Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/25/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktion der FDP hat fristgerecht beantragt, die zweite Beratung des Haushaltsgesetzes 2004 sowie die Beratung der Beschlussempfehlung zum Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007 von der heutigen Tagesordnung abzusetzen. Das Wort hat zunächst Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum die FDP-Fraktion die Aussetzung der Beratungen zum Haushalt 2004 beantragt, möchte ich Ihnen anhand von acht Punkten darlegen: Erstens. Mit dem Bundeshaushalt 2004 ist erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Haushalt des Bundes bereits vor der Verabschiedung nicht beschlussfähig. ({0}) Dieser Haushalt ist auch nicht beratungsfähig. Er war im Entwurf verfassungswidrig und ist es auch noch nach den Ausschussberatungen. ({1}) Zweitens. Das Ziel der Konsolidierung wird verfehlt. Die Höhe der geplanten Neuverschuldung überschreitet die Höhe der Investitionsausgaben bei weitem. Die Bestimmung aus Art. 115 Grundgesetz wird nach den Jahren 2002 und 2003 nun zum dritten Mal bewusst verletzt. Drittens. Die Beratungen im Vermittlungsausschuss können noch haushaltswirksame Veränderungen in Milliardenhöhe ergeben. Es ist nicht abzusehen, welche finanziellen Auswirkungen durch das Vermittlungsergebnis hinsichtlich des Haushaltsbegleitgesetzes, des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit, des Gesetzes zur Gemeindefinanzreform, des Gesetzes zur Tabaksteuer und Hartz IV auf den Bundeshaushalt 2004 zukommen können. Allein die Summe, die sich aus den Gesetzesvorhaben, die sich im Vermittlungsverfahren befinden, ergibt, beträgt 24 Milliarden Euro. Viertens. Mit dem Bundeshaushalt 2004 wird die Politik des Verstoßes gegen die Maastricht-Kriterien und damit gegen einen völkerrechtlichen Vertrag fortgesetzt, und dieses Mal mit Vorsatz. ({2}) Der Bundesregierung, aber insbesondere dem Bundesfinanzminister, den ich im Plenum übrigens noch vermisse, fehlt das Bewusstsein für europäische Verantwortung. ({3}) Dabei hat Deutschland selbst einmal die dauerhafte Einhaltung der Maastricht-Kriterien zur Voraussetzung für die Teilnahme an der Währungsunion gemacht. Fünftens. Grundvoraussetzung für Währungsstabilität sind Stetigkeit, Berechenbarkeit und Glaubwürdigkeit in der Finanzpolitik. Eine Verletzung der Kriterien schadet der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der deutschen Politik in Europa schwer und gefährdet damit die Funktionsfähigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Sechstens. Gestützt auf unrealistische Haushalts- und Finanzplanungsansätze enthält der Bundeshaushalt 2004 Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe. Diese betreffen die vorgesehenen Ausgaben für den Arbeitsmarkt, die erhofften Einnahmen aus der Bekämpfung der Schwarzarbeit und dem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit sowie die Einnahmeausfälle durch den verspäteten Beginn der Erhebung der Maut. Hinzu kommen die nicht umgesetzte Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung in Höhe von 2 Milliarden Euro und das Ausweichen auf das Haushaltsinstrument der globalen Minderausgabe von immerhin 3 Milliarden Euro. Nur mit diesen haushaltspolitischen Tricks konnte der Bundesfinanzminister überhaupt einen Haushaltsentwurf vorlegen. Siebentens. Zur Eindämmung der nicht verantwortbaren Verschuldung hat die FDP-Bundestagsfraktion in Redetext den Haushaltsberatungen Anträge gestellt, die Einsparungen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bewirkt hätten. Diese sind im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages durch die rot-grüne Koalition mehrheitlich abgelehnt worden. Achtens. Gleichzeitig sind die Steinkohlesubventionen erhöht und bis 2012 verlängert worden, was rund 15,87 Milliarden Euro ausmacht. Zusagen in dieser Höhe sind nicht vertretbar. Dazu werden wir in den Debatten einen Antrag zur namentlichen Abstimmung stellen. Die Grünen, die draußen die Backen aufgepustet haben, können unserem Antrag dann ja zustimmen. ({4}) Die Bundestagsfraktion der FDP fordert deshalb dazu auf, die Beratung über den Bundeshaushalt 2004 auszusetzen und den Bundeshaushalt 2004 unter Einbeziehung des Ergebnisses des Vermittlungsausschusses zu überarbeiten und nach den Prinzipien von Klarheit, Wahrheit und Vollständigkeit erneut vorzulegen. ({5}) Der Herr Bundesfinanzminister ist noch immer nicht da. ({6}) - Oh. ({7}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich bin schon etwas länger in diesem Geschäft. Wenn ich mich richtig erinnere, dann war Oskar Lafontaine der letzte Finanzminister, der so viel Beifall bekommen hat. Eine Woche später trat er zurück. Daran erinnere ich mich sehr gut. ({8}) Herr Bundesfinanzminister, mit Blick auf den Haushalt 2004 und den Stabilitäts- und Wachstumspakt appelliert die FDP an Sie: Nehmen Sie Vernunft an, setzen Sie die Haushaltsberatung aus und kehren Sie zurück zu einem geordneten Haushalt, der entsprechend den Haushaltsgrundsätzen aufgestellt worden ist! Hören Sie endlich auf, vorsätzlich gegen gesetzliche Regelungen zu verstoßen und sie zu brechen! ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Joachim Poß, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP, dem die Union beitritt, ist ein weiterer Versuch der Opposition im Deutschen Bundestag, eine ordnungsgemäße parlamentarische Beratung des Bundeshaushaltes 2004 ({0}) und damit die von der Bundesregierung und der Regierungskoalition verabschiedeten wirtschafts- und finanzpolitischen Reformen und Maßnahmen zu verhindern. ({1}) Genauso wie die FDP heute, hat das die CDU/CSU schon in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 13. November 2004 versucht. Wir werden den FDP-Antrag heute genauso zurückweisen wie damals den Antrag von CDU/CSU. ({2}) Die Menschen in Deutschland wollen, dass wir zu Ergebnissen kommen. ({3}) Sie sind die taktischen Spielchen und Hängepartien, die Sie veranstalten, leid. ({4}) Im Bundeshaushalt, der vom Haushaltsausschuss verabschiedet wurde, ist die Umsetzung aller vom Bundestag beschlossenen Reformgesetze enthalten, er gibt somit eine umfassende und vor allem bis ins Detail konkrete Antwort auf die anstehenden wirtschafts- und finanzpolitischen Probleme. ({5}) Wo sind eigentliche Ihre konkreten Alternativen, meine Damen und Herren von der Opposition? ({6}) Ihnen geht es in Wahrheit doch gar nicht um den vorliegenden Bundeshaushalt. Sie wollen vielmehr nicht, dass SPD und Grüne die vorgelegten dringend notwendigen Strukturreformen und -maßnahmen durchsetzen. Aus parteitaktischen Gründen wollen Sie offensichtlich immer noch verhindern, dass Deutschland bereits zum 1. Januar des nächsten Jahres, also in wenigen Wochen, ein gutes Stück vorankommt. Das ist Ihr Ziel. ({7}) Frau Merkel und Herr Gerhardt, deshalb stelle ich fest: Ihr Verhalten ist politisch und ökonomisch verantwortungslos. ({8}) Ihnen ist es offensichtlich egal, was Sie mit dieser Verweigerungshaltung anrichten. Wollen Sie das vielleicht sogar? ({9}) Auch beim europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt agiert die Union gegen die deutschen Interessen. ({10}) Die heute gefasste Entscheidung des Rates der europäischen Finanzminister ist eine gute Entscheidung für die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitsplätze in Europa und in Deutschland. ({11}) Es wäre ökonomisch absolut unsinnig, wie es leider die Herren Stoiber, Merz und Austermann auch heute scheinheilig fordern, über die erheblichen Konsolidierungsanstrengungen hinaus, die Bund, Länder und Kommunen sowieso schon unternehmen, den sich abzeichnenden Aufschwung kaputtzusparen. Auf der anderen Seite aber verweigern Sie sich jeder Einsparung. Dieses Doppelspiel muss entlarvt werden! ({12}) Wir alle hier haben dem Bundesfinanzminister Hans Eichel für das gute Ergebnis der Verhandlungen in Brüssel zu danken. ({13}) Das Vermittlungsverfahren ist kein Grund, die Beratungen zum Bundeshaushalt auszusetzen. Die dort zu behandelnden Gesetze sind gute Gesetze, denen auch CDU/CSU und FDP zustimmen könnten, wenn sie endlich von Parteitaktik, Blockade und Sonthofen-Strategie ablassen würden. ({14}) Das Argument, ein Haushalt dürfe erst dann verabschiedet werden, wenn über alles Klarheit bestehe, ist unsinnig. ({15}) Zu Ende gedacht besteht Klarheit über die Position des Etats 2004 nämlich erst am 31. Dezember 2004. ({16}) Im Übrigen stellen auch die unionsgeführten Bundesländer ihre Haushaltsberatungen nicht bis zum Ende des Vermittlungsverfahrens zurück. Das ist die Wahrheit. ({17}) Deswegen appelliere ich an Sie: Hören Sie mit den Verfahrensspielchen auf! Stellen Sie sich endlich der Sachdebatte, der Sie sich in den bisherigen Haushaltsberatungen entzogen haben. ({18}) Von daher haben wir jeden Grund, den Antrag der FDP wie auch alle sonstigen Störversuche der Opposition abzulehnen, so sie denn in dieser Woche noch kommen sollten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war eine jämmerliche Nummer!

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heutige Tag ist ein schlimmer Tag für die öffentlichen Finanzen in Deutschland; denn diese Bundesregierung hat offenkundig das Ziel der Konsolidierung des Staatshaushalts endgültig aufgegeben. ({0}) Schulden statt Konsolidierung lautet die neue finanzpolitische Leitlinie der rot-grünen Bundesregierung. Wenn ich den Redebeitrag des Abgeordneten Poß Revue passieren lasse, möchte ich ergänzen: Beschimpfung der Opposition als Ersatz für überzeugende Politik, meine lieben Freunde. ({1}) Bei der Beurteilung des Geschäftsordnungsantrages der FDP-Fraktion lassen wir uns von folgenden Überlegungen leiten: Der Haushaltsentwurf 2004 ist ein vorsätzlicher Verfassungsbruch, da im Jahre 2004 die Ausgaben für Investitionen, anders als es das Grundgesetz verlangt, viel niedriger als die neuen Schulden sind. Verfassungsbruch ist kein Kavaliersdelikt. Die Regeln der Verfassung sollen die Bürger vor den Übergriffen durch den Staat schützen. Dass sich die Bundesregierung nicht um die Verfassung kümmert bzw. sich über sie hinwegsetzt, macht aus der Regierungsbank eher eine Anklagebank. Der Dank an den Finanzminister ist eine deutliche Kritik an dem umfassenden Versagen seiner Politik für Deutschland. ({2}) Wir müssen weiter berücksichtigen, dass dieser Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 Deutschland an den Rand des Staatsbankrotts führt. Die Dämme, die unsere Bürgerinnen und Bürger vor überzogener Staatsverschuldung bewahren sollen, werden niedergerissen. Durch das Auftreten des Finanzministers im Ecofin-Rat ist das Versprechen, der Euro werde so stabil sein wie die Mark, unglaubwürdiger geworden. An die Konsequenzen dieses leichtfertigen Verhaltens der Bundesregierung mögen wir gar nicht denken. Der Vertrag von Maastricht ist kein unverbindliches Geplauder, sondern die völkerrechtlich verbindliche Vo-raussetzung für die Einführung einer gemeinsamen Währung. Die rot-grüne Politik versündigt sich durch ihre verantwortungslose Haltung am Erbe der Deutschen Mark. ({3}) Der Haushaltsentwurf 2004 basiert weiterhin auf völlig unsicheren Annahmen, da im Vermittlungsausschuss noch milliardenschwere Veränderungen vorgenommen werden sollen. Selbst der Wetterbericht ist mittlerweile zuverlässiger als die Haushaltsplanungen dieser Regierung. ({4}) So hat diese Koalition allein in den letzten beiden Wochen der Haushaltsberatungen weitere 6 Milliarden Euro an Mehrausgaben beschlossen, trotz sinkender Steuereinnahmen. Im Vermittlungsausschuss liegen Gesetzgebungsvorhaben, die den Umfang dieses Haushaltes um mehr als 20 Milliarden Euro verändern könnten. Vor diesem Hintergrund ist es unsolide und verstößt gegen Haushaltswahrheit und -klarheit, die Haushaltsberatungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt fortzuführen. Sie müssen ausgesetzt werden, bis wir eine solide rechtliche und finanzpolitische Grundlage für die Haushaltsberatungen haben. ({5}) Schließlich ist unter Hinweis auf die Geschäftsordnung festzustellen, dass die Koalition mit dieser Form der unsoliden Haushaltsberatungen das Königsrecht des Parlaments, das Budgetrecht, den politischen Opportunitäten einer gescheiterten rot-grünen Regierungspolitik unterordnet. Der vorliegende Etat ist nicht beschlussreif. Das werden wir heute durch unser Votum zum Geschäftsordnungsantrag der FDP deutlich machen. ({6}) Diese Haushaltsberatungen sind ein unglaublicher, unsolider Vorgang, der in der Geschichte unseres Parlamentes seinesgleichen sucht. Dieser Vorgang ist Ausweis mangelnder Solidität und finanzpolitischer Charakterlosigkeit der Regierung. ({7}) Der Versuch, das Budgetrecht auszuhöhlen, muss von einer Mehrheit des Parlaments zurückgewiesen werden. ({8}) Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion lassen uns nicht für einen vorsätzlichen Verfassungsbruch und eine Politik, die ich als Weichwährungspolitik charakterisieren möchte, in Anspruch nehmen. Eine solch unseriöse und verantwortungslose Politik können wir nicht mittragen. Deswegen unterstützen wir den Antrag der FDPBundestagsfraktion. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP ist drollig. Nun haben Sie sich all die Monate bemüht, Sie haben den Haushalt richtig durchberaten und Einsparvorschläge gemacht, dazu haben Sie auch Anträge vorgelegt. Sie haben also den vorliegenden Haushaltsplan zur Grundlage einer Beratung gemacht und jetzt machen Sie einen ganz billigen Nachklapp zur CDU/CSU-Position ({0}) und sagen, der Haushalt sei nicht beratungsfähig und müsse heute von der Tagesordnung genommen werden. Das ist genau die Blockadehaltung, die die Union auch im Haushaltsausschuss an den Tag legt. ({1}) - Herr Kampeter, auf Sie mit Ihren vollen Backen komme ich gleich noch zu sprechen. ({2}) Sie machen jetzt also einen billigen Nachklapp, verlassen Ihre bisherige konstruktive Verhandlungslinie und sagen, dieser Haushalt sei nicht beratungsfähig. Wahrscheinlich haben Sie Angst, dass Sie als kleine Partei nicht wahrgenommen werden, ({3}) und müssen daher das große Plenum des Bundestages für solch einen wirklich langweiligen Antrag benutzen. ({4}) Ich will aber auch hervorheben, was an diesem Antrag nicht nur billig, sondern richtig schlecht und oppositionspolitisch schwach ist. Heute ist offensichtlich der Tag, an dem die Union und die Oppositionspolitiker ein großes Diskussionsbedürfnis haben und sich kritisch mit uns darüber auseinander setzen wollen, wie die Finanzpolitik im Lande mit Blick auf die Maastricht-Kriterien und den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt aussieht. Wollen Sie uns hier ernsthaft glauben machen, Sie wollten nicht mit uns darüber reden? Oder haben Sie so wenig zu sagen, dass Sie das lieber nicht in der ÖfAnja Hajduk fentlichkeit machen wollen? Es ist ein dummer Antrag, Herr Koppelin. Ich glaube, Sie haben das jetzt schon begriffen. ({5}) Wir mussten uns mit dieser Diskussion schon einmal auseinander setzen, weil die CDU/CSU im Haushaltsausschuss am Ende der Beratung einen ähnlichen Antrag gestellt und geäußert hat, sie wolle sich von der Beratung zurückziehen, weil sie über den Haushalt nicht beraten könne. Für mich war das eine Art Arbeitsverweigerung. ({6}) Ich will etwas zu unserer Rolle und Verantwortung als Parlamentarier sagen. Herr Kampeter hat gerade das Budgetrecht als das Königsrecht des Parlaments bezeichnet. Ich möchte wissen, wie Sie als Parlamentarier morgens noch in den Spiegel schauen können, wenn Sie sagen, Sie wollten das Budgetrecht nicht mehr wahrnehmen, sondern an den Vermittlungsausschuss abgeben. Das ist doch lächerlich. ({7}) Im Vermittlungsausschuss werden mehrere strittige Gesetze beraten, unter anderem das Haushaltsbegleitgesetz. Weiterhin wird bis Ende dieser Woche der Haushaltsplan beraten. Wir werden Sie dazu drängen, sich mit uns darüber zu streiten, was an diesem Haushaltsplan schlecht und was an ihm richtig ist. Deshalb werden wir den Geschäftsordnungsantrag ablehnen. Ein kleiner Hinweis: In keinem Bundesland haben die Union und die FDP beantragt, die Haushaltsberatungen abzubrechen. Auch ihre Mitglieder sitzen im Vermittlungsausschuss. Das ist alles ein Spektakel an einem eher ernsten Tag, ein ziemlich schlechtes Spektakel. Es findet gleich sein Ende. ({8}) - An einem schwierigen Tag. Ich sehe schon, Herr Rexrodt will mit uns diskutieren. Er darf wahrscheinlich gleich reden. Herr Koppelin musste vorher reden. ({9}) Ich will noch etwas zu dem Argument sagen, dem Haushaltsplan fehle die Wahrheit und die Klarheit. Der Punkt, über den wir nachher noch weiter diskutieren müssen, betrifft die Klarheit und die Erwartungen, die man an Haushaltszahlen stellt. Wir sind in einer Situation in Deutschland - das hat der Kollege Poß sehr deutlich gesagt -, in der wir große Veränderungen brauchen. Ein Beispiel sind die großen Strukturreformvorhaben, über die wir uns mit Ihnen streiten, ein weiteres betrifft die Arbeitsmarktpolitik. Bezüglich der Rentenpolitik sind Sie ja nicht sortiert. ({10}) Diese Strukturvorhaben bringen Veränderungen in den Haushaltsplan. Es kann in der Tat sein, dass wir noch nicht wissen, was am Ende herauskommt. Daraus aber die Konsequenz zu ziehen, wir seien nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die diese Strukturveränderungen ermöglichen, zeugt von einer Blockadehaltung in der Politik. Diese kann unser Land nicht gebrauchen. Wir brauchen vielmehr Veränderungen. Diese Blockadehaltung lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Wir werden Sie in dieser Woche zu einer Beratung und einer strittigen Diskussion mit uns zwingen. Es tut Not, dass Sie sich mit uns streiten, damit Sie Ihre Verantwortung im Vermittlungsausschuss wahrnehmen. ({11}) Ihre Forderungen sind eine Unverschämtheit. ({12}) Sie fordern weitere Auflagen für diesen Haushalt und die Begrenzung der Verschuldung. Ihre Auflagen erreichen eine Größenordnung von bis zu 6 Milliarden Euro. Das haben Sie gestern für den Haushalt 2004 beantragt. ({13}) - Herr Kauder, Sie waren nicht dabei, aber Herr Merz und die anderen Kollegen im Haushaltsausschuss und im Finanzausschuss. Sie verkünden vor den Mikrofonen, es müssten weitere Ausgaben gekürzt werden, aber im Vermittlungsausschuss lehnen Sie unsere Einsparvorschläge ab, ohne Alternativen anzubieten. Ich bin eher besorgt über das Ergebnis des Vermittlungsausschusses. Deswegen sage ich: Wir brauchen diese Debatten, um ernsthafte Einsparvorschläge von Ihnen zu bekommen. Bei uns ist die Ernsthaftigkeit schon vorhanden. Wir strengen uns an und sind für Verbesserungen offen. Eine Blockadehaltung können Sie sich nicht leisten. Wir brauchen diese Tage, um Ihnen diese Erkenntnis beizubringen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der FDP? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Geschäftsordnungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. ({0}) Wegen des späteren Beginns der Plenarsitzung ist in- terfraktionell vereinbart worden, den für heute vorgese- henen Einzelplan 17 - Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - sowie den Einzelplan 10 - Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - auf Mittwoch im Anschluss an den Einzelplan 23 zu verschieben. Sind Sie damit einverstan- den? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so be- schlossen. Präsident Wolfgang Thierse Ich rufe den Tagesordnungspunkt I auf: a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 ({1}) - Drucksache 15/1500, 15/1670 ({2}) b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007 - Drucksachen 15/1501, 15/1670, 15/1924 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Antje Hermenau Wir kommen zunächst zu den drei Einzelplänen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 1 auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksache 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Herbert Frankenhauser Franziska Eichstädt-Bohlig Wer stimmt für den Einzelplan 01 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 2 auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksachen 15/1902, 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Johannes Kahrs Franziska Eichstädt-Bohlig Wer stimmt für den Einzelplan 02 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 3 auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksachen 15/1903, 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Petra-Evelyne Merkel Albrecht Feibel Franziska Eichstädt-Bohlig Otto Fricke Wer stimmt für den Einzelplan 03 in der Ausschussfassung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist damit einstimmig angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 4 auf: Einzelplan 08 Bundesministerium der Finanzen - Drucksachen 15/1908, 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Bernhard Brinkmann ({4}) Antje Hermenau Einzelplan 20 Bundesrechnungshof - Drucksache 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Anja Hajduk Iris Hoffmann ({5}) Bernhard Kaster Otto Fricke c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003 ({6}) - Drucksachen 15/1925, 15/1990 ({7}) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) - Drucksache 15/1926 - Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Antje Hermenau d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dietrich Austermann, Friedrich Merz, Volker Kauder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Nachtragshaushalt umgehend vorlegen - Drucksachen 15/1218, 15/1838 Berichterstattung: Abgeordnete Walter Schöler Jürgen Koppelin Präsident Wolfgang Thierse Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache drei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({10})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Redner der Koalition haben bei der Geschäftsordnungsdebatte offenkundig gemacht, dass es einen kollektiven Realitätsverlust gibt ({0}) - vielleicht sollten wir erst einmal die Flucht vor der Wahrheit ermöglichen -, ({1}) denn wir müssen feststellen, dass wir jetzt die Debatte über den schlechtesten Bundeshaushalt der Nachkriegszeit eröffnen, einen Haushalt, der schon im Ansatz verfassungswidrig ist, der gegen EU-Recht verstößt, der Rekordschulden programmiert und zur niedrigsten Investitionsquote des Bundes führt. So etwas habe ich in den letzten 21 Jahren im Bundestag noch nicht erlebt. Dieser Haushalt ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. ({2}) Er vermindert die Chancen der Bürger, egal, ob es eine Steuersenkung geben wird oder nicht. Wenn dieser Haushalt so beschlossen wird, wie Sie ihn vorgelegt haben, wird es nachher allen schlechter gehen. Die rot-grüne Koalition hat in den Beratungen zugelassen, dass das wichtigste Recht des Parlaments, das Budgetrecht, mit Füßen getreten wurde. Zu diesem Ergebnis muss man jedenfalls kommen, wenn man sich ansieht, was bei der Beratung vorgelegt wurde und was anschließend herausgekommen ist. Meine Damen und Herren, ich fasse die Beschreibung der Staatsfinanzen in Deutschland wie folgt zusammen: Der Finanzminister schwächt die Währungsunion, der Finanzminister macht Deutschland Jahr für Jahr ärmer, der Finanzminister redet von Konsolidierung und macht immer mehr Schulden, der Finanzminister redet von Nachhaltigkeit und zerstört die wirtschaftliche Basis dieses Landes und der Bundeskanzler steht dabei Schmiere. ({3}) Herr Kollege Kampeter hat den Stabilitätspakt angesprochen. Wir Deutschen haben mit dem Finanzminister Theo Waigel den Stabilitätspakt durchgesetzt. Damals wurde vonseiten der Sozialdemokraten gesagt, das ganze Vorhaben sei zu wenig rigide, jetzt aber bricht ein SPDMinister zum dritten Mal in Folge den europäischen Stabilitätspakt, und zwar nicht nur beim Defizitkriterium, sondern auch beim Schuldenstand: ein doppelter Rechtsbruch. Er tut dies, weil ihm die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Sparen fehlen. Herr Eichel, Sie sind mit dem Hinweis angetreten, Sie würden sparen, und genau das Gegenteil haben Sie gemacht. In diesem Jahr steigen die Ausgaben um 4,5 Prozent, im nächsten Jahr werden sie erneut gegenüber dem Vorjahr steigen. Viele Menschen waren bezüglich des Wechsels von der D-Mark zum Euro skeptisch. Das Ergebnis Ihrer Politik ist, dass Sie aus dem Euro eine Zweidrittelwährung gemacht und den Stabilitäts- und Wachstumspakt gebrochen haben. Jetzt schicken sich die Gesetzesbrecher auch noch an, gegen den Gesetzgeber vorzugehen. Nein, meine Damen und Herren, hier hat nicht der Bundesfinanzminister Eichel gewonnen, hier haben Deutschland und die EU verloren. ({4}) Dieses Ergebnis werden alle spüren, denn das Schlimmste ist, dass das strukturelle Defizit weiter zunehmen wird. Die nächste Generation muss auffangen, was Sie in die Luft werfen. Jetzt sagt der Bundesfinanzminister, eigentlich gebe es nichts zu klagen, wir könnten weiter Schulden machen; denn wir hätten eine stabile Währung und die Zinsen seien relativ niedrig. ({5}) - Natürlich tut er das. - Er übersieht dabei, dass die Situation, in der wir uns Gott sei Dank noch befinden, was die Höhe der Zinsen und die Stärke des Euro betrifft, außerordentlich labil ist und nichts mit der Politik in Deutschland, sondern vor allen Dingen mit externen Faktoren zu tun hat. Jeder kann sich vorstellen, dass der Dollar ganz schnell wieder in andere Regionen abdriftet. Dann werden wir die Zinskeule und weitere Probleme in Deutschland spüren. Wenn andere weltwirtschaftliche Bedingungen herrschen, wird sich diese Politik rächen; die Folgen werden die Wirtschaft und die Menschen in unserem Land ereilen. Lassen Sie mich zum Haushalt dieses Jahres kommen: Herr Kollege Kampeter hat völlig zu Recht beschrieben, dass diese rot-grüne Regierung und ihre Mehrheit den Staatsbankrott organisieren. ({6}) - Das ist keine böse Vorahnung, sondern eine sachliche Prognose. Von Jahr zu Jahr sind die Schulden des Bundes angestiegen. Wir gehen davon aus, dass die gesamtstaatliche Verschuldung in diesem Jahr ein Volumen von 90 Milliarden Euro haben wird; das sind nach Maastricht-Kriterien 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wir gehen des Weiteren davon aus, dass es im nächsten Jahr, bedingt durch die falsch gesetzten Rahmenbedingungen, nicht unwahrscheinlich sein wird, dass das Defizit allein beim Bund auf 50 Milliarden Euro und gesamtstaatlich, also bei Bund, Ländern und Gemeinden, bei der gesamten öffentlichen Hand, auf 100 Milliarden Euro anwachsen wird. Die öffentliche Hand ist also nicht in der Lage, ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Es werden 100 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen, Tendenz steigend. Es gibt keinen deutlicheren Hinweis darauf, dass Sie das Land auf den Weg zum Staatsbankrott geführt haben; dies muss man so klar sagen. Unsere Alternative lautet „Schulden runter, Wachstum rauf“, und nicht, wie das bei Ihnen zurzeit der Fall ist, „Schulden rauf, Wachstum runter“. ({7}) Man muss außerdem darauf hinweisen, dass gerade die jetzige Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen, die immer wieder das Wort Reform im Munde führen, das genaue Gegenteil von dem tun, was sie ankündigen. Nach dem SPD-Bundesparteitag ist erkennbar, welche Wachstums- und welche Wirtschaftspolitik Sie tatsächlich meinen. Wenn der Bundeskanzler sagt, er stehe für den demokratischen Sozialismus, dann kann man nur bestätigen, dass seine Politik damit durchaus zu identifizieren ist. Professor Sinn formuliert das etwas anders: Aus dem Programm der SPD und aus dem, was zurzeit geplant sei - Ausbildungsplatzabgabe und höhere Belastungen der Menschen, insbesondere durch eine höhere Erbschaftsteuer -, folge angesichts einer Staatsquote von bereits 57,2 Prozent, dass er schon heute dichter am Kommunismus als an der Marktwirtschaft sei. Wenn jemand von demokratischem Sozialismus redet, dann glaube ich, dass man das nicht besser beschreiben kann. ({8}) Der Abschluss der Beratungen hat folgendes Ergebnis gebracht: Sie haben die Ausgaben um 6,1 Milliarden Euro gesteigert. Sie haben über 7 Milliarden Euro zusätzliche heimliche Kredite beschlossen. Sie haben 3,2 Milliarden Euro an globalen Minderausgaben eingestellt. Für uns bedeutet das, dass es keinen ordentlich finanzierten Haushalt gibt. Lassen Sie mich noch etwas zur Finanzierung des Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform sagen. Hier geht es dauernd hin und her. Die Sachverständigen haben darauf hingewiesen, es werde Zeit, dass wir vom Steuerchaos hin zu einer geordneten Finanzierung kommen. Nach dem Haushaltsentwurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, wird das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform zu 100 Prozent durch Schulden finanziert. Angesichts dieser Sachlage fragt man sich wirklich, ob es vernünftig ist, einen Weg zu beschreiten, der eine einmalige Ausnahme darstellt und der einen zusätzlichen Impuls hervorruft, dessen positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum im nächsten Jahr geringer ist als die kalendarische, wohl wissend, dass im Jahr 2005 die Belastungen für Bürger und Betriebe in starkem Maße zunehmen werden. Auch Ihre Annahme, dass wir vor einem neuen Aufschwung stehen, dass er praktisch schon vor der Tür steht, ist falsch. Bei einem Wachstum von 1 bis 2 Prozent muss man unterstellen, dass die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr weiter steigen wird und dass die Beschäftigung weiter sinken wird. Wenn beides eintritt, dann werden die Belastungen, die sich für den Bundeshaushalt und die Sozialkassen ergeben, ganz eindeutig höher sein als in diesem Jahr. Bei einem Wachstum von 1,7 Prozent - das unterstellen Sie - werden Sie die Beschäftigungsschwelle nicht knacken. Sie werden davon ausgehen müssen, dass es im nächsten Jahr mehr Arbeitslose geben wird als in diesem Jahr. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass der Aufschwung noch längst nicht zu erkennen ist und dass es durch die von Ihnen eingeleiteten Maßnahmen auch keinen geben wird. Wir brauchen nicht um Verständnis für unsere Position zu bitten, da sie ordnungspolitisch klar definiert ist. Sie können also nicht erwarten, dass wir im Vermittlungsausschuss die Hand zu einer falschen Politik reichen. Hier beißen Sie auf Granit. Unser Interesse ist, dass es Deutschland und nicht der Bundesregierung gut geht. ({9}) Wir lehnen es ab, über die inhaltlichen Details des vorliegenden Haushaltsentwurfs zu diskutieren, solange dessen Grundlagen nicht der Realität entsprechen. Lassen Sie mich beschreiben, was zurzeit noch offen ist und welche Risiken der Haushaltsentwurf enthält. Wir definieren die Risiken für das kommende Jahr - zusätzlich zu der von Ihnen angegebenen Nettoneuverschuldung in Höhe von 29 Milliarden Euro und einschließlich der heimlichen Krediterhöhung um weitere 6 Milliarden Euro - auf 20 Milliarden Euro. Das bedeutet, dass sich die Risiken der Kreditfinanzierung auf insgesamt 50 Milliarden Euro belaufen. Sie haben bereits die Auswirkungen des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit im Haushalt berücksichtigt. Dabei sind Sie sich selber noch nicht einmal einig. Sie haben auch schon den Wegfall der Eigenheimzulage berücksichtigt. Dabei wissen Sie ganz genau, dass Sie das nicht durchsetzen können. Des Weiteren haben Sie die Kürzung der Entfernungspauschale und den Subventionsabbau auf der Grundlage der Vorschläge von Koch und Steinbrück berücksichtigt. Sie gehen außerdem davon aus, dass die Länder dem Bund Einnahmen aus der Umsatzsteuer in Höhe von 7 Prozentpunkten abtreten werden. Es ist ein Irrwitz, anzunehmen, dass das der Fall sein wird. Zudem haben Sie niedrigere Arbeitsmarktausgaben, eine globale Minderausgabe von mehr als 3 Milliarden Euro Privatisierungserlöse und Einnahmen im Zusammenhang mit der LKW-Maut eingestellt. Ich möchte anhand des Beispiels LKW-Maut deutlich machen, auf welch tönernen Füßen Ihre Finanzkonstruktion steht: Der Haushaltsentwurf enthält einen Einnahmen- und Ausgabenansatz in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Jeder hier und außerhalb dieses Hauses weiß aber inzwischen, dass nicht davon auszugehen ist, dass im nächsten Jahr durch die Maut wesentliche Einnahmen erzielt werden. ({10}) - Sie haben einen Sperrvermerk bei den Ausgaben gemacht, weil die entsprechenden Einnahmen nicht erzielt werden. Das ist logisch. Sie müssen den Bürgern aber auch sagen, dass die Verkehrsinvestitionen im nächsten Jahr um etwa 2,2 Milliarden Euro geringer sein werden. Herr Stolpe rechnet vor, dass Verkehrsinvestitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro zur Schaffung von 20 000 Arbeitsplätzen führen. Das heißt, hier besteht ein Risiko für 40 000 Arbeitsplätze im Tiefbau, weil Sie in Ihre Rechnung nicht die weitere Entwicklung der Maut einbezogen haben. Eine einzige Pleite steht gewissermaßen symbolisch für Ihr gesamtes Haushaltsgebaren. ({11}) Man muss sich vor Augen halten, dass fast jede Aussage, die Sie zu Reformen machen, mit dem Attribut „historisch“ versehen wird. Das haben Sie auch bei der Steuerreform gemacht. Sie wurde dreimal hin und her verschoben. Am 1. Januar 2004 tritt die zweite Stufe in Kraft, die eigentlich zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten sollte. Sie sprachen von der „größten Arbeitsmarktreform“ und von der „größten Rentenreform“. Mit Ihrer Rentenreform haben Sie ein sozialpolitisches „Montagsauto“ abgeliefert, das die meiste Zeit in der Werkstatt steht. Am Freitag wird beschlossen, dass 2 Milliarden Euro bei der Rente gekürzt werden; am Sonntag gilt das nicht mehr. Soll das konsistente Politik sein? Wollen Sie damit Vertrauen schaffen? Ich glaube, das ist ziemlich abwegig. Sie können nicht erwarten, dass wir der Route folgen, die Sie eingeschlagen haben. Ich habe darauf hingewiesen, dass dieser Haushalt verfassungswidrig ist. Er ist verfassungswidrig, weil die Investitionsausgaben deutlich geringer als die neuen Schulden sind. Die Investitionsquote wird die niedrigste der Nachkriegszeit sein. Das allein ist ein Grund, den Haushalt abzulehnen. Es macht deutlich, dass Sie mit diesem Haushalt die falsche Richtung einschlagen. Einen Teil dieses Haushalts wollen Sie mit so genannten Platzhaltergeschäften finanzieren: Aktien der Telekom und der Post werden an die KfW verkauft. Damit die KfW in der Lage ist, diese Aktien zu kaufen, gibt der Bund der KfW einen Kredit. Dies ist ein merkwürdiges Gebaren. Es ändert nichts daran, dass die Höhe der Schulden, die gemacht werden, gegen das Haushaltsrecht verstößt. Im Ergebnis führt das dazu, dass die Substanz, die aus dem Postvermögen eigentlich gewonnen werden sollte, um damit die Pensionen der ehemaligen Postbediensteten zu zahlen, geschmälert wird. Nicht einmal ein Zehntel dessen, was Sie in den nächsten Jahren für Pensionen aufbringen werden, kommt aus dieser Substanz. So sind Sie mit dem Geld umgegangen! Das heißt, die Postbediensteten bekommen ihre Pensionen künftig auf Pump bezahlt. Das ist ein Skandal für diejenigen, die es betrifft, aber auch für alle Bürger. ({12}) Wir unterstreichen, dass dieser Haushalt gegen die Grundsätze der Wahrheit, der Vollständigkeit und der Ehrlichkeit verstößt. Er verschleiert die tatsächliche Finanzlage. Das Thema Maut hat dies zur Genüge deutlich gemacht. Es wird immer wieder vom Sparen geredet. Ich kann Ihnen jetzt nicht ersparen, einige Posten zu nennen, die klein erscheinen, aber deren Gesamtheit vielleicht deutlich macht, dass manche den Staat offensichtlich als Selbstbedienungsladen verstehen. Man kann es nicht anders bezeichnen. Der ehemalige Regierungssprecher erhält zu Unrecht - das sagt der Rechnungshof - eine Pension in Höhe von 80 000 Euro und einen neuen Job. Zahlreiche Genossen erhalten einen einträglichen Job in neuen Gesellschaften, geheime Millionenabfindungen inbegriffen. Der scheinselbstständige Schmidt-Deguelle tingelt für Hunderttausende Euro durch die Ministerien. Ständig werden neue, teure Gesellschaften gegründet, deren Sinn nicht nachvollziehbar ist. Ein Beispiel dafür ist die GEBB. Auch deswegen trittt Herr Werner zurück. 100 000 Euro sollen für eine unsinnige Ausstellung über die RAF - sie glorifiziert die RAF - ausgegeben werden. Dafür soll der Steuerzahler aufkommen. Das ist wieder ein Skandal! ({13}) Ideologische rot-grüne Spielwiesen werden mit Steuergeld gedüngt, allein beim BML mit über 100 Millionen Euro. Wenn es darum geht, befreundete Firmen zu unterstützen, verzichtet man schon einmal auf den preisdämmenden Wettbewerb. Die Werbeagentur der Grünen seit 1999 heißt nicht umsonst „Zum goldenen Hirschen“. Ich glaube, auch das verdeutlicht, wie die Selbstbedienung fröhliche Urständ feiert. Die Anti-AKW-Feier, eine Parteiveranstaltung des Bundesumweltministers, darf der Steuerzahler ausrichten. Das hat 36 000 Euro gekostet. Das ist die Jahressteuer von zehn Arbeitnehmern in Deutschland. Das wird ausgegeben, nur damit Herr Trittin endlich einmal Torte essen kann. ({14}) 1,3 Millionen Euro erhält ein Medienberater der Bundesanstalt für Arbeit. Eine ganz einfache Regel: Wer besonders schlecht ist, braucht besonders viel Werbung. ({15}) - Dass für Leistung Geld gefordert wird, ist nicht das Problem. Das Problem besteht darin, dass die Bundesanstalt Steuergelder dafür ausgibt. Das bedeutet, dass 600 Arbeitnehmer ihre Beiträge nur dafür zahlen, dass Herr Gerster eine Imagekampagne machen kann. ({16}) Gespart wird nicht. Geld wird verschleudert. Konsum wird zulasten der Investitionen ausgeweitet. Wenn Sie durch die Straßen gehen oder die Zeitung aufschlagen, sehen Sie, dass für Vorhaben geworben wird, die noch nicht einmal beschlossen sind. „Steuern runter“ heißt es zum Beispiel. Öffentlichkeitsarbeit: plus 12 Prozent oder 10 Millionen Euro. Die Verfügungsmittel steigen. Die Flugbereitschaft der Bundeswehr wird von Bonusmeilennutzern sinnlos durch die Luft gejagt: 27 000 Euro. Stellenkürzungen auf dem Papier werden durch Aushilfs-, Honorar- und Werkverträge kompensiert. Die Zahl der Mitarbeiter wird ständig ausgeweitet. Im nächsten Jahr wird es 2 500 Mitarbeiter im Bundesdienst zusätzlich geben. Auch das spricht nicht gerade dafür, dass gespart wird. Zudem kritisiert der Rechnungshof die Kreditaufnahme der Bundesregierung als unwirtschaftlich. Jetzt kommt der eigentliche Hammer, eine Geschichte, die meines Erachtens nicht nur die Grünen auf die Palme bringen sollte. Im Rahmen einer Nacht-undNebel-Aktion wird beschlossen, zusätzlich 15,8 Milliarden Euro - nicht Millionen! - Subventionen für die Kohle bereitzustellen. Da wird über Subventionsabbau geredet. Da machen Koch und Steinbrück mit uns zusammen - wir schließen uns dem ja an - Vorschläge für den Subventionsabbau und dann geht man her und stellt für die Kohle 15,8 Milliarden Euro zusätzlich aus dem Bundeshaushalt bereit. Das ist wirklich ein Skandal. Erzählen Sie niemandem in Deutschland mehr, Sie würden sparen! ({17}) Jetzt zu der Frage, was wir denn anders gemacht hätten, wenn wir in den letzten Jahren an der Regierung gewesen wären. Ich will Ihnen ein paar konkrete Dinge nennen. Dabei geht es auch um Einnahmen. Sie haben Scheinprivatisierungen und Privatisierungen mit der Brechstange vorgenommen, die vermeidbar gewesen wären. Was haben Sie aus der Bundesdruckerei gemacht? Über neue Steuern wird ständig diskutiert. Jahr für Jahr wurden Steuern erhöht. Weitere Erhöhungen sind für das Jahr 2004 beschlossen. Aber die Steuerreform 2000 hat die Kapitalgesellschaften zwei Jahre von Steuern freigestellt. 23 Milliarden Euro Einnahmen sind Bund, Ländern und Gemeinden in den Jahren 2001 und 2002 jeweils verloren gegangen, zusammen also 46 Milliarden Euro. Die Rückkehr von im Ausland gebunkertem Geld wird durch Vertrauen hemmende Maßnahmen blockiert. Die Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs unterbleibt. Zweistellige Milliardenbeträge hätten eingenommen werden können, sagt der Rechnungshof. Die Bundesregierung hat durch eine falsche Steuerpolitik auf Einnahmen in erheblichem Maß verzichtet. Sie hat - jetzt komme ich zu dem, was ich vorhin zu dem ideologischen Ansatz, zu dem demokratischen Sozialismus gesagt habe - Kapitalgesellschaften, Versicherungen, Umsatzsteuerbetrüger geschont; Rentner und Arbeitslose werden jetzt getroffen. So viel zum Thema soziale Gerechtigkeit. ({18}) Wir brauchen einen Politikwechsel für Deutschland. Umfassende Reformen des Arbeitsmarkts, Neubegründung der sozialen Sicherungssysteme, eine umfassende Vereinfachung des Steuersystems und eine tief greifende Entbürokratisierung sind Kernpunkte eines Politikwechsels. Die Marktwirtschaft als erfolgreichste Wirtschaftsordnung auf deutschem Boden muss für die Chancen der Globalisierung fit gemacht werden. Im Rahmen dieser Kurskorrektur muss nach unserer Auffassung mehr für die Verkehrsinfrastruktur und die Hochschulen getan werden. Bedenken Sie, dass heute alle Bundesländer darüber nachdenken, was sie im nächsten Jahr und in den folgenden Jahren mit ihren Hochschulen machen, dass Studienplätze abgebaut werden, dass Fachhochschulen geschlossen werden, dass es große Einschränkungen im Bereich von Forschung und Technologie gibt! Das muss man meines Erachtens auch in einen Zusammenhang mit Ihrer Schuldenpolitik stellen. Es kann nicht angehen, dass wir den jungen Menschen, die mit Recht demonstrieren, die Zukunft verweigern. ({19}) Sie verweigern mit Ihrer falschen Politik einer ganzen Generation die Zukunftschancen. ({20}) Zum Vorziehen der Steuerreform habe ich bereits Stellung genommen. Ich möchte abschließend Folgendes sagen: Die Unionsfraktionen werden im Vermittlungsausschuss, aber nicht nur dort, darauf drängen, dass wir wieder zu einer Politik zurückkehren, der die Menschen vertrauen können. ({21}) Aus jeder demoskopischen Erhebung ergibt sich ja, dass die Menschen in Deutschland vor allem beklagen, dass sie nicht mehr wissen, was die Regierung will - sie sehen nur, was sie Schädliches anrichtet -, weil sich an jedem Tag in einer Woche die Pläne ändern. Es gibt keine Beständigkeit mehr, aber Beständigkeit braucht man - dabei ist es egal, ob nun die Steuerreform vorgezogen wird oder nicht -, wenn man will, dass investiert und konsumiert wird. Sie erzeugen genau das Gegenteil: Angstsparen und Investitionsblockade. Deswegen kann es nur darum gehen, diese Politik so schnell wie möglich zu stoppen. Die Schulden müssen runter, das Wachstum muss rauf, damit es wieder besser läuft in unserem Land. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Walter Schöler, SPDFraktion.

