Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Eckpunkte der Novellierung
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Margareta Wolf.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesumweltministerium hat das Kabinett
in der heutigen Sitzung über die erfolgte Verständigung
über die Regelungen einer Novelle des EEG unterrichtet.
Im Mittelpunkt steht eine tragfähige Lösung für die
Windenergie. Ihr Ausbau soll auf hohem Niveau fortgesetzt werden. An guten Windstandorten im Binnenland
wird der Schwerpunkt in den kommenden Jahren auf
dem Ausbau der Windkraftnutzung liegen. Hierfür liefert die Novelle die notwendigen Voraussetzungen. Die
Vergütungssätze sollen reduziert werden: der Basissatz
um 0,5 Cent auf 5,5 Cent pro Kilowattstunde und der erhöhte Anfangssatz um 0,1 Cent auf 8,7 Cent pro Kilowattstunde. Dies bedeutet für das Jahr 2004 gegenüber
dem Jahr 2003 eine Absenkung um rund 6,3 Prozent an
guten Küstenstandorten und um rund 2,3 Prozent an guten Binnenlandstandorten. Die Degression der Vergütungsgrundsätze für neue Anlagen wird von bisher
1,5 Prozent auf 2 Prozent erhöht, um so optimale Kostensenkungspotenziale zu erzielen.
Insbesondere für die Küstenstandorte sind besondere
Anreize für das so genannte Repowering vorgesehen,
also den Ersatz alter, kleiner Anlagen durch moderne
und leistungsstarke Anlagen. An windschwachen Standorten dagegen soll es künftig keine Vergütung nach dem
EEG geben. Die Grenze liegt bei 65 Prozent des Referenzertrages.
Die Windenergienutzung auf See soll - so die Bundesregierung - zügig erschlossen werden. Für Strom aus
Offshorewindanlagen soll es eine hohe Vergütung von
9,1 Cent pro Kilowattstunde über mindestens zwölf
Jahre geben, wobei die Möglichkeit der Verlängerung
dieses Zeitraumes besteht, die von der Entfernung zur
Küste und der Wassertiefe abhängig ist. Der hohe Vergütungssatz gilt für Offshorewindanlagen, die bis 2010 in
Betrieb gehen.
Für Strom aus Solarstrahlung gibt es künftig eine
Grundvergütung. Dies gilt auch für große Freiflächenanlagen, soweit sie sich im Bereich eines Bebauungsplanes
befinden. Für Solaranlagen auf Gebäuden erhöht sich die
Vergütung. Es bleibt bei einer Kostendegression von
5 Prozent für neue Anlagen.
Zur Biomasse. Eine deutliche Anhebung der Vergütungssätze gibt es für Strom aus Biomasse. Im neuen
EEG soll die erste Schwelle schon bei 150 kW liegen mit
einem erhöhten Vergütungssatz von 11,5 Cent pro Kilowattstunde. Zusätzlich ist für Anlagen bis 5 MW Leistung ein Bonus von 2,5 Cent pro Kilowattstunde für den
Einsatz nachwachsender Rohstoffe und ein weiterer Bonus von 1 Cent pro Kilowattstunde beim Einsatz innovativer Technik wie zum Beispiel der Brennstoffzelle vorgesehen.
Zur Wasserkraft. Strom aus Wasserkraftanlagen bis
5 MW Leistung wird weiterhin im Rahmen des EEG
vergütet. Das gilt auch für kleine, neu errichtete Anlagen
bis 500 kW Leistung an vorhandenen Staustufen oder
Wehren, wenn ein guter ökologischer Zustand erreicht
wird. Kleine Anlagen bis 500 kW, die nicht im Zusammenhang mit Staustufen oder Wehren betrieben werden,
sollen nur noch dann unter das EEG fallen, wenn sie bis
zum 31. Dezember 2005 genehmigt worden sind.
Neu ist die Einbeziehung großer Wasserkraftanlagen
mit einer Leistung von bis zu 150 MW, wobei das Leistungsvermögen der Anlagen infolge von Erweiterungsmaßnahmen um mindestens 15 Prozent gesteigert und
ein guter ökologischer Zustand erreicht werden muss.
Vergütet wird dann nur die durch die Erweiterung neu
Redetext
hinzugekommene Strommenge, nicht jedoch die bereits
heute erzeugte.
Nun komme ich noch zur Geothermie. Die Vergütung für den Strom, der aus der Nutzung der Geothermie gewonnen wird, soll deutlich angehoben werden.
Wir glauben, dass es sich hierbei um eine besonders
vielversprechende Sparte handelt. Am heutigen Tag ist
in Mecklenburg-Vorpommern die erste Strom produzierende Geothermieanlage Deutschlands - sie steht in
Neustadt-Glewe - in Betrieb gegangen; Minister Trittin
hat sie heute eingeweiht. Beim Deponie-, Klär- und
Grubengas soll es einen Bonus für die Stromgewinnung mit Brennstoffzellen geben.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, eine
jährliche Degression der Vergütungssätze für neue Anlagen ist jetzt in allen Sparten vorgesehen. Für Geothermie- und Windoffshoreanlagen wird sie jedoch für einige Jahre ausgesetzt. Die Degressionssätze sind an das
Effizienzpotenzial der verschiedenen Sparten angepasst.
Damit wird ein anspruchsvoller Anreiz zur Senkung der
Kosten und zur Erhöhung der Wirkungsgrade gegeben.
Unser Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien mittelfristig zu erreichen, damit sie sich
dann am Markt selbst tragen können.
Gegenstand des Berichts war ferner die Härtefallregelung für stromintensive Unternehmen. Diese besondere
Ausgleichsregelung war in Form des Ersten Gesetzes zur
Änderung des EEG - Sie erinnern sich - im Juli 2003 in
Kraft getreten und zunächst auf ein Jahr begrenzt. Sie
soll angemessen erweitert und die Befristung soll aufgehoben werden. Es wurde ein 10-Prozent-Deckel eingezogen. Das bedeutet, dass ein durchschnittlicher Haushalt in Zukunft statt 1 Euro maximal 1,10 Euro pro
Monat für das EEG aufzuwenden hat.
Herzlichen Dank.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Frau Kollegin Gönner, bitte.
Ich habe zwei Nachfragen. Erstens. Sie sagten, dass
die Vergütung für Strom, der durch Geothermie gewonnen wird, deutlich angehoben werden soll, ohne jedoch
nähere Auskünfte darüber zu geben, wie die Anhebung
ausgestaltet werden soll und wo Sie hier Möglichkeiten
sehen.
Zweiter Punkt. Sie haben auch einiges zur Biomasse
gesagt. Mir fehlten dabei die Biogasanlagen, insbesondere die Gasgewinnung. Wie gehen Sie damit um? Es
geht also nicht nur um die Verstromung der Biomasse,
sondern auch um das Biogas. Was ist dort vorgesehen?
Frau Kollegin Gönner, wir haben uns darauf verständigt, dass Geothermie sowie Biogas, Klärgas, Grubengas
und Deponiegas einbezogen werden. Die Quantifizierung werden wir bei der weiteren detaillierten Erarbeitung des Gesetzentwurfs relativ zeitnah vornehmen, weil
sich das Kabinett bereits am 10. Dezember 2003 mit
dem Gesetzentwurf befassen soll.
Herr Kollege Pfeiffer, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe zunächst eine Frage
zur Photovoltaik. Das 100 000-Dächer-Programm ist
durch das Erreichen des Deckels Mitte des Jahres quasi
ausgelaufen. Es war klar, dass man eine Anschlussregelung braucht. Die Branche befindet sich in Unruhe und
hat keine Planungssicherheit. Im Schweinsgalopp haben
Sie jetzt ein Vorschaltgesetz zum gesamten EEG vorgelegt. Ich frage: Warum wurde hier nicht bereits früher
gehandelt, um Planungssicherheit zu gewährleisten?
Ich habe noch zwei Fragen zur Sache: Meinen Sie,
dass es der richtige Weg ist, dies in das EEG zu integrieren? Warum wird bei der Photovoltaik, die von der Wettbewerbsfähigkeit und der Marktreife weit entfernt ist
- sie befindet sich noch in der Entwicklungs-, Technologie- und Innovationsphase; wir reden dort über 40 bis
50 Cent je Kilowattstunde; bezogen auf die Marktpreise
liegen wir hier also um den Faktor 10 höher -, keine andere Lösung gewählt, durch die die Technologieförderung gewährleistet wird und die, wie es sich richtigerweise gehören würde, eine Finanzierung aus dem
Bundeshaushalt vorsieht?
Für die Steinkohle haben Sie offensichtlich genug
Geld im Bundeshaushalt; denn dafür stellen Sie
17 Milliarden Euro zur Verfügung, wie man gestern seitens des Bundeskanzlers erfahren konnte. Aber zur Finanzierung der Photovoltaik stehen Ihnen offensichtlich
keine Mittel mehr zur Verfügung; diese Kosten sollen
auf die Stromverbraucher umgelegt werden.
Wir haben uns schon mehrfach darüber unterhalten,
dass das EEG der Markteinführung erneuerbarer Energien und der Erhöhung des Wettbewerbs dienen soll,
nicht aber der Förderung von Forschung und Technologie. Können Sie mir diesen Systembruch und die Hintergründe dafür bitte erläutern?
Sehr geehrter Herr Kollege Pfeiffer, die Abflüsse aus
dem 100 000-Dächer-Programm waren in diesem Jahr
überproportional. Wir sind den Fraktionen ausgesprochen dankbar dafür, dass sie ein Vorschaltgesetz auf den
Weg bringen werden, um den drohenden Fadenriss zu
vermeiden und der, wie Sie zu Recht sagen, Verunsicherung in der Branche entgegenzuwirken.
Ich weiß, wir haben in der Vergangenheit trefflich
darüber gestritten, ob dieses Instrument des EEG wirklich geeignet ist, die Photovoltaik zu puschen. Die Verbände, mit denen wir und vermutlich auch Sie in KonParl. Staatssekretärin Margareta Wolf
takt sind, favorisieren die Einbeziehung der Photovoltaik
in das EEG. Sie wissen, dass eine Finanzierung der Photovoltaik über den Haushalt in Brüssel zu notifizieren
wäre. Selbst wenn wir diesen Streit gelöst hätten, würde
das der Branche in der jetzigen Situation nicht helfen;
denn wir alle wissen: Notifizierungen in Brüssel brauchen sehr viel Zeit.
({0})
Sie möchten eine Zusatzfrage stellen? - Bitte schön.
Wenn die Abflüsse bekannt waren, stellt sich die
Frage, warum Sie nicht früher reagiert haben. Mitte November argumentieren Sie mit der knappen Zeit. Seit Juni
aber war klar, dass es zu dieser Situation kommen würde.
Nach meinen Informationen wird sich allein das EEGVergütungsvolumen bei der Photovoltaik in einer Größenordnung von 56 bzw. 60 Millionen Euro im Jahre
2002 in diesem Jahr voraussichtlich auf mehr als 150 Millionen Euro fast verdreifachen.
Herr Kollege Pfeiffer, das Bundesumweltministerium
hat den anderen Ressorts Mitte August einen Entwurf für
die Novelle des EEG zugeleitet. In dem Entwurf wird
der Wegfall des 100 000-Dächer-Programms voll kompensiert. Wir befanden uns bis Anfang dieser Woche in
der Abstimmung mit den anderen Ressorts. Dass dies so
lange dauert, ist manchmal so im Leben. Auch wir hätten
gerne früher reagiert.
Sie sehen aber an der Tatsache, dass wir heute berichtet haben und sich das Kabinett schon Anfang Dezember
mit dem fertigen Gesetzentwurf der Bundesregierung
befassen wird, dass wir uns sehr ehrgeizige Ziele gesetzt
haben. Ich bin mir sicher, dass wir den Gesetzentwurf im
Frühjahr nächsten Jahres in dieses Hohe Haus einbringen und die entsprechenden Anhörungen möglichst
schnell durchführen werden. Es ist daher verfehlt, uns
nahe zu legen, wir hätten den Faktor Zeit vernachlässigt
oder ein Problem nicht frühzeitig erkannt.
Herr Kollege Kubatschka, bitte.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, dass das öffentliche Interesse an dem Erneuerbare-Energien-Gesetz,
bedingt durch dessen großen Erfolg, in letzter Zeit viel
größer war und dass vor allem die Lobbyverbände berechtigte Einwände erhoben haben, wodurch es schwieriger war, das Gesetz auf den Weg zu bringen?
Können Sie darüber hinaus bestätigen, dass das Fördermodell direkt über Zuschüsse, wie es der Kollege
Pfeiffer vorgeschlagen hat, wenn überhaupt, nur unter
sehr großen Schwierigkeiten in Brüssel genehmigt
würde und dass das lange Genehmigungsverfahren der
Photovoltaikindustrie enormen Schaden zufügen würde
und der Fadenriss, den wir mit dem Vorschaltgesetz verhindern verstärkt eintreten würde?
Herr Kubatschka, ich kann den letzten Teil Ihrer
Frage positiv beantworten. Wir alle wissen, dass Notifizierungsverfahren sehr lange dauern. Aktuell führen wir
eine Debatte darüber, wie hoch der Verschuldungsgrad
des Bundeshaushaltes überhaupt sein kann. Aus Gründen der Notifizierung und des Zeitverlustes, den dies für
die Branche mit sich bringen würde, aber auch aus haushaltspolitischen Gründen favorisieren wir, wie gesagt,
die Einbeziehung des Solarstroms in das EEG.
Sie haben Recht, dass verschiedene Lobby- und Industrieverbände auf die Bundesregierung zugekommen
sind. Ihre Anregungen galt es einzuarbeiten. Es hat zahlreiche Gespräche gegeben. Mein Eindruck ist, dass die
Industrie durchaus mit dem zufrieden ist, was wir jetzt
vorgelegt haben. Ich gehe auch davon aus, dass sich der
Boom, den das EEG im Bereich der erneuerbaren Energien ausgelöst hat, fortsetzen wird. Sie werden zur
Kenntnis genommen haben, dass sich die Bundesregierung in den Eckpunkten zu einer Novellierung des Gesetzes darauf verständigt hat, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf 20 Prozent zu
steigern, um somit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Herr Kubatschka, Ihre zweite Frage.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, dass vom
100 000-Dächer-Programm vor allem das Land Bayern
profitiert hat? Bayern hat fast 40 Prozent der Anträge gestellt und fast 50 Prozent der Zuschüsse erhalten. Vor allem der Landkreis Landshut, aus dem ich komme, hat
wegen seiner fitten Bürger das Gesetz genutzt und so Arbeitsplätze gesichert. Können Sie weiterhin bestätigen,
dass sich die Bayerische Staatsregierung mit Photovoltaik-Projekten in der Vergangenheit immer gerne geschmückt hat?
({0})
Sehr geehrter Herr Kollege Kubatschka, das kann ich
in toto bestätigen. Ich freue mich auch darüber, dass das
EEG eine so große Akzeptanz in Bayern gefunden hat.
Die Gespräche, die wir im Moment mit den Ländern
führen, verlaufen sehr harmonisch. Ich würde mich im Interesse dieses sehr boomenden und wachstumsstarken Industriebereichs freuen, wenn wir uns darauf verständigen
und Sie alle mitwirken könnten, dass der Bundesrat nach
der Beratung in den Ausschüssen und der Einarbeitung
der Ideen der Verbände, die noch ergänzend hinzukommen, das Gesetz unisono beschließt. Das wäre eine gute
Voraussetzung für die Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien. Sie wissen, dass wir diese mit dem
BMZ auf Initiative des Bundeskanzlers im Juni nächsten
Jahres in Bonn ausrichten. Die Strahlkraft dieser Konferenz wird sicherlich noch erhöht, wenn man im Ausland
weiß, dass der gesamte Deutsche Bundestag, aber auch
die Länder für diese Branche stehen.
Frau Kollegin Homburger, bitte.
Ich habe zwei Fragen. Die eine betrifft die Photovoltaik. Ich frage die Bundesregierung, warum man eigentlich in der Vergangenheit die Exportförderung nicht direkt mit dem Emissionshandel verknüpft hat. Es gibt
deutliche Aussagen von der Deutschen Energie-Agentur,
wonach es keine strategische Bündelung der Aktivitäten
in Bezug auf die Exportförderung bei den erneuerbaren
Energien gibt. Auch seitens des Bundesverbands WindEnergie wird beklagt, dass es keine strategische Verknüpfung zwischen diesen beiden Bereichen gibt.
Sie wissen, dass die FDP-Bundestagsfraktion dazu in
der Vergangenheit mehrfach Anträge gestellt hat. Diese
sind abgelehnt worden. Ich möchte von Ihnen erstens
gerne wissen, warum das bisher nicht gemacht wurde,
und zweitens, ob Sie zukünftig Regelungen schaffen wollen, die eine solche Verknüpfung der Exportförderung mit
dem Emissionshandel herstellen, um Windkraftanlagen,
aber insbesondere auch Photovoltaikanlagen mehr Möglichkeiten zu geben, im Ausland Fuß zu fassen.
Die zweite Frage betrifft die Härtefallregelung. Sie
haben vorgetragen, dass eine Deckelung von 10 Prozent
eingeführt wird und dass damit ein Haushalt mit maximal 1,10 Euro pro Monat für das EEG belastet würde.
Können Sie bitte die Zahl der Betriebe nennen, die nicht
unter die Härtefallregelung fallen und trotzdem einen relativ hohen Energieanteil haben? Dort ist die Belastung
pro Arbeitsplatz deutlich höher. In der chemischen Industrie beispielsweise macht das in Bereichen, die derzeit nicht von der Härtefallregelung betroffen sind, pro
Arbeitsplatz eine Belastung von 5 000 bis 6 000 Euro
aus. Sie haben lediglich ausgeführt, dass die Härtefallregelung angemessen erweitert werden soll. Mich interessiert, wie diese Erweiterung konkret erfolgen soll.
Ich frage Sie in diesem Zusammenhang: Wird die
auch weiterhin bestehende Kostenbelastung, die nach
der bisherigen Härtefallregelung auf die Betriebe umgelegt wird, die nicht von der Härtefallregelung profitieren,
weiterhin umgelegt und welche Auswirkungen ergeben
sich daraus insbesondere für kleinere und mittlere Betriebe?
Sehr geehrte Frau Homburger, zum ersten Teil Ihrer
Frage: Wir haben mit dem vorletzten Haushalt die Exportinitiative Erneuerbare Energien beschlossen, die ein
Fördervolumen von nahezu 30 Millionen Euro umfasst.
Die Federführung für diese Initiative liegt beim BMWA.
Nach meiner Kenntnis sind die Diskussionen mit der
Außenhandelskammer, in deren Zuständigkeit das Gesetz fällt und die ausländische Kontakte für die Windenergiebranche bzw. die gesamte Branche der erneuerbaren Energien vermittelt, und die Kooperation mit der
dena in der Vergangenheit sehr gut verlaufen.
Ob es zu einer Verknüpfung mit dem Emissionshandelsgesetz kommt, dessen Eckpunkte wir zurzeit mit
Vertretern der deutschen Industrie und der Verbände diskutieren und das wir erst in nationales Recht umsetzen
werden, werden die weiteren Debatten zeigen. Sie haben
gesagt, dass die dena und auch einige Verbände eine solche Verknüpfung vorgeschlagen haben. Wir werden diesen Vorschlag zusammen mit unseren Partnern in der Industrie prüfen und wir werden sicherlich im Rahmen des
Gesetzgebungsverfahrens noch Gelegenheit haben, ihn
ausführlich zu diskutieren.
Was die Frage nach der Härtefallregelung angeht, so
habe ich in der heutigen Kabinettssitzung ausschließlich
Eckpunkte vorgetragen, die in den nächsten Wochen noch
zu verifizieren sind. Aber die Forderung, die Deckelung
auf 10 Prozent zu begrenzen, ist gerade von den energieintensiven kleineren und mittleren Unternehmen erhoben worden. Ich kann Ihnen nicht mitteilen, welche Firmen im Einzelnen einbezogen sind. Aber beispielsweise
ist diese Forderung auch in einer Sitzung des VIK, an der
ich letzte Woche teilgenommen habe, erhoben worden.
Was die von Ihnen angesprochene Umlage angeht, so
glaube ich, dass die Akzeptanz dieses Gesetzes maßgeblich davon abhängt, ob sich die Belastung der Haushalte
und der kleinen und mittleren Unternehmen stark erhöhen wird. Von daher haben wir die 10-Prozent-Deckelung der Belastung nicht begünstigter Stromkunden und
damit die Beschränkung auf maximal 1,10 Euro pro
Haushalt und Monat anstelle bisher 1 Euro für sehr
wichtig erachtet.
Welche Wirkung die Härtefallregelung im Einzelnen
hat, bleibt abzuwarten; denn wir kennen nur Branchendurchschnittswerte, nicht die exakten Daten der einzelnen Unternehmen. Aber angesichts der bisherigen Situation im Zusammenhang mit der Härtefallregelung und
der Anzahl der von den Unternehmen gestellten Anträge
kann ich nur darauf verweisen, dass uns der VIK und andere versichert haben, die vorgesehenen Regelungen
seien ausreichend für die Branche.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Paziorek.
Frau Staatssekretärin, ich habe zwei Fragen, und zwar
eine zu kleinen Wasserkraftanlagen und die andere zur
Härtefallregelung.
Hinsichtlich der kleinen Wasserkraftanlagen haben
Sie angedeutet, dass eine Unterstützung durch das EEG
möglich sein wird. Sie haben aber, wenn ich das richtig
verstanden habe, ein qualitatives Element eingebaut, indem Sie die Unterstützung von einem guten ökologischen Zustand abhängig machen. Als Jurist würde ich
das als unbestimmten Rechtsbegriff bezeichnen. Was
steckt dahinter? Wird in dem Gesetzentwurf eine Definition im Detail vorliegen oder werden die naturschutzfachlichen Auflagen je nach Landesbehörde unterschiedlich getroffen werden können? Das könnte schließlich
Auswirkungen auf die Genehmigungspraxis bei kleinen
Wasserkraftanlagen vor Ort haben.
Meine zweite Frage bezieht sich auf die Härtefallregelung, die Sie bereits in Ihrer Antwort auf die Frage der
Kollegin Homburger angesprochen haben. Wenn Ihnen
noch keine inhaltliche Berechnung möglich ist, dann
stelle ich eine Frage zum Verfahren.
Aufgrund der Beratung zur Härtefallregelung aus
dem vergangenen Jahr wissen wir, welche energieintensiven Unternehmen in den Förderbereich, also in den
Bereich der besonderen Berücksichtigung nach dieser
Härtefallregelung, gelangen können. Auch wissen wir,
welche Energiemengen anstehen. Wenn Sie sagen, dass
dabei maximal eine Belastung von 1,10 Euro pro Monat
pro Haushalt herauskommen darf, dann kann man schon
heute berechnen, ab wann die Härtefallregelung nicht
mehr greift, weil wir nämlich wissen, wie viele energieintensive Unternehmen über 10 Gigawattstunden liegen.
