Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktion der FDP hat fristgerecht beantragt, die zweite Beratung des Haushaltsgesetzes 2004 sowie die Beratung der
Beschlussempfehlung zum Finanzplan des Bundes 2003
bis 2007 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Das Wort hat zunächst Kollege Jürgen Koppelin,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Warum die FDP-Fraktion die Aussetzung der Beratungen zum Haushalt 2004 beantragt, möchte ich Ihnen anhand von acht Punkten darlegen:
Erstens. Mit dem Bundeshaushalt 2004 ist erstmals in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein
Haushalt des Bundes bereits vor der Verabschiedung
nicht beschlussfähig.
({0})
Dieser Haushalt ist auch nicht beratungsfähig. Er war im
Entwurf verfassungswidrig und ist es auch noch nach
den Ausschussberatungen.
({1})
Zweitens. Das Ziel der Konsolidierung wird verfehlt.
Die Höhe der geplanten Neuverschuldung überschreitet
die Höhe der Investitionsausgaben bei weitem. Die Bestimmung aus Art. 115 Grundgesetz wird nach den
Jahren 2002 und 2003 nun zum dritten Mal bewusst verletzt.
Drittens. Die Beratungen im Vermittlungsausschuss
können noch haushaltswirksame Veränderungen in Milliardenhöhe ergeben. Es ist nicht abzusehen, welche finanziellen Auswirkungen durch das Vermittlungsergebnis hinsichtlich des Haushaltsbegleitgesetzes, des
Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit, des Gesetzes zur Gemeindefinanzreform, des Gesetzes zur Tabaksteuer und Hartz IV auf den Bundeshaushalt 2004 zukommen können. Allein die Summe, die sich aus den
Gesetzesvorhaben, die sich im Vermittlungsverfahren
befinden, ergibt, beträgt 24 Milliarden Euro.
Viertens. Mit dem Bundeshaushalt 2004 wird die Politik des Verstoßes gegen die Maastricht-Kriterien und
damit gegen einen völkerrechtlichen Vertrag fortgesetzt,
und dieses Mal mit Vorsatz.
({2})
Der Bundesregierung, aber insbesondere dem Bundesfinanzminister, den ich im Plenum übrigens noch vermisse, fehlt das Bewusstsein für europäische Verantwortung.
({3})
Dabei hat Deutschland selbst einmal die dauerhafte Einhaltung der Maastricht-Kriterien zur Voraussetzung für
die Teilnahme an der Währungsunion gemacht.
Fünftens. Grundvoraussetzung für Währungsstabilität
sind Stetigkeit, Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit in
der Finanzpolitik. Eine Verletzung der Kriterien schadet
der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der deutschen
Politik in Europa schwer und gefährdet damit die Funktionsfähigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Sechstens. Gestützt auf unrealistische Haushalts- und
Finanzplanungsansätze enthält der Bundeshaushalt 2004
Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe. Diese betreffen die
vorgesehenen Ausgaben für den Arbeitsmarkt, die erhofften Einnahmen aus der Bekämpfung der Schwarzarbeit und dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit
sowie die Einnahmeausfälle durch den verspäteten Beginn der Erhebung der Maut. Hinzu kommen die nicht
umgesetzte Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung in Höhe von 2 Milliarden Euro und das
Ausweichen auf das Haushaltsinstrument der globalen
Minderausgabe von immerhin 3 Milliarden Euro. Nur
mit diesen haushaltspolitischen Tricks konnte der Bundesfinanzminister überhaupt einen Haushaltsentwurf
vorlegen.
Siebentens. Zur Eindämmung der nicht verantwortbaren Verschuldung hat die FDP-Bundestagsfraktion in
Redetext
den Haushaltsberatungen Anträge gestellt, die Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bewirkt hätten.
Diese sind im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages durch die rot-grüne Koalition mehrheitlich abgelehnt worden.
Achtens. Gleichzeitig sind die Steinkohlesubventionen erhöht und bis 2012 verlängert worden, was rund
15,87 Milliarden Euro ausmacht. Zusagen in dieser
Höhe sind nicht vertretbar. Dazu werden wir in den Debatten einen Antrag zur namentlichen Abstimmung stellen. Die Grünen, die draußen die Backen aufgepustet haben, können unserem Antrag dann ja zustimmen.
({4})
Die Bundestagsfraktion der FDP fordert deshalb dazu
auf, die Beratung über den Bundeshaushalt 2004 auszusetzen und den Bundeshaushalt 2004 unter Einbeziehung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses zu
überarbeiten und nach den Prinzipien von Klarheit,
Wahrheit und Vollständigkeit erneut vorzulegen.
({5})
Der Herr Bundesfinanzminister ist noch immer nicht
da.
({6})
- Oh.
({7})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
ich bin schon etwas länger in diesem Geschäft. Wenn ich
mich richtig erinnere, dann war Oskar Lafontaine der
letzte Finanzminister, der so viel Beifall bekommen hat.
Eine Woche später trat er zurück. Daran erinnere ich
mich sehr gut.
({8})
Herr Bundesfinanzminister, mit Blick auf den
Haushalt 2004 und den Stabilitäts- und Wachstumspakt
appelliert die FDP an Sie: Nehmen Sie Vernunft an, setzen Sie die Haushaltsberatung aus und kehren Sie zurück
zu einem geordneten Haushalt, der entsprechend den
Haushaltsgrundsätzen aufgestellt worden ist! Hören Sie
endlich auf, vorsätzlich gegen gesetzliche Regelungen
zu verstoßen und sie zu brechen!
({9})
Ich erteile Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP, dem die Union beitritt, ist ein weiterer
Versuch der Opposition im Deutschen Bundestag, eine
ordnungsgemäße parlamentarische Beratung des Bundeshaushaltes 2004
({0})
und damit die von der Bundesregierung und der Regierungskoalition verabschiedeten wirtschafts- und finanzpolitischen Reformen und Maßnahmen zu verhindern.
({1})
Genauso wie die FDP heute, hat das die CDU/CSU
schon in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 13. November 2004 versucht. Wir werden
den FDP-Antrag heute genauso zurückweisen wie damals den Antrag von CDU/CSU.
({2})
Die Menschen in Deutschland wollen, dass wir zu Ergebnissen kommen.
({3})
Sie sind die taktischen Spielchen und Hängepartien, die
Sie veranstalten, leid.
({4})
Im Bundeshaushalt, der vom Haushaltsausschuss verabschiedet wurde, ist die Umsetzung aller vom Bundestag beschlossenen Reformgesetze enthalten, er gibt somit eine umfassende und vor allem bis ins Detail
konkrete Antwort auf die anstehenden wirtschafts- und
finanzpolitischen Probleme.
({5})
Wo sind eigentliche Ihre konkreten Alternativen, meine
Damen und Herren von der Opposition?
({6})
Ihnen geht es in Wahrheit doch gar nicht um den vorliegenden Bundeshaushalt. Sie wollen vielmehr nicht,
dass SPD und Grüne die vorgelegten dringend notwendigen Strukturreformen und -maßnahmen durchsetzen.
Aus parteitaktischen Gründen wollen Sie offensichtlich
immer noch verhindern, dass Deutschland bereits zum
1. Januar des nächsten Jahres, also in wenigen Wochen,
ein gutes Stück vorankommt. Das ist Ihr Ziel.
({7})
Frau Merkel und Herr Gerhardt, deshalb stelle ich
fest: Ihr Verhalten ist politisch und ökonomisch verantwortungslos.
({8})
Ihnen ist es offensichtlich egal, was Sie mit dieser Verweigerungshaltung anrichten. Wollen Sie das vielleicht
sogar?
({9})
Auch beim europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt agiert die Union gegen die deutschen Interessen.
({10})
Die heute gefasste Entscheidung des Rates der europäischen Finanzminister ist eine gute Entscheidung für die
wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsplätze in Europa und in Deutschland.
({11})
Es wäre ökonomisch absolut unsinnig, wie es leider
die Herren Stoiber, Merz und Austermann auch heute
scheinheilig fordern, über die erheblichen Konsolidierungsanstrengungen hinaus, die Bund, Länder und Kommunen sowieso schon unternehmen, den sich abzeichnenden Aufschwung kaputtzusparen. Auf der anderen
Seite aber verweigern Sie sich jeder Einsparung. Dieses
Doppelspiel muss entlarvt werden!
({12})
Wir alle hier haben dem Bundesfinanzminister Hans
Eichel für das gute Ergebnis der Verhandlungen in Brüssel zu danken.
({13})
Das Vermittlungsverfahren ist kein Grund, die Beratungen zum Bundeshaushalt auszusetzen. Die dort zu behandelnden Gesetze sind gute Gesetze, denen auch
CDU/CSU und FDP zustimmen könnten, wenn sie endlich von Parteitaktik, Blockade und Sonthofen-Strategie
ablassen würden.
({14})
Das Argument, ein Haushalt dürfe erst dann verabschiedet werden, wenn über alles Klarheit bestehe, ist
unsinnig.
({15})
Zu Ende gedacht besteht Klarheit über die Position des
Etats 2004 nämlich erst am 31. Dezember 2004.
({16})
Im Übrigen stellen auch die unionsgeführten Bundesländer ihre Haushaltsberatungen nicht bis zum Ende des
Vermittlungsverfahrens zurück. Das ist die Wahrheit.
({17})
Deswegen appelliere ich an Sie: Hören Sie mit den
Verfahrensspielchen auf! Stellen Sie sich endlich der
Sachdebatte, der Sie sich in den bisherigen Haushaltsberatungen entzogen haben.
({18})
Von daher haben wir jeden Grund, den Antrag der FDP
wie auch alle sonstigen Störversuche der Opposition abzulehnen, so sie denn in dieser Woche noch kommen
sollten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]:
Das war eine jämmerliche Nummer!
Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der heutige Tag ist ein schlimmer Tag für die
öffentlichen Finanzen in Deutschland; denn diese Bundesregierung hat offenkundig das Ziel der Konsolidierung des Staatshaushalts endgültig aufgegeben.
({0})
Schulden statt Konsolidierung lautet die neue finanzpolitische Leitlinie der rot-grünen Bundesregierung.
Wenn ich den Redebeitrag des Abgeordneten Poß Revue
passieren lasse, möchte ich ergänzen: Beschimpfung der
Opposition als Ersatz für überzeugende Politik, meine
lieben Freunde.
({1})
Bei der Beurteilung des Geschäftsordnungsantrages
der FDP-Fraktion lassen wir uns von folgenden Überlegungen leiten: Der Haushaltsentwurf 2004 ist ein vorsätzlicher Verfassungsbruch, da im Jahre 2004 die Ausgaben für Investitionen, anders als es das Grundgesetz
verlangt, viel niedriger als die neuen Schulden sind. Verfassungsbruch ist kein Kavaliersdelikt. Die Regeln der
Verfassung sollen die Bürger vor den Übergriffen durch
den Staat schützen. Dass sich die Bundesregierung nicht
um die Verfassung kümmert bzw. sich über sie hinwegsetzt, macht aus der Regierungsbank eher eine Anklagebank. Der Dank an den Finanzminister ist eine deutliche
Kritik an dem umfassenden Versagen seiner Politik für
Deutschland.
({2})
Wir müssen weiter berücksichtigen, dass dieser Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 Deutschland an den Rand
des Staatsbankrotts führt. Die Dämme, die unsere Bürgerinnen und Bürger vor überzogener Staatsverschuldung
bewahren sollen, werden niedergerissen. Durch das Auftreten des Finanzministers im Ecofin-Rat ist das Versprechen, der Euro werde so stabil sein wie die Mark, unglaubwürdiger geworden. An die Konsequenzen dieses
leichtfertigen Verhaltens der Bundesregierung mögen
wir gar nicht denken. Der Vertrag von Maastricht ist kein
unverbindliches Geplauder, sondern die völkerrechtlich
verbindliche Vo-raussetzung für die Einführung einer
gemeinsamen Währung. Die rot-grüne Politik versündigt
sich durch ihre verantwortungslose Haltung am Erbe der
Deutschen Mark.
({3})
Der Haushaltsentwurf 2004 basiert weiterhin auf völlig unsicheren Annahmen, da im Vermittlungsausschuss
noch milliardenschwere Veränderungen vorgenommen
werden sollen. Selbst der Wetterbericht ist mittlerweile
zuverlässiger als die Haushaltsplanungen dieser Regierung.
({4})
So hat diese Koalition allein in den letzten beiden Wochen der Haushaltsberatungen weitere 6 Milliarden Euro
an Mehrausgaben beschlossen, trotz sinkender Steuereinnahmen. Im Vermittlungsausschuss liegen Gesetzgebungsvorhaben, die den Umfang dieses Haushaltes um
mehr als 20 Milliarden Euro verändern könnten. Vor diesem Hintergrund ist es unsolide und verstößt gegen
Haushaltswahrheit und -klarheit, die Haushaltsberatungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt fortzuführen. Sie
müssen ausgesetzt werden, bis wir eine solide rechtliche
und finanzpolitische Grundlage für die Haushaltsberatungen haben.
({5})
Schließlich ist unter Hinweis auf die Geschäftsordnung festzustellen, dass die Koalition mit dieser Form
der unsoliden Haushaltsberatungen das Königsrecht des
Parlaments, das Budgetrecht, den politischen Opportunitäten einer gescheiterten rot-grünen Regierungspolitik
unterordnet. Der vorliegende Etat ist nicht beschlussreif.
Das werden wir heute durch unser Votum zum Geschäftsordnungsantrag der FDP deutlich machen.
({6})
Diese Haushaltsberatungen sind ein unglaublicher,
unsolider Vorgang, der in der Geschichte unseres Parlamentes seinesgleichen sucht. Dieser Vorgang ist Ausweis mangelnder Solidität und finanzpolitischer Charakterlosigkeit der Regierung.
({7})
Der Versuch, das Budgetrecht auszuhöhlen, muss von einer Mehrheit des Parlaments zurückgewiesen werden.
({8})
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion lassen uns
nicht für einen vorsätzlichen Verfassungsbruch und eine
Politik, die ich als Weichwährungspolitik charakterisieren möchte, in Anspruch nehmen. Eine solch unseriöse
und verantwortungslose Politik können wir nicht mittragen. Deswegen unterstützen wir den Antrag der FDPBundestagsfraktion.
({9})
Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP ist drollig. Nun haben Sie sich
all die Monate bemüht, Sie haben den Haushalt richtig
durchberaten und Einsparvorschläge gemacht, dazu haben Sie auch Anträge vorgelegt. Sie haben also den vorliegenden Haushaltsplan zur Grundlage einer Beratung
gemacht und jetzt machen Sie einen ganz billigen Nachklapp zur CDU/CSU-Position
({0})
und sagen, der Haushalt sei nicht beratungsfähig und
müsse heute von der Tagesordnung genommen werden.
Das ist genau die Blockadehaltung, die die Union auch
im Haushaltsausschuss an den Tag legt.
({1})
- Herr Kampeter, auf Sie mit Ihren vollen Backen
komme ich gleich noch zu sprechen. ({2})
Sie machen jetzt also einen billigen Nachklapp, verlassen Ihre bisherige konstruktive Verhandlungslinie und
sagen, dieser Haushalt sei nicht beratungsfähig. Wahrscheinlich haben Sie Angst, dass Sie als kleine Partei
nicht wahrgenommen werden,
({3})
und müssen daher das große Plenum des Bundestages
für solch einen wirklich langweiligen Antrag benutzen.
({4})
Ich will aber auch hervorheben, was an diesem Antrag nicht nur billig, sondern richtig schlecht und oppositionspolitisch schwach ist. Heute ist offensichtlich der
Tag, an dem die Union und die Oppositionspolitiker ein
großes Diskussionsbedürfnis haben und sich kritisch mit
uns darüber auseinander setzen wollen, wie die Finanzpolitik im Lande mit Blick auf die Maastricht-Kriterien
und den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt
aussieht. Wollen Sie uns hier ernsthaft glauben machen,
Sie wollten nicht mit uns darüber reden? Oder haben Sie
so wenig zu sagen, dass Sie das lieber nicht in der ÖfAnja Hajduk
fentlichkeit machen wollen? Es ist ein dummer Antrag,
Herr Koppelin. Ich glaube, Sie haben das jetzt schon begriffen.
({5})
Wir mussten uns mit dieser Diskussion schon einmal
auseinander setzen, weil die CDU/CSU im Haushaltsausschuss am Ende der Beratung einen ähnlichen Antrag
gestellt und geäußert hat, sie wolle sich von der Beratung zurückziehen, weil sie über den Haushalt nicht beraten könne. Für mich war das eine Art Arbeitsverweigerung.
({6})
Ich will etwas zu unserer Rolle und Verantwortung als
Parlamentarier sagen. Herr Kampeter hat gerade das
Budgetrecht als das Königsrecht des Parlaments bezeichnet. Ich möchte wissen, wie Sie als Parlamentarier
morgens noch in den Spiegel schauen können, wenn Sie
sagen, Sie wollten das Budgetrecht nicht mehr wahrnehmen, sondern an den Vermittlungsausschuss abgeben.
Das ist doch lächerlich.
({7})
Im Vermittlungsausschuss werden mehrere strittige
Gesetze beraten, unter anderem das Haushaltsbegleitgesetz. Weiterhin wird bis Ende dieser Woche der Haushaltsplan beraten. Wir werden Sie dazu drängen, sich mit
uns darüber zu streiten, was an diesem Haushaltsplan
schlecht und was an ihm richtig ist. Deshalb werden wir
den Geschäftsordnungsantrag ablehnen. Ein kleiner Hinweis: In keinem Bundesland haben die Union und die
FDP beantragt, die Haushaltsberatungen abzubrechen.
Auch ihre Mitglieder sitzen im Vermittlungsausschuss.
Das ist alles ein Spektakel an einem eher ernsten Tag,
ein ziemlich schlechtes Spektakel. Es findet gleich sein
Ende.
({8})
- An einem schwierigen Tag. Ich sehe schon, Herr
Rexrodt will mit uns diskutieren. Er darf wahrscheinlich
gleich reden. Herr Koppelin musste vorher reden.
({9})
Ich will noch etwas zu dem Argument sagen, dem
Haushaltsplan fehle die Wahrheit und die Klarheit. Der
Punkt, über den wir nachher noch weiter diskutieren
müssen, betrifft die Klarheit und die Erwartungen, die
man an Haushaltszahlen stellt. Wir sind in einer Situation in Deutschland - das hat der Kollege Poß sehr deutlich gesagt -, in der wir große Veränderungen brauchen.
Ein Beispiel sind die großen Strukturreformvorhaben,
über die wir uns mit Ihnen streiten, ein weiteres betrifft
die Arbeitsmarktpolitik. Bezüglich der Rentenpolitik
sind Sie ja nicht sortiert.
({10})
Diese Strukturvorhaben bringen Veränderungen in den
Haushaltsplan. Es kann in der Tat sein, dass wir noch
nicht wissen, was am Ende herauskommt. Daraus aber
die Konsequenz zu ziehen, wir seien nicht in der Lage,
Entscheidungen zu treffen, die diese Strukturveränderungen ermöglichen, zeugt von einer Blockadehaltung in
der Politik. Diese kann unser Land nicht gebrauchen.
Wir brauchen vielmehr Veränderungen. Diese Blockadehaltung lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Wir werden
Sie in dieser Woche zu einer Beratung und einer strittigen Diskussion mit uns zwingen. Es tut Not, dass Sie
sich mit uns streiten, damit Sie Ihre Verantwortung im
Vermittlungsausschuss wahrnehmen.
({11})
Ihre Forderungen sind eine Unverschämtheit.
({12})
Sie fordern weitere Auflagen für diesen Haushalt und die
Begrenzung der Verschuldung. Ihre Auflagen erreichen
eine Größenordnung von bis zu 6 Milliarden Euro. Das
haben Sie gestern für den Haushalt 2004 beantragt.
({13})
- Herr Kauder, Sie waren nicht dabei, aber Herr Merz
und die anderen Kollegen im Haushaltsausschuss und im
Finanzausschuss. Sie verkünden vor den Mikrofonen, es
müssten weitere Ausgaben gekürzt werden, aber im Vermittlungsausschuss lehnen Sie unsere Einsparvorschläge
ab, ohne Alternativen anzubieten. Ich bin eher besorgt
über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Deswegen sage ich: Wir brauchen diese Debatten, um ernsthafte Einsparvorschläge von Ihnen zu bekommen. Bei
uns ist die Ernsthaftigkeit schon vorhanden. Wir strengen
uns an und sind für Verbesserungen offen. Eine Blockadehaltung können Sie sich nicht leisten. Wir brauchen diese
Tage, um Ihnen diese Erkenntnis beizubringen.
({14})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den
Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der FDP? - Wer
stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Geschäftsordnungsantrag ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.
({0})
Wegen des späteren Beginns der Plenarsitzung ist in-
terfraktionell vereinbart worden, den für heute vorgese-
henen Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend - sowie den Einzelplan 10 -
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft - auf Mittwoch im Anschluss an den
Einzelplan 23 zu verschieben. Sind Sie damit einverstan-
den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be-
schlossen.
Präsident Wolfgang Thierse
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf:
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2004
({1})
- Drucksache 15/1500, 15/1670 ({2})
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007
- Drucksachen 15/1501, 15/1670, 15/1924 Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Antje Hermenau
Wir kommen zunächst zu den drei Einzelplänen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 1 auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt
- Drucksache 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Franziska Eichstädt-Bohlig
Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 2 auf:
Einzelplan 02
Deutscher Bundestag
- Drucksachen 15/1902, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Johannes Kahrs
Franziska Eichstädt-Bohlig
Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 02 ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 3 auf:
Einzelplan 03
Bundesrat
- Drucksachen 15/1903, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Petra-Evelyne Merkel
Albrecht Feibel
Franziska Eichstädt-Bohlig
Otto Fricke
Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Einzelplan 03 ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 4 auf:
Einzelplan 08
Bundesministerium der Finanzen
- Drucksachen 15/1908, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Bernhard Brinkmann ({4})
Antje Hermenau
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
- Drucksache 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Anja Hajduk
Iris Hoffmann ({5})
Bernhard Kaster
Otto Fricke
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003
({6})
- Drucksachen 15/1925, 15/1990 ({7})
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
- Drucksache 15/1926 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dietrich Austermann
Antje Hermenau
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({9})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dietrich
Austermann, Friedrich Merz, Volker Kauder,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Nachtragshaushalt umgehend vorlegen
- Drucksachen 15/1218, 15/1838 Berichterstattung:
Abgeordnete Walter Schöler
Jürgen Koppelin
Präsident Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({10})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Redner der Koalition haben bei der Geschäftsordnungsdebatte offenkundig gemacht, dass es einen kollektiven
Realitätsverlust gibt
({0})
- vielleicht sollten wir erst einmal die Flucht vor der
Wahrheit ermöglichen -,
({1})
denn wir müssen feststellen, dass wir jetzt die Debatte über
den schlechtesten Bundeshaushalt der Nachkriegszeit eröffnen, einen Haushalt, der schon im Ansatz verfassungswidrig ist, der gegen EU-Recht verstößt, der Rekordschulden
programmiert und zur niedrigsten Investitionsquote des
Bundes führt. So etwas habe ich in den letzten 21 Jahren
im Bundestag noch nicht erlebt. Dieser Haushalt ist das
Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist.
({2})
Er vermindert die Chancen der Bürger, egal, ob es eine
Steuersenkung geben wird oder nicht. Wenn dieser
Haushalt so beschlossen wird, wie Sie ihn vorgelegt haben, wird es nachher allen schlechter gehen.
Die rot-grüne Koalition hat in den Beratungen zugelassen, dass das wichtigste Recht des Parlaments, das
Budgetrecht, mit Füßen getreten wurde. Zu diesem Ergebnis muss man jedenfalls kommen, wenn man sich ansieht, was bei der Beratung vorgelegt wurde und was anschließend herausgekommen ist.
Meine Damen und Herren, ich fasse die Beschreibung
der Staatsfinanzen in Deutschland wie folgt zusammen:
Der Finanzminister schwächt die Währungsunion, der
Finanzminister macht Deutschland Jahr für Jahr ärmer,
der Finanzminister redet von Konsolidierung und macht
immer mehr Schulden, der Finanzminister redet von
Nachhaltigkeit und zerstört die wirtschaftliche Basis dieses Landes und der Bundeskanzler steht dabei Schmiere.
({3})
Herr Kollege Kampeter hat den Stabilitätspakt angesprochen. Wir Deutschen haben mit dem Finanzminister
Theo Waigel den Stabilitätspakt durchgesetzt. Damals
wurde vonseiten der Sozialdemokraten gesagt, das ganze
Vorhaben sei zu wenig rigide, jetzt aber bricht ein SPDMinister zum dritten Mal in Folge den europäischen Stabilitätspakt, und zwar nicht nur beim Defizitkriterium,
sondern auch beim Schuldenstand: ein doppelter Rechtsbruch. Er tut dies, weil ihm die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Sparen fehlen.
Herr Eichel, Sie sind mit dem Hinweis angetreten, Sie
würden sparen, und genau das Gegenteil haben Sie gemacht. In diesem Jahr steigen die Ausgaben um 4,5 Prozent, im nächsten Jahr werden sie erneut gegenüber dem
Vorjahr steigen. Viele Menschen waren bezüglich des
Wechsels von der D-Mark zum Euro skeptisch. Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass Sie aus dem Euro eine
Zweidrittelwährung gemacht und den Stabilitäts- und
Wachstumspakt gebrochen haben. Jetzt schicken sich die
Gesetzesbrecher auch noch an, gegen den Gesetzgeber
vorzugehen. Nein, meine Damen und Herren, hier hat
nicht der Bundesfinanzminister Eichel gewonnen, hier
haben Deutschland und die EU verloren.
({4})
Dieses Ergebnis werden alle spüren, denn das Schlimmste
ist, dass das strukturelle Defizit weiter zunehmen wird.
Die nächste Generation muss auffangen, was Sie in die
Luft werfen.
Jetzt sagt der Bundesfinanzminister, eigentlich gebe
es nichts zu klagen, wir könnten weiter Schulden machen; denn wir hätten eine stabile Währung und die Zinsen seien relativ niedrig.
({5})
- Natürlich tut er das. - Er übersieht dabei, dass die
Situation, in der wir uns Gott sei Dank noch befinden,
was die Höhe der Zinsen und die Stärke des Euro betrifft, außerordentlich labil ist und nichts mit der Politik
in Deutschland, sondern vor allen Dingen mit externen
Faktoren zu tun hat. Jeder kann sich vorstellen, dass der
Dollar ganz schnell wieder in andere Regionen abdriftet.
Dann werden wir die Zinskeule und weitere Probleme in
Deutschland spüren. Wenn andere weltwirtschaftliche
Bedingungen herrschen, wird sich diese Politik rächen;
die Folgen werden die Wirtschaft und die Menschen in
unserem Land ereilen.
Lassen Sie mich zum Haushalt dieses Jahres kommen: Herr Kollege Kampeter hat völlig zu Recht beschrieben, dass diese rot-grüne Regierung und ihre
Mehrheit den Staatsbankrott organisieren.
({6})
- Das ist keine böse Vorahnung, sondern eine sachliche
Prognose. Von Jahr zu Jahr sind die Schulden des Bundes angestiegen. Wir gehen davon aus, dass die gesamtstaatliche Verschuldung in diesem Jahr ein Volumen
von 90 Milliarden Euro haben wird; das sind nach
Maastricht-Kriterien 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir gehen des Weiteren davon aus, dass es im
nächsten Jahr, bedingt durch die falsch gesetzten Rahmenbedingungen, nicht unwahrscheinlich sein wird, dass
das Defizit allein beim Bund auf 50 Milliarden Euro und
gesamtstaatlich, also bei Bund, Ländern und Gemeinden,
bei der gesamten öffentlichen Hand, auf 100 Milliarden
Euro anwachsen wird. Die öffentliche Hand ist also
nicht in der Lage, ausgeglichene Haushalte vorzulegen.
Es werden 100 Milliarden Euro mehr ausgegeben als
eingenommen, Tendenz steigend. Es gibt keinen deutlicheren Hinweis darauf, dass Sie das Land auf den Weg
zum Staatsbankrott geführt haben; dies muss man so klar
sagen. Unsere Alternative lautet „Schulden runter,
Wachstum rauf“, und nicht, wie das bei Ihnen zurzeit der
Fall ist, „Schulden rauf, Wachstum runter“.
({7})
Man muss außerdem darauf hinweisen, dass gerade
die jetzige Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, die immer wieder das Wort Reform im
Munde führen, das genaue Gegenteil von dem tun, was
sie ankündigen. Nach dem SPD-Bundesparteitag ist erkennbar, welche Wachstums- und welche Wirtschaftspolitik Sie tatsächlich meinen. Wenn der Bundeskanzler
sagt, er stehe für den demokratischen Sozialismus,
dann kann man nur bestätigen, dass seine Politik damit
durchaus zu identifizieren ist. Professor Sinn formuliert
das etwas anders: Aus dem Programm der SPD und aus
dem, was zurzeit geplant sei - Ausbildungsplatzabgabe
und höhere Belastungen der Menschen, insbesondere
durch eine höhere Erbschaftsteuer -, folge angesichts einer Staatsquote von bereits 57,2 Prozent, dass er schon
heute dichter am Kommunismus als an der Marktwirtschaft sei. Wenn jemand von demokratischem Sozialismus redet, dann glaube ich, dass man das nicht besser
beschreiben kann.
({8})
Der Abschluss der Beratungen hat folgendes Ergebnis
gebracht: Sie haben die Ausgaben um 6,1 Milliarden Euro
gesteigert. Sie haben über 7 Milliarden Euro zusätzliche
heimliche Kredite beschlossen. Sie haben 3,2 Milliarden
Euro an globalen Minderausgaben eingestellt. Für uns
bedeutet das, dass es keinen ordentlich finanzierten
Haushalt gibt.
Lassen Sie mich noch etwas zur Finanzierung des
Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform sagen.
Hier geht es dauernd hin und her. Die Sachverständigen
haben darauf hingewiesen, es werde Zeit, dass wir vom
Steuerchaos hin zu einer geordneten Finanzierung kommen. Nach dem Haushaltsentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, wird das Vorziehen der dritten Stufe der
Steuerreform zu 100 Prozent durch Schulden finanziert.
Angesichts dieser Sachlage fragt man sich wirklich, ob
es vernünftig ist, einen Weg zu beschreiten, der eine einmalige Ausnahme darstellt und der einen zusätzlichen Impuls hervorruft, dessen positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr geringer ist als die
kalendarische, wohl wissend, dass im Jahr 2005 die Belastungen für Bürger und Betriebe in starkem Maße zunehmen werden.
Auch Ihre Annahme, dass wir vor einem neuen Aufschwung stehen, dass er praktisch schon vor der Tür
steht, ist falsch. Bei einem Wachstum von 1 bis 2 Prozent muss man unterstellen, dass die Arbeitslosigkeit im
nächsten Jahr weiter steigen wird und dass die Beschäftigung weiter sinken wird. Wenn beides eintritt, dann werden die Belastungen, die sich für den Bundeshaushalt und
die Sozialkassen ergeben, ganz eindeutig höher sein als in
diesem Jahr. Bei einem Wachstum von 1,7 Prozent - das
unterstellen Sie - werden Sie die Beschäftigungsschwelle
nicht knacken. Sie werden davon ausgehen müssen, dass
es im nächsten Jahr mehr Arbeitslose geben wird als in
diesem Jahr. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass der
Aufschwung noch längst nicht zu erkennen ist und dass
es durch die von Ihnen eingeleiteten Maßnahmen auch
keinen geben wird.
Wir brauchen nicht um Verständnis für unsere Position zu bitten, da sie ordnungspolitisch klar definiert ist.
Sie können also nicht erwarten, dass wir im Vermittlungsausschuss die Hand zu einer falschen Politik reichen. Hier beißen Sie auf Granit. Unser Interesse ist,
dass es Deutschland und nicht der Bundesregierung gut
geht.
({9})
Wir lehnen es ab, über die inhaltlichen Details des vorliegenden Haushaltsentwurfs zu diskutieren, solange dessen
Grundlagen nicht der Realität entsprechen. Lassen Sie mich
beschreiben, was zurzeit noch offen ist und welche Risiken
der Haushaltsentwurf enthält. Wir definieren die Risiken
für das kommende Jahr - zusätzlich zu der von Ihnen angegebenen Nettoneuverschuldung in Höhe von 29 Milliarden
Euro und einschließlich der heimlichen Krediterhöhung um
weitere 6 Milliarden Euro - auf 20 Milliarden Euro. Das
bedeutet, dass sich die Risiken der Kreditfinanzierung auf
insgesamt 50 Milliarden Euro belaufen. Sie haben bereits
die Auswirkungen des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit im Haushalt berücksichtigt. Dabei sind Sie
sich selber noch nicht einmal einig. Sie haben auch
schon den Wegfall der Eigenheimzulage berücksichtigt.
Dabei wissen Sie ganz genau, dass Sie das nicht durchsetzen können. Des Weiteren haben Sie die Kürzung der
Entfernungspauschale und den Subventionsabbau auf
der Grundlage der Vorschläge von Koch und Steinbrück
berücksichtigt. Sie gehen außerdem davon aus, dass die
Länder dem Bund Einnahmen aus der Umsatzsteuer in
Höhe von 7 Prozentpunkten abtreten werden. Es ist ein
Irrwitz, anzunehmen, dass das der Fall sein wird. Zudem
haben Sie niedrigere Arbeitsmarktausgaben, eine globale Minderausgabe von mehr als 3 Milliarden Euro Privatisierungserlöse und Einnahmen im Zusammenhang
mit der LKW-Maut eingestellt.
Ich möchte anhand des Beispiels LKW-Maut deutlich
machen, auf welch tönernen Füßen Ihre Finanzkonstruktion steht: Der Haushaltsentwurf enthält einen Einnahmen- und Ausgabenansatz in Höhe von 2,7 Milliarden
Euro. Jeder hier und außerhalb dieses Hauses weiß aber
inzwischen, dass nicht davon auszugehen ist, dass im
nächsten Jahr durch die Maut wesentliche Einnahmen
erzielt werden.
({10})
- Sie haben einen Sperrvermerk bei den Ausgaben gemacht, weil die entsprechenden Einnahmen nicht erzielt
werden. Das ist logisch. Sie müssen den Bürgern aber
auch sagen, dass die Verkehrsinvestitionen im nächsten
Jahr um etwa 2,2 Milliarden Euro geringer sein werden.
Herr Stolpe rechnet vor, dass Verkehrsinvestitionen in
Höhe von 1 Milliarde Euro zur Schaffung von 20 000 Arbeitsplätzen führen. Das heißt, hier besteht ein Risiko für
40 000 Arbeitsplätze im Tiefbau, weil Sie in Ihre Rechnung nicht die weitere Entwicklung der Maut einbezogen haben. Eine einzige Pleite steht gewissermaßen
symbolisch für Ihr gesamtes Haushaltsgebaren.
({11})
Man muss sich vor Augen halten, dass fast jede Aussage, die Sie zu Reformen machen, mit dem Attribut
„historisch“ versehen wird. Das haben Sie auch bei der
Steuerreform gemacht. Sie wurde dreimal hin und her
verschoben. Am 1. Januar 2004 tritt die zweite Stufe in
Kraft, die eigentlich zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft
treten sollte. Sie sprachen von der „größten Arbeitsmarktreform“ und von der „größten Rentenreform“.
Mit Ihrer Rentenreform haben Sie ein sozialpolitisches
„Montagsauto“ abgeliefert, das die meiste Zeit in der Werkstatt steht. Am Freitag wird beschlossen, dass 2 Milliarden
Euro bei der Rente gekürzt werden; am Sonntag gilt das
nicht mehr. Soll das konsistente Politik sein? Wollen Sie
damit Vertrauen schaffen? Ich glaube, das ist ziemlich
abwegig. Sie können nicht erwarten, dass wir der Route
folgen, die Sie eingeschlagen haben.
Ich habe darauf hingewiesen, dass dieser Haushalt
verfassungswidrig ist. Er ist verfassungswidrig, weil die
Investitionsausgaben deutlich geringer als die neuen
Schulden sind. Die Investitionsquote wird die niedrigste
der Nachkriegszeit sein. Das allein ist ein Grund, den
Haushalt abzulehnen. Es macht deutlich, dass Sie mit
diesem Haushalt die falsche Richtung einschlagen.
Einen Teil dieses Haushalts wollen Sie mit so genannten Platzhaltergeschäften finanzieren: Aktien der Telekom und der Post werden an die KfW verkauft. Damit
die KfW in der Lage ist, diese Aktien zu kaufen, gibt der
Bund der KfW einen Kredit. Dies ist ein merkwürdiges
Gebaren. Es ändert nichts daran, dass die Höhe der
Schulden, die gemacht werden, gegen das Haushaltsrecht verstößt.
Im Ergebnis führt das dazu, dass die Substanz, die aus
dem Postvermögen eigentlich gewonnen werden sollte,
um damit die Pensionen der ehemaligen Postbediensteten zu zahlen, geschmälert wird. Nicht einmal ein Zehntel dessen, was Sie in den nächsten Jahren für Pensionen
aufbringen werden, kommt aus dieser Substanz. So sind
Sie mit dem Geld umgegangen! Das heißt, die Postbediensteten bekommen ihre Pensionen künftig auf Pump
bezahlt. Das ist ein Skandal für diejenigen, die es betrifft, aber auch für alle Bürger.
({12})
Wir unterstreichen, dass dieser Haushalt gegen die
Grundsätze der Wahrheit, der Vollständigkeit und der
Ehrlichkeit verstößt. Er verschleiert die tatsächliche Finanzlage. Das Thema Maut hat dies zur Genüge deutlich
gemacht.
Es wird immer wieder vom Sparen geredet. Ich kann
Ihnen jetzt nicht ersparen, einige Posten zu nennen, die
klein erscheinen, aber deren Gesamtheit vielleicht deutlich macht, dass manche den Staat offensichtlich als
Selbstbedienungsladen verstehen. Man kann es nicht anders bezeichnen.
Der ehemalige Regierungssprecher erhält zu Unrecht
- das sagt der Rechnungshof - eine Pension in Höhe von
80 000 Euro und einen neuen Job. Zahlreiche Genossen
erhalten einen einträglichen Job in neuen Gesellschaften,
geheime Millionenabfindungen inbegriffen. Der scheinselbstständige Schmidt-Deguelle tingelt für Hunderttausende Euro durch die Ministerien. Ständig werden neue,
teure Gesellschaften gegründet, deren Sinn nicht nachvollziehbar ist. Ein Beispiel dafür ist die GEBB. Auch
deswegen trittt Herr Werner zurück. 100 000 Euro sollen
für eine unsinnige Ausstellung über die RAF - sie glorifiziert die RAF - ausgegeben werden. Dafür soll der
Steuerzahler aufkommen. Das ist wieder ein Skandal!
({13})
Ideologische rot-grüne Spielwiesen werden mit Steuergeld gedüngt, allein beim BML mit über 100 Millionen
Euro. Wenn es darum geht, befreundete Firmen zu unterstützen, verzichtet man schon einmal auf den preisdämmenden Wettbewerb. Die Werbeagentur der Grünen seit
1999 heißt nicht umsonst „Zum goldenen Hirschen“. Ich
glaube, auch das verdeutlicht, wie die Selbstbedienung
fröhliche Urständ feiert.
Die Anti-AKW-Feier, eine Parteiveranstaltung des
Bundesumweltministers, darf der Steuerzahler ausrichten. Das hat 36 000 Euro gekostet. Das ist die Jahressteuer von zehn Arbeitnehmern in Deutschland. Das
wird ausgegeben, nur damit Herr Trittin endlich einmal
Torte essen kann.
({14})
1,3 Millionen Euro erhält ein Medienberater der Bundesanstalt für Arbeit. Eine ganz einfache Regel: Wer
besonders schlecht ist, braucht besonders viel Werbung.
({15})
- Dass für Leistung Geld gefordert wird, ist nicht das
Problem. Das Problem besteht darin, dass die Bundesanstalt Steuergelder dafür ausgibt. Das bedeutet, dass
600 Arbeitnehmer ihre Beiträge nur dafür zahlen, dass
Herr Gerster eine Imagekampagne machen kann.
({16})
Gespart wird nicht. Geld wird verschleudert. Konsum
wird zulasten der Investitionen ausgeweitet. Wenn Sie
durch die Straßen gehen oder die Zeitung aufschlagen,
sehen Sie, dass für Vorhaben geworben wird, die noch
nicht einmal beschlossen sind. „Steuern runter“ heißt es
zum Beispiel. Öffentlichkeitsarbeit: plus 12 Prozent oder
10 Millionen Euro.
Die Verfügungsmittel steigen. Die Flugbereitschaft
der Bundeswehr wird von Bonusmeilennutzern sinnlos
durch die Luft gejagt: 27 000 Euro. Stellenkürzungen
auf dem Papier werden durch Aushilfs-, Honorar- und
Werkverträge kompensiert. Die Zahl der Mitarbeiter
wird ständig ausgeweitet. Im nächsten Jahr wird es
2 500 Mitarbeiter im Bundesdienst zusätzlich geben.
Auch das spricht nicht gerade dafür, dass gespart wird.
Zudem kritisiert der Rechnungshof die Kreditaufnahme
der Bundesregierung als unwirtschaftlich.
Jetzt kommt der eigentliche Hammer, eine Geschichte, die meines Erachtens nicht nur die Grünen auf
die Palme bringen sollte. Im Rahmen einer Nacht-undNebel-Aktion wird beschlossen, zusätzlich 15,8 Milliarden Euro - nicht Millionen! - Subventionen für die
Kohle bereitzustellen. Da wird über Subventionsabbau
geredet. Da machen Koch und Steinbrück mit uns
zusammen - wir schließen uns dem ja an - Vorschläge
für den Subventionsabbau und dann geht man her und
stellt für die Kohle 15,8 Milliarden Euro zusätzlich aus
dem Bundeshaushalt bereit. Das ist wirklich ein Skandal.
