aufgaben haben -, ({4}) weiterhin glaubwürdig vertreten, wenn man über die Medien erfährt, dass offensichtlich 500 Millionen Euro übrig sind und ohne Beteiligung des Parlamentes einfach ausgegeben werden sollen? Auch wir, die Fraktion der Grünen, lassen mit uns so nicht umspringen. ({5}) Wir halten das einen Tag vor der Sitzung des Innenausschusses vorgelegte Konzept für nicht hinreichend begründet. Es hat keine Priorität. Wir kennen aus vielen anderen Ressorts nachvollziehbare Argumente für gewünschte Umzüge nach Berlin, die Ministerien betreffen. Ich wünsche mir - auch das gehört zur Teamarbeit im Kabinett dazu -, dass wir ein Gesamtkonzept erarbeiten. Für mich jedenfalls ist der Umzug von Teilen der Ministerien, die zwei Dienstsitze haben, nach Berlin vernünftig ({6}) und hat Priorität vor dem Umzug von Bundesämtern in die Hauptstadt. ({7}) Für mich ist das, was jetzt vorgeschlagen worden ist, ein verfehlter Start in das neue Jahr. ({8}) Ich kann den Innenminister nur bitten und auffordern, Folgendes zu beherzigen: Ergebnisoffen heißt für uns, von vorne zu beginnen und den Diskurs mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu suchen. Ich habe bereits mit einigen BKA-Bediensteten über das vorliegende Konzept gesprochen und bin zu dem Schluss gekommen, dass die sachlichen Einwendungen nachvollziehbar sind. Natürlich hat die Exekutive bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Aber die Bereitstellung von Haushaltsmitteln ist Aufgabe des Parlaments. Ohne parlamentarische Beteiligung und ohne den Neubeginn einer Konzeptentwicklung - vielleicht reicht es ja aus, wenn eine kleine Einheit von zusätzlich etwa 100 BKA-Bediensteten nach Berlin zieht - wird es keinen offenen Diskurs geben. Ergebnisoffen heißt für mich aber nicht: Wir beruhigen jetzt die Gemüter, um später doch das zu machen, was wir in der Schublade haben. Danke schön. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich der Kollegin Kristina Köhler für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass die Redezeit von Mitgliedern des Hauses nach den Bestimmungen unserer Geschäftsordnung weder durch die Aufforderung „Aufhören!“ verkürzt noch durch die Aufforderung „Zugabe!“ verlängert werden kann. ({0}) Bitte schön, Frau Köhler.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „In meinem Ministerium darf jeder das tun, was ich will.“ So tönte laut „Spiegel“ unser Bundesinnenminister am vergangenen Montag in Bad Kissingen. ({0}) Mit derselben Selbstverständlichkeit eines absolutistischen Herrschers verfahren Sie auch mit den Beamten des BKA, frei nach der Devise: Das BKA bin ich. Noch nicht einmal Ihre eigene Kabinettskollegin, die Wiesbadener Abgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul, zu informieren hielten Sie für nötig, geschweige denn die örtlichen MdBs, andere Abgeordnete oder die Innenpolitiker der eigenen Partei, der SPD. Ich frage mich, ob die Tatsache, dass der Herr Wiefelspütz mittlerweile bei den Grünen sitzt, schon eine erste Konsequenz daraus ist. ({1}) Politischer Stil ist offensichtlich keine Stärke unseres Bundesinnenministers. Was aber viel schwerer wiegt, ist, dass die getroffene Entscheidung einer Kosten-NutzenAnalyse nicht standhält und dass der Bundesinnenminister zu einer solchen Kosten-Nutzen-Analyse - zumindest bisher - offensichtlich auch nicht bereit war. In Ihren Stellungnahmen, Herr Bundesinnenminister, gehen Sie nämlich ausschließlich auf den vermeintlichen Nutzen ein. Man muss aber, wenn man eine Entscheidung trifft, immer Nutzen und Kosten bedenken und man darf nur dann handeln, wenn der Nutzen die Höhe der Kosten übersteigt; ansonsten ist eine solche Veranstaltung nicht zu rechtfertigen. Zum Nutzen möchte ich nur Folgendes sagen - Herr Bosbach hat dazu schon einiges ausgeführt -: Sie glauben, dass die Bündelung mehrerer Behörden in einer Stadt zu einer effizienteren Zusammenarbeit führt. Das mag vor 20 Jahren ein gewichtiges Argument gewesen sein. In einer Zeit aber, in der es schneller geht, eine E-Mail von Meckenheim nach Berlin zu schicken, als vom ersten in den zweiten Stock zu laufen, gilt ein Kristina Köhler ({2}) solches Argument nur noch sehr begrenzt, Herr Innenminister. ({3}) So viel zu dem Nutzen. Kommen wir nun zu den Kosten, von denen bei Ihnen keine Rede ist. Erstens. Die Höhe der direkten finanziellen Kosten liegt bei 600 Millionen Euro. Diese Summe würde zur Terrorismusbekämpfung wesentlich mehr beitragen, wenn man sie beispielsweise in die dringend benötigte Ausstattung der Polizei mit digitalen Kommunikationsmitteln und nicht in einen Umzug investierte. ({4}) Zweitens. In eine Kosten-Nutzen-Analyse einfließen müssen selbstverständlich auch die sozialen Kosten. 2 000 Mitarbeiter und ihre Familien müssen ihr soziales Umfeld verlassen und nach Berlin ziehen. Pikant ist beispielsweise, dass in Wiesbaden noch vor zwei Jahren BKA-eigene Wohnungen privatisiert und den BKA-Mitarbeitern zum Kauf wärmstens empfohlen wurden. Jetzt, zwei Jahre später, heißt es eben: Ab nach Berlin! Fast alle Mitarbeiter sind darüber verzweifelt. Ich lese mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur zwei Sätze aus den zahlreichen Briefen vor, die mich in den letzten Tagen erreicht haben: Die Stimmung in dieser Behörde ist kaum zu beschreiben. Gestandenen Kriminalbeamten treibt es bei diesem Thema die Tränen in die Augen. Herr Bundesinnenminister, wie motiviert werden diese Mitarbeiter in den nächsten Jahren sein? ({5}) Drittens - dieser Punkt gehört ebenfalls auf die Kostenseite -: der Verlust an Motivation und Kompetenz. Vor allen Dingen ältere und erfahrene Mitarbeiter werden über Härtefallregelungen einen Umzug nach Berlin vermeiden können. Unsere BKA-Beamten sind so gut, dass sich die freie Wirtschaft sehr um sie bemühen wird. Von heute auf morgen werden dem BKA also eine Menge hochkompetenter Kräfte verloren gehen. Herr Minister, auch das können wir uns zurzeit nicht leisten. Viertens: die sicherheitspolitischen Kosten. Durch einen Umzug wird die Sicherheit in Deutschland bis 2008 schwer beeinträchtigt. ({6}) - Ist ja gut! ({7}) Statt islamische Terroristen aufzuspüren oder die organisierte Kriminalität zu bekämpfen werden die Mitarbeiter damit beschäftigt sein, Umzugskisten ein- und auszupacken, neue Mitarbeiter einzuarbeiten und sich mit den neuen Strukturen vertraut zu machen. Auch das können wir nicht verantworten. ({8}) Um eines klarzustellen: Niemand verschließt sich notwendigen strukturellen und organisatorischen Veränderungen ({9}) - wenn Sie das scheinheilig finden, ist das Ihre Sache; die 2 000 Mitarbeiter finden das, glaube ich, nicht scheinheilig -, aber ein Umzug, der 600 Millionen Euro kostet, der den Umzug von 2 000 Mitarbeitern und Familien bedeutet, der die Arbeit des BKA beeinträchtigen wird und der mit einem kaum verkraftbaren Kompetenzverlust verbunden sein wird, ist eindeutig überdimensioniert. Die Kosten stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem Nutzen. Deswegen appelliere ich an Sie, Herr Bundesinnenminister: Nehmen Sie diese unsinnige Entscheidung zurück! ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Gerold Reichenbach, SPD-Fraktion. ({0})

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Köhler, es fehlt meines Erachtens ein bisschen an Glaubwürdigkeit, ({0}) wenn die Szenarien, die Sie eben zu Recht beschrieben haben, nun ausgerechnet aus einer Fraktion kommen, die bei jeder Talkshow immer mehr Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einfordert. Es sind nicht Sozialdemokraten, die dies so tun. ({1}) Ich gestehe Ihnen zu: Grundlage muss eine ausführliche Kosten-Nutzen-Analyse sein. Aber genau das, was Sie dem Minister vorwerfen, haben Sie gemacht. Sie haben sozusagen per Schreiben einer Rede Ihre KostenNutzen-Analyse auf die Größe von Umzugskartons und auf die Behauptung reduziert, dass so komplizierte Dinge wie Organisation von Fahndung und Kommunikation in einem schwierigen Erkenntnisgewinnungs- und Fahndungsprozess auf E-Mail-Format zu reduzieren wären. Das ist nicht so und das wissen auch alle. Es ist unbestritten, übrigens auch beim Personalrat, dass es einer stärkeren Verzahnung am Standort Berlin bedarf. Es ist unbestritten, übrigens auch in Ihren Reihen, Herr Bosbach, jedenfalls immer dann, wenn es um die Theorie geht, dass es aufgrund der veränderten Sicherheitslage - das ist keine Kritik an den bestehenden funktionierenden Strukturen; es geht darum, dass wir uns an geänderte Bedingungen anpassen müssen - einer stärkeren Verzahnung bedarf. ({2}) Nun wird dieser Prüfungsprozess eingeleitet. Auch mir wäre es lieber gewesen, wenn die Art und Weise der Information eine andere gewesen wäre; da spreche ich auch für meine hessischen Kollegen. Wenn Sie sich hier aber hinstellen und kritisieren - hier sitzt auch der Innenminister Bouffier -, dann muss ich Ihnen sagen: Ich hätte mir gewünscht, dass Sie und Ihre hessischen Kollegen die Maßstäbe, die Sie hier propagiert haben, bei der Umstrukturierung der hessischen Ämter - dabei geht es ebenfalls um Tausende von Beschäftigten; da werden 6 000 Plätze abgebaut ({3}) an sich selber angelegt hätten. ({4}) Dort verteidigen Sie die Gutsherrnart des Innenministers. Viele Betroffene haben es morgens aus dem Internet oder per E-Mail erfahren oder wurden von der Presse angerufen. ({5}) Ihre Worte in allen Ehren, aber die Glaubwürdigkeit fehlt; denn dort, wo Sie selbst den Innenminister stellen, praktizieren Sie genau das Gegenteil. ({6}) - Herr Bosbach, hören Sie doch mit dem Dazwischenrufen auf! Das dürfen Sie bei Frau Christiansen. Da bekommen Sie mehr Aufmerksamkeit. Das geht hier im Parlament nicht. ({7}) - Wenn Sie auf dem Niveau agieren, dann haben Sie schlechte Argumente. Es ist unbestritten, dass bei solchen Umstrukturierungsprozessen aus sozialpolitischen Gründen eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Personal besteht. Darauf werden wir als Sozialdemokraten auch achten. Es gibt Familien, die da gebunden sind. Es gibt Menschen, die Häuser haben. Es gibt Partnerschaften und Ehen, in denen auch der Partner beruflich eingebunden ist, sodass man nicht so einfach verlagern kann. Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass es eine Residenzpflicht gibt. ({8}) Auf der anderen Seite müssen wir aber auch die fachliche Seite in die Abwägung einbeziehen. Auch wenn man mit sicherheitsfachlichen Aspekten argumentiert, muss bei einem Umstrukturierungsprozess, wenn er denn nötig ist, auch darauf geachtet werden - da haben Sie Recht -, ob wirklich jeder Arbeitsplatz aus Sicherheitsgründen verlagert oder anders vernetzt werden muss oder ob nach der Kosten-Nutzen-Analyse auch im Sinne dessen, was hier gesagt worden ist - Motivation, Reibungsverluste - die Entscheidung umgekehrt ausfallen muss. Das gestehen wir zu. Aber in diesen Prozess muss eingetreten werden. Der Minister hat ausdrücklich zugesagt, dass er diesen Prozess einleitet und von Anfang an durchführt. In diesem Sinne werden auch wir um jeden Arbeitsplatz kämpfen und nachhaken, ob es wirklich notwendig ist, ihn zu verlagern. In diesem Sinne werden wir dafür kämpfen, dass möglichst viele Arbeitsplätze in Wiesbaden bleiben. Wir stellen uns aber nicht hier hin und beurteilen dies schon anhand der Größe von Umzugskartons und der Menge der E-Mails. Die außerdem aus Wiesbaden zu hörende Argumentation - der hessische Innenminister hat dies ja auch gesagt -, dass dies nur der Einstieg in den Ausstieg sei und eine Gesamtverlagerung stattfinde, entbehrt jeglicher Grundlage. Am Standort Wiesbaden wird nicht gerüttelt werden. Das können Sie allein daran sehen, dass für 70 Millionen Euro ein Neubau für die kriminaltechnische Abteilung am Standort Wiesbaden errichtet wird. Das heißt, dass Wiesbaden auch weiterhin ein wichtiger Standort des Bundeskriminalamtes bleiben wird. ({9}) Wir sind dankbar, dass der Minister dies deutlich gemacht hat. Wir werden den weiteren Prozess mit den Personalvertretungen und mit anderen begleiten und fachlich genau die Abwägung treffen, die Sie eingefordert, aber offensichtlich schon längst auf einer weniger fachlichen Ebene getroffen haben. ({10}) Das mag politisch legitim sein. Ich sage Ihnen nicht nur aus Gründen der Fürsorgepflicht, sondern auch aus Gründen der Sicherheit dieses Vorgehen zu. Ich kann Ihnen versichern, dass meine Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul und die anderen hessischen Kollegen - Sie fragten ja danach - natürlich auch mit den hessischen Landtagskollegen dafür kämpfen und sich weiterhin dafür einsetzen werden, dass der Hauptsitz in Wiesbaden bleibt. Das sind wir unserem Selbstverständnis als hessische Wahlkreisabgeordnete auch schuldig. Für uns gibt es hier aber nicht wie für Sie nur ein alles oder nichts, sondern wir wollen ernsthaft, ehrlich und ergebnisoffen prüfen. ({11}) Ergebnisoffenheit muss vor diesem Hintergrund für uns alle gelten. Das heißt natürlich auch, dass wir in diesen Prozess die Interessen des Standortes einbringen. Das gilt sowohl für mich wie auch für Heidemarie Wieczorek-Zeul. Da können Sie sicher sein, Frau Köhler. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Professor Pinkwart, FDP-Fraktion.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion spricht sich gegen den von Bundesinnenminister Otto Schily geplanten Umzug des Bundeskriminalamtes von Wiesbaden und Meckenheim nach Berlin aus. Die Planungen, meine Damen und Herren - das haben die Redebeiträge ja eindrucksvoll gezeigt -, wurden dilettantisch vorbereitet, sind sachlich nicht geboten, finanziell untragbar, demotivierend für die Mitarbeiter und mit dem Prinzip der dezentralen Aufgabenwahrnehmung in unserem föderalen Gemeinwesen nicht vereinbar. ({0}) Meine Damen und Herren, innere Sicherheit ist gerade in Zeiten weltumspannenden Terrorismus ein hohes Gut. ({1}) Wesentlicher Erfolgsfaktor für Sicherheit sind motivierte Sicherheitskräfte. Voraussetzung für Motivation ist das Vertrauen der Bediensteten in die Führung. Herr Schily, Ihr Haus hat mit den Geheimplänen zur Verlagerung des BKA ohne Not genau dieses Vertrauen der Beamtinnen und Beamten grob fahrlässig aufs Spiel gesetzt. ({2}) Ich zitiere hierzu Herrn Zachert, Ex-BKA-Chef: Jetzt wird aber ohne angemessene Rückkopplung mit der Belegschaft, quasi in einer Hauruck-Aktion, nach Berlin gestartet, die Verwerfungen und betriebsinterne Störungen zum Beispiel im dienstlichen Arbeitsablauf nach sich ziehen wird. Und dies in einer höchst sicherheitsempfindlichen Zeit. Ich darf in dem Zitat fortfahren: Wer das Amt kennt, weiß, dass eine Mannschaft, die mit existenziellen Sorgen und familiären Problemen zu tun hat, den Kopf für einen bedingungslosen Einsatz bei der Terrorismusbekämpfung nicht frei hat. Damit ist doch klar - das wurde gerade auch im Haushaltsausschuss deutlich, in dessen Sitzung Herr Schily freundlicherweise einige Antworten gegeben hat -: Sicherheitsfragen gehen vor Standortfragen. Aber dann muss eben auch der klare Beweis erbracht werden, dass ein derartiger Umzug, wie er hier offensichtlich im Hauruck-Verfahren geplant wird, mehr Sicherheit bringt, als wir sie gegenwärtig - in der bisherigen Struktur - in diesem Lande vorfinden. Genau diesen Beweis haben Sie nicht vorgelegt, Herr Schily, auch nicht im Haushaltsausschuss. ({3}) Wir wissen, dass die überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiter - rund 80 Prozent - an den genannten Standorten, auch in Meckenheim, bundesweit flächendeckende Ermittlungsarbeiten durchführen. Das heißt, sie können sie von allen Standorten aus durchführen. Das Entscheidende ist, dass eine hinreichende Koordination aller für Sicherheitsfragen zuständigen Institutionen in diesem Land sichergestellt ist. Dabei geht es nicht nur um das BMI. Es geht auch und insbesondere, wie Herr Zachert dargelegt hat, um den Generalbundesanwalt und andere Einrichtungen der inneren Sicherheit. Auch andere Länder, die sehr zentral organisiert sind, haben in den letzten Jahren keinen zwingenden Beweis dafür geliefert, dass die Zentralität von Einrichtungen mehr Sicherheit bringt. ({4}) Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Bundesregierung, unterstützt durch die Opposition, hat in den letzten Jahren für sich in Anspruch genommen - ich denke, zu Recht -, dass in Deutschland alles für die innere Sicherheit geleistet worden ist, dank der hochmotivierten Mitarbeiter auch mit großem Erfolg. ({5}) Herr Schily, Sie haben für Ihr Vorhaben auch im Haushaltsausschuss in keiner Weise Kosten konkretisieren können, obwohl schon ein halbes Jahr an allen Betroffenen vorbei geplant worden ist. Ich sage hier: Wenn Sie nach einer halbjährigen Planung weder den Nutzen hinreichend präzisieren können noch die Kosten quantifizieren können, dann handelt es sich hier nicht nur um einen Geheimplan, sondern letztlich nur um eine unausgegorene Planung. Diese unausgegorene Planung hat nur eines, was für sie spricht: Man kann sie ganz schnell wieder in die Schublade legen, Herr Schily. ({6}) Dazu fordern wir Sie hiermit auf. Denn es gibt weder einen klar belegten Nutzen noch sind die Kosten geklärt noch ist klar, wie die Mitarbeiter bei einem solchen Umzug, der sich über einen langen Zeitraum hinzieht, motiviert für Sicherheit in diesem Land sorgen sollen. Nehmen Sie diese Pläne vom Tisch! Hören Sie auf das, was von allen Fraktionen hier gesagt worden ist! Tragen Sie weiterhin dazu bei, vernünftig für Sicherheit in diesem Land zu sorgen! ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Einstweilen müssen Sie noch mit mir vorlieb nehmen, lieber Kollege. Herr Präsident! Ich spreche hier natürlich für mich; das ist vollkommen klar. Aber ich gebe zu - um die Karten offen auf den Tisch zu legen -: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen und Meckenheim ist von dem Ort, an dem ich lebe, nicht mehr als 15 Kilometer entfernt. ({0}) - Keine Schande; das finde ich allerdings auch. Ich möchte in meiner Rede drei Fragen aufwerfen und versuchen, sie auf der Basis unseres heutigen Kenntnisstandes zu beantworten: Ist der BKA-Umzug sachlich geboten? Ist er finanziell vertretbar, ist also die KostenNutzen-Analyse, von der schon so viel die Rede war, ausgewogen? Ist der Umzug mit dem Prinzip der Dezentralität - oder, wie es gerade hieß, mit dem Prinzip der dezentralen Aufgabenwahrnehmung - von Bundesbehörden vereinbar? Das sind die drei Fragen, die uns interessieren sollten. Bevor ich zu diesen Fragen im Einzelnen komme, will ich ein paar Worte zum Verfahren sagen und eine deutliche Kritik zum Ausdruck bringen. Es ist für uns als Parlamentarier nicht akzeptabel, von derart weitreichenden Entscheidungen aus der Zeitung zu erfahren. Da hätte ich mir vom Innenminister schon mehr Offenheit erwartet. ({1}) Obwohl ich mir nicht anmaßen will, für die BKAMitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sprechen - wie käme ich dazu? -, bin ich doch der Meinung, dass BKAPräsident Kersten gut daran getan hätte, mit den Personalräten vorher darüber zu sprechen statt nachher. So, wie es geschehen ist, ist das kein besonders guter Stil; das muss man einmal ganz klar sagen. ({2}) Zu den Fragen im Einzelnen: Ist der BKA-Umzug von der Sache her geboten? Ist er finanziell vertretbar? Ist er mit dem Prinzip der dezentralen Aufgabenwahrnehmung vereinbar? Vom BMI wird argumentiert - das werden wir gleich vom Herrn Minister selber noch hören -, die Konzentration der drei Standorte auf einen, nämlich Berlin, sei im Wesentlichen geboten, um den Abstimmungsaufwand zu reduzieren und personalwirtschaftliche Handlungsspielräume zu gewinnen. Das habe ich jedenfalls so gelesen. Die Frage ist, ob diese Argumente wirklich stichhaltig sind. Wir meinen: nein. Das BKA arbeitet mit dem Bundesinnenministerium in Berlin und in Bonn, mit dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe und mit den Polizeibehörden der Länder zusammen. Wiesbaden und Meckenheim liegen da ziemlich genau in der Mitte. Aus geographischen Gründen und aus Gründen der Kooperation - das gilt erst recht im Zeitalter des Internets - ist nicht zwingend nachvollziehbar, warum ein Komplettumzug stattfinden soll. ({3}) Im Gegenteil: Man kann sogar argumentieren, dass eine gewisse Distanz zum Machtzentrum Berlin höchst vernünftig ist. Darüber, ob die aktuelle Bedrohungslage einen Umzug nach Berlin nahe legt oder eher die volle Konzentration auf die anstehenden Aufgaben sinnvoll ist, kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein. Aber die Lebenserfahrung zeigt, dass bei einem Umzug die Kraft und die Aufmerksamkeit mehr auf den Umzug als auf andere Dinge gelenkt wird. Wer auf der Umzugskiste sitzt, der kann sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren. Das ist eigentlich eine triviale Feststellung. ({4}) In Meckenheim und in Wiesbaden wird gut gearbeitet. Ein Umzug wäre daher - das kann man ohne weiteres sagen - nicht unbedingt motivationsfördernd. Das sehen nicht nur die Personalräte und die Gewerkschaft der Polizei so, sondern auch wir. Bleibt die dritte und letzte Frage, nämlich die Frage nach den Kosten. Exakte Zahlen sind bislang nicht bekannt. Das Innenministerium hat, soweit ich weiß, keine eigenen Zahlen präsentiert. Der Presse war zu entnehmen, die Kosten würden sich auf etwa eine halbe Milliarde Euro belaufen. Das ist eine Menge Holz. Man muss sich schon fragen, wofür man das Geld in diesen Zeiten ausgibt. Uns fallen in der Tat andere Dinge ein, zum Beispiel die Integration von Zuwanderern. In Berlin - das ist ein weiteres Beispiel - streiken die Studenten, weil den Berliner Universitäten jedes Jahr 70 Millionen Euro fehlen. Mit dieser halben Milliarde Euro könnten wir sieben Jahre lang diese Defizite ausgleichen. Das wäre doch auch ein schönes Ziel. ({5}) Ich fasse meine Argumente zusammen. Uns leuchtet der Komplettumzug des BKA nach Berlin nicht ein. Zwingende Gründe für diesen Umzug können wir nicht erkennen. Im Gegenteil: Wir sehen in dem geplanten Umzug eher Nachteile, vor allen Dingen Nachteile für die betroffenen Regionen. Wir fordern den Bundesinnenminister deshalb auf, die Planung entweder zurückzunehmen oder bessere Argumente vorzulegen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU - Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das sieht aber gar nicht gut aus!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Nobert Röttgen, CDU/ CSU-Fraktion. Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Wo bleibt jetzt Frau Wieczorek-Zeul?)

