Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Das am 22. August 2003 in Kraft getretene Gesetz zur
Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes sieht
vor, den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederauf-
bau um sieben Mitglieder zu erweitern, die vom Deut-
schen Bundestag bestellt werden. Hierfür werden vorge-
schlagen von der Fraktion der SPD die Kollegin
Waltraut Lehn sowie die Kollegen Ludwig Stiegler
und Klaus Brandner, von der Fraktion der CDU/CSU
die Kollegen Dietrich Austermann, Bartholomäus
Kalb und Friedrich Merz, von der Fraktion des Bünd-
nisses 90/Die Grünen die Kollegin Christine Scheel.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Wider-
spruch. Damit sind die genannten Kollegen als Mitglie-
der des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wieder-
aufbau bestellt.
Durch Änderung des § 39 des Stasi-Unterlagen-Ge-
setzes vom 14. August 2003 können nun acht statt bisher
sieben Mitglieder des Deutschen Bundestages in den
Beirat des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR entsandt
werden. Die FDP-Fraktion kann somit ein Mitglied für
den Beirat nachbenennen. Sie schlägt die Kollegin
Gisela Piltz vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Gisela
Piltz gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
in den Beirat gewählt.
Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege
Martin Hohmann sowohl aus dem Gemeinsamen Aus-
schuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes als auch aus
dem Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt als
stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Für beide Gre-
mien schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen
Dr. Jürgen Gehb als neues stellvertretendes Mitglied
vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist der Kollege Gehb jeweils als stellver-
tretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt
und in den Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt
gewählt.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Punkt I - fort.
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2004
({0})
- Drucksachen 15/1500, 15/1670 ({1})
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({2}) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007
- Drucksachen 15/1501, 15/1670, 15/1924 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Ich rufe dazu Punkt I.12 auf:
a) Einzelplan 09
Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
- Drucksachen 15/1909, 15/1921 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning
Kurt J. Rossmanith
Dr. Günter Rexrodt
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
vor, über den wir später namentlich abstimmen werden.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte I.12 b
und c auf:
b) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung der
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/1206 ({3})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/1481 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({5})
- Drucksache 15/2083 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Hinsken
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst
Hinsken, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef
Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Handwerk mit Zukunft
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunftsfest machen
- Drucksachen 15/1107, 15/1108, 15/2083 Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Hinsken
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP vor. Der gleich lautende Gesetzentwurf der Bundesregierung soll abgesetzt werden. - Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
({7})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
({8})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Befürchtungen, die wir am Anfang dieser Woche im Hinblick auf die Entscheidung des Ecofin-Rates
vom vergangenen Dienstag hatten, sind mehr als nur bestätigt worden; sie werden übertroffen. Die Europäische
Union steckt erkennbar in einer sich verschärfenden
Krise. Anders kann man es nicht ausdrücken.
Ich will an die Debatte anknüpfen, die wir dazu gestern und vorgestern an dieser Stelle gehabt haben. Was
die Regierung der Bundesregierung Deutschland in
Brüssel zu verantworten hat, wird uns noch über einen
sehr langen Zeitraum beschäftigen. Es haben Krisensitzungen des EZB-Rates und der EU-Kommission stattgefunden. Es herrscht eine schwere Verstimmung zwischen
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Mittlerweile hat Frankreich das Begehren geäußert, den gesamten Stabilitätspakt im übernächsten Jahr zu verändern.
Unsere Voraussagen und meine persönliche Einschätzung werden sich bewahrheiten. Es wird einen zunehmenden Druck auf die Währungsstabilität geben. Angesichts dessen, was auch von Vertretern der Regierung in
den letzten 48 Stunden zu diesem Thema gesagt worden
ist, kann einem nur angst und bange werden.
({0})
Wir werden mit dem Hinweis konfrontiert, es sei
doch alles in Ordnung. Ein Wechselkurs des Euro zum
Dollar von 1,18 Euro sei sozusagen der Beleg dafür, wie
stark der Euro sei und wie wenig er gefährdet sei. Wer
die Währungsgeschichte der D-Mark einigermaßen
kennt, der weiß, dass diese Argumente falsch sind.
Es gab bei uns in den 80er-Jahren zum Teil stark steigende Wechselkurse bei rapide sinkenden Inflationsraten. Im Jahre 1981 lag der Dollarkurs bei 1,80 DM und
die Inflationsrate bei 6 Prozent. Drei Jahre später betrug
der Dollarkurs 3,20 DM und die Inflation in Deutschland
ging gegen null. Drei Jahre nachdem die Sozialdemokraten in Deutschland erstmalig die Regierung übernommen hatten, lag der Dollarkurs ebenfalls bei 3,20 DM,
aber die Inflationsrate betrug über 6 Prozent.
Ich sage Ihnen das, um Sie von vornherein vor Fehleinschätzungen in den nächsten Tagen und Wochen zu
bewahren. Der Außenwert einer Währung hat nicht immer unmittelbar etwas mit seiner Binnenstabilität zu tun.
Das glatte Gegenteil kann der Fall sein. Im Augenblick
profitieren wir in Europa mehr von der Schwäche des
Dollar als von der Stärke der eigenen Währung.
({1})
Die Debatte am heutigen Tag bietet auch Gelegenheit,
nach einem Jahr Amtszeit von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement Bilanz zu ziehen. Herr Clement,
Sie sind vor gut einem Jahr mit sehr viel Elan, auch mit
sehr vielen Vorschusslorbeeren, mit sehr viel Vertrauen
und hohen Erwartungen gegenüber Ihnen - auch von den
Koalitionsfraktionen - hier in Berlin angetreten. Wie
sieht nun die Bilanz ein Jahr später aus? Es folgt keine
Schwarzmalerei und kein Gerede der Opposition. Nein,
es sind nüchterne Zahlen über die Volkswirtschaft der
Bundesrepublik Deutschland, ein Jahr nach dem Amtsantritt eines neuen Ministers, der richtigerweise nicht
nur die Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik, sondern
auch für die Arbeitsmarktpolitik hat.
({2})
- Herr Müntefering, die Zahl der Arbeitslosen ist innerhalb dieses einen Jahres im Durchschnitt um über
200 000 gestiegen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen
in Deutschland ist ebenfalls um deutlich über 200 000
gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten in unserem Land
ist in gut einem Jahr um mehr als 600 000 zurückgegangen.
({3})
Ich will die Lage nicht dramatisieren; aber die Arbeitsmarktstatistik bringt die Lage weniger gut zum Ausdruck als die Beschäftigtenzahl. Die Tatsache, dass
Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern jetzt nur
noch etwas über 26 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigte hat, ist das eigentliche Symptom für
die Krise unserer Volkswirtschaft.
({4})
Darüber können Sie nicht einfach leichtfertig hinweggehen.
Wir sind vor gut einem Jahr von Ihnen, Herr Clement,
mit großen Ankündigungen konfrontiert worden. Sie haben die Koalitionsfraktionen mit Ankündigungen darüber begeistert, wie die Bundesanstalt für Arbeit jetzt
endlich auf den richtigen Weg gebracht werden soll, um
die Vermittlungstätigkeit so zu verbessern, dass sie einen
nachhaltigen Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit leistet. Auch dazu eine kurze Jahresbilanz. Im Oktober 2003 sind insgesamt knapp 750 000 Menschen aus
der Arbeitslosigkeit ausgeschieden. Von diesen 750 000
hat die Bundesanstalt für Arbeit aber nur 67 000 erfolgreich vermittelt. Das sind nicht einmal 9 Prozent.
Im gleichen Zeitraum, innerhalb von Jahresfrist, hat
sich aber die Zahl derer, die in den Vorruhestand eingetreten sind, also ein Instrument des Sozialgesetzbuches III
in Anspruch genommen haben, fast verdreifacht. Über
200 000 haben auch auf Drängen der Bundesanstalt für
Arbeit von diesem Instrument Gebrauch gemacht, obwohl der Präsident der Bundesanstalt bei seinem Amtsantritt genau das Gegenteil gefordert hat, nämlich dieses Instrument solle nicht weiter in Anspruch genommen
werden, weil es ein falsches Instrument sei.
Herr Clement, man sieht alleine an diesen Zahlen: Sie
sind nicht an einer einzigen Stelle in der Lage gewesen,
die Strukturprobleme unseres Arbeitsmarktes zu lösen.
Sie haben sich weiter verfestigt, weil Sie zu Beginn Ihrer
Amtszeit von einer fundamentalen Fehleinschätzung der
Lage ausgegangen sind und sich mit Ihren wenigen guten Ansätzen in Ihrer eigenen Fraktion nicht haben
durchsetzen können.
({5})
Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen.
Sie haben uns im Frühjahr 2003 mit der Ankündigung
aufgerüttelt, künftig werde Ihr Haus jeden Monat eine
neue Reform auf den Weg bringen.
({6})
Lassen wir an vier Beispielen Revue passieren, was daraus geworden ist.
Erstens. Sie haben angekündigt, es sei jetzt an der
Zeit, das Kündigungsschutzrecht zu lockern. Ich sage
dazu vorweg: Ich weiß, dass viele Bürgerinnen und Bürger in diesem Land - darunter auch viele, die in Arbeit
und Brot sind - Angst davor haben, dass ihnen ein Teil
des Schutzes genommen wird. Von dieser Angst müssen
sie befreit werden, indem man darauf hinweist, dass in
den Ländern, in denen der Kündigungsschutz nicht so
weit geht wie in Deutschland, ein höheres Maß an Beschäftigung besteht und die Rückkehr in den Arbeitsmarkt einfacher ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Das haben Sie richtig gesehen, Herr Clement.
Aber nachdem Sie angekündigt hatten, dass der Kündigungsschutz in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten gelockert werden soll, und daraufhin von Ihren eigenen Leuten zurückgepfiffen worden sind, haben Sie
darauf hingewirkt, dass wenigstens Kleinbetriebe mit bis
zu fünf Beschäftigten künftig unbegrenzt befristet Beschäftigte zusätzlich einstellen können, ohne dass der
Kündigungsschutz greift. Dabei haben Sie jedoch übersehen, dass aufgrund einer EU-Richtlinie die Zahl der
befristet Beschäftigten nicht größer sein darf als die Zahl
der unbefristet Beschäftigten. Deshalb mussten Sie die
Zahl der befristet Beschäftigten auf fünf reduzieren.
({7})
In Zukunft dürfen also fünf befristet Beschäftigte zusätzlich eingestellt werden, die dem Kündigungsschutz
nicht unterliegen. Das ist aus Wolfgang Clements großer
Reform des Kündigungsschutzgesetzes geworden!
({8})
Bitte tun Sie sich selbst und uns den Gefallen, dieses
Thema heute Morgen am besten gar nicht mehr zu erwähnen, wenn Sie sich nicht selber der Lächerlichkeit
preisgeben wollen.
({9})
Ein zweites Beispiel: Sie haben auch angekündigt,
dass künftig jede Arbeit zumutbar sein solle, damit die
Menschen einen Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden.
Dies hat immer unsere Zustimmung gefunden. Wir waren auch in früheren Jahren der Auffassung, dass eine
geringfügige Beschäftigung immer noch besser ist, als
weiter in der Arbeitslosigkeit zu verbleiben.
Was ist daraus geworden? Nach Herrn Clement müssen jetzt Arbeitslosengeldempfänger, also diejenigen,
die eine Versicherungsleistung bekommen, für die sie
vorher Beiträge eingezahlt haben, in Zukunft jede zumutbare Beschäftigung annehmen. Die Zumutbarkeitsregelungen sind richtigerweise geändert worden. Aber
denjenigen, die in Zukunft - nach der Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe - Anspruch auf das
Arbeitslosengeld II haben, muss jetzt der ortsübliche
Lohn gezahlt werden.
Herr Clement, es wäre gut gewesen, wenn Sie diese
Regelung in der Schlussphase der Verhandlungen mit Ihren eigenen Leuten verhindert hätten. Sie hätten dabei
auch auf das Sachverständigengutachten Bezug nehmen
können. Der Sachverständigenrat hat mit nicht zu überbietender Klarheit festgestellt:
Die beschäftigungsfeindliche Wirkung von staatlichen Mindestlöhnen ist gut belegt. Deshalb muss
auf diese generelle Mindestlohnregelung verzichtet
werden.
Wenn Sie Ihrem eigenen Sachverständigenrat nicht
glauben, dann werfen Sie einen Blick nach Frankreich!
In Frankreich gibt es seit einigen Jahrzehnten einen
staatlichen Mindestlohn, wie Sie ihn jetzt in Deutschland faktisch einführen wollen. Ein staatlicher Mindestlohn klingt zunächst gut. Viele Bürgerinnen und Bürger
sind der Meinung, dass es eine Untergrenze geben muss
und dass der Staat dies zu regeln hat. Das ist in der Tat
auch ein zusätzlicher Schutz für die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer.
In Frankreich können Sie aber die tatsächliche Wirkung solcher Regelungen besichtigen. Die Tatsache,
dass in Frankreich die Jugendarbeitslosigkeit überproportional hoch ist, hat etwas damit zu tun, dass den
schlecht qualifizierten Jugendlichen der Zugang zum Arbeitsmarkt durch den staatlich festgesetzten Mindestlohn
verweigert und auf diese Weise Jugendarbeitslosigkeit in
einer Größenordnung verfestigt wird, die wir in
Deutschland Gott sei Dank bis heute nicht zu beklagen
haben.
Wenn Sie aber zulassen, dass dieses Vorhaben in
Deutschland weiter verfolgt wird, dann - das sage ich
Ihnen voraus - werden in Deutschland in wenigen Jahren gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit ähnlich hohe
Zuwachsraten zu verzeichnen sein wie in Frankreich.
Lassen Sie das! Es hat keinen Sinn, diesen Weg zu gehen.
Ein drittes Beispiel: Herr Clement, wir haben vor fast
genau einem Jahr im Zuge der Beratungen des Haushalts
2003 in diesem Hause sehr darüber gestritten, wie wir
die Zeitarbeitsbranche in Zukunft tarifpolitisch behandeln wollen. Ich habe Ihnen damals dringend geraten,
bei dem zu bleiben, was Sie für richtig gehalten haben,
und die Zeitarbeit nicht vom ersten Tage an gesetzlich in
der Weise zu regeln, dass dort gleicher Lohn zu gleichen
Bedingungen gezahlt werden muss. Ferner haben wir Ihnen dringend geraten, nicht die gesetzliche Verpflichtung aufzunehmen, dies an entsprechende Tarifverträge
zu binden.
Was in diesen Tagen, ein Jahr später, in der Zeitarbeitsbranche auch im Hinblick auf das Datum 1. Januar
2004 passiert - Sie haben damals eine Frist von etwas
über einem Jahr in das Gesetz hineingeschrieben -,
zeigt, dass es weit schlimmer gekommen ist, als wir es
vor einem Jahr befürchtet hatten. Es gibt nämlich nicht
nur Tarifverträge, die als solche nicht zu kritisieren sind,
sondern es gibt auch eine massive Konkurrenz der IG
Metall insbesondere gegen die christlichen Gewerkschaften.
({10})
- Dieser Zwischenruf ist aufschlussreich: Es sei eine Beleidigung, die christlichen Gewerkschaften als Konkurrenten der IG Metall zu bezeichnen. Das ist bezeichnend
für das Denken, das in Ihren Reihen bis zum heutigen
Tage vorherrscht.
({11})
Meine Damen und Herren, es sind Tarifverträge mit
der Christlichen Gewerkschaft Metall abgeschlossen
worden. Dagegen klagt die IG Metall. Sie klagt nicht gegen die Tarifverträge, sondern sie versucht, auf dem Klagewege der CGM die Eigenschaft als Gewerkschaft
streitig zu machen, was die fatale Folge hat, dass in vielen Betrieben die dort bestehenden Tarifverträge gar
nicht angewandt werden, weil man überall Angst davor
hat, dass sich die IG Metall mit ihren Klagen durchsetzt.
({12})
- Auch diese Zwischenrufe sind bezeichnend. - Die fatale Folge dessen ist, dass die Zeitarbeitsbranche in
Deutschland zur Lösung der Probleme praktisch keinen
Beitrag mehr leisten wird; dies verhindern die Funktionäre der IG Metall.
({13})
Ich komme zu einem vierten großen Bereich, den Sie
zum Thema gemacht haben und bei dem Sie in den
jüngsten Tagen - Angela Merkel hat gestern schon darauf hingewiesen - total gescheitert sind, nämlich dem
Thema Ausbildungsplatzabgabe. Herr Clement, Sie haben völlig zu Recht bis in die jüngsten Tagen hinein auch
in Ihren eigenen Reihen gesagt, dass eine solche Abgabe
schädlich und falsch sei. Trotzdem ist sie auf dem Bundesparteitag der SPD gegen Ihren erklärten Willen beschlossen worden. Die Tatsache, dass Sie einen relativ
kleinen Delegiertenschlüssel haben und viele Mitglieder
der SPD-Bundestagsfraktion Delegierte auf Bundesparteitagen sind, zeigt, dass Sie offensichtlich in Ihrer eigenen Fraktion keine Mehrheit für das gefunden haben,
was Sie für richtig halten.
({14})
- Entschuldigung, es ist doch offensichtlich so, wie ich
es dargelegt habe: Das Thema Ausbildungsplatzabgabe
wird auf der Regierungsbank anders als in den Regierungsfraktionen, insbesondere in der SPD-Fraktion, gesehen.
({15})
Jetzt lese ich Ihnen etwas vor, was vor einigen Wochen ein betroffener Arbeitgeber in einem Leserbrief geschrieben hat.
({16})
- Das mögen Sie nicht gern hören. Ich lese es Ihnen
trotzdem vor. Er beschreibt seine Erfahrungen, wie es
ist, wenn er Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt und
anschließend Bewerber in sein Unternehmen kommen
und sich vorstellen.
… auf reines Grundwissen zielende Testaufgaben
und Fragen können nicht einmal in Ansatz und Tendenz richtig gelöst und beantwortet werden, zum
Teil kommen „weiße Blätter“ zurück. Verstehen
und Erklären einfachster Konstruktionszeichnungen - Fehlanzeige. Mal die Homepage unseres Unternehmens angeschaut? Nein, nicht dran gedacht.
Totaler Blackout beim Versuch eines Gesprächs
über Themen der Allgemeinbildung oder des aktuellen Tagesgeschehens; Geschichte, Geographie,
Europa, simple weltpolitische Zusammenhänge nicht der Schimmer einer Ahnung. Schulterzucken
auf die Frage nach Berufs- und Lebenszielen. Dies
alles gepaart mit einem Sprachstil, der in Phonetik
und Aussagesinn weithin unverständlich bleibt, und
mit einem Auftreten, das oft die elementarsten Benimm-Regeln vermissen lässt.
({17})
- Was ich Ihnen vorlese, sind die Erfahrungen eines Unternehmers. Sie, meine Damen und Herren von der SPD,
sind meilenweit davon entfernt, überhaupt noch zu wissen, was in den Betrieben heute passiert.
({18})
- Wenn man diese Zwischenrufe hört - leider können die
Fernsehzuschauer nicht alles hören, was Sie dazwischenrufen -, dann könnte man annehmen, das Zitat, das
ich hier gerade vortrage, stelle eine Situationsbeschreibung der SPD-Bundestagsfraktion dar.
({19})
Der Unternehmer schreibt weiter:
Solange Computerspiele, Disco und Designerklamotten die Kernkompetenzen vieler unserer 18 bis
20 Jahre alten Schulabgänger sind und das fatale
Motto „Erst der Spaß, dann das Vergnügen“ ihr Dasein prägt, ist tiefste Besorgnis angesagt, dass diese
hochprozentig ignorante Generation wählen darf
und die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft gestalten soll.
({20})
Jetzt kommt der entscheidende Satz:
Die geschilderten Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis beweisen zugleich den ganzen
Schwachsinn einer Ausbildungsplatzabgabe.
Dies ist sicherlich eine Momentaufnahme. Hier ist jemand an die Öffentlichkeit gegangen, der sehr frustriert
ist und der Erfahrungen mit jungen Menschen gemacht
hat, die sicherlich nicht repräsentativ sind.
({21})
Aber Tatsache ist doch - wenn Sie genau hinschauen,
dann müssten auch Sie das wissen -, dass ein großer Teil
der Ausbildungsplätze in Deutschland nicht deswegen
nicht besetzt werden kann, weil es nicht genügend Betriebe gibt, die ausbilden, sondern weil die Betriebe
kaum noch qualifizierte Bewerber für die vorhandenen
Ausbildungsplätze bekommen. Vor diesem Hintergrund
ist eine Ausbildungsplatzabgabe doch Unfug. Denn die
Betriebe, die ausbilden wollen und die hohe Anforderungen stellen bzw. stellen müssen, werden durch eine solche Abgabe doppelt bestraft: Ausbildungsplätze bleiben
mangels qualifizierter Bewerber unbesetzt und gleichzeitig muss eine Ausbildungsplatzabgabe entrichtet werden.
({22})
Herr Clement, wenn Sie noch einen Rest an Durchsetzungsvermögen in der Regierungskoalition haben, dann
sorgen Sie bitte dafür, dass der entsprechende Gesetzentwurf, der offenbar die Handschrift von Herrn
Müntefering trägt, im nächsten Jahr erst gar nicht in den
Deutschen Bundestag eingebracht wird.
Ich möchte noch etwas zu dem momentanen Vermittlungsverfahren sagen - der Meinungsbildungsprozess
ist sicherlich sehr schwierig -, das große Teile Ihrer Gesetzgebung betrifft und das das größte der letzten Jahre,
wenn nicht sogar des letzten Jahrzehnts ist. Der Bundeskanzler hat mehrfach eingewandt, der Zusammenhang,
den die Union zwischen den Reformgesetzen betreffend
den Arbeitsmarkt und seinem Wunsch, die Steuern zum
1. Januar 2004 zu senken, herstellt, sei unzulässig. Ich
möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn die geplante
Steuersenkung, die zumindest teilweise kreditfinanziert
werden muss, überhaupt eine Chance auf unsere Zustimmung haben soll, dann müssen gleichzeitig Arbeitsmarktreformgesetze verabschiedet werden, die im
nächsten Jahr in Deutschland zumindest ein so großes
Maß an Wachstum und Beschäftigung ermöglichen, dass
die mit der Steuersenkung verbundenen Steuerausfälle
schnell kompensiert werden. Sonst macht das Ganze keinen Sinn. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen Steuergesetzgebung und Arbeitsmarktgesetzgebung gibt. Wer dies
bestreitet, der legt selbst den Keim für das Scheitern des
Vermittlungsverfahrens. Das ist so. - Herr Clement, Sie
lachen jetzt darüber. Das Lachen wird Ihnen am Ende
dieses Jahres - möglicherweise - vergehen, wenn Sie so
weitermachen.
({23})
Wir legen Wert darauf, dass hier Gesetze verabschiedet werden, die wenigstens den Hauch einer Chance eröffnen, dass wir im nächsten Jahr aus der Wachstumsund Beschäftigungskrise herauskommen. Dazu gehört
das, was nicht wir zuerst thematisiert haben, sondern
was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung
am 14. März dieses Jahres ausdrücklich angesprochen
hat, nämlich das Thema betriebliche Bündnisse für Arbeit.
({24})
Ich erwähne das deshalb, weil uns die Gewerkschaften,
aber auch die Regierung ständig vorwerfen, es gebe
nicht einen einzigen Fall in Deutschland, anhand dessen
man nachweisen könne, dass die Gewerkschaften nicht
vernünftig genug seien, trotz bestehender Tarifverträge
betriebliche Bündnisse für Arbeit mit ihrer Zustimmung
zu ermöglichen. Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel
aus jüngster Zeit nennen, das das genaue Gegenteil belegt - das kann man zurzeit jeden Tag überall in
Deutschland, ob im Norden, im Süden, im Westen oder
im Osten, beobachten -: In der schönen Stadt Murrhardt,
nördlich von Stuttgart, lässt die Firma Soehnle Küchenwaagen produzieren. In diesem Unternehmen ist ein Abänderungstarifvertrag mit Zustimmung der Belegschaft,
der Geschäftsleitung und des Betriebsrates, auch der dort
vertretenen IG-Metall-Mitglieder, abgeschlossen worden. Mit diesem Tarifvertrag sollten die Streichung einer
fünfminütigen Pause und die Senkung der Zuschläge bei
Akkordlöhnen von 127 Prozent auf 113 Prozent ermöglicht werden. Alle Beteiligten waren sich einig. Aber
dann hat die stellvertretende Bevollmächtigte der IG
Metall dagegen interveniert. Sie hat Folgendes geschrieben:
Wenn es zu wenig Arbeit in Murrhardt gibt, schlagen wir Kurzarbeit oder eine Betriebsvereinbarung
… vor. Dabei gibt es auch Lohn- und Gehaltseinbußen …, aber im Gegenzug mehr Freizeit und eine
bessere Absicherung ihres Arbeitsplatzes durch die
verkürzte Arbeitszeit für alle.
({25})
Das, was diese Dame schreibt, unterliegt der Meinungsfreiheit in Deutschland und niemand bestreitet ihr
das Recht, so etwas zu schreiben. Aber von einem solchen Unsinn darf sich doch nicht ein ganzer Betrieb auf
dem Weg aufhalten lassen, eine vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarung zu treffen, die regelt, dass Beschäftigung gesichert werden kann.
({26})
Nicht nur diejenigen von Ihnen, die aus Baden-Württemberg kommen, können sich das an Ort und Stelle ansehen.
Das Ergebnis dieser Intervention ist, dass diese Produktionslinie dorthin nicht vergeben worden ist und dass
dieser Standort wahrscheinlich mittelfristig geschlossen
wird. Dahinter steht die Ignoranz von IG-Metall-Funktionären außerhalb der Betriebe. Dieser Fall dokumentiert
gleichzeitig das hohe Maß an Vernunft von IG-MetallMitgliedern und -Betriebsräten in den Betrieben. Herr
Clement, es muss einen Weg geben, wie mit von Tarifverträgen abweichenden Vereinbarungen betriebliche
Bündnisse für Arbeit möglich werden. Wenn Sie unseren Weg nicht für richtig halten, aber gemeinsam mit
dem Bundeskanzler der Auffassung sind, dass dieses
Ziel erreicht werden muss, dann zeigen Sie uns einen anderen Weg auf. Ohne einen solchen Weg kommen wir in
Deutschland aus der Beschäftigungskrise nicht heraus.
Dieser Weg muss jetzt gemeinsam mit Ihnen beschritten
werden.
({27})
Zum Ende des Jahres 2003 stehen wir in der Tat vor
sehr schwierigen Beratungen. Unsere Vorsitzende hat
gestern sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht:
Wir sind weiterhin bereit, mit Ihnen Kompromisse auszuhandeln. Das erfordert der Föderalismus. Dass der
Bundesrat vielen Gesetzen, die der Bundestag verabschiedet hat, zustimmen muss, ist nun einmal so; wir
können das - jedenfalls kurzfristig - nicht ändern.
Diese Kompromisse sind aber keine Kompromisse
um ihrer selbst willen; es müssen vielmehr Kompromisse sein, die uns in Deutschland aus der anhaltenden
strukturbedingten Wachstums- und Beschäftigungskrise
wenigstens ein Stück weit herausführen. Herr Clement
- ich hätte beinahe „Herr Gerster“ gesagt; ich kann gut
verstehen, dass Sie bei diesem Namen nicht gern zuhören; diese Angelegenheit ist mittlerweile eine Belastung
für die ganze Regierung geworden -,
({28})
einen Weg in die andere Richtung - eine Verfestigung
der Arbeitsmarktstrukturen; eine Verfestigung bestimmter Gesetze; noch mehr Bürokratie; die Einstellung von
zusätzlichen 10 000 oder 12 000 Beschäftigten bei der
Bundesanstalt für Arbeit, was bedeutet, dass diese Personen eine Aufgabe übernehmen, die heutzutage in die
Zuständigkeit der Kommunen fallen; eine Regelung, die
mehr oder weniger erfolgreich ist - werden wir nicht
mitgehen.
Ich sage von dieser Stelle aus: Wenn Sie einen Weg in
die andere Richtung einschlagen wollen, dann ist es besser, es so zu belassen, wie es ist, so schlecht es auch sein
mag. Aber der noch schlechtere Weg, die staatliche Bürokratie weiter auszudehnen, um damit die Bewirtschaftung der Arbeitslosigkeit auf einem noch höheren administrativen Niveau in Deutschland zu ermöglichen, ist
nicht nur für uns, sondern auch für die Arbeitslosen in
Deutschland unzumutbar.
Herzlichen Dank.
({29})
Das Wort hat nun Kollege Volker Kröning, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Merz, wir befinden uns in der zweiten und
dritten Lesung des Bundeshaushaltes. Sie haben zu allem geredet, nur nicht zum Einzelplan 09, der heute
Morgen aufgerufen worden ist.
({0})
Es ist ganz deutlich - ich glaube, niemand ist verstimmt,
wenn er diese Absicht erkennt -, dass Sie nicht zum
Haushalt, sondern zum Vermittlungsverfahren gesproVolker Kröning
chen haben. Wenn man Ihnen genau zugehört hat, dann
musste man den Eindruck bekommen, dass Sie weder
die Bereitschaft noch die Fähigkeit zum Kompromiss,
den wir dringend brauchen, aufbringen.
({1})
Der Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Arbeit sieht nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses für das Jahr 2004 Gesamtausgaben in
Höhe von 32,95 Milliarden Euro vor. Dies sind rund
8 Milliarden Euro mehr, als im Regierungsentwurf vorgesehen. Dieser Aufwuchs beruht darauf, dass im parlamentarischen Verfahren Haushaltsmittel zur Umsetzung der
neuen Leistung veranschlagt worden sind, die nach dem
vom Deutschen Bundestag beschlossenen Vierten Gesetz
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die bisherigen Leistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur
Mitte des nächsten Jahres ablösen soll.
Außerdem sind in der Bereinigungssitzung die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen für die Anschlussregelung zum Kohlekompromiss von 1997 für
die Zeit ab 2006 geschaffen worden.
({2})
- Herr Austermann, Sie kommen heute offenbar nicht zu
Wort und deshalb müssen Sie Zwischenrufe machen.
Schließlich haben wir im Rahmen des haushaltswirtschaftlich Möglichen zukunftsorientierte Maßnahmen
verstärkt, unter anderem durch zusätzliche Mittel für die
Energieforschung und die Unterstützung des Exports im
Bereich erneuerbarer Energien, für die Verbesserung der
Materialeffizienz und für das Vorhaben Innovationsregionen im Rahmen des Bürokratieabbaus und der Deregulierung.
In seiner Struktur wird dieser Haushalt weiterhin
durch die arbeitsmarktbezogenen Leistungen dominiert. Dafür werden rund 27,6 Milliarden Euro bereitgestellt. 14,7 Milliarden Euro davon entfallen auf die
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Im Gegenzug ist
der im Regierungsentwurf eingestellte Ansatz für Arbeitslosenhilfe halbiert worden. Die Leistungen für die
Grundsicherung verteilen sich auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit mit rund 2,6 Milliarden Euro, auf
das Arbeitslosengeld II mit rund 10,6 Milliarden Euro
und auf die Erstattung der Verwaltungskosten mit rund
1,5 Milliarden Euro. Für die Arbeitslosenhilfe sind rund
6,7 Milliarden Euro und für den Zuschuss an die Bundesagentur für Arbeit rund 5,2 Milliarden Euro veranschlagt. Das Haushaltsgesetz ermächtigt den Bund, der
Bundesagentur Liquiditätsdarlehen von bis zu 7 Milliarden Euro zu gewähren. Für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, im Wesentlichen JUMP-Plus und Sonderprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit, werden
rund 970 Millionen Euro bereitgestellt.
Es tut mir Leid, dass ich Sie mit diesen Einzelangaben
in Ihrer Kampfeslust offenbar gestört habe.
({3})
Aber die Bürger und Bürgerinnen interessieren sich für
die Leistungen, die wir mit dem Bundeshaushalt für sie
erbringen, gerade auf den Gebieten Arbeitsmarkt und
Wirtschaft.
({4})
Die Kalkulation der arbeitsmarktbezogenen Ansätze
beruht auf den aktualisierten gesamtwirtschaftlichen
Eckwerten der Bundesregierung und setzt voraus, dass
die mit den Gesetzen Hartz I und Hartz II beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen im kommenden Jahr
ihre volle Wirksamkeit auf der Ausgabenseite entfalten.
Auf der Einnahmeseite ist der nach Hartz IV von der
Bundesagentur an den Bund zu zahlende Aussteuerungsbetrag veranschlagt.
Von dem verbleibenden Teil des BMWA-Haushalts in
Höhe von rund 5,4 Milliarden Euro entfallen rund
2,2 Milliarden Euro auf die Kohlehilfen. Das ist gegenüber dem Ansatz 2003 ein Rückgang - ein Rückgang! um 460 Millionen Euro, also mehr, als der Abbauschritt
2004 nach dem geltenden Kohlekompromiss vorsieht.
({5})
Mit der Veranschlagung einer neuen Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 6,079 Milliarden Euro wird der
Anschlussregelung ab 2006 Rechnung getragen,
({6})
damit schon 2004 entsprechende Finanzierungszusagen
gegeben werden können.
({7})
Der Bund leistet seinen Beitrag unter der Voraussetzung,
dass mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland
eine Verständigung über die Anschlussregelung erzielt
wird.
({8})
Dabei soll der Rückgang der Hilfen so flankiert werden,
dass der unvermeidliche Personalabbau weiterhin sozialverträglich stattfindet.
Weitere 900 Millionen Euro entfallen auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“. Neben den Baransätzen für die
GA-Ost und -West hatte der Regierungsentwurf Verpflichtungsermächtigungen nur noch für die GA-Ost in
Höhe von 700 Millionen Euro vorgesehen. Da eine Erhöhung dieses Volumens zulasten des übrigen Haushalts
dieses Ressorts oder zulasten des Gesamthaushalts ausschied, hat der Haushaltsausschuss beschlossen, dass im
nächsten Jahr bis zu 100 Millionen Euro für die Jahre
2005 bis 2007 für die GA-West in Anspruch genommen
werden können. Dafür bleibt der Planungsausschuss verantwortlich, der für die Gemeinschaftsaufgabe insgesamt eine Klammer zwischen Ost und West bildet. Wenn
der Wille des Haushaltsgesetzgebers erfüllt werden soll,
sollte der Bund seine Stimmen für eine strukturgerechte
Verteilung der Mittel sowohl in Ost als auch in West einsetzen. Es wäre gut, wenn der zuständige Unterausschuss des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit diese
Entwicklung weiterhin begleiten würde, gerade auch im
Hinblick auf die Zukunft der Strukturpolitik auf EU- und
Länderebene.
({9})
Nun zum weiteren Förderungskatalog in der Reihenfolge der Titelgruppen, wobei die quantitativen Größenordnungen nichts über die qualitative Bedeutung bzw.
die Schwerpunktsetzung aussagen.
({10})
- Herr Austermann, leider kann man das draußen nicht
hören.
({11})
Ich kann Ihnen nur entgegnen: Sie haben sich überhaupt
nicht beteiligt,
({12})
deshalb sind Sie gar nicht fähig, über die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses zu berichten.
({13})
Für die Energieforschung sind rund 131 Millionen
Euro vorgesehen, mehr als im Jahre 2003. Für Maßnahmen zur Förderung der rationellen und sparsamen Energieverwendung stehen nach dem Übergang der Zuständigkeit für das Marktanreizprogramm und für das
100 000-Dächer-Programm auf das Bundesumweltministerium noch Mittel in Höhe von 25,6 Millionen Euro
zur Verfügung. Der Ansatz für die 2003 begonnene Exportinitiative für erneuerbare Energien wird gegenüber
dem Regierungsentwurf auf 18 Millionen Euro verstärkt.
Die Mittel für Forschung und Entwicklung und für
Innovation im Mittelstandsbereich erhöhen sich auf
432 Millionen Euro; nicht berücksichtigt ist dabei die
Abwicklung der Altfälle aus dem Programm Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen. Die industrielle Gemeinschaftsforschung, das Projekt Multimedia und das Programm Netzwerkmanagement Ost werden
auf hohem Niveau fortgeführt. Auf gleichem Niveau wie
im Vorjahr wird auch die Förderung der Leistungs- und
Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen fortgeführt; die Beratung und Schulung von
Existenzgründern wird sogar gegenüber 2003 verstärkt.
({14})
Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich besonders
auf die Rating-Anforderungen der Kreditinstitute aus
dem Basel-II-Abkommen einstellen.
Deshalb erwähne ich gerne auch, dass zum Jahr 2004
das Gesamtkonzept der Mittelstandsförderung gestrafft
wird; übrigens nach konstruktiver Mitwirkung des Bundesrechnungshofes. Dazu gehören so wichtige Elemente
wie der Beteiligungskapitaldachfonds, die Kooperation
zwischen Wirtschaft und Forschung und die Förderung
von Wachstumsträgern in benachteiligten Regionen. Der
finanzielle Kern der Mittelstandsförderung ist inzwischen bei der Mittelstandsbank gebündelt worden. Die
KfW berichtet darüber in ihrem jüngst erschienenen dritten Quartalsbericht.
({15})
Es wird höchste Zeit, dass sich die privaten Banken wie
die öffentlichen Hände an der Lösung der Finanzkrise
des Mittelstandes beteiligen.
({16})
Ich kann jedenfalls für die Bundesregierung und die Koalition sagen: Mittelstands- und Innovationsförderung
sind keine Lippenbekenntnisse, sondern Schwerpunkte
unserer Politik.
({17})
Dem Mittelstand dient insbesondere die Außenwirtschaftsförderung, die im Regierungsentwurf von
121 Millionen Euro im Vorjahr auf knapp 170 Millionen
Euro aufgestockt wurde. Der Haushaltsausschuss hat daran festgehalten. Im Vordergrund steht die Außenwirtschaftsoffensive der Bundesregierung mit der neuen
Invest in Germany GmbH, mit dem Auslandsmesseprogramm, dem Netz der Auslandshandelskammern und
dem Korrespondentennetz der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Die Rolle des Exports bei der Stabilisierung und Belebung der Konjunktur kann gar nicht ernst
genug genommen werden; gerade das Engagement kleiner und mittlerer Unternehmen auf Auslandsmärkten
dient dem Standort Deutschland.
({18})
Für die Bereiche Luftfahrtforschung und -technologie stehen 2004 fast dieselben Mittel wie 2003 zur
Verfügung, nämlich rund 74 Millionen Euro. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Werften wird ein Innovationshilfeprogramm aufgelegt,
das mit jeweils 15 Millionen Euro zwischen 2004 und
2007 ausgestattet wird. Mit dem Programm sollen anstelle der klassischen Produktionshilfe anwendungsnahe
Innovationen der Branche gefördert werden. Um die Hereinnahme einer großen Zahl von Aufträgen noch in diesem Jahr sicherzustellen, kann auf die Mittel der Innovationshilfe zugegriffen werden; doch dies darf nicht die
Umstrukturierung der Werfthilfe gefährden.
({19})
- Ich freue mich ja, dass Sie im Saal bleiben und nicht
rauslaufen.
({20})
Offenbar interessiert Sie doch, worüber ich spreche.
({21})
Schließlich berichte ich aus der Bereinigungssitzung,
dass die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post im Laufe des kommenden Jahres neue Zuständigkeiten, und zwar für die Bereiche Strom und Gas,
erhalten soll. Dafür werden 60 neue Stellen vorgesehen,
allerdings werden 42 Stellen gesperrt, von denen 15 aus
Personalüberhängen aus anderen Bundesbehörden besetzt werden.
({22})
Der Haushaltsausschuss wird sich über verbleibende
Fragen, die von der Aufstellung zum Vollzug hinüberreichen, informieren lassen.
({23})
Er hat Berichtsaufträge von der endgültigen Einigung
zur Kohlehilfe über die Entscheidung des Planungsausschusses für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale
Wirtschaftsstruktur“ bis zum Fortgang des Rechtsstreites
über die Werfthilfe, der zwischen der EU und Südkorea
geführt wird, beschlossen. Anfang bis Mitte 2004 wird
darüber zu berichten sein.
({24})
Weitere Einzelheiten des Haushaltsentwurfes erspare
ich Ihnen jetzt gerne; ich habe die Ergebnisse der Bereinigungssitzung mitgeteilt.
({25})
- Sie reden alle von Reparlamentarisierung, auch im Zusammenhang mit der Föderalismuskommission, aber Sie
leisten keinen Beitrag zu einem vernünftigen Parlamentarismusverständnis,
({26})
wenn Sie sich hier nicht über die Ergebnisse der Haushaltsberatungen berichten lassen wollen.
({27})
Mit den 14 Millionen Euro für die kommunikative
Begleitung und die Evaluation wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Vorhaben, die das Ressort neben den
allgemeinen Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit auch im
kommenden Jahr erhält, soll die Initiative „Teamarbeit
für Deutschland“ fortgesetzt werden. Gerade die Vernetzung von zentralen und dezentralen Anstrengungen
auf dem Arbeitsmarkt und auch die Aktivitäten für mehr
Ausbildung erfordern solche Teamarbeit. Der Haushaltsausschuss wird regelmäßig über die Effizienz und die
Wirkung dieser Netzwerkbildung informiert. Ich bitte
Herrn Minister Clement und sein Ministerium, diese Aktivität mit Elan fortzusetzen.
({28})
Sie hat viel Vertrauen bei den örtlichen Akteuren geschaffen; das kann ich aus Bremen und aus anderen Regionen belegen.
({29})
Mit demselben Ansatz werden auch unterstützende
Aktionen zum Bürokratieabbau fortgesetzt. Der Masterplan der Bundesregierung ist zu wesentlichen Teilen
von dem Ressort BMWA umzusetzen. Ich kann nicht erkennen, dass der Minister und sein Haus ihre Grundlinie
verlassen hätten, wie uns Teile der Presse und der Opposition in letzter Zeit glauben machen wollen.
({30})
Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Kollegen Bosbach und Röttgen widerlegt solche Behauptungen. Natürlich fällt der Abbau überflüssiger Bürokratie schwer; zu Recht wird die Sorge
geäußert, dass der Saldo von Abbau alter und Aufbau
neuer Bürokratie negativ bleiben könnte.
({31})
Deshalb hält die Koalition auch an dem Vorhaben der
Innovationsregionen fest. Auf der Basis der Erfahrungen mit den drei Testregionen Ostwestfalen-Lippe, westliches Mecklenburg-Vorpommern und Bremen soll 2004
ein bundesweites Auswahlverfahren stattfinden. Ich
hoffe, dass alle Teile dieses Hauses und auch der Bundesrat daran interessiert bleiben, dafür die gesetzgeberischen Voraussetzungen zu schaffen.
Zur Innovationspolitik gehört auch das Vorhaben zur
Verbesserung der Materialeffizienz, das zunächst mit einem Baransatz von 1 Million Euro und einer Verpflichtungsermächtigung über 2 Millionen Euro ausgestattet
wird. Die Vergabe der Studie und die Implementierung
dieses Ansatzes will und muss der Haushaltsausschuss
dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überlassen.
Wir würden es begrüßen, wenn das Vorhaben von vornherein mit der Industrie gemeinsam angegangen werden
könnte.
({32})
Ich muss noch auf das BTU-Programm eingehen. Wie
2003 und 2002 ist Mehrbedarf gegenüber dem Ansatz
offenbar geworden. Ursache ist die Krise der Unternehmen des so genannten Neuen Marktes.
({33})
Doch die Ausfälle bei den Beteiligungen der Förderbanken, die sich lange einer Schätzung entzogen hatten, haben sich unerwartet beruhigt. Kürzlich ist ein Artikel in
der „Zeit“ erschienen - ein Vorabdruck aus einem neuen
Buch mit dem Titel „Next Economy“ -, der den Hintergrund illustriert hat. Wir müssen und können uns zur Lösung des Problems auf einen Vermerk beschränken, der
es erlaubt, die Ausgaben von bis zu 60 Millionen Euro
durch Einsparungen an anderer Stelle des Einzelplans zu
decken. Ich hoffe, dass dieser Rahmen nicht ausgeschöpft werden wird.
({34})
Diese Notlösung offenbart allerdings ein Problem,
das mehr politischer als rechtlicher Natur ist. Im Einzelplan des Ministeriums ist eine globale Minderausgabe
in Höhe von 49,5 Millionen Euro vorgesehen,
({35})
die im Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden muss.
65,7 Millionen Euro kommen als Ressortbeitrag zu der
im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderausgabe von 1 Milliarde Euro hinzu, und der Ressortbeitrag
zu der weiteren im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderausgabe in Höhe von 600 Millionen Euro ist
noch offen.
Darum ein generelles Wort zum Verhältnis von
Haushaltsaufstellung und Haushaltsvollzug: Die Arbeitsmarktausgaben sind scharf kalkuliert und unausweichlich. Die Arbeitsmarktreform dient, ebenso wie die
Arbeitsrechtsreform, der Senkung der so genannten Beschäftigungsschwelle in Zeiten geringen Wachstums und
ist, wie die Reform der anderen sozialen Sicherungssysteme, Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Darum sind die Spielräume in diesem Bereich extrem eng.
({36})
Auch bei der Linie der Steinkohlenhilfe lassen sich
nur schwer weitergehende Einsparungen ansetzen. Insgesamt wird sie sich nach dem Kohlekompromiss zwischen 1998 und 2005 von 4,7 Milliarden auf
2,7 Milliarden Euro reduziert haben, nach der Anschlussregelung zwischen 2006 und 2012 von 2,6 Milliarden auf voraussichtlich 1,8 Milliarden Euro, alles in
jährlichen Schritten.
Meine Damen und Herren, auch wenn der Haushaltsausschuss die Verpflichtungsermächtigung für die Steinkohlenhilfe gesperrt hat, weil wir uns bei der Kurzfristigkeit der Entscheidungen vorbehalten mussten, noch
Einzelfragen zu klären, will ich vor dem aktuellen Hintergrund dieses Themas sagen: Diese Sperre ist keine
Reißleine für den neuen Kohlekompromiss.
({37})
Ich sage im Übrigen zu der globalen Minderausgabe
auch deshalb noch einiges, weil das Vermittlungsverfahren, vor allen Dingen über das Haushaltsbegleitgesetz,
die Frage aufwirft, wo überhaupt in diesem Haushalt
noch Kürzungen vorzunehmen sind. Das Problem verschärft sich dadurch, dass diese Aufgabe nicht mehr in die
Phase der Haushaltsgesetzgebung fällt, sondern der Exekutive und dem Haushaltsausschuss überlassen bleibt.
({38})
Es geht um Kürzungen von bis zu 235 Millionen Euro,
wenn das BTU-Risiko in voller Höhe eintritt und wenn
von der restlichen globalen Minderausgabe prozentual
genauso viel auf das Ressort entfällt wie von der bereits
ressortweise aufgeteilten Minderausgabe.
Nimmt man aus dem Plafond die bisher am meisten
diskutierten Ausgaben, nämlich für die Leistungen nach
dem SGB III und dem SGB II und für die übrigen Arbeitsmarktausgaben, die Ausgaben für Steinkohlenhilfe,
die Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung und
auch die Werfthilfe, heraus, bleiben als Bemessungsgrundlage für die Erwirtschaftung der zusätzlichen Einsparungen nur 1,5 Milliarden Euro. Davon müssen rund
15 Prozent gekürzt werden. Wie viele Ausgaben bereits
rechtlich gebunden sind, lässt die Betrachtung dabei
noch offen.
Dies wird eine schwere Aufgabe sein, und ich biete,
jedenfalls namens der Koalition - denn ich kann nicht
erkennen, ob die Opposition ihre Arbeitsverweigerung
der letzten Wochen, die auch heute besonders deutlich
wird, fortsetzen will oder nicht -,
({39})
dem Minister und seiner Verwaltung für die Lösung dieser schwierigen Aufgabe weiterhin eine gewissenhafte
Zusammenarbeit an.
Ich erwarte allerdings auch, dass zusammen mit dem
Bundesfinanzministerium über den Subventionsbegriff
Klarheit geschaffen wird, nicht nur auf der Ausgaben-,
sondern auch auf der Einnahmenseite, und vor allen Dingen über eine Strategie, die nicht nur die Staatsausgaben
reduziert, sondern auch ihre Qualität verbessert.
Die beiden Fälle der Grundversorgung mit Steinkohle
und des Umbaus der Werftindustrie zeigen, dass Subventionsabbau kein Selbstzweck ist und dass es vor allem
darum geht, die Schwerpunkte von Finanzhilfen ebenso
wie von Steuervergünstigungen in zukunftsorientierte
Bereiche zu verlagern. Auch die Wirtschaftsförderung
dient zentral wie dezentral, in den Ländern und Gemeinden, dem Strukturwandel. Das müssen die Planken für
die Erwirtschaftung der Minderausgaben nicht zuletzt in
diesem Ressort sein. Wahrscheinlich müssen auch zusätzliche Bewirtschaftungsmaßnahmen über das Jahr
hinweg stattfinden. Ich wiederhole: Dabei kann kein Bereich tabu sein.
Die Auseinandersetzung um den Stabilitäts- und
Wachstumspakt hat jenseits aller politischen und fachlichen Differenzen gelehrt: Auch 2005 wird eisern zu sparen sein; weitere Veränderungen in der Haushaltsstruktur
bleiben auch dem Einzelplan 09 nicht erspart. Haushaltsvollzug und Haushaltsaufstellung werden deshalb auch
in Zukunft viel Arbeit machen.
Ich danke zum Schluss beiden Ressorts, dem Ressort
Wirtschaft und Arbeit sowie dem Ressort Finanzen, für
die gute Zusammenarbeit. Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen - besonders hebe ich meine Kollegin
Anja Hajduk hervor - für die Zusammenarbeit in der Berichterstatterrunde.
^
Ich kann zum Trost sagen: Die Zusammenarbeit mit
der Opposition ist intern besser, als sie sich nach außen
darstellt. Ein Grund für den Politikverdruss im Lande ist,
dass man Ihnen Ihre Reaktionen in diesem Hause nicht
mehr abnimmt. Man erwartet, dass die Zusammenarbeit
intern besser funktioniert, als sich gerade bei Ihren Kindereien gezeigt hat.
Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 09.
({40})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Brüderle, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute
können wir in den Zeitungen lesen: Ermahnung der
OECD: Deutschland braucht mehr Reformen. Deutschland hängt zu einseitig vom Export ab.
Wir kommen nicht voran. Das muss doch unser
Thema sein. Lieber Herr Kollege Kröning, was ist das
für ein Politikverständnis, wenn man hier nur die Titelgruppen des Haushalts buchhalterisch einsortiert? Wir
müssen doch die Wirtschaftspolitik, die Sie betreiben,
politisch bewerten.
({0})
Wenn Sie Wirtschaftspolitik auf die Art und Weise betreiben, wie Sie hier reden, dokumentieren Sie doch nur
Ihr Desinteresse an der Lösung der Probleme dieses Landes. Es als „Kinderei“ zu bezeichnen, dass wir eine politische Bewertung durchführen wollen, ist falsch; denn
dazu ist das Parlament doch da. Ihre Rede führt dazu,
dass draußen abgeschaltet wird.
({1})
Wir wollen aber, dass mehr Menschen anschalten, sich
mit der Politik beschäftigen, teilhaben und nicht vor der
Politik weglaufen.
({2})
Der vorliegende Haushaltstorso ist - wir haben das
schon deutlich gesagt - nicht beratungsfähig. Er ist verfassungswidrig und verstößt gegen internationale Vereinbarungen. Heute können Sie in den Zeitungen lesen:
Frankreich fordert einen neuen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der italienische Finanzminister sagt: Der
Pakt I ist am Ende. Jetzt muss etwas ganz anderes kommen.
Sie haben mit Ihrem Vorgehen den Stabilitäts- und
Wachstumspakt gekillt. Mein Freund Guido
Westerwelle hat gestern deutlich gesagt, dass wir die
längste Wirtschaftskrise in der Nachkriegsgeschichte
haben. Wir haben die größte Pleitenzahl. Die Staatsschulden erreichen ständig neue Rekordhöhen. Jetzt
weiß ich auch, weshalb Sie sich im Verfassungsentwurf
nicht um klare Formulierungen hinsichtlich Preisstabilität und Wahrung der Unabhängigkeit der Europäischen
Zentralbank bemüht haben. Sie wollen das gar nicht. Auf
Ihre lockere, hedonistische Schuldenpolitik soll eine politisierte, laxe Geldpolitik folgen. Wenn das so weitergeht, kann man nur sagen: Tschüss, Euro.
({3})
Das Vertrauen in den Euro wird damit kaputtgemacht.
Ihre Realitätsverweigerung wird hier sehr deutlich. In
Amerika gibt es ein Wachstum von 8,2 Prozent. Bei einer
Steigerung des Wachstums um 1 oder 2 Zehntel Prozentpunkte gibt es schon Hurrameldungen des Wirtschaftsministers: Die Wirtschaft zieht an; es geht aufwärts. Aber
diese Steigerung ist jenseits der Messgenauigkeit. Auch
der Ifo-Index spiegelt nur die Erwartungen wider. Sie
müssen sich erst noch erfüllen. Selbst wenn sie sich erfüllen würden, wäre das höchst bescheiden.
Deutschland ist schlecht vorbereitet auf exogene
Schocks. Die sich abzeichnende kleine Erholung ist sozusagen von der Weltwirtschaft geliehen. Sie ist nicht
hausgemacht. Die hausgemachten Probleme sind nicht
gelöst. Das Kernproblem ist, dass das Potenzialwachstum, das den Wachstumspfad der deutschen Wirtschaft
charakterisiert, entschieden zu niedrig ist. Es hat eine
Größenordnung von 1 bis 1,5 Prozent. Damit kommen
wir nicht aus den Arbeitsmarktproblemen heraus. Japan, das sich gerade langsam erholt, lehrt, was die Folge
ist, wenn man Strukturprobleme - wenn es dort auch
andere sind - nicht löst: Man wird eine lange Zeit miese
Wachstumsraten haben. Das ist „jobless growth“. Sie
werden es im nächsten Jahr wieder erleben: Dieses bisschen Wachstum wird am Arbeitsmarkt nichts verbessern.
Sie müssen an die Kartelle herangehen. Das Tarifkartell muss aufgebrochen werden. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung sagt es eindeutig: Die letzten fünf Jahre hat das Kartell „den Verteilungsspielraum
markant überzogen“.
({4})
Wenn Sie nicht mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt ermöglichen, geben Sie den Arbeitslosen, denen, die draußen stehen, keine Chance. Sie sichern nur das Kartell ab.
Das genügt nicht. Nur wenn mehr Menschen in Arbeit
sind, entsteht mehr Wachstum.
Deshalb brauchen wir die betrieblichen Bündnisse
für Arbeit. Wir müssen Einstellungshemmnisse wegräumen. Wenn die kleinen Betriebe jemanden einstellen,
haben sie Angst, sich von ihm nicht wieder trennen zu
können, wenn Aufträge ausbleiben. Deshalb muss der
Vermittlungsausschuss, damit Deutschland vorankommt,
neben der Entlastung im steuerlichen Bereich auch hier
Reformen zustande bringen. Sonst wird wieder eine
Chance vertan, sonst versündigen wir uns geradezu an
der Politik.
({5})
Nach dem Genossenparteitag in Bochum hat sich der
Zickzackkurs in der Wirtschaftspolitik noch verschlimmert. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie Karl
Marx im Museum in Trier! Der Wirtschaftspolitik fehlt
die Linie. Sie hat keinen Charakter. Sie wird kein Vertrauen schaffen. Auf dem Parteitag der SPD wurde den
Linken Valium gegeben. Die Dosis war offenbar falsch.
Die Verlängerung der Steinkohlesubventionen, die Ausbildungsplatzabgabe und wiederentdeckte Arbeiterlieder
werden es nicht bringen.
Kollege Müntefering sagt wörtlich: Der liebe Gott ist
mit uns. - Vorsicht! „Gott mit uns“ gab es schon einmal.
Ich habe dort nur den Erzengel Gabriel gesehen. Wenn
ich Ihre Beschlüsse betrachte, muss ich sagen: Der Teufel hat Sie geritten.
({6})
Herr Clement, Sie mussten erneut eine herbe Heimniederlage einstecken. Beim Ökostrom hat Herr Trittin
Sie eingedost. Beim Kündigungsschutz waren es die Gewerkschaften und Ihre Fraktion. Die Ausbildungsplatzabgabe kommt auf den Tisch. Wann ist eigentlich die
Grenze Ihrer Selbstachtung erreicht? Was sagen Sie Ihren Töchtern, wenn Sie ständig als Tiger losspringen und
als Bettvorleger landen? Was ist das für eine Politik? Wo
liegt die Grenze der Selbstachtung? Was machen Sie
noch mit?
({7})
Ich sage ganz offen und ehrlich: Sie haben bei vielen
Dingen richtig gelegen. Aber Sie haben nichts durchgesetzt. Wahrscheinlich sind Sie in der falschen Partei.
({8})
Die Ausbildungsplatzabgabe haben Sie als Verstaatlichung der Berufsausbildung bezeichnet. Sie haben völlig
Recht. Nur haben Sie sie nicht verhindert. Frau Dückert
spricht von einer Strafsteuer. Diese grün-rote Lehrlingssteuer wird keine Ausbildungsplätze bringen, sondern
Ausbildungsplätze kosten. Sie ist ein völlig falscher Ansatz.
({9})
Auch die SPD-Wirtschaftsminister sehen es ähnlich.
Herr Schartau hat sich gleich zu Wort gemeldet. Auch er
hält sie für falsch. Aber die Experten haben bei dieser
Anwandlung kollektiver Unvernunft offenbar keine
Chance.
Bei den Steinkohlesubventionen wird die individuelle Unvernunft des Bundeskanzlers kollektiviert. Er hat
der Ruhrkohle nach Gutsherrenart 16 Milliarden Euro
versprochen. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Wir
diskutieren und ringen hier miteinander über Subventionsabbau; gleichzeitig schustert der Bundeskanzler seinem früheren Wirtschaftsminister, den er beim Deal mit
Eon und Ruhrgas schön bei der Ruhrkohle AG untergebracht hat, 16 Milliarden Euro zu. Was ist das für eine
Politik? Beim Parteitag kommen dann die Jubelperser
mit Schildern: Danke, Gerd! - Diese Schilder haben Sie
mit 16 Milliarden Euro teuer bezahlt.
({10})
Hier hat die rote Kumpelwirtschaft wieder einmal
prächtig funktioniert. Holzmann lässt grüßen! Gleichzeitig kürzt die Bundesregierung die Ausgaben für die Bildung. Wir brauchen mehr Kohle für Bildung, nicht mehr
Kohle für Kohle. Das ist eine völlig falsche Politik.
Die Grünen haben am Montag, großartig formuliert,
der Presse vorgetragen, dass „angesichts der fehlenden
Mittel in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovationspolitik nicht zu rechtfertigen“ sei, einen Steinkohlesockel zu finanzieren. Sie sind wie immer platt; Sie tragen es mit, Sie nicken es ab, weil Sie in Ihren Sesseln
bleiben wollen. Herr Kuhn, heute machen wir aber den
Ernsthaftigkeitstest. Wir wollen eine namentliche Abstimmung über die Kohlesubventionen. So können Sie
einmal zeigen, wo Sie stehen.
({11})
Frau Sager, diese ökonomische Visionärin, behauptete hier gestern, die FDP habe die Kohlesubventionen
nicht gekürzt. Das zeugt entweder von Unkenntnis oder
ist eine glatte Lüge. Günter Rexrodt war es, der damals
die Steinkohlesubventionen gekürzt hat. Der frühere
Kommandeur der Putztruppe, Joseph Fischer,
({12})
und Oskar Lafontaine sind damals mit den Kumpels
marschiert und haben vor der FDP-Zentrale Randale gemacht. Sie haben sich damals für die Steinkohlesubventionen eingesetzt. Frau Sager, was Sie hier vorführen, ist
der Gipfel der Scheinheiligkeit.
({13})
Die Grünen machen immer nur Symbolpolitik.
Manchmal wird eine Zeche stillgelegt oder Sie feiern zulasten der Steuerzahler eine geschmacklose Party wegen
der Stilllegung des Kernkraftwerks Stade. Eine energiepolitische Konzeption liegt aber bis heute nicht auf dem
Tisch.
({14})
Es ist utopisch und gefährlich, allein auf erneuerbare
Energien zu setzen. Für jede Kilowattstunde Windenergie muss eine Kilowattstunde Atom- oder Kohlestrom
vorgehalten werden. Wenn wir das nicht selbst tun, geschieht das in Frankreich oder in Ländern in Osteuropa.
Das ist die Wahrheit.
Der Bundeskanzler schickt seinen Lieblingsgewerkschafter Schmoldt vor, der wieder einmal anregen darf,
ob man über Kernenergie nicht neu nachdenken müsse.
Ohne einen anderen Energiemix werden Sie die Importabhängigkeit Deutschlands in der Energiepolitik auf
Dauer nicht beseitigen können. Mit den MilliardensubRainer Brüderle
ventionen für die Windkraft und für die Kohle machen
Sie lupenreine grüne und rote Klientelpolitik.
({15})
Angesichts dessen ist es regelrecht eine Frechheit, uns
bei der Handwerksordnung Klientelpolitik vorzuwerfen.
({16})
Wir wollen keine müde Mark, keinen Euro für das Handwerk. Wir wollen nur eine Reform, eine Chance für mittelständische Strukturen. Der Grund für Ihr Vorgehen ist
doch, dass Sie von nur wenigen Vertretern des Handwerks gewählt werden. Sie wollen das deutsche Handwerk dafür abstrafen, dass es nicht Grün-Rot wählt. Das
ist die Absicht, die hinter Ihrem Handeln steht.
({17})
Wir wollen keine Unternehmenslandschaft, die nur
aus hoch subventionierten Ich-AGs und wenigen Großkonzernen besteht. Wir wollen auch eine mittelständisch
geprägte Wirtschaft.
({18})
Wir wollen, dass die Hunderttausende von Handwerksbetrieben endlich von ihrer Unsicherheit befreit werden.
Deshalb unterbreiten wir heute einen Vorschlag, auf den
wir uns alle einigen können.
Was die Beibehaltung des Meisterbriefs, der in
Wahrheit der Doktortitel der beruflichen Praxis ist, anlangt, wollen wir neben der unbestrittenen Gefahrengeneigtheit noch ein zweites Segment hinzufügen. Nach
der PISA-Studie der OECD reden wir alle von der Notwendigkeit, auf hohem fachlichen Niveau auszubilden
und dieses Niveau zu sichern. Deshalb sollten wir die
vorbildliche Ausbildungsleistung des Handwerks - im
Handwerk wird dreimal so viel ausgebildet wie im Rest
der deutschen Wirtschaft - auch anerkennen. Wir schlagen deshalb ganz konkret vor: Ein Handwerkszweig, der
mehr als 50 Prozent der Gesamtwirtschaft ausbildet, soll
diese fachlich hoch stehende Ausbildung weiterhin
durch den Meisterbrief legitimieren. Das wäre ein gutes
Kriterium. Wir entbinden damit 50 Prozent vom Meisterbrief als Ausbildungsvoraussetzung. Gleichzeitig sichern wir aber das hohe fachliche Niveau. Wir erkennen
gesellschaftlich an, was auf diesem Gebiet geleistet
wird. Dieses Konzept ist eine tragfähige Brücke, über
die alle gehen können. Ich hoffe sehr, dass Sie bereit
sind, im Vermittlungsausschuss diesen Weg zu gehen.
({19})
An die Adresse der Union sage ich, dass ein weiteres
Aufsatteln von Kriterien wie Verbraucher- oder Umweltschutzbelangen kontraproduktiv ist. Wir setzen auf den
mündigen Verbraucher und die Rahmenregelungen. Es
ist ein guter Weg, die Ausbildungsleistung des Handwerks anzuerkennen.
Herr Schartau, in Nordrhein-Westfalen sind die Genossen zu Hause offenbar vernünftiger - dort fordern sie
exakt das Gleiche -, als wenn sie in Berlin herumturnen.
Bewegen Sie sich zugunsten einer guten Lösung, damit
wir auf diesem Gebiet endlich Klarheit schaffen können!
Daneben wollen wir vieles verändern. Wir wollen das
Inhaberprinzip abschaffen. Wir wollen eine Altgesellenregelung. Wenn jemand sieben Jahre Berufspraxis hat
und auf seinem Berufsweg die betriebliche Qualifikation
erlangt hat, quasi durch seinen Lebenslauf, sollte man
ihm eine Chance geben.
({20})
Wir wollen das öffnen. Wir schlagen vor, dass jemand,
der sich selbstständig machen will, auf das MeisterBAföG verzichten kann, um sich eine Existenz aufzubauen. Gehen Sie diesen Weg. Wir haben nicht das
Problem, dass es zu wenig Meister gäbe. Es gibt
130 000 ausgebildete Meister, die nicht in die Selbstständigkeit gehen, weil die Rahmenbedingungen dafür
nicht stimmen. Das sind die Probleme. Sie betreiben
doch ein Ablenkungsmanöver von Ihrer miesen Politik.
({21})
Sie schieben das Handwerk vor, prügeln darauf ein, weil
Sie nicht die Kraft haben, das Richtige zu entscheiden.
Hier brauchen wir mehr Bewegung.
Ich möchte mit einem Bild schließen. Die Zeiten sind
stürmisch. Wir befinden uns angesichts der gewaltigen
Veränderungen sozusagen mitten in einem Gezeitenwechsel, mitten in Stromschnellen. Aber Sie mit dem
Bundeskanzler an der Spitze der Regierung erwecken
die Illusion, Sie könnten mit Pfahlbauten ohne Fundament, grün-rot angestrichen, die Schwierigkeiten meistern, also die Probleme lösen. Nein, wir brauchen eine
feste Brücke mit festen Fundamenten, die langfristig
trägt, und kein Kartenhaus. Die potemkinschen Dörfer,
die Sie aufbauen, werden bei einer Flut weggespült.
Damit das Ansehen deutscher Politik nicht weiter
schwindet, wird es höchste Zeit, dass wir tragfähige Lösungen finden. Wir müssen vernünftige Vorhaben auf
den Weg bringen. Nur so wird Politik Akzeptanz finden
und nicht, indem wir über die einzelnen Haushaltstitel
streiten, Herr Kröning. Denn das führt dazu, dass die
Bürger abschalten. Wir möchten aber, dass sie einschalten.
({22})
Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Merz, in Ihrer Rede gab es eine Stelle,
die ich perfide fand.
({0})
Darauf will ich am Anfang meiner Rede kurz eingehen.
Sie haben von diesem Platz aus in Bezug auf das Problem der fehlenden Lehrstellen - versteckt hinter einem
Leserbrief - das allgemeine Vorurteil bedient, die Schuld
hätten im Großen und Ganzen die jungen Menschen, die
nicht lesen und rechnen könnten. Das ist eine pauschale
Diskriminierung derjenigen jungen Menschen, die eine
Lehrstelle suchen.
({1})
Sie haben gesagt, dass Sie nicht generalisieren wollen.
Dadurch, dass Sie diesen Leserbrief verlesen haben, haben Sie auf eine Art und Weise generalisiert, die ich
nicht akzeptieren kann.
({2})
Wir müssen natürlich in unserem Bildungssystem etwas tun. Sie haben aber nicht gesagt, was mit den Jugendlichen geschehen soll, die in diesen Tagen noch
keine Lehrstelle haben. Sie mahnen immer nur, so gehe
es nicht. Das ist Ihr Credo. Sie machen aber keinen präzisen Vorschlag, was geschehen soll.
({3})
Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder schafft
die Wirtschaft bis März nächsten Jahres die Lehrstellen,
die noch fehlen, oder wir werden eine klug ausgestaltete
Abgabe einführen. Dabei schwebt uns eine Stiftungslösung vor; das haben wir ja vorgeschlagen.
({4})
Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Ja, Herr Schauerte, bitte.
Herr Kollege Kuhn, Sie haben gerade gefordert, dass
wir Ihnen sagen sollen, wie man zusätzliche Lehrstellen
schaffen kann. Es gibt einen ganz zentralen Ansatz. Wir
diskutieren ja, wie Sie wissen, über die Reform der
Handwerksordnung. Lassen Sie die Handwerker, die
heute überproportional ausbilden, im Anhang A zur
Handwerksordnung. Schaffen Sie einen solchen Anreiz,
werden Sie eine hohe Ausbildungsbereitschaft vorfinden. Wenn Sie sie aber alle aus dem Anhang A herausnehmen wollen - wie Sie das vorhaben -, dann wird die
Ausbildungsbereitschaft dramatisch abnehmen. Über
diese Sorgen müssen wir miteinander reden. Öffnen Sie
sich einem solchen modernen Ansatz!
({0})
Lieber Herr Schauerte, wir haben uns über dieses
Thema schon einmal auseinander gesetzt. Ich glaube,
dass Sie mit dem Versuch, den Sie unternehmen, die notwendige Deregulierung beim Handwerk - die heutige
Handwerksordnung ist aus ökonomischer Sicht nichts
anderes als eine Zugangsbeschränkung zur Berufsausbildung - verhindern. Über alle vernünftigen Vorschläge
zur Ausbildung können und werden wir in der Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses reden. Das ist doch
logisch. Aber machen Sie es nicht so billig, mit der Methode der Ausweitung - Frau Merkel will auch noch den
Umweltschutz in die Verhandlungsmasse aufnehmen die ganze Reform zu verhindern. Das ist Ihr Ziel, wenn
ich das richtig verstehe.
({0})
Wir müssen in der Debatte über folgende einfache
Frage reden: Wie kann man den Aufschwung, der sich
abzeichnet, durch unsere Politik in Deutschland und
durch die Entscheidungen im Vermittlungsausschuss
verstärken? Was muss geschehen, damit dies geschieht?
Die „Financial Times“ hat gestern getitelt, Deutschland
setze zum Aufschwung an. Sie alle kennen die Parameter. Einen großen Teil verdanken wir dem Export. Unsere Aufgabe ist es nun, alles zu tun, damit im Binnenmarkt Belebung entsteht.
Deswegen fordere ich Sie von der Union noch einmal
ganz klar auf: Sie müssen dem Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 zustimmen, weil erstens der Konsum
dadurch belebt werden kann und weil es sich zweitens
um die Steuerreform für die Personengesellschaften handelt, die Sie seit langem angemahnt haben.
({1})
Sie haben beklagt, dass die körperschaftsteuerpflichtigen
Betriebe zuerst entlastet wurden. Stehen Sie jetzt, da es
um die Handwerksbetriebe und die kleinen und mittelständischen Betriebe geht, nicht auf der Bremse!
({2})
Frau Merkel, wenn Sie etwas für das Weihnachtsgeschäft tun wollen, dann müssen Sie jetzt und nicht erst
am 10. Dezember 2003 oder sonst irgendwann ein Signal für das Vorziehen setzen. Gehen Sie herunter von
der Bremse und tun Sie hier das Notwendige für die
Konjunktur!
({3})
Herr Merz, wir müssen die Agenda 2010 konsequent
umsetzen. Ich habe in Ihrer Rede kein konkretes Signal
gehört. Sie haben keinen der in der Union vorhandenen
Widersprüche aufgelöst und keinen konkreten Vorschlag
in Richtung der Koalition gemacht. Ich kann Ihnen nur
sagen: Es ist kein Patriotismus, wenn man dem Aufschwung nicht hilft, sondern auf der Bremse steht, wenn
es um Aufschwung geht. Wir haben gestern ja eine Debatte darüber geführt, was der richtige Patriotismus ist.
Der größte gemeinsame Nenner bei der Union ist bisher doch nur Ihre Vereinigung bei der Suche nach der
Antwort auf die Frage, welche Vorschläge von Ihnen der
SPD am meisten wehtun. Ihre konkrete Linie nennen Sie
aber nicht. Ich will Ihnen einige Beispiele dafür nennen.
Erstes Beispiel. Seit Monaten sagen Sie ständig, die
Gemeinden sollten entlastet werden. Sie stehen aber auf
der Bremse, wenn es darum geht, den Gemeinden mit einer kommunalen Finanzreform jetzt zu helfen, damit
sie 5 Milliarden Euro mehr erhalten; das steht in der Diskussion. Hier stellt sich die Frage, ob Sie blockieren oder
mitmachen.
({4})
Zweites Beispiel. Sie kritisieren den Haushalt 2004,
der jetzt verabschiedet wird, und sagen, es werde zu wenig gespart. Sie wollen noch 6 Milliarden Euro mehr
sparen - siehe Europäische Kommission -, machen aber
keine konkreten Vorschläge, wie dies geschehen soll,
und lehnen alle Einsparungen und Subventionskürzungen der Regierung pauschal ab. Soll das, was Sie hier
betreiben, Politik sein oder ist das Verweigerung?
({5})
Herr Merz, Sie machen Vorschläge für Steuersenkungen und sind damit sehr populär. Sie vergessen aber,
dass die Vorschläge, die Sie in der Sozialpolitik - Stichwort: Herzog-Kommission - etwa bei der Kopfpauschale machen, einfach nicht finanziert werden können.
Die Deckungslücken betragen 20 bis 30 Milliarden
Euro. Das sind wirklich sehr komfortable Vorschläge für
Steuersenkungen. Wir können auch welche machen,
wenn Sie uns gestatten, mit solchen Deckungslücken zu
operieren.
({6})
Drittes Beispiel. Sie betreiben eine gefährliche Politik
im Rentenbereich. Dass es bei den Renten im nächsten
Jahr zu einer Nullrunde kommen wird, lehnen Sie ab.
({7})
Sie sagen der Bevölkerung aber nicht laut und deutlich
dazu, dass als Alternative die Rentenversicherungsbeiträge und die Lohnkosten steigen würden und die Arbeitslosen somit noch weniger Chancen hätten, in der
Bundesrepublik Deutschland einen neuen Job zu bekommen. Das ist eine einfache Politik: Sie sagen, was Sie ablehnen, aber nicht, was Sie stattdessen machen würden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit einer solch unkonstruktiven Politik können Sie keine Arbeitsplätze schaffen.
({8})
Herr Merz, ich komme zur Zumutbarkeit der Minijobs gemäß dem Hartz-Paket, die Sie kritisieren. Sie sagen ganz elegant, was nicht geht, machen aber keinen
konkreten Vorschlag dafür, wie man verhindern kann,
dass jemand, dem ein 400-Euro-Job zugemutet wird,
30 oder 35 Stunden pro Woche dafür arbeiten soll. Dies
muss doch verhindert werden. Hier liegt der Ursprung
für die Änderungen, die wir durchgeführt haben. Sie
wissen es doch: Wenn wir es nicht verhindern können,
dann wird es einen flächendeckenden Niedriglohnsektor geben. Sagen Sie, dass Sie das wollen. Herr Koch
sagt mit seinem Modell, das er aus Amerika abgekupfert
hat, dass er das will.
Hier besteht eine politische Differenz. Wir halten einen breiten Niedriglohnsektor für falsch. Wir wollen die
Brücken in die Erwerbsarbeit gangbarer machen. Deswegen haben wir die Möglichkeiten dafür verstärkt, dass
Menschen zusätzliche Mittel erhalten, wenn sie einen
Job aufnehmen. Hierhinter stecken unterschiedliche Philosophien.
({9})
Sagen Sie den vielen Millionen Beschäftigten doch wenigstens, dass Sie einen Niedriglohnsektor wollen, und
sagen Sie dann auch dazu, welche Auswirkungen dies
auf die Löhne hätte. Dann kann man ganz konkret darüber reden, was die bessere Alternative ist.
({10})
Sie schlagen gemeinsam mit Herrn Koch vor, dass die
Gemeinden 1,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen, in
die die Bezieher des Arbeitslosengeldes II zwangsweise
vermittelt werden. Die Gemeinden hingegen haben erklärt, dass sie dies weder können noch wollen, weil diese
Maßnahmen zulasten des Handwerks vor Ort gehen würden. Das ist logisch und kann auch nicht anders sein. Sie
operieren mit einem Konzept, das niemand will, und verkaufen es noch als kommunalfreundlich. Das ist Blindfliegerpolitik, liebe Frau Merkel, und hat nichts mit der
Lösung der konkreten Probleme in der Bundesrepublik
Deutschland zu tun.
({11})
Sie müssen bis zum 10. Dezember konkreter werden,
Frau Merkel. Gestern haben Sie sich nicht klar geäußert.
Sie haben nicht gesagt, was Sie machen wollen. Sie haben allgemein über Patriotismus philosophiert, aber
keine konkreten Vorschläge gemacht.
({12})
Wir müssen in Deutschland Folgendes machen: Wir
müssen im Sozialstaat mehr Flexibilität mit der Sicherheit, die die Menschen brauchen, verbinden.
({13})
Auf diese Suche begeben wir uns. Ich glaube, dass mit
den Hartz-Gesetzen gute Vorschläge auf dem Tisch liegen.
Wir müssen die Lohnnebenkosten stabil halten bzw.
weiter senken.
({14})
Wer es angesichts größter Arbeitslosigkeit und der aktuellen großen Wirtschaftskrise schafft, dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht steigen, der hat für den Aufschwung viel mehr als diejenigen getan, die immer nur
alles ablehnen. Das müssen Sie uns einmal nachmachen.
Wenn Sie sich die Geschichte der Lohnnebenkosten in
Deutschland anschauen, werden Sie feststellen, dass
diese in Wirtschaftskrisen unter Ihrer Führung immer
gestiegen sind. Wir haben den ersten Schritt getan, damit
mehr investiert wird.
({15})
Sie haben populistisch im Interesse der Rentnerinnen
und Rentner argumentiert, dass dies nicht möglich sei.
({16})
Wir reagieren auf die demographische Entwicklung.
Wir bauen die Bürokratie ab. In diesem Zusammenhang
möchte ich darauf verweisen: Bei der Handwerksordnung wird und muss etwas passieren; denn man kann
nicht von Entbürokratisierung in Deutschland reden und
die Handwerksordnung dabei außer Acht lassen. Das
funktioniert nicht.
({17})
Ich will einige Punkte ansprechen, mit denen ich noch
nicht zufrieden bin.
({18})
- Das Thema Kohle können wir sofort abhandeln. Dass
wir bei diesem Thema anderer Meinung als unser Koalitionspartner sind, ist offensichtlich.
({19})
Wir schätzen die Notwendigkeit der Kohleversorgung in
Deutschland langfristig anders als unser Koalitionspartner ein. Durch die Haushaltssperre bei den Verpflichtungsermächtigungen haben wir klar gemacht, wohin die
Reise geht. Hier sind bestimmte Fragen noch zu klären.
Das werden wir im Ausschuss zusammen beraten. Aber
was wir nicht machen werden, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der FDP, ist,
({20})
einem reinen Schauantrag, wie Sie ihn gestellt haben,
zuzustimmen.
({21})
Sie können sich also der Ablehnung meiner Fraktion sicher sein.
({22})
Ich will vier Punkte nennen, bei denen wir von der
Regierung den Druck erhöhen müssen.
Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Nein, das ist nicht nötig. Ich möchte jetzt meine Ausführungen fortsetzen.
({0})
Erster Punkt. Die Bildungsreform in Deutschland
geht auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Auffassung meiner Fraktion viel zu langsam voran. Wenn wir
ernsthaft darüber reden, wie man am Standort Deutschland mehr Qualität im Sinne von Innovationen schaffen
kann,
({1})
dann ist die Reform auf allen Stufen der Bildung, von
der Vorschule bis zur Weiterbildung, das A und O. Die
ganzen Konsequenzen aus der PISA-Studie dauern aus
wirtschaftlichen Gründen - ich betrachte das Ganze nur
unter diesem Aspekt - vor dem Hintergrund von Bildungsplänen der Kultusministerkonferenz viel zu lange.
Wer weiß, dass im Jahr 2010 die geburtenstarken
Jahrgänge nach und nach in Rente gehen werden, wer
weiß, welches Qualifikationsproblem wir dann in
Deutschland haben werden, der muss wirklich konsequent auf allen Ebenen der Bildung den Turbo einschalten, um Qualifikation, Weiterbildung und die schulische
Erstausbildung unserer Kinder zu verbessern. Wirtschaftliche Entwicklung mit mittelfristiger Perspektive
ist nur möglich, wenn wir Bildungsreformen anpacken.
Wenn wir sie nicht machen, sondern die Probleme aussitzen, wird es ein böses Erwachen geben.
Zweiter Punkt. Wir brauchen ein klares Signal in der
Finanz- und Steuerpolitik. Ich bin froh, dass die Finanzpolitik kohärenter wird. Unser Ziel ist, sie systematisch
zu gestalten und die Bürger zu entlasten. Dies ist auch
hinsichtlich der Steuersätze eine wichtige Botschaft. Wir
diskutieren über denselben Punkt. Denn es zeichnet sich
ein Konsens ab, dass ein einfaches Steuersystem auch
ein gerechteres Steuersystem ist. Das ist doch eine richtige Erkenntnis, die wir in die Diskussion der nächsten
Wochen und Monate einbringen müssen.
In der Finanzpolitik wird auch klar, dass wir eine antizyklische Konsolidierungspolitik betreiben müssen.
Wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist, muss man
andere Beträge für die Tilgung der Schulden aufbringen,
als wenn sie besser ist. Die große Stunde der Wahrheit
für die Koalition und für Sie kommt dann, wenn die
Wirtschaft wieder wächst. Dann stellt sich die Frage, ob
man bereit ist, Schulden in größerem Umfang zu tilgen
und den Haushalt zu konsolidieren, als es in einer Zeit
möglich ist, in der sich die Wirtschaft in der Talsohle befindet.
({2})
Der dritte Punkt. Die Entbürokratisierung geht uns
zu langsam. Der Masterplan des Wirtschaftsministeriums ist okay, aber an den Schnittstellen zwischen
Bund, Ländern und Gemeinden durch eine konkrete
Aufgabenkritik klar zu machen, was wir konsequent lassen können und wo sich der Staat zurückziehen kann,
damit es weniger Bürokratie gibt, ist eine Aufgabe, die
mit mehr Druck und mehr Konsequenz angegangen werden muss, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ich sage das
ganz offen. Wir sagen nicht, dass alles immer prima sei.
Die kleinen und mittleren Betriebe, die bei uns neue Arbeitsplätze schaffen - da spielt in wirtschaftlicher Hinsicht die Musik - leiden am meisten unter der Bürokratie, weil sie Kosten verursacht, weil der Umgang mit ihr
frustrierend ist und weil sie die Entwicklung der Betriebe hemmt. Deswegen möchte ich dazu auffordern,
dass mehr in Richtung Bürokratieabbau geschieht.
({3})
Der vierte Punkt betrifft die Banken. Die heutige
Krise der Finanzierung vor allem kleinerer und mittlerer
Betriebe ist zuvorderst eine Bankenkrise, weil die Banken, anders als vor zwei oder drei Jahren, nicht mehr bereit oder in der Lage sind, die Kredite zu geben, die notwendig sind, um das Eigenkapital zu verstärken bzw.
überhaupt einen Betrieb zu gründen. Deswegen sage ich
ganz deutlich: Es ist positiv, dass die Regierung über die
KfW einen neuen Dachfonds für innovative Finanzierung aufgelegt hat. Es ist aber auch notwendig, dass wir
den Kreditinstituten, in denen wir Einflussmöglichkeiten
haben - hier sind viele Kommunalpolitiker, die in Aufsichtsgremien der Sparkassen sitzen -, sagen, dass sie
die Bremse lösen und die Wirtschaft durch Kredite fördern müssen. Herr Minister Clement, ich bin gespannt,
welche Vorschläge Sie in den nächsten Wochen und Monaten vorlegen, um die Finanzierungskrise des Mittelstandes und der Kleinbetriebe zu mildern. Die Politik
kann die Probleme nicht alleine lösen, aber sie kann helfen und Programme auflegen, mit denen diese Probleme
insgesamt reduziert werden.
({4})
Ich komme zum Schluss. Ich habe einen Appell an die
Union. Sie haben zwei verschiedene Möglichkeiten. Sie
können darauf setzen, die Regierung in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss vorzuführen. Ich glaube
nicht, dass Ihnen das gelingen wird. Oder Sie können im
merkelschen Sinne des Patriotismus alles dafür tun, dass
der Aufschwung in Deutschland verstärkt wird.
({5})
Das ist die Pflicht und die Aufgabe auch der Opposition.
Hören Sie dann aber auf, in jeder Rede, wie es Herr
Merz vorhin getan hat, zu sagen, in Deutschland sei alles
Mist! Wenn man Sie, Herr Merz, im Fernsehen hört,
dann hat man den Eindruck, an diesem Standort könne
man überhaupt nicht mehr investieren.
({6})
Abgeordnete des Bundesparlaments sollten nicht so über
Deutschland reden, wie Sie es tun. Hören Sie auf, Herr
Merz, die Arbeitslosen in Geiselhaft für Ihre strategischen und taktischen Spielchen zu nehmen!
({7})
Tragen Sie vielmehr dazu bei, dass der Aufschwung verstärkt wird! Dann haben Sie Ihren Job gut gemacht.
Ich danke Ihnen.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den
Kollegen Kuhn gehört hat, hat fast das Gefühl, Herr
Kuhn ist nicht in der Regierung, sondern in der Opposition.
({0})
Herr Kuhn, wenn ich Ihre Aussagen höre, dann kommen Sie mir vor wie der kleine Fritz, der die Wirtschaftspolitik erklärt.
({1})
Sie gehören einer Regierung an, die par ordre du mufti
erklärt hat, neue Subventionen in Höhe von 16 Milliarden Euro zu gewähren. Das geschah so nebenbei in einer
Rede, und das noch für einen Sektor, der keine Zukunft
hat.
({2})
Damit haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren, überhaupt noch über Subventionsabbau zu reden.
Noch nie war eine Reform der Reformfähigkeit so
notwendig wie jetzt. Noch nie wurden so viele negative
Botschaften über die deutsche Wirtschaftspolitik, die
Sozialpolitik und über die Finanzpolitik wie in den letzten Tagen, ja sogar in den letzten Stunden verkündet.
({3})
Ich möchte mich mit nur zwei Themen befassen: Stabilitätspakt und Ausbildungsplatzabgabe. Wir, die
Deutschen, waren doch diejenigen, die mit Vehemenz
und Kraft für diesen Pakt gekämpft haben. Er wird mittlerweile von Ihnen mit Füßen getreten. Herr Eichel hat
dieses Kernstück europäischer Wirtschaftsverfassung
mit dem Segen des Kanzlers Schröder zu Grabe getragen.
Ich warne davor, die Tragweite der entsprechenden
Brüsseler Beschlüsse zu unterschätzen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass vielen die Tragweite dieser Brüsseler Beschlüsse nicht klar geworden ist. Dabei geht es
nicht bloß um Finanzpolitik, sondern auch um eine zentrale Grundlage der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen ein
stabiles Preisniveau, um mehr Wachstum und mehr Beschäftigung zu erreichen. Momentan sinkt die Zahl der
Beschäftigten jeden Monat um 50 000. Das ist eine Katastrophe.
Eine Währungsunion lebt von dem Vertrauen darauf,
dass sich die teilnehmenden Länder untereinander einigermaßen vernünftig verhalten. Was wird daraus in der
Zukunft? In Zukunft wird doch jedes Land je nach Lust
und Laune eine Verschuldungspolitik machen. Wen werden in Zukunft noch Strukturreformen interessieren? Wir
werden die Quittung für die Fehler von heute nicht morgen, auch nicht übermorgen bekommen; aber wir werden sie langfristig bekommen, nämlich in Form einer höheren Inflation und höherer Zinsen.
({4})
Was passiert, wenn die Staatsdefizite mehrerer Länder
zukünftig aus dem Ruder geraten? Die EZB wird die
Zinsen erhöhen. Ich bin gespannt, ob dann der Kanzler
auch bei der EZB Druck hinsichtlich der Erhöhung der
Zinsen ausüben wird. Die „FAZ“ hat zu Recht gesagt:
Wo ein Stabilitätswille fehlt, ist auf kurz oder lang
die Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr.
({5})
Was bedeuten höhere Zinsen? Sie führen zu weniger Investitionen. Weniger Investitionen führen wiederum zu
weniger Arbeitsplätzen. Das ist doch ein Teufelskreis.
Herr Clement, ich wundere mich darüber, wie Sie sich
in dieser Sache verhalten haben. Warum haben Sie hierbei nicht interveniert? Sie haben beim Euro-Stabilitätspakt, also an einer wirtschaftspolitisch wirklich zentralen Stelle, versagt, weil Sie nicht aufgestanden sind und
nicht gesagt haben: Hier werden langfristige wirtschaftliche Chancen vertan; tut das nicht!
Bei der Ausbildungsplatzabgabe konnten Sie sich
ebenfalls nicht durchsetzen. Es ist genau das eingetreten, was Herr Müntefering vorgegeben hat. Herr
Müntefering, Sie haben gefordert: Weniger für den privaten Konsum, mehr für den Staat. Ist das der richtige
Kurs? Nein, dieser Kurs ist falsch.
({6})
Sie vernichten mit dieser Maßnahme die Ausbildungschancen sehr vieler junger Menschen.
Ich sage Ihnen aber auch: Die momentane Lehrstellensituation ist zwar bedauerlich, aber die Situation an
einer anderen Stelle, am Arbeitsmarkt, ist viel schlimmer. Was nützt einem Jugendlichen eine gute Ausbildung, wenn er danach keinen Arbeitsplatz findet? Momentan ist eine halbe Million junger Menschen unter 25
Jahren in Deutschland arbeitslos. Davon sind 300 000
gut ausgebildet. Trotzdem finden sie keinen Arbeitsplatz. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine
Kurskorrektur.
Die erste Aufgabe muss sein, mehr Vertrauen bei den
Konsumenten und bei den Investoren zu gewinnen.
({7})
Die Investitionsausgaben sind im dritten Quartal dieses
Jahres so drastisch eingebrochen, wie es das letzte Mal
in der Rezession 1993 der Fall war. Es stimmt, dass der
Export zunimmt. Das ist auch gut so. Man darf aber auch
nicht vergessen, dass der Export nur ein Drittel unserer
Wirtschaftsleistung ausmacht. Er macht nicht die ganze
Wirtschaftsleistung aus. Deswegen gebe ich Ihnen nur
den Rat: Lesen Sie die Ihnen vorliegenden Gutachten
vom Sachverständigenrat und von den Instituten! Dort
können Sie lesen, was der Grund für unsere Wirtschaftskrise ist: Ihre Politik, die Sie auch noch Wirtschaftspolitik nennen. Sie ist eine reine Katastrophe und bringt uns
immer mehr zurück, anstatt uns nach vorne zu bringen.
Wir brauchen eine Trendwende. Denken Sie an die
Maxime von Ludwig Erhard: Die beste Sozialpolitik
nützt nichts, wenn sich nicht Wirtschafts- und Sozialordnung gegenseitig ergänzen. Sozialordnung, Markt und
Wirtschaft sind die Räder, die ineinander greifen müssen. Das ist bei Ihrer Politik aber nicht der Fall; durch
Sie blockieren sich die Räder gegenseitig.
Die Schere zwischen Sozialleistungen und Investitionen öffnet sich immer weiter. Anfang der 70er-Jahre
floss noch ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts jeweils
in das soziale Netz und in die Investitionen. Gegenwärtig beläuft sich die Investitionsquote auf unter 10 Prozent, während mehr als 32 Prozent der Wirtschaftsleistung für den sozialen Bereich aufgebracht werden. Das
ist ein Missverhältnis; die Schere muss sich wieder
schließen.
Unsere Sozialbeiträge steigen stetig an, Herr Kuhn.
Ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Sie schaffen es
nicht, Reformen auf den Weg zu bringen, die eine Abkehr von dieser steigenden Tendenz ermöglichen. Die
sozialen Belastungen belaufen sich inzwischen auf mehr
als 41 Prozent. Die Menschen haben immer weniger
Geld in der Tasche.
Die Tatsache, dass die Schwarzarbeit um weitere
3,5 Prozent zugenommen hat - sie beträgt inzwischen
mehr als 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts -, zeigt,
dass zwar Arbeit vorhanden ist, aber nicht zu bezahlbaren Preisen. Das sind Fakten, vor denen man nicht die
Augen verschließen darf.
Der Mittelstand steht inzwischen mit dem Rücken zur
Wand und weiß nicht mehr, wie er über die Runden
kommen soll. Den Betrieben fehlen Aufträge. Die riesige Pleitewelle spricht für sich. Angesichts der Tatsache, dass inzwischen ein Drittel der mittelständischen
Unternehmen keinen Gewinn mehr erwirtschaften, muss
man sich wundern, woher sie die Kraft nehmen, weiterzuarbeiten.
Aus der neusten Ausgabe der „Wirtschaftswoche“
geht hervor, dass die KfW ihre Mittelstandsförderung
drastisch zurückfahren will;
({8})
sie hat offenbar kein Eigenkapital mehr, weil Herr Eichel
im Rahmen von Platzhaltergeschäften durch den Verkauf
von Aktien der Telekom und der Deutschen Post mehr
als 20 Milliarden Euro aus der KfW herausgezogen hat.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Herr Clement:
Wo bleibt Ihr Aufschrei? In welcher Form intervenieren
Sie dagegen?
({9})
Ich appelliere an Sie mit einem Zitat von Lincoln, der
die richtigen Worte gefunden hat:
Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr
die Starken schwächt. Ihr werdet Schwierigkeiten
bekommen, wenn ihr mehr ausgebt, als ihr verdient.
Ihr werdet den Menschen nie auf Dauer helfen,
wenn ihr für sie tut, was sie selbst für sich tun könnten.
Hängen Sie sich dieses Zitat über Ihr Bett und schauen
Sie es sich morgens und abends an!
({10})
Das ist die Richtschnur, nach der die Politik gestaltet
werden muss.
Was aber machen Sie? Auf Ihrem Parteitag ist mit der
Diskussion um die Erbschaftsteuer wieder das Neidfeuer
eröffnet worden - Trittin will zudem die Vermögensteuer reanimieren. Sie vergessen immer wieder eines:
Wie wird denn Vermögen geschaffen? Vom Aufbau eines Vermögens profitieren viele. Wer Vermögen schafft,
zahlt Steuern. Ein Unternehmen leistet aber auch noch
einen weiteren Beitrag: Es schafft Arbeitsplätze. Dass
Vermögen nur mithilfe eines bereits versteuerten Einkommens aufgebaut werden kann, scheinen Sie auch immer wieder zu vergessen. Sie versuchen, die Leistungsstarken ausbluten zu lassen und eine DDR de luxe zu
schaffen. Das ist aber keine Lösung.
Gerade für die Erbschaftsteuer gilt: Wenn wir Substanz verteilen, dann verlieren wir alle. Wir wissen, wie
es um die mittelständischen Betriebe steht. Sie haben
fast kein Eigenkapital mehr. Die Eigenkapitaldecke ist
viel zu dünn. Wenn eine Erbschaftsteuer nicht aus den
Erträgen aufgebracht werden kann, hat das weitere Betriebsaufgaben und einen weiteren Rückgang der Zahl
der Arbeitsplätze zur Folge.
Hier müssen wir andere Wege beschreiten. Die Betriebsübergaben müssen endlich erleichtert werden.
({11})
Statt die Erbschaftsteuer zu erhöhen, müssen wir dazu
übergehen, die Erbschaftsteuer zu stunden, wenn ein
Erbe die Firma seines Vaters oder seiner Mutter übernimmt, und sie nach zehn Jahren vollständig zu erlassen.
Denn er hat in diesem Zeitraum mehr für die Volkswirtschaft getan, als wenn er einmalig Erbschaftsteuer gezahlt hätte.
({12})
Es ist an der Zeit, dass die Belastungen nach unten gehen, anstatt mit Neidsteuern unternehmerische Initiative
im Keim zu ersticken. Wir brauchen die unternehmerische Initiative; sie ist das Fundament unserer Volkswirtschaft, auf dem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir brauchen einen leistungsstarken
Mittelstand. Wir brauchen Investitionslust und Konsumlust, die sich aber nicht stärken lassen, indem Sie den
Bürgern immer tiefer in die Taschen greifen.
({13})
Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren hat die
Union einen Wahlkampf mit dem Slogan „Freiheit oder
Sozialismus“ geführt. Zu Beginn dieses Jahrhunderts
stehen wir erneut vor dieser Grundsatzentscheidung:
({14})
Wollen wir mehr Markt oder mehr Staat? Ich sage: Wir
brauchen mehr Markt. Wir sollten uns auf unsere soziale
Marktwirtschaft zurückbesinnen und neu starten.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile Bundesminister Wolfgang Clement das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe,
wir alle wissen, dass wir diese Tage und Wochen bis zum
Jahresende nutzen müssen, weil sie eine große Bedeutung
für die Zukunft unseres Landes haben. Wir müssen in
Deutschland beweisen, dass wir zu Reformen fähig sind.
Wir werden dazu Besitzstandswahrung und die Neigung
zum Kirchtumsdenken überwinden müssen,
({0})
aber auch die Neigung zu Besserwisserei, Herr Kollege
Merz.
({1})
Davon, dass uns dies gelingt, hängt sehr viel ab.
Wir müssen ein Paket aus Strukturreformen, Wachstumsimpulsen und Maßnahmen zur Haushaltssanierung
schnüren und gemeinsam schultern. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schultern können. Ich bin aber ebenso
davon überzeugt, Frau Vorsitzende Merkel, dass es hier
eine Pflicht zum Kompromiss gibt.
({2})
Diese Pflicht zum Kompromiss gibt es gerade jetzt. Sie
schließt ein, dass man sich aufeinander zubewegt.
({3})
All das, was ich in den letzten Tagen und Stunden dazu
gehört habe, welche Bedingungen erfüllt sein müssen,
um beispielsweise eine Steuerreform durchzusetzen
- einmal ist es der Arbeitsmarkt, dann ist es der Kündigungsschutz, dann das Tarifvertragsrecht -, ist nicht geeignet, um zu einem Kompromiss zu kommen.
({4})
Wenn ich höre, Herr Kollege Merz, wie Sie und andere
Krokodilstränen über das Leid der Europäischen Kommission vergießen und noch ein paar Sparmaßnahmen
mehr für Deutschland fordern, wenn Sie gleichzeitig
mehr Gegenfinanzierung für das Vorziehen der nächsten
Stufe der Steuerreform fordern und im selben Atemzug
all das ablehnen, was von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, um Steuervergünstigungen, Subventionen und andere Haushaltsbelastungen abzubauen, dann
muss ich sagen: Was Sie machen, ist „Ball paradox“.
({5})
Vielleicht ist das alles durch den bevorstehenden
CDU-Parteitag und manche Diskussionen erklärbar, die
es auch bei Ihnen gibt.
({6})
Wenn wir aber zu Ergebnissen kommen wollen - wir
müssen bis zum 10. Dezember zu Ergebnissen kommen -, dürfen Sie die Möglichkeiten der Regierung und
der Koalition nicht unterschätzen. Wenn Sie mit uns zu
gemeinsamen Ergebnissen kommen wollen - das ist im
Interesse unseres Landes -, dann müssen Sie erkennen,
dass Sie mit solchen Diskussionsbeiträgen nicht durchkommen können.
({7})
Wie ist die Lage in Deutschland? Die Wirtschaftsleistung in Deutschland ist im dritten Quartal dieses Jahres wieder leicht um 0,2 Prozent angestiegen. Dies ist
vor allen Dingen auf eine deutliche Erhöhung der Exportüberschüsse um 1,8 Prozent zurückzuführen. Die deutschen Exporte sind mit plus 3,2 Prozent gegenüber dem
zweiten Quartal geradezu sprunghaft angestiegen. Es
spricht jetzt einiges dafür, dass wir die Trendwende
schaffen können und dass sich der Erholungsprozess der
deutschen Volkswirtschaft im letzten Quartal dieses Jahres fortsetzen kann, um dann in eine wirtschaftliche Belebung überzugehen. Die Chancen dafür stehen nicht
schlecht. Das Geschäftsklima verbessert sich seit einem
halben Jahr Monat für Monat. Die Lagebeurteilung hat
sich deutlich verbessert. Der Auftragseingang der Industrie weist einen deutlichen Aufwärtstrend auf.
({8})
Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Die Daten des
Statistischen Bundesamtes zeigen, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten und zweiten Quartal rückläufig
war. Entgegen den ersten Zahlen und Erwartungen gab
es im dritten Quartal keine Verbesserungen beim privaten Konsum und bei den Investitionen. Im Gegenteil:
Sowohl Konsum als auch Investitionen sind noch rückläufig. Das gilt insbesondere für die Ausrüstungsinvestitionen.
Eine weitere Feststellung: Die Defizitausweitung in
den letzten drei Jahren war nicht etwa die Folge fehlender Konsolidierungsmaßnahmen, Herr Kollege Merz.