Erzählen Sie niemandem in Deutschland mehr, Sie würden sparen!
({17})
Jetzt zu der Frage, was wir denn anders gemacht hätten, wenn wir in den letzten Jahren an der Regierung gewesen wären. Ich will Ihnen ein paar konkrete Dinge
nennen. Dabei geht es auch um Einnahmen. Sie haben
Scheinprivatisierungen und Privatisierungen mit der
Brechstange vorgenommen, die vermeidbar gewesen
wären. Was haben Sie aus der Bundesdruckerei gemacht? Über neue Steuern wird ständig diskutiert. Jahr
für Jahr wurden Steuern erhöht. Weitere Erhöhungen
sind für das Jahr 2004 beschlossen. Aber die Steuerreform 2000 hat die Kapitalgesellschaften zwei Jahre von
Steuern freigestellt. 23 Milliarden Euro Einnahmen sind
Bund, Ländern und Gemeinden in den Jahren 2001 und
2002 jeweils verloren gegangen, zusammen also 46 Milliarden Euro. Die Rückkehr von im Ausland gebunkertem Geld wird durch Vertrauen hemmende Maßnahmen
blockiert. Die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs unterbleibt. Zweistellige Milliardenbeträge hätten eingenommen werden können, sagt der Rechnungshof.
Die Bundesregierung hat durch eine falsche Steuerpolitik auf Einnahmen in erheblichem Maß verzichtet. Sie
hat - jetzt komme ich zu dem, was ich vorhin zu dem
ideologischen Ansatz, zu dem demokratischen Sozialismus gesagt habe - Kapitalgesellschaften, Versicherungen, Umsatzsteuerbetrüger geschont; Rentner und Arbeitslose werden jetzt getroffen. So viel zum Thema
soziale Gerechtigkeit.
({18})
Wir brauchen einen Politikwechsel für Deutschland.
Umfassende Reformen des Arbeitsmarkts, Neubegründung der sozialen Sicherungssysteme, eine umfassende
Vereinfachung des Steuersystems und eine tief greifende
Entbürokratisierung sind Kernpunkte eines Politikwechsels. Die Marktwirtschaft als erfolgreichste Wirtschaftsordnung auf deutschem Boden muss für die Chancen der
Globalisierung fit gemacht werden.
Im Rahmen dieser Kurskorrektur muss nach unserer
Auffassung mehr für die Verkehrsinfrastruktur und die
Hochschulen getan werden. Bedenken Sie, dass heute
alle Bundesländer darüber nachdenken, was sie im
nächsten Jahr und in den folgenden Jahren mit ihren
Hochschulen machen, dass Studienplätze abgebaut werden, dass Fachhochschulen geschlossen werden, dass es
große Einschränkungen im Bereich von Forschung und
Technologie gibt! Das muss man meines Erachtens auch
in einen Zusammenhang mit Ihrer Schuldenpolitik stellen. Es kann nicht angehen, dass wir den jungen Menschen, die mit Recht demonstrieren, die Zukunft verweigern.
({19})
Sie verweigern mit Ihrer falschen Politik einer ganzen
Generation die Zukunftschancen.
({20})
Zum Vorziehen der Steuerreform habe ich bereits
Stellung genommen.
Ich möchte abschließend Folgendes sagen: Die Unionsfraktionen werden im Vermittlungsausschuss, aber
nicht nur dort, darauf drängen, dass wir wieder zu einer
Politik zurückkehren, der die Menschen vertrauen können.
({21})
Aus jeder demoskopischen Erhebung ergibt sich ja, dass
die Menschen in Deutschland vor allem beklagen, dass
sie nicht mehr wissen, was die Regierung will - sie sehen nur, was sie Schädliches anrichtet -, weil sich an jedem Tag in einer Woche die Pläne ändern. Es gibt keine
Beständigkeit mehr, aber Beständigkeit braucht man
- dabei ist es egal, ob nun die Steuerreform vorgezogen
wird oder nicht -, wenn man will, dass investiert und
konsumiert wird. Sie erzeugen genau das Gegenteil:
Angstsparen und Investitionsblockade.
Deswegen kann es nur darum gehen, diese Politik so
schnell wie möglich zu stoppen. Die Schulden müssen
runter, das Wachstum muss rauf, damit es wieder besser
läuft in unserem Land.
({22})
Ich erteile das Wort Kollegen Walter Schöler, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine so heillos zerstrittene Opposition wie die der
Union
({0})
- Sie können hier so viel schreien, wie Sie wollen - hat
unser Land wirklich nicht verdient, das muss man einmal feststellen. Frau Merkel will, dass die Vorschläge
der von Altbundespräsident Herzog geleiteten Kommission umgesetzt werden, Ministerpräsident Stoiber lehnt
dies ab. Der CDU-Generalsekretär Meyer wirft Herrn
Seehofer unerträgliches Geschwafel vor. Die Steuerreform vom Herrn Merz wird in den eigenen Reihen zerpflückt; das haben wir alle miterlebt. Stoiber giftet Koch
an, er solle sein Land Hessen in Ordnung bringen.
({1})
Koch pfeift Stratthaus zurück, der der vorgesehenen Finanzierung für das Steuerreformpaket III zustimmen
möchte. Sie befassen sich mit den unsäglichen Äußerungen von Herrn Hohmann - wahrscheinlich zu Recht -,
aber machen tagelang überhaupt keine Sachpolitik mehr
und beteiligen sich nicht an den Haushaltsberatungen. In
der Union findet jetzt anstelle einer Debatte über die Zukunft Deutschlands eine Diskussion über Patriotismus
statt. Machen Sie nur weiter so! Zu diesem Gerangel
passt die Rede des Kollegen Austermann übrigens genau: pure Schwarzmalerei.
({2})
Ich fand es übrigens interessant, wie Sie, Herr Kollege
Austermann, den Kollegen Rexrodt gerade zwischen den
Zeilen angegangen sind.
Diese schrille Vielstimmigkeit und Konzeptlosigkeit
könnten wir ja kopfschüttelnd und leicht belustigt zur
Kenntnis nehmen, wenn die Lage nicht viel zu ernst
wäre. Wir müssen nämlich nach dem Einspruch des
Bundesrates gegen unsere Reformgesetze zu Kompromissen mit dieser zerstrittenen Union im Vermittlungsausschuss kommen.
({3})
Fest steht: Wir wollen den Kompromiss, wenn auch
nicht um jeden Preis. Es ist meine große Sorge, dass die
Union wegen ihrer inneren Zerstrittenheit nicht kompromissfähig ist und deshalb in einer Blockadehaltung verharren wird.
Dabei braucht Deutschland dringend die Umsetzung
unserer Reformgesetze. Das Land braucht sie, um Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen besser für den
globalen Wettbewerb zu rüsten. Das Land braucht sie
auch, um aus der Stagnation herauszukommen. Das
Land braucht sie schließlich, um den beklemmend vielen
Menschen, die Arbeit suchen, auch wieder Arbeitsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven zu verschaffen.
Deshalb, meine Damen und Herren, fordern wir Union
und FDP auf, sich an der Suche nach einem fairen Kompromiss im Vermittlungsverfahren zu beteiligen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wie
halten Sie es denn mit dem Vorziehen der Steuerentlastungen von 2005 auf 2004? Sagen Sie der Öffentlichkeit, was Sie wollen.
({4})
Bei Ihnen ist doch nach wie vor keine klare Linie zu sehen. Im Vergleich zu Ihrem Meinungswirrwarr wäre ja
ein Baumlabyrinth noch eine klare und gerade Baumallee. Tragen Sie jetzt dazu bei, dass wir zu einer einheitlichen Linie kommen und Steuerentlastungen beschließen. Sind Sie dazu bereit, diesen Entlastungen in einer
Höhe von über 22 Milliarden zuzustimmen? Diese Frage
haben Sie heute wieder nicht beantwortet. Aber Sie werden sie beantworten müssen. Ich bin davon überzeugt,
dass Sie sie auch beantworten werden, denn die Bevölkerung und die Wirtschaft verlangen es.
Diese Entlastung um über 22 Milliarden wird die
Konjunktur beleben. Das sagen namhafte Sachverständige und führende Wirtschaftsvertreter. Die Bürger und
auch die mittelständische Wirtschaft brauchen diese Entlastung. Gerade heute hat das Ifo-Institut dargelegt: Die
Unsicherheit der Verbraucher über das Vorziehen der
Steuerreform verhindere Klimaverbesserungen im Einzelhandel. Das heißt, durch Ihre fehlende Zusage schüren Sie Unsicherheit. Sagen Sie also endlich Ja zur Steuerentlastung, damit auch im Handel die Konjunktur
wieder belebt wird.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen den
Aufschwung, um von den hohen Arbeitslosenzahlen herunterzukommen, wir brauchen den Aufschwung, um
die öffentlichen Haushalte weiter konsolidieren zu können, und wir brauchen ihn, um wieder mehr in die Zukunft investieren zu können. Aber Aufschwung wird es
nur dann geben, wenn Bürger und Unternehmer Vertrauen in die Zukunft haben. Das Wackeln und Zappeln,
vor allem in der Union, wie wir es gerade bei dem Kollegen Austermann wieder erlebt haben, dieses Wackeln
und Zappeln auch in der Frage der Steuerentlastungen
gefährdet die sich jetzt ankündigende positive Grundstimmung für einen konjunkturellen Aufschwung.
Immer mehr Indikatoren belegen die positive Entwicklung, im Übrigen nicht nur an der Börse. Das Bruttoinlandsprodukt ist im dritten Quartal dieses Jahres
leicht gestiegen und das DIW rechnet auch für das vierte
Quartal mit weiterem Zuwachs. Der heute vom Ifo-Institut veröffentlichte Geschäftsklimaindex ist zum siebten
Mal in Folge gestiegen, besonders stark beim Teilindex
der aktuellen Geschäftslage. Dieses Institut stellt fest,
dass sich die konjunkturelle Auftriebstendenz festigt.
Die deutsche Wirtschaft hat den konjunkturellen Tiefpunkt hinter sich gelassen. Jetzt gilt es, die Belebung, die
im Moment noch ein zartes Pflänzchen ist, mit allen Mitteln zu stützen. Dazu gehört eben auch das Vorziehen der
Steuerreform, das Sie bisher verweigern.
({6})
Es ist kein Geheimnis: Unsere Planungen einer
schnellen Haushaltskonsolidierung sind durch die nunmehr drei Jahre andauernde Stagnation zurückgeworfen
worden. Dadurch haben sich auch unsere Zielmarken für
die Beschäftigungsentwicklung verschoben. Für das
Jahr 2003 hat die Koalition deshalb den heute ebenfalls
zur abschließenden Beratung anstehenden Nachtragshaushalt vorlegen müssen. In diesem ist aufgrund der
durch die Stagnation aufgerissenen gewaltigen Finanzlücken eine höhere Kreditaufnahme, als zunächst geplant war, vorgesehen. Zur Schließung dieser Finanzlücken konnte nur eine Kreditfinanzierung infrage
kommen. Steuererhöhungen oder massive Ausgabenkürzungen wären keine Alternative; denn sie würden prozyklisch und kontraktiv wirken. Wir brauchen aber eine
Stärkung und keine Schwächung der Inlandsnachfrage.
({7})
Außerdem brauchen wir eine Stärkung der sich abzeichnenden konjunkturellen Erholung.
Die in diesem Nachtragshaushalt geplante Erhöhung
der Neuverschuldung liegt zwar deutlich über dem Investitionsvolumen; aber sie ist - im Gegensatz zu Ihrer
Auffassung - nach den Ausnahmeregelungen des
Art. 115 des Grundgesetzes zulässig, da das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, wie die Stagnation
und die Arbeitslosigkeit belegen. Die automatischen Stabilisatoren sind ein geeignetes Instrument, um der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts entgegenzuwirken.
Zusammen mit den konjunkturbedingten und weitgehend ebenfalls kreditfinanzierten Haushaltsbelastungen
von Ländern und Gemeinden macht das Volumen dieser
automatischen Stabilisatoren über 30 Milliarden Euro
aus. Stellen Sie sich die konjunkturelle Wirkung vor,
wenn diese über 30 Milliarden Euro jetzt nicht kreditfinanziert würden, sondern durch kontraktive Politik, wie
Sie es wollen, aus dem Wirtschaftskreislauf genommen
würden! Das hätte jede Aussicht auf einen Aufschwung
zunichte gemacht.
({8})
Meine Damen und Herren, den Vorwurf der Opposition, wir hätten den Nachtragshaushalt zu spät vorgelegt,
weise ich nochmals entschieden zurück. Ich habe Ihnen
schon in der ersten Lesung im November dargelegt, dass
es rechtlich zulässig und politisch geboten war, zunächst
die Entwicklung der relevanten Rahmendaten abzuwarten. Wir wollten den Nachtragshaushalt auf einer verlässlichen Datenbasis aufbauen. Diese liegt jetzt mit der
Novembersteuerschätzung sowie dem Herbstgutachten
der Forschungsinstitute und den neuen gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Bundesregierung vor.
Der Bundeshaushalt 2004, auf den ich jetzt zurückkomme und der im Übrigen - damit nicht falsche Agenturmeldungen um die Welt gehen - eine bedeutend
niedrigere Nettokreditaufnahme aufweist als der Nachtragshaushalt 2003, über den ich gerade gesprochen
habe, ist im doppelten Sinne ein Kraftakt, auf den die
Koalition stolz sein kann und auch stolz ist; denn dieser Haushalt ist zum einen ein Konsolidierungskraftakt, wie Sie ihn in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit nie geschafft haben.
({9})
Wir haben ein Einsparpotenzial von rund 14 Milliarden Euro mobilisiert.
Zum anderen ist dieser Haushalt auch das in Zahlen
gegossene Ergebnis unseres Reformkraftaktes. Dabei ist
es der Koalition in den Beratungen im Haushaltsausschuss gelungen, die in den letzten Wochen beschlossenen Reformprojekte noch unter das Dach des Haushalts
zu bekommen, ohne dieses Dach anheben zu müssen.
Damit will ich sagen, dass wir die Neuverschuldung
gegenüber dem Regierungsentwurf trotz dieser gewaltigen Umbauarbeiten nicht erhöhen mussten. Mit
29,3 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme sind wir sogar um 1,5 Milliarden Euro unter dem Entwurfsansatz
geblieben.
Bei diesem doppelten Kraftakt haben Sie von der
Union sich - im Gegensatz zur FDP, die sich an den Beratungen und Entscheidungen beteiligt hat - völlig von
der politischen Bildfläche verabschiedet. Sie haben sich
an den Haushaltsberatungen im Ausschuss zwar verbal
beteiligt, aber keine einzige Entscheidung mit getragen.
Damit haben Sie Ihre Mitverantwortung als Opposition
hinsichtlich des parlamentarischen Budgetrechts freiwillig an der Garderobe abgegeben. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis.
({10})
Heute behaupten Sie, dieser Entwurf sei nicht beratungsfähig. Wir haben das Gegenteil bewiesen. Wir haben die Beratungen alleine - zusammen mit der FDP gestemmt.
({11})
Wir haben die Reformprojekte haushälterisch umgesetzt.
Sie sind mit Ihrer Verweigerungsstrategie gescheitert.
({12})
Meine Damen und Herren, in völliger Fehleinschätzung
unserer Kraft haben Sie geglaubt,
({13})
damit die Beratungen torpedieren zu können. Dabei hatten die Unionshaushälter - das muss man sich einmal anhören - Anfang September noch angekündigt, knallharte
Sparvorschläge vorzulegen.
({14})
Was ist gekommen? Nichts. Und dann haben Sie für die
Bereinigungssitzung 309 angebliche Anträge vorgelegt,
ohne Substanz, weil sie keine Änderungsvorschläge enthielten. Zigtausende von Seiten Papierverschwendung,
nutzlos vertane nächtliche Arbeitszeit für diejenigen, die
dem Haushaltsausschuss zuarbeiten müssen - das war
Ihre ganze Leistung. Ihre Pseudoanträge haben Sie dann
morgens wieder einkassiert. Welche Blamage für diese
Union als Opposition!
({15})
Meine Damen und Herren der Union, wie hätten Sie
denn wohl getönt, wenn wir Ihrer Taktik auf den Leim
gegangen wären und die abschließenden Beratungen im
Ausschuss, in der Bereinigungssitzung und auch in dieser Woche im Parlament verschoben hätten bis zur Vorlage eines Vermittlungsergebnisses? Hohn und Spott
wäre Ihre Antwort gewesen; Sie hätten gefragt: Was
wollen Sie eigentlich? - Wir zeigen Ihnen mit diesem
Haushalt, was wir wollen, nämlich auch die haushaltsmäßige Abstützung des gesamten Reformpaketes, das
wir in den letzten Wochen und Monaten durch das Parlament gebracht haben.
({16})
Etatrecht ist Parlamentsrecht, nicht das Recht des
Bundesrates, nicht das Recht des Vermittlungsausschusses. Die Union wollte es den Herren Stoiber und Koch
im Vermittlungsausschuss überlassen. Herr Merz hat das
nicht einmal den Herren Stoiber und Koch zugetraut,
denn er hat ja gestern noch in der gemeinsamen Sitzung
der Ausschüsse beantragt, es der Europäischen Union zu
überlassen. Ich kann Ihnen nur attestieren: Sie haben auf
ganzer Linie versagt.
({17})
Im Übrigen, Herr Kollege Austermann, ist der heute
zu beratende Haushalt verfassungsfest. Der Basishaushalt, also ohne das Vorziehen der Steuerentlastungsstufe 3, hält die Verschuldungsregel gemäß Art. 115
Grundgesetz ein. Die Neuverschuldung liegt unterhalb
des Investitionsvolumens. Rechnet man das Vorziehen
der dritten Stufe der Steuerreform ein, dann liegt die
Neuverschuldung bei 29,3 Milliarden Euro. Sie liegt
dann zwar über dem Investitionsvolumen, aber sie steht
immer noch im Einklang mit der Verfassung. Dieses
Überschreiten dient nämlich dem Abwenden einer drohenden Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
({18})
Drei Jahre dieser Stagnation haben allen öffentlichen
Haushalten die Luft abgeschnürt. Was wir jetzt brauchen, sind deutliche Wachstumsimpulse, nicht dieses
Zusatzsparen, das Sie seit gestern noch als letzten Versuch, diese Haushaltsberatung zu verhindern, eingesetzt
haben. Wir setzen diese Wachstumsimpulse mit dem
Haushalt 2004.
Niemand von uns stellt im Übrigen das Recht der EUKommission infrage, die Verletzung der Defizitgrenze
von 3 Prozent zu rügen. Aber die von ihr damit zugleich
für 2004 geforderten zusätzlichen Einsparungen von
4 bis 6 Milliarden Euro wären gerade in der gegenwärtigen Situation kontraproduktiv.
({19})
Wachstum ist die Voraussetzung für dauerhafte Konsolidierung. Eine auf die schematische Einhaltung von Defizitgrenzen ausgerichtete Politik würde prozyklisch wirken und die sich abzeichnende Belebung gefährden.
Dieser Auffassung hat sich heute die deutliche Mehrheit
der Finanzminister der EU-Länder angeschlossen. Ich
möchte Herrn Finanzminister Hans Eichel ganz ausdrücklich dafür danken, dass er mit großem Einsatz und
mit viel Überzeugungsarbeit Schaden von unserem Land
abgewendet hat.
({20})
Die Sparvorstellungen der Kommission hätten unserem
Land geschadet. Wenn die Union diese Vorstellungen
unterstützt, dann schadet auch sie unserem Land.
An den öffentlichen Auftritten des Herrn Merz vor
und nach der gestrigen gemeinsamen Ausschusssitzung
merkt man schon: Das Vorgehen der EU-Kommission
wäre der Union bei den Gesprächen im Vermittlungsverfahren zupass gekommen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das hat nicht geklappt; es wird Ihnen
nicht gelingen. Der Finanzminister und der Ministerrat
haben dies aus guten Gründen vereitelt.
Jetzt gibt es für Sie nur noch eine Zeithürde für die
Einigung im Vermittlungsausschuss, nämlich Ihr CDUBundesparteitag am 1. Dezember. Dort können Sie Ihre
Arbeitsteilung fortsetzen: Herr Merz für die Entsozialdemokratisierung der CDU und Frau Merkel für den Patriotismus. Das ist Ihr Beitrag zur Diskussion über die
Zukunft Deutschlands.
({21})
Wir halten an dem europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt fest. Wir kümmern uns um ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Das - und nicht Ihre
Störversuche, die Sie starten - dient der europäischen
Einigung. Der Pakt steht für Stabilität und Wachstum.
Beides bedingt einander.
Auch an unserer Rolle als Hauptfinanzier der EU
wird sich nichts ändern. Deutschland war bisher immer
- im Übrigen auch während Ihrer Regierungszeit - für
eine Sonderleistung oder eine Sonderzahlung gut. Aber
es muss doch einmal möglich sein, öffentlich und gegenüber der EU festzustellen, in welcher Höhe uns die finanziellen Folgen der deutschen Einheit im Haushalt
belasten.
({22})
Kein anderer europäischer Staat hat solche Lasten wie
Deutschland zu tragen.
({23})
Ohne diese Verpflichtungen würde unser Haushalt beispielhaft dastehen. Das weiß die EU-Kommission; das
weiß auch die Opposition. Das sollten Sie von der Opposition einmal einräumen und nicht der Bundesregierung
auf europäischer Ebene mit öffentlichen Verhandlungsratschlägen in den Rücken fallen.
Was Herr Glos heute erklärt hat, ist übelste Polemik.
Er spricht beispielsweise von Leichenfledderei, von
Grabräubern und von Totengräbern des europäischen
Stabilitätspaktes.
({24})
Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen, dass es so sei.
Ich sage Ihnen dazu: Sie haben mit Herrn Glos jemanden
in Ihren Reihen, der nicht nur eine üble Sprache spricht,
sondern der auch die Mehrzahl der europäischen Finanzminister mit seinen Äußerungen beleidigt.
({25})
Der Bundeshaushalt ist nicht nur Ausdruck eines
Konsolidierungskraftaktes. Trotz aller Sparzwänge wurden Positionen ausgebaut, die mehr Zukunftschancen für
Deutschland schaffen. Ich nenne die Bereiche Bildung
und Forschung - darüber diskutieren wir heute Abend
noch -, den Investitionsbereich und die Familienförderung. Die Beiträge der Koalitionsredner in der folgenden
Debatte werden dies sicherlich eindrucksvoll belegen.
({26})
Im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Kollege
Austermann, haben wir es für richtig gehalten, die konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen - das waren
fast 5 Milliarden Euro - nicht durch Ausgabenkürzungen, sondern durch zusätzliche Privatisierungseinnahmen aufzufangen. Entgegen der ursprünglichen Absicht
haben wir deshalb die Ausgaben für die Postpensionen
nochmals aus dem Bereich der Postnachfolgeunternehmen finanziert. Das ist übrigens - im Gegensatz zu Ihrer
Darstellung - völlig legitim, da dies im Gesetz für die
Finanzierung der Pensionszahlungen so vorgesehen war.
Sollte die Regierung zur Privatisierung wieder das Instrument der Platzhalterverträge mit der KfW nutzen,
würden wir dies ausdrücklich begrüßen. Denn durch
diese Zwischenlagerung ist ein erheblich flexibleres Heranführen an die Börse möglich. Das hat im Übrigen
noch im Sommer die vom Markt äußerst positiv aufgenommene Telekom-Wandelanleihe gezeigt. Platzhalterverträge haben auf der Zeitachse wegen ihrer flexiblen
Handhabung erhebliche Vorteile, auch wenn der Rechnungshof das anders gesehen hat.
({27})
Sie sind deshalb bei längerfristiger Betrachtung für den
Bund finanziell vorteilhaft.
Der Bundeshaushalt verbindet die Notwendigkeit von
strukturellen Reformen und Konsolidierung. Er setzt
darüber hinaus dringend erforderliche Wachstumsimpulse, unter anderem durch das Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform. Jetzt kommt es darauf an, dass
Koalition und Opposition im Vermittlungsverfahren
aufeinander zugehen, um die notwendigen Reformen zu
vereinbaren. Die ökonomische und die politische Vernunft gebietet dies. Wir sind es, die diese notwendigen
Reformen eingeleitet haben. Damit wird die Koalition
ihrer Verantwortung gerecht.
Jetzt kommt für Sie die Stunde der Wahrheit; jetzt haben Sie Ihre Vorstellungen auf den Tisch zu legen. Sie
können das im Bundesrat tun; Sie können das Reformpaket mittragen; Sie können auch diesen Bundeshaushalt
mittragen. Unser Land, Bund, Länder und Gemeinden,
braucht diese Reformen, und zwar jetzt.
({28})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, abschließend all denjenigen zu danken, die sich an der Beratung des Haushaltes beteiligt haben, und all denjenigen, die gut zugearbeitet haben.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({29})
Ich erteile das Wort Kollegen Günter Rexrodt, FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das uns
vorgelegte Zahlenwerk ist unfertig und realitätsfern.
({0})
Das Zahlenwerk leidet unter einem strukturellen Problem. Dieses strukturelle Problem ist so groß, dass es
uns jeden Freiraum, in diesem Lande eine gestalterische
Politik zu machen, nehmen wird, wenn wir das Ruder
nicht herumwerfen.
Man kann mit wenigen Worten und Zahlen umreißen
- und dies im Übrigen abseits parteipolitischer
Polemik -, um was es geht: Die Gesamtausgaben des
Bundes stiegen zwischen 1998 und 2004 um 24 Milliarden Euro bzw. um 11 Prozent. Das ist zwar zu viel; aber
das lasse ich einmal dahingestellt. Entscheidend ist, dass
in ebendiesen fünf Jahren, bezogen auf den Gesamthaushalt, der Anteil der Arbeitsmarktausgaben um 2,5 Prozent und der Anteil der Zuweisungen an die Rentenkassen um sage und schreibe 8,1 Prozent gestiegen ist und
dass der Anteil der Sozialausgaben jetzt nicht mehr bei
39, sondern bei 49 Prozent liegt.
({1})
Dies konnte nicht durch die äußerst kritische Reduzierung der Investitionsquote von 12 auf 10 Prozent und
auch nicht durch die Kürzung der auf die Bundeswehr
entfallenden Quote aufgefangen werden.
Den Ausweg aus diesem Dilemma hat die rot-grüne
Koalition in der Ausweitung der Verschuldung gesucht.
Statt des „close to balance“, des ausgeglichenen Haushalts, im Jahre 2004 wurden im Jahre 2003 43,9 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Im nächsten Jahr
werden es zwischen 40 und 50 Milliarden Euro sein. Das
ist der Ausweg, den die Koalition gegangen ist. Den
kann niemand akzeptieren.
({2})
Das ist ein Desaster. Das ist ohne jede Übertreibung
mit einem Scheitern rot-grüner Politik im Ganzen
gleichzusetzen. Das ist eine Täuschung der jüngeren Generation. Das geht mit der Verletzung völkerrechtlicher
Verträge einher und hat eine nachhaltige Schädigung des
Vertrauens in die Politik in diesem Lande zur Folge.
({3})
Auf die Folgen im Zusammenhang mit dem
Maastricht-Vertrag werde ich noch zu sprechen kommen. Zunächst gilt es aber, sich mit dem auseinander zu
setzen, was die Bundesregierung zur Erklärung oder
auch zur Entschuldigung dieses Desasters vorgetragen
hat. Das läuft mehr oder weniger auf die Aussage hinaus: Wenn die wirtschaftliche Situation in unserem
Lande nicht so schlecht gewesen wäre, dann wäre das alles nicht passiert. Meine Damen und Herren, Sie werden
es mir nicht glauben; aber diese Aussage ist im Kern
richtig. Wenn die wirtschaftliche Lage nicht so schlecht
gewesen wäre, dann wäre das nicht passiert. Hinzu
kommt, dass die demographische Katastrophe ihre
Schatten vorauswirft. Das Letztere kann Ihnen niemand
vorwerfen, aber die schlechte Wirtschaftslage, die Sie
als Entschuldigung heranziehen, kann man Ihnen in ganz
entscheidendem Maße zurechnen.
({4})
Zweifellos ist es um die weltwirtschaftliche Lage
nicht zum Besten bestellt.
({5})
Wer sich allerdings die Entwicklung der Außenwirtschaftszahlen anschaut, kann nicht übersehen, dass von
der Weltwirtschaft eher expansive Impulse auf die deutsche Wirtschaft ausgegangen sind. Das belegen unsere
Exportzahlen.
Es mangelt vielmehr im Lande selbst an Investitionen
und an der Bereitschaft zum Konsum. Deutschland bewegt sich beim Wirtschaftswachstum am Ende des europäischen Geleitzuges. Das ist ein Novum in der Geschichte dieses Landes. Diese Tatsache, dass wir uns am
Ende des Geleitzuges befinden, und die damit verbundene Krise sind hausgemacht. Diese wirtschaftliche
Krise ist Ausdruck der Krise des Vertrauens in die deutsche Politik. Das gilt insbesondere für das Vertrauen der
mittelständischen Wirtschaft in die Reformfähigkeit dieses Landes.
({6})
Aus einem Land, das noch vor fünf Jahren eine wirtschaftliche Orientierungsfunktion wahrgenommen hatte,
aus einem Land, das zukunftsorientiert gewesen war, ist
ein Land geworden, das mit sich selbst nicht im Reinen
ist und in dem Zögerlichkeit und Zukunftsangst weit verbreitet sind.
Ich will der Koalition zugute halten, dass es objektiv
schwierig ist, erfolgsverwöhnte Konsensgesellschaften
zu reformieren. Dass Sie aber wichtige Reformen der
90er-Jahre blockiert haben, so zum Beispiel im Steuerbereich,
({7})
und nach der Regierungsübernahme ebenso wichtige
Korrekturen im Arbeitsrecht sofort rückgängig gemacht
haben, war nach Ihrer eigenen Aussage ein gravierender
Fehler. Genau das war es auch. Es war abenteuerlich.
Vor allem aber haben Sie vier lange Jahre lang eine Politik - und das war Kern Ihrer Politik - der Bündnisse
gemacht; Bündnisse, die nichts anderes waren als ein
Vorbeilavieren an den wichtigen, einschneidenden Reformen. Sie dachten, man setzt sich an einen runden
Tisch - das macht man ja so gern - und dann bekommt
man die Dinge in den Griff und alle stimmen zu. Das jedoch hat nicht funktioniert. Mit Ihrem Vorbeilavieren
haben Sie vier Jahre verspielt.
Vor diesem Hintergrund muss jeder Versuch, das katastrophale Budgetdefizit des Jahres 2004 gewissermaßen als gottgegeben abzutun, zurückgewiesen werden.
({8})
Es gab angeblich einmal Ihren Aufschwung. Jetzt ist
es Ihr Abschwung, Ihre Talfahrt. Herr Eichel, das ist
jetzt auch ganz allein Ihre Nettoneuverschuldung.
({9})
Das muss denen gesagt werden, die es betrifft: Ihnen und
der rot-grünen Koalition.
({10})
Mit dem zweiten Versuch, von Ihrer Verantwortung
abzulenken, muss ebenso aufgeräumt werden, nämlich
mit der gern verwendeten Formel, eine bürgerliche Regierung hätte keine Alternative zur Erhöhung der
Staatsschuld gehabt.
({11})
In diesem Zusammenhang wird versucht, zum Wahrheitsbeweis auf die zweifellos kräftig gestiegene Nettoneuverschuldung nach der Wiedervereinigung zu verweisen.
Faktum ist allerdings - keiner kann daran vorbei -,
dass die Konsolidierung des Haushalts nicht mit Herrn
Eichel begonnen hat,
({12})
sondern bereits im Jahre 1995. Schauen Sie sich die Zahlen an. In der Zeit zwischen 1995 und 1998 sind die Ausgaben um 20 Milliarden Euro reduziert worden. Dazu
kam ein konsequenter Privatisierungskurs, der vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten entschieden bekämpft wurde und der allein in den Jahren 1999 und
2000 etwa 10,2 Milliarden Euro in die Kassen des Herrn
Bundesministers Eichel gespült hat. Das sind die Fakten.
An denen kann keiner vorbei.
Sie, Herr Eichel, haben die Ausgaben nicht weiter zurückgefahren, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen
als prinzipielles Fehlverhalten vorwerfen muss: Vier
Jahre fehlende oder weitgehend verpatzte Reformversuche, vier Jahre Handeln nach dem Motto „linke Tasche,
rechte Tasche“. Es gab auf der einen Seite eine Entlastung bei den Ertragsteuern und auf der anderen Seite mittelstandsfeindliche Erhöhungen bei den Energiesteuern,
der Tabaksteuer und den Versicherungsteuern. War es
so? Oder war es so nicht? Ich sage Ihnen: Es war so.
({13})
Einer bürgerlichen Regierung wäre das nicht eingefallen.
Wer in diesem Land eine Steuerpolitik betreibt, die den
Mittelstand, vor allem die Betriebe, die das Rad drehen,
vergrätzt, der muss sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in diese Regierung verloren geht.
Noch die Diskussionen der letzten Monate sind beredte Beispiele dafür, wie man nicht vorgehen sollte. Hören Sie von der SPD endlich auf, immer wieder die Vermögensteuer in die Diskussion zu bringen!
({14})
Jeder weiß, dass private und die betriebliche Vermögensteuer nicht zu trennen sind. Eine solche Steuer bringt
nichts. Das müssen auch endlich die Ideologen in Ihren
Reihen begreifen.
Ähnliches gilt für die Erbschaftsteuer. Auch bei der
Erbschaftsteuer verunsichern Sie die Menschen. Ich
habe keinerlei Sympathie für Herrn Müller von Müllermilch. Aber Kapital ist ein flüchtiges Reh. Niemand
kann die Grenzen schließen, auch Sie nicht. Die Erbschaftsteuer muss kalkulierbarer gemacht und vereinfacht werden. Sie muss überschaubarer werden. Sie darf
nicht so gestaltet werden, dass die Menschen die Flucht
ergreifen. Den Haushalt damit sanieren zu wollen ist ohnehin Unsinn.
Der Strategie der Verunsicherung wird mit der von
der SPD gewollten Einführung der Ausbildungsplatzabgabe die Krone aufgesetzt. Eine Ausbildungsplatzabgabe ist das verkehrteste Instrument, um die Ausbildungsbereitschaft in unserem Lande zu erhöhen.
({15})
Die Verdrossenheit wird weiter wachsen. Die unternehmerische Wirtschaft, die davon betroffen ist, opponiert.
Eine unglaubliche Bürokratie steht ins Haus. Am Ende
wird das duale System, einer der wenigen wirtschaftspolitischen Standortvorteile, die dieses Land noch hat, daran kaputtgehen. Sie richten das duale System zugrunde,
indem Sie die Ausbildungsplatzabgabe einführen. Die
Politik, die Sie betreiben, ist nicht nachvollziehbar. Wie
kann man sich selbst nur so demontieren wie bei der
Ausbildungsplatzabgabe! Auf der einen Seite bewegen
Sie sich unter riesigen Schmerzen und Diskussionen
zwischen den Reformern und den Linken ein Stück in
die richtige Richtung; auf der anderen Seite kommen Sie
mit einer Erhöhung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer sowie der Erhebung einer Ausbildungsplatzabgabe an. Diese Logik müssen Sie den Menschen
erklären.
({16})
Kommen wir nun zur Steuerpolitik. Im vorigen Jahr
haben Sie die zweite Stufe der Steuerreform auf das
Jahr 2004 verschoben, weil sie, wie Sie gesagt haben,
nicht zu finanzieren gewesen sein soll. Jetzt soll die
dritte Stufe der Steuerreform ebenfalls auf das Jahr 2004
vorgezogen werden. Das ist gut. Aber so, wie Sie, Herr
Eichel, das bisher angelegt haben - ich denke nur an das
Zahlenwerk und an die Vorschläge, die Sie gemacht haben -, ist das wieder nicht zu finanzieren. Wenn die Koalition Steuervergünstigungen abbauen will, die den Entlastungseffekt im Zeitablauf übersteigen, und die
Verschuldung weiter erhöhen will, dann ist das alles andere als akzeptabel. So läuft das nicht. Nicht mit uns!
Warum haben die Koalitionsfraktionen die Einsparvorschläge der FDP in Höhe von 2,5 Milliarden Euro
- das ist von Kollegen Koppelin schon angesprochen
worden - mechanisch, fast roboterhaft abgelehnt? Sie
haben sich nicht an der Sache orientiert, sondern wollten
nur Ihr Prestige wahren und Macht ausspielen. So löst
man die Probleme dieses Landes nicht.
({17})
Die FDP hält das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform prinzipiell für richtig. Dem werden wir zustimmen, allerdings nur, wenn davon ein Signal ausgehen
kann. Dies geht nur, wenn Sie ein vertretbares Finanzierungskonzept vorlegen und sich in Bezug auf den Arbeitsmarkt und ein weiteres, wirtschaftspolitisch enorm
wichtiges Gebiet, nämlich das Arbeitsrecht bewegen.
Dort muss es Bewegung geben;
({18})
denn der Entlastungseffekt kann nur dann eintreten,
wenn der Arbeitsmarkt nicht so rigide bleibt, wie er ist.
Das muss verändert werden. Dann können wir über vieles reden.
Viel wirkungsvoller als das Herumbasteln im System
der Steuervergünstigungen und Finanzhilfen, das wir
alle in den letzten Jahrzehnten haben sprießen lassen,
wäre eine generelle Durchforstung. Am Ende werden radikale Einschnitte unvermeidlich sein. Dazu hat meine
Partei am 13. Oktober 2003 unter anderem einen Gesetzesentwurf vorgestellt, in dem wir unabhängig davon, ob
sie als steuerliche Vorteile oder als Finanzhilfen gewährt
werden, eine zeitliche Begrenzung und degressive Ausgestaltung aller Subventionen vorsehen. Das Gesetz soll
zunächst für neue Subventionen gelten. Für bestehende
Subventionen ist eine Überprüfung im Laufe von zehn
Jahren anzustreben. Für den Fall, dass auch in Zukunft
- ich sage: ausnahmsweise - Finanzhilfen gewährt werden müssen, fallen diese automatisch unter das Gebot
der zeitlichen Befristung und der Degression.
Ein solches Gesetz wäre geeignet, um der öffentlichen Hand die Finanzierungsinstrumente in die Hand zu
geben, die sie benötigt, um endlich eine große Steuerreform durchzuführen, eine Steuerreform, wie sie von meiner Partei seit zehn Jahren vorgeschlagen und detailliert
vorgestellt wird.
({19})
Neuerdings wird sie auch von der CDU, von Herrn
Merz, vorgestellt.
({20})
Im Übrigen ist in der Politik - anders als in der Schule das Abschreiben erlaubt. Deshalb sind wir froh und machen weiter so.
({21})
Jetzt sage ich einmal etwas Freundliches zur SPD: In
diesem Zusammenhang begrüße ich die Bemühungen
von Koch und Steinbrück ausdrücklich, die durch ihre
Vorschläge eine wichtige Durchforstung des Subventionssystems eingeleitet haben. Die gewählte Systematik
und die Bewertungsansätze sind nicht falsch. Das gilt
aber nicht für das Ausmaß der vorgeschlagenen Kürzungen: Jeweils 4 Prozent in den nächsten drei Jahren sind
bei einem Gesamtvolumen von 80 Milliarden Euro, das
zur Debatte steht, viel zu wenig; das ist zu zaghaft. Wir
wollen mehr. Ich glaube auch, dass die von Koch und
Steinbrück vorgelegte Liste der nicht zur Disposition
stehenden Subventionen nicht zum Tabu werden darf.
({22})
In dem Zusammenhang ist es nun kein besonders hilfreicher und ermutigender Akt in der Subventionsdiskussion, dass der Herr Bundeskanzler und der sonst so
forsche Herr Bundeswirtschaftsminister die Steinkohlebeihilfen - gewissermaßen die Inkarnation einer überlebten Erhaltungssubvention - über das Jahr 2006 hinaus
bis 2012 verlängern wollen. In diesen Wirtschaftszweig
sollen noch einmal sage und schreibe 15,7 Milliarden
Euro gepumpt werden. Herr Eichel, wenn Sie das nicht
täten, hätten Sie in Brüssel sehr viel geringere Probleme.
({23})
Das ist keine in sich konsistente Politik. Das wissen Sie
auch genau.
({24})
- Das alles wissen Sie. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Das kam alles vor Ihrem Parteitag. Sie mussten ein
paar Leuten aus einer bestimmten Region und Richtung
noch etwas geben. Wir wissen das alles doch. Sie betreiben hier keine gute Politik.
({25})
Ich komme nun zu der Tatsache, dass Sie die Stabilitätskriterien von Maastricht vor den Augen unserer
Nachbarn und Partner überall in der Welt ganz vorsätzlich verletzen. Hier bin ich immer wieder fassungslos.
Der Stabilitätspakt ist von der Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen und letztlich auch durchgesetzt worden.
Wir wollten in diesem Lande die über Jahrzehnte gewachsene Stabilitätskultur zum Maßstab europäischen
Handelns und europäischer Haushalts- und Finanzpolitik
machen.
({26})
Wir wussten, dass die Europäische Zentralbank nicht die
rigiden Instrumente besitzen kann, wie sie beispielsweise die Deutsche Bundesbank hatte.
Ich kann als Zeitzeuge - es sei mir nachgesehen - unmittelbar aus den Gesprächen und Verhandlungen berichten, wie der Kollege Waigel und an vielen Stellen
auch der Bundeswirtschaftsminister darum gerungen haben, dass der Stabilitätspakt kein zahnloser Tiger bleibt.
({27})
Die Sanktionsmechanismen mussten elementarer Bestandteil dieses Vertrages sein. Andernfalls - dessen waren wir uns voll bewusst - ist der Pakt am Ende nicht das
Papier wert, auf dem er gedruckt wird.