Meine Frage lautet also: Haben Sie in Ihrem Hause
bei der Ausarbeitung des Vorschlags dieser Kappungsgrenze schon berechnet, ab wann Firmen nicht mehr in
den Förderbereich nach der Härtefallregelung kommen,
sodass also tatsächlich nicht alle Firmen, die über
10 Gigawattstunden liegen, mit einer Förderung rechnen
können? Wird dann das Windhundverfahren angewendet? Das heißt: Wer im Januar zuerst kommt, hat Glück
gehabt. Wer aber im Februar aufgrund von Berechnungen feststellt, dass er auch einen solchen Antrag stellen
muss, hat, wenn die Kappungsgrenze von 1,10 Euro bereits erreicht ist, Pech gehabt. Oder gibt es ein objektives
Verfahren, das den Wirtschaftsverbänden schon heute
mitgeteilt werden kann?
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Selbstverständlich werden wir den Begriff „guter ökologischer Zustand“ im
Rahmen des Gesetzentwurfs definieren. Ich bedanke
mich aber für den Hinweis und Ihre Frage. Auch ich
denke, dass die Interpretationshoheit hier, schon aus Planungsgründen, in der Tat beim Bund liegen sollte.
({0})
Was die Härtefallregelung angeht, so wissen Sie, dass es
sich bei den beiden erwähnten Eckdaten - dem 10-ProzentDeckel und der resultierenden Belastung von 1,10 Euro pro
Monat anstelle 1 Euro - um einen Kompromiss zwischen
dem Wirtschaftsministerium und meinem Hause handelt.
Es soll im objektiven Verfahren geregelt werden und kein
Windhundprinzip zur Anwendung kommen. Die Feinjustierung im Gesetzentwurf wird derzeit erarbeitet. Ich
kann Ihre Frage daher im Moment noch nicht abschließend beantworten; Ich gehe aber davon aus, dass das
Wirtschaftsministerium hier über genauere Daten verfügt. Der Vorschlag des 10-Prozent-Deckels ist von der
Wirtschaft an uns herangetragen worden. Ich möchte Sie
daher bitten, diese Frage vielleicht im Rahmen der Anhörung noch einmal zu stellen. Dort kann sie sicherlich umfänglich beantwortet werden.
Ich bedanke mich.
Frau Kollegin Brunkhorst, bitte.
Frau Staatssekretärin, vorhin hatte ich im Umweltausschuss schon einmal Anlauf genommen und wegen der
leicht erhöhten Basisvergütung für Photovoltaikanlagen
nachgehakt. Meine Frage war, warum das nachgebessert
worden ist. Ihre Antwort darauf lautete, dass dies getan
wurde, damit sich auch Flächeninstallationen wirtschaftlich rechnen. An diesem Punkt habe ich jedoch sehr
große Bedenken. Die Flächen sind von Ihnen zwar klar
definiert. Wir wissen, welche Flächen infrage kommen.
Dennoch frage ich mich, ob es ökologisch Sinn macht,
so etwas zu fördern, wenn wir uns an anderer Stelle damit befassen, dem TAB den Auftrag zu erteilen, Flächenverbrauch und Flächenversiegelung einzudämmen.
Das ist meine erste Frage.
Meine beiden Vorredner haben die Härtefallregelung
bereits angesprochen; auch ich möchte darauf Bezug
nehmen. Sie haben gesagt, der einzelne Haushalt, also
der Endverbraucher, solle nicht mehr als 1,10 Euro bezahlen. Daher lautet meine zweite Frage: Was passiert
denn nun tatsächlich hinsichtlich der Dynamik des Ausbaus, wenn es mehr Antragsteller gibt? Wird dann nachgebessert? Wem wird dann der schwarze Peter zugeschoben?
Sehr geehrte Frau Kollegin, hinsichtlich der Photovoltaik ist es in der Tat richtig, dass wir, im Gegensatz
zur jetzigen Fassung des EEG, auf große Freiflächen und
mehr Effizienz setzen. Mit der Einbeziehung der großen
Freiflächen kommen wir einer Forderung der Branche
nach. Ich glaube nicht, dass die Folgen für die Flächenversiegelung von größerer Relevanz sein werden, da hier
im Gesetz genügend vorgebaut wird.
Was Ihre Frage nach der Härtefallregelung angeht, so
darf ich Ihnen eine ähnliche Antwort geben wie Herrn
Paziorek. Das Parlament wird - ich denke etwa an die
Ausschussanhörungen - in die weitere detaillierte Ausarbeitung des Gesetzentwurfs einbezogen. Sie wissen,
dass wir uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auf
die Erfahrungen beziehen, die in der Vergangenheit in
den verschiedenen Branchen gemacht worden sind. Wir
erhöhen deshalb die Förderung der Biomasse und der
Geothermie, weil wir hier Wachstumspotenziale sehen.
Entsprechend ändern wir mit der Novelle auch die Härtefallregelung. Wir entfristen sie vor allen Dingen aus
Gründen der Planungssicherheit für die Branche. Mehr
kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt dazu nicht sagen;
warten Sie bitte den ausformulierten Gesetzentwurf ab.
Im Übrigen bessern wir nicht nach, sondern novellieren
Gesetze in aller Regel aufgrund neuer Erkenntnisse.
Frau Kollegin Homburger, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir freuen uns, dass sich das
Kabinett in seiner heutigen Sitzung mit der Weiterentwicklung des EEG befasst hat. Erste Frage: Mich interessiert konkret, wann uns die Bundesregierung einen
Gesetzentwurf vorlegen wird, in dem alles steht, wie es
sein soll. Veränderungen sind ja schon im Nachgang
zum ersten Kompromiss vorgenommen worden.
Zweite Frage. Sie haben ausgeführt, dass man die
Windenergie weiter auf hohem Niveau fördern wolle.
Ich möchte wissen, welche Auswirkung diese Entscheidung auf die Vorhaltung der Regelenergie und auf den
weiteren, notwendigen Netzausbau hat und ob die Bundesregierung angesichts der Weiterentwicklung der
Speichertechnologie der Vorstellung näher treten will, zu
einer Netzunabhängigkeit der erneuerbaren Energien
insbesondere im Offshorebereich zu kommen.
Sehr geehrte Frau Kollegin Homburger, der Gesetzentwurf wird selbstverständlich zeitnah zu der Beschlussfassung des Kabinetts zugeleitet.
Zur Frage der Netzunabhängigkeit: Sie wissen sicherlich, dass wir beispielsweise die Entwicklung der Brennstoffzellen fördern. Ich denke aber, der richtige Ort, um
diese Detailfrage zu erörtern, ist die Anhörung. Sie war
jedenfalls nicht Bestandteil der Debatte, die heute im
Kabinett geführt wurde.
({0})
Herr Kollege Dörflinger, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben auf die Frage
des Kollegen Paziorek geantwortet, dass der unbestimmte Rechtsbegriff des „guten ökologischen Zustands“ in der Endfassung des Gesetzentwurfs noch differenziert werden müsse. Können Sie - ich nehme an,
dass sowohl Ihr Haus als auch Sie selbst bereits eine
Vorstellung davon haben, wie die Ausdifferenzierung in
der Endfassung aussehen wird - dem Hohen Hause mitteilen, auf welche Parameter sich die Ausdifferenzierung
beziehen wird und wie diese Parameter qualifiziert bzw.
quantifiziert sind?
Sehr geehrter Herr Kollege Dörflinger, ich habe Ihnen
den Verlauf der Debatte dargestellt, die wir heute im Kabinett in großer Einmütigkeit geführt haben. Die Ausdifferenzierung von juristischen Definitionen war nicht Gegenstand dieser Debatte. Sie wird sicherlich Gegenstand
der Debatte sein, die während der Erarbeitung des Gesetzentwurfes geführt wird. Im Rahmen der Anhörung
ist genügend Zeit, um über die Frage zu diskutieren, ob
die Definition aus juristischer Sicht hinreichend ist oder
nicht. Sie können mir aber vertrauen, wenn ich Ihnen
versichere, dass der Begriff in der Endfassung des Gesetzentwurfs verlässlich justiziabel sein wird. Selbstverständlich wird auch das Justizministerium mit dem Gesetzentwurf befasst. Alles wird so gestaltet werden, dass
Verlässlichkeit und Rechtssicherheit durch das Gesetz
gewährleistet sind. Wir alle werden uns freuen und auch
Sie werden völlig zufrieden sein.
Herr Kollege Kubatschka, bitte.
Frau Kollegin, können Sie bestätigen, dass Arbeitsplätze in der Industrie durch den Erfolg des EEG in seiner bisherigen Form gesichert worden sind und dass das
auch nach der Novellierung der Fall sein wird?
Wir wollen mit der Novelle zum EEG für größere
Transparenz sorgen. Heißt das, dass die EVUs künftig
transparent darlegen müssen, welche Kosten ihnen durch
das EEG tatsächlich entstanden sind, dass sie also in ihren Berechnungen nicht mehr von Fantasiewerten, wie
das in der Vergangenheit manchmal der Fall war, ausgehen können, um so den Erfolg des EEG zu mindern?
Sehr geehrter Herr Kubatschka, ich gehe zunächst auf
den zweiten Teil Ihrer Frage ein: Das Thema Rechtssicherheit wird eine erhebliche Rolle in dem Gesetz spielen. Wir haben uns darauf verständigt, Regelungen vorzusehen, die zu mehr Transparenz und - gerade vor dem
von Ihnen angesprochenen Hintergrund - zu einer Erhöhung der Rechtssicherheit führen.
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht - sie fragten
nach den Arbeitsplätzen, die in dieser Zukunftsbranche
entstanden sind -: Wir alle wollen nicht nur die
CO2-Emissionen reduzieren, sondern wir wollen auch in
dieser Branche vorhandene Arbeitsplätze halten und
neue Arbeitsplätze schaffen. Darüber besteht Konsens
zwischen der Industrie und der Politik. Wir schaffen mit
den Eckpunkten, die ich Ihnen heute vorgestellt habe,
richtige und wichtige Voraussetzungen dafür, dass die
Branche neue Wachstumspotenziale generieren kann.
Im Übrigen liegen der Branche somit - Stichwort:
Entfristung - Daten vor, mit denen sie für die nächsten
Jahre planen und von denen sie Investitionen abhängig
machen kann. Sie wissen, dass es in der Vergangenheit
durch fehlende Transparenz, aber auch durch Veränderungen bei den Vergütungssätzen bisweilen Irritationen
gegeben hat. Das wird nach Verabschiedung der Novelle
nicht mehr der Fall sein. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt.
Frau Kollegin Gönner, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage zur Windkraft. Wir betreten im Bereich Offshore Neuland. Sind in
Ihrem Hause Erkenntnisse darüber vorhanden, wie hoch
die Kosten für den notwendigen Netzausbau sein werden? Wenn ja, wird es über die im EEG geregelten
Förderungen hinaus möglicherweise Zusagen an Energieversorgungsunternehmen hinsichtlich der Investitionskosten geben? Hat man sich in Ihrem Hause intensiv
mit dem Gedanken auseinander gesetzt - ich glaube, darum ging es auch in der Auseinandersetzung mit dem
Wirtschaftsministerium -, zumindest im Offshorebereich
ein Ausschreibungsmodell umzusetzen? Wenn ja, warum
kommt es möglicherweise nicht dazu?
Außerdem habe ich zum Thema Windkraft folgende
Frage: Wie soll mit den windungünstigen Standorten auf
dem Land umgegangen werden? Zunächst war vorgesehen, windungünstige Standorte besonders zu fördern.
Gibt es diesbezüglich eine Änderung? Wie wird in Zukunft mit windungünstigen Standorten umgegangen
werden?
Sehr geehrte Frau Kollegin Gönner, ich habe vorhin
versucht, zu verdeutlichen, dass im neuen EEG eine
Grenze von 65 Prozent des Referenzertrages gelten soll,
und zwar für den Zeitpunkt der Antragstellung.
In Bezug auf das EEG, das jetzt noch in Kraft ist,
kann man nicht sagen, dass damit primär die Einspeisung aus windarmen Regionen gefördert wird. Das gesamte Regelwerk, das wir Ihnen heute vorstellen, hat die
Überschrift „Effizienz“. Dies steht auch für die Ausbaupotenziale, die wir im Offshorebereich erkennen, im
Vordergrund. Es bleibt beim System der Einspeisung
und Vergütung. Wir haben versucht, einen Ausgleich zu
finden, der dem Kriterium der Effizienz tatsächlich
Rechnung trägt.
Wir haben den Bereich, den Sie im ersten Teil Ihrer
Frage angesprochen haben, im Kabinett heute nicht weiter erörtert. Wir geben Ihnen aber gerne im Kontext der
Beratungen im Ausschuss eine Antwort. Die Zahlen sind
mir jetzt nicht präsent.
Zu diesem Themenbereich gibt es keine weiteren
Wortmeldungen.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Herr Kollege Koppelin, bitte.
Kann man mir bestätigen, dass die aktuellen Meldungen zu den Beitragssätzen der Krankenkassen im
kommenden Jahr - sie stehen im Widerspruch zu den
Versprechen im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform, dass sie gesenkt werden - bei der heutigen Kabinettssitzung keine Rolle gespielt haben? Wenn ja, warum
hat dieses Thema keine Rolle gespielt?
Frau Staatsministerin, bitte.
Ich kann Ihnen bestätigen, dass es keine Rolle gespielt hat. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum.
Herr Kollege Koppelin, Sie haben das Wort zu einer
Zusatzfrage. Bitte.
Wären Sie denn bereit, mir schriftlich mitzuteilen,
warum es keine Rolle gespielt hat?
({0})
- Ihr habt doch gar nicht an der Kabinettssitzung teilgenommen.
Frau Staatsministerin, bitte.
Das wird geprüft. Dann können Sie möglicherweise
eine schriftliche Antwort auf diese Frage erhalten.
({0})
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/1946 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Sibylle
Pfeiffer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 3 des Kollegen Hartmut
Koschyk soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Schirmbeck werden schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Frage 6 des Kollegen
Günther Friedrich Nolting soll ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die
Fragen 7 und 8 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch sollen
schriftlich beantwortet werden.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Christoph Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Uwe Schummer
auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Berufsbildungsgesetzes vorzulegen und ab wann wirken sich diese Änderungen auf die Ausbildungsjahrgänge aus?
Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, gegenüber der
Antwort, die ich dem Kollegen Lensing in der letzten
Woche gegeben habe, hat sich kein neuer Sachstand ergeben. Die Bundesregierung beabsichtigt nach wie vor,
das formale Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung
des Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004 einzuleiten
und abzuschließen. Ein Referentenentwurf wird in den
ersten drei Monaten des Jahres 2004 vorgestellt werden.
Die Änderungen werden sich ab dem Datum der Inkraftsetzung, voraussichtlich 1. Januar 2005, auswirken.
Zusatzfrage, Herr Kollege.
Es gibt einen neuen Sachstand. Nach dem Gespräch
zwischen dem Herrn Bundeskanzler und Parteivorsitzenden der SPD mit dem Gewerkschaftsrat und nach einer
Sitzung der SPD-Fraktion soll es eine Ausbildungsplatzabgabe geben. Ist absehbar, ob es eine Verquickung der
Novellierung des Berufsbildungsgesetzes mit einer solchen Ausbildungsplatzabgabe geben wird?
Was dort diskutiert worden ist, ist nicht Gegenstand
des Berufsbildungsgesetzes und spielt somit für die Novellierung des BBiG keine Rolle.
Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Schummer.
Es ist bekannt, dass im Bundeskanzleramt zum
1. September dieses Jahres ein Auszubildender eingestellt wurde und das Kanzleramt damit eine Ausbildungsquote von 0,2 Prozent hat. Ist nach den bisher vorliegenden Plänen absehbar, ob das Kanzleramt selbst
eine Ausbildungsplatzabgabe entrichten muss?
Sie wissen, Herr Kollege Schummer, dass von der
Fraktion der SPD bisher nur Eckpunkte zu einer solchen
Überlegung vorgelegt worden sind. Deshalb kann diese
Frage im Moment nicht beantwortet werden.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Lensing werden
aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet.
Die Fragen 12 und 13 des Kollegen Fahrenschon sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung der
Fragen steht die Staatsministerin Christina Weiss bereit.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Hofbauer werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Hans-Joachim
Otto ({0}) auf:
Wann wird die Bundesregierung der Unterzeichnung des
bereits paraphierten „Vertrages über die aus der Hauptstadtfunktion Berlins abgeleitete Kulturfinanzierung“ zustimmen?
Frau Präsidentin! Herr Otto, der Vertrag über die aus
der Hauptstadtfunktion Berlins abgeleitete Kulturfinanzierung, der zwischen meiner Behörde und der Berliner
Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur ausgehandelt und paraphiert worden ist, ist unterschriftsreif. Er wird in den nächsten Tagen unterzeichnet.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Staatsministerin, darf ich Ihre Antwort so verstehen, dass die Unterzeichnung dieses Vertrags durch die
Bundesregierung nicht noch von irgendwelchen äußeren
Faktoren, zum Beispiel von der Verabschiedung des Stiftungsgesetzes im Abgeordnetenhaus von Berlin, abhängig ist?
Der Vertrag ist davon unabhängig.
Frau Staatsministerin, weshalb wählen Sie angesichts
der wirklich grundlegenden und dauerhaften Bedeutung
dieses Vertragswerkes für die Hauptstadtkulturförderung
die Form einer bloßen Verwaltungsvereinbarung statt eines Staatsvertrages, wodurch auch die Parlamente, der
Bundestag und das Abgeordnetenhaus daran beteiligt
würden?
Eine solche Verwaltungsvereinbarung ist für die Zwecke dieses Vertrages ausreichend. Wir haben klare Vereinbarungen getroffen. Der Vertrag ist sicherlich in regelmäßigen Abständen zu hinterfragen und möglicherweise
zu verändern. Im Augenblick ist er aber in der Art, wie er
vorliegt, ausreichend.
Herr Kollege Barthel, bitte, zu einer Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, der Kollege Otto hatte ja nur
nach der Form gefragt. Es gibt ja auch eine Kontinuität.
Gibt es denn bei dem Staatsvertrag, wie er jetzt vorliegt,
eine wesentliche Veränderung, wodurch der Bund dem
Ziel näher kommt, seiner Verpflichtung gegenüber der
Kultur in der Hauptstadt noch gerechter zu werden?
({0})
Der Bund wird mit diesem Vertrag seinen Verpflichtungen der Hauptstadt gegenüber noch gerechter.
({0})
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erscheint nach Abstimmung mit allen Beteiligten diese Variante sinnvoll.
Herr Kollege Kubatschka, bitte.
Frau Staatsministerin, verhält es sich so, dass mit dem
Instrument der Verwaltungsvereinbarung besser als mit
einem Staatsvertrag auf etwaige Gegebenheiten reagiert
und Berlin auf diese Weise durch den Bund noch besser
geholfen werden kann, als es bisher möglich war?
({0})
Ich danke Ihnen für die perfekte Formulierung. Das
ist so.
Ich rufe die Frage 17 des Kollegen Hans-Joachim
Otto ({0}) auf:
Ist aus der Formulierung in § 7 dieses Vertrages, wonach
ein gemeinsamer Ausschuss von Bund und Land einen Hauptstadtkulturfonds „einrichten“ kann, zu schließen, dass der bestehende Hauptstadtkulturfonds mit sofortiger Wirkung aufgelöst wird, und, wenn ja, welche Auswirkungen auf den
Bundeshaushalt entfaltet dies?
Auf die Frage 17 antworte ich mit Nein. Der neue
Vertrag nimmt die vorhandene Struktur des Hauptstadtkulturfonds auf. Der Hauptstadtkulturfonds wird fortgeführt und im Einvernehmen mit dem Land Berlin fortentwickelt.
Herr Kollege Otto, bitte.
Unglücklicherweise bin ich Jurist und auch der deutschen Sprache mächtig. Deswegen muss ich Sie fragen:
Welchen Sinn macht das Wort „eingerichtet“ und welchen Sinn macht ein gemeinsamer Ausschuss, wenn es
sich nur um eine Fortführung des Bestehenden handelt?
Es geht im Augenblick um eine Fortführung des Bestehenden. Das bedeutet nicht, dass dieses Bestehende
nicht verbessert werden kann.
({0})
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich darf aber Ihrer Äußerung entnehmen, dass eine irgendwie geartete Neueinrichtung eines Hauptstadtkulturfonds - entgegen dem Wortlaut dieses Hauptstadtkulturvertrages - nicht geplant ist.
Es gibt Änderungen, die sich aufgrund veränderter
Basisgrundlagen ergeben. Den Rat der Künste, der bisher die Jury für den Hauptstadtkulturfonds gestellt hat,
gibt es nicht mehr, sodass wir in jedem Fall einen Verhandlungsprozess darüber einleiten müssen, wie die
künftige Jury zusammengesetzt sein soll.
Wir verlassen den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Johannes
Singhammer und die Fragen 20 und 21 des Kollegen
Rupprecht ({0}) sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.
Die Frage 22 des Abgeordneten Hartmut Koschyk
soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Petra Pau auf:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über Bewaffnung, konspirative Organisationsstrukturen und Ausforschung
von politischen Gegnern durch die Organisation „Combat 18
Pinneberg“ und über ihre Verbindungen zu anderen bundesdeutschen rechtsextremen Organisationen?
Frau Kollegin Pau, der angefragte Sachverhalt ist Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens. Sie sehen mir diese Vorbemerkung nach; sie ist, glaube ich,
insgesamt für die Bewertung und auch für die Information zu diesem Vorgang nicht ganz unwichtig. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist zu der von Ihnen aufgeworfenen Fragestellung Folgendes zu bemerken:
Im Rahmen der Exekutivmaßnahmen am 28. Oktober
2003 wurden bei Beschuldigten diverse Gaspistolen sowie Hieb- und Stichwaffen festgestellt. Die diesbezügliche waffenrechtliche Einordnung dauert derzeit noch an.
Bei einem der Beschuldigten - es handelt sich um den
Rädelsführer der Gruppierung „Combat 18 Pinneberg“ wurde eine so genannte scharfe Schusswaffe sichergestellt. Er befindet sich seit dem 28. Oktober 2003 aufgrund eines Haftbefehls des AG Flensburg vom 27. Oktober 2003 wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches
in Untersuchungshaft.
Entsprechend ihrer, neben der rechtsextremistischen
Ausrichtung, kriminellen Zielsetzung war die Gruppierung „Combat 18 Pinneberg“ maßgeblich ausgerichtet
auf den Handel mit inkriminierten Tonträgern, den Vertrieb von Szene-Textilien, die Erpressung von rechten
Tonträgervertrieben sowie die Durchführung von Abstrafungsaktionen gegen Konkurrenten.
Im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen wurden
bei einem Beschuldigten Listen mit Angaben zu Polizeibeamten von Staatsschutzdienststellen, Kommunalpolitikern, Personen aus örtlichen Kirchenkreisen und
Gewerkschaftsvertretern aus Schleswig-Holstein aufgefunden. Die Auswertung der Unterlagen dauert noch an.
Anhaltspunkte für eine gezielte Ausspähung dieser Personen liegen bislang nicht vor. Die bisherigen Ermittlungen lassen vereinzelte persönliche Kontakte von
Mitgliedern der Gruppierung „Combat 18 Pinneberg“
zu einzelnen Angehörigen der lokalen und regionalen
rechten Szene erkennen. Darüber hinausgehende Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen im Bundesgebiet bestanden nach derzeitigem
Kenntnisstand nicht.