Vielmehr ist für jeden, der genau hinschaut, erkennbar,
dass die Mindereinnahmen und die Mehrausgaben auf
die weltweit schwache Konjunktur zurückzuführen sind.
An Ihre Adresse, Frau Wöhrl, die Sie starke Worte gebraucht haben, sage ich deshalb deutlich: Durch die
Maßnahmen zur Defizitbekämpfung, die die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, wären eindeutig
die kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge in der Europäischen Union, insbesondere in
Deutschland, vernachlässigt worden.
({9})
Diese Maßnahmen - es sind nicht wenige, die das bestätigen - würden, wenn sie umgesetzt worden wären, in
sehr starkem Maße prozyklisch wirken. Die Phase der
schwachen Binnennachfrage wäre also noch verlängert
worden und die wirtschaftliche Erholung wäre noch
mehr erschwert worden. Deshalb ist das Konzept, das die
Bundesregierung verfolgt und das der Bundesfinanzminister in Brüssel vertreten hat, aus unserer Sicht absolut
richtig. Wir wollen die dritte Stufe der Steuerreform - um
das ganz klar zu sagen - bei nur teilweiser Gegenfinanzierung vorziehen. Eine Gegenfinanzierung von 75 Prozent wäre falsch; denn das brächte nicht den erforderlichen Wachstumsimpuls, den wir benötigen. Richtig ist
stattdessen, auf den Subventionsabbau zu setzen und so
zu einer zeitversetzten, mittelfristigen Gegenfinanzierung zu kommen und gleichzeitig die Agenda 2010
durchzusetzen.
({10})
Herr Kollege Merz und Herr Kollege Brüderle, wenn
Sie sich die wirtschaftlichen Bewertungen des Internationalen Währungsfonds sowie der Sachverständigen
- von Washington über Paris, Brüssel bis Berlin - anschauen, dann stellen Sie fest, dass alle die Richtigkeit
unseres Konzeptes bestätigen. Uns werden ständig andere Länder als Vorbild vorgehalten. Schauen Sie sich
doch die USA an! Tatsächlich hängen die weltweite Erholung und damit auch unser wirtschaftlicher Aufschwung in sehr starkem Maße von dem Erfolg der
USA ab. Aber worauf ist die gegenwärtige Erholung der
amerikanischen Wirtschaft zurückzuführen? Es gab eine
13-malige Zinssenkung auf 1 Prozentpunkt, massive
Steuerentlastungen und Ausgabenausweitungen, was zu
dem höchsten Defizit in den USA seit Jahren geführt
hat. Dies erinnert an die Situation von 1992/93. Damals
hat das Staatsdefizit in den USA 5,9 Prozent betragen.
Wenn man auch nur eine annähernd erfolgreiche Politik
wie die USA machen will, dann muss man jetzt die
Steuern massiv senken, Herr Kollege Brüderle - ich erwarte, dass uns insbesondere Ihre Fraktion dabei unterstützt -, und zwar ohne komplette Gegenfinanzierung.
({11})
Frau Merkel, Sie haben einmal behauptet, dass die
Politik der Regierung nichts anderes bedeute, als Geld
von der linken Tasche in die rechte Tasche zu stecken.
Aber Ihre Empfehlung - auch Herr Merz hat das in seiner heutigen Rede vorgeschlagen -, das Vorziehen der
dritten Stufe der Steuerreform müsse beinahe komplett gegenfinanziert werden, bedeutet nichts anderes
und bringt nichts für die Konjunktur. Für ihre Erholung
müssen wir die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen!
({12})
Schauen Sie sich an, was die Institute, der Sachverständigenrat, die Europäische Kommission und der IWF
sagen! Verlauf und Stärke der wirtschaftlichen Erholung
in Deutschland werden davon beeinflusst, wie konsequent wir die Reformmaßnahmen umsetzen und insbesondere ob und, wenn ja, wie wir die dritte Stufe der
Steuerreform vorziehen. Darauf können wir jetzt nicht
verzichten. Das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform stärkt sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite. Herr Kollege Merz, lesen Sie einmal nach, was
das ZEW gesagt hat. Es sagt voraus - Sie verweisen
doch immer gerne auf die Unternehmen -: Die dritte
Stufe der Steuerreform reduziert die Steuerbelastung der
Unternehmen bei der Beschäftigung von hoch qualifizierten Arbeitskräften um 5 Prozent der durchschnittlichen Steuer- und Abgabenbelastungen und verbessert
selbstverständlich die Standortbedingungen der Unternehmen in Deutschland. Das ist jetzt erforderlich: Wir
müssen das Vertrauen stabilisieren.
({13})
Herr Kollege Merz, Sie waren ja so freundlich, auf einige Dinge hinzuweisen, die ich in letzter Zeit getan
habe. Ich möchte darauf eingehen, um das einmal im Zusammenhang darzustellen. Wir haben eine Vielzahl von
Strukturreformen auf den Weg gebracht. Dazu gehören
selbstverständlich die Steuerreform sowie die grundlegenden Reformen betreffend die Krankenversicherung
und die Rentenversicherung, die Sie nur teilweise - zu
mehr konnten Sie sich nicht durchringen - unterstützen.
Wir haben Arbeitsmarktreformen auf den Weg gebracht, Stichwort: Leih- und Zeitarbeit. Herr Kollege
Merz, wollen Sie die Auseinandersetzung zwischen
DGB und christlichen Gewerkschaften ernsthaft zum
Knackpunkt der Diskussion über Leih- und Zeitarbeit in
Deutschland machen? Was Sie da betreiben, ist doch
lachhaft.
({14})
Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit den Vertretern
der Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland zu unterhalten. Sie werden Ihnen etwas anderes sagen als das, was
Sie hören wollen. Man hat sich in diesen Unternehmen
auf die rechtliche Situation, die wir geschaffen haben,
längst eingestellt. Lassen Sie uns über die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten reden und nicht über den
Kleinkram, den Sie erwähnt haben! Über 200 000 Arbeitslose haben in diesem Jahr den Weg in die Selbstständigkeit riskiert, indem sie eine Ich-AG gegründet
oder das Brückengeld in Anspruch genommen haben. In
Sonntagsreden sind Sie allesamt für diesen Weg.
({15})
- Herr Hinsken, Sie wollen ausschließlich für das Handwerk tätig sein. Das verstehe ich. Ich werde Ihnen dazu
gleich noch etwas sagen.
Wer den unternehmerischen Geist in Deutschland
wirklich fördern will, der muss dankbar sein, dass es
Menschen gibt, die den Mut haben, sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig zu machen.
({16})
Herr Kollege Hinsken, ich werde über die Reform des
Handwerkrechts gleich noch reden.
Wir haben der Schwäche des Kreditmarkts entgegengewirkt, indem wir die Gründung der KfW-Mittelstandsbank auf den Weg gebracht haben. Außerdem haben wir
einiges getan, um den Bürokratieabbau voranzubringen. Herr Kollege Kuhn, ich bin für jeden geeigneten
konkreten Vorschlag zum weiteren Bürokratieabbau
- nicht für pauschale Reden; die kenne ich zur Genüge dankbar. Wir sitzen an der Reform der Arbeitsstättenverordnung und wir haben die Verpflichtungen der Unternehmen zur Erstellung von Statistiken verringert. Die
bürokratischen Regelungen im Bereich der Ausbildung
haben wir schon vereinfacht. Ich erinnere auch an das,
was wir beim Kleinunternehmerförderungsgesetz getan
haben.
Wir haben die Weiterentwicklung der Netze Telekommunikation, Strom und Gas teilweise auf den Weg gebracht. Diese Veränderungen sind voll im Gang. Wir haben neue Strukturen der Energiewirtschaft entwickelt.
Wir werden diesen Prozess fortsetzen.
Herr Kollege Merz, ich habe Sie extra ins Wirtschaftsministerium eingeladen. Ich habe gedacht, Sie
hätten dort ein bisschen gelernt. Heute haben Sie alles
ignoriert, was Sie von mir dort erfahren haben.
({17})
Verbuchen Sie das unter „Arroganz“; das ist in Ordnung.
Vollziehen Sie einmal sämtliche dringend notwendigen Reformen in Deutschland, die wir zuwege gebracht
haben, nach! Wenn Sie das tun, dann können Sie nicht
bestreiten, dass wir das, was notwendig ist, um die
Wachstumsdynamik in Deutschland zu stärken und die
Beschäftigungsintensität zu erhöhen, ein Stück weit
vorangebracht haben.
Ich habe nie verkündet, dass es irgendwelche Patentrezepte gibt, um den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen. Sie werden mich nicht los. Sie müssen sich darauf
verlassen, dass ich den Prozess der Arbeitsmarktreform
mit aller Energie fortsetzen werde.
({18})
Ich will die Diskussionen, die im Vermittlungsausschuss und in den einschlägigen Arbeitsgruppen geführt
werden, hier nicht aufgreifen. Sie haben auf all das verwiesen, was Sie tun wollen, um die Bundesanstalt für
Arbeit von bestimmten Aufgaben zu entlasten und um
den Kommunen diese Aufgaben - sie wollen diese Aufgaben, zum Beispiel die Verantwortung für alle Langzeitarbeitslosen, gar nicht haben, weil sie zu deren Bewältigung gar nicht in der Lage sind - zu übertragen.
Das, was Sie vorhaben, finde ich nicht besonders hilfreich. Ich hoffe noch, dass wir in diesem Bereich zu Ergebnissen kommen können.
Bei dieser Gelegenheit sage ich eines ganz deutlich:
Die Kritik, die es an der Bundesanstalt für Arbeit
gibt - ({19})
- Herr Kauder, an der Entstehung und an der Entwicklung der Bundesanstalt für Arbeit waren die CDU, die
CSU, die FDP und die SPD maßgeblich beteiligt. Für die
Arbeitsweise dieser gigantischen Bürokratie tragen in
erster Linie nicht diejenigen die Verantwortung, die dort
tätig sind, sondern der Gesetzgeber und diejenigen, die
politisch verantwortlich sind.
({20})
Ich empfehle, diese etwas oberflächliche und selbstgefällige Kritik zurückzunehmen.
({21})
Um es hier und heute klar zu sagen: Das gilt auch für
den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit. Das, was
man in dieser gewaltigen Einrichtung - es handelt sich
um eine Bürokratie, die sich über Jahrzehnte entwickelt
hat - nach wenigen Monaten zuwege gebracht hat, um
die Arbeitsweise und die Arbeitsmethodik des Hauses
umzustellen - man hat versucht, von Administration und
von der Finanzierung von Arbeitslosigkeit wegzukommen und die Vermittlung in Arbeit zu verbessern -, finde
ich gut. Dieser Weg wird fortgesetzt.
Ich werde mich demjenigen mit aller Kraft entgegenstellen, der glaubt, die Arbeit dieser Einrichtung aufgrund möglicherweise begangener einzelner Fehler insgesamt diskreditieren zu können.
({22})
Diejenigen, die den Job übernommen haben, diese Einrichtung zu reformieren, haben eine verdammt schwere
Aufgabe. Der Kanzler hat völlig Recht: Das ist die härteste Baustelle, die es in Deutschland zurzeit gibt. Ich
bin denjenigen, die diesen Job machen, dankbar. Ich
empfehle uns im Interesse des großen Ganzen, das, was
in der Bundesanstalt für Arbeit geschieht, um ihre etwa
100 000 Beschäftigten auf das neue Ziel - Arbeitslose in
Arbeit zu vermitteln - hin auszurichten, nicht zu zerreden. Das gelingt sehr viel besser, als es in manchen Diskussionsbeiträgen und übrigens auch in manchen öffentlichen Bewertungen zu hören ist.
Wir müssen doch sehen, was in der Kommunikation
alles notwendig ist. Wir alle feiern die Unternehmen, die
mit Marketingmaßnahmen im Markt Erfolg haben,
aber wenn eine solche Bundesanstalt endlich das Image,
den Makel von ein paar Jahrzehnten abschütteln soll und
ein neues Bild entwickeln muss,
({23})
Vermittlungsarbeit leisten muss und dafür Geld einsetzt,
dann wird das in Bausch und Bogen verurteilt. Das ist
doch lachhaft. Was dort stattfindet, hat mit sachlicher
Kritik nichts mehr zu tun.
({24})
Wir werden noch weiter über das zu diskutieren haben, was im Bereich des Arbeitsrechts und des Tarifvertragsrechts geschehen soll. Das gehört mit in das Vermittlungsverfahren.
({25})
Wir werden das noch im Einzelnen erörtern. Wir werden
uns dabei, so hoffe ich, auch bewegen.
Der Wissenschaftliche Beirat meines Ministeriums
wird sich heute in seiner eigenen Zuständigkeit für Öffnungsklauseln in Tarifverträgen aussprechen. In der Veröffentlichung wird es heißen: in unbedingter Form und
von Gesetzes wegen. Ich will gleich sagen, dass ich mir
das nicht zu Eigen mache. Ich fürchte nämlich, dass dies
das Ende von Flächentarifverträgen und auf längere
Sicht auch das Ende der Tarifautonomie wäre. Solche
Ansätze kann man entwickeln, aber man muss sie zu
dem in Beziehung setzen, was in unserer Volkswirtschaft
bisher geschehen ist, und das war, wenn ich das Ganze
nehme, außerordentlich erfolgreich.
Unbestritten ist, dass das System der Tarifautonomie
unter hohem Anpassungsdruck steht, ökonomisch, aber
auch im Hinblick auf die Sicherung der Akzeptanz der
Unternehmen und Arbeitnehmer. Unbestritten ist auch,
dass sich die Tarifautonomie weiterentwickeln muss,
dass wir Raum für Flexibilität und Differenzierung brauchen und dass sich die Verbände auf beiden Seiten stärker zu Serviceeinrichtungen entwickeln müssen.
Ich setze aber darauf - da bin ich offensichtlich anderer Meinung als manche, nicht alle, von Ihnen -, dass die
Tarifparteien die Zeichen der Zeit erkennen und selbst
einer vernünftigen Weiterentwicklung der Tarifautonomie den Weg bahnen werden. Ich möchte gern, dass wir
diesem Weg den Vorzug geben. Hier sind die Verbände
auf beiden Seiten gefordert, sich zu bewegen.
Herr Kollege Merz, Sie haben dieses Beispiel eines
einzelnen Unternehmens aus Baden-Württemberg genannt. Ich kann Ihnen Hunderte von Unternehmen nennen,
({26})
übrigens auch im Bereich der Metallindustrie, in denen
solche betrieblichen Vereinbarungen zum Wohl der
Unternehmen zustande gekommen sind. Im Tarifbereich
gibt es - wie Sie wissen - auf beiden Seiten Bewegung,
die sehr viel weiter geht, als man gemeinhin annimmt.
Sie wissen auch, dass es auf beiden Seiten sehr vernünftige Persönlichkeiten gibt, die den Flächentarifvertrag
außerordentlich hoch achten und wenig von gesetzlichen
Eingriffen halten, solche Eingriffe allenfalls als die allerletzte Möglichkeit betrachten.
Der Vorschlag, der vonseiten der CDU/CSU und der
FDP eingebracht worden ist, ist aus meiner Sicht - das
habe ich schon mehrfach gesagt - verfassungsrechtlich
nicht haltbar. Er ist aus meiner Sicht verfassungswidrig.
({27})
Deshalb glaube ich nicht, dass Sie damit Erfolg haben
können. Herr Kollege Merz, wenn ich das richtig verfolgt
habe, haben Sie selbst schon Kritik aufgenommen, beispielsweise die, die vom früheren Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts geäußert worden ist. Ich empfehle,
dass wir von den Schlagworten wegkommen, uns der Realität zuwenden und vor allem den Verbänden, den Tarifparteien den Vortritt lassen, wenn es um eine Lösung für
die notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt geht.
Es geht natürlich auch um harte Einschnitte in traditionelle Besitzstände. Das gilt nicht zuletzt für mein Ministerium. Das gilt übrigens auch - das will ich an dieser
Stelle sehr deutlich sagen - bei der Steinkohle.
({28})
Ich will dazu ein paar Bemerkungen machen, auch an
Ihre Adresse, Herr Kollege Kuhn.
Wir führen die Subventionen selbstverständlich weiter zurück. Wir tun das allerdings nicht mit der Brechstange, sondern in sozialverträglichen Schritten. Um es
klar zu sagen: Was vorgelegt worden ist und was Gegenstand der Haushaltsberatungen ist, ist ein sehr überlegter
Weg zum Rückbau der Steinkohleförderung - in einer
noch so eben sozialverträglichen Form; wir bewegen uns
hart am Rande betriebsbedingter Kündigungen -, der es
gleichzeitig erlaubt, sämtliche erforderlichen ökologischen Rücksichten zu nehmen. Ich sage das sehr bewusst
vor dem Hintergrund von Diskussionen über einzelne
Schachtanlagen, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen,
und die ökologischen Fragestellungen, die damit verbunden sind. Mit dem Weg, den wir vorgeschlagen haben
und im Haushalt vorsehen, schaffen wir meines Erachtens die Voraussetzungen, um sowohl die sozialen Aspekte als auch die ökologischen Aspekte als auch die
energiepolitischen Zielsetzungen, das heißt die Fragen
der Energieversorgungssicherheit und der Technologieführerschaft im Bergbau und bei der Kohlenutzung, berücksichtigen zu können.
Ich wünschte mir manchmal, dass bei manchen Diskussionen über neue Kraftwerke oder die Entwicklung
von Kraftwerkparks - wir werden ja ein Drittel der
Kraftwerkskapazität innerhalb der nächsten gut 15 Jahre
ersetzen müssen - all diejenigen, die sich über die Kohle
auslassen, dabei wären und hören könnten, was es bedeutet, wenn wir heimische Kohle ersetzten. Ich werde
Sie, Herr Kollege Brüderle, nicht davon abbringen, immer wieder etwas über die Kohle zu sagen. Selbst wenn
Sie regierten und den Beschluss fassten, alle Schachtanlagen stillzulegen, wäre es aber illusorisch zu glauben,
Sie könnten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die
öffentlichen Subventionen streichen. Insofern erwecken
Sie ununterbrochen einen falschen Eindruck. Auch
durch Stilllegungen werden massive Kosten erzeugt.
Weit über das Jahr 2012 hinaus werden wir noch auf
Jahrzehnte 0,5 Milliarden investieren müssen, um die
geologischen Folgen des Bergbaus und auch die sozialen
Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Dazu haben wir
uns ja rechtlich verpflichtet.
({29})
- Es tut mir Leid, Herr Kollege, ich weiß, dass dieser
Gesichtspunkt in Bayern nur schwer vermittelbar ist. Ich
bitte Sie aber dabei um Hilfe, dass endlich deutlich wird,
dass wir im Saarland und in Nordrhein-Westfalen mit
der Steinkohle nicht nur einiges für den Aufbau
Deutschlands getan haben, sondern dort auch Technologien entwickelt haben und bis auf den heutigen Tag
entwickeln, die auf dem Weltmarkt eine sehr viel größere Rolle spielen werden, als es manchem von uns bewusst ist. Das sage ich auch an die Adresse der Grünen,
Herr Kollege Kuhn.
({30})
Was wir an Kraftwerkskompetenz bis hin zum CO2freien Kraftwerk entwickeln, kann übrigens, wenn das
vernünftig eingesetzt wird, dazu beitragen, dass wir kostengünstiger mehr für den Umwelt- und Klimaschutz
leisten als mit manchen Investitionen in erneuerbare
Energien. Ich will das keineswegs gegeneinander ausspielen, aber das muss klar gesehen werden: Wir müssen
alle Möglichkeiten im Prozess der energiewirtschaftlichen und -politischen Steuerung einsetzen. Daran arbeiten wir; vonseiten der Opposition hören wir dazu allerdings, wie ich finde, erstaunlich wenig. Dieses Thema
scheinen Sie offensichtlich zurzeit ausgeblendet zu haben.
Ich kann und will jetzt nicht zu den Einzelmaßnahmen und den einzelnen Bereichen, in denen das Wirtschaftsministerium tätig ist und die sich alle im Haushalt
widerspiegeln, etwas sagen, also zur Energieforschung,
zu Forschung und Entwicklung, zu Innovationen im Mittelstand, zur Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen, zur
Luftfahrtforschung, zur Außenwirtschaftsförderung und
zu Ähnlichem.
Lassen Sie mich nur anmerken - ich habe das schon
gesagt, Herr Kollege Kuhn -: Die KfW-Mittelstandsbank, die wir aufgebaut haben, hat schon all das vorbereitet und teilweise auf den Weg gebracht, was aus meiner Sicht geschehen muss, um vor allen Dingen die
kleinen und mittleren Unternehmen sowohl auf dem
Kreditmarkt wie bei der Eigenkapitalbildung als auch
bei der Akquirierung von Beteiligungskapital zu unterstützen. Es gibt Pakete, die teilweise am 1. Januar in
Kraft treten werden. Ich nenne die Unternehmerkredite,
die so kostengünstig wie möglich angeboten werden, die
Eigenkapitalstärkung durch Nachrangdarlehen, also die
Förderung durch mezzanine Mittel, und das Paket für
Beteiligungskapital in Höhe von 500 Millionen Euro,
das wir gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank und unserem ERP-Fonds auf den Markt bringen,
um nicht nur technologieorientierte, sondern mittelständische Unternehmen insgesamt in ihren Bemühungen zu
unterstützen, auf dem Markt Kapital zu akquirieren. Hier
muss die Situation in Deutschland deutlich verbessert
werden. Ich gebe Ihnen Recht: Die Hausbanken müssen
ihrer Aufgabe, den Mittelstand ausreichend mit Krediten
auszustatten, gerecht werden und sich, wenn erforderlich
und möglich, stärker engagieren.
({31})
Lassen Sie mich weiter über Bürokratieabbau reden:
Hierzu gehört das, was sich auch die Europäische Kommission vorgenommen hat, nämlich eine Novellierung
des Handwerksrechts und des Rechts der Berufsstände
sowie der Honorarordnungen. Sie wissen doch, dass das
vonseiten der Europäischen Kommission ohnehin eingefordert werden wird und wir gezwungen werden, das zu
tun. Wir sind bereit - das haben wir ja im Rahmen des
Vermittlungsverfahrens deutlich gemacht -, sowohl über
Neuregelungen für einfache handwerkliche Tätigkeiten
als auch über eine große Handwerksreform miteinander
zu sprechen.
Machen Sie sich aber nichts vor, meine Damen und
Herren: Seit Mitte der 90er-Jahre befindet sich das
Handwerk in einer Krise, die sehr viel tief greifender ist
als die wirtschaftliche Schwächephase, die wir gegenwärtig durchlaufen. Die Umsätze, die Zahl der Meisterprüfungen - ohne dass hier schon durch eine gesetzliche
Regelung eingegriffen wurde -, die Beschäftigung und
die Ausbildungsleistungen gehen spürbar zurück, und
zwar deutlich über das Maß der allgemeinen wirtschaftlichen Schwächephase hinaus. Ich bin überzeugt, dass
unsere Novellen einen Impuls für Neugründungen, für
mehr Wettbewerb und für mehr Innovationsfähigkeit des
Handwerks geben und es auf diese Weise gelingt, das
Handwerk zu stärken, damit die Zahl der Beschäftigten
und der Auszubildenden wieder steigt.
Wir müssen das Handwerk europafest machen: Wir
müssen das Handwerk vor Inländerdiskriminierung
schützen. Ich sage Ihnen das freimütig, Herr Kollege
Hinsken, Ihnen allen, auch Ihnen, Herr Kollege
Brüderle, der Sie das Handwerk so tapfer zu verteidigen
meinen: Sie machen einen Fehler dabei.
({32})
Die so genannten einfachen handwerklichen Tätigkeiten
sind inzwischen schon höchstrichterlich definiert als Tätigkeiten, die man binnen eines Vierteljahres lernen
kann.
Wenn Sie verfolgen, wie der Streit und die Diskussion
zwischen dem ZDH, dem Zentralverband des Deutschen
Handwerks, und dem DIHK, dem Deutschen Industrieund Handelskammertag, verlaufen, dann sehen Sie, woran wir leiden: Wir haben dort eine Menge an Bürokratie, die kaum zu überwinden ist, Verkrustungen und
mangelnde Beweglichkeit.
({33})
Sie werden nicht im Ernst annehmen, dass wir uns damit
abfinden. Wir werden dort zu Bewegung kommen müssen. Sie kritisieren ja meine „mangelnde Durchsetzungsfähigkeit“ - das mag ja sein -, aber unterschätzen Sie
nicht meine Zähigkeit. Ich werde an diesem Thema dranbleiben wie an allen anderen, etwa an der Ausbildung.
Herr Merz, der Kollege Kuhn hat doch Recht: Ihre
Charakterisierung der jungen Leute ist doch absurd.
({34})
Dass es im Bildungsbereich Schwächen gibt, darauf hat
Herr Kuhn zu Recht hingewiesen; diese Diskussion ist
eigentlich wichtiger als die, die wir im wirtschaftspolitischen Bereich an manchen Stellen führen.
Aber ich würde Ihnen sehr gerne einmal von den guten Erfahrungen berichten, die ich mache, wenn ich UnBundesminister Wolfgang Clement
ternehmen besuche: Ich stelle fest, dass es hervorragende junge Leute in Deutschland gibt, hervorragend
qualifizierte Leute,
({35})
die an ihrer Karriere, ihrer beruflichen Entwicklung interessiert sind. Das trifft immer noch auf die große Mehrheit der jungen Leute zu. Ich würde sie gerne darin unterstützen und mit Ihnen und vielen anderen dafür
sorgen, dass sie eine vernünftige berufliche Ausbildung
bekommen.
({36})
Herr Schleyer - das ist der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, wie Sie wissen - hat sich kürzlich über unsere Reformfähigkeit in
Deutschland wie folgt geäußert: In der Reformwerkstatt
darf nicht nur an Detaillösungen gewerkelt werden. Wir
brauchen dringend einen Befreiungsschlag! Ärmel hochkrempeln - so lösen wir im Handwerk Probleme. So
funktioniert es auch in der Politik!
({37})
Ich lasse einmal dahingestellt, ob die Diskussion im
Handwerk diesem eigenen Anspruch gerecht wird,
({38})
aber Recht in der Sache hat er.
Meine Damen und Herren, wir sind gehalten, diesen
Befreiungsschlag zu machen, indem wir über die Reformenvorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen - zu denen es von Ihnen teilweise Gegenentwürfe gibt -, zu gemeinsamen Lösungen kommen. Ich gehöre immer noch
zu denen, die der Meinung sind: Wir können das schaffen. Meine Zuversicht ist allerdings in den letzten Tagen
nicht gewachsen, um das sehr deutlich zu sagen. Ich
setze darauf, dass sich das in den nächsten Tagen und
erst recht nach dem CDU-Parteitag verändern wird. Wir
stehen nämlich unter massivstem Zeitdruck. Ich werde
anschließend aber auch nicht anstehen, ebenso deutlich
zu sagen, woran es liegt, wenn wir scheitern sollten. Ich
tue alles, um einen Erfolg möglich zu machen.
Ich danke Ihnen.
({39})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Friedrich Merz.
Herr Clement, ich will zunächst einmal wiederholen,
({0})
was ich in meiner Rede gesagt habe - das geht auch an
Ihre Adresse -: Es fällt auf Sie selbst zurück, wie Sie
sich verhalten.
({1})
Ich sage das auch an die Adresse des Kollegen Kuhn: Ich
habe aus einem Leserbrief zitiert und ausdrücklich gesagt, dass ich dies so nicht verallgemeinere, dass es aber
ein Schlaglicht wirft auf die häufig anzutreffende mangelnde Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber
um Ausbildungsplätze. Ich bleibe dabei, dass dies ein
Problem ist, ein größeres Problem als in anderen Bereichen. Das Problem mit der Ausbildungsplatzabgabe sehen offensichtlich wir beide, Herr Clement, gleichermaßen.
Zweitens zur Person des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit: Ich habe sehr wohl registriert, dass Sie
hier zunehmend dünnhäutig reagieren, wenn dieses
Thema angesprochen wird; das kann ich sehr gut verstehen. Herr Clement, wir kritisieren nicht, dass die Bundesanstalt für Arbeit PR-Kampagnen macht - das ist sicherlich auch notwendig für diese Institution. Aber wir
kritisieren die Art und Weise, wie dies gemacht worden
ist; wir stellen die Frage, ob eine Ausschreibung stattgefunden hat. Die Tatsache, dass der Beratervertrag jetzt
aufgelöst wird, zeigt doch, dass unsere Kritik - jedenfalls in Teilen - berechtigt gewesen ist.
({2})
Beklagen Sie als Dienstherr dieser Institution sich im
Übrigen nicht, dass Sie hier zur Rechenschaft gezogen
werden. Einerseits erklärt der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit öffentlich, dass er dem Deutschen Bundestag gegenüber keine Rechenschaft abzulegen habe.
Andererseits befremdet es doch sehr, wenn derselbe Herr
dann am Ende des Jahres 5 bis 10 Milliarden Euro Zuschuss für diese Bundesanstalt für Arbeit haben will,
weil er mit dem Geld nicht auskommt. Wir können ihn
nicht zwingen, hier anzutreten, aber wir können Sie,
Herr Clement, um Rede und Antwort bitten. Deshalb
bitte ich doch herzlich darum, dass Sie dann nicht so reagieren, wie Sie das gerade hier am Rednerpult getan haben. Sie jedenfalls sind dem Deutschen Bundestag Rechenschaft schuldig.
Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht so schnell loswerden, dann beschwert mich das bei Ihnen weniger als bei
anderen, die dort auf der Regierungsbank sitzen. Aber
umgekehrt werden auch Sie uns nicht los in unserer parlamentarischen Verpflichtung, nachzufragen, was da eigentlich stattgefunden hat.
({3})
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Merz,
zunächst zur Ausbildung. Herr Kollege Kuhn hat die
Sorge geäußert, die ich auch habe, dass Sie, wenn Sie einen solchen Brief verlesen, damit einen Eindruck über
die Auszubildenden und die Situation am Ausbildungsmarkt erwecken, der unrichtig ist.
({0})
Deshalb habe ich Ihnen so widersprochen und ich tue
das mit einer gewissen Leidenschaft, die Sie mit Dünnhäutigkeit verwechseln. Dann kann ich viel schlimmer
werden; das sollten Sie nicht falsch einschätzen.
({1})
Ich engagiere mich bei diesem Thema seit vielen Jahren. Andere tun das auch; ich reklamiere da keineswegs
einen Exklusivanspruch für mich. Ich sage Ihnen aber:
Die Lage der Ausbildung ist sehr differenziert zu sehen
und sie verlangt sehr differenzierte Antworten. Es reicht
nicht, einen solchen Brief vorzulesen, der einen falschen
Eindruck erweckt. Darum geht es.
Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es das
Problem, dass 10 000 junge Leute, die schon einen Ausbildungsplatz hatten, inzwischen die Ausbildung schon
wieder abgebrochen oder teilweise den Ausbildungsplatz gar nicht angetreten haben. Es gibt gravierende familiäre, familienpolitische und gesellschaftliche Probleme.
({2})
Deshalb nutze ich von hier aus die Möglichkeit, wie
ich das ständig tue, nicht wie Sie „Hört! Hört!“ zu rufen,
sondern an diejenigen zu appellieren, die ausbilden können und ausbilden wollen - auch an die Initiativen, von
denen es Hunderte oder Tausende gibt -, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen, damit wir in diesem Jahr die
notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen zusammenbekommen.
({3})
Es wäre sehr gut, wenn das gelänge. Das würde viele andere Probleme lösen und viele Fragen beantworten.
Zu Herrn Gerster. Auch da reagiere ich nicht dünnhäutig, um das klar zu sagen.
({4})
- Ich will Ihnen jetzt ja keine Charakteristik von mir geben, wie ich wann reagiere. Ich will Ihnen nur sagen:
Erstens. Ich verteidige es und ich stehe dafür ein.
Wenn Sie wollen, dass ich dazu Rede und Antwort stehe,
stehe ich selbstverständlich jederzeit Rede und Antwort.
Herr Gerster wird aber morgen im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Rede und Antwort stehen. Wenn Sie
wollen, dass ich irgendwo zu den Vorgängen Stellung
nehme: sehr gern.
Zweitens. Dieser Vorstand hat eine gewaltige Aufgabe. Das wissen auch Sie. Dieser Vorstand ist erst sehr
kurze Zeit im Amt. Es ist sehr schwer, eine solche Veränderung, die dort durchzuführen ist, hinzubekommen.
Aus meiner Sicht leistet dieser Vorstand gute Arbeit.
Das ändert nichts daran, dass in einem solchen Unternehmen - wir wollen, dass es wirklich ein Unternehmen
wird - auch Fehler begangen werden. Es gibt kein unternehmerisches Handeln, ohne Fehler. Fehler begeht man
nur dann nicht, wenn man alles hundertprozentig absichert. Das kostet Zeit und Dynamik und ist eines der
Probleme unserer Bürokratie.
Es kann sein, dass bei dem Ausschreibungsverfahren
ein Fehler begangen worden ist. Das werden wir feststellen und klären und dann ist dazu Stellung zu nehmen.
Aber wenn versucht werden sollte - von wem auch immer, von innen aus der Anstalt heraus oder von außen -,
damit die Reformarbeit, die dort geleistet wird und die
zwingend notwendig ist, zu stoppen oder aufzuhalten
oder zu diskreditieren, dann stehe ich dem entgegen.
Deshalb habe ich überall deutlich zu machen versucht, auch bei den gegenwärtigen Veröffentlichungen,
dass Herr Gerster und seine Vorstandskollegen mein
Vertrauen haben und dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesanstalt meine Unterstützung haben.
Es ist für sie nicht einfach, sich umzustellen. Dort müssen und werden wirklich ein neues Denken und eine andere Vermittlungskultur Platz greifen. Das ist meine
Antwort an Sie.
Um es noch etwas konkreter zu sagen: Soweit ich zurzeit informiert bin, hat Herr Gerster seinen Vorstand und
den Verwaltungsrat und auch mich Anfang des Jahres
darüber informiert, dass er beabsichtigt, die Agentur zu
beauftragen. Das war ein Satz, mit dem ich informiert
worden bin. Herr Gerster hat durch seine Justizabteilung
bescheinigt bekommen, dass er den Auftrag freihändig
vergeben könne. Das ist mein Informationsstand. Das ist
das eine, was man sehen muss.
Das andere ist dies: Dass jetzt die beiden Seiten sagen, man sollte vielleicht diesen Vertrag aufheben, hat
natürlich damit zu tun, dass man sich der gegenwärtigen
Kampagne stellen muss und dass man, wenn man Kommunikationsarbeit leisten will, natürlich darauf angewiesen ist, dass man nicht gegen eine öffentliche Wand
läuft, sondern dass man, wenn irgend möglich, Zustimmung findet. Das würde jedes Unternehmen tun. Auch
diese PR-Agentur wird das tun.
Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht loswerden, dann
muss ich sagen, dass ich das befürchtet habe. Es wäre
mir am liebsten, wenn wir alle die gegenwärtigen Rollen
beibehalten würden.
({5})
Was das Loswerden ansonsten angeht, muss ich sagen: Sie werden uns natürlich auch nicht los, was unsere
Erwartung angeht, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Dazu müssen Sie sich bewegen und dürfen nicht
ständig neue Bedingungen stellen, nach dem Motto:
Wenn dieses nicht passiert, dann findet jenes nicht statt. So wird man nicht zu Ergebnissen kommen.
({6})
Meine dringende Bitte ist deshalb, dass sich beide
Seiten bewegen.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Clement, ich habe zwar nicht von
Anfang an mitgezählt, aber ich meine, Sie hätten in Ihrer
Rede den Kollegen Kuhn von den Grünen mindestens
siebenmal namentlich angesprochen, davon fünfmal in
werbender Form, dass er doch bitte Ihre Politik unterstützen möchte. Diese Redezeit hätten Sie sich sparen
können. Sie werden nachher bei der namentlichen Abstimmung über die Erweiterung der Steinkohlesubventionen um 16 Milliarden Euro feststellen, dass die Grünen
sowieso zustimmen werden, weil sie keinerlei eigene
Überzeugungen in diesen Politikfeldern haben.
({0})
Wir diskutieren in dieser Woche einen von Ihnen vorgelegten Haushalt, der dem Deutschen Bundestag von
Anfang an vorsätzlich in verfassungswidriger Form zugeleitet worden ist. Auch der Haushalt Ihres Ressorts
weist einige Gefahrenpotenziale auf. Ich möchte nur in
Erinnerung rufen, dass Sie auch in diesem Haushaltsjahr
sukzessive die Erwartungen bezüglich des Wirtschaftswachstums nach unten bis zu einer rot-grünen Null korrigieren mussten und dass die Zahlen der Arbeitslosen
doch höher waren, als Sie sie eingeschätzt haben. Auch
Ihre Prognose für das nächste Jahr leistet nur das, was
man von einer Prognose erwarten kann, und hängt zudem unmittelbar von den politischen Rahmenbedingungen ab, die wir in diesem Hause beschließen.
Darüber hinaus haben Sie in Ihrem Haushalt immer
noch vorgesehen, die neue Leistung Arbeitslosengeld II
in der dem Vermittlungsausschuss zugeleiteten Fassung,
also mit allen haushälterischen Risiken, die das mit sich
bringt, einzuführen. Dabei wissen Sie erstens gar nicht,
ob es das Gesetz überhaupt geben wird. Bei allem konstruktiven Verhalten der Opposition hängt es auch sehr
von Ihrer Bewegungsfähigkeit ab. Zweitens wissen Sie
nicht, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz in
Kraft tritt. Denn die Diskussion der letzten Tage zeigt
ganz deutlich: Die Bundesanstalt für Arbeit ist wahrscheinlich die ungeeignetste Institution, um diese neue
Leistung zu administrieren.
({1})
Wir diskutieren hier heute also über nicht mehr und
nicht weniger als über einen Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubventionen. Das bringt mich zu
dem, was Sie vorhin angesprochen haben. In der letzten
Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit hat
Herr Gerster mit dem Argument, er sei dem Parlament
nicht rechenschaftspflichtig, weil diese Zahlungen nicht
aus Steuer-, sondern aus Beitragsmitteln erfolgt seien,
die Aussage verweigert. Das unterstützt meine Forderung, dass wir dringend eine Redemokratisierung der
Arbeitsmarktpolitik brauchen.
({2})
Wir diskutieren Ihren Haushalt für Arbeitslosenhilfe
und Steinkohlesubventionen. Aber der Bereich, in dem
wirklich die Musik spielt - das ist der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit mit einem Volumen von
53 Milliarden Euro -, ist dem Zugriff des Parlaments
gänzlich entzogen.
({3})
Dieser Haushalt wird nämlich vom Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit aufgestellt. Er wird festgestellt von den
Selbstverwaltungsgremien, unter anderem von Frau
Engelen-Kefer, und genehmigt von der Bundesregierung.
({4})
Das Parlament hat also keinen Einfluss. Wir sind tatsächlich außen vor. Aber angesichts der hohen Summen
und der Art und Weise, wie mit diesen Geldern umgegangen wird, ist es skandalös und politisch in höchstem
Maße instinktlos, wenn man hier nicht endlich zu einer
Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik kommt.
({5})
Ich kritisiere die Auftragsvergabe, weil ich sie politisch für instinktlos halte und den Menschen angesichts
der notwendigen Sozialreformen nicht vermittelbar ist,
was da passiert ist. Aber weil das Leben manchmal vielschichtiger ist, frage ich nach: Wem nützt es denn? Wenn Sie sagen, der Reformprozess dürfe weder von außen noch von innen angegriffen werden, dann wird diese
Frage noch viel berechtigter.
Der Bundeskanzler hat - wörtliches Zitat - seinen
„besten Mann“ auf seine „wichtigste Baustelle“ geschickt. Wenn ich aber sehe, dass er auf dieser Baustelle
gleich einzementiert worden ist zwischen dem Hauptpersonalrat, der kaum bereit ist, einer wirklichen Reform
zuzustimmen, der paritätischen Selbstverwaltung zu jeweils einem Drittel aus Gewerkschaftsfunktionären, Arbeitgeberfunktionären und denen, die, mit Frau EngelenKefer an der Spitze, ihre öffentlichen Hände meistens in
den Taschen der Bürger haben, sowie einer SPD-Bundestagsfraktion, die die Reformwilligkeit nun wirklich
nicht mit Löffeln gegessen hat, dann muss ich angesichts
eines Wustes von Gesetzen, Vorschriften und Verordnungen schon sagen, dass es für ihn sehr schwierig ist.
Die ersten kleinen Reformschritte haben dazu geführt,
dass die Gelder in der Weiterbildungsindustrie effizienter
eingesetzt werden. Von diesen Reformbemühungen wirklich schmerzhaft getroffen wurde die Arbeitslosenindustrie. Die Deutsche Angestellten-Akademie - sie gehört
dem grünen Gewerkschafter Bsirske von Verdi -, das
BFW des DGB - es gehört Frau Engelen-Kefer - und das
Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft sind die größten Bildungsträger in der Bundesrepublik Deutschland.
Es wundert mich daher nicht, dass es intern offenkundig
eine große Anzahl von Personen gibt, die Herrn Gerster
entweder loswerden oder zumindest so beschädigen wollen, dass er ihnen nicht weiter wehtut.
Aber der Bundeskanzler wird ihn gar nicht fallen lassen können. Denn wenn einer seinen „besten Mann“ fallen lässt, dann fällt dieser ihm gleich auf die Füße. Ich
bin sehr gespannt, wie es morgen weitergeht.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Niebel, nur keinen Neid, weil Sie in der Rede des Ministers nicht genannt worden sind!
Es ist nicht nur Usus, sondern äußerst vernünftig, dass
wir bei der Debatte des Einzelplans 09 einen Ausblick
auf das künftige Wirtschaftsgeschehen geben und eine
Bilanz des laufenden Wirtschaftsjahres ziehen.
Wir bewegen uns jetzt aus der Stagnation heraus.
Diese Wirtschaftsflaute war nicht nur ein deutsches Phänomen. Sie hatte den gesamten europäischen Raum erfasst. Ich erinnere an den Irakkrieg, an die SARS-Epidemie und an die Unsicherheiten der amerikanischen und
der japanischen Konjunktur, die den Attentismus der Investoren und die Zurückhaltung der Verbraucher verstärkt haben.
({0})
- In Deutschland besonders stark. Aber wir haben auch
seit 1990 besondere Bedingungen zu schultern.
({1})
Herr Austermann, Sie wissen das bestens. Sie plagen
sich damit im Haushaltsausschuss herum. Wir haben uns
darüber oft genug unterhalten.
Mittlerweile ist Deutschland wieder Exportweltmeister. Aber Ihnen, Herr Austermann, genügt das offenbar
nicht. Sie möchten auch Weltmeister im Lamentieren
werden. Dieses Nationaltheater der Selbstzerfleischung,
in dem man die Wirtschaftsbelebung klein- und den
Standort schlechtredet, bringt uns überhaupt nicht weiter, sondern macht uns zunehmend zu schaffen.
({2})
Sowohl die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute
als auch der Sachverständigenrat stellen einen deutlichen
Konjunkturaufschwung in Aussicht. Das hat nicht nur
damit zu tun, dass im nächsten Jahr länger gearbeitet
wird, weil Feiertage aufs Wochenende fallen, sondern
ausdrücklich auch mit der Reformpolitik der rot-grünen
Bundesregierung.
Sicher, keiner der vorgesehenen Schritte ist unumstritten. Der Sachverständigenrat weist auf den immanenten Widerspruch der vorgezogenen Steuerreform
hin, bei hoher Staatsverschuldung und defizitärer Haushaltslage die Steuern zu senken. Dennoch kommt er zu
dem Schluss, dass es vernünftig ist, diesen Schritt zu tun,
weil hier Erwartungen aufgebaut worden sind - übrigens
auch von der Opposition. Denn diese Position hatten Sie
genau bis zu dem Zeitpunkt, als die Regierung beschloss, die Steuerreform vorzuziehen.
({3})
Ein solcher Positionswechsel von Schwarz auf Weiß gelingt einem sonst nur, wenn man gegen sich selber
Schach spielt. Das tun Sie momentan im Vermittlungsausschuss.
Es ist offensichtlich wichtig, Zuversicht zu verbreiten.
Für viele ist entscheidend, dass sich überhaupt etwas bewegt. Sie merken, dass nichts mehr weitergeht, wenn alles so weiterläuft wie bisher. Es geht um den Rückgewinn von Vertrauen, Zuverlässigkeit der Politik und
sicherlich auch um Planungssicherheit, die in den letzten
Jahren infrage stand.
Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist zum siebten Mal in
Folge gestiegen. Auch das ist ein deutliches Zeichen,
dass dieses Vertrauen sich langsam wieder aufbaut. Sicher, diese Konjunktur bekommt ihren Treibstoff vor allem aus Übersee und wir hoffen, dass der Binnenmarkt
ebenfalls anspringt. Hier macht mir weniger der Stabilitätspakt als vielmehr das Leistungsbilanzdefizit der USA
Sorgen. Wir wissen genau, dass die Märkte es möglicherweise sehr schnell durch eine deutliche Abschwächung des Dollars korrigieren werden. Dann haben wir
beim Export ein Problem.
Die Aufregung um den europäischen Stabilitätspakt
ist eigentlich nicht zu verstehen, weil es sich international durchaus bewährt hat, in der Geld- und Finanzpolitik
antizyklisch zu handeln. Im Übrigen haben die Geldund Finanzmärkte sehr cool darauf reagiert. Der Euro ist
stabil geblieben. Im Stabilitätspakt sind im Übrigen auch
solche Möglichkeiten vorgesehen. Die Haltung von
Pedro Solbes, dem Währungskommissar, ist kaum nachvollziehbar, der ja, Herr Austermann, immer wieder darauf hinweist, dass wir infolge der deutschen Einheit
besondere Lasten zu tragen haben, die eine Ausnahmebehandlung rechtfertigen. Wenn wir diese aber in Anspruch nehmen, reagiert man plötzlich restriktiv. Das
passt irgendwie nicht zusammen.
Dennoch ist Vorsicht geboten, weil es doch sehr fragwürdig ist, ob allein ein wirtschaftlicher Aufschwung
alle Probleme lösen kann. Es gibt noch sehr viele, die
diesen Glauben an den Wirtschaftsaufschwung haben.
Ich empfehle Ihnen, sich im Jahresgutachten das Kapitel
zur Entwicklung des Produktionspotenzials anzuWerner Schulz ({4})
schauen. Wir haben seit etwa 15 Jahren einen Rückgang
des Potenzials - gemeint ist das Anlagenpotenzial, das
Humankapital sowie Forschung und Entwicklung - zu
verzeichnen. Diesen Trend werden wir nicht durch kurzfristige Konjunkturimpulse auffangen können. Diese
sehr interessante Analyse muss uns zu ganz anderen
Schlussfolgerungen führen, nämlich dazu, dass wir trotz
der relativ geringen durchschnittlichen Wachstumsraten,
die wir übrigens seit Jahrzehnten haben, eine hohe Beschäftigungsquote erreichen müssen. Das wird die große
Aufgabe sein.
({5})
Das ist ein Schwerpunkt, den wir auch auf der Agenda
wesentlich weiter nach vorn rücken müssen. Hier gibt es
enorme Potenziale. Ich denke vor allen Dingen an die Potenziale in der Material- und Energieökonomie. Es ist
relativ einfach, Leute zu entlassen, also die Kosten in den
Betrieben durch Personalabbau zu reduzieren. Ein Topmanager hat unlängst gesagt: Wer so etwas tut, lässt
Rückschlüsse auf das schlechte Management zu.
({6})
Die Wirtschaftsinstitute haben ausgerechnet, dass das
Potenzial, das in der Material- und Energieeffizienz
liegt, etwa 180 Milliarden Euro ausmacht. Diesem Kapitel werden wir uns nähern müssen.
Oder schauen wir uns die Lohnnebenkosten an. Ich
empfehle Ihnen, sich bei der Auseinandersetzung mit
Florian Gerster nicht nur mit den Punkten zu beschäftigen, für die ihm offenbar das Gespür fehlt, sondern auch
damit, wo er die wunden Punkte trifft. In der letzten
Sonntagsausgabe der „FAZ“ hat er zum Beispiel gesagt,
das Sozialbudget sei überproportional erhöht worden.
Eine Folge daraus sei der Weg in die Verschuldung, vor
allem aber hätten wir die Abgaben auf Arbeit drastisch
erhöht. Allein vier Prozentpunkte des Gesamtbeitrages
zur Sozialversicherung seien auf die systemwidrige Finanzierung der Folgen der deutschen Einheit zurückzuführen. Wenn wir über Patriotismus reden, sollten wir
uns diesen großen Brocken vornehmen.
Ich frage Sie: Wo ist eigentlich der Beitrag des nationalen Kapitals in unserem Land geblieben, dessen Pulver in den 90er-Jahren unter der Kohl-Regierung noch
durch hochrentierliche Staatsanleihen vergoldet worden
ist? Darüber sollten wir kritisch diskutieren.
({7})
- Nein, Sie haben uns riesige Probleme hinterlassen. Das
ist das Problem.
Ich möchte Sie vor allen Dingen davor warnen, den
Vermittlungsausschuss zu missbrauchen, die Tarifautonomie aufzubrechen, was Sie offensichtlich vorhaben.
Was ich von dem Kollegen Brüderle höre - Tarifkartell
kaputtmachen oder Einbruch in die Tarifautonomie -,
({8})
wird den sozialen Frieden in diesem Land kräftig schädigen. Die Bereitschaft zur Flexibilität bei den Gewerkschaften ist wesentlich höher, als durch die öffentliche
Stigmatisierung ständig unterstellt wird. Die Gewerkschaftsvertreter wissen auch, dass die Berechtigung der
Tarifverträge in der Flexibilität liegt. Es gibt diese betrieblichen Bündnisse für Arbeit. Die Frage ist nur, ob
sie von oben, von der Politik, verkündet werden oder ob
sie unten zustande kommen und damit Tragfähigkeit beweisen.
({9})
Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?`
Ja.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Schulz. - Sie haben
auf Versäumnisse in der Vergangenheit hingewiesen,
wobei Rot-Grün jetzt schon fünf Jahre an der Regierung
ist. Es geht nicht immer nur um die Bewältigung der
Vergangenheit, sondern auch um die Gestaltung der Zukunft.
({0})
Am Ende der Debatte werden wir über einen Änderungsantrag der FDP eine namentliche Abstimmung
durchführen. Im Haushaltsplan des Wirtschaftsministers
wurde in Bezug auf diesen Punkt in der Ziffer 5 der verbindlichen Erläuterungen festgehalten, dass für den
deutschen Steinkohlebergbau im Zeitraum 2006 bis
2012 bis zu 15 870 Millionen Euro, also fast 16 Milliarden Euro, zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Zukunftsprojekt.
({1})
Ich höre Stimmen aus den Reihen von Rot-Grün, dass
sie diese Regelung so nicht mittragen wollen. Ich frage
Sie: Wie stehen Sie zu dem Antrag der FDP? Die Ausrede des Kollegen Kuhn, dies sei gesperrt, ist nicht zutreffend.
({2})
Es steht im Haushaltsplan, dass die Verpflichtungsermächtigung gesperrt ist. Die Verpflichtungsermächtigung hat aber nichts damit zu tun; denn dies ist nach den
Verpflichtungsermächtigungen und nach der Sperre als
verbindliche Erläuterung des Haushaltstextes angegeben.
({3})
Ich möchte wissen, wie die Grünen zu dieser verbindlichen Erklärung stehen. Das wird auch die Öffentlichkeit interessieren. Sie machen es sich immer sehr einfach, wenn Sie sagen: Wir stimmen dem nicht zu, was
die SPD macht. - Wir zwingen Sie heute durch die Abstimmung über diesen Antrag, Farbe zu bekennen. Aber
vorher interessiert mich, mit welcher Begründung Sie
dem Antrag der FDP zustimmen werden. Denn anders
können Sie gar nicht vorgehen, wenn Sie 16 Milliarden
Euro von 2006 bis 2012 für die Steinkohle nicht bereitstellen wollen.
({4})
Herr Kollege Thiele, ich freue mich darüber, dass sich
nun auch die FDP ernsthaft vorgenommen hat, die Steinkohlesubventionen zurückzufahren. Das ist löblich.
({0})
Ihr Antrag ist aber ein Vorführantrag. Solche Vorführanträge kenne ich zur Genüge: Sie werden im Grunde genommen nur zu dem Zweck geschrieben, um die Partner
der Regierungskoalition in Verlegenheit zu bringen.
Das wird Ihnen bei uns nicht gelingen. Wir haben in
dieser Frage seit vielen Jahren einen festen Standpunkt
und kämpfen sehr energisch dafür, die Steinkohlesubventionen zu reduzieren. Das ist unglaublich schwierig.
Sie helfen uns nicht, indem Sie immer wieder das legendäre Beispiel bringen - Herr Brüderle hat das heute wieder genannt -, dass Joschka Fischer den Steinkohlekumpeln angeblich zur Hilfe geeilt sein soll.
({1})
Ich war glücklicherweise dabei, als die Kumpel in Bonn
demonstriert haben. Wir haben uns ihre Sorgen angehört,
weil sich das für Vertreter der Politik einfach gehört.
({2})
Ich hätte mir nur gewünscht - das ist die andere Seite
der Medaille, Kollege Brüderle -, dass Ihr Kollege
Rexrodt zu der Zeit, als er Wirtschaftsminister war, den
Kohlepfennig, der von den Verbrauchern bis dahin zur
Steinkohlesubvention aufgebracht werden musste, abgeschafft hätte, anstatt ihn für den Staatshaushalt zu nutzen. Sie haben die Steinkohlesubventionen doch erst
noch hochgefahren! Das war die Politik der FDP.
({3})
- Das ist Tatsache, Kollege Brüderle. Sie müssen sich
nur schlau machen. Ich weiß aber nicht, ob das bei Ihnen
noch geht.
({4})
Eine große Aufgabe ist - das haben Sie angesprochen -, die Folgekosten der Steinkohleproduktion in
Deutschland zu ermitteln. Darum bemühen wir uns. Wir
haben diesen Sperrvermerk vorgesehen. Daran arbeiten
wir, weil wir wissen, dass in Deutschland die Zukunft
der Energie nicht unter Tage liegt. Diese Idee wird von
uns schon seit langem in der Politik verfolgt. Wir haben
alles dafür getan, dass die erneuerbaren Energien und die
Photovoltaik einen Schub bekommen. Was in den letzten
Jahren in dieser Richtung geleistet worden ist, ist enorm.
Trotzdem werden Sie es nicht schaffen, mit einem Handschlag die Steinkohleproduktion in Deutschland einfach
zu beenden, so wie Ihnen das vorschwebt.
({5})
Das entscheidende Problem, das wir bei der Arbeitslosigkeit haben, ist die geringe Qualifizierung. Die meisten Arbeitslosen haben eine mangelhafte oder gar keine
Qualifizierung. Das ist ein Problem, das wir durch verstärkte Investitionen in Bildung und Umschulungen lösen müssen. Die Vorschläge zum Niedriglohnsektor, wie
Sie sie vorgelegt haben, oder der Vorschlag, den Roland
Koch gemacht hat, der glaubt, mit Stundenlöhnen von
2,50 Euro die Textilindustrie aus Asien nach Deutschland
zurückbringen zu können, sind der falsche Weg.
Dazu gehört auch, zu sagen, wo der Rest des Einkommens herkommen soll, dass man in Deutschland mit einer solchen Tätigkeit leben kann. Wenn die Orientierung
auf den globalen Wettbewerb so aussieht - rumänische
Facharbeiterlöhne, amerikanische Vorstandsbezüge und
chinesisches Arbeitsrecht -, bringt uns das mit Sicherheit nicht weiter, sondern erhöht im Gegenteil die sozialen Spannungen.
Wir sind uns sicher und verfolgen den Weg, dass der
gesellschaftliche Wandel in unserem Land mit Sicherheit
und vor allen Dingen mit sozialer Gerechtigkeit gestaltet
werden muss.
Ich danke Ihnen.
({6})
Ich gebe dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort
zu einer Kurzintervention.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich kann hier nur feststellen, dass die FDP beantragt hat, die Streichung dieser
nicht ordnungsgemäß beschlossenen Erklärung, die
durch einen Umdruck ins Haushaltsverfahren eingebracht worden ist, zur namentlichen Abstimmung zu
stellen, und dass ich auf die Frage, wie die Grünen votieren werden, keine Antwort vom Kollegen Schulz erhalten habe.
({0})
Ich finde es bedauerlich, dass unser Antrag, eine konkrete Passage des Haushaltsgesetzes, welches wir heute
beraten und über dessen Einzelpläne wir einzeln abstimmen, zu streichen, als Schaufensterantrag bezeichnet
wird. Das ist kein vernünftiger Umgang mit einem Gesetz, das Sie ja immerhin wollen. Das ist kein Schaufensterantrag, sondern ein sehr konkreter Antrag.
Die Sperre - ich sage das hier noch einmal, weil diese
Ausflucht überhaupt nicht gelten kann - bezieht sich auf
die Verpflichtungsermächtigung. Die Verpflichtungsermächtigung hat aber nichts mit der verbindlichen Erklärung zu tun. In der verbindlichen Erklärung wurde zugesagt, dass die deutsche Steinkohle zwischen 2006 und
2012 mit weiteren 16 Milliarden Euro gefördert werden
soll.
({1})
Das finde ich skandalös: Wir beraten hier einen Haushalt
und die Bundesregierung erklärt, sie könne nicht mehr
sparen. Bei der Bildung, der Forschung und in anderen
Bereichen fehlen Gelder und hier kommt es zu einer
Vorfestlegung der Bundesregierung, nach der in sechs
Jahren 16 Milliarden Euro gezahlt werden. Das ist nicht
vermittelbar. Deshalb muss hierzu eine namentliche Abstimmung stattfinden.
Ich bitte diejenigen, die nicht in die Vergangenheit,
sondern in die Zukunft unseres Landes investieren wollen, dieser Streichung zuzustimmen. Um es deutlich zu
sagen: Mit der Streichung würde noch nicht festgelegt
werden, was in dem Zeitraum passiert. Dass hier von
heute auf morgen nicht alles auf null gefahren werden
kann, ist auch für uns Liberale vollkommen klar. Wie
Rot-Grün aber in der heutigen Situation dazu kommt,
diese Zahlen für verbindlich zu erklären, ist mir unbegreiflich. Das halte ich für skandalös. Wir hoffen, dass
der eine oder andere von Rot-Grün dieser Argumentation in der namentlichen Abstimmung folgen wird.
({2})
Herr Kollege Schulz verzichtet auf eine Erwiderung. - Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSUFraktion, hat das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast jeder Redner der Koalition hat die Verpflichtung der Hausbanken angemahnt. Diese sollen mehr tun, um die Wirtschaft zu fördern. Aus dem Mund von Rot-Grün kann
man das nicht mehr akzeptieren.
({0})
Ich nenne drei Argumente - man könnte noch viel
mehr nennen -: Erstens. Kapital ist so scheu wie ein
Reh. Solange Sie ständig über Erbschaftsteuer, Vermögensteuer oder sonstige Dinge diskutieren, brauchen Sie
sich überhaupt nicht zu wundern, dass die Banken nur
wenige Chancen haben, sich gut zu refinanzieren, weil
ihnen die Substanz entzogen wird.
({1})
Zweitens. Ihre Gesetze und Vorschläge sind sehr kurzlebig. Deshalb fehlt die Verlässlichkeit, die ein wesentliches Element ist, um Vertrauen zu erwirtschaften, welches Voraussetzung für ein größeres Engagement ist.
Drittens. Durch die Rekordpleitenwelle wird den kleineren Banken die Substanz dafür entzogen, dass sie sich
dort weiter engagieren können.
Bringen Sie das alles in Ordnung! Dann können Sie
über dieses Thema wieder ernsthaft mitsprechen.
({2})
Herr Minister Clement, wenn ich mich richtig erinnere, sind Sie mal als Superminister geholt worden, um
die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Man hat Ihnen wirklich sämtliche Kompetenzen gegeben, damit Sie diese
Aufgabe angehen können.
({3})
- Ich sehe, Sie bestätigen das. Aber ich muss Sie fragen:
Was haben Sie daraus gemacht?
({4})
Eine Rekordarbeitslosigkeit haben Sie daraus gemacht,
obwohl Sie alle Kompetenzen besitzen, um entsprechend durchzugreifen. Leider sind Sie mit Ihrem Etat
nur bei der Schuldenmacherei Superminister.
({5})
Am Anfang dieses Jahres hat man festgelegt, dass es
keine neuen Zuschüsse für die Bundesanstalt für Arbeit gibt. Als es dann anders kam, hat man dies mit dem
Hartz-Konzept verteidigt. Der Kollege Kröning lächelt
ein wenig; er kennt offensichtlich einige Interna. Der
Kollege Schulz hat selbst im Ausschuss angemahnt, dass
es zu einem Argumentationsbruch bei der Koalition
kommen könnte. Am Ende des Jahres wurde nicht mehr
das Hartz-Konzept als Argument für die Zuschüsse angeführt, auf einmal war die schlechte Konjunktur ausschlaggebend. Wer soll einem solchen Wirtschaftsminister noch glauben? Wer soll dessen Argumente und
Zahlen noch ernst nehmen? Wer erwartet von diesem
Wirtschaftsminister noch die Verlässlichkeit, die notwendig ist, um die Wirtschaft in Gang zu bringen?
Das Problem ist: Der Haushalt dieses Arbeits- und
Wirtschaftsministers beinhaltet Risiken von mehreren
Milliarden Euro. Darüber ist heute gar nicht gesprochen
worden. Am Ende des Jahres werden Sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag wieder ein paar Milliarden
Euro für die Bundesanstalt für Arbeit überweisen. Das
hilft niemandem. Am wenigsten hilft es den nächsten
Generationen. Um sie müssen wir uns sorgen. Für sie
müssen wir Politik machen.
({6})
Die zu erwartenden Einspareffekte sind nicht so
spektakulär, wie sie manchmal dargestellt werden. Man
könnte fast den Eindruck gewinnen, dass das Rad neu erfunden worden ist. Ich kann Ihnen, ohne zu tief einsteigen zu müssen, sagen: Mit der Union wären diese Einsparungen schon vor einigen Jahren erzielt worden.
Wenn wir dies getan hätten, wären wir heute weiter.
({7})
- Sie lachen, Herr Brandner - wie immer! 4,5 Millionen
Arbeitslose, das kann Sie offenbar nicht erschüttern.
({8})
Sie sollten über diese Dinge ein wenig ernster mit uns
sprechen. Was muss denn noch alles in diesem Land geschehen, damit Sie mit Ihrer arroganten Art aufhören?
({9})
Sie haben doch die Zumutbarkeitsregeln wieder zurückgeschraubt
({10})
und dann vier Jahre nichts getan. Erst jetzt fangen Sie
mit ersten Maßnahmen an. Das ist zu wenig, um wirklich
erfolgreich zu sein.
({11})
Ein anderes Stichwort sind die Meldekontrollen. Sie
haben diese Meldekontrollen bis aufs Messer bekämpft.
Jetzt brauchen Sie zur Umsetzung dieser Maßnahme viel
Personal. Trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau. Das können wir doch nicht als Leistung anerkennen.
({12})
- Herr Kuhn, Sie waren doch damals noch im Landtag.
Sie können gar nicht mitreden.
Damals hat bei Ihnen jede Leistungseinschränkung
sofort eine Grundsatzdiskussion über Armut in Deutschland ausgelöst. Jetzt gelten bei Ihnen diese Argumente
nicht mehr. Nun ist es an uns, sich der Armen in diesem
Lande stärker als bisher anzunehmen. Das ist die Wahrheit.
({13})
Die Union ist die Partei, die die soziale Marktwirtschaft
verteidigt, weil Sie mit Ihren Maßnahmen das soziale
Gleichgewicht durcheinander bringen.
Ich frage Sie: Was ist das für eine Leistung, wenn
man die Bundesanstalt für Arbeit auf jetzt 90 000 Mitarbeiter aufbläht?
({14})
Was hilft es, die Statistik zu schönen? Herausgekommen
sind trotz dieser Veränderungen bei der Statistik nur immer mehr Arbeitslose. Wie wir nun hören und lesen,
wollen Sie damit nächstes Jahr weitermachen. Wir werden uns zu gegebener Zeit dazu äußern.
Die einzig wirkliche Veränderung war die Einführung
der Minijobs. Dafür aber haben Sie im Vermittlungsausschuss die Vorgaben von Union und FDP benötigt, um
eine wirkliche Wende herbeizuführen. Deswegen, Herr
Minister Clement, sollten Sie nicht so arrogant auf das
reagieren, was der Kollege Merz gesagt hat. Ein politischer Kompromiss ist immer das Ergebnis politischer
Möglichkeiten. Wenn die Union der Meinung ist, dass
Deregulierung ein entscheidender Schritt auf dem richtigen Weg ist, dann sollten Sie das nicht einfach oberlehrerhaft wegwischen, sondern dies als Anregung verstehen, über die man ernsthaft verhandeln kann. Nur so
kann man zu Kompromissen kommen.
({15})
Dann ist noch einiges zur Bundesanstalt für Arbeit
zu sagen.
({16})
Zunächst einmal: Es ist nicht so gewesen, dass der Herr
Minister und sein Staatssekretär überrascht wurden. Man
hat uns trotz dreimaliger Intervention dreimal abblitzen
lassen und uns keine Information gegeben. Wenn gestern
in der Zeitung zu lesen war „Clement wundert sich über
Gerster“, dann ist die Information falsch.
({17})
Ihr Haus hat alle diese Dinge vorher gewusst. Sie sollten
das zugeben und sich nicht davonstehlen,
({18})
wie Sie es gerade mit Ihrer Zwischenintervention versucht haben, in der Sie gesagt haben, das habe die
Rechtsabteilung geprüft und da diese das für gut empfunden habe, hätten Sie keine Einwände erhoben.
({19})
Wir haben bei anderer Gelegenheit - da ging es um ein
europäisches Thema - schon einmal feststellen müssen,
dass Ihr Haus informiert war, woraufhin schließlich ein
Staatssekretär gehen musste.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bis jetzt
noch nicht über diese Bundesanstalt gewundert haben,
dann nehmen Sie noch einige Punkte mit, über die Sie
sich künftig noch mehr wundern können. Mir ist ein Inserat der Bundesanstalt für Arbeit in die Hand gefallen.
Es ist ordentlich groß; man könnte denken, sie suche einen Generaldirektor. Sie sucht aber einen Universitätsabsolventen, nämlich einen Diplom-Informatiker. Wir
haben 4,5 Millionen Arbeitslose. Trotzdem muss die
Bundesanstalt für Arbeit eine Agentur einschalten,
({20})
die ein Inserat in der Zeitung aufgibt, mit dem ein Diplom-Informatiker gesucht wird. Wo ist die Kompetenz
dieser Behörde, in der so etwas vorkommt? Es sind an
die 10 000 Euro, die alleine für dieses Inserat ausgegeben werden.
({21})
Dafür müssen 300 Beitragszahler ihren Monatsbeitrag
abliefern. Ich habe versucht, dies einmal in Gedichtform
zu kommentieren: „Bei schlechter politischer Figur beschäftigen wir eine Agentur.“ So kommt mir das vor.
Der Kollege Kröning hat hier zwar als Berichterstatter im wahrsten Sinne des Wortes Bericht erstattet - insofern möchte ich ihn in Schutz nehmen; auch das muss
in einer Haushaltsdebatte noch möglich sein -, nicht
aber über den Öffentlichkeitsetat. Lieber Kollege
Kröning, warum sind Sie denn eigentlich über diese
Position hinweggeglitten? Das ist doch sonst nicht Ihre
Art. Wenn unsere Partei betroffen gewesen wäre, hätten
Sie eine halbe Stunde darüber referiert und eine Verlängerung der Redezeit verlangt.
({22})
Dieses Ministerium hat sich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit einen Mittelaufwuchs von 300 Prozent
genehmigt.
({23})
Nur macht man es da etwas anders als die anderen; man
sagt einfach: Das Hartz-Konzept erfordert eine eigene
Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit.
({24})
Dafür allein werden 15 Millionen Euro im Jahr ausgegeben. Wenn Sie nicht sensibel genug sind, um zu merken,
dass das Volk von einer solchen Politik langsam genug
hat, dann tun Sie uns Leid. Hören Sie auf, eine solche
Politik zu machen, damit die politische Landschaft nicht
noch mehr an Vertrauen verliert. Machen Sie mit uns
Sachpolitik und versuchen Sie nicht, den abgeplatzten
Lack durch zusätzliche Kosmetik zulasten der Steuerzahler zu polieren.
({25})
In dem Sinne hoffe ich, dass Sie nach dem Erlebnis mit
Gerster wenigstens in diesem Bereich etwas mehr Sorgfalt walten lassen.
Vielen Dank.
({26})
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner,
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten,
lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade gedacht, als ich Ihre Rede überstanden hatte: Viele Pfunde
am Pult, aber wenig Gewicht.
({0})
Die wirtschaftliche Lage ist schwierig, das wissen
wir, aber unser Minister hat gesagt, wir können sie
schultern. Das ist so. Die Opposition diskutiert, als wenn
sie die Veränderungen des letzten halben Jahres überhaupt nicht mitbekommen hätte. Merz spricht von
schweren Verstimmungen, es wird ihm angst und bange.
Dabei ist die Stimmung in diesem Land deutlich besser,
als Sie uns glauben machen wollen.
({1})
Um es deutlich zu sagen: Der Ifo-Index ist vorgestern
zum achten Mal in Folge angestiegen. Die Beurteilung
der wirtschaftlichen Lage ist zum zweiten Mal positiv,
das heißt: Festigung der konjunkturpolitischen Erwartungen. Auch die realwirtschaftlichen Indikatoren zeigen nach oben. Im dritten Quartal verzeichneten das
Bruttoinlandsprodukt ein Plus von 0,2 Prozent und die
Auftragseingänge der Industrie ein Plus von 1,2 Prozent.
Das zeigt: Deutschland ist auf gutem Weg und wir sollten aus pessimistischen Debatten herauskommen.
Dass Deutschland auf gutem Weg ist, hat auch der
Kanzler in New York zu spüren bekommen, als die Topmanager wichtiger US-Unternehmen ihm verkündeten:
Germany is back.
({2})
Auch die neue Chip-Fabrik in Dresden ist ein gutes Zeichen. Ihr Schlechtreden nutzt dem Lande nicht, sondern
schadet eher. Sie führen uns Wirklichkeitsverweigerung
vor; mit geschlossenen Augen kann man keine Politik
für die Zukunft gestalten.
({3})
Herr Brüderle bezog sich in diesem Zusammenhang
auf die letzten OECD-Studien. Die Ticker meldeten
gerade gestern erst: OECD sieht Konjunkturwende,
Deutschland vor verhaltenem Aufschwung, Lob für
Strukturreformen der Bundesregierung. - Das ist die
Wahrheit, Herr Brüderle.
({4})
Weiter heißt es in dieser Meldung:
„Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagt OECDÖkonom Eckhard Wurzel. „Ein Vorziehen der Steuerreform auf das nächste Jahr könnte der Konjunktur ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkte bringen.“
Übernehmen Sie endlich Verantwortung, beenden Sie
Ihre Blockadepolitik! Damit helfen Sie den Menschen
und ganz besonders der Wirtschaft in unserem Land.
({5})
Für den Mittelstand ist das Vorziehen der Steuerreform ein eminent wichtiger Schritt. Allein der Mittelstand würde in einer wirtschaftlich schwierigen Situation
um 10 Milliarden Euro entlastet. Das ist ein klares Signal für weniger Steuern, mehr Investitionen und mehr
Beschäftigung. Das muss die Botschaft der Zeit sein.
Wir müssen mit der Steuerreform dem Mittelstand die
Gelegenheit geben, seine Eigenkapitaldecke zu stärken.
Das bringt Sicherheit auch in schwierigen Zeiten und
wird dazu beitragen, dass die Insolvenzquote in diesem
Land deutlich gesenkt werden kann. Ich frage mich, warum Sie die Signale nicht hören: Die Führungskräfte in
unserem Land haben sich gestern zu Wort gemeldet und
gesagt, sie erwarteten von der Union jetzt endlich ein
Einlenken zum Vorziehen der Steuerreform. Recht haben
sie; dort versteht man mehr von Wirtschaft als Sie mit
Ihrer taktikbezogenen Politik.
({6})
Die Prognosen der Bundesregierung für das Wirtschaftswachstum 2004 liegen bei 1,7 Prozent. Das ist
aus meiner Sicht im unteren Schätzspektrum; internationale Banken gehen von höheren Werten aus. Deshalb
können wir zu Recht annehmen, dass Deutschland im
nächsten Jahr im Mittelfeld der EU-Wachstumsraten liegen wird.
({7})
Der Arbeitsmarkt folgt der positiven Entwicklung wie
üblich mit Verzögerung. Schon jetzt sind die ersten Signale deutlich zu vernehmen. Im Oktober gab es saisonbereinigt 12 000 Arbeitslose weniger. Das bestätigt, dass
die Maßnahmen, die wir durch Hartz I und II auf den
Weg gebracht haben, greifen. Diese Zahlen spiegeln sich
auch im Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wider,
({8})
in dem zum Beispiel der Bundeszuschuss in Höhe von
7 Milliarden Euro in 2003 auf 5,2 Milliarden Euro in
2004 reduziert wird.
Die Strukturreformen wirken und weisen auch in der
Haushaltsdebatte in die richtige Richtung.
({9})
In diesem Zusammenhang möchte ich einen Dank an unseren Haushälter richten, der zwar nicht so spaßig wie
Herr Fuchtel vorgetragen hat, dafür aber sehr konkret
war. Ich hatte während seiner sachlich vorgetragenen
Rede den Eindruck, dass Sie sich arrogant und dumm
gezeigt haben. Ihr Verhalten war jedenfalls aus meiner
Sicht jämmerlich.
({10})
Nun haben Sie angemahnt: „Ein Jahr Clement, jeden
Monat eine neue Reform!“ Wann hat es eigentlich mehr
Reformen gegeben als in diesem Jahr, wann sind mehr
Reformen auf den Weg gebracht worden?
Ich habe den Eindruck, Sie haben die Übersicht verloren. Wenn Sie nicht den Reformprozess in wesentlichen
Punkten - zum Beispiel das Gesetz zur Novelle im
Handwerk und das Kleinunternehmergesetz - blockieren
würden,
({11})
dann würde die wirtschaftliche Entwicklung in diesem
Jahr noch besser verlaufen, als es bedingt durch die politischen Veränderungen, die durch unsere Politik eingeleitet worden sind, ohnehin der Fall ist.
({12})
Wir wissen, dass wir unser Land nur durch Innovationen nach vorne bringen können. Notwendig ist eine
hohe Konzentration auf Innovationen. Trotz aller Sparanstrengungen haben wir die Mittel für Forschung und
Entwicklung im Haushalt erhöhen können. Auch Existenzgründer und der Mittelstand werden stärker gefördert als im Vorjahr. Unser Ziel ist es, eine Gründungswelle auszulösen.
({13})
Wir wollen den Aufbruch hin zu einem stärkeren Unternehmergeist erreichen. In diesem Zusammenhang muss
Herr Merz zur Kenntnis nehmen, dass zwar die Beschäftigung auf der Stelle tritt,
({14})
dass aber die Zahl der Existenzgründungen steigt. Das
ist unser Ziel: Wir wollen in diesem Land die wirtschaftliche Dynamik erhöhen.
({15})
Damit unterstützen wir die Innovation in der deutschen
Wirtschaft.
Auch mit den Ich-AGs haben wir - wie Sie zu Recht
festgestellt haben - sehr erfolgreich Veränderungen auf
den Weg gebracht und das Unternehmertum aus kleinen
Verhältnissen nach vorne gebracht. Wir haben damit unter anderem das hervorragende Potenzial zur Innovation
in unserem Land genutzt, um mehr Beschäftigung zu
schaffen, den Verbrauchern mehr und bessere Produkte
anbieten zu können und zu einem geringeren Verbrauch
von Ressourcen beizutragen. Das muss das Ziel der Innovationspolitik sein.
Innovationspolitik wird zum Motor der Agenda 2010.
Wir können uns auf die Innovationsfähigkeit der Menschen und der Unternehmen in unserem Land verlassen.
Dafür haben wir mit unserem Reformprojekt die Weichen gestellt. Die Agenda 2010 sorgt für eine positive
Dynamik. Es geht dabei um grundsätzliche Weichenstellungen und weit reichende Umstrukturierungen in den
Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit und in den
sozialen Sicherungssystemen. Das Ziel ist eine neue Balance zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem
Zusammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch. Es
geht um die Modernisierung unserer Wirtschaft, ohne
soziale Gerechtigkeit preiszugeben.
Die Erfolge von Hartz I und Hartz II - ich habe es bereits angesprochen - sind bereits jetzt deutlich erkennbar: mehr als 200 000 Existenzgründungen mit arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumenten in diesem Jahr!
Das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann.
({16})
Auch die Minijobs leisten einen erheblichen Beitrag
zur Flexibilisierung, ohne die sozialen Sicherungssysteme zu belasten.
({17})
- Herr Schauerte, ich habe doch an den Gesprächen in
der Arbeitsgruppe teilgenommen. Wir haben dafür gesorgt, dass Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden, damit die Sozialkassen nicht geplündert werden. Sie
hingegen haben einen allgemeinen Steuerbeitrag befürwortet. Insofern müssten Sie uns dafür dankbar sein,
dass wir im Vermittlungsverfahren diese Position bezogen haben: einfaches Verfahren, Sozialkassen nicht belasten, Flexibilität gewährleisten!
({18})
Das ist allenfalls unser gemeinsames Werk, aber Sie
können den Erfolg nicht für sich allein beanspruchen.
({19})
Mit Hartz III und IV runden wir die Reformen ab.
Jetzt geht es um das Kernstück, nämlich erhebliche Effizienzsteigerungen, die wir zum Beispiel dadurch erreichen wollen, dass in den Jobcentern die Betreuung aus
einer Hand sichergestellt wird. Anstelle von Verschiebebahnhöfen soll es klare Zuständigkeiten und aktivierende Maßnahmen in einer Hand geben. Fördern und
Fordern ist unser Prinzip für eine aktivierende Sozialpolitik. Das wollen wir mit Hartz III und IV umsetzen.
Dafür muss die Bundesanstalt für Arbeit zu einem modernen und kundenorientierten Dienstleister für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch für die Arbeitgeber umgebaut werden.
Ich baue darauf, dass die Opposition im Vermittlungsausschuss endlich konstruktiv mitarbeitet. Denn die Gesetze zu Hartz III und IV bringen immerhin einen Effizienzgewinn in Höhe von 5 Milliarden Euro. Wer kann
sich einem solchen Effizienzgewinn verweigern?
Ich nenne ein weiteres Stichwort: die PersonalService-Agenturen, die im Mai/Juni dieses Jahres angelaufen sind. Bis Oktober - also vier bis fünf Monate später - haben 952 Agenturen mit 42 695 Plätzen ihre Tätigkeit aufgenommen. Wer kann denn da von Misserfolg
sprechen? Es ist eine beachtliche Leistung, das anvisierte Ziel von 50 000 Plätzen in den Personal-ServiceAgenturen in noch nicht einmal einem halben Jahr zu erreichen. Zerreden Sie doch nicht immer die ansonsten
positiven arbeitsmarktpolitischen Instrumente, helfen
Sie mit, dass sie in der Gesellschaft akzeptiert werden,
meine Damen und Herren!
({20})
Erhebliche Vorteile werden den Kommunen auch dadurch erwachsen, dass sie durch die Hartz-IV-Reform finanziell entlastet werden.
({21})
Wir stehen zu unserem Wort, auch wenn es zu einer anderen als der ursprünglich geplanten Finanzierung kommen kann: Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden
Euro sollen bei den deutschen Kommunen ankommen.
Wichtig ist, dass die neuen Bundesländer bei uns
nicht hinten runterfallen. Der Schwerpunkt der aktiven
Arbeitsmarktpolitik liegt weiterhin eindeutig im Osten.
Die Vorschläge des bayerischen Ministerpräsidenten,
ABM zu streichen, kommen für uns nicht infrage.
({22})
Auch Friedrich Merz macht Schnellschüsse, wenn er
erhebliche Einsparungen bei der BA fordert. Arbeitsmarktpolitik ist keine Manövriermasse. Das Streichen
von ABM bringt übrigens keine Einsparungen von Milliarden, wie es öffentlich dargestellt wird, sondern gerade einmal 100 Millionen. Sofort mehr Geld in Lohnersatzleistungen, Löcher auf der einen Seite zustopfen,
auf der anderen Seite aufreißen - das ist keine kontinuierliche Politik und deshalb mit uns auch nicht zu machen.
({23})
Die Kommunen wollen wir noch stärker einbinden,
und zwar nicht nur rechtlich. Es geht dabei nicht nur um
Zusammenarbeit, sondern auch darum, durch die Übernahme finanzieller Verpflichtungen einen Anreiz auch
für die Kommunen zu schaffen, aktiv etwas zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun.
({24})
Das bringen wir im Vermittlungsausschuss auf den Weg.
Wir gehen auf die Union zu. Sie haben keinen Grund
mehr, sich zu verweigern, meine Damen und Herren.
({25})
Zu der Frage der Arbeitsmarktreform als eines eigenständigen Projekts erinnere ich daran, dass selbst der
Sachverständigenrat Ihr politisches Junktim zwischen
Steuerreform und Arbeitsmarktreform für abwegig hält.
Wo ist der Zusammenhang zwischen Steuerreform,
Handwerksordnung und Tarifautonomie? Oder ist Ihr
Blockademanöver ein taktisches Manöver? Dann sollten
Sie es offen zugeben. Jedenfalls lassen wir Sie damit
nicht einfach durchkommen.
({26})
Herr Kollege Brandner, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss.
({0})
Für taktische Manöver im Rahmen der Tarifautonomie haben wir in der Tat keinen Raum. Wir sind dankbar, dass der zuständige Minister hierzu eine klare Aussage im Parlament gemacht hat. Dies zeigt, dass sich
unsere Fraktion zu diesem Thema politisch eindeutig
verhält.
Mein Fazit: Deutschland ist auf dem Weg nach vorn.
Dies wird durch die konjunkturellen Daten und durch die
Wissenschaft belegt. Internationale Institute loben die
Reformpolitik. Alle Indikatoren zeigen nach oben. Das
Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wir dürfen nicht über die
geflickten Löcher lamentieren, sondern sollten uns über
die neuen, besseren Segel freuen, die wir durch die Reformpolitik gesetzt haben. Wir haben im Vermittlungsausschuss die Verantwortung und bitten Sie, sie auch
wahrzunehmen. Nehmen Sie sie gemeinsam mit uns
wahr, damit Deutschland im Reformprozess wieder nach
vorne kommt.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für die PDS im Bundestag gehören die Arbeitsmarkt-,
Sozial- und Wirtschaftspolitik zu den zentralen aktuellen
Politikbereichen. Dies sind zugleich die Themen, die neben der Friedensfrage nahezu jeden bewegen und sehr
viele Menschen betreffen. Jüngst war ich in Erfurt, Thüringen. Dort ist jeder Fünfte arbeitslos und nicht wenige
sind inzwischen hoffnungslos. Dasselbe habe ich in Bremerhaven erlebt. Saarländer schreiben mir und auch aus
Bayern habe ich in dieser Woche solche Notrufe bekommen.
Ich stelle dies voran, damit wir hier nicht nur Haushaltstitel deklinieren, die außerhalb des Bundestages niemand versteht. Wir reden hier über mehr als 4 Millionen
Arbeitslose. Wir sprechen über Tausende von Jugendlichen ohne Lehrstelle. Wir diskutieren über Wege aus der
Ungerechtigkeit; jedenfalls ist das der Anspruch der
PDS.
({0})
Ich weiß sehr wohl, dass ich hier gegen eine große
Mehrheit rede. Die Opposition zur Rechten liegt im
Streit mit sich selbst. Sie sucht ihren Superstar. Merkel,
Stoiber, Koch oder Merz? Mit sozialer Gerechtigkeit hat
das, was Sie aufführen, nichts zu tun. Allerdings lauert
dahinter die Frage: Wie verdeckt oder offen lässt sich der
Sozialstaat entsorgen? Frau Merkel steht für die verdeckte Variante, Herr Koch für die brutale und Herr
Stoiber für die egoistische. Der Rest des ganzen Spektakels ist Parteitaktik. Sie hilft aber niemandem ohne Arbeit oder ohne Lehrstelle.
({1})
Früher bot die SPD dazu das Kontrastprogramm. Nun
hat sie aber in Bochum getagt und grünes Licht für die
Agenda 2010 gegeben, die unsozial und auch ungerecht
ist. Es war - leider - nichts anderes zu erwarten. Spannend war für mich nur das Rahmenprogramm des SPDParteitages in Bochum. „Das Wichtige tun“ hieß die Parteitagslosung. So habe ich immerhin gelernt: Die SPD
versteht sich als Partei der Wichtigtuer.
({2})
Dann wurde auf diesem Parteitag auch gewählt. Wer die
Agenda 2010 verbrochen hatte, wurde bestraft, wer dagegen war, ebenso. Zum Schluss wurde auch noch gesungen. Etwas kläglich, aber drohend kündigten Sie an:
Mit uns zieht die neue Zeit!
Der Kardinalfehler der Agenda 2010 ist: Sie machen
4 Millionen Arbeitslose dafür verantwortlich, dass es
4 Millionen Arbeitslose gibt. Das Wesen Ihrer Agenda
besteht darin, die Betroffenen zu ermitteln, anzuklagen
und abzustrafen. Arbeitslosen wird die Hilfe gekappt.
Kranke werden abkassiert. Alten wird die Rente gekürzt.
„Damit machen wir“ - so meinte der Bundeskanzler in
der gestrigen Debatte - „Ressourcen frei für wesentliche
Zukunftsaufgaben.“ Mir fällt dabei das Märchen vom
Kaiser mit den neuen Kleidern ein, die kein anderer sehen kann.
({3})
Die PDS im Bundestag hat nie behauptet, sie habe
den Stein der Weisen gefunden. Wir haben immer gesagt: Es muss grundlegende Reformen geben. Das haben
wir übrigens schon gesagt, als sich die offizielle AltbunPetra Pau
desrepublik noch für den letzten Schluss aller Geschichte hielt. Bereits damals war die Arbeitslosigkeit
extrem hoch und die Staatsverschuldung mehr als bedenklich. Auch andere Fragen, etwa die demographische
Entwicklung, drängten längst. Dass die Arbeitswelt im
21. Jahrhundert anders sein wird als im 19. Jahrhundert,
wusste - mit Verlaub - schon Karl Marx. Insofern wünsche ich mir, dass er morgen im ZDF zum „besten Deutschen“ gewählt wird.
({4})
Die eigentliche Frage ist also nicht, ob etwas verändert werden muss. Die spannende Frage ist vielmehr,
welchem Ziel die Reformen dienen sollen. Ihre Reformen brechen mit den guten sozialdemokratischen Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit. Das Schlimme ist,
dass Sie das wissen. Es ist doch kein Zufall, wenn die
Bundesanstalt für Arbeit Millionen für PR-Arbeit zum
Fenster hinauswirft. Die Bundesregierung macht doch
nichts anderes. Sie lässt landauf, landab Großplakate
kleben, um die Agenda 2010 schönzumalen. Keine Bürgerin und kein Bürger hat sie bestellt. Aber alle müssen
sie bezahlen, und zwar sowohl die Plakate als auch die
Agenda 2010.
({5})
Geradezu obszön wird es, wenn die neuen Bundesländer zum gelobten Land gekürt werden. Allein der
Glaube, mehr Billigjobs seien gut gegen die Arbeitslosigkeit, ist absurd. Der Osten ist bereits ein Billiglohnland. Die Forderungen nach längeren Arbeitszeiten werden immer lauter. Aber im Osten wird schon länger
gearbeitet. Sie fordern außerdem eine Lockerung des Tarifrechts. Im Osten ist es bereits so locker wie nirgendwo
sonst in Deutschland. All diese Heilslehren werden in
den neuen Bundesländern also längst praktiziert. Die
neuen Bundesländer belegen aber beispielhaft: Diese
Heilslehren machen nicht gesünder, sondern kränker.
Deshalb lehnt die PDS im Bundestag die Agenda 2010
ab.
({6})
Hinzu kommt: Arbeitsbeschaffungs- sowie Ausbildungsmaßnahmen sollen abgebaut und Fördermittel gekürzt werden. Das verschärft die Lage auf dem Arbeitsmarkt und der strukturschwachen Regionen.
Fazit: Die PDS im Bundestag wird auch diesen Teil
des Haushaltes ablehnen müssen.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Deutschland erlebt eine sehr negative und
schlimme Woche:
({0})
Wahrscheinlich wird der Bundestag diese Haushaltsvorlage heute in zweiter und morgen in dritter Lesung verabschieden und damit einen Verfassungsbruch begehen.
Dazu kommt das, was Bundesminister Eichel in Brüssel
Europa und unserem Land, Deutschland, angetan hat.
Holger Steltzner hat dies vorgestern in der „FAZ“ zu
Recht mit den Worten „Verspielen des letzten Vertrauens“ betitelt.
({1})
Wir erleben dergleichen praktisch seit 1998 - also seit
Jahren -, als man angetreten ist, ganz Deutschland neu
zu gestalten. Thomas Wels schreibt in der „Rheinischen
Post“: „Deutschland zertrümmert den Euro“ und
„Deutschlands Verhalten ist ein Skandal“. Leider Gottes
muss ich sagen: Beide, Steltzner und Wels, haben Recht.
({2})
Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard
Schröder hangelt sich von einer Unwahrheit zur nächsten. Zahlen werden erst einmal geschönt; wenn die Fakten dann auf dem Tisch liegen, wird das, was man vorher
präsentiert hat, in immer kürzeren Intervallen als Lüge
entlarvt.
Herr Kollege Klaus Brandner, vor dem Mut, den Sie
hier gezeigt haben, muss man fast Respekt haben.
({3})
- Ich wollte es nicht ganz so drastisch sagen; aber an
sich müsste man es so formulieren. - Sie haben nämlich
gesagt, die OECD verlange von uns, die Steuersenkung
vorzuziehen. Vielleicht hatten Sie heute noch nicht die
Möglichkeit, die Zeitung zu lesen; das sehe ich Ihnen
nach. Allerdings ging schon gestern über den Ticker,
dass die OECD vor einer Steuersenkung auf Pump - etwas anderes fällt Ihnen ja nicht ein - warnt.
({4})
Sie schwadronieren von diesem und jenem. Was machen
Sie? - Pump, Pump, Pump und noch einmal mehr Schulden.
Ein weiterer Beweis dafür, dass Lügen kurze Beine
haben, ist Folgendes: Als diese Bundesregierung am
2. Juli dieses Jahres den Haushaltsentwurf für das
Jahr 2004 beschlossen hat, wurde noch großspurig verkündet, das Wirtschaftswachstum im Jahr 2003 liege
bei 1 Prozent und im Jahr 2004 bei 2,5 Prozent. Das
Herbstgutachten, das vor wenigen Wochen veröffentlicht
wurde - seit dem 2. Juli waren kaum mehr als drei
Monate vergangen -, besagt, Herr Bundeswirtschaftsminister, dass das Wirtschaftswachstum dieses Jahres bei
0 Prozent und im kommenden Jahr, 2004, bei maximal
1,7 Prozent liegen wird. Man muss wissen, dass
0,5 Prozentpunkte bis 0,6 Prozentpunkte dieser 1,7 Prozent Wachstum dadurch zustande kommen, dass im
Jahr 2004 mehr Feiertage auf das Wochenende fallen
werden.
Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?
Aber selbstverständlich, sehr gern. Ich habe gar nicht
gesehen, dass er eine Zwischenfrage stellen möchte.
Sie haben gerade davon gesprochen, dass Lügen verbreitet werden. Die AP schreibt am 26. November 2003
- wollen Sie das bestreiten? -:
Die OECD sieht Deutschland vor einem verhaltenen Aufschwung und hat die Bundesregierung zu
weiteren Strukturreformen ermuntert.
Diese Reformen nehmen wir gerade vor. Etwas weiter
unten heißt es:
„Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagte OECDÖkonom Eckhard Wurzel. Ein Vorziehen der Steuerreform auf nächstes Jahr könne der Konjunktur
ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkten bringen.
({0})
- Im Weiteren ist zu lesen, dass der Reformprozess, den
die Bundesregierung in Angriff genommen hat, richtig
ist, dass aber noch weitere Anstrengungen notwendig
sind, beispielsweise zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit. - Alles das sind Maßnahmen, die in der Rentengesetzgebung jetzt ganz konkret angegangen werden.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Erstens. Wollen Sie unterstellen, dass ich Lügen vorgetragen habe?
Zweitens. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die
OECD davon ausgeht, dass das Vorziehen der Steuerreform dringend notwendig ist, um mehr wirtschaftliches
Wachstum in diesem Land zu erzeugen?
({1})
Herr Kollege Brandner, ich bleibe bei meiner Aussage;
({0})
denn ich habe Ihnen ja zugehört. Sie haben gesagt: Die
OECD verlangt von Deutschland, die Steuerreform vorzuziehen. - Das ist falsch.
Heute steht dazu etwas in der „Welt“. Gestern ist es
im Wortlaut über den Ticker gelaufen - ich zitiere -: Die
OECD warnt vor Steuersenkung auf Pump.
({1})
Geplante Entlastung kann Wachstum nur um 0,25 Prozentpunkte steigern. Subventionsabbau geboten. - Das ist
wieder ein Beispiel für das, was Sie ständig vorführen.
({2})
Um wahr zu sprechen, muss man die ganze Wahrheit sagen und darf nicht selektiv nur irgendeinen Satz herausziehen.
({3})
Wir müssen Ihnen vorwerfen, dass Sie nur immer Sätze
zitieren, aber nicht den Gesamtzusammenhang darstellen. Damit vermitteln Sie nach außen das Bild, dass Sie
handlungsfähig und handlungswillig sind. Sie haben ja
auch vorhin gesagt: Wir wollen dies, wir wollen dies,
wir wollen dies.
({4})
Tatsächlich muss man aber den Eindruck haben, dass Sie
sich - Herr Brandner, damit meine ich Ihre Partei, nicht
Sie persönlich - der 4,5 Millionen Arbeitslosen mehr
oder weniger überhaupt nicht annehmen, dass Sie sich
für sie mehr oder weniger gar nicht interessieren. Die
Maßnahmen, die notwendig wären, um den Arbeitsplatzabbau zu stoppen, um wieder mehr Beschäftigung zu
schaffen, um wieder Menschen in Arbeit und Brot zu
bringen, werden nicht getroffen. Es geht dabei nicht allein um die, die jetzt im Arbeitsprozess sind, auch wenn
die ebenfalls Angst um ihren Arbeitsplatz haben, sondern um die 4,5 Millionen Arbeitslosen, die wieder eine
Beschäftigung brauchen. Um diese Menschen müssen
wir uns genauso sorgen, vielleicht noch mehr als um jemanden, der einen sicheren Arbeitsplatz als Präsident irgendeiner riesigen Anstalt mit 80 000 Mitarbeitern hat.
({5})
Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Brüderle?
Aber selbstverständlich, Herr Kollege.
Kollege Rossmanith, sind Sie bereit, mir darin zuzustimmen, dass diese OECD-Studie, auf die sich Herr
Brandner beruft, noch ganz andere markante Sätze beinhaltet? Ich zitiere einmal: Der Chefökonom der OECD
warnt vor überzogenen Erwartungen. Wurzel bezweifelt
etwa, dass das Vorziehen der Steuersenkung 2004 einen
positiven konjunkturellen Effekt hat, wenn sie nicht voll
durch Ausgabenkürzungen, etwa Subventionsabbau,
kompensiert wird.
({0})
Hundertprozentige Kompensation durch Ausgabenkürzung ist also die Forderung der OECD. Das unterschlagen Sie!
Es heißt da weiter: Für einen nachhaltigen Aufschwung braucht Deutschland nach Ansicht der OECD
- alles wörtliches Zitat - eine dauerhafte Stärkung der
Binnennachfrage. - Sie haben gehört, was Herr Clement
dazu gesagt hat. - Dafür seien die Reformen unerlässlich
und müssten unbedingt weitergeführt werden, auf dem
Arbeitsmarkt wie bei der gesetzlichen Renten- und
Krankenversicherung.
Damit, Herr Kollege, wird durch Herrn Brandner
doch ein völlig falscher Eindruck erweckt; er will von
der wahren Lage ablenken. Kommen Sie doch endlich in
der Realität an!
({1})
Herr Kollege Brüderle, haben Sie eine Frage an Herrn
Rossmanith gestellt?
({0})
Frau Präsidentin, ich habe die Frage sehr wohl verstanden.
({0})
Ich bin dem Kollegen sehr dankbar dafür, dass er es mir
abgenommen hat, weite Teile der OECD-Studie vorzulesen. Ich wollte die Debatte hier nicht unnötig verlängern.
Herr Kollege Rainer Brüderle, ich kann Ihnen uneingeschränkt zustimmen. Genau das ist es, was ich dem
Kollegen Klaus Brandner und vielen seiner Parteigenossinnen und Parteigenossen vorwerfe, nämlich dass sie
eine Politik der Beliebigkeit betreiben, dass sie sich Studien immer zurechtbiegen,
({1})
so wie sich der Herr Bundesminister Eichel den Haushalt
so zurechtbiegt, wie er ihn gerade haben will. Wir können dann im Januar sofort am Nachtragshaushalt für das
Jahr 2004 zu arbeiten beginnen. Diesen Haushalt jetzt in
zweiter und morgen in dritter Lesung zu beschließen ist
geradezu hanebüchen.
({2})
Wer sich damit befasst, der müsste über dieses Parlament
lachen. In dieser Debatte deutlich zu machen, was insbesondere Bundeskanzler Schröder von sich gibt, der sich
gleichsam als neuer Ludwig XIV. aufführt und nach dem
Motto „Der Staat bin ich“ handelt, entspricht ja auch unserem Auftrag.
({3})
Ihn interessieren ja kaum seine Regierungskollegen und
noch viel weniger das Parlament.
Frau Präsidentin, ich bin noch bei der Antwort auf die
Frage des Kollegen Brüderle, doch Sie haben mir jetzt
eine ganze Minute abgezogen.
Nein, Herr Kollege Rossmanith, nicht die ganze Minute. Da Sie jetzt nicht mehr konkret auf die Frage antworten, habe ich die Redezeit weiterlaufen lassen. Da
kann der Kollege Brüderle ruhig die ganze Debatte stehen bleiben.
({0})
Liebe Frau Präsidentin, Sie sind mir lieb und teuer.
Ich mag Sie persönlich auch sehr. Ich kritisiere Sie nicht,
möchte aber feststellen, dass ich noch bei der Antwort
war. Ich sage damit nur, was ich getan habe. - Ich danke
Ihnen, Herr Brüderle, noch einmal sehr herzlich.
({0})
Herr Kollege Brandner, erinnern Sie sich noch an den
Wahlkampf 2002? Sie haben eine geradezu kultische
Weihehandlung im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt vollzogen, als Sie das Hartz-Konzept vorstellten.
Ich habe mich gewundert, dass so viele Medien darauf
hereingefallen sind und dabei mitgemacht haben. Denn
was kam heraus? - Nichts. Von einer Eins-zu-eins-Umsetzung von Hartz spricht keiner mehr.
({1})
Ich möchte hier Bundesminister Clement fast etwas in
Schutz nehmen. Er bemüht sich ja ernsthaft. Zwar
schafft er außer Ankündigungen auch nichts, doch seinen Genossen geht es selbst noch zu weit, dass er überhaupt Ankündigungen macht. Denn wie verfahren sie
mit ihm? Auf dem Parteitag in Bochum straften sie ihn
ab. 44 Prozent der Parteigenossen sagten Nein zu dem
eigenen amtierenden Wirtschaftsminister.
({2})
Man muss sich wohl wirklich Gedanken darüber machen, welche Stellung er noch in dieser Regierung und in
dieser Partei hat, die er mitvertreten soll.
Der Haushaltsansatz Ihres Hauses, der am 2. Juli beschlossen wurde - der Kollege Fuchtel ist ja schon darauf eingegangen -, betrug 25 Milliarden Euro. Dann
wurden so einfach mir nichts, dir nichts 8 Milliarden
hinzugefügt. Jetzt haben wir fast 33 Milliarden - ein
enormer Zuwachs innerhalb von ganz wenigen Wochen.