Die von Deutschland und Frankreich betriebene Demontage der europäischen Stabilitätskultur hat in der
vergangenen Nacht in Brüssel einen neuen Tiefpunkt erreicht, Herr Eichel.
({28})
Anstatt die von der Kommission verlangten Auflagen
und Sanktionen zu akzeptieren, mobilisieren die beiden
größten Staaten eine Abwehrfront, um vom Scheitern
der verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abzulenken. Damit wird nicht, wie Sie behaupten, Freiraum für antizyklische Politik geschaffen. Im Gegenteil:
Entscheidungsspielräume gibt es bis zur Freigrenze von
3 Prozent. Wenn man darunter liegt, kann man überlegen, was man macht und wie man es macht. Wenn man
aber über dieser Grenze liegt, dann ist aktives Handeln
gefordert. So haben wir das gewollt.
({29})
Dazu gehört die Androhung und, wenn notwendig, auch
das Verhängen von Sanktionen.
({30})
Die Beschlüsse des Ecofin-Rates sind geeignet, das
Vertrauen in die Stabilität des Euros zu untergraben. Wer
investiert in einem Land, das Verträge nicht ernst nimmt
und von Prinzipien Abschied nimmt, die dieses Land so
stark gemacht haben? Dies alles beim Namen zu nennen
ist unvermeidbar.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Es bleibt die
Hoffnung, dass es angesichts des Desasters, in dem wir
uns befinden, mit Vernunft und einem Stück Gemeinsamkeit doch noch gelingen mag, einen Ausweg zu finden. Dies ist den Menschen zu wünschen, die wieder in
einem Land leben möchten, das optimistisch sein kann
und an seine Ziele glaubt.
Herzlichen Dank.
({31})
Ich erteile das Wort Kollegin Anja Hajduk, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte mit dem Thema beginnen, das Herr
Dr. Rexrodt zum Schluss angesprochen hat, dem europäischen Stabilitätspakt. Herr Minister Eichel, Sie können
uns in Ihrem Beitrag sicherlich schildern, wie die Situation einzuschätzen ist. Mich erfüllt es nämlich durchaus
mit Sorge und ich bedauere es, dass nicht das gelungen
ist, was Sie selbst gestern im Ausschuss - wenn ich Sie
richtig verstanden habe - als Ziel genannt haben, nämlich eine Lösung im Einvernehmen zu finden. Die jetzige Situation kann, was die Dimension und die Ausstrahlung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes angeht,
nicht zufrieden stellen; das möchte ich jedenfalls für
mich festhalten.
Der erreichte Kompromiss ist leider ohne Einvernehmen der Kommission zustande gekommen. Dies sage
ich auch in Richtung der Opposition.
({0})
- Ich glaube, die Situation war schon verdammt kompliziert, Herr Kampeter. Die Konsolidierungsziele für die
Jahre 2004 und 2005, die wir uns setzen, sind - das hat
der Minister gestern noch einmal beschrieben - wirklich
sehr ehrgeizig. Damit meine ich, dass es für uns sehr
schwierig sein wird, dieses Ziel zu erreichen. Wir haben
schon oft darüber gesprochen, dass wir dafür auch das
Einvernehmen von Ihrer Seite brauchen.
Ich stimme Ihnen aus vollem Herzen zu, Herr Eichel:
Es wird sehr anstrengend sein, die uns gestellten Vorgaben zu erfüllen. Sicher war es Ihr Ziel, eine realistische
Basis zu finden, auf der wir aufbauen können. Dass das
die Mehrheit Ihrer Finanzministerkollegen im Rat gefunden hat, kann ich akzeptieren.
Allerdings will ich ganz deutlich sagen: Ich bin davon
überzeugt, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt
brauchen und seine mäßigende Wirkung auf alle Finanzakteure in Europa - wir wissen, wie leicht unverantwortliche Wahlversprechen in der Politik kursieren können anerkennen sollten.
({1})
Der Pakt ist in der Tat Basis für das Vertrauen in die gemeinsame Währung. Er ist auch ein Versprechen an die
Bürgerinnen und Bürger, dass wir eine solide Haushaltspolitik machen und dass wir eine Grundlage für mehr
Wachstum und Beschäftigung schaffen wollen.
({2})
- Ich bin auch froh, dass sich der Finanzminister noch
dazu äußern wird.
({3})
- Es ist ja auch gut, wenn wir einmal Einvernehmen haben; dann kommen wir einen Schritt weiter.
({4})
Ich habe vorhin schon gesagt, Sie stehen zu viel auf der
Bremse.
({5})
Ein wichtiger Punkt ist deswegen, dass wir im Nachklang zu dem offenkundigen Dissens mit der Kommission in Deutschland Einvernehmen darüber haben, dass
wir den Pakt weiterhin für wichtig halten und dass wir
uns nicht in einen Wettbewerb des Zerredens begeben
wollen. Auch da haben wir alle eine Verantwortung.
({6})
Angesichts der Probleme, die wir haben - dass wir
Probleme haben, ist ja offenkundig; das leugnen wir
auch nicht -, stellt sich die Frage: Was brauchen wir
denn, um den Stabilitätspakt einhalten zu können? Es ist
klar, dass wir eine ganze Menge an Einsparungen brauchen und dass wir unsere Haushalte konsolidieren müssen. Dazu braucht man in einer Demokratie eigentlich
auch den Ideenwettbewerb mit der Opposition.
Jetzt komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren
von der Union.
({7})
Sie verweigern sich diesem Ideenwettbewerb.
({8})
Sie geben keine Antwort auf die Frage, welche Einsparungen wir in Deutschland brauchen. Sie haben sich diesem Ideenwettbewerb im Haushaltsausschuss formal
verweigert und Sie haben sich ihm auch inhaltlich verweigert.
({9})
Das ist schon bemerkenswert - bemerkenswert in einem
sehr, sehr negativen Sinne für eine große Oppositionsfraktion, die eigentlich eine Alternative darstellen
möchte.
({10})
Ich will ein Beispiel nennen, das die Ausgabenseite
betrifft - Sie sagen ja, dass wir nicht immer nur mit der
Einnnahmeseite und mit dem steuerlichen SubventionsAnja Hajduk
abbau kommen sollen -: Wir haben Einvernehmen darüber, dass die Alterssicherung im Bundeshaushalt zusammen mit der Vorsorge - nicht nur die Rente - mit
100 Milliarden von 250 Milliarden Euro einen dramatisch hohen Anteil hat. Im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes haben wir vor einigen Wochen ein Paket vorgelegt und Ihr Kommentar
dazu ist, dass Sie bei der Lösung kurzfristiger Probleme
nicht mitmachen werden. Sie blockieren damit einen
großen Anteil des Bereichs, in dem man Einsparungen
und Begrenzungen vollziehen kann.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo waren Sie
eigentlich, als 1997/98 die Rentenreform diskutiert wurde?
Ich verstehe nicht, dass Sie hier einerseits das Einhalten
des EU-Stabilitätspakts predigen, andererseits aber bei
ganz konkreten Ausgabenbegrenzungen wie bei der
Rente, die politisch schwierig durchzustehen sind, abtauchen und lediglich in Sachen Arbeitsmarktreform mitmachen wollen. Das ist unredlich.
({11})
Dem von mir geschätzten Kollegen Austermann muss
ich sagen:
({12})
Es zeichnet Sie nicht gerade aus, wenn Sie in den Mittelpunkt Ihrer Haushaltsrede nicht etwa die großen Fragen
der Haushaltskonsolidierung stellen - die Aufgaben bei
der Alterssicherung habe ich gerade angesprochen -,
sondern irgendwelche kleinen angeblichen Skandale zur
Öffentlichkeitsarbeit, über die die Zeitungen berichten.
({13})
Die Presse ist frei und kann das machen; aber wenn Sie
klein-klein das in den Mittelpunkt Ihrer Rede stellen, ist
das bezeichnend für Ihr Niveau, vor allem wenn man
sieht, wie groß unsere Probleme sind.
({14})
- Ich stelle ja nur fest, dass Sie sich an die kleinen Fragen gerade eben herantrauen, ansonsten aber die Beratung verweigern. Wenn es um die großen Fragen und um
die Perspektive bei der Rentenversicherung geht, blockieren Sie kurzfristig und sind langfristig richtig orientierungslos.
Aber das kann ja noch werden. Ich bin felsenfest davon
überzeugt, dass Sie die Entscheidungen, die wir zur
Rente treffen und getroffen haben, gar nicht durchgestanden hätten. Sie trauen sich gar nicht so viel zu.
({15})
- Nein, Herr Kauder, das ist ein Irrtum. Sie glauben
heute noch, Sie würden mit dem demographischen
Faktor, den Sie 1998 einführen wollten, unsere Haushaltsprobleme bei den Renten lösen können.
({16})
Da sind bei Ihnen richtiggehend sachliche Irrtümer vorhanden.
({17})
Wenn Sie uns einen Vorschlag zur Rente vorlegen, der
eine wirkliche Alternative ist - wir kommen darauf im
nächsten Frühjahr zurück -, dann sind wir gerne bereit,
argumentativ mit Ihnen zu streiten. Im Moment versagen
Sie sich auf der sachlichen Ebene, weil Sie Angst haben.
({18})
Wir sind damit noch nicht am Ende, was Ihre Fantasielosigkeit angeht. Ich will ein Beispiel geben. Es ist
gerade wortreich die Kohlefinanzierung angesprochen
worden. Jetzt stellen Sie sich hin und prangern an, dass
erst ein Tag vor Abschluss der Beratungen das Thema
Steinkohle auf den Tisch gekommen ist. Sie haben sich
einer detaillierten Auseinandersetzung mit diesem
Thema - auch im Haushaltsausschuss - nicht gestellt.
({19})
- Ich weiß jetzt nicht, welche Demo Sie meinen.
Sie kümmern sich nicht um die Details, Sie diskutieren auch bei der Kohlefinanzierung die Probleme nicht
durch. Deswegen finde ich Ihr Vorgehen höchst fragwürdig. Sie machen es sich wirklich zu einfach.
({20})
Anstatt in einen Wettstreit mit uns darüber einzutreten, in
welchem Ausmaß wir die Steinkohlesubventionierung
reduzieren können - Sie wissen, dass wir die mit einem
Sperrvermerk versehen haben -, sagen Sie einfach: Das
ist ein großer Fehler! - Dies ist wirklich zu billig. Wir
kommen nicht so schnell aus der Steinkohlesubventionierung heraus, wie wir es uns wünschen, aber wir unternehmen wenigstens Schritte in diese Richtung. Das ist
unser Ehrgeiz. Ich leugne nicht, dass SPD und Grüne darüber harte Auseinandersetzungen führen. Sie dagegen
stellen sich dieser Auseinandersetzung erst gar nicht. Ich
mache Ihnen zum Vorwurf, dass Sie sich im Haushaltsausschuss einer intensiven Beratung über diesen Punkt
verweigert haben. Dafür ist dieses Thema viel zu schwierig und wird uns noch viel zu lang beschäftigen.
({21})
- Wir haben in dieser halben Stunde das Geld noch nicht
ausgegeben.
({22})
Die Mittel sind von 2006 bis 2008 mit einem Sperrvermerk eingestellt. Sie haben doch kaum mitbekommen,
was wir gemacht haben, weil Sie nämlich nicht mitberaten haben. Das ist Ihr Problem.
({23})
Ich möchte noch ein bisschen näher darauf eingehen,
was wir brauchen. Wir brauchen
({24})
einen Ideenwettbewerb, was die Einsparmöglichkeiten
bei den Ausgaben angeht, und Mut beim Subventionsabbau.
({25})
Ich komme noch einmal auf die Union zu sprechen;
das kann ich Ihnen nicht ersparen. Sie machen es sich
wieder zu einfach, wenn Sie sich jetzt konsequent hinter
Herrn Koch und Herrn Steinbrück verstecken.
({26})
- Damit hat das ganz viel zu tun. Über einen entschiedenen Subventionsabbau lassen sich Perspektiven für die
Konsolidierung des Haushalts eröffnen. Ich weiß, Herr
Rexrodt, dass Sie viel stärker als die Union bereit sind,
daran mitzuwirken. Deshalb wende ich mich jetzt wieder
an die Union.
({27})
Sie können sich nicht allen Ernstes hinter Koch/
Steinbrück verstecken. Wenn wir auf Dauer nur in 4-Prozent-Schritten vorgehen, werden wir - denken Sie nur
wieder an die Steinkohlesubventionen - nicht in der
Weise innovationsfähig, wie es meiner Meinung nach auf
lange Sicht erforderlich ist. Auch bei Entfernungspauschale und Eigenheimzulage ist es nicht damit getan, in
4-Prozent-Schritten kürzen.
({28})
Die Unionsfraktion im Bundestag sagt, dass Subventionsabbau an bestimmten Stellen mit ihr nicht zu machen sei; die Ländervertreter von der Union haben eine
andere Linie. Selbst im Vermittlungsausschuss - am
liebsten würden Sie den Haushalt ja ausschließlich dort
beraten - haben Sie keine einheitliche Linie. Sie haben
keine einheitliche Linie und keine Strategie, den Haushalt zu konsolidieren. Ich finde es allerhand, dass Sie
weiterhin Gegenfinanzierungen für diesen schwierigen
Haushalt 2004 ablehnen, aber auf der anderen Seite von
der Problematik der Verschuldung reden.
({29})
Wenn Sie sich tatsächlich entschließen werden, das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform mitzutragen,
dann werden Sie diesen Widerspruch zu lösen haben und
Ihr Vorgehen erklären müssen. Ich hoffe, dass Sie einen
Beitrag dazu leisten, die weitere Verschuldung dieses
Landes zu begrenzen. Denn eine Neuverschuldung in einem hohen Maße wird leider notwendig sein.
Es reicht nicht, meine Damen und Herren von der
Union, wenn Sie sich in Sonntagsreden für Veränderungen stark machen und radikale Schnitte in diesem Land
einfordern. Wir haben in Sachen Subventionsabbau
wirklich etwas auf den Tisch gelegt.
({30})
- Hinsichtlich dieser Vorschläge bin ich mit den Kollegen auf der Regierungsseite einig.
({31})
- Mit Ausnahme der Kohle; das habe ich auch zugegeben. Das macht doch nichts.
({32})
Sie sind aufgefordert, diese Chance zu ergreifen und
unseren Weg mitzugehen. Denn wenn Sie eine zusätzliche Neuverschuldung im nächsten Jahr verantworten
müssen, werden wir darüber zu reden haben. Das würden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Dessen können
Sie sicher sein.
Ich möchte nun noch auf die Perspektiven zu sprechen
kommen, die wir zu meistern haben. Dieser Haushalt ist
- das gebe ich zu - mit größeren Risiken behaftet, als es
wünschenswert wäre; die globale Minderausgabe ist viel
zu groß.
({33})
Das liegt aber auch an den Vorschlägen, über die sich die
Herren Koch und Steinbrück geeinigt haben; diese müssen noch in den Haushalt eingearbeitet werden. Ich gebe
zu, dass damit noch eine schwere Arbeit vor uns liegt.
Deswegen wird der Haushalt 2004 nach der abschließenden Beratung im Parlament in dieser Woche nicht achtlos beiseite gelegt werden. Vielmehr werden wir schon
im Januar über die mindestens 600 Millionen Euro zu reden haben, die nach Koch/Steinbrück noch auf der Aufgabenseite zu erbringen sein werden.
({34})
- Nein, wir dürfen uns dem nicht entziehen, nur weil alles so schwierig ist,
({35})
sondern müssen mit den Strukturreformen fortfahren.
Das ist notwendig, weil die bisher vorgenommenen
Strukturreformen im Rentensystem und auf dem Arbeitsmarkt noch nicht ausreichen.
Ich bin davon überzeugt - darin schließe ich mich den
Ausführungen von Herrn Rexrodt an -, dass wir immer
noch zu sehr im Status quo verharren. Wir brauchen
mehr Freiraum für Investitionen und Bildung.
({36})
- Auch in diesem Haushalt! Aber die früheren Haushalte
unter Ihnen waren noch schrecklicher.
Ich möchte abschließend noch auf die Frage eingehen,
welche Maßnahmen notwendig sind, um einen Schritt
weiterzukommen. Ich will in diesem Zusammenhang auf
ein großes Thema eingehen, das gegenwärtig von allgemeinem Interesse ist, nämlich die Steuerpolitik. Zurzeit
besteht eine große Chance, in der Steuerpolitik einen
Schritt voranzukommen, und zwar wahrscheinlich über
das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform 2005
hinaus. Die große Chance liegt meiner Ansicht nach nicht
in dem Wettbewerb um den niedrigsten Spitzensteuersatz
- darüber kann man reden -, sondern darin, dass es möglich ist, einen großen Schritt zu tun in Richtung eines einfacheren, transparenteren und gerechteren Steuersystems.
Ich betone ausdrücklich - auch mit Blick auf Diskussionen in meiner Partei -: Ich halte nichts davon, in
Steuerfragen eine Symbolpolitik in den Vordergrund zu
stellen, mit der - zum Beispiel in der Diskussion um eine
Vermögensteuer - möglicherweise wieder sehr komplizierte Verfahren eingeführt werden. Wir sollten vielmehr
im nächsten Jahr mit einer Steuerreform einen weiteren
Schritt hin zur Vereinfachung und Transparenz tun, aber
auch zu einer gerechten Besteuerung von Kapitalerträgen.
({37})
Ich weiß, dass Sie sich dazu durchringen wollen. Der
Vorschlag von Herrn Merz geht in Teilen weiter, als es
gegenwärtig der Fall ist. Das werden wir von Rot-Grün
aufgreifen. Wir wollen in der Steuerfrage keinen Wettbewerb nach unten und werden keinen Wettlauf um die
Nettoentlastung zulassen; dafür stellen die Sozialreformen an uns viel zu wichtige Aufgaben. Aber ein gerechteres und transparenteres System halte ich für wünschenswert.
Kollegin Hajduk, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
({0})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ich bin sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger von
uns nicht nur erwarten, mehr Gerechtigkeit zu schaffen,
sondern auch, mehr Perspektiven zu eröffnen. Insofern
sind weniger Investitionen in den Status quo notwendig
als vielmehr in Chancen, vor allem in Bildungschancen.
Dann gewinnen wir das nötige Vertrauen.
Wir werden in einigen Punkten Ihre Mitarbeit brauchen. Deshalb rufe ich Ihnen noch einmal zu: Blockierer
bekommen kein Vertrauen! Lassen Sie uns gemeinsam
- von mir aus auch im Wettbewerb - an einer besseren
Grundlage für die Zukunft arbeiten!
({0})
Ich bleibe dabei: Vertrauen gewinnt man, indem man
durch gute Alternativen Chancen bietet.
({1})
Ich erteile Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In gewisser Weise kann sich Deutschland nicht darüber beschweren, dass Herr Eichel keine verlässliche
Politik vertrete. Verlässlichkeit ist gegeben: stets ein
Höchstmaß an Staatsverschuldung, an Steuererhöhungen
und an Wachstumsvernichtung. Das wird kontinuierlich
eingehalten; darauf ist seit vielen Jahren wirklich Verlass.
({0})
Selbst Frau Hajduk hat in ihrer Rede Herrn Eichel deutlich kritisiert. Frau Hajduk, dies kam allerdings sehr
spät, nämlich erst, als Sie alles abgenickt hatten, was
hier an Falschem eingebracht worden war.
({1})
Systematisch haben Sie, Herr Eichel, die finanzpolitischen Grundlagen von Bund, Ländern und Kommunen
zerstört. Heute steckt Deutschland in einer Wachstums-,
Beschäftigungs- und Haushaltsfalle. Sie haben die Bürger, die Wirtschaft, die deutsche Öffentlichkeit und jetzt
leider auch noch die EU-Kommission mit Ihren unsäglichen Durchhalteparolen geradezu vorgeführt. Immer
wieder formulieren Sie vollmundig große Ziele, die aber
von Ihnen nie eingehalten werden. Ich bin sicher, dass
Sie sich auch heute wieder treu bleiben und uns erneut
viele Zielmarken vorstellen werden, die dann aber wiederum nur Schall und Rauch sein werden.
Meine Damen und Herren, das nennt man Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust auf allen Ebenen. Dieser
Vertrauensverlust ist die Ursache unserer wirtschaftlich
schlechten Entwicklung und unserer Konjunkturprobleme: Niemand investiert in Deutschland, weil die Menschen zu dieser Bundesregierung kein Vertrauen haben
können.
({2})
Sehen wir uns die Entwicklung der Finanzpolitik einmal an: Die Grundsätze einer soliden, generationengerechten und nachhaltigen Finanzpolitik werden völlig
außer Kraft gesetzt. Der Haushalt ist verfassungswidrig,
die Neuverschuldung übersteigt die Investitionsausgaben, der Haushalt ist europarechtswidrig und verstößt
vorsätzlich gegen den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt. Der Haushalt gibt keine genügenden
Wachstumsimpulse und weist zugleich Risiken von über
20 Milliarden Euro auf. Er sieht mit dem Haushaltsbegleitgesetz neue Steuerbelastungen und gleichzeitig einen Rückgang der Investitionen der öffentlichen Hand
vor. Woher sollen dann in unserem Land Impulse für ein
wirtschaftliches Wachstum kommen?
({3})
Dieser Haushalt ist ohne jegliche Zukunftsperspektive,
meine Damen und Herren.
({4})
Was sagt der Bundesfinanzminister zu diesem Desaster? Herr Eichel, Sie haben in dieser Woche in der Ausschusssitzung, von der Sie die Öffentlichkeit ausgeschlossen haben, erklärt, die böse Opposition sei schuld,
weil sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht akzeptiert habe. Das ist der blanke ökonomische Wahnsinn: Bei diesem Steuervergünstigungsabbaugesetz handelt es sich doch um nichts anderes als um weitere
Steuererhöhungen, die uns noch mehr in die Wachstumsund Haushaltsfalle führen.
({5})
Zu Recht haben wir, meine Damen und Herren, gesagt,
dies sei keine Wachstumspolitik und insofern nicht zielführend, dabei könnten wir nicht mitmachen. Aber ökonomische Vernunft ist bei Ihnen scheinbar ein Fremdwort.
Jahr für Jahr hat es bei Ihnen Steuermehrbelastungen gegeben, die sich auf 40 Milliarden Euro summiert
haben. Damit wurden Wachstum und Beschäftigung geradezu systematisch vernichtet. Man muss sich also
nicht wundern, dass die Konjunktur so schlecht ist.
Nun sollen in Verbindung mit dem Haushalt 2004
neue Steuererhöhungen vorgenommen werden. Darüber
müssen wir reden. Die Frage, die unsere Bürger und Betriebe interessiert, lautet nämlich: Wie sieht es aus mit
der Mindestbesteuerung, mit der Substanzbesteuerung
im Rahmen der Gewerbesteuer, mit der Tabaksteuererhöhung, mit der Abschaffung der Eigenheimzulage, mit
der Einschränkung der Entfernungspauschale, mit der
Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen und
mit der Erhöhung des Steuersatzes auf Agrardiesel?
Das alles ist nichts anderes als ein neues Steuererhöhungspaket. Das ist für die Bürger und die Betriebe,
insbesondere für die landwirtschaftlichen, ein neues
Belastungs- und Wachstumsvernichtungsprogramm in
einer Größenordnung von 12 Milliarden bis 15 Milliarden Euro pro Jahr und wird Wachstum und Beschäftigung in Deutschland vernichten. Dem steht nur eine
Einmalentlastung durch das Vorziehen der dritten Stufe
der Steuerreform auf 2004 gegenüber. Das wäre nur ein
schuldenfinanziertes Strohfeuer, erzielte aber keine dauerhafte Wachstumsstärkung. Gleichzeitig kündigt die
SPD mit einer unsäglichen Ausbildungsplatzabgabe und
einer Erhöhung der Erbschaftsteuer neue Steuererhöhungen an. Können Sie denn überhaupt keine Vernunft annehmen? Dass Sie immer nur eines kennen: Steuermehrbelastungen!
({6})
Auch bei den notwendigen Strukturreformen der
Agenda 2010 bleibt man halbherzig und widersprüchlich.
Wer die Lage in Deutschland zum Besseren lenken
will, der muss die Wahrheit über den Zustand Deutschlands zum Ausgangspunkt aller politischen Anstrengungen machen. Die Wahrheit ist - das wollen Sie nicht zur
Kenntnis nehmen -, dass wir beim Wachstum Schlusslicht in Europa sind und dass wir 600 000 Erwerbstätige
als Steuer- und Abgabenzahler in nur einem Jahr verloren haben. Die Wahrheit ist, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen alle Rekorde sprengt. Die Wahrheit ist,
dass die Zinsbelastungsquote bei 19,1 Prozent liegt, dass
also fast 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen von
vornherein für Zinszahlungen verplant sind - 37,7 Milliarden Euro pro Jahr! 100 Millionen Euro pro Tag muss
der Bund für Zinsen zahlen. In diese Haushalts- und
Steuerfalle haben Sie uns geführt.
Die Reihe der Indikatoren, die den Wachstumseinbruch, den wirtschaftlichen Niedergang und die Ursachen für das Haushaltsdesaster anzeigen, ließe sich - leider - beliebig fortsetzen. Ein schlüssiges Reform-,
Wachstums- und Konsolidierungsprogramm fehlt der
Bundesregierung. Von dem Ziel, einen ausgeglichenen
Haushalt vorzulegen, haben Sie sich leider verabschiedet. Herr Eichel, Sie unternehmen anscheinend nur noch
untaugliche Anstrengungen. Sie packen alles in Watte
und reden es schön, bekämpfen die Einsparauflagen
der EU-Kommission und ignorieren bzw. boykottieren
den Geist des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.
Der Höhepunkt der deutschen Haushaltsmisere ist der
jetzige Verstoß gegen den europäischen Stabilitäts- und
Wachstumspakt und vor allem der eingeschlagene Konfliktkurs gegenüber der EU-Kommission. Diesen Kurs
werden Sie noch bitter bereuen. Dafür wird Deutschland
noch zahlen müssen. Das ist ein wesentlicher Fehler und
ein Anschlag auf die Interessen unseres Landes; darin
bin ich mir ganz sicher. Deutschland trägt den Geist des
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu
Grabe und blamiert gleichzeitig die EU-Kommission als
Hüterin der Verträge. Herr Eichel, wie können Sie nur
ohne Einvernehmen im Ecofin-Rat diesen völkerrechtlichen Vertrag vernichten? Das, was Sie gemacht haben,
ist für mich eine Beerdigung erster Klasse. Die Traueranzeige könnte lauten: Die Bundesrepublik trauert um
den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der
auf der Sitzung des Ecofin-Rates am 25. November 2003
durch den Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel,
aus dem Leben schied. - Geist und Inhalt des Stabilitätsund Wachstumspaktes werden uns in Zukunft noch sehr
fehlen, Herr Eichel.
Herr Eichel, ich kann Ihnen dazu nur sagen: Dies wird
letzten Endes weiter gehende Folgen für uns alle haben.
Diese Traueranzeige ist berechtigt. Sie müssen sie sich
hinter den Spiegel stecken; denn letzten Endes tragen Sie
und niemand anders in Deutschland dafür die Verantwortung.
({7})
Diese Entwicklung ist wirklich ein Debakel für Europa
und den Euro; es handelt sich um eine Verständigung gegen das Erbe der Deutschen Mark.
Durch das Zurechtbiegen des Paktes tut sich, was die
Höchstverschuldung in Europa angeht, für die Zukunft
ein offenes Scheunentor auf. Die Haushaltspolitiken der
Mitgliedstaaten werden immer weiter auseinander driften. Die höheren Defizite werden zum allerersten
Wachstumsvernichter in Europa werden, und zwar mit
allen Folgen für den Binnenmarkt.
({8})
Die Verschuldungspolitik wird langfristig erhebliche
Auswirkungen auf das Zinsniveau und die Währungsstabilität haben. All diese Folgen haben Sie zu verantworten.
({9})
So etwas gegen den einstimmigen Willen der EUKommission durchzudrücken kann nur ein Pyrrhussieg
sein. Herr Eichel, Ihnen fällt nicht einmal die Widersprüchlichkeit Ihrer Argumentation auf: In Deutschland
sagen Sie, die Sparvorgaben der EU würden den beginnenden Aufschwung abbremsen; in Brüssel sagen Sie,
die Sparvorgaben müssten zurückgewiesen werden, weil
es in Deutschland Stagnation gebe. Was denn nun, Herr
Eichel: Aufschwung oder Stagnation? Wahrscheinlich
wissen Sie selbst nicht, was Sache ist. Sie reden in Brüssel und in Berlin unterschiedlich. Man kann zwischen
Brüssel und Berlin schnell sein Hemd wechseln, aber
nicht seine Meinung ändern. Ihre Haltung ist widersprüchlich und sie wird zu einem weiteren Vertrauensverlust führen.
Notwendig wäre, die EU-Einsparvorschläge in Demut
anzunehmen und wirklich zu sparen. Es ist doch eine
Tatsache, dass Sie im Jahre 2003 4 Milliarden Euro
mehr für Subventionen als 2002 ausgeben. Wo bleibt der
konkrete Subventionsabbau - Wo bleibt die Kürzung
der Verwaltungsausgaben des Bundes? Sie sehen zu,
wenn der Kanzler eine neue Steinkohlenförderung von
16 Milliarden Euro verspricht.
({10})
Sie sehen zu, wie Herr Gerster für kommunikative
Schönheitspflege 1,3 Millionen Euro verschleudert usw.
usf.
Wir brauchen einen Neuanfang und Nachhaltigkeit in
der Finanzpolitik. Es braucht eine klare Ordnungspolitik
mit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, also
angebotsorientierte Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft in Deutschland. Wir brauchen keine neokeynesianischen Strohfeuermaßnahmen. Für mich ist Herr
Lafontaine als Vertreter der neokeynesianischen Finanzpolitik ins Finanzministerium zurückgekehrt - in der
Person von Hans Eichel. Diese Finanzpolitik hat schon
einmal ins Abseits geführt. Diese Politik kann nicht der
Weg in die Zukunft sein. Wir müssen deutlich machen,
dass letzten Endes nur eine Steuerentlastungspolitik als
Gesamtsteuerreform, wie sie Friedrich Merz vorgeschlagen hat, das Wachstum in diesem Land voranbringt.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich will zunächst über den Ausgang und über
sämtliche Ergebnisse des Defizitverfahrens im Ecofin
berichten. Auf die Diskussion in der Eurogroup will ich
im Einzelnen nicht eingehen, weil dort Vertraulichkeit
vereinbart ist.
({0})
Daran halte ich mich selbstverständlich.
Ich sage ausdrücklich: Gestern und heute haben wir
im Ecofin im Hinblick auf ein Defizitverfahren gegen
Frankreich und Deutschland eine vernünftige Lösung
gefunden.
({1})
Diese Lösung ist vernünftig, weil wir das Thema Konsolidierung und das Thema Wachstum sehr ausgewogen
behandelt haben. Wer sich in der Welt umsieht, der stellt
fest: In allen Weltregionen ist das Wachstum höher als in
Europa.
({2})
- Als in Europa, aber auch als in Deutschland, Herr
Kampeter; das ist völlig richtig.
Deswegen ist die Frage zu stellen - sie wird uns bei
den Tagungen von G 7 und G 20 sowie des Internationalen Währungsfonds auch gestellt -: Was ist eigentlich
euer europäischer Beitrag? - Deswegen gibt es die Lissabon-Strategie. Deswegen müssen wir auch darauf achten, dass wir in einer Phase der Stagnation nicht eine Politik betreiben, die geeignet ist, die Stagnation zu
verlängern, etwa eine kontraktive Finanzpolitik.
({3})
Das heißt im Umkehrschluss, dass in Zeiten, in denen es
Wachstum gibt, in denen es einen Aufschwung gibt,
umso härter konsolidiert werden muss, was Sie gerade
nicht gemacht haben. Das sind nämlich die richtigen
Zeiten für ein intensives Zurückführen von Neuverschuldung.
({4})
Ich sage also ausdrücklich: Wir haben ein ausgewogenes Verhältnis von Konsolidierung und Wachstum erreicht.
({5})
Das heißt, der Stabilitätspakt funktioniert in seinem Inhalt.
Er funktioniert auch in den Gremien. Das zuständige
Gremium ist der Ecofin. Der Ecofin hat eine Entscheidung getroffen, und zwar mit großer Mehrheit, mit
Zweidrittelmehrheit.
In diesem Zusammenhang will ich gleich eine Bemerkung zur Kommission machen. Die Kommission hat das
getan, was sie für richtig hielt - das will ich auch überhaupt nicht kritisieren, obwohl ich eine andere Meinung
zu dem Inhalt habe -;
({6})
die Kommission hat Empfehlungen beschlossen, die in
ihrer Wirkung eher kontraktiv wären und im Übrigen
von Deutschland hinsichtlich des Defizitverfahrens nicht
akzeptiert werden könnten, weil sie juristisch fragwürdig
sind.
({7})
Die Kommission hatte nun so entschieden. Ich sage
ausdrücklich: Nachdem sie wusste, dass sie mit ihren
Empfehlungen keine zureichende Mehrheit im Rat finden würde,
({8})
hätte sie während der letzten vier Wochen eigentlich eine
neue Empfehlung vorlegen müssen, mit der sie eine
Chance haben würde - das war ja auch die Bitte des
Ecofin an die Kommission -, im Rat eine Mehrheit, und
zwar möglichst eine große Mehrheit, zu finden.
Ich habe gestern im Ausschuss gesagt: Meine Zielsetzung ist, zu einer gemeinsamen Lösung von Ecofin und
Kommission zu kommen. Das setzt aber voraus, dass die
Kommission, wenn sie weiß, dass sie für ihren Vorschlag
nicht die notwendige Mehrheit hat - sie wusste es -, das
zur Kenntnis nimmt und dann bereit ist, einen neuen
Vorschlag vorzulegen, mit dem sie eine Mehrheit im
Ecofin finden kann. Das war nicht so. Das bedauere ich
ausdrücklich;
({9})
denn hier mangelt es an der notwendigen Führungskraft
und an der notwendigen Kompromissbereitschaft. Der
Ecofin dagegen war sehr wohl bereit und in der Lage,
diese zu zeigen.
({10})
Wir wollen Folgendes festhalten: Die Wirtschaftsund Finanzpolitik liegt nach der Verfassung, wie sie in
der Europäischen Union heute gilt, in der Zuständigkeit
der Nationalstaaten. Das heißt, in diesem Haus hier und
im Parlament eines jeden Mitgliedstaates fallen die Entscheidungen,
({11})
Aber sie werden im Ecofin koordiniert; denn der Ecofin
als der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten ist das zuständige Gremium. Die Kommission macht dazu Vorschläge. So ist die Rechtslage.
({12})
Um das genau festzuhalten: Die Kommission ist mitnichten gezwungen, einem bestimmten Verfahren zu folgen, das mechanistisch von Stufe zu Stufe läuft, und es
ist falsch, dass sie keine Entscheidungsfreiheit hat. Ich
kritisiere nicht, dass die Kommission einen solchen Weg
- ich halte ihn für falsch - gegangen hat,
({13})
aber ich kritisiere, dass sie behauptet, er sei der einzige
Weg. Der juristische Dienst des Rates hat in der Analyse
der vorhandenen Verträge etwas ganz anderes dargelegt,
({14})
nämlich dass die Kommission Entscheidungsfreiheit hat.
({15})
Von der Entscheidungsfreiheit hätte sie auch Gebrauch
machen sollen. Das jedenfalls war die Bitte der großen
Mehrheit des Ecofin.
({16})
So ist es dann passiert, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag, auf den ich gleich im Einzelnen zu sprechen komme - wir müssen wissen, was er für Deutschland bedeutet, und Sie müssen sich entscheiden, wie Sie
mit den Interessen unseres Landes umgehen -,
({17})
bei einer weitaus größeren Gruppe von Ländern als ursprünglich erwartet auf Ablehnung gestoßen ist. Da kann
ich Ihnen nur sagen: Seien Sie ganz vorsichtig, wenn Sie
den deutschen Finanzminister angreifen. Das können Sie
zwar machen, aber Sie müssen dann auch wissen, wen
Sie noch alles treffen.
({18})
Das sind fast ausschließlich Finanzminister Ihrer Couleur.
({19})
Nehmen Sie die Finanzminister aus Frankreich, Italien
({20})
oder Luxemburg.
({21})
- Stellen Sie heute Abend einmal das Fernsehen an, statt
den Mund aufzureißen, verehrter Herr Kampeter, und
schauen Sie sich bitte einmal an, was der Kollege
Juncker zu diesem Thema sagt.
({22})
Er sagt exakt das Gleiche, was auch ich dazu sage. Sie
können ihn ja zu Ihrem Parteitag einladen.
Als Gewährsleute können Sie auch die Finanzministerin von Portugal oder den Finanzminister von Irland
nehmen. Sie gehören alle zum liberal-konservativen
Spektrum und vertreten doch dieselbe Position wie der
deutsche Finanzminister. Sie müssen sich also schon
überlegen, mit wem Sie sich anlegen. Es stimmt nämlich
nicht, dass Sie mit Ihren Angriffen nur den deutschen Finanzminister treffen.
({23})
Ich bedauere, dass die Kommission, nachdem sie zur
Kenntnis nehmen musste, dass es keine Mehrheit für
ihre Empfehlung gibt - das wusste sie auch schon lange
vorher -, keine andere vorgelegt hat.
({24})
Weil sie es nicht getan hat, blieb dem Ecofin nichts anderes übrig, als selber zu handeln. Es kann doch nicht
sein, dass die europäischen Gremien, nachdem ein Kommissionsvorschlag abgelehnt wird, handlungsunfähig
werden. Der Ecofin hat dann eine Empfehlung erarbeitet,
({25})
die mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde und außerordentlich vernünftig ist.
({26})
- Darauf komme ich gleich. - Ich kann der Kommission
nur raten, so schnell wie möglich aus der Schmollecke,
in die sie sich zurückgezogen hat, wohin sie aber nicht
hätte gehen müssen, wieder herauszukommen, weil wir
ein funktionierendes Zusammenwirken von Kommission
und Rat brauchen
({27})
und auch die Übereinstimmung mit der Kommission suchen. Das sage ich ganz ausdrücklich.
({28})
Deswegen, meine Damen und Herren, halte ich fest:
Der Pakt hat in einer vernünftigen Weise in dieser Phase
funktioniert. Er ist
({29})
den Notwendigkeiten gerecht geworden, die Europa in
der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation
braucht.
Lassen Sie mich einmal jemanden zitieren - ich sage
Ihnen noch nicht, wen, aber das werden Sie schon noch
merken -:
Die Substanz des Pakts ist und muss bleiben, dass
der einheitlichen Geldpolitik in Europa ein Koordinierungs- und Disziplinierungsrahmen für die dezentralen Finanzpolitiken
({30})
- ich merke, das beunruhigt Sie gegenübersteht. … Andererseits will ich auch gern
mitteilen, dass ich mir als Unterhändler zum
Maastrichter Vertrag 1991 keine konkrete Vorstellung über die wirtschaftspolitische Problemkonstellation von heute gemacht habe: nämlich Stagnation
über drei Jahre bei gleichzeitig massiven Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft. Als Geschäftsführender
- nun können Sie ihn identifizieren Direktor des IWF
({31})
rate ich deshalb dazu, die Drei-Prozent-Grenze in
der jetzigen Situation nicht zu verabsolutieren und
die Substanz des Pakts vor allem durch kraftvolle,
mittelfristig angelegte Strukturreformen
({32})
unter Beweis zu stellen.
So Horst Köhler,
({33})
der Geschäftsführende Direktor des Internationalen
Währungsfonds, einer der Väter des Maastrichter Vertrages und einer derjenigen, die Sie gelegentlich einmal zu
Rate ziehen sollten, meine sehr verehrten Damen und
Herren. Recht hat er.
({34})
Genau die von ihm eingeforderten Strukturreformen liegen nämlich hier auf dem Tisch. Genau diese bezeichnet
Horst Köhler als eine außerordentlich mutige Tat. Dem
könnten Sie doch wenigstens folgen. Wenn Sie uns nicht
folgen, folgen Sie doch Horst Köhler.
({35})
Da Sie sich nun zu Wächtern des Stabilitäts- und
Wachstumspaktes aufspielen, möchte ich Sie zuerst
einmal fragen, ob denn Ihre Versprechungen vor der
letzten Bundestagswahl damit vereinbar gewesen wären.
Nichts dergleichen hat es von unserer Seite gegeben.
({36})
Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie
heute behaupten, ich oder die Regierung oder wer auch
immer seien die Totengräber des Stabilitätspaktes,
({37})
halte ich etwas anderes vor. In einer heutigen Nachricht
heißt es:
({38})
- Sie sind aber sehr beunruhigt. ({39})
Nach Ansicht von Ex-Bundesfinanzminister Theo
Waigel ({40}) behält der EU-Stabilitätspakt weiterhin seine Geltung. „Der Pakt ist natürlich nicht tot“,
({41})
sagte Waigel der Münchner Zeitung „tz“ … Es
bleibe der Druck, Stabilität herbeizuführen.
Waigel warnte aber vor einer unguten Stimmung in
Europa, wenn die großen EU-Länder sich in einer
unheiligen Allianz zusammenschlössen
({42})
und die kleinen Länder sich um die Früchte ihrer
Konsolidierung geprellt fühlten.
({43})
Meine Damen und Herren, Recht hat er! Das trifft allerdings nicht auf den letzten Teil seiner Äußerung zu:
Die Mehrheit der kleinen Länder - angeführt vom luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker -,
sehr verehrter Herr Austermann, war heute bei der Entscheidung im Ecofin auf der Seite der Großen. Also:
keine Konfrontation zwischen Groß und Klein.
({44})
Eine solche wollen auch wir ausdrücklich nicht. Der
Hinweis von Theo Waigel ist völlig richtig: Man muss
immer darauf achten, dass die Regeln für alle gelten; das
kann überhaupt nicht streitig sein. Genau das haben wir
sehr sorgfältig beachtet.