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben eine ergebnisoffene Prüfung zugesagt. ({0}) Wir nehmen Sie beim Wort und nehmen Ihre Ankündigung ernst. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es keine Niederlage ist, wenn man sich korrigiert und durch Argumente zu einer anderen Einsicht und Meinung kommt. ({1}) - Es wäre etwas Neues. Aber es würde von meiner Seite keine Häme geben. Im Dienste der Sache setzen wir darauf, dass Sie Argumenten zugänglich sind. ({2}) Auch wenn es schwer fällt - man muss sich disziplinieren -, will ich in den fünf Minuten meiner Rede in dieser Debatte meine Argumente ohne Schärfe vortragen. Darin liegt die Chance, eine andere Entscheidung im Innenministerium zu bewirken. Ich möchte zunächst über den Maßstab der Entscheidung sprechen; es sind diesbezüglich schon viele Gesichtspunkte angeführt worden. Ich finde, der Maßstab dieser Entscheidung sind die Sicherheitserfordernisse der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Das ist der Maßstab, mit dem die Entscheidung beurteilt werden muss. ({4}) Allerdings wird diese Frage nicht abstrakt „Wenn es noch kein Bundeskriminalamt gäbe, wären wir dann der Auffassung, dass der richtige Standort Meckenheim, Wiesbaden oder Berlin wäre?“ gestellt. Aus föderalen und funktionellen Gründen wäre ich der Auffassung, dass eine Zentralisierung falsch wäre. Aber das ist eine theoretisch-abstrakte Frage und nicht die konkrete Frage, die Sie zu beantworten haben. Wir haben, wie Sie, Herr Bundesinnenminister, selbst sagen, ein exzellent funktionierendes Bundeskriminalamt. Es stellt sich also nicht die abstrakte Frage „Wenn es noch kein Bundeskriminalamt gäbe, wo würden wir es ansiedeln?“, sondern die konkrete Frage „Was bringt der Umzug, mit dem eine Zentralisierung verbunden ist, und was bedeutet er für die Aufgabenerfüllung des Bundeskriminalamts?“. Dabei muss man die Situation berücksichtigen, die nicht nur durch die Entscheidung selbst, sondern auch durch den Stil der Entscheidungsfindung und der Entscheidungsverkündung hervorgerufen wurde. Meine These ist, dass dieser Umzug - nach meiner Ansicht kann man das auf diesen Punkt reduzieren - eine Schwächung des Bundeskriminalamtes und damit eine Schwächung der inneren Sicherheit in Deutschland bedeuten würde. ({5}) Ich möchte dafür einige Gründe nennen: ({6}) Es wird beim Bundeskriminalamt - dort arbeiten kompetente Experten - einen Aderlass geben. ({7}) Viele von ihnen - gerade die besten - aus den wirtschaftsstarken Regionen Köln/Bonn und Rhein-Main werden diesen Umzug nicht mitmachen. Sie werden in diesen Regionen eine andere berufliche Perspektive finden. Sie werden Jahre brauchen - das sage ich Ihnen aus der Erfahrung mit Umzügen auch in die andere Richtung -, bis Sie das Expertenwissen, die Fähigkeiten und die Kompetenz dieser erfahrenen Polizisten wieder bei neuen Kräfte aufgebaut haben. Sie werden das Bundeskriminalamt über Jahre schwächen. ({8}) Die jetzige Entscheidung und deren Stil haben die Motivation im Bundeskriminalamt auf den Nullpunkt gebracht. Darüber werden sicherlich auch Sie sich nicht freuen. Ich glaube, auch Sie werden in Ihrer bisherigen Amtszeit und darüber hinaus nicht erlebt haben, dass der Amtsleitung einer Behörde - hier einer Sicherheitsbehörde - in der Breite sowie drastisch und eindeutig artikuliert von der Belegschaft das Vertrauen entzogen worden ist. ({9}) Es ist ein einzigartiger Fall, wenn Polizisten, Experten und Beamte, die alle ihre Pflichten kennen, in der Öffentlichkeit erklären: Wir entziehen der Amtsleitung des Bundeskriminalamtes das Vertrauen. - Dieses Desaster haben Sie angerichtet. Wenn Sie in dieser konkreten Situation - ich spreche nicht von abstrakten Fragestellungen - mit dem Kopf durch die Wand wollen, dann werden Sie die angerichtete Demotivierung ebenfalls über Jahre hinweg fortsetzen bzw. perpetuieren. Dies ist eine Schwächung des Bundeskriminalamtes in einer angespannten Sicherheits- und Bedrohungslage. Das ist nicht zu verantworten. ({10}) Ein weiteres Argument stimmt: Wenn es zu einem Umzug von 2 000 Beschäftigten kommt - bei Einzelnen fallen die Belastungen des Umzuges nicht auf -, dann wird sich dies ebenfalls auf die Funktionsfähigkeit des Amtes auswirken. Wenn eine so hohe Zahl von Beschäftigten nicht den Kopf frei hat, sondern mit dem Umzug, dem Hausverkauf, dem Schulwechsel der Kinder und dem Berufswechsel des Ehepartners beschäftigt ist, wenn das also ein Massenphänomen ist, schwächt das die Funktionsfähigkeit. ({11}) - Ich spreche gerade von Erfahrungen aus Behördenumzügen in die andere Richtung. Nehmen wir diese Erfahrungen doch auf! - Auch das ist also eine Belastung im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Bundeskriminalamtes. ({12}) Ich komme zum letzten Punkt - er ist schon häufiger genannt worden -: Der Umzug kostet rund eine halbe Milliarde Euro. Das sind über 1 Milliarde DM; dieser Betrag ist für die Menschen noch immer plastischer. Sie können dieses Geld nicht durch Verschuldung aufbringen, sondern nur dadurch, dass Sie es aus der Investition in die materielle Sicherheit abzweigen. Das ist nicht verantwortbar im Hinblick auf die materielle Sicherheit und den überschuldeten Haushalt und nicht veranwortbar gegenüber den Beamten und der Bevölkerung. Den Beamten wird das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld gestrichen; auch bei den Bürgern werden Leistungen gekürzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das müsste er eigentlich sein.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- er ist es auch -: Herr Minister Schily, Sie haben schriftlich geantwortet. Das Bundeskriminalamt mit seinen mehr als 5 000 Mitarbeitern gehört zu den effektivsten Sicherheitsbehörden. Als Teil der Bundespolizei genießt es national und international hohe Anerkennung. ({0}) Wir sind der Auffassung - das ist die tragende Begründung -: Nur wenn dieser Umzug unterbleibt, wird das BKA das bleiben, was es ist: eine effektive Sicherheitsbehörde mit internationaler Anerkennung. Darum sollten Sie Ihre Haltung korrigieren. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Hartmann, SPD-Fraktion. ({0})

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach diesem Weltuntergangsszenario, das uns Kollege Röttgen eben an die Wand gemalt hat, ist es vielleicht gut und richtig, deutlich darauf hinzuweisen, dass das Bundeskriminalamt mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in schwierigen Lagen und auch in der Situation eines Umzugs einen hervorragenden und engagierten Dienst für die innere Sicherheit leistet. Sie können doch nicht unterstellen, dass deren Motivation verschwunden ist, nur weil ein Umzug stattfindet. Dafür sind die Leute dort viel zu gut! ({0}) Die Belastungen sind nach dem 11. September 2001 noch größer geworden. Die Situation ist nicht einfacher und die Arbeit der Menschen dort ist auch nicht ungefährlicher geworden. Deshalb haben wir, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundeskriminalamtes zunächst einmal Dank zu sagen. Ich hoffe, dass uns das bei allem Streit, den wir heute führen, eint. Wenn wir diesen Dank aussprechen, müssen wir uns bewusst machen, dass jede Entscheidung, die getroffen wird, - das geht an beide Seiten des Hauses - sehr sorgfältig abgewogen werden muss und dass wir pfleglich mit dem Vertrauen umgehen müssen, das uns übertragen wurde. Deshalb war es vielleicht vonseiten der Opposition nicht immer glücklich und richtig, so zu argumentieren, wie es geschehen ist. Es ist nicht verantwortungsvoll, in einer zweifelsohne schwierigen Situation Öl ins Feuer zu gießen, statt eine sachliche Debatte zu führen. ({1}) Wir haben sauber und klar abzuwägen. Das bedeutet, dass ein Zitat von Ihnen, Herr Kollege Stadler, richtig war. Machiavelli ist mit Recht ein höchst umstrittener politischer Philosoph. Aber er hat gesagt, dass zur Sicherung und Gewährung des innergesellschaftlichen Friedens ein funktionierender Staat mit einer funktionierenden Polizei notwendig ist. Diese Motivation treibt den Innenminister bei seiner Entscheidung an, die er jetzt aus seiner Organisationshoheit heraus getroffen hat. Wir haben natürlich auf der einen Seite genau zu gewichten, wie es den Menschen geht, die im Bundeskriminalamt beschäftigt sind, deren Familien in der Region Michael Hartmann ({2}) wohnen - ob nun in Meckenheim oder in Wiesbaden -, die ihr Häuschen gebaut haben, die dort in Vereinen engagiert sind, die dort ihre Kinder in die Schule schicken etc. Das muss geschehen. Aber auf der anderen Seite ist in Rechnung zu stellen, welchen Status dies hat in einer Situation, in der die Herausforderung durch den internationalen Terrorismus, durch die organisierte Kriminalität und vieles andere mehr so groß ist wie noch nie. Vor diesem Hintergrund kommen wir zu dem Ergebnis, dass so viel Umzug wie nötig erfolgen muss und dass so viel an den Standorten bleiben muss, wie möglich ist. Das ist unsere Devise. ({3}) - Das heißt - ich beantworte das gern, Herr Bosbach -, dass kein Mensch gesagt hat - der Bundesinnenminister nicht, die SPD-Fraktion nicht, lokale Kolleginnen und Kollegen nicht -, dass der Standort Wiesbaden völlig zerschlagen werden soll. Eine ganze Menge bleibt da. Wenn der Bundesinnenminister gelegentlich kritisiert wird, er sei gar keiner Argumentation und gar keinem rationalen Diskurs zugänglich, so beweist gerade das, was in diesen Tagen geschehen ist, das Gegenteil. Denn Otto Schily war gestern in Meckenheim und in Höchst, um mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wiesbaden zu reden. Man hört ja auf Ihrer Seite gern nur das, was man hören möchte. Ich habe heute mehrfach mit Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, gesprochen. Die haben gesagt: Otto Schily hat eine prima Figur abgegeben, ist auf unsere Argumente eingegangen und ist bereit, alles auf den Prüfstand zu stellen, was notwendig ist, um das Ganze sozialverträglich abzufedern. ({4}) In dieser Manier soll weiter verfahren werden. ({5}) Sie, Herr Bosbach haben im Übrigen angedeutet - wenn auch nur versteckt in einem Nebensatz gleich zu Beginn der Debatte -, dass es durchaus gute Gründe gibt, eine Verlagerung vorzunehmen. Tatsächlich gibt es die. So schön es auch mit E-Mail und Videokonferenzen ist; auch in Ihren Reihen sitzen genügend Polizeipraktiker und -taktiker, die genau wissen, dass man in bestimmen Situationen durch keine Videokonferenz und durch keine E-Mail das ersetzen kann, was notwendig ist, wenn eine Gefahrensituation auf internationaler Ebene abgewehrt werden muss. Dann muss man miteinander reden, an einem Tisch sitzen und diplomatische Verhandlungen führen. Das geht nicht elektronisch. Das ist moderne Kriminalpolitik! ({6}) Wir sollten uns darauf verständigen, dieses Feinkonzept, das uns der Minister vorlegen wird, genau anzusehen. Wir als SPD-Fraktion wollen das engagiert und offensiv begleiten. ({7}) Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anständig behandelt werden. Ich darf in Richtung der Kollegin Wieczorek-Zeul als Mainzer Abgeordneter sagen - die Rivalität zwischen den Städten ist ja bekannt -: Wir wollen, dass das BKA auch weiterhin in Wiesbaden steht. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ralf Göbel, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Ralf Göbel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003535, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Hartmann hat eben aus seiner Sicht überzeugend begründet, warum der Umzug notwendig ist. ({0}) Ich empfehle dem Kollegen Hartmann, den gleichen Vortrag vor dem Kabinett von Ministerpräsident Beck zu halten, der gestern mit seinem gesamten Kabinett diesen Umzug als völlig überflüssig bezeichnet hat. Damit könnten Sie der Landesregierung von Rheinland-Pfalz ein bisschen nachhelfen. ({1}) Der Umgang des Ministers Schily mit einem so sensiblen Thema wie der Verlagerung von Einheiten des BKA und der Schließung des Standortes Meckenheim zeugt von einem Führungsverständnis, das aus meiner Sicht anachronistisch ist. Dass die Kollegen aus dem Kabinett, die Regierungskoalition und die eigene Fraktion von ihm über diesen Plan nicht informiert wurden, zeigt der gesamten deutschen Öffentlichkeit, welche Wertschätzung er diesem Personenkreis entgegenbringt. Das soll aber nicht unser Problem sein. Das ist Ihr Problem. ({2}) Dramatischer - auch in den Folgen - ist die Wirkung, die dieses Vorgehen nach Gutsherrenart auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA hat. Sie werden vom Minister häufig - und zu Recht - für ihre Arbeit gelobt, die sie für uns alle gerade in dieser schwierigen Zeit leisten. Wenn es aber um die ureigensten Bedürfnisse der Mitarbeiter geht, nämlich um ihre Zukunftsplanung, um die Frage, ob sie an ihrem Wohnort bleiben können, ob sie ihre sozialen Beziehungen verändern müssen, kurz: um die Lebensplanung, dann werden sie auf eine Art und Weise behandelt, die wir eigentlich in unserer Republik für nicht mehr möglich gehalten haben. Dieser Umgang mit den Mitarbeitern ist völlig unangemessen. Und dass ausgerechnet ein Minister der Sozialdemokraten den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen so missachtet, wirft auch ein bezeichnendes Bild darauf, welche Wertschätzung die Personalvertretung in diesem Ministerium genießt. ({3}) Herr Reichenbach, wenn es stimmt, was Sie sagen, dass nämlich fast alles unbestritten sei, dann frage ich mich, wie es zu diesen Personalversammlungen und diesen Demonstrationen kommen konnte. Der Schaden jedenfalls, der entstanden ist, der Vertrauensverlust gegenüber dem Minister und der Amtsleitung sowie der Motivationsverlust der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist gewaltig. Er ist - wenn man die Menschen wirklich kennt - auch nicht einfach dadurch zu beseitigen, dass man sagt: Jetzt drehen wir das Rad wieder zurück, fangen von vorn an und tun so, als ob nichts gewesen wäre. Der Schaden ist eingetreten und es wird ein sehr schwieriger Prozess werden, wenn es überhaupt gelingt, das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder zu gewinnen, indem sie in diese Umzugsplanung eingebunden werden. ({4}) - Ich glaube nicht, dass es da große Hoffnung gibt. Im Übrigen - der Kollege Röttgen hat schon darauf hingewiesen - sind bis heute Morgen bei der rheinlandpfälzischen Landesregierung 150 Bewerbungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BKA eingegangen. ({5}) Das wäre für Rheinland-Pfalz sicherlich eine gute Sache. Für das BKA ist das jedoch eine schlimme Entwicklung. Denn das zeigt, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine hohe Kompetenz besitzen, mittlerweile nach anderen Jobs umschauen. Das schwächt die Behörde entscheidend. ({6}) Noch zur fachlichen Seite: In dem Konzept, das uns sehr kurzfristig zugegangen ist, ist davon die Rede, dass lediglich operative und ermittlungsunterstützende Einheiten nach Berlin verlagert werden, natürlich ohne genau zu sagen, was unter ermittlungsunterstützenden Einheiten zu verstehen ist. Ich denke aber - damit komme ich zu den Polizeipraktikern, die angesprochen worden sind -, dass auf lange Sicht auch die Erkennungsdienste und die Kriminaltechnik nach Berlin gehen werden. Es macht wohl keinen Sinn, wenn die von den operativen Einheiten hier in Berlin sichergestellten Asservate per Shuttlebus nach Wiesbaden zur erkennungsdienstlichen Behandlung und kriminaltechnischen Analyse und später wieder zurück geschickt werden müssen. Der Polizeitaktiker wird sehr schnell sagen, dass das völliger Unsinn ist und folglich auch die Erkennungsdienste und die Kriminaltechnik nach Berlin wandern müssen. So werden gewiefte Polizeitaktiker - man kennt ja seine Kollegen - immer eine Begründung dafür finden, warum die Einheiten, die zunächst in Wiesbaden verblieben sind, nun nach Berlin müssen. Ich sehe diesen ersten Umzugsschritt als einen Schritt an, der am Ende dazu führen wird, dass das gesamte Bundeskriminalamt zentral in Berlin angesiedelt sein wird. Ich kann den Minister nur auffordern, diese unselige Entscheidung zurückzunehmen und zu versuchen, den angerichteten Schaden so weit wie möglich zu begrenzen. Danke schön. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Kollegin Ulrike Merten, SPDFraktion.

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht die Begriffe Weltuntergang und Geheimpläne bemühen. Allerdings ist die Entscheidung der letzten Woche in Meckenheim und in Wiesbaden schon wie eine Bombe eingeschlagen. ({0}) Dies war auch deswegen der Fall, weil sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BKA in der Vergangenheit, als sie nachgefragt hatten - ich habe keinen Zweifel daran, dass das so gewesen ist -, auf die Zusicherung von Herrn Kersten verlassen haben, ({1}) dass der Standort Wiesbaden sowieso nicht infrage gestellt werde, dass aber auch der Standort Meckenheim gesichert sei. Das, was für Meckenheim geplant war und was sich bis zum Ende letzten Jahres durch Versetzungen noch verstärkt wurde, hat durchaus für die Richtigkeit dieser Aussagen gesprochen. Insofern möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich finde, dass die Empörung und auch der Unmut der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr als verständlich sind, sind doch weder Personalvertretungen noch Abteilungsleiter in diese Überlegungen einbezogen worden. ({2}) Ich möchte ganz deutlich sagen: Formale Entscheidungskompetenz ist die eine, Fürsorgepflicht und soziale Verantwortung des Dienstherrn gegenüber den Beschäftigten die genauso wichtige, andere Seite der Medaille. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Beschäftigten haben ihren Protest und ihren Unmut bekundet. Aber wir machten es uns zu leicht, wenn wir das mit der Annahme abtäten, wir hätten es hier lediglich mit umzugsunwilligen, unflexiblen Beamten bzw. Bundesbediensteten zu tun. ({4}) Vielmehr haben wir es mit Beschäftigten zu tun, die in teilweise jahrzehntelangem Dienst in der Ermittlungstätigkeit oder im Personenschutz kreuz und quer durch dieses Land gezogen sind. Sie haben dies auf sich genommen und wollen es auch in Zukunft tun. ({5}) Es ist bereits gesagt worden - ich bitte, dies nicht zu leicht zu nehmen -, dass durch die Unsicherheit solch umfänglicher Planungen die Konzentration nicht auf die nötige fachliche Arbeit ausgerichtet werden kann. Das heißt nicht, dass wir es mit Leuten zu tun haben, die nicht willig sind. Ich glaube, dass das Argument der Sicherstellung der bundespolizeilichen Arbeit in dieser sicherheitspolitisch höchst schwierigen Zeit, durchaus ernst zu nehmen ist. Hier möchte ich ausdrücklich die Bekämpfung der Terrorismusgefahr als ein wichtiges und anerkanntes Ziel einbeziehen. Bei meinen Gesprächen habe ich nicht den Eindruck gewonnen, dass es bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Meckenheim Unverständnis geben würde, ginge es lediglich um eine Verstärkung des Standortes Berlin, also um Aufgaben, die wirklich an den Regierungssitz bzw. an das Auswärtige Amt gebunden sind. Aber ist es nicht so, dass Zielfahndungen zum Beispiel im Bereich der organisierten Kriminalität nicht schwerpunktmäßig in und um Berlin herum stattfinden, ({6}) sondern eher im Ballungsraum von Rhein und Ruhr, also in den Städten Düsseldorf, Köln, auch in Bonn und im benachbarten westlichen Ausland wie zum Beispiel Belgien? ({7}) Ist es nicht so - ich formuliere das als Frage und maße mir gar nicht an, in diesem Punkt kompetent zu sein -, dass in einem föderativen Bundesstaat, den wir alle wollen, auch bei der Verteilung der Dienststellen auf mehrere Standorte die zweifelsohne notwendige Sicherheit mithilfe moderner Technik gewährleistet werden kann? Ich glaube, dies sollte streng geprüft werden, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - ich bin Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar, dass Sie das gestern deutlich gemacht haben - sollte signalisiert werden, dass Sie bereit sind, diese Entscheidung noch einmal ergebnisoffen zu überdenken. Das ist nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes, sondern auch für die Menschen in der Region wichtig. Sie bekommen sonst nämlich das Gefühl, dass das Bonn-Berlin-Gesetz, auf das sie sich verlassen haben, Stück für Stück ausgehöhlt werden soll. ({8}) Das darf nicht geschehen. Die Sicherheit des Bonn-Berlin-Gesetzes hat dieser Region gut getan. Sie braucht diese Sicherheit auch weiterhin. Wir wollen mithelfen, dass dieser Prozess, der in den letzten Jahren positiv gestaltet werden konnte, auch in Zukunft einen guten Fortgang findet. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun das Wort dem hessischen Minister des Innern, Herrn Staatsminister Bouffier. Volker Bouffier, Staatsminister ({0}): Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ihre Absicht, Herr Kollege Schily, das Bundeskriminalamt in Berlin zu zentralisieren, kam für die Länder völlig überraschend und ist aus unserer Sicht unverständlich. Eine Verlagerung ist für die Länder nicht akzeptabel. Das gilt für alle Länder und nicht nur für das Land Hessen, für das ich spreche; darin bin ich mir sicher. Wir lehnen eine Zentralisierung aus fachlichen Gründen und aufgrund unserer föderalen Struktur ab. Ich spreche hier als Innenminister eines Landes, das durch die vorgesehene und von Ihnen verkündete Verlagerung wesentlicher Teile des Standortes Wiesbaden nach Berlin besonders betroffen ist. Ich spreche aber auch im Namen vieler, wenn nicht sogar aller meiner Kollegen. Vielem, was in dieser Debatte gesagt wurde, kann ich zustimmen; Frau Kollegin Merten, unter Ihren Beitrag kann ich zum Beispiel einen Haken machen. ({1}) Eine Facette wurde in dieser Debatte bisher aber noch nicht aufgegriffen: Wir dürfen uns nicht nur mit der Frage der Rolle des Bundes beschäftigen. Es muss auch um die Frage gehen - Kollege Röttgen hat das auf den Punkt gebracht -, was erforderlich ist, um die innere Sicherheit in dem Maße gewährleisten zu können, dass sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können. Das ist die Kernfrage. ({2}) Darum kann sich nicht alleine der Bund kümmern. Im Gesetz über das Bundeskriminalamt kommt das zum Ausdruck. Die Überschrift dieses Gesetzes lautet: Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten. ({3}) Staatsminister Volker Bouffier ({4}) Aufgrund dessen kann eine Entscheidung darüber - ich weiß nicht, ob ein Kollege sie gekannt hat; ich habe sie der Presse entnommen -, wie das Kernstück der kriminalpolizeilichen Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland arbeitet, nicht unabhängig von der Frage gesehen werden, wie Bund und Länder zusammenarbeiten. Es geht um mehr als nur um die Frage, die bisher diskutiert wurde. Es darf nicht um Eitelkeiten gehen. Kollege Schily, es ist doch unbestritten: Es gibt Gremien, in denen wir, gerade angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage, die nicht erst seit zwei Monaten so ist, vertrauensvoll sprechen und uns austauschen können, ohne die Befürchtung zu haben, dass darüber am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen ist. Ich bedauere sehr, dass Sie nicht die Gelegenheit wahrgenommen haben, diese Frage in diesem Gremium mit den Kollegen zu ventilieren und gemeinsam mit uns - auch wenn Betroffenheit besteht - die Frage zu klären, was zwingend ist, um diese Aufgabe zu erfüllen. Ich bedauere, dass Sie das nicht getan haben. Dadurch haben Sie ein Stück Vertrauen verspielt. Jedes einzelne Land muss warnend den Finger heben. Es wurde das Bonn-Berlin-Gesetz genannt. Im Rahmen dieser Debatte haben wir uns nach langen Diskussionen einvernehmlich darauf verständigt, wie die bundesstaatlichen Organe und die entsprechenden Behörden in der Bundesrepublik platziert werden sollen. Jeder hat gegeben, von jedem wurde genommen, aber am Schluss wurde ein Ergebnis erreicht. Man hat sich darauf verlassen, dass dies definitiv ist. Wenn die Bundesregierung dieses Übereinkommen nun einseitig aufkündigt, dann muss allen klar sein, dass das nicht das Problem von Nordrhein-Westfalen, Hessen oder Bayern alleine ist; das betrifft alle Länder. Sie werden die Frage stellen, wie verlässlich die Vereinbarungen sind, die zwischen Bund und Ländern getroffen wurden und ob sie auch in Zukunft gelten. Diese Verlässlichkeit wurde erschüttert. ({5}) Ich unterstreiche alles, was hier hinsichtlich der Probleme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesagt wurde, aber auch vieles mehr. Es ist doch unbestritten, dass hier in Berlin besondere Aufgaben - auch bezüglich der Führung der Sicherheitsbehörden - angesiedelt sein müssen. Man wird aber doch fragen dürfen, ob das den Umzug von 2 000 Mitarbeitern erfordert. Es geht hier ja nicht um Spezialisten, die in einer bestimmten Situation vor Ort unmittelbar am Tisch sein müssen. Wer wollte das bestreiten? Jeder, der ein wenig von öffentlicher Verwaltung versteht - das ist kein Vorwurf -, der wird nicht widersprechen können, wenn ich sage, dass es unbestritten eine hohe Anforderung an die Sicherheitsgewährleistung gibt. Herr Kollege, mit Ihrer Verkündung sorgen Sie dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ganz nebenbei auch die Bürger verunsichert sind und man sich in dieser Behörde mit einem guten Teil seiner Kraft mit der eigenen Zukunft und der Organisation und nicht mit den eigentlichen Aufgaben, die das Bundeskriminalamt leisten muss, beschäftigen wird. Das kann doch niemand ernsthaft bestreiten. ({6}) Diese Nachteile liegen auf der Hand. Was sind nun die zwingenden Gründe, die die Nachteile so stark überwiegen lassen, dass man zu der Entscheidung kommen muss eine Verlagerung vorzunehmen? Ich kann diese zwingenden Gründe bisher nicht erkennen. Wenn es sie gibt, dann müssen sie hier oder an anderer Stelle - dies hier ist aber das Parlament - vorgetragen werden. ({7}) Lassen Sie uns dann darüber diskutieren. Ich begrüße es durchaus, dass Sie gestern in Höchst und wohl auch in Meckenheim gesagt haben, Sie wollten die Entscheidung ergebnisoffen prüfen. Das ist in Ordnung. Gestatten Sie mir aber folgende Bemerkung, Herr Kollege: Über die Begründung bin ich schon erstaunt. Sie haben - so war es jedenfalls in der Presse zu lesen polizeifachliche Fragen genannt, die Sie jetzt prüfen wollen. Wenn es in einer solchen Situation irgendetwas gibt, das vorher geprüft werden muss, dann sind das polizeifachliche Fragen. ({8}) Ich bin in der Tat erstaunt darüber, dass Ihnen dies in einer Weise vermittelt wurde, die den Sachverhalt nicht vollkommen trifft. Es gibt Annahmen, die man so interpretieren kann. Es ist aber noch nicht zu spät. Im Ergebnis ist doch Folgendes festzuhalten: Zwingende fachliche Gründe sind bisher nicht belegt. Ihre Änderungsabsicht beinhaltet zumindest die Gefahr, dass sich die innere Sicherheit eher verschlechtert als verbessert. Durch sie wird das föderale Strukturelement der Bundesrepublik und - das ist mir besonders wichtig die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern untergraben. Nach diesem Vorgang kann man sich nicht darüber wundern, wenn dieses Vertrauen infrage gestellt wird. Ganz nebenbei gesagt würde es auch eine ganze Menge Geld kosten, Geld, das wir im Bereich der inneren Sicherheit ganz sicher für andere Dinge gut gebrauchen könnten. Herr Kollege, Sie haben jetzt Gelegenheit, sich zu äußern. ({9}) - Nein, das ist keine Großmut. Damit Sie das verstehen: Die Geschäftsführer haben sich hinreichend bemüht, festzulegen, ob nun er zuerst redet oder ich. Das war für mich kein Thema. ({10}) Eines möchte ich am Schluss des Debatte wirklich deutlich machen: Es ist bereits ein beachtlicher Schaden eingetreten. Das kann niemand ernsthaft bestreiten. ({11}) Staatsminister Volker Bouffier ({12}) Unsere Aufgabe und die des zuständigen Bundesinnenministers ist es, weiteren Schaden zu vermeiden. Tun Sie das klug! Aus der Sicht des Landes Hessen ist diese Zentralisierung in der Sache nicht begründet und sie schadet unserem gemeinsamen Anliegen. Wir haben allen Anlass, uns auf die gemeinsamen Sicherheitsaufgaben zu konzentrieren, nämlich die Herausforderungen des Terrorismus sowie der organisierten Kriminalität und vieles mehr. Dies fordert unsere ganze Kraft. Meines Erachtens geht die jahrelange Beschäftigung des zentralen Kernstücks kriminalpolizeilicher Arbeit in dieser Republik mit sich selbst damit überhaupt nicht einher. Vielen Dank. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesinnenminister Otto Schily. ({0})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich bin ja schon dankbar dafür, dass der Kollege Röttgen hier einen sehr sachlichen Beitrag gehalten ({0}) und einen richtigen Satz an den Anfang gestellt hat. Es entspricht meiner Grundauffassung, dass Standortfragen nach Sicherheitskriterien entschieden werden und sich nicht umgekehrt die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben an bestehenden Standortstrukturen orientieren darf. - Diesen Satz können wir alle unterschreiben. ({1}) Die Frage ist, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Ich will daran erinnern, dass beispielsweise der Standort Meckenheim damals deswegen gewählt wurde, weil die Sicherungsgruppe Bonn in der Nähe der Regierung sein sollte. Das ist konsequent. Das haben wir bekanntlich in Berlin realisiert. ({2}) - Es ist erfreulich, dass auch Sie das als gelungen ansehen. Ich will an dieser Stelle auf Folgendes hinweisen: Da Sie hier alle Schreckensszenarien an die Wand gemalt haben, wie schlimm es sei, wenn Umzüge stattfänden, erinnere ich in diesem Zusammenhang daran, dass inzwischen 300 Polizeivollzugsbeamte umgezogen sind. Ich wüsste nicht, dass dadurch große Sicherheitseinbußen entstanden wären und dass sich die Beamten der Sicherungsgruppe, deren Arbeit ich sehr zu würdigen weiß und bei denen ich mich bedanke, nur mit Umzugsfragen beschäftigt hätten. Dies sage ich, damit diese Schreckensszenarien aus Ihren Köpfen verschwinden. Wenn wir nicht in der Lage sind, eine wichtige Behörde wenigstens in Bereichen zu verlagern, dann frage ich: Wie ist es eigentlich mit dem Leistungsvermögen unserer Gesellschaft bestellt? Das ist der Punkt. Dauernd wird über Mobilität und Flexibilität gesprochen. Wenn sich diese Frage aber einmal im öffentlichen Dienst stellt, dann heißt es auf einmal: Das geht auf gar keinen Fall. Sie haben Recht, Herr Kollege Röttgen: Die Beweislast trägt derjenige, der eine Veränderung vornehmen will. Darüber kann man in aller Ruhe streiten. Herr Kollege Bouffier meint, ich hätte eine ergebnisoffene Prüfung unter dem Vorzeichen polizeifachlicher Argumente nur deshalb in Aussicht gestellt, weil mir jetzt erst eingefallen sei, dass ein paar polizeifachliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien. Für so töricht, lieber Kollege Bouffier, sollten Sie weder mich noch die Amtsleitung des Bundeskriminalamtes halten. Die gesamte Amtsleitung hat in ihrer Bewertung die polizeifachlichen Gesichtspunkte sehr sorgfältig geprüft. Ich habe am 6. Januar noch einmal zusammen mit allen Herren, nicht nur mit dem Präsidium, sondern mit allen Abteilungsleitern, gesprochen. Alle unterstützen dieses Konzept. Darüber hinaus kam es zu einer Diskussion mit der Belegschaft. In der Diskussion sind aus der Mitarbeiterschaft des Bundeskriminalamtes durchaus beachtenswerte polizeifachliche Gesichtspunkte zusätzlicher Art vorgetragen worden. Ich wäre absolut schlecht beraten, wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Prüfung dieser polizeifachlichen Gesichtspunkte verweigern würde. Diese ergebnisoffene Prüfung werde ich durchführen. Das halte ich für eine selbstverständliche Pflicht. Wie ich sehe, läuft mir