Auch der Kanzler nimmt Sie überhaupt nicht mehr
ernst. Ich habe vorhin gesagt, dass er sich wie ein zweiter
Ludwig XIV. verhält und nach dem Motto „Der Staat bin
ich“ verfährt. Er schüttelt nämlich am Steinkohletag einfach so 16 Milliarden Euro aus dem Ärmel und sagt sie
dem Steinkohlebergbau zu. Das sind über 31 Milliarden
Deutsche Mark, um das auch noch einmal in der alten
Währung zu sagen. Damit sollen 20 000 Arbeitsplätze
gesichert werden. Es wird niemand gefragt, weder Sie
noch das Parlament, das ja dies beschließen muss und dafür auch Verantwortung trägt. Es ist keine Vereinbarung
oder irgendetwas anderes beschlossen worden; es liegt
noch nichts auf dem Tisch, aber der Genosse der Bosse
sagt schlicht und einfach schnell 16 Milliarden Euro zu.
Zugleich nimmt er dem Mittelstand die Luft weg.
Der Kreditversicherer Euler Hermes rechnet für das
kommende Jahr - dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt, Herr Bundesminister Clement - mit 43 000 Insolvenzen. Wir haben in diesem Jahr schon netto
600 000 Arbeitsplätze verloren. Das interessiert Sie bzw.
diesen Bundeskanzler aber überhaupt nicht.
Für vieles andere haben Sie aber Geld. Ich will nur
ein kleines Beispiel nennen; Sie mögen es als Petitesse
abtun, aber 200 000 Euro sind immerhin auch schon etwas; dafür kann man sich durchaus ein kleines Häuschen
hinstellen.
({3})
- Bei mir im Allgäu ist das halt so. Da sind die Grundstückpreise etwas höher.
({4})
- Und die Allgäuer werden allergisch, wenn Sie kommen, Herr Kuhn.
({5})
Deshalb bleiben Sie lieber weg und verschonen Sie uns
mit Ihrer politischen Anwesenheit.
({6})
Die Grünen stellen einen Antrag auf 200 000 Euro
für nachhaltigen Tourismus. Die Frage, was das eigentlich sein solle, konnte niemand beantworten. Allerdings
wurde dann erklärt, man wisse, wer wisse, was nachhaltiger Tourismus sei. Aber beschlossen musste es werden.
Dass es bei der Gemeinschaftsaufgabe etwas Bewegung gegeben hat, will ich positiv erwähnen, lieber Kollege Kröning. Auch die Wettbewerbshilfe für die
Schiffswerften ist ein wesentlicher Punkt. Ebenso will
ich die Luftfahrtförderung positiv erwähnen, auch wenn
es mehr hätte sein können. Sie wird ja gegenüber den
vergangenen Jahren leicht zurückgefahren.
Herr Bundesminister Clement, Sie haben den Export
angesprochen. Weltweit steigt der Export um 7,4 Prozent. Bei uns wird die Steigerung deutlich unter der
5-Prozent-Marke liegen. Das heißt, auch hier sind wir
mehr oder weniger im Minus, und das in einem Bereich,
der uns noch einigermaßen über Wasser gehalten hat.
Herr Kollege, auch Sie sind deutlich im Minus.
Mein letzter Satz, Frau Präsidentin.
Der Kollege Müntefering - er ist im Moment nicht
da - hat gestern gesagt, Deutschland solle wieder der
Wirtschaftsmotor Europas werden.
({0})
Immerhin erkennt er damit an, dass wir im Moment die
Letzten in Europa sind und alles tun müssen, um wieder
in die Spitzenklasse Europas zu gelangen.
({1})
Dazu ist es notwendig, eine verantwortungsvolle Politik
zu gestalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass
diese Bundesregierung ihre Arbeit schleunigst beendet.
Wir müssen den Einzelplan 09 zu unserem großen
Bedauern ablehnen.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Ein wesentlicher Teil der heutigen Debatte
und der Abstimmungen ist dem Handwerksrecht gewidmet. Deshalb möchte ich mich insbesondere der Novelle
der Handwerksordnung zuwenden; denn kein anderes
Thema hat das Handwerk in den letzten Wochen und
Monaten mehr beschäftigt als die Novellierung dieses
Gesetzes.
Die Änderung der Handwerksordnung ist derzeit in
vieler Munde, besonders in Handwerkskreisen. Noch nie
ist in den Medien so viel Unfug über die Rolle des Handwerks und über das Handwerk als Wirtschaftsgruppe in
Wort, Schrift und Bild publiziert worden wie in den letzten Wochen.
Eines möchte ich in aller Deutlichkeit gleich eingangs
feststellen: Wir von der CDU/CSU sehen auch beim
Handwerksrecht dringenden Handlungsbedarf. Aber wir
wollen gemeinsam mit dem Handwerk eine Änderung
der Handwerksordnung herbeiführen, die die Selbstständigkeit fördert, den Zugang zum Handwerk europatauglich macht, die Ausbildung sichert, die Verbraucher
schützt und die Qualität in den Vordergrund stellt.
({0})
Wir wollen eine Modernisierung der Handwerksordnung
mit Verstand, Maß und Ziel, Herr Minister Clement.
Qualität, Flexibilität und Nachhaltigkeit wollen wir gleichermaßen sichern. Wir wenden uns deshalb massiv gegen einen Kahlschlag in der Handwerksordnung. Denn
was Sie von Rot-Grün und von der Bundesregierung planen, sind in der Tat keine Nadelstiche mehr, sondern
Dolchstöße, die für das Handwerk lebensgefährlich sind.
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Regierungsentwurf zur Änderung der Handwerksordnung ist wahrlich keine Meisterleistung, sondern ein ausgemachter
Pfusch. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie damit
Ihren eigenen Pfusch zum Standard erklären möchten.
Ein Blick auf die LKW-Maut und das Dosenpfand zeigen dies ganz deutlich.
({2})
Jetzt ist die Handwerksordnung dran. Meine Damen
und Herren, hierzu gibt es nur ein Fazit: Diese Bundesregierung denkt nichts richtig an, denkt nichts richtig
durch, denkt auch nicht richtig zu Ende und denkt schon
gar nicht an die Folgen. Meine Damen und Herren von
der Bundesregierung, Sie machen schon beim Denken
Denkfehler.
({3})
Sie, meine Damen und Herren, sind selbst die Fehler, die
wir in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen
haben.
({4})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine richtige
Handwerksreform - ja. Ein europafester Meisterbrief auch ja. Viele wettbewerbsfähige Betriebe - ebenso ja.
Goldener Boden für das Handwerk, wie es früher hieß auch ja. Aber das Kind mit dem Bade ausschütten und
den Meistertitel über Bord werfen - grundsätzlich nein.
({5})
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr ist mit
43 000 Firmenpleiten mit einem neuen Pleitenrekord
beim Mittelstand zu rechnen. Darunter sind über 10 000
Handwerksbetriebe. Das ist katastrophal. Die Bundesregierung verschließt davor die Augen. Diese 43 000 Betriebe können auch nicht mehr ausbilden. Dadurch sind
wiederum 80 000 Ausbildungsplätze flöten gegangen,
wie mir Kollege Feibel noch einmal sagte.
({6})
Die Bundesregierung nimmt das einfach nicht zur
Kenntnis. Wenn Mittelständler, die vor Jahren noch
zwölf Beschäftigte hatten, nunmehr nur noch zwei haben, dann ist Feuer auf dem Dach. Der deutsche Mittelstand ist nach über fünf Jahren Rot-Grün völlig ausgeblutet und steht mit dem Rücken zur Wand. Jetzt geraten
auch gestandene Firmen, die sich zum Teil jahrzehntelang im harten Wettbewerb bewährt haben, in den Abwärtssog. Seit Jahren sinkt die Eigenkapitalquote, die
jetzt bei nur noch 17 Prozent und bei kleineren Betrieben
bei sage und schreibe nur noch 6 Prozent liegt. Das ist
das Problem, das unsere Betriebe haben und das unsere
Wirtschaft hat, nicht die Handwerksordnung.
({7})
Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder
wäre gut beraten, den Mittelstand und das Handwerk so
ins Herz zu schließen, wie er das bei Holzmann, bei Babcock und bei Mobilcom getan hat. Beim Mittelstand
hätte er zumindest mehr Erfolg. Aber leider redet man
über den Mittelstand nur und tut für ihn zu guter Letzt
nichts.
Lassen Sie mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
auf die aktuelle Lage bei der Novellierung der Handwerksordnung eingehen. Dabei geht es um das Gesetz zu
den Ich-AGs und die große Novelle zur Handwerksordnung. Beide Gesetze müssen in einem engen Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Deshalb begrüße ich,
Herr Minister Clement, dass man bereit ist, die beiden
Gesetze, zum einen die Handwerksordnung und zum anderen das Kleinunternehmergesetz, zusammen im Vermittlungsausschuss zu beraten. Ich gehe davon aus, dass
hier vernünftige Grundlagen geschaffen werden, die dem
Handwerk das Leben nicht erschweren, sondern ihm das
Leben erleichtern, damit die Betriebe in Zukunft besser
über die Runden kommen.
Ich meine, dass gerade bei den Ich-AGs darauf verwiesen werden muss, dass sie bei weitem nicht das in
sich bergen, was vielfach behauptet wird. Herr Minister
Clement, ich prophezeie Ihnen, dass wir im kommenden
Jahr Tausende und Abertausende von Ich-AGs bekommen werden, aber ich prophezeie Ihnen in diesem Zusammenhang auch, dass sie in drei Jahren, wenn sie
staatlich nicht mehr subventioniert werden, wenn sie
Steuern zahlen müssen und verschiedene andere Belastungen wie die Normalbetriebe zu tragen haben, genauso
schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie
jetzt ins Leben gerufen werden.
({8})
Ich frage Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen:
Wie soll zum Beispiel ein Friseur- oder ein Steinmetzmeister animiert werden, mehr Lehrlinge auszubilden,
wenn er weiß, dass diese nach der Ausbildung als IchAGler seine größten Konkurrenten werden? Sie brauchen keine Meisterprüfung mehr, werden dafür aber
noch durch den Staat subventioniert.
({9})
Damit wird das Handwerksrecht systematisch durch die
Hintertür ausgehöhlt. Deshalb müssen die Ich-AGs auf
den Bereich der bisherigen Anlage B beschränkt werden.
Bei in Anlage A befindlichen Berufen darf es keine einfachen Tätigkeiten in Teilbereichen geben. Denn, Herr
Minister Clement: Wie wollen Sie diese Teilbereiche
überhaupt abgrenzen? Wie wollen Sie überprüfen, ob
solche Arbeiten, die in Zukunft nach drei Monaten ausgeführt werden dürfen, erlernt wurden und das Erlernte
ausreicht?
({10})
Zudem ist klarzustellen, dass die Gewerke des Handwerks nicht atomisiert werden dürfen. Es ist deshalb ein
Kumulationsverbot bei den einfachen Tätigkeiten erforderlich. Wenn die Position des Handwerks durch die
Ich-AG systematisch untergraben wird, dann ist die gesamte HwO-Novelle nur noch eine Farce. Unsere Devise
lautet immer: Nicht gegen, sondern mit dem Handwerk
wollen wir den modernen, dynamischen, zukunftstauglichen und europafesten Meister schaffen.
({11})
Ich möchte an dieser Stelle noch einige wenige wichtige Punkte ansprechen. Der Vorschlag der Bundesregierung, für eine Einstufung in die Anlage A nur das Kriterium „Gefahrengeneigtheit“ heranzuziehen, bedeutet
die Abschaffung des Meisterbriefs und das Ende seiner
einzigartigen Erfolgsgeschichte. Zudem wird einer der
bedeutendsten Ausbildungsmotoren unserer Wirtschaft
brutal abgewürgt und das duale System, um das uns die
ganze Welt beneidet, völlig an die Wand gefahren. Das
machen wir nicht mit.
({12})
Für die Union ist es deshalb unverzichtbar, weitere
Kriterien für die Einstufung der Gewerke in die
Anlage A zuzulassen. An erster Stelle sind hier zusätzlich die Ausbildungsleistung und der Schutz wichtiger
Gemeinschaftsgüter zu nennen. - Herr Kollege Brüderle,
ich bedanke mich, dass Ihre Ausführungen in die gleiche
Richtung gingen. - Nur damit ist das Handwerk auch
weiterhin noch in der Lage, die dringend benötigten
Ausbildungsplätze für unsere Jugendlichen anzubieten.
Wir dürfen doch nicht übersehen, dass das Handwerk
derzeit rund 527 000 jungen Menschen den Einstieg in
ihre berufliche Zukunft bietet. Das Handwerk ist der
Ausbildungsmotor Nummer eins in der Bundesrepublik
Deutschland. Dafür sollten wir dankbar sein. Wir sollten
aber nicht das Handwerk bestrafen.
({13})
Ich fordere Sie, verehrter Herr Bundesminister
Clement, und ebenso die Fraktionen von SPD und Grünen auf, im Interesse der Ausbildung unserer Jugend den
hier eingeschlagenen falschen Weg zu verlassen und umzukehren. Noch ist es nicht zu spät. Mit einem Kahlschlag bei den Meisterberufen, wie er bisher von RotGrün geplant ist, wird sich die wirtschaftliche Talfahrt
Deutschlands weiter beschleunigen. Wer glaubt, nach einer Zerstörung handwerklicher Strukturen werde es ein
höheres Wirtschaftswachstum geben, der ist völlig auf
dem Holzweg.
({14})
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, an
dem sich die Bundesregierung wirtschaftspolitisch gesehen verrennt. Es geht um die vorgesehene Sonderregelung für Altgesellen, die sich nach zehnjähriger Berufserfahrung und fünfjähriger Tätigkeit in herausgehobener,
verantwortlicher oder leitender Stellung auch ohne
Meisterbrief in Gewerken der Anlage A selbstständig
machen dürfen.
({15})
Im Interesse des Erhalts und des Ausbaus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Ausbildungsfähigkeit
der Handwerksbetriebe kann nicht auf die Forderung
verzichtet werden - das ist der entscheidende Punkt,
Herr Kollege Kuhn -, dass ein solcher Geselle, der die
Voraussetzungen erfüllt, wenigstens den Nachweis erbringen muss, dass er etwas von Ausbildung und von
Betriebsleitung versteht.
Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr.
Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzentwurf, eingebracht von der Bundesregierung, kann unter
keinen Umständen unsere Unterstützung finden.
({0})
Wir werden im Vermittlungsausschuss versuchen, dass
die Regierenden - momentan sind es die Roten und die
Grünen -, die in diesem Gremium sitzen, auf den Pfad
der Tugend zurückgeführt werden
Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihres Fraktionskollegen, der nach Ihnen noch spricht.
- und dass somit sichergestellt wird, dass sich das
Handwerk weiterhin behaupten kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir heute
über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers sprechen und dass gleichzeitig die zweite und dritte Lesung
der Novelle zur Handwerksordnung auf der Tagesordnung steht. Im Mittelpunkt muss dabei stehen: Was kann
die aufkeimenden konjunkturellen Besserungen unterChristian Lange ({0})
stützen und was nicht? Verehrter Herr Kollege Hinsken,
was das Handwerk noch mehr umtreibt als die Handwerksordnung, ist die Frage: Wie können wir die Binnenkonjunktur in Deutschland ankurbeln, damit es mehr
Aufträge für das Handwerk gibt?
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr
Hinsken, wenn Sie schon den Wirtschaftsinstituten nicht
glauben, dann sollten Sie zumindest dem Zentralverband
des Deutschen Handwerks glauben. Lassen Sie mich
deshalb eine Presseerklärung von Herrn Philipp vom
12. November 2003 zitieren. Er sagt:
Ein Scheitern der noch im parlamentarischen Entscheidungsprozess befindlichen Reformen hätte insofern katastrophale Folgen. Dies gilt insbesondere
für das Vorziehen der Steuerentlastungsstufe 2005
als ersten Schritt in eine grundlegende Steuerreform
mit weiteren Entlastungen und Vereinfachungen.
Ich sage Ihnen: Herr Philipp und das deutsche Handwerk haben Recht. Deswegen hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie hier ein klares Bekenntnis zum Vorziehen
der Steuerreform ablegen.
({2})
Deutschland ist zwar Exportweltmeister. Aber um die
Binnenkaufkraft zu stimulieren, müssen wir es erreichen, dass ein Familienvater mit zwei Kindern - der
Bundeskanzler hat dies in seiner Regierungserklärung
deutlich gemacht - erst ab einem Einkommen von
37 500 Euro den ersten Euro zu versteuern hat. Sie alle
wissen: Wenn wir über das Handwerk reden, dann sprechen wir über Personengesellschaften und damit über
Unternehmen, die nach dem Einkommensteuerrecht veranlagt werden. Sie warten darauf, dass sie erst ab einem
Einkommen von 37 500 Euro den ersten Euro versteuern
müssen. Das ist Politik für das Handwerk. Wir erwarten
von Ihnen, dass Sie dem zustimmen.
({3})
Sie nehmen zwar die Auffassungen der Institute nicht
zur Kenntnis; aber zumindest Folgendes muss ich Ihnen
vorhalten dürfen: Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung hat den Fokus auf das Handwerk gerichtet und festgestellt: Die Entwicklung der Unternehmensgründungen im Handwerk bleibt deutlich hinter
der Entwicklung der Unternehmensgründungen im
Nichthandwerk zurück. Dies gilt für alle hier betrachteten Wirtschaftszweige, unabhängig vom Technologiegrad und unabhängig davon, ob die Branchen der Industrie oder dem Dienstleistungssektor zuzurechnen
sind. Es ist kein Zufall, dass wir im Handwerk leider nur
eine Gründungsquote von 4 Prozent und in anderen Bereichen von 13 Prozent haben. Deshalb brauchen wir
mehr Luft und etwas mehr Freiheit in der Handwerksordnung. Unsere Novelle ist daher ein Beitrag zur Förderung des Handwerks in Deutschland und nicht das Gegenteil.
({4})
Damit bin ich beim Kern der Novelle zur Handwerksordnung, die wir heute in zweiter und dritter Lesung beschließen werden. Unser Ziel ist es, die Handwerksordnung zukunftssicher und europafest zu machen. Bei
diesem Punkt muss ich mich auch einmal der kleineren
Opposition zuwenden, verehrter Herr Kollege Brüderle.
Ich weiß nicht, ob Sie die Beschlusslagen in Ihren Landesverbänden oder gar die Ihres Parteivorsitzenden kennen. Ich will einmal mit der Beschlusslage in Hessen beginnen. Auf dem hessischen Landesparteitag wurde am
15. November dieses Jahres beschlossen:
Die FDP Hessen schätzt den Meisterbrief als Ausdruck hohen Ausbildungsstands und Qualität im
deutschen Handwerk. Dieses Qualitätsniveau ist so
hoch, dass es keiner wettbewerbshemmenden Vorschriften bedarf. Die FDP Hessen fordert deshalb
eine weitestmögliche Liberalisierung der deutschen
Handwerksordnung. Grundsätzlich abzuschaffen ist
der Zwang zum Meisterbrief für einen selbstständigen deutschen Handwerker, dessen in Deutschland
tätiger EU-Kollege den Meisterbrief nicht benötigt.
Genau in diese Richtung versuchen wir das Handwerk mitzunehmen und es europafest zu machen.
({5})
Denn wenn wir das nicht täten - das wissen Sie ganz genau -, wird der Europäische Gerichtshof beim Meisterbrief einen Strich durch die Rechnung machen. Das wollen wir nicht; denn er hat sich im Kern bewährt. Deshalb
brauchen wir eine Novelle zur Handwerksordnung.
({6})
Herr Kollege Lange, einen kleinen Augenblick bitte.
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Kollegen
Lange spricht noch ein Redner. Sie können Ihre Gespräche also durchaus noch in die Lobby vor dem Plenarsaal
verlegen. Dann könnten wir in Ruhe dem Herrn Lange
und dem Herrn Fuchs zuhören.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich hoffe, dass ich
trotz des Geräuschpegels durchdringe.
Herr Kollege Brüderle, ich will Ihnen noch ein zweites Zitat - aus Ihrer eigenen Fraktion - vorhalten, das
des Kollegen Westerwelle, der in seiner Positionsschrift
„Für die freie und faire Gesellschaft“ einen interessanten
Beitrag zum Handwerk geleistet hat. Darin schreibt er:
Es ist unfair, wenn jeder einen Laden aufmachen
kann, um Computer zu reparieren, aber derjenige,
der einen Laden aufmacht, um Schuhe herzustellen,
einen Meisterbrief braucht.
Christian Lange ({0})
Wenn das kein Widerspruch ist, dann fordere ich die
FDP-Fraktion auf, der Novelle der Handwerksordnung
zuzustimmen. Genau das ist unser Ansatz.
({1})
Der Meister wird übrigens in Zukunft nicht nur gestärkt, sondern er wird in Deutschland auch häufiger
vorkommen. Kern der Novelle der Handwerksordnung
ist es, den Meisterbrief als Qualitätssiegel Nummer eins
in Deutschland zu etablieren. Das ist das Ziel dieser Novellierung. Deshalb wird es in Deutschland durch diese
Novelle am Ende mehr Meister geben als je zuvor.
({2})
Wir werden dafür sorgen, dass nicht nur diejenigen,
die unter Anlage A der Handwerksordnung fallen, einen
Meisterbrief machen können, sondern auch all diejenigen, die unter Anlage B fallen und ihn heute nicht machen können. Der Verbraucher wartet darauf, ein Signal
dafür zu bekommen, wer gute und wer schlechte Arbeit
leistet. Genau das machen wir.
({3})
Deshalb wundere ich mich, dass Sie, Herr Kollege
Hinsken, den langjährigen Gesellinnen und Gesellen
ein solch starkes Misstrauen entgegenbringen. Verehrter
Herr Kollege Hinsken, Sie kennen offensichtlich die berufliche Praxis in Ihrem eigenen Laden nicht. Ich weiß
ja, dass Sie Bäckermeister sind.
Diejenigen, die eine mehr als 10-jährige Berufserfahrung haben - und das womöglich auch noch in herausgehobener Stellung - bilden das Rückgrat der kleinen
Handwerksbetriebe. Diesen wollen wir es ermöglichen,
dass sie, statt ein Leben lang Angestellte bleiben zu müssen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich
selbstständig machen können. Diese sind heute das
Rückgrat der Meisterbetriebe.
({4})
Diese sollen auch in Zukunft selbstständig sein können.
Ich glaube, auf diesem Gebiet brauchen wir in Deutschland dringend mehr Dynamik.
({5})
Deshalb ist es Sinn und Zweck unseres Gesetzentwurfes, von den ursprünglich 94 Handwerken in Zukunft nur
noch 29 der Anlage A zu unterwerfen. Das sind 414 300
Betriebe. 62 Prozent davon sind Handwerksbetriebe und
handwerksähnliche Betriebe. Diese werden auch zukünftig der Anlage A unterliegen.
Unserer sozialdemokratischen Fraktion ist die Qualität der Ausbildung ein ganz besonderes Anliegen. Sie
sind darauf eingegangen.
Herr Kollege Lange, der Herr Kollege Brüderle
würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Aber gerne. Der Kollege Brüderle immer.
Herr Kollege Lange, können Sie mir den Widerspruch
erklären, dass Sie beim Handwerk für Veränderungen
plädieren, aber strikt gegen Öffnungsklauseln in der
Tarifpolitik sind? Es bedeutet auch ein Stück Freiheit,
wenn die Mitarbeiter im Betrieb über die Rahmenregelungen entscheiden dürfen. Denen verweigern Sie diese
Freiheit. Können Sie das erklären?
Herr Kollege Brüderle, Ihre Frage zeugt davon, dass
Sie die betriebliche Wirklichkeit in Deutschland nicht
kennen.
({0})
Ich sage Ihnen: Mein Bundesland Baden-Württemberg - und allen voran die IG-Metall - sorgt dafür, dass
wir für jedes betriebliche Problem eine passgenaue Lösung finden.
({1})
Deswegen sage ich Ihnen: Wer für immer weniger
Staat sorgen will, der muss bitte schön zur Kenntnis nehmen, dass die Tarifautonomie Deutschland stark gemacht hat. Sie ist staatsfrei und muss diesen Status auch
in Zukunft behalten. Sie ist ein Erfolgsrezept für die
deutsche Wirtschaft.
({2})
Ich war beim Thema Ausbildung stehen geblieben.
Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten liegt
die Qualität der Ausbildung ganz besonders am Herzen.
({3})
Deshalb ist mir wichtig, in dieser Debatte zu sagen, dass
durch die Novellierung der Handwerksordnung an der
Qualität der Ausbildung nicht gerüttelt wird.
({4})
Das ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Qualität der Ausbildung im Handwerk durch das Berufsbildungsgesetz sichergestellt wird. Wir - das wissen Sie genau - ändern an § 76 des Berufsbildungsgesetzes, der die
Voraussetzungen für die Berechtigung zur Ausbildung
festlegt, nichts. Wir haben das auch nicht vor. Deshalb
stellen Sie bitte schön Ihre Propaganda ein. Denn die
Ausbildungsbetriebe im Handwerk werden nicht durch
den Gesetzentwurf verunsichert, sondern durch Ihr GeChristian Lange ({5})
rede wider besseres Wissen. Ich bitte Sie in unserem gemeinsamen Interesse, damit endlich aufzuhören.
({6})
Ich sage dies auch deshalb, weil wir es in Bezug auf
die Ausbildung in den nächsten drei bis fünf Jahren mit
geburtenstarken Jahrgängen zu tun haben werden. Danach wird die Welt anders aussehen; das wissen Sie. Die
Betriebe werden um jeden Auszubildenden froh sein,
weil diese dafür sorgen können, dass der Betrieb weiterhin bestehen bleibt.
({7})
Auszubildende sind also ein wichtiger wirtschaftlicher
Vorteil für jedes Unternehmen. Deshalb bitte ich Sie,
Ihre Propaganda einzustellen. Sie ist weder im Interesse
der Jugendlichen in Deutschland, noch der Unternehmerinnen und Unternehmer.
({8})
Zum Schluss möchte ich, Herr Kollege Hinsken, das
Thema Ich-AG aufgreifen. Ich wundere mich sehr, auf
welche Weise Sie versuchen, die Kleinunternehmer in
unserem Land zu diffamieren.
({9})
Die meisten Unternehmer in Deutschland haben klein
angefangen. Darüber, dass diejenigen, die aus der Langzeitarbeitslosigkeit herauskommen wollen, es ganz besonders schwer haben, brauchen wir uns doch wohl nicht
zu unterhalten. Sie aber äußern sich über diese Menschen schlecht. In den Redebeiträgen heute war das nicht
der Fall, aber ich erinnere mich an Ihre Veranstaltung
unweit von hier. Auf dieser Veranstaltung haben Sie diejenigen, die eine Ich-AG gegründet haben, als Unternehmerproletariat bezeichnet. Diese Menschen haben all ihren Mut zusammennehmen müssen und Unterstützung
erfahren, um ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu
können. Solche Sprüche sind schon happig.
({10})
Ich bin mir nicht sicher, ob Ludwig Erhard eine solche
Position seiner Partei unterstützt hätte. Ludwig Erhard
würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen
würde, wie Sie mit Leuten umgehen, die den Mut aufbringen, sich selbstständig zu machen.
({11})
Ich komme zum Schluss. Wir werden mit der so genannten kleinen Handwerksnovelle sicherstellen, dass
die Ich-AG auf einem guten Weg ist. Wir werden dafür
sorgen - ich greife auf, was Sie zu den anstehenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gesagt haben -,
dass wir bei der großen Novelle zu einem Kompromiss
kommen. Dabei haben wir immer fest im Auge, dass wir
mehr Wachstum und mehr Dynamik in der deutschen
Wirtschaft brauchen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die heutige Debatte über den Haushalt für Wirtschaft und Arbeit kann man so zusammenfassen: Der
Haushalt ist genauso katastrophal wie die Arbeitslosenzahlen, die Sie mit Ihren Haushalten, Herr Bundesminister, produziert haben.
({0})
Herr Bundesminister, lieber Herr Clement, in vielen
Bereichen wollten Sie Besseres erreichen - das wissen
wir -, man hat Sie nur nicht gelassen. Das haben Sie
eben in Ihrer Rede dadurch deutlich gemacht, dass Sie
mehrmals den Oppositionspolitiker Kuhn erwähnt haben. Man sieht, wo die wahre Opposition gegen Ihre
Ideen ist. Aber auch das, was Ihre Partei seit einiger Zeit
mit Ihnen macht, finde ich nicht besonders nett. Der
Juso-Vorsitzende Annen zum Beispiel hat Sie als Superankündigungsminister bezeichnet.
Am 7. November 2002 haben Sie gesagt: Es ist das
erste große Gesetz, - es ging um Hartz I und Hartz II -,
das zu tief greifender Strukturveränderung des Arbeitsmarktes in Deutschland führen wird. Ich muss Sie fragen: Wo sind denn die tief greifenden Strukturveränderungen? Was hat sich denn verändert? Was mussten wir
in diesem Jahr alles erleben: Die Arbeitslosenzahlen
steigen in die Höhe. Der Haushaltsentwurf für das
Jahr 2004 wird mit Sicherheit nicht einzuhalten sein. Sie
haben 13,4 Milliarden Euro für die Arbeitslosenhilfe
eingeplant. Diesen Betrag werden Sie wie schon in diesem Jahr auch im nächsten Jahr überschreiten. Es sollte
2003 keinen Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit geben, jetzt wird er bei 8 Milliarden Euro liegen.
Das wird auch im nächsten Jahr so sein.
Von einer Belebung des Arbeitsmarktes können wir
nicht mehr sprechen. Die Beschäftigungsschwelle liegt
nach wie vor bei über 2 Prozent Wachstum. Es wird also
keine Bewegung in den Arbeitsmarkt kommen, schließlich wird das Wachstum, wie Sie selbst sagen, bei
1,7 Prozent liegen.
Die Situation bei der Entwicklung der Arbeitsplätze
ist ziemlich dramatisch. Die Präsidentin hat mir acht Minuten Redezeit zugestanden. In diesen acht Minuten gehen in Deutschland acht Arbeitsplätze verloren, pro Minute einer. Das ist der Erfolg Ihrer Politik.
({1})
Und was macht Ihre Partei, Herr Clement? Fundamental
wichtige Reformen am Arbeitsmarkt, wie die Eröffnung
der Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit oder
ausreichende Änderungen beim Kündigungsschutz, werden von den gewerkschaftshörigen Traditions- und Verhinderungsbataillonen bis zum heutigen Tag blockiert.
({2})
Deswegen werden wir nicht mitmachen, falls Sie nur die
Steuerreform durchführen wollen. Nein, gerade auf dem
Arbeitsmarkt müssen Sie Veränderungen schaffen.
({3})
Permanente Ankündigungen gibt es auch beim
Thema Bürokratieabbau, das Sie als Erfolgsstory vorhin ein wenig katalogisiert haben. Ich bin etwas tiefer hineingegangen. Bei der Arbeitsstättenverordnung haben
Sie beispielsweise etwas getan, jawohl. Sie haben 58 Paragraphen auf zehn reduziert. Trickreich, wie Sie sind,
haben Sie den Inhalt dieser 58 Paragraphen anschließend
aber ganz einfach in Verordnungen hinübergeschoben.
Es hat sich also gar nichts verändert.
({4})
Daneben wollen Sie einen Ausschuss für Arbeitsstätten aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften,
der Länder und noch weiteren Personen bilden. Wir haben ja noch nicht genug Ausschüsse in diesem Lande!
Dieser soll Regeln für Arbeitsstätten aufstellen. Schaffen
wir so Bürokratie ab oder bauen wir neue auf? Nichts anderes, als neue aufzubauen, tun wir.
({5})
Meine Damen und Herren, ich muss noch einmal auf
die Sparquote in Deutschland zu sprechen kommen.
Wir haben in unserem Land eine nie gekannte Privatsparquote. Sie ist von 2000 bis 2003 von 9,8 Prozent auf
11,0 Prozent gestiegen. Zum Vergleich sollte man sich
die letzte Legislaturperiode unter Kohl anschauen; Sie
tun das sonst immer besonders gerne. Von 1992 bis 1998
ist die Sparquote von 13 Prozent auf 10,3 Prozent gesunken. Wissen Sie, warum das so war? Das war so, weil die
Menschen damals noch Zutrauen in die Regierung hatten,
({6})
weil sie gewusst haben, dass etwas passiert und dass sie
ihr Geld ausgeben konnten, ohne Angst haben zu müssen.
({7})
Ich will Ihnen das belegen. Ich kann jeden Bürger,
jede Bürgerin, jeden Unternehmer und jede Unternehmerin verstehen, wenn nicht investiert und kein Geld ausgegeben wird. Schauen wir uns - ich mache es mir jetzt
ganz einfach - nur die letzten vier Wochen an:
In der 43. Woche sagte Herr Eichel: Die Renten müssen besteuert werden. In der 44. Woche sagte Herr
Schily: Auch bei Beamten wird es zu Rentenkürzungen
in Form von erhöhten Pflegebeiträgen kommen. In der
44. Woche sagte Herr Eichel: Die Mehrwertsteuer muss
erhöht werden, falls die Union im Bundesrat blockiert.
In der 45. Woche beschloss die Regierungskoalition,
Rentenkürzungen in Form einer Nullrunde verbunden
mit der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge vorzunehmen. In der 46. Woche beschloss die SPD-Fraktion, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen. In der
47. Woche sagte die Linke der SPD: Die Erbschaftsteuer
muss erhöht und die Vermögensteuer wieder eingeführt
werden. In der 48. Woche waren dann die Stromversorger an der Reihe. In dieser Woche haben wir von Frau
Caspers-Merk gehört, dass die Alkopopsteuer erhöht
werden muss. Auch Herr Trittin hat sich in dieser Woche
mal wieder geäußert, und zwar zur Vermögensteuer. Das
waren die letzten vier Wochen. In diesen gab es nur Debatten und Informationen über Steuererhöhungen.
Glauben Sie, dass dabei noch irgendeiner investiert? Das
ist der Grund, weshalb wir kaum noch Wachstum haben.
({8})
Sie können heilfroh sein, dass im nächsten Jahr vier
Feiertage wegfallen; denn allein dadurch wird das
Wachstum um 0,6 Prozent steigen. Nebenbei bemerkt:
Das ist eine ganz interessante Information. Diese vier
wegfallenden Feiertage führen aufgrund der Mehrarbeit
zu mehr Wachstum. Das heißt, wenn wir in Deutschland
mehr arbeiten, dann wächst die Wirtschaft auch wieder.
Also sollten wir umdenken und das Ganze umstellen.
Das ist natürlich eine Forderung an die Gewerkschaften,
die sich bei solchen Gedanken abwenden. Das kennen
wir von Herrn Brandner. Wir müssen in Deutschland
wieder mehr arbeiten. Ohne diese Mehrarbeit kommen
wir nicht aus der Krise heraus. Das sollten wir sehr deutlich machen.
Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass ich
Unternehmer bin. Wenn mein Geschäftsführer Schröder
und mein Oberbuchhalter Eichel in meinem Unternehmen einen Jahreswirtschaftsplan - ein Budget -, der so
aussähe wie der vorliegende Haushaltsplan, aufgestellt
und ihn mir vorgelegt hätten, dann hätte ich die beiden
sofort entlassen.
({9})
Dem will ich nur noch hinzufügen: Ich hätte sie gar nicht
erst eingestellt.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Für eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung gebe ich dem Kollegen Laumann das
Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Nach § 31 unserer Geschäftsordnung erkläre ich
zugleich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
zu unserem Abstimmungsverhalten zum Antrag der FDP
auf Drucksache 15/2088 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit Folgendes:
Die von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgesehenen Festlegungen für eine Anschlussregelung zur Förderung der Steinkohle sind weder im Verfahren noch in der Höhe akzeptabel. Für die festgelegte
Größenordnung der Anschlussregelung hat es weder die
notwendige parlamentarische Beratung gegeben,
({0})
noch liegen die Finanzierungszusagen der betroffenen
Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Saarland in den
angegebenen Größenordnungen vor. Wir lehnen diese
Festlegungen ab und stimmen daher dem Änderungsantrag der FDP zu.
({1})
Zugleich weisen wir darauf hin,
({2})
dass wir selbstverständlich eine Anschlussregelung für
die Förderung der Steinkohle nach Auslaufen der derzeitigen Regelung 2005 für notwendig halten und unterstützen.
({3})
- Hören Sie doch einmal zu!
Herr Kollege Laumann, Sie geben eine persönliche
Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ab. Sie
sollten sich an eine persönliche Erklärung zur Abstimmung halten.
Genau das ist es. Es ist eine Anschlussregelung notwendig, mit der die bisherige Degressionslinie der Förderung der Steinkohle in den letzten Jahren auch für einen nächsten überschaubaren Zeitraum festgelegt wird.
Schönen Dank.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan
09, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, in der
Ausschussfassung. Dazu liegen persönliche Erklärungen
von 36 Abgeordneten vor.1)
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 15/2088 vor, über den wir zuerst abstim-
men. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Ab-
stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die
1) Anlage 2
Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ich mache darauf aufmerksam, dass nach der namentlichen Abstimmung noch weitere Abstimmungen zu tätigen sind und dass die Kolleginnen und Kollegen zu diesen Abstimmungen dableiben mögen.
- Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plätze wieder einzunehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 15/1206. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2083, den
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
15/2085. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und bei Zustimmung der FDP abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Arbeit auf Drucksache 15/2083. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die
Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 15/1107 mit dem Titel „Handwerk mit Zukunft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1108 mit dem Titel
„Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunftsfest machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der CDU/CSU
angenommen.
Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vorliegt.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Zunächst einmal gebe ich zu Protokoll, dass die Ab-
geordneten Bahr, Kauch und Löning eine Erklärung zur
Abstimmung zu Tagesordnungspunkt I.12, zum Dritten
Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung, abgege-
ben haben, wonach sie sich der Stimme enthalten ha-
ben.1)
Ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen 588. Mit Ja
haben gestimmt 286, mit Nein haben gestimmt 302, es
gab keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag der Frak-
tion der FDP ist somit abgelehnt.
1) Anlage 3
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 588;
davon
ja: 286
nein: 302
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Otto Bernhardt
Prof. Dr. Rolf Bietmann
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Prof. Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({1})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({2})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({3})
Peter H. Carstensen
({4})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({5})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({6})
Dirk Fischer ({7})
Axel E. Fischer ({8})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({9})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Peter Götz
Ute Granold
Kurt-Dieter Grill
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Prof. Dr. Egon Jüttner
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({10})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({11})
Manfred Kolbe
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({12})
Dr. Karl A. Lamers
({13})
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({14})
Dr. Klaus W. Lippold
({15})
Patricia Lips
Dorothee Mantel
Stephan Mayer ({16})
Conny Mayer ({17})
Dr. Martin Mayer
({18})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({19})
Doris Meyer ({20})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Marlene Mortler
Stefan Müller ({21})
Bernward Müller ({22})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({23})
Michaela Noll
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({24})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Prof. Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({25})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({26})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({27})
Andreas Schmidt ({28})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({29})
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({30})
Gerald Weiß ({31})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({32})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({33})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich ({34})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({35})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann
({36})
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({37})
Eberhard Otto ({38})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslose Abgeordnete
Martin Hohmann
Nein
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({39})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({40})
Klaus Barthel ({41})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({42})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({43})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({44})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({45})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({46})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({47})
Bettina Hagedorn
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({48})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gisela Hilbrecht
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({49})
Walter Hoffmann
({50})
Frank Hofmann ({51})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler ({52})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({53})
Christine Lehder
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({54})
Christian Müller ({55})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({56})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Heinz Paula
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({57})
Michael Roth ({58})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({59})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({60})
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer
({61})
Ulla Schmidt ({62})
Silvia Schmidt ({63})
Dagmar Schmidt ({64})
Wilhelm Schmidt ({65})
Heinz Schmitt ({66})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Brigitte Schulte ({67})
Reinhard Schultz
({68})
Swen Schulz ({69})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({70})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({71})
Petra Weis
Matthias Weisheit
Prof. Gert Weisskirchen
({72})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({73})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({74})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({75})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({76})
Volker Beck ({77})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Dr. Uschi Eid
Joseph Fischer ({78})
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Renate Künast
Undine Kurth ({79})
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({80})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({81})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({82})
Werner Schulz ({83})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Hans-Christian Ströbele
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({84})
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den
Einzelplan 09 in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP und gegen die Stimme des Abgeordneten Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen, angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I.13 auf:
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung
- Drucksachen 15/1913, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Waltraud Lehn
Anja Hajduk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Dr. Michael Luther.
({85})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe am Wochenende mit meiner Frau darüber gesprochen, dass ich heute zum Einzelplan 15 reden
werde.
({0})
Ich habe sie gefragt, was sie zum Inhalt dieses Einzelplans sagen würde.
({1})
Sie hat geantwortet: Wenn es sich nicht lohnt, darüber zu
reden, weil der Haushalt in sich nicht stimmig ist, dann
sag das doch bitte auch so.
({2})
Ich denke, meine Frau hat Recht:
({3})
Es lohnt sich nicht, über den Haushalt zu reden, weil der
Haushalt eigentlich das Papier nicht wert ist, auf dem er
steht.
({4})
In einem Haushalt sind normalerweise die zu erwartenden Soll-Einnahmen und -Ausgaben aufgeführt. Der
Haushalt 2004 aber enthält Wunschzahlen, die mit der
Realität wenig zu tun haben.
({5})
Ich will Ihnen gern an dem Beispiel des Einzelplan 15
aufzeigen, warum das so ist. In diesem Einzelplan ist eine
globale Minderausgabe in Höhe von 157,7 Millionen
Euro ausgewiesen. Ich frage Sie, Frau Ministerin und
Frau Lehn als Hauptberichterstatterin: Wie sollen diese
157,7 Millionen Euro aufgelöst werden?
({6})
Das scheint auf den ersten Blick kein Problem zu
sein. Denn gemessen am gesamten Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung,
der 83,65 Milliarden Euro umfasst, entsprechen die
157,7 Millionen Euro einem Anteil von lediglich
0,19 Prozent. Das aufzulösen scheint einfach zu sein.
({7})
Aber vielleicht sollte man einen genaueren Blick auf
die Struktur des Haushaltes werfen. Ich beginne bei dem
größten Posten, dem Kap. 15/13 - Sozialversicherung mit einem Volumen von 79,1 Milliarden Euro. Hierbei
handelt es sich im Wesentlichen um die Zuschüsse an die
Rentenkasse und zukünftig auch an die Krankenkassen.
Die Titelausgaben in diesem großen Kapitel stehen im
Wesentlichen fest, sodass mir die Auflösung einer globalen Minderausgabe an dieser Stelle nicht möglich erscheint.
Im Gegenteil: Gerade bei diesem Kapitel bestehen erhebliche Haushaltsrisiken. Bei Umsetzung der politischen Zielsetzung eines Rentenbeitragssatzes von 19,5
Prozent fehlen den Rentenkassen 2004 8 Milliarden
Euro. Zur Gegenfinanzierung soll wieder einmal - zum
dritten Mal in Folge - auf die Schwankungsreserve zurückgegriffen werden, die nun auf einen Zielwert von
20 Prozent der Monatsausgabe einer Rentenzahlung gesenkt wird.
({8})
Ein Blick auf den unterjährigen Schwankungsverlauf
für dieses Jahr zeigt, dass eine Spannbreite von ungefähr
20 Prozent benötigt wird. Der Bestand der Rentenkassen
sinkt damit wahrscheinlich im nächsten Jahr auf null.
Damit besteht die große Gefahr - das gilt schon für den
Bundeshaushalt 2004 -, dass der Haushalt dafür einspringen muss. Dafür ist aber keine Vorsorge getroffen.
({9})
Die Gefahr, dass das passiert, ist real, schon weil Sie
bei dieser Rechnung von einem Wirtschaftswachstum
von 1,7 Prozent und 4,3 Millionen Arbeitslosen im
nächsten Jahr ausgehen. Der Sachverständigenrat des
Bundeswirtschaftsministers hat aber schon zu diesem
Zeitpunkt festgestellt, dass nur mit einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent bei einer größeren Zahl von
Arbeitslosen, nämlich 4,4 Millionen, zu rechnen ist.
Aus diesem Grund werden die im Haushalt 2004 zur
Verfügung stehenden Mittel wahrscheinlich nicht ausreichen, sodass die Bundesgarantie greifen muss. Deshalb
meine ich, dass das Kap. 15/13 das Papier, auf dem die
Zahlen stehen, nicht wert ist. Eine globale Minderausgabe ist an dieser Stelle nicht aufzulösen.
({10})
Im Übrigen ist Folgendes interessant - das will ich an
dieser Stelle erwähnen -: Das Haushaltsbegleitgesetz,
das zurzeit dem Bundesrat zur Beratung vorliegt, enthält
die Vorschrift, dass der Bundeszuschuss um
2 Milliarden Euro gesenkt wird.
({11})
Ich frage mich, was passiert, wenn der Bundesrat
({12})
dem Wunsch von Rot-Grün folgt.
Im Übrigen fand ich es im Verlauf dieses Jahres spannend, dass die Abgeordnete Ulla Schmidt, ihres Zeichens auch Bundesministerin, noch an dem bewussten
Freitag namentlich der Senkung zugestimmt, aber am
darauf folgenden Montag in der Klausurtagung dagegen
gearbeitet hat. Wissen Sie überhaupt, was Sie wollen?
({13})
Ich komme zum nächsten großen Haushaltskapitel,
Kriegsopferfürsorge, das ein Volumen von 3,4 Milliarden Euro aufweist. Ich habe in den letzten Jahren erlebt,
dass Sie dieses Kapitel immer als Sparbüchse benutzen,
in der Regel mit dem Argument, alle Titel in diesem Kapitel seien gegenseitig deckungsfähig, weswegen es
nicht so schlimm sei, wenn ein Titel, anders als geplant,
überschritten werde. Im Jahre 2002 führte dies zu dem
Ergebnis, dass ein Haushaltstitel um 61 Millionen Euro
überschritten worden ist.
({14})
Sie haben dann aber im letzten Jahr, um die Pockenimpfstoffe zu finanzieren, aus diesem Kapitel einfach einmal
13 Millionen Euro herausgekürzt, was irgendwie ging
und nicht weiter auffiel.
({15})
Das Volumen dieses Kapitels ist relativ groß. Was
sind da schon 13 Millionen Euro? Im Jahre 2003 und
vermutlich auch im Jahre 2004 werden die wesentlich zu
niedrigen Ansätze nicht ausreichen, sodass es hier zu
überplanmäßigen Ausgaben kommen wird. Aus diesem
Grunde kann man auch an dieser Stelle keine globale
Mehrausgabe auflösen.
Dieses Beispiel für den Umgang mit dem Haushalt
macht sehr deutlich, dass Rot-Grün etwas unter Realitätsverlust leidet.
({16})
Der Haushaltsplan ist nichts weiter als eine Wunschvorstellung von Rot-Grün. Dies lässt sich im Hinblick auf
den gesamten Haushalt damit dokumentieren, dass Sie
noch im Frühjahr 2003 einen Haushalt mit einer Neuverschuldung von 18,9 Milliarden Euro aufgestellt haben.
Ein halbes Jahr später müssen wir feststellen, dass Sie
sich um 24,5 Milliarden Euro verschätzt haben.
({17})
Wer so Haushaltspolitik betreibt, dem braucht man
nichts zu glauben.
({18})
Unter diesen Umständen war der Haushaltsentwurf für
das Jahr 2003 nichts wert. Genauso ist es mit dem Haushaltsentwurf für 2004; auch er wird nichts wert sein.
({19})
- Das Schöne dabei ist, dass meine Frau im Gegensatz
zu Ihnen das, was ich hier sage, versteht. Sie sagt auch,
dass man das so nicht machen kann.
({20})
Auch bei diesem Kapitel wird es also schwierig sein,
eine globale Minderausgabe seriös aufzulösen.
Zum Bundesministerium gehört noch eine Reihe von
Instituten: das BfArM, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Paul-Ehrlich-Institut, das
Robert-Koch-Institut, das DIMDI, das Bundesversicherungsamt und das Bundessozialgericht. Das Budget
dieser Institute beträgt insgesamt 206 Millionen Euro.
Ich warne nachdrücklich davor, hier eine globale Minderausgabe auflösen zu wollen. Das RKI hat eine große
Verantwortung für die Krankheitskontrolle und Gesundheitsprävention in Deutschland. Wir haben den Instituten, auch dem RKI, in den letzten Jahren immer wieder
neue Aufgaben übertragen, ohne dies adäquat mit Personal zu untersetzen. Im Gegenteil, sie müssen wie alle
Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung Personal abspecken.
So können wir nicht weiter verfahren. Wir müssen
- dies richte ich an alle Fachpolitiker im Hause - im
Sinne einer Aufgabenkritik darüber nachdenken, welche
weniger wichtigen Aufgaben den Instituten weggenommen werden können, damit sie die Aufgaben, die bei ihnen verbleiben, im Interesse unseres Landes gut erfüllen
können. Man kann zum Beispiel beim BfArM und beim
Paul-Ehrlich-Institut darüber nachdenken, wie man
eine bessere Gebührenfinanzierung und eine selbstständige Finanzverantwortung hinbekommt. Dafür gibt es in
Deutschland mittlerweile genügend gute Beispiele. Dies
bedarf allerdings sicherlich einer längerfristigen Konzeption und entsprechender gesetzlicher Grundlagen, die
erst noch zu schaffen sind. Was aber den Haushalt 2004
angeht, so sind die Bedingungen geschaffen. Das Geld,
das in den Haushalt eingestellt wird, brauchen die Institute tatsächlich. Auch hier halte ich es für unmöglich,
eine globale Minderausgabe aufzulösen.
({21})
Ich komme nun zu den Kapiteln 15 01 und 15 02.
Hier fallen mir allerdings einige Einsparvorschläge ein,
({22})
Beispiel Öffentlichkeitsarbeit: Im Vergleich zum Haushaltstitel im Jahr 2003 werden die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit im Jahr 2004 um 21 Prozent aufgestockt.
Ich meine, dass hier ein schrödersches Politikprinzip
sichtbar wird: Je schlechter die Politik, desto mehr Öffentlichkeitsarbeit!
({23})
Frau Schmidt, halten Sie die Menschen eigentlich für
dumm? Sie sollten lieber gute Politik machen. Dann
können die Menschen selber erkennen, was ihnen die
Politik in ihrem täglichen Leben bringt, und dann können Sie die Öffentlichkeitsarbeit getrost den Medien
überlassen, die das, was wir hier tun, intensiv begleiten.
({24})
Nach meiner Meinung kann man sich auch den geplanten Neubau in Bonn ersparen. Die Begründung lautet nämlich - hören Sie einmal aufmerksam zu - : Er ist
nötig, weil der Büroraum in Bonn nach dem Umzug
nach Berlin nicht mehr ausreicht.
({25})
Wenn es in Zeiten knapper Kassen gelingen würde, den
Büroraum in Berlin effektiver zu nutzen, dann könnte
man sich - erstens - den Neubau ersparen und würde zweitens - im Titel Dienstreisen, der in Folge des DopDr. Michael Luther
pelstandorts des Ministeriums in Bonn und Berlin ständig anwächst, etwas einsparen.
({26})
Einsparen kann die Ministerin ebenfalls bei den Modellprojekten. Wozu braucht Deutschland Erkenntnisse
über die „Wirkungskontrolle im Rahmen der Armut- und
Reichtumsberichterstattung“ oder über die „soziale Ausgrenzung im internationalen Kontext“? Das ist mir im
Berichterstattergespräch nicht deutlich geworden.
({27})
Ich meine, dass man in Zeiten knapper Kassen bei ein
paar solcher Modellprojekte einsparen kann.
({28})
In den Kapiteln 15 01 und 15 02 sind, wie gesagt, große
Einsparpotenziale vorhanden. Bei einem Gesamtvolumen
von 755 Millionen Euro muss aber berücksichtigt werden,
dass gesetzliche Leistungen, wie die Erstattung von
Fahrgeldausfällen gemäß §§ 145 ff. SGB IX in Höhe
von 220 Millionen Euro oder die vertraglich gebundenen
Pflegeeinrichtungsinvestitionen in Höhe von 221 Millionen Euro, fest gebunden sind. Bei dem jetzt noch nicht
weiter spezifizierten Teil von 314 Millionen Euro können vor diesem Hintergrund vielleicht 10 Prozent, möglicherweise sogar 20 Prozent, nicht aber 157 Millionen
Euro eingespart werden.
({29})
- Meine Frau kann offensichtlich besser rechnen als Sie.
({30})
- Frau Lehn, ich finde es interessant, dass Sie soeben
dem Satz zugestimmt haben: Meine Frau kann besser
rechnen als Sie.
({31})
- Nein, meine Frau.
({32})
Das, was ich vorgerechnet habe, ist beeindruckend
und zeigt, wie die Haushaltssituation tatsächlich ist.
Ich stelle fest: Nicht nur der Einzelplan 15, sondern
der gesamte Bundeshaushalt 2004 ist nicht in Ordnung.
Dafür ist die rot-grüne Politik der letzten fünf Jahre verantwortlich zu machen. Wir brauchen grundsätzliche
Strukturreformen in diesem Land; das ist klar. Die
CDU und die CSU werden die Strukturreformen - über
einen Teil dieser Reformen wurde ja bereits heute verhandelt - im Bundesrat nicht blockieren. Wir werden
vielmehr das beschließen, was das Beste für Deutschland ist.
({33})
Noch besser wäre natürlich ein Regierungswechsel. Bevor jedenfalls die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses nicht vorliegen, brauchen wir über den Haushalt
2004 eigentlich gar nicht zu reden. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt nämlich unseriös.
Ich komme zum Schluss. Die Aufstellung des Einzelplans 15 ist unseriös. Dieser Einzelplan ist das Papier,
auf dem er steht, nicht wert; deswegen hat meine Frau
Recht, wenn sie der Auffassung ist, es lohne sich nicht,
darüber zu reden.
({34})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Luther, ich stimme Ihrer Rede in einem Punkt voll
und ganz zu: Frauen sind in der Tat gute Rechnerinnen
und für die Stabilisierung vieler Männer unverzichtbar.
({0})
Ich glaube, damit sind die Gemeinsamkeiten zwischen
uns aber weitgehend erschöpft.
({1})
Der Haushalt 2004 des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung ist vor dem Hintergrund
schwieriger sozialpolitischer Entscheidungen beraten
worden. Gleich vorweg: Das Ergebnis kann sich sehen
lassen. Selten wurde ein Ergebnis so schnell, so effizient
und unter dem Strich so sozial ausgewogen präsentiert.
({2})
Mit einem Gesamtvolumen von gut 83 Milliarden
Euro ist dieser Einzelplan der mit Abstand größte Haushalt. Wir geben für keinen anderen Bereich so viel Geld
aus wie für die Sicherung der Renten;
({3})
dies macht allein 78 Milliarden Euro aus.
({4})
Das ist bei den so genannten Fremdleistungen, beispielsweise bei der Anerkennung von Erziehungszeiten
in der Rentenversicherung, politisch gewollt. Unter anderem dafür haben wir die Ökosteuer eingeführt.
({5})
Man stelle sich nur einmal vor, wo der Rentenversicherungsbeitrag heute ohne die 54 Milliarden Euro, die seit
der Einführung der Ökosteuer in die Rentenversicherung
geflossen sind, stehen würde.
({6})
Aber es gibt auch einen Zuwachs bei Kap. 15 13, also
bei der Rentenversicherung, der ungewollt ist. Drei Jahre
Wachstumsschwäche haben die Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung auf das Äußerste angespannt. So besteht allein für 2004 ein rechnerisches Defizit von rund 8 Milliarden Euro.
({7})
Das ist vor allem auf erhebliche Beitragsausfälle aufgrund der übergroßen Arbeitslosigkeit zurückzuführen.
Wir standen vor der schwierigen Aufgabe, den Anstieg
der Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und
der Arbeitgeber auf über 20 Prozent zu verhindern; denn
dies hätte die dringend benötigte Konjunkturbelebung in
Deutschland erschwert. Es musste also ein Weg gefunden werden, mit dem man die langfristigen Finanzprobleme der Rentenversicherung in den Griff bekommt,
ohne dass die arbeitenden Menschen in Deutschland mit
immer mehr Abgaben belastet werden.
Wir arbeiten zurzeit in einem ungeheuren Kraftakt
darauf hin, die letzte Stufe der Steuerreform auf den Beginn des Jahres 2004 vorzuziehen, damit mehr Geld in
die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
fließt.
({8})
Zu diesem Vorziehen wird es allerdings nur dann kommen, wenn sich auch die rechte Seite dieses Hauses dazu
durchringen kann, diesen Schritt im Interesse der Wirtschaft und im Interesse der Menschen dieses Landes zu
unterstützen.
({9})
Es wäre in einer solchen Situation fatal, wenn das ganze
zusätzliche Geld durch den Anstieg der Sozialausgaben
gleich wieder einkassiert würde. Das würde keinen Sinn
machen und deswegen darf es nicht so weit kommen.
Um die Alterssicherung zu stabilisieren, braucht die
Rentenversicherung ein finanzierbares Fundament.
({10})
Gleichzeitig muss der Grundsatz der Generationengerechtigkeit gewahrt bleiben: Wir dürfen weder die Jungen noch die Alten übermäßig belasten.
Um dem Rechnung zu tragen, haben wir - auch das
will ich in Erinnerung rufen - mit der Einführung der
Riester-Rente eine strukturelle Veränderung vorgenommen
({11})
und wir werden den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Der
Bundeszuschuss zur Rentenversicherung sollte ursprünglich - darauf hat Herr Luther hingewiesen - um 2 Milliarden Euro gekürzt werden. Tatsächlich haben wir die
Leistungen für die Rentenversicherung mittlerweile um
1,5 Milliarden Euro auf dann insgesamt 77,85 Milliarden
Euro erhöht.
Warum hat es diese Änderung gegeben? - Die Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung sind seit
1992 um rund 90 Milliarden Euro und damit um mehr
als 60 Prozent gestiegen. Nun wäre das nicht besonders
besorgniserregend, wenn in der gleichen Zeit die Einnahmen in gleicher Weise gewachsen wären. Das ist aber
nicht der Fall.
({12})
Um diese Lücke zwischen den Einnahmen auf der einen Seite und den Ausgaben auf der anderen Seite nicht
nur durch höhere Beiträge zu schließen, hat der Bund die
fehlenden Mittel aus Steuergeldern bereitgestellt. In den
letzten elf Jahren sind die dadurch entstandenen zusätzlichen Belastungen für den Bund ständig gestiegen. Der
Bundesanteil an den Rentenausgaben, der 1992 noch
bei etwa 20 Prozent gelegen hat, beträgt heute nahezu
33 Prozent. Das bedeutet, dass die Rente jedes Rentners
und jeder Rentnerin heute zu mehr als einem Drittel
nicht mehr durch Beiträge, sondern durch Steuern finanziert wird. Es ist völlig klar, dass sich dieser Trend nicht
einfach weiter fortsetzen darf - auf 36, 37, 40, 45 oder
gar 50 Prozent Bundesanteil in absehbarer Zeit. Er muss
also gestoppt werden.
Neben der Sicherstellung der Renten brauchen wir
nämlich Handlungsspielräume für die Zukunft
Deutschlands. Ich nenne hier beispielhaft Bildung, Forschung und auch Infrastruktur. Dieser Wille zur Gestaltung der Zukunft wird trotz der schwierigen finanziellen Lage bereits in diesem Haushalt für das Jahr 2004
deutlich. Bei den großen Forschungseinrichtungen gibt
es ein Plus, zwar nur von 3 Prozent, aber eben ein Plus.
Die Erfolgsgeschichte des BAföG wird fortgesetzt. Die
Ansatzerhöhung beträgt 61 Millionen Euro.
({13})
Das Investitionsprogramm zum Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen wird ohne Abstriche fortgesetzt. So
könnte ich noch vieles nennen. Wenn aber 77,85 Milliarden Euro - ich nenne die Zahl noch einmal; das ist gut
ein Drittel vom Gesamthaushalt - allein für die Rente
ausgegeben werden, dann bleibt für andere wichtige
Aufgaben eben nicht so viel, wie wir eigentlich investieren wollen und auch investieren müssen.
Da bereits jetzt absehbar ist, dass für das nächste Jahr
8 Milliarden Euro in der Rentenkasse fehlen, konnten
und wollten wir die eigentlich notwendige Einsparung
von 2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt in dieser
schwierigen Lage nicht noch zusätzlich obendrauf legen.
Deshalb haben wir auf eine Kürzung des Bundeszuschusses verzichtet.
Stattdessen hat die Bundesregierung zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, mit denen der Beitragssatz bei
19,5 Prozent stabilisiert werden kann. Dies ist aber nicht
möglich - das muss man klar sagen - ohne eine aktive
Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner. Dieser
Schritt war für uns schmerzhaft, aber er war nicht zu vermeiden.
({14})
Wir müssen den Jüngeren wie auch den Älteren sagen: Die Sicherung der Rente ist eine gemeinsame Aufgabe, die jeden und jede etwas angeht.
({15})
Um diese Aufgabe zu erfüllen, waren kurzfristige Maßnahmen ebenso notwendig wie strukturelle, in die Zukunft hineinwirkende Maßnahmen.
({16})
- Wenn Sie fragen: „Wann kommen die denn?“, dann
zeigt das, dass Sie sich noch nicht einmal die Mühe gemacht haben, die in den letzten Wochen behandelten Gesetze zu lesen, und das finde ich durchaus blamabel.
({17})
Um den Beitragssatz im nächsten Jahr bei 19,5 Prozent stabil zu halten, wird die Rentenanpassung zum
1. Juli 2004 ausgesetzt.
({18})
Ich bin sicher, dass die Mehrzahl der Rentnerinnen und
Rentner dafür Verständnis hat. Nicht zuletzt dient das ihren Kindern und ihren Enkeln. Aber es ist nicht nur für
die gut, sondern schon mittelfristig auch für die Rentnerinnen und Rentner selbst. Je mehr Menschen in Arbeit
sind und je höher die Einnahmen in der Sozialversicherung sind, desto stärker werden die Rente und der Zuwachs der Rente gesichert. Also ist das ein Beitrag nicht
nur für die Zukunft der Kinder und Enkel, sondern auch
für die Zukunft derjenigen, die heute Rente erhalten.
({19})
Nun empört sich, wie wir ja gerade gehört haben, die
Opposition darüber und vergisst dabei völlig, dass während der letzten sechs Jahre ihrer Regierung, also zwischen 1992 und 1998, die Renten insgesamt geringer als
die Inflationsrate gestiegen sind.
({20})
Der Durchschnittsrentner hat in den letzten Jahren der
Kohl-Regierung monatlich gegenüber einem Arbeitnehmer bzw. einer Arbeitnehmerin durchschnittlich 38 Euro
verloren.
({21})
Das Aussetzen der nächsten Rentenerhöhung, also das,
was wir vorhaben, bedeutet für einen Rentner, der
700 Euro im Monat bekommt, dagegen einen Verzicht
auf 3,65 Euro monatlich.
({22})
3,65 Euro hat ein Rentner aufgrund des Aussetzens der
Rentenerhöhung weniger, wenn er 700 Euro Rente bekommt.
Eine weitere Maßnahme, die uns nicht leicht gefallen
ist, die aber ebenfalls notwendig war, ist die vollständige
Übernahme des Beitrags zur Pflegeversicherung
durch die Rentnerinnen und Rentner ab dem 1. April
2004. Bislang war es in der gesetzlichen Rentenversicherung so geregelt, dass dieser Beitrag je zur Hälfte von
den Rentnerinnen und Rentnern und von der Rentenversicherung aufzubringen war. Wer kritisiert, dass zukünftig der gesamte Betrag von den Rentnerinnen und Rentnern aufgebracht werden soll, der sollte bedenken, dass
die Generation der heutigen Rentnerinnen und Rentner
zum großen Teil von den Leistungen der Pflegeversicherung profitiert, obwohl sie in diese 1995 eingeführte Versicherung nur kurz bzw. überwiegend gar nicht eingezahlt haben.
Was macht das nun aus? Was bedeutet das in Euro
und Cent? Es bedeutet, dass bei einer monatlichen Rente
von 700 Euro ab 1. April 2004 monatlich 5,95 Euro weniger zur Verfügung stehen.
({23})
- Das sind 10 Euro, aber immer noch keine 38 Euro.
Im Gegenzug zu diesen Belastungen durch die Übernahme der vollen Beiträge zur Pflegeversicherung werden die Rentnerinnen und Rentner Beitragsentlastungen bei der Krankenversicherung schneller als bisher
spüren. Darüber hinaus soll der Zeitpunkt der Rentenauszahlung für zukünftige Rentnerinnen und Rentner
auf das Monatsende verlegt werden. Das ist eine vertretbare Regelung, weil diejenigen, die in Zukunft in
Rente gehen - und nur für die gilt das ja -, damit so behandelt werden wie viele Erwerbstätige die ihre Leistungen in der Regel ohnehin erst am Monatsende erhalten.
Als letzte kurzfristige Maßnahme haben wir vorgesehen, die Mindestschwankungsreserve - darüber hat
sich ja Herr Luther so aufgeregt - von 50 Prozent auf
20 Prozent einer Monatsausgabe zu senken. Was um alles in der Welt ist daran so schlimm?
({24})
Im schlimmsten Fall muss der Bund eine Monatsrate Zuschuss an die Rentenversicherung eher auszahlen, als er
es eingeplant hat. Kein Rentner wartet eine Stunde länger auf seine Rente, als das heute der Fall ist.
({25})
Sie konstruieren da einen Konflikt, den es in der Realität
überhaupt nicht gibt.
({26})
Trotzdem sage ich: Das kann nur eine vorübergehende
Maßnahme sein.
({27})
- Aber selbstverständlich, und zwar deswegen, weil man
nur einmal den Effekt erzielt, also ihn in den nachfolgenden Jahren nicht mehr erzielen kann. Deswegen haben
wir, und zwar mit Erfolg, darüber diskutiert, ob wir die
Schwankungsreserve umbauen und ihr in Zukunft auch
eine Bedeutung für die Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge angesichts konjunktureller Schwankungen zusprechen sollen.
({28})
Ich glaube, dass es eine ausgesprochen gute Regelung
ist, eine Nachhaltigkeitsrücklage aufzubauen und uns
von der alten Schwankungsrücklage zu trennen.
Im Einzelnen - ich fasse es zusammen - konnten die
0,8 Prozentpunkte folgendermaßen eingespart werden:
Die Absenkung des unteren Zielwertes der Schwankungsreserve bringt 0,5 Prozentpunkte. Die Aussetzung
der Rentenanpassung zum 1. Juli 2004 bringt 0,1 Prozentpunkte. Die Übernahme des vollen Beitragssatzes
der Pflegeversicherung durch die Rentner bringt 0,1 Prozentpunkte. Die Verschiebung des Rentenauszahlungstermins auf das Monatsende - für die neuen Rentner, ab
April 2004 - bringt ebenfalls 0,1 Prozentpunkte.
({29})
Neben diesen kurzfristigen Maßnahmen müssen und
werden wir aber auch langfristige Maßnahmen ergreifen.
Ich habe es schon gesagt: Einen Meilenstein haben wir
mit der Riester-Rente gesetzt.
Erfreulicherweise leben die Menschen heute immer
länger. Allein das garantiert uns heute eine im Durchschnitt acht Jahre längere Rentenbezugsdauer, als sie
etwa noch die Generation unserer Eltern oder Großeltern
hatte. Der Rentenbezug verlängert sich nochmals um
drei bis fünf Jahre, weil die Mehrzahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute weit vor ihrem
65. Lebensjahr in Rente geht. 1960 - so lange ist das ja
noch nicht her - bezog ein Rentner in Deutschland im
Durchschnitt sechs Jahre lang Rente. Heute sind es
14 Jahre bei den Männern und 18 Jahre bei den Frauen.
({30})
Dass das neue Antworten verlangt, muss doch jedem
klar sein!
({31})
Hinzu kommt - das ist eine Entwicklung, die sich leider negativ fortsetzt -, dass in Deutschland immer weniger Kinder geboren werden und immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentnern gegenüberstehen.
({32})
Wir haben uns deshalb entschlossen, die Rentenanpassungsformel zu ändern und einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen. Ich räume gerne ein, dass das bereits
unter Ihrem Minister Blüm angegangen wurde.
({33})
Aber ich denke, dass unser Nachhaltigkeitsfaktor mehr
gerechte Elemente enthält als der, den Sie ursprünglich
eingeführt haben.
({34})
Wir brauchen derzeit keine Diskussion über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Was wir
derzeit brauchen - und was genau in diese Richtung
geht -, ist, dass die Menschen zukünftig tatsächlich bis
zu ihrem 65. Lebensjahr arbeiten.
Das Alter, in dem Berufstätige bei uns in Rente gehen, ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken. 1960 lag es noch bei 64,7 Jahren. Noch mehr Menschen als heute haben damals 40, 45 oder sogar 50 Jahre
gearbeitet.
({35})
Heute gehen die Menschen im Durchschnitt mit
62,4 Jahren in Rente und eigentlich stimmt selbst diese
Zahl nicht, denn wenn man die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hinzunimmt, liegt das durchschnittliche Eintrittsalter sogar bei nur 60,2 Jahren.
({36})
Nach Angaben des VDR sind von den knapp
20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in diesem
Land rund 2,4 Millionen Frührentner. Wir können es uns
einfach nicht länger leisten, wenn zum Beispiel im öffentlichen Dienst noch nicht einmal 6 Prozent der Beschäftigten bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten, noch
dazu in einem Bereich, der von Kündigung nicht bedroht
ist, in dem es also nicht um die Regulierung von Arbeitslosigkeit geht. Die Politik der Frühverrentung, die
viele Unternehmen bisher benutzt haben, um ihre Belegschaft zu verjüngen, wird zu Recht kritisiert. Hinzu
kommt noch eine veränderte Haltung der Menschen.
Viele sehen es als selbstverständlich an, nicht mehr bis
zum Alter von 65 Jahren zu arbeiten. Wer es trotzdem
tut, wird von seinen Kollegen durchaus als Exot angesehen. Das ist etwas, was man im Bewusstsein der Menschen mit den Menschen verändern muss. Wir müssen
den Menschen klar machen, dass diese weit verbreitete
Einstellung auf Kosten der Kinder und Enkel, aber auch
auf Kosten der eigenen Rente geht. Die Kinder und Enkel werden später die Rechnung für die Annehmlichkeit
eines frühen Ruhestandes bezahlen müssen.
({37})
Würde sich das tatsächliche Renteneintrittsalter um ein
Jahr erhöhen, könnten die Rentenausgaben kurzfristig um
bis zu 10 Milliarden Euro jährlich gesenkt werden.
({38})
Der VDR hat außerdem ausgerechnet und deutlich gesagt, dass mit jedem Jahr, um das das durchschnittliche
Renteneintrittsalter erhöht wird, der Beitragssatz um
0,8 Prozentpunkte verringert werden könnte. Deshalb
müssen und werden wir hier etwas tun.
Damit niemand von dieser Neuregelung kalt erwischt
wird, muss er sich darauf einstellen können. Wir werden
für rentennahe Jahrgänge besondere Vertrauensschutzregelungen erarbeiten und ins Verfahren geben.
({39})
Liebe Frau Kollegin, Sie haben noch viel zu sagen,
aber nur noch ganz wenig Zeit. Die Zeit ist sogar schon
überschritten.
Das ist bedauerlicherweise wahr. Ich kann es aber
zum Schluss kurz machen, weil ich weiß, dass die Nachrednerinnen meiner Fraktion
({0})
- man beachte an dieser Stelle die Stärke der Frauen ({1})
noch auf die wichtigen Bereiche Gesundheit und Pflege
eingehen werden. Deshalb kann ich darauf verzichten.
Lassen Sie mich zum Schluss der Frau Ministerin,
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses und
des Finanzministeriums sowie den Kolleginnen und Kollegen, die mit mir gemeinsam den Haushalt beraten haben, herzlich danken.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Luther, schönen Gruß an Ihre Frau. Sagen Sie ihr:
Es ist wirklich dringend erforderlich, dass wir hier eine
intensive Debatte über Sozialpolitik führen,
({0})
denn das ist die bittere Wahrheit in Deutschland im November 2003: Die Systeme der sozialen Sicherung in
ihrer tradierten umlagefinanzierten Form tragen nicht
mehr, und das nicht nur wegen der aktuellen Probleme
auf der Einnahmeseite,
({1})
die konjunkturell bedingt sind, sondern mehr noch wegen der absehbaren, ungleich schwerer wiegenden demographischen Probleme, die wir ab 2010 haben werden.
({2})
Die Beiträge können nur noch mit Mühe stabilisiert
werden. Aufwändig erarbeitete Reformgesetze im Bereich der Gesundheit entfalten nicht die Wirkung, die
sich die Beteiligten erhofft hatten, sondern verschaffen
nur eine kurze Atempause.
Alle wissen eigentlich, dass etwas geschehen muss,
aber die rot-grüne Koalition ist nicht bereit bzw. hat wegen innerparteilicher Rücksichtnahmen - das konnte
man auf dem SPD-Parteitag sehr deutlich beobachten ({3})
nicht die Kraft, die notwendigen Reformen durchzusetzen.
({4})
Die Sozialpolitik in Deutschland steht an einer Wegscheide. Ich will an einigen Beispielen deutlich machen,
wohin nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion die
Reise gehen muss.
Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung zum
Thema „soziale Gerechtigkeit“. Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von Rot-Grün, lassen sich ja immer von
dem Anspruch einer sozial gerechten Politik leiten und
glauben offensichtlich, eine gerechte Sozialpolitik sei
vor allem eine Frage von größtmöglicher Umverteilung.
Ich halte es diesbezüglich eher mit dem Nobelpreisträger
Milton Friedman, der gesagt hat:
Ich glaube nicht, dass es so etwas wie soziale Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit hat etwas mit dem
Individuum zu tun und nicht mit der Gesellschaft
als Ganzes.
({5})
Gerecht aus Sicht der Individuen ist eine Sozialpolitik, die die notwendigen Reformen mutig vorantreibt, die
auf Verantwortung, Freiheit und Transparenz ohne
bürokratische Fallstricke setzt und die sich auch darum
sorgt, dass die nachwachsenden Generationen nicht die
Zeche einer verfehlten Volksbeglückung zu zahlen haben.
({6})
Was heißt das jetzt konkret für die Handlungsfelder,
Gesundheitspolitik als erstes? Die FDP lehnt eine Bürgerversicherung ab. Sie ist eine Zwangsversicherung
sozialistischer Machart und löst keines der Probleme der
gesetzlichen Krankenversicherung.
({7})
Allerdings hüllen Sie das sehr geschickt in das Deckmäntelchen eines wohlklingenden Begriffs und versehen
es auch noch mit einem Etikett der Solidarität. Aber es
ist nach unserer Auffassung alles andere als solidarisch,
immer mehr Menschen in ein marodes System zu zwingen.
Psychologisch gesehen ist es wahrscheinlich ein Akt
der Verdrängung, wenn Sie sich trotz der Tatsache, dass
Sie nicht einmal die Kraft haben, die aktuellen Probleme
der GKV zu lösen, jetzt daran machen wollen, eine
grundlegende Systemumstellung in Richtung Bürgerversicherung zu wagen, nach dem Motto: Wenn wir schon
nicht auf den Hügel kommen, dann besteigen wir eben
einen Berg. Man muss sehr deutlich sagen, dass das, was
Sie hier machen, Traumtänzerei ist.
({8})
Zweitens. Wir wollen den unverzüglichen Systemwechsel, also weg von der umlagefinanzierten hin zu
mehr privater kapitalgedeckter Sicherung.
({9})
Sie, Frau Ministerin, wollten die Beitragssätze in der
GKV auf 13,6 Prozent senken; das haben Sie jedenfalls
vollmundig angekündigt. Wir haben Ihnen schon im August gesagt, dass Sie das nicht schaffen werden, weil Sie
nicht den Mut für die notwendige Einsparung von
20 Milliarden Euro hatten.
({10})
Jetzt steht die groß-grüne Gesundheitskoalition kleinlaut
vor dem Scherbenhaufen und muss erkennen, dass im
günstigsten aller Fälle der Beitragssatz von heute
14,3 Prozent im Durchschnitt auf 14 Prozent sinken
wird, und das wahrscheinlich erst im Laufe des nächsten
Jahres.
({11})
Sie haben in Gesprächen mit den Krankenkassen feststellen müssen, dass selbst Sie, Frau Ministerin, die
Grundrechenarten nicht außer Kraft setzen können. Das
ist auch gut so.
Drittens. Die Kopfprämie nach den Vorstellungen
von Herzog-Kommission und Frau Merkel hat zwar den
Charme der Entkoppelung der Krankenversicherungsbeiträge von den Löhnen. Es ist aber schlechterdings
nicht vorstellbar, weitere hohe zweistellige Milliardenbeträge für die Krankenversicherung aus dem Bundeshaushalt darzustellen. Schon jetzt werden fast 50 Prozent
des Bundeshaushaltes für Soziales aufgewendet. Ein zusätzlicher Transfer konkurriert zudem mit dem für die
FDP prioritären Ziel einer deutlichen Steuersenkung;
denn das ist die unabdingbare Voraussetzung für eine
wirtschaftliche Belebung.
Handlungsfeld Rentenpolitik: Hier muss ich der von
der SPD in Bochum beschlossenen Erwerbstätigenversicherung eine klare Absage erteilen. Die Zwangsrekrutierung von Beamten, Selbstständigen und Freiberuflern
löst keines der Probleme.
({12})
Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es Ihnen eigentlich vor allem um das Kapital der berufsständischen Versorgungswerke geht.
({13})
In der Realität lösen Sie damit kein Problem. Die Ausweitung des Versichertenkreises hat zeitversetzt eine
größere Zahl von Leistungsberechtigten zur Folge. Das
geht aber zulasten nachfolgender Generationen und ist
alles andere als nachhaltig.
({14})
Die FDP will die Stärkung der Beitragsbezogenheit
der Rentenversicherung. Ich möchte einen neuen Vorschlag in die Diskussion einbringen. Wir wollen, dass
eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte
künftig dann möglich wird, wenn ein Versicherter entweder 45 Jahre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hat - diesen Vorschlag hat man schon
von verschiedenen Seiten gehört - oder wenn
45 Entgeltpunkte aus Beiträgen erworben worden sind.
({15})
Ich denke, dass das - ebenso wie die Abschaffung der
Frühverrentung - eine wichtige Weiterentwicklung des
Rentensystems ist. Man muss es allerdings richtig machen, Herr Dreßen, und nicht so, wie Sie es mit Ihrem
Entwurf eines Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes vorgesehen haben. Was Sie machen, ist nichts
Halbes und nichts Ganzes. Sie beenden nicht die Möglichkeit, Ansprüche zu begründen. Das ist weder ein Zeichen von klarer Konzeption noch von Berechenbarkeit.
({16})
Letzter Punkt: Die FDP-Bundestagsfraktion will die
Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbessern, die Erwerbsquote von Frauen erhöhen
({17})
und durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für
Familien positiv auf die Geburtenentwicklung einwirken. Denn: Wir brauchen zur Stabilisierung der Systeme
der sozialen Sicherung wieder mehr Kinder. Diese Förderung muss aber nach unserer Auffassung im Steuerrecht erfolgen und darf nicht auf spätere Rentenzahlungen vertagt werden. Deswegen erteilen wir den
Vorschlägen des Ministerpräsidenten Stoiber eine klare
Absage.
({18})
Wir wollen den vollen Grundfreibetrag von
7 500 Euro auch für Kinder, einen Rechtsanspruch auf
einen kostenlosen Kindergartenplatz - halbtags ab dem
dritten Lebensjahr - und auch die steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für die Kinderbetreuung. Man
muss ehrlicherweise sagen, Herr Dreßen: Hier können
viele Arbeitsplätze neu geschaffen werden.
({19})
Durch diese Maßnahmen werden Frauen in die Lage versetzt, Karriere und Beruf mit Familie und Kindern zu
vereinbaren.
({20})
Schlussbemerkung: Der von der rot-grünen Koalition
vorgelegte Haushalt ist verfassungswidrig. Mehr als das:
Er ist auch extrem auf Kante genäht. Die Systeme der
sozialen Sicherung in Deutschland stehen vor einem äußerst schwierigen Jahr 2004. Ohne eine wirtschaftliche
Belebung kann und wird es keine Entspannung geben.
Die Prognosen der Bundesregierung sind meines Erachtens in jeder Hinsicht optimistisch. Erfüllen sie sich
nicht, wird der Druck auf die Beiträge in allen Zweigen
der Sozialversicherung dramatisch anwachsen.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgitt Bender.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte die Haushaltsdebatte zum Anlass nehmen, über
die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme
und die unterschiedlichen Vorstellungen zu sprechen, die
dazu auf der einen Seite Rot-Grün und auf der anderen
Seite die Union hat. Es ist ja als solches nicht dramatisch, festzustellen, dass die Regierungsparteien bzw. die
Grünen eine andere Vorstellung haben als die Union.
({0})
Aber es lohnt schon, die Vorstellungen der Union einmal
unter die Lupe zu nehmen. Denn meine These ist, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass Sie, so
wie Sie die Modernisierung des Sozialstaates angehen,
jegliche Reformbereitschaft der Menschen ersticken.
Ich will Ihnen sagen, warum.
({1})
Sie schlagen als Ergebnis der Herzog-Kommission
vor, die Gesundheitsversorgung auf ein Kopfgeldsystem
umzustellen. Erst einmal werden Leistungen gestrichen.
Diese werden nicht mehr sozialstaatlich bezahlt; die
Menschen müssen sie vielmehr privat aus ihrem Geldbeutel bezahlen. Hinzu kommt ein Kopfgeld von - je
nachdem - 200 bis 260 Euro. Die Beträge ändern sich ja
jede Woche; in der Tendenz werden sie immer niedriger,
({2})
weil Sie merken, dass Sie da ein Vermittlungsproblem
haben. Dabei kommt eine Entlastung der Besserverdienenden
({3})
und eine Belastung der Geringverdienenden, insbesondere der Familien, heraus, die bisher sehr viel geringere
Krankenkassenbeiträge zahlen. Weil das die Leute natürlich merken, sagen Sie anschließend, dass ein sozialer
Ausgleich aus Steuermitteln vorgesehen ist. Dafür
bräuchten Sie 10 Milliarden Euro. Im Herzog-Konzept
haben Sie offen gelassen, woher diese Milliarden kommen sollen.
({4})
Frau Merkel spricht zwar auf den Regionalkonferenzen von einem sozialen Ausgleich. Aber Herr Merz, Ihr
Finanzexperte,
({5})
singt zugleich das Lied von der Steuersenkung. Ich will
gar nicht darauf eingehen, ob sein Konzept in sich
schlüssig ist. Fest steht aber: Die für den sozialen Ausgleich notwendigen 10 Milliarden Euro finden sich nirgendwo in diesem Steuerkonzept.
({6})
Das heißt, die Union redet mit gespaltener Zunge.
({7})
Auf der einen Seite versprechen Sie den Leuten, dass sie
weniger Steuern zu zahlen brauchen. Auf der anderen
Seite schlagen Sie ein Modell vor, von dem Sie sagen,
dass es zwar für etliche sozial nicht verkraftbar sei, es
aber den großen Steuertopf gebe, aus dem der soziale
Ausgleich bezahlt werden könne. Wer soll Ihnen so etwas noch glauben?
Dann laufen noch so marodierende Sozialstaatszersäger wie der Herr Mißfelder herum, der den alten Menschen keine neuen Hüftgelenke gewähren will.
({8})
Was soll dabei herauskommen? Das Ergebnis ist: Sie
machen den Leuten Angst. Damit entstehen Reformblockaden und keine Reformbereitschaft; das sollte sich
auch eine Opposition einmal überlegen.
({9})
In der Wirkung ist das, was Sie bei der Rente tun,
nicht sehr viel anders.
({10})
Sie fordern im Herzog-Konzept, das Rentenniveau solle
sinken, und zwar 10 Prozent unter das Niveau, das Herr
Rürup vorgeschlagen hat. Darüber könnte man ja diskutieren. Aber anschließend sagen Sie: Wer 45 Jahre Beiträge eingezahlt hat, bekommt sowieso die volle Rente.
Das heißt, Sie schaffen eine Ungleichbehandlung, je
nachdem, wann jemand in das Berufsleben eingetreten
ist, und benachteiligen dabei insbesondere die Frauen.
({11})
Dann kündigen Sie an, die Kindererziehung werde
besser gestellt, als es im bisherigen Recht der Fall ist.
Nun mag es ja sein, dass Sie die bisherige Förderung der
Kindererziehung in der Rentenversicherung, die uns immerhin 12 Milliarden Euro kostet, für nicht ausreichend
halten; das sollten Sie dann begründen. Aber Sie sollten
vor allem darstellen, woher jetzt die nächsten Steuermittel in Höhe von 10 Milliarden Euro kommen sollen,
({12})
mit denen Sie dies finanzieren wollen. Ich sage nur: Herr
Merz lässt grüßen. Das Motto der Union lautet: Steuersenkung. Wo sind diese nächsten 10 Milliarden Euro, die
Sie hier versprechen? Ich kann sie nirgends entdecken.
({13})
Nur nebenbei zum Streit zwischen CDU und CSU;
das mutet beinahe schon kurios an. Die CSU fordert:
Weniger einzahlen, mehr herausbekommen! Bezahlen
sollen dies die bösen Kinderlosen. Immerhin, von den
Grundrechenarten her, ist dies fast überzeugender als das
Konzept der Union.
({14})
Es hat nur einen anderen Nachteil; das meine ich ganz
ernst. Sie beginnen damit eine gnadenlose Sozialneiddebatte. Die nützt niemandem, am allerwenigsten den Kindern.
({15})
Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie das damit weitermachen wollen.
({16})
So, wie Sie vorgehen, nimmt man die Menschen bei
den Reformen nicht mit, die wir brauchen, um die soziale Sicherung zukunftsfest zu machen. Man darf den
Leuten keine Wohltaten versprechen - das tun wir auch
nicht -, die nicht zu finanzieren sind.
({17})
Man muss ihnen hingegen die Reformschritte vermitteln, die jetzt notwendig sind, und ihnen zeigen, wie die
längerfristigen Perspektiven aussehen.
({18})
Wir gehen diesen Weg etwa bei der Rente. Die Kollegin Lehn hat die kurz- und mittelfristigen Reformschritte, die wir anvisieren, ausführlich erläutert. Ich will
nur sagen, dass so etwas wie der Nachhaltigkeitsfaktor
oder auch der Abbau der Frühverrentung Strukturelemente sind, die einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen gewährleisten, weil es immer auch darauf ankommt, wie hoch die Beitragsbelastungen in der Zukunft
sind. Deswegen halten wir das für richtige und vermittelbare Schritte.
Wir werden auch die Riester-Rente vereinfachen,
({19})
damit die Menschen stärker motiviert werden, eine private Vorsorge aufzubauen. Das ist der Weg zur Alterssicherung, der nicht in die Altersarmut führt, aber auch die
Beiträge in diesem System bezahlbar hält.
({20})
Die Grünen sagen auch, wie wir uns die weitere Zukunft vorstellen.
({21})
Insbesondere bei der Gesundheitsversorgung setzen wir
auf das Modell Bürgerversicherung. Frau Kollegin, das
heißt, alle zahlen ein und alle Einkommensarten werden
berücksichtigt. Das bedeutet, dass Gesundheitsleistungen auch in Zukunft für alle finanzierbar sind.
({22})
- Das ist mit der Verfassung vereinbar. Fragen Sie dazu
einmal Ihre Juristen. Sie haben ja auch welche.
Das bedeutet auch Gerechtigkeit, weil es dann gleiche
Spielregeln für alle gibt. Wir wollen keine Zweiklassenmedizin, bei der sich die Besserverdienenden in die private Versicherung verabschieden und dann Ärzten gegenübersitzen, die mit ihrer Behandlung mehr als mit der
Behandlung von Kassenpatienten verdienen. Das kann
nicht richtig sein.
({23})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Nein, denn meine Redezeit ist leider schon fast abgelaufen.
({0})
- Gut, dann stellen Sie Ihre Frage.
Ich bedanke mich, Frau Kollegin Bender, dass ich die
Zwischenfrage stellen darf. Jetzt habe ich allerdings den
Faden verloren.
({0})
Jetzt haben Sie vergessen, was Sie fragen wollten?
Geben Sie mir bitte noch einmal das Stichwort dazu.
Ich war bei der Bürgerversicherung.
Ja, die Besserverdienenden. Jetzt habe ich es.
Es ist doch so, Frau Kollegin Bender, dass Sie - wenn
ich Sie richtig verstanden habe - die Beitragsbemessungsgrenze nicht anheben wollen. Stimmen Sie mir
dann zu, dass bei Ihrem Modell zukünftig vor allem die
Mittelschicht stärker belastet wird, also die Lohnempfänger, die ein wenig Kapital auf die Seite gelegt haben,
möglicherweise eine Eigentumswohnung vermietet haben und dann auf diese zusätzlichen Einkünfte einen
Beitrag leisten müssen und damit höher belastet werden
als bisher? Stimmen Sie mir zu, dass vor diesem Hintergrund - ich setze voraus, dass Sie die Beitragsbemessungsgrenze nicht anheben wollen - Ihre Lösung mit der
Bürgerversicherung höchst unsozial ist?
Es ist richtig, dass wir die Beitragsbemessungsgrenze
nicht anheben wollen. Ich bestreite aber, dass unser Modell unsozial ist. Sie nennen ja selber einen Fall, in dem
jemand zusätzliche Einkünfte über das Lohneinkommen
hinaus bezieht.
({0})
Wir konnten in den letzten Jahrzehnten beobachten,
dass der Anteil der Lohneinkünfte am Volkseinkommen
abnimmt,
({1})
hingegen Mieterträge und Erträge aus Kapitaleinkünften
immer mehr an Bedeutung gewinnen.
({2})
Was soll denn daran richtig sein, dass beispielsweise ein
reicher Erbe, der nur noch einer Teilzeitarbeit nachgeht,
nur die dementsprechend niedrigeren Beiträge bezahlt,
auf den Rest seiner Einkünfte aber nicht,
({3})
obwohl er leistungsfähig ist? Uns geht es um eine Beitragsleistung nach der Leistungsfähigkeit. Das nenne ich
soziale Gerechtigkeit. Aber darunter verstehe ich auch
etwas anderes als die FDP.
({4})
Zur Bürgerversicherung will ich nur sagen: Ich kann
Ihnen versichern, dass die Halbwertszeit unseres Konzepts länger ist als die bei manch anderem in diesem
Hause.
({5})
Wir Grüne werden nicht sagen: Das war ja nur so eine
Idee von uns. Wir wollen vielmehr eine Grundentscheidung bis zum Ende der Legislaturperiode.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller.
({0})
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was wir hier erleben, ist schon mehr als seltsam. Da stellt sich Rot-Grün über Monate hin und hält
der Opposition vor, sie habe keine Konzepte. Frau
Bender, Sie haben jetzt 90 Prozent Ihrer Redezeit darauf
verwendet, über die Konzepte der Union zu diskutieren.
Das ist ein leichter Widerspruch.
({0})
Nachdem hier schon Abgeordnete - und deren Familienangehörige - das Notwendige zu den Eckdaten des
Haushaltsplans gesagt haben, möchte ich einen Punkt
ansprechen, und zwar die Öffentlichkeitsarbeit, sprich
Werbung. Ich kritisiere nicht die Höhe des Titels für Öffentlichkeitsarbeit, sondern das Verfahren, wie er zustande gekommen ist.
({1})
Wenn ich ein Gesetz verabschiede, das die Menschen im
Lande nicht verstehen, dann muss ich mich nicht wundern, dass sehr viel Aufklärungsarbeit betrieben werden
muss, um ihnen den Sinn zu vermitteln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir dieses
Gesetz im Konsens erarbeitet haben, sind wir im Ansatz
unterschiedlicher Auffassung: Rot-Grün ist nach wie vor
der Meinung, man könnte mehr über Reglementierung
erreichen;
({2})
wir dagegen sind fest davon überzeugt, dass Ziele durch
mehr Wettbewerb wesentlich besser erreicht werden
können.
({3})
Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen - ich habe gehofft, dass Sie an dieser Stelle einen Zwischenruf machen -, an dem die verschiedenen Auffassungen deutlich
werden. Bei der Versorgung chronisch Kranker waren
wir alle der Auffassung, dass die Versorgung verbessert
werden muss und die Finanzmittel gerechter verteilt
werden müssen. Doch was kommt auf die Ärzte zu?
- Das will ich Ihnen zeigen: Dies ist der Strukturvertrag
für die Behandlung chronisch kranker Diabetiker. Es
kommt aber noch dicker. Die Ärzte müssen bei der Behandlung eines jeden Patienten acht Seiten ausfüllen.
({4})
Das führt dazu, dass viele Ärzte dies nicht mehr anbieten.
({5})
Im Ziel war es gut gemeint, in der Praxis ist es aber nicht
umsetzbar.
({6})
Wenn man Insider danach fragt, sagen sie einem, dass
es den Großteil dieser Regelungen, dieser Formalitäten
nicht deswegen gibt, um die Qualität der Versorgung der
chronisch Kranken zu verbessern,
({7})
sondern weil diese bei der Verwaltung im Risikostrukturausgleich berücksichtigt werden müssen. Wir geben
Geld an der verkehrten Stelle aus, nämlich mehr Geld
für die Verwaltung und weniger Geld für die Behandlung
von Kranken. Das kann nicht unser Ziel sein.
({8})
Ich möchte Ihnen nun aber auch ein Beispiel nennen,
wie man es mustergültig machen kann. Wir haben gemeinsam § 65 a SGB V - Bonus für gesundheitsbewusstes
Verhalten - erarbeitet. Es steht im Gesetz:
Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Versicherte ...
Anspruch auf einen Bonus haben.
Aufgrund dieser einfachen Botschaft sind Ideen entstanden, von denen wir vor einigen Jahren nur träumen
konnten. Es gab fast schon einen Ideenwettbewerb. Die
Kassen bieten nun Individualtarife, maßgeschneiderte
Pakete für Versicherte an, was versorgungspolitisch sinnvoll ist. Bisher konkurrierten sie fast ausschließlich durch
niedrige Beitragssätze. Jetzt wird eine Konkurrenz durch
die besonderen Leistungspakete hinzukommen. Dadurch
kommen wir - auch das ist ein wichtiger Punkt - von der
Vollkaskomentalität weg hin zu der Stärkung der Gedanken der Prävention und der Eigenverantwortung. Dieser
jetzt entstehende Wettbewerb beweist, dass freiheitliche
Elemente einer starren Reglementierung eindeutig überlegen sind.
({9})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,
der die gegenwärtig geführten Diskussionen zur
Gesundheitsreform betrifft. Ich sage unumwunden: Ich
halte diese Diskussionen zum jetzigen Zeitpunkt für
kontraproduktiv. Das Gesetz, das erst zum 1. Januar
2004 in Kraft treten wird, weist immerhin einen Umfang
von über 20 Milliarden Euro auf. Wenn dieses Gesetz
nicht richtig umgesetzt wird, wird die Reformfähigkeit
und die Reformwilligkeit in Deutschland abnehmen.
Wenn das Reformgesetz, das die großen Parteien beschlossen haben, nicht zum Ziel führt, werden sich viele
zurücklehnen und sich fragen, warum sie die Regelungen dieses Gesetzes umsetzen sollten, schließlich
komme bald sowieso ein neues. Wenn wir so verfahren,
machen wir über alle Parteigrenzen hinweg einen entscheidenden strategischen Fehler.
({10})
Wir können über die verschiedenen Systeme streiten.
Ich sage Ihnen: Wir müssen ganz anders vorgehen. Wir
müssen uns auf Grundsätze verständigen, anhand deren
wir diese Modelle beurteilen und messen. Ein neues und
zukunftssicheres Finanzierungssystem muss für meine
Begriffe folgenden Punkten gerecht werden:
Erstens. Realisierung des Prinzips der Nachhaltigkeit
in der Finanzierung.
Zweitens. Entkopplung von den Lohnkosten, um den
Faktor Arbeit zu entlasten.
Drittens. Langfristige Berücksichtigung der demographischen Entwicklung.
Viertens. Sicherung der Solidarität zwischen Jung und
Alt sowie Arm und Reich. Dabei muss auch die Familienkomponente berücksichtigt werden.
Fünftens. Keine weitere Bürokratisierung. Im Gegenteil: Es muss ein Abbau solcher Hemmnisse erfolgen.
({11})
Nicht nur in der gesetzlichen, sondern auch in der privaten Krankenversicherung brauchen wir mehr Spielraum. Zurzeit ist ein Wechsel von einer privaten Krankenversicherung zur anderen kaum möglich, weil die
Übertragbarkeit der Altersrückstellungen nicht gewährleistet ist. Auch hier sollten wir eine realitätsbezogene
gemeinsame Lösung anstreben.
({12})
Dennoch sage ich: Wir müssen zeigen, dass aufgrund
dieser aktuellen Reform die Chance besteht, das Finanzierungsproblem mittelfristig zu lösen, sodass wir die
langfristige Finanzierungsproblematik in dem jetzt gegebenen Zeitfenster bis 2006 fachlich sauber lösen können.
Das Gleiche gilt auch für die Rentenreform. Auch
hier warne ich vor unsachlichen Debatten. Wir sollten
versuchen, uns darüber zu einigen, was durch diese Reform eigentlich geleistet werden soll. Hier müssen wir
ehrlich sagen: Die Wahrung des Besitzstandes darf nicht
höher geschätzt werden als das Streben nach Gerechtigkeit - ganz speziell bezogen auf die Familien. Frau Kollegin Bender, man muss das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur richtig deuten. Bezüglich der
Pflegeversicherung heißt es dort nämlich:
Beitragszahler, die zusätzlich Kinder erziehen, sind
gegenüber jenen benachteiligt, die keine Kinder erziehen. Dies muss im Beitragssystem ausgeglichen
werden.
({13})
Bevor wir jetzt weiter über ein System A, B und C
diskutieren, sollten wir vielleicht versuchen, folgende
Fragen gemeinsam zu beantworten: Erstens. Wie sieht
die Gestaltung der Beitragshöhe aus? Es ist doch unumstritten, dass ein stabiler Beitragssatz den Spielraum der
jungen Generation für mehr private Vorsorge vergrößert.
Der stabile Beitragssatz ist gleichzeitig auch ein Beitrag
zur Begrenzung der Lohnnebenkosten und zur Generationengerechtigkeit.
Zweitens. Was ist mit dem Rentenniveau? Das Niveau muss so gestaltet werden, dass die Rentenzahlung
als Lohn für die Lebensarbeitszeit ersichtlich bleibt. Der
demographische Faktor ist unerlässlich. Er hätte schon
seit etlichen Jahren wirken können, wenn Rot-Grün ihn
nicht verhindert hätte.
Ungeachtet der verschiedenen Modelle, über die wir
diskutieren, glaube ich, dass wir alle - insbesondere,
wenn es um die Rente geht - mit Zahlen ehrlicher umgehen sollten. Nach den Prognosen aller wissenschaftlichen Experten wird die gesetzliche Rente die ursprüngliche Funktion der Sicherung des Lebensstandards nicht
mehr voll erfüllen können. Das heißt aber auch: Wir nähern uns langsam dem Sozialhilfeniveau. Wenn jemand,
der 40 Jahre in das Rentensystem eingezahlt hat, durch
Abschläge plötzlich in die Nähe des Sozialhilfeniveaus
kommt, dann stellt sich die Legitimationsfrage für die
Rente im Prinzip von allein. Wir müssen sehr darauf aufpassen, wie wir mit den Zahlen umgehen.
Drittens. Welche Regelungen treffen wir bezüglich
des Renteneintrittsalters? Auch hier sage ich klipp und
klar: Wir müssen uns als Erstes an das tatsächliche Renteneintrittsalter heranwagen. Ich glaube, die Diskussion
über eine Anhebung auf 67 Jahre wird von der Bevölkerung zum jetzigen Zeitpunkt nicht verstanden. Sie sagen:
Versuchen Sie einmal, einen 55- oder 58-Jährigen zu
vermitteln. Das heißt, für die Menschen ist das angestrebte Ziel viel zu weit von der tatsächlichen Situation
entfernt. 50 Prozent der Betriebe in Deutschland haben
keine Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind.
Wir verunsichern die Menschen. Wir müssen die
Menschen wesentlich mehr in die Diskussion einbinden.
({14})
Ich halte es daher zum jetzigen Zeitpunkt für notwendig,
dass Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker gemeinsam versuchen, die Chancen für ältere Mitarbeiter
zu verbessern, damit sie länger in Arbeit bleiben können.