Die nächste Mär: Das, was wir entschieden haben, gefährde die Stabilität des Euro. Wie war es denn, als die
Defizite in Europa 2000 und 2001 niedrig waren, als wir
in Deutschland - darauf komme ich gleich noch zu sprechen - das niedrigste Defizit seit der Wiedervereinigung
hatten? - Das war im Übrigen nicht in Ihrer Amtszeit. Wenn ich mich richtig erinnere, war zu dieser Zeit der
Außenwert des Euro am niedrigsten. Was haben Sie damals gezetert!
Im Moment haben wir in Europa, und zwar überall,
hohe, viel zu hohe Staatsdefizite - einverstanden -, aber
der Außenwert des Euro ist so hoch, wie er noch nie war.
({45})
- Richtig, Herr Rexrodt. Jawohl: Der Euro hat im Verhältnis zum Dollar gewaltig gewonnen, weil der Dollar
nicht mehr so ernst genommen wird.
({46})
Ich will das gar nicht weiter ausführen, weil ich weitere
Verunsicherung an dieser Stelle überhaupt nicht will.
Also dazu kein Wort mehr; das betrifft den Außenwert
des Euro.
Aber der ist ja gar nicht gemeint, wenn wir von der
Stabilität unserer Währung reden,
({47})
sondern gemeint ist die Kaufkraft unserer Währung, gemeint ist die Preisstabilität. Da ist Deutschland der Stabilitätsanker in der Europäischen Union,
({48})
bei den Preisen genauso wie bei der Lohnentwicklung.
Das ist die schlichte Wahrheit.
({49})
Bei den Staatsschulden haben wir große Probleme.
Das bestreite ich gar nicht.
({50})
- Sind Sie vielleicht unruhig! Das passt Ihnen nicht, das
kann ich ja verstehen.
({51})
- Ganz vorsichtig, Herr Austermann! Erstens gibt es da
keinen Verfassungsbruch,
({52})
zweitens will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Wer hier
darüber redet - das ist hier ungefähr der Sachverhalt -, dass
wir in den Jahren 1999 bis 2003 rund 140 Milliarden Euro
Schulden gemacht haben - das ist zu viel; ich habe dabei
die UMTS-Milliarden außen vor gelassen -, der sollte eher
darüber nachdenken, dass von den 800 Milliarden Euro
Schulden, die wir bei unserer Regierungsübernahme
vorgefunden haben, alleine 650 Milliarden Euro aus Ihrer Regierungszeit stammten.
({53})
Die müssen wir noch lange abzahlen, noch sehr lange.
Deswegen sage ich Ihnen nur: So vergesslich sind die
Menschen in diesem Lande nicht, dass Sie glauben
könnten, Sie könnten über dieses Thema so reden, wie
Sie das gegenwärtig tun.
Aus diesem Grunde wollen wir mit aller Klarheit sagen: Die Grundposition - raus aus der Schuldenfalle bleibt und ist auch völlig richtig.
({54})
- Wissen Sie was? Es ist ein provinzielles Theater, das
Sie hier veranstalten!
({55})
Das Einzige, was vielleicht tröstet, ist, dass jeder Finanzminister sagt - ich sage das ohne Anspielung auf die parteipolitische Couleur -: Bei mir zu Hause ist die Opposition genauso.
({56})
Wir haben seit drei Jahren Stagnation. Schauen Sie
auch nicht ausschließlich die europäischen Haushalte an!
Schauen Sie ein bisschen weiter, dann werden Sie
feststellen: Es ist auch eine Wirkung des Stabilitätspaktes, dass die Schulden in Europa nicht so explodiert sind
({57})
wie in anderen Weltregionen, vor allem bei einer großen
Macht, bei der wir die Wechselkursrelationen mit Sorge
betrachten. Deswegen ist klar: Wir müssen aus der
Schuldenfalle raus. Deswegen gibt es auch überhaupt
keinen Streit - da kann ich Frau Hajduk beruhigen -:
({58})
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss so bleiben,
wie er ist. Das ist überhaupt keine Frage. Aber die entscheidende Frage ist - damit komme ich zu den Empfehlungen der Kommission an uns -, wie wir denn genau in
welcher Situation mit dem Stabilitätspakt umgehen und
welche Wirkung wir damit erreichen.
({59})
Deswegen sage ich Ihnen - ich habe das schon gestern vorgetragen -: Die Vorschläge, die die Kommission
zu diesem Punkt gemacht hat, waren inhaltlich und prozedural so nicht akzeptabel. Da darf man übrigens,
denke ich, auf der gemeinsamen Basis des Stabilitätsund Wachstumspaktes auch zu einer unterschiedlichen
Auffassung darüber kommen, was die gegenwärtig angemessene Politik und die gegenwärtig angemessenen Prozeduren sind.
Deswegen sage ich mit Nachdruck: Eines ist nicht
okay, ich nehme das nicht hin und ich rate auch niemandem, das zu tun. Der gesamte Ecofin, alle Finanzminister
Europas, stehen gemeinsam auf der Basis des Stabilitätsund Wachstumspaktes und haben auch ein Rieseninteresse daran.
({60})
Aber es gibt unterschiedliche Meinungen zu der Frage,
ob ich in einer Schwächephase ersatzlos Geld aus dem
Kreislauf herausnehme sollte oder ob es nicht richtiger
ist, das in einer Wachstumsphase zu tun.
({61})
In der Schwächephase mache ich keine kontraktive Finanzpolitik. - Da gibt es Unterschiede.
({62})
Das sind exakt die Unterschiede, meine Damen und Herren, die sich zum Beispiel auch in dem widerspiegeln,
was der Internationale Währungsfonds in seiner Verantwortung für die Weltwirtschaft sagt und was er dazu
sagt, wie sich Europa in die Weltwirtschaft einpasst.
({63})
Deswegen sage ich zuallererst: Diese Regierung - darüber gibt es übrigens in Europa überhaupt keinen Streit - mit
ihrer sehr ambitionierten Strukturreform - ({64})
Wer war es denn - ich glaube, es war der Kollege
Michelbach -, der eben gesagt hat, bei den Reformen
seien wir auf halber Strecke stehen geblieben? Reden
wir doch einmal über die Gesundheitsreform. Warum
sind denn auf der Anbieterseite so wenig Maßnahmen
getroffen worden, Herr Michelbach?
({65})
Weil Sie auf der rechten Seite des Hauses sich schützend
vor Ihre Klientel gestellt und die notwendigen Strukturreformen nicht gemacht haben. Das ist doch die Wahrheit. Das ist auch bemerkt worden.
({66})
Wie Sie es fertig bringen, sich als Marktwirtschaftler
zu gerieren, selber aber im Gesundheitswesen über Jahrzehnte ein System staatlicher Planwirtschaft zu verantworten, das müssen Sie schon selber erklären.
({67})
- Ja, das ist unglaublich. Da haben Sie Recht. Wir wollten weiter; das ist der Unterschied zu Ihnen.
({68})
Meine Damen und Herren, das Erste sind ambitionierte
Strukturreformen, das Zweite ist Haushaltskonsolidierung,
und zwar eingeleitet 1999, als mir Herr Rexrodt - ich erinnere das wie heute - erzählt hat: Die 30 Milliarden DM
kriegen Sie doch nie; da sind doch höchstens 15 Milliarden zu holen. - Es waren dann - sehr verehrter Herr
Rexrodt, es mag sein, dass Sie das jetzt nicht gerne hören 27 Milliarden DM. Das schreibt sich fort und erhöht sich
und wir hätten allein in diesem Jahr 20 Milliarden Euro
höhere Schulden, wenn wir damals den Konsolidierungskurs nicht eingeleitet hätten.
({69})
Wir toppen das im nächsten Jahr mit zusätzlichen beinharten Haushaltskonsolidierungen.
({70})
Man darf schon fragen, ob man - in der Kombination
von Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung - in
dieser Phase die ohnehin vorgesehene Steuersenkung
von 2005 auf das Jahr 2004 und damit die dritte Stufe
der Steuerreformen nicht doch vorziehen sollte, damit
wir endlich aus der Wachstumsschwäche herauskommen, ein Jahr, in das wir sehr schwach starten werden
und in dem wir nicht noch eine kontraktive Finanzpolitik
machen sollten.
({71})
Das ist hochvernünftig und das wird auch von den meisten genauso gesehen.
({72})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Am Schluss gern. Ich will erst einmal diesen Gedankengang zu Ende bringen.
({0})
Meine Damen und Herren, in dieser Situation ist die
Frage: Sind die Auflagen der Kommission berechtigt,
wenn wir hier solche Anstrengungen bis an die Grenze
({1})
der Belastungsfähigkeit unserer Menschen und bis an
den Punkt unternehmen, an dem ein Regierungschef sein
Amt damit verbindet, dass er diese Reformen durchsetzt?
({2})
Ist es dann noch hilfreich, wenn eine Kommission meint,
an dieser Stelle müsse sie jetzt mit einem zusätzlichen
Knüppel kommen? Ich glaube nicht, dass das die richtige Antwort ist.
({3})
Das ist auch ökonomisch nicht richtig. Genau das haben die Finanzminister mit großer Mehrheit heute so entschieden. Ich denke, das ist richtig. Sie können sich ja
alle selber überlegen, wie Sie das halten.
({4})
Hinzu kommt eine weitere Frage, meine sehr verehrten
Damen und Herren: Ist Deutschland in ein Sanktionierungsverfahren, ein Verfahren nahe an die Sanktionen heran,
einzubeziehen, ja oder nein? Die Antwort ist aus meiner
Sicht klar und jeder muss die Interessen seines Landes
auf der Basis geltenden europäischen Rechts wahren.
({5})
Wir haben alle Empfehlungen, die uns die Kommission
und die der Ecofin im Januar dieses Jahres gegeben haben, erfüllt. Dies hat die Kommission am 21. Mai aus eigenem Antrieb detailliert begründet festgestellt.
({6})
Das Problem ist - das können Sie sich selbst überlegen -, dass die Ergebnisse am Jahresende und für das
nächste Jahr nicht so sind, wie wir - also Kommission,
Rat und die Bundesregierung - uns das vorgestellt haben. Warum? Weil das Wirtschaftswachstum nicht so
ist, wie es von der Kommission, vom Rat und von uns
erwartet wurde.
({7})
- Lieber Herr Rexrodt, dies ist doch nicht nur bei uns der
Fall. Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass einige andere Länder in einer schwierigeren Lage sind.
({8})
Schauen Sie einmal ein wenig über den eigenen Gartenzaun!
({9})
Ich sage ausdrücklich: Deutschland hat die Empfehlungen umgesetzt.
({10})
Aber die erwartete Erholung ist nicht eingetreten, weil es
das dazu notwendige Wirtschaftswachstum nicht gab. Es
besteht daher kein Grund, Deutschland in ein Verfahren,
das in Richtung Sanktionen führt, einzubeziehen. Das ist
nicht nur die Position der Bundesregierung und unseres
juristischen Dienstes, sondern auch die Position des juristischen Dienstes des Rates. Genau so sieht es die
Mehrheit der europäischen Finanzminister.
({11})
Ich würde meinen Amtseid verletzen, wenn ich vor
dem Hintergrund, dass wir alles getan haben, wozu wir
aufgefordert wurden, zulasse, dass Deutschland in ein
Verfahren einbezogen wird, das mit Sanktionen enden
kann.
({12})
Denn wenn sich die Interpretation der Kommission
durchsetzt, dass es nicht darauf ankommt, die Empfehlungen umzusetzen, sondern darauf, am Schluss die angestrebte Zahl zu erreichen, dann sind wir völlig in der
Hand der Weltwirtschaft. Dann wäre nämlich die Lage
der Weltwirtschaft entscheidend dafür, ob wir mit Sanktionen belegt werden oder nicht. Dies ist nicht die Interpretation der Mehrheit der europäischen Finanzminister
in Bezug auf diesen Vertrag. Nach meiner Meinung haben sie Recht, dass dies nicht die geltende Interpretation
sein kann.
Sie müssen sich überlegen, wie man in einer solchen
Situation deutsche Interessen vertritt. Unsere Position
bedeutet kein Abweichen.
({13})
Sie bedeutet etwas ganz anderes. Alle fürchten sich davor, auch nur annähernd in die Gefahr zu kommen, mit
Sanktionen belegt zu werden. Das mindert doch nicht
die Wirkung des Vertrages.
({14})
Ganz im Gegenteil: Die Franzosen tun endlich eine
ganze Menge. Auch das ist eine Folge des Vertrages und
das Ergebnis unserer Zusammenarbeit. Ich kann das nur
begrüßen.
({15})
Im Übrigen ist nicht nur die Haushaltsautonomie
des Bundes, sondern auch - das muss man wissen - die
der Länder in Gefahr. Die Veranstaltung kann doch nicht
so laufen, dass bei einem Defizit von Bund, Ländern,
Gemeinden und der sozialen Sicherungssysteme alle immer nur auf den Bundesfinanzminister zeigen. Die Länderfinanzminister und die Länderparlamente sind genauso betroffen.
({16})
Wir nähern uns langsam der Verantwortung des Organs
- Sie merken das schon -, in dem Sie die Mehrheit haben.
Wenn ich lese, dass Herr Merz uns auffordert, wir
sollten die Sparauflage von 5 bis 6 Milliarden Euro akzeptieren, dann muss ich dazu sagen: Wir haben uns verpflichtet, das strukturelle Defizit nächstes Jahr um
0,6 Prozentpunkte und im Jahr darauf um 0,5 Prozentpunkte abzubauen. Im Jahre 2005 wollen wir unter der
Grenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Das wird uns mit 2,7 Prozent im Jahr 2005 gelingen, wenn die Wachstumsannahmen der Kommission,
die niedriger sind als unsere, eintreten.
({17})
Es wäre doch wunderschön, wenn das, was wir in
Brüssel verabredet haben und wofür ich gekämpft habe,
die gemeinsame Linie wird und die entsprechenden
Maßnahmen umgesetzt werden.
({18})
Bevor Sie wieder laut schreien, Herr Austermann, sage
ich Ihnen: Sie müssen sehr viel mehr beschließen, damit
der Umfang dessen herauskommt, was wir vorgeschlagen haben - plus die Liste von Koch/Steinbrück - und
worüber wir in Brüssel gestern verhandelt haben.
({19})
Sie sind nicht in der Lage, auch nur zu einem einzigen
wirklichen Sparvorschlag halbwegs verbindlich Ja zu sagen.
({20})
Bei allem, wo es richtig zur Sache geht, höre ich von Ihnen immer: Es geht nicht.
({21})
Bei Herrn Michelbach war das eben wieder die alte
Leier. Sehr verehrter Herr Michelbach, diese Rede hätten
Sie vor einem Jahr halten können, aber doch nicht angesichts der Vorschläge von Koch/Steinbrück.
({22})
Es gibt im Übrigen einen bemerkenswerten Riss zwischen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den CDUMinisterpräsidenten, die das auch zugeben. Sie werden
mit Ihrer Linie nicht durchkommen, weil auch den Ländern das Wasser bis zum Halse steht. Die Länder und
nicht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden sich mit
ihren Interessen durchsetzen.
({23})
Ich kann nicht erkennen, dass Sie sich auf unsere Vorschläge halbwegs einlassen - ich hoffe, bei der FDP ist
das anders - und dass Sie diesen Subventionsabbau mittragen. Sie können doch nicht einerseits eine Einsparung
von 5 bis 6 Milliarden Euro fordern und andererseits
Vorschläge schuldig bleiben, die notwendig sind, um einen Beitrag zum Schuldenabbau zu leisten.
({24})
Nun zum Haushalt 2004; damit komme ich zum
Punkt. Wir senken die Nettokreditaufnahme,
({25})
und zwar vor Vorziehen der Steuerreform, unter die
Höhe der Ausgaben für Investitionen. Hiervor kann sich
keiner drücken:
({26})
Nur wenn die Steuerreform vorgezogen wird, wird Art. 115
des Grundgesetzes gezogen.
({27})
Das ist die Maßnahme, mit der wir fiskalisch gegen die
Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
vorgehen; andere Maßnahmen sind Strukturreformen
und die Haushaltskonsolidierung.
({28})
Dies gilt nur für diesen Fall; das muss jeder wissen. Sich
vorbeizudrücken
({29})
nach dem Motto „Der Bund zieht Art. 115“, aber in Bezug auf die Haushaltskonsolidierung nicht die Hausaufgaben zu machen und die Steuerreform nicht vorzuziehen wird im Vermittlungsausschuss nicht gehen. Das
muss klar sein.
({30})
Wenn wir aber die Steuerreform vorziehen, ist dies richtig und dann muss man es auch tun.
Damit sind wir übrigens wieder beim selben Punkt.
Ich habe mich amüsiert: Es gab im Wochenrhythmus
Vorschläge zur Gegenfinanzierung. Sie haben gemerkt,
dass Sie damit nicht weiterkommen. Ihr letzter Vorschlag war, bei ABM zu kürzen. Da sind Ihnen sofort die
Ostministerpräsidenten Ihrer Couleur in den Arm gefallen. Sie haben gemerkt: Es war wieder Essig. Das hätte
man zwar in Bayern tun können, aber nicht in Brandenburg, Sachsen oder in Sachsen-Anhalt - das wissen Sie
ganz genau -, obwohl wir in diesem Bereich ein ganzes
Stück abgebaut haben.
({31})
Sie sind ausgewichen; das halten Sie nicht durch. Sie
verbinden das Vorziehen der Steuerreform völlig sachwidrig mit Maßnahmen beim Kündigungsschutz oder
im Tarifvertragsrecht.
({32})
Das halten Sie nicht durch; darauf gebe ich Ihnen Brief
und Siegel.
({33})
Die Öffentlichkeit bzw. die Bürger dieses Landes und
die Wirtschaft dieses Landes nehmen Ihnen das nicht ab.
({34})
Je schneller Sie begreifen, dass es wirtschaftlich geboten
ist
({35})
und sogar in Ihrem parteipolitischen Interesse liegt, den
Menschen Klarheit darüber zu geben, dass die Steuerreform vorgezogen wird, umso besser nicht nur für dieses
Land, sondern auch für Sie!
({36})
Sie sollten an diesem Abend noch einmal ein bisschen
darüber nachdenken.
({37})
Nun zur Ausgabenseite. Herr Rexrodt, es ist wunderschön, dass Sie gesagt haben, es sei in den Jahren 1995
bis 1998 - nein, das war nicht Herr Rexrodt ({38})
in Höhe von 20 Milliarden Euro konsolidiert worden.
Wissen Sie, was damals passiert ist? Sie haben das Kindergeld nicht auf der Ausgabenseite, sondern auf der
Einnahmeseite als Einnahmeausfall gebucht. Das war
Ihre Haushaltskonsolidierung.
({39})
Wir haben Folgendes getan - das können Sie nachvollziehen -: Der Haushalt hat heute ein Ausgabevolumen, das, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, um
1 Prozent niedriger liegt, als es zu der Zeit war, als wir
die Regierung übernommen haben. Das ist eine ausgabenseitige Konsolidierung, übrigens auch bei den Finanzhilfen.
({40})
Herr Rexrodt, als Sie den Kohlekompromiss unterzeichnet haben - Sie waren ja damals Wirtschaftsminister -, ging es um 5 Milliarden Euro.
({41})
Herr Rexrodt, es amüsiert mich. Das sollte Sie beunruhigen. Eine Förderung von 5 Milliarden Euro haben Sie
unterschrieben. Wissen Sie, wo wir jetzt sind? - Bei
etwa 2,5 Milliarden Euro Hilfen vom Bund.
({42})
Das haben wir ein ganzes Stück heruntergedrückt. Der
Bundeskanzler hat über eine weitere Degression der
Kohlehilfe verhandelt. Das ist hier passiert. Wenn Sie
nur ansatzweise jemals etwas Ähnliches bei den Agrarausgaben zuwege gebracht hätten, ginge es diesem
Lande finanziell weitaus besser.
({43})
Herr Minister, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen?
- Herr Kollege Rexrodt, wenn Sie etwas zuzurufen haben,
dann sollten Sie das in Richtung des Redners tun. Diskussionen mit der Regierungsbank sind nicht erlaubt und die
Regierung darf auch nicht antworten; das wissen Sie.
({0})
Herr Austermann, es wurde gesagt, die Zahl der Mitarbeiter sei ständig ausgeweitet worden. Im Jahre 1992
wurde die Höchstzahl von etwas mehr als 380 000 Mitarbeitern beim Bund erreicht. Jetzt haben wir eine Zahl
von knapp unter 290 000. Sie ist also um circa ein Viertel gesunken. Das ist heute im wiedervereinigten
Deutschland weniger als in der alten, kleineren westdeutschen Bundesrepublik im Jahre 1970. Das sage ich,
damit auch dieser Sachverhalt klar wird.
({0})
Sehen Sie sich auch einmal die Einschnitte bei der Bezahlung an.
Übrigens, Herr Austermann, was Sie den Versicherungsunternehmen erzählen, halte ich für ziemlich
dreist.
({1})
Der Sachverhalt ist nämlich Folgender: Bei den erheblichen Schwierigkeiten, die viele Unternehmen haben,
handelt es sich - ich will das ganz vorsichtig sagen - um
ein Branchenproblem
({2})
- hören Sie mal - aufgrund der Tatsache, dass die Unternehmen die von uns angebotene Steuerregelung nicht
gewollt haben.
({3})
Das ist die Situation des Jahres 2000.
({4})
Hinzu kommt, dass sie auf einem hohem Ross saßen und
gedacht haben, dass ihre Aktienkurse immer auf dem hohen Niveau bleiben.
({5})
Nun lösen wir das Problem, weil es anderenfalls nicht
bei einem Problem lediglich einzelner Unternehmen
bleibt. Mehr will ich gar nicht sagen.
({6})
- Wir doch nicht! Das ist ja abenteuerlich.
Und was passiert, verehrter Herr Austermann? Die BLänder - ich bitte Sie, ganz genau hinzusehen - sagen:
Die Reform reicht uns nicht. Wir wollen das nicht nur
für das Jahr 2003, sondern auch rückwirkend für die
Jahre 2002 und 2001, damit die Unternehmen, die damals noch nicht wirklich Probleme hatten, ihre Bilanzen
rückwirkend schönen können. Sie müssen schauen, was
die B-Länder machen, oder haben Sie teil an der Kumpanei? Das ist die Frage, die sich stellt.
({7})
Also: Ich sage Ja zum Abbau von Subventionen und
zum Abbau von Finanzhilfen. Ich begrüße, dass Sie,
Herr Merz, dazu einen radikalen Vorschlag gemacht haben. Das ist in Ordnung. Wenn er wirklich gelten würde,
müssten wir nicht mehr lange über den Wegfall der Eigenheimzulage, über die Einschränkung der Pendlerpauschale und anderes reden.
({8})
- Sehen Sie, Herr Merz, da kommt der komplette Widerspruch:
({9})
Für die Feuilletons - so sage ich fast - den Visionär spielen, aber dann, wenn es konkret wird, das genaue Gegenteil tun. So kommen Sie nicht mehr durch. Diesen Winter nicht.
({10})
Die Entscheidungen sind jetzt zu treffen. Das Gesamtpaket liegt auf dem Tisch. Alles, was der Bundeskanzler am 14. März dieses Jahres in diesem Hause angekündigt hat, liegt auf dem Tisch:
({11})
beschlossen von der Bundesregierung und beschlossen
vom Deutschen Bundestag ist es jetzt im VermittlungsBundesminister Hans Eichel
verfahren. Spätestens jetzt können Sie sich nicht mehr
drücken.
Der Haushalt muss verabschiedet werden.
({12})
Das hat einen guten Grund: Wenn im Vermittlungsverfahren etwas anderes herauskommt, muss klar werden,
wer gemauert hat und wer für welche Etatlücke zuständig ist.
({13})
So läuft es nicht weiter, dass Sie alles dem Bundesfinanzminister anhängen,
({14})
obwohl Sie klammheimlich überall blockiert haben. So
läuft es nicht. Diese Doppelzüngigkeit ist zu Ende.
({15})
Da wir hier über Haushalte reden: Gehen Sie einmal
nach Hessen. Im Haushalt des Landes Hessen stehen
Einnahmen in Höhe von 390 Millionen Euro aufgrund
von Änderungen in Bundessteuergesetzen in diesem
Jahr.
({16})
Die Herren Koch und Steinbrück kommen mit ihren Vorschlägen auf nicht einmal 5 Prozent davon.
({17})
Sie können sich ausrechnen, was der Herr Koch in Wirklichkeit im Vermittlungsausschuss machen muss, damit
er seinen Haushalt in Ordnung kriegt.
({18})
Und das ist das Gegenteil dessen, was Herr Meister, der
auch aus Hessen kommt, erzählt.
({19})
Das Ende der Doppelzüngigkeit ist angesagt.
({20})
Sie halten das nicht mehr durch. Sie sind jetzt an der
Stelle, an der Sie entscheiden müssen
({21})
und an der Sie bei Ihren Entscheidungen auch entsprechend erwischt werden. Da kommen Sie nicht mehr raus.
Ich habe aufgrund vieler Gespräche die große Hoffnung,
({22})
dass wir im Vermittlungsverfahren zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Das setzt aber eine ganz andere
Haltung als die voraus, die zum Beispiel Herr Meister
eben an diesem Pult an den Tag gelegt hat.
({23})
Wir haben in dem Dreiklang von Strukturreformen,
Haushaltskonsolidierung und Vorziehen der Steuerreform in einer Phase, in der jetzt die Signale - ich sage
das bewusst vorsichtig - auf Aufschwung stehen,
({24})
wir aber noch einiges dazu tun müssen, damit es wirklich dazu kommt, eine Chance, aus der Talsohle herauszukommen. Die Verantwortung dafür, dass das gelingt,
liegt genauso bei Ihnen wie bei uns. Tragen Sie Ihren
Teil!
({25})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias
Wissmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Herr
Eichel vor einigen Jahren von Herrn Lafontaine das Amt
des Bundesfinanzministers übernommen hat, waren wir
am Anfang überrascht, dass es in Sachen Konsolidierung
einige richtige neue Töne in einer sozialdemokratisch
geführten Regierung zu geben schien.
({0})
Spätestens mit dem heutigen Tag merkt jeder - hinter
vorgehaltener Hand sagt einem das auch jeder Sozialdemokrat und jeder Grüne -: Herr Eichel, Sie sind zu einer
tragischen Figur dieser Regierung geworden. Aller Beifall kann das nicht beiseite wischen.
({1})
Sie haben mit Ihrer Politik die Finanzen Deutschlands
in die schwerste Krise der Nachkriegszeit geführt. Wir
haben eine Rekordverschuldung. Sie werden das dritte
Mal den Stabilitätspakt verletzen und dessen Kriterien
nicht erfüllen. Sie haben mit der Entscheidung in der
Eurogroup der Finanzminister auch die europäische
Währungsunion in eine schwere Krise geführt.
Aus den Fehlern von vor zwei Jahren haben Sie nichts
gelernt. Damals haben Sie mit allen Tricks und Finessen
mit demselben Bündnispartner wie heute den Blauen
Brief aus Brüssel abgewehrt. Damit haben Sie zu dem
Zeitpunkt vielleicht machtpolitisch und taktisch gepunktet, haben aber einen schwerwiegenden strategischen
Fehler gemacht, der langfristig wirkt: Anstatt die Stabilitätshüter Europas zu Ihren Bündnisgenossen zu machen
und sie als Unterstützung für die Durchsetzung der
schwierigen Konsolidierungsaufgabe im Inland zu nutzen, haben Sie sich diese zu Gegnern gemacht. Damals
haben Sie begonnen, die Schleuse für mehr Neuverschuldung zu öffnen. Wir alle, die Bürger, die Steuerzahler, zahlen angesichts der Rekordverschuldung, der
höchsten Neuverschuldung der Nachkriegszeit jetzt die
Zeche. Damals haben Sie falsch gehandelt und handeln
auch heute noch falsch.
({2})
Bei staatlichen Gesamtausgaben aller Ebenen von
1 000 Milliarden Euro traut sich diese Regierung nicht
zu, entsprechend dem Vorschlag der Kommission 5 bis
6 Milliarden Euro an zusätzlicher Sparleistung zu erbringen.
({3})
Es fehlt jeder Wille zur Stabilisierung der Staatsfinanzen. Es mangelt darüber hinaus an jeglicher Verantwortung für Europa. Herr Eichel, tief in Ihrem Herzen wissen Sie: In der Sache haben Sie bereits aufgegeben.
Meine Vermutung ist: Sie werden bald auch persönlich
aufgeben.
({4})
So kann es mit Deutschlands Finanzen nicht weitergehen. Das fragwürdige wirtschaftspolitische Argument
- es ist ein Scheinargument -, man handele mit zusätzlichen Sparmaßnahmen kontraktiv, hat Ihnen spätestens
der Sachverständigenrat aus der Hand geschlagen. Das
Gegenteil ist wahr: Eine vernünftige Fortsetzung der
Konsolidierung stärkt Vertrauen. Vertrauen ist das Gut,
das uns in Deutschland zurzeit am meisten fehlt:
({5})
Diejenigen Bürger, die Geld zur Verfügung haben, konsumieren nicht, weil ihnen Vertrauen fehlt. Auch die
Unternehmer, die investieren könnten, investieren nicht,
weil ihnen Vertrauen fehlt. Dieses leider verloren gegangene Gut Vertrauen entsteht erst wieder, indem man konsolidiert, und nicht, indem man auf Schulden setzt. Insofern hat der Sachverständigenrat Recht: Eine sinnvolle
Konsolidierungspolitik stärkt Wachstumskräfte und
schwächt sie nicht. Diesen Eindruck versuchen Sie aber
zu erwecken.
({6})
Sehen wir uns einmal in Europa um.
({7})
Es gibt leider nicht sehr viele Beispiele für eine gute
Kombination der Konsolidierungs- und Wachstumspolitik. Einer der Mahner von heute kommt aus Spanien.
Spanien betreibt seit sechs Jahren eine eiserne und konsequente Sparpolitik.
({8})
Seitdem hat Spanien das höchste Wirtschaftswachstum
aller großen Flächenländer Europas.
({9})
Umgekehrt, also anders als in Ihrer Argumentation, wird
ein Schuh daraus: Nicht derjenige, der auf Schulden
setzt, schafft Wachstum, sondern derjenige, der eine vernünftige und mit Augenmaß betriebene Konsolidierungspolitik durchsetzt. 6 Milliarden Euro im Verhältnis
zu den Gesamtausgaben von 1 000 Milliarden Euro sind
keine Überforderung für eine vernünftige Finanzpolitik
in Deutschland.
({10})
Klar ist - das kann man offen aussprechen -: Die beiden größten Sünder in der Finanzpolitik in Europa, nämlich Frankreich und Deutschland, haben sich zusammengetan. Sie spielen sich die Bälle zu.
({11})
Ich sage Ihnen ganz offen: Dabei interessieren mich Parteifarben überhaupt nicht.
({12})
Mich interessiert die Frage, was für ein Umgang das mit
unseren Finanzen und mit Europa ist. Sie stellen den Hüter der Stabilität, die Kommission, infrage und führen
mit ihr einen solchen Streit.
Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Künast zulassen.
Ich möchte den Gedanken gerne im Zusammenhang
ausführen. Später gerne.
({0})
Meine Damen und Herren, man muss kein christlicher
Demokrat sein, um so zu formulieren.
({1})
Gestern hat die „Süddeutsche Zeitung“ zu Recht gesagt:
Dieser überflüssige Streit
- gemeint war der mit der Kommission Matthias Wissmann
droht die Stabilitätskultur wegzuspülen, die das
Fundament für Europas fragile Gemeinschaftswährung bildet.
Warum lassen Sie sich auf diesen Streit ein? Warum
versuchen Sie, im Ecofin-Rat in einem Teppichhandel
ohnegleichen eine Mehrheit zusammenzuzimmern?
({2})
Ich gehe noch einen Schritt weiter: Warum haben Sie
kürzlich mitgemacht, als der Ecofin-Rat - wiederum mit
einer Mehrheit - Vorschläge mit zwei fragwürdigen entscheidenden Punkten erarbeitet hat? Erstens. Die Kommission soll in ihrer Rolle als Hüterin des Stabilitätspakts weiter geschwächt werden.
({3})
Zweitens - das sage ich jetzt auch den sozialdemokratischen und grünen Kollegen - macht der Ecofin-Rat den
Vorschlag, die ohnehin schon geringen Budgetrechte des
Europäischen Parlaments weiter einzuschränken.
Welche Vorstellung von Stabilität und von Europa
steckt eigentlich hinter Ihren Überlegungen und Ihrem
Handeln? Man muss es offen sagen: Frankreich und
Deutschland haben sich in der vergangenen Nacht in
Brüssel nicht als Motoren der EU, sondern als Bremsklötze der europäischen Stabilitätspolitik erwiesen. Sicherlich hatten Sie am Ende ein paar der kleineren Länder auf Ihrer Seite.
({4})
Aber denken Sie einmal an die Positionen Finnlands,
Österreichs, Spaniens und einiger anderer. Sie haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, was man von Ihrer Stabilitätspolitik in Europa heute halten muss. Hören Sie
doch auf die europäischen Stimmen aus allen Lagern,
aus Wirtschaft und Gesellschaft und von den Kapitalmärkten.
({5})
Im Interesse einer langfristigen Stabilität von Währung
und Preisen kann diesen Anschlag auf den europäischen
Stabilitätspakt niemand für gut befinden.
Sie haben einen gefährlichen Weg eingeschlagen.
Wenn die Starken ohne Ende sündigen können, dann ist
das ein schlechtes Beispiel für die Schwächeren. Die Europäische Union nimmt bald zehn neue Länder auf. Was
ist das für ein Signal?
({6})
Frankreich und Deutschland machen munter weiter, die
Währung wird langfristig geschwächt und die Preissteigerungsrate wird bei Fortsetzung einer solchen Politik
auf Dauer nach oben gehen. Schlechte Beispiele ziehen
Nachahmer nach sich.
Als sich die Kollegin von den Grünen vorhin deutlich
distanziert und die Frage gestellt hat, warum Sie eigentlich keinen Weg gemeinsam mit der Kommission gesucht haben, habe ich sehr genau zugehört.
({7})
Ich frage auch die Grünen und den Bundesaußenminister: Was halten Sie von einer „Sparpolitik“,
({8})
bei der der Bundeskanzler auf dem Steinkohletag mitteilt, dass bis zum Jahr 2012 15,8 Milliarden Euro an
Steinkohlesubventionen zur Verfügung gestellt werden?
({9})
Bedeutet das, dass sich der Kanzler als Kumpel der
Kumpel mit Blick auf die nordrhein-westfälischen Wahlen profilieren will? Wenn er irgendwann einmal einen
ordnungspolitischen Grundsatz gehabt hat,
({10})
dann hätte er auch diesen über Bord geworfen.
Was müssen eigentlich die Grünen davon halten? Ich
lese in der gestrigen Entschließung des Arbeitskreises
Umwelt und Energie den Satz: Es ist angesichts der fehlenden Mittel in den Bereichen Bildung und Forschung
nicht zu rechtfertigen, einen dauerhaften Steinkohlesockel zu finanzieren.
Die nordrhein-westfälische CDU war - anders als andere - so mutig,
({11})
vorzuschlagen, dass man bereits 2010 die Förderung auf
13 Millionen Tonnen reduzieren solle. Der Bundeskanzler hingegen spricht für 2012 noch von einer Förderung
von 16 Millionen Tonnen. Wir reden hier über
5 Milliarden Euro Unterschied in der Unterstützung des
Abbaus der Kohleförderung. Aber müssen sich die Grünen nicht vorgeführt vorkommen, wenn der Bundeskanzler ohne Absprache eine solche Subventionssumme
in den Raum stellt? Wie können Sie, Herr Eichel, hier
noch von Subventionsabbau reden, wenn Sie diese Entscheidung des Bundeskanzlers querzeichnen? Das ist das
Gegenteil von Sparpolitik. Das ist keine vernünftige und
zukunftsorientierte Stabilitätspolitik.
({12})
Sie sagen zu Recht ein paar freundliche Worte in
Richtung der weit gehenden Vorschläge der CDU/CSUBundestagsfraktion bzw. des Kollegen Friedrich Merz
zur Steuerreform und zur Steuervereinfachung. Aber
bisher tun Sie doch nichts Konkretes, um einen solchen
Weg zu befördern. Wie dringend notwendig er ist, weiß
jeder hier in diesem Haus, der irgendwann einmal ein
mittelständisches Unternehmen von innen gesehen hat.
Ich will Ihnen von einem Beispiel aus diesen Tagen
berichten. Es geht um einen großen mittelständischen
Maschinenbauer mit Betrieben in der Schweiz und der
Zentrale - Gott sei Dank in Baden-Württemberg - in
Deutschland. Dieser sagte mir: Das Steuerrecht in
Deutschland ist inzwischen so kompliziert, dass die
Steuerprüfung in der Konzernzentrale in Deutschland
ein Jahr und drei Monate, die Steuerprüfung in seinen
ebenfalls sehr großen Betrieben in der Schweiz wenige
Stunden gedauert hat.
({13})
Das Steuerrecht in Deutschland umfasst
95 000 Verwaltungsvorschriften und 100 Gesetze. Der
einzig mögliche Weg für jemanden, der das Wort Reform zu Recht im Munde führt, ist der große Befreiungsschlag. Sagen Sie doch Ja zu den Vorschlägen von
Friedrich Merz und taktieren Sie nicht weiter herum!
Das ist der einzige Weg für einen stärkeren Wachstumsimpuls und ein neues Steuerrecht in Deutschland in der
Zukunft.
({14})
Nehmen Sie doch unsere Vorschläge zur Arbeitsmarktreform auf. Sie liegen als Gesetzentwurf vor. Bekennen Sie sich zu der Gestaltungsfreiheit betrieblicher
Bündnisse für Arbeit. Bekennen Sie sich zu einer Flexibilisierung im Kündigungsschutz. Solche wirtschaftspolitischen Reformen sind dringend geboten.
({15})
Bekennen Sie sich auch zu einer Flexibilisierung der
Arbeitszeiten, was Veränderungen im Tarifvertragsrecht
bedeutet.
({16})
Schauen wir uns doch in Europa um, wie die Jahresarbeitszeiten in den Betrieben aussehen. Gehen Sie in einen mittelständischen Betrieb und vergleichen Sie zwei
sozial entwickelte Länder wie die Schweiz und Deutschland.
({17})
Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in der Schweiz
liegt heute bei 1 800 bis 1 850 Stunden, in Deutschland
bei 1 500 bis 1 550 Stunden.
({18})
Ich sage nicht, dass der Durchschnitt in allen Ländern
gleich hoch sein muss. Aber eines muss doch jeder kapieren, der ökonomischen Verstand hat: Ohne mehr Flexibilität, die auch Mehrarbeit ermöglicht und die auch
etwas weniger Urlaub ermöglicht, kommen wir nicht auf
einen grünen Zweig. Solche Reformen sind dringend nötig, wenn wir in Deutschland wirtschaftspolitisch vorankommen und wieder Wachstum schaffen wollen.
({19})
Herr Eichel, Sie werden vielleicht noch eine Weile
lang vor sich hin taktieren können; aber der Schaden für
unser Land und, wie wir heute auch gesehen haben, für
Europa ist verhängnisvoll.
({20})
Deswegen prognostiziere ich Ihnen eines: Sie werden im
Jahre 2004 genauso bittere Wahlniederlagen erleben wie
im Jahre 2003, weil den Bürgern nichts mehr vorgemacht werden kann. Der Rekordverschuldungsminister
steht für die Politik der ganzen Regierung. Dieser Minister Eichel, der die europäische Stabilitätskultur verletzt,
steht - leider - für die europaskeptische Politik auch des
Bundeskanzlers. Beides hat keine Zukunft. Ändern Sie
etwas, solange Sie noch Zeit haben!
({21})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Hermenau,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Wissmann, mit der Frage der Steuerreform
haben Sie ein gutes Thema aufgerissen. Sie hätten eine
echte Steuerreform haben können. Eine Steuervereinfachung besteht zum Beispiel darin, dass man bestimmte
Vergünstigungen streicht. Die Debatte darüber haben wir
im Januar dieses Jahres angestrengt. Wir haben ein ganzes Jahr verloren, bis Herr Merz Ihren Fehler wieder
ausgebügelt hat, indem er selber einen Vorschlag unterbreitet hat, Steuervergünstigungen abzubauen - und
zwar restlos. Wenn Sie selber sagen, Steuervereinfachung wäre das Wichtigste, was jetzt geschehen soll,
dann hätten Sie, die CDU/CSU, uns im Januar unterstützen können. Diese Möglichkeit hatten Sie; Sie haben sie
verstreichen lassen.
({0})
Mit den Vorschlägen von Koch und Steinbrück haben
Sie statt des Rasenmähers jetzt die Nagelschere im
Dschungel der Subventionen angeboten. Sie haben jede
einzelne Subvention stehen lassen - die Subventionen
füllen einen dicken Hefter - und nehmen von jeder Subvention 4 Prozent herunter. Das bringt Sie natürlich auch
nicht voran, wenn Sie wirklich Steuervereinfachung zum
Ziel haben.
({1})
Steuervereinfachung haben Sie aber offensichtlich
nicht zum Ziel, sonst hätten Sie ganz andere Vorschläge
gemacht. Aber wir haben ja im Vermittlungsausschuss
noch Möglichkeit und Zeit, über diese Fragen zu diskutieren.