Ihre Zusatzfragen, bitte, Frau Kollegin.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Völlig klar ist
der Vorbehalt, dass es sich um laufende Ermittlungen
handelt. Darf ich Ihre letzte Auskunft so verstehen, dass
bisher jedenfalls verfassungsschutzrelevant nicht festgestellt werden konnte, ob diese Gruppierung zum Beispiel
zu der Münchener Gruppe irgendwelche Verbindungen
hatte?
Nach derzeitigem Kenntnisstand kann ich das - so
wie Sie das fragen - bejahen.
Danke.
Sie haben noch eine Zusatzfrage. - Sie verzichten
darauf.
Die Frage 24 der Kollegin Gitta Connemann soll
ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Ralf Göbel auf:
Hat die Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse, wonach die Organisation „Muslimische Jugend in
Deutschland“ mit der im Verfassungsschutzbericht des Bundes 2002 genannten „Muslimbruderschaft“ zusammenarbeitet
- vergleiche den „Tagesspiegel“ vom 6. November 2003 -,
und welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse liegen
der Bundesregierung darüber hinaus über die Organisation
„Muslimische Jugend in Deutschland“ vor?
Herr Kollege Göbel, nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes unterliegt die „Muslimische Jugend in
Deutschland e. V.“, abgekürzt MJD, Einflüssen der islamischen „Muslimbruderschaft“, abgekürzt MB. So treten auf Veranstaltungen der „Muslimischen Jugend in
Deutschland“ Personen als Redner auf, die als der „Muslimbruderschaft“ zugehörig oder nahe stehend bekannt
sind, so vor allem Vorstandsmitglieder der „Islamischen
Gemeinschaft in Deutschland e.V.“, die als Vertretung
der MB in Deutschland gilt. Umgekehrt hat ein Mitglied
des Vorstandes der MJD an der Jahresversammlung der
IGD am 21. September 2003 in Berlin als Redner teilgenommen.
Die 1994 gegründete „Muslimische Jugend in
Deutschland“ hat nach eigenen Angaben über 250 Mitglieder, die sich auf circa 20 Lokalkreise in ganz
Deutschland verteilen. Der Sitz der MJD befindet sich in
Berlin. Mitglied kann jede muslimische Jugendgruppe
sowie jeder muslimische Jugendliche zwischen 13 und
30 Jahren werden. Die MJD finanziert sich nach eigenen
Angaben aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich darf fragen:
Welche Vorsorge hat die Bundesregierung getroffen,
dass die Erkenntnisse, die Sie uns eben mitgeteilt haben,
auch den anderen Bundesministerien zur Verfügung gestellt werden, bevor Zuschussanträge dieser Organisationen positiv beschieden werden?
Herr Kollege Göbel, was diesen Sachverhalt und insbesondere die Frage der Informationsgewinnung anbelangt, muss ich sagen, dass ich diesen Vorgang im Rahmen dieser Fragestunde nicht öffentlich beurteilen
möchte. Ich kann aber festhalten, dass die „Muslimische
Jugend in Deutschland e.V.“ nicht unbedingt - ich will
es einmal so sagen - ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes gewesen ist.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Darf ich davon ausgehen, dass die Informationen, die
Sie uns heute haben zuteil werden lassen, dem zuständigen Bundesministerium vor der Bewilligung des Zuschusses vorgelegen haben?
Ich weiß jetzt nicht genau, welchen Zuschuss Sie meinen. Es gibt zwei Vorgänge, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen sind. Hinsichtlich der Erkenntnislage
handelt es sich um einen sehr komplizierten Vorgang.
Ich werde Ihnen diesen - möglicherweise in einem privaten Gespräch - gerne einmal erläutern.
Eine weitere Zusatzfrage? - Herr Kollege Gewalt,
bitte schön.
Herr Staatssekretär, hat es umgekehrt Anfragen aus
Ministerien beim Innenministerium oder beim Verfassungsschutz zwecks Überprüfung dieser Organisation
gegeben?
Sie meinen Anfragen zwecks Überprüfung der „Muslimischen Jugend in Deutschland“?
Richtig.
Meines Wissens: nein.
Ich rufe die Frage 26 des Kollegen Roland Gewalt
auf:
Hat die Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse, die die Auffassung der Berliner Schulverwaltung
bestätigen, dass es sich bei der „Muslimischen Jugend in
Deutschland“ um eine „fundamentalistische Organisation
handelt, die massiv in die Schulen drängt“ - der „Tagesspiegel“ vom 6. November 2003 -, und teilt die Bundesregierung
diese Auffassung?
Herr Kollege Gewalt, nach den Erkenntnissen des
Verfassungsschutzes unterliegt die „Muslimische Jugend
in Deutschland“ personellen und ideologischen Einflüssen der islamistischen „Muslimbruderschaft“, abgekürzt
MB. Die MB betrachtet die Mehrzahl der Regime der
muslimischen Welt als unislamisch und strebt über die
Einflussnahme in religiösen, gesellschaftlichen und politischen Bereichen deren Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung nach ihrer Interpretation des Korans
und der Scharia an.
Für Anhänger der MB ist eine Trennung von Religion
und Staat nicht hinnehmbar. Mitglied der „Muslimischen
Jugend in Deutschland“ kann jede muslimische Jugendgruppe und jeder muslimische Jugendliche zwischen 13
und 30 Jahren werden.
Soweit die Frage auf Erklärungen der Berliner Schulverwaltung abhebt - das muss ich pflichtgemäß sagen -,
weist die Bundesregierung nochmals darauf hin, dass
sie, einer ständigen Praxis folgend, zu Angelegenheiten
der Länder hier nicht Stellung nimmt.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Auch wenn Sie dazu nicht Stellung nehmen wollen,
Herr Staatssekretär, können Sie zumindest eine Einschätzung des Inhalts der aus Berlin stammenden Erklärungen geben und folgende Fragen beantworten: Ist
diese Organisation gefährlich? Betreibt sie Indoktrination an den Schulen?
Ich glaube, man muss differenzieren. Was die „Muslimbruderschaft“ anbelangt, gibt es bestimmte Erkenntnisse und Erfahrungen, die auch Gegenstand des Verfassungsschutzberichtes sind. Daraus wird unsere
Einschätzung deutlich.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Können Sie sagen, in welchen Bundesländern diese
Organisation tätig geworden ist?
Meinen Sie die „Muslimbruderschaft“ oder die „Muslimische Jugend in Deutschland“?
Die „Muslimische Jugend in Deutschland“.
Die „Muslimische Jugend in Deutschland“ hat ihren
Sitz - das habe ich vorhin erwähnt - in Berlin. Auch
über die Größenordnung der Mitgliederzahl habe ich
vorhin etwas gesagt. In dem einen oder anderen Bundesland ist diese Organisation ebenfalls tätig. Das ist uns
bekannt.
Eine Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatssekretär, mich erstaunt Ihre Antwort, dass
es sich bei der Verwendung von Bundesmitteln an Schulen um eine Ländersache handele, ein wenig. Deswegen
möchte ich fragen: Mit welcher Sorgfalt geht die Bundesregierung der Verwendung von Bundesmitteln nach?
Herr Kollege von Klaeden, bitte wiederholen Sie Ihre
Frage.
Der Kollege Gewalt hat schriftlich gefragt, ob der
Bundesregierung bekannt sei, dass die Organisation
Muslimische Jugend in Deutschland Bundesmittel dazu
verwendet, in Schulen für ihre Ziele zu werben. Sie haben in Ihrer Antwort darauf verwiesen, dass das Ländersache sei. Meine Frage lautet, mit welcher Sorgfalt die
Bundesregierung der Verwendung von Bundesmitteln
nachgeht; denn dort sind ja möglicherweise Bundesmittel verwandt worden. Das war der Hintergrund meiner
Frage.
Herr Kollege von Klaeden, Hintergrund meiner Antwort war - der Kollege Gewalt ist ja ein Abgeordneter
aus Berlin - eine Stellungnahme der Berliner Schulbehörde zu diesem Vorgang. In meiner Antwort habe ich
gesagt, dass ich die Stellungnahme der Berliner Schulbehörde nicht kommentiere und auch nicht bewerte.
Zusatzfrage der Kollegin Stokar, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Zusatzfrage zu der
nach meinem Kenntnisstand vom Verfassungsschutz
noch höher eingestuften MB, zur „Muslimbrüderschaft“.
Könnten Sie vielleicht mitteilen, in welcher Stadt und in
welchem Bundesland die Gruppierung MB ihr Haupttätigkeitsfeld und ihren Sitz hat?
Frau Kollegin Stokar, es ist nicht ganz einfach, zu erklären, wie die organisatorischen Beziehungen zwischen
der MB und der Muslimischen Jugend in Deutschland
sind. Man kann nicht sagen, diese muslimische Jugendbewegung sei die Jugendorganisation der MB. Wer sich
da ein bisschen auskennt, wird dies ebenso sehen. Sie
wissen, dass die Organisation und die regionale Struktur
der MB Gegenstand von Beobachtungen sind; das kann
man dem Verfassungsschutzbericht entnehmen. Ich
finde, es ist wichtig, dass dies bei diesem Themenkomplex Berücksichtigung findet.
Wir verlassen den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Vielen Dank, Herr Staatssekretär
Körper, für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit auf. Die Beantwortung
der Fragen übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch.
Die Frage 27 des Abgeordneten Ernst Hinsken wird
nach Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Dr. Peter Jahr auf:
Existiert in den Arbeitsämtern eine Arbeitsanweisung, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu veranlassen,
sich vor Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters freiwillig als „nicht mehr arbeitssuchend“ zu melden?
Herr Kollege Dr. Jahr, ich möchte Sie bitten, die beiden von Ihnen gestellten Fragen, die einen ganz engen
Sachzusammenhang haben, zusammen beantworten zu
dürfen.
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 29 des Kollegen
Dr. Peter Jahr auf:
Wie viele Arbeitssuchende haben sich in diesem Jahr pro
Bundesland vor Erreichen des Renteneintrittsalters auf der
Grundlage des § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch als „nicht
arbeitssuchend“ gemeldet und wie wirkt sich diese Meldung
auf das Renteneintrittsalter aus?
Es gibt keine Arbeitsanweisung an die Arbeitsämter,
die auf ältere Arbeitnehmer ausgerichtet ist mit dem
Ziel, sich als nicht mehr arbeitssuchend zu melden. Die
Bundesanstalt für Arbeit erfasst nicht die Zugänge der
Leistungsempfänger, die die Regelung des § 428 Drittes
Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen.
Der Bestand der Leistungsempfänger, die unter den
erleichterten Bedingungen der vorgenannten Regelung
Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe für sich in Anspruch nehmen, ist der Aufstellung zu entnehmen, die
ich zu Protokoll gebe und die ich Ihnen auch persönlich
geben kann. - Eine Zahl möchte ich nennen: Im August
dieses Jahres war der Stand 370 000.
Es ist nicht bekannt, wie sich diese Regelung auf das
Renteneintrittsalter auswirkt. Beeinflusst wird die Entscheidung der Leistungsempfänger zum Übergang in
den Rentenbezug eher durch einen Vergleich der während der Arbeitslosigkeit und nach Eintritt in den Rentenbezug zur Verfügung stehenden Geldmittel als durch
den Status beim Bezug von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, das heißt - da eine solche Arbeitsanweisung nicht existiert -, die Betroffenen melden
sich freiwillig als nicht arbeitssuchend. Für mich stellt
sich die Frage: Heißt das dann auch, dass die Betroffenen, die sich als nicht mehr arbeitssuchend melden, vollständig aus sämtlichen Arbeitsfördermaßnahmen herausfallen, die das Arbeitsamt normalerweise für ältere
Arbeitnehmer, also genau für diese Zielgruppe, anbietet?
Es kann verschiedene Gründe dafür geben, dass sich
jemand als nicht arbeitssuchend meldet. Ursächlich können beispielsweise Übergangsregelungen - diese sind
übrigens äußerst kritisch zu beurteilen - sein. Auch in
diesem Fall steht der Betreffende für Qualifizierungsmaßnahmen nicht zur Verfügung, weil er als nicht arbeitssuchend gemeldet ist.
Oft wird gefordert, man möge sich bei den Vermittlungsbemühungen auf diejenigen konzentrieren, bei denen Chancen zur Vermittlung vorhanden sind. Insofern
bitte ich darauf zu achten, dass in diesem Zusammenhang oft ein Widerspruch besteht. Ein älterer arbeitssuchend gemeldeter Arbeitnehmer - das ist klar - kann an
Qualifzierungsmaßnahmen partizipieren. Wenn er sich
von der Liste streichen lässt, partizipiert er nicht.
Sie haben weitere Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, welche Vorteile haben aus Ihrer
Sicht die Betroffenen, wenn sie sich als nicht mehr arbeitssuchend melden? Mir erschließt sich der Vorteil für
die Betroffenen nicht.
Ich habe nicht gesagt, dass sie einen Vorteil davon haben. Ich habe gesagt, ich kann mir vorstellen, dass sich
jemand als nicht mehr arbeitssuchend meldet, wenn er
mit seinem Betrieb - möglicherweise im Zusammenhang mit Transferleistungen - eine für ihn akzeptable
Regelung gefunden hat. Wenn er mit derartigen Regelungen oder den Leistungen des Betriebes nicht zufrieden ist, wird er sich selbstverständlich weiterhin als arbeitssuchend melden.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, räumen Sie zumindest ein, dass
sich in der Arbeitslosenstatistik ein statistischer Vorteil
ergibt, wenn sich 370 000 Betroffene als nicht mehr arbeitssuchend melden?
Das räume ich selbstverständlich ein. Das wirkt sich
natürlich unmittelbar auf die Statistik aus.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kretschmer.
Herr Staatssekretär, der Kollege Jahr hat den statistischen Effekt angesprochen. Gerade bei den älteren Arbeitslosen ist ein Rückgang zu verzeichnen, weil viele
von ihnen frühverrentet werden. Haben Sie Kenntnisse
darüber, dass gerade in strukturschwachen Regionen
Menschen, die viele Jahre - teilweise zehn Jahre lang arbeitslos sind, mit hohen Abschlägen in die Rente gehen, was zu sozialen Verwerfungen führt? Wie bewertet
die Bundesregierung diesen Effekt in strukturschwachen
Regionen, von denen ja ganze Bundesländer betroffen
sind?
Das ist selbstverständlich bedauerlich. Mit den Reformen im Zusammenhang mit der Agenda 2010 versuchen
wir, alles dafür zu tun, um diese Strukturschwächen so
weit wie möglich aufzuheben und für mehr Wachstum
und Beschäftigung zu sorgen. Wenn die Strukturschwäche dafür ursächlich ist, dass jemand über viele Jahre
nicht vermittelt werden kann, ist das Ergebnis selbstverständlich bedauerlich.
Ich lade Sie umso mehr ein, an dem unmittelbar bevorstehenden Reformprozess - der Entwurf hat das Parlament schon passiert; im Vermittlungsausschuss wird
jetzt darüber entschieden - konstruktiv mitzuwirken.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dr. Ole Schröder
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Cornelia Pieper
auf:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die
Investitionen der Chipfabrik in Frankfurt/Oder zu sichern?
Frau Kollegin Pieper, wenn Sie es gestatten, möchte
ich auch Ihre beiden Fragen zusammen beantworten.
({0})
Ich rufe die Frage 33 der Abgeordneten Cornelia
Pieper auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Bürgschaft von
680 Millionen Euro dem saudi-arabischen Investor zur Verfügung zu stellen bzw. sich an bevorstehenden Initiativen der
Landesregierung Brandenburg zu beteiligen?
Die Bundesregierung und die Landesregierung von
Brandenburg haben bereits im Juli 2002 in ihrem gemeinsamen Bürgschaftsausschuss festgestellt, dass Bund
und Land das Vorhaben bei Vorliegen der bürgschaftsmäßigen Voraussetzungen gleichermaßen unterstützen.
Gleichzeitig haben sie der Geschäftsführung im Juli
2002 zentrale Eckpunkte für die Erfüllung der bürgenseitigen Voraussetzungen für eine Begleitung des Vorhabens aufgegeben.
Dabei handelt es sich um vorhabensunabhängige und
damit abstrakte Anforderungen, die den gesetzlichen
Grundlagen und der darauf basierenden gemeinsamen
Verbürgungspraxis des Bundes und des Landes Rechnung tragen.
Die daran anschließenden Überarbeitungen der Unternehmens- und Finanzierungskonzeption konnten jedoch nach einvernehmlicher Auffassung des Bundes und
des Landes bisher nicht erfolgreich abgeschlossen werden. Allerdings ist in der letzten Woche ein nochmals
überarbeitetes Konzept vorgelegt worden, das erstmals
auch vom Marktgutachter Gartner mitgetragen wird, der
sich zu dem ursprünglichen Businessplan kritisch geäußert hatte.
Die Bundesregierung hat daraufhin unverzüglich alle
aufseiten der Gesellschafter und Finanziers beteiligten
Stellen zu einem Gespräch am vergangenen Freitag mit
der Zielsetzung eingeladen, die Sicherstellung der Gesamtfinanzierung voranzutreiben. Alle Parteien bekundeten dabei den Willen, dem Projekt auf der Grundlage
der für die Gewährung der Bundes- und Landesbürgschaft gestellten Bedingungen zum Erfolg zu verhelfen.
Die hierzu erforderlichen weiteren Gespräche werden intensiviert.
Im Übrigen möchte ich nur zur Klarstellung auf Folgendes hinweisen: Der in Frage 33 angesprochene ausländische Investor kommt nicht aus Saudi-Arabien, sondern aus Dubai. Die Bürgschaft ist zur Absicherung der
Fremdfinanzierung seitens der Banken und nicht des
Investorenbeitrags beantragt. Außerdem beläuft sich das
ursprünglich beantragte Bürgschaftsvolumen auf 604 Millionen Euro und nicht auf 680 Millionen Euro.
Sie haben mich vorhin auch zum denkbaren Zeitablauf gefragt. Dazu ist zu sagen, dass eine Entscheidung
des gemeinsamen Bürgschaftsausschusses, und zwar
auch nach dem neu entwickelten und modifizierten Businessplan, für Ende dieser oder Anfang nächster Woche
angestrebt wird, dass also eine sehr schnelle Klärung der
Angelegenheit ansteht.
Frau Kollegin Pieper, bitte Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, es geht im Zusammenhang mit
der Chipfabrik in Frankfurt/Oder um eine der größten Investitionen in den neuen Bundesländern. Heute habe ich
einer Berliner Tageszeitung entnehmen können, dass die
Bundesregierung ihre Zusage für die Staatsbürgschaft an
neue Bedingungen knüpft. Ist das richtig und bedeutet
das auch, dass das Land Brandenburg in jedem Fall seine
Beteiligung an der Chipfabrik in Höhe von derzeit
40 Millionen Euro verdoppeln muss?
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Bürgschaft des Bundes - zumal wenn sie vom Volumen her
nach unten korrigiert wird - sind mir nicht im Einzelnen
bekannt. Klar ist, dass der Businessplan modifiziert, das
heißt nach unten angeglichen werden muss. Inwieweit
das Land Brandenburg möglicherweise sein Investitionsvolumen ausdehnen muss, ist mir nicht bekannt. Das ist
aber mit Sicherheit Gegenstand der Verhandlungen, die
noch nicht zum Abschluss gekommen sind.
Sie haben noch Zusatzfragen.
Dann muss ich meine Frage präzisieren: Gibt es seitens der Bundesregierung ganz klare neue Kriterien für
die Genehmigung dieser Bürgschaft für diese Investitionen?
Das kann ich in dieser Allgemeinheit sicherlich mit Ja
beantworten; denn sonst hätte man dem vorliegenden
Antrag auf Gewährung einer Bürgschaft in Höhe von
604 Millionen Euro stattgeben können. Dem hat man
nicht stattgegeben, weil man Mängel und Defizite erkannt hat, die auch gutachterlich belegt sind. Auf der Basis dieses neuen Gutachtens wird die Bürgschaftsleistung - das gilt auch für das Land Brandenburg - vom
Volumen her nach unten modifiziert werden.
Frau Pieper, Sie können noch weitere Zusatzfragen
stellen. - Wie ich sehe, verzichten Sie darauf.
Dann schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär Schlauch, für die Beantwortung der
Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Helmut Heiderich
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung, dass im Rahmen der
europäischen Biotechnologiestrategie internationale Netzwerke und Kooperationen für die grüne Gentechnik gefordert
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
wie gefördert werden, wogegen in Deutschland von der für
die Gentechnik zuständigen Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast,
solche Forschungsprojekte in Quedlinburg und Pillnitz in der
anwendungsbezogenen Phase untersagt werden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, durch die Entscheidung, in
Quedlinburg und Dresden-Pillnitz keine gentechnisch
veränderten Apfelbäume freisetzen zu lassen, sind keine
internationalen Netzwerke oder Forschungskooperationen betroffen.
Die Entscheidung zum vorliegenden Fall ist aus der
Erwägung heraus getroffen worden, dass Vorhaben dieses Inhalts und dieses Umfangs nicht ohne Akzeptanz
der Bevölkerung in den betroffenen Regionen durchgeführt werden sollten. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft vertritt
die Auffassung, dass das Kriterium Akzeptanz vor der
Durchführung zu prüfen ist.
Ihre Zusatzfragen. - Bitte.
Herr Staatssekretär, wenn es der Bundesregierung
bekannt war, dass, wie Sie eben gesagt haben, die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung nicht gegeben
sei, warum hat sie nicht rechtzeitig dafür Sorge getragen
- das Forschungsvorhaben läuft schließlich schon seit
Jahren -, dass die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung entsteht? Das ist Aufgabe Ihres Ministeriums.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, es hat selbstverständlich eine
Reihe von Diskussionen vor Ort gegeben. Dabei hat sich
gezeigt, dass dieses Vorhaben vor Ort auf erheblichen
Widerstand stößt.
Hinzu kam, dass die Diskussionen in einer Zeit stattgefunden haben, in der die dritte Novelle des Gentechnikgesetzes - dort spielen Fragen der Haftung und der
Koexistenz eine erhebliche Rolle - vorbereitet wurde.
Vor diesem Hintergrund hielt es die Bundesministerin
nicht für opportun, dass in ihrem Verantwortungsbereich
eine Freisetzung solcher Pflanzen erfolgt. Also wurde
die Bundesanstalt für Züchtungsforschung angewiesen,
den Antrag ruhen zu lassen - nicht mehr und nicht weniger.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage? - Bitte, Herr
Kollege.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Stichwort Koexistenz angesprochen. Dies hat nichts mit der Diskussion
um die Frage in der Obstbaumforschung zu tun, sondern
betrifft einen völlig anderen Bereich der europäischen
Richtlinie 2001/18. Ich kann also nicht nachvollziehen,
dass Sie dieses Argument benutzen, um die in Quedlinburg und Pillnitz durchgeführten Forschungen auszusetzen. Diese Forschungen werden immerhin seit Jahren
- das betone ich - von Ihrem Hause unterstützt. Im Februar ist in einem Gutachten aus Ihrem Haus, das öffentlich gemacht wurde, festgestellt worden, dass die Forschungen sinnvoll und für die Zukunft sehr vorteilhaft
sind. Ich frage Sie deswegen, wie Sie dieses Argument
in Zusammenhang mit der Koexistenz bringen wollen.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Frau Bundesministerin Künast hat sich
mehrfach öffentlich dahin gehend geäußert, dass bei der
Umsetzung der europäischen Richtlinie hinsichtlich der
Zulassung der Freisetzung von gentechnisch veränderten
Pflanzen in der Bundesrepublik gerade die Fragen der
Koexistenz und der Haftung eine entscheidende Rolle
spielen werden. Wenn zur gleichen Zeit in ihrem Verantwortungsbereich solche Pflanzen freigesetzt werden sollen, dann kann das in der öffentlichen Diskussion am
Ende fehlinterpretiert werden. Vor allem wegen des zeitlichen Zusammenhangs ist also diese Entscheidung getroffen worden. Ich betone: Durch die Anweisung, den
Antrag ruhen zu lassen, wird in keiner Weise eine Wertung der bisherigen Forschungsarbeiten und deren Ergebnisse vorgenommen. Letztendlich ist auch keine endgültige Entscheidung getroffen, wie künftig mit dieser
Frage weiter umgegangen wird.