({15})
Jetzt habe ich leider das Problem, dass mir meine Redezeit davongelaufen ist. Daher werde ich einiges nur
noch stichpunktartig anführen. Bei der Familienkomponente muss die Kinderrente als Kinderbonus primär als
Nachteilsausgleich angesehen und dementsprechend
ausgestaltet werden. Die Regelung, nach 45 Arbeitsjahren ohne Abschläge in Rente gehen zu können, bezieht
sich für mich auf die Leistung. Dies muss bei der Rente
erkennbar sein. Die Riester-Rente - ich glaube, darin
sind wir einer Meinung - muss vereinfacht werden.
Ich komme zu meinem letzten Satz. Was wir brauchen, ist eine offene und ideologiefreie Debatte. In dieser Debatte darf nicht schon vorher das Ergebnis feststehen. Wir sollten die Zeit nicht damit vergeuden, uns die
Schwächen unseres Systems gegenseitig vorzuhalten,
sondern wir sollten die Frage beantworten - das erfordert viel Arbeit -, mit welchen Maßnahmen wir das Ziel
erreichen können.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Helga KühnMengel.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Zöller, aus dem, was Sie gerade vorgetragen haben, kann ich nur eines schließen: dass Sie
im Bundesrat unseren Reformpaketen zustimmen werden.
({0})
Wir haben in den letzten Monaten wirklich einiges
geleistet, um unsere sozialen Sicherungssysteme, die wir
erhaltenswert finden, zu stabilisieren und zukunftsfest zu
machen. Sie hingegen wurden sich in der Zwischenzeit
mit Ihren vielen unterschiedlichen Konzepten nicht einig. Sie haben sich darum entschlossen, davon abzulenken und den Karren im Bundesrat gegen die Wand fahren zu lassen,
({1})
indem Sie blockieren und Reformen verhindern, um am
Ende wie ein Phönix aus der Asche zu steigen.
({2})
Dies wird Ihnen aber nicht gelingen; denn die Menschen
spüren, dass dies reines Machtkalkül ist. Wir werden den
Menschen im Land sagen, wie es sich wirklich verhält.
Wir haben Deutschlands Zukunft mit der Agenda
2010 auf starke Säulen gestellt. Wir senden mit den Reformen eine ehrliche Botschaft aus: Wer den Sozialstaat
erhalten will, der muss dafür sorgen, dass den Menschen
auch in Zukunft Schutz vor den großen Lebensrisiken
zugute kommt. Keiner darf sich um die Frage der Finanzierbarkeit von sozialen Leistungen drücken.
({3})
Das gilt für unser Gesundheitssystem und die Rentenversicherung. Die Rente ist nicht per se sicher, sondern nur
dann, wenn sie bezahlbar bleibt.
({4})
Wir Gesundheitspolitiker und Gesundheitspolitikerinnen
von Rot-Grün haben aus tiefster Überzeugung dafür gekämpft, die Chancen und die Rechte auch der wirtschaftlich Schwachen in unserem Lande zu verbessern. Auf
diesem Gebiet haben wir eine Menge vorzuweisen.
Herr Dr. Kolb, Sie haben uns einiges vorgeworfen,
({5})
über das ich mich wirklich nur wundern kann. Waren Sie
nicht fast drei Jahrzehnte an den Regierungen beteiligt?
Sie beklagen heute, dass Frauen nicht die Möglichkeit
haben, Beruf und Familie miteinander zu verbinden.
({6})
Sie beklagen ein marodes Gesundheitssystem, obwohl Sie immer nur Vorschläge zur Kostendämpfung gemacht haben. Sie haben niemals Veränderungen an der
Struktur und der Qualität im Sinne einer besseren Versorgung vorgenommen. Sie haben sehr viel versäumt.
({7})
Die Investitionen in Innovationen, die Investitionen in
Bildung, die Investitionen in Kinder und ihre Zukunft,
all dies leisten wir mit den unterschiedlichen Gesetzen.
({8})
Auch versuchen wir, die Erosion des Arbeitsmarktes
durch die Hartz-Gesetzgebung zu kompensieren.
({9})
Ihre Politik hat dafür gesorgt, dass ältere Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen mit öffentlichen, steuerfinanzierten und beitragsfinanzierten Geldern weggefegt wurden.
({10})
All dies wird jetzt durch unsere Gesetze wieder geändert. Es wird Zeit, dass das endlich geschieht. Insofern
kann ich sie nur noch einmal auffordern, diesen Reformpaketen zuzustimmen.
({11})
Die CDU/CSU will das individuelle Risiko bei der
Rente und der Gesundheit stärker berücksichtigen. Sie
plädiert für die Kopfpauschale.
({12})
Diese lehnen wir ab. Es kann doch nicht wahr sein, dass
Chefärztin und Pfleger das gleiche Risiko haben, das
Gleiche zahlen
({13})
und der Staat die Mindereinnahmen mit zweistelligen
Milliardensummen kompensieren muss. Das belastet die
einkommensschwachen Familien und die Steuerzahler.
Wir lehnen das ab.
({14})
Wir wollen, dass auch in Zukunft die breiteren Schultern
mehr tragen als die schmaleren und das Band der Solidarität in den Sozialsystemen weiterhin gilt. Gleichzeitig
achten wir darauf, dass die Systeme bezahlbar bleiben.
({15})
Zur Gesundheitsreform. Herr Kollege Zöller, ich habe
mich gewundert, dass Sie sagen, die Disease-Management-Programme, die strukturierten Behandlungsprogramme erforderten so viel Bürokratie. Diese Programme waren uns sehr wichtig.
({16})
Den Ärzten war es wichtig, dabei sehr viele Aspekte zu
berücksichtigen. Vielleicht hatten sie sogar die Hoffnung, dass die Bürokratie diese Programme ersticken
würde. Wir werden dafür sorgen, dass die Disease-Management-Programme, wo es möglich ist, verschlankt
werden. Aber sie haben ihren Sinn und werden Qualität
und Wirtschaftlichkeit in das System bringen.
({17})
Der FDP als Gralshüter der freien Berufe und des
Wettbewerbs kann ich nur sagen:
({18})
Ich kann mich daran erinnern, dass die FDP in der kurzen Zeit, in der sie bei den Kompromissrunden beteiligt
war, für eine Gruppe von Leistungsanbietern ein Reservat, einen Schutzraum errichten wollte. Sie wollte überhaupt keinen Wettbewerb. Wir waren diejenigen, die
mehr Wettbewerb haben wollten. Wir wollten die Einzelverträge und wir wollten das Monopol der Kassenärztlichen Vereinigungen zumindest modifizieren.
({19})
Wir wollten noch mehr Bewegung in den Gesundheitsmarkt bringen. Sie haben dies verhindert.
Wir haben einen Kompromiss geschlossen und dieser
Kompromiss ist besser, als häufig dargestellt wird. Wir
werden im nächsten Jahr sehen:
({20})
mehr Transparenz, mehr Qualität. Wir stärken die Patientenrechte und wir haben die Tür weiter für die integrierte Versorgung und die ambulante Versorgung in
Krankenhäusern geöffnet.
({21})
Weiterhin bringen wir mehr Ordnung in den Arzneimittelmarkt. Insofern setzen wir uns deutlich von Ihrer
Kritik ab. Sie wollen den Wettbewerb nur, wenn er Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrifft. Wenn es um
die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt geht, dann sind
Sie ohne Rücksicht auf Verluste dafür, aber mehr Wettbewerb zwischen Ärzten und Apothekern bezeichnen
Sie als sozialistische Verirrungen.
({22})
Ja, wir wollen die Bürgerversicherung. Sie ist ein Element der nachhaltigen Finanzierung.
({23})
Wir lehnen die Individualisierung und den Vorschlag
der CDU/CSU betreffend eine risikobezogene Kopfprämie ab. Wir wollen den Weg gehen, dass jeder Mann,
jede Frau und jedes Kind in diesem Land versichert ist
und die Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit Beiträge zahlen. Dabei achten wir auf die Finanzierung des Systems und auch auf die strukturellen Elemente.
({24})
Wir werden die Prävention stärken. Das wird eine nationale Aufgabe werden. Wir wissen, dass die Prävention
eine Antwort auf die demographische Entwicklung ist.
Deswegen hat diese Regierung nicht nur die Prävention
wieder im SGB V verankert -, die Sie gestrichen
hatten -, sondern wir werden mit einem großen eigenen
Präventionsgesetz diesem Bereich endlich die Aufmerksamkeit geben, die ihm zukommt.
Meine Redezeit ist leider um. Ich fordere Sie auf,
nicht Ihrem Kollegen Kauder zu folgen, der angekündigt
hat, die Reform der Rente, auch die kurzfristigen Maßnahmen, komplett abzulehnen. Damit zieht die Union
den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes den Boden unter den Füßen weg und verspielt unsere Zukunftsfähigkeit. Verlassen Sie diesen Weg! Unterstützen Sie
uns bei den Reformpaketen!
({25})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Fricke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Kühn-Mengel und auch Frau Bender haben
in ihrer Rede - ich bin sicher, wir werden das gleich
auch in der Rede von Herrn Kurth erleben - nichts über
den Haushalt gesagt.
({0})
Über den Haushalt zu reden muss ganz schrecklich für
Sie sein, deshalb suchen Sie sich lieber etwas anderes,
das Sie angreifen können. Als Haushälter sage ich Ihnen:
Sie müssen sich mit dem Ist auseinander setzen; denn
nur auf dieser Grundlage können Sie etwas Besseres für
die Zukunft schaffen.
({1})
Eine kleine Anmerkung zu Ihnen, Herr Luther. Es ist
sicherlich gut, dass Sie mit Ihrer Frau über den Haushalt
reden. Da Sie wie ich Vater dreier Kinder sind, sollten
Sie auch einmal mit Ihren Kindern darüber reden. Der
Kern des Problems, mit dem wir uns beschäftigen müssen, ist doch, dass wir die Zukunft unserer Kinder heute
und insbesondere in diesem Haushalt verfrühstücken.
({2})
Als Haushälter möchte ich ausdrücklich sagen, dass
wir sachliche Beratungen durchgeführt haben. Wir haben uns mit vielen Aspekten detailliert beschäftigt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Hajduk?
Selbstverständlich, besonders gern von der Kollegin
Hajduk.
({0})
- Wir arbeiten kollegial zusammen, Herr Kollege, das
heißt aber nicht, dass wir in der Sache gleicher Meinung
sein müssen.
Herr Kollege Fricke, Sie haben darauf angespielt,
dass die Kollegen meiner Fraktion nicht über den Haushalt des Gesundheitsministeriums reden wollten. Ich
möchte Sie daher fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, dass
die Diskussion über die Rente in einem engen Zusammenhang mit dem Haushalt des Gesundheitsministeriums - der Bund hat die Garantiefunktion inne - und im
weiteren Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt steht
und die Beiträge der Kolleginnen Waltraud Lehn und
Birgitt Bender daher sogar den Kern der Problematik in
der Haushaltspolitik und Rentenversicherung herausarbeiten? Ist Ihnen dieser Zusammenhang bekannt?
({0})
Liebe Kollegin Hajduk, Sie werden überrascht sein,
aber mir ist der Zusammenhang durchaus bekannt. Das
wissen Sie auch aus den Berichterstattergesprächen. Damit ich nicht missverstanden werde, möchte ich hier sagen, dass die Kollegin Lehn überhaupt nicht gemeint
war; denn ihre Rede bezog sich klar auf den Haushalt.
Die Kollegin Bender hat sich allerdings nur mit der
CDU/CSU, in erster Linie mit Herrn Seehofer, der in einer hinteren Reihe ganz ruhig und entspannt sitzt, aber
konzentriert zuhört, auseinander gesetzt.
({0})
Sie wissen, dass ich es nicht schätze, über Inhalte der
Berichterstattergespräche in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Aber von Frau Bender wurde über Detailfragen
- um wie viele Milliarden geht es? - überhaupt nicht geredet.
({1})
Die Schwankungsreserve wurde nicht angesprochen.
Auch über die Frage, welche Rentengesetze beschlossen
wurden, die noch nicht in Kraft gesetzt worden sind,
aber dennoch Einfluss auf den Haushalt haben werden,
wurde von ihr nicht geredet. Das war mein Ansatz. Im
Übrigen gebe ich Ihnen Recht: Es besteht ein Zusammenhang.
({2})
Wir haben beim Bundessozialgericht etwas erreicht.
In diesem Zusammenhang möchte ich meine Mitberichterstatter loben. Wir haben es geschafft, die Ausgabe eines hohen Millionenbetrages um ein Jahr zu verschieben, weil wir gesagt haben, wir warten ab, wie die
Renovierung des Bundessozialgerichts läuft. Das ist ein
kleiner Punkt, den ich aber ansprechen wollte. Denn
wenn man auf der einen Seite Kritik übt, muss man auf
der anderen Seite auch die Dinge loben, die in Ordnung
sind.
Der Bericht des Bundesrechnungshofes zum RobertKoch-Institut ist nicht in Ordnung, Frau Ministerin. Wir
befinden uns ja schon in der Karnevalszeit und daher
kann ich sagen: Es ist bemerkenswert, wenn Geld für das
Büro eines Vizepräsidenten, den es noch gar nicht gibt,
ausgegeben wird. Das ist schon ein Treppenwitz.
Der Einzelplan 15 hat das größte Budget. Im Jahr
2004 wird das zu einem großen Risiko werden.
({3})
Eines kann ich Ihnen garantieren, Frau Ministerin: In
diesem Jahr war der Haushalt des Wirtschaftsministers
das größte Risiko. Er hat für einen Nachtragshaushalt
gesorgt. Im kommenden Jahr werden Sie es sein. Ich will
damit nicht unterstellen, dass Sie das wollen
({4})
- nein, dann würden Sie mich missverstehen -, aber es
wird genau darauf hinauslaufen.
Ich begründe das gerne. Wir haben gesehen, wie Sie
hinsichtlich der globalen Minderausgabe vorgegangen
sind, und wir haben in den Berichterstattergesprächen
erlebt, liebe Kollegin Hajduk, dass uns die Ministerin
und die Staatssekretärin auf unsere Bitte um konkrete
Angaben zu der Frage, wie die 1 Milliarde Euro eingespart werden soll, eine entsprechende Auskunft zugesagt
haben. Am Montag darauf war das aber alles perdu. Zu
diesem Zeitpunkt war klar, dass die Einsparvorschläge
nicht vorgelegt werden müssen, sondern dass der Finanzstaatssekretär Diller fleißig nach anderen Einsparmöglichkeiten im Haushalt suchen muss.
Ich will nicht alles aufzählen. Das wäre eine Wiederholung und damit höchst kritisch einzuschätzen. Ich
möchte aber einen Punkt ansprechen und die Kollegen
von der CDU/CSU bitten, über die Frage nachzudenken,
wie wir Kinderlose davon überzeugen können, diejenigen zu unterstützen, die Kinder haben. Es kann doch
nicht sein, liebe Kollegen von der CDU/CSU, dass durch
eine falsche Prononcierung bei Kinderlosen das Gefühl
entsteht, sie seien die Melkkühe der Nation. Wir müssen
diese Leute bei den Reformen mitnehmen. Das ist meiner Ansicht nach nicht möglich, wenn Kinderlose höhere
Beiträge zahlen müssen. Ich glaube, wir alle - das gilt
für das ganze Haus - müssen vielmehr verstärkt darauf
achten, die Leute mitzunehmen und zu zeigen, dass wir
bereit sind, andere zu unterstützen, die im Sinne der Solidarität - wie es die SPD so schätzt - etwas für unsere
Altersvorsorge tun.
Ich komme nun zur Rentenreform. Frau Ministerin,
ob 1,5, 1,3 oder 1,2 Prozentpunkte - ich bin sehr gespannt darauf, auf welchen Prozentsatz die Beiträge
schließlich hinauslaufen werden und zu welchem Zeitpunkt die Frage geklärt wird, wann und in welcher Form
die Renten angepasst werden.
Jetzt zu der Aussage, dass die Absenkung der
Schwankungsreserve nicht so schlimm sei, Frau Lehn.
Herr Diller wird zwar auch dafür eine Lösung finden
- das ist auch im Nachtragshaushalt möglich -, aber einem Rentner kommt es nicht nur darauf an, ob er am
Monatsanfang oder -ende sein Geld bekommt. Wir sollten vielmehr vermeiden, immer wieder den Eindruck zu
erwecken, dass wir uns ständig mit der Frage befassen,
woher wir dieses Geld eigentlich nehmen sollen.
({5})
- Das tun wir auch nicht. Die Meldung lautet doch nicht:
Die FDP und die CDU/CSU reden dem Bürger etwas
ein.
({6})
Die deutschen Journalisten - insofern habe ich ein starkes Vertrauen zu ihnen - werden vielmehr feststellen:
Während früher das Geld aus der Schwankungsreserve
zur Verfügung stand, muss der Staat jetzt schon so weit
gehen, seine stillen Reserven zu verbrauchen.
Für uns als Haushälter mag es dabei zunächst einmal
nur um die Verrechnung von Posten gehen. Aber dem
Rentner draußen im Lande macht dieser Zustand Angst.
Das ist eine schlechte Voraussetzung, wenn wir ihn bei
anderen Reformvorhaben mitnehmen wollen.
({7})
Für mich zeigt sich bei der Rente, dass hier sozusagen
mit Verschiebebahnhöfen gearbeitet wird: Mal ist es der
Südbahnhof, mal der Nordbahnhof, mal der Ostbahnhof.
Was aber fehlt, Frau Ministerin, ist,
({8})
dass Sie endlich einmal den Hauptbahnhof erreichen.
({9})
Was das Thema Prävention angeht, bin ich gespannt, wie
Sie Ihre Vorhaben finanzieren wollen.
({10})
Ich komme zu einem letzten Punkt. Ein weiteres Risiko in Ihrem Haushalt ergibt sich aus dem AAÜG hinsichtlich der Sonderrenten Ost. Frau Lehn, Sie haben es
zu Recht immer wieder im Haushaltsausschuss angesprochen: Die Sonderrenten Ost stellen ein riesiges Problem dar. Ich möchte davor warnen, dass die Bundesregierung im Vermittlungsausschuss das AAÜG und die
Zahlungen der Länder sozusagen als Köder benutzt, damit der Fisch zuschnappt, indem sich die neuen Länder
bereit erklären mitzumachen, weil sie sich davon Entlastungen versprechen. Es geht auf keinen Fall an, dass es
in diesem Bereich zu weiteren Zahlungen kommt. Bereits jetzt drohen Zahlungen, die durch die Gerichte veranlasst werden.
Ich komme zum letzten Punkt: Gesundheitsreform
und Tabaksteuer.
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss. - Dass es nicht sehr konsequent ist, sich auf der einen Seite an der Gesundheitsreform beteiligen zu wollen und auf der anderen Seite die
Tabaksteuerreform zu blockieren, ist eines. Aber
schlimm ist, dass die Umsetzung der Tabaksteuer nicht
so funktioniert wie vorgesehen. Das hat der Kollege
Diller inzwischen auch bestätigt. Darin liegt ein weiteres
hohes Risiko.
Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung.
Nein, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Ich war
schon bei Ihrem Kollegen sehr großzügig. Es nützt
nichts, immer wieder mit der Präsidentin zu verhandeln.
({0})
Erlauben Sie mir noch einen letzten Satz zur Gesundheitsreform und zur Tabaksteuer und zwar ein abgewandeltes Zitat von Wilhelm Busch:
Zwei Wochen war der Bürger krank. Jetzt raucht er
wieder, Gott sei Dank.
({0})
Ob das jeder versteht? Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Kurth.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich könnte jetzt
mit einem Busch-Zitat fortsetzen: „Ach, was muss man
oft von bösen Buben hören oder lesen.“ Dieses Zitat
drängt sich einem in der Tat auf.
({0})
Wenn man die gesamte Haushaltsdebatte Revue passieren lässt, dann fällt vor allen Dingen mit Blick auf die
CDU/CSU die Beliebigkeit auf, mit der Sie in den Debatten über die verschiedenen Einzelpläne haushaltswirksame Forderungen ohne jeden Bezug zur prekären
Haushaltssituation des Bundes stellen.
({1})
In der Finanzdebatte klagen Sie über die Totengräber des
Stabilitätspakts; hier aber und in den Debatten in Ihrer
Partei stellen Sie politische Forderungen, die zum Teil
Ausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe zur Folge hätten. Das passt nicht zusammen.
({2})
- Ich sage Ihnen gleich, wo.
Ich wundere mich nicht über inhaltliche Unterschiede
zwischen Regierung und Opposition in den Einzelvorschlägen. Ich wundere mich nicht darüber, dass die Kollegin Maria Eichhorn gestern in der familienpolitischen
Debatte ein Erziehungsgeld in Höhe von monatlich
500 Euro bis zum dritten Lebensjahr fordert. Man kann
es einerseits als „Heim- und Herdprämie“ sehen, weil es
für Frauen negative Beschäftigungsanreize setzt, andererseits kostet es zig Milliarden Euro.
({3})
Ich wundere mich nicht, dass der Abgeordnete Michael
Meister kurzerhand Kürzungen bei der Jugendhilfe, Eingliederungshilfe und Grundsicherung fordert. Ich wundere mich schon gar nicht über den Abgeordneten Merz,
der ein Steuerkonzept vorlegt, das auf den ersten Blick
relativ einfach und charming zu sein scheint, das aber
etwa die allein erziehende Krankenschwester im Vergleich zu heute erheblich benachteiligte und außerdem
zusätzliche Einnahmeausfälle für die öffentliche Hand
bedeutete.
({4})
- Wir schaffen einen neuen Freibetrag für die Alleinerziehenden; das wissen Sie ganz genau.
Ich wundere mich auch nicht über das Kopfpauschalenmodell Ihrer Herzog-Kommission, das äußerst fragwürdige Verteilungswirkungen hätte und darüber hinaus
ein enormes Umverteilungsvolumen über Steuermittel
erforderte.
({5})
Wenn ich diese Kakophonie verschiedener Vorschläge höre, dann wundere ich mich aber sehr darüber,
dass Sie nicht zu sehen scheinen, dass sich die Vorschläge in der Gesamtschau widersprechen und zu einem
gewaltigen Defizit auftürmen, das bei EU-Kommissar
Solbes mit Sicherheit zu einer Herzattacke führte. Reden
Sie denn gar nicht miteinander? Bestellt bei Ihnen jeder
seinen eigenen Vorgarten? Macht in dieser Debatte jeder
seine Vorschläge nach eigenem Gutdünken?
({6})
Auf der einen Seite klagen Sie uns in der Haushaltsdebatte an, auf der anderen Seite machen Sie Vorschläge,
die viel Geld erfordern.
({7})
Sie haben nicht nur ein Puzzle, Sie werfen verschiedene
Puzzles ineinander. Sie verzichten wohl bedacht darauf,
den Versuch zu machen, ein Gesamtbild zu zeichnen
({8})
und sich miteinander ins Benehmen zu setzen, weil Sie
wissen, dass die verschiedenen Vorschläge, über die Sie
sich zum Teil auch untereinander streiten, einfach nicht
zusammenpassen.
In diesem Zusammenhang will ich noch kurz auf den
Rentenvorschlag von Herrn Stoiber eingehen: Bei ihm
fällt auf, wie sehr Sie eigentlich noch in der Verteilungspolitik stecken, die Herr Kolb beinahe zu Recht angeprangert hat, und wie wenig Sie Strukturfragen in den
Vordergrund stellen.
({9})
Sie wollen die Kinderlosen belasten, Sie wollen die Familien fördern.
({10})
- Bitte, Frau Widmann-Mauz, unterlassen Sie diesen
permanenten Geräuschhintergrund! Seien Sie einfach
die restlichen drei Minuten meiner Redezeit still und hören Sie meiner Rede zu!
({11})
Ist denjenigen Frauen, die keinen Arbeitsplatz haben
können, weil es ihnen an Betreuungsmöglichkeiten für
Kinder im Alter von null bis drei Jahren - nicht erst ab
drei Jahren, wie Herr Kolb sagt - fehlt,
({12})
denn wirklich damit geholfen, wenn sie weniger Rentenbeiträge zahlen sollen? Wo setzen wir denn gezielt unsere Mittel ein?
({13})
In diesem Punkt unterscheiden sich die Regierung
und diese Seite des Parlaments von Ihnen sehr, weil wir
hier vernetzt denken. Wenn wir zum Beispiel über die
Regelsätze in der Sozialhilfe nachdenken, dann realisieren wir den Mehrbedarf bei den Alleinerziehenden im
Arbeitslosengeld II. Gleichzeitig gibt es den Erwerbstätigenzuschlag vonseiten des Familienministeriums für
diejenigen, die im Bereich des Arbeitslosengeldes II erwerbstätig sind, und wir verbessern die Kinderbetreuung
für die Null- bis Dreijährigen, um die Erwerbstätigkeit
zu steigern. Diese vernetzte, verschiedene Ressorts übergreifende Politik führt zu einer Steigerung des Erwerbstätigkeitsniveaus und legt das Fundament für eine nachhaltige Sozialpolitik.
({14})
Das könnte ich noch für eine ganze Reihe anderer
Themenbereiche durchdeklinieren. Da ich leider nicht
mehr so viel Redezeit habe, möchte ich nur noch kurz
auf zwei Bereiche eingehen, in denen die eben geschilderten Zusammenhänge deutlich werden. Nach der
jüngsten Studie des Statistischen Bundesamtes mit dem
Titel „40 Jahre Sozialhilfe in Deutschland“ ist der Anteil
der Sozialhilfebezieher bei den Migrantinnen und Migranten, also den ausländischen Mitbürgern der zweiten
Generation, überproportional hoch. Insgesamt liegt der
Anteil der Ausländer an den Sozialhilfebeziehern bei
22 Prozent. Natürlich kann man angesichts dessen wie
Herr Beckstein sagen, dass wir mehr Menschen brauchen, die uns nutzen, als solche, die uns ausnutzen.
({15})
- Mir war klar, dass Sie an der falschen Stelle klatschen
werden.
Man kann aber auch zielgruppengerechte Programme
auflegen, um diese Menschen in das Erwerbsleben zu integrieren. Dafür braucht man keine kommunalen Arbeitsgelegenheiten, wie das Ihr Entwurf eines Existenzgrundlagengesetzes vorsieht. Wir versuchen vielmehr,
die Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Darauf zielt auch - das
betrifft den Geltungsbereich des SGB IX - unser jüngst
eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der
Beschäftigung Schwerbehinderter ab.
Entscheidend ist nicht allein die Verteilungspolitik.
Wir versuchen vielmehr - das tun wir auch -, Strukturentscheidungen und Verteilungsentscheidungen zu
verbinden. Wir warten nicht mit einem Sammelsurium
verschiedener, sich widersprechender Verteilungsentscheidungen auf.
Danke schön.
({16})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Storm.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
heute manchmal den Eindruck, auf der falschen Veranstaltung zu sein. Frau Kollegin Bender, Herr Kollege
Kurth, ich lade Sie ganz herzlich zu unserem Parteitag
am kommenden Montag und Dienstag in Leipzig ein.
Wenn Sie an ihm teilnehmen, dann werden Sie vielleicht
in Zukunft nicht mehr so viel Unfug über unser Parteiprogramm reden. Es ist aber bezeichnend, dass Sie beide
fast kein Wort über das eigentliche Thema dieses Nachmittags verloren haben, nämlich den Sozialhaushalt der
rot-grünen Bundesregierung. Das kommt sicherlich
nicht von ungefähr.
({0})
Einen Fortschritt gibt es: Nach derzeitigem Stand
wird die zuständige Fachministerin, Frau Schmidt, heute
das Wort ergreifen. Bei der zweiten und der dritten Lesung der Rentenreform, die vor wenigen Wochen stattfand, hat die Fachministerin - das war ein Novum in der
Parlamentsgeschichte - nicht zu diesem wichtigen
Thema gesprochen, das vor allem die Rentnerinnen und
Rentner betrifft; denn zum ersten Mal in der Geschichte
der Rentenversicherung werden die Renten im nächsten
Jahr effektiv gekürzt.
({1})
Bei der Verabschiedung des Haushalts 2001 haben
Sie in diesem Haus erklärt, beim Thema Rente hätten Sie
Ihre Hausaufgaben gemacht. Wenige Monate zuvor hatten Sie nämlich die riestersche Rentenreform beschlossen. Heute, zwei Jahre später, müssen wir aber
feststellen, dass sich die Sozialversicherung in der
schwersten Finanzierungskrise ihrer Geschichte befindet.
({2})
Im zweiten Jahr hintereinander weist die gesetzliche
Krankenversicherung ein Defizit von 3 Milliarden
Euro auf. Ohne unsere Bereitschaft im Sommer dieses
Jahres, die dringendsten Finanzierungsprobleme der
Krankenkassen gemeinsam zu lösen, würde sich die Beitragsspirale im kommenden Jahr unverändert weiterdrehen und würde sich der Beitragssatz auf die 15-ProzentMarke zubewegen. In wenigen Wochen werden Sie ein
neues Rekorddefizit - es wird wahrscheinlich bei über
700 Millionen Euro liegen - in der Pflegeversicherung
bekannt geben müssen.
({3})
Sie mussten ja bereits vor sechseinhalb Wochen, als Sie
auf dem Krisengipfel im Kanzleramt nach einer Lösung
gesucht haben, das größte Loch in der Geschichte der
Rentenversicherung - 8 Milliarden Euro - bekannt geben.
({4})
Dies alles verschärft die Probleme der öffentlichen
Haushalte gewaltig. Den meisten ist es nicht bewusst,
aber das deutsche Haushaltsdefizit wird allein durch die
Finanzmisere der Sozialversicherung um 6,4 Milliarden
Euro in diesem Jahr vergrößert. Dafür sind Sie verantwortlich, Frau Schmidt.
({5})
Wie absurd die Renten- und die Sozialpolitik von
Rot-Grün ist, zeigt sich daran, dass der Bundesfinanzminister das Rekordloch in der Rentenversicherung noch
vergrößern wollte. Auch das ist einmalig. Sie erinnern
sich vielleicht an Folgendes:
({6})
Am Freitag vor sechs Wochen hat Rot-Grün mit seiner
Mehrheit ein Haushaltsbegleitgesetz beschlossen, das
vorsah, dass der Bundeszuschuss im kommenden Jahr
um 2 Milliarden Euro reduziert wird.
({7})
Diese Entscheidung haben Sie zwei Tage später beim
Kanzlergipfel rückgängig gemacht.
({8})
Das ist kabarettreif und hat nichts mehr mit einer ernsthaften Renten- und Sozialpolitik zu tun.
({9})
Eine Verbesserung der Finanzlage der Rentenkasse ist
nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Jahr 2004 wird die Rentenkasse vor Problemen stehen, die sie in ihrer Geschichte noch nicht hatte.
({10})
Bei der Anhörung des Sozialausschusses des Bundestages haben die Rentenversicherungsträger übereinstimmend deutlich gemacht, dass sie noch bis zum Sommer
über die Runden kommen, indem früher auf den Bundeszuschuss für die Rentenkasse zurückgegriffen wird;
diese Maßnahme reiche aber allerspätestens im November nicht mehr aus. Das bedeutet, dass der Bundesfinanzminister einen zinslosen Kredit geben muss, damit
die Renten pünktlich gezahlt werden können.
({11})
Nun fragen Sie: Was soll denn das? Schließlich bekommen die Rentnerinnen und Rentner weiterhin ihre
Rente. - Die Gewährung eines zinslosen Kredites durch
den Bundesfinanzminister ist aber ein dramatischer Einschnitt in die Sozialgeschichte:
Erstens. Der Bundesfinanzminister muss mehr Schulden aufnehmen, damit die Renten nächstes Jahr im November pünktlich gezahlt werden können.
Zweitens. Die Rentenversicherung muss das Darlehen
im folgenden Jahr an den Finanzminister zurückzahlen.
Das heißt, die nächste Erhöhung der Beiträge zur Rentenversicherung ist schon vorprogrammiert.
({12})
Drittens. Die Rentenpolitik wird gewissermaßen immer kurzatmiger. Deshalb muss bald möglicherweise
nicht nur im Herbst, sondern auch unterjährig entschieden werden, ob der Beitrag zur Rentenversicherung nach
oben angepasst wird.
({13})
- Frau Bender, Sie fragen immer wieder: Was bedeutet
denn das?
({14})
Viertens. Wenn der Finanzminister seine Finger bei
der Rentenauszahlung direkt im Spiel hat, dann bringen
Sie - das ist völlig klar - die Rentenkasse an das Gängelband des Finanzministers.
Wenn wir im kommenden November die gleiche Situation wie in diesem Jahr vorfinden, dann brauchen wir
uns über eine neue Rentenformel, über einen Nachhaltigkeitsfaktor oder über einen Demographiefaktor nicht
mehr zu unterhalten, dann entscheidet nämlich nicht
mehr die Rentenformel darüber, ob die Rentnerinnen
und Rentner eine Rentenerhöhung erhalten, sondern der
Finanzminister.
({15})
Eine Rente nach Kassenlage wollen wir nicht. Das Ergebnis von sechs Jahren rot-grüner Rentenpolitik wird
die Ablösung der Rente nach Kassenlage durch eine
Rente auf Pump sein.
({16})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Hajduk?
Aber gerne.
Herr Kollege, Sie sind ein Experte Ihrer Fraktion für
die Rentenfinanzierung.
({0})
Sie greifen in Ihrer Rede die Finanzierungsprobleme
auf und machen uns den Vorwurf, dass es - ich denke,
ich habe das richtig verstanden - unterjährig zu Beitragssatzschwankungen kommen könnte. Sie reden von den
Belastungen, haben aber noch keine Lösungen angeboten. Darf ich Sie fragen, ob Sie uns empfohlen hätten,
den Beitragssatz in einem Zuge um knapp einen Prozentpunkt anzuheben? Wie hätten Sie sich verhalten?
Frau Hajduk, als Sie hier vor zwei Jahren die RiesterRente beschlossen haben, erklärten Sie, der Rentenbeitrag werde im darauf folgenden Jahr 18,7 Prozent betragen. Ohne diese Notmaßnahmen wäre der Rentenbeitrag
nun bei 20,3 Prozent. Dies ist das Ergebnis einer verfehlten rot-grünen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
({0})
Deswegen ist es für die Lösung der Rentenprobleme entscheidend, dass die Arbeitsmarktprobleme gelöst werden.
Zum Thema Schwankungsreserve will ich Ihnen eines ganz deutlich sagen, weil Sie damit im Moment ja
noch nicht klarkommen. Die Kollegen aus der SPDFraktion sagen: Wir wissen gar nicht so recht, warum
das Ministerium eigentlich will, dass diese Rücklage
wieder aufgebaut wird.
({1})
Es ist entscheidend, dass die Rentenkasse in den nächsten Jahren wieder eine Rücklage von mindestens zwei
Monatsausgaben bekommt. Deswegen ist die ehrliche
Antwort, dass wir in diesem Jahrzehnt wahrscheinlich
keinen Spielraum mehr für die Senkung der Rentenbeiträge haben werden.
Wenn es ein ganz großes Problem bei der Finanzierung
der Rentenversicherung gibt, dann ist es die permanente
Abhängigkeit der Rentenbeiträge von der Konjunkturentwicklung mit der Folge, dass steigende Rentenbeiträge die Arbeitsmarktmisere verschärfen. Deswegen ist
der Abbau der Rücklage der größte Fehler. Sie müssen
die Rücklage in den nächsten Jahren wieder auf mindestens zwei Monatsausgaben erhöhen.
({2})
Wenn dies nicht Gegenstand einer großen Rentenreform
wird, dann kann eine solche Rentenreform am Ende
nicht erfolgreich sein.
({3})
Jetzt komme ich zum SPD-Parteitag.
({4})
Sie haben offenbar gegen den Willen des Bundeskanzlers
einen Lösungsweg aufgezeigt, der die Probleme weiter verschärft, anstatt auch nur näherungsweise für Abhilfe zu sorgen. Sie haben nämlich vorgeschlagen, die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung auszuweiten.
({5})
Sie wollen die Beamten und die Freiberufler in die gesetzliche Rentenversicherung aufnehmen.
({6})
Auf diesen Gedanken ist auch schon der Deutsche
Gewerkschaftsbund gekommen. Er hat vor zwei Jahren
die Hans-Böckler-Stiftung prüfen lassen, was passiert,
wenn die Beamten und die Freiberufler aufgenommen
werden. Ergebnis ist, dass es dann in der kritischen
Phase der Rentenversicherung, nach dem Jahr 2030, sogar höhere Beiträge gibt, als wenn diese Gruppen außen
vor sind. All diese Erkenntnisse lagen vor.
So hat auch der Bundeskanzler im „Spiegel“-Interview dieser Woche erklärt - ich zitiere wörtlich -:
Wenn man eine vernünftige Lösung will, muss man
abwägen zwischen dem Geld, das durch das Einbeziehen neuer Gruppen in die Kasse kommt, und den
Ansprüchen, die daraus entstehen. Bei dieser Abwägung könnte herauskommen, dass das bisherige
System sehr viel effektiver ist als das neue.
Das bedeutet: Der Bundeskanzler hat sich bereits drei
Tage nach Ihrem Parteitag von Ihrem Parteitagsbeschluss verabschiedet. Nun könnte man aufatmen und
sagen: Das klingt nach Beerdigung dritter Klasse. Nur,
man kann sich bei der derzeitigen Verfasstheit von RotGrün eben nicht sicher sein.
({7})
Wenn Sie die ideologischen Scheuklappen bereits auf
dem Parteitag beiseite gelegt hätten, wenn Sie diese Erkenntnisse, die sogar den Gewerkschaften vorliegen, genutzt hätten, wären Sie nie auf den Gedanken gekommen, eine Erwerbstätigenversicherung zu fordern.
Wir brauchen also eine Sozialreform, die das Übel bei
den Wurzeln packt. Die Frage ist: Welches sind denn die
entscheidenden Probleme bei den sozialen Sicherungssystemen? Wenn Sie sich einmal einen Vergleich mit
unseren europäischen Nachbarn anschauen, dann stellen
Sie fest: Es gibt kein anderes Land, das in dem Umfang
wie Deutschland soziale Sicherheit über lohnbezogene
Sozialabgaben finanziert.
({8})
Bei uns wird ein großer Teil der Arbeitskosten für soziale Sicherung aufgewendet.
Deshalb ist ein Kernpunkt für die Lösung des Problems,
zumindest für einen großen Teilbereich - das ist in erster
Linie das Gesundheitswesen - eine Abkopplung von den
Arbeitskosten zu erreichen. Das bedeutet auch - ehrliche
Antwort -, dass wir soziale Sicherheit ein Stück weit
mehr als bisher aus Steuermitteln finanzieren müssen.
Eine ehrliche Antwort zum Rentensystem ist auch,
dass wir eine offene Flanke des Generationenvertrags
von 1957 schließen müssen. Dieser Generationenvertrag
zur Rente war nur ein Zweigenerationenvertrag. Er hat
die aktive Generation und die Rentnergeneration umfasst. Jetzt müssen wir die Aufgabe bewältigen, auch die
dritte Generation einzubeziehen und die Beitragsleistung, die jemand dadurch erbringt, dass er Kinder erzieht, mit zu honorieren. Dass man dabei nicht über das
Ziel hinausschießen darf und dass dabei keine einseitige
Belastung der Kinderlosen infrage kommt, ist richtig.
Aber ohne Schließen dieser offenen Flanke der Rentenreform von 1957 werden Sie eine tragfähige Sozialreform nicht schaffen.
({9})
Deswegen, meine Damen und Herren, dürfen wir
keine Zeit mehr verlieren. Wir sind bereit, an einer
grundlegenden Erneuerung unserer sozialen Sicherungssysteme mitzuwirken.
({10})
Mit Schlagworten wie Bürgerversicherung oder Erwerbstätigenversicherung lösen Sie kein einziges Problem der Rentenversicherung.
({11})
Aber nach wie vor hängt die Erwerbstätigenversicherung
als Damoklesschwert über der künftigen Rentenreform.
Das sind Vorzeichen, die nichts Gutes erwarten lassen.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
({0})
Alle Abgeordneten haben von der Gesundheitsministerin eine dicke Werbemappe bekommen mit der roten
Aufschrift: Damit Deutschland gesund bleibt.
({1})
Ich glaube, dass man mit Werbung viel erreichen kann,
aber man kann den Menschen nicht dauerhaft ein X für
ein U vormachen. Die von einer ganz großen Koalition,
von SPD, CDU/CSU und Grünen konstruierten Gesetze
zur Gesundheitspolitik
({2})
sind der Abschied von einer solidarischen Krankenversorgung.
({3})
Ob Sie nun von Kopfpauschale oder Bürgerversicherung sprechen - Sie wollen nur eines, nämlich den Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Die ersten Schritte haben Sie mit den
Reformen beim Krankengeld und beim Zahnersatz
schon gemacht. Weitere Schritte werden folgen.
({4})
Die Grünen denken laut über das Einfrieren des Arbeitgeberanteils nach, die CDU möchte die Arbeitgeber
ganz aus der Verantwortung entlassen. Wir als PDS sind
gegen den CDU-Vorschlag einer Kopfpauschale
({5})
und warnen die SPD und die Grünen vor einem Etikettenschwindel: Führen Sie nicht über die Bürgerversicherung eine verkappte Kopfpauschale ein!
({6})
Meine Damen und Herren, Sie reden von mehr Eigenverantwortung
({7})
- wir stimmen im Bundesrat natürlich nicht zu, mein lieber Kollege Kampeter -, meinen aber mehr Zuzahlungen, und schröpfen die Bürger, ohne dass sie dafür mehr
Gesundheitsleistungen bekommen.
({8})
- Weder Berlin noch Mecklenburg-Vorpommern haben
der Gesundheitsreform im Bundesrat zugestimmt. Ihre
Behauptung entspricht nicht der Sachlage. Sie können
das im Protokoll des Bundesrates nachlesen.
Im nächsten Jahr sollen die Krankenkassen um
10 Milliarden Euro entlastet werden, 8,5 Milliarden sollen die Versicherten selber finanzieren. Durch Eintrittsgeld beim Arzt oder Zuzahlungen bei Medikamenten
werden die Kranken immer mehr zur Kasse gebeten.
Meine Damen und Herren, hoch spezialisierte Medizintechnologien und die Neuentwicklung von Medikamenten treiben die Gesundheitsausgaben in den IndusDr. Gesine Lötzsch
triestaaten in die Höhe. Deutschland gehört seit Jahren
bei den Gesundheitsausgaben zur Spitze, ohne dass Gesundheitszustand sowie Lebenserwartung ebenso Spitze
sind. Die Österreicher zum Beispiel haben eine höhere
Lebenserwartung als die Deutschen und trotzdem ein
preiswerteres Gesundheitssystem als wir. Der Beitragssatz beträgt dort nur 7,3 Prozent einschließlich Arbeitgeberanteil und ist damit nur halb so hoch wie hier. In Österreich zahlen allerdings alle in das Solidarsystem ein,
also auch Minister, Beamte und Selbstständige. Dass alle
einzahlen ist des Rätsels Lösung.
({9})
Ich will ein kleines Beispiel dafür nennen, wie Sie mit
Ihrer so genannten Gesundheitsreform Arbeitsplätze vernichten, ohne letztendlich wirklich Geld einzusparen. Ich
denke an die Fahrtkosten für Taxis, die zukünftig bei ambulanter Versorgung grundsätzlich nicht mehr erstattet werden. Bezahlt werden nur noch Fahrten zur stationären
Behandlung. Diese Pläne bedrohen besonders die Existenz von Unternehmen im ländlichen Raum. Billiger
wird es aber trotzdem nicht. Die Gesundheitsökonomen
müssten hier eigentlich Protest anmelden; denn die Regelung führt zu einer Verlagerung von der vergleichsweise preiswerten Beförderung mit Taxiunternehmen
hin zu Krankentransporten bzw. der Beförderung durch
Rettungsdienste. Nach dem Wegfall zahlreicher Busund Bahnverbindungen, insbesondere in den Flächenländern, ist für ältere Menschen das Taxi oftmals die einzige Möglichkeit, zum Arzt zu kommen.
({10})
Ich könnte Ihnen noch weitere Beispiele dafür nennen,
dass durch Ihre Gesundheitsreform nicht nur Nachteile
für Patienten entstehen, sondern auch Arbeitsplätze vernichtet werden.
An diesen wenigen Beispielen wird deutlich: Ihre Gesundheitsreform zieht nicht nur den Patientinnen und Patienten das Geld aus der Tasche; sie vernichtet auch Arbeitsplätze und wird das Gesundheitssystem nicht
billiger, sondern teurer machen.
({11})
Die schwerwiegendste Folge ist aber: Ihre Reform führt
nicht zu mehr, sondern zu weniger Gesundheit bei den
Menschen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Ulla
Schmidt.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Lötzsch, Sie haben unser Informationspaket „Damit Deutschland gesund bleibt“ angesprochen
und kritisiert. Viele Kollegen in diesem Haus haben sich
demgegenüber bedankt,
({0})
unter anderem Ihre Kollegin von der PDS: Sie könne
dieses Paket gut auf ihren Veranstaltungen nutzen.
({1})
Der Bundestag und der Bundesrat haben ein Gesetz
beschlossen, das viele Veränderungen für die Menschen
bringt. Da ist es nur richtig, Material zur Verfügung zu
stellen, damit alle Abgeordneten in ihren Wahlkreisen
Auskunft geben können. Weil das Gesetz nämlich fast
500 Seiten stark ist; ist Öffentlichkeitsarbeit notwendig,
Herr Kollege Zöller.
Wir beraten heute über den Haushalt des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, den
größten Einzelplan im Bundeshaushalt. Wir könnten
heute über viele Einzelheiten reden, etwa darüber, dass
wir den Neubau auf dem Gelände in der Rochusstraße
durchführen, weil sich dort bundeseigene Liegenschaften befinden. Es ist allemal wirtschaftlicher, bundeseigene Liegenschaften zu nutzen und die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter zusammenzuführen, als weiterhin hohe
Mieten zu zahlen, die im Übrigen von Verträgen herrühren, die von der alten Regierung abgeschlossen wurden.
({2})
Ich könnte ferner etwas sagen über den Bericht des
Bundesrechnungshofes zum Ausbau der Büros des Präsidenten des Robert-Koch-Institutes. Dann müsste ich
allerdings darauf hinweisen, dass die Beschlüsse im
Jahre 1997 gefasst wurden.
({3})
Man tut also immer gut daran, sich in Debatten, in denen man glaubt, der Regierung alles vor die Füße werfen
zu können, daran zu erinnern, dass es noch nicht so lange
her ist, dass CDU/CSU und FDP Verantwortung in diesem Lande getragen haben und mit ihrer Mehrheit die
Beschlüsse gefasst haben.
({4})
Dazu zählte auch der Beschluss über Baumaßnahmen
des Robert-Koch-Institutes. Zu Einzelheiten will ich
mich jetzt gar nicht weiter äußern.
({5})
Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, aber Sie haben mit
Ihren Vorwürfen danebengegriffen.
Sprechen wir über den Haushalt. Der größte Teil des
Haushaltes wird für die Sozialversicherung und die Stabilisierung der Rentenversicherung aufgewendet. Eben
ist gesagt worden: Es muss aufhören, dass so viele Steuergelder in die Rentenversicherung fließen. - Dann
müssen wir uns entscheiden; wir lassen nämlich keinen
einzigen Steuereuro in die Rentenversicherung fließen,
um etwa Beitragsausfälle auszugleichen.
({6})
Wir haben in diesem Hause vor vielen Jahren einen
Bundeszuschuss für die Rentenversicherung vielmehr
deshalb beschlossen, weil die Rentenversicherung Aufgaben wahrnehmen muss, die nicht zu ihren originären
Aufgaben gehören, sondern die die gesamte Gesellschaft
betreffen.
({7})
Es kann nicht allein Aufgabe der Beitragszahler und Beitragszahlerinnen sein, für diese Aufgaben aufzukommen. Stattdessen müssen alle - über die Steuer - an der
Finanzierung dieser Leistungen beteiligt werden.
({8})
Es ist eine Mär, dass der Bundeszuschuss deshalb
ständig steige, etwa weil die Einnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgingen; das wird auch
durch noch so vieles Wiederholen - von allen Seiten nicht wahr. Der Bundeszuschuss ist von 1960 bis 1989
gesunken, und zwar von 25 auf 20 Prozent. Er wurde angehoben, damit die Rentenversicherung gesamtdeutsche
Aufgaben wahrnehmen konnte:
({9})
Die Rentenversicherung musste die Zusammenführung
zweier Systeme leisten, das der Menschen in Ostdeutschland mit ihren berechtigten Rentenansprüchen
und das der Menschen in Westdeutschland.
({10})
Als der Zuschuss 1997 angehoben werden musste, haben wir gemeinsam - Bund und Länder - beschlossen,
die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt zu erhöhen, und
zwar um Fremdrenten und einigungsbedingte Leistungen erbringen zu können sowie der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Höherbewertung von
Kindererziehungszeiten nachzukommen.
({11})
Wir finanzieren mit Einnahmen aus der Ökosteuer
weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben, weil wir
möchten, dass Kindererziehung berücksichtigt wird und
nicht derjenige einen Vorteil hat, der in der Lage ist, erwerbstätig zu sein, weil er keine Kinder erzieht, und ein
durchschnittliches Einkommen erzielt. Dahin fließen die
zusätzlichen Einnahmen aus der Ökosteuer. Wer darüber
redet, dass der Bundeszuschuss zurückgeführt werden
muss, der muss auch sagen, welche Leistungen der Rentenversicherung demnächst gestrichen werden sollen.
({12})
Sonst sind das Scheindebatten, die auch nicht dadurch
besser werden, dass die Forderung bei jeder Debatte
über die Sozialpolitik wieder aufgegriffen wird.
Ich erwähne das nur, Herr Kollege Kolb, weil es mich
erschüttert hat, dass Sie sich hier hinstellen und sagen,
der November 2003 ist ein grauer Monat - das kann man
ja sehen -,
({13})
in dem wir feststellen müssen, dass die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland nicht mehr tragen.
({14})
Dazu sage ich Ihnen: Sie irren sehr,
({15})
wenn Sie sagen, dass die sozialen Sicherungssysteme
nicht mehr tragen.
({16})
Ich leugne nicht, dass wir einen dringenden Reformbedarf haben.
({17})
Aber Sie sind im Unrecht, wenn Sie behaupten, die sozialen Sicherungssysteme tragen nicht mehr, weil wir die
demographischen Probleme nicht lösen können und weil
es konjunkturelle Schwierigkeiten gibt.
({18})
Die deutsche Rentenversicherung leistet Jahr für Jahr
mit einem Transfer von 10 Milliarden Euro, die vom
Westen in den Osten fließen, einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse.
({19})
Die sozialen Sicherungssysteme haben den gesamten
Prozess der deutschen Vereinigung mit getragen. Sie
wissen, dass es ein elementarer Fehler Ihrer Regierung
war, Aufgaben im Zusammenhang mit der deutschen
Einheit über die Sozialversicherungssysteme anstatt
über Steuern zu finanzieren.
({20})
Wenn wir in unseren sozialen Sicherungssystemen diese
Aufgaben nicht mehr wahrnehmen müssten, hätten wir
um 4 Prozentpunkte niedrigere allgemeine Beitragssätze
und kein Mensch würde in diesem Hause darüber reden,
dass diese Systeme vor dem Kollaps stehen oder nicht
mehr tragen.
({21})
Herr Kollege Kolb, Sie sagen, diese Systeme tragen
nicht mehr, und fordern Privatisierung anstelle der solidarischen Umlagefinanzierung. Dem halte ich entgegen:
Wo wären wir denn, wenn wir ein rein kapitalgedecktes
System hätten? Wäre es bei uns dann so wie in den Vereinigten Staaten? Dort müssen wegen der Börsenverluste
auch Menschen über 70 wieder arbeiten gehen. Ich
nenne als Beispiel nur General Motors mit 19,3 Milliarden Dollar Verlusten in der Pensionskasse. In der
Schweiz hat die Regierung 20 Milliarden Euro nachschießen müssen. Bei den rein kapitalgestützten Pensionsfonds gab es im Jahr 2002 weltweit insgesamt
1 400 Milliarden Dollar Verluste als Folge der Schwierigkeiten im Börsengeschäft. Da soll jemand sagen, ein
solches System sei besser als die Reform des umlagefinanzierten solidarischen Systems, das wir hier in
Deutschland haben
({22})
und um das uns, Kollege Kolb, die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt beneidet! Die hätten gern unser
Sozialsystem, dann würden sie nämlich wesentlich besser leben.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb? - Bitte schön, Herr Kolb.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Ich sage schon einmal voraus: Wir werden im nächsten Jahr im November
an dieser Stelle wieder eine Debatte führen und ich
werde Ihnen das, was Sie heute hier gesagt haben, vorhalten. Das als Vorbemerkung.
({0})
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich davon gesprochen habe, dass die Systeme in ihrer bisherigen umlagefinanzierten Form nicht mehr tragen? Sind
Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass man das
am Beispiel der Rente sehr gut belegen kann?
Sie haben mit dem Vorschaltgesetz alle Stellschrauben im System der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung bis zum Anschlag angezogen.
({1})
Sie setzen mit Ihren wirtschaftlichen Prognosen auf das
Prinzip Hoffnung. Ich sage Ihnen voraus: Wenn sich ein
Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent im nächsten Jahr
nicht einstellen wird und es nur bei 0,8 oder 1,0 Prozent
liegt, dann wird das zutreffen, was der Kollege Fricke
Ihnen prophezeit hat, nämlich dass Ihr Ministerium Anlass für einen Nachtragshaushalt geben wird.
Ich verstehe nicht, wie Sie in dieser Situation so tun
können, als wenn wir in der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung keine Probleme hätten.
({2})
Das gilt in ähnlicher Weise auch für den Gesundheitsbereich.
({3})
Ich frage, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen.
Mich erschreckt, dass Sie die Tragweite der Probleme im
System der sozialen Sicherung entweder nicht erkannt
haben oder sie verdrängen. Zu diesen Problemen hätte
ich gerne Ihre Einschätzung gehört.
({4})
Herr Kollege Kolb, es ist entscheidend, festzuhalten,
dass wir eine Diskussion über Reformen innerhalb eines
funktionierenden Systems führen, in dem bis heute jeden
Monat allen Rentnern und Rentnerinnen ihre Rente ausgezahlt wird.
({0})
- Ich schaue nach vorne. Bleiben Sie nur stehen!
({1})
- Sich zwischendurch zu bewegen ist gesund. Wir sitzen
viel zu viel.
Es hat nach der staatlichen Vereinigung, die sehr
kompliziert war, keinen einzigen Tag gegeben, an dem
auch nur ein Rentner oder eine Rentnerin in den neuen
Ländern seine bzw. ihre Rente nicht erhalten hätte.
({2})
- Sie müssen ein bisschen mehr Geduld haben, sonst
können Sie an dem Punktesammeln im Rahmen der Bonusprogramme in der gesetzlichen Krankenversicherung
nicht teilnehmen, Herr Kollege Kolb.
({3})
Sie haben davon gesprochen, dass das System marode
ist. Ich sage Ihnen, das System ist nicht marode; es trägt.
Es ist unverantwortlich, die Menschen zu verunsichern,
indem man behauptet, das System würde nicht mehr tragen.
({4})
Herr Kollege Storm, Sie waren bei meiner Rede während der ersten Lesung anwesend. Ich werde in Zukunft
berücksichtigen, dass Sie mich bei jeder Debatte reden
hören wollen, weil es Ihnen anscheinend so viel Spaß
macht. Ich habe bei dieser Gelegenheit gesagt, dass wir
uns dafür entschieden haben, eine Beitragssatzanhebung
zu vermeiden. Selbstverständlich setzen wir damit voll
auf Wachstum.
({5})
- Ich bin noch nicht mit meiner Antwort fertig, Herr
Kollege Kolb. Bleiben Sie bitte stehen!
({6})
Wir setzen auf die Karte Wachstum. Es gibt immer
mehr belastbare Anzeichen dafür, dass Wachstum einsetzt und der Aufschwung kommt. Dieses Wirtschaftswachstum will ich nicht durch eine Beitragssatzerhöhung gefährden.
Keine Sozialversicherung kann die Probleme lösen,
die sich ergeben würden, wenn das Wachstum in
Deutschland im vierten Jahr hintereinander bei null liegen würde. Dann müssten wir ganz andere Maßnahmen
in diesem Haus diskutieren. Wir setzen auf Wachstum
und haben daher diesen Weg gewählt. Ich vertrete in diesem Zusammenhang auch die Einschnitte bei der älteren
Generation, die niemand gerne macht, die aber notwendig sind.
({7})
Sie müssen sein, weil wir sonst die notwendige Finanzkraft nicht aufbringen können.
Ich setzte auf Wachstum, Aufschwung und darauf,
dass es mehr Beschäftigung in diesem Land gibt. Eines
ist unbestritten: Ohne Beschäftigte, die in die Sozialkassen einzahlen, ist kein System tragfähig.
({8})
Unbestritten ist aber auch: Ein kapitalgestütztes System
würde noch schneller an seine Grenzen stoßen.
Herr Kollege Kolb, Sie müssen unterscheiden, ob ein
System reformbedürftig oder marode ist. Man muss sich
gut überlegen, ob man von der Umlagefinanzierung und
der solidarischen Finanzierung weg und hin zu Eigenverantwortung und zu privater Absicherung geht. Das ist
ja auch das Motto Ihres Vorsitzenden: Wenn jeder an
sich selber denkt, dann ist an alle gedacht. - Das ist nicht
unser Weg in der Politik.
({9})
Wir wollen vielmehr Sozialsysteme, in denen der Starke
für den Schwachen, der Gesunde für den Kranken,
Singles für Familien und diejenigen, die mehr Geld haben, für diejenigen, die weniger Geld haben, einstehen.
({10})
Ansonsten kann keine Gesellschaft - auch nicht unsere,
die immer noch sehr reich ist - den Schutz gegen bestimmte Lebensrisiken für all ihre Bürger organisieren.
Deshalb werden wir mit diesem System weiterarbeiten.
Ich sage Ihnen eines: Man sollte sich seine Vorschläge
genau überlegen. Wenn ich Ihrem Vorschlag von vorhin
folgen würde, der dahin geht, dass man nicht nur nach
45 Beitragsjahren,
({11})
sondern auch mit 45 Entgeltpunkten ohne Abschläge in
Rente gehen kann, dann würde das System schnell marode. Denn diese 45 Entgeltpunkte hat ein Gutverdienender schon nach 25 Beitragsjahren erreicht. Dann stimmt
in der Folge das Verhältnis zwischen dem Eingezahlten
und der Anzahl der Jahre, in denen Leistungen bezogen
werden, nicht mehr.
({12})
Wir haben einen großen Informations- und Diskussionsbedarf. Dem werden wir Rechnung tragen.
Das, was Kollege Zöller vorgetragen hat, ist eine gute
Basis, über die nächsten Schritte zur langfristigen Sicherung der gesetzlichen Rentenversicherung zu reden.
Ich weiß, dass Sie bei den Kurzfristmaßnahmen nicht
mitmachen; die beschließen wir allein. Aber wir sollten
uns überlegen, ob es für das Vertrauen der Menschen in
die gesetzliche Rentenversicherung gut ist, wenn wir uns
wie die Kesselflicker streiten. Ich halte es für besser,
wenn wir versuchen, unsere gemeinsamen Ziele in eine
gemeinsame Politik münden zu lassen. Wir verfolgen,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, gemeinsam das
Ziel, das System der umlagefinanzierten Rente zu erhalten. Wir wissen, dass die umlagefinanzierte Rente der
heutigen jungen Generation nicht mehr die Lebensstandardsicherung bietet, wie es bei der jetzigen Rentnergeneration der Fall ist.
({13})
Deshalb haben wir den Mut gehabt, Frau WidmannMauz, neben der umlagefinanzierten Rente eine kapitalgestützte Säule aufzubauen.
({14})
- Ich habe das System verteidigt. Es wäre mir neu, dass
die CDU/CSU ein rein kapitalgestütztes System fordert.
Wir haben in der letzten Legislaturperiode festgelegt:
Die umlagefinanzierte Rente ist die Hauptsäule. Die
junge Generation braucht aber zusätzlich eine betriebliche oder eine private Vorsorge. Nur in einer Kombination zwischen Umlagefinanzierung und zusätzlicher privater kapitalgestützter Säule wird die junge Generation
die notwendige Sicherheit erreichen können, in
30 Jahren ihren Lebensabend finanzieren zu können.
({15})
- Nein, die FDP will nur eine private Rente.
({16})
Wir haben dafür gesorgt, dass die betriebliche
Altersvorsorge eine Renaissance erlebt. Mittlerweile
haben 57 Prozent aller Beschäftigten eine betriebliche
Altersvorsorge abgeschlossen. Unsere gemeinsame Aufgabe wird es sein, dafür zu werben, dass jeder und jede
so etwas macht. In den letzten zwei Jahren hat es hier Erfolge gegeben. Sie stellen uns zwar nicht zufrieden; aber
immerhin ist der Anteil der Frauen, die eine betriebliche
Altersvorsorge abschließen, auf 29 Prozent gestiegen. In
den neuen Bundesländern gibt es einen Anstieg von
19 auf 27 Prozent. Dieser Aufgabe müssen wir uns gemeinsam widmen.
Herr Kollege Zöller, ich teile Ihre Auffassung, dass
derjenige, der ein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, und zwar in der Kombination aus umlagefinanzierter und privater Säule, am Ende eine Rente erhalten
muss, die höher ist als die Sozialhilfe, die jemand im Alter bekommt, weil er - aus welchen Gründen auch immer - keine Beiträge zahlen konnte.
Vor diesem Hintergrund müsste man einmal überlegen, wohin die Begrenzung auf einen Beitragssatz von
20 Prozent führt, die ja auch die CSU fordert. Alle
Wege, die wir gehen - sei es die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors oder auch die verlangsamte Anpassung der Renten -, führen zu einer langsameren Absenkung des Niveaus, was bei den Jüngeren durch eine
höhere kapitalgestützte Säule ausgeglichen werden soll.
In der gesetzlichen Rentenversicherung müssen die
Beiträge gerade für die jüngere Generation bezahlbar
bleiben und muss ein gewisses Rentenniveau gesichert
werden. Ansonsten funktioniert der Generationenvertrag
nicht mehr. Dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen.
({17})
Man muss sich die Frage stellen, ob ein Rentenniveau
ausreicht, das unter 40 Prozent des durchschnittlichen
Bruttoeinkommens liegt, oder ob wir hier gemeinsam zu
neuen Lösungen kommen müssen.
Wir wollen noch in diesem Jahr unseren Gesetzentwurf zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung in den
Deutschen Bundestag einbringen. Wir wollen die Rentenanpassungsformel verändern. Dazu haben Koalition
und Opposition ähnliche Vorstellungen. Wir wollen in
diesem Jahrzehnt das tatsächliche Renteneintrittsalter
an das gesetzliche Renteneintrittsalter anpassen. Ich
gebe Ihnen aber darin Recht, dass es in einer Zeit, in der
über 55-Jährige kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, schwierig ist, den Menschen zu vermitteln,
dass im Jahre 2035 eine Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig wird. Deshalb gehen wir schrittweise vor.
Lassen Sie uns in diesem Jahrzehnt dafür sorgen, die
Beschäftigungschancen der älteren Menschen zu erhöhen. Denn Sie haben unverzichtbare Fähigkeiten. Es
gibt sehr viele Menschen, die bis zum 60. oder auch bis
zum 64. Lebensjahr erwerbstätig sein möchten. Sie können es nicht, weil die Unternehmen ihnen keine Chance
geben.
Deshalb teile ich Ihre Auffassung, dass der Deutsche
Bundestag gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien,
aber auch mit den Unternehmerinnen und Unternehmern
für Weiterbildungsmaßnahmen und Beschäftigungsförderung sorgen muss. Wir müssen die Hemmnisse dafür,
dass ältere Menschen im Erwerbsleben bleiben, beseitigen. Ich sage das so deutlich, weil die Unternehmerschaft immer fordert, das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Unsere Antwort auf diese Forderung muss sein: Die
Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, dass die Menschen,
die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen, auch eine
Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Erst dann macht es
Sinn, über eine Anhebung des Renteneintrittsalters für
heute 30-Jährige zu diskutieren.
({18})
Das werden wir alles auf den Weg bringen.
({19})
Zur Schwankungsreserve ist zu sagen: Wir möchten
die Schwankungsreserve als eine Nachhaltigkeitsreserve
auffüllen.
({20})
- Ja, natürlich. Wir haben sie gesenkt. Meine Herren, ich
habe heute schon ein paar Mal erlebt, dass das Gedächtnis bei Ihnen manchmal nachlässt. Von 1992 bis 1996 ist
die Schwankungsreserve von 2,6 Monatsraten auf
0,6 Monatsraten gesenkt worden.
({21})
1998 haben wir sie wieder etwas aufgefüllt. Wenn aber
die Kassen leer sind, kann man nicht aus dem Vollen
schöpfen.
({22})
Dann muss man die Schwankungsreserve vielleicht auch
auf 0,2 Monatsraten reduzieren. Ich stehe zu dieser Entscheidung,
({23})
denn vor die Wahl gestellt, die Beitragssätze anzuheben
oder zusätzliche 4,8 Milliarden Euro bei den Rentnerinnen und Rentnern einzusparen, entscheide ich mich dafür, die Schwankungsreserve zu senken.
Herr Kollege Storm, selbst wenn es so wäre, dass der
Bundesfinanzminister den Bundeszuschuss im kommenden Jahr einen Monat vorziehen müsste, wäre dies kein
Problem. Das Gleiche hat 1985 auch Minister
Stoltenberg getan. Es war auch damals kein Problem. So
viel dazu, wann in dieser Republik welche Entscheidung
zum ersten Mal gefällt worden ist.
({24})
Damals ist die Rente auch über Steuern finanziert
worden. Das tut niemandem weh. Aber weitere
4,8 Milliarden Euro bei den Rentnerinnen und Rentnern
einzusparen hätte wehgetan. Es wäre auch schmerzhaft
gewesen, die Beitragssätze zu erhöhen, um die
4,8 Milliarden Euro einzunehmen. Deshalb stehe ich zu
der Entscheidung.
Sobald der Konjunkturmotor anspringt und sich die
Einnahmesitutation bei der Rentenversicherung verbessert, werden wir die Schwankungsreserve auf 1,5 Monatsraten auffüllen - so steht es im Referentenentwurf.
({25})
Ob diese Entscheidung im Laufe der Beratungen geändert wird, wird man sehen.
({26})
Wir haben einen Vorschlag gemacht.
Zum Abschluss möchte ich auf die von Ihnen, Herr
Kollege Storm, verbreitete Mär zu sprechen kommen. Es
ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Rentnerinnen und Rentner weniger Geld ausbezahlt bekommen. Zum 1. Januar 1995 haben Sie die Pflegeversicherung eingeführt. Auch die Rentnerinnen und Rentner
haben einen Beitrag dazu leisten müssen.
({27})
- Das werfe ich niemandem vor. - Mit Formulierungen
wie „zum ersten Mal“ sollte man aber vorsichtig sein.
({28})
Wir haben damals die Einführung der Pflegeversicherung unterstützt. Der Weg war richtig.
Wir müssen nun Entscheidungen treffen, um die Beitragssätze stabil zu halten. Nur so eröffnen wir den jungen Menschen Perspektiven und schaffen Beschäftigung. Auf Dauer sind die Renten nur dann sicher, wenn
sie bezahlbar sind. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Arbeitslosigkeit bekämpft wird und die Menschen Beschäftigung haben. Dann werden die Rentnerinnen und
Rentner auch wieder am Wachstum teilhaben können.
Vielen Dank.
({29})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Petra Pau.
({0})
Frau Ministerin, Sie haben mir Informationsmaterial
zukommen lassen, wofür ich mich bedankt habe. Außerdem habe ich Sie darum gebeten, mir noch weitere Informationsmappen zu übersenden.
Das Grundverständnis der PDS im Bundestag ist, dass
wir als Bundestagsabgeordnete nicht nur die Aufgabe
haben, Gesetzesvorlagen zuzustimmen oder sie abzulehnen, sondern dass wir die Menschen im Lande auch über
die Risiken und Nebenwirkungen wie auch über die
Auswirkungen unseres Tuns aufklären müssen. So habe
ich die erste Informationsmappe meiner Hausärztin geschenkt, die diese in ihrem Wartezimmer ausgelegt hat.
Sollten Sie mir die gewünschten weiteren Materialien
übersenden, werde ich eine Informationsmappe in meiner Wahlkreissprechstunde für die Information der Bürgerinnen und Bürger nutzen. Eine Informationsmappe
werde ich immer in der Tasche haben, um den Bürgerinnen und Bürgern, die mich danach fragen, was auf sie
zukommt, zu erklären, dass ab Januar pro Quartal
10 Euro Eintrittsgebühr für die Arztpraxis fällig werden,
dass sie ab Januar bei Arznei- und Verbandsmitteln mindestens 5 Euro pro Verordnung zuzahlen müssen, dass
sie auch bei Heil- und Hilfsmitteln wie zum Beispiel
Rollstühlen zuzahlen müssen - das ist in Ihrem Gesetzespaket vorgesehen -, und um zu erklären, welche Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkasse
gestrichen werden; meine Kollegin Lötzsch hat das
schon aufgezählt.
({0})
Eine Antwort auf die wohl wichtigste Frage findet
sich allerdings weder in Ihrem Werbematerial noch auf
den Werbeplakaten zur Agenda 2010, die uns in dieser
Stadt und im Rest der Republik belästigen, nämlich wie
wir dem Trend zur Aufsplittung der Sozialkassen in Teilkaskoversicherungen endlich entgegentreten und uns auf
den Sinn des solidarischen Sicherungssystems zurückbesinnen können. Der Gedanke, der dahinter steht, lautet:
Gesunde helfen Kranken, materiell Stärkere helfen materiell Schwächeren. Denn das schafft Zusammenhalt in
unserer Gesellschaft. Diese Antwort bleiben Sie uns
schuldig. Deswegen werden wir mit Ihnen auch weiterhin darüber streiten.
({1})
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Frau Ministerin Schmidt, ich habe Sie in diesem Hause
schon häufiger reden hören, aber so widersprüchlich wie
am heutigen Nachmittag war Ihre Rede selten.
Als wir in den 90er-Jahren die Pflegeversicherung
eingeführt haben, haben die Rentnerinnen und Rentner
im Juli vor der Einführung und im Juli nach der Einführung Rentenerhöhungen erhalten;
({0})
das wissen Sie ganz genau. Außerdem stehen hinter den
Beiträgen für die Pflegeversicherung, die natürlich eine
Belastung darstellen, auch Leistungen.
({1})
Das, was Sie vorhaben, bedeutet Nullrunden mit Mehrbelastungen für die Rentnerinnen und Rentner. Es handelt sich also um reale Rentenkürzungen.
({2})
Ich war gespannt, ob ich heute von Ihnen etwas zur
Erwerbstätigenversicherung zu hören bekomme, die die
SPD auf dem Bundesparteitag beschlossen hat. Dass Sie
nichts dazu gesagt haben, bestärkt mich in meiner Haltung, dass Sie nichts davon halten und damit der gleichen Meinung sind wie der Bundeskanzler.
Sie behaupten hier ständig, dass unsere Systeme in
Ordnung seien und alles wunderbar funktioniere. Warum
aber funktioniert denn scheinbar noch alles? Das ist doch
nur deshalb der Fall, weil Sie Monat für Monat, Jahr für
Jahr und in immer stärkerem Maße Zuschüsse aus dem
Bundeshaushalt in Anspruch nehmen. Deshalb: Für die
Zukunft ist noch kein Problem gelöst; im Gegenteil, es
wird von Jahr zu Jahr schlimmer.
({3})
Sie sagen: Wenn in der Kasse nichts drin ist - Sie haben
das auf die Schwankungsreserve bezogen -, dann kann
man auch nicht aus dem Vollen schöpfen. Warum schöpfen Sie denn dann noch einmal und senken die Schwankungsreserve in diesem Umfang ab, obwohl ohnehin
schon so wenig drin ist?
Im Übrigen war ich total darüber verwundert, wie Sie
sich - es war im Mittelteil Ihrer Rede - zu kapitalgedeckten Systemen geäußert haben. Ich dachte schon, Sie
wollten die Riester-Rente glatt wieder abschaffen.
({4})
Mann konnte fast den Eindruck gewinnen, das Grundübel sei, dass wir in unserem Land kapitalgedeckte Sicherungssysteme zur Ergänzung, zum Aufbau und zur
Gewährleistung der Sicherung des Lebensstandards im
Alter haben.
({5})
Frau Ministerin Schmidt, durch das, was Sie heute
hier abgeliefert haben, bestätigen Sie die Bevölkerung
unseres Landes, in der eine enorme Verunsicherung
herrscht. Die Menschen wissen doch überhaupt nicht
mehr, woran sie sind. Das Ziel, das mit der Umsetzung
der Agenda 2010 in Angriff genommen werden soll, ist
draußen überhaupt nicht erkennbar. Das Warum und
Wozu der Reformen bleibt unklar. Deutschland steht nun
einmal am Scheideweg: Zwingen wir die Menschen weiter in Systeme, die nicht länger zukunftsweisend sind,
oder wagen wir Reformen, die von Verantwortung und
Nachhaltigkeit geprägt sind?
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie
können das Wort „Nachhaltigkeit“ noch so häufig im
Munde führen: Die Finanz- und Haushaltspolitik dieser
Bundesregierung ist sicher nicht von Nachhaltigkeit geprägt. Sie schaffen diese Tatsache nicht damit aus der
Welt, dass Sie sie einfach ignorieren. Lieber Kollege
Kurth, eine schmerzliche Wahrheit ist manchmal besser
als das Verdrängen. Machen wir uns doch nichts vor: Es
gibt eigentlich nur zwei Gründe, warum Hans Eichel am
heutigen Tag noch im Amt ist: erstens, weil Sie niemanden haben, der aus diesem Job etwas machen könnte,
({7})
und zweitens, weil wir von der Union in diesem Sommer
mit dem GMG unseren kleinen Beitrag zu einem Sparpaket geleistet haben. Durch uns hat Hans Eichel zumindest kurzfristig ein klein wenig Luft bekommen.
Sie werden sich fragen, warum: Die Defizite und
Schulden der Krankenkassen von insgesamt 9 Milliarden Euro gehen in die Gesamtverschuldung des Staates
ein. Sie sind für die Einhaltung der Kriterien von
Maastricht also relevant. Darauf haben wir von der
Union schon in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder hingewiesen. Frau Schmidt, Sie wollten davon nichts wissen. Ich erinnere mich an spannende Diskussionen hier im Haus.
In diesem Sommer haben wir die Gesundheitsreform
mit einem Einsparvolumen von 20 Milliarden Euro beschlossen. Eine so gewaltige Summe wurde in der gesetzlichen Krankenversicherung noch niemals zuvor eingespart. Die Kraftanstrengung war notwendig, und zwar
zum einen, um die aufgelaufenen Defizite und Schulden
der Kassen abbauen zu können, und zum anderen, um
die Beiträge in Richtung von 13 Prozent drücken zu können. Alleine hätten Sie das nicht gepackt; das wissen Sie
auch. Sie brauchen die Kraft der Union.
({8})
Hohe Sozialversicherungsbeiträge sind Gift für die
Wirtschaft. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile sogar
in Ihren Reihen zum Allgemeingut entwickelt. Allein
seit September dieses Jahres
({9})
- Sie müssen aufpassen - sind die Einnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung um 0,9 Prozent zurückgegangen. Das entspricht 1,2 Milliarden Euro. Vergleichen wir einmal die beitragspflichtigen Einnahmen: Im
Oktober dieses Jahres liegen sie um 8,2 Milliarden Euro
unter denen des Vergleichsmonats im Vorjahr.
Am 4. Dezember wird der Schätzerkreis wieder einmal tagen. Die Tendenz wird lauten: Es wird noch
schlechter werden. Frau Schmidt, rechnet man alleine
das hoch, was wir in den letzten zwei Monaten erlebt haben, dann kann man wahrlich nicht davon sprechen, dass
unsere Systeme funktionieren. Insbesondere für die gesetzliche Krankenversicherung ist die Lage bedrohlich.
({10})
Damit wird einmal mehr deutlich, was der Grund für
diese Krise in der gesetzlichen Krankenversicherung ist.
Der Grund ist die zunehmende Arbeitslosigkeit aufgrund der strukturellen wirtschaftlichen Schwäche, der
lahmenden Konjunktur und Ihrer falschen Wirtschaftsund Sozialpolitik in unserem Land. Die Ausgaben steigen und die Einnahmen brechen weg, weil die Beiträge
an Löhne und Gehälter gekoppelt sind. Die höheren Beiträge drücken wieder auf die Arbeitskosten und heizen
so die Spirale der Arbeitslosigkeit weiter an.
Aus dieser vertrackten Situation führt eine bloße Erweiterung des Versichertenkreises auch dann nicht
heraus, wenn sie um eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ergänzt wird. Dies wird das Finanzierungsproblem allenfalls etwas abmildern, aber im Kern auf keinen
Fall lösen. Mit Ihren Ankündigungen geben Sie keine
Antwort auf den demographischen Wandel in Verbindung mit dem medizinisch-technischen Fortschritt. Wir
kommen um wirkliche Reformen nicht herum.
({11})
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung teilt unsere Einschätzung. Er befürchtet, dass bei Einführung einer kollektiven Bürgerzwangsversicherung Wachstum und weitere
1 Million Arbeitsplätze verloren gehen. Er führt aus:
Eine Bürgerversicherung dagegen ist mit einem
deutlichen Beschäftigungsrückgang von bis
3,0 v. H. verbunden.
({12})
Wie erwartet wirkt vor allem die Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung
von Vermögenseinkommen in die Bemessungsgrundlage besonders beschäftigungsfeindlich.
Das sollten Sie sich einmal durchlesen. Sie würden wirkliche Erkenntnisse gewinnen.
({13})
Die Schwierigkeit Ihrer Politik liegt darin, dass Sie
keine Probleme lösen, sondern im Grunde nur neue
schaffen. Sie glauben, alles, was Sie machen, sei vernünftig, weil Sie es mit einem ernsthaften Gesicht tun.
Aber eigentlich sind Sie ratlos. Sie wissen nicht mehr
weiter. Die Menschen in unserem Land haben dies längst
durchschaut; denn sie haben kein Vertauen mehr in Ihre
Politik. Wir haben ein Finanzproblem, ein Effizienzproblem und ein Gerechtigkeitsproblem.
({14})
Was wir brauchen, sind keine schönen neuen Begriffe
wie Bürgerversicherung.
({15})
Was wir brauchen, ist ein System, das die Einnahmen
stabilisiert, die Abhängigkeit der Einnahmeentwicklung
der gesetzlichen Krankenversicherung von Löhnen und
Gehältern reduziert und für einen zielgenaueren sozialen
Ausgleich zwischen Personen mit einem hohen Einkommen und Personen mit einem geringeren Einkommen
sorgt.
({16})
Anders als von den Anhängern der Bürgerversicherung - Sie alle schreien wieder laut durcheinander - behauptet wird, ist der Solidarausgleich in der gesetzlichen
Krankenversicherung alles andere als gerecht. Ich würde
mich freuen, wenn Sie darüber einmal Klage führen
würden. So zahlt zum Beispiel ein berufstätiges Ehepaar
in der Summe wesentlich höhere Beiträge als ein Ehepaar mit nur einem Verdiener und demselben Gesamteinkommen. Noch besser stellt sich derjenige in der gesetzlichen Krankenversicherung, der ein geringes Gehalt,
aber hohe Kapitaleinkünfte hat.
({17})
Er zahlt den geringsten Beitrag, weil er nur mit seiner
Rente oder seinem Gehalt veranschlagt wird. Die weiteren Einkünfte bleiben also außen vor.
({18})
- Frau Bender, Sie müssen jetzt aufpassen. Hören Sie
auch bei meinem nächsten Punkt zu. Dann werden Sie
merken, dass Sie mit Ihren Vorschlägen völlig falsch liegen.
Ein steuerfinanzierter Ausgleich sorgt an dieser Stelle
für mehr Gerechtigkeit; das wissen Sie doch auch.
({19})
Aufgrund der Steuerprogression findet eine zielgenauere
Umverteilung zwischen Arm und Reich statt. Auch werden dann die Beamten und Selbstständigen an dem SoliAnnette Widmann-Mauz
darausgleich nach ihrer Leistungsfähigkeit und nicht nur
bis zur Beitragsbemessungsgrenze beteiligt.
({20})
Deshalb ist ein Prämienmodell einer Bürgerversicherung
eindeutig überlegen.
({21})
Keine Zukunft vermag gutzumachen, was in der Gegenwart versäumt wird. Die Bundesregierung muss umdenken und handeln. Sie muss in zukunftsträchtige
Technologien, in Medizin und Gentechnik, in Bildung,
Forschung, Infrastruktur und den Dienstleistungssektor
investieren und nicht nur das Marketing einer ohnehin
schon miserablen Politik betreiben.
Es ist schon erstaunlich, wie erfinderisch Sie sein
können, wenn es gilt, Ihre Dummheiten vor sich selbst
zu rechtfertigen.
({22})
Allein die Vermarktung der Gesundheitsreform lässt sich
die Bundesregierung 3,5 Millionen Euro kosten.
({23})
Das festzustellen ist wichtig, wenn den Bürgern sachgerechte Informationen vermittelt werden sollen. Aber Sie
haben mit der Vermarktung schon im Juli begonnen - zu
einer Zeit, als wir noch nicht einmal den Verhandlungsraum verlassen hatten und überhaupt noch nicht die
Rede von Ergebnissen und konkreter und seriöser Information sein konnte. Es ist sehr grotesk, etwas zu verkaufen, was es noch gar nicht gibt. Eine solche Werbekampagne schmeckt nicht jedem. Und: Sie hilft auch nicht.
({24})
Frau Schmidt, es ist der Öffentlichkeit im Grunde
nicht zu vermitteln, dass Sie in Ihrem Haushalt insgesamt für Öffentlichkeitsarbeit so viel Geld ausgeben
wie für Forschung. Sparen Sie bei der Werbung und investieren Sie in die Zukunft! Das wäre das Beste für die
zukünftigen Generationen.
({25})
Bedenken Sie Ihre Redezeit bitte, Frau Kollegin!
Ja. - Wir haben die Aufgabe, unser über 100 Jahre altes Sozialsystem unter völlig veränderten ökonomischen
Verhältnissen neu zu gestalten, und zwar so, dass wir
wettbewerbsfähig bleiben und es auch in den kommenden Jahren seine wichtigsten Aufgaben erfüllen kann,
nämlich die großen Risiken solidarisch abzusichern
({0})
und die Verantwortung für die kleinen Risiken, wenn es
vertretbar und zumutbar ist, wieder dem Einzelnen zu
überlassen.
Das war ein schöner Schlusssatz.
({0})
Okay. - Ich bedanke mich, Herr Präsident.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür?
- Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der
fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte III a bis d auf. Es
handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren ohne Debatte.
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des
Vertrags über die Europäische Union vom
26. Juli 1995 über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich
- Drucksache 15/1969 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Übereinkommens aufgrund von Art. K.3
des Vertrags über die Europäische Union vom
26. Juli 1995 über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich, zu dem Protokoll
gemäß Art. 34 des Vertrags über die Europäische
Union vom 8. Mai 2003 zur Änderung des Übereinkommens über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbereich hinsichtlich der
Einrichtung eines Aktennachweissystems für Zollzwecke sowie zur Verordnung ({1}) Nr. 515/97
des Rates vom 13. März 1997 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden
der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Behörde mit der Kommission im Hinblick auf
die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und
Agrarregelung ({2})
- Drucksache 15/1970 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen
Union ({4})
- Drucksache 15/1718 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({5})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({6}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung
hier: Vorstudie „Folgen von Umwelt- und Ressourcenschutz für Ausbildung, Qualifikation
und Beschäftigung“
- Drucksache 14/9459 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({7})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt IV a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfunddreißigsten Strafrechtsänderungsgesetzes zur
Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates
der Europäischen Union vom 28. Mai 2001 zur
Bekämpfung von Betrug und Fälschung im
Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln ({8})
- Drucksache 15/1720 ({9})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({10})
- Drucksache 15/2046 Berichterstattung:
Abgeordnete Dirk Manzewski
Siegfried Kauder ({11})
Jörg van Essen
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2046, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist der Gesetzentwurf
in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Wer zustimmen will, möge
sich erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt IV b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Internationalen Übereinkommens von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See und zum Internationalen
Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen
und in Hafenanlagen
- Drucksachen 15/1780, 15/1989 ({12})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({13})
- Drucksache 15/2081 Berichterstattung:
Abgeordneter Wolfgang Börnsen ({14})
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/2081, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2081 empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer
Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt IV c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Neuordnung der Statistiken der Rohstoff- und Produktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige
({15})
- Drucksache 15/1849 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({17})
- Drucksache 15/2080 Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2080,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt IV d:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Medien
({18}) zu dem Antrag der Abgeordneten Eckhardt Barthel ({19}), Ernst Bahr ({20}), Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin,
Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und
der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Deutschen Musikrat stärken
- Drucksachen 15/48, 15/266 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Steinbach
Hans-Joachim Otto ({21})
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/48 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Tagesordnungspunkt IV e:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({22}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Sechzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung ({23})
- Drucksachen 15/1499, 15/1546 Nr. 2.1, 15/2012 Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz ({24})
Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt IV f:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 78 zu Petitionen
- Drucksache 15/1997 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 78 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt IV g:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 79 zu Petitionen
- Drucksache 15/1998 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 79 ist ebenfalls einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt IV h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({27})
Sammelübersicht 80 zu Petitionen
- Drucksache 15/1999 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Sammelübersicht 80 ist angenommen.
Darf ich das Stimmverhalten der CDU/CSU-Fraktion als
Zustimmung verstehen?
({28})
- Das Stimmverhalten war unterschiedlich.
({29})
- Die CDU/CSU hat also abgelehnt.
({30})
- Die FDP auch. - Die Sammelübersicht 80 ist also mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und FDP angenommen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen fort.
Ich rufe Einzelplan 12 auf:
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen
- Drucksachen 15/1911, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Bartholomäus Kalb
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Uwe Göllner
Dr. Günter Rexrodt
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Bartholomäus Kalb von der CDU/CSUFraktion. Bitte schön, Herr Kalb.
({31})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte es vorgezogen, nicht zu Beginn dieser Debatte zu sprechen, weil ich vor meiner Rede gern gehört
hätte, was die Koalitionsabgeordneten zu den neuesten
Entwicklungen im Verkehrsetat zu sagen haben. Wenn es
eines Beweises bedurft hätte, dass wir Recht damit haben, dass dieser Haushalt nicht seriös ist und nicht ordentlich beratungsfähig war, dann zeigen dies die Vorgänge um den Verkehrsetat.
Während wir den Haushalt beraten, laufen Meldungen
über die Medien, dass im Verkehrsetat bei den Investitionen
eine zusätzliche Kürzung in Höhe von 1,35 Milliarden
Euro erfolgen soll.
Die „Süddeutsche Zeitung“ titelt in ihrer heutigen
Ausgabe:
Neue Kredite für neue Bahnlinien und Straßen - Stolpe
sucht nach Auswegen aus dem Desaster bei der LKWMaut - Beckenbauer warnt vor Folgen für WM 2006
({0})
Das war auch gestern schon auf der Internetseite der
„SZ“ zu lesen.
„Der neue Tag“ hat berichtet, dass Geld für den Bau
der A 6 bereitsteht. Das war aber schon 2002 und ist auf
Initiative von Herrn Eichel erfolgt. Heute schreibt „Der
neue Tag“, dass der Bau der A 6 stark gefährdet sei, und
zwar wegen des Desasters bei der LKW-Maut. In dem
Artikel ist des Weiteren zu lesen, dass Herr Zirpel, der
Sprecher des Bundesverkehrsministeriums, von „keiner
offiziellen Liste“ und einer „Momentaufnahme auf Arbeitsebene“ spricht.
Im Grunde bestätigt Herr Zirpel damit, dass entsprechende Listen existieren und ihre Wirkung entfalten.
Was sich in diesem Bereich abspielt, ist eine einzige
Tragödie.
({1})
Bei den Bundeswasserstraßen soll eine Kürzung in
Höhe von weiteren 150 Millionen Euro erfolgen. Das
bedeutet einen sofortigen Baustopp, keinen Baubeginn
im Jahr 2004 und einen sofortigen Vergabestopp für alle
größeren Unterhaltungsmaßnahmen einschließlich der
Hochwasserschutzmaßnahmen an der Donau.
Bei den Schienenwegen soll eine Kürzung um weitere 513 Millionen Euro erfolgen. Das bedeutet: kein
Baubeginn im Jahr 2004. Des Weiteren soll bei den
Bundesfernstraßen in laufende Maßnahmen eingegriffen werden. Bezug nehmend auf die Liste, die angeblich
nicht existiert, ist eine weitere Kürzung um 685 Millionen vorgesehen. Auch dies hätte zur Folge, dass 2004
kein Baubeginn möglich ist.
Ich fasse zusammen: Vorgesehen sind Kürzungen der
Erhaltungsmittel, Eingriffe in laufende Maßnahmen, Streckenbaustillstände und der Stopp von Projekten, selbst
wenn dadurch die „So-da-Brücken“ - dabei handelt es
sich um Brücken, die ohne Anbindung dastehen - entstehen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit treiben Sie die deutsche Bauwirtschaft in die größte Existenzkrise der Nachkriegszeit. Sie treiben auch die Infrastruktur Deutschlands ins Abseits. Die Qualität unserer
Verkehrsinfrastruktur ist im Begriff, auf das Niveau eines Entwicklungslandes zu sinken,
({3})
obwohl die Verkehrsteilnehmer noch nie zuvor so stark
belastet worden sind wie zurzeit.
Wir müssen über den Bundesverkehrswegeplan in
diesem Hause nicht mehr diskutieren, wenn schon der
Einstieg in die Finanzierung so grundlegend falsch ist,
wie es derzeit der Fall ist. Dies alles ist eine Katastrophe
für die Bauwirtschaft und die dort beschäftigten Menschen. Es ist auch eine Katastrophe im Hinblick auf die
Zukunft unseres Landes.
({4})
Nicht einmal die im Haushaltsentwurf zunächst gegebene Zusage, wonach die Mehreinnahmen aus der Maut
zusätzlich für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, war man bereit einzuhalten.
Noch im Juli - mit Schreiben vom 31. Juli 2003 - hat die
Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzminister, Frau Dr. Barbara Hendricks, bestätigt:
Gemäß § 11 ABMG werden Ausgaben für Betrieb,
Überwachung und Kontrolle des Mautsystems aus
dem Mautaufkommen geleistet. Das verbleibende
Mautaufkommen wird zusätzlich dem Verkehrshaushalt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur,
überwiegend für den Bundesfernstraßenbau, verwendet.
Nichts davon wurde eingehalten. Selbst wenn die
Maut eingeführt worden wäre, hätten Sie die Investitionsmittel für die Verkehrsträger um 300 Millionen
Euro gekürzt. Wie weit die Kluft jetzt auseinander geht,
habe ich bereits dargestellt. Das ist eine Politik gegen
Treu und Glauben und gegen alle sachlichen Notwendigkeiten.
({5})
Viele, die der LKW-Maut zugestimmt haben, haben
dies getan, weil sie sich darauf verlassen haben, dass damit auch mehr Investitionen in die Verkehrswege möglich würden.
({6})
Jetzt stellt sich die Maut als eine branchenbezogene Sondersteuer dar. Ich hoffe nur, dass sie nicht dasselbe
Schicksal wie der Kohlepfennig erleiden wird, sofern jemand auf die Idee kommen sollte, diese Frage vor dem
Bundesverfassungsgericht klären zu lassen.
Das Thema Maut ist mittlerweile ein einziges Trauerspiel und gerät zur Blamage für die beteiligten Unternehmen, aber auch für ganz Deutschland. Niemand weiß
zurzeit, wann das System wirklich funktionieren wird.
Es ist keine Frage, dass es sich um eine anspruchsvolle
Technologie handelt; ich möchte sie auch nicht schlechtreden. Aber sie müsste dann auch zu dem vertraglich
vereinbarten Termin funktionieren. Wenn Termine nicht
gehalten werden können, wäre es unter seriösen Geschäftspartnern üblich, dass sich der Auftragnehmer mit
dem Auftraggeber auseinander setzt und klärt, welche
Maßnahmen ergriffen werden können, um Schaden abzuwenden.
({7})
Ich gehe davon aus, dass Toll Collect sehr lange
- auch Ihnen, Herr Bundesminister - nicht die volle
Wahrheit gesagt hat,
({8})
zumindest nach all dem nicht, was öffentlich zu vernehmen war. Das war nach meiner Überzeugung kein seriöses Geschäftsgebaren.
Nach dem Vertrag hätte das System am 21. Mai funktionsfähig sein müssen; am 16. Juni hätte der Probebetrieb beginnen sollen. Beide Termine wurden nicht gehalten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste jedem
klar gewesen sein, dass die Maut nie und nimmer zum
ursprünglich gesetzten Termin erhoben werden könnte.
Ich will jetzt gar nicht die Frage stellen, was Ihren Amtsvorgänger Bodewig bewogen hat, wenige Tage vor der
Bundestagswahl einen solchen Vertrag zu unterzeichnen.
({9})
Jedenfalls wäre es notwendig gewesen, ein strenges Projekt- und Zeitmanagement einzuführen, um den Schaden
so gering wie möglich zu halten.
Jetzt haben wir den Schaden. Ich habe vorhin davon
gesprochen, wo uns das Geld fehlt. Der entstandene
Schaden für die Verkehrsinvestitionen und den Bundeshaushalt ist riesig und für den Ruf deutscher Unternehmen und deutscher Technologie nicht ganz gering.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar
Worte zum Transrapid. Er darf nicht den grünen Ideologen zum Opfer fallen.
({10})
Es ist schlicht und einfach unverantwortlich, mit Steuermitteln in Milliardenhöhe eine Hochtechnologie zu entwickeln, dann aber die nutzbringende Anwendung hierzulande zu verhindern. Man kann nicht ständig davon
reden, wie wichtig Investitionen für Bildung und Forschung sind, wenn man nicht bereit ist, die Ergebnisse
von Forschung und Entwicklung dann auch im Lande
zur Anwendung und zur Marktreife zu bringen.
({11})
Aber das ist bei den Grünen immer das Gleiche. Einige - wie
Oswald Metzger, Frau Hermenau oder Frau Scheel - geben
sich hier als die neuen Wirtschaftsliberalen,
({12})
die anderen pflegen das grüne Gemüt, am besten durch
Ablehnung von Technologie- und Verkehrsprojekten.
Sie sind gegen Autobahnbaumaßnahmen, gegen Schienenneubaustrecken, gegen den Ausbau von Binnenwasserstraßen und gegen den Transrapid.
({13})
Es war die Entscheidung dieser Bundesregierung, die
Strecke Hamburg-Berlin aufzugeben, gleichzeitig aber
festzulegen, dass die Mittel für die Anwendung der
Transrapidtechnologie erhalten blieben. Die Länder waren aufgefordert, Alternativstrecken zu entwickeln und
vorzuschlagen. Am Ende blieb nur noch das Projekt
München, nämlich die Strecke vom Hauptbahnhof zum
Flughafen, übrig. Dies macht auch Sinn, weil so die dort
fehlende Eisenbahnanbindung des Flughafens München
substituiert werden kann.
({14})
Alle die, die sich darum bemühen, müssen sich aber darauf verlassen können, dass ein einmal vereinbarter Weg
gemeinsam zu Ende gegangen wird. Insbesondere die
beteiligten Unternehmen und der Freistaat Bayern brauchen Verlässlichkeit, wenn sie sich weiterhin engagieren
sollen.
Ich hoffe, dass durch gemeinsame Anstrengungen
- ich registriere wohlwollend die sehr enge Abstimmung
zwischen Ihnen, Herr Bundesminister Stolpe, und dem
bayerischen Wirtschaftsminister, Herrn Dr. Otto
Wiesheu - die Transrapidtechnologie in Deutschland
realisiert werden kann. Deutschland und insbesondere
die deutsche Wirtschaft brauchen den Erfolg dieser
Technologie.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gunter Weißgerber
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bartholomäus Kalb, das war starker Tobak. Es gibt natürlich Risiken im Verkehrshaushalt, Stichwort „Maut“.
Darum braucht man erst gar nicht herumzureden. Aber
der Weltuntergang - diesen Eindruck hatte ich, als ich
deine Rede gehört habe - ist das noch nicht. Angesichts
deiner Ausführungen erstaunt es mich schon, dass wir
überhaupt in der Lage sind, dem Transrapid in München
auf die Beine zu helfen. So schlimm scheint es also nicht
zu sein.
({0})
Für den Einzelplan 12 - Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - sind insgesamt 25,6 Milliarden Euro angesetzt. Im Vergleich zum Regierungsentwurf ist das
eine leichte Senkung.
({1})
Die Investitionssumme für den Verkehr beträgt
20,743 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von
176,1 Millionen Euro. Der Investitionsanteil im Verkehrsetat liegt bei 54,92 Prozent. Damit haben wir trotz
der Senkung des Gesamtetats den Investitionsanteil im
Bereich des Verkehrs erhöht. Das bitte ich doch wenigstens anzuerkennen.
({2})
- Auch Sie würden die Mauteinnahmen einrechnen,
wenn Sie dafür verantwortlich wären.
({3})
Wir halten also die Investitionen weiterhin auf hohem
Niveau. Leichter würde es uns allerdings fallen, wenn
die Opposition den Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes unterstützt hätte. Auch die Milliarden, die
durch dieses Gesetz hätten erzielt werden sollen, fehlen
uns sehr.
({4})
Natürlich stellen die eingeplanten Mauteinnahmen in
Höhe von 2,8 Milliarden Euro ein Risiko dar. Die Betreiber des Mautsystems sind momentan nicht in der Lage,
die Maut einzutreiben. Das ist das Verschulden der Betreiber und nicht der Bundesregierung.
({5})
Die Betreiber haben ihre Fähigkeiten überschätzt, als sie
den Vertrag unterschrieben haben. Wir haben bereits
Druck auf die Betreiber ausgeübt. Wir gehen jedenfalls
davon aus, dass die Mauteinnahmen noch in diesem Jahr
fließen werden. Unser Haushalt ist also solide finanziert.
Wir haben bei den Verkehrsprojekten eine Sperre verhängt, was nicht bedeutet, dass nicht investiert und gebaut wird. Über diese Sperre sollte auch die Opposition
glücklich sein; denn so haben die Abgeordneten aller
Fraktionen die Hand im Spiel
({6})
und können kontrollieren. Mit dieser Sperre sind wir
also parlamentarisch weiterhin im Spiel. Das ist auch
vernünftig.
Momentan gibt es eine Diskussion über die Wiedereinführung der Vignette. Inzwischen müssten auch die
Letzten wissen, dass diese neun Monate vor Einführung
der Maut gekündigt werden musste. Die Wiedereinführung dauert etwa ein Jahr. Wir befinden uns quasi in einer Falle. Aber angesichts eines Zeitraums von einem
Jahr - davon ist definitiv auszugehen - ist es nicht vernünftig, die Wiedereinführung der Vignette zu fordern,
es sei denn, dass es möglich ist, die Wiedereinführung zu
beschleunigen. Das halte ich allerdings für ziemlich ausgeschlossen.
Nun wird behauptet, dass die Olympiaprojekte gefährdet seien. Das halte ich für eine Phantomdiskussion.
Für das IOC ist lediglich wichtig, dass die Bewerbung
bis zum 15. Januar nächsten Jahres erfolgt und dass klar
wird, wie die Bundesregierung zu den Projekten steht.
Wir werden ein entsprechendes Konzept entwickeln, aus
dem deutlich hervorgeht, dass die Bundesregierung die
Projekte unterstützt. Alles andere interessiert das IOC
nicht. Bis zur WM wird auch die A 38 fertig gestellt
sein. Für viele Projekte sind unter der Regierung Kohl
- dafür ist die A 38 ein Beispiel - überhaupt keine Mittel
eingestellt worden. Dafür haben erst wir gesorgt.
({7})
Es ist nur verkauft worden, finanziert wurde nichts.