die Zeit rasend schnell davon. ({3}) Ich kann in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht auf alle Gesichtspunkte eingehen; das ist völlig unmöglich. Ich versichere Ihnen, dass wir die polizeifachlichen Argumente mit großer Sorgfalt prüfen werden, und zwar ergebnisoffen. Herr Kollege Bouffier, ich möchte Ihnen Folgendes sagen: Ich wüsste nicht, dass mir Landesregierungen ihre Entscheidungen zu Technik und Ausrüstung mitteilen würden, dass ich also an Entscheidungen der Landesregierungen beteiligt würde. In der Föderalismuskommission reden wir zwar über die unterschiedliche Zuordnung von Verantwortungen. Das Bundeskriminalamt jedoch fällt eindeutig in Bundesverantwortung. Bei allem Verständnis bitte ich darum, dass es in Bundesverantwortung bleiben wird. Es werden gerne Vergleiche angestellt. Ich habe wieder das Wort „Zentralisierungsüberlegungen“ gehört. Dankenswerterweise hat man wenigstens das Wort „Zentralisierungswahn“ vermieden. ({4}) - Das kommt noch, wenn Sie es schon ankündigen. Die Debatte hier unterscheidet sich übrigens ganz augenfällig von der sachlichen Atmosphäre in den beiden Ausschüssen. Das will ich auch einmal sagen. Das ist eine Erfahrung, die man macht. Bei manchen Reden weiß ich, wie sie wirken sollen. Die sind einer sachlichen Diskussion nicht unbedingt zuträglich. Ich will Sie fragen, Herr Kollege Bouffier: Wie sieht es denn in den Ländern aus? Wo sind denn dort die Landeskriminalämter? - Die sind mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg überall in den Landeshauptstädten. Ein Redner hat in der Debatte das FBI angesprochen. ({5}) Es stimmt, dass das FBI mehrere Standorte hat. Aber schauen Sie sich einmal den Standort des FBI in Washington an. Dann wissen Sie, wie die Größenordnungen sind. Man muss also vorsichtig sein. Man sollte Herrn Dr. Kersten, der wirklich ein verdienstvoller Präsident ist, für dessen Leistung ich mich herzlich bedanke - das sollte hier von uns allen gemeinsam gewürdigt werden -, nicht unterstellen, dass er leichtfertig solche Überlegungen anstellt. ({6}) Dies geschieht vielmehr aus der Sorge, ({7}) dass wir mit der Bedrohung der Sicherheit unseres Landes durch den islamistischen Terrorismus in eine neue Situation gekommen sind. Er sagt, dass es deshalb neue Notwendigkeiten gibt. Man hat seinerzeit aus sehr vernünftigen Überlegungen heraus in Meckenheim zu der Sicherungsgruppe die Terrorismusbekämpfungseinheiten gestellt. Kommunikationseinrichtungen gab es schon damals, wenn auch nicht in der allermodernsten Form. Damals hat man gesagt, dass man die unmittelbare Zusammenarbeit brauche. Der jetzige Ansatz von Herrn Dr. Kersten ist, dass die Grenzen zwischen der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der des Terrorismus verschwimmen und dass wir heute bei der Kriminalitätsbekämpfung eine ganzheitliche Betrachtungsweise haben, die es notwendig macht, operative Kompetenzen zu bündeln und Synergieeffekte bei der Bekämpfung moderner Kriminalitätsformen zu erzielen. Ferner müssen wir eine effektive und der Lage angepasste Steuerung erreichen und eine personalwirtschaftlich zeitnahe und fachlich kompetente Reaktion auf besondere Situationen ermöglichen. ({8}) Dabei spielt das hohe Aufkommen von Hinweisen im terroristischen Bereich - wir haben das im Innenausschuss erörtert - eine große Rolle. ({9}) - Ich habe Ihnen doch auch zugehört, Herr Koschyk. Sie können sich gleich dazu noch äußern. Es sind nach dem 11. September 2001 24 000 Hinweise eingegangen. Hören Sie sich doch wenigstens einmal die Argumentation von Herrn Dr. Kersten in diesem Zusammenhang etwas ausführlicher an. Diese Fragen müssen sehr sorgfältig durchdacht werden. Das werden wir auch im Weiteren tun. Wir haben zunächst einmal ein Grundkonzept vorgelegt. Es war von vornherein - das habe ich auch dem Personalrat gesagt - in Aussicht gestellt, in die Beratungen über eine Feinplanung einzutreten. Wir haben ein Gespräch mit dem Personalrat verabredet, in dem wir - da bin ich zuversichtlich - zu guten Ergebnissen kommen. Selbstverständlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen - das tat auch Herr Röttgen -, man müsse sorgfältig darauf achten, dass im Zuge solcher Planungen nicht Verwerfungen in dem Amt entstünden, die die Motivation beeinträchtigen könnten. Als Grundforderung stelle ich allerdings schon, dass auch ein Beamter in der Lage sein muss, sich auf Veränderungen einzustellen. ({10}) Das gehört zum Beamtenverhältnis. ({11}) Man kann nicht einfach sagen: Das lehne ich ab. Man muss aber Verständnis dafür haben, dass es Familien gibt, die Eigentum vor Ort erworben haben, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Lebenspartner haben, die ihren Arbeitsplatz dort haben, und man muss berücksichtigen, dass diese minderjährige schulpflichtige Kinder haben. Es wäre nicht in Ordnung, wenn das von meinem Ministerium oder der Amtsleitung nicht berücksichtigt würde. Wenn man Loyalität von den Beamtinnen und Beamten erwartet - da nehme ich den Satz von Frank Hofmann auf -, die vorzügliche Arbeit für die Sicherheit unseres Landes leisten, dann muss der Staat umgekehrt auch seine Fürsorgepflichten wahrnehmen. Das ist meiner Ansicht nach eine pure Selbstverständlichkeit. Meine Bitte an Sie ist, keine falschen Informationen bis hin zu übertriebenen Summen hinsichtlich der Kosten in Umlauf zu bringen und nicht den Verdacht zu äußern, der mit der Realität nichts zu tun hat, nämlich es gehe um Politikberatung oder - noch schlimmer - um politische Beeinflussung. Ich kann Ihnen vielmehr einige Lagen darstellen - in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit vermag ich das allerdings nicht -, in denen eine sehr enge Kooperation auch mit den Führungsspitzen der Ministerien - das beschränkt sich nicht auf das Bundesministerium des Innern; vielmehr gehören das Auswärtige Amt, das Bundesjustizministerium wie auch, ganz zentral, das Bundeskriminalamt und durch die Verlagerung des BND auch diese Einrichtung dazu bestanden hat.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister!

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Ich weiß, Herr Präsident. Ich sehe Ihr Signal und ich sehe auch, dass mir der Kollege von der FDP-Fraktion nicht weiter zuhören will. Das kann ich verstehen. ({0}) - Ja, ich weiß. Weil die Zusammenhänge in einem solchen Rahmen nur sehr unzureichend dargestellt werden können, biete ich Ihnen an, mich Ihnen - notfalls auch in öffentlicher Sitzung - in den Fachausschüssen zur Verfügung zu stellen. Dann können wir über alle diese Fragen sehr sachlich und mit dem gebotenen Ernst reden. Ich bin froh darüber, dass die Personalvertretung eine faire Debatte ermöglicht hat. Lassen Sie mich mit Folgendem schließen: Unabhängig von der Frage, wie die unterschiedlichen Größenordnungen der Standorte beurteilt werden oder ob ein Standort geschlossen werden soll, ist von allen anerkannt worden, dass eine stärkere Präsenz des Bundeskriminalamtes in Berlin notwendig ist. Das ist ein erfreulicher Sachverhalt, der auch aus den Beiträgen der Kolleginnen und Kollegen des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden sehr deutlich geworden ist. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um zu vernünftigen und letztlich konsensualen Ergebnissen zu kommen. Ich bedanke mich. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass nach den Regelungen unserer Geschäftsordnung für die Durchführung von Aktuellen Stunden dann, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, des Bundesrates oder einer ihrer Beauftragten länger als zehn Minuten sprechen, § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung Anwendung findet, wonach auf Antrag einer Fraktion oder 5 Prozent der Mitglieder des Hauses dazu die allgemeine Aussprache eröffnet wird. Diesen Antrag hat die FDP-Fraktion gerade gestellt. Ich weise darauf hin, weil es möglicherweise auch Folgen für die anderen Fraktionen haben könnte. Nun erteile ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das Wort.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Schily, ich bedauere es sehr, dass Sie trotz deutlicher Überziehung Ihrer Redezeit diese Parlamentsdebatte nicht genutzt haben, um auch nur ein überzeugendes Argument für die Megaverlagerung des BKA von den Standorten Wiesbaden und Meckenheim nach Berlin vorzubringen. ({0}) Ich will deutlich sagen, werte Kolleginnen und Kollegen: Ich habe großen Respekt vor den Reden der Frau Kollegin Merten und der Vertreter der Grünen, weil sie sich in dieser Frage nicht in eine falsche Koalitionsräson einbinden lassen, sondern die begründeten Bedenken gegen diese Entscheidung auch hier im Parlament artikulieren. ({1}) Herr Minister, die Entscheidung war hinsichtlich der Fürsorgepflicht und des Führungsstils miserabel. Sie ist, was die polizeifachliche Begründung angeht, auch nach Ihrer Rede nicht stichhaltig; sie ist mehr als fragwürdig und im Hinblick auf das in dieser Zeit erforderliche Kostenbewusststein völlig unverantwortlich. Herr Minister, damit Sie nicht meinen, in eine falsche Richtung an uns appellieren zu müssen, versichere ich Ihnen: Natürlich sind auch wir der Auffassung, dass Beamtinnen und Beamte gerade im Sicherheitsbereich mobil und flexibel sein müssen. Gerade diese Beamtinnen und Beamten haben aber auch Anspruch auf Verlässlichkeit des Dienstherrn. Herr Minister, nach den Informationen, die mir vorliegen, wurde in den Personalversammlungen an den drei Standorten des BKA sowohl im Juni als auch im November 2003 von der Amtsleitung bekundet, dass diese drei Standorte in vollem Umfang erhalten bleiben sollten. Das soll auch in der Sitzung des Hauptpersonalrates im BMI am 17. Dezember 2003, also kurz vor Weihnachten, von einem Vertreter des BMI bekräftigt worden sein. ({2}) Herr Minister, so lautet die Information, die mir zugegangen ist. Wir haben Sie auch in der heutigen Sitzung des Ausschusses danach gefragt. Aber weder Sie noch Herr Kersten haben etwas dazu gesagt. Sie sollten die entsprechenden Vorwürfe endlich einmal ausräumen. Herr Minister, gerade am Standort Meckenheim sind bis in das letzte Jahr hinein Verstärkungen vorgenommen worden, zum Beispiel in der Abteilung Staatsschutz. Dafür sind Kollegen aus Wiesbaden und Berlin, aber auch aus der Ausbildung heraus für den Standort Meckenheim angeworben worden. Des Weiteren ist dort neues Logistikpersonal eingestellt worden. Hinzu kommt, dass erst Ende letzten Jahres ein neues, funktionsfähiges Führungs- und Lagezentrum in Meckenheim in Betrieb genommen worden ist. Es