Zusatzfrage der Kollegin Reichard.
Herr Staatssekretär, wann und in welcher Weise
wurde das Institut in Pillnitz durch Ihr Haus darüber informiert, dass die Freisetzungsversuche nicht ausgeführt
werden dürfen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Der Präsident der Bundesanstalt wurde vorab telefonisch und zusätzlich auch noch schriftlich informiert.
({0})
- Den Termin kann ich Ihnen nachreichen. Er ist mir gegenwärtig nicht präsent, sodass ich die Frage nicht fehlerfrei beantworten könnte.
Herr Kollege Jahr, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, dass es sich
nicht um eine endgültige Entscheidung handele. Können
Sie den Zeitrahmen, in dem die Entscheidung über dieses Projekt endgültig getroffen wird - pro oder kontra -,
ungefähr eingrenzen? Immerhin stehen wir auch bei wissenschaftlichen Forschungen, wenn man so will, im globalen Wettbewerb.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Eine Auskunft bezüglich möglicher Revisionen in der
Zukunft kann ich nicht geben. Die Bundesministerin hat
entschieden, dass dieses Antragsverfahren ruht und dass
es zu keiner Freisetzung in Dresden und in Quedlinburg
kommen wird.
Weitere Entscheidungen, die künftige Entscheidungen vorwegnehmen würden, sind nicht getroffen worden.
Herr Kollege Kretschmer, bitte.
Herr Staatssekretär, ist sich die Ministerin bewusst,
dass sie mit ihrer Entscheidung die Ängste der Bevölkerung in dieser Region verstärkt, die ja nun den Eindruck
haben muss, man müsse so etwas verbieten und behindern, damit davon keine Gefahr für Leib und Leben ausgehe? Welche Wirkung hat diese Entscheidung auf den
deutschen Ruf in der europäischen Forschungslandschaft?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Bundesministerin trifft ihre Entscheidungen sehr
umsichtig und vorsorgend. Ich denke, gerade diese Entscheidung macht das noch einmal deutlich.
({0})
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Helmut Heiderich
auf:
Sieht die Bundesregierung einen Widerspruch zwischen dieser Entscheidung der Bundesministerin für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, und der Tatsache, dass gentechnische Forschungsarbeiten auch an Pflanzen
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, finanziell und konzeptionell gefördert werden und die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, das
Ziel ausgegeben hat - zuletzt am 20. Oktober 2003 in Leipzig
bei der Eröffnung der 5. Biotechnologietage des BMBF -, die
Biotechnologie als Schlüsseltechnologie in Forschung und Anwendung zu stärken?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, die Antwort lautet: Nein. Die
Entscheidung der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast,
bezieht sich lediglich auf eine geplante Freisetzung im
Geschäftsbereich des Bundesministeriums.
Herr Heiderich.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, wie Sie es beurteilen, dass die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Europäischen
Forschungsrahmenprogramm und mit der Strategie von
Lissabon überall erklärt, dass sie die Weiterentwicklung
der Bio- und Gentechnik voll unterstütze, und dass die
Ministerin Bulmahn öffentlich verbreitet, dass sie dies
mit Forschungsgeldern fördere, während Ihre Ministerin
die Forschungsvorhaben gleichzeitig unterbindet?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, die Antwort auf diese Frage
habe ich praktisch schon mit meinen vorangegangen
Antworten gegeben.
Die Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf unseren Geschäftsbereich. Letztendlich trägt die Bundesministerin auch für den Forschungsbereich die volle Verantwortung. Die Entscheidung über die Freisetzung
wurde in der Öffentlichkeit als eine persönliche Anordnung der Ministerin wahrgenommen und diskutiert. Aus
diesem Grunde ist das - unter dem Gesichtspunkt der
Glaubwürdigkeit und angesichts des Umfeldes, das ich
beschrieben habe -, so denke ich, nachvollziehbar.
Eine ganz andere Frage ist, in welchen anderen Bereichen weiter geforscht wird. Dort gelten selbstverständlich die Aussagen der Bundesministerin Frau Bulmahn.
Herr Kollege Heiderich.
Herr Staatssekretär, ich darf noch einmal Ihre Aussage bezüglich der Glaubwürdigkeit aufnehmen: Gerade
die Fraktion der Grünen weist immer wieder darauf hin,
dass wir im Bereich der grünen Gentechnik mehr Forschung und Erkenntnisse bezüglich der Interaktion mit
der Umwelt brauchen; gerade heute Morgen haben wir
im Ausschuss wieder über dieses Thema gesprochen.
Die Entscheidung der Ministerin steht vollständig im
Gegensatz zu diesen ständig erhobenen Forderungen, da
sie durch diese Entscheidung wissenschaftliche Erkenntnisse in dem Bereich, den ich eben angesprochen habe,
verhindert.
({0})
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Versuche in Pillnitz dienten genau nicht der Abschätzung möglicher Umweltauswirkungen. Die Freisetzungsversuche in Pillnitz galten dem Ziel, grundsätzlich
unter Beachtung der Bedingungen, die durch die Natur
vorgegeben sind, zu prüfen, ob es gelingen kann, den Erreger des Feuerbrandes mit der gentechnischen Veränderung zu bekämpfen.
Zusatzfrage der Kollegin Reichard, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben als Begründung die
mangelnde öffentliche Akzeptanz angeführt. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Tatsache, dass die
Öffentlichkeit nicht durch Ihr Haus, sondern durch eine
Pressemitteilung der grünen Bundestagsabgeordneten
aus Dresden und Leipzig informiert worden ist?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Meines Wissens hat es entsprechende Medienveröffentlichungen vonseiten unseres Hauses in Form einer
Presseerklärung gegeben.
({0})
Frau Kollegin Heller, bitte.
Herr Staatssekretär Thalheim, ich habe eine Nachfrage: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache,
dass gerade die Virusresistenz von Pflanzen als eines der
wichtigsten internationalen Forschungsgebiete der grünen Gentechnik gesehen wird? Die grüne Gentechnik
wird beispielsweise beim Papayavirus auf Hawaii als
Züchtungsmethode sehr erfolgreich eingesetzt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin, bei der Bewertung von gentechnischen
Ergebnissen gibt es in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Auffassungen. Meines Wissens ist es bis
jetzt bei der Virusbekämpfung in der praktischen Anwendung nicht gelungen, über gentechnische Veränderungen zu großen Erfolgen zu kommen. Wie Sie wissen,
beschränkt sich der praktische Anbau im Wesentlichen
auf herbizidresistente Baumwolle, Mais und ähnliche
Kulturen.
({0})
Herr Kollege Jahr, bitte.
Herr Staatssekretär, ich möchte auf Ihr Wort von der
mangelnden Akzeptanz zurückkommen. Für mich heißt
das, dass Ihr Haus im Prinzip dafür ist, diese Forschung
weiter zu betreiben. Meine Frage ist: Was tun Sie eigentlich, um diese mangelnde Akzeptanz bei den Betroffenen abzubauen? Planen Sie eine Imagekampagne oder
eine Aufklärungskampagne? Schließlich kann man mangelnde Akzeptanz möglicherweise beheben.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Jahr, wir gehen davon aus, dass mit der
Verabschiedung der dritten Novelle des Gentechnikgesetzes die schwierige Frage der Haftung und der Koexistenz geklärt wird. In der Kommunikation in der Öffentlichkeit werden wir auf der einen Seite die Chancen der
Gentechnik deutlich machen, aber auf der anderen Seite
die Ängste aufgreifen, beispielsweise die Gefahr von zufälligen Auskreuzungen von Veränderungen der Umwelt.
Wenn uns mit der entsprechenden Gesetzgebung die
Umsetzung in der Praxis mit den Landesbehörden
gelingt - an dieser Stelle rufe ich Sie zu einer konstruktiven gemeinsamen Arbeit auf -, schaffen wir ein Stück
Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Die Sorgen entstehen
gegenwärtig vor allem deswegen, weil man zu wenig
weiß und weil von Wissenschaftlern mögliche und tatsächliche Gefahren, zum Beispiel die Angst vor unbeabsichtigten Auskreuzungen, beschrieben werden. Wir
können darauf nur reagieren, indem wir das europäische
Recht so umsetzen, dass wir Vertrauen schaffen. Das bedeutet, vor allem die Punkte Haftung und Koexistenz
sehr ernst zu nehmen.
Ich rufe die Frage 36 der Kollegin Julia Klöckner auf:
Warum wurden die gentechnischen Freisetzungsversuche
der Bundesanstalt für Züchtungsforschung, BafZ, in Quedlinburg und Pillnitz bislang gefördert?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin Klöckner, die Vorhaben wurden bislang
durchgeführt, um die grundsätzliche Übertragbarkeit der
Resistenzen gegen Feuerbrand festzustellen. Diese Versuche fanden unter Einhaltung der zu fordernden Sicherheitsbedingungen statt. Die Ergebnisse dieser Versuche
dienen der Ausarbeitung einer auf Verbesserung pflanzlicher Eigenschaften gerichteten Strategie, die einem Erreger die Ausbreitungsgrundlage zu entziehen vermag.
Zu den Aufgaben der Bundesanstalt für Züchtungsforschung gehört es, hierzu Entscheidungshilfen zu erarbeiten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank. - Herr Thalheim, meine Zusatzfrage bezieht sich auf die Kosten. Können Sie uns sagen, aus
welchen Ministerien und in welcher Höhe nach Ihrem
Kenntnisstand Bundesmittel bis Ende Oktober in das
Forschungsprojekt geflossen sind, in Form von institutioneller Förderung sowie in Form von Projektförderung?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin Klöckner, dieses Forschungsvorhaben
ist aus den Mitteln der Bundesanstalt für Züchtungsforschung bestritten worden.
Sie können den laufenden Haushaltsberatungen und
dem Haushaltsplan des vergangenen Jahres entnehmen,
in welchem Umfang Mittel aus dem Einzelplan 10, also
dem unseres Bundesministeriums, in die Bundesanstalt
für Züchtungsforschung geflossen sind. Meines Wissens
hat es keine zusätzlichen Mittel gegeben. Sie sind aus
den zugewiesenen Mitteln der Bundesanstalt finanziert
worden.
Ich bin gerne bereit, zu recherchieren. Sollte es Abweichungen von der jetzigen Aussage geben, bin ich
gern bereit, Ihnen eine entsprechende Information zukommen zu lassen. Meines Wissens sind das die Haushaltsmittel der Bundesanstalt gewesen. Für die einzelnen
Aufgaben innerhalb der Bundesanstalt wird es sicher
keine Aufschlüsselung geben.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich würde gerne Ihr Angebot in Anspruch nehmen
und die Antwort schriftlich haben.
Hat es im Jahr 2003 eine interne oder externe Evaluierung des Forschungsprojektes der Bundesanstalt gegeben, insbesondere des hier dargestellten Projekts zur Bekämpfung des Feuerbrands, und wenn ja, wer hat diese
unternommen und welches Ergebnis gab es?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Bundesanstalt für Züchtungsforschung ist insgesamt evaluiert worden, demzufolge auch die ganzen Forschungsbereiche. Das heißt, das Projekt zur Bekämpfung
des Feuerbrands war ein Teil davon. Was das Ergebnis
betrifft, so kann ich Ihnen gerne den Bericht zukommen
lassen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Heiderich.
Herr Staatssekretär, ich komme auf Ihre Aussage zu
der Verhinderung unbeabsichtigter Auskreuzungen zurück. Wenn ich über den Versuch richtig informiert bin,
dann war vorgesehen, die auszupflanzenden Bäume zu
roden, ehe sie ins blühfähige Alter kommen könnten.
Das heißt, es besteht überhaupt kein Risiko einer unbeabsichtigten Auskreuzung. Insofern besteht auch nicht
das Problem der Koexistenz in diesem Zusammenhang.
Wieso ist dieser Versuch trotzdem von Ihrer Ministerin
abgesagt worden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, ich bin über die Details nicht
informiert. Mein Wissensstand zu den Versuchen ist,
dass die Bäume sehr wohl in die Blüte geführt werden
sollten. Es war beabsichtigt, die Blüten mit Folientüten
abzudecken. Der Streitpunkt war, ob das auf Dauer eine
sichere Methode ist. Am Anfang war vorgesehen, die
Bäume in Folienzelten zu halten, um Auskreuzungen zu
vermeiden, und zu einem späteren Zeitpunkt die Folientüten einzusetzen. Es ist nicht so, dass die Bäume gerodet werden sollten, bevor es zu möglichen Auskreuzungen kommen konnte.
Frau Kollegin Reichard, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die öffentliche Akzeptanz hingewiesen. Deshalb möchte ich Sie fragen: Ist
geprüft worden, ob es andere Standorte für die Freisetzung gibt, beispielsweise auch im Freistaat Sachsen, um
das Image des Forschungsstandortes und das internationale Renommee nicht vollends zu zerstören?
Ich weiß, dass seitens der Landesregierung von Sachsen durchaus die Bereitschaft bestand, nach anderen Flächen zu suchen, in deren Nähe keine Apfelbäume sind,
sodass man Befürchtungen einer Auskreuzung, die ich
allerdings nicht für gerechtfertigt halte, hätte entgegentreten können.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Wie ich bereits geantwortet habe, ist die Bundesanstalt angewiesen worden, das Antragsverfahren ruhen zu
lassen. Demzufolge sind alternative Standorte nicht geprüft worden.
Herr Kollege Kretschmer, bitte.
Dieses Beispiel ist nur eines in einer langen Kette.
Deutschland gibt mehrstellige Millionenbeträge für Forschung im Bereich der grünen Gentechnik aus. Auf der
anderen Seite gibt es ein Anbaumoratorium. Auch im
vorliegenden Fall gibt es keine Genehmigung zur Auspflanzung. Deswegen frage ich Sie, ob es nicht aus Sicht
der Ministerin sinnvoller erscheint und sie nicht eher der
Meinung ist, dass wir kein Geld mehr für die Erforschung der grünen Biotechnologie geben sollten.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Das wäre zweifellos die falsche Entscheidung, zumal
ich deutlich gemacht habe, dass wir gegenwärtig dabei
sind, den gesetzlichen Rahmen für die Umsetzung der
entsprechenden europäischen Richtlinie zu erarbeiten,
die auch in Deutschland die Freisetzung - allerdings unter engen Restriktionen - erlauben wird. Der Gesetzgeber
muss Vorsorge leisten, damit es nicht zu unbeabsichtigten
Auskreuzungen kommen wird. Wir müssen Vorgaben
machen, um dieses Risiko zu minimieren. Für die Fälle,
dass das eintritt, müssen wir eine Rechtssicherheit für die
Betroffenen herstellen. Diese Maßnahmen sind notwendig.
Ich denke, wenn wir diese Arbeit erfolgreich leisten
werden, dann wird es auch Freisetzungen geben. Dieser
Teil der Antwort bedeutet, dass es in der grünen Gentechnik in Deutschland wie auch in der Europäischen
Union weitergehen wird. Das Moratorium galt nicht nur
in Deutschland; es gilt vielmehr in der gesamten Europäischen Union. Mit der Umsetzung der Richtlinie schaffen
wir am Ende Rechtsverhältnisse, die die praktische Anwendung in Deutschland ermöglichen werden.
Frau Kollegin Flachsbarth, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben ausgeführt, dass
die Bundesregierung nicht daran denkt, aus der grünen
Gentechnik auszusteigen. In der Antwort auf die Frage
des Kollegen Jahr haben Sie festgestellt, dass Chancen
und Risiken abgewogen werden sollten. Ich frage Sie in
diesem Zusammenhang: Können Sie konkret angeben,
welche Chancen die Bundesregierung in der Weiterentwicklung und Anwendung der grünen Gentechnik sieht
und von welchem Zeitraum sie ausgeht, bis die Chancen
tatsächlich auf dem Markt sichtbar werden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Grundsätzlich gilt: Wir wissen nicht, was wir wissen
werden.
({0})
- Sie können ruhig lachen. Das ist aber der entscheidende Punkt. - In Gesprächen mit Fachleuten wird deutlich, dass die Zeitachse bis zur praktischen Anwendung
zum Beispiel bei Getreide auf 15 bis 20 Jahre angelegt
ist. Das heißt, in diesem Bereich wird noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten sein, um nutzbare Ergebnisse zu
erreichen und sie in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Vorhaben, die gegenwärtig zur Diskussion stehen,
zum Beispiel in Sachsen-Anhalt gentechnisch veränderten Mais anzubauen, der ein Gen enthält, durch das der
Mais vor einem Erreger geschützt würde, der in Sachsen-Anhalt keinerlei Bedeutung hat, können keine Lösung darstellen. Öffentliche Akzeptanz für den Einsatz
der Gentechnik ist am ehesten dann zu erzielen, wenn
auf der einen Seite dem Sicherheitsbedürfnis der Natur
und der Menschen Rechnung getragen wird und wenn
auf der anderen Seite auch kommuniziert werden kann,
worin der Vorteil der Anwendung liegt.
In der Tat geht es in der grünen Gentechnik in den Bereichen, die weltweit von Bedeutung sind, um Kulturen,
die mitsamt ihren Vorteilen in Deutschland gegenwärtig
nicht zum Tragen kommen. Sojabohnen und Baumwolle
zum Beispiel werden in Deutschland gar nicht angebaut.
Was die Schädlingsresistenz und die Veränderung von
Inhaltsstoffen angeht, ist zu sagen, dass gegenwärtig
beide Punkte - vor allem die Veränderung von Inhaltsstoffen - nicht zur Diskussion stehen. Gentechnisch veränderte Pflanzen sind bestenfalls im Labor vorhanden.
Ihre Entwicklung ist nicht so weit fortgeschritten, dass
ihr Anbau möglich wäre.
Herr Kollege Jahr, bitte.
Gestatten Sie noch eine kurze Nachfrage zur Problematik der Akzeptanz.
({0})
- Das wäre nicht verkehrt. Dann kann man sie besser
stapeln.
Wir sind uns doch darin einig, dass gesetzliche
Grundlagen zwar hinsichtlich der Akzeptanz positiv wirken können, dass aber unabhängig davon, wie die Gesetzeslage verändert oder - aus Ihrer Sicht - verbessert
wird, auch weiterhin Akzeptanzprobleme zu erwarten
sind. Deshalb habe ich folgende Nachfrage: Wäre es
nicht an der Zeit, dass Ihr Haus quasi eine Imagekampagne für Biotechnologie startet, um den Betroffenen
bzw. den Bürgern die Vor- und Nachteile der grünen
Gentechnik zu erklären? Denn ein Akzeptanzproblem
kann nicht quasi gesetzlich gelöst werden.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Das Bundesministerium hat mit allen Beteiligten einen intensiven Dialog über die Risiken und Chancen der
grünen Gentechnik geführt. Meines Wissens ist auch im
Ausschuss darüber berichtet worden. Ich bin gern bereit,
Ihnen die Ergebnisse, die die Bundesregierung in einer
eigenen Broschüre veröffentlicht hat, zukommen zu lassen.
Das heißt, unser Ministerium hat sich intensiv bemüht, den Prozess zu kommunizieren und in die Öffentlichkeit zu tragen. Wenn es allerdings um die Akzeptanz
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
der Produkte geht, dann liegen die Pflichten bei denjenigen, die die Produkte verkaufen wollen. Für das Bundesministerium sehe ich überhaupt keine Veranlassung, für
irgendwelche Produkte zu werben, für die dann am Ende
Privatunternehmen die Gewinne einstreichen. Das ist
eine Aufgabe, die den Unternehmen selbst zukommt.
Jetzt rufe ich die Frage 37 der Kollegin Julia
Klöckner auf:
Welche neuen Erkenntnisse haben die Bundesministerin
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate
Künast, zu der Einschätzung bewogen, „ein Erfolg der Versuche sei nicht absehbar“, wie in der Pressemitteilung der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen vom 24. Oktober 2003 zitiert?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin Klöckner, dieses Zitat ist, obwohl Ihre
Frage dies vermuten lässt, keine Äußerung von Frau
Bundesministerin Künast. Im Übrigen bewertet die Bundesregierung keine Pressemitteilungen von Bundestagsfraktionen.
Frau Kollegin, bitte.
Aber es wäre schön, wenn Sie sich absprechen würden. Denn wenn man so etwas aus der Presse erfährt, ist
das - gerade dann, wenn es um Existenzen geht - weniger witzig.
Ich möchte auf die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit zu sprechen kommen und folgende Zusatzfrage stellen: Wie beurteilt die Bundesregierung das
Gutachten dieser Kommission, die dem Robert-Koch-Institut bei der Begutachtung von Freisetzungsversuchen
als beratendes Gremium zur Seite steht? Das Gutachten
besagt, dass es im vorliegenden Falle keine sicherheitsrelevanten Bedenken für Umwelt und die Gesundheit
des Menschen gibt.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Kollegin Klöckner, falls sich Ihre Frage auf den
aktuellen Punkt bezüglich der Freisetzungen in Pillnitz
bezieht, sage ich Ihnen, dass dies dort nicht zutrifft. Meines Wissens war die Herstellung von Einvernehmen
zwischen dem Robert-Koch-Institut, das zuständig ist,
und dem Umweltbundesamt nicht abgeschlossen. Auch
gab es vom Umweltbundesamt sehr wohl Aussagen,
dass man bei der Freisetzung der Bäume in Dresden Probleme sieht.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Gibt es Alternativen, die die Bundesregierung jetzt
verfolgt bzw. vorschlägt, um auf diesem Feld zu neuen
Forschungsergebnissen zu kommen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Die Versuche waren ohnehin auf sehr lange Zeit angelegt. Denn gerade in diesem Bereich ist es nicht möglich
- das wäre auch bei einer Freisetzung der Apfelbäume
nicht möglich gewesen -, sehr kurzfristig zu Ergebnissen zu kommen. Der erste Teil der Ergebnisse war sehr
wichtig. Man hat Erfahrungen sammeln und das Resistenzgen in die Bäume implantieren können. Die Freisetzung ist bekanntermaßen erst einmal ausgesetzt. Parallel
bemühen wir uns um eine Reihe von alternativen Bekämpfungsverfahren. Die Anwendung von bestimmten
Hefen erscheint auch gegenwärtig in der Praxis als aussichtsreich.