({8})
Zur Schiene, ebenfalls ein Schwerpunkt in diesem
Haushalt. Wir legen mit dem Gleisanschlussprogramm
ein neues Pilotprojekt auf, für das im nächsten Jahr
6 Millionen Euro bereitgestellt werden. Für den kombinierten Verkehr und die Förderung neuer Verkehre stellen wir 5 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist reine
Wirtschaftsförderung. Die Baukostenzuschüsse für Investitionen in die Schienenwege erhöhen wir um
22 Millionen Euro. Damit - das ist unerhört wichtig kommen wir über die magische 4-Milliarden-EuroGrenze beim Investitionsanteil des Bundes. Allerdings
ist zu bedenken, dass von den Aufwendungen für die
Schiene inzwischen ungefähr die Hälfte in die Erhaltung
des vorhandenen Netzes fließt. Dafür muss also ein
enormer Aufwand getätigt werden.
Zum Transrapid. Nach dem Wegfall des Metrorapid
in NRW ist das Münchener Projekt das einzige MagnetGunter Weißgerber
schwebebahnprojekt in Deutschland. Die Koalition steht
zu diesem Projekt.
({9})
Deshalb verstehe ich die Beschimpfung der Grünen an
dieser Stelle nicht ganz. Ohne die Grünen hätten wir dieses Projekt nicht zustande gebracht, Kollege Kalb.
({10})
Im nächsten Jahr fließen Mittel in Höhe von 40 Millionen Euro nach Bayern. Für die VE sind 510 Millionen
Euro veranschlagt. Insgesamt fließen also 550 Millionen
Euro in dieses Projekt. Diese Zahl hat Otto Wiesheu in
mehreren Gesprächen mit verschiedenen Haushältern im
Mai dieses Jahres genannt. Umso befremdlicher ist es
für mich, dass er jetzt mehr Geld haben will. Wir haben
uns genau an das gehalten, was er im Mai dieses Jahres
verlangt hat.
({11})
Jetzt sind die Bayern am Zuge; wir werden sehen, was
dabei herauskommt. Jedenfalls bekommen sie vom
Bund das Geld, das für das Gelingen dieses Projektes
nötig ist.
({12})
Das Münchener Projekt allein sichert die Magnetbahntechnik natürlich nicht; deshalb fördern wir auch
das Programm zur Weiterentwicklung des Transrapid in
Kassel und Lathen im Emsland mit 40 Millionen Euro.
Uns ist schließlich klar, dass niemand auf der Welt den
Transrapid kauft, wenn wir das Werk in Kassel schließen. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die
Koalition zu ihren Zusagen steht. Die Grünen sind dabei,
Kollege Kalb.
({13})
An dieser Stelle möchte ich ein paar persönliche Anmerkungen zum Transrapid machen. Ich habe ein technisches Studium absolviert und komme aus dem Osten; ich
weiß, welche Technik besonders stinkt, ich weiß, welche
Technik besonders viel Krach macht und besonders umweltschädlich ist. Der Transrapid gehört mit Sicherheit
nicht dazu.
({14})
Auch deswegen bin ich froh, dass wir diese Technik fördern.
Aus meiner Sicht steht der Transrapid symbolisch für
ein Dilemma unseres Staates: Es muss immer das Gegenteil von dem behauptet werden, was die Konkurrenz
gerade sagt. Das ist ein Stück Impotenz in unserem System. Das bisherige Scheitern des Transrapid hat damit zu
tun, dass der pawlowsche Reflex in diesem Land besonders wichtig ist.
Nicht zu verschweigen ist, dass die CDU/CSU in die
Haushaltsberatungen auch Anträge eingebracht hat; allerdings waren sie hochgradig unseriös.
({15})
Diese Anträge enthielten keine Zahlen, sondern immer
wieder das Wort „Erörterungsbedarf“. Mit solchen Anträgen können wir nichts anfangen; das ist auch nicht
konstruktiv. Dem hätte man nicht zustimmen können.
({16})
Zum Schluss bedanke ich mich bei den Kollegen, die
in den Gesprächen sehr engagiert mitgearbeitet haben.
Dieser Dank richtet sich ebenfalls an die Kollegen von
der Union, auch wenn ihre Anträge wirklich nichts wert
waren. Ich danke auch dem Minister und seinen Mitarbeitern. Die Freunde von der Opposition möchte ich auffordern, mitzumachen und nicht zu blockieren. Dem
Land kann das nur gut tun.
Danke.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Weißgerber, die Koalitionsfraktionen
machen offensichtlich den Fehler, ihren Wunsch mit der
Realität gleichzusetzen; das haben die von Ihnen genannten Zahlen deutlich gezeigt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Sie versuchen, einen
Haushalt für das Jahr 2004 zu beschließen, der weder
dem Kriterium der Klarheit noch dem der Wahrheit entspricht noch die Kriterien der Verfassungsmäßigkeit annähernd erfüllt. Sie legen einen Haushalt vor, der nicht
zustimmungsfähig ist, weil er gegen die elementaren Voraussetzungen der Verfassung verstößt. Das wird nirgendwo so deutlich wie beim Verkehrshaushalt. Herr
Kollege, ich werde darauf im Einzelnen zu sprechen
kommen.
Sie haben die Differenz zum Regierungsentwurf - es
handelt sich um 900 Millionen Euro - als eine geringfügige Reduzierung bezeichnet. Wer so spricht, der zeigt
eigentlich, dass er entweder nur mit großen Zahlen - ab
1 Milliarde aufwärts - rechnen kann oder nicht weiß,
was 900 Millionen Euro bedeuten. Dass Sie im Verkehrshaushalt auch noch 250 Millionen Euro im Zuge
des Rentenkompromisses und im Rahmen der globalen
Minderausgabe erwirtschaften müssen, haben Sie gar
nicht mehr angesprochen.
Horst Friedrich ({0})
Wie groß Ihre Not ist, wenn es darum geht, aus dem
Mautdebakel herauszukommen, zeigt die vom Minister
öffentlich verkündete Botschaft, die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft möge Zwischenkredite aufnehmen.
({1})
Wissen Sie eigentlich, Herr Kollege, was in Ihrem
Entwurf des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetzes vom 17. Dezember 2002 steht? - In
§ 2 - Gegenstand der Gesellschaft - heißt es unter anderem:
Die Gesellschaft ist nicht berechtigt,
- ich betone: nicht berechtigt Anleihen und Kredite aufzunehmen, Bürgschaften,
Garantien oder ähnliche Haftungen zu übernehmen
oder Kredite zu gewähren.
Entweder weiß der Minister nicht, was im Gesetz
steht, oder er glaubt, er könne uns davon überzeugen, insoweit eine Änderung vorzunehmen.
({2})
Ich fühle mich bestätigt, weil die Kollegin EichstädtBohlig gegenüber Reuters erklärt hat: Das ist mit uns
nicht zu machen. - Das hat sie schon mehrfach erklärt;
meist hat sie es dann doch gemacht.
({3})
Das würde uns in diesem Fall nicht stören.
Das Problem ist ziemlich deutlich. Der Präsident der
Bauindustrie meint, damit den Königsweg aufgezeigt zu
haben. Es wird auch dadurch nicht besser. Sicherlich:
Die Bauindustrie hat Probleme. Aber wir haben vor Verabschiedung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass hier
ordnungspolitisch nicht sauber gearbeitet wird
({4})
und dass Sie diese Gesellschaft ganz bewusst nur zu einem Zweck gründen: Einsammeln von Geld, Abliefern
beim Finanzminister, Warten in devoter Haltung mit
Händen an der Hosennaht, bis die Liste aus dem Ministerium und das Geld vom Finanzminister kommen,
Bauen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger sollte diese
Gesellschaft machen. Das Gegenteil davon brauchten
Sie eigentlich jetzt. Sie haben sich selbst dieser Instrumentarien beraubt. Das zeigt, dass Sie gar nicht willens
sind, ordnungspolitisch über das Thema zu diskutieren.
Deswegen stehen Sie jetzt auch vor dem Problem.
({5})
Nun kommen wir zur Maut.
({6})
Das ist schon interessant. Die FDP-Fraktion hat im Sommer dieses Jahres - wohlgemerkt: dieses Jahres, nicht
des letzten Jahres - die Regierung gefragt, wann denn
die Maut kommt. Am 25. August 2003 gab es die regierungsamtliche Antwort:
Die LKW-Maut wird am 31. August 2003 eingeführt.
({7})
Es wird dann eingeschränkt:
Aus diesem Grund und zur Sicherstellung eines
nutzerfreundlichen Betriebs mit einer erhöhten Anzahl an On-Board-Units … hat sich die Bundesregierung mit TC darauf verständigt, dass dieser Start
mit einer zweimonatigen aktiven Einführungsphase
verbunden werden soll, in der keine Mautgebühren
erhoben werden.
Ich stelle also fest: Wir sind immer noch in der so genannten aktiven Einführungsphase. Allerdings dauert sie
nun schon etwas länger als beabsichtigt.
Noch interessanter: Unsere Frage 7 lautet:
Wie hoch sind die Einnahmeausfälle … und wie beabsichtigt die Bundesregierung diese Ausfälle zu
kompensieren?
Ist geplant, Infrastrukturvorhaben zu verschieben,
Mittel aus dem Schienenbereich in den Straßenbereich umzuschichten oder die Kreditaufnahme zu
erhöhen?
Antwort - man höre und staune -:
Es ist nicht geplant, Infrastrukturvorhaben zu verschieben, Mittel aus dem Schienenbereich in den
Straßenbereich umzuschichten oder die Kreditaufnahme zu erhöhen.
({8})
Wie die Realität aussieht, kann man selber feststellen.
Nun gibt es ja eine Liste, die es angeblich nicht gibt.
Aus meinem Bereich kann ich da nur die A 6 nennen.
Der Bundeskanzler war in der Oberpfalz mit Ludwig
Stiegler. Der Minister war am 1. September dieses Jahres dort - ein Schelm, der Böses dabei denkt; es ist ja
kein Wahlkampf gewesen - und hat erklärt: Selbstverständlich, die A 6 wird im Jahr 2004 begonnen.
({9})
Was lesen wir als erstes in der Liste, die nicht existent
ist? - Der Baubeginn ist gestrichen. Das betrifft genau
die Lücke - Herr Kollege Stiegler, damit nehme ich Ihren Zwischenruf auf - zwischen Amberg-Ost und
Pfreimd. Das Stück ist eben noch nicht im Bau.
Das wird im Endeffekt auch dadurch nicht besser,
dass sich Herr Staatssekretär Nagel am 16. November
dieses Jahres bei der Jahresversammlung des Deutschen
Speditions- und Logistikverbandes auf das Podium stellt
und erklärt - wortwörtlich -, trotz Mautdebakel werde
kein Verkehrsprojekt verschoben. Das steht so nicht nur
Horst Friedrich ({10})
in der Zeitung; ich kann das bestätigen, weil ich dabei
war. Ich habe schon da den Kopf geschüttelt.
Noch schlimmer wird es, wenn man sich anschaut,
was die Bahn im Endeffekt zu gewärtigen hat. Herr Kollege Weißgerber, die „vier“ bei den Milliarden ist wahrscheinlich nicht realistisch. Gehen Sie doch einmal von
ungefähr 3,3 Milliarden aus, die Sie überhaupt noch zur
Verfügung haben, und planen Sie das in Ihre Systematik
ein!
Eines wird deutlich: Ohne die Sondereinnahmen aus
der UMTS-Lizenz-Versteigerung wären Sie mit Ihren Investitionen sowohl in die Schiene als auch in die Straße
weit hinter den Ansätzen, die wir zu unserer Regierungszeit hatten, zurückgeblieben.
({11})
Die Folgen davon zeigen sich jetzt: Sie können die Ansätze nicht mehr halten und stehen jetzt mit leeren Hosentaschen da
({12})
und wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll.
Vor diesem Hintergrund können wir dem verkehrspolitischen Teil dieses Haushaltes sicherlich nicht zustimmen. Wir werden ihn ablehnen. Wir sind nach wie vor
der Meinung: Dieser Haushalt war, ist und wird nicht
verfassungskonform sein.
({13})
Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will nicht drum herum reden: Es ist tatsächlich so, dass
der Verkehrs- und Bauetat einige Risiken enthält, und
zwar nicht nur aufgrund der Situation bei der Maut, sondern vor allen Dingen auch aufgrund der Vorschläge von
Koch und Steinbrück, die ja im Vermittlungsausschuss
verhandelt werden. Auch darüber muss hier gesprochen
werden.
Trotzdem vorab einige Aussagen zum Thema Maut.
Als ich endlich Einblick in das berühmte Last-and-finalAngebot von dem entsprechenden Konsortium hatte,
stieß ich als Erstes auf das Anschreiben. Das enthält den
Satz: „möchten wir ankündigen, dass wir zu einem früheren Systemstart durchaus in der Lage sind“. Unterschrieben war es von sehr namhaften Firmenbossen.
({0})
Heute warten wir immer noch auf einen verbindlichen
Einstiegstermin.
Ich freue mich, wie der Kollege Kalb das vorhin dargestellt hat, und sage es selbst auch noch einmal an die
Adresse derjenigen, die meinen, so ein Verhalten mit
Rücktrittsforderungen an den Minister sanktionieren zu
müssen: Zeigen Sie auf die, die tatsächlich den Fehler
gemacht haben. Das Toll-Collect-Konsortium hat sich ja
nun wirklich in einer dramatischen Weise übernommen.
Niemand von uns kann sich darüber freuen. Wir müssen
aber ganz klar sagen: Bei ihnen liegt die Verantwortung;
sie haben Schuld. Ich hoffe, dass wir das inzwischen
auch gemeinsam so sehen.
({1})
Nachdem wir den Vertrag eingesehen haben, wissen
wir, dass ab 1. Dezember eine geringe Sanktionszahlung
pro Tag zu leisten ist - wir erwarten, dass das Ministerium diese Tag für Tag einfordert -, der frühestmögliche
Kündigungstermin jedoch der 15. Dezember ist. Vor diesem Hintergrund erheben wir Grüne zwei konkrete Forderungen: Entweder ist Toll Collect bis zum 15. Dezember in der Lage, ein ganz klares Datum zu nennen, an
dem die Einführung dann auch wirklich klappt, oder der
Einnahmeausfall, den letztendlich der Steuerzahler zu
verkraften hat, muss, falls das nicht der Fall sein sollte,
mit höheren Entschädigungsleistungen sanktioniert werden. Falls Toll Collect sich darauf nicht einlässt, muss
nach unserer Ansicht der Bund diesen Vertrag aufkündigen, so hart, wie das dann auch in der Folge ist. Wir halten es für nicht verantwortbar, dass weiterhin wir alle,
die Regierung und das Parlament insgesamt, also Koalitionsfraktionen und Opposition, von Toll Collect an der
Nase herumgeführt werden. Ich hoffe, dass wir uns hier
auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können.
Statt uns gegenseitig zu beschimpfen sollten wir gemeinsam darauf hinarbeiten, dass endlich auf vernünftige
Weise Mauteinnahmen realisiert werden.
({2})
Noch ein Zweites zum Thema Maut. Es ist so, dass
wir bei den Ausgaben, die durch Mauteinnahmen gedeckt werden sollten, erst einmal Sperrvermerke anbringen mussten. Natürlich sind wir in großer Sorge, in welcher Höhe diese Ansätze gehalten werden können. Wir
hoffen sehr, dass es gelingt, jeweils die maximalen Ansätze freizugeben; sicher können wir da zu dieser Stunde
natürlich nicht sein.
({3})
- Dazu macht man Sperrvermerke, lieber Kollege. Das
ist nun einfach einmal im Haushaltsrecht so. Wenn man
sich in Sachen Ausgaben oder Einnahmen nicht sicher
ist, dann muss da auf diese Weise nachgeholfen werden.
Als Nächstes möchte ich zu Investitionen in Schiene,
Straße und Wasserstraße sprechen. Wir haben die Ansätze tatsächlich auf einem hohen Stand gehalten, wie es
Kollege Weißgerber eben schon dargestellt hat. Das
halte ich für richtig. Allerdings gibt es eine globale Minderausgabe von 293 Millionen Euro, teilweise im Einzelplan 60, teilweise im Einzelplan 12. Ich habe die dringende Bitte an das Ministerium, dass zur Deckung dieser
globalen Minderausgabe wirklich ein Maximum im konsumtiven Bereich geholt wird und die Zuwendungen und
die Zuschüsse im nicht investiven Bereich noch einmal
geprüft werden. Ich bin der Meinung, dass hier ein kleiner bescheidener Rasenmäher von 2 Prozent bei den
Sachmitteln und 2 Prozent bei den nicht investiven Zuschüssen und Zuwendungen sehr wohl reicht, denn das
bringt über 200 Millionen. Man braucht also nicht auf
die von Koch und Steinbrück vorgeschlagene Rasenmähermethode zurückzugreifen. Auf diese Weise könnte
der Investivbereich deutlich geschont werden. Ich werbe
sehr dafür, sich die Etatansätze sehr genau anzuschauen.
Kollegen von Ihnen aus dem Haushaltsausschuss haben
Anträge gestellt, die zwar nicht dem Rasenmäherprinzip
entsprechen, sondern mehr oder weniger willkürlich
sind, aber sie sind schon ein Stück weit der Versuch, etwas einzusparen.
({4})
Als Zweites sagen wir ganz deutlich: Wenn bei Investitionen schon gekürzt werden muss, dann dürfen keine
einseitigen Kürzungen zulasten der Schiene gemacht
werden, dann müssen Straße, Schiene und Wasserstraße
anteilig belastet werden; anders ist das nicht zu machen.
({5})
Als Nächstes möchte ich auf den sehr schwierigen
Bereich „Koch/Steinbrück-Rasenmäher“ eingehen. Er
birgt nämlich eine Reihe von Risiken für genau unseren
Etat. Wir haben in den Bereichen, die den Einzelplan 12
betreffen, zwei sehr wichtige Kürzungen vorgeschlagen:
Das eine ist die Entfernungspauschale, und zwar die
Absenkung der Pendlerpauschale auf einheitliche
15 Cent pro Kilometer. Wir werben nachdrücklich dafür.
Natürlich wissen wir, dass das für die Pendler hart ist.
Dennoch ist es gerecht; außerdem erfolgen die Einsparungen im konsumtiven Bereich.
Der zweite Punkt betrifft die Eigenheimzulage. Die
Kürzung der Mittel bringt Bund, Ländern und Kommunen à la longue 8,5 Milliarden Euro. Jeder Jahrgang, in
dem die Eigenheimzulage gewährt wird, bindet für acht
Jahre Mittel in diesem Volumen. Das ist Geld, das wir
dringend brauchen könnten, gerade dort, wo uns Investitionsmittel fehlen.
Ich spreche diesen Punkt deswegen an, weil nach dem
Koch/Steinbrück-Modell nicht Straße, nicht Luftverkehr,
nicht Binnenschifffahrt, aber Schiene und gemeindlicher
und regionaler ÖPNV drastisch gekürzt werden sollen:
27 Prozent des gesamten Einsparvolumens des KochSteinbrück-Modells sollen aus diesem Bereich geholt
werden. Ich sage ganz deutlich: Ich bin sehr dafür, dass
wir überall da kürzen, wo Sparmaßnahmen sinnvoll und
vertretbar sind. Wir brauchen aber dringend eine öffentliche Infrastruktur, die in der Lage ist, das Verkehrsvolumen aufzunehmen und gerecht zwischen Straße und
Schiene zu verteilen. Bei den Leistungen nach dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz soll nach Koch/
Steinbrück um 120 Millionen Euro in drei Schritten um
jeweils 4 Prozentpunkte gekürzt werden. Beim Regionalisierungsgesetz soll um 1,625 Milliarden Euro gekürzt
werden, bei den Bahninvestitionen um 640 Millionen
Euro und beim Bundeseisenbahnvermögen um 1,378 Milliarden Euro. Wir haben glücklicherweise einen Sperrvermerk zwischen Bundeseisenbahnvermögen und den
Investivmaßnahmen erreicht. Trotzdem wissen wir
nicht, wie das alles geleistet werden soll.
Von daher noch einmal dringend die Bitte: Werben
Sie auch in Ihren Parteien, in den von Ihnen geführten
Ländern und bei all denen, die im Vermittlungsausschuss
aktiv zu tun haben, dafür, dass Kürzungen nicht in einer
solchen Schieflage vorgenommen werden, sondern dass
Kürzungen vorgenommen werden, die sinnvoll und nötig sind. Aus unserer Sicht ist da die Entfernungspauschale, eine konsumtive Ausgabe, wirklich besser geeignet. Es bringt auch sehr viel mehr Geld, wenn sie so
gekürzt wird, wie wir es vorschlagen.
({6})
Ein paar Sätze zum baupolitischen Bereich. Ich fange
auch hier mit Koch/Steinbrück an. In diesem Bereich ist
eine weitere Schieflage zu beobachten: Während an die
Eigenheimzulage so sanft - mit den dreimal 4 Prozentpunkten - herangegangen wird, soll auch das Wohngeld
dreimal um jeweils 4 Prozentpunkte gekürzt werden.
Gerade in einer Zeit, in der wir gemäß Hartz IV Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenlegen und damit einer
großen Bevölkerungsgruppe soziale Zumutungen in
neuer Form aufbürden, ist es nicht verantwortbar, zusätzlich an das Wohngeld zu gehen. Ich sage das hier
ganz deutlich, obwohl ich an anderen Stellen sehr wohl
für die Anwendung von Koch/Steinbrück’schen Maßnahmen bin.
Auch hier sage ich wieder: Lasst uns an die Eigenheimzulage gehen. Wir befinden uns zurzeit in einer
Lage, in der wir so viele Schulden haben, dass wir für
die Vermögensbildung privater Haushalte keine Verantwortung übernehmen können, erst recht nicht, wenn über
den Vermittlungsausschuss droht, dass das Wohngeld für
wirklich bedürftige Gruppen gekürzt wird.
({7})
Doch noch ein paar Ausführungen zur Eigenheimzulage, weil ich schon wieder dieses genüssliche Nicken
sehe. Da Sie uns ideologische Politik unterstellen, kann
ich an dieser Stelle nur immer wieder sagen: Wenn Sie
trotz aller öffentlicher Verschuldung und trotz der großen
Maastricht-Inszenierung, die der Kollege Merz Anfang
der Woche gemacht hat, Ihre Forderung für den Erhalt
der Eigenheimzulage jeden Tag wie eine Monstranz weiter vor sich hertragen, dann ist das wirklich unverantwortlich. Es ist sozial ungerecht gegenüber jedem Arbeitslosen in unserem Land. Es ist sozial ungerecht
gegenüber all denen, die Steuern zahlen, damit irgendwelche Zahnärzte und andere ihr Häusle gefördert bekommen. Das ist ungerecht in Zeiten, in denen wir das
aus Schulden bezahlen und die Finanzierung der nachfolgenden Generation auflasten.
({8})
Obendrein ist das Ganze städtebaulich absurd, denn
die Kommunen ertrinken schon heute in den Lasten und
Kosten der Infrastruktur. Mit jeder neuen Siedlung werden den Kommunen trotz einer zukünftig rückläufigen
Bevölkerung praktisch mehr Infrastrukturkosten aufgebürdet, die in zehn, 20, 30 oder 40 Jahren niemand mehr
bezahlen kann. Von daher ist es auch eine Sache der ökonomischen volkswirtschaftlichen Vernunft, dass wir unsere Siedlungsräume nicht ständig erweitern, sondern
lieber den vorhandenen Städtebau und Siedlungsbereich
stärken.
({9})
Von daher möchte ich noch einmal eindeutig für das
Konzept der Bundesregierung werben.
Jetzt sage ich es noch einmal in Bezug auf unseren
Haushalt - das möchte ich retten und ich werbe dafür -:
25 Prozent des Einsparvolumens bei der Eigenheimzulage gehen in die Stärkung der Städte, in den Stadtumbau
Ost, in die Städtebauförderung vor allem in Westdeutschland, in die Stärkung von Eigentumsbildung in
den Städten und - auch das haben wir im Haushaltsverfahren erreicht - in Zukunft mit 315 Millionen auch in
die Altschuldenentlastung der Wohnungswirtschaft im
Osten, die enorm unter dem Leerstand und den Schulden, die auf dem Leerstand lasten, leidet. Dafür werbe
ich.
Ich komme zum Schluss. - Ich bitte Sie -
Nein, Sie kommen bitte gleich zum Schluss, weil Sie
Ihre Redezeit schon weit überzogen haben.
Ich komme zum Schluss. - Ich bitte Sie, das mit zu
unterstützen, statt immer wieder andersherum zu sagen,
es müsse alles aufrechterhalten werden, was bisher gegolten hat. Das ist Vergangenheit, aber nicht Zukunft.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Fischer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ein Zitat:
Die Einnahmen aus der LKW-Maut kommen zusätzlich zu den Verkehrsinvestitionen. Damit erreichen wir eine langfristige Verstetigung des hohen
Investitionsniveaus und sichern die Finanzierung
des Bundesverkehrswegeplans bis 2015.
({0})
So Minister Stolpe am 11. September 2003 in der ersten
Lesung des Bundeshaushalts 2004. Dieses, so darf man
wohl feststellen, war eine grobe Falschdarstellung.
({1})
Die Bundesregierung und Herr Verkehrsminister
Stolpe haben im Vermittlungsverfahren zwar die Verwendung der Mauteinnahmen gemäß § 11 Mautgesetz
zusätzlich zu den bestehenden Haushaltsansätzen für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zugesagt, davon
überwiegend in den Straßenbau, aber bei der ersten Anwendung des gerade von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetzes haben sie dieses neue Recht verletzt.
({2})
Sie haben das Gesetz gebrochen. Mit diesen Äußerungen
haben Sie, Herr Minister Stolpe, doch versucht, Rechtsverletzung und Wortbruch zu kaschieren, denn von Anfang an waren im Entwurf für 2004 mit vollständig eingeplanten Mauteinnahmen über das ganze Jahr
111 Millionen Euro weniger für Verkehrsinfrastruktur
eingeplant als 2003 weitgehend ohne Mauteinnahmen.
Dieser Umgang der Bundesregierung mit dem, was
der Gesetzgeber entschieden hat, erfordert nach meiner
Meinung allerhöchste Verurteilung. So kann es nicht gehen, dass wir hier Gesetze machen und dort die Regierung sitzt und sagt: Was juckt uns, was der Gesetzgeber
entscheidet? Das ist für uns nicht maßgebend; wir machen andere Entwürfe.
({3})
- Herr Kollege Weis, es würde Sie ehren, wenn Sie die
Bedeutung des Parlaments auch gegenüber einer Regierung verteidigen würden, die mit Ihnen ja auch so umgeht, als hätten Sie hier nichts zu sagen.
({4})
Auch Sie sollten einfordern, dass die Regierung die Gesetze, die wir verabschieden, zu respektieren und danach
zu verfahren hat.
({5})
Ungeachtet dessen ist heute, elf Wochen später, das
Mautdesaster größer und der Kahlschlag bei den Infrastrukturinvestitionen sehr viel weitreichender als jemals
zuvor angenommen. Die Folge der Mautkatastrophe ist:
Dirk Fischer ({6})
eine Haushaltssperre für Verkehrsinvestitionen in Höhe
von über 1 Milliarde Euro plus nicht aufgefangene Einnahmeausfälle aus 2003 und die globale Minderausgabe
aufgrund der Einsparungen für die Rente in Höhe von
fast 300 Millionen Euro, die noch zusätzlich von Ihrem
Haus aufgebracht werden müssen. Ein derartiges Haushaltschaos hatten wir noch nie.
({7})
Alle Zahlen, über die wir bisher diskutiert haben und
die der Haushaltsausschuss bei dem Erlass der Haushaltssperre zugrunde gelegt hat, basieren darauf, dass
das System am 1. Juli 2004 betriebsbereit ist und Mauteinnahmen fließen werden. Das ist aber heute unter den
Experten eine ausgesprochen optimistische Annahme.
({8})
Wenn dieser Termin nicht eingehalten werden kann,
wird sich das Problem immer weiter zuspitzen.
Aber Minister Dr. Stolpe fühlt sich offenbar nicht zuständig. Er sagt, der Starttermin sei Sache des Industriekonsortiums, das Controlling sei Sache des BAG, über
Harmonisierungsfragen werde in Brüssel entschieden
- auch heute kam er nicht mit einem Ergebnis nach
Hause - und zusätzliches Geld für die Infrastruktur
müsse schließlich Hans Eichel besorgen. Stolpe spielt
offenbar die Rolle des Hohepriesters nach dem Motto:
Seid friedlich und mehret euch!
({9})
So kann es nach meiner Überzeugung nicht weitergehen.
Die Schadensbilanz ist erschreckend. 2003 betrug
der Schaden 718 Millionen Euro. Die monatlichen Einnahmeausfälle von Januar bis März 2004 werden jeweils
bei 175,5 Millionen Euro und die monatlichen Einnahmeausfälle ab April 2004 werden jeweils bei 168 Millionen Euro liegen. Wenn das System tatsächlich am 1. Juli
2004 in Betrieb ist und die Mauteinnahmen fließen, dann
beträgt der Gesamtschaden 1,8 Milliarden Euro. Sollte
die Mauterhebung 2004 überhaupt nicht gelingen,
({10})
wäre der Gesamtschaden sogar über 2,8 Milliarden Euro.
({11})
Nicht unberücksichtigt bleiben darf die Tatsache, dass
eine Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft sinnloserweise etabliert wurde, die über viele Monate überhaupt
keine Einnahmen haben wird, aber Kosten verursacht,
({12})
und dass sich beim BAG in Köln 1 000 zusätzliche Mitarbeiter, die für die Kontrollen zuständig sind, immer
mehr im Däumchen drehen und Skat spielen werden
üben müssen. So sind locker Ausgaben von 50 Millionen
Euro für die Katz. Das ist die Realität.
({13})
An dieser Stelle, Herr Minister Dr. Stolpe, fordere ich
Sie auf: Hören Sie endlich auf, das wahre Ausmaß der
Probleme gegenüber Parlament und Öffentlichkeit zu
verschleiern und kleinzureden!
({14})
Ich will ein paar Beispiele nennen. Gemäß dem Vertrag - wir konnten ihn später einsehen - hätte am
21. Mai 2003 - zu dieser Zeit saßen wir gemeinsam im
Vermittlungsverfahren zu den Mautverordnungen - das
Mautsystem betriebsbereit sein müssen. Das war aber
nicht der Fall. Warum haben Sie uns damals verschwiegen, dass Sie deshalb, wie Sie uns hinterher erklärt haben, „vom Hocker gefallen“ sind? Sie haben während
des Vermittlungsverfahrens kein Wort darüber gesagt.
Sie haben den Ausschuss und die Öffentlichkeit nicht informiert. Sie haben es uns verschwiegen.
({15})
Man kann die Öffentlichkeit auch täuschen, indem man
die wesentlichen Tatsachen verschweigt. Das ist hier geschehen; das kritisiere ich.
({16})
Am 29. Juli 2003 haben Sie Ihren Pressesprecher erklären lassen, dass die Maut, wie geplant, zum
31. August 2003 starten würde. Auf Rückfrage von Journalisten, ob es Überlegungen gebe, die Einführung zu
verschieben, haben Sie gesagt: Nein, im Ministerium
gibt es solche Überlegungen nicht. Einen Tag später haben Sie das Eckpunktepapier unterschrieben und den
Start auf den 2. November 2003 verschoben.
Von Toll Collect erfuhren wir später, dass man bereits
am 20. Juli 2003 mit Ihnen im Ministerium zusammengesessen hat, um über eine Verschiebung zu beraten.
Hier ist also die Öffentlichkeit wiederum falsch informiert worden. Diesen Täuschungsakt kritisiere ich. Ich
glaube, dieses unwürdige Verwirrspiel, das inszeniert
worden ist, fällt auf Sie zurück.
Sie haben Ihre Grundsatzabteilung wegen des Haushaltsdesasters um eine Streichliste für Infrastrukturprojekte gebeten. Das ist im Anschreiben, wie Sie wissen,
ausdrücklich enthalten. Als wir diese bei der „Süddeutschen Zeitung“ nachlesen konnten, ließen Sie Ihr Haus
erklären, es handele sich nur um eine Momentaufnahme
und nicht um eine Streichliste. Warum erneut diese Irreführung, wenn es denn in diesem Papier unter anderem
ausdrücklich heißt: „Keine Baubeginne in 2004!“?
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Strothmann?
({0})
Ja, gerne.
Bitte schön.
({0})
Herr Kollege Fischer, können Sie mir die Frage beantworten, warum mir die Bundesregierung meine Anfrage, ob es bei der Planung von Bauprojekten in NRW
Streichungen, Verlegungen oder Veränderungen gibt, am
3. November dieses Jahres mit einem klaren Nein beantwortet hat?
Das überrascht mich. In dem Papier an den Minister
heißt es unter anderem ausdrücklich zu Nordrhein-Westfalen: Streichung folgender Maßnahmen: A 1 Einhausung bei Lövenich für die WM 2006, A 1 Landesgrenze
Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen, Kreuz Lotte.
({0})
Die Kollegin Strothmann ist also eindeutig in einer absolut unzutreffenden Weise informiert worden. Ich kann
dazu nur sagen: Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass
Parlament und Öffentlichkeit brutal belogen worden
sind, was wir nicht weiter hinnehmen dürfen.
({1})
Kollege Horst Friedrich hat schon darauf verwiesen,
dass der Verkehrshaushalt allen Haushaltsgrundsätzen
widerspricht. Er ist nicht zustimmungsfähig. Er ist der
große Steinbruch schröderscher und eichelscher Haushaltspolitik. Man fragt sich: Wann endlich will Minister
Stolpe Gegenwehr leisten? Denn es gibt massive Einschnitte in die Verkehrsinfrastruktur bzw. eine gewaltige
Streichliste. Auf Deutsch gesagt, Herr Minister Stolpe:
Jetzt ist die Katze aus dem Sack gelassen worden; jetzt
wissen wir, was kommt.
Sie müssen rund 1,4 Milliarden Euro streichen: bei
der Straße 685 Millionen Euro, bei der Schiene
513 Millionen Euro und bei den Wasserstraßen 155 Millionen Euro - und dies immer unter der sehr optimistischen Annahme, dass ab 1. Juli Geld fließt. Es soll im
Jahr 2004 bei Straße, Schiene und Bundeswasserstraße
keinerlei Baubeginne geben. Es kommt zu massiven
Eingriffen in laufende Bauvorhaben bei Straße und
Schiene. Verkehrsfreigaben verzögern sich. Projekte sollen stillgelegt, andere ganz gestoppt werden. Im Straßenbau ist eine Kürzung der Erhaltungsmittel um rund ein
Drittel vorgesehen. Die Folge ist: noch schlechtere Straßen und damit verbunden dramatisch zunehmende Verkehrsbeeinträchtigungen. Betroffen sind insbesondere
Projekte von volkswirtschaftlicher und standortpolitischer Bedeutung.
Hier sind das Anti-Stau-Programm und Projekte im
Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 zu nennen.
Man kann gar nicht alle Projekte aufzählen; nur einige
Beispiele in diesem Zusammenhang: A 1 bei Osnabrück,
A 7 bei Göttingen und Hannover, A 10 westlicher Berliner Ring, Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin, die
Eisenbahnverbindung Berlin-Rostock, VDE 8.1: Ebensfeld-Erfurt sowie VDE 9: Eisenbahnverbindung von
Leipzig nach Dresden. Dies hat auch Auswirkungen auf
die Bundeswasserstraßen.
Es erfolgt ein sofortiger Vergabestopp für alle Ausbau- und Ersatzinvestitionen sowie für alle größeren Unterhaltungsmaßnahmen. Betroffen sind dabei die Projekte VDE 17: Magdeburg-Berlin, das westdeutsche
Kanalnetz, also der Mittellandkanal, der Elbe-Seitenkanal und der Dortmund-Ems-Kanal,
({2})
Baggerungen zur Erhaltung der erforderlichen Fahrwassertiefen in den seewärtigen Zufahrten zu den deutschen
Seehäfen sowie Aufwendungen für die maritime Notfallversorgung. - Das alles sind nur einzelne Beispiele.
({3})
Dabei sagten Sie, Herr Dr. Stolpe, noch am
8. September 2003 vor dem Verkehrsausschuss, dass die
Mittel für das Anti-Stau-Programm in diesem Jahr nicht
gekürzt werden sollen und dass der Bundesfinanzminister einem finanziellen Ausgleich bis 2006 zugestimmt
habe.
({4})
Ich kann dazu nur sagen: Viele Tiefbaufirmen mit Zehntausenden von Arbeitsplätzen sind in Gefahr, wenn ein
derart hohes Auftragsvolumen ausfällt. Sie werden das
nicht überstehen.
Herr Dr. Stolpe, ich kann nur feststellen: Sie haben
Bundeskanzler Schröder einmal als einen Helden der Politik bezeichnet. Sie sind heute für mich ein ganz besonderer, quasi unüberbietbarer Held der Maut. Am Ende
frage ich mich wirklich: Wo bleiben Ihre Erfolge? Es
gibt sie nicht bei der Maut, nicht bei der Bahn, nicht im
Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung oder dem
Flughafen Schönefeld. Ein bundesweites Luftverkehrskonzept lässt auf sich warten. Sie haben ein regelrechtes
Infrastrukturdesaster zu verantworten. Wo ist die angekündigte Fluglärmschutznovelle? Man könnte diese
Liste endlos verlängern.
Wir sind gespannt, ob Sie bis 2006 überhaupt noch einen Erfolg zu vermelden haben. Bisher hat immer nur
gegolten: Viel versprochen und alles gebrochen!
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Göllner von der
SPD.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Umgang der Regierung mit dem Parlament, den
Herr Kollege Fischer gerade festgestellt hat, muss ein
sehr subjektiver sein;
({0})
denn die Regierungsmitglieder haben durch die Bank im
Haushaltsausschuss einen sehr fairen Umgang mit dem
Parlament attestiert bekommen. Das ist doch auch die
Erfahrung, die wir alle durchweg machen.
({1})
Herr Kollege Fischer, gestatten Sie mir einen persönlichen Hinweis: Es heißt in der Bibel nicht „Seid wachsam und mehret euch“, sondern „Seid fruchtsam und
mehret euch“.
({2}): Hat er
auch gesagt! - Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/
CSU]: Ich habe „friedlich“ gesagt! -
Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er hat
„friedlich“ gesagt!)
Das sagte auch kein Hohepriester, sondern Gott persönlich.
({3})
Der Kollege Friedrich begann seinen Redebeitrag damit, dass er uns erzählte, er glaube zu träumen. Kollege
Friedrich, ich gratuliere Ihnen dazu; denn nur wer
träumt, der lebt noch. Ich habe auch geträumt.
({4})
Herr Friedrich, ich habe heute Morgen geträumt, die
Union und die FDP hätten im Frühjahr dieses Jahres
dem Steuervergünstigungsabbaugesetz zugestimmt.
({5})
Dann hätten wir manche Haushaltsprobleme, um die wir
uns heute schlagen, nicht.
({6})
Dass wir diese Probleme haben, Herr Kollege Friedrich,
hat viele Gründe. Ein Grund ist, dass wir uns gerade daranmachen, den 33. Bundeshaushalt in Folge zu verabschieden, der nur durch Schulden gedeckt wird.
({7})
Die Zahl 33 zeigt, dass wir alle nicht mehr im Zustand
der Unschuld sind. Ihre Partei hat von den 33 Jahren die
meiste Zeit mitregiert.
({8})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich
schließe mich ausdrücklich dem Dank an das Haus an,
den vorhin der Kollege Weißgerber hier abgestattet hat;
denn die Zusammenarbeit war gut. Ich will in diesen
Dank die Mitberichterstatter der anderen Parteien einschließen; denn im Gegensatz zu dem Klima, Herr Kollege Kalb, das während der heutigen Debatte herüberkam, ist die Zusammenarbeit meist friedlich und
ausgesprochen angenehm.
Trotz der Haushaltslage ist der Einzelplan 12, also der
des Ministers Stolpe, immer noch der drittgrößte Einzeletat im Haushalt und der mit Abstand größte Investitionshaushalt des Bundes überhaupt; denn über die
Hälfte der gesamten investiven Ausgaben des Bundes
liegen in diesem Einzelplan. Schon dadurch wird deutlich, welche Bedeutung die Bundesregierung auch in
konjunkturell schwierigen Zeiten dem Erhalt und dem
Ausbau der Infrastruktur und dem Aufbau Ost beimisst.
Wir sind nicht etwa dabei - wie vorhin gesagt wurde -,
uns der Infrastruktur in den Entwicklungsländern anzunähern - ganz im Gegenteil.
({9})
Wir haben die Städtebauförderung kräftig aufgestockt. Die Einsparungen bei der Umgestaltung der Eigenheimzulage wollen wir nutzen, um die Städtebauförderung für die alten Länder und die Finanzhilfen im
Rahmen des überaus erfolgreichen Programms „Soziale
Stadt“ zu erhöhen. Insgesamt stellen wir hierfür
458 Millionen Euro zur Verfügung.
({10})
Wir unterstützen damit die Anpassung der Städte an die
Erfordernisse der Zukunft und leisten einen nachhaltigen
Beitrag zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik sowie zur
Schaffung von Ausbildungsplätzen im Baugewerbe und
im Handwerk.
Wir haben die Neuorientierung der Städtebau- und
Wohnungspolitik eingeleitet und werden diese intensiv
weiterentwickeln. Unsere Städtebau- und Wohnungspolitik konzentriert sich stärker auf den Erhalt, auf die Sanierung und auf die Modernisierung des Wohnungsbestands, als es früher der Fall war. Wir verbinden
Städtebau- und Wohnungspolitik. Wir unterstützen integrative Ansätze, die die wichtigen Bereiche der Arbeitsmarktpolitik und der Wirtschaftsförderung einbeziehen.
Wir fördern insbesondere die Wohneigentumsbildung in
innerstädtischen Altbauquartieren, um die Bildung von
Wohneigentum stärker in die Innenstädte zu verlagern.
Diese Politik bremst die Zersiedelung unserer Landschaft und soll das Abwandern aus den Großstädten ins
Umland stoppen. Schauen Sie sich die Stadt Berlin an,
wenn Sie Zeit dazu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier stehen 140 000 Wohnungen leer.
({11})
Das ist nicht allein ein Berliner Problem; das kann Ihnen
in allen Großstädten unserer Republik auffallen. Unsere
Städtebau- und Wohnungspolitik hat zum Ziel, diesen
Trend aufzuhalten. Unsere Politik ist nachhaltig. Sie soll
erreichen, dass unsere Innenstädte an Lebens-, Wohnund Aufenthaltsqualität gewinnen.
({12})
Gleichzeitig setzen wir die bisherige Städtebauförderung auf dem in der mittelfristigen Finanzplanung ausgewiesenen relativ hohen Niveau fort. Mit diesen Finanzhilfen fördern wir städtebauliche Sanierungs- und
Entwicklungsmaßnahmen sowie in den neuen Ländern
zusätzlich den städtebaulichen Denkmalschutz. 215 Millionen Euro dieser klassischen Städtebauförderung fließen in die neuen Länder, 40 Millionen Euro in die alten.
Im Zuge des Auslaufens der Eigenheimzulage wollen wir
die Finanzmittel für die alten Länder kräftig anheben,
nämlich insgesamt auf rund 212 Millionen Euro. Mit diesen Mitteln unterstützen wir insbesondere die Kommunen.
Das von der Bundesregierung 1999 aufgelegte Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“
- kurz: „Soziale Stadt“ - ist überaus erfolgreich. Die Finanzhilfen des Bundes werden für Investitionen zur innovativen und nachhaltigen Stadtentwicklung eingesetzt.
Das Programm „Soziale Stadt“ ist aber nicht nur ein
städtebauliches Investitionsprogramm, sondern auch ein
zukunftsweisendes integratives Förderkonzept zur Stabilisierung sozialer Brennpunkte. Einzelne Stadtteile, in
denen sich soziale, wirtschaftliche und städtebauliche
Probleme verschärfen, werden durch die Vernetzung der
vielfältigen finanziellen und organisatorischen Ressourcen
aller Politikbereiche auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene gezielt gefördert. Die Integration unterschiedlicher
Politikfelder wie Wohnungsbau, Arbeitsmarkt und Wirtschaftsförderung sowie Jugend- und Sozialpolitik leistet
einen wirksamen Beitrag zur nachhaltigen Steigerung
der Wohn- und Lebensqualität in den betroffenen Stadtteilen. Im Rahmen dieses Programms werden Eigeninitiative und Selbsthilfepotenziale aktiviert, ein gemeinsames Bewusstsein entwickelt und die nachbarschaftlichen
Beziehungen gefestigt.
Wegen des großen Erfolges des Programms haben wir
die Finanzhilfen des Bundes bereits im laufenden Jahr
von 76 Millionen Euro auf 80 Millionen Euro erhöht. So
konnten neue Vorhaben in das Bundesprogramm aufgenommen werden und die Förderung laufender Maßnahmen auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Im Rahmen
der mittelfristigen Finanzplanung wird für das Programm
„Soziale Stadt“ ein Verpflichtungsrahmen von 50 Millionen Euro bereitgestellt. Wir wollen den sozialen Zusammenhalt noch weiter stärken und die Entwicklung sozialer Brennpunkte frühzeitig stoppen. Deshalb sollen diese
Mittel bei Auslaufen der Eigenheimzulage um weitere
knapp 86 Millionen Euro aufgestockt werden.
Das im Jahr 2002 von der Bundesregierung gestartete
Programm „Stadtumbau Ost“ ist von den fachlich und
politisch Beteiligten als wichtiger und notwendiger
Schritt zur Stabilisierung der Städte und Siedlungen sowie der Wohnungswirtschaft bewertet worden.
({13})
Der Verpflichtungsrahmen des Programms wird auf dem
bisherigen Niveau von circa 153 Millionen Euro festgesetzt. Insbesondere Städte und Gemeinden in Ostdeutschland, die besonders vom Leerstand betroffen
sind, bekommen Finanzhilfen des Bundes, zum einen,
um leerstehende und langfristig nicht mehr benötigte
Wohngebäude zurückzubauen, und zum anderen, um in
die Aufwertung der betroffenen Stadtteile zu investieren.
Darüber hinaus werden wir das Programm „Stadtumbau Ost“ und die Altschuldenhilfe stärker aufeinander
abstimmen und so die Handlungsspielräume der Länder
zur Unterstützung in ihrer Existenz gefährdeter Wohnungsunternehmen erheblich erweitern.
Mit der Härtefallregelung auf Grundlage des Altschuldenhilfe-Gesetzes gewähren wir gefährdeten Wohnungsunternehmen in den neuen Ländern zusätzliche
Entlastungen von Altschulden. Die starke Inanspruchnahme zeigt, wie wirkungsvoll diese Hilfe ist. Sie ist
eine wirksame Ergänzung des Programms „Stadtumbau
Ost“ und wird sowohl den Wohnungsmarkt als auch die
Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland stabilisieren.
({14})
Wir haben das Finanzvolumen von bisher 658 Millionen
Euro im Rahmen dieser Haushaltsberatungen daher um
350 Millionen Euro aufgestockt. Jedoch ist diese Erhöhung abhängig von den Einsparungen bei der Eigenheimzulage und damit vom Vermittlungsergebnis zum
Haushaltsbegleitgesetz.
({15})
Meine Damen und Herren von der Opposition, nun
sind Sie in der Verantwortung, schließlich gibt es ein Vermittlungsverfahren. Ich hoffe, dass Sie - anders als in den
Beratungen in den Ausschüssen - im Vermittlungsverfahren Ihrer Verantwortung gerecht werden und Ihre Zustimmung geben, um so unser Land nach vorne zu bringen.
Danke schön.
({16})
Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Günther von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Friedrich und die Kollegen von der CDU haben
bereits auf die Ausfälle bei der Maut hingewiesen.
({0})
Joachim Günther ({1})
Ich möchte nun ein anderes Beispiel bringen und dabei den Blick auf die EU-Osterweiterung richten.
Herr Minister Stolpe, Sie haben am 11. September
2003 hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die Verstärkung der Verkehrsinfrastruktur Hauptaufgabe der Politik ist. Das ist richtig. In dem Jahreshaushaltsplan sehen
wir aber genau das Gegenteil davon. Die Verkehrsinfrastruktur ist eine Lebensader der Wirtschaft. Sie ist aber
auch eine Voraussetzung für die anstehende EU-Osterweiterung.
({2})
Hier sehe ich eine große Gefahr auf uns zukommen.
Aufgrund der monatlichen Ausfälle von circa 160 Millionen Euro wird nicht nur die so genannte Streichliste
betroffen sein, sondern es werden auch unbedingt notwendige Verbindungen in Richtung Osteuropa unberücksichtigt bleiben.
({3})
Wer in den Zweiten Fortschrittsbericht über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland schaut - auch
das ist interessant -, der wird sehen, dass sich Ausfälle
im Bereich der Verkehrsinfrastruktur im Osten unseres
Landes besonders katastrophal auswirken und dass sie in
den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf eingreifen. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf - dies wurde
hier entsprechend vorgetragen und früher auch immer
versichert -, an dieser Verkehrsinfrastruktur keinerlei
Abstriche zuzulassen.
Ich bin diesbezüglich auch deshalb misstrauisch geworden, weil ich im Fortschrittsbericht 2002 der neuen
Länder, der jährlich anzufertigen und vorzulegen ist, auf
etwas Interessantes gestoßen bin.
({4})
- Ja, dort können wir darüber sprechen. - Schauen Sie
sich zum Beispiel die Berichte der Länder Berlin und
Sachsen-Anhalt an. Die Sonderbedarfszuweisungen
wurden hier häufig eben nicht, wie vorgeschrieben, für
Infrastrukturmaßnahmen verwendet, sondern sie sind in
den allgemeinen Haushalt geflossen. Auf meine Nachfrage im Ministerium der Finanzen - Herr Diller, Ihre
Kollegin hat sie beantwortet - wurde mir Folgendes gesagt:
({5})
Die Bundesregierung ist in ihrer Stellungnahme zu
den Fortschrittsberichten der Länder zwar auch zu dem
Ergebnis gekommen, dass die Mittel in einigen Ländern
zu großen Teilen in den allgemeinen Haushalt geflossen
und eben nicht für Investitionen verwendet wurden. Es
hat sich aber nachträglich herausgestellt, dass dieses Ergebnis wegen unterschiedlicher methodischer und statistischer Ansätze bei der Erstellung der Berichte zustande
gekommen ist.
Man muss ja den Eindruck gewinnen, dass Sie nicht
nur über den Haushalt, sondern auch darüber, wie die
Bundesmittel in den Ländern verwendet werden, keine
Übersicht mehr haben.
({6})
Hier muss Einfluss genommen werden, sodass sie richtig
verwendet werden.
({7})
Vor dem Hintergrund des nach wie vor bestehenden
Nachholbedarfs bezüglich der Infrastruktur in den neuen
Ländern ist es deshalb besonders wichtig, dass auch der
Solidarpakt näher betrachtet wird und auch diese Mittel
so eingesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist.
Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass mit der EUOsterweiterung im Jahre 2004 neue Anforderungen an
uns gestellt werden. Auch hier sind die neuen Länder
und Bayern besonders betroffen. Bislang gibt es von Ihrer Regierung kein Konzept, wie die Anschlüsse erfolgen werden. Ich mache mir vor allem um den grenznahen Raum Sorgen. Auf tschechischer Seite werden zum
Beispiel Straßen gebaut, während bei uns noch nicht einmal die Planung durchgeführt wurde. Ein besonderes
Beispiel ist die Sachsen-Franken-Magistrale der Deutschen Bahn AG. Hier gibt es wiederum eine sehr intensive Diskussion. Auf Ihrer indirekten Streichliste befindet sich eine der traditionsreichsten Strecken, die von
München oder Stuttgart über Nürnberg und Dresden bis
nach Breslau verläuft. Das ist also wirklich eine Schiene
in Richtung der EU-Osterweiterung. Wer eine solche
Strecke auf die Streichliste setzt, der blickt in Europa politisch nicht nach vorn.
({8})
Lassen Sie mich noch einige Worte zur Baupolitik
und zum Städtebau sagen. Nach wie vor ist die Lage in
den ost- und inzwischen zum Teil auch in den norddeutschen Ländern durch einen hohen Wohnungsleerstand
gekennzeichnet. Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich gebe Ihnen Recht: Das Programm Aufbau Ost ist angekommen
und wird auch umgesetzt. Es ist aber unzureichend,
wenn man an die Geschwindigkeit der Abwanderung
aus den ostdeutschen Ländern denkt. Das heißt, im Prinzip laufen wir mit diesem Programm hinterher. Meines
Erachtens sind wir uns darüber auch einig.
({9})
2002 sind 80 000 Einwohner aus den neuen Bundesländern abgewandert. Das entspricht der Größe einer
mittleren Stadt. Wenn es uns in solchen Städten, in denen
die Abwanderung hoch ist, nicht gelingt, Stadtquartiere
attraktiv zu erhalten und den Bürgern eine Perspektive
zu geben, sodass sie nicht immer im Hinterkopf haben
Joachim Günther ({10})
müssen, wann das Theater geschlossen und das
Schwimmbad zugemacht wird, dann wird sich dieser
Prozess weiter verselbstständigen; er wird voranschreiten. Hier muss ein Durchbruch erzielt werden.
({11})
Eine Chance dafür wäre zum Beispiel - darüber
müsste diskutiert werden -, die im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel für die Jahre 2005 ff. vorzuziehen - Kollege Göllner hat es vorhin angesprochen -, damit der
Abriss schneller vonstatten gehen kann; denn mit dem
Abriss erhalten wir ein attraktives Stadtbild und außerdem - dies ist im Osten Deutschlands dringend notwendig - endlich wieder eine Struktur im Wohnungsbereich,
durch die die Immobilienwirtschaft wieder auf einigermaßen gesunde Beine gestellt werden kann.
({12})
Um zu zeigen, dass es hierzu tolle Ideen gibt, möchte
ich auf einen Artikel im „Spiegel“ vom 17. November
dieses Jahres verweisen. Er ist eindrucksvoll. Darin wird
bewiesen, dass man mit unternehmerischen Findigkeiten
einiges erreichen kann. Ein holländischer Unternehmer kauft im großen Stil abbruchreife Platten in den ostdeutschen Kommunen und bringt diese als neues Produkt in ost- und südosteuropäischen Ländern auf den
Markt. Auch in einem solchen Bereich kann man Fortschritte erzielen. Wir unterstützen diese Privatinitiativen,
die im Endeffekt effektiver und schneller Wirkung erzielen.
({13})
Zum Schluss möchte ich meine Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass sich an den Ergebnissen des Haushalts durch die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss einiges ändert; denn mit seinen Geisterzahlen ist
er jetzt nicht nur verfassungswidrig, sondern auch beim
besten Willen nicht anzunehmen. Deshalb lehnen wir ihn
ab.
({14})
Das Wort hat der Kollege Albert Schmidt von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kein anderer Haushalt ist mit derart vielen und großen
Risiken wie der Einzelplan 12 belastet, den wir heute
diskutieren. Es hilft nichts, darum herumzureden.
({0})
Erstens. Zur Konsolidierung der Rentenversicherung
muss bekanntlich der Einzelplan 12 im Rahmen einer
globalen Minderausgabe mindestens 244 Millionen Euro
an Einsparungen erbringen.
({1})
Zweitens. Als Folge aus den Mauteinnahmeausfällen
in diesem Jahr 2003, die der Finanzminister in dankenswerter Weise überbrückt hat, werden in den nächsten
Jahren bis zu 600 Millionen Euro im Einzelplan 12 zu
erwirtschaften sein.
Drittens. Wegen der heute bereits absehbaren Einnahmeausfälle bei der LKW-Maut im nächsten Jahr werden
allein im ersten Halbjahr mehr als 1 Milliarde Euro an
Einnahmen fehlen. Im Worst-Case-Szenario, also wenn
das System überhaupt nicht in Gang kommt, würden bis
zum Ende nächsten Jahres 2,1 Milliarden Euro nur auf
dieser Ursache basierend fehlen.
({2})
Viertens. Über all dem - dabei sollten wir zusammenarbeiten - schwebt als Damoklesschwert im Vermittlungsausschuss die Bedrohung durch die Koch-SteinbrückVorschläge, deren Umsetzung alleine und ausschließlich
beim Verkehrsträger Schiene in den kommenden drei
Jahren über 2 Milliarden Euro an Kürzungen beim Zugangebot - dies wird durch Kürzung der Regionalisierungsmittel erreicht - und beim Streckenausbau mit sich
bringen würde.
Wer so etwas will, bringt keinen Rasenmäher in Stellung,
sondern er legt die Axt an die Wurzeln der Bahnreform. Er
gefährdet den Erfolg der Bahnreform und das Bundesunternehmen Deutsche Bahn AG mitten in einer schwierigen Sanierungsphase.
({3})
Diese Kürzungsvorschläge träfen ausschließlich und brutal allein die Schiene. Dies wäre übrigens ein Rückfall in
die letzten Amtsjahre von Wissmann und Waigel - ich erinnere mich sehr gut, mein Gedächtnis reicht so weit -,
({4})
als nämlich die Bahn - das haben Sie ganz ohne Mautdebakel hinbekommen - Jahr für Jahr als Steinbruch zur
Haushaltskonsolidierung herhalten musste. Dies wäre
eine Wende rückwärts in der Verkehrspolitik, die jedenfalls mit unserer Fraktion nicht zu machen sein wird.
({5})
- Das unterscheidet uns, Kollege. Sie haben ganz ohne
die Mautprobleme die Kürzung des Bahnetats fertig gebracht.
Albert Schmidt ({6})
Wie ernst und dramatisch die Lage nun ist, hat in der
Tat die Liste aus dem Bundesverkehrsministerium deutlich gemacht, die in diesen Tagen durch die Presse ging.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb?
Aber gerne.
Herr Kalb, bitte.
Herr Kollege Schmidt, Ihre Befürchtungen im Hinblick auf die Zukunft der Investitionsmittel für die Bahn
teile ich. Aber wären Sie bitte bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass in den zurückliegenden Jahren, von 1995
bis 2000, der Bahn jeweils mehr Investitionsmittel zur
Verfügung standen, als sie verbauen konnte?
Lieber Herr Kollege Kalb, ich konstatiere gerne, dass
die Bahn in den letzten drei Jahren alle Mühe hatte und
es manchmal gar nicht geschafft hat, die von uns großzügigerweise massiv erhöhten Mittel für Investitionen auch
tatsächlich zweckgerecht und bestimmungsgemäß abzurufen. Als wir allerdings die Regierungsverantwortung
1998 übernommen haben, da lagen die Bahninvestitionen unter 5 Milliarden DM. Heute sind wir bei 4 Milliarden Euro. Das ist der Unterschied zwischen unserer Politik und Ihrer Politik.
({0})
Wie dramatisch die Lage ist, hat diese Liste, die jetzt
durch die Presse geistert, in der Tat deutlich gemacht. Es
drohen - da hilft kein Drumherumreden - die Verschiebung, die Streckung und die Streichung von Projekten
bis hin zur Stilllegung von Baustellen. Das ist der Ernst
der Situation.
Der Hauptverursacher dieser Misere hat einen Namen: Toll Collect. Um dies festzustellen, braucht man
keinen Untersuchungsausschuss. Da genügt ein Blick in
die Tageszeitungen. Wenn dieses Konsortium weiterhin
nicht in der Lage ist, das vertraglich zugesicherte Mautsystem auf die Beine zu stellen, und wenn es noch nicht
einmal in der Lage ist, einen verbindlichen Zeit- und Arbeitsplan bis zum Funktionieren vorzulegen, dann versündigt sich die Industrie am Standort Deutschland.
Denn 2 Milliarden Euro weniger im nächsten Jahr bedeuten Zigtausende von Arbeitsplätzen weniger in
Deutschland mit all den Folgekosten für die Arbeitslosenversicherung und die Rentenkasse.
Dazu höre ich von Toll Collect bis heute nichts. Toll
Collect schweigt wie eine große, nicht funktionierende
On Board Unit. Solch einen Skandal in der Industriegeschichte habe ich bisher noch nicht erlebt.
({1})
Das ist nicht mehr lustig. Für mich verdichtet sich der
Eindruck, dass die Industrie offenbar einen Vertrag unterschrieben hat, obwohl es nicht den Hauch einer
Chance gab, die zugesagten Termine einzuhalten. Das
grenzt für mich an Betrug.
({2})
Das kann und darf in einem Rechtsstaat nicht folgenlos
bleiben.
({3})
Die Maut sollte ein Projekt der öffentlich-privaten
Partnerschaft sein. Die Privaten haben das Blaue vom
Himmel versprochen. Aber kaum versagen sie - jetzt
wird es spannend -, kommt die Bauindustrie, aus verständlicher Sorge übrigens, und verlangt Ersatzzahlungen nicht etwa von Toll Collect, sondern - so Ignaz
Walter in seinem Brief an den Bundeskanzler - Steuermilliarden. Diese öffentlich-private Partnerschaft funktioniert nach dem Motto: Klappt es mit der Maut, dann machen wir ein Geschäft, klappt es nicht, muss eben der
Bund einen neuen Milliarden-Euro-Scheck auf den
Tisch legen und neue Schulden machen. Auf diese Art
von öffentlich-privater Partnerschaft können wir in Zukunft verzichten.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lintner?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie mir bestätigen,
dass selbst dann, wenn das System von Toll Collect technisch funktionieren würde, die Durchsetzung der Maut
gegenüber ausländischen Fahrzeughaltern deshalb nicht
gesichert wäre, weil das Ministerium es versäumt hat,
rechtlich verbindliche Zusagen aus dem Ausland einzuholen? Es gibt also zwei wichtige Faktoren für das
Scheitern: die technische Seite, aber leider auch die
mangelnde vertragliche Vorsorge seitens des Bundesverkehrsministeriums.
({0})
Das kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege Lintner.
Dazu habe ich überhaupt keine Veranlassung, im Gegenteil. Seit dieser Bundesverkehrsminister im Amt ist, hat
er permanent gegenüber der Europäischen Kommission
und den europäischen Nachbarn deutlich gemacht, was
wir wollen, wohin wir wollen,
({0})
welchen Stand der Realisierung wir erreicht bzw. noch
nicht erreicht haben und welche Bedingungen das ausländische Speditionsgewerbe künftig hier vorfindet.
Diese Sorge, Herr Kollege Lintner, ist im Moment meine
allergeringste. Ich habe ganz andere Sorgen, wie ich vorhin dargestellt habe.
Ich möchte zum Schluss kommen. Wenn Toll Collect
- das sage ich in allem Ernst - bis Mitte Dezember, dem
frühestmöglichen Kündigungstermin, nicht bereit oder
nicht in der Lage ist, einen verbindlichen Starttermin für
dieses Mautsystem zu benennen und Schadensersatzpflicht zu garantieren, und wenn Toll Collect weiterhin
nicht bereit sein sollte, für bereits entstandene gigantische Einnahmeverluste mit einzustehen, dann muss der
Bund, ob er will oder nicht, die rote Karte ziehen. Niemand kann diese Entwicklung wollen, aber der Bund
kann sich nicht ewig auf der Nase herumtanzen lassen.
Wenn es bei diesem Projekt keine Chance auf Vertrauen
und Erfolg mehr gibt, dann ist mir ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende.
({1})
Denn dann müssen schleunigst alternative Lösungen
und Übergangslösungen gesucht werden und es darf
nicht länger auf vertragsbrüchige Partner gewartet werden.
In jedem Fall aber werden die Probleme für die Verkehrsfinanzierung im nächsten Jahr und in den darauffolgenden Jahren gewaltig sein. Wir werden sie gemeinsam
lösen müssen, auch wenn andere die Hauptverursacher
sind. Ich hoffe hier auf das Zusammenstehen aller Verkehrspolitiker, besonders wenn es jetzt darum geht, die
Koch-Steinbrück-Attacke auf den Schienenverkehr gemeinsam abzuwehren.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Barthle,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Rede des Kollegen Schmidt war die
beste Argumentation dafür, dass die Aussage gilt: Dieser
Haushalt ist weder beratungsfähig noch beschlussfähig
und bestätigt uns in voller Linie.
({0})
Das, was für den gesamten Haushalt gilt, gilt natürlich auch im besonderen Maße für den Einzelplan 12.
({1})
Denn die Risiken sind unabsehbar. Ich möchte nicht näher auf die Maut eingehen, aber, Herr Stolpe, eines fällt
mir schon auf: Noch vor wenigen Tagen haben Sie im
Haushaltsausschuss treuherzig versichert, dass die Ausfälle nicht zulasten der Investitionen gehen würden.
Mich interessiert, was sich seit diesem Zeitpunkt bis
heute fundamental so verändert hat, dass Sie diesen
Salto rückwärts machen.
({2})
Jetzt komme ich zu dem Bereich, über den ich zu berichten habe, nämlich zum Wohnungswesen und Städtebau. Ihr Haushalt, Herr Stolpe, verzeichnet Einnahmen
in Höhe von 671 Millionen Euro. Dagegen stehen Ausgaben in Höhe von 4,34 Milliarden Euro. Das sind
644 Millionen Euro weniger als im Soll 2003. Allein bei
den Investitionen sinkt der Ansatz um 56 Millionen
Euro.
Herr Stolpe, Ihr Haushalt ist der investitionsintensivste.
Sie haben entscheidenden Anteil an der Investitionsrate
des Gesamthaushaltes, die ja leider auch rückläufig ist.
Allein im Wohnungswesen und Städtebau gehen die Investitionen um 56 Millionen Euro zurück. Ich hätte mir
im Einsatz für diesen wichtigen Bereich etwas mehr
Kampf und Leidenschaft erwartet, Herr Minister.
Wenn man sich nur ein wenig mit Volkswirtschaft beschäftigt, dann weiß man, dass von öffentlichen Investitionen ein Multiplikatoreffekt ausgeht. So entsteht nach
groben Schätzungen bei der Städtebauförderung aus
Fördergeldern des Bundes in Höhe von 100 000 Euro ein
tatsächliches Investitionsvolumen von 600 000 Euro.
Das heißt, würden wir ein Fördervolumen in Höhe von
500 Millionen Euro vom Bund annehmen, wären daraus
2 Milliarden Euro und mehr an Investitionen zu erwarten. Das wiederum schafft 25 000 Arbeitsplätze und im
selben Umfang nochmals Arbeitsplätze in den dem Baugewerbe vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsbereichen.
Dass das deutsche Bauhauptgewerbe jede Hilfe
braucht, das wissen wir. Der Auftragseingang ging im
dritten Quartal 2003 um nominal 7,4 Prozent zurück.
Von Januar bis September lag das Auftragsniveau um
11,4 Prozent unter dem Vorjahreswert. Das ist der
höchste Rückgang seit Ende des Einheitsbooms von
1995. Dieser anhaltende Nachfragerückgang bleibt natürlich nicht ohne Auswirkungen auf das Bauhauptgewerbe. Arbeitsplatzabbau ist die Folge. Im Durchschnitt
der ersten neun Monate dieses Jahres waren nur noch
793 100 Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe beschäftigt;
das sind 90 800 weniger als noch vor einem Jahr.
Im vorliegenden Haushalt sind annähernd 16 Milliarden Euro für neue Subventionen vorgesehen: für 37 000
Steinkohlekumpel. Das spricht eine deutliche Sprache.
Die Botschaft lautet: neue Subventionen statt Investitionen. Das ist fatal.
({3})
Denn wir wissen: Jeder Euro weniger Investitionen kostet direkt Arbeitsplätze. Dafür, Herr Stolpe, tragen Sie
Mitverantwortung. Sie stoßen den so sehnlichst erwarteten Aufschwung mit dem Körperteil wieder um, der dafür zuständig ist.
Lassen Sie mich noch auf einen Vorwurf eingehen,
den auch der Kollege Weißgerber wieder erhoben hat. Er
meint, wir, die Union, hätten uns der Beratung verweigert. Ich will diesen unsinnigen Vorwurf an einem Beispiel verdeutlichen. Bei der Vorlage des Gesetzentwurfs
wurde ein neuer Titel ausgewiesen: Zuweisungen zur Förderung des Wohnens in städtischen Quartieren. 25 Prozent
der durch die Streichung der Eigenheimzulage eingesparten Mittel sollten gezielt für ein Zuschussprogramm zur
Strukturverbesserung in den Städten bereitgestellt
werden. Auf lange Sicht gesehen hätten sogar mit den
entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen bis zum
Jahr 2011 4,4 Milliarden Euro für dieses Programm zur
Verfügung gestanden.
Die Intention dieses Titels fand und findet - mit einigen kleinen Einschränkungen - unsere Zustimmung.
Denn gerade in den süddeutschen Ballungsräumen gibt
es schon wieder Engpässe. Die Mieten steigen und viele
einkommensschwächere Familien werden ins Umland
verdrängt.
Viele Oberbürgermeister beklagen die alarmierende
Situation auf dem Wohnungsmarkt. Der Stuttgarter
Oberbürgermeister appelliert dringend an die Bundesregierung, die Investitionsbedingungen für den Wohnungsbau freundlicher zu gestalten. Die „Stuttgarter Zeitung“
hat in ihrer gestrigen Ausgabe einen Kommentar mit der
Überschrift „Wachsender Wohnungsmangel alarmierend“ veröffentlicht.
Das ist das disparate Bild, das sich in Deutschland
zeigt und das zur Kenntnis genommen werden muss. Ein
zielgerichtetes Vorgehen gegen diese Situation hätte unseren Beifall gefunden.
Dumm ist nur, dass Sie den zusätzlichen Titel mit
dem völligen Abbau der Eigenheimzulage finanzieren
wollten. Dass wir dem angesichts einer Wohneigentumsquote in Deutschland von nur 41,5 Prozent nicht zustimmen konnten und können, wussten Sie vorher.
({4})
Was ist die Folge? Es ist wieder alles offen. Sie haben
sicherlich gemerkt, dass ich eben den Konjunktiv gebraucht habe. Der aktuelle Haushalt verzeichnet bei dem
sinnvollen neuen Titel nur einen kleinen, einsamen
Strich. Der Ansatz dafür ist nämlich auf null gestellt
worden. Im Änderungsantrag von Rot-Grün wird dafür
folgende Begründung genannt:
Verschiebung des Programmbeginns auf 2005. Die
frei werdenden Mittel werden als Gegenfinanzierung der Verpflichtungsermächtigung bei Titel …
verwendet.
Herr Stolpe, Sie sind der Verschiebe-Minister des
Jahres 2003!
Der neue Titel umfasst die Zuschüsse des Bundes
nach der Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz, für
die der Ansatz von 95 Millionen Euro auf 143 Millionen
Euro erhöht wurde. Das ist zwar in Ordnung, Herr
Stolpe, aber ausgerechnet Sie statten den Wohnungsrückbau im Osten zulasten der Wohneigentumsförderung im Westen mit zusätzlichen Mitteln aus. Das ist
durchaus delikat. Ich halte das nicht für angebracht. An
dieser Stelle hätten Sie besser und gezielter auf die unterschiedlichen Situationen eingehen können.
Da auch diese Maßnahme unter dem Vorbehalt der
Entscheidungen des Vermittlungsausschusses steht,
ist zu diesem Punkt keine seriöse Beratung möglich. Das
zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten Haushaltsberatungen: Alles, was wir anpacken, ist sozusagen
auf Sand gebaut.
Lassen Sie mich - wie es auch der Kollege getan hat in diesem Zusammenhang die Bibel zitieren.
({5})
Es heißt bei Matthäus, Kapitel 7, Vers 26 und 27:
Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht,
der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf
Sand baute.
({6})
Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen
und die Winde wehten und stießen an das Haus, da
fiel es ein, und sein Fall war groß.
({7})
Meine Damen und Herren, das Wasser kam; die
Winde wehten. Sie stießen an Ihren Haushalt und er fiel
um. Das werden wir schon in wenigen Tagen feststellen
müssen. Deswegen stimmen wir diesem Unsinn nicht zu.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Reinhard Weis, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es hat weiß Gott schon einmal mehr Spaß gemacht, im Plenum zum Einzelplan 12 zu sprechen.
({0})
Eine Reihe von Risiken werfen ihre Schatten auf das
Zahlenwerk. Das ist ein gefundenes Fressen für all diejenigen, die auf eine Katastrophenstimmung aus sind.
Das Wehklagen von Herrn Barthle über die verringerten Haushaltsansätze ist meiner Ansicht nach heuchlerisch. Denn es gab - wie Gunter Weißgerber schon festgestellt hat - seitens der CDU/CSU keine Anträge auf
Reinhard Weis ({1})
Erhöhung von Haushaltsansätzen. Da Ihrerseits keine
konstruktiven Vorschläge vorgelegt wurden, dürfen Sie
jetzt auch nicht beklagen, dass die Haushaltsansätze zu
niedrig sind.
({2})
Was die Schatten angeht, die auf unseren Haushalt
fallen, so stellen die Unsicherheiten bei der Mauteinführung sozusagen einen großen Brocken dar, der noch
nicht weggeräumt worden ist. Das ist zwar richtig, aber,
meine Damen und Herren von der Opposition, das sollte
für Sie kein Anlass zur Häme sein.
({3})
Es gibt noch andere Unwägbarkeiten, für die Sie unmittelbar verantwortlich sind.
({4})
Ihre Verhinderungs- und Verzögerungsstrategie im Vermittlungsausschuss, die Chaotisierung des Vermittlungsverfahrens ist durchaus Teil dieser Unsicherheiten, die
Sie jetzt mit Krokodilstränen beweinen.
({5})
Die Unsicherheiten hinsichtlich der Mauteinführung
sind nicht ausgeräumt. In der Öffentlichkeit wird bereits
darüber spekuliert, ob das Mautkonsortium selbst überhaupt noch Interesse an dem gemeinsamen Projekt hat.
Jedem ist inzwischen offenkundig, dass die Industrie
sich übernommen hat. Sie hat einen Vertrag unterschrieben, den sie nicht eingehalten hat. Sie hat Produkte ausgeliefert, die nicht funktionieren und die offensichtlich
auch nicht ausgereift waren. Sie hat sich auf Terminketten verpflichtet, die sich inzwischen als reine Luftnummern erwiesen haben.
({6})
Das weiß auch die Opposition. Deshalb ist es in
höchstem Maß unredlich, nun Bundesminister Stolpe für
das Versagen der Industrie verantwortlich machen zu
wollen.
({7})
Auch ist es sachlich falsch und unredlich, über das Ministerium sowie das Bundesamt für Güterverkehr und
die dort Verantwortung tragenden Mitarbeiter herzufallen. Dort wird, wie die Opposition weiß, buchstäblich
bis zur Erschöpfung gearbeitet, um ein dichtes Controlling sicherzustellen, allen möglichen Fehlern auf die
Spur zu kommen und das Mautsystem so zügig wie irgend möglich einzuführen. Ich bin davon überzeugt,
dass die zusätzlich eingestellten Mitarbeiter nicht dort
sitzen und Däumchen drehen, wie es Herr Fischer unterstellt hat.
Um es noch einmal zu sagen: Hier liegt kein Fehler
des Ministeriums und seiner Fachleitung vor. Auch im
Bundesamt für Güterverkehr wird professionelle Arbeit
auf bestem Ingenieurstand erbracht. Für das Ausmaß der
Pannen trägt allein die Industrie die Verantwortung.
({8})
Es ist übrigens auch ein Märchen, die Bundesregierung habe der Industrie Daumenschrauben angelegt
- entsprechende Zwischenrufe hat es hier ja schon gegeben - und sie auf die Festlegung eines unrealistisch kurzen Zeitplans verpflichtet. Richtig ist vielmehr, dass dem
Industriekonsortium die Einführung der Maut gar nicht
schnell genug gehen konnte. Man kann nicht oft genug
wiederholen, was Franziska Eichstädt-Bohlig hier schon
zitiert hat. Im April 2002 schrieb das Konsortium bei der
Übersendung des endgültigen Angebots der Bietergemeinschaft ETC in nicht zu überbietendem Optimismus
an den Minister:
… möchten wir Ihnen gleichwohl ankündigen, dass
wir zu einem früheren Systemstart aufgrund unserer
Vorarbeiten durchaus in der Lage sind.
({9})
Damals konnten die Herren von der Telekom, von Daimler Chrysler Services und von Cofiroute offensichtlich
vor Kraft kaum laufen. Mir ist wichtig, dies hier noch
einmal klar zu machen, weil sich immer wieder das Gerücht hält, der damalige Bundesminister Bodewig habe
das Konsortium in einen selbstmörderischen Zeitplan
gehetzt.
({10})
Das ist schlicht falsch; das von mir eben vorgetragene
Zitat widerlegt diese Behauptung ebenfalls.
({11})
Ich sage dies übrigens ohne Häme gegenüber der Industrie. Vielleicht müssen wir alle unsere Gläubigkeit in
die Technik und die Schnelligkeit, mit der wir technisches Neuland erobern können, grundsätzlich infrage
stellen.
({12})
Auch die Damen und Herren von der Opposition haben
sich blenden lassen. Ich erinnere an die Demonstration
von Toll Collect kurz vor der Sommerpause im Ausschuss. Wir müssen ferner bedenken, dass Telekom und
Daimler Chrysler Services bisher nicht dafür bekannt
waren, in hohem Maße leichtfertig zu sein. Es handelt
sich immerhin um zwei der Flaggschiffe der deutschen
Industrie. Auch sie haben sich geirrt.
Reinhard Weis ({13})
All dies gilt es zu bedenken, wenn nun manche vollmundig über Vertragskündigungen schwadronieren. Ich
sage in eure Richtung, Franziska und Ali, dass ich euren
Vorschlag, zum 15. Dezember ein Ultimatum zu setzen,
nicht nachvollziehen kann. Sicherlich ist es nicht nur legitim, sondern auch notwendig, sich Vorstellungen über
alle Optionen sowie über klare Kosten-Nutzen-Analysen
zu verschaffen. Dazu gehört auch die Option der Kündigung. Schließlich muss aber sehr sorgfältig abgewogen
werden, welche der möglichen Optionen den Schaden
für die Bundesrepublik am geringsten hält. Aus heutiger
Sicht spricht eher alles dafür, mit aller Energie weiterzumachen und mit dem bisherigen Vertragspartner das
Mautprojekt zu realisieren.
Ein Wort zur FDP und einem ihrer Lieblingsthemen,
der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Heute hast du, Horst, diese Forderung ja verschämt verschwiegen, die am vergangenen Wochenende noch
hochaktuell war. Vielleicht habt ihr in der Zwischenzeit
eingesehen, dass daraus kein Problemlösungsansatz erwächst, abgesehen davon, dass die Industrie bei ihrem
Besuch bei Frau Merkel möglicherweise sehr deutlich
gemacht hat, dass sie kein Interesse an einem Untersuchungsausschuss hat.
({14})
Natürlich machen wir uns Sorgen über die Mautausfälle und deren Auswirkung auf unseren Haushalt und
insbesondere auf die Verkehrsinvestitionen. Ich nehme
deshalb Bezug auf die angebliche Streichliste. Niemand
kann heute eine belastbare Liste vorlegen oder konkrete
Projekte benennen, und zwar auch deshalb nicht, weil
wegen Ihrer destruktiven Haltung im Vermittlungsausschuss noch nicht abschätzbar ist, welche Probleme auf
den Einzelplan 12 tatsächlich zukommen. Hier sind auch
Sie in der Verantwortung.
({15})
Ich sehe diese Liste als Mahnung an den Vermittlungsausschuss, die Länder und an Sie, die Sie die Mehrheit im Bundesrat haben.
({16})
- Richtig, auch an den Finanzminister. - Denn wegen
der großen Bedeutung, die die Investitionsausgaben unseres Etats für den Gesamthaushalt haben, muss über einen fiskalischen Ausgleich möglicher gravierender Ausfälle nachgedacht werden. Aber es gibt noch einen
anderen Aspekt, den bislang niemand angesprochen hat.
Wir unterstützen ausdrücklich Bundesminister Stolpe bei
seinen Verhandlungen mit Toll Collect über Schadenersatzzahlungen. Diese würden natürlich als Kompensation der Mautausfälle zur Verfügung stehen.
Wir müssen uns aber auch Gedanken über neue Finanzierungsformen machen, um unsere Spielräume zu
erweitern.
({17})
Die Realisierung der A-Modelle im Rahmen der Public
Private Partnership hängt natürlich von den Mauteinnahmen ab. Das ist ein riesiges Problem. Aber öffentlichprivate Partnerschaften und ein effizienteres Projektmanagement können uns natürlich Spielräume eröffnen, die
uns den drohenden Schaden minimieren helfen. Wir
wollen uns den Kopf auch für solche Überlegungen freihalten und nicht nur - wie das Kaninchen auf die
Schlange - auf die Mautausfälle schauen.
Zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, die bereits Horst Friedrich angesprochen hat: Ich
halte es angesichts der neuen Umstände für richtig und
vernünftig, zu untersuchen, ob diese Gesellschaft befähigt werden soll, für einen begrenzten Zeitraum einen
begrenzten Kredit aufzunehmen. Eine Voraussetzung dafür ist aber ein verlässlicher Arbeits- und Realisierungsplan für das Mauterfassungssystem, damit die Refinanzierung aus Mauteinnahmen erfolgen kann.
({18})
Auch dies ist für mich eher ein Grund dafür, an den bisherigen Vertragspartnern festzuhalten, als ihnen sofort
zu kündigen. Letzteres wäre ein Schnellschuss.
Ich möchte den Einzelplan 12 auch in Verbindung mit
der großen Aufgabe Aufbau Ost bringen. Mit dem
Einzelplan 12 werden wichtige finanzielle Akzente auf
entscheidenden Politikfeldern gesetzt. Heute fand in
Berlin ein Kongress zum Austausch von Erfahrungen
mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ statt. Die Wohnungswirtschaft hat dort die Botschaft formuliert: Stadtumbau Ost ist Aufbau Ost. Allen ist sicherlich klar, dass
das nicht der einzige Aspekt ist. Aber es wurde deutlich
gemacht, dass der Aufbau Ost scheitert, wenn der Stadtumbau Ost nicht gelingt. Angesichts der Wichtigkeit dieses Themas frage ich mich, warum die Wohnungspolitiker der CDU/CSU-Fraktion an diesem Kongress nicht
teilgenommen haben.
Eine Forderung von Herrn Günther geht ebenfalls ins
Leere. Auf dem Kongress hat nämlich die Wohnungswirtschaft gefordert, die Jahresquote für die Mittel, die
der Bund für das Abrissprogramm zu Verfügung stellt,
signifikant zu erhöhen. Diese Forderung wird erfüllt, genauso wie die nach Finanzierung gemäß Altschuldenhilfe-Gesetz. Wir, das Parlament, sind heute Morgen von
den Vertretern der Wohnungswirtschaft ausdrücklich dafür gelobt worden, dass wir den Haushaltsansatz - dessen Verdoppelung wurde schon in diesem Jahr erreicht so erhöht haben, dass zusätzlich 315 Millionen Euro zur
Verfügung gestellt werden können.
Nun schaue ich wieder in Ihre Richtung. Jetzt trägt
der Bundesrat - Sie haben dort eine Mehrheit - eine
große Verantwortung.
({19})
Der Haushaltsansatz kann nur umgesetzt werden, wenn
Sie über Einsparungen, zum Beispiel bei der Eigenheimzulage, nicht nur schwadronieren, sondern auch dafür
sorgen, dass Butter bei die Fische kommt und Nägel mit
Reinhard Weis ({20})
Köpfen gemacht werden. Nur so können die Erwartungen der ostdeutschen Wohnungswirtschaft erfüllt werden.
Im Zusammenhang mit dem Stadtumbau Ost und mit
dem Städtebau allgemein begrüße ich ganz ausdrücklich,
dass eine Möglichkeit geschaffen wird, das Instrumentarium, mit dem bei der Sanierung der ostdeutschen
Braunkohlereviere positive Erfahrungen gemacht wurden - mit Arbeitsförderungsmitteln wurden wichtige
strukturverbessernde Maßnahmen realisiert -, auch im
Städtebaubereich anzuwenden. Es ist eine zusätzliche
Möglichkeit, Mittel aus der Arbeitsförderung zielgerichtet einzusetzen.
({21})
Dieses Instrumentarium spielt bei der Beseitigung der
Defizite auf dem Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern eine ganz wichtige Rolle.
Ich komme auf die Leerstandsproblematik zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der heutigen
Opposition, eine wichtige Ursache dieser ausufernden
Problematik stammt aus der Zeit, in der Sie Regierungsverantwortung trugen: Viel zu lange haben Sie an der unsinnigen Förderung des Geschosswohnungsbaus festgehalten und im Osten auf Halde bauen lassen. Das war
nicht nur eine Verschwendung von Steuermitteln, sondern führte auch zu einer Verschärfung der Leerstandsproblematik, die wir heute mit großem Aufwand bekämpfen müssen.
({22})
Ich möchte nun einige Gedanken zum Wohnraummodernisierungsprogramm für Kommunen in strukturschwachen Regionen - es umfasst zinsverbilligte Kredite - äußern. Ich erinnere mich, dass große Skepsis
herrschte, als dieses Programm auf den Weg gebracht
wurde. Man war sich nicht sicher, ob die Mittel abgerufen werden können. Ihr Beitrag beschränkte sich auf
Schwarzmalerei und die Formulierung von Bedenken.
Das Programm war aber so attraktiv, dass die Mittel in
Höhe von 1 Milliarde Euro inzwischen abgerufen worden sind.
Die ostdeutsche Landesgruppe unserer Fraktion hat
sich deshalb mit der Bitte, die Mittel aufzustocken, an
den Minister gewandt, um den Kommunen verstärkt zu
helfen. Ich freue mich, dass Minister Stolpe uns mitteilen konnte, dass tatsächlich zusätzlich 1 Milliarde Euro
bei der KfW zum Abruf bereit steht. Ich denke, damit
setzen wir ein richtiges Signal, auch um den Aufbau Ost
voranzubringen.
Danke.
({23})
Der Kollege Horst Friedrich erhält das Wort zu einer
Kurzintervention.
Vielen Dank, Herr Präsident! - Lieber Kollege
Reinhard Weis, ich bin auf das Thema Untersuchungsausschuss angesprochen worden. Ich habe das in der
Zeitung selbstverständlich nicht angekündigt, ohne die
Rückendeckung des Vorstandes der FDP-Fraktion zu haben. Da ich die Regeln dieses Hauses kenne, weiß ich allerdings, dass wir nicht über die nötige Stimmenzahl
verfügen, um die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durchsetzen zu können.
({0})
Ich muss also darauf hoffen, dass die Union irgendwann einmal zu der Überzeugung kommt, dass es wegen
der großen Probleme richtig ist, sich uns anzuschließen.
Diesbezüglich bin ich relativ zuversichtlich: Mit jedem
Tag, den der Herrgott werden lässt, werden die Probleme
um die Maut größer und das Desaster schlimmer.
({1})
Aus diesem Grund bin ich relativ zuversichtlich, dass
wir uns zu gegebener Zeit wieder mit diesem Thema
auseinander setzen werden. Die Kollegin Hustedt meint,
sie müsse meine Äußerungen etwas ins Lächerliche
ziehen; aber auch bei den Liberalen ist immer noch ein
bisschen Christlichkeit vorhanden. Ich habe mich also
aus gutem Grund so geäußert.
Danke sehr.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Weis das Wort zur Erwiderung.
In Kenntnis der Begleitumstände, die es euch nicht ermöglichen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen,
bin ich der Meinung, dass die Meldung nur eine vordergründige Effekthascherei war, um eine Pressemitteilung
veröffentlichen zu können.
({0})
Nun hat der Kollege Klaus Minkel, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
ehrlicher Haushalt vom Bundesfinanzminister wäre eine
Rarität wie das Wunder von Bern oder die Auferstehung
des Lazarus.
({0})
Wir alle wissen, dass dieser Haushalt grottenschlecht ist.
Wenn der Gesamthaushalt so schlecht ist, dann kann
auch der Ressortminister nicht mit seinem Haushalt
glänzen, vor allem dann nicht, wenn auch noch hausgemachte Fehler hinzukommen.
Das Volumen des Wohnungshaushalts ist im nächsten
Jahr erstmals seit langem wieder rückläufig. Das hängt
damit zusammen, dass die Mittel für das Wohngeld aufgrund der Hartz-Gesetze aus dem Wohnungshaushalt herausgenommen werden.
Für die Unionsfraktionen ist es sehr erfreulich, dass die
Mittel für die Altschuldenhilfe von 45 Millionen Euro
auf 143 Millionen Euro aufgestockt werden.
({1})
Das haben wir an dieser Stelle schon vor einem Jahr gefordert. Es hat also ein Jahr gedauert, bis auch Sie endlich so weit waren. Auch wenn wir uns über dieses Ergebnis freuen, können wir dem Finanzierungsweg nicht
in vollem Umfang zustimmen. Sie brauchten dazu nämlich einen Notabort, eine Notabtreibung: Sie haben das
Programm „Wohnen in städtischen Quartieren“ mit einem Umfang von 43 Millionen Euro eingestampft, bevor es das Licht der Welt erblicken konnte.
Die Mittel für die Städtebauförderung steigen von
374 Millionen Euro auf 522 Millionen Euro. Das sieht
besser aus, als es ist. 77 Millionen Euro dieser Aufstockung stammen aus der Eingliederung des Programms
„Soziale Stadt“.
Sehr betrüblich ist der starke Rückgang der Mittel für
die soziale Wohnraumförderung. Statt 595 Millionen Euro sind es nur noch 450,8 Millionen Euro.
Die Mittel für das Neubauprogramm 2004 belaufen
sich auf 230 Millionen Euro statt zuvor 280 Millionen Euro. Das ist die Mindestförderung. Das zeigt mehr
als viele Worte, dass diese Bundesregierung mit der sozialen Wohnraumförderung nichts mehr am Hut hat.
({2})
Man könnte damit leben, wenn die eigentlichen
Schlechtigkeiten nicht außerhalb des Wohnungshaushalts stattfänden. Der Fachminister, Minister Stolpe, hat
es entweder nicht vermocht oder nicht gewollt, diesen
Eingriffen entgegenzutreten. Das zeigt, dass erstmals in
der Nachkriegsgeschichte die Bauwirtschaft wie auch
die Bauhandwerker und die Bauarbeiter in der Regierung keinen Fürsprecher mehr haben.
({3})
Der schwerwiegendste Eingriff ist die gänzliche Streichung der Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage ist
unverzichtbar, solange die Belastung der Arbeitnehmerlöhne in diesem Land so hoch ist, wie sie ist.
({4})
Es ist eine grobe Verfälschung der Tatsachen, wenn die
Kollegin Eichstädt-Bohlig die Eigenheimförderung als
Zahnarztprämie schlechtredet. Millionen Familien in
diesem Land haben die Eigenheimförderung erhalten.
({5})
So viele Zahnärzte gibt es in diesem Land nicht. Es gibt
weitere Millionen Familien, die noch in den Genuss der
Eigenheimförderung kommen wollen.
Ein weiterer schwerwiegender Eingriff, dessen Bedeutung Sie wahrscheinlich überhaupt nicht verstanden
haben, ist die vollständige Abschaffung der Bausparprämie. Sie treffen damit nicht 33 Millionäre, sondern
ein Kollektiv von 33 Millionen Bausparern.
({6})
Es gehört zum Bausparprinzip, dass ständig neue Mittel nachfließen müssen, damit die Verträge auch einmal
zugeteilt werden können, damit unsere Bürger auch einmal bauen können. Wenn dieser Zufluss gestört wird,
weil Sie die Eigenheimförderung abschaffen, weil Sie die
Bausparprämie abschaffen, dann werden die Bausparer
auf die Zuteilung warten müssen, bis sie schwarz werden, und dann wird das ganze System, das ein Drittel aller privaten Baufinanzierungen trägt, zusammenbrechen.
Ich frage mich, ob die Kürzung um 500 Millionen Euro
überhaupt in einem vernünftigen Verhältnis zu dem
Schaden steht, den Sie für unsere Wirtschaft anrichten
werden.
({7})
Ein weiterer Punkt:
({8})
Sie tun hier so, als ob Sie die Protagonisten der Innenstadtsanierung wären. Aber wenn es um Taten geht,
dann verhalten Sie sich ganz anders. Sie wollen nämlich
die Möglichkeit, Sanierungsaufwendungen von der
Steuer abzusetzen, verschlechtern. Auch das ist in der
Paketlösung Ihres Steueränderungsgesetzes vorgesehen.
({9})
Es ist vor allem auf den Widerstand von Union und FDP
zurückzuführen, dass der Finanzminister an dieser Stelle
inzwischen zurückrudert.
Ein weiterer Punkt: Sie wärmen die unselige Begrenzung der Verlustabzugsmöglichkeiten für die Bauwirtschaft wieder auf. Die Bauwirtschaft wäre davon wegen
ihrer Spezialität, in Form von Arbeitsgemeinschaften
oder Projektgesellschaften zu agieren, besonders betroffen. Sie wollen also wieder zur Substanzbesteuerung
zurück, die nicht nur ich als unsittlich empfinde.
({10})
Wenn Sie mit dem Wort Substanzbesteuerung nichts anfangen können, dann sei es Ihnen an einem Beispiel verdeutlicht: Sie wollen die willige Kuh nicht nur melken,
sondern ihr anschließend auch noch das Euter abschneiden.
({11})
- Ich hoffe, dass durch die Unruhe nicht meine Redezeit
verkürzt wird.
({12})
Die Union ist bereit, die Eigenheimzulage angemessen zu kürzen, wenn auch an anderen Stellen gekürzt
wird. Wir sind auch zu einer Reform und Schärfung dieses Förderinstruments bereit. Unsere Vorschläge sind
beim Vermittlungsausschuss hinterlegt.
({13})
Bei der Abschaffung der Zulage, wie Sie es wollen, handelt es sich jedoch um keine Reform, sondern um das
Gegenteil. Das möchte ich einmal festhalten.
({14})
Wir sind der Auffassung, dass die Eigenheimzulage
und die Bausparförderung in der heutigen Zeit nötiger
denn je sind;
({15})
denn ab dem 1. Januar 2004 wird Basel II probeweise
angewendet. Das hat zur Folge, dass die Baufinanzierung für die Reichen leichter wird, aber Ärmere künftig
mehr zahlen müssen. Wenn die Ärmeren schon bei den
freien Krediten mehr zahlen müssen, dann dürfen Sie ihnen nicht noch weitere Finanzierungssäulen wie die Eigenheimzulage und die Bausparförderung wegschlagen.
Im Ergebnis führte Ihre verfehlte Politik dazu, dass sich
in diesem Lande künftig nur noch Reiche ein Eigenheim
leisten können, aber nicht mehr Ärmere. Das ist mit der
Union nicht zu machen.
Vielen Dank.
({16})
Ich erteile dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen, Manfred Stolpe, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Abgeordneter Minkel, ich stimme Ihnen
voll und ganz zu, dass man sich in der derzeitigen Situation schon richtig Sorgen um die Bauwirtschaft machen
muss. Die Bauwirtschaft ist mir ein Anliegen; sie bescheinigt mir seit Monaten, dass wir uns ernsthaft um die
Beseitigung ihrer Probleme kümmern. Wir haben zum
Beispiel mehrere wichtige Veranstaltungen zum Ausbau
von Public Private Partnership durchgeführt. Dafür haben wir breite Zustimmung erfahren. Wir werden Modellvorhaben in diesem Bereich auf den Weg bringen.
Das wird die Bauwirtschaft beleben.
Heute haben wir einen, wie ich glaube, sehr wichtigen
Kongress durchgeführt, in dem wir Erfahrungen mit dem
Programm „Stadtumbau Ost“ ausgetauscht haben.
Dabei haben wir festgestellt, dass unser Programm greift
und es durchaus Sinn macht, dieses Modellprogramm
auf Städte im Westen und im Süden Deutschlands, wo
vergleichbare Probleme zum Beispiel in Form von Wohnungsleerständen durch Abbau von Industrie, Verlust
von Arbeitsplätzen und Abwanderung herrschen, auszudehnen. Wir wollen das weiterführen.
Wir wollen uns allerdings auch bemühen, durch eine
Umgestaltung der jetzigen Eigenheimzulage zu einer
Wohneigentumszulage die Möglichkeiten zu erschließen, die wir noch brauchen.
({0})
Ich bin - wie Sie - der Meinung, dass wir die bestehende
Eigenheimzulage nicht restlos wegfegen sollten.
({1})
- Ja, ich höre Ihnen ja auch immer brav zu; das haben
Sie im Verlaufe des letzten Jahres gemerkt.
Wir wollen, dass die Zulage effizienter wird, wir wollen sie zu einer Wohneigentumszulage erweitern, die
auch für den Wohnungsbestand gilt. Wir wollen Möglichkeiten erschließen, durch den Städtebau - nach Bedarf und nach Notwendigkeiten, gerade auch in strukturschwachen Regionen - Städte gesund zu machen.
Wir haben viele strukturschwache Regionen im Osten Deutschlands, aber längst nicht nur im Osten. Auch
für die anderen strukturschwachen Regionen wollen wir
Verantwortung tragen. Über Fördermöglichkeiten kann
nicht allein nach der Himmelsrichtung entschieden werden. Maßgeblich sein muss der Bedarf; das ist meine
feste Überzeugung.
({2})
Hier ist schon angesprochen worden, was wir in diesem Zusammenhang neu angedacht haben, nämlich dass
wir bei der Altschuldenhilfe noch einiges tun wollen. Ich
hoffe, dass wir bei den bevorstehenden diesbezüglichen
Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zu Lösungen
kommen werden, die der Breite der Aufgaben durchaus
auch im Interesse der Bauwirtschaft gerecht werden. Ich
will an dieser Stelle meine Erwartung zum Ausdruck
bringen, dass gerade die Fachleute, die sich im Bereich
von Bau, Wohnen und Verkehr seit Jahren engagieren, im
Hinblick auf die Verhandlungen, die im Vermittlungsausschuss stattfinden werden, ein Wörtchen mitreden werden.
Natürlich haben wir auch darüber nachgedacht, was
zusätzlich aktiviert werden kann. Sie wissen, dass wir
Ende April dieses Jahres Kreditprogramme im Umfang
von 15 Milliarden Euro aufgelegt haben. Wir mussten
den Haushalt dafür kaum belasten, sondern konnten die
Mittel über die KfW erschließen. Diese Mittel werden in
erheblichem Maße abgerufen: Gerade der Kreditrahmen
mit den günstigsten Bedingungen im Umfang von
1 Milliarde Euro, der für die Kommunen in strukturschwachen Regionen - wiederum quer durch Deutschland - gedacht ist, ist bereits völlig ausgeschöpft.
Es gab deshalb Anstöße, hier noch etwas draufzulegen. Sie haben vielleicht gemerkt, dass auch der Abgeordnete Siegfried Scheffler eine entsprechende Initiative
ergriffen hat. Wir haben mit dem Finanzminister kurzfristig aushandeln können - Sie könnten ruhig einmal
fröhlich gucken, Herr Staatssekretär -, dass eine weitere
Milliarde dazukommt, die ab sofort für Kommunen in
solchen Regionen zur Verfügung steht und sicher schnell
abgerufen werden wird.
Wir wollen, dass die Möglichkeiten für die Sanierung
von Städten, für die Verbesserung von Wohnwert, aber
auch - ich sage das aus ehrlichem Herzen, Herr Minkel als Hilfen für die Bauwirtschaft, die diese wirklich
braucht, genutzt werden.
({3})
Wir haben uns darüber hinaus verständigen können
- auch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und
Arbeit -, dass wir das im Sozialgesetzbuch vorgesehene
arbeitsmarktpolitische Instrument der Beschäftigung bei
Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der städtischen
Infrastruktur nutzen können. Das ist ein Instrument, das
sich bereits über Jahre bei der Sanierung der Braunkohlegebiete bewährt hat; und hier insbesondere bei der Sanierung der Braunkohlegebiete in Sachsen, Brandenburg
und Sachsen-Anhalt. Wir haben jetzt die Möglichkeit,
dieses Instrument auch zu nutzen, um in strukturschwachen Regionen Arbeit zu schaffen; das wird zusammen
mit der Bauwirtschaft möglich sein. Wir haben zu dieser
Idee Zustimmung von der Bauwirtschaft erfahren, der
dadurch weitere Aufträge, aber auch die Sicherung und
Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglicht werden. Wir
wollen solche Möglichkeiten erschließen.
({4})
Natürlich ist - das ist in dieser Aussprache sehr deutlich geworden - der größte Posten im Einzelplan 12 der
Verkehrsbereich; durchaus mit Recht: Daran hängt die
Mobilität, daran hängt die wirtschaftliche Entwicklung
unseres Landes. Wir müssen alles daransetzen, Überlastungen im Bereich des Straßenverkehrs abzubauen und
Möglichkeiten des Schienenverkehrs zu verbessern. Ich
sehe hierin auch für uns eine ganz entscheidende Herausforderung.