({2})
Eine Frage ist heute ganz wichtig - sie ist mit der
Haushaltsdebatte schicksalhaft verbunden, da gebe ich
zum Beispiel Herrn Rexrodt Recht -: Was haben wir
bzw. was hat Herr Eichel eigentlich gestern und heute erreicht, auch für Deutschland? Diese Frage versuchen wir
hier gemeinsam zu bewerten und zu beantworten. Ich
teile die Auffassung, dass wir vielleicht einen hohen
Preis zahlen müssen - da soll man sich nicht vertun. Der
hohe Preis wird sein, dass in den nächsten Jahren - unabhängig davon, ob irgendwelche Wahlen stattfinden
oder nicht - weitere Reformpakete und Sparpakete geschnürt werden müssen;
({3})
denn es ist ganz offensichtlich, dass der Reformprozess
inzwischen unumkehrbar geworden ist. Wäre dem nicht
so, dann hätten es die anderen europäischen Finanzminister Herrn Eichel und Herrn Francis Mer nicht durchgehen lassen, zu sagen: Gebt uns noch einmal einen Aufschub. Mehr als ein Aufschub ist es nicht. In einem
halben Jahr kann neu entschieden werden; das weiß auch
jeder. Wir haben die Möglichkeit, unseren Reformen
eine Chance zu geben. Das sollten Sie ernst nehmen.
Wenn Finanzminister aus anderen Ländern, die ihre eigenen Erfahrungen damit haben, wie Reformen funktionieren oder nicht funktionieren, mehrheitlich der Meinung sind, dass man den Reformen der Bundesrepublik
Deutschland eine Chance geben sollte, weil sie wahrscheinlich zielführend sind, dann sollten Sie sich hier
nicht als die Hüter einer theoretischen Idee aufführen.
Sie sollten vielmehr versuchen, den Praxistest mit uns
gemeinsam zu bestehen. Auch dazu haben Sie im Vermittlungsverfahren die Möglichkeit.
({4})
Es ist interessant, dass in den Ecofin-Vorlagen steht - das
kann man nachlesen -, dass das größte Haushaltsrisiko
darin besteht, dass man das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens noch nicht einschätzen könne, da es noch in
der Diskussion sei und noch vom Bundesrat abhänge.
Sie müssten zumindest dem Volumen - wenn Sie mit
einzelnen Maßnahmen nicht einverstanden sind, können
Sie andere Vorschläge bringen - des Reform- und Sparpakets der Bundesregierung zustimmen. Das ist das
Mindeste, was kommen muss. Aber Sie wollen eigentlich gar nicht, dass wir mit dem Bundeshaushalt unsere
Vorschläge im Detail öffentlich bekannt machen. Sie
wollen gleich in das Vermittlungsverfahren abtauchen
und alles klammheimlich hinter verschlossenen Türen
beraten, damit am Ende keiner als derjenige dingfest gemacht werden kann, der für einen bestimmten Vorschlag
steht, der im Kompromiss zutage tritt. Es ist klar, dass
Sie nicht erwischt werden wollen, wenn Ihre Vorschläge
zum Beispiel darin bestehen, alle ABM zu streichen.
({5})
Das kann ich gut verstehen, aber Abtauchen gilt nicht.
({6})
Das ist genau der Punkt, den Herr Eichel klargestellt
hat, als er sagte, dass Art. 104 Abs. 9 des EG-Vertrages
nicht heißt, Brüssel die Haushaltshoheit zu übertragen.
Damit wir in diesem Punkt Klarheit haben. Es wäre für
manchen Ministerpräsidenten schön gewesen, zu sagen,
Brüssel habe Auflagen gemacht, Hans Eichel sei schuld,
deshalb müssten die Auflagen erfüllt werden und es tue
ihnen Leid, den Menschen wehtun zu müssen, aber die
Entscheidung träfen nicht sie. Wie kann man denn als
Ministerpräsident haushaltspolitische Entscheidungen an
Brüssel delegieren und der Meinung sein, so könne man
Politik gestalten? Sie haben im Bundesrat so viel Macht.
Nutzen Sie sie doch endlich!
({7})
- Das werden wir sehen.
Ich gehe davon aus, dass Sie in den letzten
24 Stunden einen Strategiewechsel vollzogen haben.
Sie haben bis gestern einen Konfrontationskurs verfolgt,
weil Sie darauf hofften, dass Brüssel der Koalition bei
diesem Bundeshaushalt gravierende Steine in den Weg
legen würde.
({8})
Diese Strategie ist gestern geplatzt. Jetzt kommt Plan B.
Jetzt werden diejenigen in der CDU/CSU nach vorne treten, die schon immer gesagt haben, die Union müsse ein
bisschen mehr kooperieren. Genau das wird ab morgen
beginnen. Wir werden die Elefantenrunde erleben, wir
werden weitere Ergebnisse im Vermittlungsausschuss
sehen und dann müssen Sie doch die Eigenheimzulage
ganz opfern. Wahrscheinlich wird das so sein.
({9})
Sie können sich doch nicht als Hüter des Stabilitätspaktes aufspielen,
({10})
sind aber nicht einmal in der Lage, Vorschläge zu machen, die dieselbe Summe ergeben, die unsere Vorschläge erbracht haben. Wenn Sie das nicht können,
dann sollten Sie den Mund nicht so weit aufsperren.
({11})
Inzwischen haben wir in Deutschland die Phase erreicht, in der die konkreten Vorschläge auf den Tisch gelegt werden müssen, weil die Lernprozesse in den Parteien stattgefunden haben. Wenn ein solcher Lernprozess
bei Ihnen nicht stattgefunden hat und das Ihre taktische
Unruhe begründet, dann ist das Ihr Problem. Wenn er
doch stattgefunden hat, dann ist es an der Zeit, dass Sie
Vorschläge liefern. Ihre Taktik ist nicht aufgegangen.
({12})
Schauen Sie sich doch Europa an. Jean-Claude
Juncker steht wirklich nicht in Verdacht, Rot-Grün nach
dem Munde zu reden. Dasselbe gilt für die französische
Regierung. Auch die gehört nicht zum rot-grünen Milieu. Das wissen wir alles. Herr von Weizsäcker, der zumindest theoretisch Ihrer Partei angehört, hat heute deutlich im Fernsehen gesagt, es wäre ihm wichtig, dass ganz
mutige Entscheidungen für Reformschritte getroffen
werden. Machen Sie doch endlich einmal! Wollen Sie im
Prinzip Recht behalten oder wollen Sie in der Sache erfolgreich sein?
({13})
Die Börse war heute unbeeindruckt, der Eurokurs hat
auch nicht großartig nachgegeben. Das Einzige, was mit
einem gewissen nationalen Tremolo in der Stimme über
das Fernsehen waberte, waren irgendwelche Unionspolitiker, die meinten, das Abendland gehe zugrunde. Offensichtlich hat das die Börse nicht gehört. Herr Tremonti,
der Finanzminister Italiens, ist jetzt mit seinem, wie ich
finde, irrwitzigen Versuch unterwegs, den Investitionsbegriff neu zu definieren, einige Sachen herauszurechnen und damit eine kreative Haushaltsführung zu machen.
({14})
Es ist ein Erfolg von Hans Eichel, dass er es geschafft
hat, Francis Mer, den französischen Finanzminister, davon zu überzeugen, das Verfahren jetzt nur einzufrieren
und nicht zu versuchen, an den Regeln herumzufummeln. Ich halte das für einen Erfolg. Die Gefahr lag doch
ganz woanders.
({15})
Heute ist schon einmal Herr Köhler vom Internationalen Währungsfonds bemüht worden. Man sollte sich der
Debatte stellen, ob man wirklich nur rein quantitativ
konsolidieren, also nur die Summen reduzieren will,
oder ob man nicht qualitativ konsolidieren, also Strukturen verändern will. Die beste Garantie, dass es auf Dauer
ein Abschmelzen der Ausgaben gibt, ist der Subventionsabbau, weil die Wirkungen über Jahre hinweg eintreten,
({16})
und zwar mit jedem Jahr stärker. Das hat wirklich nachhaltige Effekte. Sie sind herzlich eingeladen, sich am
Subventionsabbau stärker als bisher zu beteiligen. Über
die Nagelschere aus dem Koch/Steinbrück-Konzept
habe ich mich schon ausgelassen. Es ist nach unserer
Auffassung wirklich zu wenig, was dort vorgeschlagen
worden ist.
({17})
Wir haben verstärkt immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen.
Man kann natürlich behaupten, der Stabilitäts- und
Wachstumspakt sei in Gefahr. Wer sich aber ein bisschen
mit der Materie auskennt, dem ist klar: Solange nicht die
meisten bzw. fast alle Mitgliedstaaten der Europäischen
Union ausbalancierte Budgets aufweisen, wird es keine
Mehrheit für eine gravierende Änderung des Stabilitätsund Wachstumspakts geben. Das halte ich auch für richtig.
({18})
Deswegen ist einer gewissen Ratlosigkeit in der Frage,
was aus der Situation der vergangenen zwei Jahre für das
Wirtschaftswachstum der Europäischen Union zu lernen
ist, für einige Monate ein Abwarten gefolgt, um zu erkennen, ob die für Deutschland vorgeschlagenen Reformen Hand und Fuß haben. Ich gehe davon aus, dass das
der Fall ist. Denn es hat durchaus ein Sinneswandel stattgefunden.
Die Akzeptanz der Strukturreformen als vernünftiges
Instrument der Haushaltskonsolidierung, das über Jahre
hinweg funktioniert, ist im rot-grünen Milieu vorhanden.
Anderenfalls wäre es nicht zu den Entscheidungen gekommen, die in den vergangenen Wochen mit rot-grüner
Mehrheit getroffen worden sind.
({19})
Das heißt für mich, das Hans Eichel Recht hatte, sich
nicht dem Defizitverfahren und dem Zwang aus Brüssel
zu unterwerfen, sondern dafür zu sorgen, dass jede Partei
in diesem Land zu ihrer Verantwortung steht.
({20})
An der Begrenzung der Risiken müssen wir gemeinsam arbeiten, Herr Austermann. Aber dazu werden Sie
sicherlich irgendwann einmal die von Ihnen schon so
lange versprochenen knallharten Sparvorschläge vorlegen.
({21})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael
Meister.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf
aus dem Gutachten der fünf Weisen zitieren:
Im Bereich der Steuerpolitik bestehen gegenwärtig
erhebliche Defizite.
- Zurzeit regiert nicht die Union! Das deutsche Einkommensteuerrecht wird zunehmend als chaotisch wahrgenommen.
({0})
Steuerpolitische Einzelmaßnahmen fügen sich nicht
in eine erkennbare Systematik ein.
Frau Hermenau, das ist die Antwort auf die von Ihnen
gestellte Frage. Sie haben zu Jahresbeginn ein Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgelegt, das keinerlei steuersystematischen Ansatz aufgewiesen
({1})
und ein reines Chaos produziert hat.
({2})
Dass es in Deutschland kein Wachstum gibt, liegt
doch daran, dass sich kein Investor in Deutschland auf
verlässliche Rahmenbedingungen verlassen kann.
({3})
Wenn Sie heute in Deutschland einen potenziellen Investor fragen, welche Rahmenbedingungen im Jahr 2004
gelten werden, dann stellen Sie fest, dass Ihnen das bis
hin zum Bundesfinanzminister kein Mensch beantworten kann.
({4})
- Nein, nicht weil wir blockieren, sondern weil der Bundesfinanzminister über kein steuerpolitisches Leitbild
verfügt. Er hat jeden Tag eine neue Idee, verfolgt jeden
Tag einen neuen Ansatz und erzeugt damit ein völliges
Chaos.
({5})
- Lieber Herr Schöler, das ist der Unterschied, den Sie
ansprechen. Was die von Ihnen eingeforderten Vorschläge angeht,
({6})
kann ich Ihnen versichern: Wir haben entsprechende
Vorschläge und wir haben ein Leitbild.
({7})
Vor kurzem hat der Kollege Merz zehn Thesen zur
Steuerpolitik vorgelegt, die deutlich machen, wie ein
modernes Einkommensteuerrecht einfach, transparent
und verlässlich gestaltet werden kann.
({8})
Mit einem solchen Konzept können wir am Standort
Deutschland wieder Vertrauen und Investitionssicherheit
schaffen.
Sie können gerne nach dem Konzept verlangen. Es
liegt bereits vor. Ich biete Ihnen an, dieses Konzept anzunehmen. Machen Sie mit und realisieren Sie es! Dann
gibt es in der deutschen Steuerpolitik endlich wieder
eine Orientierung!
({9})
Die Tragik des Bundesfinanzministers, die der Kollege Wissmann eben angesprochen hat, liegt nicht darin,
dass ihm die Opposition nicht folgt, wie Sie es in Ihrem
Zwischenruf festgestellt haben. Sie liegt vielmehr darin,
dass seine Koalition und sein Kabinett ihm nicht folgen.
Nehmen wir das Beispiel Tabaksteuer. Wer hat denn den
Gesetzentwurf diktiert? - Das war Frau Ministerin
Schmidt. Nach meiner Kenntnis ist sie aber nicht Finanzministerin, sondern Gesundheitsministerin.
Nehmen wir das Beispiel Gemeindefinanzen. Dazu
hat der Bundesfinanzminister einen Entwurf in das Parlament eingebracht, den Sie als Koalitionsfraktionen
nicht mitgetragen haben. Etwas so Abstruses, dass eine
Regierung einen Gesetzentwurf einbringt, der von den
Koalitionsfraktionen nicht unterstützt wird, haben wir
noch nie erlebt. Das heißt, nicht die Opposition verhindert Ihre Vorhaben, sondern Sie gewähren Ihrem Finanzminister nicht das notwendige Vertrauen.
({10})
Die Tatsache, dass die Koalition kein Vertrauen zu ihrem Finanzminister hat, führt dazu, dass die Finanzpolitik sprunghaft und unsystematisch ist und an Glaubwürdigkeit einbüßt.
Meine Damen und Herren, gehen wir einen Schritt
weiter: Sie reden von Wachstum. Ich stimme dem ausdrücklich zu. Wachstum ist die notwendige Voraussetzung zur Konsolidierung unserer Haushalte. Aber zu
diesem Wachstum gehören erstens ein klares System,
also eine klare Zielvorstellung, zweitens Vertrauen der
Menschen, sodass sie bereit sind, zu konsumieren und zu
investieren, und drittens die Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen auch gern in diesem Land investiert und gearbeitet wird. Schauen Sie sich bitte einmal
an, welche Rahmenbedingungen Sie für Arbeitsplätze
und Unternehmen schaffen.
Erstens. Die von Ihnen vorgeschlagene Mindeststeuer
stellt für jeden ausländischen Investor ein Stoppsignal
dar, das für ihn bedeutet, nicht mehr in Deutschland zu
investieren. Mit einer Mindeststeuer bekommen Sie
doch keinen ausländischen Investor an diesen Standort.
({11})
Zweitens. Bei der Gemeindefinanzreform gehen Sie
in eine Substanzbesteuerung hinein. Jedem Mittelständler, der jetzt dringend Kapital benötigt, um den anstehenden Wirtschaftsaufschwung, von dem Sie reden, zu
finanzieren, nehmen Sie von diesem dringend notwendigen Kapital ertragsunabhängig etwas weg. Das ist ein
vollkommen falsches Signal. Es wäre fatal, wenn der
Steuergesetzgeber denen in die Kasse griffe, die jetzt
Kapital brauchen.
Drittens. Auf jedes Problem, das in Deutschland auftaucht, antworten Sie mit einer neuen Abgabe oder
Steuer:
({12})
Als Beispiele nenne ich das Dosenpfand und die Ausbildungsplatzabgabe, Frau Eichstädt-Bohlig. Oder die Koalition schlägt vor, Steuern und Abgaben zu erhöhen; als
Beispiele nenne ich hier die Versicherungsteuer und die
Tabaksteuer. Mit einem solchen Ansatz bekommen Sie
bei uns kein fundiertes Wachstum zustande.
({13})
Es zerstört Wachstum, wenn die Menschen wissen, dass
sie, egal was sie tun, höher besteuert und mit höheren
Abgaben belastet werden.
({14})
Im Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen können Sie
auf Seite 477 lesen:
Tatsache ist, dass der Standort Deutschland steuerlich im Jahr 2003 unattraktiver ist als 2001.
Zwischen 2001 und 2003 war Herr Eichel Bundesfinanzminister; er hat mit seiner Politik dafür gesorgt, dass der
Standort Deutschland unattraktiver geworden ist.
({15})
Ich habe eben die Gemeindefinanzreform angesprochen; dazu mache ich noch einige weitere Bemerkungen.
Realisierten wir Ihre glorreichen Gesetze, die jetzt im
Vermittlungsausschuss beraten werden, dann hätten die
Gemeinden - so wird angekündigt - im nächsten Jahr
2 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Wenn sie aber einmal durchrechnen, was tatsächlich herauskäme, wenn all
diese Gesetze realisiert würden, dann werden die
Gemeinden feststellen, dass sie im Januar 2004
2,2 Milliarden Euro weniger in der Kasse hätten. Auch
dies ist ein Kennzeichen Ihrer Politik: Die Etikette der
Pakete, die Sie verschicken, stimmen nicht mit dem Inhalt überein.
({16})
- Herr Schöler, deshalb glaubt Ihnen niemand mehr und
es ist kein Vertrauen vorhanden. - Wenn Sie den Gemeinden weiter in die Kasse greifen und ihnen im nächsten Jahr noch einmal 2 Milliarden Euro wegnehmen,
dann wird auch dort nichts in die kommunale Infrastruktur investiert. Dafür tragen Sie mit Ihrer Politik Verantwortung. Sie entziehen den Kommunen das Geld, das sie
zur Finanzierung der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen brauchen.
({17})
Meine Damen und Herren, wir haben einen Ansatz
aufgezeigt, der nicht nur - Sie haben es angesprochen den Weg über die Verbesserung der Einnahmenseite
geht.
({18})
- Die Union, Herr Kollege Tauss. Hören Sie zu, Sie werden schlau dabei!
({19})
In unserem Sofortprogramm haben wir angeboten,
auch die Ausgabenseite zu betrachten. Deswegen führen
wir auch nicht nur die Worte Konsolidierung und Wachstum, sondern auch den Begriff Staatsquote im Mund.
({20})
Unser Sofortprogramm beinhaltet vier Vorschläge, die
auf der Ausgabenseite wirksam werden: Jugendhilfe,
Eingliederungshilfe, Grundsicherung und die Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe. All diese
Maßnahmen werden auf der Ausgabenseite wirksam. Sie
aber haben nicht den Mut, an die Ausgabenseite heranzugehen.
({21})
Da der Bundesfinanzminister vorhin den hessischen
oder den niedersächsischen Ministerpräsidenten genannt
hat, weise ich darauf hin, dass sie Mut haben und bereit
sind, auf der Ausgabenseite zu sparen. Sie jedoch führen
die Menschen an, die gegen die Ausgabensenkungen demonstrieren. Eine solche Doppelzüngigkeit legen Sie an
den Tag.
({22})
Frau Kollegin Hajduk, die jetzt leider nicht mehr anwesend ist, hat vorhin gesagt, der Bundeshaushalt sei in
Schieflage, weil ein großer Teil des Bundeshaushalts in
die Rentenversicherung gehe. Diese Beschreibung ist
zutreffend. Aber er ist so groß, weil 1999 eine Ökosteuer
eingeführt worden ist, die massiv Geld in den Bundeshaushalt leitet, das zum Teil an die Rentenversicherung
weitergegeben wird. Dies führt zu der jetzigen Schieflage im Bundeshaushalt; denn es fließt zu viel Geld aus
dem Bundeshaushalt in die Rentenversicherung. Hätten
Sie den Unsinn mit der Ökosteuer gelassen, dann hätten
Sie heute keine Schieflage im Bundeshaushalt.
({23})
Sie loben sich ständig für Ihre Konsolidierungsbemühungen. Aber Sie blenden dabei aus, dass es zwischen
Ihrer Regierungsübernahme und dem Amtsantritt von
Hans Eichel noch eine kleine Zeitdifferenz gab. In diesem Zeitraum wurden die Ausgaben des Bundeshaushaltes um 25 Milliarden DM angehoben, und zwar nicht
einmalig, sondern Jahr für Jahr. Die Probleme, mit denen
wir heute kämpfen, hat Rot-Grün also nicht erst unter
Hans Eichel, sondern schon unter Lafontaine verursacht.
Darunter leiden wir heute, wenn es um Konsolidierung
geht.
({24})
Nun reden Sie über Subventionsabbau. Auch wir tun
das. Wir wollen, wie gesagt, mit dem Koch/SteinbrückKonzept konstruktiv umgehen. Aber wir werden nicht
zum Ziel kommen, wenn wir in Deutschland schneller
neue Subventionstatbestände schaffen, als wir alte abbauen. Der Bundeskanzler hat zugesagt - dieses Thema
ist schon erörtert worden -, für die Steinkohlesubventionierung 5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Wie
schwer ist es, Subventionen in einer Größenordnung von
5 Milliarden Euro abzubauen, die hier mit einem einzigen Federstrich zugestanden worden sind! Ein weiteres
Beispiel ist die Förderung der erneuerbaren Energien,
über die gerade diskutiert wird. Die entsprechenden Mittel sind zwar nicht im Bundeshaushalt eingestellt. Aber
den Menschen in unserem Land wird eine Förderung
über Subventionen zugemutet. All das verkaufen Sie
aber als Subventionsabbau. Wo sind wir denn? Ziehen
Sie sich lieber zu Beratungen zurück und denken Sie
darüber nach, was Sie tun wollen. Dann können wir weiter diskutieren.
Ich komme noch einmal zurück auf das Thema Steinkohlesubventionen. Herr Finanzminister, Sie haben vorhin gelobt, dass die Steinkohlesubventionen zurückgeführt werden. Aber warum werden die Subventionen
zurückgeführt? Sie werden zurückgeführt, weil es unter
der Regierung Kohl einen Kompromiss gab, der die Degression der Steinkohlesubventionen festgelegt hat. Davon profitieren Sie noch heute. Übrigens, der damalige
Vorsitzende der SPD, Oskar Lafontaine, hat die Kumpel
auf die Straße geführt, um gegen den Steinkohlesubventionsabbau zu demonstrieren. 200 000 Kumpel waren
damals in Bonn, um gegen eine Politik zu demonstrieren, für die Sie sich nun loben lassen. Wir haben diesen
Kompromiss durchgesetzt und Sie wollen das Lob dafür
einheimsen, obwohl Sie damals versucht haben, das Zustandekommen dieses Kompromisses zu verhindern.
({25})
- Lieber Herr Schöler, ich habe bei den damaligen Demonstrationen in Bonn selber erlebt, wie Herr Lafontaine
aus rein parteipolitischem Interesse die Kumpel angeheizt und Stimmung gegen das Ziel gemacht hat, den
Staatshaushalt durch den Abbau von Subventionen zu
konsolidieren. Dass der Subventionsabbau gelungen ist,
können Sie nicht als Erfolg für sich in Anspruch nehmen.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Maastrichter
Vertrag machen. Ich hätte mich gefreut, wenn der Bundesfinanzminister heute gesagt hätte: Ich habe in Brüssel
glaubwürdig vermittelt, dass wir die Auflagen der EUKommission erfüllen werden, und wir sollten im Rahmen der Beratungen über den Haushaltsentwurf 2004
darüber nachdenken, wie wir die zusätzlichen Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt realisieren können. Das wären zwei Botschaften gewesen - Akzeptanz der Sparauflagen aus Brüssel und des Maastricht-Vertrages sowie
eine gemeinsame Anstrengung, um den Auflagen gerecht zu werden -, über die ich mich gefreut hätte.
({26})
Leider ist es so nicht gekommen. Wir haben einen
enttäuschenden Bericht aus Brüssel bekommen. Ich
möchte nur daran erinnern, dass Herr Eichel bei seinem
Amtsantritt einen ausgeglichenen Haushalt für 2004
angekündigt hat. Nun wird stattdessen die Diskussion
darüber begonnen, dass eine Nettoneuverschuldung von
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht ausreicht. Wie
gesagt, eigentlich hätte Herr Eichel dafür sorgen müssen,
dass das Defizit 2004 bei null liegt, und zwar nicht nach
unserer, sondern nach seiner eigenen Vorgabe. Das ist
die Latte, mit der wir messen. Wir haben auch ein Angebot gemacht, damit die Vorgabe eingehalten werden
kann. Wir haben Ihnen im April 2003 gesagt, dass wir
einen Nachtragshaushalt wollen und dass wir bereit sind,
im Rahmen eines Haushaltssicherungsgesetzes Sparmaßnahmen einzuleiten. Wer sich verweigert hat, war
nicht die Opposition, sondern waren die Koalitionsfraktionen, die dies im Haushalts- und im Finanzausschuss
abgelehnt haben. Das ist die Wahrheit.
({27})
Ich möchte das betonen, was der Kollege Wissmann
vorhin gesagt hat. Wenn Sie im Frühjahr 2002 den
blauen Brief aus Brüssel und jetzt die Sparauflagen der
EU-Kommission akzeptiert hätten, dann wäre Ihre Position als Bundesfinanzminister, Herr Eichel, viel stärker.
Aber Sie haben versucht, den blauen Brief abzuwehren
und die Sparauflagen der EU-Kommission zurückzuweisen. Sie sollten tatsächlich versuchen, Partner für eine
Konsolidierung im richtigen Sinne zu finden, und Sie
sollten nicht versuchen, diese Konsolidierung zu bekämpfen.
Herr Eichel hat hier vorhin sehr interessant vorgetragen.
({28})
Er hat uns einerseits erklärt, Herr Tauss, dass es im Jahr
2004 einen Aufschwung gibt. Die Bundesregierung geht
von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent aus.
({29})
- Richtig. - In derselben Rede hat er uns andererseits gesagt, er wolle auf Art. 115 des Grundgesetzes - Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - zurückgreifen. Was gilt denn nun? Ist das gesamtwirtschaftliche
Gleichgewicht gestört oder tritt das von Ihnen prognostizierte Wirtschaftswachstum ein? Welche der beiden Annahmen trifft zu? Sind etwa beide nicht zutreffend?
Herr Eichel, Sie fahren nach Brüssel und legen Ihren
Kollegen einen Brief vor - Sie haben ihn uns gestern im
Ausschuss dankenswerterweise vorgelegt -, in dem Sie
den Aufschwung infrage stellen und behaupten, in
Deutschland herrsche noch Stagnation. Auch hierbei
muss man sich die Frage stellen: Vertreten Sie in Brüssel
andere Positionen als im Inland? Das müssen Sie dringend klären, damit wir wissen, was überhaupt Ihre Position ist. Herr Bundesfinanzminister, Sie können nicht in
einer Rede zwei Positionen gleichzeitig vertreten.
({30})
Es bereitet mir Sorgen, dass Sie mit dem, was Sie im
Frühjahr letzten Jahres und zuletzt geleistet haben, das
Fundament unserer Währung dauerhaft zerstören. Das
Erbe der D-Mark - wir wollten, dass der Euro so stabil
wie die D-Mark ist - wird von Ihnen mit vollem Bewusstsein und mit voller Absicht zerstört. Völkerrechtliche Verträge werden gebrochen. Sie verstoßen bewusst
gegen den Geist des Vertrages von Maastricht. Mit juristischen Winkelzügen und advokatischen Überlegungen
versuchen Sie, sich aus der Affäre zu ziehen. Herr
Eichel, Sie sind nicht der Spitzenjurist, für den Sie sich
hier am Rednerpult ausgegeben haben. Sie sollten versuchen, den Geist des Vertrages von Maastricht zu bewahren. Darauf haben Sie Ihren Amtseid abgelegt und dafür
wurden Sie gewählt.
({31})
Frau Hermenau hat gefragt, warum wir im Vermittlungsausschuss bei der Konsolidierung in solch einer Zeitnot
sind. Frau Hermenau, ich will Ihnen darauf eine Antwort
geben: Nach der Bundestagswahl im letzten Jahr haben
wir erlebt, dass die Bundesregierung neun Monate lang
nichts getan hat. Sie mussten erst einmal Ihre Positionen
klären und den Parteitag der SPD im Juni sowie den Parteitag der Grünen im Juni abwarten, weil Sie vorher
nicht handlungsfähig waren.
({32})
Deswegen sind bis September dieses Jahres überhaupt
keine Reforminitiativen auf den Tisch gekommen. Wir
reden erst seit zwei Monaten über Reforminitiativen. Es
ist Ihr Versäumnis, dass Sie neun Monate nichts getan
haben. Sie können diesen Fehler jetzt nicht der Opposition anlasten. Diesen Schuh müssen Sie sich anziehen.
({33})
Ich hoffe, dass in dieser Debatte ein bisschen zugehört wird, dass Sie die eine oder andere Äußerung zum
Nachdenken bringt und dass wir vielleicht doch noch das
Ziel erreichen, das, was schon beschädigt worden ist, zu
reparieren. Wir müssen zum Geist von Maastricht zurückkehren und die Wertigkeit unserer Verfassung in Zukunft vielleicht doch etwas mehr in den Vordergrund
stellen, als es gegenwärtig der Fall ist.
Vielen Dank.
({34})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Europäische Ministerrat hat heute eine
sachgerechte, ökonomisch vernünftige und vertragskonforme Entscheidung getroffen.
({0})
Herr Minister Eichel, ich möchte Ihnen dafür danken;
denn Sie haben einen großen Anteil an dieser guten Entscheidung.
Einige Kollegen aus der Unionsfraktion hielten es für
angemessen, das Budgetrecht des Deutschen Bundestags
durch öffentliche Erklärungen von gestern und heute um
einer billigen Schlagzeile willen einzuschränken. Das
war nicht in Ordnung. Ich rate Ihnen: Wenn Sie nun
schon darauf verzichten wollen, auf Ihrem Bundesparteitag eine Patriotismusdebatte zu führen, dann reden Sie
darüber wenigstens einmal in Ihrem Fraktionsvorstand.
({1})
Warum war diese Entscheidung des Ministerrats sachgemäß und vertragskonform? Art. 104 des EG-Vertrages
verpflichtet den Rat, nach Prüfung der Gesamtlage zu
entscheiden. Das hat er getan. Prüfung der Gesamtlage
heißt: Der Rat muss das ökonomische Gesamtbild, den
Hintergrund, würdigen.
Dabei muss man als Erstes feststellen: Der Euro ist
eine Erfolgswährung.
({2})
Der Euro ist eine der härtesten Währungen überhaupt in
dieser Welt.
({3})
Die durchschnittliche Preissteigerungsrate aller Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion liegt bei
2 Prozent. Die niedrigste Preissteigerungsrate überhaupt
hat Deutschland mit 1 Prozent.
({4})
Der Außenwert des Euro, Herr Rexrodt, ist nicht nur gegenüber dem Dollar hoch, weil der Dollar derzeit schwach ist;
der Euro - das muss man genauso sehen - ist auch gegenüber dem britischen Pfund und dem Schweizer Franken
stabil.
Hier wurde über Inflationsgefahren im Zusammenhang mit dem Euro und mit der Entscheidung des EUMinisterrats gesprochen, eben zum Beispiel von Herrn
Dr. Meister. Das ist unsachgemäß, unverantwortlich und
unredlich. Sie wissen es besser, Herr Dr. Meister; Sie reden wider besseres Wissen.
({5})
Die Währung ist stabil. Die Stabilität ist nicht gefährdet.
Wenn es in Deutschland und in Europa insgesamt ein
Manko gibt, dann ist das
({6})
die Wachstumsschwäche, die wir in Deutschland
({7})
seit zehn Jahren zu beklagen haben, Herr Rexrodt.
({8})
Seit 1993 ist die Wachstumsrate in Deutschland im unteren Drittel der Wachstumsraten in der Europäischen Gemeinschaft.
({9})
Ich sage ja nicht, dass das damit zusammenhängt, dass
Sie 1993 Bundeswirtschaftsminister geworden sind.
({10})
Das war nicht Ihnen anzulasten.
({11})
Es ist eine strukturelle Schwäche, die wir überwinden
müssen. Wir gehen daran, und zwar mit den Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag bereits zur Agenda
2010 getroffen hat: Abbau von Verkrustungen, Reduzierung insbesondere der Lohnnebenkosten, mehr Dynamik
für unsere Volkswirtschaft.
Wir täten uns und auch unseren Nachbarn in Europa
keinen Gefallen, wenn wir den keimenden Aufschwung
mit einer Haushaltspolitik kaputtsparen wollten, die ein
Übermaß von Restriktion zum Inhalt hat. Es mag ja sein,
dass der eine oder andere von Ihnen den Aufschwung
nicht will, weil er Ihnen politisch nicht passt - leider hat
man den Eindruck -,
({12})
aber wir sind in der Verantwortung, wir werben dafür
und werden unsere Kraft dafür einsetzen, dass die deutsche Volkswirtschaft wieder zu Dynamik und Vollbeschäftigung zurückfindet.
({13})
Es entspricht im Übrigen auch dem nationalen Recht,
dass wir die Haushaltspolitik von Bund und Ländern am
gesamten magischen Viereck und nicht ausschließlich an
dem zurzeit überhaupt nicht gefährdeten Ziel der Preisstabilität ausrichten.
Bund und Länder sind gefordert. Bund und Länder sind
übrigens auch gegenüber Europa gefordert. Die Orientierung „nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
als Defizit der öffentlichen Haushalte“ bezieht sich auf den
Gesamtstaat, nicht allein auf den Bund. 3 Prozent sind bei
einem Bruttoinlandsprodukt in Deutschland von rund
2 100 Milliarden Euro gut 60 Milliarden Euro. Der Bund
hat in diesem Jahr - leider - ein Haushaltsdefizit von rund
43 Milliarden Euro. Das ist viel; wir beklagen das.
({14})
Das sind 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
({15})
Die Länder haben bisher - Stand: September - ein Defizit von 26 Milliarden Euro. Es ist so gut wie sicher, dass
sie am Ende dieses Jahres ein Gesamtdefizit von mehr als
30 Milliarden Euro haben werden. Das sind 1,5 Prozent
vom Bruttoinlandsprodukt. Reden Sie also nicht nur
über den Bund, sondern reden Sie über den Gesamtstaat!
({16})
Dazu gehören auch die Länder. Die dürfen sich nicht aus
ihrer Verantwortung stehlen. Gefragt ist hier der Gesamtstaat, unser föderatives Gemeinwesen.
({17})
Wir entfachen kein Strohfeuer.
({18})
Wir gehen an die strukturellen Ursachen heran, aber wir
werden nicht in den keimenden Aufschwung hinein eine
restriktive Haushaltspolitik betreiben.
({19})
Es wäre natürlich viel logischer gewesen, Herr Kollege Michelbach, wenn Sie im Laufe der letzten Monate
wenigstens ab und an einen Beitrag zur Konsolidierung
des Haushalts mitgetragen hätten, beispielsweise indem
Sie sich am Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen beteiligt hätten.
({20})
Wir, Bund, Länder und Gemeinden, könnten heute besser dastehen. Sie haben sich dem verweigert.
({21})
Der Kollege Merz arbeitet jetzt mit irgendwelchen Ankündigungen, aber es geht nicht darum, irgendwann eine
Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und die mittelständischen Unternehmen vorzunehmen, sondern sie muss jetzt kommen.
Das Kernstück des Haushaltsbegleitgesetzes, das der
Bundestag schon verabschiedet hat, ist die Senkung des
Lohn- und Einkommensteuertarifs ab 1. Januar 2004.
Ein lediger Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen
von 30 000 Euro brutto
({22})
wird nach diesem Tarif im nächsten Jahr 650 Euro weniger Steuern zahlen als in diesem Jahr und sogar
1 300 Euro weniger als 1998. Eine Familie mit einem
Einkommen von 37 000 Euro brutto wird im nächsten
Jahr überhaupt keine Steuern mehr zahlen, wenn man
das Kindergeld mit einbezieht. Das ist übrigens viel besser als das, was Herr Merz Ihnen ankündigt. Besagte Familie würde schlechter dastehen, wenn Herr Merz sich
mit seinen Vorschlägen durchsetzen könnte.
({23})
Ich erinnere daran: Als Sie noch regiert haben, betrug
der Spitzensteuersatz 53 Prozent und der Eingangssteuersatz 26 Prozent.
({24})
Der Eingangssteuersatz wird im nächsten Jahr 15 Prozent
und der Spitzensteuersatz 42 Prozent betragen.
({25})
Das heißt, auch die mittelständische Unternehmerschaft
hat Kraft zu Investitionen.
({26})
Letzte Bemerkung: Herr Michelbach, ich muss Ihnen
dennoch ein Kompliment machen.
Aber Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon überschritten. Ein Satz noch.
Der letzte Satz richtet sich an Herrn Michelbach: Sie
haben in Ihrem Beitrag das Kunststück fertig gebracht,
eine Kampfrede sowohl gegen Herrn Merz als auch gegen Herrn Koch und Herrn Stoiber zu halten, obwohl
doch jeder dieser drei Herren etwas anderes erzählt.
Herzlichen Glückwunsch!
Herr Kollege!
Ich wünsche mir trotzdem, dass die Union noch zu einer Linie findet, deren kleinster gemeinsamer Nenner
nicht bloß Blockade lautet.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin
Abgeordnete der PDS - auf diesen Satz warten Sie ja
immer, also soll er auch heute nicht fehlen.
Ich möchte Finanzminister Eichel in Schutz nehmen.
({0})
- Abwarten.
({1})
Er hat sich einem ökonomisch fragwürdigen Pakt widersetzt, und das war richtig. Dass sich Herr Waigel, CSU,
als Finanzminister der Regierung Kohl diese starren Regeln hatte einfallen lassen, sagt ja schon viel über seinen
unzureichenden ökonomischen Sachverstand aus.
({2})
Ich bin schon erstaunt, dass ich als Sozialistin Ihnen die
Marktwirtschaft erklären muss.
({3})
Dieser Pakt war nämlich nicht Ergebnis ökonomischen
Sachverstandes, sondern Ausdruck von Arroganz und
Überheblichkeit der CDU/CSU-FDP-Regierung, die
Angst hatte, die starke D-Mark gegen einen weichen
Euro einzutauschen. In all Ihren Reden haben Sie ja
heute fast in Form einer stehenden Redewendung das
Erbe der D-Mark beschworen.
Nun müssen Sie sich, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, schon die Mühe machen, den Bürgern zu
erklären, warum Ihre alte Argumentation - hohe Verschuldung gleich schwacher Euro - offensichtlich nicht
stimmt.
({4})
Ich glaube, es ist klar geworden, dass der Stabilitätspakt
in der Form, in der er bestand, tot ist und dass über einen
neuen Pakt verhandelt werden muss. Das 3-Prozent-Kriterium - das wissen Sie alle - war ja willkürlich gegriffen. Es hätte genauso ein 2,5-Prozent- oder ein 4,5-Prozent-Kriterium geben können.
({5})
Meine Damen und Herren, ich will das Lob für Herrn
Eichel nicht übertreiben
({6})
und möchte Ihnen begründen, warum wir den Haushalt
2004 ablehnen. Das wichtigste Argument lautet: Der
Haushalt der rot-grünen Regierung ist sozial ungerecht.
Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, wollen die
Steuern für die Reichen senken und sich die Steuerausfälle über Sparmaßnahmen bei den Arbeitslosen und
Sozialhilfeempfängern wieder hereinholen.
({7})
- Danke schön, Kollege Fricke, auch das gehört dazu,
ebenso die Rentensenkung.
Die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
sollen etwa 4,5 Milliarden Euro einbringen. Das entspricht in etwa dem Betrag, der den öffentlichen Haushalten durch die Senkung des Spitzensteuersatzes verloren geht. Die Arbeitslosen sollen also - um das noch
einmal klar zu formulieren - die Senkung des Spitzensteuersatzes bezahlen, und das unter Rot-Grün.
Meine Damen und Herren, der zweite Ablehnungsgrund ist für uns der Umgang der Bundesregierung und
der Regierungskoalition mit Ostdeutschland. Der
Haushalt 2004 ist auch ein Dokument zum Stand der
deutschen Einheit. Ich darf Sie nur an die Kürzung der
Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ erinnern. In einer Nachtund-Nebel-Aktion wurden den ostdeutschen Ländern im
Haushaltsausschuss 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe gestrichen
({8})
und es war kein Protest der Ostabgeordneten von CDU,
SPD, FDP und Grünen zu hören.
({9})
Wir haben, wie Sie wissen, im Osten die erschreckende Situation, dass die Länder gar nicht mehr in der
Lage sind, die Kofinanzierung für die Gemeinschaftsaufgabe aufzubringen.
({10})
Die Hilfe des Bundes kann gar nicht mehr ausgeschöpft
werden, weil die neuen Länder finanziell ausgeblutet
sind. Das heißt, nicht einmal die Hilfe zur Selbsthilfe
funktioniert noch.
Noch schlimmer trifft den Osten die Kürzung von
3 Milliarden Euro für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit. Herr Gerster ist
der Meinung, dass es keinen Sinn mache, einer „verlorenen Generation“ das Geld hinterherzuwerfen. Mit „verlorener Generation“ meint er die jetzt über 50-jährigen
Ostdeutschen. Das ist ein himmelschreiender Zynismus,
der hier gegeißelt gehört.
({11})
Wie wir nun erfahren haben, ist Herr Gerster aber
sehr gern bereit, das Geld einem Medienberater hinterherzuwerfen, Herrn Schiphorst. Ich kenne Herrn
Schiphorst schon als Medienbeauftragten von Herrn
Diepgen, CDU, damals Regierender Bürgermeister von
Berlin. Nach Diepgens Abgang war er leider eine Zeit
lang auch noch Medienbeauftragter von Herrn Wowereit.
({12})
Er arbeitete in Berlin als One-Dollar-Man. Es war nicht
einfach, ihn loszuwerden, aber letztendlich hatte man es
geschafft, Herr Austermann. Ich habe mir damals im
Medienausschuss des Abgeordnetenhauses sehr genau
die so genannte Konzeption von Herrn Schiphorst angehört und war sofort der Auffassung, dass diese Konzeption wirklich keinen Dollar und auch keinen Euro wert
ist. Wie man hört, ist die Konzeption, die er für die Bundesanstalt für Arbeit vorgelegt hat, ähnlich.