Walter Schöler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002056, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine so heillos zerstrittene Opposition wie die der Union ({0}) - Sie können hier so viel schreien, wie Sie wollen - hat unser Land wirklich nicht verdient, das muss man einmal feststellen. Frau Merkel will, dass die Vorschläge der von Altbundespräsident Herzog geleiteten Kommission umgesetzt werden, Ministerpräsident Stoiber lehnt dies ab. Der CDU-Generalsekretär Meyer wirft Herrn Seehofer unerträgliches Geschwafel vor. Die Steuerreform vom Herrn Merz wird in den eigenen Reihen zerpflückt; das haben wir alle miterlebt. Stoiber giftet Koch an, er solle sein Land Hessen in Ordnung bringen. ({1}) Koch pfeift Stratthaus zurück, der der vorgesehenen Finanzierung für das Steuerreformpaket III zustimmen möchte. Sie befassen sich mit den unsäglichen Äußerungen von Herrn Hohmann - wahrscheinlich zu Recht -, aber machen tagelang überhaupt keine Sachpolitik mehr und beteiligen sich nicht an den Haushaltsberatungen. In der Union findet jetzt anstelle einer Debatte über die Zukunft Deutschlands eine Diskussion über Patriotismus statt. Machen Sie nur weiter so! Zu diesem Gerangel passt die Rede des Kollegen Austermann übrigens genau: pure Schwarzmalerei. ({2}) Ich fand es übrigens interessant, wie Sie, Herr Kollege Austermann, den Kollegen Rexrodt gerade zwischen den Zeilen angegangen sind. Diese schrille Vielstimmigkeit und Konzeptlosigkeit könnten wir ja kopfschüttelnd und leicht belustigt zur Kenntnis nehmen, wenn die Lage nicht viel zu ernst wäre. Wir müssen nämlich nach dem Einspruch des Bundesrates gegen unsere Reformgesetze zu Kompromissen mit dieser zerstrittenen Union im Vermittlungsausschuss kommen. ({3}) Fest steht: Wir wollen den Kompromiss, wenn auch nicht um jeden Preis. Es ist meine große Sorge, dass die Union wegen ihrer inneren Zerstrittenheit nicht kompromissfähig ist und deshalb in einer Blockadehaltung verharren wird. Dabei braucht Deutschland dringend die Umsetzung unserer Reformgesetze. Das Land braucht sie, um Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen besser für den globalen Wettbewerb zu rüsten. Das Land braucht sie auch, um aus der Stagnation herauszukommen. Das Land braucht sie schließlich, um den beklemmend vielen Menschen, die Arbeit suchen, auch wieder Arbeitsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven zu verschaffen. Deshalb, meine Damen und Herren, fordern wir Union und FDP auf, sich an der Suche nach einem fairen Kompromiss im Vermittlungsverfahren zu beteiligen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wie halten Sie es denn mit dem Vorziehen der Steuerentlastungen von 2005 auf 2004? Sagen Sie der Öffentlichkeit, was Sie wollen. ({4}) Bei Ihnen ist doch nach wie vor keine klare Linie zu sehen. Im Vergleich zu Ihrem Meinungswirrwarr wäre ja ein Baumlabyrinth noch eine klare und gerade Baumallee. Tragen Sie jetzt dazu bei, dass wir zu einer einheitlichen Linie kommen und Steuerentlastungen beschließen. Sind Sie dazu bereit, diesen Entlastungen in einer Höhe von über 22 Milliarden zuzustimmen? Diese Frage haben Sie heute wieder nicht beantwortet. Aber Sie werden sie beantworten müssen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie sie auch beantworten werden, denn die Bevölkerung und die Wirtschaft verlangen es. Diese Entlastung um über 22 Milliarden wird die Konjunktur beleben. Das sagen namhafte Sachverständige und führende Wirtschaftsvertreter. Die Bürger und auch die mittelständische Wirtschaft brauchen diese Entlastung. Gerade heute hat das Ifo-Institut dargelegt: Die Unsicherheit der Verbraucher über das Vorziehen der Steuerreform verhindere Klimaverbesserungen im Einzelhandel. Das heißt, durch Ihre fehlende Zusage schüren Sie Unsicherheit. Sagen Sie also endlich Ja zur Steuerentlastung, damit auch im Handel die Konjunktur wieder belebt wird. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen den Aufschwung, um von den hohen Arbeitslosenzahlen herunterzukommen, wir brauchen den Aufschwung, um die öffentlichen Haushalte weiter konsolidieren zu können, und wir brauchen ihn, um wieder mehr in die Zukunft investieren zu können. Aber Aufschwung wird es nur dann geben, wenn Bürger und Unternehmer Vertrauen in die Zukunft haben. Das Wackeln und Zappeln, vor allem in der Union, wie wir es gerade bei dem Kollegen Austermann wieder erlebt haben, dieses Wackeln und Zappeln auch in der Frage der Steuerentlastungen gefährdet die sich jetzt ankündigende positive Grundstimmung für einen konjunkturellen Aufschwung. Immer mehr Indikatoren belegen die positive Entwicklung, im Übrigen nicht nur an der Börse. Das Bruttoinlandsprodukt ist im dritten Quartal dieses Jahres leicht gestiegen und das DIW rechnet auch für das vierte Quartal mit weiterem Zuwachs. Der heute vom Ifo-Institut veröffentlichte Geschäftsklimaindex ist zum siebten Mal in Folge gestiegen, besonders stark beim Teilindex der aktuellen Geschäftslage. Dieses Institut stellt fest, dass sich die konjunkturelle Auftriebstendenz festigt. Die deutsche Wirtschaft hat den konjunkturellen Tiefpunkt hinter sich gelassen. Jetzt gilt es, die Belebung, die im Moment noch ein zartes Pflänzchen ist, mit allen Mitteln zu stützen. Dazu gehört eben auch das Vorziehen der Steuerreform, das Sie bisher verweigern. ({6}) Es ist kein Geheimnis: Unsere Planungen einer schnellen Haushaltskonsolidierung sind durch die nunmehr drei Jahre andauernde Stagnation zurückgeworfen worden. Dadurch haben sich auch unsere Zielmarken für die Beschäftigungsentwicklung verschoben. Für das Jahr 2003 hat die Koalition deshalb den heute ebenfalls zur abschließenden Beratung anstehenden Nachtragshaushalt vorlegen müssen. In diesem ist aufgrund der durch die Stagnation aufgerissenen gewaltigen Finanzlücken eine höhere Kreditaufnahme, als zunächst geplant war, vorgesehen. Zur Schließung dieser Finanzlücken konnte nur eine Kreditfinanzierung infrage kommen. Steuererhöhungen oder massive Ausgabenkürzungen wären keine Alternative; denn sie würden prozyklisch und kontraktiv wirken. Wir brauchen aber eine Stärkung und keine Schwächung der Inlandsnachfrage. ({7}) Außerdem brauchen wir eine Stärkung der sich abzeichnenden konjunkturellen Erholung. Die in diesem Nachtragshaushalt geplante Erhöhung der Neuverschuldung liegt zwar deutlich über dem Investitionsvolumen; aber sie ist - im Gegensatz zu Ihrer Auffassung - nach den Ausnahmeregelungen des Art. 115 des Grundgesetzes zulässig, da das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, wie die Stagnation und die Arbeitslosigkeit belegen. Die automatischen Stabilisatoren sind ein geeignetes Instrument, um der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts entgegenzuwirken. Zusammen mit den konjunkturbedingten und weitgehend ebenfalls kreditfinanzierten Haushaltsbelastungen von Ländern und Gemeinden macht das Volumen dieser automatischen Stabilisatoren über 30 Milliarden Euro aus. Stellen Sie sich die konjunkturelle Wirkung vor, wenn diese über 30 Milliarden Euro jetzt nicht kreditfinanziert würden, sondern durch kontraktive Politik, wie Sie es wollen, aus dem Wirtschaftskreislauf genommen würden! Das hätte jede Aussicht auf einen Aufschwung zunichte gemacht. ({8}) Meine Damen und Herren, den Vorwurf der Opposition, wir hätten den Nachtragshaushalt zu spät vorgelegt, weise ich nochmals entschieden zurück. Ich habe Ihnen schon in der ersten Lesung im November dargelegt, dass es rechtlich zulässig und politisch geboten war, zunächst die Entwicklung der relevanten Rahmendaten abzuwarten. Wir wollten den Nachtragshaushalt auf einer verlässlichen Datenbasis aufbauen. Diese liegt jetzt mit der Novembersteuerschätzung sowie dem Herbstgutachten der Forschungsinstitute und den neuen gesamtwirtschaftlichen Eckwerten der Bundesregierung vor. Der Bundeshaushalt 2004, auf den ich jetzt zurückkomme und der im Übrigen - damit nicht falsche Agenturmeldungen um die Welt gehen - eine bedeutend niedrigere Nettokreditaufnahme aufweist als der Nachtragshaushalt 2003, über den ich gerade gesprochen habe, ist im doppelten Sinne ein Kraftakt, auf den die Koalition stolz sein kann und auch stolz ist; denn dieser Haushalt ist zum einen ein Konsolidierungskraftakt, wie Sie ihn in Ihrer 16-jährigen Regierungszeit nie geschafft haben. ({9}) Wir haben ein Einsparpotenzial von rund 14 Milliarden Euro mobilisiert. Zum anderen ist dieser Haushalt auch das in Zahlen gegossene Ergebnis unseres Reformkraftaktes. Dabei ist es der Koalition in den Beratungen im Haushaltsausschuss gelungen, die in den letzten Wochen beschlossenen Reformprojekte noch unter das Dach des Haushalts zu bekommen, ohne dieses Dach anheben zu müssen. Damit will ich sagen, dass wir die Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf trotz dieser gewaltigen Umbauarbeiten nicht erhöhen mussten. Mit 29,3 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme sind wir sogar um 1,5 Milliarden Euro unter dem Entwurfsansatz geblieben. Bei diesem doppelten Kraftakt haben Sie von der Union sich - im Gegensatz zur FDP, die sich an den Beratungen und Entscheidungen beteiligt hat - völlig von der politischen Bildfläche verabschiedet. Sie haben sich an den Haushaltsberatungen im Ausschuss zwar verbal beteiligt, aber keine einzige Entscheidung mit getragen. Damit haben Sie Ihre Mitverantwortung als Opposition hinsichtlich des parlamentarischen Budgetrechts freiwillig an der Garderobe abgegeben. Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. ({10}) Heute behaupten Sie, dieser Entwurf sei nicht beratungsfähig. Wir haben das Gegenteil bewiesen. Wir haben die Beratungen alleine - zusammen mit der FDP gestemmt. ({11}) Wir haben die Reformprojekte haushälterisch umgesetzt. Sie sind mit Ihrer Verweigerungsstrategie gescheitert. ({12}) Meine Damen und Herren, in völliger Fehleinschätzung unserer Kraft haben Sie geglaubt, ({13}) damit die Beratungen torpedieren zu können. Dabei hatten die Unionshaushälter - das muss man sich einmal anhören - Anfang September noch angekündigt, knallharte Sparvorschläge vorzulegen. ({14}) Was ist gekommen? Nichts. Und dann haben Sie für die Bereinigungssitzung 309 angebliche Anträge vorgelegt, ohne Substanz, weil sie keine Änderungsvorschläge enthielten. Zigtausende von Seiten Papierverschwendung, nutzlos vertane nächtliche Arbeitszeit für diejenigen, die dem Haushaltsausschuss zuarbeiten müssen - das war Ihre ganze Leistung. Ihre Pseudoanträge haben Sie dann morgens wieder einkassiert. Welche Blamage für diese Union als Opposition! ({15}) Meine Damen und Herren der Union, wie hätten Sie denn wohl getönt, wenn wir Ihrer Taktik auf den Leim gegangen wären und die abschließenden Beratungen im Ausschuss, in der Bereinigungssitzung und auch in dieser Woche im Parlament verschoben hätten bis zur Vorlage eines Vermittlungsergebnisses? Hohn und Spott wäre Ihre Antwort gewesen; Sie hätten gefragt: Was wollen Sie eigentlich? - Wir zeigen Ihnen mit diesem Haushalt, was wir wollen, nämlich auch die haushaltsmäßige Abstützung des gesamten Reformpaketes, das wir in den letzten Wochen und Monaten durch das Parlament gebracht haben. ({16}) Etatrecht ist Parlamentsrecht, nicht das Recht des Bundesrates, nicht das Recht des Vermittlungsausschusses. Die Union wollte es den Herren Stoiber und Koch im Vermittlungsausschuss überlassen. Herr Merz hat das nicht einmal den Herren Stoiber und Koch zugetraut, denn er hat ja gestern noch in der gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse beantragt, es der Europäischen Union zu überlassen. Ich kann Ihnen nur attestieren: Sie haben auf ganzer Linie versagt. ({17}) Im Übrigen, Herr Kollege Austermann, ist der heute zu beratende Haushalt verfassungsfest. Der Basishaushalt, also ohne das Vorziehen der Steuerentlastungsstufe 3, hält die Verschuldungsregel gemäß Art. 115 Grundgesetz ein. Die Neuverschuldung liegt unterhalb des Investitionsvolumens. Rechnet man das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ein, dann liegt die Neuverschuldung bei 29,3 Milliarden Euro. Sie liegt dann zwar über dem Investitionsvolumen, aber sie steht immer noch im Einklang mit der Verfassung. Dieses Überschreiten dient nämlich dem Abwenden einer drohenden Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. ({18}) Drei Jahre dieser Stagnation haben allen öffentlichen Haushalten die Luft abgeschnürt. Was wir jetzt brauchen, sind deutliche Wachstumsimpulse, nicht dieses Zusatzsparen, das Sie seit gestern noch als letzten Versuch, diese Haushaltsberatung zu verhindern, eingesetzt haben. Wir setzen diese Wachstumsimpulse mit dem Haushalt 2004. Niemand von uns stellt im Übrigen das Recht der EUKommission infrage, die Verletzung der Defizitgrenze von 3 Prozent zu rügen. Aber die von ihr damit zugleich für 2004 geforderten zusätzlichen Einsparungen von 4 bis 6 Milliarden Euro wären gerade in der gegenwärtigen Situation kontraproduktiv. ({19}) Wachstum ist die Voraussetzung für dauerhafte Konsolidierung. Eine auf die schematische Einhaltung von Defizitgrenzen ausgerichtete Politik würde prozyklisch wirken und die sich abzeichnende Belebung gefährden. Dieser Auffassung hat sich heute die deutliche Mehrheit der Finanzminister der EU-Länder angeschlossen. Ich möchte Herrn Finanzminister Hans Eichel ganz ausdrücklich dafür danken, dass er mit großem Einsatz und mit viel Überzeugungsarbeit Schaden von unserem Land abgewendet hat. ({20}) Die Sparvorstellungen der Kommission hätten unserem Land geschadet. Wenn die Union diese Vorstellungen unterstützt, dann schadet auch sie unserem Land. An den öffentlichen Auftritten des Herrn Merz vor und nach der gestrigen gemeinsamen Ausschusssitzung merkt man schon: Das Vorgehen der EU-Kommission wäre der Union bei den Gesprächen im Vermittlungsverfahren zupass gekommen, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das hat nicht geklappt; es wird Ihnen nicht gelingen. Der Finanzminister und der Ministerrat haben dies aus guten Gründen vereitelt. Jetzt gibt es für Sie nur noch eine Zeithürde für die Einigung im Vermittlungsausschuss, nämlich Ihr CDUBundesparteitag am 1. Dezember. Dort können Sie Ihre Arbeitsteilung fortsetzen: Herr Merz für die Entsozialdemokratisierung der CDU und Frau Merkel für den Patriotismus. Das ist Ihr Beitrag zur Diskussion über die Zukunft Deutschlands. ({21}) Wir halten an dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt fest. Wir kümmern uns um ein wirtschaftlich starkes Deutschland. Das - und nicht Ihre Störversuche, die Sie starten - dient der europäischen Einigung. Der Pakt steht für Stabilität und Wachstum. Beides bedingt einander. Auch an unserer Rolle als Hauptfinanzier der EU wird sich nichts ändern. Deutschland war bisher immer - im Übrigen auch während Ihrer Regierungszeit - für eine Sonderleistung oder eine Sonderzahlung gut. Aber es muss doch einmal möglich sein, öffentlich und gegenüber der EU festzustellen, in welcher Höhe uns die finanziellen Folgen der deutschen Einheit im Haushalt belasten. ({22}) Kein anderer europäischer Staat hat solche Lasten wie Deutschland zu tragen. ({23}) Ohne diese Verpflichtungen würde unser Haushalt beispielhaft dastehen. Das weiß die EU-Kommission; das weiß auch die Opposition. Das sollten Sie von der Opposition einmal einräumen und nicht der Bundesregierung auf europäischer Ebene mit öffentlichen Verhandlungsratschlägen in den Rücken fallen. Was Herr Glos heute erklärt hat, ist übelste Polemik. Er spricht beispielsweise von Leichenfledderei, von Grabräubern und von Totengräbern des europäischen Stabilitätspaktes. ({24}) Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen, dass es so sei. Ich sage Ihnen dazu: Sie haben mit Herrn Glos jemanden in Ihren Reihen, der nicht nur eine üble Sprache spricht, sondern der auch die Mehrzahl der europäischen Finanzminister mit seinen Äußerungen beleidigt. ({25}) Der Bundeshaushalt ist nicht nur Ausdruck eines Konsolidierungskraftaktes. Trotz aller Sparzwänge wurden Positionen ausgebaut, die mehr Zukunftschancen für Deutschland schaffen. Ich nenne die Bereiche Bildung und Forschung - darüber diskutieren wir heute Abend noch -, den Investitionsbereich und die Familienförderung. Die Beiträge der Koalitionsredner in der folgenden Debatte werden dies sicherlich eindrucksvoll belegen. ({26}) Im Gegensatz zu Ihrer Auffassung, Kollege Austermann, haben wir es für richtig gehalten, die konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen - das waren fast 5 Milliarden Euro - nicht durch Ausgabenkürzungen, sondern durch zusätzliche Privatisierungseinnahmen aufzufangen. Entgegen der ursprünglichen Absicht haben wir deshalb die Ausgaben für die Postpensionen nochmals aus dem Bereich der Postnachfolgeunternehmen finanziert. Das ist übrigens - im Gegensatz zu Ihrer Darstellung - völlig legitim, da dies im Gesetz für die Finanzierung der Pensionszahlungen so vorgesehen war. Sollte die Regierung zur Privatisierung wieder das Instrument der Platzhalterverträge mit der KfW nutzen, würden wir dies ausdrücklich begrüßen. Denn durch diese Zwischenlagerung ist ein erheblich flexibleres Heranführen an die Börse möglich. Das hat im Übrigen noch im Sommer die vom Markt äußerst positiv aufgenommene Telekom-Wandelanleihe gezeigt. Platzhalterverträge haben auf der Zeitachse wegen ihrer flexiblen Handhabung erhebliche Vorteile, auch wenn der Rechnungshof das anders gesehen hat. ({27}) Sie sind deshalb bei längerfristiger Betrachtung für den Bund finanziell vorteilhaft. Der Bundeshaushalt verbindet die Notwendigkeit von strukturellen Reformen und Konsolidierung. Er setzt darüber hinaus dringend erforderliche Wachstumsimpulse, unter anderem durch das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform. Jetzt kommt es darauf an, dass Koalition und Opposition im Vermittlungsverfahren aufeinander zugehen, um die notwendigen Reformen zu vereinbaren. Die ökonomische und die politische Vernunft gebietet dies. Wir sind es, die diese notwendigen Reformen eingeleitet haben. Damit wird die Koalition ihrer Verantwortung gerecht. Jetzt kommt für Sie die Stunde der Wahrheit; jetzt haben Sie Ihre Vorstellungen auf den Tisch zu legen. Sie können das im Bundesrat tun; Sie können das Reformpaket mittragen; Sie können auch diesen Bundeshaushalt mittragen. Unser Land, Bund, Länder und Gemeinden, braucht diese Reformen, und zwar jetzt. ({28}) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, abschließend all denjenigen zu danken, die sich an der Beratung des Haushaltes beteiligt haben, und all denjenigen, die gut zugearbeitet haben. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({29})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Günter Rexrodt, FDPFraktion. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das uns vorgelegte Zahlenwerk ist unfertig und realitätsfern. ({0}) Das Zahlenwerk leidet unter einem strukturellen Problem. Dieses strukturelle Problem ist so groß, dass es uns jeden Freiraum, in diesem Lande eine gestalterische Politik zu machen, nehmen wird, wenn wir das Ruder nicht herumwerfen. Man kann mit wenigen Worten und Zahlen umreißen - und dies im Übrigen abseits parteipolitischer Polemik -, um was es geht: Die Gesamtausgaben des Bundes stiegen zwischen 1998 und 2004 um 24 Milliarden Euro bzw. um 11 Prozent. Das ist zwar zu viel; aber das lasse ich einmal dahingestellt. Entscheidend ist, dass in ebendiesen fünf Jahren, bezogen auf den Gesamthaushalt, der Anteil der Arbeitsmarktausgaben um 2,5 Prozent und der Anteil der Zuweisungen an die Rentenkassen um sage und schreibe 8,1 Prozent gestiegen ist und dass der Anteil der Sozialausgaben jetzt nicht mehr bei 39, sondern bei 49 Prozent liegt. ({1}) Dies konnte nicht durch die äußerst kritische Reduzierung der Investitionsquote von 12 auf 10 Prozent und auch nicht durch die Kürzung der auf die Bundeswehr entfallenden Quote aufgefangen werden. Den Ausweg aus diesem Dilemma hat die rot-grüne Koalition in der Ausweitung der Verschuldung gesucht. Statt des „close to balance“, des ausgeglichenen Haushalts, im Jahre 2004 wurden im Jahre 2003 43,9 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Im nächsten Jahr werden es zwischen 40 und 50 Milliarden Euro sein. Das ist der Ausweg, den die Koalition gegangen ist. Den kann niemand akzeptieren. ({2}) Das ist ein Desaster. Das ist ohne jede Übertreibung mit einem Scheitern rot-grüner Politik im Ganzen gleichzusetzen. Das ist eine Täuschung der jüngeren Generation. Das geht mit der Verletzung völkerrechtlicher Verträge einher und hat eine nachhaltige Schädigung des Vertrauens in die Politik in diesem Lande zur Folge. ({3}) Auf die Folgen im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag werde ich noch zu sprechen kommen. Zunächst gilt es aber, sich mit dem auseinander zu setzen, was die Bundesregierung zur Erklärung oder auch zur Entschuldigung dieses Desasters vorgetragen hat. Das läuft mehr oder weniger auf die Aussage hinaus: Wenn die wirtschaftliche Situation in unserem Lande nicht so schlecht gewesen wäre, dann wäre das alles nicht passiert. Meine Damen und Herren, Sie werden es mir nicht glauben; aber diese Aussage ist im Kern richtig. Wenn die wirtschaftliche Lage nicht so schlecht gewesen wäre, dann wäre das nicht passiert. Hinzu kommt, dass die demographische Katastrophe ihre Schatten vorauswirft. Das Letztere kann Ihnen niemand vorwerfen, aber die schlechte Wirtschaftslage, die Sie als Entschuldigung heranziehen, kann man Ihnen in ganz entscheidendem Maße zurechnen. ({4}) Zweifellos ist es um die weltwirtschaftliche Lage nicht zum Besten bestellt. ({5}) Wer sich allerdings die Entwicklung der Außenwirtschaftszahlen anschaut, kann nicht übersehen, dass von der Weltwirtschaft eher expansive Impulse auf die deutsche Wirtschaft ausgegangen sind. Das belegen unsere Exportzahlen. Es mangelt vielmehr im Lande selbst an Investitionen und an der Bereitschaft zum Konsum. Deutschland bewegt sich beim Wirtschaftswachstum am Ende des europäischen Geleitzuges. Das ist ein Novum in der Geschichte dieses Landes. Diese Tatsache, dass wir uns am Ende des Geleitzuges befinden, und die damit verbundene Krise sind hausgemacht. Diese wirtschaftliche Krise ist Ausdruck der Krise des Vertrauens in die deutsche Politik. Das gilt insbesondere für das Vertrauen der mittelständischen Wirtschaft in die Reformfähigkeit dieses Landes. ({6}) Aus einem Land, das noch vor fünf Jahren eine wirtschaftliche Orientierungsfunktion wahrgenommen hatte, aus einem Land, das zukunftsorientiert gewesen war, ist ein Land geworden, das mit sich selbst nicht im Reinen ist und in dem Zögerlichkeit und Zukunftsangst weit verbreitet sind. Ich will der Koalition zugute halten, dass es objektiv schwierig ist, erfolgsverwöhnte Konsensgesellschaften zu reformieren. Dass Sie aber wichtige Reformen der 90er-Jahre blockiert haben, so zum Beispiel im Steuerbereich, ({7}) und nach der Regierungsübernahme ebenso wichtige Korrekturen im Arbeitsrecht sofort rückgängig gemacht haben, war nach Ihrer eigenen Aussage ein gravierender Fehler. Genau das war es auch. Es war abenteuerlich. Vor allem aber haben Sie vier lange Jahre lang eine Politik - und das war Kern Ihrer Politik - der Bündnisse gemacht; Bündnisse, die nichts anderes waren als ein Vorbeilavieren an den wichtigen, einschneidenden Reformen. Sie dachten, man setzt sich an einen runden Tisch - das macht man ja so gern - und dann bekommt man die Dinge in den Griff und alle stimmen zu. Das jedoch hat nicht funktioniert. Mit Ihrem Vorbeilavieren haben Sie vier Jahre verspielt. Vor diesem Hintergrund muss jeder Versuch, das katastrophale Budgetdefizit des Jahres 2004 gewissermaßen als gottgegeben abzutun, zurückgewiesen werden. ({8}) Es gab angeblich einmal Ihren Aufschwung. Jetzt ist es Ihr Abschwung, Ihre Talfahrt. Herr Eichel, das ist jetzt auch ganz allein Ihre Nettoneuverschuldung. ({9}) Das muss denen gesagt werden, die es betrifft: Ihnen und der rot-grünen Koalition. ({10}) Mit dem zweiten Versuch, von Ihrer Verantwortung abzulenken, muss ebenso aufgeräumt werden, nämlich mit der gern verwendeten Formel, eine bürgerliche Regierung hätte keine Alternative zur Erhöhung der Staatsschuld gehabt. ({11}) In diesem Zusammenhang wird versucht, zum Wahrheitsbeweis auf die zweifellos kräftig gestiegene Nettoneuverschuldung nach der Wiedervereinigung zu verweisen. Faktum ist allerdings - keiner kann daran vorbei -, dass die Konsolidierung des Haushalts nicht mit Herrn Eichel begonnen hat, ({12}) sondern bereits im Jahre 1995. Schauen Sie sich die Zahlen an. In der Zeit zwischen 1995 und 1998 sind die Ausgaben um 20 Milliarden Euro reduziert worden. Dazu kam ein konsequenter Privatisierungskurs, der vom damaligen hessischen Ministerpräsidenten entschieden bekämpft wurde und der allein in den Jahren 1999 und 2000 etwa 10,2 Milliarden Euro in die Kassen des Herrn Bundesministers Eichel gespült hat. Das sind die Fakten. An denen kann keiner vorbei. Sie, Herr Eichel, haben die Ausgaben nicht weiter zurückgefahren, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen als prinzipielles Fehlverhalten vorwerfen muss: Vier Jahre fehlende oder weitgehend verpatzte Reformversuche, vier Jahre Handeln nach dem Motto „linke Tasche, rechte Tasche“. Es gab auf der einen Seite eine Entlastung bei den Ertragsteuern und auf der anderen Seite mittelstandsfeindliche Erhöhungen bei den Energiesteuern, der Tabaksteuer und den Versicherungsteuern. War es so? Oder war es so nicht? Ich sage Ihnen: Es war so. ({13}) Einer bürgerlichen Regierung wäre das nicht eingefallen. Wer in diesem Land eine Steuerpolitik betreibt, die den Mittelstand, vor allem die Betriebe, die das Rad drehen, vergrätzt, der muss sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in diese Regierung verloren geht. Noch die Diskussionen der letzten Monate sind beredte Beispiele dafür, wie man nicht vorgehen sollte. Hören Sie von der SPD endlich auf, immer wieder die Vermögensteuer in die Diskussion zu bringen! ({14}) Jeder weiß, dass private und die betriebliche Vermögensteuer nicht zu trennen sind. Eine solche Steuer bringt nichts. Das müssen auch endlich die Ideologen in Ihren Reihen begreifen. Ähnliches gilt für die Erbschaftsteuer. Auch bei der Erbschaftsteuer verunsichern Sie die Menschen. Ich habe keinerlei Sympathie für Herrn Müller von Müllermilch. Aber Kapital ist ein flüchtiges Reh. Niemand kann die Grenzen schließen, auch Sie nicht. Die Erbschaftsteuer muss kalkulierbarer gemacht und vereinfacht werden. Sie muss überschaubarer werden. Sie darf nicht so gestaltet werden, dass die Menschen die Flucht ergreifen. Den Haushalt damit sanieren zu wollen ist ohnehin Unsinn. Der Strategie der Verunsicherung wird mit der von der SPD gewollten Einführung der Ausbildungsplatzabgabe die Krone aufgesetzt. Eine Ausbildungsplatzabgabe ist das verkehrteste Instrument, um die Ausbildungsbereitschaft in unserem Lande zu erhöhen. ({15}) Die Verdrossenheit wird weiter wachsen. Die unternehmerische Wirtschaft, die davon betroffen ist, opponiert. Eine unglaubliche Bürokratie steht ins Haus. Am Ende wird das duale System, einer der wenigen wirtschaftspolitischen Standortvorteile, die dieses Land noch hat, daran kaputtgehen. Sie richten das duale System zugrunde, indem Sie die Ausbildungsplatzabgabe einführen. Die Politik, die Sie betreiben, ist nicht nachvollziehbar. Wie kann man sich selbst nur so demontieren wie bei der Ausbildungsplatzabgabe! Auf der einen Seite bewegen Sie sich unter riesigen Schmerzen und Diskussionen zwischen den Reformern und den Linken ein Stück in die richtige Richtung; auf der anderen Seite kommen Sie mit einer Erhöhung der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer sowie der Erhebung einer Ausbildungsplatzabgabe an. Diese Logik müssen Sie den Menschen erklären. ({16}) Kommen wir nun zur Steuerpolitik. Im vorigen Jahr haben Sie die zweite Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 verschoben, weil sie, wie Sie gesagt haben, nicht zu finanzieren gewesen sein soll. Jetzt soll die dritte Stufe der Steuerreform ebenfalls auf das Jahr 2004 vorgezogen werden. Das ist gut. Aber so, wie Sie, Herr Eichel, das bisher angelegt haben - ich denke nur an das Zahlenwerk und an die Vorschläge, die Sie gemacht haben -, ist das wieder nicht zu finanzieren. Wenn die Koalition Steuervergünstigungen abbauen will, die den Entlastungseffekt im Zeitablauf übersteigen, und die Verschuldung weiter erhöhen will, dann ist das alles andere als akzeptabel. So läuft das nicht. Nicht mit uns! Warum haben die Koalitionsfraktionen die Einsparvorschläge der FDP in Höhe von 2,5 Milliarden Euro - das ist von Kollegen Koppelin schon angesprochen worden - mechanisch, fast roboterhaft abgelehnt? Sie haben sich nicht an der Sache orientiert, sondern wollten nur Ihr Prestige wahren und Macht ausspielen. So löst man die Probleme dieses Landes nicht. ({17}) Die FDP hält das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform prinzipiell für richtig. Dem werden wir zustimmen, allerdings nur, wenn davon ein Signal ausgehen kann. Dies geht nur, wenn Sie ein vertretbares Finanzierungskonzept vorlegen und sich in Bezug auf den Arbeitsmarkt und ein weiteres, wirtschaftspolitisch enorm wichtiges Gebiet, nämlich das Arbeitsrecht bewegen. Dort muss es Bewegung geben; ({18}) denn der Entlastungseffekt kann nur dann eintreten, wenn der Arbeitsmarkt nicht so rigide bleibt, wie er ist. Das muss verändert werden. Dann können wir über vieles reden. Viel wirkungsvoller als das Herumbasteln im System der Steuervergünstigungen und Finanzhilfen, das wir alle in den letzten Jahrzehnten haben sprießen lassen, wäre eine generelle Durchforstung. Am Ende werden radikale Einschnitte unvermeidlich sein. Dazu hat meine Partei am 13. Oktober 2003 unter anderem einen Gesetzesentwurf vorgestellt, in dem wir unabhängig davon, ob sie als steuerliche Vorteile oder als Finanzhilfen gewährt werden, eine zeitliche Begrenzung und degressive Ausgestaltung aller Subventionen vorsehen. Das Gesetz soll zunächst für neue Subventionen gelten. Für bestehende Subventionen ist eine Überprüfung im Laufe von zehn Jahren anzustreben. Für den Fall, dass auch in Zukunft - ich sage: ausnahmsweise - Finanzhilfen gewährt werden müssen, fallen diese automatisch unter das Gebot der zeitlichen Befristung und der Degression. Ein solches Gesetz wäre geeignet, um der öffentlichen Hand die Finanzierungsinstrumente in die Hand zu geben, die sie benötigt, um endlich eine große Steuerreform durchzuführen, eine Steuerreform, wie sie von meiner Partei seit zehn Jahren vorgeschlagen und detailliert vorgestellt wird. ({19}) Neuerdings wird sie auch von der CDU, von Herrn Merz, vorgestellt. ({20}) Im Übrigen ist in der Politik - anders als in der Schule das Abschreiben erlaubt. Deshalb sind wir froh und machen weiter so. ({21}) Jetzt sage ich einmal etwas Freundliches zur SPD: In diesem Zusammenhang begrüße ich die Bemühungen von Koch und Steinbrück ausdrücklich, die durch ihre Vorschläge eine wichtige Durchforstung des Subventionssystems eingeleitet haben. Die gewählte Systematik und die Bewertungsansätze sind nicht falsch. Das gilt aber nicht für das Ausmaß der vorgeschlagenen Kürzungen: Jeweils 4 Prozent in den nächsten drei Jahren sind bei einem Gesamtvolumen von 80 Milliarden Euro, das zur Debatte steht, viel zu wenig; das ist zu zaghaft. Wir wollen mehr. Ich glaube auch, dass die von Koch und Steinbrück vorgelegte Liste der nicht zur Disposition stehenden Subventionen nicht zum Tabu werden darf. ({22}) In dem Zusammenhang ist es nun kein besonders hilfreicher und ermutigender Akt in der Subventionsdiskussion, dass der Herr Bundeskanzler und der sonst so forsche Herr Bundeswirtschaftsminister die Steinkohlebeihilfen - gewissermaßen die Inkarnation einer überlebten Erhaltungssubvention - über das Jahr 2006 hinaus bis 2012 verlängern wollen. In diesen Wirtschaftszweig sollen noch einmal sage und schreibe 15,7 Milliarden Euro gepumpt werden. Herr Eichel, wenn Sie das nicht täten, hätten Sie in Brüssel sehr viel geringere Probleme. ({23}) Das ist keine in sich konsistente Politik. Das wissen Sie auch genau. ({24}) - Das alles wissen Sie. Sie haben ein schlechtes Gewissen. Das kam alles vor Ihrem Parteitag. Sie mussten ein paar Leuten aus einer bestimmten Region und Richtung noch etwas geben. Wir wissen das alles doch. Sie betreiben hier keine gute Politik. ({25}) Ich komme nun zu der Tatsache, dass Sie die Stabilitätskriterien von Maastricht vor den Augen unserer Nachbarn und Partner überall in der Welt ganz vorsätzlich verletzen. Hier bin ich immer wieder fassungslos. Der Stabilitätspakt ist von der Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen und letztlich auch durchgesetzt worden. Wir wollten in diesem Lande die über Jahrzehnte gewachsene Stabilitätskultur zum Maßstab europäischen Handelns und europäischer Haushalts- und Finanzpolitik machen. ({26}) Wir wussten, dass die Europäische Zentralbank nicht die rigiden Instrumente besitzen kann, wie sie beispielsweise die Deutsche Bundesbank hatte. Ich kann als Zeitzeuge - es sei mir nachgesehen - unmittelbar aus den Gesprächen und Verhandlungen berichten, wie der Kollege Waigel und an vielen Stellen auch der Bundeswirtschaftsminister darum gerungen haben, dass der Stabilitätspakt kein zahnloser Tiger bleibt. ({27}) Die Sanktionsmechanismen mussten elementarer Bestandteil dieses Vertrages sein. Andernfalls - dessen waren wir uns voll bewusst - ist der Pakt am Ende nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt wird. Die von Deutschland und Frankreich betriebene Demontage der europäischen Stabilitätskultur hat in der vergangenen Nacht in Brüssel einen neuen Tiefpunkt erreicht, Herr Eichel. ({28}) Anstatt die von der Kommission verlangten Auflagen und Sanktionen zu akzeptieren, mobilisieren die beiden größten Staaten eine Abwehrfront, um vom Scheitern der verfehlten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik abzulenken. Damit wird nicht, wie Sie behaupten, Freiraum für antizyklische Politik geschaffen. Im Gegenteil: Entscheidungsspielräume gibt es bis zur Freigrenze von 3 Prozent. Wenn man darunter liegt, kann man überlegen, was man macht und wie man es macht. Wenn man aber über dieser Grenze liegt, dann ist aktives Handeln gefordert. So haben wir das gewollt. ({29}) Dazu gehört die Androhung und, wenn notwendig, auch das Verhängen von Sanktionen. ({30}) Die Beschlüsse des Ecofin-Rates sind geeignet, das Vertrauen in die Stabilität des Euros zu untergraben. Wer investiert in einem Land, das Verträge nicht ernst nimmt und von Prinzipien Abschied nimmt, die dieses Land so stark gemacht haben? Dies alles beim Namen zu nennen ist unvermeidbar. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Es bleibt die Hoffnung, dass es angesichts des Desasters, in dem wir uns befinden, mit Vernunft und einem Stück Gemeinsamkeit doch noch gelingen mag, einen Ausweg zu finden. Dies ist den Menschen zu wünschen, die wieder in einem Land leben möchten, das optimistisch sein kann und an seine Ziele glaubt. Herzlichen Dank. ({31})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Anja Hajduk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit dem Thema beginnen, das Herr Dr. Rexrodt zum Schluss angesprochen hat, dem europäischen Stabilitätspakt. Herr Minister Eichel, Sie können uns in Ihrem Beitrag sicherlich schildern, wie die Situation einzuschätzen ist. Mich erfüllt es nämlich durchaus mit Sorge und ich bedauere es, dass nicht das gelungen ist, was Sie selbst gestern im Ausschuss - wenn ich Sie richtig verstanden habe - als Ziel genannt haben, nämlich eine Lösung im Einvernehmen zu finden. Die jetzige Situation kann, was die Dimension und die Ausstrahlung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes angeht, nicht zufrieden stellen; das möchte ich jedenfalls für mich festhalten. Der erreichte Kompromiss ist leider ohne Einvernehmen der Kommission zustande gekommen. Dies sage ich auch in Richtung der Opposition. ({0}) - Ich glaube, die Situation war schon verdammt kompliziert, Herr Kampeter. Die Konsolidierungsziele für die Jahre 2004 und 2005, die wir uns setzen, sind - das hat der Minister gestern noch einmal beschrieben - wirklich sehr ehrgeizig. Damit meine ich, dass es für uns sehr schwierig sein wird, dieses Ziel zu erreichen. Wir haben schon oft darüber gesprochen, dass wir dafür auch das Einvernehmen von Ihrer Seite brauchen. Ich stimme Ihnen aus vollem Herzen zu, Herr Eichel: Es wird sehr anstrengend sein, die uns gestellten Vorgaben zu erfüllen. Sicher war es Ihr Ziel, eine realistische Basis zu finden, auf der wir aufbauen können. Dass das die Mehrheit Ihrer Finanzministerkollegen im Rat gefunden hat, kann ich akzeptieren. Allerdings will ich ganz deutlich sagen: Ich bin davon überzeugt, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt brauchen und seine mäßigende Wirkung auf alle Finanzakteure in Europa - wir wissen, wie leicht unverantwortliche Wahlversprechen in der Politik kursieren können anerkennen sollten. ({1}) Der Pakt ist in der Tat Basis für das Vertrauen in die gemeinsame Währung. Er ist auch ein Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger, dass wir eine solide Haushaltspolitik machen und dass wir eine Grundlage für mehr Wachstum und Beschäftigung schaffen wollen. ({2}) - Ich bin auch froh, dass sich der Finanzminister noch dazu äußern wird. ({3}) - Es ist ja auch gut, wenn wir einmal Einvernehmen haben; dann kommen wir einen Schritt weiter. ({4}) Ich habe vorhin schon gesagt, Sie stehen zu viel auf der Bremse. ({5}) Ein wichtiger Punkt ist deswegen, dass wir im Nachklang zu dem offenkundigen Dissens mit der Kommission in Deutschland Einvernehmen darüber haben, dass wir den Pakt weiterhin für wichtig halten und dass wir uns nicht in einen Wettbewerb des Zerredens begeben wollen. Auch da haben wir alle eine Verantwortung. ({6}) Angesichts der Probleme, die wir haben - dass wir Probleme haben, ist ja offenkundig; das leugnen wir auch nicht -, stellt sich die Frage: Was brauchen wir denn, um den Stabilitätspakt einhalten zu können? Es ist klar, dass wir eine ganze Menge an Einsparungen brauchen und dass wir unsere Haushalte konsolidieren müssen. Dazu braucht man in einer Demokratie eigentlich auch den Ideenwettbewerb mit der Opposition. Jetzt komme ich zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Union. ({7}) Sie verweigern sich diesem Ideenwettbewerb. ({8}) Sie geben keine Antwort auf die Frage, welche Einsparungen wir in Deutschland brauchen. Sie haben sich diesem Ideenwettbewerb im Haushaltsausschuss formal verweigert und Sie haben sich ihm auch inhaltlich verweigert. ({9}) Das ist schon bemerkenswert - bemerkenswert in einem sehr, sehr negativen Sinne für eine große Oppositionsfraktion, die eigentlich eine Alternative darstellen möchte. ({10}) Ich will ein Beispiel nennen, das die Ausgabenseite betrifft - Sie sagen ja, dass wir nicht immer nur mit der Einnnahmeseite und mit dem steuerlichen SubventionsAnja Hajduk abbau kommen sollen -: Wir haben Einvernehmen darüber, dass die Alterssicherung im Bundeshaushalt zusammen mit der Vorsorge - nicht nur die Rente - mit 100 Milliarden von 250 Milliarden Euro einen dramatisch hohen Anteil hat. Im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes haben wir vor einigen Wochen ein Paket vorgelegt und Ihr Kommentar dazu ist, dass Sie bei der Lösung kurzfristiger Probleme nicht mitmachen werden. Sie blockieren damit einen großen Anteil des Bereichs, in dem man Einsparungen und Begrenzungen vollziehen kann. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo waren Sie eigentlich, als 1997/98 die Rentenreform diskutiert wurde? Ich verstehe nicht, dass Sie hier einerseits das Einhalten des EU-Stabilitätspakts predigen, andererseits aber bei ganz konkreten Ausgabenbegrenzungen wie bei der Rente, die politisch schwierig durchzustehen sind, abtauchen und lediglich in Sachen Arbeitsmarktreform mitmachen wollen. Das ist unredlich. ({11}) Dem von mir geschätzten Kollegen Austermann muss ich sagen: ({12}) Es zeichnet Sie nicht gerade aus, wenn Sie in den Mittelpunkt Ihrer Haushaltsrede nicht etwa die großen Fragen der Haushaltskonsolidierung stellen - die Aufgaben bei der Alterssicherung habe ich gerade angesprochen -, sondern irgendwelche kleinen angeblichen Skandale zur Öffentlichkeitsarbeit, über die die Zeitungen berichten. ({13}) Die Presse ist frei und kann das machen; aber wenn Sie klein-klein das in den Mittelpunkt Ihrer Rede stellen, ist das bezeichnend für Ihr Niveau, vor allem wenn man sieht, wie groß unsere Probleme sind. ({14}) - Ich stelle ja nur fest, dass Sie sich an die kleinen Fragen gerade eben herantrauen, ansonsten aber die Beratung verweigern. Wenn es um die großen Fragen und um die Perspektive bei der Rentenversicherung geht, blockieren Sie kurzfristig und sind langfristig richtig orientierungslos. Aber das kann ja noch werden. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Sie die Entscheidungen, die wir zur Rente treffen und getroffen haben, gar nicht durchgestanden hätten. Sie trauen sich gar nicht so viel zu. ({15}) - Nein, Herr Kauder, das ist ein Irrtum. Sie glauben heute noch, Sie würden mit dem demographischen Faktor, den Sie 1998 einführen wollten, unsere Haushaltsprobleme bei den Renten lösen können. ({16}) Da sind bei Ihnen richtiggehend sachliche Irrtümer vorhanden. ({17}) Wenn Sie uns einen Vorschlag zur Rente vorlegen, der eine wirkliche Alternative ist - wir kommen darauf im nächsten Frühjahr zurück -, dann sind wir gerne bereit, argumentativ mit Ihnen zu streiten. Im Moment versagen Sie sich auf der sachlichen Ebene, weil Sie Angst haben. ({18}) Wir sind damit noch nicht am Ende, was Ihre Fantasielosigkeit angeht. Ich will ein Beispiel geben. Es ist gerade wortreich die Kohlefinanzierung angesprochen worden. Jetzt stellen Sie sich hin und prangern an, dass erst ein Tag vor Abschluss der Beratungen das Thema Steinkohle auf den Tisch gekommen ist. Sie haben sich einer detaillierten Auseinandersetzung mit diesem Thema - auch im Haushaltsausschuss - nicht gestellt. ({19}) - Ich weiß jetzt nicht, welche Demo Sie meinen. Sie kümmern sich nicht um die Details, Sie diskutieren auch bei der Kohlefinanzierung die Probleme nicht durch. Deswegen finde ich Ihr Vorgehen höchst fragwürdig. Sie machen es sich wirklich zu einfach. ({20}) Anstatt in einen Wettstreit mit uns darüber einzutreten, in welchem Ausmaß wir die Steinkohlesubventionierung reduzieren können - Sie wissen, dass wir die mit einem Sperrvermerk versehen haben -, sagen Sie einfach: Das ist ein großer Fehler! - Dies ist wirklich zu billig. Wir kommen nicht so schnell aus der Steinkohlesubventionierung heraus, wie wir es uns wünschen, aber wir unternehmen wenigstens Schritte in diese Richtung. Das ist unser Ehrgeiz. Ich leugne nicht, dass SPD und Grüne darüber harte Auseinandersetzungen führen. Sie dagegen stellen sich dieser Auseinandersetzung erst gar nicht. Ich mache Ihnen zum Vorwurf, dass Sie sich im Haushaltsausschuss einer intensiven Beratung über diesen Punkt verweigert haben. Dafür ist dieses Thema viel zu schwierig und wird uns noch viel zu lang beschäftigen. ({21}) - Wir haben in dieser halben Stunde das Geld noch nicht ausgegeben. ({22}) Die Mittel sind von 2006 bis 2008 mit einem Sperrvermerk eingestellt. Sie haben doch kaum mitbekommen, was wir gemacht haben, weil Sie nämlich nicht mitberaten haben. Das ist Ihr Problem. ({23}) Ich möchte noch ein bisschen näher darauf eingehen, was wir brauchen. Wir brauchen ({24}) einen Ideenwettbewerb, was die Einsparmöglichkeiten bei den Ausgaben angeht, und Mut beim Subventionsabbau. ({25}) Ich komme noch einmal auf die Union zu sprechen; das kann ich Ihnen nicht ersparen. Sie machen es sich wieder zu einfach, wenn Sie sich jetzt konsequent hinter Herrn Koch und Herrn Steinbrück verstecken. ({26}) - Damit hat das ganz viel zu tun. Über einen entschiedenen Subventionsabbau lassen sich Perspektiven für die Konsolidierung des Haushalts eröffnen. Ich weiß, Herr Rexrodt, dass Sie viel stärker als die Union bereit sind, daran mitzuwirken. Deshalb wende ich mich jetzt wieder an die Union. ({27}) Sie können sich nicht allen Ernstes hinter Koch/ Steinbrück verstecken. Wenn wir auf Dauer nur in 4-Prozent-Schritten vorgehen, werden wir - denken Sie nur wieder an die Steinkohlesubventionen - nicht in der Weise innovationsfähig, wie es meiner Meinung nach auf lange Sicht erforderlich ist. Auch bei Entfernungspauschale und Eigenheimzulage ist es nicht damit getan, in 4-Prozent-Schritten kürzen. ({28}) Die Unionsfraktion im Bundestag sagt, dass Subventionsabbau an bestimmten Stellen mit ihr nicht zu machen sei; die Ländervertreter von der Union haben eine andere Linie. Selbst im Vermittlungsausschuss - am liebsten würden Sie den Haushalt ja ausschließlich dort beraten - haben Sie keine einheitliche Linie. Sie haben keine einheitliche Linie und keine Strategie, den Haushalt zu konsolidieren. Ich finde es allerhand, dass Sie weiterhin Gegenfinanzierungen für diesen schwierigen Haushalt 2004 ablehnen, aber auf der anderen Seite von der Problematik der Verschuldung reden. ({29}) Wenn Sie sich tatsächlich entschließen werden, das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform mitzutragen, dann werden Sie diesen Widerspruch zu lösen haben und Ihr Vorgehen erklären müssen. Ich hoffe, dass Sie einen Beitrag dazu leisten, die weitere Verschuldung dieses Landes zu begrenzen. Denn eine Neuverschuldung in einem hohen Maße wird leider notwendig sein. Es reicht nicht, meine Damen und Herren von der Union, wenn Sie sich in Sonntagsreden für Veränderungen stark machen und radikale Schnitte in diesem Land einfordern. Wir haben in Sachen Subventionsabbau wirklich etwas auf den Tisch gelegt. ({30}) - Hinsichtlich dieser Vorschläge bin ich mit den Kollegen auf der Regierungsseite einig. ({31}) - Mit Ausnahme der Kohle; das habe ich auch zugegeben. Das macht doch nichts. ({32}) Sie sind aufgefordert, diese Chance zu ergreifen und unseren Weg mitzugehen. Denn wenn Sie eine zusätzliche Neuverschuldung im nächsten Jahr verantworten müssen, werden wir darüber zu reden haben. Das würden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Dessen können Sie sicher sein. Ich möchte nun noch auf die Perspektiven zu sprechen kommen, die wir zu meistern haben. Dieser Haushalt ist - das gebe ich zu - mit größeren Risiken behaftet, als es wünschenswert wäre; die globale Minderausgabe ist viel zu groß. ({33}) Das liegt aber auch an den Vorschlägen, über die sich die Herren Koch und Steinbrück geeinigt haben; diese müssen noch in den Haushalt eingearbeitet werden. Ich gebe zu, dass damit noch eine schwere Arbeit vor uns liegt. Deswegen wird der Haushalt 2004 nach der abschließenden Beratung im Parlament in dieser Woche nicht achtlos beiseite gelegt werden. Vielmehr werden wir schon im Januar über die mindestens 600 Millionen Euro zu reden haben, die nach Koch/Steinbrück noch auf der Aufgabenseite zu erbringen sein werden. ({34}) - Nein, wir dürfen uns dem nicht entziehen, nur weil alles so schwierig ist, ({35}) sondern müssen mit den Strukturreformen fortfahren. Das ist notwendig, weil die bisher vorgenommenen Strukturreformen im Rentensystem und auf dem Arbeitsmarkt noch nicht ausreichen. Ich bin davon überzeugt - darin schließe ich mich den Ausführungen von Herrn Rexrodt an -, dass wir immer noch zu sehr im Status quo verharren. Wir brauchen mehr Freiraum für Investitionen und Bildung. ({36}) - Auch in diesem Haushalt! Aber die früheren Haushalte unter Ihnen waren noch schrecklicher. Ich möchte abschließend noch auf die Frage eingehen, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen Schritt weiterzukommen. Ich will in diesem Zusammenhang auf ein großes Thema eingehen, das gegenwärtig von allgemeinem Interesse ist, nämlich die Steuerpolitik. Zurzeit besteht eine große Chance, in der Steuerpolitik einen Schritt voranzukommen, und zwar wahrscheinlich über das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform 2005 hinaus. Die große Chance liegt meiner Ansicht nach nicht in dem Wettbewerb um den niedrigsten Spitzensteuersatz - darüber kann man reden -, sondern darin, dass es möglich ist, einen großen Schritt zu tun in Richtung eines einfacheren, transparenteren und gerechteren Steuersystems. Ich betone ausdrücklich - auch mit Blick auf Diskussionen in meiner Partei -: Ich halte nichts davon, in Steuerfragen eine Symbolpolitik in den Vordergrund zu stellen, mit der - zum Beispiel in der Diskussion um eine Vermögensteuer - möglicherweise wieder sehr komplizierte Verfahren eingeführt werden. Wir sollten vielmehr im nächsten Jahr mit einer Steuerreform einen weiteren Schritt hin zur Vereinfachung und Transparenz tun, aber auch zu einer gerechten Besteuerung von Kapitalerträgen. ({37}) Ich weiß, dass Sie sich dazu durchringen wollen. Der Vorschlag von Herrn Merz geht in Teilen weiter, als es gegenwärtig der Fall ist. Das werden wir von Rot-Grün aufgreifen. Wir wollen in der Steuerfrage keinen Wettbewerb nach unten und werden keinen Wettlauf um die Nettoentlastung zulassen; dafür stellen die Sozialreformen an uns viel zu wichtige Aufgaben. Aber ein gerechteres und transparenteres System halte ich für wünschenswert.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hajduk, Sie müssen bitte zum Ende kommen. ({0})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Ich bin sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger von uns nicht nur erwarten, mehr Gerechtigkeit zu schaffen, sondern auch, mehr Perspektiven zu eröffnen. Insofern sind weniger Investitionen in den Status quo notwendig als vielmehr in Chancen, vor allem in Bildungschancen. Dann gewinnen wir das nötige Vertrauen. Wir werden in einigen Punkten Ihre Mitarbeit brauchen. Deshalb rufe ich Ihnen noch einmal zu: Blockierer bekommen kein Vertrauen! Lassen Sie uns gemeinsam - von mir aus auch im Wettbewerb - an einer besseren Grundlage für die Zukunft arbeiten! ({0}) Ich bleibe dabei: Vertrauen gewinnt man, indem man durch gute Alternativen Chancen bietet. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In gewisser Weise kann sich Deutschland nicht darüber beschweren, dass Herr Eichel keine verlässliche Politik vertrete. Verlässlichkeit ist gegeben: stets ein Höchstmaß an Staatsverschuldung, an Steuererhöhungen und an Wachstumsvernichtung. Das wird kontinuierlich eingehalten; darauf ist seit vielen Jahren wirklich Verlass. ({0}) Selbst Frau Hajduk hat in ihrer Rede Herrn Eichel deutlich kritisiert. Frau Hajduk, dies kam allerdings sehr spät, nämlich erst, als Sie alles abgenickt hatten, was hier an Falschem eingebracht worden war. ({1}) Systematisch haben Sie, Herr Eichel, die finanzpolitischen Grundlagen von Bund, Ländern und Kommunen zerstört. Heute steckt Deutschland in einer Wachstums-, Beschäftigungs- und Haushaltsfalle. Sie haben die Bürger, die Wirtschaft, die deutsche Öffentlichkeit und jetzt leider auch noch die EU-Kommission mit Ihren unsäglichen Durchhalteparolen geradezu vorgeführt. Immer wieder formulieren Sie vollmundig große Ziele, die aber von Ihnen nie eingehalten werden. Ich bin sicher, dass Sie sich auch heute wieder treu bleiben und uns erneut viele Zielmarken vorstellen werden, die dann aber wiederum nur Schall und Rauch sein werden. Meine Damen und Herren, das nennt man Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust auf allen Ebenen. Dieser Vertrauensverlust ist die Ursache unserer wirtschaftlich schlechten Entwicklung und unserer Konjunkturprobleme: Niemand investiert in Deutschland, weil die Menschen zu dieser Bundesregierung kein Vertrauen haben können. ({2}) Sehen wir uns die Entwicklung der Finanzpolitik einmal an: Die Grundsätze einer soliden, generationengerechten und nachhaltigen Finanzpolitik werden völlig außer Kraft gesetzt. Der Haushalt ist verfassungswidrig, die Neuverschuldung übersteigt die Investitionsausgaben, der Haushalt ist europarechtswidrig und verstößt vorsätzlich gegen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Der Haushalt gibt keine genügenden Wachstumsimpulse und weist zugleich Risiken von über 20 Milliarden Euro auf. Er sieht mit dem Haushaltsbegleitgesetz neue Steuerbelastungen und gleichzeitig einen Rückgang der Investitionen der öffentlichen Hand vor. Woher sollen dann in unserem Land Impulse für ein wirtschaftliches Wachstum kommen? ({3}) Dieser Haushalt ist ohne jegliche Zukunftsperspektive, meine Damen und Herren. ({4}) Was sagt der Bundesfinanzminister zu diesem Desaster? Herr Eichel, Sie haben in dieser Woche in der Ausschusssitzung, von der Sie die Öffentlichkeit ausgeschlossen haben, erklärt, die böse Opposition sei schuld, weil sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht akzeptiert habe. Das ist der blanke ökonomische Wahnsinn: Bei diesem Steuervergünstigungsabbaugesetz handelt es sich doch um nichts anderes als um weitere Steuererhöhungen, die uns noch mehr in die Wachstumsund Haushaltsfalle führen. ({5}) Zu Recht haben wir, meine Damen und Herren, gesagt, dies sei keine Wachstumspolitik und insofern nicht zielführend, dabei könnten wir nicht mitmachen. Aber ökonomische Vernunft ist bei Ihnen scheinbar ein Fremdwort. Jahr für Jahr hat es bei Ihnen Steuermehrbelastungen gegeben, die sich auf 40 Milliarden Euro summiert haben. Damit wurden Wachstum und Beschäftigung geradezu systematisch vernichtet. Man muss sich also nicht wundern, dass die Konjunktur so schlecht ist. Nun sollen in Verbindung mit dem Haushalt 2004 neue Steuererhöhungen vorgenommen werden. Darüber müssen wir reden. Die Frage, die unsere Bürger und Betriebe interessiert, lautet nämlich: Wie sieht es aus mit der Mindestbesteuerung, mit der Substanzbesteuerung im Rahmen der Gewerbesteuer, mit der Tabaksteuererhöhung, mit der Abschaffung der Eigenheimzulage, mit der Einschränkung der Entfernungspauschale, mit der Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen und mit der Erhöhung des Steuersatzes auf Agrardiesel? Das alles ist nichts anderes als ein neues Steuererhöhungspaket. Das ist für die Bürger und die Betriebe, insbesondere für die landwirtschaftlichen, ein neues Belastungs- und Wachstumsvernichtungsprogramm in einer Größenordnung von 12 Milliarden bis 15 Milliarden Euro pro Jahr und wird Wachstum und Beschäftigung in Deutschland vernichten. Dem steht nur eine Einmalentlastung durch das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform auf 2004 gegenüber. Das wäre nur ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, erzielte aber keine dauerhafte Wachstumsstärkung. Gleichzeitig kündigt die SPD mit einer unsäglichen Ausbildungsplatzabgabe und einer Erhöhung der Erbschaftsteuer neue Steuererhöhungen an. Können Sie denn überhaupt keine Vernunft annehmen? Dass Sie immer nur eines kennen: Steuermehrbelastungen! ({6}) Auch bei den notwendigen Strukturreformen der Agenda 2010 bleibt man halbherzig und widersprüchlich. Wer die Lage in Deutschland zum Besseren lenken will, der muss die Wahrheit über den Zustand Deutschlands zum Ausgangspunkt aller politischen Anstrengungen machen. Die Wahrheit ist - das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen -, dass wir beim Wachstum Schlusslicht in Europa sind und dass wir 600 000 Erwerbstätige als Steuer- und Abgabenzahler in nur einem Jahr verloren haben. Die Wahrheit ist, dass die Zahl der Unternehmensinsolvenzen alle Rekorde sprengt. Die Wahrheit ist, dass die Zinsbelastungsquote bei 19,1 Prozent liegt, dass also fast 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen von vornherein für Zinszahlungen verplant sind - 37,7 Milliarden Euro pro Jahr! 100 Millionen Euro pro Tag muss der Bund für Zinsen zahlen. In diese Haushalts- und Steuerfalle haben Sie uns geführt. Die Reihe der Indikatoren, die den Wachstumseinbruch, den wirtschaftlichen Niedergang und die Ursachen für das Haushaltsdesaster anzeigen, ließe sich - leider - beliebig fortsetzen. Ein schlüssiges Reform-, Wachstums- und Konsolidierungsprogramm fehlt der Bundesregierung. Von dem Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, haben Sie sich leider verabschiedet. Herr Eichel, Sie unternehmen anscheinend nur noch untaugliche Anstrengungen. Sie packen alles in Watte und reden es schön, bekämpfen die Einsparauflagen der EU-Kommission und ignorieren bzw. boykottieren den Geist des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Der Höhepunkt der deutschen Haushaltsmisere ist der jetzige Verstoß gegen den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt und vor allem der eingeschlagene Konfliktkurs gegenüber der EU-Kommission. Diesen Kurs werden Sie noch bitter bereuen. Dafür wird Deutschland noch zahlen müssen. Das ist ein wesentlicher Fehler und ein Anschlag auf die Interessen unseres Landes; darin bin ich mir ganz sicher. Deutschland trägt den Geist des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu Grabe und blamiert gleichzeitig die EU-Kommission als Hüterin der Verträge. Herr Eichel, wie können Sie nur ohne Einvernehmen im Ecofin-Rat diesen völkerrechtlichen Vertrag vernichten? Das, was Sie gemacht haben, ist für mich eine Beerdigung erster Klasse. Die Traueranzeige könnte lauten: Die Bundesrepublik trauert um den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, der auf der Sitzung des Ecofin-Rates am 25. November 2003 durch den Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, aus dem Leben schied. - Geist und Inhalt des Stabilitätsund Wachstumspaktes werden uns in Zukunft noch sehr fehlen, Herr Eichel. Herr Eichel, ich kann Ihnen dazu nur sagen: Dies wird letzten Endes weiter gehende Folgen für uns alle haben. Diese Traueranzeige ist berechtigt. Sie müssen sie sich hinter den Spiegel stecken; denn letzten Endes tragen Sie und niemand anders in Deutschland dafür die Verantwortung. ({7}) Diese Entwicklung ist wirklich ein Debakel für Europa und den Euro; es handelt sich um eine Verständigung gegen das Erbe der Deutschen Mark. Durch das Zurechtbiegen des Paktes tut sich, was die Höchstverschuldung in Europa angeht, für die Zukunft ein offenes Scheunentor auf. Die Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten werden immer weiter auseinander driften. Die höheren Defizite werden zum allerersten Wachstumsvernichter in Europa werden, und zwar mit allen Folgen für den Binnenmarkt. ({8}) Die Verschuldungspolitik wird langfristig erhebliche Auswirkungen auf das Zinsniveau und die Währungsstabilität haben. All diese Folgen haben Sie zu verantworten. ({9}) So etwas gegen den einstimmigen Willen der EUKommission durchzudrücken kann nur ein Pyrrhussieg sein. Herr Eichel, Ihnen fällt nicht einmal die Widersprüchlichkeit Ihrer Argumentation auf: In Deutschland sagen Sie, die Sparvorgaben der EU würden den beginnenden Aufschwung abbremsen; in Brüssel sagen Sie, die Sparvorgaben müssten zurückgewiesen werden, weil es in Deutschland Stagnation gebe. Was denn nun, Herr Eichel: Aufschwung oder Stagnation? Wahrscheinlich wissen Sie selbst nicht, was Sache ist. Sie reden in Brüssel und in Berlin unterschiedlich. Man kann zwischen Brüssel und Berlin schnell sein Hemd wechseln, aber nicht seine Meinung ändern. Ihre Haltung ist widersprüchlich und sie wird zu einem weiteren Vertrauensverlust führen. Notwendig wäre, die EU-Einsparvorschläge in Demut anzunehmen und wirklich zu sparen. Es ist doch eine Tatsache, dass Sie im Jahre 2003 4 Milliarden Euro mehr für Subventionen als 2002 ausgeben. Wo bleibt der konkrete Subventionsabbau - Wo bleibt die Kürzung der Verwaltungsausgaben des Bundes? Sie sehen zu, wenn der Kanzler eine neue Steinkohlenförderung von 16 Milliarden Euro verspricht. ({10}) Sie sehen zu, wie Herr Gerster für kommunikative Schönheitspflege 1,3 Millionen Euro verschleudert usw. usf. Wir brauchen einen Neuanfang und Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik. Es braucht eine klare Ordnungspolitik mit einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, also angebotsorientierte Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft in Deutschland. Wir brauchen keine neokeynesianischen Strohfeuermaßnahmen. Für mich ist Herr Lafontaine als Vertreter der neokeynesianischen Finanzpolitik ins Finanzministerium zurückgekehrt - in der Person von Hans Eichel. Diese Finanzpolitik hat schon einmal ins Abseits geführt. Diese Politik kann nicht der Weg in die Zukunft sein. Wir müssen deutlich machen, dass letzten Endes nur eine Steuerentlastungspolitik als Gesamtsteuerreform, wie sie Friedrich Merz vorgeschlagen hat, das Wachstum in diesem Land voranbringt. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel. ({0})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst über den Ausgang und über sämtliche Ergebnisse des Defizitverfahrens im Ecofin berichten. Auf die Diskussion in der Eurogroup will ich im Einzelnen nicht eingehen, weil dort Vertraulichkeit vereinbart ist. ({0}) Daran halte ich mich selbstverständlich. Ich sage ausdrücklich: Gestern und heute haben wir im Ecofin im Hinblick auf ein Defizitverfahren gegen Frankreich und Deutschland eine vernünftige Lösung gefunden. ({1}) Diese Lösung ist vernünftig, weil wir das Thema Konsolidierung und das Thema Wachstum sehr ausgewogen behandelt haben. Wer sich in der Welt umsieht, der stellt fest: In allen Weltregionen ist das Wachstum höher als in Europa. ({2}) - Als in Europa, aber auch als in Deutschland, Herr Kampeter; das ist völlig richtig. Deswegen ist die Frage zu stellen - sie wird uns bei den Tagungen von G 7 und G 20 sowie des Internationalen Währungsfonds auch gestellt -: Was ist eigentlich euer europäischer Beitrag? - Deswegen gibt es die Lissabon-Strategie. Deswegen müssen wir auch darauf achten, dass wir in einer Phase der Stagnation nicht eine Politik betreiben, die geeignet ist, die Stagnation zu verlängern, etwa eine kontraktive Finanzpolitik. ({3}) Das heißt im Umkehrschluss, dass in Zeiten, in denen es Wachstum gibt, in denen es einen Aufschwung gibt, umso härter konsolidiert werden muss, was Sie gerade nicht gemacht haben. Das sind nämlich die richtigen Zeiten für ein intensives Zurückführen von Neuverschuldung. ({4}) Ich sage also ausdrücklich: Wir haben ein ausgewogenes Verhältnis von Konsolidierung und Wachstum erreicht. ({5}) Das heißt, der Stabilitätspakt funktioniert in seinem Inhalt. Er funktioniert auch in den Gremien. Das zuständige Gremium ist der Ecofin. Der Ecofin hat eine Entscheidung getroffen, und zwar mit großer Mehrheit, mit Zweidrittelmehrheit. In diesem Zusammenhang will ich gleich eine Bemerkung zur Kommission machen. Die Kommission hat das getan, was sie für richtig hielt - das will ich auch überhaupt nicht kritisieren, obwohl ich eine andere Meinung zu dem Inhalt habe -; ({6}) die Kommission hat Empfehlungen beschlossen, die in ihrer Wirkung eher kontraktiv wären und im Übrigen von Deutschland hinsichtlich des Defizitverfahrens nicht akzeptiert werden könnten, weil sie juristisch fragwürdig sind. ({7}) Die Kommission hatte nun so entschieden. Ich sage ausdrücklich: Nachdem sie wusste, dass sie mit ihren Empfehlungen keine zureichende Mehrheit im Rat finden würde, ({8}) hätte sie während der letzten vier Wochen eigentlich eine neue Empfehlung vorlegen müssen, mit der sie eine Chance haben würde - das war ja auch die Bitte des Ecofin an die Kommission -, im Rat eine Mehrheit, und zwar möglichst eine große Mehrheit, zu finden. Ich habe gestern im Ausschuss gesagt: Meine Zielsetzung ist, zu einer gemeinsamen Lösung von Ecofin und Kommission zu kommen. Das setzt aber voraus, dass die Kommission, wenn sie weiß, dass sie für ihren Vorschlag nicht die notwendige Mehrheit hat - sie wusste es -, das zur Kenntnis nimmt und dann bereit ist, einen neuen Vorschlag vorzulegen, mit dem sie eine Mehrheit im Ecofin finden kann. Das war nicht so. Das bedauere ich ausdrücklich; ({9}) denn hier mangelt es an der notwendigen Führungskraft und an der notwendigen Kompromissbereitschaft. Der Ecofin dagegen war sehr wohl bereit und in der Lage, diese zu zeigen. ({10}) Wir wollen Folgendes festhalten: Die Wirtschaftsund Finanzpolitik liegt nach der Verfassung, wie sie in der Europäischen Union heute gilt, in der Zuständigkeit der Nationalstaaten. Das heißt, in diesem Haus hier und im Parlament eines jeden Mitgliedstaates fallen die Entscheidungen, ({11}) Aber sie werden im Ecofin koordiniert; denn der Ecofin als der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten ist das zuständige Gremium. Die Kommission macht dazu Vorschläge. So ist die Rechtslage. ({12}) Um das genau festzuhalten: Die Kommission ist mitnichten gezwungen, einem bestimmten Verfahren zu folgen, das mechanistisch von Stufe zu Stufe läuft, und es ist falsch, dass sie keine Entscheidungsfreiheit hat. Ich kritisiere nicht, dass die Kommission einen solchen Weg - ich halte ihn für falsch - gegangen hat, ({13}) aber ich kritisiere, dass sie behauptet, er sei der einzige Weg. Der juristische Dienst des Rates hat in der Analyse der vorhandenen Verträge etwas ganz anderes dargelegt, ({14}) nämlich dass die Kommission Entscheidungsfreiheit hat. ({15}) Von der Entscheidungsfreiheit hätte sie auch Gebrauch machen sollen. Das jedenfalls war die Bitte der großen Mehrheit des Ecofin. ({16}) So ist es dann passiert, dass die Kommission mit ihrem Vorschlag, auf den ich gleich im Einzelnen zu sprechen komme - wir müssen wissen, was er für Deutschland bedeutet, und Sie müssen sich entscheiden, wie Sie mit den Interessen unseres Landes umgehen -, ({17}) bei einer weitaus größeren Gruppe von Ländern als ursprünglich erwartet auf Ablehnung gestoßen ist. Da kann ich Ihnen nur sagen: Seien Sie ganz vorsichtig, wenn Sie den deutschen Finanzminister angreifen. Das können Sie zwar machen, aber Sie müssen dann auch wissen, wen Sie noch alles treffen. ({18}) Das sind fast ausschließlich Finanzminister Ihrer Couleur. ({19}) Nehmen Sie die Finanzminister aus Frankreich, Italien ({20}) oder Luxemburg. ({21}) - Stellen Sie heute Abend einmal das Fernsehen an, statt den Mund aufzureißen, verehrter Herr Kampeter, und schauen Sie sich bitte einmal an, was der Kollege Juncker zu diesem Thema sagt. ({22}) Er sagt exakt das Gleiche, was auch ich dazu sage. Sie können ihn ja zu Ihrem Parteitag einladen. Als Gewährsleute können Sie auch die Finanzministerin von Portugal oder den Finanzminister von Irland nehmen. Sie gehören alle zum liberal-konservativen Spektrum und vertreten doch dieselbe Position wie der deutsche Finanzminister. Sie müssen sich also schon überlegen, mit wem Sie sich anlegen. Es stimmt nämlich nicht, dass Sie mit Ihren Angriffen nur den deutschen Finanzminister treffen. ({23}) Ich bedauere, dass die Kommission, nachdem sie zur Kenntnis nehmen musste, dass es keine Mehrheit für ihre Empfehlung gibt - das wusste sie auch schon lange vorher -, keine andere vorgelegt hat. ({24}) Weil sie es nicht getan hat, blieb dem Ecofin nichts anderes übrig, als selber zu handeln. Es kann doch nicht sein, dass die europäischen Gremien, nachdem ein Kommissionsvorschlag abgelehnt wird, handlungsunfähig werden. Der Ecofin hat dann eine Empfehlung erarbeitet, ({25}) die mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde und außerordentlich vernünftig ist. ({26}) - Darauf komme ich gleich. - Ich kann der Kommission nur raten, so schnell wie möglich aus der Schmollecke, in die sie sich zurückgezogen hat, wohin sie aber nicht hätte gehen müssen, wieder herauszukommen, weil wir ein funktionierendes Zusammenwirken von Kommission und Rat brauchen ({27}) und auch die Übereinstimmung mit der Kommission suchen. Das sage ich ganz ausdrücklich. ({28}) Deswegen, meine Damen und Herren, halte ich fest: Der Pakt hat in einer vernünftigen Weise in dieser Phase funktioniert. Er ist ({29}) den Notwendigkeiten gerecht geworden, die Europa in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation braucht. Lassen Sie mich einmal jemanden zitieren - ich sage Ihnen noch nicht, wen, aber das werden Sie schon noch merken -: Die Substanz des Pakts ist und muss bleiben, dass der einheitlichen Geldpolitik in Europa ein Koordinierungs- und Disziplinierungsrahmen für die dezentralen Finanzpolitiken ({30}) - ich merke, das beunruhigt Sie gegenübersteht. … Andererseits will ich auch gern mitteilen, dass ich mir als Unterhändler zum Maastrichter Vertrag 1991 keine konkrete Vorstellung über die wirtschaftspolitische Problemkonstellation von heute gemacht habe: nämlich Stagnation über drei Jahre bei gleichzeitig massiven Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft. Als Geschäftsführender - nun können Sie ihn identifizieren Direktor des IWF ({31}) rate ich deshalb dazu, die Drei-Prozent-Grenze in der jetzigen Situation nicht zu verabsolutieren und die Substanz des Pakts vor allem durch kraftvolle, mittelfristig angelegte Strukturreformen ({32}) unter Beweis zu stellen. So Horst Köhler, ({33}) der Geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds, einer der Väter des Maastrichter Vertrages und einer derjenigen, die Sie gelegentlich einmal zu Rate ziehen sollten, meine sehr verehrten Damen und Herren. Recht hat er. ({34}) Genau die von ihm eingeforderten Strukturreformen liegen nämlich hier auf dem Tisch. Genau diese bezeichnet Horst Köhler als eine außerordentlich mutige Tat. Dem könnten Sie doch wenigstens folgen. Wenn Sie uns nicht folgen, folgen Sie doch Horst Köhler. ({35}) Da Sie sich nun zu Wächtern des Stabilitäts- und Wachstumspaktes aufspielen, möchte ich Sie zuerst einmal fragen, ob denn Ihre Versprechungen vor der letzten Bundestagswahl damit vereinbar gewesen wären. Nichts dergleichen hat es von unserer Seite gegeben. ({36}) Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie heute behaupten, ich oder die Regierung oder wer auch immer seien die Totengräber des Stabilitätspaktes, ({37}) halte ich etwas anderes vor. In einer heutigen Nachricht heißt es: ({38}) - Sie sind aber sehr beunruhigt. ({39}) Nach Ansicht von Ex-Bundesfinanzminister Theo Waigel ({40}) behält der EU-Stabilitätspakt weiterhin seine Geltung. „Der Pakt ist natürlich nicht tot“, ({41}) sagte Waigel der Münchner Zeitung „tz“ … Es bleibe der Druck, Stabilität herbeizuführen. Waigel warnte aber vor einer unguten Stimmung in Europa, wenn die großen EU-Länder sich in einer unheiligen Allianz zusammenschlössen ({42}) und die kleinen Länder sich um die Früchte ihrer Konsolidierung geprellt fühlten. ({43}) Meine Damen und Herren, Recht hat er! Das trifft allerdings nicht auf den letzten Teil seiner Äußerung zu: Die Mehrheit der kleinen Länder - angeführt vom luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker -, sehr verehrter Herr Austermann, war heute bei der Entscheidung im Ecofin auf der Seite der Großen. Also: keine Konfrontation zwischen Groß und Klein. ({44}) Eine solche wollen auch wir ausdrücklich nicht. Der Hinweis von Theo Waigel ist völlig richtig: Man muss immer darauf achten, dass die Regeln für alle gelten; das kann überhaupt nicht streitig sein. Genau das haben wir sehr sorgfältig beachtet. Die nächste Mär: Das, was wir entschieden haben, gefährde die Stabilität des Euro. Wie war es denn, als die Defizite in Europa 2000 und 2001 niedrig waren, als wir in Deutschland - darauf komme ich gleich noch zu sprechen - das niedrigste Defizit seit der Wiedervereinigung hatten? - Das war im Übrigen nicht in Ihrer Amtszeit. Wenn ich mich richtig erinnere, war zu dieser Zeit der Außenwert des Euro am niedrigsten. Was haben Sie damals gezetert! Im Moment haben wir in Europa, und zwar überall, hohe, viel zu hohe Staatsdefizite - einverstanden -, aber der Außenwert des Euro ist so hoch, wie er noch nie war. ({45}) - Richtig, Herr Rexrodt. Jawohl: Der Euro hat im Verhältnis zum Dollar gewaltig gewonnen, weil der Dollar nicht mehr so ernst genommen wird. ({46}) Ich will das gar nicht weiter ausführen, weil ich weitere Verunsicherung an dieser Stelle überhaupt nicht will. Also dazu kein Wort mehr; das betrifft den Außenwert des Euro. Aber der ist ja gar nicht gemeint, wenn wir von der Stabilität unserer Währung reden, ({47}) sondern gemeint ist die Kaufkraft unserer Währung, gemeint ist die Preisstabilität. Da ist Deutschland der Stabilitätsanker in der Europäischen Union, ({48}) bei den Preisen genauso wie bei der Lohnentwicklung. Das ist die schlichte Wahrheit. ({49}) Bei den Staatsschulden haben wir große Probleme. Das bestreite ich gar nicht. ({50}) - Sind Sie vielleicht unruhig! Das passt Ihnen nicht, das kann ich ja verstehen. ({51}) - Ganz vorsichtig, Herr Austermann! Erstens gibt es da keinen Verfassungsbruch, ({52}) zweitens will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Wer hier darüber redet - das ist hier ungefähr der Sachverhalt -, dass wir in den Jahren 1999 bis 2003 rund 140 Milliarden Euro Schulden gemacht haben - das ist zu viel; ich habe dabei die UMTS-Milliarden außen vor gelassen -, der sollte eher darüber nachdenken, dass von den 800 Milliarden Euro Schulden, die wir bei unserer Regierungsübernahme vorgefunden haben, alleine 650 Milliarden Euro aus Ihrer Regierungszeit stammten. ({53}) Die müssen wir noch lange abzahlen, noch sehr lange. Deswegen sage ich Ihnen nur: So vergesslich sind die Menschen in diesem Lande nicht, dass Sie glauben könnten, Sie könnten über dieses Thema so reden, wie Sie das gegenwärtig tun. Aus diesem Grunde wollen wir mit aller Klarheit sagen: Die Grundposition - raus aus der Schuldenfalle bleibt und ist auch völlig richtig. ({54}) - Wissen Sie was? Es ist ein provinzielles Theater, das Sie hier veranstalten! ({55}) Das Einzige, was vielleicht tröstet, ist, dass jeder Finanzminister sagt - ich sage das ohne Anspielung auf die parteipolitische Couleur -: Bei mir zu Hause ist die Opposition genauso. ({56}) Wir haben seit drei Jahren Stagnation. Schauen Sie auch nicht ausschließlich die europäischen Haushalte an! Schauen Sie ein bisschen weiter, dann werden Sie feststellen: Es ist auch eine Wirkung des Stabilitätspaktes, dass die Schulden in Europa nicht so explodiert sind ({57}) wie in anderen Weltregionen, vor allem bei einer großen Macht, bei der wir die Wechselkursrelationen mit Sorge betrachten. Deswegen ist klar: Wir müssen aus der Schuldenfalle raus. Deswegen gibt es auch überhaupt keinen Streit - da kann ich Frau Hajduk beruhigen -: ({58}) Der Stabilitäts- und Wachstumspakt muss so bleiben, wie er ist. Das ist überhaupt keine Frage. Aber die entscheidende Frage ist - damit komme ich zu den Empfehlungen der Kommission an uns -, wie wir denn genau in welcher Situation mit dem Stabilitätspakt umgehen und welche Wirkung wir damit erreichen. ({59}) Deswegen sage ich Ihnen - ich habe das schon gestern vorgetragen -: Die Vorschläge, die die Kommission zu diesem Punkt gemacht hat, waren inhaltlich und prozedural so nicht akzeptabel. Da darf man übrigens, denke ich, auf der gemeinsamen Basis des Stabilitätsund Wachstumspaktes auch zu einer unterschiedlichen Auffassung darüber kommen, was die gegenwärtig angemessene Politik und die gegenwärtig angemessenen Prozeduren sind. Deswegen sage ich mit Nachdruck: Eines ist nicht okay, ich nehme das nicht hin und ich rate auch niemandem, das zu tun. Der gesamte Ecofin, alle Finanzminister Europas, stehen gemeinsam auf der Basis des Stabilitätsund Wachstumspaktes und haben auch ein Rieseninteresse daran. ({60}) Aber es gibt unterschiedliche Meinungen zu der Frage, ob ich in einer Schwächephase ersatzlos Geld aus dem Kreislauf herausnehme sollte oder ob es nicht richtiger ist, das in einer Wachstumsphase zu tun. ({61}) In der Schwächephase mache ich keine kontraktive Finanzpolitik. - Da gibt es Unterschiede. ({62}) Das sind exakt die Unterschiede, meine Damen und Herren, die sich zum Beispiel auch in dem widerspiegeln, was der Internationale Währungsfonds in seiner Verantwortung für die Weltwirtschaft sagt und was er dazu sagt, wie sich Europa in die Weltwirtschaft einpasst. ({63}) Deswegen sage ich zuallererst: Diese Regierung - darüber gibt es übrigens in Europa überhaupt keinen Streit - mit ihrer sehr ambitionierten Strukturreform - ({64}) Wer war es denn - ich glaube, es war der Kollege Michelbach -, der eben gesagt hat, bei den Reformen seien wir auf halber Strecke stehen geblieben? Reden wir doch einmal über die Gesundheitsreform. Warum sind denn auf der Anbieterseite so wenig Maßnahmen getroffen worden, Herr Michelbach? ({65}) Weil Sie auf der rechten Seite des Hauses sich schützend vor Ihre Klientel gestellt und die notwendigen Strukturreformen nicht gemacht haben. Das ist doch die Wahrheit. Das ist auch bemerkt worden. ({66}) Wie Sie es fertig bringen, sich als Marktwirtschaftler zu gerieren, selber aber im Gesundheitswesen über Jahrzehnte ein System staatlicher Planwirtschaft zu verantworten, das müssen Sie schon selber erklären. ({67}) - Ja, das ist unglaublich. Da haben Sie Recht. Wir wollten weiter; das ist der Unterschied zu Ihnen. ({68}) Meine Damen und Herren, das Erste sind ambitionierte Strukturreformen, das Zweite ist Haushaltskonsolidierung, und zwar eingeleitet 1999, als mir Herr Rexrodt - ich erinnere das wie heute - erzählt hat: Die 30 Milliarden DM kriegen Sie doch nie; da sind doch höchstens 15 Milliarden zu holen. - Es waren dann - sehr verehrter Herr Rexrodt, es mag sein, dass Sie das jetzt nicht gerne hören 27 Milliarden DM. Das schreibt sich fort und erhöht sich und wir hätten allein in diesem Jahr 20 Milliarden Euro höhere Schulden, wenn wir damals den Konsolidierungskurs nicht eingeleitet hätten. ({69}) Wir toppen das im nächsten Jahr mit zusätzlichen beinharten Haushaltskonsolidierungen. ({70}) Man darf schon fragen, ob man - in der Kombination von Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung - in dieser Phase die ohnehin vorgesehene Steuersenkung von 2005 auf das Jahr 2004 und damit die dritte Stufe der Steuerreformen nicht doch vorziehen sollte, damit wir endlich aus der Wachstumsschwäche herauskommen, ein Jahr, in das wir sehr schwach starten werden und in dem wir nicht noch eine kontraktive Finanzpolitik machen sollten. ({71}) Das ist hochvernünftig und das wird auch von den meisten genauso gesehen. ({72})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Am Schluss gern. Ich will erst einmal diesen Gedankengang zu Ende bringen. ({0}) Meine Damen und Herren, in dieser Situation ist die Frage: Sind die Auflagen der Kommission berechtigt, wenn wir hier solche Anstrengungen bis an die Grenze ({1}) der Belastungsfähigkeit unserer Menschen und bis an den Punkt unternehmen, an dem ein Regierungschef sein Amt damit verbindet, dass er diese Reformen durchsetzt? ({2}) Ist es dann noch hilfreich, wenn eine Kommission meint, an dieser Stelle müsse sie jetzt mit einem zusätzlichen Knüppel kommen? Ich glaube nicht, dass das die richtige Antwort ist. ({3}) Das ist auch ökonomisch nicht richtig. Genau das haben die Finanzminister mit großer Mehrheit heute so entschieden. Ich denke, das ist richtig. Sie können sich ja alle selber überlegen, wie Sie das halten. ({4}) Hinzu kommt eine weitere Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren: Ist Deutschland in ein Sanktionierungsverfahren, ein Verfahren nahe an die Sanktionen heran, einzubeziehen, ja oder nein? Die Antwort ist aus meiner Sicht klar und jeder muss die Interessen seines Landes auf der Basis geltenden europäischen Rechts wahren. ({5}) Wir haben alle Empfehlungen, die uns die Kommission und die der Ecofin im Januar dieses Jahres gegeben haben, erfüllt. Dies hat die Kommission am 21. Mai aus eigenem Antrieb detailliert begründet festgestellt. ({6}) Das Problem ist - das können Sie sich selbst überlegen -, dass die Ergebnisse am Jahresende und für das nächste Jahr nicht so sind, wie wir - also Kommission, Rat und die Bundesregierung - uns das vorgestellt haben. Warum? Weil das Wirtschaftswachstum nicht so ist, wie es von der Kommission, vom Rat und von uns erwartet wurde. ({7}) - Lieber Herr Rexrodt, dies ist doch nicht nur bei uns der Fall. Sie müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass einige andere Länder in einer schwierigeren Lage sind. ({8}) Schauen Sie einmal ein wenig über den eigenen Gartenzaun! ({9}) Ich sage ausdrücklich: Deutschland hat die Empfehlungen umgesetzt. ({10}) Aber die erwartete Erholung ist nicht eingetreten, weil es das dazu notwendige Wirtschaftswachstum nicht gab. Es besteht daher kein Grund, Deutschland in ein Verfahren, das in Richtung Sanktionen führt, einzubeziehen. Das ist nicht nur die Position der Bundesregierung und unseres juristischen Dienstes, sondern auch die Position des juristischen Dienstes des Rates. Genau so sieht es die Mehrheit der europäischen Finanzminister. ({11}) Ich würde meinen Amtseid verletzen, wenn ich vor dem Hintergrund, dass wir alles getan haben, wozu wir aufgefordert wurden, zulasse, dass Deutschland in ein Verfahren einbezogen wird, das mit Sanktionen enden kann. ({12}) Denn wenn sich die Interpretation der Kommission durchsetzt, dass es nicht darauf ankommt, die Empfehlungen umzusetzen, sondern darauf, am Schluss die angestrebte Zahl zu erreichen, dann sind wir völlig in der Hand der Weltwirtschaft. Dann wäre nämlich die Lage der Weltwirtschaft entscheidend dafür, ob wir mit Sanktionen belegt werden oder nicht. Dies ist nicht die Interpretation der Mehrheit der europäischen Finanzminister in Bezug auf diesen Vertrag. Nach meiner Meinung haben sie Recht, dass dies nicht die geltende Interpretation sein kann. Sie müssen sich überlegen, wie man in einer solchen Situation deutsche Interessen vertritt. Unsere Position bedeutet kein Abweichen. ({13}) Sie bedeutet etwas ganz anderes. Alle fürchten sich davor, auch nur annähernd in die Gefahr zu kommen, mit Sanktionen belegt zu werden. Das mindert doch nicht die Wirkung des Vertrages. ({14}) Ganz im Gegenteil: Die Franzosen tun endlich eine ganze Menge. Auch das ist eine Folge des Vertrages und das Ergebnis unserer Zusammenarbeit. Ich kann das nur begrüßen. ({15}) Im Übrigen ist nicht nur die Haushaltsautonomie des Bundes, sondern auch - das muss man wissen - die der Länder in Gefahr. Die Veranstaltung kann doch nicht so laufen, dass bei einem Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und der sozialen Sicherungssysteme alle immer nur auf den Bundesfinanzminister zeigen. Die Länderfinanzminister und die Länderparlamente sind genauso betroffen. ({16}) Wir nähern uns langsam der Verantwortung des Organs - Sie merken das schon -, in dem Sie die Mehrheit haben. Wenn ich lese, dass Herr Merz uns auffordert, wir sollten die Sparauflage von 5 bis 6 Milliarden Euro akzeptieren, dann muss ich dazu sagen: Wir haben uns verpflichtet, das strukturelle Defizit nächstes Jahr um 0,6 Prozentpunkte und im Jahr darauf um 0,5 Prozentpunkte abzubauen. Im Jahre 2005 wollen wir unter der Grenze von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Das wird uns mit 2,7 Prozent im Jahr 2005 gelingen, wenn die Wachstumsannahmen der Kommission, die niedriger sind als unsere, eintreten. ({17}) Es wäre doch wunderschön, wenn das, was wir in Brüssel verabredet haben und wofür ich gekämpft habe, die gemeinsame Linie wird und die entsprechenden Maßnahmen umgesetzt werden. ({18}) Bevor Sie wieder laut schreien, Herr Austermann, sage ich Ihnen: Sie müssen sehr viel mehr beschließen, damit der Umfang dessen herauskommt, was wir vorgeschlagen haben - plus die Liste von Koch/Steinbrück - und worüber wir in Brüssel gestern verhandelt haben. ({19}) Sie sind nicht in der Lage, auch nur zu einem einzigen wirklichen Sparvorschlag halbwegs verbindlich Ja zu sagen. ({20}) Bei allem, wo es richtig zur Sache geht, höre ich von Ihnen immer: Es geht nicht. ({21}) Bei Herrn Michelbach war das eben wieder die alte Leier. Sehr verehrter Herr Michelbach, diese Rede hätten Sie vor einem Jahr halten können, aber doch nicht angesichts der Vorschläge von Koch/Steinbrück. ({22}) Es gibt im Übrigen einen bemerkenswerten Riss zwischen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und den CDUMinisterpräsidenten, die das auch zugeben. Sie werden mit Ihrer Linie nicht durchkommen, weil auch den Ländern das Wasser bis zum Halse steht. Die Länder und nicht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden sich mit ihren Interessen durchsetzen. ({23}) Ich kann nicht erkennen, dass Sie sich auf unsere Vorschläge halbwegs einlassen - ich hoffe, bei der FDP ist das anders - und dass Sie diesen Subventionsabbau mittragen. Sie können doch nicht einerseits eine Einsparung von 5 bis 6 Milliarden Euro fordern und andererseits Vorschläge schuldig bleiben, die notwendig sind, um einen Beitrag zum Schuldenabbau zu leisten. ({24}) Nun zum Haushalt 2004; damit komme ich zum Punkt. Wir senken die Nettokreditaufnahme, ({25}) und zwar vor Vorziehen der Steuerreform, unter die Höhe der Ausgaben für Investitionen. Hiervor kann sich keiner drücken: ({26}) Nur wenn die Steuerreform vorgezogen wird, wird Art. 115 des Grundgesetzes gezogen. ({27}) Das ist die Maßnahme, mit der wir fiskalisch gegen die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorgehen; andere Maßnahmen sind Strukturreformen und die Haushaltskonsolidierung. ({28}) Dies gilt nur für diesen Fall; das muss jeder wissen. Sich vorbeizudrücken ({29}) nach dem Motto „Der Bund zieht Art. 115“, aber in Bezug auf die Haushaltskonsolidierung nicht die Hausaufgaben zu machen und die Steuerreform nicht vorzuziehen wird im Vermittlungsausschuss nicht gehen. Das muss klar sein. ({30}) Wenn wir aber die Steuerreform vorziehen, ist dies richtig und dann muss man es auch tun. Damit sind wir übrigens wieder beim selben Punkt. Ich habe mich amüsiert: Es gab im Wochenrhythmus Vorschläge zur Gegenfinanzierung. Sie haben gemerkt, dass Sie damit nicht weiterkommen. Ihr letzter Vorschlag war, bei ABM zu kürzen. Da sind Ihnen sofort die Ostministerpräsidenten Ihrer Couleur in den Arm gefallen. Sie haben gemerkt: Es war wieder Essig. Das hätte man zwar in Bayern tun können, aber nicht in Brandenburg, Sachsen oder in Sachsen-Anhalt - das wissen Sie ganz genau -, obwohl wir in diesem Bereich ein ganzes Stück abgebaut haben. ({31}) Sie sind ausgewichen; das halten Sie nicht durch. Sie verbinden das Vorziehen der Steuerreform völlig sachwidrig mit Maßnahmen beim Kündigungsschutz oder im Tarifvertragsrecht. ({32}) Das halten Sie nicht durch; darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel. ({33}) Die Öffentlichkeit bzw. die Bürger dieses Landes und die Wirtschaft dieses Landes nehmen Ihnen das nicht ab. ({34}) Je schneller Sie begreifen, dass es wirtschaftlich geboten ist ({35}) und sogar in Ihrem parteipolitischen Interesse liegt, den Menschen Klarheit darüber zu geben, dass die Steuerreform vorgezogen wird, umso besser nicht nur für dieses Land, sondern auch für Sie! ({36}) Sie sollten an diesem Abend noch einmal ein bisschen darüber nachdenken. ({37}) Nun zur Ausgabenseite. Herr Rexrodt, es ist wunderschön, dass Sie gesagt haben, es sei in den Jahren 1995 bis 1998 - nein, das war nicht Herr Rexrodt ({38}) in Höhe von 20 Milliarden Euro konsolidiert worden. Wissen Sie, was damals passiert ist? Sie haben das Kindergeld nicht auf der Ausgabenseite, sondern auf der Einnahmeseite als Einnahmeausfall gebucht. Das war Ihre Haushaltskonsolidierung. ({39}) Wir haben Folgendes getan - das können Sie nachvollziehen -: Der Haushalt hat heute ein Ausgabevolumen, das, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, um 1 Prozent niedriger liegt, als es zu der Zeit war, als wir die Regierung übernommen haben. Das ist eine ausgabenseitige Konsolidierung, übrigens auch bei den Finanzhilfen. ({40}) Herr Rexrodt, als Sie den Kohlekompromiss unterzeichnet haben - Sie waren ja damals Wirtschaftsminister -, ging es um 5 Milliarden Euro. ({41}) Herr Rexrodt, es amüsiert mich. Das sollte Sie beunruhigen. Eine Förderung von 5 Milliarden Euro haben Sie unterschrieben. Wissen Sie, wo wir jetzt sind? - Bei etwa 2,5 Milliarden Euro Hilfen vom Bund. ({42}) Das haben wir ein ganzes Stück heruntergedrückt. Der Bundeskanzler hat über eine weitere Degression der Kohlehilfe verhandelt. Das ist hier passiert. Wenn Sie nur ansatzweise jemals etwas Ähnliches bei den Agrarausgaben zuwege gebracht hätten, ginge es diesem Lande finanziell weitaus besser. ({43})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, darf ich Sie einmal kurz unterbrechen? - Herr Kollege Rexrodt, wenn Sie etwas zuzurufen haben, dann sollten Sie das in Richtung des Redners tun. Diskussionen mit der Regierungsbank sind nicht erlaubt und die Regierung darf auch nicht antworten; das wissen Sie. ({0})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Austermann, es wurde gesagt, die Zahl der Mitarbeiter sei ständig ausgeweitet worden. Im Jahre 1992 wurde die Höchstzahl von etwas mehr als 380 000 Mitarbeitern beim Bund erreicht. Jetzt haben wir eine Zahl von knapp unter 290 000. Sie ist also um circa ein Viertel gesunken. Das ist heute im wiedervereinigten Deutschland weniger als in der alten, kleineren westdeutschen Bundesrepublik im Jahre 1970. Das sage ich, damit auch dieser Sachverhalt klar wird. ({0}) Sehen Sie sich auch einmal die Einschnitte bei der Bezahlung an. Übrigens, Herr Austermann, was Sie den Versicherungsunternehmen erzählen, halte ich für ziemlich dreist. ({1}) Der Sachverhalt ist nämlich Folgender: Bei den erheblichen Schwierigkeiten, die viele Unternehmen haben, handelt es sich - ich will das ganz vorsichtig sagen - um ein Branchenproblem ({2}) - hören Sie mal - aufgrund der Tatsache, dass die Unternehmen die von uns angebotene Steuerregelung nicht gewollt haben. ({3}) Das ist die Situation des Jahres 2000. ({4}) Hinzu kommt, dass sie auf einem hohem Ross saßen und gedacht haben, dass ihre Aktienkurse immer auf dem hohen Niveau bleiben. ({5}) Nun lösen wir das Problem, weil es anderenfalls nicht bei einem Problem lediglich einzelner Unternehmen bleibt. Mehr will ich gar nicht sagen. ({6}) - Wir doch nicht! Das ist ja abenteuerlich. Und was passiert, verehrter Herr Austermann? Die BLänder - ich bitte Sie, ganz genau hinzusehen - sagen: Die Reform reicht uns nicht. Wir wollen das nicht nur für das Jahr 2003, sondern auch rückwirkend für die Jahre 2002 und 2001, damit die Unternehmen, die damals noch nicht wirklich Probleme hatten, ihre Bilanzen rückwirkend schönen können. Sie müssen schauen, was die B-Länder machen, oder haben Sie teil an der Kumpanei? Das ist die Frage, die sich stellt. ({7}) Also: Ich sage Ja zum Abbau von Subventionen und zum Abbau von Finanzhilfen. Ich begrüße, dass Sie, Herr Merz, dazu einen radikalen Vorschlag gemacht haben. Das ist in Ordnung. Wenn er wirklich gelten würde, müssten wir nicht mehr lange über den Wegfall der Eigenheimzulage, über die Einschränkung der Pendlerpauschale und anderes reden. ({8}) - Sehen Sie, Herr Merz, da kommt der komplette Widerspruch: ({9}) Für die Feuilletons - so sage ich fast - den Visionär spielen, aber dann, wenn es konkret wird, das genaue Gegenteil tun. So kommen Sie nicht mehr durch. Diesen Winter nicht. ({10}) Die Entscheidungen sind jetzt zu treffen. Das Gesamtpaket liegt auf dem Tisch. Alles, was der Bundeskanzler am 14. März dieses Jahres in diesem Hause angekündigt hat, liegt auf dem Tisch: ({11}) beschlossen von der Bundesregierung und beschlossen vom Deutschen Bundestag ist es jetzt im VermittlungsBundesminister Hans Eichel verfahren. Spätestens jetzt können Sie sich nicht mehr drücken. Der Haushalt muss verabschiedet werden. ({12}) Das hat einen guten Grund: Wenn im Vermittlungsverfahren etwas anderes herauskommt, muss klar werden, wer gemauert hat und wer für welche Etatlücke zuständig ist. ({13}) So läuft es nicht weiter, dass Sie alles dem Bundesfinanzminister anhängen, ({14}) obwohl Sie klammheimlich überall blockiert haben. So läuft es nicht. Diese Doppelzüngigkeit ist zu Ende. ({15}) Da wir hier über Haushalte reden: Gehen Sie einmal nach Hessen. Im Haushalt des Landes Hessen stehen Einnahmen in Höhe von 390 Millionen Euro aufgrund von Änderungen in Bundessteuergesetzen in diesem Jahr. ({16}) Die Herren Koch und Steinbrück kommen mit ihren Vorschlägen auf nicht einmal 5 Prozent davon. ({17}) Sie können sich ausrechnen, was der Herr Koch in Wirklichkeit im Vermittlungsausschuss machen muss, damit er seinen Haushalt in Ordnung kriegt. ({18}) Und das ist das Gegenteil dessen, was Herr Meister, der auch aus Hessen kommt, erzählt. ({19}) Das Ende der Doppelzüngigkeit ist angesagt. ({20}) Sie halten das nicht mehr durch. Sie sind jetzt an der Stelle, an der Sie entscheiden müssen ({21}) und an der Sie bei Ihren Entscheidungen auch entsprechend erwischt werden. Da kommen Sie nicht mehr raus. Ich habe aufgrund vieler Gespräche die große Hoffnung, ({22}) dass wir im Vermittlungsverfahren zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Das setzt aber eine ganz andere Haltung als die voraus, die zum Beispiel Herr Meister eben an diesem Pult an den Tag gelegt hat. ({23}) Wir haben in dem Dreiklang von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Vorziehen der Steuerreform in einer Phase, in der jetzt die Signale - ich sage das bewusst vorsichtig - auf Aufschwung stehen, ({24}) wir aber noch einiges dazu tun müssen, damit es wirklich dazu kommt, eine Chance, aus der Talsohle herauszukommen. Die Verantwortung dafür, dass das gelingt, liegt genauso bei Ihnen wie bei uns. Tragen Sie Ihren Teil! ({25})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Wissmann. ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Herr Eichel vor einigen Jahren von Herrn Lafontaine das Amt des Bundesfinanzministers übernommen hat, waren wir am Anfang überrascht, dass es in Sachen Konsolidierung einige richtige neue Töne in einer sozialdemokratisch geführten Regierung zu geben schien. ({0}) Spätestens mit dem heutigen Tag merkt jeder - hinter vorgehaltener Hand sagt einem das auch jeder Sozialdemokrat und jeder Grüne -: Herr Eichel, Sie sind zu einer tragischen Figur dieser Regierung geworden. Aller Beifall kann das nicht beiseite wischen. ({1}) Sie haben mit Ihrer Politik die Finanzen Deutschlands in die schwerste Krise der Nachkriegszeit geführt. Wir haben eine Rekordverschuldung. Sie werden das dritte Mal den Stabilitätspakt verletzen und dessen Kriterien nicht erfüllen. Sie haben mit der Entscheidung in der Eurogroup der Finanzminister auch die europäische Währungsunion in eine schwere Krise geführt. Aus den Fehlern von vor zwei Jahren haben Sie nichts gelernt. Damals haben Sie mit allen Tricks und Finessen mit demselben Bündnispartner wie heute den Blauen Brief aus Brüssel abgewehrt. Damit haben Sie zu dem Zeitpunkt vielleicht machtpolitisch und taktisch gepunktet, haben aber einen schwerwiegenden strategischen Fehler gemacht, der langfristig wirkt: Anstatt die Stabilitätshüter Europas zu Ihren Bündnisgenossen zu machen und sie als Unterstützung für die Durchsetzung der schwierigen Konsolidierungsaufgabe im Inland zu nutzen, haben Sie sich diese zu Gegnern gemacht. Damals haben Sie begonnen, die Schleuse für mehr Neuverschuldung zu öffnen. Wir alle, die Bürger, die Steuerzahler, zahlen angesichts der Rekordverschuldung, der höchsten Neuverschuldung der Nachkriegszeit jetzt die Zeche. Damals haben Sie falsch gehandelt und handeln auch heute noch falsch. ({2}) Bei staatlichen Gesamtausgaben aller Ebenen von 1 000 Milliarden Euro traut sich diese Regierung nicht zu, entsprechend dem Vorschlag der Kommission 5 bis 6 Milliarden Euro an zusätzlicher Sparleistung zu erbringen. ({3}) Es fehlt jeder Wille zur Stabilisierung der Staatsfinanzen. Es mangelt darüber hinaus an jeglicher Verantwortung für Europa. Herr Eichel, tief in Ihrem Herzen wissen Sie: In der Sache haben Sie bereits aufgegeben. Meine Vermutung ist: Sie werden bald auch persönlich aufgeben. ({4}) So kann es mit Deutschlands Finanzen nicht weitergehen. Das fragwürdige wirtschaftspolitische Argument - es ist ein Scheinargument -, man handele mit zusätzlichen Sparmaßnahmen kontraktiv, hat Ihnen spätestens der Sachverständigenrat aus der Hand geschlagen. Das Gegenteil ist wahr: Eine vernünftige Fortsetzung der Konsolidierung stärkt Vertrauen. Vertrauen ist das Gut, das uns in Deutschland zurzeit am meisten fehlt: ({5}) Diejenigen Bürger, die Geld zur Verfügung haben, konsumieren nicht, weil ihnen Vertrauen fehlt. Auch die Unternehmer, die investieren könnten, investieren nicht, weil ihnen Vertrauen fehlt. Dieses leider verloren gegangene Gut Vertrauen entsteht erst wieder, indem man konsolidiert, und nicht, indem man auf Schulden setzt. Insofern hat der Sachverständigenrat Recht: Eine sinnvolle Konsolidierungspolitik stärkt Wachstumskräfte und schwächt sie nicht. Diesen Eindruck versuchen Sie aber zu erwecken. ({6}) Sehen wir uns einmal in Europa um. ({7}) Es gibt leider nicht sehr viele Beispiele für eine gute Kombination der Konsolidierungs- und Wachstumspolitik. Einer der Mahner von heute kommt aus Spanien. Spanien betreibt seit sechs Jahren eine eiserne und konsequente Sparpolitik. ({8}) Seitdem hat Spanien das höchste Wirtschaftswachstum aller großen Flächenländer Europas. ({9}) Umgekehrt, also anders als in Ihrer Argumentation, wird ein Schuh daraus: Nicht derjenige, der auf Schulden setzt, schafft Wachstum, sondern derjenige, der eine vernünftige und mit Augenmaß betriebene Konsolidierungspolitik durchsetzt. 6 Milliarden Euro im Verhältnis zu den Gesamtausgaben von 1 000 Milliarden Euro sind keine Überforderung für eine vernünftige Finanzpolitik in Deutschland. ({10}) Klar ist - das kann man offen aussprechen -: Die beiden größten Sünder in der Finanzpolitik in Europa, nämlich Frankreich und Deutschland, haben sich zusammengetan. Sie spielen sich die Bälle zu. ({11}) Ich sage Ihnen ganz offen: Dabei interessieren mich Parteifarben überhaupt nicht. ({12}) Mich interessiert die Frage, was für ein Umgang das mit unseren Finanzen und mit Europa ist. Sie stellen den Hüter der Stabilität, die Kommission, infrage und führen mit ihr einen solchen Streit.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Künast zulassen.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte den Gedanken gerne im Zusammenhang ausführen. Später gerne. ({0}) Meine Damen und Herren, man muss kein christlicher Demokrat sein, um so zu formulieren. ({1}) Gestern hat die „Süddeutsche Zeitung“ zu Recht gesagt: Dieser überflüssige Streit - gemeint war der mit der Kommission Matthias Wissmann droht die Stabilitätskultur wegzuspülen, die das Fundament für Europas fragile Gemeinschaftswährung bildet. Warum lassen Sie sich auf diesen Streit ein? Warum versuchen Sie, im Ecofin-Rat in einem Teppichhandel ohnegleichen eine Mehrheit zusammenzuzimmern? ({2}) Ich gehe noch einen Schritt weiter: Warum haben Sie kürzlich mitgemacht, als der Ecofin-Rat - wiederum mit einer Mehrheit - Vorschläge mit zwei fragwürdigen entscheidenden Punkten erarbeitet hat? Erstens. Die Kommission soll in ihrer Rolle als Hüterin des Stabilitätspakts weiter geschwächt werden. ({3}) Zweitens - das sage ich jetzt auch den sozialdemokratischen und grünen Kollegen - macht der Ecofin-Rat den Vorschlag, die ohnehin schon geringen Budgetrechte des Europäischen Parlaments weiter einzuschränken. Welche Vorstellung von Stabilität und von Europa steckt eigentlich hinter Ihren Überlegungen und Ihrem Handeln? Man muss es offen sagen: Frankreich und Deutschland haben sich in der vergangenen Nacht in Brüssel nicht als Motoren der EU, sondern als Bremsklötze der europäischen Stabilitätspolitik erwiesen. Sicherlich hatten Sie am Ende ein paar der kleineren Länder auf Ihrer Seite. ({4}) Aber denken Sie einmal an die Positionen Finnlands, Österreichs, Spaniens und einiger anderer. Sie haben Ihnen ins Stammbuch geschrieben, was man von Ihrer Stabilitätspolitik in Europa heute halten muss. Hören Sie doch auf die europäischen Stimmen aus allen Lagern, aus Wirtschaft und Gesellschaft und von den Kapitalmärkten. ({5}) Im Interesse einer langfristigen Stabilität von Währung und Preisen kann diesen Anschlag auf den europäischen Stabilitätspakt niemand für gut befinden. Sie haben einen gefährlichen Weg eingeschlagen. Wenn die Starken ohne Ende sündigen können, dann ist das ein schlechtes Beispiel für die Schwächeren. Die Europäische Union nimmt bald zehn neue Länder auf. Was ist das für ein Signal? ({6}) Frankreich und Deutschland machen munter weiter, die Währung wird langfristig geschwächt und die Preissteigerungsrate wird bei Fortsetzung einer solchen Politik auf Dauer nach oben gehen. Schlechte Beispiele ziehen Nachahmer nach sich. Als sich die Kollegin von den Grünen vorhin deutlich distanziert und die Frage gestellt hat, warum Sie eigentlich keinen Weg gemeinsam mit der Kommission gesucht haben, habe ich sehr genau zugehört. ({7}) Ich frage auch die Grünen und den Bundesaußenminister: Was halten Sie von einer „Sparpolitik“, ({8}) bei der der Bundeskanzler auf dem Steinkohletag mitteilt, dass bis zum Jahr 2012 15,8 Milliarden Euro an Steinkohlesubventionen zur Verfügung gestellt werden? ({9}) Bedeutet das, dass sich der Kanzler als Kumpel der Kumpel mit Blick auf die nordrhein-westfälischen Wahlen profilieren will? Wenn er irgendwann einmal einen ordnungspolitischen Grundsatz gehabt hat, ({10}) dann hätte er auch diesen über Bord geworfen. Was müssen eigentlich die Grünen davon halten? Ich lese in der gestrigen Entschließung des Arbeitskreises Umwelt und Energie den Satz: Es ist angesichts der fehlenden Mittel in den Bereichen Bildung und Forschung nicht zu rechtfertigen, einen dauerhaften Steinkohlesockel zu finanzieren. Die nordrhein-westfälische CDU war - anders als andere - so mutig, ({11}) vorzuschlagen, dass man bereits 2010 die Förderung auf 13 Millionen Tonnen reduzieren solle. Der Bundeskanzler hingegen spricht für 2012 noch von einer Förderung von 16 Millionen Tonnen. Wir reden hier über 5 Milliarden Euro Unterschied in der Unterstützung des Abbaus der Kohleförderung. Aber müssen sich die Grünen nicht vorgeführt vorkommen, wenn der Bundeskanzler ohne Absprache eine solche Subventionssumme in den Raum stellt? Wie können Sie, Herr Eichel, hier noch von Subventionsabbau reden, wenn Sie diese Entscheidung des Bundeskanzlers querzeichnen? Das ist das Gegenteil von Sparpolitik. Das ist keine vernünftige und zukunftsorientierte Stabilitätspolitik. ({12}) Sie sagen zu Recht ein paar freundliche Worte in Richtung der weit gehenden Vorschläge der CDU/CSUBundestagsfraktion bzw. des Kollegen Friedrich Merz zur Steuerreform und zur Steuervereinfachung. Aber bisher tun Sie doch nichts Konkretes, um einen solchen Weg zu befördern. Wie dringend notwendig er ist, weiß jeder hier in diesem Haus, der irgendwann einmal ein mittelständisches Unternehmen von innen gesehen hat. Ich will Ihnen von einem Beispiel aus diesen Tagen berichten. Es geht um einen großen mittelständischen Maschinenbauer mit Betrieben in der Schweiz und der Zentrale - Gott sei Dank in Baden-Württemberg - in Deutschland. Dieser sagte mir: Das Steuerrecht in Deutschland ist inzwischen so kompliziert, dass die Steuerprüfung in der Konzernzentrale in Deutschland ein Jahr und drei Monate, die Steuerprüfung in seinen ebenfalls sehr großen Betrieben in der Schweiz wenige Stunden gedauert hat. ({13}) Das Steuerrecht in Deutschland umfasst 95 000 Verwaltungsvorschriften und 100 Gesetze. Der einzig mögliche Weg für jemanden, der das Wort Reform zu Recht im Munde führt, ist der große Befreiungsschlag. Sagen Sie doch Ja zu den Vorschlägen von Friedrich Merz und taktieren Sie nicht weiter herum! Das ist der einzige Weg für einen stärkeren Wachstumsimpuls und ein neues Steuerrecht in Deutschland in der Zukunft. ({14}) Nehmen Sie doch unsere Vorschläge zur Arbeitsmarktreform auf. Sie liegen als Gesetzentwurf vor. Bekennen Sie sich zu der Gestaltungsfreiheit betrieblicher Bündnisse für Arbeit. Bekennen Sie sich zu einer Flexibilisierung im Kündigungsschutz. Solche wirtschaftspolitischen Reformen sind dringend geboten. ({15}) Bekennen Sie sich auch zu einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten, was Veränderungen im Tarifvertragsrecht bedeutet. ({16}) Schauen wir uns doch in Europa um, wie die Jahresarbeitszeiten in den Betrieben aussehen. Gehen Sie in einen mittelständischen Betrieb und vergleichen Sie zwei sozial entwickelte Länder wie die Schweiz und Deutschland. ({17}) Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in der Schweiz liegt heute bei 1 800 bis 1 850 Stunden, in Deutschland bei 1 500 bis 1 550 Stunden. ({18}) Ich sage nicht, dass der Durchschnitt in allen Ländern gleich hoch sein muss. Aber eines muss doch jeder kapieren, der ökonomischen Verstand hat: Ohne mehr Flexibilität, die auch Mehrarbeit ermöglicht und die auch etwas weniger Urlaub ermöglicht, kommen wir nicht auf einen grünen Zweig. Solche Reformen sind dringend nötig, wenn wir in Deutschland wirtschaftspolitisch vorankommen und wieder Wachstum schaffen wollen. ({19}) Herr Eichel, Sie werden vielleicht noch eine Weile lang vor sich hin taktieren können; aber der Schaden für unser Land und, wie wir heute auch gesehen haben, für Europa ist verhängnisvoll. ({20}) Deswegen prognostiziere ich Ihnen eines: Sie werden im Jahre 2004 genauso bittere Wahlniederlagen erleben wie im Jahre 2003, weil den Bürgern nichts mehr vorgemacht werden kann. Der Rekordverschuldungsminister steht für die Politik der ganzen Regierung. Dieser Minister Eichel, der die europäische Stabilitätskultur verletzt, steht - leider - für die europaskeptische Politik auch des Bundeskanzlers. Beides hat keine Zukunft. Ändern Sie etwas, solange Sie noch Zeit haben! ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Wissmann, mit der Frage der Steuerreform haben Sie ein gutes Thema aufgerissen. Sie hätten eine echte Steuerreform haben können. Eine Steuervereinfachung besteht zum Beispiel darin, dass man bestimmte Vergünstigungen streicht. Die Debatte darüber haben wir im Januar dieses Jahres angestrengt. Wir haben ein ganzes Jahr verloren, bis Herr Merz Ihren Fehler wieder ausgebügelt hat, indem er selber einen Vorschlag unterbreitet hat, Steuervergünstigungen abzubauen - und zwar restlos. Wenn Sie selber sagen, Steuervereinfachung wäre das Wichtigste, was jetzt geschehen soll, dann hätten Sie, die CDU/CSU, uns im Januar unterstützen können. Diese Möglichkeit hatten Sie; Sie haben sie verstreichen lassen. ({0}) Mit den Vorschlägen von Koch und Steinbrück haben Sie statt des Rasenmähers jetzt die Nagelschere im Dschungel der Subventionen angeboten. Sie haben jede einzelne Subvention stehen lassen - die Subventionen füllen einen dicken Hefter - und nehmen von jeder Subvention 4 Prozent herunter. Das bringt Sie natürlich auch nicht voran, wenn Sie wirklich Steuervereinfachung zum Ziel haben. ({1}) Steuervereinfachung haben Sie aber offensichtlich nicht zum Ziel, sonst hätten Sie ganz andere Vorschläge gemacht. Aber wir haben ja im Vermittlungsausschuss noch Möglichkeit und Zeit, über diese Fragen zu diskutieren. ({2}) Eine Frage ist heute ganz wichtig - sie ist mit der Haushaltsdebatte schicksalhaft verbunden, da gebe ich zum Beispiel Herrn Rexrodt Recht -: Was haben wir bzw. was hat Herr Eichel eigentlich gestern und heute erreicht, auch für Deutschland? Diese Frage versuchen wir hier gemeinsam zu bewerten und zu beantworten. Ich teile die Auffassung, dass wir vielleicht einen hohen Preis zahlen müssen - da soll man sich nicht vertun. Der hohe Preis wird sein, dass in den nächsten Jahren - unabhängig davon, ob irgendwelche Wahlen stattfinden oder nicht - weitere Reformpakete und Sparpakete geschnürt werden müssen; ({3}) denn es ist ganz offensichtlich, dass der Reformprozess inzwischen unumkehrbar geworden ist. Wäre dem nicht so, dann hätten es die anderen europäischen Finanzminister Herrn Eichel und Herrn Francis Mer nicht durchgehen lassen, zu sagen: Gebt uns noch einmal einen Aufschub. Mehr als ein Aufschub ist es nicht. In einem halben Jahr kann neu entschieden werden; das weiß auch jeder. Wir haben die Möglichkeit, unseren Reformen eine Chance zu geben. Das sollten Sie ernst nehmen. Wenn Finanzminister aus anderen Ländern, die ihre eigenen Erfahrungen damit haben, wie Reformen funktionieren oder nicht funktionieren, mehrheitlich der Meinung sind, dass man den Reformen der Bundesrepublik Deutschland eine Chance geben sollte, weil sie wahrscheinlich zielführend sind, dann sollten Sie sich hier nicht als die Hüter einer theoretischen Idee aufführen. Sie sollten vielmehr versuchen, den Praxistest mit uns gemeinsam zu bestehen. Auch dazu haben Sie im Vermittlungsverfahren die Möglichkeit. ({4}) Es ist interessant, dass in den Ecofin-Vorlagen steht - das kann man nachlesen -, dass das größte Haushaltsrisiko darin besteht, dass man das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens noch nicht einschätzen könne, da es noch in der Diskussion sei und noch vom Bundesrat abhänge. Sie müssten zumindest dem Volumen - wenn Sie mit einzelnen Maßnahmen nicht einverstanden sind, können Sie andere Vorschläge bringen - des Reform- und Sparpakets der Bundesregierung zustimmen. Das ist das Mindeste, was kommen muss. Aber Sie wollen eigentlich gar nicht, dass wir mit dem Bundeshaushalt unsere Vorschläge im Detail öffentlich bekannt machen. Sie wollen gleich in das Vermittlungsverfahren abtauchen und alles klammheimlich hinter verschlossenen Türen beraten, damit am Ende keiner als derjenige dingfest gemacht werden kann, der für einen bestimmten Vorschlag steht, der im Kompromiss zutage tritt. Es ist klar, dass Sie nicht erwischt werden wollen, wenn Ihre Vorschläge zum Beispiel darin bestehen, alle ABM zu streichen. ({5}) Das kann ich gut verstehen, aber Abtauchen gilt nicht. ({6}) Das ist genau der Punkt, den Herr Eichel klargestellt hat, als er sagte, dass Art. 104 Abs. 9 des EG-Vertrages nicht heißt, Brüssel die Haushaltshoheit zu übertragen. Damit wir in diesem Punkt Klarheit haben. Es wäre für manchen Ministerpräsidenten schön gewesen, zu sagen, Brüssel habe Auflagen gemacht, Hans Eichel sei schuld, deshalb müssten die Auflagen erfüllt werden und es tue ihnen Leid, den Menschen wehtun zu müssen, aber die Entscheidung träfen nicht sie. Wie kann man denn als Ministerpräsident haushaltspolitische Entscheidungen an Brüssel delegieren und der Meinung sein, so könne man Politik gestalten? Sie haben im Bundesrat so viel Macht. Nutzen Sie sie doch endlich! ({7}) - Das werden wir sehen. Ich gehe davon aus, dass Sie in den letzten 24 Stunden einen Strategiewechsel vollzogen haben. Sie haben bis gestern einen Konfrontationskurs verfolgt, weil Sie darauf hofften, dass Brüssel der Koalition bei diesem Bundeshaushalt gravierende Steine in den Weg legen würde. ({8}) Diese Strategie ist gestern geplatzt. Jetzt kommt Plan B. Jetzt werden diejenigen in der CDU/CSU nach vorne treten, die schon immer gesagt haben, die Union müsse ein bisschen mehr kooperieren. Genau das wird ab morgen beginnen. Wir werden die Elefantenrunde erleben, wir werden weitere Ergebnisse im Vermittlungsausschuss sehen und dann müssen Sie doch die Eigenheimzulage ganz opfern. Wahrscheinlich wird das so sein. ({9}) Sie können sich doch nicht als Hüter des Stabilitätspaktes aufspielen, ({10}) sind aber nicht einmal in der Lage, Vorschläge zu machen, die dieselbe Summe ergeben, die unsere Vorschläge erbracht haben. Wenn Sie das nicht können, dann sollten Sie den Mund nicht so weit aufsperren. ({11}) Inzwischen haben wir in Deutschland die Phase erreicht, in der die konkreten Vorschläge auf den Tisch gelegt werden müssen, weil die Lernprozesse in den Parteien stattgefunden haben. Wenn ein solcher Lernprozess bei Ihnen nicht stattgefunden hat und das Ihre taktische Unruhe begründet, dann ist das Ihr Problem. Wenn er doch stattgefunden hat, dann ist es an der Zeit, dass Sie Vorschläge liefern. Ihre Taktik ist nicht aufgegangen. ({12}) Schauen Sie sich doch Europa an. Jean-Claude Juncker steht wirklich nicht in Verdacht, Rot-Grün nach dem Munde zu reden. Dasselbe gilt für die französische Regierung. Auch die gehört nicht zum rot-grünen Milieu. Das wissen wir alles. Herr von Weizsäcker, der zumindest theoretisch Ihrer Partei angehört, hat heute deutlich im Fernsehen gesagt, es wäre ihm wichtig, dass ganz mutige Entscheidungen für Reformschritte getroffen werden. Machen Sie doch endlich einmal! Wollen Sie im Prinzip Recht behalten oder wollen Sie in der Sache erfolgreich sein? ({13}) Die Börse war heute unbeeindruckt, der Eurokurs hat auch nicht großartig nachgegeben. Das Einzige, was mit einem gewissen nationalen Tremolo in der Stimme über das Fernsehen waberte, waren irgendwelche Unionspolitiker, die meinten, das Abendland gehe zugrunde. Offensichtlich hat das die Börse nicht gehört. Herr Tremonti, der Finanzminister Italiens, ist jetzt mit seinem, wie ich finde, irrwitzigen Versuch unterwegs, den Investitionsbegriff neu zu definieren, einige Sachen herauszurechnen und damit eine kreative Haushaltsführung zu machen. ({14}) Es ist ein Erfolg von Hans Eichel, dass er es geschafft hat, Francis Mer, den französischen Finanzminister, davon zu überzeugen, das Verfahren jetzt nur einzufrieren und nicht zu versuchen, an den Regeln herumzufummeln. Ich halte das für einen Erfolg. Die Gefahr lag doch ganz woanders. ({15}) Heute ist schon einmal Herr Köhler vom Internationalen Währungsfonds bemüht worden. Man sollte sich der Debatte stellen, ob man wirklich nur rein quantitativ konsolidieren, also nur die Summen reduzieren will, oder ob man nicht qualitativ konsolidieren, also Strukturen verändern will. Die beste Garantie, dass es auf Dauer ein Abschmelzen der Ausgaben gibt, ist der Subventionsabbau, weil die Wirkungen über Jahre hinweg eintreten, ({16}) und zwar mit jedem Jahr stärker. Das hat wirklich nachhaltige Effekte. Sie sind herzlich eingeladen, sich am Subventionsabbau stärker als bisher zu beteiligen. Über die Nagelschere aus dem Koch/Steinbrück-Konzept habe ich mich schon ausgelassen. Es ist nach unserer Auffassung wirklich zu wenig, was dort vorgeschlagen worden ist. ({17}) Wir haben verstärkt immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. Man kann natürlich behaupten, der Stabilitäts- und Wachstumspakt sei in Gefahr. Wer sich aber ein bisschen mit der Materie auskennt, dem ist klar: Solange nicht die meisten bzw. fast alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausbalancierte Budgets aufweisen, wird es keine Mehrheit für eine gravierende Änderung des Stabilitätsund Wachstumspakts geben. Das halte ich auch für richtig. ({18}) Deswegen ist einer gewissen Ratlosigkeit in der Frage, was aus der Situation der vergangenen zwei Jahre für das Wirtschaftswachstum der Europäischen Union zu lernen ist, für einige Monate ein Abwarten gefolgt, um zu erkennen, ob die für Deutschland vorgeschlagenen Reformen Hand und Fuß haben. Ich gehe davon aus, dass das der Fall ist. Denn es hat durchaus ein Sinneswandel stattgefunden. Die Akzeptanz der Strukturreformen als vernünftiges Instrument der Haushaltskonsolidierung, das über Jahre hinweg funktioniert, ist im rot-grünen Milieu vorhanden. Anderenfalls wäre es nicht zu den Entscheidungen gekommen, die in den vergangenen Wochen mit rot-grüner Mehrheit getroffen worden sind. ({19}) Das heißt für mich, das Hans Eichel Recht hatte, sich nicht dem Defizitverfahren und dem Zwang aus Brüssel zu unterwerfen, sondern dafür zu sorgen, dass jede Partei in diesem Land zu ihrer Verantwortung steht. ({20}) An der Begrenzung der Risiken müssen wir gemeinsam arbeiten, Herr Austermann. Aber dazu werden Sie sicherlich irgendwann einmal die von Ihnen schon so lange versprochenen knallharten Sparvorschläge vorlegen. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Michael Meister. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf aus dem Gutachten der fünf Weisen zitieren: Im Bereich der Steuerpolitik bestehen gegenwärtig erhebliche Defizite. - Zurzeit regiert nicht die Union! Das deutsche Einkommensteuerrecht wird zunehmend als chaotisch wahrgenommen. ({0}) Steuerpolitische Einzelmaßnahmen fügen sich nicht in eine erkennbare Systematik ein. Frau Hermenau, das ist die Antwort auf die von Ihnen gestellte Frage. Sie haben zu Jahresbeginn ein Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgelegt, das keinerlei steuersystematischen Ansatz aufgewiesen ({1}) und ein reines Chaos produziert hat. ({2}) Dass es in Deutschland kein Wachstum gibt, liegt doch daran, dass sich kein Investor in Deutschland auf verlässliche Rahmenbedingungen verlassen kann. ({3}) Wenn Sie heute in Deutschland einen potenziellen Investor fragen, welche Rahmenbedingungen im Jahr 2004 gelten werden, dann stellen Sie fest, dass Ihnen das bis hin zum Bundesfinanzminister kein Mensch beantworten kann. ({4}) - Nein, nicht weil wir blockieren, sondern weil der Bundesfinanzminister über kein steuerpolitisches Leitbild verfügt. Er hat jeden Tag eine neue Idee, verfolgt jeden Tag einen neuen Ansatz und erzeugt damit ein völliges Chaos. ({5}) - Lieber Herr Schöler, das ist der Unterschied, den Sie ansprechen. Was die von Ihnen eingeforderten Vorschläge angeht, ({6}) kann ich Ihnen versichern: Wir haben entsprechende Vorschläge und wir haben ein Leitbild. ({7}) Vor kurzem hat der Kollege Merz zehn Thesen zur Steuerpolitik vorgelegt, die deutlich machen, wie ein modernes Einkommensteuerrecht einfach, transparent und verlässlich gestaltet werden kann. ({8}) Mit einem solchen Konzept können wir am Standort Deutschland wieder Vertrauen und Investitionssicherheit schaffen. Sie können gerne nach dem Konzept verlangen. Es liegt bereits vor. Ich biete Ihnen an, dieses Konzept anzunehmen. Machen Sie mit und realisieren Sie es! Dann gibt es in der deutschen Steuerpolitik endlich wieder eine Orientierung! ({9}) Die Tragik des Bundesfinanzministers, die der Kollege Wissmann eben angesprochen hat, liegt nicht darin, dass ihm die Opposition nicht folgt, wie Sie es in Ihrem Zwischenruf festgestellt haben. Sie liegt vielmehr darin, dass seine Koalition und sein Kabinett ihm nicht folgen. Nehmen wir das Beispiel Tabaksteuer. Wer hat denn den Gesetzentwurf diktiert? - Das war Frau Ministerin Schmidt. Nach meiner Kenntnis ist sie aber nicht Finanzministerin, sondern Gesundheitsministerin. Nehmen wir das Beispiel Gemeindefinanzen. Dazu hat der Bundesfinanzminister einen Entwurf in das Parlament eingebracht, den Sie als Koalitionsfraktionen nicht mitgetragen haben. Etwas so Abstruses, dass eine Regierung einen Gesetzentwurf einbringt, der von den Koalitionsfraktionen nicht unterstützt wird, haben wir noch nie erlebt. Das heißt, nicht die Opposition verhindert Ihre Vorhaben, sondern Sie gewähren Ihrem Finanzminister nicht das notwendige Vertrauen. ({10}) Die Tatsache, dass die Koalition kein Vertrauen zu ihrem Finanzminister hat, führt dazu, dass die Finanzpolitik sprunghaft und unsystematisch ist und an Glaubwürdigkeit einbüßt. Meine Damen und Herren, gehen wir einen Schritt weiter: Sie reden von Wachstum. Ich stimme dem ausdrücklich zu. Wachstum ist die notwendige Voraussetzung zur Konsolidierung unserer Haushalte. Aber zu diesem Wachstum gehören erstens ein klares System, also eine klare Zielvorstellung, zweitens Vertrauen der Menschen, sodass sie bereit sind, zu konsumieren und zu investieren, und drittens die Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen auch gern in diesem Land investiert und gearbeitet wird. Schauen Sie sich bitte einmal an, welche Rahmenbedingungen Sie für Arbeitsplätze und Unternehmen schaffen. Erstens. Die von Ihnen vorgeschlagene Mindeststeuer stellt für jeden ausländischen Investor ein Stoppsignal dar, das für ihn bedeutet, nicht mehr in Deutschland zu investieren. Mit einer Mindeststeuer bekommen Sie doch keinen ausländischen Investor an diesen Standort. ({11}) Zweitens. Bei der Gemeindefinanzreform gehen Sie in eine Substanzbesteuerung hinein. Jedem Mittelständler, der jetzt dringend Kapital benötigt, um den anstehenden Wirtschaftsaufschwung, von dem Sie reden, zu finanzieren, nehmen Sie von diesem dringend notwendigen Kapital ertragsunabhängig etwas weg. Das ist ein vollkommen falsches Signal. Es wäre fatal, wenn der Steuergesetzgeber denen in die Kasse griffe, die jetzt Kapital brauchen. Drittens. Auf jedes Problem, das in Deutschland auftaucht, antworten Sie mit einer neuen Abgabe oder Steuer: ({12}) Als Beispiele nenne ich das Dosenpfand und die Ausbildungsplatzabgabe, Frau Eichstädt-Bohlig. Oder die Koalition schlägt vor, Steuern und Abgaben zu erhöhen; als Beispiele nenne ich hier die Versicherungsteuer und die Tabaksteuer. Mit einem solchen Ansatz bekommen Sie bei uns kein fundiertes Wachstum zustande. ({13}) Es zerstört Wachstum, wenn die Menschen wissen, dass sie, egal was sie tun, höher besteuert und mit höheren Abgaben belastet werden. ({14}) Im Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen können Sie auf Seite 477 lesen: Tatsache ist, dass der Standort Deutschland steuerlich im Jahr 2003 unattraktiver ist als 2001. Zwischen 2001 und 2003 war Herr Eichel Bundesfinanzminister; er hat mit seiner Politik dafür gesorgt, dass der Standort Deutschland unattraktiver geworden ist. ({15}) Ich habe eben die Gemeindefinanzreform angesprochen; dazu mache ich noch einige weitere Bemerkungen. Realisierten wir Ihre glorreichen Gesetze, die jetzt im Vermittlungsausschuss beraten werden, dann hätten die Gemeinden - so wird angekündigt - im nächsten Jahr 2 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Wenn sie aber einmal durchrechnen, was tatsächlich herauskäme, wenn all diese Gesetze realisiert würden, dann werden die Gemeinden feststellen, dass sie im Januar 2004 2,2 Milliarden Euro weniger in der Kasse hätten. Auch dies ist ein Kennzeichen Ihrer Politik: Die Etikette der Pakete, die Sie verschicken, stimmen nicht mit dem Inhalt überein. ({16}) - Herr Schöler, deshalb glaubt Ihnen niemand mehr und es ist kein Vertrauen vorhanden. - Wenn Sie den Gemeinden weiter in die Kasse greifen und ihnen im nächsten Jahr noch einmal 2 Milliarden Euro wegnehmen, dann wird auch dort nichts in die kommunale Infrastruktur investiert. Dafür tragen Sie mit Ihrer Politik Verantwortung. Sie entziehen den Kommunen das Geld, das sie zur Finanzierung der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen brauchen. ({17}) Meine Damen und Herren, wir haben einen Ansatz aufgezeigt, der nicht nur - Sie haben es angesprochen den Weg über die Verbesserung der Einnahmenseite geht. ({18}) - Die Union, Herr Kollege Tauss. Hören Sie zu, Sie werden schlau dabei! ({19}) In unserem Sofortprogramm haben wir angeboten, auch die Ausgabenseite zu betrachten. Deswegen führen wir auch nicht nur die Worte Konsolidierung und Wachstum, sondern auch den Begriff Staatsquote im Mund. ({20}) Unser Sofortprogramm beinhaltet vier Vorschläge, die auf der Ausgabenseite wirksam werden: Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Grundsicherung und die Zusammenführung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe. All diese Maßnahmen werden auf der Ausgabenseite wirksam. Sie aber haben nicht den Mut, an die Ausgabenseite heranzugehen. ({21}) Da der Bundesfinanzminister vorhin den hessischen oder den niedersächsischen Ministerpräsidenten genannt hat, weise ich darauf hin, dass sie Mut haben und bereit sind, auf der Ausgabenseite zu sparen. Sie jedoch führen die Menschen an, die gegen die Ausgabensenkungen demonstrieren. Eine solche Doppelzüngigkeit legen Sie an den Tag. ({22}) Frau Kollegin Hajduk, die jetzt leider nicht mehr anwesend ist, hat vorhin gesagt, der Bundeshaushalt sei in Schieflage, weil ein großer Teil des Bundeshaushalts in die Rentenversicherung gehe. Diese Beschreibung ist zutreffend. Aber er ist so groß, weil 1999 eine Ökosteuer eingeführt worden ist, die massiv Geld in den Bundeshaushalt leitet, das zum Teil an die Rentenversicherung weitergegeben wird. Dies führt zu der jetzigen Schieflage im Bundeshaushalt; denn es fließt zu viel Geld aus dem Bundeshaushalt in die Rentenversicherung. Hätten Sie den Unsinn mit der Ökosteuer gelassen, dann hätten Sie heute keine Schieflage im Bundeshaushalt. ({23}) Sie loben sich ständig für Ihre Konsolidierungsbemühungen. Aber Sie blenden dabei aus, dass es zwischen Ihrer Regierungsübernahme und dem Amtsantritt von Hans Eichel noch eine kleine Zeitdifferenz gab. In diesem Zeitraum wurden die Ausgaben des Bundeshaushaltes um 25 Milliarden DM angehoben, und zwar nicht einmalig, sondern Jahr für Jahr. Die Probleme, mit denen wir heute kämpfen, hat Rot-Grün also nicht erst unter Hans Eichel, sondern schon unter Lafontaine verursacht. Darunter leiden wir heute, wenn es um Konsolidierung geht. ({24}) Nun reden Sie über Subventionsabbau. Auch wir tun das. Wir wollen, wie gesagt, mit dem Koch/SteinbrückKonzept konstruktiv umgehen. Aber wir werden nicht zum Ziel kommen, wenn wir in Deutschland schneller neue Subventionstatbestände schaffen, als wir alte abbauen. Der Bundeskanzler hat zugesagt - dieses Thema ist schon erörtert worden -, für die Steinkohlesubventionierung 5 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Wie schwer ist es, Subventionen in einer Größenordnung von 5 Milliarden Euro abzubauen, die hier mit einem einzigen Federstrich zugestanden worden sind! Ein weiteres Beispiel ist die Förderung der erneuerbaren Energien, über die gerade diskutiert wird. Die entsprechenden Mittel sind zwar nicht im Bundeshaushalt eingestellt. Aber den Menschen in unserem Land wird eine Förderung über Subventionen zugemutet. All das verkaufen Sie aber als Subventionsabbau. Wo sind wir denn? Ziehen Sie sich lieber zu Beratungen zurück und denken Sie darüber nach, was Sie tun wollen. Dann können wir weiter diskutieren. Ich komme noch einmal zurück auf das Thema Steinkohlesubventionen. Herr Finanzminister, Sie haben vorhin gelobt, dass die Steinkohlesubventionen zurückgeführt werden. Aber warum werden die Subventionen zurückgeführt? Sie werden zurückgeführt, weil es unter der Regierung Kohl einen Kompromiss gab, der die Degression der Steinkohlesubventionen festgelegt hat. Davon profitieren Sie noch heute. Übrigens, der damalige Vorsitzende der SPD, Oskar Lafontaine, hat die Kumpel auf die Straße geführt, um gegen den Steinkohlesubventionsabbau zu demonstrieren. 200 000 Kumpel waren damals in Bonn, um gegen eine Politik zu demonstrieren, für die Sie sich nun loben lassen. Wir haben diesen Kompromiss durchgesetzt und Sie wollen das Lob dafür einheimsen, obwohl Sie damals versucht haben, das Zustandekommen dieses Kompromisses zu verhindern. ({25}) - Lieber Herr Schöler, ich habe bei den damaligen Demonstrationen in Bonn selber erlebt, wie Herr Lafontaine aus rein parteipolitischem Interesse die Kumpel angeheizt und Stimmung gegen das Ziel gemacht hat, den Staatshaushalt durch den Abbau von Subventionen zu konsolidieren. Dass der Subventionsabbau gelungen ist, können Sie nicht als Erfolg für sich in Anspruch nehmen. Ich möchte noch eine Bemerkung zum Maastrichter Vertrag machen. Ich hätte mich gefreut, wenn der Bundesfinanzminister heute gesagt hätte: Ich habe in Brüssel glaubwürdig vermittelt, dass wir die Auflagen der EUKommission erfüllen werden, und wir sollten im Rahmen der Beratungen über den Haushaltsentwurf 2004 darüber nachdenken, wie wir die zusätzlichen Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt realisieren können. Das wären zwei Botschaften gewesen - Akzeptanz der Sparauflagen aus Brüssel und des Maastricht-Vertrages sowie eine gemeinsame Anstrengung, um den Auflagen gerecht zu werden -, über die ich mich gefreut hätte. ({26}) Leider ist es so nicht gekommen. Wir haben einen enttäuschenden Bericht aus Brüssel bekommen. Ich möchte nur daran erinnern, dass Herr Eichel bei seinem Amtsantritt einen ausgeglichenen Haushalt für 2004 angekündigt hat. Nun wird stattdessen die Diskussion darüber begonnen, dass eine Nettoneuverschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht ausreicht. Wie gesagt, eigentlich hätte Herr Eichel dafür sorgen müssen, dass das Defizit 2004 bei null liegt, und zwar nicht nach unserer, sondern nach seiner eigenen Vorgabe. Das ist die Latte, mit der wir messen. Wir haben auch ein Angebot gemacht, damit die Vorgabe eingehalten werden kann. Wir haben Ihnen im April 2003 gesagt, dass wir einen Nachtragshaushalt wollen und dass wir bereit sind, im Rahmen eines Haushaltssicherungsgesetzes Sparmaßnahmen einzuleiten. Wer sich verweigert hat, war nicht die Opposition, sondern waren die Koalitionsfraktionen, die dies im Haushalts- und im Finanzausschuss abgelehnt haben. Das ist die Wahrheit. ({27}) Ich möchte das betonen, was der Kollege Wissmann vorhin gesagt hat. Wenn Sie im Frühjahr 2002 den blauen Brief aus Brüssel und jetzt die Sparauflagen der EU-Kommission akzeptiert hätten, dann wäre Ihre Position als Bundesfinanzminister, Herr Eichel, viel stärker. Aber Sie haben versucht, den blauen Brief abzuwehren und die Sparauflagen der EU-Kommission zurückzuweisen. Sie sollten tatsächlich versuchen, Partner für eine Konsolidierung im richtigen Sinne zu finden, und Sie sollten nicht versuchen, diese Konsolidierung zu bekämpfen. Herr Eichel hat hier vorhin sehr interessant vorgetragen. ({28}) Er hat uns einerseits erklärt, Herr Tauss, dass es im Jahr 2004 einen Aufschwung gibt. Die Bundesregierung geht von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent aus. ({29}) - Richtig. - In derselben Rede hat er uns andererseits gesagt, er wolle auf Art. 115 des Grundgesetzes - Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - zurückgreifen. Was gilt denn nun? Ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört oder tritt das von Ihnen prognostizierte Wirtschaftswachstum ein? Welche der beiden Annahmen trifft zu? Sind etwa beide nicht zutreffend? Herr Eichel, Sie fahren nach Brüssel und legen Ihren Kollegen einen Brief vor - Sie haben ihn uns gestern im Ausschuss dankenswerterweise vorgelegt -, in dem Sie den Aufschwung infrage stellen und behaupten, in Deutschland herrsche noch Stagnation. Auch hierbei muss man sich die Frage stellen: Vertreten Sie in Brüssel andere Positionen als im Inland? Das müssen Sie dringend klären, damit wir wissen, was überhaupt Ihre Position ist. Herr Bundesfinanzminister, Sie können nicht in einer Rede zwei Positionen gleichzeitig vertreten. ({30}) Es bereitet mir Sorgen, dass Sie mit dem, was Sie im Frühjahr letzten Jahres und zuletzt geleistet haben, das Fundament unserer Währung dauerhaft zerstören. Das Erbe der D-Mark - wir wollten, dass der Euro so stabil wie die D-Mark ist - wird von Ihnen mit vollem Bewusstsein und mit voller Absicht zerstört. Völkerrechtliche Verträge werden gebrochen. Sie verstoßen bewusst gegen den Geist des Vertrages von Maastricht. Mit juristischen Winkelzügen und advokatischen Überlegungen versuchen Sie, sich aus der Affäre zu ziehen. Herr Eichel, Sie sind nicht der Spitzenjurist, für den Sie sich hier am Rednerpult ausgegeben haben. Sie sollten versuchen, den Geist des Vertrages von Maastricht zu bewahren. Darauf haben Sie Ihren Amtseid abgelegt und dafür wurden Sie gewählt. ({31}) Frau Hermenau hat gefragt, warum wir im Vermittlungsausschuss bei der Konsolidierung in solch einer Zeitnot sind. Frau Hermenau, ich will Ihnen darauf eine Antwort geben: Nach der Bundestagswahl im letzten Jahr haben wir erlebt, dass die Bundesregierung neun Monate lang nichts getan hat. Sie mussten erst einmal Ihre Positionen klären und den Parteitag der SPD im Juni sowie den Parteitag der Grünen im Juni abwarten, weil Sie vorher nicht handlungsfähig waren. ({32}) Deswegen sind bis September dieses Jahres überhaupt keine Reforminitiativen auf den Tisch gekommen. Wir reden erst seit zwei Monaten über Reforminitiativen. Es ist Ihr Versäumnis, dass Sie neun Monate nichts getan haben. Sie können diesen Fehler jetzt nicht der Opposition anlasten. Diesen Schuh müssen Sie sich anziehen. ({33}) Ich hoffe, dass in dieser Debatte ein bisschen zugehört wird, dass Sie die eine oder andere Äußerung zum Nachdenken bringt und dass wir vielleicht doch noch das Ziel erreichen, das, was schon beschädigt worden ist, zu reparieren. Wir müssen zum Geist von Maastricht zurückkehren und die Wertigkeit unserer Verfassung in Zukunft vielleicht doch etwas mehr in den Vordergrund stellen, als es gegenwärtig der Fall ist. Vielen Dank. ({34})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jörg-Otto Spiller.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europäische Ministerrat hat heute eine sachgerechte, ökonomisch vernünftige und vertragskonforme Entscheidung getroffen. ({0}) Herr Minister Eichel, ich möchte Ihnen dafür danken; denn Sie haben einen großen Anteil an dieser guten Entscheidung. Einige Kollegen aus der Unionsfraktion hielten es für angemessen, das Budgetrecht des Deutschen Bundestags durch öffentliche Erklärungen von gestern und heute um einer billigen Schlagzeile willen einzuschränken. Das war nicht in Ordnung. Ich rate Ihnen: Wenn Sie nun schon darauf verzichten wollen, auf Ihrem Bundesparteitag eine Patriotismusdebatte zu führen, dann reden Sie darüber wenigstens einmal in Ihrem Fraktionsvorstand. ({1}) Warum war diese Entscheidung des Ministerrats sachgemäß und vertragskonform? Art. 104 des EG-Vertrages verpflichtet den Rat, nach Prüfung der Gesamtlage zu entscheiden. Das hat er getan. Prüfung der Gesamtlage heißt: Der Rat muss das ökonomische Gesamtbild, den Hintergrund, würdigen. Dabei muss man als Erstes feststellen: Der Euro ist eine Erfolgswährung. ({2}) Der Euro ist eine der härtesten Währungen überhaupt in dieser Welt. ({3}) Die durchschnittliche Preissteigerungsrate aller Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion liegt bei 2 Prozent. Die niedrigste Preissteigerungsrate überhaupt hat Deutschland mit 1 Prozent. ({4}) Der Außenwert des Euro, Herr Rexrodt, ist nicht nur gegenüber dem Dollar hoch, weil der Dollar derzeit schwach ist; der Euro - das muss man genauso sehen - ist auch gegenüber dem britischen Pfund und dem Schweizer Franken stabil. Hier wurde über Inflationsgefahren im Zusammenhang mit dem Euro und mit der Entscheidung des EUMinisterrats gesprochen, eben zum Beispiel von Herrn Dr. Meister. Das ist unsachgemäß, unverantwortlich und unredlich. Sie wissen es besser, Herr Dr. Meister; Sie reden wider besseres Wissen. ({5}) Die Währung ist stabil. Die Stabilität ist nicht gefährdet. Wenn es in Deutschland und in Europa insgesamt ein Manko gibt, dann ist das ({6}) die Wachstumsschwäche, die wir in Deutschland ({7}) seit zehn Jahren zu beklagen haben, Herr Rexrodt. ({8}) Seit 1993 ist die Wachstumsrate in Deutschland im unteren Drittel der Wachstumsraten in der Europäischen Gemeinschaft. ({9}) Ich sage ja nicht, dass das damit zusammenhängt, dass Sie 1993 Bundeswirtschaftsminister geworden sind. ({10}) Das war nicht Ihnen anzulasten. ({11}) Es ist eine strukturelle Schwäche, die wir überwinden müssen. Wir gehen daran, und zwar mit den Entscheidungen, die der Deutsche Bundestag bereits zur Agenda 2010 getroffen hat: Abbau von Verkrustungen, Reduzierung insbesondere der Lohnnebenkosten, mehr Dynamik für unsere Volkswirtschaft. Wir täten uns und auch unseren Nachbarn in Europa keinen Gefallen, wenn wir den keimenden Aufschwung mit einer Haushaltspolitik kaputtsparen wollten, die ein Übermaß von Restriktion zum Inhalt hat. Es mag ja sein, dass der eine oder andere von Ihnen den Aufschwung nicht will, weil er Ihnen politisch nicht passt - leider hat man den Eindruck -, ({12}) aber wir sind in der Verantwortung, wir werben dafür und werden unsere Kraft dafür einsetzen, dass die deutsche Volkswirtschaft wieder zu Dynamik und Vollbeschäftigung zurückfindet. ({13}) Es entspricht im Übrigen auch dem nationalen Recht, dass wir die Haushaltspolitik von Bund und Ländern am gesamten magischen Viereck und nicht ausschließlich an dem zurzeit überhaupt nicht gefährdeten Ziel der Preisstabilität ausrichten. Bund und Länder sind gefordert. Bund und Länder sind übrigens auch gegenüber Europa gefordert. Die Orientierung „nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Defizit der öffentlichen Haushalte“ bezieht sich auf den Gesamtstaat, nicht allein auf den Bund. 3 Prozent sind bei einem Bruttoinlandsprodukt in Deutschland von rund 2 100 Milliarden Euro gut 60 Milliarden Euro. Der Bund hat in diesem Jahr - leider - ein Haushaltsdefizit von rund 43 Milliarden Euro. Das ist viel; wir beklagen das. ({14}) Das sind 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ({15}) Die Länder haben bisher - Stand: September - ein Defizit von 26 Milliarden Euro. Es ist so gut wie sicher, dass sie am Ende dieses Jahres ein Gesamtdefizit von mehr als 30 Milliarden Euro haben werden. Das sind 1,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Reden Sie also nicht nur über den Bund, sondern reden Sie über den Gesamtstaat! ({16}) Dazu gehören auch die Länder. Die dürfen sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen. Gefragt ist hier der Gesamtstaat, unser föderatives Gemeinwesen. ({17}) Wir entfachen kein Strohfeuer. ({18}) Wir gehen an die strukturellen Ursachen heran, aber wir werden nicht in den keimenden Aufschwung hinein eine restriktive Haushaltspolitik betreiben. ({19}) Es wäre natürlich viel logischer gewesen, Herr Kollege Michelbach, wenn Sie im Laufe der letzten Monate wenigstens ab und an einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts mitgetragen hätten, beispielsweise indem Sie sich am Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen beteiligt hätten. ({20}) Wir, Bund, Länder und Gemeinden, könnten heute besser dastehen. Sie haben sich dem verweigert. ({21}) Der Kollege Merz arbeitet jetzt mit irgendwelchen Ankündigungen, aber es geht nicht darum, irgendwann eine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes und die mittelständischen Unternehmen vorzunehmen, sondern sie muss jetzt kommen. Das Kernstück des Haushaltsbegleitgesetzes, das der Bundestag schon verabschiedet hat, ist die Senkung des Lohn- und Einkommensteuertarifs ab 1. Januar 2004. Ein lediger Arbeitnehmer mit einem Jahreseinkommen von 30 000 Euro brutto ({22}) wird nach diesem Tarif im nächsten Jahr 650 Euro weniger Steuern zahlen als in diesem Jahr und sogar 1 300 Euro weniger als 1998. Eine Familie mit einem Einkommen von 37 000 Euro brutto wird im nächsten Jahr überhaupt keine Steuern mehr zahlen, wenn man das Kindergeld mit einbezieht. Das ist übrigens viel besser als das, was Herr Merz Ihnen ankündigt. Besagte Familie würde schlechter dastehen, wenn Herr Merz sich mit seinen Vorschlägen durchsetzen könnte. ({23}) Ich erinnere daran: Als Sie noch regiert haben, betrug der Spitzensteuersatz 53 Prozent und der Eingangssteuersatz 26 Prozent. ({24}) Der Eingangssteuersatz wird im nächsten Jahr 15 Prozent und der Spitzensteuersatz 42 Prozent betragen. ({25}) Das heißt, auch die mittelständische Unternehmerschaft hat Kraft zu Investitionen. ({26}) Letzte Bemerkung: Herr Michelbach, ich muss Ihnen dennoch ein Kompliment machen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aber Herr Kollege, Ihre Redezeit ist schon überschritten. Ein Satz noch.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der letzte Satz richtet sich an Herrn Michelbach: Sie haben in Ihrem Beitrag das Kunststück fertig gebracht, eine Kampfrede sowohl gegen Herrn Merz als auch gegen Herrn Koch und Herrn Stoiber zu halten, obwohl doch jeder dieser drei Herren etwas anderes erzählt. Herzlichen Glückwunsch!

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege!