Das heißt, wir könnten vielleicht auch früher eine
Möglichkeit an der Hand haben, um den Erreger erfolgreich zu bekämpfen. Jedenfalls gibt es erste, ermutigende Ergebnisse, die in diese Richtung weisen. Ob sie
aber auf Dauer belastbar sind, ist eine andere Frage. Wie
bei vielen bakteriellen Erregern wird es auch hier auf einen Mix von Maßnahmen ankommen. Heute kann noch
niemand sagen, ob nicht zu einem späteren Zeitpunkt
auch die Gentechnik wieder zu überprüfen sein wird.
Kollege Heiderich, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie die Untersagung des Versuches damit begründen, dass die neue europäische
Richtlinie 2001/18 noch in der Debatte sei und erst verabschiedet werden müsse, frage ich Sie: Werden auch
alle anderen anstehenden Versuche von Ihrer Ministerin
so lange unterbunden, bis die Richtlinie 2001/18 verabschiedet sein wird, und wird dies auch all die Versuche
betreffen, die von Ihrer Kollegin Frau Bulmahn mit öffentlichem Geld gefördert werden?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Herr Kollege Heiderich, Ihre Fragestellung zeigt,
dass Sie mich in diesem Punkt missverstanden haben.
Es ist ein Unterschied, ob die Versuche in unmittelbarer Verantwortung der Bundesministerin Künast veranlasst werden, die gleichzeitig in der Öffentlichkeit deutlich machen muss und deutlich macht, wie wichtig
ihr die Fragen der Koexistenz und der Haftung sind.
Als Bundesministerin trägt sie in ihrem eigenen
Forschungsbereich die unmittelbare Verantwortung.
Dies ist der Sachverhalt, der letztendlich zu der Entscheidung geführt hat, die Freisetzung erst einmal ruhen zu lassen.
Damit sind wir am Schluss dieses Geschäftsbereiches.
Herr Staatssekretär Thalheim, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf. Zur
Beantwortung der Fragen stehen die Parlamentarischen
Staatssekretärinnen Christel Riemann-Hanewinckel und
Marieluise Beck bereit.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Petra Pau auf:
Welchen genauen Zeitplan hat die Bundesregierung, um
die EU-Richtlinien gegen Diskriminierung in deutsches Recht
umzusetzen?
Frau Kollegin Pau, ich antworte wie folgt: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat seit dem 17. März 2003 die koordinierende Federführung für die Umsetzung der arbeits- und der
sozialrechtlichen Teile aller drei EU-Antidiskriminierungsrichtlinien inne. Es ist beabsichtigt, die Richtlinie
2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen
Herkunft, die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sowie die
Richtlinie 2002/73/EG zur Änderung der Richtlinie
76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des
Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und
zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die
Arbeitsbedingungen in einem einheitlichen Gesetz zur
Verhinderung von Diskriminierung im Arbeits- und Sozialrecht und zur Errichtung einer nationalen Antidiskriminierungsstelle umzusetzen.
Die allgemeinen zivilrechtlichen Aspekte der Richtlinie 2000/43/EG regelt ein vom Bundesministerium der
Justiz vorzulegendes Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierung im Zivilrecht, insbesondere den Diskriminierungsschutz im Hinblick auf Waren und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen,
einschließlich Wohnraum sowie Beschäftigungsverhältnisse, die nicht dem arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsgesetz unterliegen.
Die erforderlichen Ressortabstimmungen im Bereich
der drei Richtlinien, für die wir zuständig sind, sollen so
abgeschlossen werden, dass entsprechende Gesetzentwürfe - das gilt wohl auch für den zivilrechtlichen Teil im nächsten Jahr noch vor der Sommerpause eingebracht
werden können.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wir beide
kennen die Kritik der EU-Kommission an der schleppenden Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsgesetzgebung in nationales Recht. Wir hätten im Juli dieses Jahres
eigentlich schon fertig sein müssen. Insofern interessiert
mich, wie Sie mit der entsprechenden Rüge der EU-Institutionen umgegangen sind und welche Gründe einer zügigeren Arbeitsweise entgegengestanden haben.
Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Die Richtlinien
mussten nicht durchgängig bis Juli 2003 umgesetzt werden. Bis zu diesem Termin war die Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG umzusetzen. Von der Rahmenrichtlinie
2000/78/EG sind bis zum Dezember 2003 die Merkmale
„Religion“, „Weltanschauung“ und „sexuelle Orientierung“ umzusetzen. Die Merkmale „Behinderung“ und
„Alter“ dieser Richtlinie sind erst bis zum Dezember
2006 umzusetzen. Die Frist für die Umsetzung der dritten Richtlinie reicht bis zum Oktober 2005.
Es ist sicherlich so, wie Sie das in Ihrer Frage beschrieben haben, nämlich dass die Umsetzungsfrist in gewisser
Weise abgelaufen ist. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist
vor allen Dingen für die Antirassismusrichtlinie, die am
19. Juli 2003 endete, prüft die EU-Kommission bei allen
Mitgliedstaaten, die bisher keine vollständige Umsetzung
dieser Richtlinie gemeldet haben, die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung. Dies
betrifft nach derzeitigem Kenntnisstand 13 Mitgliedstaaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland. Die
Bundesregierung hat im Rahmen dieses Prüfungsverfahrens die Gelegenheit zu einer Stellungnahme erhalten.
Diese wird derzeit erarbeitet.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen
- das wird Bestandteil auch der Stellungnahme sein -,
dass Deutschland die Richtlinie 2000/43/EG, die bis zum
Sommer dieses Jahres hätte umgesetzt sein sollen, teilweise bereits umgesetzt hat. Um Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf wirksam zu begegnen, hat die
Bundesregierung mit dem am 28. Juli 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes auch hinsichtlich der Diskriminierungsmerkmale
„Rasse“ und „ethnische Herkunft“ bereits ein deutliches
Zeichen gesetzt. Nach § 75 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen
nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, dass insbesondere jede unterschiedliche Behandlung von Personen, unter anderem wegen ihrer Abstammung, Nationalität oder Herkunft, unterbleibt.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, wir wissen, dass es schon im
Jahre 2001 einen Gesetzentwurf gab, den die Regierungskoalition zurückgezogen hat. Ich frage Sie nach Kritik aus
dem gesellschaftlichen Bereich, die Sie in die aktuelle
Gesetzgebungsarbeit aufnehmen. Ganz konkret: Welche
Kritikpunkte von Wohnungsunternehmen, Versicherungsgesellschaften oder Arbeitgeberverbänden haben Sie
bewogen, zum Beispiel die Regelung strafrechtlicher
Sanktionen aus den bisherigen Entwürfen herauszunehmen?
Ihre Frage betrifft vor allen Dingen den zivilrechtlichen Teil, der im Bundesministerium der Justiz federführend erarbeitet wird. Ich kann Ihnen dazu an dieser
Stelle keine konkreten Auskünfte geben, weil es bei der
Erarbeitung der Gesetze eine Trennung gibt: Unser Haus
ist vorrangig für die anderen Bereiche, also für den sozial- und arbeitsrechtlichen Teil, zuständig. Soweit ich
weiß - aber das kann ich jetzt nur aus der Ferne beurteilen -, sind das alles Punkte, die im Bundesministerium
der Justiz bedacht werden.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Ralf Göbel auf:
Wusste die Bundesregierung bei ihrer Förderzusage für
das Projekt „TA’RUF“, um welche Organisation es sich bei
der „Muslimischen Jugend in Deutschland“ handelt, und wie
begründet sie - nach der im „Tagesspiegel“ vom 6. November 2003 zitierten Aussage der Berliner Schulverwaltung, sie
habe den Eindruck gewonnen, dass es sich um eine „fundamentalistische Organisation handelt, die massiv in die Schulen drängt“ - die gegebene Förderzusage und die Weitergewährung der Fördermittel für das Projekt?
Ich beantworte die Frage des Kollegen Göbel wie
folgt: Die Förderentscheidung im Programm „Entimon Gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ zugunsten des Projektes „TA’RUF - Kennenlernen!“ des
Trägers „Muslimische Jugend in Deutschland e. V.“ ist
auf der Basis eines vom Träger vorgelegten Antrages erfolgt.
Die Prüfung dieses Antrags im Frühjahr 2002 erfolgte
auf der Grundlage eines mit dem Programmbeirat für
Entimon sowie dem BMFSFJ abgestimmten Auswahlverfahrens unter Berücksichtigung der inhaltlichen Vorgaben der damals gültigen Leitlinien des Programms
„Entimon“ sowie der einschlägigen haushaltsrechtlichen
Vorgaben der Bundeshaushaltsordnung bzw. der dazugehörigen Verwaltungsvorschriften. In die Prüfung wurden
gleichfalls die öffentlich zugänglichen Berichte der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder einbezogen.
Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Förderung
sowohl in 2002 als auch in 2003 lagen dem BMFSFJ
keine Informationen des Bundesamts für Verfassungsschutz über die Kontakte von Führungspersönlichkeiten
des Trägers zur „Moslembruderschaft“ vor. Vor dem
Hintergrund der seitens des Bundesministeriums des Innern übermittelten aktuellen Informationen über die Beeinflussung des Trägers „Muslimische Jugend in
Deutschland e. V.“ durch die Moslembruderschaften ist
eine Prüfung der bisherigen Mittelverwendung des Trägers veranlasst worden. Ob und inwieweit sich daraus
Handlungsbedarf zu einem vollständigen oder teilweise
zu erfolgenden Widerruf der Bewilligung mit Wirkung
für die Vergangenheit ergibt, bleibt dem Prüfungsergebnis vorbehalten. Eine Fortsetzung dieses Projektes in
2004 ist nicht vorgesehen.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, der Parlamentarische Staatssekretär Körper hat mitgeteilt, dass an das Bundesministerium des Innern keine Anfrage gerichtet worden ist.
Wird Ihr Bundesministerium aufgrund dieses Falles
künftig vor Gewährung von Mitteln bzw. vor Mittelzusagen an solche Projektträger beim Bundesministerium des
Innern anfragen, ob seitens des Verfassungsschutzes irgendwelche Erkenntnisse vorliegen?
Herr Kollege Göbel, natürlich ist unser Haus nach
dieser Erfahrung dabei, seine Bewilligungspraxis zu
überprüfen. Wir testen alle Möglichkeiten mit der Zielsetzung, das Netz enger zu knüpfen. Wir werden das im
Benehmen mit dem Bundesinnenministerium entscheiden.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Haben Sie in den vergangenen Haushaltsjahren überprüft oder überprüfen lassen, ob die entsprechenden Mittel zielgerichtet verwendet worden sind?
Die Verwendung der Mittel wird von den Servicestellen überprüft. Es gibt dann Prüfberichte über die geleistete Arbeit. Damit liegt immer eine regelmäßige Prüfung
vor.
Herr Kollege Grindel, bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade eingeräumt,
dass es Verbindungen zur Moslembruderschaft gibt. Wir
wissen, dass die Moslembruderschaft nicht nur fundamentalistisch, sondern auch antisemitisch wirkt. Können
Sie mir die Frage beantworten, was es vor diesem Hintergrund noch zu prüfen und abzuwägen gibt und warum
die Mittelzuwendung an den Verein „Muslimische Jugend in Deutschland“ nicht sofort beendet wurde?
Herr Kollege Grindel, da muss ein Missverständnis
vorliegen. Wir haben die Auszahlung von Mitteln an dem
Tag, an dem wir die Kenntnis erhielten, sofort gestoppt.
Wir gehen aber einer zweiten Frage nach, nämlich der, ob
es Rechtsgrundlagen dafür gibt, schon erteilte Bewilligungen zurückzunehmen und bereits geflossene Gelder
von dem Verein zurückzuholen.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Roland Gewalt
auf:
Treffen Pressemeldungen zu - der „Tagesspiegel“ vom
6. November 2003 -, dass der Verein „Muslimische Jugend in
Deutschland“ seit zwei Jahren Bundesmittel in Höhe von
76 000 Euro erhalten hat, um in Berliner Schulen für seine
Ziele zu werben?
Der Träger „Muslimische Jugend in Deutschland e. V.“
hat für die Umsetzung des Projekts „TA’RUF - Kennenlernen!“ in den beiden Jahren 2002 und 2003 insgesamt
76 000 Euro erhalten. Die Mittel stammen aus dem Programm „Entimon - gemeinsam gegen Gewalt und Rechtextremismus“. Die Mittel sind projektbezogen gewährt
worden und dienen nicht dem Ziel, den Träger „Muslimische Jugend in Deutschland“ infrastrukturell zu unterstützen.
Im Übrigen wird auf die Antwort auf die Frage 39 des
Kollegen Göbel verwiesen.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie denn bestätigen,
was in Presseberichten zu lesen war, nämlich dass die
„Muslimische Jugend“ unter dem Briefkopf des Bundesfamilienministeriums an Schulen für ihre Organisation
geworben hat, und, wenn ja, wie bewerten Sie so etwas?
Es ist in der Tat so gewesen, dass dieser Träger, als er
seine Projekte in die Schulen tragen wollte, den Briefkopf des Bundesfamilienministeriums verwendet hat.
Als unserem Haus das bekannt wurde, hat es sofort interveniert.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Was heißt „interveniert“, Frau Staatssekretärin? Haben Sie dies sofort unterbunden?
Ja.
Lassen Sie mich bitte ausreden. - Haben Sie beispielsweise sofort die Mittel zurückgefordert? Wenn etwas unter falschem Briefkopf verschickt wird, dann ist
das ja wohl ein rechtswidriger Akt.
Ich gehe davon aus, dass eine gewisse Verhältnismäßigkeit der Intervention gegeben sein muss. Dieser Träger hat, als er sein Projekt angekündigt hat, den Briefkopf des Familienministeriums verwendet, was er nicht
darf. Dem Träger ist umgehend mitgeteilt worden, dass
dieses Vorgehen so nicht möglich ist. Daraus Konsequenzen in dem Sinne abzuleiten, wie Sie das eben angesprochen haben, wäre meines Erachtens nicht verhältnismäßig gewesen.
Zusatzfrage des Kollegen Göbel.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben geantwortet,
dass bestimmte Stellen die Verwendung der Mittel jährlich geprüft haben. Liegen Ihnen Berichte und Erkenntnisse dazu vor, was von dem Träger mit diesen Mitteln
konkret gemacht worden ist?
Diese liegen vor. Die Programme „Entimon“ und
„Civitas“ werden vom Haus an Servicestellen gegeben.
Die Servicestellen haben Beiräte. Dort sind sowohl Vertreter aus den Ländern als auch von maßgeblichen gesellschaftlichen Institutionen wie den Kirchen, die ein
breites Spektrum abdecken. In einem Verfahren bekunden Träger ihr Interesse an den ausgeschriebenen Programmen bei den Servicestellen. Dann gibt es eine Befassung des Beirats und schließlich eine Bewilligung im
Einvernehmen mit dem Haus. Bevor im nächsten Jahr
eine neue Bewilligung ausgesprochen wird, gibt es von
der Servicestelle natürlich eine Prüfung der Arbeit der
Träger.
Herr Kollege Grindel, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir waren uns einig, dass hinter
dem Verein die Moslembruderschaft steht, eine Vereinigung mit auch stark antisemitischen Tendenzen. 76 000
Euro Steuergelder sind also an diese Organisation gegangen. Welche politischen Konsequenzen zieht diese Bundesregierung daraus, dass zumindest indirekt eine antisemitisch wirkende Organisation unterstützt wurde?
Diese Frage ist sehr wichtig, Herr Kollege Grindel.
Denn in der Tat müssen wir in unserer Gesellschaft, in
die Einwanderer mit einer anderen Religion kamen, gemeinsam darüber nachdenken, wie wir integrativ wirken,
also Antisemitismus und Rechtsradikalismus ganz deutlich entgegentreten können. Für mich heißt das, dass wir,
wenn wir den interkulturellen Dialog fördern, ganz unmissverständlich klar machen müssen, dass es Spielregeln gibt. Die Vereine und Träger, mit denen wir es zu
tun haben, müssen also das Grundgesetz und das gültige
Recht beachten und sich deutlich gegenüber jeglichen
Formen von Islamismus, Antisemitismus und Gewalt
distanzieren.
({0})
Ich gebe Ihnen Recht, dass das in der Tat manchmal
durchaus schwierig ist, weil Verknüpfungen nicht auf
den ersten Blick erkennbar sind. Dass das schwierig ist,
entnehme ich auch folgenden Unterlagen: Offensichtlich
ist auch solch einer Stiftung wie der Konrad-AdenauerStiftung die Verbindung zwischen der „Muslimischen
Jugend“ und der „Muslimbruderschaft“ - erst jetzt wissen wir ja, dass da offensichtlich ein und dieselbe Person
aufgetreten ist - nicht bekannt gewesen.
({1})
Eben dieser Mensch, der, wie wir wissen, für die „Muslimbruderschaft“ in Deutschland steht, ist bei der Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung „Christentum und
Islam in Deutschland. Ziele des interreligiösen und politischen Dialogs“ als Referent eingeladen gewesen und
ist auch in diesem Jahr, wie ich jetzt erfahren habe,
sechsmal dort Referent gewesen. Das heißt, wir haben
gemeinsam noch sehr viele Erkenntnisse über Milieus zu
gewinnen, die uns offensichtlich noch nicht so vertraut
sind, dass wir in jeden Winkel schauen könnten.
({2})
Nächste Zusatzfrage, Kollege Dörflinger.
Frau Staatssekretärin, der Kollege Göbel fragte eben
nach der Verwendung dieser 76 000 Euro. Sie haben in
der Antwort auf seine Frage das Verwaltungsverfahren
zur Evaluation des Projektablaufes geschildert. Das war
zwar, soweit ich orientiert bin, korrekt; die Frage des
Kollegen Göbel bezog sich jedoch nicht auf das Verwaltungsverfahren, sondern auf den Inhalt des Projekts und
die Verwendung des Geldes. Da Sie Herrn Göbel die
Frage nicht beantwortet haben, stelle ich sie noch einmal. Vielleicht beantworten Sie sie ja mir.
Verehrter Kollege, bei einem Verwaltungsverfahren
sind alle Träger gleichgestellt. Deswegen habe ich dieses
Verfahren geschildert. Es ist selbstverständlich auch für
diesen Träger angewendet worden.
Herr Kollege Winkler.
Frau Staatssekretärin, hätten Sie die Freundlichkeit,
uns mitzuteilen, wie hoch die Anzahl der Projekte ist, die
im Rahmen dieser Programme gefördert werden?
Würden Sie mir zustimmen, dass eine Einzelfallprüfung nach dem Motto: „Bitte ankreuzen, wenn es sich
um eine extremistische Gruppe handelt“ nicht für sich
allein genommen zu einer Vereinfachung der Verwaltungsabläufe führen würde?
({0})
Stimmen Sie mir ebenfalls zu, dass das Ministerium,
sobald es Kenntnis von der Koinzidenz erhält, dass eine
verfassungsfeindliche Organisation Fördermittel bekommt, schnellstmöglich und sofort gehandelt hat und
dass, soweit rechtlich möglich, geprüft wird, ob Mittel
zurückgefordert werden können, und gegebenenfalls
dann auch gehandelt wird?
Herr Kollege, die Zahl der Maßnahmen, die durch das
Programm Entimon seit 2001 gefördert worden sind, beträgt 1 996.
({0})
Die große Zahl der Maßnahmen erklärt sich aus der Umsetzung des Antrags des Parlaments, Programme gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus aufzulegen. Das war auch eine Folge der Übergriffe auf eine kleine Gruppe jüdischer Kontingentzuwanderer in Düsseldorf gewesen. Ich denke, Sie alle
erinnern sich.
Die Kleinteiligkeit macht in der Tat eine genaue Prüfung besonders nötig, deswegen auch dieses Verfahren
mit der Servicestelle und mit den Beiräten, das ich Ihnen
geschildert habe. Auf diese Art und Weise wird unter
Hinzuziehung der Verfassungsschutzberichte eine so
gründliche Prüfung wie nur irgend möglich vorgenommen.
Wir sind am Ende dieses Geschäftsbereiches. Ich bedanke mich.
Mir wird gerade zugeflüstert, es sei nach der Zahl der
muslimischen Projekte gefragt worden.
Normalerweise werden solche Fragen nicht zugeflüstert, sondern gestellt.
({0})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Die
vom Kollegen Jens Spahn eingereichten Fragen 41 und
42 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen dann zur Frage 43 der Kollegin Mayer:
Wie wird der Vorschlag der Bundesregierung zur Zusammensetzung und zu den Kompetenzen des vom Staatssekretär
im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ralf Nagel am 8. September 2003 in seinem Brief an
das Regierungspräsidium Freiburg bestätigten Trilateralen
Lenkungsausschusses aussehen und welche Einflussmöglichkeiten sind seitens der Bundesregierung für die nationalen Arbeitsgruppen vorgesehen?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Frau Kollegin Mayer, zu der Zusammensetzung und
den Kompetenzen des Trilateralen Lenkungsausschusses können noch keine Aussagen getroffen werden.
Hinsichtlich der Einrichtung dieses Ausschusses ist vorgesehen, dass zunächst zwischen den drei beteiligten
Staaten Einvernehmen über Aufgabenbeschreibung, Organisation und Arbeitsprogramm hergestellt wird. Ein
erster Vorschlag zur Gestaltung des Trilateralen Lenkungsausschusses wird derzeit von der Schweiz vorbereitet. Vertreter der Region sollen die Möglichkeit einer
angemessenen Mitwirkung bei der Ausschussarbeit erhalten. Die Beteiligung der nachgeordneten Gebietskörperschaften könnte - ich sage das bewusst im Konjunktiv - im Rahmen eigener nationaler Arbeitsgruppen
jeweils selbst geregelt werden. Nähere Aussagen zu den
Kompetenzen solcher Arbeitsgruppen sind derzeit noch
nicht möglich.
Zusatzfrage?
Sie haben den ersten Teil der Frage beantwortet, aber
nichts zu den geplanten Einflussmöglichkeiten der kommunalen Vertreter in den Arbeitsgruppen gesagt.
Frau Mayer, ich habe auch dazu Stellung genommen.
Ich habe von der Beteiligung der nachgeordneten Gebietskörperschaften gesprochen. Es gibt aus unserer
Sicht die Möglichkeit, einiges an Beteiligung im Lenkungsausschuss zu regeln und einiges - sozusagen als
Unterbau - in einer zweiten Arbeitsgruppe, über die wir
auch an dem runden Tisch, zu dem ich im Juni dieses
Jahres eingeladen hatte, schon gesprochen haben.
Es geht mir nicht nur um die Beteiligung, sondern
auch um die konkreten Einflussmöglichkeiten der kommunalen Gebietskörperschaften.
Ich denke, wenn wir eine Form finden, dass die Gebietskörperschaften mit an den Tisch kommen können,
wird natürlich die Möglichkeit bestehen, sie an diesem
Prozess zu beteiligen. Es muss doch eine Kommunikationsform geben. Eine Möglichkeit wäre in Form von
Briefen. Wie wir alle aber wissen, bringt das nicht viel.
Deshalb sollen die Gebietskörperschaften in den Kommunikationsprozess eingebunden werden. Das könnte
man in der Art, wie ich es eben angedeutet habe, regeln.