Jetzt ist also Herr Schiphorst bei Herrn Gerster gelandet und kassiert richtig viel Geld. Ich erwarte, dass Herr
Gerster den Vertrag mit Herrn Schiphorst im Haushaltsausschuss offen legt und uns die Konzeption vorstellt,
die über 1 Million Euro wert sein soll. Der Wirtschaftsausschuss scheint dafür aus nun bekannt gewordenen
Gründen nicht geeignet, war doch der Vorsitzende, Herr
Rainer Wend von der SPD, bis heute - heute ist er zurückgetreten - im Aufsichtsrat der WMP AG, der Firma,
die Herrn Schiphorst angeheuert hat.
({13})
Auf jeden Fall dürfte es eine gemütliche Ausschusssitzung werden.
Herr Müntefering hat gestern geäußert, dass solche
Verträge in Millionenhöhe heute üblich sind.
({14})
- Natürlich, da haben Sie Recht, auch Herr Rexrodt ist
da drin. Das ist alles ein Filz quer durch die Fraktionen
des Hauses. Das war ein guter Einwurf von Ihnen. Daran
kann man sehen, dass Sie alle sich da nicht viel nehmen.
({15})
Von den Grünen ist augenscheinlich keiner in diesem
Aufsichtsrat.
({16})
- Hier wird gerufen: „kommt noch“; aber - Herr
Ströbele, ich nehme Ihren Zuruf gerne auf - Sie möchten
in diesem einen Fall Ihre Hände gern in Unschuld waschen. Was den Aufsichtsrat betrifft, haben Sie vielleicht
Recht; aber auch Sie haben nicht verhindert, dass derartige Verträge abgeschlossen werden können.
Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar,
dass in diesem Haushalt auf der einen Seite bei den Armen weiter gekürzt wird, aber auf der anderen Seite das
Geld mit vollen Händen hinausgeschmissen wird. Auch
mit Ihren Zwischenrufen hier haben Sie wenig Einsicht
gezeigt. Deshalb werden wir diesen Haushalt ablehnen.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard
Brinkmann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Herr Austermann, Ihre Sternstunde ist schon lange
vorbei. Und wenn man zum Schluss der heutigen Debatte drankommt, kann man das eine oder andere weglassen oder das eine oder andere noch abräumen.
({1})
Bernhard Brinkmann ({2})
Ich will einmal meine Aussage aus einem Debattenbeitrag im Frühjahr dieses Jahres wiederholen: Wer als
haushaltspolitischer und finanzpolitischer Berater des
Spitzenkandidaten Steffel so wie Sie hier in Berlin gescheitert ist, sollte den Mund in der Frage nicht so voll
nehmen.
({3})
Wenn man so wie Sie vorgeht, dann muss man auch damit leben, dass das ab und zu, wie man im Tennis sagt,
retourniert wird.
({4})
Leider ist der Kollege Rexrodt nicht mehr da. Er hat
in seinem Redebeitrag von diesem Platz aus wiederholt
ausgeführt: „ein finanzpolitisches Desaster“. Ich habe
während dieser Rede aufmerksam zugehört und darüber
nachgedacht, dass ja zumindest die Frage erlaubt sein
muss: Wann ist der Grundstein für dieses finanzpolitische Desaster gelegt worden?
({5})
Ich glaube, dass zumindest der Kollege Rexrodt oder die
FDP - das Wort „Sie“ also klein und groß geschrieben über Jahrzehnte hinweg eigentlich immer dabei war, als
der Grundstein für dieses finanzpolitische Desaster gelegt wurde.
({6})
Man darf bei der gesamten Debatte auch eines nicht
vergessen: Die von Ihnen zu verantwortende falsche
Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit hat
dazu geführt, dass wir bei Regierungsantritt im Jahre
1998 eine Rekordverschuldung von 1,5 Billionen DM
übernommen haben, für die wir auch heute noch die entsprechenden Zins- und Tilgungslasten zu tragen haben.
({7})
Wenn der Kollege Michelbach von Steuererhöhungen
spricht - das hat er auch im Frühjahr bei der Debatte
über den Haushalt 2003 getan -, dann muss er sich schon
entscheiden, ob er für den Abbau von Steuervergünstigungen und letztendlich auch für das Streichen von
Subventionen ist,
({8})
wie das auch Herr Merz vorgeschlagen hat und wie das
auch Herr Koch gemeinsam mit dem Ministerpräsidentenkollegen Steinbrück vorgeschlagen hat. Es stellt sich
die Frage, ob er diese Rede nicht, wie es der Finanzminister gesagt hat, vor einem Jahr hätte halten sollen.
({9})
Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie mit dabei sein
wollen, wenn es konkret wird. Hier im Deutschen Bundestag haben Sie das jedenfalls nicht ausgeführt.
({10})
Ich bin gespannt auf das Ergebnis der Verhandlungen im
Vermittlungsausschuss.
Ich will nun nicht all die Steuererhöhungen wiederholen, die Sie während Ihrer Regierungszeit auf die Reise
geschickt haben,
({11})
weil Sie nämlich mit Ihren Versprechungen, die deutsche
Einheit aus der Portokasse zu finanzieren, wirklich ein
Desaster angerichtet hatten.
({12})
Ich nenne nur 50 Pfennig Mineralölsteuer, ohne dass etwas über gesunkene Rentenversicherungsbeiträge zurückgeflossen ist.
({13})
- Richtig. Dann machen Sie doch jetzt auch einmal mit
bei dem Subventionsabbau, den wir vorgeschlagen haben. Machen Sie doch auch einmal mit und sagen Sie,
was Sie denn gern möchten.
({14})
Dann haben Sie uns ganz dicht an Ihrer Seite. Sie nehmen, Herr Kollege Feibel, an den Beratungen im Haushaltsausschuss einfach nicht teil, Sie ziehen sich ins
Schneckenhaus zurück und irgendwann präsentieren Sie
dann in einer Bereinigungssitzung über Nacht etwa
300 Anträge ohne jeglichen finanzpolitischen Hintergrund, nur mit der Formulierung „Erörterungsbedarf“,
die auf jedem Blatt deutlich ausgedruckt ist. Die Möglichkeit zur Erörterung hatten Sie über mehrere Wochen
in den Sitzungen des Haushaltsausschusses, Sie haben
sie als Opposition nicht wahrgenommen.
({15})
- Die FDP, Herr Kollege Fricke, nehme ich dabei ganz
bewusst aus. Vielen Dank für den Zwischenruf. Ich hätte
aber auch noch gesagt, dass Sie konkrete Einsparvorschläge in den Haushaltsberatungen unterbreitet haben.
({16})
Übrigens will ich in aller Deutlichkeit noch etwas
zum Versicherungssteuersatz sagen: Geerbt haben Sie
1982 einen Satz von 5 Prozent, hinterlassen haben Sie
der neuen Bundesregierung einen Satz von 15 Prozent.
Der Satz wurde also verdreifacht. Auch das war eine
Bernhard Brinkmann ({17})
massive Steuererhöhung, die Sie vornehmen mussten,
um die Kosten der deutschen Einheit zu finanzieren.
({18})
Über die Höhe des Eingangssteuersatzes und des Spitzensteuersatzes, Herr Kollege Feibel, hat mein Kollege
Spiller bereits entsprechende Ausführungen gemacht.
({19})
Ich will auch noch einmal zurückkommen auf die
Verhandlungen der letzten Nacht in Brüssel. Dass Ihnen
das Ergebnis nicht schmeckt, weil Sie mit einer anderen
Schlagzeile gerechnet haben, ähnlich wie seinerzeit bei
anderen Reformen, wo man sich dann zumindest bei Gesundheit in einer großen Koalition auf entsprechende
Entscheidungen und schmerzliche Eingriffe verständigt
hat, das verstehe ich ja. Ich bin aber unserem Finanzminister dankbar, dass er dieses Ergebnis erzielt hat. Es
führt nämlich dazu, dass sich der leise beginnende Aufschwung fortsetzen kann. Dazu ist aber auch zwingend
erforderlich, dass Sie dem Vorziehen der Steuerreform
zustimmen.
Herr Kollege Austermann, wer so wie Sie am Schluss
Ihrer Rede bemängelt, dass Stellen ausgeweitet worden
sind - ich beziehe mich auf den Einzelplan 08 des Bundeshaushalts -, der sollte auch darauf hinweisen, warum
es diese Stellenausweitung geben muss. Es geht dabei
nämlich um die aktive Bekämpfung der Schwarzarbeit
in Deutschland. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass
das sinnvoll ist. Wenn Sie Tag für Tag landauf, landab in
der Öffentlichkeit für dieses Ziel eintreten, dann sollten
Sie hier diese Stellenausweitung nicht dazu missbrauchen, davon abzulenken, dass Sie bis heute keinen konkreten Vorschlag zum Sparen vorgelegt haben.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte, die heute zum Einzelplan 08 „Finanzen“ und darüber hinaus zur Finanzpolitik insgesamt geführt worden
ist, macht deutlich, dass der Ball in Ihrem Spielfeld liegt.
Sie müssen nun konkrete Vorschläge unterbreiten respektive das unterstützen und mitbeschließen, was wir
Ihnen vorgeschlagen haben. Ich fordere Sie auf, das zu
tun. Stimmen Sie diesem Haushalt zu! Dann wäre es ein
guter Abend für Deutschland.
Schönen Dank.
({21})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert
Königshofen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Am Ende der heutigen Debatte muss man noch einmal in Erinnerung rufen, dass
laut Emnid nur noch 16 Prozent der Bürger der Finanzpolitik der Regierung vertrauen.
({0})
Herr Eichel, die überwältigende Mehrheit hält Ihre
Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik für unseriös.
({1})
Das hat zwei Gründe. Zum einen haben die Bürger Ihr
Unvermögen erkannt. Ihre Haushalts- und Finanzpolitik
besteht für sie nur noch aus dem notdürftigen Stopfen
gerade auftretender Finanzlöcher. Eine durchdachte Strategie zur Lösung der Haushaltskrise kann man nicht
erkennen.
({2})
Zum anderen glauben die Menschen Ihren leeren Versprechungen nicht mehr.
({3})
Zum dritten Mal in Folge - das ist hier schon mehrfach angeklungen - wird Deutschland das Defizitkriterium des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht einhalten. Noch im Finanzbericht 2003 hat Herr
Eichel den Bürgern versprochen, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Davon muss er bekanntlich Abschied nehmen. Jetzt ist Herr Eichel stolz,
wenn er für 2004 mit seiner Nettokreditaufnahme
knapp unter 30 Milliarden Euro bleibt.
Herr Bundesfinanzminister, ich habe mir vorhin Ihren
Auftritt angeschaut. Eigentlich müssten Sie in Sack und
Asche gehen,
({4})
anstatt Ihre marode Politik in dieser dreisten Form zu
verteidigen. Mich jedenfalls wundert es nicht, dass der
Regierung niemand mehr glaubt, wie überhaupt das Vertrauen in die Regierung Schröder weiter zurückgeht. Die
SPD als größte Regierungspartei liegt bei 25 Prozent,
Tendenz weiter fallend.
({5})
Es geht aber nicht nur um das Ansehen der Regierung
Schröder in Deutschland. Es geht auch um das Ansehen
Deutschlands in Europa und der Welt.
({6})
Bis 1998, Herr Poß, galt Deutschland international als verlässlicher Partner. Deutschland wurde gerade wegen seiner
seriösen Haushalts- und Finanzpolitik im Ausland bewundert. Wir Deutsche waren es, die bei den Verhandlungen
zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auf
strenge Kriterien gedrängt haben.
({7})
Wir wussten: Nur mit Haushaltsdisziplin kann man auf
Dauer Wachstum sichern. Damals wollten wir uns vor
allem vor der laschen Haushaltspolitik unserer südeuropäischen Partnerländer schützen.
Mittlerweile sind die Verhältnisse umgekehrt. Heute
sind wir diejenigen, die die Kriterien verletzen. Heute
müssen wir uns von unseren Partnern und der Europäischen Kommission mahnen lassen. Es gelingt nur mit
großen Tricks, Schlimmeres abzuwenden. Rot-Grün hat
es innerhalb von fünf Jahren geschafft, Deutschland vom
ersten auf den letzten Platz in Europa zu führen, sozusagen von der Tabellenspitze in die Abstiegszone.
({8})
- So ist es. - Das ist nicht nur für Deutschland eine
schlimme Sache. Als die größte und wichtigste Volkswirtschaft in Europa tragen wir über Deutschland hinaus
Verantwortung. Da hilft auch kein Verweis auf Frankreich. Wer soll sich denn in Zukunft an die Vorgaben des
europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes halten,
wenn wir es nicht tun?
({9})
Ich kann daher nur unterstreichen, was die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten 2003 zum Stabilitätspakt festgestellt haben - ich hoffe, dass Sie zumindest
diesen Herren glauben -:
Wenn die Staaten des Euroraumes verkennen, dass
ein solides Haushaltsgebaren nach den Regeln des
Paktes im gegenseitigen Interesse aller Beteiligten
liegt, dann wird er
- das heißt, der Pakt langfristig nicht überleben, mit bedenklichen Folgen für die Stabilität der gemeinsamen Währung.
Sie verweisen im Augenblick auf den stabilen Euro.
Dazu sage ich: Wir werden in ein oder zwei Jahren wieder über dieses Thema sprechen, wenn Sie Ihre Politik
nicht ändern.
Nun wird in dieser Debatte von Ihnen immer behauptet, dass wir keine Einsparungsvorschläge machen. Sie
und ich wissen, dass das nicht stimmt. Abgesehen davon
verkennen Sie, dass uns die Wähler verschiedene Aufgaben zugewiesen haben. Sie haben bei der Bundestagswahl 2002 erneut den Regierungsauftrag erhalten.
({10})
Das ist sehr bedauerlich; aber es ist nun einmal so. Das
heißt, dass Sie einen ordentlichen Haushalt vorlegen
müssen. Das heißt, dass Sie entsprechende Sparvorschläge machen müssen.
({11})
Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind und wenn Sie
keine Mehrheit dafür finden, dann sollten Sie nicht lauthals nach der Opposition rufen. Das Beste wäre, Sie träten einfach zurück.
({12})
Eine Regierung, die ihre Politik nicht durchsetzen kann,
muss zurücktreten. Das ist das Normalste der Welt.
({13})
Im Übrigen, noch so gut gemeinte Sparvorschläge
von uns können doch Ihre Versäumnisse und Fehlleistungen gar nicht wettmachen.
({14})
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Bundeskanzler Schröder vor 14 Tagen auf dem Steinkohletag
mal soeben eine Förderung in Höhe von 16 Milliarden
Euro versprochen hat. Durch Ihr politisches Missmanagement fehlen uns im nächsten Jahr, wenn man nur die
ersten sechs Monate heranzieht, Mauteinnahmen in
Höhe von mindestens 1 Milliarde Euro. Das haben Sie
zu vertreten, doch nicht die Opposition.
({15})
Auch in diesem Jahr fehlen schon 624 Millionen Euro;
darüber wird immer sehr leicht hinweggegangen. Sie
sollten einmal zusammenrechnen; das sind mehr als
1,5 Milliarden Euro. Herr Poß, in Gelsenkirchen würde
man sagen: Da muss eine alte Frau lange für stricken.
({16})
Angesichts solcher Tatsachen ist es schon dreist, uns
aufzufordern, die von Ihnen verursachten Haushaltslöcher zu stopfen. Sie wollen damit - das ist der tatsächliche Grund - doch nur von Ihrem Versagen ablenken.
({17})
Das Kernproblem aber ist, dass Sie es nicht schaffen,
für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum zu sorgen.
Sie schaffen es auch 2004 nicht, die Wirtschaft anzukurbeln. In Deutschland werden wieder rund 4 Millionen
Menschen arbeitslos sein. Sie wissen doch: Nur 100 000
Beschäftigte mehr bringen in Bezug auf Steuern und Sozialversicherungsbeiträge Mehreinnahmen in Höhe von
rund 2 Milliarden Euro; ganz zu schweigen von den Einsparungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe. Machen Sie also eine vernünftige Wirtschaftspolitik! Dann wird sich ein Großteil Ihrer Sorgen von
selbst erledigen. Ohne vernünftige Wirtschaftspolitik
sind keine soliden Staatsfinanzen zu garantieren. Ich habe
den Eindruck, es gelingt Ihnen nicht. Sie können es nicht.
Deswegen bleibt auch Ihr Haushaltsentwurf Makulatur.
({18})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaas Hübner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! In schwierigen Zeiten - und wer wollte angesichts von drei Jahren Stagnation und der anhaltenden
demographischen Probleme unseres Landes leugnen,
dass es schwierige Zeiten sind - zeigt sich normalerweise der wahre Charakter von handelnden Personen.
({0})
Vor diesem Hintergrund möchte ich das Prozedere der
Haushaltsberatungen nachzeichnen. Jeder Einzelplan,
also jedes einzelne Budget, wird im Vorfeld der Haushaltswoche ausführlichst im Haushaltsausschuss beraten. Dies sind der Ort und der Zeitpunkt, seine eigenen
Änderungsvorschläge, seine Verbesserungsvorschläge
einzubringen, zu debattieren und abschließend abzustimmen.
({1})
Die Koalitionsfraktionen und auch die FDP haben
dieses Königsrecht des Parlamentes im Ausschuss entsprechend in Anspruch genommen, nicht dagegen die
CDU/CSU-Fraktion. Sie haben nicht einen einzigen Antrag eingebracht, was schon allein für eine gewisse Fantasielosigkeit spricht. Sie haben es nicht einmal geschafft, sich im Rahmen der Abstimmungen über die
von uns und der FDP eingebrachten Anträge ein eigenes
Votum zu bilden. Im weiteren Verlauf des Verfahrens haben Sie jedoch in Aussicht gestellt, in der Bereinigungssitzung mit großen, massiven Sparvorschlägen aufzuwarten.
In der Tat haben Sie am Vorabend der Bereinigungssitzung 300 so genannte Änderungsanträge eingebracht. Wir waren sehr gespannt. Kein einziger Antrag
war dann mit Zahlen hinterlegt. Ich habe einmal wahllos vier Anträge herausgegriffen, um das öffentlich zu
belegen. Sie haben zum Beispiel Erörterungsbedarf zum
Einzelplan 01, Geschäftsbereich des Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes, zum Titel „Einnahmen aus Sponsoring, Spenden und ähnlichen freiwilligen Geldleistungen“ angemeldet. Wir haben diesen
Titel mit Null eingestellt, was ich auch für angemessen
halte. Wollen Sie ernsthaft den Bundespräsidenten mit
dem Hut in der Hand durch die Gegend schicken, damit er Geld einsammelt?
({2})
Des Weiteren haben Sie in einigen Anträgen völlig
darauf verzichtet, Einzeltitel zu nennen. Auf den Drucksachen 15/1456 und 15/1149 haben Sie zur Bundeswertpapierverwaltung und zum Bundessozialgericht ganz allgemein Erörterungsbedarf angemeldet. Sie können doch
nicht ernsthaft diese Institutionen allgemein einem Erörterungsbedarf unterziehen. Das ist keine solide Haushaltspolitik. Sie haben wahllos Anträge zusammengeschustert, um einen Tätigkeitsnachweis für sich und
andere zu erbringen.
({3})
Sie haben all diese Anträge dann richtigerweise am Morgen der Bereinigungssitzung wieder zurückgezogen und
das 300-seitige Antragspaket damit erst recht als ein Dokument der geballten Ratlosigkeit entlarvt.
({4})
Dass Sie sich angesichts dieser Kraftanstrengung bezüglich der Anträge nicht mehr in der Lage sahen, wenigstens bei den Abstimmungen Ihr Votum abzugeben,
ist nur noch eine Petitesse. Hier zeigt sich - damit
komme ich zurück auf meine Eingangsbemerkung - die
Hilflosigkeit der CDU/CSU in Haushaltsangelegenheiten. Sie haben damit dem Parlamentarismus insgesamt
einen Bärendienst erwiesen.
Wir haben uns in Oppositionszeiten immer als eine
Regierung im Wartestand verstanden. Angesichts dieser
Haushaltsberatungen muss man sagen: Sie sind eine Opposition in einem lethargischen Ruhestand.
({5})
Der Bundeshaushalt 2004 muss zwei großen Anforderungen gerecht werden.
({6})
Er muss auf der einen Seite die Konsolidierung fortsetzen, er muss auf der anderen Seite aber auch alles dafür
tun, Konjunktur und Wachstum wieder in Gang zu
bringen. Insbesondere das Vorziehen der Steuerreform
soll den aufkeimenden Aufschwung stabilisieren und
alle Bürger unseres Landes und insbesondere die Familien nennenswert entlasten.
({7})
Selbst Sie bestreiten nicht, dass das Vorziehen der
Steuerreform einen positiven konjunkturellen Effekt
hätte. Sie halten ihn nur für relativ gering.
({8})
Aber wann denn, wenn nicht jetzt, bei all den Anzeichen
eines aufkeimenden Aufschwungs, sollen wir Maßnahmen ergreifen, die dazu dienen, diesen Aufschwung zu
stabilisieren? Geben Sie in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss Ihrem Herzen einen Stoß und stimmen Sie dem Vorziehen der Steuerreform zu.
({9})
Wir haben bei der Aufstellung des Haushalts natürlich
die im Rahmen der Agenda 2010 geplanten Gesetzesvorhaben berücksichtigt. Wir haben so gehandelt wie jeder
solide Unternehmer, der bei einer Vorausschau sein Unternehmen betreffend die Maßnahmen, die er eingeleitet
hat, um bessere Ergebnisse zu erzielen, in seine Zahlen
mit einfließen lässt. Im Etat 2004 wird daher deutlich,
dass mit der Durchsetzung der Strukturreformen der
Agenda 2010 bis zum Jahresende insbesondere die Bereiche Bildung, Innovation und Familie in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns treten.
Als Beispiele einige wenige Fakten: Wir haben dafür gesorgt, dass wir keine Abstriche beim Investitionsprogramm
zum Ausbau der Ganztagsschulbetreuung machen.
Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt in der Familienpolitik.
({10})
Wir haben eine Erhöhung der Mittel für die großen Forschungseinrichtungen in Höhe von drei Prozent vorgesehen.
({11})
Wir haben die Erfolgsgeschichte der BAföG-Reform
und des Meister-BAföGs durch eine entsprechende Ansatzerhöhung von 61 Millionen Euro im Haushalt trotz
schwieriger Haushaltslage abgerundet.
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ja, Herr Präsident. - Wir haben durch das Vorziehen
der Steuerreform für eine nennenswerte steuerliche Entlastung gerade auch der Familien gesorgt.
Das Fazit der Haushaltsberatungen kann daher nur
lauten: Wir von der Regierungsseite wollen und können
gestalten. Die CDU/CSU dagegen will nicht gestalten.
Daher ist es gut, dass Sie, da Sie im Bundestag keine
Mehrheit haben, auch nicht gestalten können.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen - in der Ausschussfassung.
Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und
FDP angenommen.
({0})
Abstimmung über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan
20 ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung eines
Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003, Drucksachen 15/1925 und 15/1990. Der
Haushaltsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1926,
den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/
CSU und FDP angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
gleichem Stimmenverhältnis angenommen.
Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf
Drucksache 15/1838 zu dem Antrag der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel: „Nachtragshaushalt umgehend
vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1218 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 5 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und Forschung
- Drucksachen 15/1918, 15/1921 Berichterstattung:
Abgeordnete Carsten Schneider
Ilse Aigner
Dr. Günter Rexrodt
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr.
Gesine Lötzsch und Petra Pau vor.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor, über den wir am Freitag nach der
Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Als erster Redner hat der Kollege Klaus-Peter Willsch
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin Bulmahn, den StabilitätspaktsBeseitigungsminister Eichel wollte ich auch noch begrüßen, aber er hat das Feld schon geräumt. Mit den Stimmen der Regierungskoalition hat der Bundestag gerade
den Offenbarungseid rot-grüner Regierungspolitik verabschiedet.
({0})
Nichts anderes ist der Nachtragshaushalt für 2003: eine
Demonstration und der Beweis, dass die Bundesregierung es einfach nicht kann. Falsche Signale, falsche Weichenstellungen, falsche Schlüsse und falsche Entscheidungen - dies prägt die rot-grüne Politik.
Damit haben Sie unser Land in die schwerste haushaltspolitische Krise seit dem 2. Weltkrieg geführt. Man kann
es auf eine einfache Formel bringen: Rot-grünes Durcheinander plus ein total überforderter Bundesschuldenminister Eichel ergibt den Nachtragshaushalt 2003. Oder
wie wollen Sie eine Steigerung von 130 Prozent, also - in
Zahlen - von 18,9 auf 43,4 Milliarden Euro, sonst nennen?
({1})
Wenn Sie aus Ihren Fehlern wenigstens lernen würden. Aber auch für den Haushalt 2004 gilt: Wunschvorstellungen als Schätzgrundlage, Gesundbeten statt präziser Diagnose und anschließend richtiger Therapie,
Ausblenden der Wirklichkeit und Beschimpfung der Opposition. Das ist alles, was Rot-Grün einfällt.
({2})
Mit Parteitagsbeschlüssen, die Sie fassen lassen, um
Mehrheiten für Ihren Bundesgeschäftsführer und Ihren
Generalsekretär zu sichern und den linken Flügel ein wenig zu befriedigen, verunsichern Sie zusätzlich. Sie erhöhen die Erbschaftsteuer, Sie beschließen die Bürgerversicherung und eine Ausbildungsplatzabgabe und Sie
verunsichern diejenigen systematisch, die in unserem
Land investieren könnten, wodurch Sie die Lage in diesem Land noch weiter verschlechtern.
Aufgrund Ihrer hartnäckigen Weigerung, die Wirklichkeit in unserem Lande wahrzunehmen, und aufgrund des
von Ihnen vorgelegten Märchenbuches - ein solches ist der
von Ihnen vorgelegte Haushaltsplanentwurf 2004 - würde
es sich eigentlich verbieten, ihn zu beraten. Sie beharren
darauf. Deshalb müssen wir uns dem natürlich auch stellen.
({3})
Wir werden uns zu diesem Thema in Kürze aber wiedersehen, dann nämlich, wenn der Vermittlungsausschuss
seine Ergebnisse vorlegt. Es ist ja nun nicht so, wie es
Herr Poß heute gesagt hat, dass dort nur über ein paar
Petitessen geredet würde. Wir reden über 10 Prozent des
Haushaltsvolumens.
({4})
Das sind keine Kleinigkeiten, das ist eine fundamentale
Größe für diesen Haushalt. Es wäre der richtige Weg gewesen, das Ergebnis abzuwarten und das Verfahren solange auszusetzen.
({5})
Sie kennen die einzelnen Punkte. Es schmerzt Sie,
wenn man diese aufzählt, weil sie das Versagen Ihrer Politik immer wieder deutlich machen. Wir rechnen mit
insgesamt gut 20 Milliarden Euro, die offen und heute
nicht abschließend beratbar sind. In Ihrem Haushaltsplanentwurf befinden sich Risiken, die heute noch nicht abschätzbar sind. Sie rechnen es schön, schätzen zu positiv
und werden mit diesem Haushaltsplan erneut eine
Bauchlandung hinlegen.
Ich kann meinen Sprecher, Dietrich Austermann, nur
zitieren, der bei der Einbringung hier gesagt hat:
Die rot-grünen Beschlüsse zum Haushalt 2004 steigern die Unseriosität der eichelschen Haushaltspolitik ins Groteske. Dieser Haushalt hat keine zusätzlichen Perspektiven für Wachstum und Beschäftigung
und führt ins nächste Krisenjahr. Wenn es bei den
von Rot-Grün vorgeschlagenen Änderungen bleibt,
haben wir im nächsten Jahr bereits im Soll einen
verfassungswidrigen Haushalt und im Ist wird die
Neuverschuldung auf ein historisches Höchstmaß
steigen.
({6})
Dem ist bei der Betrachtung des Gesamthaushaltes
nichts hinzuzufügen.
Frau Minister, kommen wir nun zum Einzelplan 30.
Diesem Einzelplan liegen natürlich die gleichen falschen
Voraussetzungen wie den Gesamtwerten zugrunde. Auch
im Fachressort ist festzustellen: falsche Signale, falsche
Weichenstellungen, falsche Schlüsse und falsche Entscheidungen. Was für die gesamte rot-grüne Politik gilt,
gilt auch für das Bildungsressort.
Frau Bulmahn, unser Eindruck ist inzwischen: Sie
können es nicht.
({7})
Sie bringen nicht den Mut auf, für Ihr Ressort zu kämpfen. Sie gefallen sich in der Öffentlichkeit in der Rolle
der großen Vorkämpferin für Bildung und Forschung,
am Kabinettstisch aber kuschen Sie, wenn der Kanzler
nur die Augenbraue hochzieht.
({8})
- Sie wissen das wahrscheinlich noch besser als ich, ich
vermute es nur.
Sie tricksen herum und reden das kümmerliche Werk,
das Sie vorlegen, noch schön. Sie täuschen ein Wachsen
des Haushaltsansatzes vor, indem Sie die Mittel für die
Einrichtung von Ganztagsschulen, die eine vorübergehende Finanzhilfe für die Länder darstellen, systemwidrig einrechnen. Sie sind im Einzelplan 60 veranschlagt.
({9})
Sie wissen genau, dass das Budget für Bildung und Forschung in Ihrem Entwurf sinkt, wenn Sie diese Komponenten nicht einrechnen. Um Ihren Einzelplan in der
weiteren Argumentation historisch schönzurechnen, berücksichtigen Sie die Sondereffekte aus den UMTS-Erlösen nicht, damit nicht deutlich wird, dass die Mittel
nicht mehr, sondern weniger werden.
Frau Bulmahn, Sie machen mit dieser Blenderei dem
Kanzler Konkurrenz. Wenn wir redlich miteinander diskutieren, werden Sie zugeben müssen, dass die Projektförderung um circa 8 Prozent gekürzt wird. Da der Kanzler
nicht zweimal hintereinander sein Wort brechen wollte,
hat die institutionelle Förderung in diesem Jahr den zugesagten Aufwuchs erhalten. Sie wissen aber, dass es
nicht gut ist, wenn sich das Verhältnis zwischen Projektförderung, deren Mittel prozentual gekürzt werden, und
der institutionellen Förderung, deren Mittelansatz erhöht
wird, verschiebt. Die Mittel müssen in beiden Bereichen
aufgestockt werden.
Sie rechnen Ihren Einzelplan mit den 4 Milliarden Euro
für die Ganztagsbetreuung schön. Nun sehen wir, wie
begeistert dieses Programm im Lande aufgenommen
wird.
({10})
Obwohl alles in trockenen Tüchern ist, legen Sie große
PR-Programme auf. Mit den Ländern ist besprochen,
wie die Mittel eingesetzt werden sollen. Es ist zwar
schön, wenn Betreuungsmöglichkeiten an Schulen geschaffen werden, aber das ist nicht Ihre Aufgabe, dafür
sind Sie nicht zuständig. Das erklärt Ihren Kunstgriff
mit dem Einzelplan 60, weil diese Mittel in Ihrem Etat
überhaupt nichts verloren haben. Gleichwohl rechnen
Sie sie immer mit ein, um nachzuweisen, wie sehr Sie
sich in diesem Lande um Bildung und Forschung bemühen. Sie sind Forschungsministerin, nicht Suppenküchenministerin in Deutschland, das muss endlich wieder
deutlich werden.
({11})
Als Haushälter kann ich nur anmerken: Die nächste
Sperre kommt bestimmt. Unzählige Risiken kommen
gerade mit diesem Makulaturhaushalt auf uns zu. Diese
sind bei Ihnen schon System geworden; denn durch den
Eingriff in den Haushaltsvollzug korrigieren Sie das,
was zunächst wegen mangelndem Sachverstand oder
wegen Schönfärberei bewusst falsch veranschlagt
wurde. Sie treten damit das Budgetrecht dieses Parlaments mit Füßen. Was hat denn eine Beratung im Haushaltsausschuss oder im Parlament noch für einen Wert,
({12})
wenn Sie im Anschluss nach Gutdünken all das zusammenwursteln, was Sie sich zusammenphantasiert haben - es
wird jedoch wie ein Kartenhaus zusammenbrechen -, das
kündigen wir Ihnen schon heute an -, nur um am Ende
mit irgendeiner Zahl aufzuwarten? Sie wissen, dass das
nicht gut ist. Sie wissen, dass dies eine Missachtung des
Parlaments ist. Aber Sie gehen diesen Weg weiter.
({13})
Kommen wir - Herr Carsten Schneider hat nachher
noch Gelegenheit, darauf zu erwidern - zur globalen
Minderausgabe. Dort ist es genau das Gleiche: Sie
missachten das Parlament. Mit 145 Millionen Euro ist
die globale Minderausgabe viel zu hoch veranschlagt.
5 Prozent der Projektfördermittel mag angehen, aber Sie
liegen deutlich darüber. Das ist einmal mehr der Versuch, all das, was im parlamentarischen Verfahren nicht
durchgesetzt werden kann, durch die kalte Küche durch
Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe zu korrigieren. Ich wundere mich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, dass
Sie sich das gefallen lassen. Das ist ein Umgang, den
man sich auch als Mehrheitsfraktion von der Regierung
nicht gefallen lassen sollte.
({14})
Nehmen Sie den Hochschulbau. Die drastische Kürzung um 135 Millionen Euro bedeutet das Aus für zukünftige Maßnahmen und gefährdet laufende Maßnahmen. Es ist für die Länder nicht leicht, ihren
Mitfinanzierungsanteil zu erbringen, weil die Steuereinnahmen - wegen der miesen Politik, die Sie machen weggebrochen sind.
({15})
- Natürlich ist das so. Schauen Sie sich einmal die Situation in Ihren Ländern an. - Sie bringen damit Wissenschafts- und Forschungsfortschritt in diesem Land zum
Erliegen.
Kommen wir zum BAföG. Nun haben Sie beim
BAföG im Bereinigungsgespräch nachgelegt. Sie rühmen das, obwohl das nur der Vollzug einer gesetzlich
festgelegten Geldzahlung ist. Sie haben einfach nachgerechnet. Jetzt rühmen Sie sich, Sie hätten den Bildungsund Forschungshaushalt hochgefahren. Warum werden
die Zahlen beim BAföG denn höher? - Weil in immer
mehr Familien der Haushaltsvorstand arbeitslos am
Tisch sitzt und die Kinder in die BAföG-Berechtigung
hineinkommen.
({16})
Die Kinder bekommen wegen Ihrer miesen Politik keinen Ausbildungsplatz und drehen noch eine Runde in
der Schule. Deshalb gehen die Zahlen so nach oben.
({17})
Frau Bulmahn, auf der anderen Seite kürzen Sie den
Etat für das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern, weil die
Situation dort so rosig ist, um 6 Millionen Euro. Auch
das verstehe, wer will. Ich glaube, Sie müssen sich wirklich ernsthaft mit den Themen beschäftigen, die auf der
Hand liegen. Wir wollen von Ihnen als Bundesforschungsministerin wissen: Womit werden wir denn in
Deutschland in zehn oder zwanzig Jahren unser Geld
verdienen? Sie sollten daher entsprechende Projekte fördern.
({18})
Wir wollen von Ihnen wissen, ob wir in zehn oder in 20
Jahren im Schlagschatten von Windmühlen im Kreis
laufen und Weltmeister im Gender Mainstreaming sind
oder ob wir neue Verfahren und neue Produkte entwickeln, die wir auf den Markt bringen und mit denen wir
in Deutschland Geld verdienen können.
({19})
Ich zitiere aus der „Welt“: „Europa drängt stärker ins
All“. Wie wollen Sie denn mithalten, Frau Ministerin,
wenn im Ministerrat besprochen wird, dass man sich in
dem Bereich stärker engagieren will? Sie haben für das
nationale Programm jetzt eine Dotierung vorgesehen, die
Jahr für Jahr abgeschmolzen wird. Sie wissen genau,
dass durch zurückgehende Förderung in diesem Bereich
Arbeitsplätze zerschlagen werden. Jeder Euro, den Sie
nicht investieren, kostet bei uns unmittelbar Arbeitsplätze, weil es keinen anderen Auftraggeber in diesem
Bereich gibt. Auf der anderen Seite legen Sie „Braindrain-Programme“ auf, mit denen Sie versuchen, junge
Menschen, die hier keine Perspektive mehr sehen - weil
Sie so handeln, wie Sie handeln -, mühsam wieder aus
dem Ausland zurückzuholen. Das passt nicht zusammen,
wie alles in der rot-grünen Politik.
({20})
Das ist von vorne bis hinten ein Krampf.
Sie könnten diesem Land - ich sehe, dass es hier
blinkt und ich langsam aufhören müsste - einen großen
Gefallen tun, wenn Sie - nach dem, was wir heute erlebt
haben und was Herr Eichel mit dem Stabilitätspakt angerichtet hat -
Herr Kollege, Sie haben selbst gesagt, dass Sie sehen,
dass es blinkt. Kommen Sie also bitte auch zum Schluss.
Wenn ich sehe, was Sie mit der Forschungslandschaft
in Deutschland anrichten, dann stelle ich fest, dass es ein
Segen für dieses Land wäre, wenn Sie endlich abtreten
würden.
({0})
Ein besseres Beschäftigungsprogramm für Deutschland
gäbe es nicht.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider von der
SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Willsch hat ja
ansatzweise auch über den Haushalt des Ministeriums
für Bildung und Forschung gesprochen. Das, was er
dazu sagte, hat sich in das Gesamtbild eingeordnet, das
die CDU/CSU während der Haushaltsberatungen geboten hat: Es war substanzlos und ohne jeden Hoffnungsschimmer - den man als Regierungsfraktion noch hat -,
vielleicht etwas daraus lernen und seine eigene Entscheidung überprüfen zu können.
({0})
Sie haben sich groß und breit über die Generalpolitik
ausgelassen, die Sie durch Ihre Politik im Bundesrat leider mit zu verantworten haben und die sich im Bundeshaushalt niederschlägt.
Deswegen will ich ganz kurz einige grundsätzliche
Bemerkungen zu dem machen, was Sie angesprochen
haben. Auch der Haushalt für Bildung und Forschung ist
in die Konsolidierungsbemühungen des Bundes eingebunden. Auch wir sind in der Verantwortung, nicht nur
einen soliden Haushalt aufzustellen, sondern auch
Wachstumsimpulse zu geben, die wir dringend benötigen und ohne die es - das haben die letzten drei Jahre
gezeigt - keine dauerhafte Konsolidierung gibt. Diese
Erkenntnis haben der Rat der europäischen Wirtschaftsund Finanzminister, der IWF, die Bundesregierung und
die sie tragenden Fraktionen. Wer sie nicht hat, ist die
Opposition.
Was Sie machen, ist töricht. Sie werfen dem Finanzminister auf der einen Seite vor, nicht ausreichend zu
sparen, sind aber auf der anderen Seite diejenigen, die
das Sparen verhindern.
({1})
Ich erinnere mich an das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Sie haben damals das Scheitern dieses Gesetzes als
Ihren Erfolg verkauft, merken aber jetzt, wie negativ
sich das auf die Konsolidierungsbemühungen der Landeshaushalte und des Bundeshaushalts auswirkt.
({2})
Sie haben auch im Vermittlungsausschuss eine große
Verantwortung. Ich kann nur hoffen, dass Sie dieser Verantwortung gerecht werden, denn eine Ablehnung der
Reformgesetze im Vermittlungsausschuss würde die
Union als eine Partei erscheinen lassen, die über Patriotismus diskutieren muss, weil sie nicht mehr weiß, was
Patriotismus ist.
({3})
Warum sonst stellen Sie sich nicht Ihrer Verantwortung,
gerade wenn es um die Staatsfinanzen geht? Das müsste
doch Ihnen als staatstragender Partei ein Grundanliegen
sein. Nein, Sie betreiben Blockadepolitik und Ablehnung.
Ich komme zum Haushalt für Bildung und Forschung.
({4})
Ich wiederhole mich an dieser Stelle nur ungern. Ich
habe in der ersten Lesung gesagt, dass der Haushalt für
Bildung und Forschung im Jahr 2004 wieder ein
Rekordhaushalt sein wird. Das ist so.
({5})
Die Koalitionsfraktionen haben den Haushalt noch einmal gesteigert. Insgesamt stehen 9,7 Milliarden Euro für
Bildung und Forschung zur Verfügung. Das ist ein Plus
von 6,6 Prozent gegenüber 2003. Es ist fast ein Drittel
mehr als 1998,
({6})
und das unter den schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen.
({7})
Wahr ist, dass zu diesem Aufwuchs zum großen Teil das
Ganztagsschulprogramm beigetragen hat, dessen Ansatz im Jahr 2003 von 300 Millionen Euro auf jetzt
1 Milliarde Euro gestiegen ist.
Ich erinnere mich an die Debatten, die wir hier im
Frühsommer vorigen Jahres geführt haben. Waren es
nicht gerade Sie gewesen, die die Notwendigkeit für
mehr Investitionen in Bildung und schulische Ausbildung immer wieder in den Vordergrund gerückt haben?
Waren es nicht Sie, die die Verantwortung auch des Bundes eingefordert haben? Wer ist es denn, der die nationale Bildungsplanung in der Kultusministerkonferenz
abgelehnt hat? Das sind die unionsregierten Länder gewesen. Es gibt eine Anstrengung des Bundes. Wir geben
1 Milliarde Euro mehr für Ganztagsschulen, die sehr gut
im Lande ankommen.
({8})
Selbst in Thüringen - das ist kein sozialdemokratisch regiertes Land - nehmen alle Städte und Kommunen, alle
Träger der Schulen das Geld sehr gern an und bemühen
sich mit der Elternschaft sehr aktiv, gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Das ist ein großer Erfolg.
({9})
Sie haben das Bild vom Haushaltsvorstand gebracht.
Das scheint aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen.