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wünsche mir trotzdem, dass die Union noch zu einer Linie findet, deren kleinster gemeinsamer Nenner nicht bloß Blockade lautet. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin Abgeordnete der PDS - auf diesen Satz warten Sie ja immer, also soll er auch heute nicht fehlen. Ich möchte Finanzminister Eichel in Schutz nehmen. ({0}) - Abwarten. ({1}) Er hat sich einem ökonomisch fragwürdigen Pakt widersetzt, und das war richtig. Dass sich Herr Waigel, CSU, als Finanzminister der Regierung Kohl diese starren Regeln hatte einfallen lassen, sagt ja schon viel über seinen unzureichenden ökonomischen Sachverstand aus. ({2}) Ich bin schon erstaunt, dass ich als Sozialistin Ihnen die Marktwirtschaft erklären muss. ({3}) Dieser Pakt war nämlich nicht Ergebnis ökonomischen Sachverstandes, sondern Ausdruck von Arroganz und Überheblichkeit der CDU/CSU-FDP-Regierung, die Angst hatte, die starke D-Mark gegen einen weichen Euro einzutauschen. In all Ihren Reden haben Sie ja heute fast in Form einer stehenden Redewendung das Erbe der D-Mark beschworen. Nun müssen Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, schon die Mühe machen, den Bürgern zu erklären, warum Ihre alte Argumentation - hohe Verschuldung gleich schwacher Euro - offensichtlich nicht stimmt. ({4}) Ich glaube, es ist klar geworden, dass der Stabilitätspakt in der Form, in der er bestand, tot ist und dass über einen neuen Pakt verhandelt werden muss. Das 3-Prozent-Kriterium - das wissen Sie alle - war ja willkürlich gegriffen. Es hätte genauso ein 2,5-Prozent- oder ein 4,5-Prozent-Kriterium geben können. ({5}) Meine Damen und Herren, ich will das Lob für Herrn Eichel nicht übertreiben ({6}) und möchte Ihnen begründen, warum wir den Haushalt 2004 ablehnen. Das wichtigste Argument lautet: Der Haushalt der rot-grünen Regierung ist sozial ungerecht. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, wollen die Steuern für die Reichen senken und sich die Steuerausfälle über Sparmaßnahmen bei den Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern wieder hereinholen. ({7}) - Danke schön, Kollege Fricke, auch das gehört dazu, ebenso die Rentensenkung. Die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen etwa 4,5 Milliarden Euro einbringen. Das entspricht in etwa dem Betrag, der den öffentlichen Haushalten durch die Senkung des Spitzensteuersatzes verloren geht. Die Arbeitslosen sollen also - um das noch einmal klar zu formulieren - die Senkung des Spitzensteuersatzes bezahlen, und das unter Rot-Grün. Meine Damen und Herren, der zweite Ablehnungsgrund ist für uns der Umgang der Bundesregierung und der Regierungskoalition mit Ostdeutschland. Der Haushalt 2004 ist auch ein Dokument zum Stand der deutschen Einheit. Ich darf Sie nur an die Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ erinnern. In einer Nachtund-Nebel-Aktion wurden den ostdeutschen Ländern im Haushaltsausschuss 100 Millionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe gestrichen ({8}) und es war kein Protest der Ostabgeordneten von CDU, SPD, FDP und Grünen zu hören. ({9}) Wir haben, wie Sie wissen, im Osten die erschreckende Situation, dass die Länder gar nicht mehr in der Lage sind, die Kofinanzierung für die Gemeinschaftsaufgabe aufzubringen. ({10}) Die Hilfe des Bundes kann gar nicht mehr ausgeschöpft werden, weil die neuen Länder finanziell ausgeblutet sind. Das heißt, nicht einmal die Hilfe zur Selbsthilfe funktioniert noch. Noch schlimmer trifft den Osten die Kürzung von 3 Milliarden Euro für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit. Herr Gerster ist der Meinung, dass es keinen Sinn mache, einer „verlorenen Generation“ das Geld hinterherzuwerfen. Mit „verlorener Generation“ meint er die jetzt über 50-jährigen Ostdeutschen. Das ist ein himmelschreiender Zynismus, der hier gegeißelt gehört. ({11}) Wie wir nun erfahren haben, ist Herr Gerster aber sehr gern bereit, das Geld einem Medienberater hinterherzuwerfen, Herrn Schiphorst. Ich kenne Herrn Schiphorst schon als Medienbeauftragten von Herrn Diepgen, CDU, damals Regierender Bürgermeister von Berlin. Nach Diepgens Abgang war er leider eine Zeit lang auch noch Medienbeauftragter von Herrn Wowereit. ({12}) Er arbeitete in Berlin als One-Dollar-Man. Es war nicht einfach, ihn loszuwerden, aber letztendlich hatte man es geschafft, Herr Austermann. Ich habe mir damals im Medienausschuss des Abgeordnetenhauses sehr genau die so genannte Konzeption von Herrn Schiphorst angehört und war sofort der Auffassung, dass diese Konzeption wirklich keinen Dollar und auch keinen Euro wert ist. Wie man hört, ist die Konzeption, die er für die Bundesanstalt für Arbeit vorgelegt hat, ähnlich. Jetzt ist also Herr Schiphorst bei Herrn Gerster gelandet und kassiert richtig viel Geld. Ich erwarte, dass Herr Gerster den Vertrag mit Herrn Schiphorst im Haushaltsausschuss offen legt und uns die Konzeption vorstellt, die über 1 Million Euro wert sein soll. Der Wirtschaftsausschuss scheint dafür aus nun bekannt gewordenen Gründen nicht geeignet, war doch der Vorsitzende, Herr Rainer Wend von der SPD, bis heute - heute ist er zurückgetreten - im Aufsichtsrat der WMP AG, der Firma, die Herrn Schiphorst angeheuert hat. ({13}) Auf jeden Fall dürfte es eine gemütliche Ausschusssitzung werden. Herr Müntefering hat gestern geäußert, dass solche Verträge in Millionenhöhe heute üblich sind. ({14}) - Natürlich, da haben Sie Recht, auch Herr Rexrodt ist da drin. Das ist alles ein Filz quer durch die Fraktionen des Hauses. Das war ein guter Einwurf von Ihnen. Daran kann man sehen, dass Sie alle sich da nicht viel nehmen. ({15}) Von den Grünen ist augenscheinlich keiner in diesem Aufsichtsrat. ({16}) - Hier wird gerufen: „kommt noch“; aber - Herr Ströbele, ich nehme Ihren Zuruf gerne auf - Sie möchten in diesem einen Fall Ihre Hände gern in Unschuld waschen. Was den Aufsichtsrat betrifft, haben Sie vielleicht Recht; aber auch Sie haben nicht verhindert, dass derartige Verträge abgeschlossen werden können. Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, dass in diesem Haushalt auf der einen Seite bei den Armen weiter gekürzt wird, aber auf der anderen Seite das Geld mit vollen Händen hinausgeschmissen wird. Auch mit Ihren Zwischenrufen hier haben Sie wenig Einsicht gezeigt. Deshalb werden wir diesen Haushalt ablehnen. Vielen Dank. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Bernhard Brinkmann. ({0})

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Herr Austermann, Ihre Sternstunde ist schon lange vorbei. Und wenn man zum Schluss der heutigen Debatte drankommt, kann man das eine oder andere weglassen oder das eine oder andere noch abräumen. ({1}) Bernhard Brinkmann ({2}) Ich will einmal meine Aussage aus einem Debattenbeitrag im Frühjahr dieses Jahres wiederholen: Wer als haushaltspolitischer und finanzpolitischer Berater des Spitzenkandidaten Steffel so wie Sie hier in Berlin gescheitert ist, sollte den Mund in der Frage nicht so voll nehmen. ({3}) Wenn man so wie Sie vorgeht, dann muss man auch damit leben, dass das ab und zu, wie man im Tennis sagt, retourniert wird. ({4}) Leider ist der Kollege Rexrodt nicht mehr da. Er hat in seinem Redebeitrag von diesem Platz aus wiederholt ausgeführt: „ein finanzpolitisches Desaster“. Ich habe während dieser Rede aufmerksam zugehört und darüber nachgedacht, dass ja zumindest die Frage erlaubt sein muss: Wann ist der Grundstein für dieses finanzpolitische Desaster gelegt worden? ({5}) Ich glaube, dass zumindest der Kollege Rexrodt oder die FDP - das Wort „Sie“ also klein und groß geschrieben über Jahrzehnte hinweg eigentlich immer dabei war, als der Grundstein für dieses finanzpolitische Desaster gelegt wurde. ({6}) Man darf bei der gesamten Debatte auch eines nicht vergessen: Die von Ihnen zu verantwortende falsche Finanzierung der Kosten der deutschen Einheit hat dazu geführt, dass wir bei Regierungsantritt im Jahre 1998 eine Rekordverschuldung von 1,5 Billionen DM übernommen haben, für die wir auch heute noch die entsprechenden Zins- und Tilgungslasten zu tragen haben. ({7}) Wenn der Kollege Michelbach von Steuererhöhungen spricht - das hat er auch im Frühjahr bei der Debatte über den Haushalt 2003 getan -, dann muss er sich schon entscheiden, ob er für den Abbau von Steuervergünstigungen und letztendlich auch für das Streichen von Subventionen ist, ({8}) wie das auch Herr Merz vorgeschlagen hat und wie das auch Herr Koch gemeinsam mit dem Ministerpräsidentenkollegen Steinbrück vorgeschlagen hat. Es stellt sich die Frage, ob er diese Rede nicht, wie es der Finanzminister gesagt hat, vor einem Jahr hätte halten sollen. ({9}) Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie mit dabei sein wollen, wenn es konkret wird. Hier im Deutschen Bundestag haben Sie das jedenfalls nicht ausgeführt. ({10}) Ich bin gespannt auf das Ergebnis der Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Ich will nun nicht all die Steuererhöhungen wiederholen, die Sie während Ihrer Regierungszeit auf die Reise geschickt haben, ({11}) weil Sie nämlich mit Ihren Versprechungen, die deutsche Einheit aus der Portokasse zu finanzieren, wirklich ein Desaster angerichtet hatten. ({12}) Ich nenne nur 50 Pfennig Mineralölsteuer, ohne dass etwas über gesunkene Rentenversicherungsbeiträge zurückgeflossen ist. ({13}) - Richtig. Dann machen Sie doch jetzt auch einmal mit bei dem Subventionsabbau, den wir vorgeschlagen haben. Machen Sie doch auch einmal mit und sagen Sie, was Sie denn gern möchten. ({14}) Dann haben Sie uns ganz dicht an Ihrer Seite. Sie nehmen, Herr Kollege Feibel, an den Beratungen im Haushaltsausschuss einfach nicht teil, Sie ziehen sich ins Schneckenhaus zurück und irgendwann präsentieren Sie dann in einer Bereinigungssitzung über Nacht etwa 300 Anträge ohne jeglichen finanzpolitischen Hintergrund, nur mit der Formulierung „Erörterungsbedarf“, die auf jedem Blatt deutlich ausgedruckt ist. Die Möglichkeit zur Erörterung hatten Sie über mehrere Wochen in den Sitzungen des Haushaltsausschusses, Sie haben sie als Opposition nicht wahrgenommen. ({15}) - Die FDP, Herr Kollege Fricke, nehme ich dabei ganz bewusst aus. Vielen Dank für den Zwischenruf. Ich hätte aber auch noch gesagt, dass Sie konkrete Einsparvorschläge in den Haushaltsberatungen unterbreitet haben. ({16}) Übrigens will ich in aller Deutlichkeit noch etwas zum Versicherungssteuersatz sagen: Geerbt haben Sie 1982 einen Satz von 5 Prozent, hinterlassen haben Sie der neuen Bundesregierung einen Satz von 15 Prozent. Der Satz wurde also verdreifacht. Auch das war eine Bernhard Brinkmann ({17}) massive Steuererhöhung, die Sie vornehmen mussten, um die Kosten der deutschen Einheit zu finanzieren. ({18}) Über die Höhe des Eingangssteuersatzes und des Spitzensteuersatzes, Herr Kollege Feibel, hat mein Kollege Spiller bereits entsprechende Ausführungen gemacht. ({19}) Ich will auch noch einmal zurückkommen auf die Verhandlungen der letzten Nacht in Brüssel. Dass Ihnen das Ergebnis nicht schmeckt, weil Sie mit einer anderen Schlagzeile gerechnet haben, ähnlich wie seinerzeit bei anderen Reformen, wo man sich dann zumindest bei Gesundheit in einer großen Koalition auf entsprechende Entscheidungen und schmerzliche Eingriffe verständigt hat, das verstehe ich ja. Ich bin aber unserem Finanzminister dankbar, dass er dieses Ergebnis erzielt hat. Es führt nämlich dazu, dass sich der leise beginnende Aufschwung fortsetzen kann. Dazu ist aber auch zwingend erforderlich, dass Sie dem Vorziehen der Steuerreform zustimmen. Herr Kollege Austermann, wer so wie Sie am Schluss Ihrer Rede bemängelt, dass Stellen ausgeweitet worden sind - ich beziehe mich auf den Einzelplan 08 des Bundeshaushalts -, der sollte auch darauf hinweisen, warum es diese Stellenausweitung geben muss. Es geht dabei nämlich um die aktive Bekämpfung der Schwarzarbeit in Deutschland. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass das sinnvoll ist. Wenn Sie Tag für Tag landauf, landab in der Öffentlichkeit für dieses Ziel eintreten, dann sollten Sie hier diese Stellenausweitung nicht dazu missbrauchen, davon abzulenken, dass Sie bis heute keinen konkreten Vorschlag zum Sparen vorgelegt haben. ({20}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte, die heute zum Einzelplan 08 „Finanzen“ und darüber hinaus zur Finanzpolitik insgesamt geführt worden ist, macht deutlich, dass der Ball in Ihrem Spielfeld liegt. Sie müssen nun konkrete Vorschläge unterbreiten respektive das unterstützen und mitbeschließen, was wir Ihnen vorgeschlagen haben. Ich fordere Sie auf, das zu tun. Stimmen Sie diesem Haushalt zu! Dann wäre es ein guter Abend für Deutschland. Schönen Dank. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Königshofen. ({0})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am Ende der heutigen Debatte muss man noch einmal in Erinnerung rufen, dass laut Emnid nur noch 16 Prozent der Bürger der Finanzpolitik der Regierung vertrauen. ({0}) Herr Eichel, die überwältigende Mehrheit hält Ihre Haushalts-, Finanz- und Steuerpolitik für unseriös. ({1}) Das hat zwei Gründe. Zum einen haben die Bürger Ihr Unvermögen erkannt. Ihre Haushalts- und Finanzpolitik besteht für sie nur noch aus dem notdürftigen Stopfen gerade auftretender Finanzlöcher. Eine durchdachte Strategie zur Lösung der Haushaltskrise kann man nicht erkennen. ({2}) Zum anderen glauben die Menschen Ihren leeren Versprechungen nicht mehr. ({3}) Zum dritten Mal in Folge - das ist hier schon mehrfach angeklungen - wird Deutschland das Defizitkriterium des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht einhalten. Noch im Finanzbericht 2003 hat Herr Eichel den Bürgern versprochen, 2006 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. Davon muss er bekanntlich Abschied nehmen. Jetzt ist Herr Eichel stolz, wenn er für 2004 mit seiner Nettokreditaufnahme knapp unter 30 Milliarden Euro bleibt. Herr Bundesfinanzminister, ich habe mir vorhin Ihren Auftritt angeschaut. Eigentlich müssten Sie in Sack und Asche gehen, ({4}) anstatt Ihre marode Politik in dieser dreisten Form zu verteidigen. Mich jedenfalls wundert es nicht, dass der Regierung niemand mehr glaubt, wie überhaupt das Vertrauen in die Regierung Schröder weiter zurückgeht. Die SPD als größte Regierungspartei liegt bei 25 Prozent, Tendenz weiter fallend. ({5}) Es geht aber nicht nur um das Ansehen der Regierung Schröder in Deutschland. Es geht auch um das Ansehen Deutschlands in Europa und der Welt. ({6}) Bis 1998, Herr Poß, galt Deutschland international als verlässlicher Partner. Deutschland wurde gerade wegen seiner seriösen Haushalts- und Finanzpolitik im Ausland bewundert. Wir Deutsche waren es, die bei den Verhandlungen zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt auf strenge Kriterien gedrängt haben. ({7}) Wir wussten: Nur mit Haushaltsdisziplin kann man auf Dauer Wachstum sichern. Damals wollten wir uns vor allem vor der laschen Haushaltspolitik unserer südeuropäischen Partnerländer schützen. Mittlerweile sind die Verhältnisse umgekehrt. Heute sind wir diejenigen, die die Kriterien verletzen. Heute müssen wir uns von unseren Partnern und der Europäischen Kommission mahnen lassen. Es gelingt nur mit großen Tricks, Schlimmeres abzuwenden. Rot-Grün hat es innerhalb von fünf Jahren geschafft, Deutschland vom ersten auf den letzten Platz in Europa zu führen, sozusagen von der Tabellenspitze in die Abstiegszone. ({8}) - So ist es. - Das ist nicht nur für Deutschland eine schlimme Sache. Als die größte und wichtigste Volkswirtschaft in Europa tragen wir über Deutschland hinaus Verantwortung. Da hilft auch kein Verweis auf Frankreich. Wer soll sich denn in Zukunft an die Vorgaben des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes halten, wenn wir es nicht tun? ({9}) Ich kann daher nur unterstreichen, was die Wirtschaftsweisen in ihrem Gutachten 2003 zum Stabilitätspakt festgestellt haben - ich hoffe, dass Sie zumindest diesen Herren glauben -: Wenn die Staaten des Euroraumes verkennen, dass ein solides Haushaltsgebaren nach den Regeln des Paktes im gegenseitigen Interesse aller Beteiligten liegt, dann wird er - das heißt, der Pakt langfristig nicht überleben, mit bedenklichen Folgen für die Stabilität der gemeinsamen Währung. Sie verweisen im Augenblick auf den stabilen Euro. Dazu sage ich: Wir werden in ein oder zwei Jahren wieder über dieses Thema sprechen, wenn Sie Ihre Politik nicht ändern. Nun wird in dieser Debatte von Ihnen immer behauptet, dass wir keine Einsparungsvorschläge machen. Sie und ich wissen, dass das nicht stimmt. Abgesehen davon verkennen Sie, dass uns die Wähler verschiedene Aufgaben zugewiesen haben. Sie haben bei der Bundestagswahl 2002 erneut den Regierungsauftrag erhalten. ({10}) Das ist sehr bedauerlich; aber es ist nun einmal so. Das heißt, dass Sie einen ordentlichen Haushalt vorlegen müssen. Das heißt, dass Sie entsprechende Sparvorschläge machen müssen. ({11}) Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind und wenn Sie keine Mehrheit dafür finden, dann sollten Sie nicht lauthals nach der Opposition rufen. Das Beste wäre, Sie träten einfach zurück. ({12}) Eine Regierung, die ihre Politik nicht durchsetzen kann, muss zurücktreten. Das ist das Normalste der Welt. ({13}) Im Übrigen, noch so gut gemeinte Sparvorschläge von uns können doch Ihre Versäumnisse und Fehlleistungen gar nicht wettmachen. ({14}) Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Bundeskanzler Schröder vor 14 Tagen auf dem Steinkohletag mal soeben eine Förderung in Höhe von 16 Milliarden Euro versprochen hat. Durch Ihr politisches Missmanagement fehlen uns im nächsten Jahr, wenn man nur die ersten sechs Monate heranzieht, Mauteinnahmen in Höhe von mindestens 1 Milliarde Euro. Das haben Sie zu vertreten, doch nicht die Opposition. ({15}) Auch in diesem Jahr fehlen schon 624 Millionen Euro; darüber wird immer sehr leicht hinweggegangen. Sie sollten einmal zusammenrechnen; das sind mehr als 1,5 Milliarden Euro. Herr Poß, in Gelsenkirchen würde man sagen: Da muss eine alte Frau lange für stricken. ({16}) Angesichts solcher Tatsachen ist es schon dreist, uns aufzufordern, die von Ihnen verursachten Haushaltslöcher zu stopfen. Sie wollen damit - das ist der tatsächliche Grund - doch nur von Ihrem Versagen ablenken. ({17}) Das Kernproblem aber ist, dass Sie es nicht schaffen, für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum zu sorgen. Sie schaffen es auch 2004 nicht, die Wirtschaft anzukurbeln. In Deutschland werden wieder rund 4 Millionen Menschen arbeitslos sein. Sie wissen doch: Nur 100 000 Beschäftigte mehr bringen in Bezug auf Steuern und Sozialversicherungsbeiträge Mehreinnahmen in Höhe von rund 2 Milliarden Euro; ganz zu schweigen von den Einsparungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe. Machen Sie also eine vernünftige Wirtschaftspolitik! Dann wird sich ein Großteil Ihrer Sorgen von selbst erledigen. Ohne vernünftige Wirtschaftspolitik sind keine soliden Staatsfinanzen zu garantieren. Ich habe den Eindruck, es gelingt Ihnen nicht. Sie können es nicht. Deswegen bleibt auch Ihr Haushaltsentwurf Makulatur. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaas Hübner. ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In schwierigen Zeiten - und wer wollte angesichts von drei Jahren Stagnation und der anhaltenden demographischen Probleme unseres Landes leugnen, dass es schwierige Zeiten sind - zeigt sich normalerweise der wahre Charakter von handelnden Personen. ({0}) Vor diesem Hintergrund möchte ich das Prozedere der Haushaltsberatungen nachzeichnen. Jeder Einzelplan, also jedes einzelne Budget, wird im Vorfeld der Haushaltswoche ausführlichst im Haushaltsausschuss beraten. Dies sind der Ort und der Zeitpunkt, seine eigenen Änderungsvorschläge, seine Verbesserungsvorschläge einzubringen, zu debattieren und abschließend abzustimmen. ({1}) Die Koalitionsfraktionen und auch die FDP haben dieses Königsrecht des Parlamentes im Ausschuss entsprechend in Anspruch genommen, nicht dagegen die CDU/CSU-Fraktion. Sie haben nicht einen einzigen Antrag eingebracht, was schon allein für eine gewisse Fantasielosigkeit spricht. Sie haben es nicht einmal geschafft, sich im Rahmen der Abstimmungen über die von uns und der FDP eingebrachten Anträge ein eigenes Votum zu bilden. Im weiteren Verlauf des Verfahrens haben Sie jedoch in Aussicht gestellt, in der Bereinigungssitzung mit großen, massiven Sparvorschlägen aufzuwarten. In der Tat haben Sie am Vorabend der Bereinigungssitzung 300 so genannte Änderungsanträge eingebracht. Wir waren sehr gespannt. Kein einziger Antrag war dann mit Zahlen hinterlegt. Ich habe einmal wahllos vier Anträge herausgegriffen, um das öffentlich zu belegen. Sie haben zum Beispiel Erörterungsbedarf zum Einzelplan 01, Geschäftsbereich des Bundespräsidenten und des Bundespräsidialamtes, zum Titel „Einnahmen aus Sponsoring, Spenden und ähnlichen freiwilligen Geldleistungen“ angemeldet. Wir haben diesen Titel mit Null eingestellt, was ich auch für angemessen halte. Wollen Sie ernsthaft den Bundespräsidenten mit dem Hut in der Hand durch die Gegend schicken, damit er Geld einsammelt? ({2}) Des Weiteren haben Sie in einigen Anträgen völlig darauf verzichtet, Einzeltitel zu nennen. Auf den Drucksachen 15/1456 und 15/1149 haben Sie zur Bundeswertpapierverwaltung und zum Bundessozialgericht ganz allgemein Erörterungsbedarf angemeldet. Sie können doch nicht ernsthaft diese Institutionen allgemein einem Erörterungsbedarf unterziehen. Das ist keine solide Haushaltspolitik. Sie haben wahllos Anträge zusammengeschustert, um einen Tätigkeitsnachweis für sich und andere zu erbringen. ({3}) Sie haben all diese Anträge dann richtigerweise am Morgen der Bereinigungssitzung wieder zurückgezogen und das 300-seitige Antragspaket damit erst recht als ein Dokument der geballten Ratlosigkeit entlarvt. ({4}) Dass Sie sich angesichts dieser Kraftanstrengung bezüglich der Anträge nicht mehr in der Lage sahen, wenigstens bei den Abstimmungen Ihr Votum abzugeben, ist nur noch eine Petitesse. Hier zeigt sich - damit komme ich zurück auf meine Eingangsbemerkung - die Hilflosigkeit der CDU/CSU in Haushaltsangelegenheiten. Sie haben damit dem Parlamentarismus insgesamt einen Bärendienst erwiesen. Wir haben uns in Oppositionszeiten immer als eine Regierung im Wartestand verstanden. Angesichts dieser Haushaltsberatungen muss man sagen: Sie sind eine Opposition in einem lethargischen Ruhestand. ({5}) Der Bundeshaushalt 2004 muss zwei großen Anforderungen gerecht werden. ({6}) Er muss auf der einen Seite die Konsolidierung fortsetzen, er muss auf der anderen Seite aber auch alles dafür tun, Konjunktur und Wachstum wieder in Gang zu bringen. Insbesondere das Vorziehen der Steuerreform soll den aufkeimenden Aufschwung stabilisieren und alle Bürger unseres Landes und insbesondere die Familien nennenswert entlasten. ({7}) Selbst Sie bestreiten nicht, dass das Vorziehen der Steuerreform einen positiven konjunkturellen Effekt hätte. Sie halten ihn nur für relativ gering. ({8}) Aber wann denn, wenn nicht jetzt, bei all den Anzeichen eines aufkeimenden Aufschwungs, sollen wir Maßnahmen ergreifen, die dazu dienen, diesen Aufschwung zu stabilisieren? Geben Sie in den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss Ihrem Herzen einen Stoß und stimmen Sie dem Vorziehen der Steuerreform zu. ({9}) Wir haben bei der Aufstellung des Haushalts natürlich die im Rahmen der Agenda 2010 geplanten Gesetzesvorhaben berücksichtigt. Wir haben so gehandelt wie jeder solide Unternehmer, der bei einer Vorausschau sein Unternehmen betreffend die Maßnahmen, die er eingeleitet hat, um bessere Ergebnisse zu erzielen, in seine Zahlen mit einfließen lässt. Im Etat 2004 wird daher deutlich, dass mit der Durchsetzung der Strukturreformen der Agenda 2010 bis zum Jahresende insbesondere die Bereiche Bildung, Innovation und Familie in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns treten. Als Beispiele einige wenige Fakten: Wir haben dafür gesorgt, dass wir keine Abstriche beim Investitionsprogramm zum Ausbau der Ganztagsschulbetreuung machen. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt in der Familienpolitik. ({10}) Wir haben eine Erhöhung der Mittel für die großen Forschungseinrichtungen in Höhe von drei Prozent vorgesehen. ({11}) Wir haben die Erfolgsgeschichte der BAföG-Reform und des Meister-BAföGs durch eine entsprechende Ansatzerhöhung von 61 Millionen Euro im Haushalt trotz schwieriger Haushaltslage abgerundet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Präsident. - Wir haben durch das Vorziehen der Steuerreform für eine nennenswerte steuerliche Entlastung gerade auch der Familien gesorgt. Das Fazit der Haushaltsberatungen kann daher nur lauten: Wir von der Regierungsseite wollen und können gestalten. Die CDU/CSU dagegen will nicht gestalten. Daher ist es gut, dass Sie, da Sie im Bundestag keine Mehrheit haben, auch nicht gestalten können. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Einzelplan 08 - Bundesministerium der Finanzen - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 08 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. ({0}) Abstimmung über den Einzelplan 20 - Bundesrechnungshof - in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 20 ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003, Drucksachen 15/1925 und 15/1990. Der Haushaltsausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1926, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/ CSU und FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit gleichem Stimmenverhältnis angenommen. Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 15/1838 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel: „Nachtragshaushalt umgehend vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/1218 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 5 auf: Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung - Drucksachen 15/1918, 15/1921 Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Schneider Ilse Aigner Dr. Günter Rexrodt Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor, über den wir am Freitag nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als erster Redner hat der Kollege Klaus-Peter Willsch von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({1})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Bulmahn, den StabilitätspaktsBeseitigungsminister Eichel wollte ich auch noch begrüßen, aber er hat das Feld schon geräumt. Mit den Stimmen der Regierungskoalition hat der Bundestag gerade den Offenbarungseid rot-grüner Regierungspolitik verabschiedet. ({0}) Nichts anderes ist der Nachtragshaushalt für 2003: eine Demonstration und der Beweis, dass die Bundesregierung es einfach nicht kann. Falsche Signale, falsche Weichenstellungen, falsche Schlüsse und falsche Entscheidungen - dies prägt die rot-grüne Politik. Damit haben Sie unser Land in die schwerste haushaltspolitische Krise seit dem 2. Weltkrieg geführt. Man kann es auf eine einfache Formel bringen: Rot-grünes Durcheinander plus ein total überforderter Bundesschuldenminister Eichel ergibt den Nachtragshaushalt 2003. Oder wie wollen Sie eine Steigerung von 130 Prozent, also - in Zahlen - von 18,9 auf 43,4 Milliarden Euro, sonst nennen? ({1}) Wenn Sie aus Ihren Fehlern wenigstens lernen würden. Aber auch für den Haushalt 2004 gilt: Wunschvorstellungen als Schätzgrundlage, Gesundbeten statt präziser Diagnose und anschließend richtiger Therapie, Ausblenden der Wirklichkeit und Beschimpfung der Opposition. Das ist alles, was Rot-Grün einfällt. ({2}) Mit Parteitagsbeschlüssen, die Sie fassen lassen, um Mehrheiten für Ihren Bundesgeschäftsführer und Ihren Generalsekretär zu sichern und den linken Flügel ein wenig zu befriedigen, verunsichern Sie zusätzlich. Sie erhöhen die Erbschaftsteuer, Sie beschließen die Bürgerversicherung und eine Ausbildungsplatzabgabe und Sie verunsichern diejenigen systematisch, die in unserem Land investieren könnten, wodurch Sie die Lage in diesem Land noch weiter verschlechtern. Aufgrund Ihrer hartnäckigen Weigerung, die Wirklichkeit in unserem Lande wahrzunehmen, und aufgrund des von Ihnen vorgelegten Märchenbuches - ein solches ist der von Ihnen vorgelegte Haushaltsplanentwurf 2004 - würde es sich eigentlich verbieten, ihn zu beraten. Sie beharren darauf. Deshalb müssen wir uns dem natürlich auch stellen. ({3}) Wir werden uns zu diesem Thema in Kürze aber wiedersehen, dann nämlich, wenn der Vermittlungsausschuss seine Ergebnisse vorlegt. Es ist ja nun nicht so, wie es Herr Poß heute gesagt hat, dass dort nur über ein paar Petitessen geredet würde. Wir reden über 10 Prozent des Haushaltsvolumens. ({4}) Das sind keine Kleinigkeiten, das ist eine fundamentale Größe für diesen Haushalt. Es wäre der richtige Weg gewesen, das Ergebnis abzuwarten und das Verfahren solange auszusetzen. ({5}) Sie kennen die einzelnen Punkte. Es schmerzt Sie, wenn man diese aufzählt, weil sie das Versagen Ihrer Politik immer wieder deutlich machen. Wir rechnen mit insgesamt gut 20 Milliarden Euro, die offen und heute nicht abschließend beratbar sind. In Ihrem Haushaltsplanentwurf befinden sich Risiken, die heute noch nicht abschätzbar sind. Sie rechnen es schön, schätzen zu positiv und werden mit diesem Haushaltsplan erneut eine Bauchlandung hinlegen. Ich kann meinen Sprecher, Dietrich Austermann, nur zitieren, der bei der Einbringung hier gesagt hat: Die rot-grünen Beschlüsse zum Haushalt 2004 steigern die Unseriosität der eichelschen Haushaltspolitik ins Groteske. Dieser Haushalt hat keine zusätzlichen Perspektiven für Wachstum und Beschäftigung und führt ins nächste Krisenjahr. Wenn es bei den von Rot-Grün vorgeschlagenen Änderungen bleibt, haben wir im nächsten Jahr bereits im Soll einen verfassungswidrigen Haushalt und im Ist wird die Neuverschuldung auf ein historisches Höchstmaß steigen. ({6}) Dem ist bei der Betrachtung des Gesamthaushaltes nichts hinzuzufügen. Frau Minister, kommen wir nun zum Einzelplan 30. Diesem Einzelplan liegen natürlich die gleichen falschen Voraussetzungen wie den Gesamtwerten zugrunde. Auch im Fachressort ist festzustellen: falsche Signale, falsche Weichenstellungen, falsche Schlüsse und falsche Entscheidungen. Was für die gesamte rot-grüne Politik gilt, gilt auch für das Bildungsressort. Frau Bulmahn, unser Eindruck ist inzwischen: Sie können es nicht. ({7}) Sie bringen nicht den Mut auf, für Ihr Ressort zu kämpfen. Sie gefallen sich in der Öffentlichkeit in der Rolle der großen Vorkämpferin für Bildung und Forschung, am Kabinettstisch aber kuschen Sie, wenn der Kanzler nur die Augenbraue hochzieht. ({8}) - Sie wissen das wahrscheinlich noch besser als ich, ich vermute es nur. Sie tricksen herum und reden das kümmerliche Werk, das Sie vorlegen, noch schön. Sie täuschen ein Wachsen des Haushaltsansatzes vor, indem Sie die Mittel für die Einrichtung von Ganztagsschulen, die eine vorübergehende Finanzhilfe für die Länder darstellen, systemwidrig einrechnen. Sie sind im Einzelplan 60 veranschlagt. ({9}) Sie wissen genau, dass das Budget für Bildung und Forschung in Ihrem Entwurf sinkt, wenn Sie diese Komponenten nicht einrechnen. Um Ihren Einzelplan in der weiteren Argumentation historisch schönzurechnen, berücksichtigen Sie die Sondereffekte aus den UMTS-Erlösen nicht, damit nicht deutlich wird, dass die Mittel nicht mehr, sondern weniger werden. Frau Bulmahn, Sie machen mit dieser Blenderei dem Kanzler Konkurrenz. Wenn wir redlich miteinander diskutieren, werden Sie zugeben müssen, dass die Projektförderung um circa 8 Prozent gekürzt wird. Da der Kanzler nicht zweimal hintereinander sein Wort brechen wollte, hat die institutionelle Förderung in diesem Jahr den zugesagten Aufwuchs erhalten. Sie wissen aber, dass es nicht gut ist, wenn sich das Verhältnis zwischen Projektförderung, deren Mittel prozentual gekürzt werden, und der institutionellen Förderung, deren Mittelansatz erhöht wird, verschiebt. Die Mittel müssen in beiden Bereichen aufgestockt werden. Sie rechnen Ihren Einzelplan mit den 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung schön. Nun sehen wir, wie begeistert dieses Programm im Lande aufgenommen wird. ({10}) Obwohl alles in trockenen Tüchern ist, legen Sie große PR-Programme auf. Mit den Ländern ist besprochen, wie die Mittel eingesetzt werden sollen. Es ist zwar schön, wenn Betreuungsmöglichkeiten an Schulen geschaffen werden, aber das ist nicht Ihre Aufgabe, dafür sind Sie nicht zuständig. Das erklärt Ihren Kunstgriff mit dem Einzelplan 60, weil diese Mittel in Ihrem Etat überhaupt nichts verloren haben. Gleichwohl rechnen Sie sie immer mit ein, um nachzuweisen, wie sehr Sie sich in diesem Lande um Bildung und Forschung bemühen. Sie sind Forschungsministerin, nicht Suppenküchenministerin in Deutschland, das muss endlich wieder deutlich werden. ({11}) Als Haushälter kann ich nur anmerken: Die nächste Sperre kommt bestimmt. Unzählige Risiken kommen gerade mit diesem Makulaturhaushalt auf uns zu. Diese sind bei Ihnen schon System geworden; denn durch den Eingriff in den Haushaltsvollzug korrigieren Sie das, was zunächst wegen mangelndem Sachverstand oder wegen Schönfärberei bewusst falsch veranschlagt wurde. Sie treten damit das Budgetrecht dieses Parlaments mit Füßen. Was hat denn eine Beratung im Haushaltsausschuss oder im Parlament noch für einen Wert, ({12}) wenn Sie im Anschluss nach Gutdünken all das zusammenwursteln, was Sie sich zusammenphantasiert haben - es wird jedoch wie ein Kartenhaus zusammenbrechen -, das kündigen wir Ihnen schon heute an -, nur um am Ende mit irgendeiner Zahl aufzuwarten? Sie wissen, dass das nicht gut ist. Sie wissen, dass dies eine Missachtung des Parlaments ist. Aber Sie gehen diesen Weg weiter. ({13}) Kommen wir - Herr Carsten Schneider hat nachher noch Gelegenheit, darauf zu erwidern - zur globalen Minderausgabe. Dort ist es genau das Gleiche: Sie missachten das Parlament. Mit 145 Millionen Euro ist die globale Minderausgabe viel zu hoch veranschlagt. 5 Prozent der Projektfördermittel mag angehen, aber Sie liegen deutlich darüber. Das ist einmal mehr der Versuch, all das, was im parlamentarischen Verfahren nicht durchgesetzt werden kann, durch die kalte Küche durch Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe zu korrigieren. Ich wundere mich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen, dass Sie sich das gefallen lassen. Das ist ein Umgang, den man sich auch als Mehrheitsfraktion von der Regierung nicht gefallen lassen sollte. ({14}) Nehmen Sie den Hochschulbau. Die drastische Kürzung um 135 Millionen Euro bedeutet das Aus für zukünftige Maßnahmen und gefährdet laufende Maßnahmen. Es ist für die Länder nicht leicht, ihren Mitfinanzierungsanteil zu erbringen, weil die Steuereinnahmen - wegen der miesen Politik, die Sie machen weggebrochen sind. ({15}) - Natürlich ist das so. Schauen Sie sich einmal die Situation in Ihren Ländern an. - Sie bringen damit Wissenschafts- und Forschungsfortschritt in diesem Land zum Erliegen. Kommen wir zum BAföG. Nun haben Sie beim BAföG im Bereinigungsgespräch nachgelegt. Sie rühmen das, obwohl das nur der Vollzug einer gesetzlich festgelegten Geldzahlung ist. Sie haben einfach nachgerechnet. Jetzt rühmen Sie sich, Sie hätten den Bildungsund Forschungshaushalt hochgefahren. Warum werden die Zahlen beim BAföG denn höher? - Weil in immer mehr Familien der Haushaltsvorstand arbeitslos am Tisch sitzt und die Kinder in die BAföG-Berechtigung hineinkommen. ({16}) Die Kinder bekommen wegen Ihrer miesen Politik keinen Ausbildungsplatz und drehen noch eine Runde in der Schule. Deshalb gehen die Zahlen so nach oben. ({17}) Frau Bulmahn, auf der anderen Seite kürzen Sie den Etat für das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern, weil die Situation dort so rosig ist, um 6 Millionen Euro. Auch das verstehe, wer will. Ich glaube, Sie müssen sich wirklich ernsthaft mit den Themen beschäftigen, die auf der Hand liegen. Wir wollen von Ihnen als Bundesforschungsministerin wissen: Womit werden wir denn in Deutschland in zehn oder zwanzig Jahren unser Geld verdienen? Sie sollten daher entsprechende Projekte fördern. ({18}) Wir wollen von Ihnen wissen, ob wir in zehn oder in 20 Jahren im Schlagschatten von Windmühlen im Kreis laufen und Weltmeister im Gender Mainstreaming sind oder ob wir neue Verfahren und neue Produkte entwickeln, die wir auf den Markt bringen und mit denen wir in Deutschland Geld verdienen können. ({19}) Ich zitiere aus der „Welt“: „Europa drängt stärker ins All“. Wie wollen Sie denn mithalten, Frau Ministerin, wenn im Ministerrat besprochen wird, dass man sich in dem Bereich stärker engagieren will? Sie haben für das nationale Programm jetzt eine Dotierung vorgesehen, die Jahr für Jahr abgeschmolzen wird. Sie wissen genau, dass durch zurückgehende Förderung in diesem Bereich Arbeitsplätze zerschlagen werden. Jeder Euro, den Sie nicht investieren, kostet bei uns unmittelbar Arbeitsplätze, weil es keinen anderen Auftraggeber in diesem Bereich gibt. Auf der anderen Seite legen Sie „Braindrain-Programme“ auf, mit denen Sie versuchen, junge Menschen, die hier keine Perspektive mehr sehen - weil Sie so handeln, wie Sie handeln -, mühsam wieder aus dem Ausland zurückzuholen. Das passt nicht zusammen, wie alles in der rot-grünen Politik. ({20}) Das ist von vorne bis hinten ein Krampf. Sie könnten diesem Land - ich sehe, dass es hier blinkt und ich langsam aufhören müsste - einen großen Gefallen tun, wenn Sie - nach dem, was wir heute erlebt haben und was Herr Eichel mit dem Stabilitätspakt angerichtet hat -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben selbst gesagt, dass Sie sehen, dass es blinkt. Kommen Sie also bitte auch zum Schluss.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich sehe, was Sie mit der Forschungslandschaft in Deutschland anrichten, dann stelle ich fest, dass es ein Segen für dieses Land wäre, wenn Sie endlich abtreten würden. ({0}) Ein besseres Beschäftigungsprogramm für Deutschland gäbe es nicht. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Carsten Schneider von der SPD. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Willsch hat ja ansatzweise auch über den Haushalt des Ministeriums für Bildung und Forschung gesprochen. Das, was er dazu sagte, hat sich in das Gesamtbild eingeordnet, das die CDU/CSU während der Haushaltsberatungen geboten hat: Es war substanzlos und ohne jeden Hoffnungsschimmer - den man als Regierungsfraktion noch hat -, vielleicht etwas daraus lernen und seine eigene Entscheidung überprüfen zu können. ({0}) Sie haben sich groß und breit über die Generalpolitik ausgelassen, die Sie durch Ihre Politik im Bundesrat leider mit zu verantworten haben und die sich im Bundeshaushalt niederschlägt. Deswegen will ich ganz kurz einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem machen, was Sie angesprochen haben. Auch der Haushalt für Bildung und Forschung ist in die Konsolidierungsbemühungen des Bundes eingebunden. Auch wir sind in der Verantwortung, nicht nur einen soliden Haushalt aufzustellen, sondern auch Wachstumsimpulse zu geben, die wir dringend benötigen und ohne die es - das haben die letzten drei Jahre gezeigt - keine dauerhafte Konsolidierung gibt. Diese Erkenntnis haben der Rat der europäischen Wirtschaftsund Finanzminister, der IWF, die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen. Wer sie nicht hat, ist die Opposition. Was Sie machen, ist töricht. Sie werfen dem Finanzminister auf der einen Seite vor, nicht ausreichend zu sparen, sind aber auf der anderen Seite diejenigen, die das Sparen verhindern. ({1}) Ich erinnere mich an das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Sie haben damals das Scheitern dieses Gesetzes als Ihren Erfolg verkauft, merken aber jetzt, wie negativ sich das auf die Konsolidierungsbemühungen der Landeshaushalte und des Bundeshaushalts auswirkt. ({2}) Sie haben auch im Vermittlungsausschuss eine große Verantwortung. Ich kann nur hoffen, dass Sie dieser Verantwortung gerecht werden, denn eine Ablehnung der Reformgesetze im Vermittlungsausschuss würde die Union als eine Partei erscheinen lassen, die über Patriotismus diskutieren muss, weil sie nicht mehr weiß, was Patriotismus ist. ({3}) Warum sonst stellen Sie sich nicht Ihrer Verantwortung, gerade wenn es um die Staatsfinanzen geht? Das müsste doch Ihnen als staatstragender Partei ein Grundanliegen sein. Nein, Sie betreiben Blockadepolitik und Ablehnung. Ich komme zum Haushalt für Bildung und Forschung. ({4}) Ich wiederhole mich an dieser Stelle nur ungern. Ich habe in der ersten Lesung gesagt, dass der Haushalt für Bildung und Forschung im Jahr 2004 wieder ein Rekordhaushalt sein wird. Das ist so. ({5}) Die Koalitionsfraktionen haben den Haushalt noch einmal gesteigert. Insgesamt stehen 9,7 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung. Das ist ein Plus von 6,6 Prozent gegenüber 2003. Es ist fast ein Drittel mehr als 1998, ({6}) und das unter den schwierigen haushaltspolitischen Bedingungen. ({7}) Wahr ist, dass zu diesem Aufwuchs zum großen Teil das Ganztagsschulprogramm beigetragen hat, dessen Ansatz im Jahr 2003 von 300 Millionen Euro auf jetzt 1 Milliarde Euro gestiegen ist. Ich erinnere mich an die Debatten, die wir hier im Frühsommer vorigen Jahres geführt haben. Waren es nicht gerade Sie gewesen, die die Notwendigkeit für mehr Investitionen in Bildung und schulische Ausbildung immer wieder in den Vordergrund gerückt haben? Waren es nicht Sie, die die Verantwortung auch des Bundes eingefordert haben? Wer ist es denn, der die nationale Bildungsplanung in der Kultusministerkonferenz abgelehnt hat? Das sind die unionsregierten Länder gewesen. Es gibt eine Anstrengung des Bundes. Wir geben 1 Milliarde Euro mehr für Ganztagsschulen, die sehr gut im Lande ankommen. ({8}) Selbst in Thüringen - das ist kein sozialdemokratisch regiertes Land - nehmen alle Städte und Kommunen, alle Träger der Schulen das Geld sehr gern an und bemühen sich mit der Elternschaft sehr aktiv, gemeinsame Konzepte zu entwickeln. Das ist ein großer Erfolg. ({9}) Sie haben das Bild vom Haushaltsvorstand gebracht. Das scheint aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen. Ich hoffe, dass es auch für die Kinder in Hessen nicht ganz so schlimm ist und Sie sich aktiv an dieser Politik beteiligen werden. Dass so ein Kraftakt nicht ohne Einsparungen möglich ist, dürfte auch Ihnen klar sein. Aus diesem Grund konnte auch der Haushalt für Bildung und Forschung nicht gänzlich von Einsparungen verschont bleiben. ({10}) Sie müssen aber auch sehen, dass die Mittel für das Zukunftsinvestitionsprogramm - Sie hätten die Einnahmen aus der Vergabe der UMTS-Lizenzen am liebsten den Ländern gegeben - ausgelaufen sind. Wir haben trotzdem 150 Millionen Euro von ursprünglich 300 Millionen Euro fortgeschrieben und damit den Haushalt erhöht. Dass deshalb in diesem Haushalt im Einzelplan 30 eine geringfügige Kürzung in Höhe von 1,23 Prozent erfolgt, ({11}) ist meines Erachtens vertretbar; denn es kann für jeden Haushälter durchaus eine Zier sein, sparsam mit den Mitteln umzugehen. Werfen Sie einen Blick in den Bericht des Bundesrechnungshofes! Der Präsident des Bundesrechnungshofes hat einige Punkte angesprochen, in denen wir alle in der Verantwortung sind, noch sparsamer mit den Mitteln umzugehen. Das kann sehr wohl auch den Haushalt für Bildung und Forschung und die Einrichtungen in diesem Bereich betreffen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich habe das Gefühl, Sie wollen sich waschen, ohne sich nass zu machen. Wie sonst ist es zu verstehen, dass Sie auf der einen Seite den Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen blockieren, auf der anderen Seite aber Mehrausgaben verlangen? Glauben Sie mir: Man muss kein großer Prophet sein, um deutlich zu machen, dass das nicht funktioniert. Das ist einer großen Opposition meines Erachtens nicht würdig. Sie bekommen als Opposition im Bundestag einen Sonderzuschlag von 15 Prozent - das sind jährlich 2,2 Millionen Euro und ermöglicht Ihnen eine bessere personelle Ausstattung - für Ihre Fraktionsarbeit. Das habe ich bisher auch immer für gerechtfertigt gehalten. ({13}) In den Beratungen im Haushaltsausschuss haben Sie nicht einen einzigen Vorschlag gemacht. Frau Reiche, Sie haben kritisiert, dass die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau zu niedrig seien. Erkundigen Sie sich bei Ihren Kollegen: Sie haben nicht einmal einen Antrag zur Erhöhung der Mittel vorgelegt. Wie soll ich Sie ernst nehmen? Ein sinnvoller Sparvorschlag Ihrerseits - ich nehme die FDP davon aus - wäre die Streichung der Zulage in Höhe von 2,2 Millionen Euro gewesen. ({14}) Lassen Sie mich noch auf einige Details aus den Beratungen der Einzelpläne zu sprechen kommen. Ich habe mit meinem Kollegen Bonde das Ressort sehr intensiv durchforstet und wir haben Schwerpunkte gesetzt. Das Wichtigste vorweg: Das Budget für den Einzelplan 30 wird gegenüber dem Regierungsentwurf um 52 Millionen Euro erhöht. ({15}) - Natürlich wegen des BAföGs, Herr Kollege Willsch. Es ist doch ein Erfolg unserer Politik, dass in den vergangenen zwei Jahren 100 000 junge Menschen - Schülerinnen, Schüler und Studierende - wieder mehr BAföG bekommen haben. ({16}) Ich kann Ihre Kritik nicht verstehen. Chancengleichheit hat bei Rot-Grün wieder Vorrang bekommen ({17}) und die Studierenden haben unabhängig davon, wie es im Geldbeutel ihrer Eltern aussieht, die Chance, ein Studium aufzunehmen. ({18}) Gleichzeitig ist es uns gelungen, das Versprechen des Bundeskanzlers aus der Agenda 2010 umzusetzen: Das Budget der Forschungseinrichtungen wird um 3 Prozent erhöht. Das ist in Zeiten knapper Kassen besonders zu würdigen. Wir haben die Ansätze der Forschungsorganisationen seit 1998 um 18 Prozent gesteigert. ({19}) Das ist eine Politik für Innovation und Wachstum, die Deutschland voranbringt! ({20}) Ich komme jetzt zum Hochschulbau. Ich gehe davon aus, dass er auch in Ihren nachfolgenden Beiträgen noch eine Rolle spielen wird. Der Ansatz für den Hochschulbau liegt bei 925 Millionen Euro. ({21}) Das sind immer noch 5 Millionen Euro mehr, als Sie 1998 eingestellt haben. Angesichts der Politik Ihrer Landespolitiker - der Bildungs- und Finanzminister - im Hochschulbereich bin ich der Ansicht, dass dieser Ansatz durchaus gerechtfertigt ist. ({22}) Denn nur der Hochschulbau ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Hochschulplanung und -ausstattung liegt in der Zuständigkeit der Länder. Ein Blick auf die Länder zeigt aber, dass am 3. November in Bayern 30 000 und in Niedersachsen 20 000 Studierende demonstriert haben. Die größte Studentendemonstration kam in Sachsen-Anhalt zustande. Ferner kam es zu Streiks in Baden-Württemberg. Das sind doch Ihre Länder! Wenn in diesen Ländern unter Ihrer Verantwortung die Studienplätze reduziert werden, weil immer weniger Professoren zur Verfügung stehen und die Ausfallzeiten zunehmen, dann müssen wir die Ausgaben im Hochschulbau auf dem derzeitigen Niveau beibehalten. Wenn in Bayern 30 000 Studierende skandieren „Stoiber, du Räuber!“, dann werden sie wohl Recht haben. ({23}) Etwas geringer als 2003 ist der Ansatz für das Nationale Weltraumprogramm mit 145 Millionen Euro. Wir haben diesen Ansatz so belassen, wie er im Regierungsentwurf vorgesehen war. Wir haben aber der Frau Ministerin einen Entschließungsantrag mit auf den Weg gegeben, in dem zum Ausdruck gebracht wird, dass wir bis zum Sommer des nächsten Jahres die Schwerpunktsetzung bei der Weltraumforschung unter die Lupe nehmen werden, weshalb 20 Millionen Euro qualifiziert gesperrt wurden. Der Frau Ministerin ist dafür zu danken, dass über die ESA Aufträge in Höhe von 100 Millionen Euro nach Deutschland geholt werden konnten. ({24}) Da in der EU über eine halbe Milliarde Euro auf diesem Gebiet investiert werden, müssen wir die deutsche Raumfahrtpolitik daraufhin überprüfen, in welchen Bereichen wir exzellent sein wollen, und diese Bereiche auch schwerpunktmäßig fördern. Dies muss mit dem gerade erschienenen Weißbuch der Europäischen Kommission übereinstimmen. Insofern bin ich darauf gespannt, wie die Beratungen im Ausschuss verlaufen werden. Ich habe den Bericht des Bundesrechnungshofs von heute schon angesprochen. In ihm kommt auch das Robert-Koch-Institut vor, das für 750 000 Euro umgebaut wird. Nach meiner Auffassung müssen wir die gesamte Ressortforschung in Deutschland auf neue Füße stellen. Aus diesem Grunde hat der Haushaltsausschuss den Wissenschaftsrat beauftragt, die Ressortforschung aufgabenkritisch zu überprüfen. Wir wollen nicht wie Sie nur eine Evaluierung in den nächsten vier, fünf Jahren anstreben, sondern in den nächsten ein, zwei Jahren Fakten schaffen. Die Ressortforschung, für die fast 2,5 Milliarden Euro ausgegeben werden, ließe sich viel besser bündeln, wenn wir wettbewerbliche Strukturen einführten und sie aus der institutionellen Förderung befreiten. Wenn sie auf diese Weise besser würde - selbstverständlich gibt es schon heute sehr gute Einrichtungen -, könnten wir ihr auch die nötige Anerkennung zukommen lassen. Zusammen mit meinen Kollegen Tauss und Reimann werde ich in den nächsten Wochen einen flankierenden Antrag im Bundestag einbringen. Hier ist nicht die Forderung nach mehr Geld das Allheilmittel; vielmehr muss man die Strukturen im Hochschulwesen und im Forschungsbereich überprüfen. Meine Damen und Herren, unter dem Strich lässt sich feststellen, dass Bildung und Forschung mit diesem Haushalt auf Wachstumskurs bleiben. 33 Prozent mehr Ausgaben - mit diesem Pfund lässt sich wuchern. Aus diesem Grunde fällt es mir sehr leicht, Sie zu bitten, dem Einzelplan 30 in der Ausschussfassung zuzustimmen. Vielen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Pieper von der FDP-Fraktion.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schneider, da Sie von Wachstumsimpulsen sprachen, die von Bildung und Forschung ausgehen, schreibe ich Ihnen ein Zitat vom Kieler Institut für Weltwirtschaft ({0}) ins Stammbuch: Der höchste Wachstumsbeitrag geht von der Qualität des Bildungssystems aus. Daher stellt eine qualitätsorientierte Bildungspolitik gleichzeitig Wachstums-, Beschäftigungs- und Standortpolitik dar. Das ist eine richtige These. Allerdings ist das, was Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, uns mit dem Haushalt vorgelegt haben, eine Mogelpackung. ({1}) Das ist keine Wachstumspolitik, da Sie in diesem Haushalt eine vollkommen falsche Prioritätensetzung vorgenommen haben. Ich stelle dies ganz kurz unter Beweis: Im Grunde genommen haben Sie in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Forschung Kürzungen beschlossen. Fakt ist, dass Ihr Haushalt im Vergleich zum Vorjahr nicht wächst, sondern um 29 Millionen Euro sinkt, wenn man einmal von Ihrem Ganztagsschulprogramm absieht, das nicht in diesen Haushaltsplan, sondern in den Einzelplan 60 eingestellt ist. Fakt ist auch, dass Rot-Grün und insbesondere Frau Bundesministerin Bulmahn mit der Erklärung angetreten sind, sie wollten die Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung verdoppeln und diese Bereiche von den Konsolidierungsmaßnahmen ausnehmen. Dies aber gelingt Ihnen im Haushalt für 2004 nicht, meine Damen und Herren. ({2}) Zur ganzen Wahrheit gehört auch, Herr Schneider, dass Sie einfach die globalen Minderausgaben um weitere 84 Millionen Euro auf sage und schreibe 229 Millionen Euro erhöhen. Das bedeutet, dass Sie weitere Einsparungen im Bildungs- und Forschungshaushalt erbringen müssen. Das Ende der Fahnenstange ist also noch gar nicht erreicht. Herr Schneider, wenn Sie die Steigerung der BAföGMittel loben, dann kann ich nur sagen: Wenn Sie 28 Millionen Euro mehr für das Schüler- und 28 Millionen Euro mehr für das Studenten-BAföG aufbringen, dann kommen Sie lediglich einer gesetzlichen Verpflichtung nach. Ich erinnere daran, dass wir, die FDP-Fraktion, bereits während der Haushaltsberatungen im Ausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht haben und dass wir davor gewarnt haben, dass angesichts der hohen Arbeitslosenquote und der hohen Anzahl der Sozialhilfeempfänger - diese ist unter Ihrer Regierung gestiegen - auch die Zahl der BAföG-Berechtigten steigen wird. ({3}) Herr Professor Dr. Wolf Lepenies vom Wissenschaftskolleg Berlin erklärte bereits im September vergangenen Jahres: Diese Regierung sichert auf Kosten der Bildungsausgaben erhebliche Sozialbudgetleistungen mit geringem Zukunftsprofil. Frau Bulmahn, Sie müssen auch noch mit 84 Millionen Euro aus Ihrem Bildungs- und Forschungshaushalt den Bundeszuschuss zur Rentenversicherung mit finanzieren. Für die umlagefinanzierte Pflegeversicherung wird in Deutschland ungefähr so viel Geld ausgegeben wie für die steuerfinanzierten Hochschulen. Das ist eine Schieflage im Bundeshaushalt. Das ist doch keine Prioritätensetzung zugunsten von Zukunftsinvestitionen! ({4}) 2004 - das wurde schon erwähnt - werden die Mittel für den Hochschulbau um 12 Prozent, um 135 Millionen Euro gekürzt. Das ist erschreckend, wenn man weiß, dass die Studentenzahl - erfreulicherweise - gestiegen ist. Die Hochschulen platzen aus allen Nähten, meine Damen und Herren von der Koalition. Daher darf hier nicht gekürzt werden, sondern müssen Prioritäten zugunsten des Hochschulbaus gesetzt werden. Der Haushaltsansatz weist 925 Millionen Euro aus. Gebraucht würden aber allein im nächsten Jahr 1,4 Milliarden Euro. Nur noch 63 Prozent der notwendigen Ausgaben werden also vom Haushalt gedeckt. Das ist eine falsche Weichenstellung für die Zukunft Deutschlands. ({5}) Als wir über die Verwendung der UMTS-Erlöse beraten haben, haben wir Sie daran erinnert, dass wir ein Hochschul- und ein Bibliothekensonderprogramm brauchen, und aufgefordert, mit den Erlösen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen diese Programme auf den Weg zu bringen. Sie haben unseren damaligen Anträgen nicht zugestimmt. Heute erweist sich aber, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir diesen Weg gegangen wären. ({6}) Die Prognos AG Basel hat in ihrem neuesten Gutachten „Bildung neu denken“, das sie im Auftrag der bayerischen Wirtschaft erstellt hat, völlig zu Recht eine „kurzfristige Sicherung der Hochschulfinanzierung auf internationalem Niveau durch eine radikale PrioritätenCornelia Pieper setzung bei den öffentlichen Mitteln“ gefordert. Die Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie kürzt die Hochschulausgaben und die Forschungsausgaben, und zwar nicht nur im Einzelplan 30, sondern auch in der Ressortforschung. Dafür schreiben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die unsinnigen Steinkohlesubventionen in Höhe von fast 16 Milliarden Euro fort. Inzwischen wird ein Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau jährlich mit 90 000 Euro durch den Steuerzahler subventioniert. Sie investieren lieber in die Vergangenheit als in die Köpfe junger Menschen und damit in die Zukunft unseres Landes. Das ist eine falsche Weichenstellung. ({7}) - Herr Fell, gut, dass Sie klatschen; denn ich wollte Sie gerade zitieren. Das löst selbst in der eigenen Koalition ein Grummeln aus. Ich habe heute in einer bekannten Tageszeitung gelesen, dass die Grünen aus dem Arbeitskreis 2 ein Positionspapier vorgelegt haben, in dem es heißt: Es ist angesichts der fehlenden Mittel in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation nicht zu rechtfertigen, einen Steinkohlesockel dauerhaft zu finanzieren. Hier stimmen wir eigentlich überein. Aber Sie kürzen die Steinkohlesubventionen nicht. ({8}) Im Grunde genommen stimmen Sie so der falschen Bildungs- und Forschungspolitik zu. ({9}) Bei der Berufsausbildung machen die Bundesregierung und insbesondere Sie, Frau Ministerin, ebenfalls eine Rolle rückwärts. Spätestens seit dem Bundesparteitag ist klar: Die Regierung wird im nächsten Jahr nicht für mehr, sondern für weniger Ausbildungsplätze sorgen. Sie droht nach jahrelangen Erhöhungen der Steuern für den Mittelstand mit einer weiteren Steuer, nämlich mit einer komplizierten Ausbildungsabgabe. ({10}) Bereits heute, Herr Tauss, werden die kleinen und mittleren Unternehmen mit 37 Prozent Ausbildungskosten belastet. Eine Abgabe führt - die Entwicklung bei den Behindertenarbeitsplätzen war ähnlich - zu einem Freikauf von Ausbildungsplätzen und nicht zu mehr Ausbildungsplätzen. ({11}) Diese Erfahrung haben wir doch mittlerweile schon gemacht. ({12}) Frau Ministerin, wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich im Interesse der jungen Arbeitslosen für flexiblere Ausbildungsvergütungen einsetzen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie mit einer Reform des Berufsbildungsgesetzes nun endlich durchstarten, indem Sie praktisch orientierten Jugendlichen Teilqualifikationen und durchgängig eine zweijährige Grundausbildung in allen Berufen ermöglichen. Rund 14 Prozent der jungen Menschen in Deutschland haben gar keinen Berufsabschluss. Die Anzahl der Migrantenkinder ohne Berufsabschluss ist sogar noch höher. Geben Sie ihnen doch eine Chance, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, bevor sie in die Sozialhilfe absteigen! ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, Deutschland hält nun auch in der Forschung international nicht mehr Schritt. Ob wir es wollen oder nicht: Deutschland steht im unmittelbaren Wettbewerb mit den USA und mit den europäischen Nachbarn. Der Blick in den Bericht der Deutschen Bundesbank zu den technologischen Dienstleistungen zeigt uns, wie gravierend sich der Saldo Deutschlands in der Zahlungsbilanz seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün im Jahr 1998 entwickelt hat: Wir geben heute wesentlich mehr für den Kauf von Patenten und Lizenzen, für Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung, für EDVLeistungen und Ingenieurleistungen aus, als wir an das Ausland verkaufen. Der Negativsaldo betrug 1998 noch rund 2,5 Milliarden Euro. Im Jahr 2001 betrug das Defizit bereits fast 7,5 Milliarden Euro. Das ist die Bilanz Ihrer Forschungspolitik, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. ({14}) Frau Ministerin, Sie rühmen sich, dass Sie bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen Zuwächse in Höhe von 3 Prozent erreichen können. Beherrscht man das Einmaleins nach Adam Riese, so stellt man fest: Der Umfang sämtlicher Kürzungen durch drastische Einschnitte in die programmorientierte Forschung ist größer als die Zuwächse in Höhe von 3 Prozent. Sie kürzen bei der Mikrosystemtechnik, bei der Nanoelektronik, bei den Nanomaterialien und bei den neuen Werkstoffen. Herr Schneider, die von Ihnen hier beschriebenen Zuwächse finden sich im Forschungsbereich dieses Haushalts nicht wieder.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Pieper, kommen Sie bitte zum Schluss.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Leider bleibt der oppositionellen FDP-Fraktion immer zu wenig Zeit, ({0}) um darzustellen, was notwendig ist, um die im Hinblick auf Zukunftsinvestitionen in Deutschland wirklich wegweisenden Konzepte vorzustellen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Sie sind auf dem falschen Weg! Deutschland sitzt in vielen Bereichen der Bildung und der Forschung längst nicht mehr in der Lokomotive, sondern im Schlafwagen. Wachen Sie endlich auf! ({1}) - Wir sitzen im ICE.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Alexander Bonde vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was den Bereich Bildung angeht, konnte man heute in der Zeitung zumindest eine positive Nachricht lesen: Die Abgeordneten des Bundestages sind überdurchschnittlich gebildet. Ich muss Ihnen allerdings sagen: Nicht jede der heutigen Reden hat diesen Befund belegt. ({0}) Ich möchte der von Ihnen hier im Bereich Bildung und Forschung praktizierten Schwarzseherei und vor allem Schwarzmalerei einfach die nackten Zahlen entgegenstellen: Im Jahr 2004 fließen in die Bereiche Bildung und Forschung - dazu gehören BAföG und Ganztagsschulprogramme -, Einzelplan 30, 9 706 000 000 Euro. Gegenüber dem Jahr 2003 bedeutet das einen Aufwuchs um 6,7 Prozent. Im Vergleich zu 1998 fließen dorthin 2,5 Milliarden Euro mehr. Das entspricht einem Aufwuchs um 25 Prozent. Das ist die Zahlenbasis, über die wir hier diskutieren. Wir diskutieren in einer schwierigen Haushaltslage darüber. Wir haben heute eine lange Diskussion geführt. Sie von der CDU/CSU haben sich hier als große Konsolidierer gebärdet. Unsere tatsächliche Erfahrung im Ausschuss ist eine andere. Bildungspolitisch diskutieren wir bundesweit im Moment über die Frage: Wie gehen wir mit Schulschwänzern und mit Schulverweigerern um? Hier im Bundestag müssen wir angesichts dessen, was uns die CDU/CSU das letzte halbe Jahr im Haushaltsausschuss geboten hat, über die Frage diskutieren: Wie gehen wir mit Beratungsschwänzern und mit Arbeitsverweigerern um? ({1}) Jawohl, es ist eine schwierige Haushaltslage und da kann auch der Bereich Bildung und Forschung nicht ungeschoren bleiben. ({2}) Der Rentenkompromiss, die maßvolle Belastung der Rentnerinnen und Rentner - etliche Ihrer Kolleginnen und Kollegen, Kollege Willsch, sind ja durch die Lande gezogen, haben dagegen agiert und die Rentnerinnen und Rentner verunsichert -, ({3}) hat natürlich dazu geführt, dass die restlichen Einzelpläne belastet werden, um die Lücke bei der Rentenversicherung zu füllen. Das hat den Bereich Bildung und Forschung mit einer zusätzlichen globalen Minderausgabe von 84 Millionen Euro getroffen. Das schmeckt uns nicht, aber es geht ja darum, den Haushalt im Gesamtzusammenhang zu betrachten. Natürlich haben strukturelle Schwierigkeiten, an deren Zustandekommen alle in diesem Hause beteiligt sind, Auswirkungen auf die Spielräume für Bildung und Forschung. Es schmeckt uns nicht, wie gesagt, dass der Bereich Bildung und Forschung mit 84 Millionen Euro betroffen wurde, ({4}) aber wir als Koalition haben es geschafft, beim BAföG 56 Millionen Euro obendrauf zu legen. Was an Gesamtaufwuchs vorhanden ist, habe ich bereits genannt und hat auch der Kollege Schneider genannt. ({5}) Diese Zahlen zu hören werden wir Ihnen auch im Rest der Debatte nicht ersparen. Wenn wir darüber reden, wohin die Reise bei Bildung und Forschung geht, dann müssen wir über das reden, über das wir heute Morgen hätten sprechen sollen und heute Nachmittag gesprochen haben, nämlich die Frage der Strukturreformen und die Frage des Subventionsabbaus. Sie müssen uns erklären, warum Sie genau da immer auf die Bremse treten und blockieren. ({6}) Wir als Koalition haben unter anderem mit der Agenda 2010 sehr schmerzhafte Reformprozesse in Gang gesetzt und dabei wurden wir durch die Opposition nicht unterstützt, ({7}) obwohl Sie von der Opposition das Schaffen von großen Spielräumen für Bildung und Forschung fordern. Ohne Strukturreformen, ohne Subventionsabbau können wir aber keine Spielräume für zukünftige Generationen schaffen. Wir haben Vorschläge vorgelegt. Die CDU/CSUFraktion hat während des gesamten Haushaltsverfahrens nicht einen Vorschlag vorgelegt, weder zur Schwerpunktsetzung in Bildung und Forschung noch zu der Frage, woher die Masse dessen kommen soll, womit wir Zukunftschancen ermöglichen wollen. Hier stellt sich schon die Frage: Wer kämpft für die Spielräume für zukünftige Generationen? ({8}) Welche Forderung nach Konsolidierung und welche Forderung nach einer fortschrittlichen Bildungs- und Zukunftspolitik sind in dieser Debatte glaubwürdig? ({9}) Auch innerhalb des Einzelplans haben wir Prioritäten gesetzt - der Kollege Schneider hat bereits darauf verwiesen -, mehr im Kleinen und nicht ganz so, wie wir es uns gewünscht hätten, aber im Rahmen dessen, was uns an Spielräumen zur Verfügung stand. Wir haben zugunsten der Erforschung erneuerbarer Energien draufgesattelt. ({10}) Wir stärken die Erforschung neuer Antriebstechnologien. Wir setzen einen Akzent in der Friedensforschung. Wir unterstützen die Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen. Auch in vielen weiteren kleinen Punkten haben wir in der Bildungs- und Forschungspolitik deutlich Profil gezeigt. ({11}) Wir müssen damit aufhören, finde ich, in dieser Republik alles schlecht zu reden. Wir müssen klar sagen, wo politische Prioritäten gesetzt werden können und welche Rot-Grün gesetzt hat. ({12}) Wenn Sie größere Prioritäten setzen wollen, dann tun Sie es! Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! Der Vermittlungsausschuss wird in der Frage, ob wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Spielräume für die zukünftigen Generationen haben, eine entscheidende Rolle spielen. ({13}) Die Verweigerungshaltung der Opposition und die Uneinigkeit der Opposition bringt genau diese Spielräume in Gefahr. Ich kann Sie also nur bitten: Lassen Sie Ihren Reden im Vermittlungsausschuss auch Taten folgen! Ich bin gespannt. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Professor Maria Böhmer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bonde hat eben die Frage gestellt, wohin die Reise geht. Ich kann es Ihnen sagen: Wenn man den Haushalt betrachtet - sowohl den Gesamthaushalt als auch den Einzelhaushalt -, stellt man fest, dass der von Ihrer Politik eingeschlagene Weg nach unten führt. Das ist eine Katastrophe für unser Land. ({0}) Die Ergebnisse sind hohe Arbeitslosigkeit und Menschen, die sich fragen, wie es weitergehen soll. Die Antworten, die Sie uns geben, geben keine Hoffnung. Ich habe vor wenigen Tagen gelesen: Das Land muss sicher manche Ausgabe kürzen, bei der Bildung wäre dies töricht. ({1}) Was sehe ich? Wir sind mit globalen Minderausgaben von 84 Millionen Euro konfrontiert, nachdem der Forschungshaushalt vorher bereits drastische Kürzungen erfahren hat. In Hochglanzanzeigen behauptet die SPD, es würden keine Kürzungen stattfinden, weil das töricht sei. Ich halte es für unerhört, ({2}) wie man versucht, den Bürgerinnen und Bürgern Sand in die Augen zu streuen. ({3}) Die Bürgerinnen und Bürger wissen sehr wohl, was hier geschieht. Wenn Sie als Motto propagieren: „Das Wichtige tun“, dann kann ich Ihnen darauf, Frau Bulmahn, nur antworten: Sie tun nicht das Wichtige, Sie tun auch leider nicht das Richtige. Sie tun das Falsche. Das ist das Schlimme an Ihrer Politik. ({4}) Wenn Sie bei der Debatte am 7. November erklären, Sie müssten jetzt kürzen, um damit einen Beitrag zur Sicherung der sozialen Sicherungssysteme zu leisten, so heißt das im Klartext: Die Wissenschaft zahlt einen hohen Preis für eine verfehlte Rentenpolitik dieser Bundesregierung. ({5}) Das kann nicht sein. Wir müssen „Vergangenheitssubventionen in Zukunftsinvestitionen umschichten“ - das sagt der Bundeskanzler. Sie aber tun genau das Gegenteil. Bildung, glaube ich, ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Bildung ist nicht nur ein Gebot der Chancengerechtigkeit, sondern - wenn denn Pathos erwünscht ist - buchstäblich eine Überlebensfrage unserer Gesellschaft … So auch wieder der Bundeskanzler. Was aber geschieht? Statt diese Maxime zu befolgen, kürzen Sie die Mittel für Bildung und Forschung. ({6}) Ich will Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit sagen, dass die immer wiederkehrenden Verweise auf das Jahr 1998 - in keiner Ihrer Reden übergehen Sie diesen Bezug ({7}) nach fünf Jahren als Argument nicht mehr tragen. Mit diesen Ausflüchten können Sie hier nicht punkten. ({8}) Vielmehr müssen Sie sich an Ihren eigenen Versprechen und Zielen sowie den Anforderungen von Gegenwart und Zukunft messen lassen. Versprochen haben Sie, Mittel für Forschung und Entwicklung in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sicherzustellen. ({9}) Sie liegen deutlich darunter. Wenn Sie die 3-ProzentMarke bis zum Jahr 2010 noch erreichen wollen, bräuchten Sie ab 2005 Steigerungsraten von 7 bis 8 Prozent. Das halte ich angesichts Ihrer desaströsen Wirtschaftsund Finanzpolitik schlichtweg für utopisch. ({10}) In einer Volkswirtschaft wie unserer, in der es nur um Innovation geht, darf es keinen Einbruch bei der Forschung geben. So hat sich vor wenigen Tagen Professor Winnacker im „Handelsblatt“ geäußert. ({11}) Es gab erneut einen Brandbrief der Wissenschaftsorganisationen an den Bundeskanzler. Wenn Sie jetzt verkünden, Sie hätten die Ausgaben um 3 Prozent erhöht, dann müssen Sie aber auch dazu sagen, dass Sie sie im letzten Jahr abrupt gekürzt haben und die Wissenschaftsorganisationen damit vor eine Situation gestellt haben, die kaum zu bewältigen war. ({12}) - Ja, Herr Tauss, Sie umschreiben das immer so freundlich mit Nullrunde. Jetzt überspielen Sie doch nicht das, was Sie hier tun. Sie fügen der Forschung und der Wissenschaft in diesem Land großen Schaden zu. ({13}) Sie entziehen zugleich Projektmittel in Höhe von 80 Millionen Euro. Damit haben Sie im Wissenschaftsbereich einen Flurschaden angerichtet, der kaum noch zu kompensieren ist. ({14}) Herr Tauss, Sie sagen doch selbst, das wäre das völlig falsche Signal zur falschen Zeit. Sigmar Gabriel aus Niedersachsen erklärt: „Wir können nicht beim Parteitag die Innovationsförderung hochhalten, sie im Alltag klein kürzen.“ Das ist richtig. Handeln Sie danach. Ich nehme einmal den Bereich des Hochschulbaus. Auch dieser ist von massiven Kürzungen betroffen. Die Folgen sind nicht nur, dass vielleicht an einer Stelle etwas Farbe und an einer anderen ein Sack Zement fehlt. Nein, Hochschulbauförderung bedeutet auch Förderung von Forschung; denn darunter fallen auch die Großgeräte, die anzuschaffen sind. Wenn die Mittel für neue Großgeräte, die man bräuchte, um aktuell und innovativ zu forschen, nicht zur Verfügung stehen, dann stagniert die Forschung, dann werden wissenschaftliche Einrichtungen zu Museen für alte Geräte. ({15}) Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel: In BadenWürttemberg, in Biberach, an einem der hervorragenden Standorte für Biotechnologie in unserem Land ({16}) - Herr Tauss, Sie freuen sich schon darauf ({17}) - da warten wir einmal ab -, ({18}) sollte ein neuer Studiengang an der Fachhochschule entstehen. Was passiert? Mangels Beteiligung seitens des Bundes droht hier ein einmaliges innovatives Ausbildungskonzept infrage zu stehen. Wir brauchen aber Fachkräfte in unserem Land. Dafür muss der enge Zusammenhang zwischen Hochschulbauförderung und Forschungsförderung beachtet werden. Sie aber kündigen die Förderung einseitig auf. Das werden wir nicht mitmachen. ({19}) Ich will den Punkt Fachkräftemangel kurz vertiefen. Wir sind immer wieder - das ist schier ein Dauerthema in diesem Haus - mit der Abwanderung von wissenschaftlichem Nachwuchs und Spitzenwissenschaftlern konfrontiert. Da muss man die Frage stellen: Warum eigentlich? Weil die Arbeitsbedingungen hier nicht so attraktiv sind wie etwa in den USA. ({20}) Wir brauchen internationalen Austausch, wir brauchen internationale Erfahrung, ({21}) gerade in der Zeit der Globalisierung. Aber wir brauchen vor allen Dingen eine Schubumkehr in der Form, dass diejenigen, die unser Land verlassen haben, um wissenschaftliche Erfahrungen zu sammeln, wieder zurückkehren. Dafür müssen sie einen Forschungs- und Hochschulstandort Deutschland vorfinden, an dem es für sie attraktiv ist, zu forschen und zu arbeiten. ({22}) Was könnte Forscher dazu bewegen, wieder hierher zu kommen? Wir müssen in unserem Land mehr Mut zur Förderung von Eliten haben. Wir müssen Exzellenz fördern. Dabei müssen wir vier Punkte berücksichtigen: Erstens. Wir brauchen eine schärfere Profilbildung an den Hochschulen. Zweitens. Wir brauchen mehr Wettbewerb durch Evaluation und Hochschulranking. Drittens. Wir müssen Bürokratie abbauen und für mehr Autonomie sorgen. Viertens. Wir brauchen eine flexiblere Verwendung von Forschungsgeldern und Anreize für das Einwerben von Forschungsmitteln. In der Debatte am 7. November haben wir einen Antrag eingebracht - der Kollege Kretschmer hat ihn begründet -, in dem wir eine Forschungsprämie vorgeschlagen haben. Das sind die Wege, die man gehen muss. Unsere Konzepte und Vorschläge liegen auf dem Tisch. Greifen Sie sie auf; das hilft unserem Standort! ({23}) Deutschland ist aber auch zu wenig attraktiv für ausländische Studierende und Wissenschaftler. Das muss uns umtreiben. ({24}) - Herr Tauss, im Vergleich mit den USA können Sie unsere Steigerungsraten vergessen. In den USA stammt die Hälfte der ausländischen Studierenden aus Asien, bei uns ist es nur gut ein Viertel. Das heißt, zukünftig werden auch die Wirtschaftskontakte eher zwischen Asien und den USA und weniger zwischen uns und Asien befördert. Bereits in den Hochschulen werden die Gewichtungen entschieden. Deshalb ist es ein eklatanter Mangel, wenn unser Land für ausländische Studierende nicht genügend attraktiv ist. Das muss dringend geändert werden. ({25}) In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt von Bedeutung, nämlich der Braindrain nach innen - nicht nur nach außen -, das heißt innere Emigration. Wenn Forscher feststellen, dass sie eingeengt, eingeschnürt werden, dass sie keine Freiheiten in ihrem Denken und kreativen Handeln mehr haben, dann ziehen sie sich zurück. Deshalb sage ich: Wir müssen Hochschule und Wissenschaft wieder mehr Freiheit geben. ({26}) Beginnen Sie damit: Wir brauchen im Hochschulbereich die Freiheit für die Auswahl der Studierenden und wir brauchen endlich die Abschaffung dieses unseligen Verbots von Studiengebühren. ({27}) Das Verbot muss aufgehoben werden, damit Hochschulen wieder autonom handeln können, damit sie über finanzielle Mittel verfügen, damit die Motivation von Studierenden befördert wird. Sie behaupten immer, damit würden sozial Schwache gehindert, an den Hochschulen zu studieren. ({28}) Was eigentlich unsozial ist und was Sie Tag für Tag und Nacht für Nacht umtreiben müsste, ist, dass die Verkäuferin heute das Studium der Arzttochter finanziert. Das nenne ich unsozial und das muss geändert werden. ({29}) Was können Studiengebühren bewirken? In BadenWürttemberg sind Langzeitstudiengebühren eingeführt worden. Ich will Ihnen drei Vorteile nennen. ({30}) Der erste Vorteil ist, Herr Tauss, dass endlich die Zahl der Langzeitstudierenden zurückgegangen ist. Sie ist deutlich auf etwa 40 Prozent des früheren Niveaus gesunken. Das heißt, diejenigen, die gar keinen Abschluss machen und nur soziale Vergünstigungen haben wollten, sind aus der Hochschule ausgeschieden. Die Zahl der Prüfungen und der Absolventen ist sprunghaft gestiegen. Es hat keine negativen Auswirkungen gegeben, denn die Zahl der Erstimmatrikulierten ist angestiegen. Der zweite Punkt: Die Einnahmen kommen den Hochschulen zugute. ({31}) Das wollen wir. Das muss so sein. Anders machen Studiengebühren auch keinen Sinn. Zum dritten Punkt sage ich Ihnen etwas aus eigener Erfahrung, denn ich lehre nach wie vor: ({32}) Studiengebühren können das Verhältnis von Professoren und Studierenden deutlich verbessern. Die Erfahrungen aus Großbritannien und in den USA zeigen: Es stellt sich ein tragfähigeres, ein verantwortungsvolles Verhältnis zwischen Studierenden und Professoren ein. Wir müssen bei Studiengebühren von der reinen Finanzdiskussion wegkommen. Wir müssen die Vorteile für eine bessere Motivation und höhere Verantwortung im Hochschulbereich bedenken. ({33})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gilt umzusteuern: Die Sozialausgaben in unserem Land sind sechsmal höher als die Bildungsausgaben. Damit wird nicht der dringend notwendigen Zukunftsorientierung und der Forschung Rechnung getragen. Vielmehr haben wir es hier mit einer eklatanten Gerechtigkeitslücke zu tun. Was wir jetzt brauchen, ist klare Vorfahrt für Forschung und Innovation. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Edelgard Bulmahn. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Meine sehr geehrten Herren und Damen! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir reden hier und jetzt über die Gestaltung der Zukunft. ({0}) Auch wenn ich offen sagen muss: Bei den Rednern der Opposition war nicht viel davon zu spüren. ({1}) Wir reden über die Gestaltung der Zukunft. Wir reden über die Weichen, die wir heute stellen müssen, um morgen im internationalen Kompetenzwettbewerb die Nase vorn zu haben. Bildung und Forschung sind genau dafür die zentralen Triebfedern. Sie sind die zentralen Triebfedern für wirtschaftliche Entwicklung genauso wie für gesellschaftliche Entwicklung. Nur mit Investitionen in Wissen und in Kompetenzen schaffen wir auch Wachstum und Beschäftigung und nur dann können wir eben auch den Wohlstand, die Teilhabe und die soziale Gerechtigkeit in unserem Land erhalten. Genau diese Ziele stehen im Mittelpunkt der Agenda 2010. Wir stabilisieren mit dieser Politik, mit der wir ganz klar auf Innovation, auf Bildung und Forschung setzen, die Grundpfeiler unseres Sozialstaates und wir stabilisieren gleichzeitig das Fundament für unsere Zukunft. ({2}) Wir schaffen damit drittens die notwendigen Spielräume - auch die notwendigen finanziellen Spielräume -, um das konsequent fortzusetzen, was wir 1998 begonnen haben, nämlich eine ganz klare Politik für Bildung und Forschung. ({3}) Mit diesem klaren Kurs für Bildung und Forschung ist es uns, unbeirrt von konjunkturellen Zyklen, gelungen, ein weit verbreitetes Bewusstsein für die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen zu schaffen. ({4}) Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, der für Forschung und Entwicklung aufgewendet wird, liegt jetzt bei 2,5 Prozent. Auch wenn es Sie schmerzt, Frau Böhmer, muss ich Sie daran erinnern: 1998 lag er gerade einmal bei 2,29 Prozent. ({5}) Ich muss Sie außerdem daran erinnern, dass unter Ihrer Regierungsverantwortung der Haushalt um rund 400 Millionen Euro gekürzt worden ist. Wenn ich mir einmal die Entwicklung dieses Haushaltes genau anschaue - ich gehe davon aus, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages rechnen können, zumindest bis zu bestimmten Größenordnungen -, ({6}) dann stelle ich fest, dass der Haushalt seit 1998 jedes Jahr gestiegen ist. ({7}) Im Einzelplan 30 wenden wir für Bildung und Forschung 8,2 Milliarden Euro auf. Parallel dazu investieren wir 1 Milliarde Euro in Bildung. ({8}) - Herr Willsch, lassen Sie mich eines sagen: Wenn Sie nicht begreifen, dass es ein gesellschaftspolitischer Skandal ist, dass in unserem Land 25 Prozent der Kinder die Schule verlassen, ohne dass sie Grundkenntnisse in Rechnen und Schreiben haben, ({9}) wenn Sie nicht begreifen, dass es ein gesellschaftspolitischer Skandal ist, dass in unserem Land wie in keinem anderen europäischen Land die Bildungschancen von der sozialen Herkunft abhängen, ({10}) dann stellen Sie sich ein Armutszeugnis sondergleichen aus. ({11}) Das allein sagt viel über die Art und Weise aus, wie Sie denken. Da allerdings unterscheidet sich diese Bundesregierung von Ihnen: Uns ist es nicht egal, welche Chancen Kinder und Jugendliche in fünf, zehn oder 20 Jahren haben. Deshalb haben wir diese Entscheidung getroffen. ({12}) Das ist meinen Kolleginnen und Kollegen und den Parlamentariern nicht leicht gefallen. Aber weil uns die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen nicht egal sind, setzen wir 4 Milliarden Euro für die Verbesserung von Bildungschancen ein. ({13}) Wenn Sie Ihre Verantwortung ernst nehmen und nicht so in verächtlicher Weise über Bildungschancen reden würden, ({14}) dann würden Sie in Ihren Ländern alles dafür tun, dass diese 4 Milliarden Euro im Interesse der Kinder sachgerecht eingesetzt werden. Das erwarte ich auch von den Kolleginnen und Kollegen der Opposition. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bergner?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Bergner.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Minister, da Sie mit so viel Nachdruck und mit so viel Engagement die Ganztagsschulen und den Eingriff des Bundesministeriums in Länderzuständigkeiten, der mit diesem Programm verbunden ist, verteidigen, ({0}) möchte ich folgende Frage stellen: Können Sie bestätigen, was Sie im Ausschuss einmal gesagt haben, dass es für die Wirkung der Ganztagsschulen auf die Bildung im Grunde genommen Belege weder durch Schulversuche noch durch irgendwelche Forschungsergebnisse gibt? ({1}) Wenn Sie über die sachgerechte Verwendung von Mitteln reden, dann müssen Sie auch zugeben, dass es im Bereich der Schulforschung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine hinreichenden Belege dafür gibt, dass dieses Programm, das letztendlich nur ein Bauprogramm ist, den Missstand, den auch ich beklage, tatsächlich beseitigen kann. ({2})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