geht um Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Man darf einen solchen Megaumzug nicht in einer geheimen Arbeitsgruppe, in der Amtsleitung und im Ministerium quasi hintenherum planen und die Menschen erst einmal ruhig stellen, weil man mit dem großen Schock bis nach Weihnachten wartet. Das ist ein unverantwortlicher Führungsstil. Herr Minister, ich hätte mir gewünscht, dass Sie dazu etwas gesagt hätten. ({3}) Dass räumliche Nähe von Entscheidungsträgern keine Gewähr für bessere Kommunikation und Kooperation ist, zeigt gerade diese Entscheidung. Herr Minister Schily, die anderen Minister, die mit Ihnen am Kabinettstisch sitzen, haben von dieser Entscheidung, die auch sie betrifft, erst aus der Zeitung erfahren, ebenso wie der Koalitionspartner. Trotz großer räumlicher Nähe kommuniziert und kooperiert man also nicht so, wie das notwendig wäre. Ich möchte deutlich sagen: Wir sehen in dieser Entscheidung ein Stück Methode. Herr Minister, ich möchte nicht von Zentralisierungswahn sprechen. Aber ist es richtig, den gesamten BND mit 5 000 Mitarbeitern nach Berlin umziehen zu lassen und dafür 1 Milliarde Euro aufzuwenden, jetzt 2 000 Mitarbeiter des BKA nach Berlin zu holen und dafür 500 Millionen Euro aufzuwenden sowie den Führungsstab der Streitkräfte von der Bonner Hardthöhe nach Berlin zu verlagern? Die Menschen haben das Recht, dass das, was Politik als Anspruch formuliert, etwas länger gilt. Wir haben im Berlin/Bonn-Gesetz den Geist der föderalen Verteilung von Einrichtungen beschworen. Herr Minister Bouffier hat außerdem auf die unabhängige Föderalismuskommission verwiesen. Herr Minister Schily, viele Menschen glauben Ihnen nicht mehr, wenn Sie sagen: Aber am Standort des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln will ich nicht rütteln. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die jetzige Entscheidung noch einmal auf den Prüfstand gestellt wird und dass wir deutlich machen, dass wir angesichts der Kommunikationsmöglichkeiten unserer Tage auch mit dislozierten Sicherheitsbehörden in Deutschland die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger hinreichend gewährleisten können, dass wir also keine Zentralisierung von Sicherheitsbehörden in Berlin brauchen. Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte gern Ihr Einverständnis dazu feststellen, dass die Redner in der nun beginnenden Debatte wieder nur fünf Minuten Redezeit haben. - Das ist der Fall. Ich erteile das Wort dem Kollegen Reichenbach für die SPD-Fraktion. - Wie ich gerade sehe - ich denke, wir alle sind hinreichend flexibel -, spricht nun der Kollege Wiefelspütz für die FDP-Fraktion. ({0}) - Entschuldigung, natürlich für die SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Westerwelle, ich halte von Liberalität in der SPD sehr viel. - Ich hätte mir gewünscht, dass wir an dieser Stelle über andere Dinge reden. Ich hoffe sehr, dass wir zur Behandlung wichtiger Fragen, auch der Sicherheitspolitik, nicht solche Anlässe brauchen. Ich bin der Auffassung, dass in diesem Land eine ganze Menge passieren muss. Es gibt jetzt eine Föderalismuskommission, in der ich selbst mitwirken darf. Ich sage Ihnen: Wir müssen in diesem Land eine ganze Menge verändern, damit wir alle miteinander besser aufgestellt sind. Es macht auch Sinn - wenn ich das sage, dann nehme ich keine Ergebnisse vorweg -, darüber nachzudenken, ob - ich sage das mit allem Respekt vor der großartigen Leistung unserer Polizeibeamtinnen und unserer Polizeibeamten, der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes, des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums - die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland optimal ist. Wir müssen bereit sein, zu Entscheidungen zu kommen. Ich bin der festen Auffassung, dass das nur in einem fairen Dialog mit allen Beteiligten möglich ist. Das darf allerdings nicht zerredet werden und man muss auch zu Ergebnissen kommen können. Ich sage es einmal etwas pathetisch - ich habe den größeren Teil meines Berufslebens im öffentlichen Dienst verbracht -: Ich arbeite dort, wo dieser Staat, mein Land, mich braucht und nicht dort, wo ich das Land brauche. Das gilt jedenfalls vom Grundsatz her. ({0}) Wir müssen uns selbstverständlich um die Menschen kümmern. Das heißt, dass wir uns in erster Linie nicht um die Führungsetage, sondern um die vielen kleineren und mittleren Bediensteten kümmern, die in der Tat Verlierer von Umzugsentscheidungen sein können. Ich bin der festen Überzeugung, dass man das, worüber wir hier heute sprechen, etwas anders hätte einstielen können. Ich bitte um Verständnis: Ich habe den Eindruck, dass der Bundesinnenminister die Botschaft verstanden hat und - das müssen wir hier nicht großartig vertiefen - das korrigiert hat, was er selbst für korrekturbedürftig hält und was auch wir für korrekturbedürftig gehalten haben. Dass Sie versuchen, das offensiv anzupacken, das gehört zu der Veranstaltung, die wir parlamentarische Demokratie nennen. Das respektieren wir. Jetzt muss aus dieser Sache etwas Gutes gemacht werden. Ich betone ausdrücklich: Am Anfang und am Ende müssen die Sicherheitsbelange der Bundesrepublik Deutschland stehen. Wir, Rot-Grün mit diesem Bundesinnenminister, machen einen guten Job im Bereich der inneren Sicherheit. ({1}) Das werden wir auch weiterhin machen. Ich sage Ihnen, Herr Grindel: Ich kenne keinen Fachmann in Deutschland, der bestreitet, dass wir den Standort Berlin in Sachen BKA stärken müssen. Ich will gar nicht vorwegnehmen, was hier noch diskutiert und entschieden werden muss. Es ist eine Exekutiventscheidung. Wir alle miteinander wollen mitreden und wir wollen informiert werden; das ist völlig klar. Die Botschaften sind hier wechselseitig angekommen. Die Führungsetage des BKA muss hier, in Berlin, gestärkt werden; das ist doch wohl völlig klar. Ebenso ist klar, dass zumindest ein wichtiger Teil der operativen Seite des Bundeskriminalamtes nach Berlin gehört. Vom Fachlichen her kann man das doch ernstlich überhaupt nicht bestreiten. Die Mitarbeiter müssen in die Umzugsentscheidung allerdings einbezogen werden. Es muss in der Tat nachgewiesen werden, warum die Strukturen so und nicht anders verändert werden müssen. Diesen Prozess organisieren wir gemeinsam unter der Verantwortung dieses sehr bewährten und hervorragenden Bundesinnenministers Otto Schily. Wir werden über diese Fragestellung hier erneut - zeitnah - zu reden haben. Ich bitte darum, dass wir alle miteinander jede Art von Heuchelei auf diesem Sektor unterlassen. Das Bundeskriminalamt ist kein Landeskriminalamt, Herr Minister Bouffier. ({2}) Ich halte sehr viel von der guten Zusammenarbeit, die der Bundesinnenminister immer wieder rühmt. Sicherheit in Deutschland wird gemeinsam von Bund und Ländern, und zwar unabhängig vom Parteibuch, organisiert. Das funktioniert im Großen und Ganzen ganz hervorragend. Herr Bouffier, es ist aber unsere verdammte Pflicht, immer wieder und aufs Neue zu fragen: Welchen Veränderungsbedarf gibt es in dieser Gesellschaft? - Reformen können doch wohl nicht immer nur bei anderen und nie bei einem selber durchgeführt werden. Auch die Sicherheitsarchitektur ist uns anvertraut worden. Wir müssen immer bereit sein, zu überlegen, was wir auf diesem Sektor besser machen können. Allerdings ergeht die herzliche Bitte, dass die Menschen mitgenommen werden, ernst genommen werden und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Das ist das Ergebnis dieser Debatte. Das garantieren wir. Herzlichen Dank fürs Zuhören. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erteile ich dem Kollegen Willsch, CDU/CSUFraktion, das Wort.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wiefelspütz, selbstverständlich haben Sie Recht damit, dass wir Veränderungen in unserer Gesellschaft brauchen. Aber der Grundsatz muss doch sein, dass wir nur dann etwas verändern, wenn die Aussicht besteht, dass es hinterher besser wird. Es kann doch nicht die Veränderung um ihrer selbst willen angestrebt werden. ({0}) In dieser Hinsicht, Herr Innenminister, war das, was Sie vorgetragen haben, mehr als dürftig. Es ist kein entscheidender Punkt vorgetragen worden, der dafür gesprochen hätte, dass all das, was noch zum 50-jährigen Jubiläum des BKA gesagt worden ist und was an Lob für die erfolgreiche Arbeit des BKA ausgesprochen ist, nicht mehr gilt und dass die Arbeit durch die einschneidenden Maßnahmen, die Sie vorsehen, in irgendeiner Weise verbessert werden könnte. Weil Sie verändern wollen, müssen Sie den Beweis dafür antreten, dass das Neue besser sein wird als das, was wir heute haben. Wir haben erheblichen Anlass, zu vermuten, dass es zu einer Verschlechterung kommt, zumindest für die Übergangsphase, unseres Erachtens aber darüber hinaus noch sehr viel länger. Darauf geben Sie nicht die richtigen Antworten, weder im Ausschuss noch hier. ({1}) - Heute Mittag war er bei uns im Haushaltsausschuss. Wir haben auch dort schon einen kleinen Strauß ausgefochten. Es ist bemerkenswert, mit welcher Lässigkeit Sie über die eher zur Nachdenklichkeit anregende Bemerkung des hessischen Innenministers hinweggegangen sind, dass die Arbeit des Bundeskriminalamtes die Basis der Länderpolizeien braucht, weil es über keine Fußtruppen verfügt. Das Bundeskriminalamt kann nur arbeiten, wenn eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Länderpolizeien und den entsprechenden Behörden gegeben ist. Dass Sie die mit der Art und Weise, in der Sie hier vorgehen, nicht befördern, ist doch wohl augenfällig. Ich will nur noch eine Bemerkung zu Ihrem Umgang mit den Mitarbeitern machen; das habe ich im Ausschuss schon kurz angesprochen. - Bis in den Dezember hinein auf Personalversammlungen und gegenüber Personalräten geradezu Bestandsgarantien auszusprechen oder zumindest zuzulassen, dass man so verstanden wird - ich will nicht ausschließen, dass Sie das anders gemeint haben, die Mitarbeiter es aber dann so aufgenommen haben, wie sie es mir erzählt haben -, um ihnen dann kurz nach Weihnachten, am 5./6. Januar, dies wie einen kalten Lappen um die Ohren zu hauen und zu sagen: „Was gestern erklärt worden ist, gilt alles nicht mehr“, das ist ein menschenverachtender Führungsstil, ({2}) den ich wirklich nur zurückweisen kann. So bin ich noch nie, in welchem Verantwortungsbereich auch immer, mit Mitarbeitern umgegangen. Ich möchte einen Appell an jene aus den Koalitionsfraktionen richten, die sich hier mutig geäußert haben und diese Entscheidung von Schily nicht einfach exekutieren wollen. Der Innenminister