Der Ihnen jetzt vorliegende Haushalt wird uns die
Möglichkeit geben, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir werden in der Lage sein, die vorgesehene globale Minderausgabe in Höhe von 244 Millionen Euro, die sehr wehtut, so zu erwirtschaften, dass wir keine Eingriffe in
Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen vornehmen müssen.
Natürlich - Sie alle haben es hier laut gesagt - ist
„Held der Maut“ ein Titel, den man sehr gern hört, aber
ich sage Ihnen: Abgerechnet wird zum Schluss.
({5})
Die Verschiebung der Einführung der Maut ist ein Problem. Es birgt ohne Zweifel Haushaltsrisiken in sich,
aber diese Haushaltsrisiken - das ist meine feste Überzeugung - dürfen nicht zulasten von Verkehrsinfrastruktur gehen. Natürlich macht man sich quer durchs Land
Sorgen, wie Sie unter Hinweis auf Papiere, die erstellt
worden sind, heute hier artikuliert haben.
({6})
Das Problem geistert seit Wochen im Lande herum. Jeder sieht die Mautausfälle, befürchtet, dass das Geld
vielleicht irgendwo im Haushalt fehlt, und fragt sich,
was man da machen kann. Hier sind Angstlisten zusammengestellt worden. Man ist besorgt und fragt sich, was
passieren könnte, wenn der Super-GAU eintritt. Diesen
Super-GAU können wir allerdings alle gemeinsam verhindern, davon bin ich fest überzeugt. Es darf nicht dazu
kommen, dass entsprechende Regelungen Platz greifen
müssen.
Ich habe jedenfalls die feste Absicht, alles mir Mögliche
zu tun - dafür brauche ich natürlich viele Verbündete -, um
die geplanten Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zu realisieren. Das Land braucht sie. Versäumnisse bei der Verkehrsinfrastruktur schaden der Wirtschaft und sie schaden damit uns allen. Das will ich hier noch einmal
deutlich sagen.
({7})
Insofern betrachte ich den zurzeit im Einzelplan 12
vorgehaltenen Sperrvermerk tatsächlich als einen Erinnerungsposten,
({8})
als eine Mahnung, dass wir hier etwas tun müssen und
dass wir, wenn wir eine vertretbare Verkehrspolitik in
Deutschland betreiben wollen, in jedem Fall und um jeden Preis Einbrüche bei unverzichtbaren Maßnahmen im
Bereich der Verkehrsinfrastruktur verhindern müssen.
({9})
Dass wir in dem Zusammenhang nicht nur die Ängste
zusammentragen und diese nach dem Motto: „Ruhig
bleiben, hier darf es keine Debatte geben“ unterdrücken,
sondern durchaus auch einmal einen Super-GAU illustrieren, liegt auf der Hand. Genauso müssen wir uns natürlich auch darüber Gedanken machen, wie wir trotz der
angespannten Finanzsituation die Erfüllung der Aufgaben sicherstellen können.
Ich will es hier noch einmal sagen: Von der Verstetigung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen auf einen
Betrag zwischen 10 und 11 Milliarden Euro jährlich wird
Entscheidendes abhängen. Gelingt diese Verstetigung
nicht, wird ein wirtschaftlicher Rückgang die Strafe sein.
Davon darf nicht abgewichen werden. Ich bitte Sie alle
herzlich, dabei mitzuhelfen, dass wir wirklich durchhalten. Im Etat steht dieser Betrag jetzt und den können wir
halten. Mit dem Sperrvermerk für die 244 Millionen Euro
können wir umgehen und wir können diese Verkehrsinfrastruktur sichern.
({10})
- Sie werden mich dann auch wieder zitieren können.
Ich hoffe, zum Guten.
Meine Damen und Herren, trotz der deutlichen Verzögerung stehen wir aber auch dazu, dass das mit Toll
Collect vereinbarte Mautsystem aufgebaut werden kann
und auch aufgebaut werden sollte. Ich habe heute bei
sehr konstruktiven Gesprächen in Brüssel wieder herausfinden können, dass die Satellitenortung, ein satellitengestütztes Mauterfassungs- und -abrechnungssystem, wirklich als die zukunftsweisende Technik in
Europa angesehen wird, als eine Möglichkeit, die in einigen Jahren dann auch mit „Galileo“ kombiniert werden kann.
({11})
Wenn nun allerdings Toll Collect dieses System nicht
errichten kann, dann haften die Unternehmen - das ist
ganz eindeutig und unzweifelhaft - bis zur Höhe der entgangenen Mautgebühren.
({12})
Der Aufbau des Systems dauert offenkundig erheblich
länger, als die Unternehmen im Vertrag zugesagt haben.
Die Unternehmen haben sich übernommen, das ist deutlich. Sie sind im Vorfeld zu sehr unrealistischen Einschätzungen gekommen. Deshalb war es übrigens auch
richtig, dass wir die Projektleitung beim Bundesamt für
Güterverkehr und die Experten unseres Hauses für ein
sehr kritisches Controlling eingesetzt haben. Dieses Vorgehen bewährte sich in den letzten Wochen. Ich habe das
Gefühl, dass man auf einem sehr vernünftigen Weg in
Richtung eines weiteren Fortschritts ist.
Ich werde keine Prognosen hinsichtlich der Termine
abgeben. Ich werde mich aber ganz stark dafür einsetzen, dass die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele, die
jetzt auf dem Tisch liegen, umgesetzt werden. Zum einem müssen wir die Unternehmen anhalten, einen belastbaren Zeitplan vorzulegen. Zum anderen muss es
eine Ausgleichsregelung auch für die Monate geben, in
denen uns der Betreiber keine Mauteinnahmen abliefert.
Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Kretschmer
eine Zwischenfrage stellen?
Aber mit Vergnügen, Herr Kretschmer.
Herr Bundesminister, da in Ihrem Haus alles so wunderbar läuft, sind Sie, wie wir vor einem Jahr erfahren haben, auch für Wirtschaft und Kultur zuständig. Sie wollen
ein Osteuropazentrum für Wirtschaft und Kultur
gründen. Die Frau Staatssekretär Mertens hat uns am
12. Februar dieses Jahres mitgeteilt, dass dieses Projekt
in Ihrem Haushalt ressortieren wird. Daraufhin gab es
viele Bewerbungen beispielsweise aus Greifswald, Leipzig, Berlin und Frankfurt/Oder.
Ich möchte Sie gerne fragen: Erstens. Wo ist der entsprechende Haushaltstitel? Zweitens. Was ist die Aufgabe dieses Zentrums? Drittens. Welches Profil soll es
haben und wann wird es gegründet? Wir machen uns gemeinsam mit den Menschen, die viel Arbeit in dieses
Projekt investieren, Sorgen, dass am Ende nicht viel herauskommen wird. Können Sie uns etwas zu dem Stand
des Projektes sagen?
Aber gerne, Herr Abgeordneter. Es gibt eine klare
Entscheidung der Bundesregierung, dass ein solches
Zentrum eingerichtet werden soll. Wir haben, wie Sie
schon dargestellt haben, eine Vielzahl von durchaus
ernst zu nehmenden Bewerbern aus ganz Deutschland.
Wir müssen eine Auswahl treffen. Im Moment gehen wir
davon aus, dass etwa zwei bis drei Bewerber in die engere Auswahl kommen. Wir haben eine parteiübergreifende Gruppe gebildet, die sich die Bewerbungen anschauen wird. Sobald es Klarheit gibt, werden wir
darüber berichten. Zunächst wollen wir aber mit denen,
von denen wir glauben, dass sie die Aufgabe gut erfüllen
können, in Gespräche eintreten, um herauszufinden, wie
das Projekt gestaltet werden kann und welchen Anteil
die Länder übernehmen können. Ich will kein Luftschloss bauen. Ich bleibe aber an dem Vorhaben dran.
Sie können mich gerne daran erinnern.
({0})
Ich komme zurück zur Maut. Wir haben parallel zu
dem Verhandlungsprozess, in dem wir uns zurzeit befinden, natürlich auch die Alternativen zu prüfen: Was ist
zu tun, wenn das Projekt nicht vorankommt? Wir haben
dem Bundestag bereits über die Überlegungen zur Wiedereinführung der Eurovignette berichtet. Es geht aber
auch darum, Alternativen zum geplanten System und
den entsprechenden Partnerschaften zu entwickeln. Ich
bleibe aber dabei, dass wir das Projekt mit Toll Collect
realisieren wollen, wenn sich Toll Collect in der Lage
sieht, eine zeitnahe Lösung für das Mautsystem in
Deutschland zu erarbeiten.
Ich muss Ihnen sagen, dass uns das Thema Maut noch
einige Zeit erhalten bleiben wird. Wir werden uns sicher
noch einige Male darüber streiten. Ich verspreche Ihnen
aber, dass wir die Zahlen offen legen und dass wir nicht
Versteck spielen wollen. Wir haben schon gesagt, dass
sich ganz erhebliche Probleme ergeben können, wenn all
die Schwierigkeiten, die sich abzeichnen, auch wirklich
eintreten würden. Wir werden die Probleme entschlossen
angehen. So werden wir die Maut voranbringen.
Wir brauchen die Maut. Europa schaut auf uns.
({1})
Unsere Erwartungen mit Blick auf die deutsche Industrie
sind sehr groß.
({2})
- Lachen Sie, wenn Sie mit Vertretern der Firmen zusammentreffen.
({3})
Die Firmen brauchen den Druck von der politischen
Ebene. Ich glaube aber, dass wir das Mautsystem auf die
Reihe bekommen werden.
Wir haben in der Verkehrspolitik eine genauso große
Verantwortung wie für die Erhaltung der Städte. Nicht
zuletzt haben wir auch eine Verantwortung für die strukturschwachen Regionen, insbesondere in Ostdeutschland. Ich werde das mir Mögliche in diesem Feld mit Beharrlichkeit und langem Atem tun. Ich sage es noch
einmal: Abgerechnet wird später und nicht mitten im
Getöse.
Schönen Dank.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Stolpe, Sie haben uns jetzt angekündigt, wie Sie eine Vielzahl der Dinge, die hier kritisiert worden sind,
({0})
nach und nach wieder einigermaßen auf die Reihe bringen wollen. Eine Sache sollten Sie uns aber erklären:
Wieso sollen wir Ihren Ankündigungen überhaupt glauben?
({1})
Sie haben in den letzten Monaten bei einer Fülle von
Dingen eine Lösung angekündigt und gesagt, dass Sie
auf einem guten Wege seien. Am Ende müssen wir immer wieder feststellen: Nichts von dem ist wahr.
({2})
Mit dem Papier, auf das Sie Ihre Ankündigungen schreiben, können Sie vielleicht im Winter Ihre nassen Stiefel
ausstopfen; aber mehr können Sie damit nicht anfangen.
({3})
Nun zum Thema Wohnungswirtschaft. Das soll kein
zusätzlicher Kritikpunkt, sondern nur ein Beispiel dafür
sein, wie Sie mit den Dingen, die Ihnen aufgetragen worden sind, in Wirklichkeit umgehen. Über die Krise in der
Wohnungswirtschaft sprechen wir seit mindestens einem
Jahr. Wir haben Vorschläge dazu gemacht, wie man dieser Krise beikommen kann.
({4})
Wir haben zum Beispiel vor einiger Zeit den Vorschlag gemacht, bei Fusionen von Wohnungsbaugesellschaften eine befristete Grunderwerbsteuerbefreiung
auszusprechen.
({5})
- Herr Schmidt, Sie haben gerade gefragt, wie wir das finanzieren wollen. Ich will Ihnen Folgendes erklären: Die
Mindereinnahme, die durch diese befristete Steuerbefreiung entstehen würde, ist fiktiv, weil gerade deswegen,
weil diese Steuerpflicht besteht, keine Fusionen stattfinden.
({6})
Aus diesem Grunde beantragen alle fünf ostdeutschen
Länder eine solche Grunderwerbsteuerbefreiung. Das
wären die Nutznießer; denn dies ist eine Ländersteuer.
Sie haben sich diesem Thema aber erst dann genähert,
als der Druck so stark war, dass Sie nicht mehr anders
handeln konnten. Wir brauchen kein Ministerium Stolpe,
das zu Weihnachten begreift, was man ihm Allerheiligen
gesagt hat, und das dann am Ende doch noch das Falsche
tut.
({7})
Ein nächster Punkt in diesem Zusammenhang. Herr
Weis, Sie haben gesagt, Sie hätten mit den 315 Millionen
Euro, die immer im Haushalt - auch im letzten - gestanden haben
({8})
- natürlich -, das Altschuldenproblem gelöst. Das zeigt,
dass Sie nichts verstanden haben.
Das Problem ist folgendes: Sie müssen die Wohnungsunternehmen von ihren Altschulden entlasten, weil Sie
sonst keine Marktbereinigung erreichen werden; das ist die
Tatsache. Dazu müssen Sie das Altschuldenhilfe-Gesetz
novellieren und diese Gelder in den Erblastentilgungsfonds
einstellen. Das haben Sie bisher aber nicht getan. Deshalb
ist das, was Sie da tun, wieder nur Stückwerk. Dies wird die
Wohnungsbaukrise in Ostdeutschland nicht beenden.
Wenn wir jetzt nicht aufpassen, stehen wir vor einer Insolvenzwelle, die eine veritable Bankenkrise nach sich
ziehen kann.
({9})
- Später. Ich möchte meine Ausführungen zu diesem
Thema zunächst fortsetzen.
Ich frage mich manchmal, ob es sich überhaupt lohnt,
die Fehlleistungen Ihres Ministeriums und Ihre persönlichen Fehlleistungen, Herr Minister Stolpe, zu kritisieren.
Denn am meisten Angst macht mir die provozierende
Fröhlichkeit, mit der Sie Dinge quittieren, die dieses
Land, wenn sie sich fortsetzen, in den Ruin treiben werden.
({10})
Dies ist eine Angelegenheit, die mich zutiefst entmutigt.
Viele sehen bei Ihnen einen Mangel an Fähigkeit zur
Selbstkritik, einen Mangel an kritischem Verhalten gegenüber den eigenen Fehlleistungen. Wenn die Leute in
Ostdeutschland ausdrücken wollen: „Das ist mir egal“
bzw. „Das ist mir gleichgültig“, dann sagen sie neuerdings: Das ist mir „stolpe“.
({11})
Sie meinen damit, dass dem Minister sein Aufgabenbereich relativ gleichgültig ist.
({12})
- Ich habe lediglich etwas wiedergegeben, was mir des
Öfteren begegnet ist.
({13})
Diese Gleichgültigkeit und diese Selbstgenügsamkeit
beim Verharren in unnützem Tun ist das, was ich an Ihnen kritisiere.
Ich will dazu einmal ein einfaches Beispiel nennen.
({14})
Ich hatte früher einmal einen älteren Nachbarn, der jahraus, jahrein seine Zeit damit zugebracht hat, dass er alte,
krumme, rostige Nägel gerade geklopft hat. An diese
Haltung erinnert mich die Haltung unseres Ministers für
Ostdeutschland.
({15})
Das wird im Übrigen aus Ihren eigenen Reihen bestätigt.
Herr Hilsberg hat deutlich gesagt: Dieser Mann verwaltet den Status quo. Von Herrn Stolpe sind tatsächlich null
Ideen gekommen.
Das wirft natürlich die Frage auf: Wo ist denn die
Qualifikation dieses Ministers für sein Amt? Nun will
ich nicht mit Rücktrittsforderungen kommen, aber ich
will Ihnen sagen: Mittlerweile häuft Herr Stolpe eine
Erblast für einen eventuellen Nachfolger auf, die jedem
vernünftigen Menschen den Mut nehmen könnte, ein
solches Erbe jemals anzutreten.
({16})
Deshalb fordere ich Sie auf: Ändern Sie prinzipiell ihre
Haltung zu den Problemen in Ostdeutschland. Rufen Sie
den Ausschuss für Aufbau Ost wieder ins Leben!
({17})
Sorgen Sie dafür, dass sich jemand um diese Angelegenheit kümmert! Das Ministerium selbst ist dazu nicht in
der Lage. Ihr Kollege Meckel hat das selbst vorgeschlagen.
Vielen Dank.
({18})
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin
Eichstädt-Bohlig das Wort.
Herr Kollege Vaatz, ich bin doch etwas irritiert, dass
Sie offenbar nicht ganz auf der Höhe der Zeit sind.
({0})
Erstens zum Thema Grunderwerbsteuerbefreiung.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist dem Parlament
von der Regierung zugeleitet worden, und zwar mit der
Aufgabe, ein entsprechendes Gesetz mit Blick auf das
Beihilferecht europatauglich zu machen. Das ist zurzeit
in Arbeit; von daher gibt es da überhaupt keinen Dissens. Das muss aber erst konkret geklärt werden, weil
wir über das Thema nicht erst endlos in Brüssel diskutieren wollen; denn es geht ja um eine befristete Grunderwerbsteuerbefreiung. Dabei sind auch der Ost-WestAusgleich, die Gewerbewohnungswirtschaft und so weiter zu berücksichtigen.
Zweitens zum Thema Altschuldenhilfe. Wir haben
mit dem § 6 a seit längerer Zeit die Regelung, die wir
brauchen, um der ostdeutschen Wohnungswirtschaft bei
leer stehenden Wohnungen zu helfen. Der Erblastentilgungsfonds wird, seit Rot-Grün an der Regierung ist,
nicht mehr als Schattenhaushalt geführt, sondern ist in
den allgemeinen Haushalt integriert. Für die Altschuldenhilfe hatten wir im Regierungsentwurf bereits
95 Millionen Euro an Barmitteln vorgesehen, haben unsererseits noch 48 Millionen Euro draufgesattelt und haben 266 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigungen vorgesehen. Das ist unabhängig von dem Geld, das
im Bereich Altschuldenhilfe bisher abgeflossen ist.
Allerdings - auch das haben sachkundige Kollegen
sowohl von der Opposition als auch von der Koalition
hier dargelegt - hängt dieser Aufwuchs bei der Altschuldenhilfe davon ab, wie es mit der Eigenheimzulage weitergeht; denn bei uns pflegt man Geld nicht einfach im
Keller schwarz zu drucken, sondern man muss es erwirtschaften und durch Ausgabenkürzungen an anderer
Stelle gegenfinanzieren.
Vielen Dank.
({1})
Zur Erwiderung, Herr Kollege Vaatz.
({0})
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich habe Ihnen nicht
vorgeworfen, dass Sie die Grunderwerbsteuerbefreiung
nicht durchführen wollen. Vielmehr habe ich Ihnen vorgeworfen, dass Sie nicht agiert, sondern reagiert haben.
({0})
Sie haben eben nicht von sich aus die Initiative ergriffen.
Es musste erst - das hat sehr viel Mühe gemacht - die
Initiative der Länder her, bevor Sie überhaupt bereit waren, sich mit diesem Thema zu befassen. Darüber ist ein
Jahr vergangen.
({1})
Der zweite Punkt ist, dass das per Bundesgesetz geändert werden muss; das wissen Sie.
({2})
- Ich habe vorhin von diesem Pult aus erwähnt, dass das
eine Ländersteuer ist. Ich habe auch erwähnt, dass von
den Ländern selbst die Bitte an den Bund herangetragen
worden ist, diese Ländersteuer befristet auszusetzen.
Demzufolge verstehe ich Ihren Einwand nicht.
Was die Altschuldenhilfe betrifft, müssen wir uns natürlich über die Größenordnung klar werden. Wir müssen fragen, ob mit den Maßnahmen, die Sie vorgesehen
haben, das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Hier
besteht ein schwerwiegender Dissens. Die Mehrzahl der
Wohnungsunternehmen sind mit der gegenwärtigen Lösung noch keinesfalls zufrieden - Herr Weis hat das hier
anders dargestellt - und haben das auch zum Ausdruck
gebracht. Das müssen wir ernst nehmen. Anderenfalls
begeben wir uns in die Gefahr, dass eine Insolvenzwelle
auf uns zukommt, die Ostdeutschland überrollt.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Werner Kuhn für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Zielbestimmung dieses Einzelplans mit seiner finanziellen Veranlagung für die Bereiche Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen liegt in ureigener Weise im
Umbau der ost- und mitteldeutschen Länder. Ich denke,
es ist von allen in diesem Hause unbestritten, dass die
Menschen in der ehemaligen DDR, aber auch die Menschen in Westdeutschland mit der Wiedervereinigung
eine Herausforderung angenommen haben, die ihresgleichen sucht. Wir aus diesem Fachausschuss, der sehr
technisch ausgerichtet ist, können das Thema „Aufbau
Ost“ auch in dieser Haushaltsdebatte nur im Rahmen der
gesamten Diskussion behandeln und nicht als eigenständiges Thema. Das habe ich schon oft kritisiert.
Wir reden darüber, was wir in den Jahren seit der
Wiedervereinigung geschafft haben, und das natürlich
auch dank der klugen Weichenstellung Ihrer Vorgängerregierung unter der Führung von Helmut Kohl. Das
muss immer aufs Neue wiederholt werden. Denn Sie
werfen uns nur den Schuldenberg vor, auf dem wir sitzen.
({0})
Was ist denn mit den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“, mit der Städtebausanierung und Investpauschalen
für Krankenhäuser, Schulen und Altenheime? Das alles
haben wir befördert, damit in Ostdeutschland auch die
weichen Standortfaktoren für den Wettbewerb vernünftig sind.
({1})
Die DDR hat von der Substanz gelebt. Deshalb sind wir
so weit ins Hintertreffen gekommen.
({2})
Wir müssen heute feststellen, dass der Aufbau Ost
mittlerweile ins Stocken geraten ist. Seit 1991 sind wir
zum ersten Mal in einer Rezession, die Wirtschaft
schrumpft. Die Arbeitslosigkeit - über dieses Thema ist
heute noch gar nicht gesprochen worden - liegt bei
20 Prozent. Das ist hochdramatisch. Die Auftragslage ist
sehr schlecht, und zwar nicht nur in Ostdeutschland, sondern in Deutschland insgesamt. Das liegt daran, dass poWerner Kuhn ({3})
tenzielle Auftraggeber nicht in der Lage sind, Aufträge zu
vergeben. Sehen Sie sich nur den öffentlichen Sektor an.
Aber auch bei den Privathaushalten ist das zurzeit der
Fall. Sie richten ihre Blicke auf die Bundesregierung, um
zu erfahren, wann sie mit den strukturellen Reformen bei
der Kranken- und der Rentenversicherung endlich fertig
ist.
({4})
Denn sie wollen wissen, wie viel sie zukünftig für private Vorsorge zahlen müssen. So lange behalten sie ihr
Geld für sich. Die Folge: Die Spareinlagen steigen, die
Banken sitzen auf Geld, die Leitzinsen sind so niedrig
wie noch nie. Es ist also ausreichend Kapital vorhanden.
Aber Sie sind nicht in der Lage, den Impuls zu geben
und einen Aufschwung zu generieren, damit wir in
Deutschland wieder vorwärts kommen.
({5})
Folgenden Punkt muss ich kritisch ansprechen. Die
Finanzzuweisungen für den Solidarpakt von 2005 bis
2019 sind vernünftig angelegt. Er hat ein Gesamtvolumen von über 100 Milliarden Euro. Er ist aber so angelegt, dass die Mittel für Infrastrukturmaßnahmen, also
sozusagen für die Hardware, verwendet werden müssen.
Sachsen ist das einzige Land - das können Sie in der
„FAZ“ vom 24. November dieses Jahres nachlesen -,
das die Mittel dem Zweck entsprechend eingesetzt hat.
In anderen Bundesländern - Brandenburg und Berlin
sind schon angesprochen worden, aber auch mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern zählt dazu - waren
das nur 50 Prozent. Die restlichen Mittel sind in den
konsumtiven Bereich geflossen. Das muss ich hier kritisch anmerken. Ich fordere die Bundesregierung deshalb auf, dass sie vernünftige Verwendungsnachweise
für diese Mittel erbringt. Diese Mittel sind nämlich Hilfe
zur Selbsthilfe. Nur so bekommen wir die Wirtschaft
wieder flott.
({6})
Ein Synonym für den Aufbau Ost ist die Gemeinschaftsaufgabe - dieses Thema betrifft nicht direkt Ihren Haushalt, Herr Stolpe -, über die wir heute Vormittag schon einiges gehört haben. Wenn man für die
Bereiche Infrastruktur oder Städtebausanierung verantwortlich ist und auch dafür, einen Standortwettbewerb
herbeizuführen, dann muss ich natürlich auch die Wirtschaftsförderung im Auge behalten. Man muss sich doch
einfach einmal klar machen, dass Milliarden für die Infrastruktur ausgegeben werden. Wo ist denn die Rendite
dabei? Das muss für die gesamte Volkswirtschaft hochgerechnet werden. Wir müssen die Wirtschaftsförderinstrumente nach wie vor funktionsfähig halten.
Die 700 Millionen Euro, die für die Gemeinschaftsaufgabe Aufbau Ost verwendet werden, müssen für den
Osten auch weiterhin zur Verfügung stehen. Auch die
schwachen Regionen in den alten Bundesländern - ob
das Ostfriesland oder Ostbayern ist - brauchen nach wie
vor GA-Mittel, damit sie ihren Standort herrichten können. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden es nicht zulassen, dass man die strukturschwachen Regionen in Ost
und West gegeneinander ausspielt. Deshalb wollen wir
eine gemeinschaftliche und differenzierte Förderung für
die einzelnen Dinge.
({7})
Die Investitionszulage spielt natürlich nach wie vor
eine Rolle. Wenn man die Wirtschaft nämlich tatsächlich
aufbauen will, dann braucht man eine Anschubfinanzierung, die einen steuerlichen Vorteil bringt. Dies muss
- darauf möchte ich hinweisen - zukünftig in Kombination mit der Gemeinschaftsaufgabe geschehen, damit
nicht nur flächendeckend gefördert wird. Wir müssen die
Clusterbildung auch in Ostdeutschland in Angriff nehmen. Das bedeutet, der Umbau der alten Industriegesellschaft in eine Wissens- und Servicegesellschaft darf nicht
dazu führen, dass wir überhaupt keine Industriestandorte
mehr haben und nur noch im Servicebereich arbeiten. Wir
brauchen das Call-Business und wir brauchen nach wie
vor unsere Technologieführerschaft, sodass wir Produkte
entwickeln können. Dies müssen wir universitär begleiten. Daneben brauchen wir auch die außeruniversitäre
Forschung, zum Beispiel die der Leibniz-Institute.
In der letzten Zeit habe ich das interessante Wort Entflechtungsdebatte gelesen.
({8})
Man könnte sich ja vorstellen, dass die Entflechtungsdebatte etwas mit Bürokratieabbau, Durchschaubarkeit und
Erleichterung zu tun hat. Nein, es handelt sich um einen
plumpen Rückzug: Der Bund zieht sich aus der außeruniversitären Förderung zurück. Im 21. Jahrhundert, in
dem wir die alte Industriegesellschaft umbauen und Innovationen nach Deutschland holen wollen, wollen Sie
die Mittel komplett den Ländern, die ohnehin nicht mehr
genug Mittel zur Verfügung haben, aufs Auge drücken.
Das kann doch wohl nicht die Zukunft sein.
({9})
Herr Kollege Kuhn, wir könnten Ihnen noch stundenlang zuhören,
({0})
nur lässt Ihre Redezeit das bedauerlicherweise nicht zu.
Es ist sicher bedauerlich, dass ich Ihnen diese wirtschaftlichen Zusammenhänge nur ansatzweise vortragen
kann.
({0})
Werner Kuhn ({1})
Sie vergessen tatsächlich, dass es nicht nur Hardware,
also Straßen, Umgehungsstraßen und Bundesverkehrswege gibt. Hier muss Leben rein. Es muss zur wirtschaftlichen Entwicklung kommen, wenn wir den Aufbau Ost tatsächlich verwirklichen wollen.
({2})
Das wäre ein wunderschöner Schlusssatz gewesen,
Herr Kollege Kuhn.
({0})
Wir brauchen eine Aufbruchstimmung, die von der
Bundesregierung ausgeht. Sie darf nicht nur mit einem
offenen Mantel aus Brüssel zurückkommen und sagen,
dass sie dort einen Sieg errungen hat.
({0})
Es war ein Pyrrhussieg, durch den die Stabilität der europäischen Währung beeinflusst wird. Wolkenschieberei
alleine reicht nicht.
({1})
Herr Kollege Kuhn, ich halte meine Vermutung aufrecht, dass der vorletzte Satz als Schluss mindestens so
gut geeignet gewesen wäre wie der letzte.
({0})
Ich komme nun zur Abstimmung über den
Einzelplan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, in der Ausschussfassung. Dazu
liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstimmen. Sie finden diesen Änderungsantrag auf der Drucksache 15/2072. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? ({1})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 12 in der Aus-
schussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt da-
gegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist der
Einzelplan 12 mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 15 a und b auf:
a) Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit
- Drucksachen 15/1914, 15/1921 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Elke Ferner
Franziska Eichstädt-Bohlig
b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes ({2})
- Drucksache 15/1974 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
- Drucksache 15/2084 Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Bülow
Doris Meyer ({5})
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Kollege Albrecht Feibel für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Diese Bundesregierung wird in das Guinnessbuch
der Rekorde eingehen; denn es ist die erste Regierung, in
der jeder Minister ohne Ausnahme alle Energie darauf
verwendet, den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auszuhebeln, so gut er nur kann.
Umweltminister Trittin - wenn er auch nur einen relativ kleinen Etat verwaltet - ist dabei besonders erfolgreich. Respekt vor den Steuergeldern, die ihm treuhänderisch anvertraut sind, ist ihm offensichtlich fremd. Das
Haushaltsrecht besagt unmissverständlich, wie mit dem
Geld der Bürger umzugehen ist. Deshalb gibt es den
Grundsatz von Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Aber es gibt auch die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.
Hier einige Beispiele, wie der Minister gegen diese
Grundsätze des Haushalts handelt. Das Bundesumweltministerium bläht seine Verwaltung ständig auf. Die
vom Finanzminister geforderte Einsparung bei den Personalkosten wird zwar vordergründig bei den regulären
Beschäftigten erbracht. Parallel dazu werden aber reihenweise Aushilfskräfte eingestellt, die dann bis zum
Jahresende erhebliche Mehrkosten produzieren. Wenn
auch im Haushalt für das Jahr 2004 geringere Ansätze
für die Aushilfskräfte vorgesehen sind, so wissen wir aus
der Praxis des laufenden Jahres und der vorangegangenen Jahre, dass an den Personalkosten nicht gespart
wird.
Zu diesem eigenen Personal im Ministerium kommen
dann noch externe Fachleute hinzu, beispielsweise Verbandsvertreter. Sie werden kostenaufwendig beschäftigt,
um die Gesetze vorzubereiten, von denen sie selbst betroffen sind. Wie demotivierend muss es für die Mitarbeiter im Ministerium sein, wenn sie für solche Aufgaben offensichtlich nicht geeignet zu sein scheinen.
Das Ministerium unterhält nicht nur ein Umweltbundesamt, sondern zusätzlich ein Bundesamt für Naturschutz. Letzteres hat die Aufgabe, abweichend von den
sachlichen Notwendigkeiten des Ministers, ideologiebefrachtete Politik umzusetzen.
({0})
So wandert die Zuständigkeit für die Gentechnik, die eigentlich zu Recht und der Kompetenz wegen beim Umweltbundesamtes angesiedelt war, zum Bundesamt für Naturschutz. Diese Änderung wird durchgezogen - koste es,
was es wolle -, weil dort die Parteigänger des Ministers
sitzen. An eine Verschlankung dieser Behörden denkt
der Minister keinen Augenblick. Dabei hat ihm der
Bundesrechnungshof eine Zusammenlegung der Ämter
dringend empfohlen, um erhebliche Synergieeffekte zu
nutzen, Aufgaben effizienter wahrzunehmen und gleichzeitig deutliche Einsparungen bei Haushaltsmitteln und
Personal zu erzielen.
Auch die Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit unterliegen im Umweltministerium offensichtlich keinerlei
Kontrolle. Sie, Herr Minister, verfolgen wohl die Strategie der gesamten Bundesregierung: Wenn man schon
eine schlechte Politik macht, soll man sie wenigstens gut
verkaufen.
({1})
Aber das hilft nicht den Bürgern und löst auch keine Probleme. Für das Verkaufen der so genannten Umweltpolitik gibt der Minister das Geld mit vollen Händen aus,
zum Beispiel beim Dosenpfand, im Volksmund auch
schon Doofenpfand genannt. Diese unselige trittinsche
Aktivität hat er in einer teuren Anzeigenaktion feiern
lassen. Die Aktion „Dosenpfand wirkt“, die in ihrer Gestaltung kaum von grüner Parteiwerbung zu unterscheiden ist, kostete den Steuerzahler und pfandbelasteten
Bürger rund 112 000 Euro.
Der kostenträchtigen Anzeigenkampagne nicht genug, musste auch noch der verschwenderische Kinospot
„Blechstunde mit Dr. Trittin und Team“ - offensichtlich
wurde da viel Blech geredet - her. Er verschlang an Produktions- und Schaltkosten rund 85 000 Euro. Die Aktion Dosenpfand hätte, wäre sie professionell durchgeführt worden, ausreichend für sich selbst gesprochen und
gewirkt. Eigentlich ließe sich die Aufzählung endlos
fortsetzen, allein die begrenzte Redezeit verbietet dies.
Ich möchte aber noch kurz auf die Reisekosten zu
sprechen kommen, weil hier offensichtlich sehr verschwenderisch mit Steuergeldern umgegangen wird.
({2})
Bei dieser Position könnte viel Geld gespart werden,
ohne dass der Minister und seine Mitarbeiter die Mobilität auch nur in geringem Maße einschränken müssten.
Ich nenne ein Beispiel. Der Minister reiste mit einer
stattlichen Delegation von immerhin 30 Personen der
Umwelt wegen nach Brasilien. In seiner Begleitung waren unter anderen Vertreter von BUND, DNR, NABU,
Germanwatch usw.
({3})
Angeblich, so der Minister vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages, war die Abwicklung dieser
Reise mit Linienmaschinen geplant. Trotzdem bestellte
Herr Trittin parallel noch ein Flugzeug der Bundesluftwaffe, das leer nach Brasilien fliegen und mit dem dort
die innerbrasilianischen Flüge abgewickelt werden sollten. Aus dieser Geldverschwendungsaktion ergeben sich
eine Reihe von Fragen.
Warum sollte die Bundeswehr-Challenger ohne Passagiere nach Brasilien fliegen und nicht schon einige Delegationsmitglieder mitnehmen, die für viel Geld mit Linienmaschinen fliegen mussten? Warum haben Sie, Herr
Minister, nicht von Anfang an alle Flüge mit Linienmaschinen gebucht und Mitte August bei der Flugbereitschaft die Challenger zusätzlich angefordert? Diese Maschine wurde dann kurzfristig erst am 23. Oktober
abbestellt, war aber, weil sie als Mittelstreckenflugzeug
zwischenlanden muss, bereits zwischen den Kanaren
und den Kapverden unterwegs, musste umkehren und
unverrichteter Dinge wieder nach Deutschland zurückfliegen.
({4})
- Wenn das nicht zur Umweltpolitik gehört, lieber Herr
Kollege, dann weiß ich nicht, was sonst. Hören Sie genau zu! Dann werden Sie merken, was das für eine Umweltpolitik ist.
Warum wurde diese außerordentlich kostenaufwendige Reiseart gewählt, obwohl klar war, dass der ganze
Umwelttrip alleine für die Challenger Kosten von
250 000 Euro verursacht hätte, wäre die Maschine
durchgeflogen? Was man da einsparen kann, kann man
wirklich für sinnvollere Umweltprojekte nutzen.
({5})
Warum haben Sie nicht in Erwägung gezogen, für mögliche problematische Inlandsflüge in Brasilien dort eine
Maschine zu chartern? Die Strecken wären zu einem
Preis von etwa 48 000 Euro beflogen worden. Man hätte
rund 200 000 Euro von vornherein einsparen können.
Warum haben Sie, Herr Minister, dem Haushaltsausschuss bei Ihrem Bericht ganz wesentliche Informationen zu dieser Reise verschwiegen, wie beispielsweise
das Bestelldatum für die Challenger?
Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, Herr
Minister Trittin, dass Sie sehr gerne anderen Menschen
vorschreiben, wie diese umweltbewusst reisen sollen,
während Sie, wie das Beispiel Brasilien zeigt, genau das
Gegenteil davon zu tun pflegen. Sie predigen jahraus
und jahrein, dass der Luftverkehr eine der am schnellsten wachsenden Quellen von Treibhausgasen sei. Trotzdem wollten Sie einen Jet leer von Köln nach São Paulo
und wieder zurück nach Köln fliegen lassen,
({6})
obwohl Sie wussten, dass Sie damit die Atmosphäre mit
mindestens 20 Tonnen Kerosin zusätzlich belasten würden, ganz zu schweigen von der absolut unnötigen Geldverschwendung.
Offen bleibt natürlich auch die Frage, was Ihr Trip
nach Südamerika für die Umwelt - außer einer unnötigen Luftbelastung - überhaupt gebracht hat.
({7})
Einer solchen Umweltpolitik und einer solchen Geldverschwendung kann man in der Tat nicht zustimmen.
({8})
Deshalb lehnen wir den Einzelplan des Umweltministers
ab.
Danke schön.
({9})
Ich erteile das Wort der Kollegin Elke Ferner, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Eigentlich dienen die Haushaltsberatungen dazu,
({0})
die unterschiedlichen Schwerpunkte zwischen Regierung und Opposition deutlich zu machen, insbesondere
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber die
größte Oppositionsfraktion hat sich dieser Aufgabe in
dieser Haushaltsberatung komplett verweigert.
({1})
Sie lassen für dieses Jahr die Leitlinie gelten: Wasch mir
den Pelz, aber mach mich nicht nass. Denn Sie blockieren im Bundestag - das gilt allerdings nur bedingt, weil
Sie da keine Mehrheit haben - und im Bundesrat alle
Vorhaben, die unser Land voranbringen können. In
Sonntagsreden fordern Sie Subventionsabbau, aber
wenn es dann konkret wird, zum Beispiel beim Steuervergünstigungsabbaugesetz, das von Ihnen im Bundesrat
blockiert worden ist, sagen Sie Nein. Sie geben sich auch
keine Mühe, wenigstens ein paar Vorschläge zu machen.
Im März denunzieren Sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz als Steuererhöhungsgesetz und nun will
Herr Merz Steuervergünstigungen streichen, um einen
Teil seines Steuermodells zu finanzieren.
({2})
- Wir sind beim Haushalt, werter Herr Paziorek, falls Sie
das noch nicht begriffen haben. Dazu zählen die Einnahmen und die Ausgaben. Aber das scheint bei Ihnen noch
nicht angekommen zu sein.
({3})
Hinsichtlich der Steuervergünstigungen, die Sie in
Ihrem Modell abschaffen wollen, ist natürlich keine
Steuererhöhung enthalten.
({4})
Frau Kollegin Ferner, ich habe den Eindruck, dass
zwischen den Kollegen der Koalition wie auch der Opposition dringender Klärungsbedarf besteht. Ich wollte
Ihnen anbieten, dass ich die Uhr so lange anhalte, bis sie
das geklärt haben.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident.
Jetzt können Sie weiterreden, bitte schön.
Darüber hinaus wollen Sie noch weitere Steuervergünstigungen abbauen, die insbesondere die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen treffen und letztendlich bewirken, dass trotz niedrigerer Steuersätze nachher mehr
Steuern gezahlt werden müssen.
Sie lehnen das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform von 2005 auf 2004 ab, obwohl sich einige Ihrer
Länder schon überlegt haben, vielleicht zuzustimmen.
Ich hoffe nur, dass Sie im Vermittlungsausschuss noch
zur Besinnung kommen und das Vorziehen der Steuerreform, das Impulse für die Wirtschaft geben könnte, möglich machen.
({0})
- Zur Ökosteuer, werte Kollegin, liegt im Moment in
keinem Gremium, weder im Bundesrat noch im Bundestag, eine Gesetzesinitiative von Ihnen oder einem CDU/
CSU-regierten Land vor, die zum Ziel hat, die Ökosteuer
abzuschaffen. Im Übrigen müssten Sie dann auch erklären, ob Sie die Renten kürzen wollen oder ob Sie die
Rentenversicherungsbeiträge erhöhen wollen. Das wäre
nämlich die Konsequenz aus so einer Operation.
({1})
Sie beklagen die schlechten Steuereinnahmen auf allen staatlichen Ebenen und gleichzeitig verhindern Sie
eine Verbesserung der Steuereinnahmen von Gemeinden, Ländern und auch des Bundes durch die Ablehnung
des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, durch die Ablehnung der Gemeindefinanzreform, durch die Ablehnung der Reformgesetze für den Arbeitsmarkt und durch
die Ablehnung des Haushaltsbegleitgesetzes. Sie sagen
Nein, aber Sie zeigen keine Alternativen auf. Trotzdem
beklagen Sie, dass kein Geld da ist. Das ist nicht ehrlich;
das ist feige, vor allen Dingen, weil Sie keine eigenen
Vorschläge machen.
({2})
Sie blockieren damit aber auch aus parteitaktischen
Erwägungen die notwendigen Wachstumsimpulse, die
die Binnennachfrage und auch die Investitionstätigkeit
der Gemeinden wieder ankurbeln und damit auch die
deutsche Wirtschaft in Schwung bringen könnten.
Sie verweigern sich jeglicher Verantwortung für unser
Land. Wenn es um konkrete Sachfragen geht, dann sagen Sie immer nur, was Sie nicht wollen, aber nie, was
Sie anders machen wollen. Das ist unverantwortlich.
({3})
- Sie hatten in den vergangenen Wochen bei den Beratungen im Haushaltsausschuss die Gelegenheit, Ihre
Sparvorschläge einzubringen. Stattdessen haben Sie
Berge von Papier vorgelegt. Das scheint Ihr persönlicher
Beitrag zum Umweltschutz zu sein. Dieses Papier, das
über eine ganze Wahlperiode als Schmierpapier reicht,
war Ihr Beitrag zu den Haushaltsberatungen. Auf diesem
Papier war das Wort „Erörterungsbedarf“ zu lesen. Als
Sie diese Peinlichkeit bemerkt haben, haben Sie die Papierstapel am nächsten Morgen schnell wieder zurückgezogen.
Das sind Haushaltsberatungen à la CDU/CSU: ohne
Substanz, eigene Vorschläge und Perspektive. Das ist
dieses Hohen Hauses unwürdig. Sie kommen Ihrer Aufgabe damit nicht nach.
({4})
Wenn Ihre Leistungen in den diesjährigen Haushaltsberatungen in einem Schulzeugnis zu bewerten wären,
dann würden Sie nicht versetzt werden. In einem Arbeitszeugnis würde Ihnen noch nicht einmal bescheinigt,
dass Sie sich bemüht haben, Ihre Aufgaben zu erfüllen.
({5})
- Das glaube ich nicht. Sie hätten schließlich Ihre Vorschläge einbringen können. Aber dazu waren Sie nicht in
der Lage.
Wir haben einen Haushalt vorgelegt. Wir haben unsere Aufgaben erfüllt.
({6})
Wir haben uns als Koalitionsfraktionen in den Haushaltsberatungen eingebracht. Wir konsolidieren weiter.
Wir gehen die notwendigen Reformen an und setzen die
richtigen Schwerpunkte. Wir halten die Investitionen des
Bundes mit 24,6 Milliarden Euro auf einem nach wie
vor hohen Niveau und setzen auch mit unserem Ganztagsschulprogramm, in der Forschungsförderung, bei der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie im Umwelthaushalt die richtigen Prioritäten.
Wir haben das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien auf nunmehr 200 Millionen Euro aufgestockt. Seitens der Koalitionsfraktionen haben wir
gleichzeitig dafür gesorgt, dass bis zu 15 Millionen Euro
dieses Betrags für die Bereiche Geothermie, Biomasse
und Offshorewindanlagen eingesetzt werden können.
Dadurch werden die nach dem Auslaufen des Zukunftsinvestitionsprogramms fehlenden Mittel teilweise kompensiert.
An die Regierung gewandt, wünsche ich mir, dass
diese 15 Millionen Euro im Haushalt 2005 komplett in
den Energieforschungstitel umgeschichtet werden, damit
aus diesen Mitteln auch auf Dauer angelegte, mehrjährige Projekte finanziert werden können. Das werden wir
im Zusammenhang mit dem Haushalt 2005 zu diskutieren haben.
({7})
Wir haben 1998 den Ausstieg aus der Kernenergie
versprochen. In der vergangenen Woche ist das erste
AKW nach dem Zustandekommen des Atomkonsenses
abgeschaltet worden.
({8})
Weitere werden folgen.
Die FDP hat in der Beratung des Bundeshaushalts
wenigstens noch Anträge gestellt, wenn auch aus unserer
Sicht die falschen. Die Union hat auf Anträge verzichtet.
Die FDP hat mit ihren Anträgen deutlich gemacht, dass
sie nicht an dem Ausstieg aus der Atomenergie festhalten will. Sie möchte den Wiedereinstieg in die Atomenergie erreichen.
({9})
Das ist nicht nur energiepolitischer Unsinn, sondern
auch rückwärts gewandt statt zukunftsorientiert.
({10})
Sie finden - das wissen Sie auch genau - weder in der
Bevölkerung noch im Parlament eine Mehrheit für die
Rückkehr zur Kernenergie.
({11})
- Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrem Kollegen, der das
im Haushaltsausschuss ausdrücklich begründet hat!
Dann klappen Ihre internen Absprachen vielleicht ein
bisschen besser, als es derzeit offenbar der Fall ist.
({12})
Wir haben dagegen den Anteil der erneuerbaren Energien um fast 30 Prozent seit dem Jahr 2000 erhöht. Wir
wollen den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum
Jahr 2010 verdoppeln. Damit haben wir nicht nur eine
Wende in der Energiepolitik erreicht, sondern auch viele
Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen. Die Beschäftigungseffekte im Bereich der erneuerbaren Energien sind enorm; im Jahr 2001 lagen sie
bei circa 130 000 Beschäftigten. Sie aber wollen, wie
man hört, dies alles wieder zurückdrehen.
Bis wir unsere Energieversorgung grundlegend umgestellt haben werden, brauchen wir Übergänge. Wir müssen die vorhandenen Energieeinsparpotenziale mobilisieren, die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen
und die fossilen Energieträger so umweltschonend wie
möglich und mit der größtmöglichen Effizienz zur Energieerzeugung einsetzen.
({13})
- Ja, jetzt kommen wir zur Kohle, Frau Homburger; Sie
haben es richtig erkannt.
Aus Gründen der nationalen Versorgungssicherheit,
aber auch wegen der Exportchancen für die Bergbauzuliefererindustrie und die Kraftwerksindustrie brauchen
wir auch weiterhin einen Sockel an heimischer Steinkohle in der Energieerzeugung. Ich habe bisher von niemandem hier im Hause gehört, dass man auf den Einsatz
von Steinkohle - egal ob einheimische oder Importkohle - sofort komplett verzichten möchte. Deshalb
zieht auch das CO2-Argument überhaupt nicht; denn
- das können Sie sich auch in vielen Bereichen anschauen, falls es Sie interessiert - in der Kraftwerkstechnik wie in der Fördertechnik sind in der Vergangenheit
enorme Fortschritte gemacht worden. Der deutsche
Bergbau repräsentiert eine moderne Spitzentechnologie,
die große Chancen auf dem Weltmarkt hat. - Es freut
mich, dass der Kollege Feibel nickt; im Saarland tut
seine eigene Landesregierung ja so, als wolle sie nichts
mehr mit dem Bergbau zu tun haben.
({14})
- Dies ist sehr erhellend. Wir werden darüber in den
kommenden Monaten im Kommunalwahlkampf wie im
Landtagswahlkampf miteinander zu diskutieren haben.
({15})
Es nützte dem Weltklima auch nichts, wenn unsere
modernste Kraftwerkstechnologie nicht auch dort eingesetzt würde, wo in Zukunft der steigende Energiebedarf durch den Einsatz von Kohle gedeckt wird. Was
nützt es, wenn in China mehr Kohle verfeuert wird, dabei aber unmoderne Kraftwerkstechnik zum Einsatz
kommt? Daher wäre es nicht zielführend, hier alles stillzulegen und CO2-Emissionen an anderer Stelle in Kauf
zu nehmen, anstatt hier moderne Hightech-Kraftwerke
weiterzuentwickeln, die exportfähig sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Es ist unehrlich, wenn suggeriert wird, man könne die
Kohlebeihilfen ab dem Jahre 2006 streichen oder sehr
stark kürzen, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen
käme - man muss dann sagen, dass man solche Verwerfungen in Kauf nimmt - und ohne dass es in Zukunft etwas kostete. Wir alle wissen, dass es Stilllegungskosten
gibt und dass vor allen Dingen weit darüber hinausgehende zusätzliche Kosten entstehen.
Wir haben dafür gesorgt, dass im nächsten Jahr beim
Umweltbundesamt die Emissionshandelsstelle eingerichtet werden kann, sodass ab 2005 deren volle Arbeitsfähigkeit gegeben sein wird, wenn der Emissionshandel
beginnt. Außerdem haben wir den Umzug des Umweltbundesamtes personell abgefedert. Ich hoffe, dass die
anderen Bundesbehörden und Ministerien in Berlin ihren
Beitrag leisten, Probleme bei der Stellenbeschaffung zu
lösen.
Mit dem Umwelthaushalt haben wir den Grundstein
für eine zukunftsorientierte Politik gelegt. Mit dem
Marktanreizprogramm, der Energieforschung, dem Vertragsnaturschutz auf nach wie vor hohem Niveau und
vielen anderen Maßnahmen stellen wir die Weichen in
die richtige Richtung. Wir haben unsere Aufgaben gemacht; Sie haben sich Ihrer Aufgabe verweigert. Ich
hoffe, dass dies im Vermittlungsausschuss anders wird,
damit im nächsten Jahr die notwendigen Impulse für
Wachstum und Beschäftigung Platz greifen können.
Letztendlich hilft es niemandem, wenn wir aus kurzsichtigen parteitaktischen Erwägungen heraus Spielchen
machten. Wir alle müssen unserer Verantwortung gerecht werden, damit es wieder aufwärts geht und unser
aller Zukunftschancen besser werden.
In diesem Sinne bedanke ich mich beim Umweltministerium für die gute Zusammenarbeit, auch wenn sie
nicht in Anträge seitens der Union gemündet ist, beim
Finanzministerium für die Zuarbeit und bei Ihnen für
Ihre Aufmerksamkeit.
({16})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Kauch,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Grün
macht schlapp“ - so titelte die „Zeit“ in ihrer Ausgabe
vom 3. November dieses Jahres. Antiöko, sagt Frau
Zahrnt, die Vorsitzende des BUND, sei die Stimmung im
Land. Umweltschutz wird zunehmend als Last empfunden, und das unter einem grünen Umweltminister!
({0})
In parteipolitischer Hinsicht könnten wir uns kurzfristig
vielleicht darüber freuen, dass sich der Umweltminister
mit Ökosteuerfrust und Dosenchaos diskreditiert. Aber
langfristig schadet es den künftigen Generationen, wenn
Ökologie von den Menschen nur noch als Last empfunden wird und wenn die Menschen nachhaltige Politik
nicht mehr akzeptieren.
({1})
Wenn wir weiterhin die Umwelt schützen wollen
- das wollen wir alle in diesem Haus -, dann muss der
Umweltschutz billiger und wirtschaftlicher werden. Herr
Trittin, Sie machen unentwegt das Gegenteil. Sie betreiben Umweltpolitik nach dem Motto „Koste es, was es
wolle“, und seien es Arbeitsplätze oder die ökologische
Vernunft.
({2})
Nehmen wir als Beispiel die Mülltrennung. Die Regierung aus Union und FDP hat Anfang der 90er-Jahre
das duale System mit Mülltrennung zu Hause und per
Hand eingeführt. Das war zum damaligen Zeitpunkt eine
sinnvolle Entscheidung. Doch heute gibt es neue Technologien, die die Mülltrennung im Haushalt überflüssig
machen. Sie könnten nicht nur dafür sorgen, dass die
Mülltrennung billiger und einfacher wird. Diese Technologien scheinen vielmehr auch in ökologischer Hinsicht
sinnvoller zu sein. Graue und gelbe Tonnen in einer
Fuhre abzufahren spart Geld und CO2. Die Qualität der
automatischen Mülltrennung ist heute weit besser als
die, die die Haushalte per Handsortierung erreichen.
({3})
42 Prozent des Inhalts der gelben Tonnen sind laut Bundesregierung heute nicht verwertbar. Das Bayerische
Landesamt für Umweltschutz stellte in einer kürzlich
durchgeführten Erhebung fest, dass fast 50 Prozent dessen, was in den Hausmülltonnen ist, Wertstoffe sind.
Doch welche Konsequenzen ziehen Sie daraus, Herr Minister? - Keine! In Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
der FDP-Fraktion lehnten Sie jede Veränderung von
vornherein ab. Schließlich haben wir alle jahrelang die
Bürger zum Mülltrennen angehalten. Das ist für Sie offenbar zu schön, als dass Sie das aufgeben wollen.
Sehr geehrter Herr Trittin, in guter alter 68er-Manier
wollen Sie die Menschen zu besseren Menschen erziehen. Wenn Sie aber der Umwelt und den nachfolgenden
Generationen gerecht werden und ihnen einen Dienst erweisen wollen, dann sollten Sie endlich der ökonomischen und der ökologischen Vernunft folgen. Die Menschen haben die Nase voll davon, dass Sie Deutschland
als Besserungsanstalt organisieren wollen.
({4})
Die FDP will erneuerbare Energien wirksam fördern.
({5})
Darin sind wir uns einig. Wenn wir das ErneuerbareEnergien-Gesetz, das EEG, in seiner heutigen Fassung
ablehnen, dann nicht, weil wir gegen erneuerbare Energien sind. Wir, die FDP, wollen Windkraft, Solarenergie,
Geothermie, Biomasse und Wasserkraft. Aber wir sind
auch der Auffassung, dass die bisherige Förderung mittels garantierter Einspeisungspreise der in ordnungspolitischer Hinsicht krasseste Eingriff in den Markt ist. Die
Überförderung der Windenergie hat gezeigt - ich hoffe,
dass Sie mir zustimmen -: Bei technischem Fortschritt
werden garantierte Preise zur Lizenz zum Gelddrucken.
({6})
Für die FDP als Partei des Eigentums ist der Bestandsschutz für die Förderung bestehender Anlagen nach dem
EEG selbstverständlich. Aber in Zukunft setzt die FDP
dem EEG, das die Preise garantiert, ein eigenes marktwirtschaftliches Modell entgegen.
({7})
Wir werden das Photovoltaikgesetz ablehnen, weil
wir seine Grundlage, das EEG, für verfehlt halten. Die
Kollegen von der Union möchte ich an dieser Stelle warnen: Legen Sie mit der Zustimmung zu diesem Gesetz
nicht den Grundstein für eine neue Überförderung à la
Windkraft, der Steinkohle der Zukunft.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
das Potenzial der erneuerbaren Energien liegt nicht nur
in der Stromeinspeisung. Ich frage mich schon sehr
ernsthaft, warum Sie unseren Antrag, in dem wir mehr
Geld für Speichertechnologien fordern, abgelehnt haben. Diese Technologien könnte man nutzen, wenn die
Sonne nicht scheint und wenn der Wind nicht weht. Die
Antwort lautet wahrscheinlich: weil dieser Antrag von
der FDP kam.
({9})
Ich habe deshalb die Bitte: Stehlen Sie im nächsten Jahr
unsere Idee - damit tun Sie etwas für die kommenden
Generationen - und beschließen Sie den entsprechenden,
dann von Ihnen eingebrachten Antrag! Damit haben Sie
ja Erfahrung; schließlich machen Sie es bei der
Agenda 2010 genauso.
({10})
Sie haben unsere Haushaltsanträge, wie üblich, abgelehnt. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir
welche gestellt haben. In diesen Anträgen ging es um
Reaktorsicherheit, um Endlagerung und nicht um den
Ausstieg aus dem Ausstieg. Unabhängig davon, wie
lange Kernspaltung zur Energieerzeugung genutzt werden soll, gilt: Wir brauchen die Forschung zur weiteren
Verbesserung des sicheren Betriebs der Kernkraftwerke - auch Sie wollen sie bis 2032 laufen lassen und zur überfälligen Lösung des Endlagerproblems. Das
sind wir den kommenden Generationen schuldig.
({11})
Apropos Kernenergie: Es ist schon drollig, dass der
Minister das Abschalten eines Kraftwerks in Zeitungsanzeigen feiert, obwohl es sowieso, also auch ohne RotGrün, abgeschaltet worden wäre.
({12})
Weniger drollig ist, dass der Minister Geld des Steuerzahlers für Anzeigen und Siegesfeiern mit alten Weggefährten verpulvert. Herr Trittin, wenn Sie mit Freunden
feiern wollen, dann zahlen Sie die Party doch demnächst
selbst!
({13})
Was hat der Minister außer EEG und Atomausstiegsfeiern noch zu bieten? - Nicht mehr so viel.
Stichwort Lärm. Das 32 Jahre alte Lärmschutzgesetz
ist so aktuell, dass der Schallpegel auf dem Flughafen
meines Wahlkreises in Dortmund gerade einmal auf der
Startbahn erreicht wird. Dort ist die Schutzzone I nach
dem Fluglärmgesetz. Rot-Grün verspricht den Menschen, die in der Einflugschneise wohnen, seit fünf Jahren ein neues Fluglärmgesetz. Dieses Gesetz gibt es bis
heute nicht.
({14})
Stichwort Mobilfunk. Der Verbraucher sollte beim
Kauf eines Handys informiert sein, ob das Gerät strahlungsarm ist oder nicht. Sie, Herr Trittin, haben vor einem Jahr ein Gütesiegel eingeführt. Die Hersteller boykottieren es bis heute und Sie nehmen das hin. Verändert
hat sich auch hierbei nichts.
({15})
Stichwort Hochwasserschutz. Die FDP hat im Juli
einen umfassenden Antrag zum Hochwasserschutz eingebracht. Statt darauf mit einer Rede oder mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs zu reagieren, haben Sie
der Öffentlichkeit am Jahrestag des Hochwassers in
Dresden, quasi auf dem Deich, einen Gesetzentwurf angekündigt.
({16})
Diesen Gesetzentwurf gibt es bis heute nicht. Bringen
Sie ihn bitte in den Deutschen Bundestag ein!
({17})
Herr Minister, einen Ihrer wenigen Erfolge habe ich
fast vergessen: das Dosenpfand. Dieses Desaster
braucht man nicht wirklich zu kommentieren.
({18})
Die Befragung von Prognos und FU Berlin im Umweltausschuss hat gezeigt, dass Sie aus journalistischen Recherchen Studien machen, Ergebnisse abenteuerlich
hochrechnen und die Wahrheit so lange verdrehen, bis
Ihnen die Zahlen passen. Das Prognos-Gutachten hat ergeben: Verlierer sind 10 000 Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben.
({19})
Ich war selbst bei der Betriebsversammlung einer
Brauerei in meinem Wahlkreis. Dort mussten Arbeiter
auf Teile ihres Lohns verzichten, um ihren Arbeitsplatz
zu erhalten, weil das Dosenpfand die Umsätze hat einbrechen lassen. Ich empfehle Ihnen, einmal zu solchen
Veranstaltungen zu gehen oder Ihren Staatssekretär dorthin zu schicken. Die Kollegen von Rot-Grün aus meinem Wahlkreis sind jedenfalls der Einladung von Betriebsrat und Gewerkschaft nicht gefolgt. Sie wussten
wohl, warum: weil sie Sie nicht verteidigen wollten.
({20})
Dieser Haushalt ist verfassungswidrig, wir werden
ihn deshalb ablehnen. Wir, die FDP, werden Ihnen auch
weiterhin Ihre umweltpolitische Untätigkeit - außerhalb
von Dosenpfand und EEG - nicht durchgehen lassen.
Sie experimentieren mit Steuern und Abgaben und
Zuschüssen, ohne zu wissen, welche ökologische Wirkung das hat. Wir setzen auf ökologische Treffsicherheit
durch Mengensteuerung. Wir wollen Umweltschutz
preiswerter und unbürokratischer machen. Die FDP setzt
neue Akzente in der Umweltpolitik. Wir befinden uns im
programmatischen Aufbruch, während Sie von der programmatischen Substanz leben. „Grün macht schlapp“,
Herr Minister; die erneuerte FDP wird die Lücke füllen,
die Sie hinterlassen.
Vielen Dank.
({21})
Herr Kollege Kauch, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages und
verbinde das mit allen guten Wünschen für die weitere
parlamentarische Arbeit.
({0})
Nun hat der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! So viel Optimismus macht Freude. Mich erinnert das an das Projekt 18.
({0})
Wenn die FDP die Grünen ökologisch überholen will,
dann muss sie allerdings noch früher aufstehen.
Herr Kauch, ich werde mich im Laufe meiner Rede
auch auf Sie beziehen, aber gestatten Sie zunächst ein
paar grundsätzliche Bemerkungen; Sie sehen dann auch
gleich den Bezug.
Umweltpolitik tut sich in Zeiten von Wirtschaftskrise,
von hoher Arbeitslosigkeit, von Krisen überall auf der
Welt ausgesprochen schwer. Immer häufiger werden Anwürfe vorgebracht, die wir von früher kennen. Von der
FDP haben wir eben die Variante gehört, Umweltschutz
sei zu teuer, Umweltschutz schade der Wirtschaft,
({1})
gefährde den Standort - nein, diese Plattitüde haben Sie
heute nicht gebracht -, gefährde Arbeitsplätze - diese
Plattitüde haben Sie gebracht.
Sozusagen als Krönung sagen Sie, Sie wollten eine
effiziente Umweltpolitik, eine preiswerte Umweltpolitik,
die eigentlich nichts kostet, eine Umweltpolitik mit anderen Instrumenten. Wenn man dann fragt: „Was ist Ihr
Instrument?“, erhält man keine Antwort.
({2})
Entweder empfehlen Sie etwas, was nachweislich nicht
funktioniert, oder Sie empfehlen Ihr Dauerinstrument:
Markt, Markt, Markt. Der Markt soll es richten. Dabei
wissen wir aus der Geschichte: Er hat es nie gerichtet, allenfalls falsch gerichtet, jedenfalls nie ökologisch gerichtet.
({3})
Es ist ein Totschlagsargument, eines dieser Argumente
also, die die Debatte nicht weiterbringen.
Alle Umweltpolitiker - da appelliere ich durchaus
auch an die Opposition - sollten sich diesem neuen
Trend, der eigentlich ein alter Trend ist, entgegenstellen,
nämlich dem Trend, dass gesagt wird, Umweltschutz
schade der Wirtschaft. Dabei ist doch offenkundig, dass
gerade moderne Umweltpolitik im Sinne einer nachhaltigen Umweltpolitik sozial und ökologisch ausgewogen
ist und auch Arbeitsmarktfragen berücksichtigt. In Ihrer
Rede habe ich zum Beispiel eine Aussage dazu vermisst,
was Ihr Ziel ist, was Sie wirklich erreichen wollen, wen
Sie schützen wollen.
Es ist schon ziemlich scheinheilig, wenn Sie über verloren gegangene Arbeitsplätze in der Dosenwirtschaft
Tränen vergießen, aber nicht danach fragen, welche Arbeitsplätze etwa im Bereich von Mehrweg gefährdet
sind. Das ist nur ein Beispiel. Wenn man ausgewogen
sein will, muss man in jede Richtung denken.
({4})
Ökologische Politik muss aber auch die Belastungsgrenzen für die Umwelt in den Mittelpunkt stellen. Ökologische Politik muss darauf hinweisen, dass es solche
Grenzen gibt und dass wir als Politiker und Politikerinnen reagieren müssen, wahrscheinlich mehr reagieren
müssen, als es bisher geschehen ist.
Beispiel Flutkatastrophe. Hierbei ist klar geworden:
Wenn wir Flusssysteme weiter wie Kanalsysteme oder
wie große Straßen behandeln, dann können sie im Falle
von hohen Niederschlägen die Mengen nicht mehr aufnehmen.
Beispiel Klimaschutz. Wir wissen es schon lange,
aber der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung
„Globale Umweltveränderungen“ hat es erneut sehr
deutlich gesagt: Wir sind auf einem hochgefährlichen
Weg. Es ist völlig klar, dass das oberste Ziel moderner
Umweltpolitik eine konsequente Klimaschutzpolitik sein
muss.
({5})
Die beiden Parlamentsfraktionen von Rot-Grün haben
mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, mit dem Vorschaltgesetz zur Photovoltaik und jetzt mit der Novelle
Umwelt- und Klimaschutzpolitik in diesem Sinne vorangetrieben. Sie haben immer nur marktwirtschaftliche
Einwendungen vorgebracht, aber keinen substanziellen
Vorschlag gehabt, der deutlich gemacht hätte, wie man
auf anderem Wege erfolgreich sein könnte.
Ich möchte an einigen Beispielen zeigen, was nach
unserem Verständnis moderne, nachhaltigkeitsorientierte
Umweltpolitik ist.
Beispiel eins - ich habe es schon erwähnt -: Hochwasserschutz. Hochwasserschutz ist ein klassisches
Querschnittsfeld, schwierig, weil man in die Bau-, in die
Verkehrs-, aber auch in die Agrarpolitik eingreifen muss.
Der Umweltminister hat in Zusammenarbeit mit den
Fraktionen - Sie haben das eingeklagt - einen ambitionierten Gesetzentwurf erarbeitet, der sich gerade in der
Abstimmung mit den anderen Ressorts befindet. Darin
sind Bebauungsverbote, Maßnahmen zum naturnahen
Hochwasserschutz, Vorschläge zur Nutzungsbeschränkung usw. vorgesehen. Das heißt, wir haben gearbeitet.
Ich bin gespannt, welche Vorschläge die FDP und die
CDU/CSU zum Beispiel zum Thema Hochwasserschutz
bringen. Es genügt nicht, zu sagen, man müsse etwas
tun. Legen Sie doch einmal etwas vor!
Herr Kollege Hermann, darf der Kollege Kauch eine
Zwischenfrage stellen?
Ja.
Herr Kollege Hermann, stimmen Sie mir zu, dass das
Bundesumweltministerium schon im Jahr 2000 einen
Entwurf zu einem Fluglärmgesetz auf seiner Internetseite veröffentlicht hat, dieser Entwurf aber in der Ressortabstimmung, offensichtlich insbesondere vonseiten
des Bundesverkehrsministeriums, nicht befürwortet
wurde, Sie dann jahrelang nichts getan haben und erst
jetzt, da die FDP eine Kleine Anfrage zum Fluglärm gestellt hat, den Entwurf ganz schnell aus der Schublade
geholt haben
({0})
und am heutigen Tag, also am Tag dieser Debatte, mit
der Ressortabstimmung begonnen haben?
Herr Kollege, ich sehe Ihnen nach, dass Sie nicht alles
wissen, weil Sie noch nicht so lange dabei sind. In der
Tat gab es in der letzten Legislaturperiode einen ambitionierten Entwurf vonseiten des Bundesumweltministeriums. Dieser ambitionierte Entwurf wurde von beiden
Koalitionsfraktionen unterstützt, aber im Bundesrat
schwer bekämpft.
({0})
Die Bundesländer als Eigner von Flughäfen haben uns
signalisiert, dass sie da nicht mitmachen, da das zu viel
koste usw. Genau dieselben Argumente, die ich vorhin
angeführt habe, sind gekommen.
({1})
Aus diesen Gründen haben wir den Gesetzentwurf dann
gar nicht erst eingebracht.
Ich verspreche Ihnen aber, dass wir in dieser Legislaturperiode, und zwar im nächsten Jahr, einen neuen Anlauf unternehmen werden. Wir befinden uns in Gesprächen mit dem Umweltministerium und mit der SPDFraktion. Wir bereiten dieses Fluglärmgesetz bereits vor.
({2})
Ich werde übrigens nachher noch einmal etwas zum
Thema Lärm sagen. Ich kann Ihnen versprechen, dass
wir mit großem Engagement daran arbeiten werden. Ich
bin einmal gespannt, ob die FDP zustimmt. In der Regel
stellt sich die FDP ja am Schluss immer auf die Seite derer, die fragen, was das denn koste. Sie werden dann argumentieren, das sei doch viel zu teuer und gefährde die
Arbeitsplätze in der deutschen Flugwirtschaft.
({3})
Ich mache weiter mit einem zweiten Bereich, nämlich
den Schadstoffemissionen. Wir haben einige Vorschläge zur Verbesserung der Luftreinhaltung gemacht.
Wir wissen, dass in den vergangenen Jahren viel geschehen und manches besser geworden ist. In manchen Bereichen gibt es aber noch Nachholbedarf. Beispielsweise
gab es bei Anlagen, die Zement produzieren, bei der
Mitverbrennung von Gewerbemüll und bei Großfeuerungsanlagen in der Raffinerieindustrie, für die es Ausnahmen hinsichtlich der Grenzwerte gibt, Probleme. Sie
machen große Augen - offensichtlich können Sie es
nicht nachvollziehen. Wir haben entsprechende Maßnahmen im Umweltausschuss verabschiedet. Da zu einem
Teil noch der Bundesrat seine Zustimmung geben muss,
können Sie dazu beitragen, dass unsere anspruchsvolle
Schadstoffbegrenzungspolitik, die das klare Ziel verfolgt, die Schadstoffausstöße zu minimieren, von Erfolg
gekrönt wird.
Dritter Bereich: Umweltschutz und nachhaltiges
Wirtschaften im Bereich der Chemieindustrie. Ich finde
dieses Projekt wirklich spannend und frage mich, ob es
wirklich so, wie es angelegt ist, gelingt. Vor einigen Jahren haben sowohl die Gewerkschaften als auch die Umweltpolitiker und selbst die Wirtschaft ein neues Registrierungs- und Überprüfungsverfahren für chemische
Stoffe gefordert. Daraufhin ist auf EU-Ebene ein sehr
ambitioniertes Konzept entwickelt worden. Natürlich ist
auch dieses ambitionierte Projekt im Moment im Sperrfeuer der Wirtschaftspolitiker, die darauf drängen, dass
das nicht zu viel kostet. Ich bin wirklich gespannt, auf
welche Seite Sie sich stellen. Vielleicht kommen Sie ja
dazu, wie wir zu sagen, dass moderne und nachhaltige
Umweltpolitik natürlich arbeitsmarkt- und industriepolitische Fragen berücksichtigen muss, aber am Schluss
nicht Umwelt-, Gesundheits- und Naturschutz auf der
Strecke bleiben dürfen, weil man letztendlich doch nur
Wirtschaftsschutz im Auge hat.
({4})
Vierter Bereich: Lärmschutz. Ich habe schon Ausführungen zum Fluglärm gemacht. Wir werden aber
noch weiter gehen. Wir sind der Meinung, dass Lärm ein
großes Problem ist, denn es betrifft fast alle. Der Lärm
entsteht überwiegend im Verkehrsbereich: Straßenverkehr, Flugverkehr.
({5})
Wir werden zwei EU-Richtlinien, nämlich die EU-Richtlinie zu Umgebungslärm und die EU-Richtlinie zu lärmbedingten Betriebsbeschränkungen an Flughäfen, aufgreifen und im nächsten Jahr für Deutschland gesetzliche
Maßnahmen ergreifen.
({6})
Ich verspreche Ihnen: Wir werden Ihnen ein ambitioniertes Lärmbekämpfungspaket vorlegen. Auch in diesem
Fall werde ich Ihnen die Frage stellen: Tragen Sie mit
uns gemeinsam zum Menschenschutz und Gesundheitsschutz bei oder werden Sie wieder die Bedenkenträger
sein, die sagen, dass das zu viel koste und der Wirtschaft
schade? Das wird die Gretchenfrage an Sie sein.
({7})
Mein letztes Beispiel. Nachhaltigkeit heißt aus unserer Sicht auch, Risiken frühzeitig zu erkennen und sie
rechtzeitig einzudämmen. Ein Problemfeld sind die Dieselfahrzeuge. Wir haben über Jahre hinweg - übrigens
aus Umweltschutzgründen - das Fahren von Dieselfahrzeugen gefördert. Nun wissen wir aber aus neueren Untersuchungen, dass die neue Dieselgeneration, die in
Deutschland sehr verbreitet ist, die nämlich etwa 30 Prozent aller Fahrzeuge ausmacht, aufgrund der Feinstpartikel im Ruß erhebliche Krebsrisiken birgt. Hier ist Umweltvorsorgepolitik gefragt, hier müssen wir handeln.
Das Umweltministerium hat versucht, zusammen mit
der Wirtschaft eine Lösung zu finden:
({8})
Auf europäischer Ebene soll die Euro-5-Norm, ein klares Bekenntnis zur Minimierung der Partikel, etabliert
werden, was faktisch bedeutet, dass wir eine Art Rußfilter bekommen. Auch hier war der Einwand der deutschen Automobilindustrie: Das ist uns zu teuer.
({9})
Es ist wirklich ein Ärgernis, dass die deutsche Automobilindustrie, obwohl sie über einen Rußpartikelfilter
schon verfügt und ihn einbauen könnte, sich weigert, das
serienmäßig zu tun. Sie wartet, bis die Politik Druck
macht. Das ist eine Schande.
({10})
Herr Kollege Hermann, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Feibel?
Gerne; das verlängert ja meine Redezeit. Nur zu!
Ihre Redezeit ist im Übrigen ohnehin durch ein Streiken der Uhr künstlich verlängert worden, wenn ich das
zwischendurch einmal anmerken darf.
Ich wunderte mich schon, dass er so lange redet; eigentlich hat er wesentlich weniger Redezeit als ich, ich
habe aber das Empfinden, er spricht länger.
Kollege Hermann, ist Ihnen bekannt, dass die deutsche Automobilzulieferindustrie dabei ist, eine „Common Rail“-Einspritzpumpe weiterzuentwickeln, die derzeit mit 1 600 Bar arbeitet und später mit 2 000 Bar
arbeiten wird, wodurch jegliche Rußpartikelfilter, die ja
sehr aufwendig und auch sehr belastend sind, überflüssig
werden? Ist das den Grünen überhaupt bekannt?
({0})
Herr Kollege, den Grünen sind die Zahlenwerte, die
Sie gerade genannt haben, in der Tat nicht bekannt. Aber
wir wissen, dass es unterschiedliche Techniken zur Bekämpfung des Dieselrußes gibt. Deswegen haben wir nie
auf einen Weg gesetzt, der den Rußpartikelfilter par
ordre du mufti vorschreibt.
({0})
Was wir aber wollen und woran wir mit dem Umweltministerium gearbeitet haben, ist die Absenkung der
Grenzwerte für Rußpartikel und übrigens auch für Stickstoffverbindungen, und wir sind der Meinung, dass die
Automobilfirmen und ihre Zulieferer diese Grenzwerte
erreichen müssen, mit welcher Technik auch immer.
({1})
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat übrigens einen Preisträger aus Karlsruhe ausgezeichnet, der eine
solche Anlage herstellt.
({2}): Das
wollte ich auch gerade sagen! - Ulrich Kelber
[SPD]: Den habt ihr vertrieben!)
- Okay, er hat eine Niederlassung im Sauerland, warum
auch immer.
({3})
Jedenfalls gibt es Techniken; es gibt den Partikelfilter
und bestimmte Einspritzsysteme. Es wäre also möglich.
Trotzdem hat sich unsere Automobilindustrie mit der
französischen Automobilindustrie gemein gemacht und
unsere Initiative bezüglich einer schnellen Regelung auf
europäischer Ebene bekämpft. Sie wollten diese Techniken nicht, denn die Grenzwerte waren ihnen zu niedrig.
({4})
Wir werden als Koalitionsfraktionen eine Initiative
starten; denn ich finde, Umweltpolitik muss vor allem
Gesundheitsschutzpolitik sein und Vorsorge treffen. Das
wird unser Handeln bestimmen. Wir werden schon im
nächsten Jahr eine gemeinsame rot-grüne Initiative starten, begleitet übrigens von den Umweltorganisationen.
Wir werden es der Automobilindustrie ungemütlich machen. Wir werden sie durch öffentlichen und politischen
Druck dazu bringen, dass sie eine neue Euro-5-Norm akzeptiert, die dann auch wirklich die Möglichkeit für eine
Steuerpolitik in Deutschland eröffnet, die die modernen
Abgastechniken fördert. Übrigens hat interessanterweise
der Bundesrat schon einen Beschluss in dieser Richtung
gefasst. Sie können also auch hier mit uns eine Partnerschaft eingehen und mit uns für einen ambitionierten und
nachhaltigen Umweltschutz kämpfen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Lippold, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich hoffe, Sie behandeln mich bei der Redezeit
genauso gnädig wie den Kollegen Hermann. Das würde
mir helfen.
Umweltschutz ist für die Union Gesundheitsschutz
und Schutz zukünftiger Generationen. Die zentralen
Ziele für die Union sind: Klimaschutz, Schutz der Weltmeere, Arterhaltung, Schutz der Wälder, Schutz vor zunehmender Desertifikation. Soweit zu den Zielkatalogen, Herr Hermann, die Sie angemahnt haben. Daran
haben wir in der Vergangenheit gearbeitet; ich sage: erfolgreicher als Sie.
({0})
Daran werden wir in Zukunft wieder arbeiten; ich sage:
erfolgreicher als Sie.
Wir müssen - das sage ich ganz deutlich - international wesentlich mehr tun. Darauf komme ich noch
zurück, denn da liegt eine besondere Schwäche dieses
Umweltministers. Wir müssen natürlich auch national
handeln, damit wir unsere internationale Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Da fängt es an. Bei dieser Aufgabe
versagt dieser Bundesminister mit einer rückwärts gewandten Politik, die sich auf eine veraltete Verpackungsverordnungspolitik beschränkt,
({1})
und mit einem völlig falschen Energiekonzept, wobei
dieses Energiekonzept im Grunde gar kein geschlossenes Konzept ist. Das ist der eigentliche Punkt.
({2})
Das Klimaschutzziel, das wir uns für 2005 gemeinschaftlich gesetzt haben - Reduktion um 25 Prozent wurde von Ihnen aufgegeben.
({3})
Es wird gar nicht mehr dargestellt. Dass Sie das für 2005
gesetzte Ziel nicht erreichen, verschleiern Sie jetzt nebelhaft durch die Ankündigung, dass Sie 2020 etwas
ganz Unheimliches erreichen wollen. Das ist doch
Quatsch. Erreichen Sie erst einmal die nahe liegenden
Ziele und vertrösten Sie uns nicht immer auf die Zukunft!
({4})
Ich habe gerade hier Herrn Stolpe erlebt - nichts als
Ankündigungen. Dann kommt Herr Hermann und sagt:
„Das werden wir“ und „Das wollen wir“. Sagen Sie uns
doch einmal: „Das haben wir.“
({5})
Ich will ganz deutlich sagen: Wir haben nachhaltig
zur CO2-Reduktion beigetragen. Wir haben die FCKWs
vollständig beseitigt. Wenn wir eine Politik wie dieser
Bundesminister betrieben hätten, würden wir heute noch
über das Ersetzen von FCKWs sprechen. Wir haben das
damals kurz entschlossen durchgebracht.
Und jetzt sagen Sie, Sie hätten das eine oder andere
Ziel mithilfe der Ökosteuer und von Maßnahmen im Altbaubestand erreicht. Ich sage dazu: Das sind Täuschungsmanöver.
({6})
Ihre Ökosteuer wirkt nicht. Sie verwechseln den rückläufigen Verbrauch in der Wirtschaft und beim Konsum
mit Maßnahmen der Ökosteuer. Richtig ist: Dadurch,
dass Sie die Wirtschaft in den Keller fahren, ist der Verbrauch geringer, als er sonst wäre. So einfach ist das.
({7})
Wie Sie wissen, kann ich mich dabei Gott sei Dank
auf die noch nicht völlig unterjochten Bundesämter stützen. Zum Beispiel sagt das Statistische Bundesamt ganz
deutlich - einige von Ihnen haben das ja auch öffentlich
zitiert -: Es gibt bei einigen Indikatoren Anzeichen für
einen leichten Rückgang. - So weit wird es von Ihnen zitiert. Im nächsten Absatz heißt es: das ist aber nur deswegen der Fall, weil die Wirtschaft stagniert und die
Verbraucher sich zurückhalten.
({8})
Deshalb ist das keine Trendwende, sondern nur eine
Folge Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik, die so ruinös
ist, dass die Arbeitslosigkeit in ungekannte Höhen steigt.
Sie tun nichts dagegen und haben kein Konzept. Das ist
wirklich nicht zu verantworten. Glauben Sie doch nicht,
dass Sie mit der Politik von Rentenklau und Verunsicherung, die Sie betreiben, den Verbrauch stabilisieren.
({9})
Wenn irgendwann einmal wieder eine Regierung die
Wirtschaft auf Wachstumskurs bringt, dann werden wir
sehen, dass man ganz andere Maßnahmen braucht.
Sie setzen auf Kernenergieausstieg. Wir halten das
für falsch. Sie tun nichts für die Effizienzsteigerung von
Kohle- und Ölkraftwerken.
({10})
Das, was Sie dazu andeuten, haben Sie aus unserem Programm geklaut. Aber Sie bringen keine effizienten Maßnahmen auf den Weg. Damit verspielen Sie Exportchancen.
Sie haben auch kein schlüssiges Konzept zur Energieeinsparung. Das ist aber eine ganz wesentliche
Frage. Der Kollege von der FDP hat in seiner Jungfernrede deutlich gemacht, dass man nicht automatisch gegen regenerative Energien ist, wenn man gegen eine Politik ist, die hinsichtlich regenerativer Energien
ineffizient ist und keinen Anreiz für Innovation bietet,
Dr. Klaus W. Lippold ({11})
weil dahinter kein Konzept steht. Das ist der Punkt, den
wir kritisieren.
({12})
Aber darüber - da hat der Kollege Kauch völlig Recht denken Sie überhaupt nicht nach. Dieser Umweltminister denkt in eingefahrenen Bahnen, aber nicht innovativ.
Das muss man ihm vorhalten.
Deshalb sagen wir: Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die der Wirtschaft und auch den Verbrauchern
Geld für Innovationen lässt. Mit diesen Innovationen
und Investitionen kann mehr zum Umweltschutz beigetragen werden, als das sonst der Fall ist. Wer alte Maschinen behält - Beispiel: die frühere DDR -, wird nie
etwas für den Umweltschutz tun können. Nur wer in
neue Technologien und neue Anlagen investiert, der
kann wirklich Ergebnisse erzielen. Genau das wollen
wir. Aber mit Ihrer Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und
Steuerpolitik machen Sie das kaputt.
({13})
Wir stehen vor der ganz schwierigen Frage, wie Sie
mit dem Instrument Emissionshandel umgehen werden.
Wir wissen immer noch nicht, wie Sie Early Action einbauen wollen, wie Sie es mit der Vorleistung bei der Klimagasreduktion halten wollen und wie Sie - umweltverträglich - Flexibilität für die Wirtschaft schaffen wollen,
was dann zu Produktionserweiterungen und zu Existenzgründungen führt. Es ist auch nicht klar, welchen Ausgleich Sie für die nach dem von Ihnen vorgesehenen
Ausstieg fehlende Kernenergie vorsehen. Die fehlende
Energie werden Sie durch Energie ersetzen müssen, deren Produktion CO2-haltig ist - zumindest in großen Teilen.
Wann bringen Sie den nationalen Allokationsplan ins
Parlament? Wir werden nicht zulassen, dass bei einer der
wichtigsten Entscheidungen der Nachkriegszeit hinsichtlich der Umwelt- und Wirtschaftspolitik diese Regierung
im Alleingang handelt.
({14})
Bei einer anderen Regierung könnte man so verfahren.
Aber doch nicht bei diesem Umweltminister, der von
Lenkungsideologie, die wir ablehnen, geprägt ist. Deshalb wollen wir von Ihnen eine Antwort auf diese Frage
haben.
({15})
Was tun Sie eigentlich auf höchster Ebene, damit das
Kioto-Protokoll in Kraft tritt? Da gibt es - davon hört
man immer wieder - diese unsägliche Achse Berlin-Moskau.
({16})
Was leistet diese Achse Berlin-Moskau? Außer dass sie
uns im östlichen Europa unglaubwürdig macht, leistet
sie bislang gar nichts. Es ist nicht absehbar, dass Moskau
jetzt bereit ist, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren. Jetzt
bedarf es nachhaltiger Anstrengungen auf höchster
Ebene, damit in diesem Bereich etwas läuft.
({17})
Es fehlt auch der nötige Druck. Diesen Vorwurf können
wir Ihnen nicht ersparen.
Herr Hermann hat schon viel zu den Schadstoffen gesagt. Wenn ich mir überlege, was wir in diesem Bereich
auf den Weg gebracht haben, dann muss ich sagen, dass
Sie dem wenig hinzugefügt haben. Das heißt, Sie leben
von unseren Vorleistungen wie in der Klimaschutzpolitik.
Mich stört auch, dass Sie immer nur an Bürokratie
und an Verbürokratisierung, aber nicht an Kooperation
mit den Menschen denken. Ob es um die Landwirtschaft
oder ob es um andere Bereiche geht: Sie machen Auflagen und verabschieden Verordnungen, die die Menschen
einengen und die ihnen die Möglichkeit zum Handeln
nehmen. Aber es gibt keine Kooperation, die dafür sorgt,
dass man mit den Menschen eine gemeinsame Basis findet.
({18})
Der Waldschutz ist ein spezifisch nationaler Bereich,
der aber gleichzeitig zu Konsequenzen auf internationaler Ebene führt. Sie haben sich mittlerweile sagen lassen
müssen, dass man der Bodenversauerung durch Verkalkung begegnen kann. Aber was tun Sie? Sie kürzen die
entsprechenden Mittel. Das ist doch keine sinnvolle Politik. Sie haben uns damals erklärt - obgleich wir für den
Schutz des Tropenwalds Mittel wie kein anderes Land
der Erde zur Verfügung gestellt haben -, dass da mehr
getan werden müsse. Aber jetzt kürzen Sie die Mittel für
die Wälder im internationalen Bereich. Das kann es doch
wohl nicht sein.
({19})
Zwischen Reden im Bundestag und der Realität klafft
eine ganz erhebliche Lücke.
({20})
Herr Hermann, wir setzen nicht auf Belastungen wie
Steuern, Abgaben und Gebühren, sondern wir setzen auf
Kooperation, Selbstverpflichtung und darauf, dass
marktwirtschaftliche Instrumente greifen. Ich sage noch
einmal: Es darf keine Selbstverpflichtung à la Baake und
Trittin geben. Das würde die Denaturierung dieses Instruments bedeuten. Sie sagen: Wenn ihr nicht macht,
was wir wollen, dann setzen wir unsere Ziele mit dem
Ordnungsrecht um. - So läuft es bei Ihnen. Das ist die
Denaturierung eines der erfolgreichsten Umweltschutzinstrumente, die wir haben und dieses Instrument müssen wir weiter fördern.
Wir werden auch in Zukunft die regenerativen Energien fördern, aber wir werden auch eine Deckelung insgesamt einführen. So wird es eine Deckelung bei der
Photovoltaik geben. Ich füge hinzu: Wir werden mit der
Ausschreibung für mehr Innovation sorgen. Das heißt,
Dr. Klaus W. Lippold ({21})
wir wollen mehr Leistung bei gleichem Geld. Sie aber
wollen mehr Geld bei weniger Leistung. Darin unterscheiden wir uns.
({22})
Wir wollen eine Industriepolitik, die in Zukunft auf
Dauer ermöglicht, dass die Dinge effektiv gehandhabt
werden und es Investitionen in neue Anlagen gibt, die
mehr Umweltschutz mit sich bringen. Das sollte auch für
die Verbraucher gelten. Denn wenn Sie den Verbrauchern das letzte Geld wegnehmen, kann nicht in den Altbaubestand investiert werden. Das alles sollten Sie beherzigen.
Ich möchte ein Letztes feststellen - Herr Trittin, dies
habe ich Ihnen schon einmal gesagt; vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse sage ich es erneut -: Ich
halte es für völlig falsch, wie die Spitze des Hauses - das
betrifft Sie und Herrn Baake - mit Menschen umgeht.
Herr Baake sagt, die Arbeitsplatzvernichtung sei gewollt. Sie feiern die Vernichtung von Arbeitsplätzen in
Kernkraftwerken mit Sekt. Das halte ich für eine Unanständigkeit ersten Ranges. Sie geben dafür Geld aus. Das
ist Steuergeld; das muss man ganz deutlich sagen.
Stattdessen machen Sie Vorschläge - diese könnten
einen möglichen Aufschwung ruinieren -, wie man die
Erbschaftsteuer erhöhen und die Vermögensteuer wieder
einführen könnte. Wenn man eine solche Politik macht,
wie Sie bzw. die Bundesregierung es tun, nämlich à la
Gerster in Kommunikation zu investieren, ohne dass
eine reale Leistung dahinter steht, dann bleibt auf Dauer
nichts anderes übrig, als die Erbschaftsteuer zu erhöhen
und die Vermögensteuer wieder einzuführen. Aber das
ist ein völlig falscher Weg. Deshalb: Hören Sie auf damit, solche Feten zu feiern! Das ist unanständig.
({23})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegen Reinhard Loske.
Herr Lippold, Sie haben drei Dinge angesprochen, auf
die ich kurz replizieren möchte. Sie haben erstens gesagt, die Regierung tue nichts für die Altbausanierung
und die Effizienz. Zweitens haben Sie festgestellt, sie tue
nichts dafür, dass die Effizienz von Gaskraftwerken
steige. Drittens haben Sie gesagt, die Bundesregierung denaturiere - so haben Sie sich, glaube ich, ausgedrückt das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung.
Dazu drei Antworten:
Erstens zum Thema Altbausanierung. Als wir im
Jahre 1998 an die Regierung kamen, lag der Haushaltsansatz der Bundesregierung für das KfW-CO2-Minderungsprogramm bei 20 Millionen DM. Dieser Ansatz
liegt heute bei 380 Millionen Euro pro anno. Das ist ein
Faktor von 38. Das ist genau der Faktor, um den sich die
Qualität unserer Umweltpolitik von Ihrer früheren unterscheidet.
({0})
So weit zur historischen Wahrheit.
Zweitens. Sie haben gesagt, es werde nichts für die
Effizienz von Gaskraftwerken getan. Fakt ist, dass
diese Regierung 1999 eingeführt hat, dass Erdgas, wenn
es in hocheffizienten Kraftwerken eingesetzt wird, jenseits eines bestimmten Wirkungsgrades von der Erdgassteuer befreit wird. Das haben wir jetzt umgesetzt. Das
wird dazu führen, dass in Lubmin bei Greifswald, in
Hürth bei Köln und möglicherweise auch an anderen
Standorten hocheffiziente, moderne Gas- und Dampfturbinenkraftwerke gebaut werden.
Das heißt, diese Regierung tut auf technologiepolitischem Gebiet und im Rahmen steuerlicher Anreize sehr
viel dafür, dass neue, hocheffiziente Kraftwerke entstehen. Das trifft übrigens auch für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu, die wir jenseits eines Wirkungsgrades
von 70 Prozent generell von der Ökosteuer freigestellt
haben. Kleine Anlagen, also Blockheizkraftwerke, sind
sogar von der Stromsteuer und der Erdgassteuer befreit.
Es ist also völlig unwahr, wenn Sie sagen, es werde seitens der Regierung nichts für eine hocheffiziente Kraftwerkstechnik getan. Das ist einfach falsch. Bitte nehmen
Sie das zur Kenntnis!
({1})
Drittens zur freiwilligen Selbstverpflichtung. - Dies ist
mein letzter Punkt; meine Redezeit ist gleich vorbei. - Kurz
zur Historie: 1995, als die Bundesregierung unter Helmut
Kohl die freiwillige Selbstverpflichtung eingeführt hat, hat
sie gesagt: Wir werden darauf verzichten, das Instrument
der Wärmenutzungsverordnung und der ökologischen
Steuerreform einzuführen, wenn verbindliche freiwillige
Selbstverpflichtungen eingegangen werden. - Das ist
vollkommen vernünftig gewesen. Denn Freiwilligkeit
heißt, dass immer dann, wenn freiwillige Zusagen nicht
erreicht oder nicht eingehalten werden, das Ordnungsrecht greift. Das ist der tiefere Sinn. Denn als zahnloser
Tiger, so wie Sie das vorhatten, sind freiwillige Selbstverpflichtungen ganz und gar ungeeignet.
Danke schön.
({2})
Kollege Lippold, bitte.
Damit wir uns richtig verstehen, Herr Loske: Der
erste Punkt ist, dass ich nicht von Gaskraftwerken gesprochen habe. Ich habe generell von den fossilen Energieträgern gesprochen. Sie wissen ganz genau, dass eine
der zentralen Fragen ist, wie wir in der Grundlast von
Kohle und Öl wegkommen. Wir sollten bei diesen TechDr. Klaus W. Lippold ({0})
nologien etwas tun. In den letzten Verlautbarungen der
Grünen zu dieser Sache habe ich gelesen, dass Sie unseren Ideen zu folgen scheinen. Wir propagieren schon seit
vielen Jahren, dass wesentlich mehr Aufwand in die Effizienzverbesserung gesteckt werden müsste.
Der zweite Punkt, auf den ich jetzt noch einmal eingehen will, ist, dass wir bei der KWK darauf achten müssen - das berücksichtigen Sie nach meinem Dafürhalten
nicht hinreichend -, dass wir ausschließlich wirklich
wärmegeführte KWK haben, weil ansonsten die Effizienz, die Sie reklamieren, nicht gegeben ist. Das ist der
Kernpunkt, den man im Auge haben muss.
Der dritte Punkt sind die freiwilligen Selbstverpflichtungen. Sie wissen, dass man in der Frage des Ziels sehr
hart miteinander ringen muss. Das haben wir gemacht;
wir sind ja keine Kinder, die nicht wissen, wie die Realität in dieser Welt aussieht. Aber wenn Sie bezüglich der
Instrumente Überlegungen stellen und vorschreiben wollen, wie die vereinbarten Ziele erreicht werden müssen,
bewirkt das eine Bürokratisierung und macht die Selbstverpflichtungen ineffizient und führt sie letztlich ad absurdum. Deshalb, Herr Loske, sind wir mit der Frage der
Wirksamkeit dieses Instruments wesentlich besser umgegangen, als es die jetzige Regierung tut. Ich sage ja gar
nicht, wie Sie es gemacht hätten. Ich erinnere mich an
Ihre früheren Kritiken an diesem Umweltminister. Das
könnten wir jetzt alles noch im Detail abhandeln. Jedenfalls sind wir mit diesem Instrument wesentlich besser
und wesentlich verträglicher umgegangen, als Sie es tun.
Sie sagen: Wir wollen dieses Ziel mit diesen Instrumenten auf diesem Weg und bis zu diesem Zeitpunkt erreichen. Bei Ihnen ist das alles nicht mehr verhandelbar.
Wer Herrn Baake kennt, weiß, was das heißt: unterschreiben oder verordnet bekommen. Das ist der falsche
Weg, Herr Loske.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Kelber,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kauch, ich würde gern noch etwas zu Ihrer
Rede sagen. Es war ja ihre Jungfernrede; Sie haben gemerkt, dass wir weder Zwischenrufe gemacht noch Fragen gestellt haben.
({0})
- Ja, das ist sehr schwer gefallen. - Aber auf einen sehr
wichtigen Punkt, den Sie in Ihrer Rede angesprochen haben, muss ich noch eingehen.
Sie haben gesagt, dass sich der Kollege Bülow, mein
SPD-Parteifreund und Ihr Kollege aus Dortmund, vor einer Betriebsversammlung in einer Brauerei in Dortmund
gedrückt habe. Es wäre gut gewesen, wenn Sie als Dortmunder erwähnt hätten, dass er zu diesem Zeitpunkt wegen einer schweren Erkrankung im Krankenhaus gelegen hat. Auch wenn Sie das nicht wussten, sollten Sie
sich für das, was Sie gesagt haben, entschuldigen.
({1})
Zurück zum Bundeshaushalt 2004. Wie sieht eigentlich eine moderne und effiziente Umweltpolitik für das
21. Jahrhundert aus? Wie muss ein Bundeshaushalt aussehen, um eine solche Politik zu unterstützen? Was sind
die Schwerpunkte, die man im Umweltschutz heute setzen muss? Wie begegnet man den heute sehr viel unsichtbareren, schleichenderen und oft globalen Umweltgefährdungen? - An solchen Fragestellungen muss sich
der Bundeshaushalt 2004 messen lassen. Wer ihn daran
misst, wird zugeben müssen, dass dieser Haushalt auch
im Umweltbereich die richtigen Akzente setzt.
({2})
Was macht die CDU/CSU in dieser Debatte? Da erzählt der Reisebürobesitzer Feibel uns etwas über den
Sinn oder Unsinn einer gar nicht getätigten Flugreise.
Sie werfen Nebelkerzen und beschäftigen sich mit Nebenschauplätzen und spielen Theater. Was hat das mit einer seriösen Diskussion über Umweltpolitik zu tun?
({3})
Sie haben hier zehn Minuten gestanden, ohne etwas über
Umweltpolitik oder die konkreten Punkte im Haushalt zu
sagen. Da hätte ich mir doch etwas anderes gewünscht.
({4})
Organisation und Durchführung des Umweltschutzes
sind in der Bundesregierung und im Bundeshaushalt modern geregelt. Diese Aussage kann man auch leicht belegen. Nur 18 Prozent der Ausgaben für Umweltschutz im
Bundeshaushalt sind im Haushalt des BMU zu finden.
Das heißt doch nichts anderes, als dass Umweltschutz
längst zur Querschnittsaufgabe geworden ist. Das haben wir Umweltschützer uns doch immer gewünscht.
Wenn Sie das jetzt als Opposition kritisieren, würde ich
das als scheinheilig bezeichnen.
({5})
Die Umweltschutzausgaben im Haushalt teilen sich
aber nicht nur auf unterschiedliche Ressorts auf. Im Bereich des BMU selbst teilen sich die Ausgaben aufgabengerecht in Projektmittel und direkte Ministeriumstitel
auf. Die angeblich immer höheren Verwaltungsausgaben
sind kurz angesprochen worden. Aber was ist denn zum
Beispiel falsch daran, Experten für Naturschutz ins Ministerium und in ein Bundesamt zu holen, statt für viel
Geld externe Aufträge zu vergeben, die in der Regel
nicht einmal in direkter Abstimmung mit dem Ministerium und mit der gleichen Qualität wie im Ministerium
bearbeitet werden? Die gleiche Arbeit wird gemacht und
Sie beschweren sich darüber, an welcher Stelle in irgendeiner langen Liste die Mittel dafür stehen. Auch das
hat mit einer Diskussion über die Inhalte von Umweltpolitik überhaupt nichts zu tun.
({6})
Naturschutz ist eines der Erfolgsthemen dieser Koalition und des Bundeshaushalts im Umweltbereich. Trotz
aller Sparbemühungen können die Gelder für die Naturschutzverbände auf einem Niveau gehalten werden, das
dem des Vorjahres entspricht. Trotz aller Sparbemühungen steht auch für Naturschutzgroßprojekte sowie für Erprobungs- und Entwicklungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes weiter Geld zur Verfügung.
In keinem anderen Bereich sind die Unterschiede
zwischen den einzelnen Parteien so leicht zu erkennen
wie im Naturschutz. Das möchte ich am Beispiel des so
genannten Vertragsnaturschutzes deutlich machen.
CDU/CSU und FDP wollen eine bestimmte Gruppe von
Landwirten und andere Personen mit Steuergeldern dafür bezahlen, dass sie die Umwelt nicht zerstören. Wir
sind der Meinung: Es muss doch selbstverständlich sein,
sich umweltgerecht zu verhalten.
({7})
Dafür bezahlen zu wollen grenzt an eine Veruntreuung
von Steuergeldern. Richtig wäre es, Menschen dafür zu
bezahlen, dass sie über die gute fachliche Praxis hinaus
etwas für die Umwelt tun, zum Beispiel bei der Landschaftspflege. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.
({8})
Eine solche Klientelpolitik darf keinen Niederschlag im
Bundeshaushalt finden; sie hat dort nichts zu suchen.
Deswegen folgen wir nicht den Vorschlägen der Opposition, sondern betreiben eine andere Politik.