Ich hoffe, dass es auch für die Kinder in Hessen nicht
ganz so schlimm ist und Sie sich aktiv an dieser Politik
beteiligen werden.
Dass so ein Kraftakt nicht ohne Einsparungen möglich ist, dürfte auch Ihnen klar sein. Aus diesem Grund
konnte auch der Haushalt für Bildung und Forschung
nicht gänzlich von Einsparungen verschont bleiben.
({10})
Sie müssen aber auch sehen, dass die Mittel für das
Zukunftsinvestitionsprogramm - Sie hätten die Einnahmen aus der Vergabe der UMTS-Lizenzen am liebsten den Ländern gegeben - ausgelaufen sind. Wir haben
trotzdem 150 Millionen Euro von ursprünglich 300 Millionen Euro fortgeschrieben und damit den Haushalt erhöht.
Dass deshalb in diesem Haushalt im Einzelplan 30
eine geringfügige Kürzung in Höhe von 1,23 Prozent erfolgt,
({11})
ist meines Erachtens vertretbar; denn es kann für jeden
Haushälter durchaus eine Zier sein, sparsam mit den
Mitteln umzugehen. Werfen Sie einen Blick in den Bericht des Bundesrechnungshofes! Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat einige Punkte angesprochen, in
denen wir alle in der Verantwortung sind, noch sparsamer mit den Mitteln umzugehen. Das kann sehr wohl
auch den Haushalt für Bildung und Forschung und die
Einrichtungen in diesem Bereich betreffen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
habe das Gefühl, Sie wollen sich waschen, ohne sich
nass zu machen. Wie sonst ist es zu verstehen, dass Sie
auf der einen Seite den Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen blockieren, auf der anderen Seite
aber Mehrausgaben verlangen? Glauben Sie mir: Man
muss kein großer Prophet sein, um deutlich zu machen,
dass das nicht funktioniert. Das ist einer großen Opposition meines Erachtens nicht würdig. Sie bekommen als
Opposition im Bundestag einen Sonderzuschlag von
15 Prozent - das sind jährlich 2,2 Millionen Euro und ermöglicht Ihnen eine bessere personelle Ausstattung - für
Ihre Fraktionsarbeit. Das habe ich bisher auch immer für
gerechtfertigt gehalten.
({13})
In den Beratungen im Haushaltsausschuss haben Sie
nicht einen einzigen Vorschlag gemacht. Frau Reiche,
Sie haben kritisiert, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau zu niedrig seien. Erkundigen Sie sich bei Ihren Kollegen: Sie haben nicht einmal
einen Antrag zur Erhöhung der Mittel vorgelegt. Wie
soll ich Sie ernst nehmen? Ein sinnvoller Sparvorschlag
Ihrerseits - ich nehme die FDP davon aus - wäre die
Streichung der Zulage in Höhe von 2,2 Millionen Euro
gewesen.
({14})
Lassen Sie mich noch auf einige Details aus den
Beratungen der Einzelpläne zu sprechen kommen. Ich
habe mit meinem Kollegen Bonde das Ressort sehr intensiv durchforstet und wir haben Schwerpunkte gesetzt.
Das Wichtigste vorweg: Das Budget für den
Einzelplan 30 wird gegenüber dem Regierungsentwurf
um 52 Millionen Euro erhöht.
({15})
- Natürlich wegen des BAföGs, Herr Kollege Willsch.
Es ist doch ein Erfolg unserer Politik, dass in den vergangenen zwei Jahren 100 000 junge Menschen - Schülerinnen, Schüler und Studierende - wieder mehr BAföG
bekommen haben.
({16})
Ich kann Ihre Kritik nicht verstehen. Chancengleichheit hat bei Rot-Grün wieder Vorrang bekommen
({17})
und die Studierenden haben unabhängig davon, wie es
im Geldbeutel ihrer Eltern aussieht, die Chance, ein Studium aufzunehmen.
({18})
Gleichzeitig ist es uns gelungen, das Versprechen des
Bundeskanzlers aus der Agenda 2010 umzusetzen: Das
Budget der Forschungseinrichtungen wird um 3 Prozent
erhöht. Das ist in Zeiten knapper Kassen besonders zu
würdigen. Wir haben die Ansätze der Forschungsorganisationen seit 1998 um 18 Prozent gesteigert.
({19})
Das ist eine Politik für Innovation und Wachstum, die
Deutschland voranbringt!
({20})
Ich komme jetzt zum Hochschulbau. Ich gehe davon
aus, dass er auch in Ihren nachfolgenden Beiträgen noch
eine Rolle spielen wird. Der Ansatz für den Hochschulbau liegt bei 925 Millionen Euro.
({21})
Das sind immer noch 5 Millionen Euro mehr, als Sie
1998 eingestellt haben. Angesichts der Politik Ihrer Landespolitiker - der Bildungs- und Finanzminister - im
Hochschulbereich bin ich der Ansicht, dass dieser Ansatz durchaus gerechtfertigt ist.
({22})
Denn nur der Hochschulbau ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Hochschulplanung und
-ausstattung liegt in der Zuständigkeit der Länder.
Ein Blick auf die Länder zeigt aber, dass am
3. November in Bayern 30 000 und in Niedersachsen
20 000 Studierende demonstriert haben. Die größte Studentendemonstration kam in Sachsen-Anhalt zustande.
Ferner kam es zu Streiks in Baden-Württemberg. Das
sind doch Ihre Länder! Wenn in diesen Ländern unter Ihrer Verantwortung die Studienplätze reduziert werden,
weil immer weniger Professoren zur Verfügung stehen
und die Ausfallzeiten zunehmen, dann müssen wir die
Ausgaben im Hochschulbau auf dem derzeitigen Niveau
beibehalten. Wenn in Bayern 30 000 Studierende skandieren „Stoiber, du Räuber!“, dann werden sie wohl
Recht haben.
({23})
Etwas geringer als 2003 ist der Ansatz für das Nationale Weltraumprogramm mit 145 Millionen Euro. Wir
haben diesen Ansatz so belassen, wie er im Regierungsentwurf vorgesehen war. Wir haben aber der Frau Ministerin einen Entschließungsantrag mit auf den Weg gegeben, in dem zum Ausdruck gebracht wird, dass wir bis
zum Sommer des nächsten Jahres die Schwerpunktsetzung bei der Weltraumforschung unter die Lupe nehmen
werden, weshalb 20 Millionen Euro qualifiziert gesperrt
wurden.
Der Frau Ministerin ist dafür zu danken, dass über die
ESA Aufträge in Höhe von 100 Millionen Euro nach
Deutschland geholt werden konnten.
({24})
Da in der EU über eine halbe Milliarde Euro auf diesem
Gebiet investiert werden, müssen wir die deutsche
Raumfahrtpolitik daraufhin überprüfen, in welchen Bereichen wir exzellent sein wollen, und diese Bereiche
auch schwerpunktmäßig fördern. Dies muss mit dem gerade erschienenen Weißbuch der Europäischen Kommission übereinstimmen. Insofern bin ich darauf gespannt,
wie die Beratungen im Ausschuss verlaufen werden.
Ich habe den Bericht des Bundesrechnungshofs von
heute schon angesprochen. In ihm kommt auch das
Robert-Koch-Institut vor, das für 750 000 Euro umgebaut wird. Nach meiner Auffassung müssen wir die gesamte Ressortforschung in Deutschland auf neue Füße
stellen. Aus diesem Grunde hat der Haushaltsausschuss
den Wissenschaftsrat beauftragt, die Ressortforschung
aufgabenkritisch zu überprüfen. Wir wollen nicht wie Sie
nur eine Evaluierung in den nächsten vier, fünf Jahren
anstreben, sondern in den nächsten ein, zwei Jahren Fakten schaffen. Die Ressortforschung, für die fast 2,5 Milliarden Euro ausgegeben werden, ließe sich viel besser
bündeln, wenn wir wettbewerbliche Strukturen einführten und sie aus der institutionellen Förderung befreiten.
Wenn sie auf diese Weise besser würde - selbstverständlich gibt es schon heute sehr gute Einrichtungen -, könnten wir ihr auch die nötige Anerkennung zukommen lassen. Zusammen mit meinen Kollegen Tauss und
Reimann werde ich in den nächsten Wochen einen flankierenden Antrag im Bundestag einbringen. Hier ist nicht
die Forderung nach mehr Geld das Allheilmittel; vielmehr muss man die Strukturen im Hochschulwesen und
im Forschungsbereich überprüfen.
Meine Damen und Herren, unter dem Strich lässt sich
feststellen, dass Bildung und Forschung mit diesem
Haushalt auf Wachstumskurs bleiben. 33 Prozent mehr
Ausgaben - mit diesem Pfund lässt sich wuchern. Aus
diesem Grunde fällt es mir sehr leicht, Sie zu bitten, dem
Einzelplan 30 in der Ausschussfassung zuzustimmen.
Vielen Dank.
({25})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Schneider, da Sie von Wachstumsimpulsen sprachen, die
von Bildung und Forschung ausgehen, schreibe ich Ihnen ein Zitat vom Kieler Institut für Weltwirtschaft
({0})
ins Stammbuch:
Der höchste Wachstumsbeitrag geht von der Qualität des Bildungssystems aus. Daher stellt eine qualitätsorientierte Bildungspolitik gleichzeitig Wachstums-, Beschäftigungs- und Standortpolitik dar.
Das ist eine richtige These. Allerdings ist das, was Sie,
meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,
uns mit dem Haushalt vorgelegt haben, eine Mogelpackung.
({1})
Das ist keine Wachstumspolitik, da Sie in diesem Haushalt eine vollkommen falsche Prioritätensetzung vorgenommen haben. Ich stelle dies ganz kurz unter Beweis:
Im Grunde genommen haben Sie in den Bereichen
Bildung, Wissenschaft und Forschung Kürzungen beschlossen. Fakt ist, dass Ihr Haushalt im Vergleich zum
Vorjahr nicht wächst, sondern um 29 Millionen Euro
sinkt, wenn man einmal von Ihrem Ganztagsschulprogramm absieht, das nicht in diesen Haushaltsplan, sondern in den Einzelplan 60 eingestellt ist. Fakt ist auch,
dass Rot-Grün und insbesondere Frau Bundesministerin
Bulmahn mit der Erklärung angetreten sind, sie wollten
die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung verdoppeln und diese Bereiche von den Konsolidierungsmaßnahmen ausnehmen. Dies aber gelingt Ihnen im
Haushalt für 2004 nicht, meine Damen und Herren.
({2})
Zur ganzen Wahrheit gehört auch, Herr Schneider,
dass Sie einfach die globalen Minderausgaben um weitere 84 Millionen Euro auf sage und schreibe 229 Millionen Euro erhöhen. Das bedeutet, dass Sie weitere Einsparungen im Bildungs- und Forschungshaushalt
erbringen müssen. Das Ende der Fahnenstange ist also
noch gar nicht erreicht.
Herr Schneider, wenn Sie die Steigerung der BAföGMittel loben, dann kann ich nur sagen: Wenn Sie
28 Millionen Euro mehr für das Schüler- und 28 Millionen Euro mehr für das Studenten-BAföG aufbringen,
dann kommen Sie lediglich einer gesetzlichen Verpflichtung nach. Ich erinnere daran, dass wir, die FDP-Fraktion, bereits während der Haushaltsberatungen im
Ausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht haben und dass wir davor gewarnt haben, dass
angesichts der hohen Arbeitslosenquote und der hohen
Anzahl der Sozialhilfeempfänger - diese ist unter Ihrer
Regierung gestiegen - auch die Zahl der BAföG-Berechtigten steigen wird.
({3})
Herr Professor Dr. Wolf Lepenies vom Wissenschaftskolleg Berlin erklärte bereits im September vergangenen
Jahres:
Diese Regierung sichert auf Kosten der Bildungsausgaben erhebliche Sozialbudgetleistungen mit
geringem Zukunftsprofil.
Frau Bulmahn, Sie müssen auch noch mit
84 Millionen Euro aus Ihrem Bildungs- und Forschungshaushalt den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung
mit finanzieren. Für die umlagefinanzierte Pflegeversicherung wird in Deutschland ungefähr so viel Geld ausgegeben wie für die steuerfinanzierten Hochschulen.
Das ist eine Schieflage im Bundeshaushalt. Das ist doch
keine Prioritätensetzung zugunsten von Zukunftsinvestitionen!
({4})
2004 - das wurde schon erwähnt - werden die Mittel
für den Hochschulbau um 12 Prozent, um 135 Millionen Euro gekürzt. Das ist erschreckend, wenn man weiß,
dass die Studentenzahl - erfreulicherweise - gestiegen
ist. Die Hochschulen platzen aus allen Nähten, meine
Damen und Herren von der Koalition. Daher darf hier
nicht gekürzt werden, sondern müssen Prioritäten zugunsten des Hochschulbaus gesetzt werden. Der Haushaltsansatz weist 925 Millionen Euro aus. Gebraucht
würden aber allein im nächsten Jahr 1,4 Milliarden Euro.
Nur noch 63 Prozent der notwendigen Ausgaben werden
also vom Haushalt gedeckt. Das ist eine falsche Weichenstellung für die Zukunft Deutschlands.
({5})
Als wir über die Verwendung der UMTS-Erlöse beraten haben, haben wir Sie daran erinnert, dass wir ein
Hochschul- und ein Bibliothekensonderprogramm brauchen, und aufgefordert, mit den Erlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen diese Programme auf den
Weg zu bringen. Sie haben unseren damaligen Anträgen
nicht zugestimmt. Heute erweist sich aber, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir diesen Weg gegangen wären.
({6})
Die Prognos AG Basel hat in ihrem neuesten Gutachten „Bildung neu denken“, das sie im Auftrag der bayerischen Wirtschaft erstellt hat, völlig zu Recht eine „kurzfristige Sicherung der Hochschulfinanzierung auf
internationalem Niveau durch eine radikale PrioritätenCornelia Pieper
setzung bei den öffentlichen Mitteln“ gefordert. Die
Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie kürzt die
Hochschulausgaben und die Forschungsausgaben, und
zwar nicht nur im Einzelplan 30, sondern auch in der
Ressortforschung. Dafür schreiben Sie, meine Damen
und Herren von der Koalition, die unsinnigen Steinkohlesubventionen in Höhe von fast 16 Milliarden Euro
fort. Inzwischen wird ein Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau jährlich mit 90 000 Euro durch den Steuerzahler
subventioniert. Sie investieren lieber in die Vergangenheit als in die Köpfe junger Menschen und damit in die
Zukunft unseres Landes. Das ist eine falsche Weichenstellung.
({7})
- Herr Fell, gut, dass Sie klatschen; denn ich wollte Sie
gerade zitieren.
Das löst selbst in der eigenen Koalition ein Grummeln aus. Ich habe heute in einer bekannten Tageszeitung gelesen, dass die Grünen aus dem Arbeitskreis 2 ein
Positionspapier vorgelegt haben, in dem es heißt: Es ist
angesichts der fehlenden Mittel in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation nicht zu rechtfertigen,
einen Steinkohlesockel dauerhaft zu finanzieren. Hier
stimmen wir eigentlich überein. Aber Sie kürzen die
Steinkohlesubventionen nicht.
({8})
Im Grunde genommen stimmen Sie so der falschen Bildungs- und Forschungspolitik zu.
({9})
Bei der Berufsausbildung machen die Bundesregierung und insbesondere Sie, Frau Ministerin, ebenfalls
eine Rolle rückwärts. Spätestens seit dem Bundesparteitag ist klar: Die Regierung wird im nächsten Jahr nicht
für mehr, sondern für weniger Ausbildungsplätze sorgen.
Sie droht nach jahrelangen Erhöhungen der Steuern für
den Mittelstand mit einer weiteren Steuer, nämlich mit
einer komplizierten Ausbildungsabgabe.
({10})
Bereits heute, Herr Tauss, werden die kleinen und
mittleren Unternehmen mit 37 Prozent Ausbildungskosten belastet. Eine Abgabe führt - die Entwicklung bei
den Behindertenarbeitsplätzen war ähnlich - zu einem
Freikauf von Ausbildungsplätzen und nicht zu mehr
Ausbildungsplätzen.
({11})
Diese Erfahrung haben wir doch mittlerweile schon gemacht.
({12})
Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich
im Interesse der jungen Arbeitslosen für flexiblere Ausbildungsvergütungen einsetzen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie mit einer Reform des Berufsbildungsgesetzes nun endlich durchstarten, indem Sie praktisch
orientierten Jugendlichen Teilqualifikationen und durchgängig eine zweijährige Grundausbildung in allen Berufen ermöglichen. Rund 14 Prozent der jungen Menschen
in Deutschland haben gar keinen Berufsabschluss. Die
Anzahl der Migrantenkinder ohne Berufsabschluss ist
sogar noch höher. Geben Sie ihnen doch eine Chance, in
den Arbeitsmarkt einzusteigen, bevor sie in die Sozialhilfe absteigen!
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Deutschland hält nun auch in der Forschung international nicht mehr Schritt. Ob wir es wollen oder
nicht: Deutschland steht im unmittelbaren Wettbewerb
mit den USA und mit den europäischen Nachbarn. Der
Blick in den Bericht der Deutschen Bundesbank zu
den technologischen Dienstleistungen zeigt uns, wie
gravierend sich der Saldo Deutschlands in der Zahlungsbilanz seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün im
Jahr 1998 entwickelt hat: Wir geben heute wesentlich
mehr für den Kauf von Patenten und Lizenzen, für Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung, für EDVLeistungen und Ingenieurleistungen aus, als wir an das
Ausland verkaufen. Der Negativsaldo betrug 1998 noch
rund 2,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2001 betrug das Defizit bereits fast 7,5 Milliarden Euro. Das ist die Bilanz Ihrer Forschungspolitik, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition.
({14})
Frau Ministerin, Sie rühmen sich, dass Sie bei den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen Zuwächse in Höhe von 3 Prozent erreichen können. Beherrscht man das Einmaleins nach Adam Riese, so stellt
man fest: Der Umfang sämtlicher Kürzungen durch drastische Einschnitte in die programmorientierte Forschung
ist größer als die Zuwächse in Höhe von 3 Prozent. Sie
kürzen bei der Mikrosystemtechnik, bei der Nanoelektronik, bei den Nanomaterialien und bei den neuen Werkstoffen. Herr Schneider, die von Ihnen hier beschriebenen
Zuwächse finden sich im Forschungsbereich dieses
Haushalts nicht wieder.
Frau Pieper, kommen Sie bitte zum Schluss.
Leider bleibt der oppositionellen FDP-Fraktion immer zu wenig Zeit,
({0})
um darzustellen, was notwendig ist, um die im Hinblick
auf Zukunftsinvestitionen in Deutschland wirklich wegweisenden Konzepte vorzustellen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Sie sind auf dem
falschen Weg! Deutschland sitzt in vielen Bereichen der
Bildung und der Forschung längst nicht mehr in der Lokomotive, sondern im Schlafwagen. Wachen Sie endlich
auf!
({1})
- Wir sitzen im ICE.
Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen
Alexander Bonde vom Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was
den Bereich Bildung angeht, konnte man heute in der
Zeitung zumindest eine positive Nachricht lesen: Die
Abgeordneten des Bundestages sind überdurchschnittlich gebildet. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Nicht
jede der heutigen Reden hat diesen Befund belegt.
({0})
Ich möchte der von Ihnen hier im Bereich Bildung
und Forschung praktizierten Schwarzseherei und vor allem Schwarzmalerei einfach die nackten Zahlen entgegenstellen: Im Jahr 2004 fließen in die Bereiche Bildung
und Forschung - dazu gehören BAföG und Ganztagsschulprogramme -, Einzelplan 30, 9 706 000 000 Euro.
Gegenüber dem Jahr 2003 bedeutet das einen Aufwuchs
um 6,7 Prozent. Im Vergleich zu 1998 fließen dorthin
2,5 Milliarden Euro mehr. Das entspricht einem Aufwuchs um 25 Prozent. Das ist die Zahlenbasis, über die
wir hier diskutieren.
Wir diskutieren in einer schwierigen Haushaltslage
darüber. Wir haben heute eine lange Diskussion geführt.
Sie von der CDU/CSU haben sich hier als große Konsolidierer gebärdet. Unsere tatsächliche Erfahrung im Ausschuss ist eine andere. Bildungspolitisch diskutieren wir
bundesweit im Moment über die Frage: Wie gehen wir
mit Schulschwänzern und mit Schulverweigerern um?
Hier im Bundestag müssen wir angesichts dessen, was
uns die CDU/CSU das letzte halbe Jahr im Haushaltsausschuss geboten hat, über die Frage diskutieren: Wie
gehen wir mit Beratungsschwänzern und mit Arbeitsverweigerern um?
({1})
Jawohl, es ist eine schwierige Haushaltslage und da
kann auch der Bereich Bildung und Forschung nicht ungeschoren bleiben.
({2})
Der Rentenkompromiss, die maßvolle Belastung der
Rentnerinnen und Rentner - etliche Ihrer Kolleginnen
und Kollegen, Kollege Willsch, sind ja durch die Lande
gezogen, haben dagegen agiert und die Rentnerinnen
und Rentner verunsichert -,
({3})
hat natürlich dazu geführt, dass die restlichen Einzelpläne belastet werden, um die Lücke bei der Rentenversicherung zu füllen. Das hat den Bereich Bildung und
Forschung mit einer zusätzlichen globalen Minderausgabe von 84 Millionen Euro getroffen. Das schmeckt
uns nicht, aber es geht ja darum, den Haushalt im Gesamtzusammenhang zu betrachten. Natürlich haben
strukturelle Schwierigkeiten, an deren Zustandekommen
alle in diesem Hause beteiligt sind, Auswirkungen auf
die Spielräume für Bildung und Forschung. Es schmeckt
uns nicht, wie gesagt, dass der Bereich Bildung und Forschung mit 84 Millionen Euro betroffen wurde,
({4})
aber wir als Koalition haben es geschafft, beim BAföG
56 Millionen Euro obendrauf zu legen. Was an Gesamtaufwuchs vorhanden ist, habe ich bereits genannt
und hat auch der Kollege Schneider genannt.
({5})
Diese Zahlen zu hören werden wir Ihnen auch im Rest
der Debatte nicht ersparen.
Wenn wir darüber reden, wohin die Reise bei Bildung
und Forschung geht, dann müssen wir über das reden,
über das wir heute Morgen hätten sprechen sollen und
heute Nachmittag gesprochen haben, nämlich die Frage
der Strukturreformen und die Frage des Subventionsabbaus. Sie müssen uns erklären, warum Sie genau da
immer auf die Bremse treten und blockieren.
({6})
Wir als Koalition haben unter anderem mit der Agenda
2010 sehr schmerzhafte Reformprozesse in Gang gesetzt
und dabei wurden wir durch die Opposition nicht unterstützt,
({7})
obwohl Sie von der Opposition das Schaffen von großen
Spielräumen für Bildung und Forschung fordern. Ohne
Strukturreformen, ohne Subventionsabbau können wir
aber keine Spielräume für zukünftige Generationen
schaffen.
Wir haben Vorschläge vorgelegt. Die CDU/CSUFraktion hat während des gesamten Haushaltsverfahrens
nicht einen Vorschlag vorgelegt, weder zur Schwerpunktsetzung in Bildung und Forschung noch zu der
Frage, woher die Masse dessen kommen soll, womit wir
Zukunftschancen ermöglichen wollen. Hier stellt sich
schon die Frage: Wer kämpft für die Spielräume für zukünftige Generationen?
({8})
Welche Forderung nach Konsolidierung und welche Forderung nach einer fortschrittlichen Bildungs- und Zukunftspolitik sind in dieser Debatte glaubwürdig?
({9})
Auch innerhalb des Einzelplans haben wir Prioritäten gesetzt - der Kollege Schneider hat bereits darauf
verwiesen -, mehr im Kleinen und nicht ganz so, wie wir
es uns gewünscht hätten, aber im Rahmen dessen, was
uns an Spielräumen zur Verfügung stand. Wir haben zugunsten der Erforschung erneuerbarer Energien draufgesattelt.
({10})
Wir stärken die Erforschung neuer Antriebstechnologien. Wir setzen einen Akzent in der Friedensforschung.
Wir unterstützen die Erforschung von Alternativen zu
Tierversuchen. Auch in vielen weiteren kleinen Punkten
haben wir in der Bildungs- und Forschungspolitik deutlich Profil gezeigt.
({11})
Wir müssen damit aufhören, finde ich, in dieser Republik alles schlecht zu reden. Wir müssen klar sagen, wo
politische Prioritäten gesetzt werden können und welche
Rot-Grün gesetzt hat.
({12})
Wenn Sie größere Prioritäten setzen wollen, dann tun Sie
es! Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Der Vermittlungsausschuss wird in der Frage, ob wir in den
nächsten Jahren und Jahrzehnten Spielräume für die zukünftigen Generationen haben, eine entscheidende Rolle
spielen.
({13})
Die Verweigerungshaltung der Opposition und die Uneinigkeit der Opposition bringt genau diese Spielräume in
Gefahr. Ich kann Sie also nur bitten: Lassen Sie Ihren
Reden im Vermittlungsausschuss auch Taten folgen! Ich
bin gespannt.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Professor Maria
Böhmer von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Bonde hat eben die Frage gestellt, wohin
die Reise geht. Ich kann es Ihnen sagen: Wenn man den
Haushalt betrachtet - sowohl den Gesamthaushalt als
auch den Einzelhaushalt -, stellt man fest, dass der von
Ihrer Politik eingeschlagene Weg nach unten führt. Das
ist eine Katastrophe für unser Land.
({0})
Die Ergebnisse sind hohe Arbeitslosigkeit und Menschen, die sich fragen, wie es weitergehen soll. Die Antworten, die Sie uns geben, geben keine Hoffnung.
Ich habe vor wenigen Tagen gelesen: Das Land muss
sicher manche Ausgabe kürzen, bei der Bildung wäre
dies töricht.
({1})
Was sehe ich? Wir sind mit globalen Minderausgaben
von 84 Millionen Euro konfrontiert, nachdem der Forschungshaushalt vorher bereits drastische Kürzungen erfahren hat. In Hochglanzanzeigen behauptet die SPD, es
würden keine Kürzungen stattfinden, weil das töricht sei.
Ich halte es für unerhört,
({2})
wie man versucht, den Bürgerinnen und Bürgern Sand in
die Augen zu streuen.
({3})
Die Bürgerinnen und Bürger wissen sehr wohl, was
hier geschieht. Wenn Sie als Motto propagieren: „Das
Wichtige tun“, dann kann ich Ihnen darauf, Frau
Bulmahn, nur antworten: Sie tun nicht das Wichtige, Sie
tun auch leider nicht das Richtige. Sie tun das Falsche.
Das ist das Schlimme an Ihrer Politik.
({4})
Wenn Sie bei der Debatte am 7. November erklären,
Sie müssten jetzt kürzen, um damit einen Beitrag zur
Sicherung der sozialen Sicherungssysteme zu leisten,
so heißt das im Klartext: Die Wissenschaft zahlt einen
hohen Preis für eine verfehlte Rentenpolitik dieser Bundesregierung.
({5})
Das kann nicht sein. Wir müssen „Vergangenheitssubventionen in Zukunftsinvestitionen umschichten“ - das sagt
der Bundeskanzler. Sie aber tun genau das Gegenteil.
Bildung, glaube ich, ist die soziale Frage des
21. Jahrhunderts. Bildung ist nicht nur ein Gebot
der Chancengerechtigkeit, sondern - wenn denn
Pathos erwünscht ist - buchstäblich eine Überlebensfrage unserer Gesellschaft …
So auch wieder der Bundeskanzler. Was aber geschieht?
Statt diese Maxime zu befolgen, kürzen Sie die Mittel
für Bildung und Forschung.
({6})
Ich will Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, dass die immer wiederkehrenden Verweise auf das
Jahr 1998 - in keiner Ihrer Reden übergehen Sie diesen
Bezug ({7})
nach fünf Jahren als Argument nicht mehr tragen. Mit
diesen Ausflüchten können Sie hier nicht punkten.
({8})
Vielmehr müssen Sie sich an Ihren eigenen Versprechen
und Zielen sowie den Anforderungen von Gegenwart
und Zukunft messen lassen.
Versprochen haben Sie, Mittel für Forschung und Entwicklung in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sicherzustellen.
({9})
Sie liegen deutlich darunter. Wenn Sie die 3-ProzentMarke bis zum Jahr 2010 noch erreichen wollen, bräuchten Sie ab 2005 Steigerungsraten von 7 bis 8 Prozent.
Das halte ich angesichts Ihrer desaströsen Wirtschaftsund Finanzpolitik schlichtweg für utopisch.
({10})
In einer Volkswirtschaft wie unserer, in der es nur
um Innovation geht, darf es keinen Einbruch bei der
Forschung geben.
So hat sich vor wenigen Tagen Professor Winnacker im
„Handelsblatt“ geäußert.
({11})
Es gab erneut einen Brandbrief der Wissenschaftsorganisationen an den Bundeskanzler.
Wenn Sie jetzt verkünden, Sie hätten die Ausgaben
um 3 Prozent erhöht, dann müssen Sie aber auch dazu
sagen, dass Sie sie im letzten Jahr abrupt gekürzt haben
und die Wissenschaftsorganisationen damit vor eine Situation gestellt haben, die kaum zu bewältigen war.
({12})
- Ja, Herr Tauss, Sie umschreiben das immer so freundlich mit Nullrunde. Jetzt überspielen Sie doch nicht das,
was Sie hier tun. Sie fügen der Forschung und der Wissenschaft in diesem Land großen Schaden zu.
({13})
Sie entziehen zugleich Projektmittel in Höhe von
80 Millionen Euro. Damit haben Sie im Wissenschaftsbereich einen Flurschaden angerichtet, der kaum noch zu
kompensieren ist.
({14})
Herr Tauss, Sie sagen doch selbst, das wäre das völlig
falsche Signal zur falschen Zeit. Sigmar Gabriel aus Niedersachsen erklärt: „Wir können nicht beim Parteitag die
Innovationsförderung hochhalten, sie im Alltag klein
kürzen.“ Das ist richtig. Handeln Sie danach.
Ich nehme einmal den Bereich des Hochschulbaus.
Auch dieser ist von massiven Kürzungen betroffen. Die
Folgen sind nicht nur, dass vielleicht an einer Stelle etwas Farbe und an einer anderen ein Sack Zement fehlt.
Nein, Hochschulbauförderung bedeutet auch Förderung von Forschung; denn darunter fallen auch die Großgeräte, die anzuschaffen sind. Wenn die Mittel für neue
Großgeräte, die man bräuchte, um aktuell und innovativ
zu forschen, nicht zur Verfügung stehen, dann stagniert
die Forschung, dann werden wissenschaftliche Einrichtungen zu Museen für alte Geräte.
({15})
Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: In BadenWürttemberg, in Biberach, an einem der hervorragenden
Standorte für Biotechnologie in unserem Land
({16})
- Herr Tauss, Sie freuen sich schon darauf ({17})
- da warten wir einmal ab -,
({18})
sollte ein neuer Studiengang an der Fachhochschule
entstehen. Was passiert? Mangels Beteiligung seitens
des Bundes droht hier ein einmaliges innovatives Ausbildungskonzept infrage zu stehen. Wir brauchen aber
Fachkräfte in unserem Land. Dafür muss der enge Zusammenhang zwischen Hochschulbauförderung und
Forschungsförderung beachtet werden. Sie aber kündigen die Förderung einseitig auf. Das werden wir nicht
mitmachen.
({19})
Ich will den Punkt Fachkräftemangel kurz vertiefen.
Wir sind immer wieder - das ist schier ein Dauerthema
in diesem Haus - mit der Abwanderung von wissenschaftlichem Nachwuchs und Spitzenwissenschaftlern
konfrontiert. Da muss man die Frage stellen: Warum eigentlich? Weil die Arbeitsbedingungen hier nicht so attraktiv sind wie etwa in den USA.
({20})
Wir brauchen internationalen Austausch, wir brauchen
internationale Erfahrung,
({21})
gerade in der Zeit der Globalisierung. Aber wir brauchen
vor allen Dingen eine Schubumkehr in der Form, dass
diejenigen, die unser Land verlassen haben, um wissenschaftliche Erfahrungen zu sammeln, wieder zurückkehren. Dafür müssen sie einen Forschungs- und Hochschulstandort Deutschland vorfinden, an dem es für sie
attraktiv ist, zu forschen und zu arbeiten.
({22})
Was könnte Forscher dazu bewegen, wieder hierher
zu kommen? Wir müssen in unserem Land mehr Mut zur
Förderung von Eliten haben. Wir müssen Exzellenz
fördern. Dabei müssen wir vier Punkte berücksichtigen:
Erstens. Wir brauchen eine schärfere Profilbildung an
den Hochschulen. Zweitens. Wir brauchen mehr Wettbewerb durch Evaluation und Hochschulranking. Drittens.
Wir müssen Bürokratie abbauen und für mehr Autonomie sorgen. Viertens. Wir brauchen eine flexiblere Verwendung von Forschungsgeldern und Anreize für das
Einwerben von Forschungsmitteln. In der Debatte am
7. November haben wir einen Antrag eingebracht - der
Kollege Kretschmer hat ihn begründet -, in dem wir eine
Forschungsprämie vorgeschlagen haben. Das sind die
Wege, die man gehen muss. Unsere Konzepte und Vorschläge liegen auf dem Tisch. Greifen Sie sie auf; das
hilft unserem Standort!
({23})
Deutschland ist aber auch zu wenig attraktiv für ausländische Studierende und Wissenschaftler. Das muss
uns umtreiben.
({24})
- Herr Tauss, im Vergleich mit den USA können Sie unsere Steigerungsraten vergessen. In den USA stammt die
Hälfte der ausländischen Studierenden aus Asien, bei
uns ist es nur gut ein Viertel. Das heißt, zukünftig werden auch die Wirtschaftskontakte eher zwischen Asien
und den USA und weniger zwischen uns und Asien befördert. Bereits in den Hochschulen werden die Gewichtungen entschieden. Deshalb ist es ein eklatanter Mangel, wenn unser Land für ausländische Studierende nicht
genügend attraktiv ist. Das muss dringend geändert werden.
({25})
In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt von
Bedeutung, nämlich der Braindrain nach innen - nicht
nur nach außen -, das heißt innere Emigration. Wenn
Forscher feststellen, dass sie eingeengt, eingeschnürt
werden, dass sie keine Freiheiten in ihrem Denken und
kreativen Handeln mehr haben, dann ziehen sie sich zurück.
Deshalb sage ich: Wir müssen Hochschule und Wissenschaft wieder mehr Freiheit geben.
({26})
Beginnen Sie damit: Wir brauchen im Hochschulbereich
die Freiheit für die Auswahl der Studierenden und wir
brauchen endlich die Abschaffung dieses unseligen Verbots von Studiengebühren.
({27})
Das Verbot muss aufgehoben werden, damit Hochschulen wieder autonom handeln können, damit sie über finanzielle Mittel verfügen, damit die Motivation von Studierenden befördert wird.
Sie behaupten immer, damit würden sozial Schwache
gehindert, an den Hochschulen zu studieren.
({28})
Was eigentlich unsozial ist und was Sie Tag für Tag und
Nacht für Nacht umtreiben müsste, ist, dass die Verkäuferin heute das Studium der Arzttochter finanziert. Das
nenne ich unsozial und das muss geändert werden.
({29})
Was können Studiengebühren bewirken? In BadenWürttemberg sind Langzeitstudiengebühren eingeführt
worden. Ich will Ihnen drei Vorteile nennen.
({30})
Der erste Vorteil ist, Herr Tauss, dass endlich die Zahl
der Langzeitstudierenden zurückgegangen ist. Sie ist
deutlich auf etwa 40 Prozent des früheren Niveaus gesunken. Das heißt, diejenigen, die gar keinen Abschluss
machen und nur soziale Vergünstigungen haben wollten,
sind aus der Hochschule ausgeschieden. Die Zahl der
Prüfungen und der Absolventen ist sprunghaft gestiegen.
Es hat keine negativen Auswirkungen gegeben, denn die
Zahl der Erstimmatrikulierten ist angestiegen.
Der zweite Punkt: Die Einnahmen kommen den
Hochschulen zugute.
({31})
Das wollen wir. Das muss so sein. Anders machen Studiengebühren auch keinen Sinn.
Zum dritten Punkt sage ich Ihnen etwas aus eigener
Erfahrung, denn ich lehre nach wie vor:
({32})
Studiengebühren können das Verhältnis von Professoren
und Studierenden deutlich verbessern. Die Erfahrungen
aus Großbritannien und in den USA zeigen: Es stellt sich
ein tragfähigeres, ein verantwortungsvolles Verhältnis
zwischen Studierenden und Professoren ein. Wir müssen
bei Studiengebühren von der reinen Finanzdiskussion
wegkommen. Wir müssen die Vorteile für eine bessere
Motivation und höhere Verantwortung im Hochschulbereich bedenken.
({33})
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
Es gilt umzusteuern: Die Sozialausgaben in unserem
Land sind sechsmal höher als die Bildungsausgaben.
Damit wird nicht der dringend notwendigen Zukunftsorientierung und der Forschung Rechnung getragen.
Vielmehr haben wir es hier mit einer eklatanten Gerechtigkeitslücke zu tun. Was wir jetzt brauchen, ist klare
Vorfahrt für Forschung und Innovation.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Edelgard
Bulmahn.
({0})
Meine sehr geehrten Herren und Damen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir reden hier und jetzt über die Gestaltung der Zukunft.
({0})
Auch wenn ich offen sagen muss: Bei den Rednern der
Opposition war nicht viel davon zu spüren.
({1})
Wir reden über die Gestaltung der Zukunft. Wir reden
über die Weichen, die wir heute stellen müssen, um morgen im internationalen Kompetenzwettbewerb die Nase
vorn zu haben. Bildung und Forschung sind genau dafür
die zentralen Triebfedern. Sie sind die zentralen Triebfedern für wirtschaftliche Entwicklung genauso wie für
gesellschaftliche Entwicklung. Nur mit Investitionen in
Wissen und in Kompetenzen schaffen wir auch Wachstum und Beschäftigung und nur dann können wir eben
auch den Wohlstand, die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit in unserem Land erhalten.
Genau diese Ziele stehen im Mittelpunkt der Agenda
2010. Wir stabilisieren mit dieser Politik, mit der wir
ganz klar auf Innovation, auf Bildung und Forschung
setzen, die Grundpfeiler unseres Sozialstaates und wir
stabilisieren gleichzeitig das Fundament für unsere Zukunft.
({2})
Wir schaffen damit drittens die notwendigen Spielräume
- auch die notwendigen finanziellen Spielräume -, um
das konsequent fortzusetzen, was wir 1998 begonnen haben, nämlich eine ganz klare Politik für Bildung und
Forschung.
({3})
Mit diesem klaren Kurs für Bildung und Forschung
ist es uns, unbeirrt von konjunkturellen Zyklen, gelungen, ein weit verbreitetes Bewusstsein für die Bedeutung
von Zukunftsinvestitionen zu schaffen.
({4})
Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, der für Forschung und
Entwicklung aufgewendet wird, liegt jetzt bei 2,5 Prozent.
Auch wenn es Sie schmerzt, Frau Böhmer, muss ich Sie
daran erinnern: 1998 lag er gerade einmal bei 2,29 Prozent.
({5})
Ich muss Sie außerdem daran erinnern, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung der Haushalt um rund
400 Millionen Euro gekürzt worden ist. Wenn ich mir
einmal die Entwicklung dieses Haushaltes genau anschaue - ich gehe davon aus, dass die Mitglieder des
Deutschen Bundestages rechnen können, zumindest bis
zu bestimmten Größenordnungen -,
({6})
dann stelle ich fest, dass der Haushalt seit 1998 jedes
Jahr gestiegen ist.
({7})
Im Einzelplan 30 wenden wir für Bildung und Forschung 8,2 Milliarden Euro auf. Parallel dazu investieren
wir 1 Milliarde Euro in Bildung.
({8})
- Herr Willsch, lassen Sie mich eines sagen: Wenn Sie
nicht begreifen, dass es ein gesellschaftspolitischer
Skandal ist, dass in unserem Land 25 Prozent der Kinder
die Schule verlassen, ohne dass sie Grundkenntnisse in
Rechnen und Schreiben haben,
({9})
wenn Sie nicht begreifen, dass es ein gesellschaftspolitischer Skandal ist, dass in unserem Land wie in keinem
anderen europäischen Land die Bildungschancen von
der sozialen Herkunft abhängen,
({10})
dann stellen Sie sich ein Armutszeugnis sondergleichen
aus.
({11})
Das allein sagt viel über die Art und Weise aus, wie Sie
denken.
Da allerdings unterscheidet sich diese Bundesregierung von Ihnen: Uns ist es nicht egal, welche Chancen
Kinder und Jugendliche in fünf, zehn oder 20 Jahren haben. Deshalb haben wir diese Entscheidung getroffen.
({12})
Das ist meinen Kolleginnen und Kollegen und den Parlamentariern nicht leicht gefallen. Aber weil uns die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen nicht egal
sind, setzen wir 4 Milliarden Euro für die Verbesserung
von Bildungschancen ein.
({13})
Wenn Sie Ihre Verantwortung ernst nehmen und nicht
so in verächtlicher Weise über Bildungschancen reden
würden,
({14})
dann würden Sie in Ihren Ländern alles dafür tun, dass
diese 4 Milliarden Euro im Interesse der Kinder sachgerecht eingesetzt werden. Das erwarte ich auch von den
Kolleginnen und Kollegen der Opposition.
({15})
Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bergner?
Ja.
Bitte schön, Herr Bergner.
Frau Minister, da Sie mit so viel Nachdruck und mit
so viel Engagement die Ganztagsschulen und den Eingriff des Bundesministeriums in Länderzuständigkeiten,
der mit diesem Programm verbunden ist, verteidigen,
({0})
möchte ich folgende Frage stellen: Können Sie bestätigen, was Sie im Ausschuss einmal gesagt haben, dass es
für die Wirkung der Ganztagsschulen auf die Bildung im
Grunde genommen Belege weder durch Schulversuche
noch durch irgendwelche Forschungsergebnisse gibt?