Ich rufe die Frage 44 auf, ebenfalls von der Kollegin
Mayer:
Teilt die Bundesregierung die in Freiburg am 7. Juli 2003
von der regionalen Konferenz zum Schienengüterverkehr im
Dreiländereck verabschiedete Resolution zum Ausbau der
Rheintalbahn und zum Bypass Hochrhein und Oberrhein im
Hinblick auf die „offene und faire Beteiligung der kommunalen und regionalen Vertreter an dem Planungsprozess, verbunden mit direkten Einwirkungsmöglichkeiten“?
Die Bundesregierung stimmt mit der regionalen Konferenz zum Schienengüterverkehr im Dreiländereck darin überein, dass für die Region keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden dürfen. Vertreter der Regionen
sollen daher bei der Ausschussarbeit angemessen mitwirken können, wobei die Beteiligung der nachgeordneten Gebietskörperschaften von den drei Staaten im Rahmen eigener Arbeitsgruppen jeweils selbst geregelt
werden könnte.
Die Regionen werden beteiligt; das haben wir jetzt
schon besprochen. Denken Sie als Vertreter der deutschen Regierung daran, den anderen beteiligten Ländern
vorzuschlagen, ein Vetorecht oder eine andere Form der
Conny Mayer ({0})
konkreten Einflussmöglichkeit der kommunalen Seite
vorzusehen?
Ich glaube, Sie müssen einfach akzeptieren, dass wir
einen internationalen Lenkungsausschuss einberufen
wollen. Das heißt, wir müssen mit der Schweiz und mit
Frankreich zunächst über das jeweilige Verfahren reden.
Von daher können zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich
noch nicht alle Fragen beantwortet werden.
Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass bei einem solchen Prozess mit Regularien wie einem Veto gearbeitet wird. Es kommt uns vielmehr darauf an, dass wir
alle Informationen zusammentragen und alle Varianten
prüfen lassen. Die Vergleichbarkeit der Varianten bezüglich der Beurteilung der Finanzen muss sichergestellt
sein. Es muss also all das berücksichtigt werden, was die
Regionen aus meiner Sicht zu Recht fordern.
Daran muss sich - das ist sozusagen der Unterbau die Bewertung dieses Verfahrens unter Sicherstellung einer entsprechenden Mitwirkung anschließen. Wie das im
Einzelnen aussieht, müssen wir mit unseren internationalen Partnern besprechen. Dazu benötigen wir die Zustimmung Frankreichs und der Schweiz.
Eine weitere Nachfrage: Sind Sie bereit, sich bei den
Partnern aus den anderen Ländern dafür einzusetzen,
dass die Kommunen in den Trilateralen Lenkungsausschuss einbezogen werden, und zwar nicht nur über die
Einbindung in die Arbeitsgruppen?
Diese Frage kann ich weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Jetzt müssen die Vorstellungen aus der Region geäußert werden. Ein Brief des Regierungspräsidenten von Ungern-Sternberg ist uns angekündigt. Er ist
den Abgeordneten wohl schon zugegangen, aber bei uns
im Hause noch nicht eingegangen.
Es gibt Vorschläge, die wir zu bewerten und mit unseren Partnern zu besprechen haben werden. Wenn wir auf
internationaler Ebene zu Verabredungen kommen wollen, macht es keinen Sinn, sich jetzt festzulegen. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass die Partner plötzlich sagen, dass sie sich das Verfahren ganz anders vorgestellt
haben. Man muss die Wünsche aus der Region - teilweise sind sie berechtigt - aufnehmen. Danach müssen
wir einen Prozess organisieren, mit dem möglichst viel
Konsens geschaffen werden kann.
Zusatzfrage, Kollege Dörflinger.
Herr Staatssekretär, ich will versuchen, den Sachverhalt zu konkretisieren. Bei der von Ihnen eben erwähnten Unterredung im Ministerium - ich glaube, sie fand
im Juni statt - waren wir, also die anwesenden Kolleginnen und Kollegen, die Vertreter Ihres Hauses und die
Vertreter der DB AG, uns einig, dass eine ausreichende
Beteiligung der Kommunen sichergestellt werden sollte.
Deswegen frage ich: Wäre es nicht hilfreich, wenn sich
die Bundesregierung auf der Arbeitsebene mit dem entsprechenden Schweizer Fachministerium bzw. mit der
Bahnbehörde zusammensetzen würde und ihre Vorstellungen, die in dieser Besprechung damals unisono geäußert wurden, vortragen würde, bevor die Schweiz einen ersten Vorschlag unterbreitet?
Nein, Herr Dörflinger, das wäre aus meiner Sicht
überhaupt nicht hilfreich. Wir müssen versuchen, einen
guten und geeigneten Weg zu finden, die regionale Beteiligung sicherzustellen. Man kann nicht im Vorfeld öffentlich erklären, wie diese Beteiligung auszusehen hat.
Es ist internationaler Brauch, dass man das vorher im
Gespräch mit den internationalen Partnern klärt. Jedes
Land hat eigene Befindlichkeiten und Gepflogenheiten,
was die Beteiligung der Gebietskörperschaften angeht.
Diese müssen wir beachten. Es ist viel klüger, den Weg
zu gehen, den ich beschrieben habe.
Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Thomas
Dörflinger auf:
Liegt der von der Schweiz auszuarbeitende erste Vorschlag
zur Gestaltung der Trilateralen Kommission - Brief des
Staatssekretärs im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen Ralf Nagel vom 8. September 2003 an den
Regierungspräsidenten des Regierungspräsidiums Freiburg bereits vor und, wenn ja, inwieweit wurde die Einbeziehung
der Kommunen im Organisationsaufbau berücksichtigt?
Herr Dörflinger, der Vorschlag der Schweiz liegt
hierzu noch nicht vor.
Zu dieser Antwort gibt es möglicherweise Zusatzfragen.
Danke, Herr Präsident. - Ich habe mich über die Antwort auf meine vorherige Frage gewundert. Sie haben
zwar das wiederholt, was ich gesagt habe, dennoch kommen Sie zu dem Schluss, dass ich nicht Recht habe. Die
Sinnhaftigkeit Ihrer Antwort ist mir nicht ganz klar.
Wir sagen beide dasselbe: Intern soll den Fachleuten
ein Vorschlag unterbreitet werden, der eine ausreichende
Beteiligung der Kommunen sicherstellt. Es geht nicht
um das Stellen von Bedingungen, sondern um ein SichZusammensetzen auf der Arbeitsebene. Habe ich Sie
richtig verstanden oder liege ich da falsch?
Ich habe in meiner Antwort auf die erste Frage von
Frau Mayer erläutert, dass wir eine trilaterale LenkungsParl. Staatssekretär Achim Großmann
gruppe installieren wollen. Wir denken daran, diese Lenkungsgruppe mit einer Ebene zu untersetzen - ich habe
in diesem Zusammenhang im Konjunktiv gesprochen;
denn dabei handelt es sich um eine Möglichkeit, die wir
zurzeit besprechen und ventilieren -, auf der wir die
vielfältigen regionalen Gebietskörperschaften einbinden
können. Das war mein Modell. Sie sind bei Ihrer Nachfrage davon ausgegangen, dass die Kommunen im Trilateralen Lenkungsausschuss sitzen. Deshalb habe ich Ihre
Frage verneint.
Weitere Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Mayer.
Ich möchte einmal nachfragen: Herr Staatssekretär,
lehnen Sie es ab - der Brief, den Sie am 8. September an
den Regierungspräsidenten von Ungern-Sternberg geschrieben haben, geht in diese Richtung -, die Kommunen im Trilateralen Lenkungsausschuss zu beteiligen?
Frau Mayer, ich habe Verständnis dafür, dass Sie
möglichst schon vorgestern wissen wollten, wie der Lenkungsausschuss zusammengesetzt ist. Nur, das Verfahren ist anders.
Wir erwarten von der Schweiz - darauf haben wir uns
geeinigt - einen Vorschlag zum Arbeitsprogramm und
zur Organisation. Dann müssen wir unsere Vorschläge
einbringen. Diese Vorschläge besprechen wir zurzeit in
unserem Hause. Wir nehmen dabei auch Vorschläge auf
- das hatte ich in der Antwort zuvor gesagt -, die gerade
in unser Haus kommen und die wir noch gar nicht gelesen haben. Die Abgeordneten sind durch einen Vorabbrief informiert worden; dieser Brief ist bei uns noch
nicht angekommen. Wir müssen alle Vorschläge aufnehmen und bewerten; das ist ganz normal. Ich bin doch
nicht so klug, dass ich, ohne den Vorschlag zu kennen,
schon jetzt weiß, ob wir ihm zustimmen oder nicht.
Das heißt, lassen Sie uns das vernünftig prüfen und
besprechen. Dann kommen wir zu einem Ergebnis, das
dann hoffentlich auf internationaler Ebene getragen
wird. Wir brauchen auch von Frankreich und der
Schweiz die Zustimmung zu diesem Verfahren.
Ich rufe die Frage 46 des Kollegen Dörflinger auf:
Welchen Zeitplan gibt es für die Einbeziehung der Kommunen in die vorgesehenen Beratungen des Trilateralen Lenkungsausschusses?
Es tut mir Leid, Herr Dörflinger, es wiederholt sich
jetzt ein bisschen, weil ich sehr ausführlich geantwortet
habe. Aber dadurch können Sie nachfragen.
Zunächst ist bei der Einrichtung der Trilateralen
Kommission zwischen den beteiligten drei Staaten Einvernehmen über Aufgabenbeschreibung, Organisation
und Arbeitsprogramm herzustellen. Form und Zeitplan
für die Einbeziehung der Kommunen leiten sich aus den
Ergebnissen dieser Abstimmungen ab.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, machen Sie es doch uns und sich
bitte nicht so schwer: Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass ich bereits damit zufrieden wäre, wenn Sie
erstens die Zusage gäben, dass der Vorschlag, die Kommunen ausreichend im Trilateralen Lenkungsausschuss
zu beteiligen, nicht neu ist, sondern bereits Konsens in
der von mir erwähnten Runde war, und wenn Sie zweitens die Zusage gäben, diesen Vorschlag positiv zu begleiten und in der fachüblichen Konsultation mit den internationalen Partnern zu vertreten?
Herr Dörflinger, Sie dürfen es mir aber auch nicht zu
schwer machen. Es gab bei dem Gesprächstermin der
von Ihnen erwähnten Runde keine Einigung über die genaue Funktion des Trilateralen Lenkungsausschusses.
Wir haben schon damals darauf hingewiesen, dass es
- fast kulturell bedingte - Vorbehalte der anderen Staaten, mit denen wir zusammenarbeiten müssen, gibt, was
die Beteiligung von Gebietskörperschaften betrifft. Der
Zentralismus feiert in vielen Ländern andere Urständ als
bei uns. Deshalb müssen wir einen ausgewogenen Vorschlag formulieren, der dazu führt, dass wir das sicherstellen, was ich Ihnen zusichern kann: eine ausreichende
Mitwirkungsmöglichkeit der beteiligten Gebietskörperschaften.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie bestätigen, dass es
die von Ihnen angesprochenen kulturellen Unterschiede in den erwähnten drei Ländern zwar womöglich in Frankreich angesichts des dortigen Verwaltungsaufbaus gibt, dass es aber angesichts der dezentralen
Entscheidungsstruktur im politischen System der
Schweiz dort mit Sicherheit keine Vorbehalte gegen die
Beteiligung einer regionalen oder kommunalen Gebietskörperschaft gibt?
Vor dem Hintergrund dieser Bewertung wird es spannend sein, zu sehen, wie wir die Beteiligung der Kommunen sicherstellen können. Machen Sie es mir jetzt
wirklich nicht so schwer! Wir arbeiten an einer vernünftigen Lösung, die im Konsens getroffen wird.
Zusatzfrage der Kollegin Mayer.
Ich möchte mich zunächst dafür entschuldigen, dass
ich mich vorhin, während Sie mir geantwortet haben, gesetzt habe. Verzeihen Sie das einer neuen Kollegin!
Ich habe noch eine Zusatzfrage: Herr Staatssekretär,
rechnen Sie noch in diesem Jahr mit konkreten Ergebnissen aus der Schweiz bezüglich der Zusammensetzung des
Trilateralen Lenkungsausschusses und erwarten Sie, dass
die Bundesregierung noch in diesem Jahr darauf reagiert?
Zunächst hoffen wir - damit rechnen wir an sich -,
dass die Schweiz noch in diesem Jahr ihren Vorschlag
unterbreitet. Wie gesagt, es gibt aus der Region einen
Vorschlag dahin gehend - den kenne ich aber erst seit einer guten Stunde; wir haben ihn noch nicht bewertet -,
wie eine Beteiligungsform aussehen könnte. Man hat
wohl in der Region, also vor Ort, die Köpfe zusammengesteckt und überlegt: Wie kann die Zusammensetzung
des Ausschusses aussehen? Auch diesen Vorschlag müssen wir bewerten; ich hoffe, dass das relativ schnell geht.
Wenn der Vorschlag aus der Schweiz Anfang Dezember kommt, dann könnte ich mir vorstellen, dass wir
noch in diesem Jahr eine Entscheidung hinbekommen.
Wenn er aber erst kurz vor Weihnachten vorliegt, werden
wir das nicht mehr schaffen.
Sehen Sie es mir also nach, dass ich Ihnen nur signalisieren kann: Wir wollen möglichst schnell loslegen. Wir
haben auf der einen Seite schon relativ viel Zeit verloren. Denn im Juni dieses Jahres hatten wir uns vorgestellt, im Herbst starten zu können. Auf der anderen
Seite ist der Handlungsdruck nicht so groß, dass wir
schon arbeiten müssten. Denn wir haben all diese Maßnahmen im Bundesverkehrswegeplan außen vor gelassen. Von daher haben wir keinen unmittelbaren Handlungszwang. Nehmen Sie mir bitte ab, dass wir in
Abstimmung mit den Verantwortlichen in der Region einerseits und den internationalen Partnern andererseits
möglichst schnell zu einem Ergebnis kommen wollen.
Ich hoffe, dass wir Anfang nächsten Jahres mit der Arbeit beginnen können.
Vielen Dank. Die Frage 47 des Kollegen Nitzsche
wird schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde, bis 15.35 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu Plänen, eine
Ausbildungsplatzabgabe einzuführen
Die FDP-Fraktion hat diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es steht
wieder ein Bundesparteitag der SPD bevor. Immer, wenn
dies so ist, besteht die Gefahr, dass wirtschaftspolitischer
Unsinn getrieben wird.
({0})
Das war auch beim Fall Holzmann so, bei dem man eine
ganze Branche vorgeführt und die mittelständischen
Bauunternehmer bestraft hat, damit rechtzeitig vor dem
SPD-Bundesparteitag Gerhard, Gerhard gerufen wurde.
({1})
Diesmal geht es um die Einführung des unsinnigen Instruments der Ausbildungsplatzabgabe, mit dem die Linken ruhig gestellt werden sollen. Es geht um Valium für
die Linken der SPD, damit Schröder und Scholz über die
Hürde des Bundesparteitags der SPD kommen. So wird
in Deutschland Wirtschaftspolitik gemacht!
({2})
Sie konnten es heute in der Veröffentlichung des
Sachverständigenrats wörtlich nachlesen. Obwohl der
Vorsitzende des Sachverständigenrats ein Parteifreund
von Ihnen ist, sagt er klipp und klar: Eine Ausbildungsplatzabgabe ist kontraproduktiv. Sie bringt keine Ausbildungsplätze. Im Gegenteil: Sie verhindert Ausbildungsplätze.
({3})
Ich kenne keinen Wirtschaftsminister der SPD, der
dafür ist. Herr Clement kämpft dagegen an. Wie immer
kann er sich nicht durchsetzen.
({4})
Beim Ökostrom verlor er gegen Trittin, bei Hartz verlor
er ebenfalls; es wird verwässert, damit die sechs Abweichler bei der SPD ruhig gestellt werden.
({5})
Damit die Unterstützungsgruppe der Gewerkschafter in
der SPD ruhig bleibt, kommt er auch beim Kündigungsschutz und dem Versuch, mehr Einstellungshemmnisse
zu beseitigen, nicht voran.
({6})
Schließlich wird auch bei den Ausbildungsplätzen erneut
Unsinn gemacht, damit der Bundesparteitag gut verläuft.
Die Kernursache der Ausbildungsplatzproblematik ist
eine miese Wirtschaftspolitik.
({7})
In den letzten zwei Jahren hatten Sie rund 80 000 Konkurse zu verzeichnen. Hier liegt die Ursache dafür, dass
wir zu wenige Ausbildungsplätze haben. Wenn die Betriebe noch da wären, dann hätten wir viel mehr Chancen.
({8})
Allein die Diskussion bei Ihnen führte schon dazu, dass
Ausbildungsplätze nicht bereitgestellt wurden.
({9})
Mittelständler sind tüchtig, sie arbeiten hart.
({10})
Sie sind aber nicht blöd. Wenn sie die Erwartung haben,
dass ihnen dank des Umlagesystems eine Prämie für
Ausbildungsplätze gezahlt wird, dann werden sie einen
Teufel tun, jetzt mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung
zu stellen.
({11})
Die Umlage, die Sie einführen wollen, wird am
Schluss ein Umlegen von weiteren Betrieben bewirken,
die auf der Kippe stehen, es sich finanziell nicht erlauben können und jetzt bestraft werden. Was geschieht mit
den Betrieben, die keine geeigneten Bewerber finden,
weil aufgrund unseres Schulsystems zum Teil nicht die
Qualifikation vermittelt werden kann, die benötigt wird,
um eine Lehrstelle mit Erfolg antreten zu können?
({12})
Diese Betriebe werden noch zusätzlich bestraft. Das
Ganze ist also Unsinn hoch drei.
Wie kommen sich die Unternehmer vor, die Herr
Clement auf seiner Bustour aufgesucht und bei denen er
dafür geworben hat, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen? Der Ansatz war ja nicht verkehrt. Eine
ganze Reihe von Betrieben hat es getan. Diese fühlen
sich heute veralbert,
({13})
weil die anderen, die nichts getan haben, von Ihnen eine
Prämie für das Nichtstun erhalten,
({14})
während diejenigen, die tüchtig ausgebildet haben, von
Ihnen bestraft werden. Das ist der Unsinn, den Sie produzieren und mit dem Sie die Leute verwirren.
({15})
Herr Clement hat mit seiner Beschreibung dessen,
was Sie hier tun, Recht. Ich zitiere Herrn Clement - Herr
Tauss, lassen Sie die IG Metall einmal beiseite -: Was
man hier mit der Ausbildungsplatzabgabe macht, ist der
Einstieg in die Verstaatlichung des Ausbildungssystems.
- Was Sie machen, ist ein Anschlag auf das duale Ausbildungssystem.
({16})
Sie setzen das falsche Signal. Sie losen einen Ablasshandel für diejenigen aus, die Ausbildung als lästig empfinden. Die Kosten für die Ausbildung sind nämlich höher als die Mittel aus dem Fonds. Viele werden sagen:
Ich zahle lieber, dann habe ich nichts mit der Ausbildung
zu tun; ich muss mich mit Auszubildenden nicht herumärgern, sondern kaufe mich frei. Genau das ist das falsche Signal: Sie gefährden die Eigenverantwortung und
das Bewusstsein, etwas in die Zukunft zu investieren.
Wie Sie wissen, bilden die Handwerker und die Mittelständler am meisten aus. Genau sie werden bestraft.
({17})
Nur weil sie nicht Grün-Rot gewählt haben, machen Sie
für sie eine miese Politik. Mit diesem Ansatz setzen Sie
in Deutschland die falschen Signale. Diesen Unfug machen Sie nur, damit Ihr Bundesparteitag gut verläuft. Um
diejenigen, die auf die SPD-Politik sauer sind, ruhig zu
stellen, wird quasi ein ganzes Segment unserer Wirtschaft in Geiselhaft genommen. Das kann nur zu fatalen
Ergebnissen führen.
({18})
Das ist Ihre Art von Politik. Ihre Politik hat keine Geradlinigkeit, keine Prinzipien und keinen Charakter.
({19})
Es wird nach Beliebigkeit und nach Gutsherrenart regiert. Wenn irgendetwas schief läuft, wird schnell etwas
beschlossen. Sie kleben hier und dort ein Pflaster hin
und wundern sich, dass die Politik insgesamt nicht stimmig ist. Ordnungspolitik heißt von Grundsätzen ausgehen, nicht Beliebigkeit. Wenn ein Großkonzern in Not ist
und es Ihnen gerade passt - siehe Holzmann -, wird dieser zulasten des Mittelstands unterstützt.
Wenn Sie in der Situation sind, eine alte Gewerkschaftsforderung umsetzen zu müssen, dann wird das auf
Teufel komm raus gemacht, auch wenn Ihr eigener Wirtschaftsminister, alle in Nordrhein-Westfalen, in Schleswig-Holstein und im Bund sagen: Das ist Quatsch hoch
drei! - Das interessiert Sie nicht. Hauptsache, die Genossen stehen stramm. Schröder und Scholz bekommen
Beifall - das ist das Wichtigste Ihrer Politik.
({20})
Das hat mit dem, worum es in diesem Land geht, nämlich Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie Redynamisierung, nichts zu tun.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.
Lesen Sie doch wenigstens die Kurzfassung des Sachverständigengutachtens, wenn Sie mir nicht glauben.
({0})
Hören Sie auf, Ihre parteitaktischen Spielchen auf dem
Rücken von jungen Menschen auszutragen! Das ist
schändlich. Sie sollten sich schämen.
({1})
Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass in
der Aktuellen Stunde über fast alles geredet werden
kann, nur nicht über fünf Minuten.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Hans-Werner Bertl
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Brüderle, die Botschaft, die
Sie an die vielen jungen Menschen in unserem Land, die
eine Ausbildungsstelle suchen, gerichtet haben, war
wirklich äußerst fragwürdig. Auf die Frage der fehlenden Ausbildungsplätze müssen wir eine Antwort geben.
Die jungen Leute, die aus der Schule entlassen werden,
bekommen auf ihrem Weg von der Gesellschaft als Erstes zu hören: Wir können euch zufällig nicht gebrauchen,
ihr seid zu viele. Wenn dies nicht reicht, wird das Zeugnis herangezogen und es heißt: Ihr seid zu schlecht.
({0})
Ich habe Verständnis dafür, dass Wirtschaftsminister
und Verbandsvertreter aus der Industrie Probleme mit
der Ausbildungsplatzumlage haben. Inzwischen ist es so
weit gekommen - das ist der entscheidende Punkt -,
dass nur noch 27 Prozent der Unternehmen in Deutschland im dualen Ausbildungssystem Ausbildungsplätze
offerieren.
({1})
Nur 27 Prozent im hoch gelobten dualen Bildungssystem erklären sich noch bereit, Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen.
({2})
Die Situation ist so, dass zurzeit 28 000 junge Menschen einen Ausbildungsplatz suchen. Dem stehen
13 800 offene Stellen gegenüber. Wir müssen uns die
Frage stellen: Welche Antworten geben wir den jungen
Menschen und ihren Familien? Herr Brüderle, ich kann
mich an Ihren Spruch erinnern: Leistung soll sich lohnen.
({3})
In dieser Kontinuität steht auch Ihr Antrag.