gibt sich jetzt ein wenig flexibel, biegsam, aber er hat deutlich gesagt, dass er jetzt über Feinplanungen spricht, aber die Grundentscheidung nicht mehr infrage stellt. ({3}) - Herr Innenminister, an dem anderen Ort, an dem wir heute miteinander gesprochen haben, nämlich im Ausschuss, haben Sie gesagt: nicht die Grundentscheidung, sondern die Feinplanung. - Deshalb sage ich all denen, die Bedenken gegen diese Entscheidung haben, auch Ihnen, Frau Wieczorek-Zeul, die Sie nicht den Mut hatten, heute hier zu sprechen: ({4}) Lassen Sie sich nicht einlullen! Er will diese Entscheidung durchexerzieren, schon allein aus grundsätzlichen Erwägungen. Lassen Sie sich nicht einlullen, sondern geben Sie mit uns gemeinsam Acht! Die innere Sicherheit in unserem Land muss uns das wert sein. ({5}) Die Mitarbeiter an beiden Standorten, die in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet haben, ({6}) haben es verdient, dass wir uns als Parlament für sie einsetzen ({7}) und damit den Beweis dafür antreten, dass das, was wir bei Jubiläen sagen, nicht nur schöne Worte sind, sondern auch Konsequenzen hat. Wir als CDU/CSU-Fraktion jedenfalls werden für die innere Sicherheit und an der Seite der Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes stehen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Willsch, auch ich gehöre zu denen, die schon immer die Meinung vertreten haben und sich jetzt auch in der Öffentlichkeit dahin gehend geäußert haben, dass ein Komplettumzug des Bundeskriminalamtes nach Berlin eine falsche Entscheidung wäre. Übrigens habe ich mich auch bereits gegen einen Komplettumzug des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin gewandt. Das habe ich immer deutlich gesagt. Das sage ich auch hier. ({0}) Ich halte es nicht für sinnvoll, die zusätzliche Debattenzeit dazu zu nutzen, all das, was in den anderthalb Stunden vorher schon gesagt wurde, zu wiederholen, sondern die zusätzliche Debattenzeit sollte eigentlich dazu dienen, auf das einzugehen und uns damit zu befassen, was der Minister, dem wir die zusätzliche Debattenzeit zu verdanken haben, gesagt hat. ({1}) Das will ich tun. Deshalb wiederhole ich die Argumente, die vorher schon gebracht wurden, nicht noch einmal. Ich sehe nun ein erhebliches Entgegenkommen des Ministers in zweifacher Hinsicht. Das sage ich jetzt nicht nur für mich, sondern auch für diejenigen aus meiner Fraktion, die Sie von der Opposition vorhin so gelobt haben, nämlich für die Kollegin Stokar und den Kollegen Loske, die unsere kritischen Punkte hier vorher in aller Deutlichkeit klar gemacht haben. Wir haben den Minister nämlich so verstanden, dass er sich hier ganz eindeutig dahin gehend festgelegt hat, dass er das weitere Prozedere mit den Vertretern des Personalrats erörtern und in diesem Sinne die Fragen, die offen sind, lösen will. Dafür sind wir ihm dankbar. Diese Anregung bzw. dieses Versprechen nehmen wir gerne auf, weil auch wir uns gegenüber den Leuten des Personalrats verpflichtet fühlen, deren Rechte hier im Deutschen Bundestag zur Geltung zu bringen. ({2}) Für mich ist es durchaus eine außergewöhnliche Situation, ({3}) dass sich Vertreter des Personalrats des Bundeskriminalamtes - also nicht irgendeiner Behörde - mit mir in Verbindung setzen, um dieses Problem zu besprechen. Ich habe deren Anliegen nicht nur deshalb von Anfang an ernst genommen, weil auch ich die Bedenken des Personalrats hinsichtlich des Umzugs teile - meine Bedenken gehen noch darüber hinaus -, sondern auch deshalb, weil es ganz wichtig ist, wie der Personalrat diese Frage sieht und wie das Vertrauen der Beschäftigten - der Personalrat ist ja nur die Vertretung der Beschäftigten - in die Amtsleitung sichergestellt werden kann, damit ein solches Amt, das die Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland mit garantieren soll, übrigens auch die Sicherheit der einzelnen Abgeordneten und der Mitglieder der Bundesregierung, wirksam arbeiten kann. Um das zu erreichen, müssen wir mit denen zusammenarbeiten. Weiterhin sind wir froh darüber, dass der Bundesinnenminister gesagt hat, dass die in der Öffentlichkeit genannten Kosten für diesen Umzug nicht die realistischen und richtigen Zahlen sind. Somit muss bei der jetzt anstehenden Entscheidung seine Aussage, dass ein Umzug nicht 500 Millionen Euro bzw., wie es der Kollege Röttgen formuliert hat, 1 Milliarde DM kosten wird, beachtet werden und zugleich muss sie dann auch gemeinsam mit dem Personalrat getroffen werden. An Diskussionen auf dieser Grundlage wollen wir uns beteiligen. So wollen wir erreichen, dass maßvoll und allein an der Sache orientiert diskutiert und letztendlich auch entschieden wird. Somit sind Teilumzüge, wie sie bereits geschehen sind, möglich, aber zu einem kompletten Umzug, der hier heute immer wieder als Schreckensbild an die Wand gemalt wurde und heute immer wieder zu Recht kritisiert worden ist, wird es nicht kommen. Deshalb schließe ich meine Ausführungen mit der Aussage, dass wir dem Innenminister dankbar sind, ({4}) dass er eine sachbezogene Rede gehalten hat und nicht eine Rede, die er aufgrund der vielen Angriffe, denen sein Amt und auch die Leitung des Bundeskriminalamtes ausgesetzt waren, hier hätte halten können. Wir gehen auf dieses Auf-uns-Zugehen ein und wollen die Sache mit ihm gemeinsam zu einer vernünftigen Lösung bringen. Ich bedauere, der Opposition mit dieser meiner Rede nicht mehr gedient haben zu können - vielleicht beim nächsten Mal wieder. Danke sehr. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ströbele, Sie haben gesagt, was für eine verkehrte Welt das sei, dass die Beamten des Bundeskriminalamtes sich genötigt gesehen hätten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. ({0}) - Oder sich veranlasst gesehen haben. - Wenn sich Beamte des Bundeskriminalamtes schon an den GrünenAbgeordneten Ströbele wenden, dann müssen sie sehr verzweifelt sein; davon ist auszugehen. ({1}) Herr Minister Schily, interessant ist nicht, dass Sie gesprochen haben, sondern interessant ist, dass Sie in Ihrer - das meine ich nur auf die Länge bezogen - überzogenen Rede nichts gesagt haben. Man merkt, dass auch Sie gemerkt haben: Sie haben keine Mehrheit in diesem Hause. ({2}) Das hat die eine Seite des Hauses klar formuliert, das haben die Grünen gleich am Anfang der Debatte klar formuliert und es ist Ihnen auch von der Seite der Sozialdemokraten durch die Blume mehr oder weniger gesagt worden. Was Sie jetzt angetreten haben, ist ein Rückzugsgefecht. Da wir nicht nur über das reden wollen, was in den letzten ein bis anderthalb Stunden gesagt worden ist, sondern auch über das, was jetzt auf uns zukommen wird, will ich Ihnen Folgendes sagen: Herr Kollege Wiefelspütz, wie immer haben Sie als braver Soldat Ihrer Fraktion hier gesprochen und versucht, dem eigenen Minister eine Brücke zu bauen. Aber wenn das so zu verstehen sein sollte, dass Sie in Wahrheit die Oppositionsparteien auffordern, an der Feinplanung mitzuarbeiten ({3}) und die Grundsatzentscheidung nicht infrage zu stellen, dann werden Sie sich in diesem Hause mit Sicherheit auch weiterhin mit dieser für Sie sehr pikanten und unangenehmen Problematik auseinander setzen müssen. ({4}) - Das Wort „ergebnisoffen“ heißt nicht, dass es noch um die Art und Weise und die Zeitachse des Umzugs geht, sondern es heißt, dass die Grundsatzentscheidung, die der Minister verkündet hat, durch dieses Haus infrage gestellt wurde. Das ist das Ergebnis der heutigen Debatte. ({5}) Herr Minister, es ist schon ein starkes Stück, dass Sie hier über zehn Minuten reden und nicht ein einziges Argument vortragen, warum Sie, wie Sie im Haushaltsausschuss gesagt haben, 400 Millionen Euro - Steuergelder - ausgeben wollen für einen Umzug, den Sie hier augenscheinlich gar nicht fachlich begründen wollen, möglicherweise weil Sie es nie gekonnt haben. ({6}) Einen solchen Umgang mit Steuergeldern in Deutschland kann man mit Sicherheit nicht akzeptieren und nicht verantworten. Interessant ist übrigens nicht nur, wer in dieser Debatte gesprochen und nichts gesagt hat, sondern interessant ist auch, wer in dieser Debatte nichts gesagt hat, weil er nicht gesprochen hat. ({7}) Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, Sie tun einem schon Leid. ({8}) - Ich höre Sie, aber ich hätte Sie gerne hier als Rednerin gehört. ({9}) Das ist ja ein Heldenmut, den Sie da hinten zeigen, zurückgezogen auf die letzten besetzten Bänke, im Schutze Ihrer Lieben. Das ist mit Sicherheit zu wenig. ({10}) In der Presse die große Philippika zu starten, aber hier nicht den Mut zu haben, die eigenen Interessen, die des eigenen Wahlkreises, die der eigenen Region - wie Sie es definiert haben - zu vertreten, das ist für eine Bundesministerin ganz schön zurückhaltend, um andere Worte zu vermeiden. ({11}) Interessant ist übrigens auch, wer auf der Bundesratsbank sitzt und wer dort nicht sitzt. Das Land Hessen ist hier vertreten. Man kann zu der Regierung stehen, wie man will; ich stehe als Liberaler in Opposition zu dieser Regierung. ({12}) Interessant ist aber auch, dass die nordrhein-westfälische Regierung es nicht einmal für nötig hält, die Interessen des eigenen Bundeslandes hier im Deutschen Bundestag zu vertreten. Das ist - dies will ich als Nordrhein-Westfale hinzufügen - schändlich. ({13}) Zum Schluss, Herr Bundesinnenminister. Es stimmt nicht, dass Beamte keine Veränderungsbereitschaft zeigen würden. ({14}) Dieser Reflex ist unfair gegenüber Menschen, die schon aufgrund ihrer Arbeitszeiten, ihren Arbeitsorten und der Gefahr, die ihre Tätigkeit mit sich bringt, mehr Flexibilität zeigen als die meisten, über die hier regelmäßig zu sprechen ist. ({15}) Die Beamten des Bundeskriminalamtes sind veränderungsbereit. Sie arbeiten zu Zeiten, zu denen andere Menschen nicht arbeiten, und sie setzen sich Gefahren aus, denen sich die allermeisten Menschen niemals aussetzen müssen. ({16}) Denen mangelnde Veränderungsbereitschaft vorzuhalten ist in meinen Augen schon ein starkes Stück. ({17}) Es geht nicht um mangelnde Veränderungsbereitschaft. Es geht vielmehr darum, dass Sie keinen einzigen fachlichen Grund vortragen konnten, warum 400 Millionen Euro Steuergelder ausgegeben werden sollen. Sie sind mit Ihrem Plan gescheitert. Das ist das Ergebnis dieser Debatte. ({18})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die allgemeine Aussprache im Anschluss an die Aktuelle Stunde. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 15. Januar 2004, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.