({1})
Wenn Sie über die sachgerechte Verwendung von
Mitteln reden, dann müssen Sie auch zugeben, dass es
im Bereich der Schulforschung bis zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch keine hinreichenden Belege dafür gibt,
dass dieses Programm, das letztendlich nur ein Bauprogramm ist, den Missstand, den auch ich beklage, tatsächlich beseitigen kann.
({2})
In Deutschland gibt es völlig unzureichende wissenschaftliche Kenntnisse über den Erfolg von und über die
Bildung in Ganztagsschulen. In anderen Ländern gibt es
sehr wohl wissenschaftliche Kenntnisse darüber.
({0})
- Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse über skandinavische Ganztagsschulen, aber auch über Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung in Großbritannien und
Frankreich. - Deshalb sage ich: Es gibt zwar wissenschaftliche Erkenntnisse, aber viel zu wenige über die
Situation in Deutschland.
Daher, Herr Bergner, habe ich angekündigt, dass wir
ein Begleitprogramm durchführen. Dies ist auf Ihrer
Seite auf große Kritik gestoßen. Wir verfolgen dabei
zwei Zielsetzungen. Wir wollen durch wissenschaftliche
Begleitung und Unterstützung auf der einen Seite eine
qualitativ gute Bildung in Ganztagsschulen sicherstellen.
Denn ich sage immer: Bildung benötigt gute Qualität.
Genau das bieten Ganztagsschulen. Sie bieten mehr
Freiräume und eine bessere Qualität des Unterrichts. Sie
ermöglichen mehr Zeit für ein gemeinsames Lernen und
dafür, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer wirklich um
die Schülerinnen und Schüler kümmern können. - Das
ist die eine Zielsetzung.
({1})
Zum anderen wollen wir damit sicherstellen, dass die
Länder endlich ihre Verantwortung wahrnehmen
({2})
und dafür Sorge tragen, dass für die Ganztagsschule ein
gutes pädagogisches Konzept vorliegt. Das ist von Ihrer
Seite als Eingriff in die Kompetenzen der Länder diskreditiert worden. Jetzt fragen Sie: Wie sollen sie denn
dafür Sorge tragen?
({3})
Sie sollten sich entscheiden, was Sie wollen.
Mir war es wichtig, in der entsprechenden Vereinbarung klipp und klar festzulegen - deshalb steht dies dort
auch -, dass die Länder die Verantwortung dafür übernehmen, dass ein gutes pädagogisches Konzept für den
Ganztagsschulbetrieb erarbeitet und natürlich auch angewandt wird. Deshalb meine Bitte - ich freue mich, wenn
Sie genauso wie ich die Notwendigkeit sehen, unsere
Bildungseinrichtungen und Schulen wirklich zu verbessern -,
({4})
dass Sie das Ihrige dafür tun, damit die Ganztagsschulen
in Ihrem Land genau diesen Ansprüchen genügen.
({5})
Deutschland ist heute der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. 14 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften wir mit forschungsintensiven
Technologiegütern. Auf zentralen Technologiefeldern
wie in der Bio- und der Nanotechnologie nehmen wir
heute eine internationale Spitzenposition ein. Gerade
diese Querschnittstechnologien stärken als branchenübergreifende Motoren des technologischen Wandels die
Innovationskraft unserer gesamten Wirtschaft. Diesen
Weg, der für die Entwicklung unseres Landes höchste
Bedeutung hat, gehen wir entschlossen weiter.
Dafür haben wir klare Ziele. Wir setzen auf die Kreativität und die Leistungsfähigkeit unserer Menschen. Wir
schaffen innovationsfreundliche Rahmenbedingungen
und verhelfen den Zukunftstechnologien zum Durchbruch. Dafür werden im nächsten Jahr im Haushalt für
Bildung und Forschung insgesamt rund 9,7 Milliarden
Euro zur Verfügung gestellt. Damit liegen wir um
2,4 Milliarden Euro bzw. um rund 34 Prozent über dem
Haushaltsansatz des Jahres 1998 - und das trotz der allen
bekannten schwierigen Haushaltslage.
Projektförderung schafft Wettbewerb unter den Forschern und kurbelt die Leistungsfähigkeit an. Sie
schweißt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen und sichert so den Kompetenzvorsprung der deutschen Wirtschaft. Wir haben deshalb seit 1998 die Projektfördermittel um 32 Prozent erhöht und dort konzentriert, wo
einerseits die größte Hebelwirkung auf das wirtschaftliche Wachstum und damit auch auf die Beschäftigung zu
erwarten ist und andererseits dringender gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht.
Die Ergebnisse dieser Politik sprechen im Übrigen
eine deutliche Sprache. In der Nanotechnologie haben
wir die Projektförderung seit 1998 vervierfacht. Damit
haben wir im internationalen Vergleich Weltspitze erreicht. Deutschland ist in der Weltspitze präsent. Wir
sind in der Nanotechnologie weltweit mit führend. Wir
wollen den Kompetenzvorsprung, den wir haben, ausbauen. Ich werde in Kürze ein neues Rahmenkonzept zur
Nanotechnologie vorlegen, mit dem wir unsere nationalen Aktivitäten in diesem Bereich bündeln und strategisch ausrichten.
({6})
Der Gesundheitsmarkt ist einer der größten Zukunftsmärkte. Leider haben Sie durch Ihre halbherzige
Politik verhindert, dass wir in dem Gesundheitsmarkt
eine noch bessere Qualität und mehr Wettbewerb, als wir
jetzt vereinbart haben, sicherstellen konnten. Trotzdem
ist der Gesundheitsmarkt einer der größten Zukunftsmärkte. Die modernen Lebenswissenschaften sind deshalb ein zentraler Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts. Wir haben die Projektförderung in diesem Bereich
seit 1998 um 50 Prozent erhöht.
({7})
Resultat: Deutschland steht trotz der aktuellen Konsolidierungsphase mit 360 Biotechnologiefirmen auf Platz
eins in Europa.
({8})
Mit dem Nationalen Genomforschungsnetz verfügen
wir über ein weltweit einzigartiges Programm, in dem
Wissenschaft und Wirtschaft interdisziplinär an der Aufklärung und Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten arbeiten. Es geht mit 135 Millionen Euro in eine
zweite Förderphase.
Mit dem Programm „BioChancePLUS“ setzen wir
gerade für innovative kleine und mittlere Unternehmen
die notwendigen Impulse, die über dieses Programm mit
insgesamt 100 Millionen Euro unterstützt werden.
Unsere Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien zahlt sich aus. Deutschland zählt
inzwischen zu den modernsten IT-Standorten der Welt.
Das zieht hochkarätige Investoren in unser Land.
({9})
So hat sich der US-Halbleiterkonzern AMD entschieden,
noch einmal 2,4 Milliarden Euro am bereits heute größten Elektronikstandort Europas zu investieren. Erst in
der letzten Woche war ich in Dresden. Wir haben dort
den Grundstein für eine hochmoderne 300-mm-Fabrik
gelegt.
({10})
Damit entstehen zusätzlich weit über 1 000 Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dresden hat sich damit gegen eine sehr harte
Konkurrenz aus dem Staate New York durchgesetzt. Das
war kein Selbstläufer, sondern das ist das Ergebnis unserer gezielten Forschungs- und Innovationspolitik.
({11})
Wir haben hierüber seit Jahren verhandelt und haben unsere Forschungspolitik strategisch so ausgerichtet, dass
diese Fabrik jetzt dort gebaut wird.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Die Projektförderung ist für uns ein zentrales Instrument für flexible und leistungsfähige Forschungsförderung. Dass die Mittel dafür im Vergleich zum Vorjahr
sinken, ist eine Folge des Auslaufens der UMTS-Gelder.
Alle Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich immer
darauf hinweise und klar und deutlich sage, dass wir in
den kommenden Jahren hier wieder Zuwächse haben
müssen, um diese Zielsetzungen sicher erreichen zu können.
({12})
Wir haben unseren Kurs mit dem Zuwachs um
34 Prozent seit 1998 durchgesetzt und wir werden diesen
Kurs fortsetzen.
({13})
Wir haben die Fortführung besonders erfolgreicher Projekte sichergestellt und dabei in wichtigen Bereichen die
notwendigen Schwerpunkte gesetzt.
({14})
Einen weiteren Schwerpunkt nenne ich am Beispiel
der neuen Länder: Führende Wirtschaftsinstitute haben
bestätigt, dass unsere Strategie richtig, erfolgreich und
weiter notwendig ist. Daher investieren wir im kommenden Jahr 98 Millionen Euro in die Inno-Regio-Förderprogramme. Das ist mehr als doppelt so viel wie vor
zwei Jahren. 1998 war hier noch Fehlanzeige. Ein solches, speziell für die neuen Bundesländer eingesetztes
Förderinstrument gab es überhaupt nicht.
({15})
Auch daran zeigt sich: Wir hatten und haben Erfolg.
Von den 23 Regionen sei hier stellvertretend das
Netzwerk „MAHREG-Automotive“ genannt, der InnoRegio-Verbund der Automobilzulieferer in Sachsen-Anhalt. Hier sind seit 1999 neun neue Unternehmen und
über 3 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Insgesamt stehen rund 50 Unternehmensgründungen aus den
Inno-Regios zu Buche. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zählen derartige Erfolge doppelt.
Innovationen brauchen eine exzellente Forschungsbasis. Deshalb haben wir die Etats der großen Forschungsorganisationen in 2004 wieder um 3 Prozent erhöht.
({16})
Gleichzeitig stärken wir die Forschung, indem wir
Strukturen erneuern und unsere Forschungseinrichtungen noch durchlässiger, flexibler und wettbewerbsfähiger gestalten.
Diese Bundesregierung
({17})
hat nicht nur darüber geredet, sondern sie hat es getan:
Wir haben die Forschungsförderung der Helmholtz-Gemeinschaft aus der institutionellen Form herausgelöst
und in ein wettbewerbliches Verfahren überführt, und
zwar mit einem sehr großen Erfolg. Sie ist international
hoch anerkannt.
Das ist eben der Unterschied: Sie haben zehn Jahre
lang darüber diskutiert, beginnend Ende der 80er-Jahre.
Bis 1998 war noch immer nichts geschehen. Wir dagegen sind tätig geworden und praktizieren die neue Regelung bereits seit zwei Jahren erfolgreich.
({18})
Die Mittel für die DFG sind in unserer Regierungszeit
um 32,9 Prozent gestiegen, und zwar konkret von
562 Millionen Euro auf 747 Millionen Euro. Mit diesen
Zahlen möchte ich deutlich machen, wie die Forschungsorganisationen in ihren Handlungs- und Forschungsmöglichkeiten durch diese Regierung gestärkt
worden sind.
Auch Technologieausgründungen - das ist ein weiteres Stichwort - sind für uns wichtig. Forschungsergebnisse können schließlich nur dann Wirkung entfalten,
wenn sie angewendet werden. In diesem Zusammenhang
spielen dann Technologieausgründungen und Existenzgründungen eine große Rolle. Deshalb stellen wir mit
dem neuen Dachfonds für Wagniskapital gemeinsam
mit privaten Beteiligungsgebern in den nächsten Jahren
bis zu 1,7 Milliarden Euro für innovative Firmen zur
Verfügung. So unterstützen wir den Transfer von Forschungsergebnissen in Produktion und Dienstleistungen
und tragen damit auch dazu bei, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
Parallel arbeiten wir daran, dass Hochschulerfindungen noch professioneller verwertet werden. Dazu haben
wir bereits vor zwei Jahren die Reform des Arbeitnehmererfindungsgesetzes durchgeführt und haben eine Patentierungs- und Verwertungsoffensive gestartet. Wir unterstützen Hochschulen dabei, dass sie in den nächsten
Jahren das notwendige Know-how dafür schaffen.
({19})
Für die Entwicklung von Innovationen brauchen wir
vor allen Dingen gut ausgebildete, kreative und motivierte Menschen; denn Innovationen entstehen in den
Köpfen. Gute Bildung ist also nicht nur ein Gebot der
Chancengleichheit, sondern buchstäblich eine Überlebensfrage unserer Gesellschaft. Deshalb unterstützen wir
mit unserem so wichtigen Ganztagsschulprogramm die
Länder dabei, dass sie die schulische Bildung verbessern. Gleichzeitig haben wir die Bedingungen für die
Hochschulen deutlich verbessert. Wenn man genau hinsieht, zeigt sich, dass diese Bundesregierung die Gelder
für die Hochschulen in den letzten Jahren um 23 Prozent
erhöht hat,
({20})
die Länder im gleichen Zeitrum dagegen leider nur um
12,5 Prozent. Wir geben den jungen Menschen eine
Chance. Das ist eines unserer wichtigen Anliegen, dieses
Ziel verfolgen wir mit allen Kräften. Eine gute Ausbildung gehört dazu und ist eine wichtige Voraussetzung.
Es besteht zwischen den Oppositions- und den Regierungsparteien ein wesentlicher Unterschied:
({21})
Wir wollen nicht, dass ein junger Mensch auf das Studium verzichten muss, weil er es sich nicht leisten kann.
({22})
Aus diesem Grund haben wir das BAföG reformiert,
weswegen wir nun auch mehr Mittel dafür einsetzen
müssen. Aber das wollen wir auch. Wir haben im Gesetz
abgesichert, dass das Erststudium gebührenfrei bleibt.
({23})
Frau Böhmer, ich sage Ihnen ausdrücklich: Sie haben
zum Thema der Langzeitstudierenden gesprochen. In
diesem Punkt gibt es keinen Dissens. Es steht seit zwei
Jahren im Gesetz, dass von Langzeitstudierenden Gebühren erhoben werden können. In der Zeit hätten Sie
das schon mitbekommen können.
({24})
Frau Ministerin, ich muss Sie für einen Moment unterbrechen. Sie dürfen als Mitglied der Bundesregierung
natürlich weiterreden. Das geht aber auf Kosten der Redezeit Ihres Kollegen Jörg Tauss. Darauf muss ich Sie
hinweisen.
({0})
Das will ich natürlich nicht. Deshalb komme ich nun
zum Schluss und sage kurz und knapp: Wir haben die Finanzierung für die Hochschulen in den letzten Jahren
deutlich verbessert und werden diesen Kurs in den kommenden Jahren fortsetzen.
({0})
Gleichzeitig tragen wir dafür Sorge, dass kein Jugendlicher, der von der Schule kommt, in die Arbeitslosigkeit gerät. Deswegen haben wir auch im Bereich der
beruflichen Bildung bereits die notwendigen Maßnahmen ergriffen und werden auch hier weitere Schritte tun.
({1})
Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche eine Zukunftschance haben. Nur so hat auch dieses Land eine
Zukunftschance. Wir wollen eine Situation schaffen,
dass Innovationen in unserem Land wirklich möglich
werden.
({2})
Dafür brauchen wir auch weiterhin diese Bundesregierung. Das hat die Debatte deutlich gezeigt.
Vielen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Katherina Reiche von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Land muss sich anstrengen. Wir haben große
Defizite bei der technologischen Innovation, bei
Bildung und Qualifizierung. Wir bilden viel zu wenig Naturwissenschaftler, Ingenieure und Mathematiker aus. Uns fehlen schon heute 70 000 Ingenieure. … Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig.
({0})
- Sie müssen mich dafür nicht abstrafen. Das hat Ihr
Fraktionschef Franz Müntefering am 6. September 2003
der „Berliner Zeitung“ gesagt.
({1})
Das ist eine richtige Erkenntnis. Die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung selbst.
({2})
Zentralismus, Bevormundung, Pessimismus und Bürokratie sind die roten Fäden der rot-grünen Bildungsund Forschungspolitik.
({3})
Sie pflegen Skepsis und Krisenszenarien. Forschungsoptimismus, Forschungsfreiheit und Selbstbewusstsein
- all das war aus Ihrer Rede nicht herauszuhören. Für
2004 gibt es keine Initialzündung, keinen neuen Impuls,
durch den der Bildungs- und Forschungsstandort wieder
an Fahrt gewinnen könnte.
({4})
In diesem Herbst ist die Lage hier in Deutschland sehr
ernst. Nicht nur der diesjährige Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, sondern auch unsere Anhörung zu Schlüsseltechnologien hat ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Im internationalen Vergleich fällt
Deutschland in der Attraktivität ab. Nur noch in der
Grob- und höherwertigen Technologie sind wir gut. Wir
bauen zwar noch hervorragende Autos, aber das reicht
für die Zukunft nicht.
({5})
In den zukunftsweisenden Branchen Informationsund Telekommunikationstechnologie spielt die Musik
woanders. Die deutschen Biotech-Unternehmen sind in
einer Krise. In Großbritannien erwirtschaften weniger
Firmen den vierfachen Umsatz. Ingenieure und Naturwissenschaftler fehlen und der Braindrain hält an. Als
Antwort kürzt Rot-Grün nun bei den Basistechnologien
und den Anwendungen für IuK um 3 Millionen Euro
und bei der Softwaretechnik um weitere 3 Millionen
Euro. Bereits im laufenden Jahr 2003 gibt es für die Biotechnologie 5 Millionen Euro weniger.
Frau Bulmahn, andere Länder tun sehr viel mehr.
Schweden hat seine Ausgaben für die Forschung innerhalb von zwei Jahren um 30 Prozent erhöht. Kanada
wird in den nächsten fünf Jahren 2 000 zusätzliche Lehrstühle einrichten. Sogar China hat uns überholt. Von den
USA ganz zu schweigen: Dort werden neue Forschungszentren aufgebaut, die sich zu internationalen Anziehungspunkten entwickeln. Allein Harvard investiert derzeit 3 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das Doppelte
eines Haushaltes der Max-Planck-Gesellschaft hier in
Deutschland.
Bildung und Forschung müssen wieder Priorität erhalten. Dazu reicht kein Plädoyer auf dem SPD-Parteitag. Wer Wachstum will, der braucht Innovationsfelder
und wer jungen Menschen eine Chance geben will, der
muss sich auf Zukunftsweisendes konzentrieren.
({6})
Wissenschaft braucht langfristiges Denken. Das können
Sie nicht. Sie entfachen kurzfristige Strohfeuer und betreiben Propaganda.
Die „Zeit“ schreibt:
Die Bundesregierung dreht einen ganz neuen Spin:
Gerhard Schröder, der Innovationskanzler.
Das Jahr 2004 soll nun gar zum Jahr der Technik ausgerufen werden. Schon seit Monaten propagieren Sie einen
Hightechmasterplan. Nichts kommt.
({7})
Das Spiel ist gefährlich und das Kalkül geht nicht auf.
Nun mahnt gar Sigmar Gabriel, der sonst für Pop zuständig ist:
Wir können nicht beim Parteitag die Innovationsförderung hochhalten und sie im Alltag kleinkürzen.
Zu Recht titelt beispielsweise der „Spiegel“: „Die Innovationslüge“. Die „VDI-Nachrichten“ titeln: „Die Innovationsblase“. Das ist Politikersatz, aber keine Politik.
({8})
Durch den Einzelplan 30 wird deutlich: Es fehlt nicht
nur das Geld, sondern es gibt auch keine Konzepte, Prioritäten oder Strategien. Sie haben ganz stolz verkündet,
dass Sie nunmehr Geld erhalten, nämlich 52 Millionen
Euro. Das ist aber Augenwischerei. Dieses Geld ist lediglich zur Erfüllung der Rechtsansprüche von BAföGEmpfängern notwendig. Schon jetzt liegt der Etat wiederum unter dem, was Sie eigentlich brauchten. Das war
auch 2003 schon so.
({9})
Die bittere Wahrheit ist: Der Haushalt schrumpft um
100 Millionen Euro und das Risikovolumen beträgt
schon jetzt 150 Millionen Euro.
Zusätzlich füllen Sie nun die Rentenkasse aus Forschungsmitteln. Das ist programmierter Stillstand. Über
80 Millionen Euro sollen im Einzelplan 30 „erwirtschaftet“ werden. Sie sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Es war schon ein Stück aus dem Tollhaus, als Sie uns am
7. November dieses Jahres erklärten, dass die Plünderung Ihres Haushaltes Zukunftsinvestitionen schaffen
würde. Wie das zu schaffen ist, bleibt wohl Ihr Geheimnis.
Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich durch - für Forschung und für die Zukunft unseres Landes. Sie müssen
sich auf Ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Die
Kernkompetenzen sind berufliche Bildung, Hochschulen
und Forschung.
({10})
Sie fischen in fremden Gewässern, zum Beispiel bei der
Schulpolitik. Von den 300 Millionen Euro, die 2003 für
Ihr Ganztagsschulprogramm zur Verfügung standen,
sind derzeit 10 Prozent abgeflossen.
({11})
Sie wollten 10 000 Ganztagsschulen bauen. Intern heißt
es jetzt, von dieser Zahl hätten Sie sich verabschiedet,
sie würde nicht mehr kommuniziert. Ich kann Ihnen nur
sagen: Ihre Wahlkampfseifenblase ist geplatzt.
({12})
Erstens. Gestalten Sie dort, wo es nötig ist, zum Beispiel bei der beruflichen Bildung. Die Lehrstellenlücke
im September war ein trauriger Nachkriegsrekord, den
Sie zu verantworten haben.
({13})
Schuld haben natürlich die Unternehmer, so findet jedenfalls Rot-Grün, nicht etwa eine desaströse Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nun bekommt die Linke das,
was sie sich seit 20 Jahren wünscht, nämlich eine
Zwangsabgabe. Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie die
Finger davon. Novellieren Sie das Berufsbildungsgesetz.
Stärken Sie die Berufsausbildung durch modulare Berufsbilder! Wir haben detaillierte Eckpunkte vorgelegt.
Sie brauchen sie nur noch umzusetzen.
({14})
Zweitens. Stecken Sie das Geld in die Hochschulen.
Dafür sind Sie zuständig. Sie kürzen in diesem Jahr
135 Millionen Euro beim Hochschulbau. Damit greifen Sie in unzulässiger Weise der Föderalismusreform
vor.
({15})
Ich sage Ihnen: Wer an den Hochschulen spart, der spart
an der Zukunft dieses Landes. Damit treffen Sie vor allem den Osten. Ihr Staatssekretär hat zum Stand der
deutschen Einheit erklärt: Der Aufholprozess in den
neuen Ländern ist noch längst nicht abgeschlossen. Insbesondere die Hochschulen tragen eine große Verantwortung.
Würgen Sie diesen Prozess doch nicht ab! Es klingt
wie Hohn, dass Sie 40 Prozent eines Abiturjahrganges
an die Hochschulen schicken wollen. Ich frage mich, ob
diese in zugigen Rohbauten studieren sollen. Lassen Sie
die Hochschulen von Ihrer Gängelrute, zum Beispiel
durch die Selbstauswahl der Studenten. Aber auf dem
Ohr Eigenverantwortung, Wettbewerb, Freiheit von Forschung und Lehre hört Frau Bulmahn schwer. Geben Sie
Ihre Denkblockade auf. Verschlanken Sie das Hochschulrahmenrecht!
({16})
Auch Studienbeiträge haben Sie zum Tabu erklärt,
weil nicht sein kann, was nicht in Ihr Weltbild passt.
Vielleicht sollten Sie einmal Ihren Staatssekretär dazu
befragen. Auch Tony Blair führt in England Studiengebühren ein und begründet dies mit sozialen Gesichtspunkten. Sie lernen doch sonst so gerne vom britischen
Premier. Warum nicht auch hier?
({17})
Drittens. Stecken Sie das Geld in die Forschung;
denn Forschung ist und bleibt die beste Zukunftsinvestition. Hans-Jürgen Klockner vom VCI mahnt: Die Gefahr
wächst, dass sich bei der Grundlagenforschung die
Schere zwischen den USA und Deutschland immer weiter öffnet. Deutschland wird immer weniger wettbewerbsfähig.
({18})
Als Bundeskanzler Schröder im März den Forschungsorganisationen für dieses Jahr einen dreiprozentigen Aufwuchs offerierte, hätten sich diese wohl nicht
träumen lassen, dass sie dies mit der Mittelkürzung in
der Projektförderung bezahlen müssen, die um
8,1 Prozent sinkt. Gekürzt wird gerade bei Zukunftstechnologien wie den optischen Technologien, dem nationalen Gen- und Forschungsprojekt oder den Nanowissenschaften.
Wir brauchen Aufbruchstimmung und wir brauchen
eine Strategie. Strategie heißt, zu wissen, wohin man
will. Aber in Ihrer Regierung weiß das keiner.
({19})
Frau Künast will Richtung Pusteblume und der Kanzler
in Richtung Technik. Beides passt nicht zusammen.
({20})
Die Anwendung der grünen Gentechnik wird mit allen Mitteln blockiert, obwohl man weiß, dass im
Jahr 2020 die Hälfte aller Innovationen ohne biotechnologische Verfahren nicht möglich sein werden. Wir brauchen eine nationale Biotechnologiestrategie. Sie kündigen sie gelegentlich an. Wir aber haben eine, Sie
brauchen sie nur noch umzusetzen.
Die Gentechnik ist symptomatisch für das, was sich
Rot-Grün unter Forschungsfreiheit vorstellt, nämlich
den Plan zu verwirklichen, dass irgendwann alle großen
Forschungsorganisationen in die Alleinzuständigkeit des
Bundes geraten. Nur in einem Klima von Freiheit und
Eigenverantwortung kann Wissenschaft gedeihen. Es
geht nicht nur um die Weitergabe von bestehendem Wissen, es geht um die Freiheit der Suche nach Neuem, nach
Unbekanntem und Faszinierendem. Die akademische
und die Forschungsfreiheit ist ein Beweis des Vertrauens
der Gesellschaft gegenüber einer geistigen Elite. Wir haben sowohl an den Hochschulen als auch in den Forschungseinrichtungen zu viele Reglementierungen. Ihnen fehlt der Mut, tatsächlich Wettbewerb zuzulassen.
Sie sind zögerlich gegenüber neuen Erkenntnissen in
Wissenschaft und Forschung. Sie sehen lieber die Risiken als die Chancen.
({21})
Lieber Herr Bonde, Sie beantworten nicht die Frage,
womit Sie in Zukunft Geld verdienen wollen. Ich sage
Ihnen: Mit der Friedens- und Konfliktforschung werden
Sie kein Geld verdienen.
({22})
Frau Bulmahn, es ist Ihre Aufgabe, hier Antworten zu
finden. Ergreifen Sie endlich die Initiative. Wir haben
Ihnen Konzepte auf den Tisch gelegt. Nehmen Sie Ihre
Verantwortung endlich wahr und machen Sie Ihre Hausaufgaben!
Vielen Dank.
({23})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell von
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Konzepte, die Sie auf den Tisch gelegt haben, Frau Reiche, hätten wir gerne in den Ausschussberatungen gesehen, um darüber befinden zu können, ob sie gut sind. Alle Redner hier haben fast
einmütig erzählt, dass Sie gar keine Konzepte auf den
Tisch gelegt haben. Wo sind Ihre Konzepte? Wir warten
noch darauf.
({0})
Fakt ist, dass Rot-Grün auch im Jahr 2004 Bildung
und Forschung einen hohen Stellenwert beimessen. Insgesamt stehen für Bildung und Forschung 9,7 Milliarden
Euro zur Verfügung - ein erfreuliches Rekordergebnis,
das die Bundesrepublik Deutschland so noch nie gesehen hat.
({1})
Dazu einige Details. In letzter Zeit wurde gelegentlich
verbreitet, die Bundesländer riefen die Mittel für Ganztagsschulen nur zögerlich ab. Das ist falsch. Wir halten
es für ein gutes Zeichen für unsere Schülerinnen und
Schüler, dass bereits acht Bundesländer Vorhaben angemeldet haben. Das beweist den großen Bedarf.
Ein schöner Erfolg ist auch, dass wir nicht nur im
BAföG, sondern auch im so genannten Meister-BAföG
großen Zuspruch sehen.
({2})
Fast 90 000 Menschen haben im letzten Jahr gezeigt,
dass sie bereit sind, in ihre berufliche Weiterbildung zu
investieren.
Einige kleine, aber wichtige Schritte im Sinne der
nachhaltigen Verbesserung von Forschungsbedingungen
sehen wir zum Beispiel in der Stärkung der Forschung
zu Ersatzmethoden zum Tierversuch, in der Erhöhung
des Vernetzungsfonds Erneuerbare Energien oder in der
Aufstockung der Mittel für die Friedensforschung.
({3})
Was uns auch freut, sind die 3 Prozent Zuwachs für
die Forschungsgemeinschaften. Wir wissen allerdings,
dass die gesamte Forschungslandschaft diesen Zuwachs
mit einem weinenden Auge sieht; denn diese Mittel fehlen an anderer Stelle, zum Beispiel bei den wichtigen
Projektforschungsmitteln oder im Hochschulbau.
Die Haushaltszwänge machen uns schwer zu schaffen. Sie belasten vor allem die Projektmittel. Dies trifft
nicht nur den hier zur Abstimmung stehenden Haushalt
des BMBF, sondern auch die anderen Einzelpläne. Auch
die Verringerung der Hochschulbaumittel gehorcht der
finanziellen Not.
({4})
Wir wissen, dass wir die Infrastruktur für Lehre und
Forschung in unserem Land verbessern müssen. Ihr
Protest, meine Damen und Herren von Union und FDP,
wäre aber glaubwürdiger, wenn Sie in den Ländern, in
denen Sie die Verantwortung tragen, Bildung und Forschung den Stellenwert geben würden, den Sie hier einfordern.
({5})
Bildung und Forschung haben Priorität. Das ist parteiübergreifend Konsens, aber nicht parteiübergreifend
Realität. Die Realität lautet: Kürzungen. Ich gebe zu,
dass dies teilweise auch auf Bundesebene so ist, zum
Beispiel bei der erwähnten Projektforschungsförderung.
Das heißt aber auch: drastische Kürzungen bei den Wissenschaftsmitteln in den schwarz-gelb regierten Ländern, zum Beispiel 10 Prozent Kürzungen nach der Rasenmähermethode in Bayern. Erst letzte Woche gingen
Zehntausende wütende Studenten und Professoren in
Bayern auf die Straße. Das ist Ihre Forschungs- und Bildungspolitik.
({6})
Das sehen wir auch in anderen Ländern. Hessen kürzt sogar bei renommierten außeruniversitären Instituten wie
dem Institut für solare Energietechnik an der Universität
Kassel, und das um gleich 20 Prozent. Wir Forschungspolitiker stehen in Bund und Ländern fraktionsübergreifend vor einem Dilemma. Unsere Überzeugungsarbeit hat
in allen Papieren und Sonntagsreden gefruchtet. Alle wollen das Ziel erreichen, bis 2010 den Anteil der Forschungsund Entwicklungsmittel auf 3 Prozent anzuheben.
({7})
Aber wenn es dann um Prioritätensetzung geht, sehen
sich die Forschungspolitiker plötzlich alleine den Interessen der anderen Fachpolitiker, der Haushaltspolitiker
und der anderen Ministerien gegenüber. Frau Böhmer,
auch in den von der Union regierten Bundesländern ist
das so.
Klar ist: Mehr Mittel für Forschung und Bildung bedeutet bei leeren Kassen weniger für andere Ausgaben
und das heißt tatsächlich Schwerpunktsetzung. Wo,
wenn nicht hier, macht das Wort von der Prioritätensetzung Sinn? Wir müssen neue Prioritäten setzen. So gibt
die Bundesregierung zum Beispiel für Kohlesubventionen mehr aus, als das Bundesministerium für Bildung
und Forschung für seine gesamte Projektförderung zur
Verfügung hat.
({8})
Die Kohlesubventionen sind nicht zeitgemäß und rauben
Bildung und Forschung die dringend benötigten Mittel.
({9})
Das heißt, die Schlüsseltechnologien zur Lösung unserer
Probleme werden vernachlässigt. Stattdessen geben wir
Geld für fragwürdige Zukunftstechnologien aus. Der
Transrapid kostet die öffentliche Hand mehr als die gesamte Forschungsförderung im Bereich der Nanotechnologie, deren Potenzial uns das Büro für Technikfolgenabschätzung kürzlich erst wieder vor Augen führte.
Über dem Einzelplan 30 schwebt die Sparvorgabe der
globalen Minderausgabe von 84 Millionen Euro. Rentensubventionen aus dem Haushalt für Bildung und Forschung bedeuten, dass Mittel wohl doch nicht für die Zukunft, sondern für die Alten ausgegeben werden.
({10})
Ich bin überzeugt, dass das auf Dauer niemandem hilft.
Für die Bildung gilt: Wir müssen uns intelligente Wege
der Bildungsfinanzierung überlegen, die wir zum Beispiel mit der Altersvorsorge verknüpfen können. Für die
Forschung gilt: Wir von Bündnis 90/Die Grünen sehen,
dass die Wirtschaft für das Erreichen des 3-Prozent-Ziels
Hilfe braucht, und werden das angehen, indem wir neue
Schwerpunkte in der Förderpolitik setzen, zum Beispiel
auch die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern
und unter anderem die vom BDI vorgeschlagene Forschungsprämie prüfen.
Es bleibt festzuhalten: Das Problem ist erkannt. Aber
das reicht nicht. Erst dann, wenn wir beim Bund und in
den Ländern gemeinsam die Priorität für Forschung und
Bildung zur Realität machen, hat dieses Land wieder
eine Chance auf Zukunft. Falls nicht, bleiben wir alle Papiertiger und die Zukunft gehört anderen Staaten.
Ich danke Ihnen für das Zuhören.
({11})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es ist nicht so furchtbar schlimm, dass ich ein bisschen
Zeit verloren habe, Frau Ministerin. Ich wollte heute
Abend auf Argumente eingehen, aber da wir keine gehört haben, kann ich mir die Zeit sparen.
({0})
Was wir gehört haben, waren Diffamierungen und falsche Behauptungen. Das Schlimmste war, was Sie, Frau
Reiche, zur Friedensforschung gesagt haben. Ich halte
diesen Satz für unerträglich.
({1})
Sich hierhin zu stellen und zu sagen, mit Frieden lasse
sich kein Geld verdienen, zeugt von einem Höchstmaß
an Verkommenheit in einer Debatte über Forschungspolitik. Das müssen Sie sich hier bestätigen lassen.
({2})
Vielleicht informieren Sie sich einmal bei Ihrem Kollegen Beck, einem anständigen Konservativen, der im
Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Friedensforschung
sitzt, über die Arbeit, die dort geleistet wird, wenn Sie
keine Ahnung haben. Ich halte es für unerträglich, was
Sie hier vorgetragen haben. Das will ich an dieser Stelle
sagen.
({3})
Noch einige andere Dinge waren schwer erträglich:
erstens Ihre Behauptungen, die sich auf den Bund bezogen haben. Wir tun uns im Moment - Herr Kollege Fell
hat es angesprochen - als Bildungs- und Forschungspolitiker bundesweit schwer. Aber ich hätte schon die Bitte,
dass Sie sich einige Länder anschauen, die von Ihnen regiert werden. Dann sehen Sie, wie dort unmittelbar nach
einer Landtagswahl mit Bildung und Forschung umgegangen wird.
({4})
Ihre Kritik, die Sie am Bund geübt haben, wäre dort an
der richtigen Adresse.
Es waren schon putzige Beispiele, liebe Frau Böhmer,
die Sie gebracht haben. Sie erzählen, dass die Fachhochschule in Biberach verspätet gebaut wird. In Niedersachsen werden Fachhochschulen geschlossen.
({5})
Der Kollege Fischer - leider beehrt er uns jetzt nicht
mehr - war dabei, als sein Vater, der Rektor der Fachhochschule in Karlsruhe, gesagt hat, dass den Fachhochschulen in Baden-Württemberg das finanzielle Fundament entzogen werde.
Der Vertreter der Landesregierung hat ausgeführt, im
Bereich Bildung und Forschung müsse nach der Rasenmähermethode gekürzt werden. Das sei notwendig, weil
auch in diesem Bereich ein Strukturwandel erforderlich
sei. Entschuldigung, aber man muss schon einen gewissen Wirklichkeitsverlust erlitten haben, um so vorzugehen.
({6})
Ich kann Ihnen die Zahlen nennen: In Niedersachsen
wird der Hochschuletat 2004 um 50 Millionen Euro gekürzt. In Hessen betragen die Kürzungen 43,42 Millionen Euro. In Bayern werden Einsparungen in Höhe von
10 Prozent angestrebt.
({7})
- In Berlin sieht es nicht viel besser aus. Die Kürzungen
ziehen sich bundesweit durch das Land. Aus diesem
Grunde ist es doch so fatal, dass Sie Ihre SchwarzerPeter-Spielchen treiben.
({8})
Sie versuchen, die Schuldzuweisungen in eine Richtung zu lenken und konzentrieren sich dabei ausgerechnet auf denjenigen, der noch am meisten unternimmt. In
den vergangenen Jahren war das der Bund. Das will ich
in diesem Zusammenhang festhalten.
({9})
Sie reden über Studiengebühren. Ich bin zwar bereit,
über die Finanzierung von Bildung zu sprechen, aber sie
darf nicht auf Kosten derjenigen gehen, denen wir auferlegen, als nächste Generation die Rentenprobleme und die
ökologischen Probleme zu tragen und auszubaden, was
wir an Schulden - das sind vor allem Ihre Schulden - hinterlassen. Auch darüber sollten wir diskutieren.
Außerdem: Von den Gebühren für Langzeitstudierende, die in Baden-Württemberg erhoben wurden
- Frau Böhmer ist leider nicht mehr anwesend -,
({10})
ist kein Cent bei den Fachhochschulen und nur ein geringer Betrag bei den Universitäten angekommen. Ähnlich
ist es mit den Verwaltungsgebühren. Über diesen Punkt
müssen wir diskutieren: Studiengebühren haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Folge, dass sie an den klebrigen Fingern der Finanzminister hängenbleiben, statt den
Hochschulen zugute zu kommen.
({11})
Aus diesem Grund sind die Debatten, die in diesem
Lande geführt werden, albern.
In den USA wird zurzeit ein Gesetz vorbereitet, das
eine Begrenzung der Studiengebühren vorsieht, weil immer weniger Menschen aus sozial schwachen Familien
und aus Mittelstandsfamilien studieren können und weil
diejenigen, die studiert haben, unglaublich hoch verschuldet sind. Deswegen ist die Akademikerverschuldung in den USA zurzeit ein Thema. Ich habe insofern
die herzliche Bitte, Frau Reiche: Wenn Sie schon in die
USA blicken, dann nehmen Sie auch dies zur Kenntnis!
({12})
Erst kürzlich ist uns in der Anhörung doch bestätigt
worden: In den USA bemüht man sich, die weltweit besten Köpfe anzuwerben. Das ist zwar in der Tat problematisch - und zwar auch für die Länder, in denen angeworben wird -, aber entscheidend ist: Wir könnten das
gar nicht, weil der Versuch, ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Deutschland zu gewinnen, durch Ihre Blockade des Zuwanderungsgesetzes im
Bundesrat zum Scheitern verurteilt ist. Sie wollen offensichtlich verhindern, dass die besten Köpfe zu uns kommen, und deswegen gehen diese in die USA.
({13})
Im Übrigen ist es schon interessant, dass der CDU/
CSU zum Thema Schule nichts anderes als „Suppenküche“ einfällt. Das mag an Ihrer Figur liegen, lieber Kollege Willsch; wir unterscheiden uns da nicht sehr. Aber
wenn ich über Bildung rede, dann geht es nicht nur um
Suppe.
({14})
Ich bitte insofern darum, die Kirche im Dorf zu lassen
und die Kinder nicht mit dem Bade auszuschütten. Erstens können wir die Kinder, die eine Ganztagsschule besuchen, nicht verhungern lassen. Ich hoffe, wir sind uns
darin einig, dass sie auch tagsüber etwas zu essen bekommen müssen. Zweitens entscheiden über diese Investitionen die Länder. Wenn Sie in den von Ihnen regierten Ländern keine Suppenküchen einrichten,
sondern Computer an die Schulen bringen wollen, dann
machen Sie das ruhig. Aber trotzdem stellt sich irgendwann die Frage nach der Suppe. Die Kinder können ja
schlecht vom Computer abbeißen oder die Maus essen.
({15})
Ich könnte noch viele Punkte ansprechen. Was mir
zurzeit Sorgen macht, ist die Föderalismusdebatte. Sie
vergießen Krokodilstränen über die Finanzierung des
Hochschulbaus. Es waren doch die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten - traurigerweise wurde
die Mehrheit von Ihnen gestellt; das wird sich sicherlich
wieder umkehren, wenn die Leute merken, wohin Ihre
Politik führt -, die nicht mehr wollten, dass sich der
Bund um die Hochschulbaufinanzierung kümmert. Jetzt
wundern Sie sich darüber, dass der Finanzminister darin
ein Einsparpotenzial sieht.
Herr Präsident, Sie leuchten auf.
({16})
Ich hätte gern noch etwas zur Ausbildungsplatzumlage
ausgeführt. Auch das ist ein Punkt, zu dem Sie nur polemisieren. Uns interessiert die Abgabe nicht. Wir wollen
keine Abgabe; wir wollen vielmehr eine Umlage, um
den anständigen Betrieben, die Ausbildung betreiben, etwas zugute kommen zu lassen.
({17})
Das werden Sie auch noch verstehen. Wir erläutern es
Ihnen. Wenn der Gesetzentwurf vorliegt, dann haben wir
noch Gelegenheit zu diskutieren.
Ich wünsche einen angenehmen Abend und danke Ihnen.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30
- Bundesministerium für Bildung und Forschung - in der
Ausschussfassung.
Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstimmen.
({0})
- Wir müssen unabhängig davon abstimmen, ob sie anwesend sind oder nicht.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf
Drucksache 15/2076? - Offenkundig niemand. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist damit einstimmig abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 30 ist mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November
2003, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.