In Deutschland gibt es völlig unzureichende wissenschaftliche Kenntnisse über den Erfolg von und über die Bildung in Ganztagsschulen. In anderen Ländern gibt es sehr wohl wissenschaftliche Kenntnisse darüber. ({0}) - Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse über skandinavische Ganztagsschulen, aber auch über Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung in Großbritannien und Frankreich. - Deshalb sage ich: Es gibt zwar wissenschaftliche Erkenntnisse, aber viel zu wenige über die Situation in Deutschland. Daher, Herr Bergner, habe ich angekündigt, dass wir ein Begleitprogramm durchführen. Dies ist auf Ihrer Seite auf große Kritik gestoßen. Wir verfolgen dabei zwei Zielsetzungen. Wir wollen durch wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung auf der einen Seite eine qualitativ gute Bildung in Ganztagsschulen sicherstellen. Denn ich sage immer: Bildung benötigt gute Qualität. Genau das bieten Ganztagsschulen. Sie bieten mehr Freiräume und eine bessere Qualität des Unterrichts. Sie ermöglichen mehr Zeit für ein gemeinsames Lernen und dafür, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer wirklich um die Schülerinnen und Schüler kümmern können. - Das ist die eine Zielsetzung. ({1}) Zum anderen wollen wir damit sicherstellen, dass die Länder endlich ihre Verantwortung wahrnehmen ({2}) und dafür Sorge tragen, dass für die Ganztagsschule ein gutes pädagogisches Konzept vorliegt. Das ist von Ihrer Seite als Eingriff in die Kompetenzen der Länder diskreditiert worden. Jetzt fragen Sie: Wie sollen sie denn dafür Sorge tragen? ({3}) Sie sollten sich entscheiden, was Sie wollen. Mir war es wichtig, in der entsprechenden Vereinbarung klipp und klar festzulegen - deshalb steht dies dort auch -, dass die Länder die Verantwortung dafür übernehmen, dass ein gutes pädagogisches Konzept für den Ganztagsschulbetrieb erarbeitet und natürlich auch angewandt wird. Deshalb meine Bitte - ich freue mich, wenn Sie genauso wie ich die Notwendigkeit sehen, unsere Bildungseinrichtungen und Schulen wirklich zu verbessern -, ({4}) dass Sie das Ihrige dafür tun, damit die Ganztagsschulen in Ihrem Land genau diesen Ansprüchen genügen. ({5}) Deutschland ist heute der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. 14 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften wir mit forschungsintensiven Technologiegütern. Auf zentralen Technologiefeldern wie in der Bio- und der Nanotechnologie nehmen wir heute eine internationale Spitzenposition ein. Gerade diese Querschnittstechnologien stärken als branchenübergreifende Motoren des technologischen Wandels die Innovationskraft unserer gesamten Wirtschaft. Diesen Weg, der für die Entwicklung unseres Landes höchste Bedeutung hat, gehen wir entschlossen weiter. Dafür haben wir klare Ziele. Wir setzen auf die Kreativität und die Leistungsfähigkeit unserer Menschen. Wir schaffen innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und verhelfen den Zukunftstechnologien zum Durchbruch. Dafür werden im nächsten Jahr im Haushalt für Bildung und Forschung insgesamt rund 9,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Damit liegen wir um 2,4 Milliarden Euro bzw. um rund 34 Prozent über dem Haushaltsansatz des Jahres 1998 - und das trotz der allen bekannten schwierigen Haushaltslage. Projektförderung schafft Wettbewerb unter den Forschern und kurbelt die Leistungsfähigkeit an. Sie schweißt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen und sichert so den Kompetenzvorsprung der deutschen Wirtschaft. Wir haben deshalb seit 1998 die Projektfördermittel um 32 Prozent erhöht und dort konzentriert, wo einerseits die größte Hebelwirkung auf das wirtschaftliche Wachstum und damit auch auf die Beschäftigung zu erwarten ist und andererseits dringender gesellschaftlicher Handlungsbedarf besteht. Die Ergebnisse dieser Politik sprechen im Übrigen eine deutliche Sprache. In der Nanotechnologie haben wir die Projektförderung seit 1998 vervierfacht. Damit haben wir im internationalen Vergleich Weltspitze erreicht. Deutschland ist in der Weltspitze präsent. Wir sind in der Nanotechnologie weltweit mit führend. Wir wollen den Kompetenzvorsprung, den wir haben, ausbauen. Ich werde in Kürze ein neues Rahmenkonzept zur Nanotechnologie vorlegen, mit dem wir unsere nationalen Aktivitäten in diesem Bereich bündeln und strategisch ausrichten. ({6}) Der Gesundheitsmarkt ist einer der größten Zukunftsmärkte. Leider haben Sie durch Ihre halbherzige Politik verhindert, dass wir in dem Gesundheitsmarkt eine noch bessere Qualität und mehr Wettbewerb, als wir jetzt vereinbart haben, sicherstellen konnten. Trotzdem ist der Gesundheitsmarkt einer der größten Zukunftsmärkte. Die modernen Lebenswissenschaften sind deshalb ein zentraler Innovationsmotor des 21. Jahrhunderts. Wir haben die Projektförderung in diesem Bereich seit 1998 um 50 Prozent erhöht. ({7}) Resultat: Deutschland steht trotz der aktuellen Konsolidierungsphase mit 360 Biotechnologiefirmen auf Platz eins in Europa. ({8}) Mit dem Nationalen Genomforschungsnetz verfügen wir über ein weltweit einzigartiges Programm, in dem Wissenschaft und Wirtschaft interdisziplinär an der Aufklärung und Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten arbeiten. Es geht mit 135 Millionen Euro in eine zweite Förderphase. Mit dem Programm „BioChancePLUS“ setzen wir gerade für innovative kleine und mittlere Unternehmen die notwendigen Impulse, die über dieses Programm mit insgesamt 100 Millionen Euro unterstützt werden. Unsere Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien zahlt sich aus. Deutschland zählt inzwischen zu den modernsten IT-Standorten der Welt. Das zieht hochkarätige Investoren in unser Land. ({9}) So hat sich der US-Halbleiterkonzern AMD entschieden, noch einmal 2,4 Milliarden Euro am bereits heute größten Elektronikstandort Europas zu investieren. Erst in der letzten Woche war ich in Dresden. Wir haben dort den Grundstein für eine hochmoderne 300-mm-Fabrik gelegt. ({10}) Damit entstehen zusätzlich weit über 1 000 Arbeitsplätze für hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dresden hat sich damit gegen eine sehr harte Konkurrenz aus dem Staate New York durchgesetzt. Das war kein Selbstläufer, sondern das ist das Ergebnis unserer gezielten Forschungs- und Innovationspolitik. ({11}) Wir haben hierüber seit Jahren verhandelt und haben unsere Forschungspolitik strategisch so ausgerichtet, dass diese Fabrik jetzt dort gebaut wird. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal unterstreichen: Die Projektförderung ist für uns ein zentrales Instrument für flexible und leistungsfähige Forschungsförderung. Dass die Mittel dafür im Vergleich zum Vorjahr sinken, ist eine Folge des Auslaufens der UMTS-Gelder. Alle Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich immer darauf hinweise und klar und deutlich sage, dass wir in den kommenden Jahren hier wieder Zuwächse haben müssen, um diese Zielsetzungen sicher erreichen zu können. ({12}) Wir haben unseren Kurs mit dem Zuwachs um 34 Prozent seit 1998 durchgesetzt und wir werden diesen Kurs fortsetzen. ({13}) Wir haben die Fortführung besonders erfolgreicher Projekte sichergestellt und dabei in wichtigen Bereichen die notwendigen Schwerpunkte gesetzt. ({14}) Einen weiteren Schwerpunkt nenne ich am Beispiel der neuen Länder: Führende Wirtschaftsinstitute haben bestätigt, dass unsere Strategie richtig, erfolgreich und weiter notwendig ist. Daher investieren wir im kommenden Jahr 98 Millionen Euro in die Inno-Regio-Förderprogramme. Das ist mehr als doppelt so viel wie vor zwei Jahren. 1998 war hier noch Fehlanzeige. Ein solches, speziell für die neuen Bundesländer eingesetztes Förderinstrument gab es überhaupt nicht. ({15}) Auch daran zeigt sich: Wir hatten und haben Erfolg. Von den 23 Regionen sei hier stellvertretend das Netzwerk „MAHREG-Automotive“ genannt, der InnoRegio-Verbund der Automobilzulieferer in Sachsen-Anhalt. Hier sind seit 1999 neun neue Unternehmen und über 3 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstanden. Insgesamt stehen rund 50 Unternehmensgründungen aus den Inno-Regios zu Buche. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zählen derartige Erfolge doppelt. Innovationen brauchen eine exzellente Forschungsbasis. Deshalb haben wir die Etats der großen Forschungsorganisationen in 2004 wieder um 3 Prozent erhöht. ({16}) Gleichzeitig stärken wir die Forschung, indem wir Strukturen erneuern und unsere Forschungseinrichtungen noch durchlässiger, flexibler und wettbewerbsfähiger gestalten. Diese Bundesregierung ({17}) hat nicht nur darüber geredet, sondern sie hat es getan: Wir haben die Forschungsförderung der Helmholtz-Gemeinschaft aus der institutionellen Form herausgelöst und in ein wettbewerbliches Verfahren überführt, und zwar mit einem sehr großen Erfolg. Sie ist international hoch anerkannt. Das ist eben der Unterschied: Sie haben zehn Jahre lang darüber diskutiert, beginnend Ende der 80er-Jahre. Bis 1998 war noch immer nichts geschehen. Wir dagegen sind tätig geworden und praktizieren die neue Regelung bereits seit zwei Jahren erfolgreich. ({18}) Die Mittel für die DFG sind in unserer Regierungszeit um 32,9 Prozent gestiegen, und zwar konkret von 562 Millionen Euro auf 747 Millionen Euro. Mit diesen Zahlen möchte ich deutlich machen, wie die Forschungsorganisationen in ihren Handlungs- und Forschungsmöglichkeiten durch diese Regierung gestärkt worden sind. Auch Technologieausgründungen - das ist ein weiteres Stichwort - sind für uns wichtig. Forschungsergebnisse können schließlich nur dann Wirkung entfalten, wenn sie angewendet werden. In diesem Zusammenhang spielen dann Technologieausgründungen und Existenzgründungen eine große Rolle. Deshalb stellen wir mit dem neuen Dachfonds für Wagniskapital gemeinsam mit privaten Beteiligungsgebern in den nächsten Jahren bis zu 1,7 Milliarden Euro für innovative Firmen zur Verfügung. So unterstützen wir den Transfer von Forschungsergebnissen in Produktion und Dienstleistungen und tragen damit auch dazu bei, dass zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Parallel arbeiten wir daran, dass Hochschulerfindungen noch professioneller verwertet werden. Dazu haben wir bereits vor zwei Jahren die Reform des Arbeitnehmererfindungsgesetzes durchgeführt und haben eine Patentierungs- und Verwertungsoffensive gestartet. Wir unterstützen Hochschulen dabei, dass sie in den nächsten Jahren das notwendige Know-how dafür schaffen. ({19}) Für die Entwicklung von Innovationen brauchen wir vor allen Dingen gut ausgebildete, kreative und motivierte Menschen; denn Innovationen entstehen in den Köpfen. Gute Bildung ist also nicht nur ein Gebot der Chancengleichheit, sondern buchstäblich eine Überlebensfrage unserer Gesellschaft. Deshalb unterstützen wir mit unserem so wichtigen Ganztagsschulprogramm die Länder dabei, dass sie die schulische Bildung verbessern. Gleichzeitig haben wir die Bedingungen für die Hochschulen deutlich verbessert. Wenn man genau hinsieht, zeigt sich, dass diese Bundesregierung die Gelder für die Hochschulen in den letzten Jahren um 23 Prozent erhöht hat, ({20}) die Länder im gleichen Zeitrum dagegen leider nur um 12,5 Prozent. Wir geben den jungen Menschen eine Chance. Das ist eines unserer wichtigen Anliegen, dieses Ziel verfolgen wir mit allen Kräften. Eine gute Ausbildung gehört dazu und ist eine wichtige Voraussetzung. Es besteht zwischen den Oppositions- und den Regierungsparteien ein wesentlicher Unterschied: ({21}) Wir wollen nicht, dass ein junger Mensch auf das Studium verzichten muss, weil er es sich nicht leisten kann. ({22}) Aus diesem Grund haben wir das BAföG reformiert, weswegen wir nun auch mehr Mittel dafür einsetzen müssen. Aber das wollen wir auch. Wir haben im Gesetz abgesichert, dass das Erststudium gebührenfrei bleibt. ({23}) Frau Böhmer, ich sage Ihnen ausdrücklich: Sie haben zum Thema der Langzeitstudierenden gesprochen. In diesem Punkt gibt es keinen Dissens. Es steht seit zwei Jahren im Gesetz, dass von Langzeitstudierenden Gebühren erhoben werden können. In der Zeit hätten Sie das schon mitbekommen können. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Ministerin, ich muss Sie für einen Moment unterbrechen. Sie dürfen als Mitglied der Bundesregierung natürlich weiterreden. Das geht aber auf Kosten der Redezeit Ihres Kollegen Jörg Tauss. Darauf muss ich Sie hinweisen. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Das will ich natürlich nicht. Deshalb komme ich nun zum Schluss und sage kurz und knapp: Wir haben die Finanzierung für die Hochschulen in den letzten Jahren deutlich verbessert und werden diesen Kurs in den kommenden Jahren fortsetzen. ({0}) Gleichzeitig tragen wir dafür Sorge, dass kein Jugendlicher, der von der Schule kommt, in die Arbeitslosigkeit gerät. Deswegen haben wir auch im Bereich der beruflichen Bildung bereits die notwendigen Maßnahmen ergriffen und werden auch hier weitere Schritte tun. ({1}) Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche eine Zukunftschance haben. Nur so hat auch dieses Land eine Zukunftschance. Wir wollen eine Situation schaffen, dass Innovationen in unserem Land wirklich möglich werden. ({2}) Dafür brauchen wir auch weiterhin diese Bundesregierung. Das hat die Debatte deutlich gezeigt. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Katherina Reiche von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Land muss sich anstrengen. Wir haben große Defizite bei der technologischen Innovation, bei Bildung und Qualifizierung. Wir bilden viel zu wenig Naturwissenschaftler, Ingenieure und Mathematiker aus. Uns fehlen schon heute 70 000 Ingenieure. … Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig. ({0}) - Sie müssen mich dafür nicht abstrafen. Das hat Ihr Fraktionschef Franz Müntefering am 6. September 2003 der „Berliner Zeitung“ gesagt. ({1}) Das ist eine richtige Erkenntnis. Die Verantwortung dafür trägt die Bundesregierung selbst. ({2}) Zentralismus, Bevormundung, Pessimismus und Bürokratie sind die roten Fäden der rot-grünen Bildungsund Forschungspolitik. ({3}) Sie pflegen Skepsis und Krisenszenarien. Forschungsoptimismus, Forschungsfreiheit und Selbstbewusstsein - all das war aus Ihrer Rede nicht herauszuhören. Für 2004 gibt es keine Initialzündung, keinen neuen Impuls, durch den der Bildungs- und Forschungsstandort wieder an Fahrt gewinnen könnte. ({4}) In diesem Herbst ist die Lage hier in Deutschland sehr ernst. Nicht nur der diesjährige Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit, sondern auch unsere Anhörung zu Schlüsseltechnologien hat ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Im internationalen Vergleich fällt Deutschland in der Attraktivität ab. Nur noch in der Grob- und höherwertigen Technologie sind wir gut. Wir bauen zwar noch hervorragende Autos, aber das reicht für die Zukunft nicht. ({5}) In den zukunftsweisenden Branchen Informationsund Telekommunikationstechnologie spielt die Musik woanders. Die deutschen Biotech-Unternehmen sind in einer Krise. In Großbritannien erwirtschaften weniger Firmen den vierfachen Umsatz. Ingenieure und Naturwissenschaftler fehlen und der Braindrain hält an. Als Antwort kürzt Rot-Grün nun bei den Basistechnologien und den Anwendungen für IuK um 3 Millionen Euro und bei der Softwaretechnik um weitere 3 Millionen Euro. Bereits im laufenden Jahr 2003 gibt es für die Biotechnologie 5 Millionen Euro weniger. Frau Bulmahn, andere Länder tun sehr viel mehr. Schweden hat seine Ausgaben für die Forschung innerhalb von zwei Jahren um 30 Prozent erhöht. Kanada wird in den nächsten fünf Jahren 2 000 zusätzliche Lehrstühle einrichten. Sogar China hat uns überholt. Von den USA ganz zu schweigen: Dort werden neue Forschungszentren aufgebaut, die sich zu internationalen Anziehungspunkten entwickeln. Allein Harvard investiert derzeit 3 Milliarden Dollar. Das ist mehr als das Doppelte eines Haushaltes der Max-Planck-Gesellschaft hier in Deutschland. Bildung und Forschung müssen wieder Priorität erhalten. Dazu reicht kein Plädoyer auf dem SPD-Parteitag. Wer Wachstum will, der braucht Innovationsfelder und wer jungen Menschen eine Chance geben will, der muss sich auf Zukunftsweisendes konzentrieren. ({6}) Wissenschaft braucht langfristiges Denken. Das können Sie nicht. Sie entfachen kurzfristige Strohfeuer und betreiben Propaganda. Die „Zeit“ schreibt: Die Bundesregierung dreht einen ganz neuen Spin: Gerhard Schröder, der Innovationskanzler. Das Jahr 2004 soll nun gar zum Jahr der Technik ausgerufen werden. Schon seit Monaten propagieren Sie einen Hightechmasterplan. Nichts kommt. ({7}) Das Spiel ist gefährlich und das Kalkül geht nicht auf. Nun mahnt gar Sigmar Gabriel, der sonst für Pop zuständig ist: Wir können nicht beim Parteitag die Innovationsförderung hochhalten und sie im Alltag kleinkürzen. Zu Recht titelt beispielsweise der „Spiegel“: „Die Innovationslüge“. Die „VDI-Nachrichten“ titeln: „Die Innovationsblase“. Das ist Politikersatz, aber keine Politik. ({8}) Durch den Einzelplan 30 wird deutlich: Es fehlt nicht nur das Geld, sondern es gibt auch keine Konzepte, Prioritäten oder Strategien. Sie haben ganz stolz verkündet, dass Sie nunmehr Geld erhalten, nämlich 52 Millionen Euro. Das ist aber Augenwischerei. Dieses Geld ist lediglich zur Erfüllung der Rechtsansprüche von BAföGEmpfängern notwendig. Schon jetzt liegt der Etat wiederum unter dem, was Sie eigentlich brauchten. Das war auch 2003 schon so. ({9}) Die bittere Wahrheit ist: Der Haushalt schrumpft um 100 Millionen Euro und das Risikovolumen beträgt schon jetzt 150 Millionen Euro. Zusätzlich füllen Sie nun die Rentenkasse aus Forschungsmitteln. Das ist programmierter Stillstand. Über 80 Millionen Euro sollen im Einzelplan 30 „erwirtschaftet“ werden. Sie sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen. Es war schon ein Stück aus dem Tollhaus, als Sie uns am 7. November dieses Jahres erklärten, dass die Plünderung Ihres Haushaltes Zukunftsinvestitionen schaffen würde. Wie das zu schaffen ist, bleibt wohl Ihr Geheimnis. Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich durch - für Forschung und für die Zukunft unseres Landes. Sie müssen sich auf Ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Die Kernkompetenzen sind berufliche Bildung, Hochschulen und Forschung. ({10}) Sie fischen in fremden Gewässern, zum Beispiel bei der Schulpolitik. Von den 300 Millionen Euro, die 2003 für Ihr Ganztagsschulprogramm zur Verfügung standen, sind derzeit 10 Prozent abgeflossen. ({11}) Sie wollten 10 000 Ganztagsschulen bauen. Intern heißt es jetzt, von dieser Zahl hätten Sie sich verabschiedet, sie würde nicht mehr kommuniziert. Ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Wahlkampfseifenblase ist geplatzt. ({12}) Erstens. Gestalten Sie dort, wo es nötig ist, zum Beispiel bei der beruflichen Bildung. Die Lehrstellenlücke im September war ein trauriger Nachkriegsrekord, den Sie zu verantworten haben. ({13}) Schuld haben natürlich die Unternehmer, so findet jedenfalls Rot-Grün, nicht etwa eine desaströse Wirtschafts- und Finanzpolitik. Nun bekommt die Linke das, was sie sich seit 20 Jahren wünscht, nämlich eine Zwangsabgabe. Ich kann Ihnen nur raten: Lassen Sie die Finger davon. Novellieren Sie das Berufsbildungsgesetz. Stärken Sie die Berufsausbildung durch modulare Berufsbilder! Wir haben detaillierte Eckpunkte vorgelegt. Sie brauchen sie nur noch umzusetzen. ({14}) Zweitens. Stecken Sie das Geld in die Hochschulen. Dafür sind Sie zuständig. Sie kürzen in diesem Jahr 135 Millionen Euro beim Hochschulbau. Damit greifen Sie in unzulässiger Weise der Föderalismusreform vor. ({15}) Ich sage Ihnen: Wer an den Hochschulen spart, der spart an der Zukunft dieses Landes. Damit treffen Sie vor allem den Osten. Ihr Staatssekretär hat zum Stand der deutschen Einheit erklärt: Der Aufholprozess in den neuen Ländern ist noch längst nicht abgeschlossen. Insbesondere die Hochschulen tragen eine große Verantwortung. Würgen Sie diesen Prozess doch nicht ab! Es klingt wie Hohn, dass Sie 40 Prozent eines Abiturjahrganges an die Hochschulen schicken wollen. Ich frage mich, ob diese in zugigen Rohbauten studieren sollen. Lassen Sie die Hochschulen von Ihrer Gängelrute, zum Beispiel durch die Selbstauswahl der Studenten. Aber auf dem Ohr Eigenverantwortung, Wettbewerb, Freiheit von Forschung und Lehre hört Frau Bulmahn schwer. Geben Sie Ihre Denkblockade auf. Verschlanken Sie das Hochschulrahmenrecht! ({16}) Auch Studienbeiträge haben Sie zum Tabu erklärt, weil nicht sein kann, was nicht in Ihr Weltbild passt. Vielleicht sollten Sie einmal Ihren Staatssekretär dazu befragen. Auch Tony Blair führt in England Studiengebühren ein und begründet dies mit sozialen Gesichtspunkten. Sie lernen doch sonst so gerne vom britischen Premier. Warum nicht auch hier? ({17}) Drittens. Stecken Sie das Geld in die Forschung; denn Forschung ist und bleibt die beste Zukunftsinvestition. Hans-Jürgen Klockner vom VCI mahnt: Die Gefahr wächst, dass sich bei der Grundlagenforschung die Schere zwischen den USA und Deutschland immer weiter öffnet. Deutschland wird immer weniger wettbewerbsfähig. ({18}) Als Bundeskanzler Schröder im März den Forschungsorganisationen für dieses Jahr einen dreiprozentigen Aufwuchs offerierte, hätten sich diese wohl nicht träumen lassen, dass sie dies mit der Mittelkürzung in der Projektförderung bezahlen müssen, die um 8,1 Prozent sinkt. Gekürzt wird gerade bei Zukunftstechnologien wie den optischen Technologien, dem nationalen Gen- und Forschungsprojekt oder den Nanowissenschaften. Wir brauchen Aufbruchstimmung und wir brauchen eine Strategie. Strategie heißt, zu wissen, wohin man will. Aber in Ihrer Regierung weiß das keiner. ({19}) Frau Künast will Richtung Pusteblume und der Kanzler in Richtung Technik. Beides passt nicht zusammen. ({20}) Die Anwendung der grünen Gentechnik wird mit allen Mitteln blockiert, obwohl man weiß, dass im Jahr 2020 die Hälfte aller Innovationen ohne biotechnologische Verfahren nicht möglich sein werden. Wir brauchen eine nationale Biotechnologiestrategie. Sie kündigen sie gelegentlich an. Wir aber haben eine, Sie brauchen sie nur noch umzusetzen. Die Gentechnik ist symptomatisch für das, was sich Rot-Grün unter Forschungsfreiheit vorstellt, nämlich den Plan zu verwirklichen, dass irgendwann alle großen Forschungsorganisationen in die Alleinzuständigkeit des Bundes geraten. Nur in einem Klima von Freiheit und Eigenverantwortung kann Wissenschaft gedeihen. Es geht nicht nur um die Weitergabe von bestehendem Wissen, es geht um die Freiheit der Suche nach Neuem, nach Unbekanntem und Faszinierendem. Die akademische und die Forschungsfreiheit ist ein Beweis des Vertrauens der Gesellschaft gegenüber einer geistigen Elite. Wir haben sowohl an den Hochschulen als auch in den Forschungseinrichtungen zu viele Reglementierungen. Ihnen fehlt der Mut, tatsächlich Wettbewerb zuzulassen. Sie sind zögerlich gegenüber neuen Erkenntnissen in Wissenschaft und Forschung. Sie sehen lieber die Risiken als die Chancen. ({21}) Lieber Herr Bonde, Sie beantworten nicht die Frage, womit Sie in Zukunft Geld verdienen wollen. Ich sage Ihnen: Mit der Friedens- und Konfliktforschung werden Sie kein Geld verdienen. ({22}) Frau Bulmahn, es ist Ihre Aufgabe, hier Antworten zu finden. Ergreifen Sie endlich die Initiative. Wir haben Ihnen Konzepte auf den Tisch gelegt. Nehmen Sie Ihre Verantwortung endlich wahr und machen Sie Ihre Hausaufgaben! Vielen Dank. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Josef Fell von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Konzepte, die Sie auf den Tisch gelegt haben, Frau Reiche, hätten wir gerne in den Ausschussberatungen gesehen, um darüber befinden zu können, ob sie gut sind. Alle Redner hier haben fast einmütig erzählt, dass Sie gar keine Konzepte auf den Tisch gelegt haben. Wo sind Ihre Konzepte? Wir warten noch darauf. ({0}) Fakt ist, dass Rot-Grün auch im Jahr 2004 Bildung und Forschung einen hohen Stellenwert beimessen. Insgesamt stehen für Bildung und Forschung 9,7 Milliarden Euro zur Verfügung - ein erfreuliches Rekordergebnis, das die Bundesrepublik Deutschland so noch nie gesehen hat. ({1}) Dazu einige Details. In letzter Zeit wurde gelegentlich verbreitet, die Bundesländer riefen die Mittel für Ganztagsschulen nur zögerlich ab. Das ist falsch. Wir halten es für ein gutes Zeichen für unsere Schülerinnen und Schüler, dass bereits acht Bundesländer Vorhaben angemeldet haben. Das beweist den großen Bedarf. Ein schöner Erfolg ist auch, dass wir nicht nur im BAföG, sondern auch im so genannten Meister-BAföG großen Zuspruch sehen. ({2}) Fast 90 000 Menschen haben im letzten Jahr gezeigt, dass sie bereit sind, in ihre berufliche Weiterbildung zu investieren. Einige kleine, aber wichtige Schritte im Sinne der nachhaltigen Verbesserung von Forschungsbedingungen sehen wir zum Beispiel in der Stärkung der Forschung zu Ersatzmethoden zum Tierversuch, in der Erhöhung des Vernetzungsfonds Erneuerbare Energien oder in der Aufstockung der Mittel für die Friedensforschung. ({3}) Was uns auch freut, sind die 3 Prozent Zuwachs für die Forschungsgemeinschaften. Wir wissen allerdings, dass die gesamte Forschungslandschaft diesen Zuwachs mit einem weinenden Auge sieht; denn diese Mittel fehlen an anderer Stelle, zum Beispiel bei den wichtigen Projektforschungsmitteln oder im Hochschulbau. Die Haushaltszwänge machen uns schwer zu schaffen. Sie belasten vor allem die Projektmittel. Dies trifft nicht nur den hier zur Abstimmung stehenden Haushalt des BMBF, sondern auch die anderen Einzelpläne. Auch die Verringerung der Hochschulbaumittel gehorcht der finanziellen Not. ({4}) Wir wissen, dass wir die Infrastruktur für Lehre und Forschung in unserem Land verbessern müssen. Ihr Protest, meine Damen und Herren von Union und FDP, wäre aber glaubwürdiger, wenn Sie in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, Bildung und Forschung den Stellenwert geben würden, den Sie hier einfordern. ({5}) Bildung und Forschung haben Priorität. Das ist parteiübergreifend Konsens, aber nicht parteiübergreifend Realität. Die Realität lautet: Kürzungen. Ich gebe zu, dass dies teilweise auch auf Bundesebene so ist, zum Beispiel bei der erwähnten Projektforschungsförderung. Das heißt aber auch: drastische Kürzungen bei den Wissenschaftsmitteln in den schwarz-gelb regierten Ländern, zum Beispiel 10 Prozent Kürzungen nach der Rasenmähermethode in Bayern. Erst letzte Woche gingen Zehntausende wütende Studenten und Professoren in Bayern auf die Straße. Das ist Ihre Forschungs- und Bildungspolitik. ({6}) Das sehen wir auch in anderen Ländern. Hessen kürzt sogar bei renommierten außeruniversitären Instituten wie dem Institut für solare Energietechnik an der Universität Kassel, und das um gleich 20 Prozent. Wir Forschungspolitiker stehen in Bund und Ländern fraktionsübergreifend vor einem Dilemma. Unsere Überzeugungsarbeit hat in allen Papieren und Sonntagsreden gefruchtet. Alle wollen das Ziel erreichen, bis 2010 den Anteil der Forschungsund Entwicklungsmittel auf 3 Prozent anzuheben. ({7}) Aber wenn es dann um Prioritätensetzung geht, sehen sich die Forschungspolitiker plötzlich alleine den Interessen der anderen Fachpolitiker, der Haushaltspolitiker und der anderen Ministerien gegenüber. Frau Böhmer, auch in den von der Union regierten Bundesländern ist das so. Klar ist: Mehr Mittel für Forschung und Bildung bedeutet bei leeren Kassen weniger für andere Ausgaben und das heißt tatsächlich Schwerpunktsetzung. Wo, wenn nicht hier, macht das Wort von der Prioritätensetzung Sinn? Wir müssen neue Prioritäten setzen. So gibt die Bundesregierung zum Beispiel für Kohlesubventionen mehr aus, als das Bundesministerium für Bildung und Forschung für seine gesamte Projektförderung zur Verfügung hat. ({8}) Die Kohlesubventionen sind nicht zeitgemäß und rauben Bildung und Forschung die dringend benötigten Mittel. ({9}) Das heißt, die Schlüsseltechnologien zur Lösung unserer Probleme werden vernachlässigt. Stattdessen geben wir Geld für fragwürdige Zukunftstechnologien aus. Der Transrapid kostet die öffentliche Hand mehr als die gesamte Forschungsförderung im Bereich der Nanotechnologie, deren Potenzial uns das Büro für Technikfolgenabschätzung kürzlich erst wieder vor Augen führte. Über dem Einzelplan 30 schwebt die Sparvorgabe der globalen Minderausgabe von 84 Millionen Euro. Rentensubventionen aus dem Haushalt für Bildung und Forschung bedeuten, dass Mittel wohl doch nicht für die Zukunft, sondern für die Alten ausgegeben werden. ({10}) Ich bin überzeugt, dass das auf Dauer niemandem hilft. Für die Bildung gilt: Wir müssen uns intelligente Wege der Bildungsfinanzierung überlegen, die wir zum Beispiel mit der Altersvorsorge verknüpfen können. Für die Forschung gilt: Wir von Bündnis 90/Die Grünen sehen, dass die Wirtschaft für das Erreichen des 3-Prozent-Ziels Hilfe braucht, und werden das angehen, indem wir neue Schwerpunkte in der Förderpolitik setzen, zum Beispiel auch die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern und unter anderem die vom BDI vorgeschlagene Forschungsprämie prüfen. Es bleibt festzuhalten: Das Problem ist erkannt. Aber das reicht nicht. Erst dann, wenn wir beim Bund und in den Ländern gemeinsam die Priorität für Forschung und Bildung zur Realität machen, hat dieses Land wieder eine Chance auf Zukunft. Falls nicht, bleiben wir alle Papiertiger und die Zukunft gehört anderen Staaten. Ich danke Ihnen für das Zuhören. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es ist nicht so furchtbar schlimm, dass ich ein bisschen Zeit verloren habe, Frau Ministerin. Ich wollte heute Abend auf Argumente eingehen, aber da wir keine gehört haben, kann ich mir die Zeit sparen. ({0}) Was wir gehört haben, waren Diffamierungen und falsche Behauptungen. Das Schlimmste war, was Sie, Frau Reiche, zur Friedensforschung gesagt haben. Ich halte diesen Satz für unerträglich. ({1}) Sich hierhin zu stellen und zu sagen, mit Frieden lasse sich kein Geld verdienen, zeugt von einem Höchstmaß an Verkommenheit in einer Debatte über Forschungspolitik. Das müssen Sie sich hier bestätigen lassen. ({2}) Vielleicht informieren Sie sich einmal bei Ihrem Kollegen Beck, einem anständigen Konservativen, der im Stiftungsrat der Deutschen Stiftung Friedensforschung sitzt, über die Arbeit, die dort geleistet wird, wenn Sie keine Ahnung haben. Ich halte es für unerträglich, was Sie hier vorgetragen haben. Das will ich an dieser Stelle sagen. ({3}) Noch einige andere Dinge waren schwer erträglich: erstens Ihre Behauptungen, die sich auf den Bund bezogen haben. Wir tun uns im Moment - Herr Kollege Fell hat es angesprochen - als Bildungs- und Forschungspolitiker bundesweit schwer. Aber ich hätte schon die Bitte, dass Sie sich einige Länder anschauen, die von Ihnen regiert werden. Dann sehen Sie, wie dort unmittelbar nach einer Landtagswahl mit Bildung und Forschung umgegangen wird. ({4}) Ihre Kritik, die Sie am Bund geübt haben, wäre dort an der richtigen Adresse. Es waren schon putzige Beispiele, liebe Frau Böhmer, die Sie gebracht haben. Sie erzählen, dass die Fachhochschule in Biberach verspätet gebaut wird. In Niedersachsen werden Fachhochschulen geschlossen. ({5}) Der Kollege Fischer - leider beehrt er uns jetzt nicht mehr - war dabei, als sein Vater, der Rektor der Fachhochschule in Karlsruhe, gesagt hat, dass den Fachhochschulen in Baden-Württemberg das finanzielle Fundament entzogen werde. Der Vertreter der Landesregierung hat ausgeführt, im Bereich Bildung und Forschung müsse nach der Rasenmähermethode gekürzt werden. Das sei notwendig, weil auch in diesem Bereich ein Strukturwandel erforderlich sei. Entschuldigung, aber man muss schon einen gewissen Wirklichkeitsverlust erlitten haben, um so vorzugehen. ({6}) Ich kann Ihnen die Zahlen nennen: In Niedersachsen wird der Hochschuletat 2004 um 50 Millionen Euro gekürzt. In Hessen betragen die Kürzungen 43,42 Millionen Euro. In Bayern werden Einsparungen in Höhe von 10 Prozent angestrebt. ({7}) - In Berlin sieht es nicht viel besser aus. Die Kürzungen ziehen sich bundesweit durch das Land. Aus diesem Grunde ist es doch so fatal, dass Sie Ihre SchwarzerPeter-Spielchen treiben. ({8}) Sie versuchen, die Schuldzuweisungen in eine Richtung zu lenken und konzentrieren sich dabei ausgerechnet auf denjenigen, der noch am meisten unternimmt. In den vergangenen Jahren war das der Bund. Das will ich in diesem Zusammenhang festhalten. ({9}) Sie reden über Studiengebühren. Ich bin zwar bereit, über die Finanzierung von Bildung zu sprechen, aber sie darf nicht auf Kosten derjenigen gehen, denen wir auferlegen, als nächste Generation die Rentenprobleme und die ökologischen Probleme zu tragen und auszubaden, was wir an Schulden - das sind vor allem Ihre Schulden - hinterlassen. Auch darüber sollten wir diskutieren. Außerdem: Von den Gebühren für Langzeitstudierende, die in Baden-Württemberg erhoben wurden - Frau Böhmer ist leider nicht mehr anwesend -, ({10}) ist kein Cent bei den Fachhochschulen und nur ein geringer Betrag bei den Universitäten angekommen. Ähnlich ist es mit den Verwaltungsgebühren. Über diesen Punkt müssen wir diskutieren: Studiengebühren haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Folge, dass sie an den klebrigen Fingern der Finanzminister hängenbleiben, statt den Hochschulen zugute zu kommen. ({11}) Aus diesem Grund sind die Debatten, die in diesem Lande geführt werden, albern. In den USA wird zurzeit ein Gesetz vorbereitet, das eine Begrenzung der Studiengebühren vorsieht, weil immer weniger Menschen aus sozial schwachen Familien und aus Mittelstandsfamilien studieren können und weil diejenigen, die studiert haben, unglaublich hoch verschuldet sind. Deswegen ist die Akademikerverschuldung in den USA zurzeit ein Thema. Ich habe insofern die herzliche Bitte, Frau Reiche: Wenn Sie schon in die USA blicken, dann nehmen Sie auch dies zur Kenntnis! ({12}) Erst kürzlich ist uns in der Anhörung doch bestätigt worden: In den USA bemüht man sich, die weltweit besten Köpfe anzuwerben. Das ist zwar in der Tat problematisch - und zwar auch für die Länder, in denen angeworben wird -, aber entscheidend ist: Wir könnten das gar nicht, weil der Versuch, ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Deutschland zu gewinnen, durch Ihre Blockade des Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat zum Scheitern verurteilt ist. Sie wollen offensichtlich verhindern, dass die besten Köpfe zu uns kommen, und deswegen gehen diese in die USA. ({13}) Im Übrigen ist es schon interessant, dass der CDU/ CSU zum Thema Schule nichts anderes als „Suppenküche“ einfällt. Das mag an Ihrer Figur liegen, lieber Kollege Willsch; wir unterscheiden uns da nicht sehr. Aber wenn ich über Bildung rede, dann geht es nicht nur um Suppe. ({14}) Ich bitte insofern darum, die Kirche im Dorf zu lassen und die Kinder nicht mit dem Bade auszuschütten. Erstens können wir die Kinder, die eine Ganztagsschule besuchen, nicht verhungern lassen. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, dass sie auch tagsüber etwas zu essen bekommen müssen. Zweitens entscheiden über diese Investitionen die Länder. Wenn Sie in den von Ihnen regierten Ländern keine Suppenküchen einrichten, sondern Computer an die Schulen bringen wollen, dann machen Sie das ruhig. Aber trotzdem stellt sich irgendwann die Frage nach der Suppe. Die Kinder können ja schlecht vom Computer abbeißen oder die Maus essen. ({15}) Ich könnte noch viele Punkte ansprechen. Was mir zurzeit Sorgen macht, ist die Föderalismusdebatte. Sie vergießen Krokodilstränen über die Finanzierung des Hochschulbaus. Es waren doch die 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten - traurigerweise wurde die Mehrheit von Ihnen gestellt; das wird sich sicherlich wieder umkehren, wenn die Leute merken, wohin Ihre Politik führt -, die nicht mehr wollten, dass sich der Bund um die Hochschulbaufinanzierung kümmert. Jetzt wundern Sie sich darüber, dass der Finanzminister darin ein Einsparpotenzial sieht. Herr Präsident, Sie leuchten auf. ({16}) Ich hätte gern noch etwas zur Ausbildungsplatzumlage ausgeführt. Auch das ist ein Punkt, zu dem Sie nur polemisieren. Uns interessiert die Abgabe nicht. Wir wollen keine Abgabe; wir wollen vielmehr eine Umlage, um den anständigen Betrieben, die Ausbildung betreiben, etwas zugute kommen zu lassen. ({17}) Das werden Sie auch noch verstehen. Wir erläutern es Ihnen. Wenn der Gesetzentwurf vorliegt, dann haben wir noch Gelegenheit zu diskutieren. Ich wünsche einen angenehmen Abend und danke Ihnen. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30 - Bundesministerium für Bildung und Forschung - in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstimmen. ({0}) - Wir müssen unabhängig davon abstimmen, ob sie anwesend sind oder nicht. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/2076? - Offenkundig niemand. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine. Der Änderungsantrag ist damit einstimmig abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 30 in der Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Einzelplan 30 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 26. November 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.