({9})
Ein anderer Bereich des Naturschutzes, der für den
Haushalt ebenfalls relevant ist, betrifft Hochwasser und
Flüsse. Wir geben den Flüssen wieder Raum und schaffen naturnahe Flächen. Wir haben den Ausbau von Flüssen fast zu Kanälen, den CDU/CSU und FDP betrieben
haben, beendet. So sorgen wir nicht nur für Artenvielfalt, sondern betreiben auch vorbeugenden Hochwasserschutz.
({10})
Wer noch immer glaubt, dass es sinnvoll ist, Flüsse zu
schieren Kanälen auszubauen, selbst wenn nur ein geringes Verkehrsaufkommen herrscht - diese Vorschläge finden wir in den Anträgen der Opposition immer wieder -,
dem kann ich nur sagen: Jedes Kind weiß, dass sich
durch den Ausbau von Flüssen die Hochwassergefahr erhöht. Nachdem Gelder für den Ausbau der Flüsse verschleudert worden sind, muss meist auch Geld für
Deichbauten und irgendwann für die Beseitigung von
Hochwasserfolgen bereitgestellt werden. Ich sage Ihnen
als Abgeordneter einer Stadt, durch die ein großer Fluss,
der Rhein, fließt: So einen Unsinn machen wir nicht mit.
({11})
Wichtige Hilfen für den Naturschutz, aber auch für fast
alle anderen Bereiche der Umweltpolitik sind Programme
zur Überwachung von Umweltdaten. Die Europäische
Union baut ein eigenes Überwachungsprogramm auf,
das auf die Daten von Satelliten, Flugzeugen, Schiffen
und festen Stationen setzt. 19 Millionen Euro stellt der
Bund dafür zur Verfügung. Das sind geringe Kosten für
ein Programm, das große Potenziale birgt, wie zum Beispiel hinsichtlich der frühzeitigen Erkennung von Umweltgefahren, von Meeresverschmutzung oder von
Hochwasser- und Waldbrandgefahren. Wir werden früher handeln können.
Der Einsatz moderner Technik ist an vielen Stellen
gut für die Umweltpolitik. Beispiele sind die Beobachtung von Umweltentwicklungen - das habe ich eben genannt -, die Nutzung neuer Technologien zur Energieerzeugung und Energieeinsparung oder die Vermeidung
von Verkehrsbewegungen durch Informationstechnologie.
Es gibt aber auch Bereiche, in denen moderne Technologie Menschen Angst macht. Darauf müssen wir eingehen und uns mit den befürchteten Risiken beschäftigen. Eine der größten Sorgen ist die Angst vor
möglichen Auswirkungen des Mobilfunks. Alle Experten wissen: Es gibt keine wissenschaftlich bestätigten
Untersuchungen, die Gesundheitsgefahren durch den
Mobilfunk vermuten lassen. Dennoch muss die Politik
die Ängste der Menschen - darunter sind vor allem viele
Eltern, die Angst um ihre Kinder haben - ernst nehmen
und weitere Untersuchungen veranlassen. Das sage ich
gerade auch als Abgeordneter der Stadt Bonn, der Stadt
mit den meisten Arbeitsplätzen im Telekommunikationssektor in Deutschland.
Aus diesem Grund ist es richtig, dass nicht nur die Industrie 8,5 Millionen Euro gibt, sondern auch der Bund
im Haushalt 8,5 Millionen Euro für die Untersuchungen
im Mobilfunkbereich zur Verfügung stellt. Im Internet
kann sich jeder Bürger über die untersuchten Themen
und die beteiligten Forscher informieren. Kritische Stimmen, die Vorschläge unterbreiten, was noch zu untersuchen ist, sind herzlich willkommen. Auch hier setzt der
Bundeshaushalt die richtigen Akzente.
({12})
Wenn ich schon über die Forschung spreche, muss ich
als Umweltpolitiker natürlich auch auf die Energieforschung eingehen. Ich danke Ihnen, Frau Ferner, dass Sie
dieses Thema vorhin schon angesprochen haben. Es ist
gut, dass die Koalition dafür gesorgt hat, dass das Auslaufen des Zukunftsinvestitionsprogramms in der Energieforschung finanziell zumindest teilweise kompensiert
wurde. Ich sage aber auch ganz offen: Dieses Geld reicht
nicht. Wir werden mehr Geld für Effizienztechniken,
Speicherforschung und andere Technologien, vor allem
im Bereich der erneuerbaren Energien und des Klimaschutzes, zur Verfügung stellen müssen.
({13})
Neben der Erhöhung der Gelder brauchen wir aber
auch eine Umverteilung. Es macht keinen Sinn, weiterhin so viel Geld wie bisher für die Fusionsforschung ausUlrich Kelber
zugeben und viel weniger Geld für die wirklich zukunftsträchtigen neuen Techniken im Bereich der
erneuerbaren Energien.
({14})
Ich hoffe hier auf mehr Gemeinsamkeit im Bundestag.
Der Bundeshaushalt 2004 ist ein schwieriger Haushalt. Das ist nach drei Jahren ohne nennenswertes wirtschaftliches Wachstum auch nicht verwunderlich. Wir
setzen in diesem Bundeshaushalt die Akzente aber nicht
nur in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Forschung, auch der Umweltschutz kommt nicht zu kurz.
Vieles von der Kritik, die ich gehört habe, verrät ein umweltpolitisches Denken, das schon vor 20 Jahren überholt war. Die Schwerpunkte sind richtig gesetzt. Das bestätigen für den Gesamthaushalt die Sachverständigen
für Wirtschaft und für den Bereich der Umweltpolitik
die Experten für Umwelt.
Nachher wird auch noch mein Kollege Bülow für die
SPD sprechen. Er wird natürlich auf den Bereich der erneuerbaren Energien eingehen.
Eines findet man in diesem Haushalt nicht: Es gibt
keine staatlichen Mittel für die Einspeisevergütung bei
erneuerbaren Energien. Politiker von CDU/CSU und
FDP behaupten ja immer, dass die Einspeisevergütung
für erneuerbare Energien massiv subventioniert würde.
Selbst die Spitzen wie Merkel, Stoiber, Merz und
Westerwelle wiederholen dies häufig, obwohl sie wissen, dass es inhaltlich falsch ist.
Um es noch einmal festzuhalten: Die Einspeisevergütung zur Förderung der erneuerbaren Energien kommt
nicht aus Steuergeldern.
({15})
Das sei vielleicht auch einmal an die hinteren Reihen der
Union gesagt. Es handelt sich um eine verursachergerechte Umlegung auf alle klimabelastenden Arten der
Energieerzeugung.
Abschließend insbesondere noch ein Hinweis an Sie,
Frau Homburger: Ein Blick ins Gesetz und in den Haushalt erleichtert die Wahrheitsfindung.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({16})
Ich erteile Kollegen Albrecht Feibel das Wort zu einer
Kurzintervention.
Sehr geehrter Herr Kollege Kelber, ich möchte gegenüber Ihnen und Ihren Vorrednern noch einmal begründen,
warum wir an der Beratung des Haushaltes nicht teilgenommen haben: Ein verfassungswidriger Haushalt ist
nicht beratungsfähig. Wenn die Neuverschuldung höher ist
als die Ausgaben für Investitionen, dann - ich weiß nicht,
wie Sie die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
auslegen - entspricht ein Haushalt nicht der Verfassung.
Deshalb haben wir uns geweigert, diesen verfassungswidrigen Haushaltsentwurf zu beraten.
Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, welche
Akzente gesetzt wurden. Sie reden davon, dass es die
richtigen seien. Aber wenn Sie sich den Haushalt genauer anschauen,
({0})
dann werden Sie feststellen, dass nicht die richtigen Akzente gesetzt worden sind, weil nicht gespart wird. Ich
habe das vorhin schon ausdrücklich gesagt: Um die Finanzierung eines Haushaltes sicherzustellen und das
Vorziehen einer Steuerreform gegenzufinanzieren, kann
man überlegen, ob es nicht Positionen gibt, bei denen
man Geld sparen kann.
Typisch dafür, dass man nicht sparen will, ist das Verhalten des Bundesumweltministers. Mir kommt meine
Berufserfahrung als Reiseverkehrskaufmann sehr zugute. Dafür brauche ich mich auch nicht zu schämen,
Herr Kelber. Ich habe in meinem Leben als Unternehmer
vielleicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, als Sie je gesehen haben.
({1})
Ich hätte dem Bundesumweltminister sagen können, wie
man Geld spart, wenn man reist. Vielleicht kann er darauf noch einmal zurückkommen. Das, was im Zusammenhang mit Brasilien geschehen ist, ist ein eindeutiges
Zeichen dafür, dass jemand verantwortungslos mit Geld
umgeht und es verantwortungslos ausgibt, weil es offensichtlich nicht aus seiner Tasche kommt.
({2})
Dann noch zu der Frage, warum wir kein Wirtschaftswachstum haben: Wenn Sie die Wirtschaft ständig mit
weiteren Abgaben und unangemessen hohen Energiekosten belasten,
({3})
brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass es so viele
Konkurse gibt, und nicht zu fragen, warum so viele Arbeits- und Ausbildungsplätze wegfallen.
({4})
Sie sollten die Zusammenhänge erkennen. Dann werden Sie sagen: Der Haushalt hat nicht das hergegeben,
was Sie und wir alle gerne gehabt hätten, nämlich beratungsfähig zu sein.
({5})
Kollege Kelber.
Herr Kollege Feibel, ich kann Ihnen nur dringend
empfehlen, erstens in das Handbuch für Abgeordnete zu
schauen und zweitens auf meine Webseite zu gehen.
Dann hätten Sie Ihre Bemerkung bezüglich der Arbeitsplätze wahrscheinlich nicht gemacht. Um auf die gleiche
Größenordnung zu kommen, müssten Sie sich noch
ziemlich anstrengen.
({0})
Wir hätten uns gefreut, wenn wir Einsparvorschläge
von Ihnen gesehen hätten. Wir hätten uns hier im Bundestag und unsere Kollegen aus den Ländern hätten sich
im Bundesrat gefreut, wenn nicht jede Einsparung von
Ausgaben als versteckte Steuererhöhung bezeichnet
worden, dann aber in Ihren eigenen Papieren wieder aufgetaucht wäre. Natürlich ist es schwierig, wenn man aus
einer Partei kommt, die im Augenblick wie eine Gemeinschaft unabhängiger Sprecher fungiert und jeder alles vorschlagen darf. Denn dann weiß man gar nicht, was
man wirklich beantragen darf - sofern man nicht gerade
Merkel, Stoiber oder Koch heißt -; schließlich will man
sich ja nicht seine spätere Karriere verscherzen. Vor allem wenn man aus Hessen kommt, darf man dem Herrn
Koch natürlich nicht widersprechen, obwohl er seinerseits der Frau Merkel, Ihrer Fraktionsvorsitzenden, immer widerspricht.
Von daher wäre es vielleicht gut, wenn Sie sich einigen würden, welche Kürzungen Sie wollen. Wenn Sie
unsere nicht wollen, dann machen Sie andere Vorschläge. Aber einfach zu sagen „Sparen Sie mal, wir machen keine Vorschläge!“ - da nimmt Ihnen doch niemand Ihr ernsthaftes Bemühen ab. Oder meinen Sie,
dass das auch nur ansatzweise etwas bringt? Wenn Sie
die Haushaltsberatungen in den nächsten Jahren so fortsetzen wollen, dann möchte ich mich schon jetzt für
diese leichte Aufgabe bedanken.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kelber, Sie haben gerade sehr viel und intensiv geredet. Aber es stellt sich wirklich die Frage, ob Sie die
umweltpolitischen Probleme, die Sie angesprochen haben, richtig dargestellt haben.
({0})
- Das kann er auch nicht.
Erstens. Mit einem Hinweis auf Frau Merkel haben
Sie erklärt, es werde zur Subventionierung der erneuerbaren Energien nichts aus Haushaltsmitteln beglichen.
({1})
Dazu sage ich Ihnen: Sie haben alle diese Zitate nicht
richtig gelesen. Frau Merkel und viele andere haben die
Frage aufgeworfen, was für die erneuerbaren Energien
tatsächlich geleistet wird; neben der Stromeinspeisevergütung gibt es ja noch Abschreibungsmöglichkeiten
nach der AfA.
({2})
Dazu muss man kritische Fragen stellen. Wenn ich
zum Beispiel sehe, dass in meinem Haushalt ein Anlageprospekt eingeworfen wird, in dem im Zusammenhang
mit erneuerbaren Energien Renditen von 9 bis 10 Prozent versprochen werden, dann ist klar, dass diese allein
über die Stromeinspeisevergütung nicht garantiert werden könnten. Sie hängen vielmehr mit den fantastischen
Abschreibungsmöglichkeiten zusammen. Dabei stellt
sich die Frage, was den Haushalten auf Bundes-, Länderund Kommunalebene durch Abschreibungsmöglichkeiten verloren geht. Über diesen Punkt hat Frau Merkel geredet. Sie hatte Recht. Sie hingegen haben nicht die
Kraft aufgebracht, nach dem ersten Satz auch den zweiten Satz zu lesen, Herr Kelber.
({3})
Zweitens. Sie haben gerade ganz allgemein von der
Opposition in Sachen Hochwasserschutz gesprochen
und uns vorgeworfen, dass wir kein richtiges Flussmanagement vorweisen können. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass wir vor einigen Wochen einen Antrag
zum Hochwasserschutz eingebracht haben. Diesen Antrag werden wir erst noch beraten - das muss man der
Öffentlichkeit auch sagen -, und zwar im Ausschuss und
im Plenum des Bundestages. Sie aber kommen gleich zu
dem Ergebnis, dass wir alles ablehnen werden.
Ich habe sogar in einer Presseerklärung gesagt: Ausnahmsweise geht dieser Gesetzentwurf in die richtige
Richtung. Weiterhin habe ich jedoch gefragt, Herr
Kelber: Was passiert mit den Auflagen für die Landwirtschaft, zum Beispiel im Gebiet der Ems in Niedersachsen? Dort hieß es, im Einzugsbereich der Ems könne zukünftig keine Landwirtschaft mehr betrieben werden. Im
Gesetzentwurf ist aber nicht geregelt, wer die Landwirte
in dieser Sache entschädigt. Darauf hätten Sie eine Antwort geben müssen. Das haben Sie im Gesetzentwurf
nicht getan. Wir sind sehr gespannt, was Sie bei der
Frage der Entschädigung auf den Tisch legen werden.
({4})
Drittens. Der Punkt Lärmschutz ist nicht von Herrn
Kelber, sondern spontan von Ihnen, Herr Hermann, genannt worden. Sie haben sogar Ihr Ehrenwort gegeben,
im nächsten Jahr wird es etwas in Sachen Lärmschutz
geben. Ich bin schon gespannt. Seit fünf oder sechs Jahren warten wir auf die Einhaltung dieses Ehrenwortes,
dass etwas in Sachen Fluglärmschutz gemacht wird.
Minister Trittin hat sich da über Jahre hinweg noch nicht
durchgesetzt, egal welcher Verkehrsminister gerade im
Amt ist. Es ist erstaunlich, wie voll Herr Kelber den
Mund nimmt und dass auch in jeder Koalitionsvereinbarung ein Fluglärmschutzgesetz angekündigt wird, aber in
Wirklichkeit nichts passiert. Das ist rot-grüne Umweltpolitik: Backe voll und bei der Realisierung abtauchen!
({5})
- Ich habe ganz bewusst Herrn Hermann angesprochen,
Herr Kelber. Aber so läuft das bei Ihnen. Das ist ein
Wechselspiel.
Viertens. Auch das Naturschutzgesetz wurde spontan
angesprochen. Sie meinen, es sei unredlich, Landwirten
Entschädigungen zu zahlen, wenn diese den Stand der
Technik - in der Landwirtschaft heißt es: die gute fachliche
Praxis - einhalten. So haben Sie es formuliert; ob das, was
Sie gesagt haben, richtig ist, darüber müssen wir im Detail
streiten. Eines aber muss man wissen: Wenn Sie das so rigoros durchsetzen wollen, wie Sie das konkret angekündigt
haben, bedeutet das, dass in anderen Staaten der EU für vergleichbare Maßnahmen Entschädigungsleistungen der
Europäischen Union für die heimische Landwirtschaft kassiert werden können, weil dort die Standards nicht so hoch
gesetzt sind. Bei uns wird dies nicht der Fall sein, weil Sie
die Standards so hoch gesetzt haben. Die EU wird daher
die Fördermittel nach Italien und Spanien geben; denn
die Deutschen haben die Standards bereits so hoch festgesetzt. Diese Fragen müssen Sie den heimischen Landwirten beantworten. Warum bekommen Landwirte in
Spanien und Italien eine Förderung für das gleiche Zielniveau? In Deutschland wird rot-grüne Umweltpolitik
gemacht, um dem Papier Genüge zu tun. An die heimische Landwirtschaft wird dabei nicht gedacht. Das werfen wir Ihnen vor.
({6})
Damit ist für mich für heute das Thema Umwelt erledigt. - Wir beraten heute ja auch noch in zweiter und
dritter Lesung das Vorschaltgesetz Photovoltaik zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Hier sagen wir ganz klar
und deutlich: Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion
werden diesem Vorschaltgesetz zur Photovoltaik zustimmen; denn mit diesem Gesetz erhält die Photovoltaikbranche in Deutschland endlich Planungs- und Investitionssicherheit. Diese Sicherheit ist durch rot-grüne
Verzögerung und Unentschlossenheit in den letzten Monaten leider verloren gegangen.
({7})
Ich habe dazu schon bei der ersten Lesung zu diesem
Gesetzentwurf ausgeführt, muss das aber heute wiederholen: Seit dem Auslaufen des 100 000-Dächer-Programms im Frühsommer dieses Jahres ist die deutsche
Photovoltaikindustrie in eine große Krise geraten. Dies
haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün,
ganz allein zu verantworten, denn Sie haben es versäumt, rechtzeitig eine Anschlussregelung vorzulegen.
Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass wir
hektisch Fehler Ihrer Gesetzgebung und Ihrer Förderpolitik bei den erneuerbaren Energien korrigieren müssen.
Sie arbeiten einfach nicht sorgfältig genug.
({8})
Das wird schon daran deutlich, dass wir hier und
heute zwar eine konzentrierte Förderung für die Photovoltaik vornehmen, aber wir uns alle - Sie bestimmt
auch - als Mitglieder des Umweltausschusses kritische
Fragen vorlegen lassen müssen, warum für Biomasse
und insbesondere für Biogas nicht ebenfalls ein Vorschaltgesetz verabschiedet worden ist.
Eines muss man in aller Deutlichkeit sagen: Nur wegen dieser Hektik - die CDU/CSU hat das im Umweltausschuss gerügt -, mit der Sie dieses Vorschaltgesetz
innerhalb von zwei Wochen durchpeitschen wollten und
auch mussten - das gebe ich zu -, um Sicherheit für die
Photovoltaikindustrie zu erreichen, gab es überhaupt
keine Zeit und Möglichkeit mehr, die Anregungen beispielsweise des Kollegen Helmut Lamp aufzugreifen
und zu fragen, ob wir kurzfristig noch etwas für Biogas
machen können.
Diese heftige Kritik ist durchaus berechtigt. Daraus
muss man eine Konsequenz ziehen: Es darf zukünftig
auch bei der Beratung der großen Novelle zum EEG
nicht mehr zu solch einer Hektik und zu einem solchen
Durchpeitschen kommen, denn dann sind die Fehler klar
programmiert. Es darf nicht passieren, dass wir die Fehler wiederholen, die in den letzten Tagen und Wochen
durch Ihre Hektik leider passiert sind.
({9})
Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Fell?
Gerne.
Herr Kollege Paziorek, Sie haben gerade behauptet,
dass sich die deutsche Photovoltaikindustrie in einer großen Krise befinde. Ist Ihnen bekannt, dass mit dem Auslaufen des 100 000-Dächer-Programms im Juni dieses
Jahres ein unglaublicher Auftragsboom entstanden ist
und die Industrie die Aufträge bis zur Stunde noch nicht
abgearbeitet hat, dass sehr viele Überstunden gemacht
werden müssen, um die Aufträge abzuarbeiten, und davon ausgegangen wird, dass erst im nächsten Jahr, in
dem eine neue Einspeisevergütung erwartet wird, dieser
Aufschwung der Photovoltaik weitergeht?
Wie können Sie angesichts dieser Tatsache behaupten, dass die Photovoltaikindustrie aktuell wegen RotGrün in einer Krise ist? Denn unsere Beobachtung ist,
dass das glatte Gegenteil der Fall ist. Erst durch RotGrün gab es diesen großen Aufschwung. Dadurch war es
möglich, dieses Vorschaltgesetz rechtzeitig zu bringen,
wenn auch dank Ihrer Mithilfe.
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege, jetzt bin ich aber wirklich
platt. Ihre Kolleginnen und Kollegen im Umweltausschuss begründen die Tatsache, dass wir uns jetzt ganz
schnell entscheiden müssen, damit, dass feststeht, dass
die Auftragsdelle schon ab dem Januar nächsten Jahres
da sein wird. Die Betriebsräte rufen bei uns an und sagen, dass noch vor Weihnachten arbeitsplatzrelevante
Entscheidungen zu treffen sind, wenn der Deutsche Bundestag nicht heute, zwei Sitzungswochen vor der Weihnachtspause, die entsprechenden Signale sende, wie es
ab dem 1. Januar 2004 weitergeht. Herr Fell, wie kommt
denn diese Beschreibung der Firmenchefs, des Bundesverbandes Solarindustrie und auch der Betriebsräte vor
dem Hintergrund Ihrer Aussage zustande?
({0})
Lieber Herr Fell, ich halte es für nicht hinnehmbar
- als Kollege schätze ich Sie ja durchaus -, dass Sie die
Sorgen, die gerade aus dem Arbeitnehmerbereich der
Solarwirtschaft in den letzten Tagen massiv geäußert
worden sind, in dieser Art und Weise abtun wollen. Das
sollte man bei aller Erfolgsbilanz, die Sie für die rotgrüne Regierungskoalition darstellen wollen - das verstehe ich -, nicht hinnehmen. Deshalb habe ich die Bitte,
dass Sie noch einmal überlegen, ob Ihre Aussage vor
dem Hintergrund der wirklich großen Besorgnisse im
Bereich der Photovoltaik gerechtfertigt war.
({1})
Eines aber stimmt, Herr Fell: Der Union wurde eine Zustimmung letztlich nur möglich, weil Sie - insofern will
ich den kooperativen Stil durchaus erwähnen - bereit gewesen sind, auch über die Fördersätze im Einzelnen
nachzudenken.
Ich muss an dieser Stelle auch der Solarindustrie ganz
klar und deutlich sagen: Ich fand es sehr gut, dass man
bereit gewesen ist, mit uns kooperativ über diese Fragen
zu sprechen, und dass wir geprüft haben, an welchen
Stellen die angedachten Fördersätze noch reduziert werden konnten. Ich weiß, dass wir auch der Solarindustrie
damit sehr viel zumuten und dass das eine harte Vorgabe
ist. Aber dieser Schritt war notwendig. Denn wir müssen
immer darauf achten - auch wenn man in der Fördersystematik bleibt -, dass die Förderkosten nicht ausufern.
Deshalb war es wichtig, dass wir an dieser Stelle
deutlich gemacht haben: Wir werden uns die Fördersätze
im Einzelnen anschauen. Denn wir wollen erreichen,
dass es bei den Förderkosten einen gesamtwirtschaftlichen Deckel gibt, und wir werden alles tun, um diesen
Spagat erfolgreich zu bewältigen, nämlich erneuerbare
Energien zu fördern und gleichzeitig die Förderkosten
unter Kontrolle zu halten. Das ist ein verantwortungsbewusstes Vorgehen in diesem Bereich.
({2})
Natürlich ist uns bekannt, dass die indirekten Subventionskosten bei der Photovoltaik - Herr Kelber, nennen wir sie einfach einmal so - noch sehr hoch sind. Für
das Jahr 2003 geht man von einem Vergütungsvolumen
von circa 125 Millionen Euro aus, bei einem Stromwert
von circa 15 bis 20 Millionen Euro. Daraus wird deutlich, welche Summe wir indirekt - über Umlagen beim
Verbraucher und bei der mittelständischen Wirtschaft finanzieren. Wenn man dann wie Sie, Herr Kelber, sagt,
das seien doch gar keine Mittel aus dem Bundeshaushalt,
dann muss man sich über die Größenordnung klar sein
und sich Augen führen, dass das Mittel der Verbraucher
und der mittelständischen Wirtschaft sind. Ich habe die
Zahlen genannt; schließlich muss man wissen - wir haben sie lange bei uns in der Fraktion erörtert -, welche
Belastungen man ausspricht, wenn man zustimmt. Wenn
wir die Förderung fortsetzen wollen, müssen wir uns
also darüber Gedanken machen, ob der Weg in dieser
Form weitergegangen werden kann.
Ich möchte Sie auffordern, bei der Novelle des EEG
nicht hektisch zu beraten, uns Zeit zu geben und gleichzeitig für alle neuen Instrumente offen zu sein, mit denen
die Kostenbelastung für die mittelständische Wirtschaft
eventuell unter Kontrolle gehalten werden kann. Dies
muss der Ausgangspunkt für die Beratungen sein; mit einer schlichten Fortschreibung des Systems, das zudem
sehr teuer ist, ist es nicht getan.
({3})
Ich komme zum letzten Punkt meiner Ausführungen.
Neue Märkte zu erschließen ist wichtig. Denn die hohen
Kosten der Photovoltaik können wir letztlich nur rechtfertigen, wenn wir sagen: Damit eröffnen wir Exportchancen. Deutschland wird auch in den nächsten
Jahren nicht im Sonnengürtel der Erde liegen. Aus diesem Grunde müssen wir uns über den Export Gedanken
machen. Dazu möchte ich aus dem aktuellen Bericht der
Deutschen Energie-Agentur über den Handlungsbedarf
bei der Förderung des Exports zitieren:
Die Erfahrungen der Deutschen Energie-Agentur
GmbH im Rahmen der Exportinitiative verdeutlichen, dass bezüglich des Exports deutscher EETechnologie erheblicher Handlungsbedarf besteht.
Weiter heißt es:
Eine verbesserte Präsenz auf Auslandsmärkten und
eine deutliche Erhöhung der Exportquoten ist
gleichzeitig die Voraussetzung für den Erhalt und
den weiteren Ausbau der EE-Branchen in Deutschland. Laut Aussagen des VDMA ist es für den Bestand der deutschen EE-Branche unabdingbar, mittelfristig eine Exportquote von etwa 70 Prozent zu
erreichen.
Es kommt auch darauf an, dass wir eine Förderpolitik
betreiben, die nicht nur die deutschen Verbraucher und
Mittelständler belastet, sondern wir müssen eine Politik
mit interessanten Instrumenten betreiben. Hierbei sollten
die Exportchancen über das Wirtschaftsministerium und
über das Umweltministerium eröffnet werden. Teilweise
sagen uns die Vertreter von mittelständischen Photovoltaikanlagenherstellern: Diese Exportunterstützung gibt
es gar nicht im rot-grünen Lager. Das ist das Hauptproblem. Sie wollen die Förderbeträge erhöhen, machen sich
aber nicht ausreichend Gedanken darüber, wie man den
Export in diesem Bereich tatsächlich fördern kann. Das
ist ein schwerer Vorwurf, den wir zum Abschluss machen müssen. Deshalb können wir nur sagen: Auch das
ist ein Grund, weshalb wir dem Haushaltsplan zum Umweltbereich in diesem Jahr nicht zustimmen können.
({4})
Ich erteile das Wort Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Kauch, ich bin es schon gewöhnt, dass Sie vehement etwas bei der Regierung einfordern, nur um es anschließend ablehnen zu können. Aber ich nehme Sie
jetzt beim Wort. Ich freue mich darauf, dass Sie Ihren
ehemaligen Fraktionskollegen Herrn Hirche und Ihren
Parteifreund Herrn Bauckhage dazu bringen werden, einer dann vorgelegten Novelle des Fluglärmgesetzes zuzustimmen - auch wenn sie formal nicht zustimmungspflichtig sein wird. Dann werden wir die Rede, die Sie
hier gehalten haben, auch ernst nehmen.
({0})
In der Regel empfiehlt es sich, die Artikel, aus denen
man zitiert, zu Ende zu lesen. Herr Vorholtz beschreibt
nämlich zum Ende hin sehr zutreffend, dass gerade die
Bereiche, in denen das Umweltministerium massiv auf
Entbürokratisierung und Verschlankung von Genehmigungsverfahren setzt, von den Lobbygruppen der Industrie, deren position Sie sich sonst so gerne zu Eigen machen, blockiert werden. Darin liegt der Bürokratismus in
der Umweltverwaltung in Deutschland begründet.
({1})
Wenn Sie sich mit der Materie genauer beschäftigt haben, können Sie vielleicht auch Fragen beantworten.
Welche Meinung vertreten Sie zum Beispiel in der Chemiepolitik? Teilen Sie die Position des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie, der den neuen Ansatz in der
Chemikalienpolitik rundweg und fundamentalistisch
ablehnt? Oder sind Sie mit der Bundesregierung, mit der
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie
und dem Verband der Chemischen Industrie der Auffassung, dass man in der Chemikalienpolitik weitergehen
muss, als es die Kommission vorgeschlagen hat, dass
zum Beispiel auch bei Chemikalien mit weniger als
10 Jahrestonnen wenigstens ein Basisdatensatz notwendig ist, um einschätzen zu können, ob diese Stoffe
krebserzeugend oder erbgutverändernd wirken?
({2})
Auf wen zählen Sie? Auf die Fundis in den Lobbyverbänden oder auf die Branche, die die notwendige Fachkunde aufweist und mit der Bundesregierung zusammenarbeitet?
({3})
Ich bin aber geneigt, solche Dinge ein bisschen humoristisch zu betrachten. Wenn die FDP, die über Jahre hinweg jeden Ansatz zur Förderung der erneuerbaren Energien bekämpft hat, sich nun dafür ausspricht, dann
könnte ich feststellen: Hic Rhodus, hic salta! Irgendwann musste das ja kommen. Das erlaubt mir die Überleitung zu dem Kollegen Lippold, der eben mit etwas
säuerlicher Miene den hörenswerten Ausführungen von
Herrn Paziorek gefolgt ist.
Wenn Sie danach fragen, wo Deutschland internationales Ansehen genießt, dann empfehle ich Ihnen, sich
einmal umzusehen. Zum Beispiel wird im World Watch
Report nicht nur unsere Politik im Zusammenhang mit
dem Atomausstieg, sondern insbesondere auch die Förderung der erneuerbaren Energien als weltweit vorbildlich betrachtet.
({4})
Nicht umsonst haben wir hier ja auch die größten Steigerungsraten. Aber Sie müssen denen nicht glauben; das
sind ja nur „irgendwelche Ökos“. Aber glauben Sie wenigstens Ihren Parteifreunden, den Konservativen in
Spanien und Frankreich. Jacques Chirac ist kein Sozialist; er ist auch kein Grüner. Trotzdem haben die Regierungen dieser beiden Länder unsere Einspeiseregelungen
für das Erneuerbare-Energien-Gesetz übernommen. Sie
haben sich dafür entschieden, weil sie wissen, dass sie
kostengünstiger und effizienter sind als die Ausschreibungsmodelle. Wir liegen mit den Einspeisevergütungen
2 bis 3 Cent unter den Ausschreibungsmodellen, die in
Großbritannien zur Anwendung kamen, und haben sie
sogar noch weiter gesenkt. Das nenne ich Führungskraft
und Voranschreiten! So stellt sich eine internationale
Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Umwelt- und Klimapolitik dar!
({5})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ramsauer?
Bitte, Herr Ramsauer.
Herr Bundesminister Trittin, wenn Sie uns als Oppositionsfraktion inzidenter vorwerfen, dass wir gegen erneuerbare Energien sind, dann frage ich Sie: Ist Ihnen
bekannt, dass das Vorgängergesetz des EEG, das Stromeinspeisungsgesetz, 1990 von der Regierung Kohl geschaffen worden ist,
({0})
dass die damalige Opposition aus SPD und Grünen diesem Gesetz nur widerwilligst zugestimmt hat und dass
sich die CDU/CSU genau deshalb heute als erfolgreichste Erneuerbare-Energien-Partei bezeichnen kann,
die es in Deutschland je gegeben hat?
({1})
Lieber Herr Kollege Ramsauer, mir ist bekannt, wie
es mit dem Stromeinspeisungsgesetz anfing. Mir ist auch
bekannt, dass es dringenden Veränderungsbedarf gab,
den wir dann aufgegriffen haben. Wir müssen uns an
dieser Stelle doch gar nicht streiten. Ich habe ja mit
Freude zur Kenntnis genommen, dass die Union zumindest bei der Photovoltaik die Koalition in der Opposition
mit den Neoliberalen aufgekündigt hat und nun tatsächlich mit Taten zu ihren Worten steht. Deswegen konnte
ich der Rede unseres Kollegen Paziorek mit großem
Wohlwollen und großer Freude folgen. Hier bildet sich
wieder der parteiübergreifende Konsens heraus, den es
bei der Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes
gegeben hat und der besagte, dass es notwendig ist, erneuerbare Energien zu fördern. Deswegen sollten wir
dies gemeinsam machen.
({0})
Meine Damen und Herren, hier ist auch vom Klimaschutz die Rede gewesen. Man kann nicht sagen, man
sei für Klimaschutz, und dann von 18 Klimaschutzmaßnahmen 16 ablehnen. Die FDP hat sogar - das war das
Projekt 18 - alle 18 Maßnahmen abgelehnt. Aber Sie
werden an dieser Stelle auch zum Schwur kommen müssen. Mit dem System des Emissionshandels wird für jeden sichtbar, was das von uns gemeinsam verabschiedete
Kioto-Protokoll bedeutet: im Jahre 2010 846 Millionen
Tonnen CO2, keine Tonne mehr. Dann werden Sie sich
dazu sehr praktisch verhalten müssen. Wie wollen Sie
damit umgehen, dass an dieser Stelle alle Sektoren der
Gesellschaft ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen?
Wir werden uns dann gemeinsam darüber unterhalten,
ob der Zustand beibehalten werden kann, der unter
CDU/CSU und FDP anhielt, dass zwar die Industrieemissionen gesenkt wurden - Sie haben die Industrie einseitig belastet -, aber die Emissionen aus den Haushalten
und aus dem Verkehr sprunghaft nach oben gegangen
sind. Diese Regierung hat hier eine Wende eingeleitet
({1})
und dafür gesorgt, dass in wenigen Jahren die Haushalte
18 Prozentpunkte CO2 weniger als 1998 emittieren.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, uns noch einmal
etwas über Klimaschutz erzählen, dann sollten wir uns
anhand von Tonnenvergleichen über die konkreten Maßnahmen unterhalten.
({2})
Ich stimme Herrn Paziorek auch darin zu, dass wir
mehr Anstrengungen brauchen, um unsere erneuerbaren
Energien im Ausland besser abzusetzen. Aber Sie - und
erst recht Herr Feibel - hätten sich vielleicht bei Ihrer
Banknachbarin, der Kollegin Brunkhorst, erkundigen
sollen, was wir in Brasilien getan haben. Wir haben unter anderem eine Industriemesse in Sao Paolo eröffnet,
deren einziges Thema an diesem Tag die Förderung und
Absatzförderung der erneuerbaren Energien war. Entscheiden Sie sich einmal, was Sie wollen: Wollen Sie herumkaspern mit diesem Reiseverkehrskaufmann oder
wollen Sie ernsthaft darüber reden, dass wir gemeinsam
mehr für den Absatz deutscher Industrieprodukte tun?
({3})
Eine letzte Bemerkung: Sie reden von Selbstverpflichtung und sehen als Alternative nur Sanktionen.
Dieses System haben Sie doch erfunden; Kollege Loske
hat darauf hingewiesen. Das Prinzip, im Gegenzug zur
Selbstverpflichtung auf die Ökosteuer und die Wärmeverordnung zu verzichten, war bisher Konsens zwischen
uns. Dieses Prinzip habe ich erst jüngst in einem Vortrag
von Klaus Töpfer wieder gehört. Warum ist das, was Sie
gemacht haben, verkehrt, wenn wir es machen? Allerdings sind wir der Auffassung, dass es verkehrt wäre,
Selbstverpflichtungen ohne eine Sanktion bei Zielverfehlung einzuführen.
Ich nenne Ihnen dafür ein ganz praktisches Beispiel:
Die europäische Automobilindustrie hat versprochen,
dass ihre Fahrzeuge bis zum Jahre 2010 im Flottendurchschnitt nur noch 120 Gramm CO2 pro Kilometer
emittieren. Das ist eine ambitionierte Selbstverpflichtung. Da wir wollen, dass dieses Ziel erreicht wird, bedauere ich es sehr, dass jetzt von der Automobilindustrie
das Signal gesetzt wird, sich von dieser Selbstverpflichtung zu verabschieden. Ich wünsche mir, dass sie es
nicht tut, weil ich dieses Instrument der Selbstverpflichtung nicht desavouiert sehen möchte. Aber über eines
sollten wir uns jetzt verständigen: Wenn diese Selbstverpflichtung aufgekündigt wird, dann möchte ich nicht,
dass die daraus zu ziehenden Konsequenzen von Ihnen
kritisiert werden; denn die Verkehrswirtschaft und insbesondere die Autoindustrie werden wie wir alle einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Es wird keine
Möglichkeit geben, dass sich ein Sektor zulasten eines
anderen einen schlanken Fuß macht.
Vielen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegin Doris Meyer, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! „Eine fröhliche Beerdigung“ titelte vor etwa
zwei Wochen eine namhafte deutsche Tageszeitung.
Doris Meyer ({0})
- Nein, es ging noch nicht um die rot-grüne Koalition.
Anlass dieses so überschriebenen Berichts war vielmehr
eine Feier des Bundesumweltministers Jürgen Trittin.
Gefeiert hat er nicht etwa seinen Haushalt 2004 - dieser
gäbe eher Anlass zum Weinen, erst recht für einen Umweltminister der Grünen -, sondern das Abschalten des
Kernkraftwerkes Stade bei Hamburg. Diese Feier kostet die Steuerzahler rund 36 000 Euro. 36 000 Euro in
Zeiten fehlenden wirtschaftlichen Aufschwungs, ausgegeben von einem Minister, dessen Haushalt immer kleiner wird. 36 000 Euro zum Feiern eines Ereignisses, zu
dem der Minister wenig beigetragen hat; das Kraftwerk
Stade wird vom Betreiber aus rein wirtschaftlichen
Gründen vorzeitig stillgelegt. 36 000 Euro, zu denen
rund 100 000 Euro hinzukommen. In einer groß angelegten Kampagne wurde das Abschalten des Kernkraftwerks Stade mit Anzeigen wie dieser hier gezeigten beworben. Nach unseren Schätzungen dürften sich die
Kosten für diese Aktion in mehreren bundesweit erscheinenden Zeitungen auf rund 100 000 Euro belaufen.
Wie hoch die Kosten der Kampagne zum Dosenpfand sind, die in Kinospots beworben wurde, haben wir
heute schon erfahren. Ich wiederhole die Zahlen: 83 000
Euro für die Kinospots und 112 000 Euro für die Anzeigen. Ob es ein würdiger Grund zum Feiern war, wird
sich erst in der Zukunft zeigen, wenn die jetzige Regierungskoalition zwar nicht mehr im Amt ist, aber wir alle
die Auswirkungen ihrer bisherigen Politik zu spüren bekommen.
({1})
Herr Bundesminister, Sie haben das Abschalten als
einen „Meilenstein rot-grüner Energiepolitik“ bezeichnet. Ein Stein des Anstoßes ist dies bestimmt. Dieser
Stein wiegt sehr schwer und muss von den künftigen Generationen erst noch getragen werden. Ich frage Sie,
Herr Trittin: Wo ist Ihr Konzept für eine zukunftsfähige
Energiepolitik in Deutschland für die nächsten 30 bis
50 Jahre?
({2})
Ich vermisse es bis heute. Oder entwirft das Wirtschaftsministerium ein solches Konzept wieder einmal ohne
Abstimmung mit Ihnen? Mir ist bange um die künftige
Energieversorgung in Deutschland.
Wir brauchen einen Energiemix aus herkömmlichen
und erneuerbaren Energien. Eine einseitige Förderung
der einen und auf Kosten der anderen Energieart darf
nicht sein. Ökologische und ökonomische Aspekte müssen gleichermaßen berücksichtigt werden. Sie können
doch nicht Stück für Stück ein Land von einer sicheren
Energieversorgung abkoppeln und dabei offen lassen,
wie die Versorgung in Zukunft funktionieren soll. Das ist
unverantwortlich. Sie, Herr Trittin, bleiben den Wählerinnen und Wählern eine Antwort schuldig.
({3})
Sie zeigen der Bevölkerung ganz deutlich, wie sehr
Sie dieses Problem beschäftigt: Sie feiern trotzdem.
Oder vielleicht sogar, um die eigenen Probleme zu verdrängen. Mir ist schleierhaft, wie Sie noch guten Gewissens feiern können. Sie verkennen offenbar die Folgen
Ihres Tuns.
Sie haben beim Feiern den Haushalt Ihres eigenen
Ministeriums vergessen und Sie lassen die gegenwärtige
Situation der bundesdeutschen Wirtschaft völlig außer
Acht. Ich versuche, es einmal positiv zu sehen: Ihre
Feier kurbelt die Wirtschaft im besten Sinne des Wortes
an. Ich meine damit die Gastronomie in Berlin im Hamburger Bahnhof.
Der Umgang Ihres Hauses mit diesem Vorgang lässt
interessante Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit Ihrer
Politik zu. In einer Erklärung Ihres Hauses zur Feier
anlässlich der Abschaltung des AKW Stade ist zu lesen:
Man sollte es auch mal verknusen können, wenn
auf das Abschalten eines Atomkraftwerkes angestoßen wird - nicht immer, aber immer öfter.
Dies zeigt: Das Bundesumweltministerium hat noch etwas zu lachen. Fragt sich nur, wie lange noch und ob die
Bürgerinnen und Bürger diesen Sinn für Humor teilen.
Ein interessanter Ansatz ist auch die These, die
36 000 Euro seien effizient eingesetzt worden: Mit
- Zitat - „relativ geringen Mitteln konnte eine sehr
große Medienresonanz erreicht werden“. Mir jedenfalls
ist angesichts der Zahlen Ihres Haushalts das Lachen im
Halse stecken geblieben.
Der Gesamthaushalt sinkt im Vergleich zum Vorjahr,
der Verwaltungshaushalt steigt, der Programmhaushalt,
aus dem eigentlich die Politik Ihres Hauses bestritten
werden sollte, sinkt. Sie setzen damit ganz eindeutige
Zeichen.
({4})
Die Reise geht nicht in Richtung Umwelt und Naturschutz, sondern in Richtung Ideologie und Bürokratie.
Ihre Politik verliert zusehends an Bedeutung.
({5})
Herr Minister Trittin, in Zeiten des Sparens Steuergelder derart zu verschwenden, wie Sie es tun, und sich
dann noch dermaßen salopp zu rechtfertigen, ist unverantwortlich.
({6})
Haushalten Sie effizient mit den Mitteln, die Ihnen in die
Hand gegeben werden!
({7})
Ich erteile dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden heute diskutierten Punkte - der Haushalt und die
Förderung der erneuerbaren Energien - haben zwar keinen direkten Zusammenhang - Herr Kelber hat schon
darauf hingewiesen -; aber eine vernünftige Anschubförderung kann den Haushalt mittelfristig entlasten. Die
Förderung der erneuerbaren Energien ist vernünftig. Ich
bin mir sicher: Die Investitionen in die Zukunft werden
den Haushalt irgendwann entlasten.
Die Zukunft der Energieversorgung beruht meines
Erachtens auf zwei Säulen, auf denen weiter aufgebaut
werden muss: erstens der stetigen Steigerung der Effizienz und zweitens dem stetigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Ich bin mir sicher, dass sich auch in diesem Bereich die Vernunft durchsetzen wird.
({0})
Dazu passen die positiven Signale und Meldungen
der letzten Zeit: Der Mineralölkonzern Total will massiv
in die Windkraft investieren. RWE hat den ersten großen
Offshore-Windpark Großbritanniens in Betrieb genommen. In Kalifornien werden die Ziele hochgeschraubt:
Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2010 von
7 Prozent auf 20 Prozent erhöht werden. Dahinter können wir uns fast noch verstecken. Gleichzeitig wird in
den USA von renommierten Wissenschaftlern ein Weißbuch aufgelegt, das folgende Zahlen - wir kennen sie
schon, aber das bestätigt es noch einmal - beinhaltet: Es
ist locker möglich, bis 2050 einen Anteil von 50 Prozent
an der gesamten Energieversorgung der Welt aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Deswegen ist es auch
hier möglich.
({1})
Wir stehen vor der ersten Weltkonferenz für erneuerbare
Energien. Ich denke, wir werden auch dort Signale setzen.
Auch wenn immer wieder Angriffe auf die erneuerbaren Energien gestartet werden, zeigen alle Umfragen,
dass ihre Akzeptanz bei 80 Prozent oder sogar bei über
90 Prozent liegt. Es gibt keine andere Energieform, die
solch hohe Werte erhält.
Es gibt eine aktuelle Umfrage vom Marktforschungsinstitut IRES. Dabei geht es um die Faszinationsskala.
Da liegen die erneuerbaren Energien an der Spitze - vor
Fußball und Formel 1. Das ist, denke ich, einen Applaus
wert, weil das zeigt: Die Bürger haben es begriffen.
({2})
In Neustadt-Glewe wurde das erste Geothermiekraftwerk in Betrieb genommen. Wir werden heute das Vorschaltgesetz verabschieden, das ein gutes Signal an die
Wirtschaft ist. Auch in der Union - siehe: Vorschaltgesetz - wächst die Zustimmung zu den erneuerbaren
Energien. Ich wünsche den Gutwilligen in der Unionsfraktion eine Menge Kraft bei den Diskussionen. Beiträge wie der Beitrag von Herrn Lippold zeigen, dass da
noch viel zu tun ist.
({3})
Nur die FDP verliert leider jedweden Anschluss. Aber
auch da gibt es ein positives Signal. Der Sprecher des
Umweltausschusses in Bayern sagte, er verstehe gar
nicht, warum die FDP den erneuerbaren Energien so fern
sei. Er findet die erneuerbaren Energien und das Erneuerbare-Energien-Gesetz sehr effizient. Es wäre schön,
wenn Sie sich einmal mit ihm unterhalten würden.
({4})
Wir spüren also eine Gutwetterlage für die erneuerbaren Energien - trotz aller Attacken, trotz der unfairen
Kostendiskussion mit Halbwahrheiten, mit Übertreibungen und mit Unterschlagungen. Dazu kurz drei Beispiele:
Erstens. Herr Rüttgers erstellt eine Rechnung zu den
Kosten der Windkraft, ohne einzubeziehen, dass der
Wert der Windkraft an sich da ist, während er bei den
fossilen Energieträgern erst entstehen müsste. Das verschweigt er bei dieser Kostendiskussion.
({5})
Zweitens. Es gibt den Vorwurf der explodierenden
Dauersubvention - es gibt viele, die ihn erheben -, und
zwar - damit wir uns richtig verstehen - der staatlichen
Subvention. Dazu hat Herr Kelber gerade schon etwas
gesagt. Staatliche Subventionen geben wir sowieso
nicht. Außerdem sieht schon die geltende Fassung des
EEG Degressionsstufen vor, beispielsweise bei Photovoltaik in Höhe von 5 Prozent. Der Förderungszeitraum
ist auch begrenzt. Deswegen kann es keine Dauersubvention sein.
Insgesamt werden die erneuerbaren Energien immer
günstiger, während sich die fossilen Energieträger verteuern, sodass sich die Schere irgendwann schließen
wird. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen.
({6})
Drittens. Frau Brunkhorst, Sie haben uns in der letzten Sitzungswoche in diesem Haus erklärt, Photovoltaik
brauche 100 Jahre, um wettbewerbsfähig zu werden. Es
sind zehn Jahre. Sie haben darauf verwiesen, dass das
eine Zahl der Branche sei. Die Branche hat sofort eine
Pressemitteilung herausgegeben, in der steht, dass es
sich um zehn Jahre und nicht um 100 Jahre handelt.
({7})
Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen.
Aber selbst dann, wenn man die falschen Zahlen beiseite lässt, gibt es noch keinen fairen Kostenvergleich.
Viele Kosten muss die Bevölkerung tragen, auch wenn
sie nicht auf der Stromrechnung erscheinen. Sie werden
in die ganze Diskussion nicht einbezogen. Ein Beispiel
sind die externen Kosten. Wir wissen, dass die erneuerbaren Energien einen Haushalt ungefähr mit 1 Euro belasten.
({8})
Das Umweltbundesamt hat eine Rechnung angestellt
und festgestellt, dass die erneuerbaren Energien jeden
Haushalt um 4 Euro entlasten. Das heißt, es gibt einen
Gewinn von 3 Euro. Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis
zu nehmen.
({9})
Hören wir also endlich damit auf, zu verschleiern, was
uns der Raubbau und die Verfeuerung der herkömmlichen
Ressourcen kosten! Das kostet uns im Endeffekt mehr.
({10})
- Pro Monat.
({11})
- Ich bin mir sicher.
({12})
Zurück zum Kostenvergleich. Ich gebe ein paar weitere Beispiele für Kosten, die nicht auf der Stromrechnung auftauchen. Es sind zum Beispiel die Fördersummen, die in den Atomstrom geflossen sind und noch
immer reichlich fließen,
({13})
die aber in diese Rechnungen nicht einbezogen werden.
Wir wissen, dass es weitere versteckte und offene Kosten gibt, beispielsweise für Versicherungen, die nicht
richtig ausgewiesen sind, beispielsweise für die Endlagerung, die letztlich auch die Bürgerinnen und Bürger zu
zahlen haben. Wir sollten auch einmal über die Verfügbarkeit von Ressourcen sprechen, damit klar wird, wann
was billiger und wann was teurer wird.
Der sicherheitspolitische Aspekt taucht nicht auf.
Wir wissen aber, dass einige fossile Ressourcen, beispielsweise Öl, hauptsächlich dort vorhanden sind, wo es
sicherheitspolitisch prekär ist. Wir wissen nicht, ob wir
in Zukunft die Ressource noch bekommen können.
Außerdem wird nicht einbezogen, wie hoch der Beschäftigungsgrad ist. Die IG Metall geht nach den
vorliegenden Zahlen davon aus, dass die Windkraft im
Vergleich zum Atom einen zehnmal höheren Beschäftigungsgrad hat. Andere sprechen von einem achtmal
höheren Beschäftigungsgrad. Auf jeden Fall gibt es dort
einen höheren Beschäftigungsgrad und auch das muss
erwähnt werden.
({14})
Natürlich geht es auch um unsere Umwelt, um unsere
Lebensgrundlage. Es geht um den Klimawandel.
Auch aus ökonomischen Gründen muss die effiziente
Nutzung erneuerbarer Energien eine Säule unserer Politik werden. Es geht nicht um Umwelt gegen Wirtschaft,
sondern um Fortschritt gegen Rückschritt, um Generationengerechtigkeit gegen „nach mir die Sintflut“.
({15})
Die Bevölkerung hat das kapiert. Sie begreift die Faszination der erneuerbaren Energien und die damit verbundene Perspektive. Sie will sich das nicht zerreden lassen;
sie sieht darin eine Chance. Wir stehen in der Pflicht.
Ein passendes Sprichwort sagt: Chancen sind wie
Sonnenaufgänge. Wer zu lange wartet, verpasst sie. Wir haben mit zahlreichen Initiativen und Gesetzen eine
gute Grundlage geschaffen, damit der Sonnenaufgang
nicht verpasst wird. Wir wissen aber auch - das meine
ich durchaus auch als Selbstkritik -, dass das nur der Anfang war, dass wir ein umfassendes Energiekonzept
brauchen. Daran arbeiten wir.
Wir wissen, dass wir im Bereich Effizienz noch mehr
tun müssen. Wir wissen, dass wir im Bereich Verkehr,
beispielsweise im Luftverkehr, erhebliche Probleme haben. Wir wissen auch - in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu -, dass wir die internationale Diskussion weiter
forcieren müssen. Dazu haben wir die Weltkonferenz.
Wir brauchen aber auch eine Energieagentur, die sich um
erneuerbare Energien kümmert. Auch das muss forciert
werden.
({16})
Wir haben also viel vor der Brust.
({17})
Wir fangen heute mit dem Vorschaltgesetz für Photovoltaik an, um einen Fadenriss zu verhindern. Ich bin froh,
dass die Union das Signal gegeben hat, dem Gesetz zuzustimmen.
Ich weiß, dass es im Biogasbereich ähnliche Schwierigkeiten gibt und wir auch auf diesem Gebiet einiges erarbeiten müssen. Ich denke, dass wir auch hierbei gut
mit der Union zusammenarbeiten werden.
Wir bieten Ihnen die Zusammenarbeit bei einer Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an. Wir
sollten die einzelnen Teile dieses Gesetzes ausführlich
beraten. Mir liegt es am Herzen, dass wir die erneuerbaren Energien gemeinsam fördern. Wir sollten zusammenarbeiten.
({18})
Ich bin überzeugt, dass sich die Vernunft durchsetzen
wird. Es gibt viele ermunternde Signale. Noch haben wir
den Sonnenaufgang nicht verpasst. Lasst uns alle gemeinsam die Chancen nutzen, um dem Aufgang der erneuerbaren Energien zum nachhaltigen Erfolg zu verhelfen.
Ich danke Ihnen. Glück auf!
({19})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den
Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun-
gen? - Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Tagesordnungspunkt I. 15 b: Abstimmung über den
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Drucksache 15/1974.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/2084, den Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Dazu liegen schriftliche Er-
klärungen nach § 31 der Geschäftsordnung von sechs
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion vor.1) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der
zweiten Beratung angenommen.
({0})
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 16 auf:
a) Einzelplan 07
Bundesministerium der Justiz
- Drucksachen 15/1907, 15/1921 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Heinz Köhler
Alexander Bonde
b) Einzelplan 19
Bundesverfassungsgericht
-Drucksachen 15/1916, 15/1921 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Bernhard Kaster
Alexander Bonde
c) - Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNIS-
1) Anlage 4
SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines... Gesetzes zur
Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/1975 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines... Gesetzes zur
Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/1467 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
({3})
-Drucksache 15/2082 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Hacker
Hans-Christian Ströbele
Sibylle Laurischk
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Zum Einstieg in die Beratung des Justizetats muss ich als Haushälter zunächst feststellen, dass
der gesamte Haushaltsentwurf 2004 im Grunde nicht beratungsfähig ist.
({0})
Wir wissen: Es ist der unsolideste Haushalt in der Geschichte dieser Republik. Wenn Sie ehrlich sind, liebe
Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite, dann
müssen Sie das auch zugeben.
({1})
Einen solchen Haushalt zu beraten macht im Grunde
genommen wenig Vergnügen, insbesondere dann, verehrte Frau Ministerin Zypries, wenn es um den Justizetat
geht; denn gerade bei dem Justizetat halten wir Haushälter und Berichterstatter zusammen wie Pech und Schwefel.
({2})
Er nimmt eine Sonderstellung ein, wenn es darum geht,
nach Sparreserven zu suchen; denn dieser Etat ist ausgelutscht. Alle weiteren Einsparungen gingen an die Substanz und wären deshalb nicht mehr zu verantworten.
Das können wir uns auch angesichts eines gegenüber
2003 um 5,2 Millionen Euro verminderten Gesamtvolumens nicht leisten. Wir können es uns ebenfalls angesichts der Tatsache, dass die Eigenfinanzierungsquote
Ihres Haushalts bei über 90 Prozent liegt, nicht leisten.
Dazu will ich mich nicht weiter äußern.
({3})
Was mir allerdings etwas Sorge bereitet, ist die globale Minderausgabe in Höhe von 3 Millionen Euro, bei
der ich mich frage, wie sie umgesetzt werden soll. Im
Grunde genommen bleibt Ihnen als einziger Steinbruch
der Generalbundesanwalt, Stichwort „Entschädigungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt“. Da muss ich sagen: Wie eine Kürzung an dieser Stelle mit der derzeit
steigenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zusammenpassen soll, ist mir nicht klar. Ich
meine, hier brauchen wir einen Notgroschen.
({4})
Lassen Sie mich an dieser Stelle - nach dem Motto:
Steter Tropfen höhlt den Stein - einen weiteren unausgewogenen Etatposten benennen: Härteleistungen ausschließlich für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe
vorzusehen ist einäugig und ungerecht, Frau Ministerin;
das passt nicht.
({5})
Den Opfern, Herr Ströbele, ist es nämlich egal, ob sie
von Rechts- oder Linksextremisten verletzt werden.
({6})
Sie müssen sich die Opfer vornehmen; das ist das Entscheidende.
Deshalb, liebe Frau Ministerin: Was spricht dagegen,
diesen Titel in „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ umzubenennen? Ich fordere Sie erneut
auf: Setzen Sie Ihre parteipolitische Brille ab, legen Sie
das parteipolitisch straffe Korsett Ihrer Vorgängerin ab
und handeln Sie so, wie man es von einer Justizministerin erwarten darf.
({7})
Einen fachlichen Aspekt möchte ich noch ansprechen,
der mich persönlich interessiert. Frau Ministerin
Zypries, Sie haben am 29. Oktober in Brüssel zum
Thema Embryonenforschung etwas gesagt, was für
mich nicht akzeptabel ist. Menschenwürde darf nicht interessengeleitet von außen zugewiesen werden. Das
Recht auf den Schutz der Menschenwürde wird genau
dann untergraben, wenn man durch letztlich beliebige
begriffliche Bedeutungsmacht vermeintliche Stufen des
vollgültigen Menschseins bestimmen will. Genau das
tun Sie, wenn Sie dem Embryo nicht mehr vom Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei und Samenzelle an das
volle Schutzrecht zusprechen wollen.
Einerseits das Recht auf Leben, andererseits noch
keine Menschenwürde - das geht nicht zusammen. Das
sieht übrigens auch der frühere SPD-Abgeordnete
Antretter so. Ich erwarte von Ihnen, Frau Ministerin
Zypries, dass Sie als Verfassungsministerin dem bisherigen Kurs Ihres Hauses treu bleiben und die Zuerkennung
von Menschenwürde nicht von Nützlichkeitserwägungen abhängig machen. Die gestrige Entscheidung im
EU-Ministerrat kann da ja ein wertvoller Anstoß sein.
({8})
- Das ist keine Unterstellung, ich bitte Sie. Den Zwischenruf können Sie zurücknehmen.
Zurück zum Haushalt. Frau Ministerin, politisch sind
Sie natürlich auch in der Mitverantwortung für den gesamten Haushalt. Die Bundesregierung bemüht sich ja
derzeit ständig, von einem Dreiklang aus Strukturreformen, rigider Haushaltskonsolidierung und Wachstumsimpulsen zu sprechen. Wenn ich mir den Haushalt und
auch das Ergebnis der Haushaltsberatungen anschaue,
muss ich feststellen: Dieser Dreiklang besteht aus mehr
Ausgaben, weniger Investitionen und drastisch steigender Nettokreditaufnahme. Das allerdings ist kein harmonisch klingender Akkord, das ist ein schiefer Akkord,
Furcht einflößend schief.
Wenn man sich dann noch überlegt, was „Konsolidierung“ eigentlich heißt, nämlich etwas Bestehendes festigen und sichern, dann frage ich mich schon, ob mit diesem Haushalt der Marsch in immer mehr Schulden
verfestigt und verstetigt werden soll. Das kann ja wohl
nicht wahr sein. Dann hätten wir schlechte Perspektiven
für unser Land.
Die Perspektiven haben dazu geführt, dass immer
mehr Menschen das Vertrauen in diese Bundesregierung
und in den Finanzminister verlieren. Auch wir von der
Union haben das Vertrauen in diesen Finanzminister
längst verloren. Wir haben auch das Vertrauen in diesen
Haushalt verloren. Deshalb werden wir den Einzelplan 07
ablehnen.
Danke.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegen Heinz Köhler, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Bundeshaushalt symbolisiert den
Dreiklang aus Strukturreformen der Agenda 2010, der
Haushaltskonsolidierung sowie der Konjunkturstärkung
durch die vorgezogene Steuerreform. Um dieses Ziel zu
erreichen, haben alle Einzelpläne ihren Beitrag leisten
müssen und auch geleistet.
Das war in diesem Jahr ein schwieriges Unterfangen.
Ich darf mich daher ausdrücklich beim Justizministerium
bedanken, das uns von Anfang an durch gute Vorarbeit
die Arbeit leicht gemacht hat.
({0})
Das Bundesjustizministerium musste, wie bereits
2003, eine globale Minderausgabe in Höhe von
6,6 Millionen Euro leisten, die bei den Ansätzen beim
Generalbundesanwalt, beim Bundesverwaltungsgericht
und beim DPMA vollständig aufgelöst wurde. Der Einzelplan 07 ist der kleinste Haushalt. Hinzu kommt: Der
Justizhaushalt ist vornehmlich ein Personalhaushalt, was
Einsparungen besonders schwierig macht. Dennoch sind
die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr um 11,2 Millionen Euro gestiegen, während die Ausgaben um 1 Million
Euro niedriger sind. Damit weist der Justizhaushalt mit
über 90 Prozent die mit Abstand höchste Deckungsquote
unter den Ressorts auf.
({1})
Es war möglich, den Ausgabenansatz auf 340 Millionen
Euro zurückzuführen. Der Einzelplan 07 liegt somit um
gut 4 Millionen Euro unter dem Ansatz von 2003.
({2})
Meine Damen und Herren, Haushaltspolitik ist auch
Konsolidierungspolitik. Konsolidierungspolitik muss
Strukturreformen dienen. Konsolidierung ist kein
Selbstzweck, sondern muss immer der Anpassung an die
geänderten Verhältnisse dienen und Antworten auf neue
Herausforderungen geben. Im Einzelplan 07 muss sie
der Modernisierung der Justiz dienen. Dies haben wir
seit 1998 getan. Ich will nur zwei herausragende Beispiele der letzten Legislaturperiode nennen: die Schuldrechtsreform und die ZPO-Reform.
({3})
Wir werden den eingeschlagenen Weg in dieser Legislaturperiode fortsetzen. Ich darf das Justizmodernisierungsgsetz nennen oder auch die Einführung des
elektronischen Rechtsverkehrs sowie das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, das die zum Teil 120 Jahre alte
Rechtsanwaltsgebührenordnung ablösen wird.
({4})
Alle diese Gesetze werden den Rechtsstaat modernisieren und zukunftsfest machen.
Im Einzelplan 07 wurden wieder einige Schwerpunkte gesetzt. So wurde beim BGH die bedarfsgerechte Veranschlagung der Finanzierung von Hilfskräften insbesondere für die aus den Ländern abgeordneten
Richter und Staatsanwälte vorgenommen.
Diese Personaltitel waren in den letzten Jahren regelmäßig unterveranschlagt. Um jedoch die zunehmende
Arbeit bei ungefähr gleich bleibender Personalausstattung bewältigen zu können, wurden die Titel entsprechend aufgestockt. Damit wird der Forderung nach Klarheit und Wahrheit entsprochen.
Erfreulich ist, dass die geforderten neuen Stellen für
das dem Bundesministerium der Justiz zugeordnete
Deutsche Institut für Menschenrechte auf einen Antrag von Rot-Grün in den Haushalt aufgenommen werden konnten.
({5})
Dem Institut, das noch in der Aufbauphase ist, konnte
hier geholfen und damit die Arbeit des Instituts unterstützt werden.
Für die Leistungen an Opfer rechtsextremistischer
Gewalt wurden weiterhin 1 Million Euro veranschlagt.
Dass dieser Titel notwendig ist, zeigt am besten die Tatsache, dass die rechtsextreme Gewalt 2002 wieder zugenommen hat.
({6})
Allein im Jahre 2002 gab es 772 - im Vorjahr waren es
nur 705 - Gewalttaten bei rechtsextremen Straftaten. Mit
diesem Haushaltstitel haben wir ein Zeichen für die Opfer gesetzt. Herr Barthle, es stünde der CDU/CSU gut
an, diesen Titel endlich zu akzeptieren
({7})
und gerade jetzt nach den jüngsten Ereignissen - ich
sage das mit Nachdruck - eine Grenze nach rechts zu
ziehen, waren doch 28 Gewalttaten darunter, die antisemitischer Art waren.
Für den Entschädigungsfonds für die Opfer terroristischer Gewalt haben wir 4 Millionen Euro eingesetzt.
Kollege Köhler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Siegfried Kauder?
Ja.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der Etat zur
Entschädigung von Opfern terroristischer Gewalt im
letzten Haushalt 9 Millionen Euro betrug, wovon
1,7 Millionen Euro verwendet wurden, und dass jetzt nur
noch 1 Million Euro dafür in den Haushalt eingestellt
werden? Sind Sie der Meinung, dass es ein Fortschritt
auf dem Gebiet des Opferschutzes ist, wenn man den
Opfern jetzt weniger gibt, als es beim letzten Haushalt
der Fall war?
({0})
Sie haben zwei Titel verwechselt. Es ist richtig, dass
für den Entschädigungsfonds für die Opfer terroristischer Gewalt im letzten Jahr 9 Millionen Euro eingesetzt
wurden.
({0})
Dafür haben wir nun 4 Millionen Euro eingesetzt und
nicht 1 Million Euro, wie Sie gesagt haben. Die Summe
von 1 Million Euro haben wir für die Leistungen an Opfer rechtsextremer Gewalt vorgesehen.
({1})
Nach den Anschlägen von New York, auf Djerba und
auf Bali haben wir erfreulicherweise keine Opfer durch
terroristische Gewalt zu verzeichnen gehabt. Aber die
Vorgänge in Istanbul zeigen deutlich, dass die Gefahr
allgegenwärtig ist und dass wir hier vorbeugend einen
Titel aufnehmen müssen.
Der Schwerpunkt des Justizhaushaltes - geht man
von dem Einnahmevolumen aus - liegt beim Deutschen
Patent- und Markenamt. Ich stelle noch einmal fest: Das
DPMA ist für unsere Wirtschaft und den Industriestandort von erheblicher Bedeutung. Deutschland ist ein
Hochtechnologieland. Wir leben von unseren Erfindungen. So sind die Patentanmeldungen von 1993 bis zum
Jahr 2001 um 54,55 Prozent gestiegen. Beim Markenamt
gab es eine Zunahme der Anmeldungen von 50 083 im
Jahr 1996 auf 78 300 im Jahre 2001. Prüfung und Recherche bei der Patentanmeldung gingen aber im gleichen Zeitraum nur um 44 Prozent nach oben, sodass die
Verfahren immer länger wurden.
Es war daher ein Wendepunkt, dass die rot-grüne
Bundesregierung mit dem Haushalt 2002 ein Zeichen
setzte und das auf drei Jahre begrenzte Stauabbaukonzept in Kraft setzte.
({2})
Dieses Programm hatte zum Ziel, dass
180 Prüfungsbeamte und 20 Markenprüfer im Zeitraum
von drei Jahren eingestellt werden. Dieses Ziel wird im
Haushalt 2004 mit der letztmaligen Einstellung von
60 Prüfern plus der Einrichtung von 20 Stellen für unterstützende Dienste erreicht. Das DPMA wird jetzt endlich
die Bugwelle, nämlich die kohlsche Altlast, die es vor
sich herschiebt, abbauen können.
({3})
Zum Schluss gilt mein Dank den Mitberichterstattern
der anderen Fraktionen, die konstruktiv mitgewirkt haben, sodass die Behandlung des Einzelplans 07 kein Problem darstellte.
Herzlichen Dank.
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Funke, FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz ist für unsere
freiheitliche Gesellschaftsordnung und für unser Gemeinwesen einer der wichtigsten Haushalte, die wir hier
zu beraten haben. Die Rechtsordnung muss sich bei aller
notwendigen Kontinuität fortentwickeln, und zwar sowohl aufgrund der gesellschaftlichen als auch aufgrund
der politischen Entwicklungen. Das gilt natürlich national wie international. Denn wir müssen ja die europarechtlichen Vorgaben umsetzen. Dazu bedürfen wir eines
gut funktionierenden Bundesjustizministeriums.
Ein Jahr nach der Bundestagswahl und ein Jahr nach
der Konstituierung der Bundesregierung ist jedoch festzustellen, dass sich im Jahre 2003 im Hinblick auf die
Anforderungen durch die Fortentwicklung unserer
Rechtsordnung wenig getan hat. Es wird daher im Jahre
2004 darauf ankommen, im Rahmen dieses Haushaltsjahres umso mehr umzusetzen, damit wichtige Reformvorhaben endlich vorangetrieben werden.
({0})
Den Ankündigungen zu Reformen im Versicherungsvertragsrecht, beim Recht der Wirtschaftsprüfer und zur
großen Strafprozessreform müssen endlich Taten folgen.
({1})
Darüber hinaus muss die Bundesregierung endlich Vorschläge zur Reform der Telefonüberwachung vorlegen.
({2})
Im Aktienrecht und im Finanzmarktrecht müssen die
Empfehlungen der Kommissionen zur Corporate Governance umgesetzt werden.
Frau Ministerin, am 31. Dezember 2004 läuft eine
wichtige Frist im HGB ab.
({3})
Denn dann müssen wir die Bilanzierungsregeln neu bestimmt haben, insbesondere die für international tätige
Konzerne. Da ist bislang noch nichts geschehen. Ich
weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen. Wollen Sie genauso arbeiten wie der Finanzminister, nämlich Gesetze
erst am 19. Dezember im Bundestag verabschieden, die
dann schon ab 1. Januar gelten sollen? Das geht im Bilanzrecht nicht; denn da brauchen Sie lange Vorlaufzeiten. Kommen Sie deswegen bitte bald mit dem Konzernbilanzrecht über! Denn das braucht die deutsche
international tätige Wirtschaft auf jeden Fall.
({4})
Generell ist auch wichtig, das Wirtschaftsrecht an die
neuen technischen und europarechtlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre anzupassen. Besondere Anstrengungen sind von der Bundesjustizministerin auf
dem Weg zu einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung und Rechtspolitik zu erwarten. Parallel zu der
Einführung eines europäischen Haftbefehls müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden, um in Europa zu einem einheitlichen Straf- und Strafprozessrecht
mit einheitlichen strafprozessualen Verfahrensgarantien
zu gelangen.
({5})
Frau Ministerin, wir haben uns in der letzten Legislaturperiode - im Übrigen interfraktionell - im Zusammenhang mit einem neuen Betreuungsrecht große
Mühe gemacht. Frau von Renesse von der sozialdemokratischen Partei ist da besonders aktiv gewesen. Ich
danke ihr an dieser Stelle für ihre Arbeit.
({6})
Damit diese Arbeit auch umgesetzt werden kann,
braucht es ein neues Betreuungsrecht, und zwar schnell.
Der Bundesrat will zwar eine entsprechende Novellierung vorlegen. Diese Novellierung ist aber rein fiskalisch bestimmt, was man zum Beispiel an den Vollmachten für Familienangehörige erkennen kann; das ist eine
Zwangsvollmacht. Das kann ja wohl nicht im Sinne dieses Hohen Hauses sein. Insoweit bitte ich darum, dass
wir hier wieder interfraktionell tätig werden, um das Betreuungsrecht zu novellieren.
({7})
Ich bin mir auch sicher, dass wir dies hier gemeinsam
im Konsens schaffen können. Überhaupt hoffe ich, dass
wieder mehr Gesetze im Konsens verabschiedet werden
können. Dies ist in der letzten Wahlperiode aus den bekannten Gründen leider versäumt worden. Jetzt muss die
Chance ergriffen werden, um wichtige Reformprojekte
in diesem Haus gemeinsam voranzubringen. Beim Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ist ein guter Anfang
gemacht worden. Zuversichtlich bin ich auch beim Opferschutz; da haben alle Fraktionen sehr sinnvolle Vorschläge unterbreitet. Es wäre sehr zu wünschen, wenn
sich dieser Stil im Bereich der Rechtspolitik in den kommenden Jahren durchsetzen würde.
Es verwundert aber, dass das Bundesjustizministerium in letzter Zeit seine Funktion als Hüter der Verfassung bzw. als Wahrer der Rechtsförmlichkeit bei Bundesgesetzen immer weniger wahrnimmt. Ein Beispiel ist
der Bundeshaushalt; denn wir werden einen Bundeshaushalt von Ihnen verabschiedet sehen, der verfassungswidrig ist.
({8})
Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Bundesjustizministerin dem Einhalt gebietet. Vielleicht ist sie aber
gegenüber dem Bundesfinanzminister nicht stark genug.
({9})
Wir sollten ihr wenigstens den Rücken stärken, damit sie
einmal gegen verfassungswidrige Gesetze vorgeht.
Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Ströbele,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Barthle, Ihnen kann ich meinen Dank jetzt
nicht abstatten, weil Sie sich der Diskussion dieses
Haushalts und selbst der Diskussion des Etats des Bundesverfassungsgerichts verweigern. Ich weiß nicht, wie
das Bundesverfassungsgericht im nächsten Jahr weiter
arbeiten sollte, wenn man dem konsequent folgen würde.
({0})
Wenn Sie sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten,
dann hätten Sie beispielsweise im Haushalt des Bundesverfassungsgerichts gefunden, dass dieses Gericht lediglich 8 000 Euro im Jahr für Öffentlichkeitsarbeit ausgibt.
Trotzdem ist der Ruf dieser Verfassungsinstitution in der
Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland - zu
Recht - ganz hervorragend.
({1})
Das zeigt, dass man bei guter Sacharbeit kein Geld oder
fast kein Geld für Öffentlichkeitsarbeit braucht.
({2})
Aber auch der Etat des Bundesjustizministeriums ist
vorbildlich; auch das hätten Sie sehen können, wenn Sie
sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Benneter?
({0})
Ja.
Herr Kollege Ströbele, sehe ich das richtig, dass das
Bundesverfassungsgericht nicht so umfassend umgebaut
wurde wie andere Bundesbehörden?
Das ist richtig. Das war beim Bundesverfassungsgericht auch nicht notwendig, weil, wie wir alle wissen,
das Bundesverfassungsgericht unendlich viel für die Bevölkerung und für den Rechtsstaat leistet. Wenn man
einmal in Vergleich setzt, was das Bundesverfassungsgericht die Bevölkerung kostet und was dabei herauskommt, dann muss man feststellen, dass das KostenNutzen-Verhältnis bei dieser Institution besonders hervorragend ist.
({0})
Wenn Sie sich mit dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz befasst hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass das ein ganz vorbildlicher Haushalt ist. Dieser
Haushalt ist, wenn ich das richtig überschlagen habe, der
einzige Haushalt, der sich in diesem hohen Maße selbst
finanziert.
({1})
Das geschieht in einer Weise, dass ganze Bereiche sogar
Gewinne erwirtschaften.
({2})
Das Bundesjustizministerium nimmt insgesamt etwa die
Hälfte des Geldes ein, das ausgegeben wird. Insofern ist
der Haushalt dieses Ministeriums vorbildlich.
Aber auch die Politik, die das Bundesjustizministerium gemeinsam mit den Koalisationsfraktionen macht,
kann sich sehen lassen.
({3})
Wir haben im ersten Jahr dieser Legislaturperiode Hervorragendes auf den Weg gebracht, Hervorragendes geleistet. Leider haben Sie Ihre Hauptaufgabe darin gesehen, das immer wieder im Bundesrat anzuhalten, wie
zum Beispiel bei der sehr schwierigen Gesetzesgeburt
des § 129 a StGB. Ich gebe zu, da habe auch ich große
Probleme gehabt. Wir waren von der Europäischen
Union verpflichtet, diesen Paragraphen neu zu gestalten
und ihn an den Vorgaben der Europäischen Union zu
messen. Wir haben diese Aufgabe in vollem Umfange
erfüllt und haben darüber hinaus das Versprechen eingehalten, dass wir aus den Vorgaben der Europäischen
Union nicht nur die Verschärfungen, sondern auch die
Teile übernehmen, die mehr Rechtsstaat in die bundesdeutsche Gesetzgebung hineinbringen können. Wir sind
nicht so vermessen, dass wir denken, die bundesdeutschen Gesetze seien die vorbildlichsten Gesetze in ganz
Europa, sondern prüfen alle Vorgaben ganz genau.
In § 129 a StGB beispielsweise haben wir zum ersten
Mal eine Definition dessen aufgenommen, was eine terroristische Vereinigung ist,
({4})
ohne uns an einem Straftatenkatalog zu orientieren. Das
ist ein Fortschritt. Viele frühere Regierungen haben das
versucht; es ist ihnen aber nicht gelungen. Ich glaube,
das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es gibt überhaupt
keinen Grund, warum Sie das Gesetzgebungsverfahren
gestoppt haben, warum es im Bundesrat hängt und noch
nicht verabschiedet werden konnte.
({5})
Aufgabe der Justiz, der Justizministerin und der Koalition ist es, dafür zu sorgen, dass die gesellschaftlichen
Veränderungen in den Gesetzen Berücksichtigung finden
und die Gesetzeslage den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst wird. Wir haben in einer ganzen Reihe
von Bereichen Änderungen vorgenommen, wie zum
Beispiel beim Kostenrecht; das haben Sie schon genannt. Die Änderung beim Kostenrecht ist für die Anwälte, aber auch für die Justiz und die Gerichte sehr
wichtig. Gemeinsam mit Ihnen haben wir die Anwaltsgebühren etwas angehoben und auf diese Weise angeglichen. Das war richtig und vernünftig. Leider hängt
auch dieser Entwurf im Bundesrat. Wir hoffen, dass die
Bedenken, die vor allen Dingen von den von Ihnen regierten Bundesländern kommen, ausgeräumt werden
können,
({6})
sodass wir die von der Justiz, vor allem aber auch von
den Anwälten seit langem erwartete und benötigte neue
Gebührenordnung endlich verabschieden und ins Gesetzblatt aufnehmen können.
({7})
Als weiteres Vorhaben der Gesetzgebung steht an
- Herr Kollege Funke, das haben Sie bereits angesprochen -, auch die Strafprozessordnung der veränderten
gesellschaftlichen Situation anzupassen. Ich hatte vor einigen Tagen das etwas zweifelhafte Vergnügen, wieder
einmal in einem Gerichtssaal zu sitzen.
({8})
Bei dieser Gelegenheit habe ich wieder gesehen, was ich
aus 30-jähriger Praxis als Rechtsanwalt kenne: Die Gerichte haben über moderne Sachverhalte zu entscheiden.
Dazu zählen zum Beispiel Themen wie Kommunikationsarten, Kommunikations- und Verhandlungsmittel
- hier ist der genetische Fingerabdruck sowie dessen
Anwendung zu nennen -, der IMSI-Catcher oder die
Prepaid-Card, hinsichtlich der die Frage zu klären ist, ob
die Anwendung verfassungsgemäß ist oder nicht.
Das Verfahren vor Gericht läuft aber noch wie eh und
je ab. Man trifft noch immer auf eine Protokollführerin,
von der man den Eindruck hat, sie komme von Kleists
Dorfrichter Adam. Sie sitzt zwar nicht mehr mit Kiel
und Tintenfass, aber doch mit dem Griffel in der Hand
dort und soll auf alte Weise die Gerichtsverhandlung
wiedergeben und Protokoll führen. Ich denke, das ist ein
Beispiel dafür, dass unsere Strafprozessordnung in vielen Bereichen modernisierungsbedürftig ist. Moderne
Kommunikationsmittel müssen Eingang in die Gerichtssäle finden.
({9})
Auch deshalb müssen wir unsere Strafprozessordnung
verändern. Daran arbeiten wir und werden Ihnen in
Bälde den Wunsch erfüllen und einen vernünftigen Vorschlag vorlegen.
({10})
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, bei
dem vielleicht keine so große Begeisterung aufkommen
wird. Wir halten es für richtig, ein Antidiskriminierungsgesetz zu verabschieden. Gott sei Dank hat die
SPD auf ihrem Parteitag dazu einen sehr vernünftigen
Beschluss gefasst, wonach wir ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz schaffen müssen, das alle Diskriminierungstatbestände aufnimmt und sanktioniert.
({11})
Das war dringend erforderlich. Ein solches Gesetz gibt
es in vielen anderen Ländern der Erde, das muss es auch
in der Bundesrepublik Deutschland geben. Das gehört zu
einer fortschrittlichen Gesetzgebung einfach dazu.
({12})
Ich komme zum Abschluss auf eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung zu sprechen. Wir sind zu einer
relativ späten Abendstunde hier versammelt. Ich gehe
davon aus, dass die eine oder der andere von denen, die
hier sitzen, anschließend ein Glas Wein oder ein Glas
Bier trinken wird, vielleicht auch zwei oder drei Gläser.
Gestatten Sie zuvor eine Zwischenfrage des Kollegen
Fricke?
Nein, ich möchte das gerne zu Ende führen.
Wie gesagt: Ich gehe davon aus, dass der eine oder
andere ein Glas Wein oder ein Glas Bier zu sich nehmen
wird, um sich anschließend mit einem kleinen Räuschchen oder einem kleinen Rausch von der anstrengenden
Arbeit als Bundestagsabgeordneter zu entspannen.
({0})
Ich gönne es Ihnen, obwohl ich weiß, dass es gesundheitsschädlich ist und dass in der Bundesrepublik
Deutschland 70 000 Menschen pro Jahr an den Folgen
des Ge- und Missbrauchs von Alkohol sterben.
Ich setze mich dafür ein - das gilt natürlich auch für
meine Fraktion -, dass wir das gesellschaftliche Phänomen zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland 2 bis
3 Millionen Menschen gibt - vor allen Dingen Erwachsene -, die sich in anderer Weise das kleine Räuschchen
oder den kleinen Rausch am Feierabend gönnen wollen.
({1})
Ich sage: Ich möchte diesen Bereich der Gesellschaft
aus der Kriminalität herausnehmen und den Konsum von
Hanf, Cannabis oder Marihuana legalisieren, sodass
man sich auch auf diese Weise das verschaffen kann,
was Sie sich ebenfalls verschaffen. Sie nehmen sich das
Recht dazu, gönnen es den anderen, die andere Mittel
konsumieren, aber nicht. Dafür treten wir ein.
({2})
Wir wissen, dass das im Bundestag noch keine überwältigende Mehrheit findet. Wir setzen uns aber weiter
dafür ein. Es gibt bereits erste ganz kleine Ansätze in unserer Koalitionsvereinbarung.
Kollege Ströbele, Sie reden so lange, dass unser Feierabend, von dem Sie immerfort reden, gar nicht mehr
erreichbar ist.
({0})
Dadurch kann ich vielleicht viele, die anschließend
rauchen oder trinken gehen würden, davon abhalten.
Vielleicht tue ich ihnen damit etwas Gutes.
Herr Präsident, ich will damit abkürzen. Ich halte es
für eine der großen gesellschaftlichen Lügen und Ungerechtigkeiten, dass diese verschiedenen Suchtmittel so
ungleich behandelt werden. Die gefährlicheren Suchtmittel erlaubt man und die anderen stellt man unter erhebliche Strafe. Deren Genuss und Besitz in größeren
Mengen ist verboten.
({0})
Ich erteile Kollegin Andrea Voßhoff, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Herr Kollege Ströbele, bevor wir uns mit den Räuschchen und dem Rausch beschäftigen, muss ich Ihnen sagen, dass ich in Ihren Ausführungen etwas vermisst
habe. Sie haben sich und die Regierungskoalition gelobt.
Die Politik könne sich mit dem, was sie alles auf den
Weg gebracht hat, sehen lassen. Was ist denn mit den
Graffitis und der Schließung der Strafbarkeitslücke?
({0})
In einer der letzten Debatten hat der Kollege Stünker gesagt, es gebe eine quälende Diskussion mit den Grünen.
Auf diesem Gebiet ist bei Ihnen leider noch nichts passiert. Die Menschen warten darauf.
({1})
Aus Zeitgründen verbinden wir die heutige Haushaltsdebatte über den Einzelplan der Justiz mit der abschließenden Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften. Ich
bitte deshalb um Verständnis, dass ich nicht zum Haushalt, sondern zu diesem, wie ich finde, nicht unwichtigen
Gesetzesentwurf reden möchte.
Es geht bei diesem Gesetz wieder einmal um die Verlängerung von Antragsfristen zur Rehabilitierung der
Opfer der SED-Diktatur. Die Zeit drängt deshalb, weil
die Fristen der strafrechtlichen, verwaltungs- und berufsrechtlichen Rehabilitierung von Opfern der SED-Diktatur zum Jahresende 2003 auslaufen. Es ist ja wahrlich
nicht das erste Mal, dass wir kurz vor Toresschluss über
eine Verlängerung von Antragsfristen in diesem Hohen
Hause beraten. Alle beteiligten Kollegen und auch die
betroffenen Opferverbände wissen dies - leidvoll, muss
ich dazusagen.
Das Spannungsfeld, mit dem wir es hier konkret zu
tun haben, ist auf der einen Seite die Frage nach der
rechtlichen Notwendigkeit, Ausschlussfristen gesetzlich
festzulegen, damit ein überschaubarer Zeitrahmen für
die Rechtsgemeinschaft erkennbar ist und auch der Finanzierungsbedarf verlässlicher festgestellt werden
kann. Auf der anderen Seite stehen aber die Opfer des
SED-Regimes, deren Schicksale, denen wir gerecht werden müssen, uns in besonderer Weise verpflichten. Dazu
gehört deshalb auch der sorgfältige Umgang mit der
Frage, ob und wann wir es zulassen wollen, dass berechtigte Ansprüche als verfristet anzusehen sind; denn mit
einer Verfristung droht den Opfern der dauerhafte Ausschluss von Rehabilitierung und Ausgleichsleistung und
damit auch die Gefährdung der mit dem Rehabilitierungsgesetz beabsichtigten Intention.
Meine Damen und Herren Kollegen von der Regierungskoalition, in der dazu notwendigen sensiblen Abwägung kann ich es Ihnen nicht ersparen, Ihnen in Ihr
rechtspolitisches Stammbuch zu schreiben, dass Sie bei
den Antragsfristen in der Vergangenheit leider keine
klare Linie im Interesse der betroffenen Opfer haben erkennen lassen. Sie haben vielmehr einen rechtspolitischen Zickzackkurs hingelegt.
({2})
Noch vor zwei Jahren hat die SPD an dieser Stelle erklärt - Herr Kollege Hacker, Sie waren das -, es bedürfe
lediglich einer Verlängerung der Fristen zur strafrechtlichen Rehabilitierung, und zwar nur noch bis zum
Jahr 2003.
({3})
Eine Verlängerung der Fristen bei der beruflichen und
verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung haben Sie als
nicht mehr notwendig erachtet.
Sie haben deshalb unseren Antrag im Jahr 2001 im
Rechtsausschuss, mit dem wir die infrage kommenden
Antragsfristen generell bis 2006 verlängern wollten, abgelehnt. Es waren der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss, Herr Kollege Hacker, die diese falsche Entscheidung, die Sie dann getroffen haben, aufgehalten
und eine Verlängerung auch der anderen Fristen bis 2003
erreicht haben.
({4})
Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün vom Oktober 2002, also knapp ein Jahr später, haben Sie erneut
eine völlige Kehrtwende vollzogen. Darin war von den
Antragsfristen der strafrechtlichen Rehabilitierung keine
Rede mehr.
({5})
Dafür sollten aber wieder die Antragsfristen der beruflichen und der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung bis
2006 verlängert werden.
({6})
Neben dem erneuten Hin und Her bei der Frage der
Verlängerung war dies auch inhaltlich ein falscher Ansatz; denn gerade dem Personenkreis, der durch Haft besonderer Verfolgung ausgesetzt war, sollte, weil nötig,
auch über 2003 hinaus die Möglichkeit einer Rehabilitierung eingeräumt werden.
({7})
Außerdem ist die strafrechtliche Rehabilitierung oftmals
der Einstieg für die berufliche und verwaltungsrechtliche
Rehabilitierung.
Für die Notwendigkeit sprechen die Antragszahlen
in allen drei Bereichen; das wissen Sie. Diese sind in den
Jahren 2002 und 2003 nicht zurückgegangen, sondern
kontinuierlich auf hohem Niveau geblieben. Bei den Gerichten der neuen Länder gingen allein im Jahr 2002
noch über 4 000 Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung ein. Bei den Regulierungsbehörden der neuen
Länder gingen im Jahr 2002 insgesamt noch über
2 700 Anträge auf Entschädigungsleistungen nach der
strafrechtlichen, über 4 500 Anträge nach der verwaltungsrechtlichen und über 6 700 Anträge nach der beruflichen Rehabilitierung ein.
Die Zahl derjenigen Betroffenen, die von ihren
Antragsmöglichkeiten bislang noch keinen Gebrauch
gemacht hat, ist offenbar nicht gering. So haben
beispielsweise nach Schätzungen des thüringischen Landesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit
allein in Thüringen 4 000 bis 5 000 SED-Opfer noch
keinen Antrag gestellt. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Dabei geht es nicht allein um die noch immer vorhandene Unkenntnis der Opfer ob der Gesetzeslage, der
praktischen Probleme der Antragstellung oder der Frage,
welche Behörde zuständig ist. Es fehlt vielen Betroffenen auch 13 Jahre nach der Wende noch die Kraft, sich
im Rahmen des Antragsverfahrens nochmals mit der
persönlichen Vergangenheit und dem erlittenen Schicksal auseinander zu setzen.
Wir müssen den Menschen, die bisher nicht die Kraft
hatten, Anträge zu stellen, weitere Zeit geben, um sie vor
dem Verlust berechtigter Ansprüche zu bewahren. Das
sind wir ihnen auch 13 Jahre nach der Wende schuldig.
({8})
Deshalb haben die Länder Sachsen, Thüringen und
Sachsen-Anhalt einen Bundesratsantrag in den Bundestag eingebracht und um erneute Verlängerung gebeten
bzw. sie eingefordert. Dass wir uns schließlich interfraktionell auf den heutigen Gesetzentwurf verständigen
konnten, begrüße ich ausdrücklich.
({9})
Zu begrüßen ist aber insbesondere, meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen, dass Sie sich von
Ihren engen Befristungen lösen und zusammen mit der
CDU/CSU und der FDP die Antragsfristen in den drei
Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007
verlängern wollen. Auch ist es zu begrüßen, dass die
Ausgleichsleistungen für die berufliche Rehabilitierung,
wenn auch nur gering, aber dennoch um den Inflationsausgleichsbetrag angehoben wurden.
Mit dem vorliegenden gemeinsamen Gesetzentwurf
verbinden wir auch die Hoffnung, dass bei der dringend
erforderlichen Pensionsanhebung für SED-Opfer ein
gemeinsamer Weg gefunden wird. Diese sind bekanntlich seit dem Rentenurteil des Bundesverfassungsgerichts gegenüber ehemaligen staatsnahen Personen bis
hin zu Stasimitarbeitern erneut ins Hintertreffen geraten.
({10})
Es gilt, eine Gerechtigkeitslücke in dieser Frage - das
wissen Sie - abzumildern. Bundespräsident Johannes
Rau und der damalige Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer,
hatten sich bereits in der Feierstunde im Reichstag zur
50. Wiederkehr des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953
in diesem Jahr für eine Besserbehandlung der SED-Opfer ausgesprochen.
Jedem von uns ist bewusst, dass wir dadurch das in
der DDR begangene Unrecht nicht ungeschehen machen
können. Wir können gestohlene Lebenszeit und Lebenschancen nicht zurückgeben. Wir sollten aber gemeinsam
versuchen, die bestehende Gerechtigkeitslücke zumindest abzumildern.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Joachim Hacker,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Voßhoff, in der letzten Runde haben Sie die
Kurve gerade noch geschafft
({0})
und das Ziel gefunden, auf das wir gemeinsam losgegangen sind, nämlich in dieser Gesetzgebung einen gemeinsamen Standpunkt zu suchen. Das ist uns auch gelungen.
Soweit Sie die Problematik, um die es hier geht, dargestellt haben, nämlich die Verlängerung der Antragsfristen in den drei Rehabilitierungsgesetzen über den
31. Dezember 2003 hinaus bis zum 31. Dezember 2007,
ist das richtig.
Genauso richtig ist die Bewertung, dass wir für die
beruflich Rehabilitierten eine Erhöhung der Entschädigungsleistungen einführen. Für die Menschen, denen es
heute auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht gut
geht und bei denen die Folgen der politischen Verfolgung nachwirken, ist das wichtig. Wir erhöhen diese Beträge von bisher 153 Euro auf 184 Euro pro Monat. Für
diejenigen, die bereits Rente erhalten, wird der Betrag
von 102 Euro auf 123 Euro pro Monat angepasst.
Die Antragsfristverlängerung ist mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden. Das ist nach unseren heutigen Berechnungen - die Summe kann sicherlich
erst anhand der eingehenden Anträge genau beziffert
werden - vielleicht ein Betrag von 24 Millionen Euro.
Auch die zusätzlichen Leistungen im Rahmen der beruflichen Rehabilitierung bewegen sich in einer Größenordnung von jährlich ungefähr 230 000 Euro für die von der
SED-Diktatur verfolgten Menschen. Diese Beträge sind
nicht unbedeutend.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir mit all diesen
Leistungen das Schicksal nicht ungeschehen machen
können, aber wir sind gefordert, Hilfe in dem Rahmen zu
geben, in dem wir sie leisten können.
Frau Voßhoff, Sie sollten keine Legenden bilden, indem Sie sagen, wir hätten die Problematik der Fristen
nicht im Auge gehabt. Ich habe immer gesagt und tue
das heute wieder: Leute, die ihr in der DDR verfolgt
wart, stellt Anträge! Wartet nicht darauf, dass der Gesetzgeber irgendwann neue Antragsfristen regelt! Stellt
eure Anträge und nehmt eure Rechte wahr! Das ist mein
Appell an die Betroffenen und vor allen Dingen an die
Organisationen, die sich mit vielen Briefen an uns wenden. Sie sollen den Menschen helfen, damit die Leute zu
ihrem Recht kommen, zu einem Recht, das wir geschaffen haben.
({1})
Ich will deutlich sagen: Der heutige Gesetzentwurf, der
am Ende zum Glück fraktionsübergreifend gestaltet
wurde, ist eine Initiative der SPD-Bundestagsfraktion
und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hier im
Parlament. Ich freue mich, dass wir am Ende zu einem
Ergebnis gekommen sind, das alle Fraktionen mittragen.
Das sage ich insbesondere in Richtung der FDP.
({2})
Der politische Streit, der bei anderen Gesetzesvorhaben zum Kriegsfolgenrecht und zum SED-Unrecht geführt worden ist, darf nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. Wir haben kein Recht dazu,
hier unser politisches Süppchen - das brauche ich nicht
zu erklären, denn das ist nicht unsere Politik - zu kochen, und das zulasten von Betroffenengruppen.
Die Verbesserung der Situation der Opfer der SEDDiktatur - Frau Voßhoff, das will ich hier noch einmal
deutlich hervorheben - hat uns von der SPD immer am
Herzen gelegen. Wir haben die Gesetzgebung in den
90er-Jahren aus Verantwortung mitgetragen. Wir alle haben damals den Widerstand des Finanzministers ertragen
müssen. Sie, Herr Funke, haben damals die Verhandlungen geführt. Wir wissen, dass die Rahmengesetzgebung
der 90er-Jahre unbefriedigend war.
Wir haben nach der Regierungsübernahme die Zusagen eingelöst und im Jahr 1999 die Defizite und deutlichen Ungerechtigkeiten, die in der Gesetzgebung der
90er-Jahre entstanden waren, abgestellt. Wir haben die
Kapitalentschädigung auf einheitlich 600 DM - ich
nenne noch die DM-Beträge, die damals im Gesetz gestanden haben - erhöht. Wir haben einer Gruppe Hilfe
zuteil werden lassen, die besonders stark von Verfolgungsmaßnahmen betroffen war, nämlich den Angehörigen derjenigen, die in der politischen Haft umgekommen
sind. Denjenigen, die sonst nur in Sonntagsreden bedacht werden, haben wir 1999 geholfen. Wir haben auch
den Angehörigen der Opfer der Mauer geholfen, die nur
wenige 100 Meter von hier erschossen worden sind.
1999 haben wir erstmals eine Regelung für die Entschädigung eingeführt, eine Ausgleichsleistung für die Angehörigen.
Ein anderer Punkt, den Kollegen aus Ihrer Fraktion
hier immer wieder aufgreifen, ist die Entschädigung
für die Zwangsdeportierten, die wir mit der Gesetzgebung des Jahres 1999 geschaffen haben. Wir haben die
Leistungen deutlich verbessert. Wir haben die spärliche
Summe von 300 000 DM im Jahr, die Sie, Herr Funke,
eingestellt haben, auf 1,5 Millionen DM erhöht.
({3})
Wir haben in der Haushaltsberatung 2001 nochmals Millionenbeträge bewegt.
Wir wissen alle, dass diese Maßnahmen vielen nicht
ausreichend erscheinen, aber das sind Zahlen, die sich
sehen lassen können. Uns muss es darauf ankommen,
dass die Menschen jetzt endlich zu ihrem Recht kommen. Blumige Reden helfen nicht. Ich appelliere an die
Opfer, Anträge zu stellen.
Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich an dieser
Stelle fest: Im Bewusstsein um die Verantwortung gegenüber den Menschen, die unter der SED-Diktatur verfolgt wurden und leiden mussten, passt dieser Gesetzentwurf in die Politik, die wir betrieben haben, nämlich den
Menschen in ihrer heutigen Lebenssituation konkret zu
helfen.
Soweit die Beratungen in der Berichterstatterrunde
konstruktiv waren - Frau Voßhoff, das will ich bestätigen -, bedanke ich mich dafür und kann das Hohe Haus
nur auffordern, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Ich habe mit dieser Lesung ein Problem. Seit
der ersten Lesung im September ist im Grunde genommen auf dem Gebiet der Rechtspolitik fast nichts passiert. Es gibt fast nichts Neues. Die rot-grüne Rechtspolitik kommt einfach nicht in Gang. Vielleicht liegt es an
dem grünen Sand im Getriebe; ich weiß es nicht. Die Sitzungen im Rechtsausschuss werden immer kürzer. Es
gibt kaum federführende Initiativen. Die Regierungskoalition übernimmt identisch Vorlagen von der Bundesregierung als ihre Entwürfe.
({0})
Es gibt nicht allzu viele, die der Rede wert wären.
({1})
- Wir holen euch bald ein. Wenn ich einmal Bilanz
ziehe, wie viele Gesetzentwürfe die Union eingebracht
hat, dann sieht die Regierungskoalition ganz alt aus. Ich
habe mich vorher darüber informiert. Sonst hätte ich das
so nicht gesagt.
({2})
Liebe Frau Ministerin Zypries, vielleicht ist es doch
wahr, dass der Bundeskanzler gesagt hat, nach den
schwierigen Jahren mit Ihrer Vorgängerin möchte er erst
einmal so wenig wie möglich aus dem Bundesjustizministerium hören. Liegt es daran, dass wieder Ruhe einkehrt?
({3})
Oder nimmt die Lust einfach ab, wenn man sich mit
ideologischen Querschlägern und Grabenkämpfern der
ganz alten Schule,
({4})
Herr Kollege Ströbele, immer wieder zusammenraufen
muss, was offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt ist?
({5})
Ich weiß es nicht.
({6})
- Ich habe es jetzt leider nicht gehört, sonst würde ich
gern mit lachen, Herr Ströbele.
({7})
Liebe Frau Ministerin, ich biete Ihnen Zusammenarbeit an. Das hat in ein paar Bereichen schon ganz gut
funktioniert,
({8})
beispielsweise beim Kostenrechtsänderungsgesetz, insbesondere beim RVG. Ich denke, es gibt ein paar Fragen,
bei denen wir uns durchaus gut verstehen und zu guten
Ergebnissen kommen können.
({9})
Erwähnenswert wäre vielleicht seit der ersten Lesung
im September das Opferrechtsreformgesetz. In der
letzten Sitzungswoche hatten wir darüber eine Debatte.
Der Kollege Dr. Röttgen hat eindrucksvoll dargelegt,
dass es in großen Teilen mit dem Entwurf der Union
identisch ist.
In dem Fall möchte ich die Gelegenheit nutzen, liebe
Frau Zypries, etwas zum Thema Stil zu sagen. Es darf
nicht einreißen, dass die Länder zur Stellungnahme nur
noch eine so kurze Frist bekommen, wie das gerade bei
diesem Gesetz der Fall war. Hier hatte man in der Sommerpause nur ein paar Tage Zeit, um die Sicht der Länder einzubringen. Ich glaube, wenn man ernsthaft an einer Zusammenarbeit interessiert ist, sollte man das
ausweiten und die Frist etwas großzügiger gestalten.