({4})
Sie wollen für Ausbildungsplätze zahlen: 3 000 Euro pro
Platz. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen erreichen,
Herr Brüderle, dass sich auch die an Ausbildung beteiligen, die die Leistung der Unternehmen, insbesondere
kleiner und mittlerer Unternehmen, hemmungslos in Anspruch nehmen, um sich hoch qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter in ihre Betriebe zu holen.
({5})
Ich kann Ihnen eines sagen: Ich bin im Moment bei
den Handwerkern nicht ganz so beliebt, und zwar wegen
der Diskussion über die Handwerksordnung. Aber wenn
ich mit Handwerkerinnen und Handwerkern, die eine
grandiose Ausbildungsleistung erbringen,
({6})
über die Systematik der von uns geforderten Ausbildungsplatzabgabe spreche und ihnen deutlich mache,
dass sie für ihre Leistung finanziell entlastet werden sollen, dann erfahre ich Zustimmung. Sie erzählen mir, dass
sie sich gegenüber den Kolleginnen und Kollegen benachteiligt fühlen, die günstigere Angebote machen können.
({7})
Wir müssen eines zur Kenntnis nehmen: Wir schieben
eine Bugwelle von circa 150 000 Jugendlichen vor uns
her.
({8})
Machen Sie es sich doch nicht so einfach, alle diese Jugendlichen abzuqualifizieren und zu behaupten, sie seien
für die Ausbildung nicht geeignet. Mich erfüllt mit großer Sorge, dass wir mittlerweile 426 000 junge Menschen in Deutschland unter 25 Jahren haben, von denen
zwei Drittel keine Ausbildung bekommen haben. Darauf
müssen wir eine Antwort geben.
Ich will Ihnen noch einen Grund sagen, warum das
notwendig ist. Das duale System ist ein Exportschlager
der deutschen Wirtschaft.
({9})
Jeder Verbandsvertreter, der ins Ausland reist, erzählt,
wie toll unser Ausbildungssystem funktioniert. Eines
habe ich bisher noch nicht gehört. Oder hat man im letzten Jahr etwa, als in China die Diskussion über das duale
Ausbildungssystem geführt wurde, den Chinesen erzählt, dass in jedem Sommer wahre Karawanen von Ministern aus Bund und Ländern, von Vertretern der Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammern
und der Arbeitgeberverbände in Deutschland von Ausbildungsbetrieb zu Ausbildungsbetrieb reisen und um
Ausbildungsplätze betteln?
({10})
Wenn wir dieses wirklich gute duale Ausbildungssystem in unserer Gesellschaft beibehalten wollen, dann
müssen wir dafür sorgen, dass sich die Wirtschaft als
Ganzes verantwortlich dafür fühlt,
({11})
das sicherzustellen, was immer als Rückgrat der deutschen Wirtschaft definiert wird: hoch qualifizierte Facharbeiterinnen und Facharbeiter, Gesellinnen und Gesellen, Fachkräfte aus Wirtschaft und Verwaltung. Genau
das leistet dieses System im Moment nicht mehr.
Sehen Sie sich doch bitte die Eckpunkte an, die die
SPD-Fraktion gestern auf den Tisch gelegt hat.
({12})
Wir wollen ein Gesetz machen, von dem wir hoffen,
dass es aufgrund der Aktivitäten der Verbandsvertreter,
der deutschen Wirtschaft und unseres Wirtschaftsministers nicht greifen muss. Denn wir setzen auf die Kraft
der deutschen Wirtschaft, auf die Erkenntnis, dass sie
selbst Verantwortung gegenüber den jungen Menschen
wahrnimmt, die jedes Jahr aus der Schule entlassen
werden und einen berechtigten Anspruch auf Ausbildung haben.
Wir diskutieren im Deutschen Bundestag heftig über
Generationenverträge, über Generationengerechtigkeit
und über Solidarität, die notwendig ist. Wir können nicht
von jungen Menschen, denen wir heute die rote Karte
zeigen und denen wir sagen, sie bekämen keinen Ausbildungsplatz, erwarten, dass sie fünf, sechs, acht oder zehn
Jahre später ihre solidarische Leistung in dieses System
einbringen, nachdem sie zunächst einmal die kalte
Schulter dieser Gesellschaft gesehen und keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.
Also, Herr Brüderle, nicht bestrafen,
({13})
sondern ein Stück Gerechtigkeit in der Wirtschaft herbeiführen ist der Weg, den wir gehen wollen mit dem
Ziel, es möglichst nicht darauf ankommen zu lassen,
dass diese Umlage erhoben wird. Das liegt in den Händen der für die duale Ausbildung Verantwortlichen in
unserem Land.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich erteile das Wort der Kollegin Dagmar Wöhrl,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwang,
Abgaben, Regulierung - bei allem Hickhack und bei allen 180-Grad-Wendungen zieht sich eines wie ein roter
Faden durch Ihre Politik:
({0})
Wenn sich der Markt Ihren Utopien nicht beugen will,
dann heißt es nur noch: staatliche Zwangsmaßnahmen,
staatliche Zwangsmaßnahmen.
({1})
Es ist schon eigenartig. Warum ist denn der Platz Ihres Superministers leer? Weil Herr Minister Clement
dieses Mal die richtige Auffassung hat.
({2})
Er ist nämlich gegen die Verstaatlichung dieses Ausbildungssystems. Deswegen ist er heute nicht gekommen.
Er müsste nämlich für uns und gegen Ihre Politik reden,
meine Damen und Herren von Rot-Grün.
({3})
Was haben Sie denn gestern in Ihrer Fraktion beschlossen? Die Einführung einer neuen Zwangsabgabe,
die Einführung einer neuen Strafsteuer.
({4})
Was Sie gestern beschlossen haben, das ist eine Watschen für alle jungen Menschen in diesem Land, die eine
Ausbildungsstelle suchen.
({5})
Sie schaffen nicht die Voraussetzungen für mehr Lehrstellen, sondern Sie sorgen dafür, dass den Jugendlichen
zukünftig die Türen vernagelt bleiben.
({6})
Was ist denn, wenn ein Betrieb zukünftig keinen geeigneten Lehrling finden wird? Haben Sie schon einmal
darüber nachgedacht, ob er dann auch die neue Abgabe
zahlen muss?
({7})
Die großen Betriebe werden sich freikaufen, wie es bereits bei der Behindertenabgabe der Fall ist. Aber die
kleineren und mittleren Betriebe, die sowieso schon unter ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen leiden,
werden auch zukünftig auf der Strecke bleiben.
Was werden Sie mit der Ausbildungsabgabe erreichen? Sie werden ein praxisfremdes, außerbetriebliches
Ausbildungswesen schaffen, das völlig am zukünftigen
Bedarf vorbeigeht. Sie werden die Jugendlichen in wirkungslosen Ausbildungsprogrammen parken, wie Sie es
schon mit Ihrem JUMP-Programm gemacht haben. Die
armen jungen Menschen werden zum Schluss wieder an
derselben Stelle stehen wie am Anfang, nämlich vor der
Tür des Arbeitsamts. Das ist die Politik, die Sie hier auf
den Weg bringen.
({8})
Das Einmaleins der Wirtschaftspolitik ist bei Ihnen immer noch nicht angekommen.
({9})
Was brauchen Unternehmen, um ausbildungswilligen
und ausbildungsfähigen jungen Menschen eine Chance
zu bieten? Sie brauchen eine gesunde Finanzlage. Das
haben Sie nicht erkannt. Für eine solche gesunde Finanzlage brauchen sie keine Zwangsabgaben und auch keine
Subventionen. Sie brauchen nur eines, und zwar Gewinne. Nur dann, wenn ein Betrieb Gewinne erzielt bzw.
wenn es ihm die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
ermöglichen, Gewinne zu erwirtschaften, wird er neue
Mitarbeiter und Lehrlinge einstellen.
({10})
Dann wird er auch die Möglichkeit haben, diese Lehrlinge zu übernehmen und ihnen eine Chance für die Zukunft zu bieten. Das ist die zentrale Grundlage, was Sie
aber, wie Ihre Wirtschaftspolitik zeigt, nicht verstehen.
({11})
Lesen Sie doch das Herbstgutachten und das heute erschienene Gutachten des Sachverständigenrates!
({12})
Es war doch nicht die Opposition, sondern der Bund
der Steuerzahler, der festgestellt hat: Selbst wenn die
dritte Stufe der Steuerreform vorgezogen würde, dann
hätten die Menschen immer noch eine höhere Einkommensbelastung als 1998, als Sie an die Regierung gekommen sind. Das ist doch Fakt.
({13})
Von daher brauchen Sie sich auch nicht darüber zu wundern, dass der Konsum nicht zunimmt. Das ist doch
nicht die Schuld der Opposition; es ist vielmehr Ihre
Schuld.
({14})
Die Zahl der Insolvenzen in diesem Jahr beträgt
40 000. Das bedeutet für junge Menschen 40 000 Mal
weniger die Chance, eine Lehrstelle zu finden. Dadurch,
dass pro Jahr 45 000 Arbeitsplätze von deutschen Unternehmen im Ausland geschaffen werden, werden hierzulande keine neuen Lehrstellen geschaffen.
({15})
Dieses essenzielle Problem lösen Sie doch nicht durch
eine neue Zwangsabgabe oder Steuer. Sie können es nur
durch echte Reformen lösen.
({16})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt nur
eine Ausbildungsplatzabgabe, die ich unterstütze
({17})
und für die ich sogar werben würde, und zwar auch bei
meinen Kollegen: Das ist eine Abgabe, für die wir
- auch mit Ausübung von Zwang - sammeln, damit Sie
in die Lehre gehen können, um zu erfahren, was eine
gute Wirtschaftspolitik ausmacht.
({18})
Dafür gehe ich auch mit dem Klingelbeutel herum. Das
verspreche ich Ihnen.
Aber der Ausbildungsplatzabgabe, die Sie derzeit planen und mit der Sie unsere kleineren und mittleren Betriebe, die momentan sowieso mit dem Rücken zur Wand
stehen, zukünftig mit noch mehr Bürokratie und Kosten
belasten würden, werden wir keine Zustimmung erteilen.
Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Es ist ein Sieg der
SPD-Linken und der Gewerkschaften, die als Einzige
auch finanziell davon profitieren werden, weil zukünftig
wieder Geld in ihre Ausbildungsstätten fließt. Einem
solchen Vorhaben werden wir nicht zustimmen. Legen
Sie es zurück in die Schublade, aus der Sie es herausgeholt haben! Schließen Sie die Schublade ab und werfen
Sie den Schlüssel weg.
Vielen Dank.
({19})
Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Thea Dückert,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brüderle, wir haben in diesem Jahr schon viele
Äußerungen von Ihnen gehört,
({0})
die immer wieder eines belegt haben, nämlich dass Sie
einer Lobbypartei angehören. Das haben wir in der Diskussion über die Gesundheitsreform und die Reform der
Handwerksordnung gehört.
({1})
Eben haben wir aber auch eines gehört, nämlich dass
die FDP gewiss keine Lobbypartei für die jungen Leute
in diesem Land ist.
({2})
Sie wollen sie schlicht im Regen stehen lassen. Frau
Wöhrl hat das eben auch wieder deutlich gemacht. Ihre
Antwort auf die Ausbildungsplatzlücke, die wir haben,
lautet: Gewinne, Gewinne, Gewinne. Dann richten Sie
auch noch an die Kolleginnen und Kollegen der SPD den
polemischen Vorschlag, sich ausbilden zu lassen.
({3})
Nein, wir haben in diesem Land ein echtes Problem.
Dieses Problem ist die Ausbildungsplatzlücke und der
Umstand, dass nur 30 oder weniger Prozent der Betriebe
ausbilden. Das ist ein Fakt. Für dieses Problem müssen
wir eine Lösung finden. Um diese Lösung müssen wir
streiten. Aber unsere Lösung haben Sie, Frau Wöhrl,
wohl überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
({4})
Denn das, was Sie hier aufbauen, sind potemkinsche
Dörfer. Sie behaupten zum Beispiel, wir würden eine
Zwangsabgabe bzw. eine Zwangssteuer einführen wollen.
({5})
Das ist nicht richtig. Das, was wir vorschlagen, ist eine
Ausbildungsplatzumlage. Lassen Sie sich das einmal gesagt sein.
({6})
Was ist - Sie sagen ja gerade „aha!“ - der Unterschied?
Der Unterschied ist, dass das Geld, das von den Unternehmen zum Beispiel in eine bundesweite Stiftung eingezahlt werden würde, in der Wirtschaft bliebe. Das
Geld würde der Wirtschaft nicht entzogen, sondern umgelegt:
({7})
von den Betrieben, die nicht ausbilden, hin zu den Betrieben, die ausbilden. Das hat mit einer Steuer überhaupt nichts zu tun.
({8})
Meine Damen und Herren, das sollten Sie, die Sie ja mit
mir gemeinsam im Wirtschaftsausschuss sitzen, eigentlich wissen.
({9})
Ein zweiter Punkt, den Sie hier ausgeführt haben, der
aber schlichtweg falsch ist, ist folgender: Sie behaupten,
wir würden die kleinen Unternehmen bestrafen. Fakt ist,
dass bei unserem Vorschlag die Unternehmen mit zehn
oder weniger Beschäftigten überhaupt keine Umlage
zahlen sollen,
({10})
sondern für jeden Ausbildungsplatz, den sie anbieten,
eine Unterstützung bekommen. Hierbei handelt es sich
also um eine Unterstützung der kleinen Betriebe für ihre
Ausbildungsleistung in diesem Land. Meine Damen und
Herren, schauen Sie also hin, bevor Sie etwas kritisieren.
({11})
Dann haben Sie behauptet, das Geld solle in außerbetriebliche Ausbildungsplätze fließen. Das ist völlig
falsch. Wir schlagen die Förderung von betrieblicher
Ausbildung vor, und zwar so, dass die Unternehmen
auch dazu motiviert werden. Deswegen handelt es sich
nicht, wie es der Kollege Brüderle eben ausgeführt hat,
um eine Ablasssteuer, von der man sich freikaufen kann.
({12})
In dem Stiftungsmodell, das die Grünen vorschlagen,
wäre es beispielsweise so, dass jedes Unternehmen einzahlt und jedes Unternehmen, das ausbildet, für jeden
Ausbildungsplatz eine Unterstützung erfährt. Ein Freikaufen ist hier gar nicht möglich, sondern es lohnt sich
für jedes Unternehmen, auszubilden.
({13})
Dann geht die Rechnung nämlich auf.
({14})
Mein nächster Punkt. Wir schlagen ein sehr flexibles
Modell vor. Bei uns hat nämlich Freiwilligkeit Vorfahrt.
({15})
Es ist so, dass dort, wo Unternehmen bereit sind, freiwillige Lösungen zu verabreden, zum Beispiel in Tarifverträgen freiwillige Lösungen für Branchen zu entwickeln,
diese in das Modell eingehen können.
({16})
Ich sage noch einmal: Schauen Sie genau hin, bevor Sie
auf einen leeren Sack schlagen.
Wichtig ist - darüber müssen wir wirklich noch weiter debattieren -, dass wir mit einer solchen Umlage, mit
der Ausbildung gefördert werden soll, keine Fehlanreize
setzen. Über das Modell wird im Moment diskutiert und
es wird weiterentwickelt. Ich halte es nicht für richtig
- das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich -, dass wir
beispielsweise nur Ausbildungsplätze fördern, die nach
einem bestimmten Stichtag, zum Beispiel dem 30. September, entstehen. Denn dann könnte es in der Tat zu
dem Problem kommen, dass Betriebe bis zu diesem
Stichtag keine Ausbildungsplätze anbieten.
({17})
- Nein, darüber müssen wir sprechen. Wir brauchen ein
System, das klare Anreize für mehr betriebliche Ausbildungsplätze setzt. Darum geht es.
({18})
Meine Damen und Herren, wir haben also ein Problem. Es ist sichtbar, dass dieses Problem in den nächsten Jahren nicht unbedingt gelöst werden kann,
({19})
weil die Ausbildungsjahrgänge, die die Schule verlassen,
mindestens bis 2006 oder 2007 sehr groß sind, danach
aber langsam abnehmen. Deswegen müssen wir hier
Antworten finden. Wir sollten alle Kraft daran setzen,
die Antworten dort zu suchen, wo die Ausbildungen gut
sind, nämlich in den Betrieben. Wir müssen Antworten
finden, damit auch die Betriebe ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag,
Frau Kollegin, denken auch Sie bitte an Ihre Redezeit.
- nämlich betriebliche Ausbildungsplätze anzubieten,
nachkommen können.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Christoph
Hartmann, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Bertl, Sie haben gesagt, dass aus
Gerechtigkeitsgründen endlich eine Ausbildungsplatzabgabe eingeführt werden müsse.
({0})
Sie stimmen hier mit den Gewerkschaften überein. Ich
kann Ihnen dazu nur sagen: Bevor die Gewerkschaften
den Mund groß aufmachen, sollten sie vor ihrer eigenen
Tür kehren.
({1})
Die Ausbildungsquote der IG Metall beträgt 0,9 Prozent.
Bei Verdi sind es lächerliche 0,4 Prozent. Bevor die Gewerkschaften andere an den Pranger stellen, sollten sie
ihre Hausaufgaben machen.
({2})
Übrigens, angeblich ist das heute zur Diskussion stehende Thema von zentraler Bedeutung für Sie. Aber der
Bundeswirtschaftsminister ist nicht anwesend. So interessant scheint dieses Thema für Sie also doch nicht zu
sein.
Die jetzt vorgeschlagene Regelung ist eine Einladung
an die Betriebe, sich von der Ausbildungsplatzabgabe
freizukaufen; denn es ist sehr viel günstiger, die Abgabe
zu zahlen, als drei Jahre lang in einen Ausbildungsplatz
zu investieren.
({3})
Einen beträchtlichen Teil des Aufkommens Ihrer
Zwangsabgabe wollen Sie in rein staatliche Ersatzmaßnahmen stecken.
({4})
Damit verstaatlichen Sie die Berufsausbildung und geben den letzten Teil unseres Bildungssystems auf, auf
das wir stolz sind. Das ist der falsche Weg.
({5})
Denn das eigentliche Problem sind die verfehlte Wirtschaftspolitik und die mangelnde Ausbildungsreife vieler Jugendlicher. Lehrstellen entstehen eben nicht im
konjunkturfreien Raum.
Bei den Diskussionen über eine Ausbildungsplatzabgabe nennen Sie immer die Bauindustrie als positives
Beispiel und behaupten, dass das dortige Umlagesystem
wunderbar funktioniere.
({6})
Herr Kollege Brase, von 1995 bis zum heutigen Tag sind
50 Prozent der Ausbildungsplätze in der Bauindustrie
wegen der falschen Wirtschaftspolitik der Regierung
weggefallen.
({7})
Machen Sie eine andere Wirtschaftspolitik! Dann wird
in diesem Land auch wieder ausgebildet werden.
({8})
Die Lehrstellenlücke ist von 170 000 im Sommer dieses Jahres auf jetzt noch 25 000 geschrumpft. Mehr als
95 Prozent der Bewerberinnen und Bewerber sind vermittelt. Von den unvermittelten 5 Prozent ist nur gut die
Hälfte zu Nachvermittlungsgesprächen erschienen. Wir
reden also letztlich von 15 000 jungen Menschen, die
wirklich eine Ausbildung suchen.
({9})
Christoph Hartmann ({10})
Dagegen stehen 90 000 Jugendliche, die Jahr für Jahr
unsere Schulen ohne Abschluss verlassen und denen die
Wirtschaft, obwohl sie keinen Schulabschluss haben, einen Ausbildungsplatz anbietet. Über diese Leistung der
Wirtschaft redet in diesem Hause niemand.
({11})
Auch die Ausbildungsfähigkeit der Bewerber muss besser werden.
({12})
Sie kürzen nun den Bildungs- und Forschungsetat um
80 Millionen Euro. Dies ist das falsche Signal; genau das
brauchen wir gerade jetzt nicht. Damit haben Sie sich
entlarvt. Wir müssen vielmehr in Bildung investieren
und dürfen hier nicht kürzen.
({13})
Richtig wären zweijährige theoriegeminderte Berufsausbildungen und eine Flexibilisierung der möglichen Beschäftigungszeiten im Jugendarbeitsrecht. Richtig wäre
auch eine Modularisierung, um eine flexible Aus- und
Weiterbildung zu gewährleisten. Für diejenigen, die es
nicht in zwei oder drei Jahren schaffen, muss es auch
dreieinhalbjährige Ausbildungsgänge geben, damit sie
sich das notwendige Wissen aneignen können.
({14})
Richtig wäre des Weiteren die Aufhebung der Flächentarifverträge. Es ist doch besser, wenn ein Auszubildender
mit 500 Euro pro Monat nach Hause geht, als wenn er
für 700 Euro überhaupt keinen Ausbildungsplatz findet.
({15})
Die Einführung einer zusätzlichen Abgabe, die Sie
planen, sorgt nur für zusätzliche Bürokratie. Frau Kollegin Sager hat gesagt, man wolle zuerst die Folterinstrumente zeigen und die Wirtschaft dann, wenn sie nicht artig sei, bestrafen. Es wird Ihnen aber nicht gelingen,
gegen die Wirtschaft zusätzliche Ausbildungsplätze in
diesem Land zu schaffen. Sie werden es nur mit der
Wirtschaft, mit einer anderen Bildungspolitik und mit einer anderen Wirtschaftspolitik schaffen. Machen Sie den
Weg frei! Treten Sie, die Regierung, zurück!
({16})
Machen Sie den Weg für Neuwahlen frei! Dann werden
wir in diesem Land wieder mehr Ausbildungsplätze bekommen.
Vielen Dank.
({17})
Das Wort hat die Bundesministerin Bulmahn.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Das Ziel dieser Bundesregierung ist,
dass alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz erhalten.
({0})
Unser Ziel ist auch, dass die Unternehmen in
Deutschland auch noch in fünf oder zehn Jahren so viele
qualifizierte Mitarbeiter haben, wie sie benötigen.
({1})
Unser drittes Ziel ist,
({2})
die duale Ausbildung in Deutschland zu stabilisieren,
damit es sie auch noch in zehn Jahren gibt.
({3})
Ich betone: Wir, die Bundesregierung - das gilt sicherlich auch für die Regierungsfraktionen -, erkennen
die Leistung der Betriebe, die ausbilden, ausdrücklich
an.
({4})
Fakt ist aber: 500 000 Betriebe in diesem Land bilden
nicht aus, obwohl sie es könnten.
({5})
Fakt ist auch: Inzwischen liegt der Anteil der Betriebe,
die überhaupt noch ausbilden, unter 30 Prozent.
({6})
Dazu habe ich von Ihrer Seite bis jetzt noch überhaupt
nichts gehört.
Wenn Sie es mit Ihren Anmerkungen zur Ordnungspolitik ernst meinen - für mich heißt Ordnungspolitik,
dass man strategische Ziele verfolgt -, dann muss ein
strategisches Ziel sein, dafür Sorge zu tragen, dass alle
Jugendlichen ausgebildet werden.
({7})
Sie haben nichts dazu gesagt, wie Sie dieses Ziel erreichen wollen - nichts! Ziel muss auch sein, dass wieder
mehr Betriebe ausbilden.