({10})
- Ach, da sind Sie. Schön, dass auch Sie da sind, meine
Damen und Herren von der SPD. Sie kommen ja in der
Rechtspolitik nicht vor. Deswegen nehmen wir Sie als
Vertreter von Rot-Grün kaum wahr, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD und vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Beim Sexualstrafrecht hat sich im Vermittlungsausschuss überhaupt nichts bewegt.
({11})
Das Vorgespräch, das wir hatten, war eine Alibiveranstaltung. Es gab rund ein Dutzend Punkte, die zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geführt hatten. Sie haben uns zwei marginale Korrekturen angeboten, die an
sich selbstverständlich waren, sonst hätten Sie sich schämen müssen. Das war kein ernsthaftes Angebot, um in
dieser Frage zusammenzufinden.
Ich komme zum nächsten Thema, der Terrorismusbekämpfung. Auch in dieser Frage wurde im Vermittlungsausschuss kein Ergebnis erzielt.
({12})
Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Beratung ausgeführt:
Wir haben unseren Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geleistet.
Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses hätte allerdings
bereits zum 31. Dezember vergangenen Jahres erfolgen
müssen.
({13})
Was meint die Ministerin mit der Formulierung „Wir
haben geleistet“? War das schon alles? Das geht doch bei
der Bekämpfung des Terrorismus nicht an. Gerade die
jüngsten terroristischen Anschläge zeigen, dass die Gefahr seit dem 11. September unverändert groß ist und
dass wir alles tun müssen, um auch in diesem Bereich
unserer Pflicht als Gesetzgeber in der Bundesrepublik
Deutschland Genüge zu tun.
({14})
Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses reicht nicht
aus und setzt falsche Signale. Es ist keine Eins-zu-einsUmsetzung in deutsches Recht erfolgt. In dem Beschluss
sind nämlich viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten. Diese in Gesetzessprache umzusetzen würde bedeuten, Rechtsunsicherheit zu schaffen. Wir werden erkennen, dass dieses Gesetz nicht justiziabel ist.
Der neue § 129 Abs. 2 StGB legt die Hürden für die
Strafbarkeit extrem hoch. Das führt zu einer Entkriminalisierung terroristischen Verhaltens.
({15})
Außerdem besteht eine Lücke hinsichtlich der terroristischen Einzeltäter.
Die Forderung im Rahmenbeschluss ist eindeutig.
Verlangt wird die Brandmarkung jedes terroristischen
Verhaltens. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen aber nur die Gründung, die Unterstützung und die
Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen strafbar
sein.
({16})
Das heißt, der terroristische Einzeltäter wird nicht härter
als jeder andere Straftäter bestraft.
({17})
Auch künftig bleibt es im Übrigen dabei - wir haben
das immer wieder thematisiert -, dass in Deutschland
straffrei für Terrororganisationen geworben werden darf.
Ich halte das für einen unerträglichen Zustand.
({18})
Dieser Gesetzentwurf bringt keine Verbesserung, sondern Verschlechterungen. Das ist auch seinerzeit in der
Sachverständigenanhörung deutlich geworden.
Ich möchte noch etwas zum Thema innere Sicherheit
anmerken und bitte Sie, etwas ernster zu werden; denn
angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus hört
bei diesem Thema der Spaß auf.
Sie haben sicherlich verfolgt, was gestern der Vorsitzende Richter Breidling anlässlich des Urteils im Prozess gegen ein Mitglied der islamistischen Terrorgruppe
al-Tawhid zur Kronzeugenregelung ausführte. Ich zitiere aus dem Vorwort des gestrigen Urteilsspruchs:
In diesem Zusammenhang sei mit allem Ernst aus
der Erfahrung nun auch mit diesem Strafverfahren
angemerkt: eine Kronzeugenregelung ist zur Bekämpfung des organisierten Terrorismus unverzichtbar ... Die fehlende Möglichkeit der gesetzlich
abgesicherten Zusage einer Vergünstigung erschwert, ja behindert die Aufklärung begangener
und die Verhinderung weiterer terroristischer Straftaten … Deshalb geht der dringende Appell an den
Gesetzgeber, sich aufgrund der Erfahrungen mit
dem vorliegenden Strafverfahren erneut der ({19})Einführung einer Kronzeugenregelung anzunehmen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das ist
überdeutlich.
({20})
- Wenn Sie das als Komödienstadel bezeichnen, verehrter Kollege von der SPD, dann zeigt das, dass Ihnen die
nötige Reife fehlt, um sich hier zu diesem Thema zu äußern.
({21})
Mich würde im Übrigen interessieren, was Sie zu einer
rechtspolitischen Debatte sachkundig beizutragen haben.
({22})
Wir werden unverzüglich einen erneuten Vorstoß unternehmen und einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen.
({23})
Denn dieser dringende Appell des Vorsitzenden Richters
des OLG Düsseldorf spricht für sich.
Das Thema Graffiti ist heute schon kurz angesprochen worden. Hier herrscht ein unglaublicher Zustand.
Seit Jahren drängen wir darauf, dass endlich ein griffiges
Gesetz verabschiedet wird.
({24})
Wir brauchen nur eine ganz kleine Änderung. Vor kurzem wurde uns vom Parlamentarischen Staatssekretär,
glaube ich, avisiert, man könne sich mit der Bundesratsformulierung anfreunden. Was ist dann geschehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün? Seit der
Sommerpause hat es kein Berichterstattergespräch mehr
gegeben. Hier tut sich gar nichts; das ist doch unglaublich.
({25})
Auch beim Antidiskriminierungsgesetz tut sich
nichts, worüber wir allerdings nicht weiter traurig sind.
({26})
- Herr Kollege Ströbele, die Parteitagsbeschlüsse können Sie im Aktenordner abheften. Ich hoffe, dass sie
nicht umgesetzt werden. Hierbei setzen wir jedenfalls
auf die Bundesjustizministerin.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Sanktionenrecht ist ein Referentenentwurf eingebracht worden, der
bei der Justizministerkonferenz nicht gerade auf große
Zustimmung gestoßen ist. Angesichts der abgegebenen
Stellungnahmen stehen die Chancen für eine Umsetzung
schlecht.
Ich möchte die vielen anderen Defizite nicht mehr ansprechen. Mir ist es tatsächlich gelungen, meine Redezeit nur mit dem auszufüllen, was Sie in letzter Zeit nicht
geschafft haben. Ihre Bilanz ist dürftig. Es fehlt Ihnen in
der Rechtspolitik an Gestaltungskraft und Gestaltungswillen. Deswegen
({27})
sind wir der Meinung, dass wir die Rede, Frau Ministerin Zypries, die Sie an der Humboldt-Universität zum
Thema Embryonenschutz und den sich aus Art. 1 und 2
des Grundgesetzes ergebenden Grundrechten gehalten
haben und die aus unserer Sicht einen völligen Kurswechsel an der Spitze des BMJ bedeutet, nicht nur außerhalb des Parlaments diskutieren sollten. Ich bitte Sie
daher, dies auch im Parlament anzusprechen, damit wir
Gelegenheit haben, im Rechtsausschuss darüber zu reden.
({28})
Das Thema ist sehr wichtig. Hier gilt es, wachsam zu
sein. Ich freue mich auf eine Erörterung dieser elementaren Frage.
Vielen Dank
({29})
Für die Bundesregierung spricht jetzt die Ministerin
Brigitte Zypries.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Herr Funke, herzlichen Dank, dass
Sie die Bedeutung des Haushalts der Justiz hier so plastisch dargestellt haben. Sie haben Recht: Die Justiz ist
wirklich ein sehr wichtiger Faktor in dieser Republik.
({0})
Wir brauchen eine funktionierende Justiz, um den
Rechtsstaat zu erhalten.
Ich bedanke mich bei allen Berichterstattern recht
herzlich dafür, dass sie den Haushalt meines Bundesministeriums so sachgerecht, kompetent und offen mit uns
beraten haben, sieht man einmal von ganz wenigen Ausnahmen ab.
({1})
Ich bedanke mich auch herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses, die die entscheidenden Vorarbeiten dafür geleistet haben.
({2})
Dank Ihrer Beratung in der Bereinigungssitzung am
13. November, meine Damen und Herren, haben wir
jetzt sowohl einen abgeschlossenen Sachhaushalt als
auch einen abgeschlossenen Personalhaushalt. Der Sachhaushalt - dies ist jetzt schon des Öfteren gesagt
worden - ist klein genug, sodass ich nicht auf ihn eingehen möchte.
({3})
- Darf ich hier noch in Ruhe reden?
({4})
Ich bedanke mich dafür, dass Sie beim Deutschen
Patent- und Markenamt wieder 60 Stellen für Patentprüfer in den Haushalt eingestellt haben. Die Bedeutung
dessen ist in der Beratung schon gewürdigt worden. Das
Deutsche Patent- und Markenamt ist - Herr Köhler hat
darauf hingewiesen - die größte Behörde in unserem Geschäftsbereich. Sie ist von großer Bedeutung für den
Wirtschaftsstandort Deutschland. Nun können wir den
unbedingt nötigen Stauabbau mit diesen 60 Stellen und
mit 20 weiteren Stellen in der Patentverwaltung fortführen.
({5})
Ich bedanke mich auch dafür, dass Sie es ermöglicht
haben, dass wir beim Generalbundesanwalt die Kostenund Leistungsrechnung einführen können. Dies ist eines der Pilotprojekte im Rahmen der Modernisierung der
Verwaltung. Ich hoffe sehr, dass wir hier ebenso erfolgreich wie bei anderen Projekten sein werden, die bereits
von Herrn Köhler genannt wurden.
Last, but not least möchte ich mich auch für die drei
Stellen für das Deutsche Institut für Menschenrechte
bedanken, das bei uns mit im Plan ist und mit dem wir
ständig im Gespräch sind. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden es Ihnen danken.
({6})
Der Sachhaushalt - darauf ist bereits hingewiesen
worden - sinkt um 1,5 Prozent und ist in der Tat der
kleinste unter den Ressorthaushalten. Gleichwohl hat
das Bundesministerium der Justiz sehr viel Arbeit zu bewältigen. Wir haben zahlreiche eigene Projekte, sind an
vielen Prüfungen anderer Ressorts beteiligt und haben
im Rahmen der Europäischen Union immer mehr Arbeit
zu leisten und uns dort verstärkt einzubringen. Deshalb
bedanke ich mich an dieser Stelle bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das alles - teilweise in vielen
Überstunden - möglich machen.
({7})
Herr Götzer, Sie haben vor allem auf das hingewiesen, was wir nicht tun; trotzdem sind einige unserer Projekte bereits angesprochen worden. Aber in diesem Dilemma befinden wir uns schon länger. Sie behaupten
ständig, die Bundesregierung habe in der letzten Legislaturperiode viel zu viel gemacht und alles sei viel zu hektisch gewesen. Wenn wir aber jetzt mit Ihnen über die
Vorbereitung der Richtlinien, deren Umsetzung uns die
Kommission aufgegeben hat, diskutieren und Kompromisse finden wollen, bevor wir die entsprechenden Gesetzentwürfe einbringen, sagen Sie, dass alles zu lange
dauere.
({8})
Es geht immer nur eines. Ich bin froh, dass wir das
Ganze in ruhiges Fahrwasser gebracht haben, was es uns
ermöglicht, eine sachgerechte Justizpolitik zu machen.
Herr Funke, ich kann Ihnen versichern, dass der Entwurf eines Gesetzes betreffend das Versicherungsvertragsrecht kommen wird. Sie wissen, dass sich die Verhandlungen mit der Kommission auf einem guten Weg
befinden. Die StPO-Reform ist schon von Herrn Ströbele
angesprochen worden. Deshalb möchte ich nur ergänzend sagen: § 100 a wird kommen. Wir sind hier voll im
Zeitplan. Dagegen kann man überhaupt nichts sagen. Sie
kennen auch unseren Zeitplan für die Umsetzungen
betreffend das Aktienrecht und den Bereich Corporate
Governance. Erst Anfang 2005 muss das alles gesetzlich
umgesetzt sein.
Die von Ihnen angesprochene Reform des Betreuungsrechts ist eines der Projekte, die nun anstehen. Herr
Funke, ich stimme Ihnen zu, dass es notwendig ist, dass
wir hier über den Vorschlag, der jetzt in den Bundesrat
eingebracht wird, sorgfältig diskutieren.
({9})
Ich persönlich habe ebenfalls erhebliche Probleme mit
einer Zwangsvollmacht für Angehörige. Wir sollten gemeinsam Zeit investieren, um darüber nachzudenken,
wie wir den berechtigten Interessen der Länder, denen
nach eigenen Angaben die Kosten davonlaufen, gerecht
werden können und wie wir gleichzeitig im Sinne des
Betreuungsrechts und der Menschen rechtsstaatlich vernünftig Regelungen erarbeiten können, ohne - auch daran ist mir gelegen - die Standards zu senken.
({10})
Ich hoffe nicht, dass hier die Quadratur des Kreises notwendig sein wird. Es wäre schön, wenn es zu einer fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit käme.
Im Hinblick auf die Arbeit der Bundesregierung, insbesondere des Justizministeriums, in der Europäischen
Union möchte ich gerne noch die Übernahmerichtlinie
ansprechen. Für die Zusammenarbeit bei diesem Thema
möchte ich mich bei allen Abgeordneten der CDU/CSU
bedanken. Der Kanzler hat gestern erwähnt, wie zäh und
zeitintensiv die Verhandlungen in Brüssel waren. Heute
gab es endlich einen politischen Kompromiss. An dieser
Stelle möchte ich mich recht herzlich bei Herrn Lehne
bedanken, der für die CDU im Europaparlament sitzt
und der sich sehr darum gekümmert hat. Es ist nun ein
Kompromiss gefunden worden, mit dem wir in Deutschland gut leben können. Die Mitgliedstaaten haben die
Möglichkeit, an ihren bisherigen Abwehrmaßnahmen
festzuhalten. Den Unternehmen wird ermöglicht, sich individuell einzuwählen und gleichwohl die anderen Maßnahmen anzuerkennen. Dieser Kompromiss hat in der
Tat eine Menge Arbeit gekostet. Aber im Endeffekt ist
alles gut gelaufen.
Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen
- Herr Funke, Sie haben das bereits erwähnt -, das damit
eng zusammenhängt. Wir brauchen eine einheitliche europäische Rechtspolitik, insbesondere im Strafrecht. Wir
haben uns heute auch politisch auf Mindeststandards für
Strafrahmen bei Drogendelikten verständigt. Das bedeutet, dass es in Zukunft in Europa nicht nur eine einheitliche Definition der Drogenhandelsdelikte, sondern
erstmalig auch einheitliche Mindestrahmen bei den jeweils anzudrohenden Freiheitsstrafen geben wird. Das
bedeutet für Deutschland keine Verpflichtung zur Umsetzung, weil es bei uns die Strafrahmen, die die EU vorsieht, bereits gibt. Das heißt, wir müssen auf diesem Gebiet nichts nacharbeiten.
Wichtig erscheint mir diese Angelegenheit trotzdem,
und zwar im Hinblick auf eine einheitliche europäische
Rechtspolitik, weil einheitliche Strafrahmen und einheitliche Definitionen natürlich auch die grenzüberschreitende Verfolgung deutlich erleichtern. Daher ist der
heute gefasste Beschluss über die Mindeststandards für
Strafen zur Bekämpfung des Drogenhandels ein rechtspolitischer Erfolg auf der europäischen Ebene. Ich bin
froh, dass der italienische Kollege meiner Anregung gefolgt ist, dieses Thema zu behandeln.
({11})
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, zumindest
die Rechtspolitiker unter Ihnen, dazu auffordern, der Anregung von Herrn Ströbele zu folgen, lieber gemeinsam
ein Glas Wein zu trinken, als uns mit unnützen Reden zu
vergnügen.
({12})
Sie wissen, dass die Bundesrechtsanwaltskammer heute
ihren parlamentarischen Abend veranstaltet. Ich denke,
dass zumindest der überwiegende Teil der Rechtspolitiker noch dort hingehen wird, um gemeinsam ein Glas
Wein zu trinken.
Ich möchte noch ganz kurz auf die Modernisierung
des Kostenrechts eingehen. Ich bedanke mich bei allen
Fraktionen des Hauses dafür, dass es während der Sommerpause gelungen ist, einen Kompromiss zustande zu
bringen, sodass alle Fraktionen einen gemeinsamen Gesetzentwurf einbringen können.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Siegfried Kauder?
Aber bitte.
Frau Ministerin, es ist nicht so, dass ich Ihnen das
Glas Wein nicht gönne. Da ich noch nicht so lange wie
der Kollege Funke im Bundestag bin, habe ich vielleicht
keinen Anspruch auf ein Geschenk, wie er es im Hinblick auf das Handelsrecht bekommt.
Vielleicht haben Opfer von Straftaten Anspruch auf
ein Geschenk. Opferschutz hat seine Grenzen da - wir
haben schon einmal darüber gesprochen -, wo es um das
Jugendstrafverfahren geht. Da ist Nachbesserungsbedarf vorhanden. Könnten Sie uns mitteilen, wann diese
Lücke geschlossen wird?
Ich möchte noch auf eine zweite offene Flanke zu
sprechen kommen. Ein Bürger hat sich an den Petitionsausschuss gewendet, weil er der Meinung ist, dass der
Vollzug seiner Strafe verfassungswidrig sei. Ich bin fast
der Auffassung, dass er Recht hat; was dort stattfindet,
ist nämlich der Vollzug von Jugendstrafe. In namhaften
Kommentaren wird gerügt, dass der Vollzug der Jugendstrafe verfassungswidrig sei, weil es an einem notwendigen Gesetz fehlt. Das heißt, wir tolerieren einen verfassungswidrigen Zustand, obwohl wir alle an die
Verfassung gebunden sind.
Siegfried Kauder ({0})
({1})
- Zuzuhören wäre vielleicht besser, als dazwischenzublaffen. Auch Sie sind an die Verfassung gebunden.
Meine Frage lautet also: Wann wollen wir diesen verfassungswidrigen Zustand beenden?
Herr Kauder, da dieser verfassungswidrige Zustand in
der Zeit, als Sie regierten, nicht geändert wurde,
({0})
habe ich, als ich mein Ministeramt angetreten habe, den
Auftrag gegeben, dieses Projekt in Angriff zu nehmen.
Wir sind dabei, ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu erarbeiten.
Was Ihre erste Frage anbelangt: Ich habe Ihnen schon
in der letzten Debatte hier im Plenum gesagt, dass wir
darüber in den Sachverständigenanhörungen diskutieren
werden. Dabei bleibt es auch.
Jetzt möchte ich noch einmal auf die Kostenrechtsmodernisierung zu sprechen kommen. Wie gesagt, ich
danke allen Fraktionen dafür, dass wir uns in dieser Angelegenheit anscheinend verständigen und in der Lage
sein werden, sie sachgerecht und im Konsens mit der
Anwaltschaft und im Wesentlichen auch mit den Versicherungsverbänden zu klären. Im Moment gibt es in der
Tat nur noch Probleme bei der ARAG. Mit ihr befinden
wir uns noch im Gespräch.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der anstehenden Teilnahme am parlamentarischen Abend, den
wir ernst nehmen sollten - schließlich sind die Rechtsanwälte unsere Gesprächspartner -, möchte ich jetzt kein
anderes Thema mehr ansprechen.
Ich bedanke mich für die - nur mäßige - Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen.
Einzelplan 07 - Bundesministerium der Justiz - in der
Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Einzelplan 07
mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 19 - Bundesverfassungsgericht - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 19 ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt I. 16 Buchstabe c: Abstimmung
über den von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher
Vorschriften, Drucksache 15/1975. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 15/2082, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 15/2082.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache
15/1467 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 17 a und b auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
Drucksachen 15/1906, 15/1921
Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Lothar Binding ({0})
Otto Fricke
Einzelplan 33
Versorgung
- Drucksache 15/1921 Berichterstattung
Abgeordnete Lothar Binding ({1})
Georg Schirmbeck
Dr. Günter Rexrodt
Zu Einzelplan 06 liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Rednerin der Kollegin Susanne Jaffke von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dem Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern Susanne Jaffke
ist das Schicksal zuteil geworden, in der Haushaltsdebatte das Schlusslicht zu sein.
({0})
- Das ist korrekt. Aber morgen ist nur noch die dritte Lesung. Die Debatte im Detail zu den Einzelplänen wird
heute beendet.
({1})
Das trifft sicherlich jedes Ressort einmal. Ich hoffe, dass
in dem Fall Position und Inhalt nicht übereinstimmen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es dürfte Sie alle
nicht überraschen, dass ich hier wiederhole, dass der
vom Bundesfinanzminister vorgelegte Etat und auch das
jetzt erreichte Ergebnis wertlos sind - das ist im Laufe
der Woche schon öfter gesagt worden -, weil im Dezember nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens noch
Gesetze beschlossen werden sollen, die erhebliche Veränderungen in den Einzelplänen zur Folge haben werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Mehrheitsfraktionen, Sie haben Finanzmittel in Ihren Haushalt eingerechnet, die in diesem Umfang nicht zur Verfügung stehen werden. Sie verteilen sozusagen das Fell des
Bären, bevor er erlegt wurde. Das hat für mich mit seriöser Haushaltsplanung nichts zu tun.
({3})
Deshalb kann ich nur wiederholen: Eine seriöse und solide Beratung des Etats nach dem Vermittlungsergebnis
hätte etwas mehr Sinn gemacht.
({4})
Lassen Sie mich dennoch einiges zum Zahlenwerk
und damit auch zu den Gestaltungsmöglichkeiten des Innenministers sagen. Herr Minister, in Ihrer Einbringungsrede haben Sie noch darlegen können, dass der
Etat 2004 einen Aufwuchs von 168 Millionen Euro, also
um 4,3 Prozent, gegenüber dem Vorjahresansatz verzeichnet. Aufgrund der auferlegten Sparzwänge - über
deren Ursache und Wirkung ist in dieser Woche schon
genügend diskutiert worden - ist in dem jetzt festgeschriebenen Etat nur noch ein Aufwuchs von 3,4 Prozent
zu verzeichnen, und das, obwohl Ihr Etat - das muss
man fairerweise zugeben - ein wenig verschont wurde.
Aber auch dieser Betrag entspricht nicht der Realität
Wichtig ist, dass die globale Minderausgabe bei diesem Etat, die im Jahre 2003 noch bei rund 61 Millionen
Euro lag, bis zum Jahr 2004 auf 155 Millionen Euro verdreifacht worden ist. Und das ist noch nicht das Ende der
Fahnenstange. Im Januar wird die berühmte Summe X
aus der zweiten Milliarde für die Rentenkassen hinzukommen.
({5})
Wenn man dann noch berücksichtigt, wo die GMA erwirtschaftet wird, nämlich im Bereich IT, und zwar konkret in den Bereichen Bewirtschaftung und Beschaffung,
dann kann ich daraus nur schließen: Entweder wird zu
großzügig geplant - das will ich dem Haus und dem Minister auf keinen Fall unterstellen - oder alles wird sozusagen systematisch auf Verschleiß gefahren. Das wird
sich noch bitter rächen.
Wenn eine gewisse Haushaltsenge vorhanden ist, ist
besondere Kreativität bei der Gestaltung gefragt. Verehrter Herr Minister, ich kann es mir nicht verkneifen, zu
erwähnen, dass Ihre Auffassung mit der Ihrer Kollegen
von den Mehrheitsfraktionen nicht ganz übereinstimmt.
({6})
Die Opposition kann gut verstehen, dass Sie bei einem Etat, der überwiegend durch Personalausgaben
- mit 53 Prozent - gebunden ist, nicht glücklich darüber
sind, dass Sie eine so riesige GMA erwirtschaften müssen. Dass Sie sich nun auch noch 5 Millionen Euro für
den „Goldenen Plan Ost“, an dem Sie persönlich und
politisch wohl kein Interesse haben, förmlich aus dem
Fleisch schneiden müssen, macht Sie nicht glücklich.
Das durfte die Opposition in einer sehr lebendigen Diskussion im Haushaltsausschuss erleben. Darüber waren
wir alle recht erstaunt.
({7})
Dennoch bin ich fair und sage: Eine Unterstützung
des Weltjugendtages 2005 mit einer VE schon jetzt in
den Haushalt aufzunehmen liegt auch im Interesse der
Opposition.
({8})
Da der Etat stark durch Personalkosten geprägt ist,
müssen auch dazu einige Worte gesagt werden. Herr Minister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede den Polizeibeamtinnen und -beamten ausdrücklich für ihre hervorragende Arbeit gedankt. Dieser Punkt ist in diesem
Hause völlig unstrittig. Dafür haben Sie die Unterstützung der Unionsfraktionen erhalten.
Der Bundestag hat auf Wunsch des Bundesrates
- auch mit unseren Stimmen - mit dem Besoldungs- und
Versorgungsanpassungsgesetz die so genannten Öffnungsklauseln beschlossen. Dennoch halten wir es
nicht für kreativ, den Haupteinsparbeitrag des Etats über
die Besoldungsbezüge zu erbringen.
({9})
Wir fordern, dass die Beamtinnen und Beamten sehr
bald eine Antwort auf ihre Frage nach den zukünftigen
Wochenarbeitszeitstunden bekommen. Die Antwort
auf die Frage der Kollegin Hajduk im Ausschuss war
exemplarisch: Herr Minister, Sie sind sehr ausdrucksstark!
({10})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein besonderes Problem ansprechen. Mit dem Haushaltsgesetz
wird jährlich eine globale Stelleneinsparung in Höhe
von 1,5 Prozent verabschiedet. Das ist korrekt. Das ist
seit Mitte der 90er-Jahre der Fall. Das gewählte Verfahren war durchaus erfolgreich. Weiterhin ist es korrekt,
dass die Stellen im Vollzugsdienst von dieser globalen
Stellenkürzung ausgenommen werden. Wenn nun aber
sowohl die Behördenleiter als auch der Hauptpersonalrat
eindringlich nachweisen, dass eine vernünftige Arbeit
im Vollzug allmählich nicht mehr möglich ist, weil die in
den so genannten vollzugsnahen Bereichen - zum Beispiel in den Bereichen Auswertung der Spurensicherung
und chemische Untersuchungen - anfallenden Arbeiten
nicht mehr zeitnah abgearbeitet werden können, dann
muss die Opposition andere klare Positionierungen fordern, damit die vollzugsnahen Bereiche ihre Aufgaben
verantwortungsbewusst erfüllen können. Auch Behörden, die seit den 90er-Jahren durch Organisationsstrukturreformen schon verschlankt wurden, sollen in Zukunft anders behandelt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zusammenhang
mit dem Bereich Sicherheit lassen Sie mich auch erwähnen, dass Mittelkürzungen bei der Beschaffung von
Fahrzeugen, die die Sicherheit der Bürger direkt betreffen - nämlich beim THW um 1,5 Millionen Euro und
bei der Bereitschaftspolizei um 6 Millionen Euro -, von
uns nicht unterstützt werden können.
Ich denke, zur Ehrlichkeit gehört auch, ein Wort dazu
zu sagen, dass die Ausgaben für die Bundeszentrale für
politische Bildung um 6 Prozent steigen. Wenn es denn
der Bildung hilft - meinetwegen. Aber wer ins Detail
schaut, stellt fest, dass die Gelder vor allen Dingen für
Dienstwagen ausgegeben werden. Da muss doch wohl
die Gewichtung etwas anders erfolgen, indem zum Beispiel die Mittel den Sicherheitsbehörden zur Verfügung
gestellt werden.
({11})
In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine
kurze Bemerkung machen: Es war bis zum Jahre 2002
üblich, dass die Berichterstatter eine Übersicht über die
von den Zuwendungsempfängern ausgegebenen Mittel
beifügen. Das war in diesem Jahr nicht der Fall. Auf
meine Nachfragen wurde mir jetzt mitgeteilt, dass die
Bundeszentrale diese Zahlen nicht mehr veröffentlichen
wolle. Ich hoffe, Herr Minister, dass sich das noch klären
lässt und ich als Oppositionsabgeordnete nicht den Verdacht haben muss, dass da irgendetwas gemauschelt
wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Diskussion
zum Einzelplan 06 ohne das Thema BOS-Digitalfunk.
({12})
Ich weiß, Herr Minister, dass das allmählich ein
Reizthema wird; Ihre Reaktionen in der jüngsten Vergangenheit sind ein Beleg dafür. Dabei sind ja alle Fakten bekannt: dass die Kosten für den Analogfunk für alle Beteiligten immens steigen werden, dass unsere europäischen
Nachbarn an uns vorbeiziehen, dass beim Elbehochwasser Kommunikationsschwierigkeiten aufgetreten sind,
dass sich unsere Polizisten bei Unterstützungseinsätzen
wie zum Beispiel beim Weltwirtschaftsgipfel in der
Schweiz mit Digitalfunkgeräten haben aushelfen lassen
müssen. Das ist alles bekannt.
Frau Kollegin, bedenken Sie die Zeit, bitte.
Aber wir wissen auch, dass es diesbezüglich eine nervende Diskussion mit den Ländern gibt; denn die Länderinnenminister beziehen eine andere Position als die
Länderfinanzminister. Ebenso wissen wir, dass die Fußballweltmeisterschaft 2006
Sie müssen aber jetzt zum Schluss kommen; ich muss
Sie unterbrechen, es tut mit Leid.
- ein sportlicher und kultureller Höhepunkt werden
und sich im Gedächtnis verankern soll.
Deshalb bitte ich Sie, Herr Minister: So richtig es ist,
dass der Bund nicht 50 Prozent der Kosten tragen kann,
so wichtig ist es, dass Sie sich durchsetzen, dass nicht
der Herr Finanzminister
({0})
10 Prozent diktiert. Man sollte sich am Königsteiner
Schlüssel orientieren.
({1})
Frau Kollegin, bitte! Ich war sehr geduldig mit Ihnen,
aber jetzt ist Schluss.
Ich sage Ihnen auch: Minister Behrens in NordrheinWestfalen hat nicht das Recht, Sondersituationen auszunutzen. Er gehört zurückgepfiffen.
Herr Präsident, mit Ihrer Güte darf ich mich als
Hauptberichterstatterin ({0})
Frau Kollegin, alle in diesem Hause haben das gleiche
Recht. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen.
Wirklich!
- sehr herzlich bei den Mitarbeitern des Hauses für
die geleistete Arbeit und Unterstützung bedanken.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Klaus Hagemann von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzierung der inneren Sicherheit ist der Hauptschwerpunkt
des Einzelplans 06. Es kann sich sehen lassen, was diese
Koalition, was dieser Bundesinnenminister in den vergangenen fünf Jahren in diesem Bereich geleistet hat.
({0})
Ebenso ist auf das hinzuweisen, was wir 2004 anpacken wollen.
Trotz der schwierigen Finanzlage, liebe Kollegin
Jaffke, sind im Etat für die innere Sicherheit keine Kürzungen vorgesehen.
({1})
Frau Jaffke, Sie haben die globale Minderausgabe
erwähnt, die wir wieder eingestellt haben. Wir wissen
aber, dass sie im Innenministerium unter Schonung des
Bereichs der inneren Sicherheit seriös aufgelöst wird.
Liebe Kollegin Jaffke, auf der einen Seite beklagen
Sie die Sparzwänge, auf der anderen Seite aber - gestern
vorgetragen von Ihren Oberen - beklagen Sie, dass nicht
6 Milliarden Euro zusätzlich eingespart werden, um sie
der EU zuzuleiten. Ich sehe darin einen sehr großen Widerspruch.
({2})
- Aber Sie, Herr Kollege Koschyk. Davon gehe ich aus.
({3})
- Natürlich.
Ich will noch einen anderen Punkt richtig stellen, Kollegin Jaffke. Sie haben die Öffnungsklauseln beklagt, die
das Weihnachts- und Urlaubsgeld für die Beamten
betreffen. Da sind Sie in Ihrer Argumentation natürlich
auch ein bisschen doppelzüngig,
({4})
denn in den Ländern, liebe Kolleginnen und Kollegen,
langen Sie in einem ganz anderen Maße zu, als Sie das
hier beklagen. Das ist widersprüchlich und das finde ich
so nicht in Ordnung.
({5})
Ein anderer Punkt betrifft die Ausgaben für die Bundeszentrale für politische Bildung. Bei den Haushaltsberatungen zum Einzelplan 03 im Frühjahr dieses Jahres
wurde eine Liste vorgelegt, aus der hervorging, wofür
die Mittel für die Träger, die Zuwendungsempfänger,
verwendet worden sind. Das will ich noch einmal richtig
stellen, da ist auch nichts hineinzugeheimnissen. Ich
möchte die erfolgreiche Arbeit, die die Bundeszentrale
für politische Bildung leistet, noch einmal deutlich herausstellen. Sie arbeitet jetzt jedenfalls erfolgreicher als
vor zwei oder drei Jahren.
({6})
Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Binninger?
Die Kollegen haben zwar nicht an den Beratungen
über den Haushalt im Haushaltsausschuss und im Innenausschuss teilgenommen,
({0})
aber wenn es sein muss, Herr Binninger, dann schlagen
Sie zu.
Bitte, Herr Binninger.
Dass ich zuschlage, werde ich Ihnen ersparen, Herr
Kollege. Ich frage nur. Sie haben die Öffnungsklauseln
angesprochen und gesagt, die Regelung des Bundes sei
sehr sozial und andere Länder gingen sehr viel weiter.
Würden Sie mir aber Recht geben, dass die CDU- bzw.
CSU-regierten Länder Baden-Württemberg und Bayern,
obwohl sie einen sehr viel höheren Personalkostenanteil
haben als der Bund - 42 Prozent im Vergleich zu
12 Prozent -, die Öffnungsklausel sehr viel schonender
anwenden als der Bund?
Es geht hier nicht um Bayern oder Baden-Württemberg, sondern es geht darum, dass Sie hier etwas beklagen, was Sie in den Ländern praktizieren.
({0})
Lieber Kollege, ich habe kürzlich ein Interview mit
einem Vertreter des Deutschen Beamtenbundes aus Baden-Württemberg gesehen, in dem dieser ganz kräftig
über die Lösung, die dort gefunden worden ist, geschimpft und hergezogen hat. Auch das will ich hier
noch einmal richtig herausstellen.
({1})
Hinzu kommt ja noch, dass wir eine Lösung gefunden
haben, mit der wir gerade den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit den Besoldungsstufen A 1 bis A 8 entgegenkommen. Auch das sollten wir in diesem Zusammenhang noch einmal herausstellen.
({2})
Eines stimmt: Sie sind in dieser Sache doppelzüngig.
Was Sie hier beklagen, praktizieren Sie draußen in den
Bundesländern. Da beißt die Maus keinen Faden ab.
({3})
- Sicher, da auch. Nur beklagen wir es hier nicht, sondern wir haben es gemacht wie in Rheinland-Pfalz. Wir
sind aber nicht doppelzüngig, das ist der Unterschied,
Herr Koschyk.
({4})
Wir haben im Bund und in den Ländern dieselbe stringente Argumentationslinie. Das möchte ich hier noch
einmal richtig herausstellen.
Es ist ja wirklich gut - Frau Jaffke, da stimme ich Ihnen zu -, dass der Haushalt des Bundesinnenministeriums geschont worden ist, gerade weil dieser Einzelplan
schwerpunktmäßig die innere Sicherheit betrifft. Spätestens seit dem 11. September 2001 wird sichtbar, dass der
internationale Terrorismus eine neue Herausforderung
für die Wahrung der inneren Sicherheit und für die Sicherheitsarchitektur darstellt. Es muss daran gearbeitet
werden, gerade die „Privatisierung der Gewalt“, wie es
Erhard Eppler gesagt hat, mit neuen Gedanken und
neuen Strukturen zu bekämpfen. Wir müssen neue Antworten geben.
({5})
Bund und Länder arbeiten gemeinsam daran. Das hat gerade die letzte Innenministerkonferenz deutlich gemacht.
Denn kaum ein anderer Politikbereich hat nach dem
Grundgesetz eine so große Zuständigkeitsvielfalt wie jener der inneren Sicherheit. Deswegen müssen Bund und
Länder hier konstruktiv und zielgerichtet zusammenarbeiten. Das Tempo für Entscheidungen dürfen nicht die
bestimmen, die die Langsamsten im Geleitzug sind.
({6})
Entscheidungen müssen getroffen werden.
Ich will als Beispiel für etwas, bei dem wir derselben
Meinung sind, verehrte Susanne Jaffke, den Aufbau eines Digitalfunknetzes anführen. Fast überall in Europa
sind die diesbezüglichen Entscheidungen schon getroffen worden. Zum großen Teil befinden sich diese Netze
schon im Aufbau. Aber in Deutschland können keine
Grundsatzentscheidungen über die Finanzierung getroffen werden.
({7})
- Warum? Die Länder wollen nicht mitmachen, weil es
keine klare Finanzierungsregelung gibt.
({8})
Deswegen haben wir uns, Kollege Grindel, bei den
Haushaltsberatungen dafür stark gemacht, dass jetzt wenigstens die Ausschreibung eingeleitet werden kann und
dass hierfür Mittel und eine Verpflichtungsermächtigung
zur Verfügung stehen.
({9})
Gerade als Berichterstatter für den Einzelplan 06 will
ich sagen: Es gilt eben nicht die Grundmelodie, die sich
die Länder vorstellen, nämlich: Wir lassen uns vom
Bund nichts sagen und lassen uns nicht hereinreden. Wir
entscheiden alleine; aber die gesamte Finanzierung hat
gefälligst der Bund zu übernehmen. - Nach dieser
Grundmelodie kann sich die Politik aber nicht richten.
({10})
Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Göbel?
Da er schon aufgestanden ist, bevor ich zugestimmt
habe, bleibt mir nichts anderes übrig.
Herr Kollege Hagemann, Sie haben eben gesagt, Sie
fänden das neue Verfahren richtig, dass zunächst einmal
die Ausschreibung stattfindet
({0})
und anschließend über die Finanzierung entschieden
wird. Wir haben zu Beginn dieses Jahres einen Antrag
eingebracht, in dem es darum ging, dass zunächst die
Ausschreibung durchgeführt wird und dass man sich
während der laufenden Ausschreibung über die Finanzierung Gedanken macht.
Können Sie mir erklären, wie Sie zu Ihrer geänderten
Auffassung kommen, nachdem Sie unseren Antrag zu
Beginn dieses Jahres abgelehnt haben?
({1})
Ihre Darstellung ist es eine Klitterung. So habe ich es
natürlich nicht gesagt.
({0})
Herr Kollege, an dieser Stelle sei erwähnt, dass zwischenzeitlich einiges passiert ist. Die Fachminister, die
Innenminister, die Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler haben sich geeinigt, mit einer Startergruppe zu
beginnen. Wir wollen Mittel zur Verfügung stellen, damit man mit der Ausschreibung beginnen kann und Bewegung in die Sache kommt. Die Ausschreibung wird
mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Ich denke,
dass bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz der
Gordische Knoten durchschlagen und eine endgültige
Lösung für die Finanzierung gefunden werden kann. Das
will ich hier deutlich unterstreichen.
({1})
Im Bereich der inneren und der zivilen Sicherheit
macht der Bund Jahr für Jahr seine Hausaufgaben. Das
drücken auch die Zahlen im Haushalt für das Jahr 2004
aus. Bei einem Haushaltsvolumen von rund 4 Milliarden Euro stehen 2,6 Milliarden Euro für die innere Sicherheit zur Verfügung. Wir halten nicht nur Sonntagsreden, sondern wir handeln in dieser Angelegenheit, um
die innere Sicherheit zu gewährleisten. Wir haben uns
nicht wie die Unionsfraktion geweigert, diesen Haushalt
zu beraten. Wir haben auch keine großen Erklärungen
abgegeben.
({2})
Ein Fünftel der Investitionen fließt in die Sachausstattung und vier Fünftel entfallen auf die Personalkosten.
Das macht deutlich, was auf uns zukommt.
Wir wollen mit dem Bundesinnenminister und seinem
Ministerium das Stellenhebungsprogramm für den
Bundesgrenzschutz voranbringen. Nach vielen Jahren
der Stagnation in diesem Bereich ist dies dringend notwendig. Damit bewirken wir eine stärkere Motivation
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer mit den Bundesgrenzschutzbeamten vor Ort redet, der kann feststellen, dass das, was hier geleistet worden ist, Anerkennung
findet.
({3})
Beim Stichwort „Bundesgrenzschutz“ ist zu erwähnen, dass der Löwenanteil von fast 2 Milliarden Euro für
den Sicherheitsbereich in den Bundesgrenzschutz fließt.
Damit ermöglichen wir den Ausbau einer modernen,
schlagkräftigen Bundespolizei. Wir kommen hier gut
nach vorne. Auch andere Aktivitäten in diesem Bereich,
zum Beispiel der Schutz der EU-Außengrenzen, der
Schutz der Flughäfen und die Betreuung von Flugzeugen, sind zu nennen. Das Ausländerzentralregister ist erneuert worden; vieles andere könnte man an dieser Stelle
noch erwähnen.
Ähnliche Aktivitäten gibt es beim Bundeskriminalamt. Hier ist in den letzten Jahren genauso wie beim
Bundesgrenzschutz das Antiterrorprogramm, das vor
drei Jahren geschnürt worden ist, durchgeschrieben worden. Dieses Programm war kein einmaliges Ereignis; die
hierfür vorgesehenen Mittel sind auch in den Haushalt
2004 mit eingearbeitet worden.
Zur Bereitschaftspolizei der Länder: Frau Jaffke,
Sie haben zwar kritisiert, dass hier 1 Million Euro gestrichen worden ist. Aber wir haben in den letzten Jahren
auch Mittel erhöht; das Antiterrorprogramm sei in diesem Zusammenhang erwähnt.
Auch in Bezug auf das Bundesamt für Sicherheit in
der Informationstechnologie - auch das gehört zum Sicherheitsbereich - hat die Regierung bzw. der Innenminister Anstrengungen unternommen. Wir befinden uns
auch hier auf einem guten Weg. Wir wollen das durch
die Bereitstellung der notwendigen Mittel im Haushalt
unterstützen.
Gerade für eine Technologie der Zukunft muss Sicherheit gewährleistet werden.
({4})
Die innere Sicherheit bildet den Schwerpunkt meiner
Rede. Dabei sind auch die Nachrichtendienste zu nennen. Dank und Anerkennung gilt deren Arbeit. Wie notwendig diese Arbeit ist, wird gerade angesichts der Diskussion über den Terrorismus deutlich. Während in den
90er-Jahren - auch das kann ich Ihnen nicht ersparen Mittel abgebaut und Stellen gestrichen worden sind, haben wir insbesondere im Rahmen des Antiterrorprogramms auch in diesem Bereich mehr Mittel und mehr
Stellen zur Verfügung gestellt.
({5})
Ich habe hier über die neue Sicherheitsarchitektur gesprochen. Das gilt auch für den Zivil- und Katastrophenschutz. Auch hier ist es in Zusammenarbeit mit unserer Perle im Bereich des Bundesinnenministeriums,
mit dem Technischen Hilfswerk, notwendig, nach innen
und nach außen zu wirken. Auch hier sind neue Strukturen und eine neue Form der Zusammenarbeit erforderlich. Denn Großschadens- oder Terrorereignisse machen
nicht Halt an lokalen oder regionalen Grenzen. Sie müssen also sowohl national als auch europaweit bearbeitet
werden. Angesichts der Denkansätze, die es im Technischen Hilfswerk gibt, sind wir auf einem guten Weg.
Hinzu kommt das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, das eingerichtet
wird, um neue Wege zu durchdenken, Aktivitäten voranzubringen und Entsprechendes zu bewirken.
Im Zusammenhang mit dem Antiterrorprogramm sind
erheblich mehr Mittel in die Arbeit des Technischen
Hilfswerkes geflossen, Kollegin Jaffke.
({6})
Während die Mittel im Jahre 1998 noch deutlich unter
100 Millionen Euro gelegen haben, sind in den letzten
Jahren - Frau Jaffke, schauen Sie mich bitte einmal an,
damit ich mit Ihnen kommunizieren kann - jedes Jahr
25 Millionen Euro draufgepackt worden.
({7})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss kommen. Ein wichtiger Beitrag für den inneren
Frieden ist eine stärkere Integrationsarbeit im Hinblick
auf die Aussiedler und die Migranten in unserem Land.
Dazu gehört auch die Sprachförderung.
({8})
Kenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln ist eine
Grundvoraussetzung, um Integration betreiben zu können. Deswegen haben wir bereits im Haushalt 2003 die
Mittel deutlich erhöht. Wir haben das durchgehalten und
haben damit deutlich gemacht, dass Integration notwendig ist. 125 Millionen Euro stehen für die Integration
und die Sprachförderung zur Verfügung. Entsprechende
Dankbriefe von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden sind
bereits eingetroffen.
Nur, auch hier fallen bei Ihnen Reden und Handeln
deutlich auseinander. Eigentlich war vereinbart worden,
dass die Finanzierung der Ausländersozialberatung
hälftig bezahlt wird, und zwar vom Bund und von den
Ländern je zur Hälfte.
Leider ziehen sich immer mehr Bundesländer aus der
Finanzierung der Ausländersozialberatung zurück; sie
leisten ihre Kofinanzierung nicht mehr. Man kann das
aber nicht nur dem Bund überlassen und hier Sonntagsreden halten.
({9})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident.
Es gibt deutliche Signale aus dem Vermittlungsausschuss, dass das Zuwanderungsgesetz auf einem guten
Wege ist. Mit diesem Gesetz sollen über das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Instrumente für die Integration zur Verfügung gestellt werden.
Hoffen wir, dass das Gesetz vor Weihnachten auf den
Weg gebracht wird, damit das Weihnachtsevangelium,
dessen Verkündigung vor der Tür steht, auch Realität
werden kann, indem wir für die Migranten und die Aussiedler entsprechende Integrations- und Sprachförderungsleistungen erbringen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Da hat man gesehen, wie lang so ein letzter Satz sein
kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit, ab jetzt von Zwischenfragen und Kurzinterventionen Abstand zu nehmen.
({0})
Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der
FDP-Fraktion.
Das finde ich sehr schade, Herr Präsident, aber ich
kann das durchaus nachvollziehen. Ich hoffe, ich halte
die Redezeit ein - falls nicht, finde ich sicherlich ebenso
große Toleranz wie zuvor.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als Erstes richte ich ein klares Wort an die
Mitberichterstatter und auch an das Haus. Die Verhandlungen waren in der Sache fair, anstrengend und gradlinig. Wir hatten sicherlich in vielen Punkten Auseinandersetzungen, die politisch notwendig waren. Die
Verhandlungen aber waren menschlich - das will ich hier
ausdrücklich sagen - in Ordnung. Es gab kleine Ausnahmen; diese spielten sich aber nicht bei den Berichterstattergesprächen, sondern im Ausschuss ab - dazu komme
ich nachher. Dennoch glaube ich, dass man nur so bei einem so wichtigen Haushalt dann, wenn die Mittel knapp
sind, etwas erreichen kann.
({0})
Ich möchte diese Rede mit einem Gegenstand beginnen, der beim Haushalt des Innenministers immer nur
am Rande eine Rolle spielt, und zwar mit dem THW.
({1})
Das Technische Hilfswerk ist etwas, das im Bauchladen
des Innenministers immer nur am Rande vorkommt.
({2})
Damit will ich nicht sagen, dass er es nicht ernst nimmt.
Sie müssen aber eines sehen: es gibt Veränderungen im
Bereich der Wehrpflicht. wir bekommen Veränderungen
im Bereich des Zivildienstes. Wir müssen hier - das ist
in diesem Haushalt nicht unwichtig; denn es ist ein ausgabenträchtiger Punkt - Vorkehrungen treffen. Ich bitte
das Ministerium und Sie, Herr Minister, im nächsten
Jahr - vor allem im Hinblick darauf, wie in den anderen
betroffenen Ministerien gehandelt wird - hierfür klare
und deutliche Vorkehrungen zu treffen; denn sonst wird
der Haushalt in diesem Punkt zukünftig, wenn wir nicht
mehr auf so viele „Freiwillige“ treffen werden, enorm
belastet werden.
({3})
Wir als FDP haben - Kollege Hagemann kann das bestätigen - im Ausschuss auch Anträge gestellt, die selbst
die Unterstützung der Koalition gefunden haben. Der
Minister hat das nicht immer so nett gefunden.
({4})
- Ich glaube nicht, dass man wegen eines Zustimmungsvolumens von 3 Millionen Euro einem solch großen
Haushalt zustimmen kann, Herr Kollege Hagemann.
Ich möchte auch etwas zum Digitalfunk sagen. Herr
Minister, es ist unbestritten, dass Sie den Digitalfunk
wollen. Es ist auch unbestritten, dass Sie ihn rechtzeitig
haben wollen. Es ist schließlich auch unbestritten, dass
es ihn rechtzeitig geben würde, wenn es allein nach dem
Bund ginge. Das Problem zu lösen ist sicherlich nicht allein Ihre Aufgabe; es ist aber auch Ihre Aufgabe. Ich
hoffe, dass wir nach all den Debatten, die wir hier über
den Digitalfunk hatten, im nächsten Jahr endlich nicht
mehr über diese Frage debattieren müssen, sondern dass
die 5 Millionen Euro, die es hierfür jetzt gibt, der erste
Schritt in die richtige Richtung sind.
Ich will aber dennoch mahnen. Wir haben in Deutschland nun einmal ein Ausschreibungsrecht - das darf ich
als Jurist kurz erwähnen -, das zwar vermeintlich gerecht ist und der Korruption entgegenwirkt. Sie müssen
aber - hier sehe ich ein enormes Risiko, Herr Minister auch einkalkulieren, dass es immer den lieben Konkurrenten gibt, der den Rechtsweg sucht, um die Sache zu
verhindern. Ich kann Ihnen eines garantieren: Wenn die
Ausschreibung auf Konfrontationskurs läuft, dann werden Sie auch im Jahre 2006 den Digitalfunk noch nicht
einmal im Ansatz haben.
Ich will weiterhin in Bezug auf die Bürgerrechte etwas zum Digitalfunk sagen. Es geht beim Digitalfunk
nicht nur darum, schneller zu ermitteln, sondern auch darum, besser zu ermitteln. Man kann über den Digitalfunk
- das vergessen wir immer wieder, wenn wir sagen, dass
es ein modernes System ist - dem einzelnen Polizisten,
dem einzelnen Beamten, der in Bürgerrechte eingreifen
will, viel mehr Hilfsmittel zur Verfügung stellen, damit
er klären kann, ob der weitere Eingriff notwendig ist, ein
wie tiefer Eingriff notwendig ist usw. Allein aus diesem
Grund hilft der Digitalfunk, den Vollzug zu stärken, und
verhindert, dass wir jedes Mal, wenn eine neue Problematik in der „Bild“-Zeitung auftaucht, nach neuen Gesetzen schreien.
({5})
Herr Minister, bevor ich auf die globale Minderausgabe selbst zu sprechen komme, möchte ich etwas zu
den Gründen sagen, die dazu geführt haben, dass die globale Minderausgabe noch ein wenig gestiegen ist.
Zum einen ist der Anstieg auf die Bewerbung um die
Olympischen Spiele zurückzuführen. Das ist in Ordnung; das ist gar keine Frage. Allerdings sei die Frage
erlaubt, ob es, wenn die Verantwortlichen dafür schon
Geld des Bundes brauchen, nicht besser gewesen wäre,
zumindest einen Sperrvermerk einzustellen, um so zu
zeigen, dass wir zwar die Olympischen Spiele wollen,
aber auch darauf geachtet wird, dass sie ordentlich organisiert werden. Als zweiter Grund sind die 5 Millionen
Euro für den Goldenen Plan Ost zu nennen. In dieser
Frage stand ich in den Ausschussberatungen das erste
Mal auf Ihrer Seite, Herr Minister.
({6})
- Das wird die Koalitionäre nicht verwundern. Das ist
auch keine Anbiederei. Die Auffassung des Ministers
trifft in dieser Frage einfach zu. Das darf ich an dieser
Stelle ruhig einmal erwähnen.
Der Minister hat vollkommen Recht: Wir können auf
Dauer nicht so weitermachen, dass wir uns bei der Vergabe finanzieller Leistungen des Bundes daran orientieren, ob sie in eine Gegend fließen, die früher zur DDR
gehört hat, oder ob sie in eine Gegend fließen, die zur alten BRD gehört hat. Wir müssen endlich anfangen zu
fragen, welcher Grund für eine Förderung besteht, und
dürfen nicht mehr danach fragen, in welcher Region das
zu fördernde Objekt liegt.
Ich nenne ein Beispiel. Sehen Sie sich einmal die
Sportanlagen in Duisburg, der Nachbarstadt meiner Heimatstadt Krefeld, an. In diesen Anlagen habe ich schon
in meiner Kindheit Fußball gespielt. In den letzten
30 Jahren ist auch da kaum etwas passiert. Ich sage ganz
ehrlich: Ich will dem Osten natürlich helfen; aber auch
der Westen muss mitgenommen werden. Es ist falsch,
immer nur Programme zur Förderung des Ostens aufzustellen. Es müssen alle Regionen einbezogen werden.
Warum gibt es die globale Minderausgabe eigentlich
noch? Es gibt sie deswegen noch, weil die Koalition es
nicht geschafft hat, sie aufzulösen. Die Koalition behauptet, das sei nicht notwendig, weil das Haus ordentlich damit umgeht. Das stimmt. Nur dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wäre es bei dem
Verständnis, das Sie von sich als Parlamentarier haben
und das Sie immer so hochhalten - das ist ja auch gut -,
primär Ihre Aufgabe, diese Minderausgabe aufzulösen
und diese Aufgabe nicht dem Ministerium zu überlassen.
({7})
Ein weiterer Punkt. Herr Minister, Sie haben im Ausschuss schon mehrfach angemahnt, dass Sie zu wenig
Geld in der Kasse hätten. In diesem Zusammenhang darf
ich darauf hinweisen, dass der Gegner nicht der Ausschuss und schon gar nicht die Kollegin Hajduk ist. Sie
müssen sich an den Kollegen wenden, der auf der Regierungsbank zwei Sitze rechts von Ihnen sitzt, nämlich an
den Finanzminister. Wenn es intern um die Verteilung
der Mittel geht, müssen Sie ihn fragen, warum die Verbraucherschutzministerin für die Förderung der ökologischen Landwirtschaft so viel Geld bekommt
({8})
und der Umweltminister für Flugreisen, Kuchen und
Ähnliches so viel Geld bekommt. Das wäre ein Ansatz.
Das dem Ausschuss anzulasten ist aber sicherlich der
falsche Weg.
({9})
Meine letzte Anmerkung - hier fällt mir wieder das
Beispiel des Bauchladens ein. Ein Finanzminister, der
weiß, dass der Haushalt des Innenministers so viele Einzelposten aufweist und dass das Innenministerium ein so
großes Haus ist - das ist ja nicht per se falsch -, wird
sich sagen, irgendwoher werde der Innenminister das
Geld schon nehmen können. Sie sollten nach meiner
Meinung darüber nachdenken, ob so viele Einzelposten
bei großen Ministerien gut sind.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Ich finde es schön, dass Sie sich so darüber freuen,
dass ich nun zu Ihnen sprechen darf. Ich hoffe, diese
Freude hält an.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
ich die Auseinandersetzung zu diesem Haushalt richtig
verfolgt habe - das ist auch in dem Beitrag Ihrer Berichterstatterin deutlich geworden -, muss ich feststellen,
dass Sie auch den Haushalt für die innere Sicherheit wie
den Gesamthaushalt blockieren, indem Sie uns erzählen,
was Sie alles nicht finanzieren wollen. Sie haben jedoch
weder Anträge noch Konzepte vorgelegt, wie Sie die innere Sicherheit zu gewährleisten gedenken. Das ist typische Fundamentalopposition.
({1})
Das haben wir Anfang der 80er-Jahre auch schon einmal
gemacht. Sie können hier von der Fraktion der Grünen
etwas lernen. Es bringt viel mehr Spaß, wenn man sich
an den Debatten über die Finanzierung verantwortungsvoll beteiligt.
({2})
Meine Damen und Herren, wie ernst die Situation im
Bereich der inneren Sicherheit ist, ist uns allen durch
die entsetzlichen Anschläge in Istanbul noch einmal sehr
deutlich vor Augen geführt worden. Deswegen bleibt die
Bekämpfung des internationalen Terrorismus für RotGrün das zentrale Thema der inneren Sicherheit.
Mit diesem Haushalt und mit den Gesetzesinitiativen
der letzten Monate haben wir sehr deutlich gemacht:
Dort, wo reale Sicherheitslücken erkannt werden, handelt Rot-Grün. Wir haben die Sicherheitspakete verabschiedet. Erst vor kurzem haben wir das Luftsicherheitsgesetz auf den Weg gebracht.
({3})
Wir erhöhen die Sicherheit unserer Häfen und haben
- das wurde hier schon gesagt - mit dem Bundesamt für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine zentrale
Behörde geschaffen, die den Ländern und Kommunen
helfen wird, den Katastrophenschutz zu modernisieren.
Genau darum geht es.
Seit einem Jahr bin ich nun die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen.
({4})
Ich bin etwas enttäuscht: Die CDU/CSU-Fraktion legt
alle drei Monate den gleichen verstaubten Katalog von
Gesetzesverschärfungen vor.
({5})
Den kannte ich schon vor meiner Zeit hier.
({6})
Diese Vorschläge sind unsinnig, weil durch deren Umsetzung kein Beitrag zur inneren Sicherheit geleistet
würde.
({7})
Die CDU/CSU tut mit diesen alten, nicht wirkungsvollen Gesetzesvorschlägen etwas für sich, aber sie leistet
keinen Beitrag für die innere Sicherheit in Deutschland.
({8})
Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte die Gelegenheit nutzen, ein paar Anmerkungen zu aktuellen Themen
der inneren Sicherheit zu machen. Ich habe keine Lust,
hier noch einmal etwas zum Digitalfunk zu sagen, weil
es mich langsam langweilt.
({9})
Ich gehe davon aus, dass Herr Minister Schily Ihnen die
neuesten Beschlüsse und alles weitere Notwendige noch
einmal erläutern wird.
Ich möchte ein anderes Thema aufgreifen, nämlich
die Biometrie. Ich habe ein Foto mit einem sehr niedlichen Motiv vor mir liegen, das Sie leider nicht sehen
können. Durch dieses Foto kann gezeigt werden, wie
man die Technik der Biometrie, gegen die ja gar nichts
einzuwenden ist, sehr vernünftig anwenden kann. In Indonesien werden zum Beispiel die Fingerabdrücke von
Menschenaffen biometrisch erfasst, weil es weltweit nur
noch 15 000 dieser Menschenaffen gibt. Auch die niederländische Polizei baut eine solche Datenbank auf.
Das ist ein gutes Mittel, um den verbotenen Handel mit
Menschenaffen zu unterbinden.
({10})
Ich nenne Ihnen dieses Beispiel, um deutlich zu machen, dass der Unsinn, den ich manchmal in Ihren Presseerklärungen lese - in diesen steht, dass die Grünen die
Biometrie behindern -, nicht stimmt. Die Einführung
biometrischer Merkmale haben wir bereits in der 14. Legislaturperiode beschlossen.
Bei der Diskussion über die Anwendung der Biometrie müssen natürlich auch die Unterschiede zwischen
Menschenaffen
({11})
und Menschen beachtet werden. Wir setzen uns für eine
enge Zweckbindung ein und lehnen den Aufbau von Referenzdateien ab. Wir werden auch zur Biometrie eine
sehr spannende Kostendebatte führen.
Nachdem der Bund erhebliche Mittel in den Haushalt
eingestellt hat, bin ich gespannt, wie sich die Länder verhalten werden, wenn es darum gehen wird, die Pass- und
Ausweisbehörden mit biometrischer Technik auszustatten. Das wird aber nicht reichen. Die Länder müssen die
Landespolizei auch mit den entsprechenden Lesegeräten
ausstatten. Wenn wir über dieses Thema wie beim Digitalfunk auch zehn Jahre lang diskutieren, dann freue ich
mich schon auf sehr witzige Debatten.
({12})
Eines werden wir als Grüne nicht mitmachen. Ich
habe mir in Amerika ansehen müssen, dass die ganzen
Kosten für die Sicherheit auf die Bürgerinnen und Bürger abgewälzt werden. Ein biometrischer Ausweis darf
nicht 100 Euro kosten. Es darf nicht sein, dass nur noch
der reiche, biometrisch erfasste Bürger mit dem Stempel
„Grenzpolizeilich unbedenklich“ weltweit Reisefreiheit
genießt. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen.
({13})
Ich möchte zu einem anderen Bereich, der mir persönlich sehr am Herzen liegt, noch ein paar Worte sagen,
und zwar zur Auseinandersetzung mit dem DDR-Unrecht. Wir haben im Innenausschuss einen Bericht über
die technische Möglichkeit bekommen, Akten, die in
den letzten Stunden des DDR-Regimes zerrissen und geschreddert wurden und wichtiges Wissen enthalten, wiederherzustellen und zu rekonstruieren. Ich möchte für
meine Fraktion ganz deutlich sagen: Wir möchten die
Anwendung dieser Technik. Wir möchten, dass diese
Akten wiederhergestellt werden.
({14})
- Ich sehe, dass Sie mir zustimmen. Ich hoffe, dass wir
parteiübergreifend die Mittel hierfür aufbringen.
({15})
Meine Redezeit ist fast zu Ende. Noch ein Satz zum
Thema Akten. Es wird im nächsten Jahr nicht nur darum
gehen, diese alten Akten wiederherzustellen.
({16})
Wir haben noch einen anderen Wunsch. Wir wollen, dass
die vorhandenen Akten den Bürgerinnen und Bürgern
auch zur Verfügung gestellt werden. Wir Grünen führen
jetzt seit fünf Jahren den Kampf um ein Informationsfreiheitsgesetz.
({17})
- Wir wissen die Kolleginnen und Kollegen der SPD an
unserer Seite, Herr Tauss. Gemeinsam werden wir nun
die Ministerien überzeugen. Bei meiner nächsten Haushaltsrede möchte ich verkünden können: Nach diesem
langen Kampf ist das Informationsfreiheitsgesetz endlich Wirklichkeit.
Danke schön.
({18})
Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ich weiß nicht, ob Ihre Freude auf die Dauer anhält,
Herr Wiefelspütz.
Dass ich das noch erleben durfte, Frau Stokar, mit Ihnen ein gemeinsames Ziel zu haben, ist schon erstaunlich. Ich vermute aber, diese Einigkeit wird irgendwann
im Detail stecken bleiben. Ich komme gleich noch einmal auf diese Schnipselberge, für deren Wiederherstellung auch wir uns einsetzen, zurück.
Ich bedauere es, diese gute Atmosphäre, die vielleicht
mit der vorgerückten Stunde zu tun hat, etwas stören zu
müssen. Ich verstehe immer mehr, warum die Menschen
diese Regierung nicht ernst nehmen. Ich mache es einmal an dem Beispiel der Ausführungen von Herrn
Hagemann fest. Herr Hagemann, wenn Sie wie viele aus
Ihrer Fraktion heute den Eindruck erwecken, dass im
Bereich der inneren Sicherheit eigentlich alles in bester
Ordnung sei, dann muss ich Ihnen sagen, dass Ihre
Wahrnehmung von der Bevölkerung überhaupt nicht geteilt wird. Das ist nicht in Ordnung.
({0})
Ich will das an ein paar Beispielen aufzeigen. Ich
fange ganz grundsätzlich an. Herr Hagemann, der Haushalt, den Sie eingebracht haben, ist verfassungswidrig.
Die Menschen merken, dass das nicht in Ordnung ist.
({1})
Diese Bundesregierung verstößt gegen internationale
Vereinbarungen und verharmlost das Ganze mit der Begründung, sie interpretiere die Regelungen nur anders.
Sie können doch nicht so tun, als ob nichts gewesen wäre.
({2})
- Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie dauernd herumbrüllen und mich nicht ausreden lassen.
({3})
Schließlich - auch das meine ich ernst - möchte ich
noch ein anderes Beispiel nennen. Wir alle haben eine
Mail von einer Bürgerin bekommen, die sich über das
Niveau in diesem Hause aufregt. Ich muss Ihnen ganz
ehrlich sagen: Wer in diesen Tagen einige Mitglieder auf
der Regierungsbank beobachtet hat - ich habe das
getan -, der darf sich eigentlich nicht wundern, dass
Herr Gottschalk nicht versteht, dass er hier nicht auftreten darf.
({4})
Da wird gefeixt und gelacht, den Rednern ein Vogel gezeigt und der „Scheibenwischer“ gemacht. Ich bin nicht
pingelig. Das wissen alle, die mich kennen.
({5})
Nein, es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass die
Menschen, die existenzielle Probleme haben, wenn sie
hier zuhören und zuschauen, nicht den Eindruck haben,
dass sich hier erwachsene Menschen mit ihren dringendsten Problemen auseinander setzen.
({6})
Ich nehme ausdrücklich die Herren aus, die im Augenblick auf der Regierungsbank sitzen. Wir tun uns alle
keinen Gefallen, wenn wir einfach zur Tagesordnung
übergehen.
({7})
Wissen Sie, warum wir uns keinen Gefallen tun? Weil
wir Vertrauen zerstören. Aber das brauchen wir.
({8})
- Ich komme jetzt zum Haushalt. Ich habe den Eindruck,
dass die Leute nicht darauf vertrauen und nicht das Gefühl haben, dass der Bereich der inneren Sicherheit,
den Sie, Herr Hagemann, eben in den Mittelpunkt gerückt haben, wirklich in besten Händen ist. Wir haben
diesen Eindruck nicht. Ich will Ihnen an einigen Beispielen aufzeigen, warum das so ist.
Ich gehe nicht intensiv auf die globale Minderausgabe ein, weil ich nur wenig Zeit habe, aber uns würde
schon interessieren, wo Sie die insgesamt 160 Millionen
Euro einsparen wollen,
({9})
ganz zu schweigen von den 1,6 Milliarden Euro, die laut
Minister im ganzen Haushalt zusätzlich einzusparen
sind.
Dass eine Haushaltsplanberatung auch die Prioritätensetzung widerspiegelt, wissen Sie genauso gut wie
ich. Sie wissen auch, dass wir andere Prioritäten gesetzt
haben.
({10})
Darauf hat Herr Fricke eben ausführlich hingewiesen.
Ich nenne einige Beispiele.
Das erste ist der Zivil- und Katastrophenschutz.
Herr Hagemann, Sie haben das letzte Mal schon von der
„Perle“ gesprochen. Aber die müssen Sie pflegen.
({11})
Sie reduzieren auch in diesem Haushalt wieder einmal
die Mittel. Vor Ort können sich die Ortsverbände des
THW nur dadurch retten, dass sie die Anzahl der Züge
massiv reduzieren.
({12})
- Sagen Sie nicht, dass sei nicht wahr. Wenn Sie das tatsächlich nicht wissen, dann würde ich mich an Ihrer
Stelle nicht dazu äußern.
({13})
Irgendwann wird die Einsatzfähigkeit infrage gestellt.
Diese Sorgen machen sich inzwischen die Ortsverbände
vor Ort. Gehen Sie einmal zu ihnen. Die erzählen Ihnen
das gerne.
({14})
Zweiter Punkt. Sie haben zwar das Bundesamt für Zivilschutz
({15})
- Herr Tauss, dass Sie mir nicht zuhören, bin ich gewöhnt - unter dem neuen Namen „Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz“ eingerichtet. Herr
Staatssekretär Körper hat aber gesagt, es solle optischorganisatorisch hervorgehoben werden. Das kann man
nur verstehen, wenn man weiß, dass das kostenneutral
vonstatten gehen soll. Ich meine: Optisch reicht nicht
aus. Es muss nach alter Väter Sitte - „ohne Moos nix
los“ - Geld in die Hand genommen werden, wenn man
es denn ernst nimmt.
({16})
Wir haben in unserem Antrag die Einrichtung einer
Einsatzleitstelle für Großschadensereignisse gefordert. Sie haben gemeint, dieser Antrag sei überflüssig.
Ich glaube nach wie vor, dass er das nicht ist. Ich würde
Ihnen empfehlen, sich den Antrag noch einmal anzuschauen. Dann würden Sie merken, dass diese Einsatzleitstelle für Großschadensereignisse dringend notwendig ist.
Ich nenne als weiteres Thema den Einsatz der Biometrie. Ich habe mich gewundert, dass Frau Stokar die
neueste Pressemitteilung noch nicht hatte. Ich habe sie.
({17})
Laut dieser Pressemitteilung haben sich die Innen- und
Justizminister in Brüssel - Herr Bundesminister, ich gratuliere zu diesem Erfolg - über die Einführung biometrischer Merkmale in Visa und Aufenthaltstiteln geeinigt
und grünes Licht für die Europäische Grenzschutzagentur gegeben. In meiner Heimatstadt Düsseldorf würde
man jetzt sagen: Wie ich den Laden kenne, kostet das
aber auch Geld. Wir erwarten deshalb in nächster Zeit,
dass die erforderlichen Mittel ausgewiesen werden.
Dann werden wir sehen, wie das aussieht. Ich habe gesehen, dass im Etat Forschungsmittel versteckt sind. Vielleicht kann man diese für die konkrete Umsetzung abzwacken.
Aber wir sind damit nicht am Ende. Jetzt muss ich
doch konkret werden; das habe ich schon fast befürchtet,
Frau Stokar. Wir wollen, dass diese biometrischen Daten
auch gespeichert werden, damit ein besserer Austausch
zwischen den Sicherheitsbehörden und den Landesbehörden möglich gemacht wird.
({18})
- Noch besser, Herr Wiefelspütz. Es kann immer noch
besser werden. Dass es Defizite gegeben hat, dürfte, wie
ich annehme, auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein.
Es gab dazu einmal von uns einen Antrag bezüglich des
wirksamen Schutzes vor Terroristen und Extremisten,
von dem Sie ebenfalls meinten, er sei nicht notwendig.
Wie gesagt, ich bin immer noch der Ansicht, dass er notwendig gewesen ist. Sie können ihn gerne nachlesen.
Schließlich unterscheiden wir uns auch in der Auffassung über die Notwendigkeit eines Sicherheitspaketes III, wie Herr Innenminister Beckstein ihn anmahnt.
Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, weil ich sehe,
dass die Lampe, die das Ende meiner Redezeit ankündigt, blinkt. Ich zitiere aber noch einmal aus einer Pressemitteilung der Bayerischen Staatskanzlei:
Unsere Computer sind auf die arabische Schrift und
Phonetik nicht eingestellt.
({19})
Islamische Fundamentalisten können sich daher
hinter einem bunten Strauß von Alias-Namen, die
alle irgendwie gleich klingen, verstecken und abtauchen. Deshalb brauchen wir die Speicherung
biometrischer Daten. Auch das hat die rot-grüne
Bundesregierung abgelehnt.
Zum Technischen Hilfswerk habe ich bereits etwas
gesagt. Ich komme deswegen nur noch ganz kurz auf das
Defizit von 2 Millionen Euro bei der Bereitschaftspolizei zu sprechen.
Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Schluss und gehen nicht mehr auf die Bereitschaftspolizei ein.
Schließlich stimme ich Frau Stokar zu: Es müssen
Mittel für die Aufarbeitung der Geschichte der DDR, die
für die Wiederherstellung der als Schnipselberge bekannten vorvernichteten Stasiakten zu verwenden sind,
ausgewiesen werden.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister Otto
Schily.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich, ähnlich wie der Kollege Fricke, zunächst
einmal bei den Haushältern für eine wirklich angenehme
und faire Beratung meines Haushaltes ungeachtet von
Meinungsverschiedenheiten - das bringt die Natur der
Sache mit sich, aber das Ganze ist in wirklich guter Atmosphäre verlaufen - bedanken. Der Dank gilt natürlich
in aller erster Linie den Haushältern der Koalition; denn
sie haben die Mehrheit.
({0})
- Jetzt kommt das Aber: Dieses Lob gilt auch den Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition, die sich fair
verhalten haben; das kann ich überhaupt nicht anders
darstellen.
Ich möchte zu einigen Bemerkungen Stellung nehmen, die in der Debatte zum Ausdruck gekommen sind.
Ich beginne zunächst einmal mit der Frage: Wie sieht
denn mein Haushalt eigentlich aus? Natürlich habe ich
- das kann gar nicht anders sein -, ähnlich wie andere
Ressorts auch, einen Solidarbeitrag leisten müssen.
Wenn ein Minister meint, sein Haushalt brauche dazu
nichts beizutragen, dann verhält er sich nicht korrekt.
Deshalb habe ich eine globale Minderausgabe, die sich
auf etwa 150 Millionen Euro beläuft, zu verkraften. Für
einen Haushalt, der stark von Personalausgaben in Anspruch genommen wird und der der inneren Sicherheit
dient, ist das sicherlich keine einfache Aufgabe.
Ich will aber darauf hinweisen, dass wir in sehr wichtigen Sicherheitsbereichen gleichwohl einen Aufwuchs
haben. Bei den Mitteln für den Bundesgrenzschutz haben wir einen Aufwuchs um 3,6 Prozent. Die Mittel für
das BKA konnten wir auf hohem Niveau beibehalten. Es
gibt auch in anderen Sicherheitsbereichen einen Aufwuchs, beispielsweise bei den Zuwendungen zu Europol
und anderen Sicherheitsinstitutionen.
Da Sie sagen, das sei alles noch nicht genug, möchte
ich auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen: Ich
weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass der Kollege
Austermann, der im Bundestag sehr impulsive Reden
hält,
({1})
gefordert hat, dass wir den Vorgaben der Europäischen
Kommission folgen sollen. Als er dann gefragt wurde,
wie das geschehen soll, hat er geantwortet: Es sollten
alle Verwaltungsausgaben um 10 Prozent gekürzt werden. Das würde bedeuten, dass ich beim Bundesgrenzschutz mehr als 180 Millionen Euro einsparen müsste.
Wie ich das verkraften soll, mögen mir die Damen und
Herren von der Fraktion, die hier für die innere Sicherheit plädiert, verkünden. Diese Forderung ist doch
schlichtweg Unsinn.
({2})
Frau Kollegin Jaffke, Sie sind mir immer eine sehr
angenehme Partnerin im Haushaltsausschuss.
({3})
- Das wird man doch einmal freundlich sagen dürfen.
Ich weiß zwar, dass es eher gefährlich ist, wenn man als
Regierungsmitglied einen Oppositionsabgeordneten
lobt, aber ich kann Ihnen das Lob nicht ersparen, Frau
Kollegin Jaffke.
({4})
Einiges, was Sie hier dargestellt haben, ist nicht ganz
korrekt. Aber das ist eine sachliche Meinungsverschiedenheit, die wir freundlich miteinander austragen können.
Sie haben nach der Bezahlung der Beamtinnen und
Beamten gefragt. In diesem Zusammenhang möchte ich
Sie darauf aufmerksam machen, dass in meiner Amtszeit
die Zahlungen für die Beamtinnen und Beamten und für
den öffentlichen Dienst erheblich gestiegen sind, und
zwar aufgrund der von mir geführten Tarifverhandlungen und der darauf folgenden Besoldungserhöhungen.
Das ist beachtlich.
({5})
- Nein, dabei handelt es sich um einen deutlichen Nettolohnzuwachs. Das können Sie alles nachvollziehen.
Auch dieser Personenkreis profitiert von den Besserstellungen durch die Kindergelderhöhung und die Steuererleichterungen. Das sollten Sie beachten, wenn Sie einen Sachverhalt korrekt und vollständig darstellen wollen.
({6})
Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass wir der Forderung nach mehr Flexibilisierung nachgekommen sind.
Sie haben dem zugestimmt. Wir haben aber davon nicht
in der Weise Gebrauch gemacht wie die Länder, nämlich
bereits in diesem Jahr mit den Kürzungen der Sonderzahlungen zu beginnen, sondern wir haben das erst für
das nächste Jahr, also für 2004, vorgesehen. Auch das
bitte ich zu beachten.
Die Frage der Arbeitszeit werden wir auch auf Bundesebene diskutieren müssen. Aber ich frage Sie, ob ich
dem Beispiel von Hessen mit einer Arbeitszeit der Beamten von 42 Wochenstunden folgen soll.
({7})
Ich kann Ihnen schon jetzt versichern: Die Erhöhung der
Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden werde ich auf Bundesebene nicht vorschlagen.
({8})
- Wir haben die Überlegungen noch nicht abgeschlossen. Insofern bitte ich um Verständnis dafür, dass ich
mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festlegen will.
Ein Blick auf die Einkommenssituation beim Bundesgrenzschutz zeigt - das hat der Kollege Hagemann
schon ausgeführt -, dass diese noch nie so gut war wie in
meiner Amtszeit, und zwar durch die Stellenhebungen,
die wir konsequent vorgenommen haben. Auch das
sollte hier anerkannt werden.
({9})
Des Weiteren haben Sie einen Einzelfall bei der Bundeszentrale für politische Bildung dargestellt. Der
Kollege Hagemann hat mit Recht darauf hingewiesen,
dass wir zusammen mit dem Präsidenten der Bundeszentrale, Krüger, diese Einrichtung modernisiert und in eine
gute Verfassung gebracht haben.
({10})
- Nun hören Sie doch einen Moment zu, Herr Grindel!
Wenn Sie das Ideologisierung nennen wollen, dann tun
Sie das ruhig. Sie haben mich danach gefragt, wer die
Zuwendungsempfänger sind. Zuwendungsempfänger
sind auch CDU-nahe Einrichtungen; sie erhalten
1,35 Millionen Euro.
({11})
Insofern können Sie das ruhig als Ideologisierung bezeichnen.
Sie haben eine entsprechende Aufstellung erhalten.
Frau Jaffke, ich sage Ihnen zu, dass Sie - wenn Ihnen
noch irgendetwas fehlt - alle Angaben im Detail bekommen.
({12})
Notfalls werde ich selber dafür sorgen. Ich halte es für
selbstverständlich; denn Sie haben ein Recht dazu.
Ferner haben Sie eine Ausgabe für einen Dienstwagen beanstandet. Der Etat der Bundeszentrale für politische Bildung beläuft sich auf knapp 40 Millionen Euro.
Bei der von Ihnen beanstandeten Position handelt es sich
um die Kosten für einen Dienstwagen in Höhe von
20 000 Euro. An dieser Stelle fehlt mir ein bisschen das
Verständnis dafür, dass diese Ausgabe Gegenstand einer
Debatte im Deutschen Bundestag wird.
({13})
Wenn Sie meinen, ich könnte die entsprechenden Fahrzeuge vom Bundeskriminalamt übernehmen, dann versichere ich Ihnen: Für 20 000 Euro bekommt man dort gar
nichts, allenfalls ein Schrottauto.
({14})
Herr Fricke ist auf das THW eingegangen; auch Frau
Philipp hat dazu einige Ausführungen gemacht. Weil Sie
die Ausgaben beanstandet haben, Frau Kollegin Philipp,
weise ich Sie darauf hin, dass es in den Jahren 1998/99
beim THW bereits einen Aufwuchs der Mittel von
10,3 Prozent und in der Zeit von 1999 bis 2003 einen
Aufwuchs von 17,5 Prozent gegeben hat. Dahinter können Sie sich mit den Zahlen aus Ihrer alten Zeit verstecken.
({15})
Beim THW sollten Sie nicht in der Weise herumreden, wie Sie es hier gemacht haben. Ich weiß, dass Sie
manchmal versuchen, in den Helfervereinigungen für
schlechte Stimmung zu sorgen. Wohin auch immer ich
beim THW komme, werde ich außerordentlich freundlich empfangen.
({16})
Man weiß dort genau, was der Bundesinnenminister für
das Technische Hilfswerk tut.
({17})
Dies haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
THWs auch verdient, weil sie hervorragende Arbeit leisten.
Herr Fricke hat Sorge geäußert, dass wir für diesen
Bereich keine jungen Menschen mehr gewinnen können.
({18})
Das stimmt für das THW nicht. Von 1999 bis 2003 hatten wir dort einen Zuwachs an Junghelfern - darauf bin
ich besonders stolz - in Höhe von 24 Prozent. Angesichts dieses Sachverhalts sollten Sie sich auch einmal
auf ein Lob für diese gute Arbeit besinnen.
({19})
Ich habe zwölf Minuten Redezeit für ein, wie Sie gesagt haben, großes Ministerium. Das ist immer etwas
merkwürdig. Daher weise ich in aller Kürze darauf hin,
dass wir mit den Haushaltsmitteln immer gut umgehen
und große Erfolge zu verzeichnen haben. Ich kann sie
jetzt nicht alle aufführen; dazu bräuchte ich ein paar
Stunden.
Aber ich gehe noch auf die von Frau Philipp dankenswerterweise angesprochenen Entscheidungen der heutigen Justiz- und Innenministerkonferenz der Europäischen Union ein. Sie haben zwei Erfolge erwähnt und sie
auch fair begrüßt, wofür ich mich bedanke. Diese beiden
Entschließungen gehen, Frau Kollegin Philipp, auf deutsche Initiativen zurück.
({20})
Ich bin froh, dass wir heute einen großen Schritt nach
vorn gemacht haben.
Frau Kollegin Stokar, Sie mögen sich für die Menschenaffen interessieren; ich interessiere mich für die
Menschen.
({21})
Wir müssen die Menschen und nicht nur die Menschenaffen schützen. Dafür brauchen wir biometrische Merkmale. Wir müssen mit ihrer Hilfe dafür sorgen, dass
keine Menschen in das Gebiet der Europäischen Union
kommen, die nichts Gutes im Schilde führen.
({22})
Meine Damen und Herren, ich könnte natürlich noch
über einige Dinge reden, die wir heute mit Javier Solana
besprochen haben, der das Engagement Deutschlands
besonders lobt, was den Einsatz für die innere Sicherheit
außerhalb unserer Grenzen angeht. Ich könnte auch über
das sprechen, was wir heute hinsichtlich der Stärkung
von Europol vereinbart haben. Ich beschränke mich
stattdessen darauf, ein paar Sätze auf den von mehreren
angesprochenen Digitalfunk zu verwenden.
({23})
- Das ist wichtig.
({24})
Entschuldigung, Herr Präsident, ich nehme damit
mein Vorrecht in Anspruch, als Regierungsmitglied ein
wenig länger zu sprechen.
({25})
- Ich weiß, dass Sie diesbezüglich einige Sorgen in Bezug auf meine Person haben. Aber Sie haben doch einen
Anspruch darauf, dass ich über den neuesten Stand berichte.
({26})
Mit dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz
der Länder, dem Kollegen Trautvetter, und dem Finanzminister Baden-Württembergs, Herrn Stratthaus, habe
ich vor einigen Tagen zusammengesessen; die beiden
Herren sind auf meine Einladung hin dankenswerterweise nach Berlin gekommen. Wir waren uns einig, dass
wir einen modernen Digitalfunk brauchen. Das ist die
gute Botschaft. Die zweite gute Botschaft war das, was
Herr Trautvetter nach diesem Gespräch auch in einer
Presseerklärung bekannt gegeben hat: Die von uns mühsam auf der Arbeitsebene mit den Ländern erarbeitete
Dachvereinbarung, die besagte, dass wir die Ausschreibung in Gang setzen können, ist jetzt unterschriftsreif.
Ich habe das - ebenfalls in einer Presseerklärung - begrüßt. Aber in einem anschließenden Gespräch mit meinem Staatssekretär hat der Thüringer Staatssekretär
Scherer plötzlich erklärt, dass das alles nicht wahr sei
und dass Herr Trautvetter seine Zusage zurückziehen
möchte. Das ist ein sehr ungutes Hin und Her. Das, was
hier geschieht, ist ein Drama und geht zulasten unseres
Landes.
({27})
Der Bundeskanzler hat mit den Ministerpräsidenten
Ende Juni dieses Jahres eine Vereinbarung getroffen
- ich war zugegen -, in der die genaue Schrittfolge festgelegt worden ist: Dachvereinbarung, Ausschreibung
und Rahmenvertrag, der die Kostenverteilung regelt.
Jeder kann ja für sich entscheiden, ob er die Kosten aufbringen kann bzw. will. Ich finde das, was Sie in Ihrer
Zwischenfrage im Hinblick auf Ihren Antrag gesagt haben, sehr interessant. Mir war das nicht mehr in Erinnerung. Ich muss ehrlich sagen, dass ich diesbezüglich eine
Gedächtnislücke hatte. Mir ist aber sehr lieb, dass Sie einen solchen Antrag gestellt haben. Wenn das Ihr Standpunkt ist - dieser stimmt übrigens mit meinem überein -,
dann bitte ich Sie ganz herzlich, dementsprechend Ihren
Einfluss bei den Ländern geltend zu machen.
({28})
Dann wären wir sofort einen Schritt weiter; denn über
die Finanzverteilung kann man viel besser sprechen,
wenn man die Angebote der möglichen Betreiber vorliegen hat und weiß, was es kosten wird.
Als unverbesserlicher Optimist, der ich noch immer
bin, glaube ich, dass es durchaus möglich ist, zusammen
mit dem Bundeskanzler auf der Ministerpräsidentenkonferenz Ende Dezember dieses Jahres eine Perspektive
bei der Finanzverteilung zu konsentieren und so den Prozess zu beschleunigen. Ich werde es jedenfalls versuchen. Deutschland würde sich entsetzlich blamieren,
wenn es uns nicht gelingen sollte, das zu schaffen, was
Finnland in relativ kurzer Zeit zustande gebracht hat,
und zwar zu durchaus überschaubaren Kosten. Ich bin
jedenfalls dankbar, dass im Prinzip alle Fraktionen dieses Hauses die Einführung des Digitalfunks unterstützen. Übrigens, ich bitte, zu beachten, dass sich auch die
Länder nicht einig sind, ob der Königsteiner Schlüssel
angewendet werden soll.
Ich möchte ausnahmsweise - der Präsident lässt dauernd die rote Lampe leuchten
({29})
- Erleuchtungen brauche ich nicht; ich hatte bereits genügend - etwas zum Sportetat sagen, der bereits angesprochen worden ist. Ich bin hier mit Herrn Fricke einer
Meinung - das kann ja passieren - und teile die Auffassung meiner Koalition nicht. Diesen Konflikt müssen
wir offen austragen. Es hat keinen Sinn, dies zu verschweigen. Im Sportetat wird nämlich einfach ein Posten
in Höhe von 5 Millionen Euro für den Goldenen Plan
Ost ausgewiesen. Niemand sagt mir, wie ich das gegenfinanzieren soll - das wird einfach in die globale Minderausgabe eingestellt -, und so wird das Problem bei
mir abgeladen.
Übrigens, Frau Stokar, ich verstehe und unterstütze
Ihr Anliegen, die Stasiunterlagen wiederherstellen zu
lassen. Aber die dafür notwendigen 58 Millionen Euro
müssen Sie mir erst einmal besorgen. Nicht, dass es eine
zusätzliche globale Minderausgabe in Höhe von 60 Millionen Euro gibt! Das mache ich nicht mit.
({30})
Wir haben jedenfalls bei den Sportausgaben ein hohes
Niveau erhalten können. Ulrich Feldhoff, der Vizepräsident des Deutschen Sportbundes, hat in Aachen aus Anlass des Zeitraums von 1 000 Tagen bis zu den Weltreiterspielen im Jahre 2006 erklärt - das gilt für uns alle -, man
solle doch endlich einmal anerkennen, dass Deutschland
die drittstärkste Sportnation der Welt ist.
({31})
Das verdanken wir auch den Steuercents, die die Menschen aufbringen. Darauf können wie sehr stolz sein.
Dass wir im Jahre 2006 nicht nur Gastgeber bei der Fußballweltmeisterschaft, sondern auch bei der Tischtennisweltmeisterschaft, der Hockeyweltmeisterschaft und den
Weltreiterspielen sind, bringt zum Ausdruck, welche
Anerkennung uns zuteil wird.
Lassen Sie mich kurz auf das Thema Olympia eingehen; ich bin darauf angesprochen worden. Können Sie
mir einen Fall nennen, in dem ein Laden innerhalb so
kurzer Zeit wieder auf Trab gebracht worden ist wie im
Zusammenhang mit der deutschen Olympiabewerbung?
Dies wurde mit wirklich guten Leuten geschafft. Dafür
konnten die Beteiligten sehr viel Lob einheimsen. Ich
glaube, ich brauche mich nicht zu verstecken. Zwar sind
einige Dinge geschehen, die nicht schön waren - heute
wurde übrigens bekannt, dass eine Person zu Unrecht
beschuldigt worden ist -; aber wir haben den Laden mittlerweile wieder aufgeräumt.
Ich bitte Sie alle, diese nationale Bewerbung auch
vom Bundestag aus zu unterstützen.
({32})
Wir haben mit Herrn Genscher einen wunderbaren Vertreter für das Kuratorium gewonnen. Wir sollten zusammenstehen, damit die Bewerbung Leipzigs, des Freistaates Sachsen, Rostocks und Mecklenburgs Erfolg hat.
Vielen Dank.
({33})
Herr Bundesminister, in Bezug auf Ihre Redezeit
möchte ich Folgendes sagen: Sie haben nach unserer
Verfassung das Recht, jederzeit im Parlament zu reden,
und zwar so lange, wie Sie wollen. Allerdings haben die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Abgeordneten nicht die Verpflichtung, Ihnen so lange
zuzuhören.
({0})
Die Abgeordneten haben das aber getan; deswegen gehe
ich davon aus, dass sie an Ihrer Rede interessiert waren.
Nach der Geschäftsordnung ist es so, dass auf Antrag
einer Fraktion die Debatte wieder eröffnet werden
könnte, nachdem ein Regierungsmitglied seine Redezeit
überschritten hat. Ich gehe aber davon aus, dass niemand
diesen Antrag stellt.
Ich gebe als letztem Redner dem Kollegen Hartmut
Koschyk von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
warten jetzt einmal ab, ob wir von diesem Recht Gebrauch machen.
({0})
Wir wissen, dass der Bundesinnenminister in dieser
Debatte am liebsten das letzte Wort hätte und dass er für
sich eigentlich gerne die meiste Redezeit in Anspruch
nehmen würde.
({1})
Herr Präsident, ich finde es gut, dass Sie immer wieder
darauf hinweisen, dass gerade für eine Haushaltsdebatte
das Parlamentsrecht gilt und dass die Möglichkeiten der
Regierung, sich selbst darzustellen, begrenzt sind.
Herr Minister, ich möchte noch etwas zum Digitalfunk sagen. Wir haben vereinbart, dass die Berichterstatter aus den Fraktionen mit Ihnen reden werden. Dabei soll auch überlegt werden, wie wir auf unsere Länder
einwirken können.
({2})
Herr Tauss, seien Sie vorsichtig; sonst verlängern wir die
Aussprache.
({3})
Herr Minister, eines ist doch klar - die Innenministerkonferenz in Jena hat das wieder gezeigt -: Der Bund
muss sich in der Frage der Kostenverteilung wirklich
bewegen. Ich glaube, das wissen auch Sie. Sie sind zwar
ins Haushaltskorsett eingezwängt; aber das darf nicht
das letzte Angebot des Bundes an die Länder sein.
({4})
- Sie bieten inoffiziell etwas an. Das wurde in Jena natürlich als Provokation empfunden. Das haben Ländervertreter nach dem Treffen in Jena offen gesagt. Solange
nicht zumindest der Königsteiner Schlüssel gilt, können
Sie nicht verlangen, dass sich die Länder auf solch ein finanzpolitisches Abenteuer einlassen.
({5})
Wenn man den Haushalt des Bundesministers des Innern betrachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass
einige Positionen sehr zum Nachdenken anregen: Die
Bundesregierung will zum Beispiel mehr als 1 Million
Euro für Untersuchungen über die Fortentwicklung des
öffentlichen Dienstrechts ausgeben. Herr Minister, gegen solche Untersuchungen ist sicherlich grundsätzlich
nichts zu sagen, sofern klar ist, welches Ziel man im Bereich des öffentlichen Dienstrechts verfolgt. Diesbezüglich gibt es aber von der Bundesregierung, wenn man sie
kritisch befragt, nur eine Fehlanzeige.
Herr Minister, ich habe die Bundesregierung gefragt,
was sie etwa von Forderungen nach einem Abschied vom
althergebrachten Beamtentum hält, die unter anderem
Ihre Staatssekretärin Vogt, aber auch andere Genossen
gestellt haben, die einen Aufruf unter dem Titel „Die neue
SPD: Menschen stärken. Wege öffnen“ gestartet haben.
Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie sie zu dieser
Forderung steht, und die wegweisende Auskunft erhalten,
dass über diese Frage schon lange diskutiert wird.
({6})
„Ach was?“, würde der erstaunte Abgeordnete nur sagen, wenn das nicht so traurig wäre. Die Beschäftigten,
um die es geht, haben einen Anspruch darauf, dass ihnen
die Bundesregierung sagt, ob das eine Spaß-, Alibi- oder
Unterhaltungsveranstaltung von Teilen der SPD, unter
anderem auch von Ihrer Staatssekretärin, ist.
({7})
Sie wollen wissen, wohin die Reise geht und ob die Bundesregierung noch zu Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes
steht, nach dem das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums zu regeln ist.
Nordrhein-Westfalen hat bereits gesagt, wohin es
will. Bei der Innenministerkonferenz in Jena, so hörte
man, lag schon eine Protokollnotiz von Nordrhein-Westfalen auf dem Tisch, nach der Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes ersatzlos zu streichen ist. Das wurde dann wieder eingesammelt und hat somit das Licht der
Öffentlichkeit nicht erblickt.
Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, auch die
Beamten, haben einen Anspruch darauf, zu erfahren,
wohin die Reise mit dieser Bundesregierung geht.
({8})
Mit uns wird es eine Abschaffung des Berufsbeamtentums jedenfalls nicht geben.
({9})
Im Gegenteil: Wir bekennen uns zum Berufsbeamtentum und wir sagen, dass das Beamtenrecht wesentlich
flexibler ist als das Tarifrecht für die Arbeitnehmer im
öffentlichen Dienst
({10})
und dass das Berufsbeamtentum und das Beamtenrecht
eine effiziente, kostengünstige und vor allem auch
streikfreie öffentliche Verwaltung garantieren. Wir treten
für Reformen ein, aber anders als Teile Ihrer Partei wollen wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.
({11})
Ich komme zu einem Punkt, zu dem Sie, Herr Minister, in Ihrer Haushaltsrede heute nichts gesagt haben.
({12})
Wir meinen, dass die Beschäftigten im öffentlichen
Dienst eine langfristig tragfähige Perspektive brauchen.
Vor allem können sie von der Politik verlangen, dass sie
vor ungerechten Vorurteilen in Schutz genommen werden.
Wir als CDU/CSU-Fraktion wissen sehr wohl zu würdigen, dass gerade die Beamtinnen und Beamten im Hinblick auf Einsparungen der öffentlichen Hand nicht
Nachzügler, sondern Vorreiter sind. So beträgt die Wochenarbeitszeit der Beamten in einigen Bundesländern in
Zukunft bis zu 42 Stunden, während sie bei den Angestellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst bundesweit
bei 38,5 Stunden liegt. Einschnitte beim Urlaubs- und
Weihnachtsgeld sind nur für die Beamten auf dem Weg,
nicht aber für die Tarifbeschäftigten. Auch das wird im
Bundesbereich mit mehreren Millionen zu Buche schlagen.
Wir haben auch die Pflicht, der Öffentlichkeit zu
sagen, dass die Bundesbeamten gegenüber den Arbeitnehmern seit 1999 weitere 610 Millionen Euro erwirtschaftet haben, die als Vorsorge für spätere Pensionszahlungen zur Verfügung stehen.
({13})
Während sich die Rentner vorerst auf eine einmalige
Nullrunde einstellen müssen - ich sage bewusst: vorerst;
man weiß ja nicht, was diese Regierung noch vorhat -,
steht bereits fest, dass sich die Bezüge der pensionierten Beamten für die Jahre 2002 bis 2005 entlang der
Nulllinie entwickeln werden. Diese Vorleistungen der
Beamten müssen bei der anstehenden Übertragung der
Sozialreformen berücksichtigt werden. Da werden wir
uns vor die Beamtinnen und Beamten stellen.
({14})
Wir sagen denen im öffentlichen Dienst, vor allem
den Beamtinnen und Beamten, die zurzeit nur mit Einsparungen konfrontiert werden, in dieser schwierigen
Zeit aber trotzdem einen hervorragenden Dienst für unser Land und für die öffentliche Verwaltung leisten, jedenfalls Dank für ihren engagierten Einsatz.
({15})
Wir wissen, dass zurzeit besondere Anforderungen an
die in der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung
tätigen Beschäftigten im Sicherheitsbereich gestellt werden. Hier kommt es nicht nur auf gutes Geld für gute
Arbeit an, sondern hier muss auch ordentliches Handwerkszeug zur Verfügung stehen. Deshalb können wir
überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie sich in der Koalition so schwer tun, was die dringend erforderliche
Ausweitung der DNA-Analyse anbelangt. Wir haben
zu diesem Thema eine Anhörung veranstaltet. Dabei bestätigten viele Sachverständige und Praktiker, dass die
DNA-Analyse nicht nur ein verlässliches, effektives und
unverzichtbares Mittel zur Aufklärung von Straftaten ist,
sondern auch zur Entlastung von Menschen dient, die zu
Unrecht beschuldigt werden. Wir meinen, dass dieses Instrument in dem Maße genutzt werden muss, wie es die
Praktiker bei Polizei und Justiz fordern und wie es technisch möglich wäre. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie
sich diesbezüglich abstimmen und als Bundesgesetzgeber und als Koalition das auf den Weg bringen, was der
Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger geschuldet ist.
({16})
Dies gilt insbesondere - das sage ich sehr deutlich für den Bereich der Terrorismusbekämpfung. Es reicht
nicht, wenn die Abwehr- und Schutzmaßnahmen in diesem Bereich immer nur so weit gehen, wie es der
kleinste gemeinsame Nenner zwischen SPD und Grünen
zulässt. Innere Sicherheit braucht Führung durch den
verantwortlichen Minister, auch durch die größere Regierungsfraktion. Mir kommt es manchmal so vor, als ob
Ihre mühsam gefällten Entscheidungen im Bereich der
inneren Sicherheit einem Entscheidungsprozess in
Selbstfindungsgruppen gleichen.
Herr Koschyk, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Ja. - Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht in Ordnung,
dass die sagen, das Luftsicherheitsgesetz in der vorliegenden Form reiche aus. Herr Wiefelspütz, Sie haben in
der „Welt“ vom Montag dieser Woche gesagt, wenn man
bei einer Anhörung feststelle, dass „zwei Wörter unseres
Grundgesetzes“ geändert werden müssen: Na und? Dann
machen wir das.
({0})
Herr Minister, wir begrüßen, dass Sie heute in der
„Mittelbayerischen Zeitung“ in einem Interview erklärt
haben, dass Sie sich eine Klarstellung in Art. 35 des
Grundgesetzes wünschen. Wir meinen, es müsste auch
über Art. 87 des Grundgesetzes nachgedacht werden.
Herr Minister, wir sagen Ihnen: Sicherheit kann es nicht
scheibchenweise geben.
({1})
Sortieren Sie bei Rot-Grün endlich Ihre Vorstellungen! Wenn Sie mit den Grünen nicht weiterkommen,
dann können Sie mit uns die notwendigen grundgesetzlichen Klarstellungen sehr schnell vornehmen, damit wir
die Bundeswehr auf einer einwandfreien verfassungsrechtlichen Grundlage in besonderen Gefährdungslagen
dort einsetzen können, wo die Polizeikräfte des Bundes
und der Länder nicht ausreichen.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06 - Bundesministerium des Innern - in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache 15/2071 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer
stimmt für den Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Der
Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 06 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 06 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen.
Abstimmung über den Einzelplan 33 - Versorgung in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 33
ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 18 und I. 19 auf:
Einzelplan 32
Bundesschuld
- Drucksache 15/1919 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 15/1920 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antja Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
deshalb gleich zur Abstimmung.
Einzelplan 32 - Bundesschuld -: Wer stimmt dafür? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der
Einzelplan 32 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
({0})
Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - in
der Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Einzelplan 60 ist mit
dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 20 auf:
Haushaltsgesetz 2004
- Drucksachen 15/1922, 15/1923 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antja Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
({1})
Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf über die Feststellung
des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU
und FDP angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über den Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007, Drucksachen 15/1501
und 15/1670. Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache
15/1924 Kenntnisnahme.
({2})
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist damit angenommen.
Ich muss eine Aussage korrigieren: Bei der Abstimmung über den Haushaltsplan 2004 hat der Kollege
Ulrich von Bündnis 90/Die Grünen dagegen gestimmt.
({3})
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 28. November 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.