Nur jeder zehnte der erwähnten 500 000 Betriebe
müsste ausbilden, damit die Ausbildungslücke geschlossen wird. Wenn das nicht gelingt - wir haben das in der
Debatte immer wieder gesagt -, dann müssen wir
leider - es wurde immer als letzter Weg bezeichnet - gesetzliche Regelungen treffen.
Wir befinden uns heute in einer Situation, in der rund
37 500 Jugendliche vor den Türen der Arbeitsämter stehen, weil sie keinen Ausbildungsplatz bekommen. Das
kann niemand wollen und kann auch niemand zulassen.
({8})
Diese Jugendlichen müssen nämlich lange warten und
bekommen eventuell niemals die Chance einer beruflichen Ausbildung. Deshalb kann man es sich wirklich
nicht so einfach machen wie Sie von der Opposition.
({9})
Man kann auch nicht so tun, als ob das allein ein Problem der letzten zwei Jahre wäre.
({10})
Ich kann mich noch sehr gut an die 90er-Jahre erinnern:
Wir haben jedes Jahr im Sommer und Herbst hier im
Bundestag darüber diskutiert, dass es nicht gelungen ist,
allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu vermitteln.
({11})
- Sie haben es nicht geschafft. Als wir 1998 die Bundesregierung übernommen haben, mussten wir ein Programm starten, weil 500 000 Jugendliche keine Arbeit
hatten. Zwei Drittel dieser Jugendlichen hatten keine
Ausbildung. Die sind doch nicht vom Himmel gefallen!
Es war das Ergebnis Ihrer Politik.
({12})
Fakt ist außerdem, dass es neben den 37 500 Jugendlichen, die jetzt vor den Türen der Arbeitsämter stehen,
310 000 Jugendliche gibt, die sich für alternative Wege
und Maßnahmen entscheiden mussten: berufsvorbereitende Maßnahmen, Berufsgrundbildungsjahr, Berufsvorbereitungsjahr, allgemeine Schulbildung oder direkter
Eintritt in den Arbeitsmarkt. Das sind Jugendliche, die
ursprünglich einen Ausbildungsplatz haben wollten.
Im Beschluss der SPD-Fraktion und in den Beiträgen
der Kollegen dazu wurde eines ganz klar herausgestellt
- ich möchte es noch einmal ausdrücklich sagen -: Der
Beschluss stellt die Eigenverantwortung der Unternehmen ganz klar in den Mittelpunkt.
({13})
In dem Beschluss heißt es nämlich ausdrücklich: Nur
dann, wenn der Notfall eintritt, wenn die Wirtschaft es
nicht geschafft hat, ihre ureigenste Aufgabe wahrzunehmen, nämlich Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl
zur Verfügung zu stellen, wird die gesetzliche Regelung
greifen.
({14})
Das heißt, die Eigenverantwortung der Wirtschaft steht
an erster Stelle und das ist auch notwendig. Das ist genau die Position der Bundesregierung.
Das wird durch eine zweite Bedingung untermauert,
in der es nämlich ausdrücklich heißt: Freiwillige Regelungen haben Vorfahrt. Tarifvertragliche Regelungen,
wie wir sie zum Beispiel in der Baubranche haben, haben Vorfahrt.
({15})
Wir wollen nämlich mehr solcher Tarifverträge haben.
Mich ärgert genauso wie wahrscheinlich alle in diesem
Saal, dass es nur fünf Tarifverträge gibt, in denen ausdrücklich gesagt wird, dass man mehr Ausbildungsplätze braucht, und auch klar gesagt wird, wie viel mehr.
In den Eckpunkten heißt es, dass man keine neuen
Ämter etc. schafft. Was hier gesagt worden ist, ist also
falsch.
Es ist auch falsch, wenn behauptet wird, dass die Betriebe, die nicht ausbilden, belohnt werden. Das war gerade Inhalt des FDP-Vorschlags vom Sommer. Den fand
ich hoch entzückend. Danach sollte es 3 000 Euro pro
Ausbildungsplatz geben, egal ob der Betrieb vorher ausgebildet hat oder nicht, natürlich aus Steuermitteln!
({16})
Ich sage ausdrücklich: Das ist nicht der richtige Weg.
Ausbildung ist die ureigene Aufgabe der Wirtschaft.
({17})
Sorge macht mir, dass es in der Realität heute zum
Teil schon eine heimliche Verstaatlichung gibt. Es gibt
schon so etwas wie eine heimliche Verstaatlichung, weil
nämlich die Jugendlichen, die jetzt in Fachschulen oder
in Berufsvorbereitungsmaßnahmen sind, natürlich - das
wissen wir doch alle - zu einem erheblichen Teil aus
Steuermitteln finanziert werden.
Deshalb ist es schon richtig, wenn man sagt, dass die
500 000 Betriebe, die nicht ausbilden, obwohl sie es
könnten, endlich ihrer Verantwortung gerecht werden
müssen und nicht einfach darauf setzen können, dass andere Betriebe für sie kostenlos ausbilden. Es sind gerade
die kleinen und mittleren Betriebe, die Sie immer nennen, die kostenlos für diejenigen ausbilden, die nicht
selbst ausbilden. Das ist doch das Problem, vor dem wir
stehen.
({18})
Eine Anmerkung noch zu Herrn Hartmann. Ich kann
Ihnen, Herr Hartmann, voll und ganz zustimmen, wenn
Sie sagen: Wir brauchen Berufe mit zweijähriger Ausbildung. - Völlig richtig! Deswegen handelt die Bundesregierung ja auch. Es gibt inzwischen über 30 Berufe mit
zweijähriger Ausbildung. Es wäre nicht schlecht, wenn
Sie das einmal zur Kenntnis nehmen würden.
({19})
Für fünf weitere Berufe ist das in Vorbereitung. Wir werden den Weg weitergehen.
Ein anderer Punkt, Herr Hartmann: Module schaffen. Das steht schon seit einem Jahr im Berufsbildungsgesetz.
Es muss von den Unternehmen aber auch genutzt werden.
Modernisierung von Ausbildungsberufen. - Über die
Hälfte der gängigen Berufe ist modernisiert worden,
übrigens mit einem hohen Anteil von Flexibilität. Betriebe können nämlich ihre betriebsspezifischen Bedürfnisse und Anforderungen einbringen. Das werden wir
auch fortsetzen.
Wir werden ebenfalls unsere Anstrengungen fortsetzen, das Bildungsniveau insgesamt zu verbessern, weil
es natürlich richtig ist, dass die Kooperation zwischen
Schule und Bildung besser werden muss und dass die
schulische Ausbildung besser werden muss. Deshalb haben wir ja auch das Ganztagsschulprogramm gestartet.
Da würde ich mir allerdings wünschen, dass Sie von der
CDU/CSU das nicht immer nur dann begrüßen, wenn es
Ihnen gerade so beliebt,
({20})
sondern da mal eine konsequente Politik betreiben, konsequent auf einer Linie bleiben und sich nicht je nach
Opportunität verhalten.
({21})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bleibt bei
dem Ziel: Alle Jugendlichen müssen einen Ausbildungsplatz erhalten.
({22})
An diesem Ziel wird nicht gerüttelt. Dafür werden wir
Sorge tragen.
Vielen Dank.
({23})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katherina Reiche,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Derzeit suchen 28 400 junge Menschen eine Lehrstelle. Rund 10 000 Plätze sind offen. Allein im letzten
Monat wurden 6 600 junge Menschen vermittelt. Es
herrscht eine ungeheure Dynamik auf dem Lehrstellenmarkt. Das ist so dank der Nachvermittlungsaktionen der
Unternehmen, der Industrie- und Handelskammern, der
Handwerkskammern und der Arbeitsämter.
({0})
Das ist vor allem ein Erfolg der kleinen und mittelständischen Unternehmen.
({1})
Tatsache ist, dass die Resonanz vieler Jugendlicher
auf die Nachvermittlungsaktionen immer enttäuschender
wird. Nur noch die Hälfte der Jugendlichen erscheint zu
den Gesprächen, so die Unternehmer. Trotz dieses Desinteresses verbleiben die Jugendlichen in der Arbeitslosenstatistik. Sie benutzen sie mit Blick auf die Unternehmen als Erpressungs- und Druckmittel.
({2})
Das von Ihnen jetzt vorgelegte Eckpunktepapier ist
eine Ohrfeige für all diejenigen, die sich dafür eingesetzt
haben, dass es mehr Lehrstellen gibt. Ich nenne das Erpressung. Ihnen ist offenbar die Ideologie wichtiger als
das Problem Lehrstellenmangel an sich.
({3})
Da trägt der Kanzler den Sozialismus peu à peu zu
Grabe; kurz vor dem Parteitag wird aber die Ausbildungsplatzabgabe den Linken serviert.
({4})
Es ist eine Unverschämtheit, wenn ausgerechnet Herr
Müntefering behauptet, er sei der Interessenvertreter der
jungen Generation. Mit dieser Vorlage betätigt sich Herr
Müntefering als Totengräber der dualen Berufsausbildung in Deutschland.
({5})
Diese Politik geht zulasten der jungen Generation.
({6})
Was Sie vorhaben, bedeutet nichts anderes als Verstaatlichung und Verschlechterung der Ausbildung. Herr
Clement hat Ihnen das am Montag gesagt, Herr Schartau
hat Ihnen das am Dienstag gesagt. Wenn Sie schon nicht
auf Ihre Spitzengenossen hören, dann hören Sie doch
wenigstens auf die Experten des Ifo-Instituts oder auf die
Experten des Bundesinstituts für Berufsbildung. Sie alle
kommen zu den gleichen Ergebnissen:
Erstens. Ein Lehrstellenangebot lässt sich nicht gesetzlich festlegen oder gar steigern. Das Angebot richtet
sich nun einmal nach der wirtschaftlichen Situation der
Unternehmen - ob Ihnen das passt oder nicht. Die ist
dank Rot-Grün so schlecht wie nie. 40 000 Insolvenzen
sind ein trauriges Dokument Ihrer Politik. Erst ruinieren
Sie den Mittelstand in Deutschland, dann rufen Sie nach
mehr Ausbildungsplätzen. Senken Sie die Steuern!
({7})
Entriegeln Sie den Arbeitsmarkt! Bauen Sie Bürokratie
ab! Dann bilden Unternehmen auch wieder mehr aus.
({8})
Zweitens. Die Zwangsabgabe führt zu mehr Bürokratie. Die Ausbildung wird verstaatlicht, weil der Staat ein
Quasi-Monopol erhält. Das bedeutet lange, komplizierte,
bürokratische und zudem teure Entscheidungswege.
Drittens. Arbeit wird deshalb in Deutschland teurer
werden. Es werden hauptsächlich außerbetriebliche Ausbildungsplätze entstehen.
({9})
Das senkt die Qualität der Ausbildung.
Viertens. Die Abgabe beseitigt auch nicht den Mangel
an geeigneten Bewerbern. Viele Jugendliche sind
schlicht nicht ausbildungsfähig. 90 000 haben keinen
Schulabschluss. Das ist ein Problem der Schulen, möglicherweise auch der Elternhäuser. Hier muss Schule
wieder besser werden, übrigens hauptsächlich in SPDgeführten Ländern.
({10})
Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Sie bestrafen
die Unternehmen für Ihre Politik. Was Sie jetzt machen,
ist im Prinzip dieselbe SPD-Politik wie in den 80er-Jahren. Auch damals glaubten Sie, mit Parteitagsbeschlüssen könne man die Welt verändern. Wir brauchen wieder
eine glaubwürdige Wirtschaftspolitik, die sich nicht an
Träumereien, sondern an der Realität orientiert. Dazu
brauchen wir zunächst einmal Verlässlichkeit. Nur so bekommen wir wieder Wachstum.
Unsere Vorschläge zur Novelle des Berufsbildungsrechts liegen seit Anfang des Jahres auf dem Tisch. Auf
Ihre Vorschläge warten wir seit langer Zeit. Tragen Sie
dazu bei, dass es mehr Flexibilität bei Lehrlingsentgelten
gibt.
({11})
Modernisieren Sie Berufsbilder, insbesondere im Dienstleistungs- und Sozialsektor. Verkürzen Sie Ausbildungszeiten. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen
brauchen modulare Berufsbilder und ein modernes Prüfungswesen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben sich schon oft verrannt: beim demographischen Faktor, bei der Steuerreform, bei den 630-Mark-Jobs. All
das wurde gegen den Rat von Experten durchgezogen
und danach mühsam wieder eingesammelt und korrigiert, frei nach dem Motto: Tut mir Leid, ich habe mich
geirrt. Ich sage Ihnen schon jetzt, dass Sie mit dieser
Zwangsumlage genauso einen Irrweg einschlagen werden.
({12})
Das Wort hat nun Grietje Bettin für Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Reiche, monatelang haben wir viele
junge Menschen in Unsicherheit darüber gelassen, ob sie
überhaupt und, wenn ja, in welchem Bereich sie eine
Ausbildung machen können. Weit über 100 000 Jugendliche stecken derzeit in Warteschleifen und anderen beruflichen Sackgassen.
({0})
Das liegt nicht, wie Sie gesagt haben, an der schlechten
Bildung der Schulabgängerinnen und Schulabgänger,
sondern vor allem an der schwindenden Bereitschaft der
Wirtschaft, entsprechend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
({1})
Es ist nicht das erste Mal, dass wir vor dieser Situation stehen - Frau Ministerin Bulmahn hat es angesprochen -: Schon seit vielen Jahren verfallen wir jeden
Frühsommer in einen wilden Aktionismus, damit die
Wirtschaft doch noch bewegt wird, ein paar Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Dabei ist es doch sie, die davon am meisten profitiert.
Von daher verstehe ich Ihren Lobbyismus bezüglich der
Wirtschaft in diesem Zusammenhang überhaupt nicht.
Auch Sie müssen doch ein Interesse daran haben, dass
die jungen Menschen in unserem Land eine Zukunft haben.
({2})
Für uns Grüne ist es nicht hinnehmbar, dass die
Staatsquote in der Berufsbildung Jahr für Jahr steigt, und
das nicht etwa, weil sich die Jugendlichen aus freien Stücken für eine rein schulische Ausbildung entscheiden
würden, sondern weil es in Deutschland nicht annähernd
genug klassische Ausbildungsplätze mehr gibt.
Von Berufswahlfreiheit brauchen wir derzeit gar nicht
zu reden. Selbst wenn rein rechnerisch kein junger
Mensch auf der Straße sitzt, werden viele keine echte
Perspektive haben. Wir alle wissen, dass es, wenn junge
Menschen einmal aus dem System herausgerutscht sind,
sehr großer Anstrengungen bedarf, sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, rund 500 000 Betriebe, die eigentlich ausbilden könnten, stellen heute
keinen Auszubildenden mehr ein. Nach neuesten Berechnungen bilden nur noch 23 Prozent aller Unternehmen überhaupt aus. Wir sind den Firmen sehr weit
entgegengekommen. Wir haben bürokratische Hemmnisse abgebaut; wir haben zum Beispiel die AusbilderEignungsverordnung ausgesetzt. Dennoch stehlen sich
vor allem große Konzerne aus ihrer Pflicht zur Ausbildung.
Wir brauchen endlich ein wirksames Instrument,
({3})
um jungen Menschen langfristig und unabhängig von
der Konjunktur eine Ausbildungsperspektive zu geben.
Wir Grüne schlagen deshalb das Modell einer Stiftung
„Betriebliche Bildungschance“ vor. Sie soll dort greifen,
wo es keine tariflichen und regionalen Lösungen gibt.
Das heißt konkret: Wir wollen eine Umlage statt einer
Abgabe. Sie darf ausdrücklich keine Strafsteuer sein.
Wir wollen eine Umlage für mehr duale Ausbildung in
Deutschland.
Alle - ich betone: alle - sollen bei unserem Modell in
einen Topf einzahlen, aus dem ausschließlich Ausbildungsplätze in Betrieben finanziert werden. So kann die
Ausbildungsumlage Anreize für Unternehmen bieten,
mehr betriebliche Lehrstellen zu schaffen.
({4})
Wir Grüne wollen ein Stiftungsmodell. Die Stiftung
soll bundesweit und branchenübergreifend eingerichtet
werden. Auch bürgerschaftliches Engagement, zum Beispiel in Form freiwilliger Beiträge, soll bei unserem Modell durch steuerliche Vorteile belohnt werden. Die Ausbildungsverweigerer unter den Firmen
({5})
tragen über die Beiträge an die Stiftung zur Entlastung
ausbildender Betriebe bei. Betriebe mit weniger als zehn
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern - das hat Frau
Dückert schon angesprochen - werden von den Beitragszahlungen ausgenommen. Wer über Bedarf ausbildet,
wird mit diesem Modell gefördert. Wir wollen damit die
kleinen Unternehmen des Mittelstands und Handwerks
entlasten, die jetzt überproportional die Lasten der betrieblichen Ausbildung tragen.
Noch ein Wort zu dem Einwand, die Betriebe würden
sich mit der Umlage von der Ausbildung freikaufen können. Ich frage Sie: Was passiert denn heute mit den Ausbildungsverweigerern unter den Unternehmen?
({6})
Bisher können sie sich klammheimlich davonschleichen,
ohne auch nur einen müden Cent zu zahlen.
({7})
Uns geht es bei der Umlage darum, endlich Gerechtigkeit zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden
Betrieben herzustellen. Wir schaffen mit der Stiftung einen starken Anreiz für mehr Ausbildung,
({8})
denn durch die Kostenerstattung haben ausbildende Betriebe keinen Wettbewerbsnachteil mehr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das duale System
hat sich bewährt, solange von der Wirtschaft genügend
Ausbildungsplätze angeboten wurden. Hier liegt das
Problem. Unser Vorschlag einer Stiftung „Betriebliche
Bildungschance“ kann eine Lösung sein. Wir müssen
uns immer vor Augen halten, dass wir mit jedem jungen
Menschen ohne vernünftige berufliche Perspektive ein
Stück Zukunft verschenken. Das können und sollten wir
uns nicht leisten - nicht die Politik und auch nicht die
Wirtschaft. Deshalb lassen Sie uns die Zukunft sichern,
indem wir jetzt die Verpflichtung zur Ausbildung auf
möglichst viele Schultern verteilen.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Werner Lensing, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem rein persönlichen Bekenntnis beginnen. Sicherlich laufe ich in diesem Hohen
Hause nicht Gefahr, dem so genannten EdelgardBulmahn-Fanklub zugerechnet zu werden, sofern es diesen - nach all der Kritik, die ich aus dem Ministerium
vernehme - überhaupt gibt.
({0})
Gleichwohl, Frau Bulmahn, finde ich Ihre Äußerung,
abgedruckt in der „FAZ“ vom 15. Juli, ausgesprochen
„super“. Da haben Sie erklärt - ich zitiere -:
Durch Gesetze lasse sich dieser Bildungsoptimismus in der Bundesrepublik leider nicht verordnen.
({1})
Die Aussage stimmt - ohne Zweifel. Aber Sie halten
sich leider nicht daran.
({2})
Das beweist das unsinnige gesetzliche Vorhaben der
Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe. Ich bin zutiefst davon überzeugt - wir werden es eines Tages traurigerweise belegen können -, dass diese Abgabe in die
Irre führt und dass Sie damit knallhart vor die Wand fahren. Die Ineffektivität und der Nonsens Ihrer hilflosen
Maßnahmen werden betrüblicherweise noch einsame
Triumphe feiern.
Ich möchte das aufgreifen, was Herr Brüderle und
auch Frau Reiche gesagt haben, weil ich aus dem Lande
Nordrhein-Westfalen komme. Dort haben wir bekannterweise seit 1996 unter Herrn Clement und Herrn Schartau
von der SPD einen Ausbildungskonsens. Dieser Konsens hatte deswegen Erfolg, weil er tatsächlich auf dem
Prinzip der Freiwilligkeit und damit des guten Willens
basierte.
({3})
Damit laufen die SPD-Minister Clement und Schartau in
dieser zentralen Ausbildungsfrage Ihnen, Frau Bulmahn,
als der zuständigen Bundesministerin nicht nur den Rang
ab, sie offenbaren gleichzeitig - das ist bei Ihnen im Gegensatz dazu leider nicht der Fall - praxisorientierten
Sachverstand. Dies muss man aus Gründen der Objektivität auch als CDU-Politiker erwähnen.
Wenn ich mir darüber hinaus vergegenwärtige, mit
welchen Argumenten Sie, Frau Ministerin Bulmahn, in
der Frage der Lehrlingsausbildung damals, als Sie sich
noch in der Opposition befanden, den damaligen - im
Übrigen tüchtigen - Ressortschef Dr. Jürgen Rüttgers
attackiert haben, so muss ich feststellen, dass Ihre heutigen Argumente bedauerlicherweise geradezu hilflos,
ohne Konzeption und mit Sicherheit ohne Effekt sind.
Der CDU/CSU das Interesse absprechen zu wollen
- egal ob Sie es sind, Frau Bettin, oder andere -, den Jugendlichen zu einem Arbeitsplatz zu verhelfen, ist wirklich unwahr, unverschämt und wird der parlamentarischen Fairness nicht gerecht.
({4})
Die Ausbildungsplatzabgabe war schon seit einem
Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1977 im
Gespräch und wurde in verschiedensten Wirtschaftslagen zu Recht verworfen. Warum? Weil man immer wieder erkannt hat, dass sie ökonomischer Unfug ist und einen potenziellen Hort undurchsichtiger Bürokratie mit
einem gigantischen - das sollten Sie einmal zugeben Umverteilungsmechanismus darstellt.
({5})
Gerade diese hausgemachten Desaster sollen jetzt als
Begründung dafür herhalten - das konnten wir im Eckpunktepapier des Kollegen Müntefering lesen -, den angeschlagenen Betrieben unter anderem diese weiteren
Lasten aufzubürden. Ich habe den Eindruck: Münchhausen zieht sich hier aus dem Sumpf.
Ein Weiteres. Ohne jetzt Zahlen zu nennen und im
Einzelnen auf die von der Regierungsseite immer wieder
genannten 500 000 Betriebe einzugehen - man muss
einmal untersuchen, um welche Betriebe es sich handelt,
wie groß sie sind und warum sie Probleme mit der Ausbildung haben -, möchte ich schon sagen, dass man die
ideologische Komponente dieses ganzen Unternehmens
nicht unterschätzen darf. Wer das tut, ist mindestens auf
einem Auge blind.
Ich habe noch folgende Fragen:
Die müssen jetzt allerdings sehr konzentriert vorgetragen werden, Herr Kollege.
Dem deutschen Volk entgeht dann etwas, Herr Präsident.
Das vermute auch ich, setzt aber die Geschäftsordnung nicht außer Kraft.
Müssen die Betriebe, die partout keine Lehrlinge finden, eine Abgabe zahlen? Was ist mit den Betrieben, die
um ihre Existenz kämpfen?
Ich möchte dem Votum des Präsidenten folgen und
meine Rede beenden, aber Ihnen, Frau Bulmahn, noch
sagen dürfen: Stehen Sie zu Ihrem Wort - siehe das Zitat
zu Beginn meiner Rede - und verzichten Sie auf weitere
gesetzliche Zwangsmaßnahmen!
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Wicklein,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Um es gleich vorwegzusagen: Auch wir hätten uns sicherlich lieber eine andere Lösung gewünscht.
Aber wir müssen heute einfach zur Kenntnis nehmen,
dass sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt weiter
verschlechtert hat.
({0})
Bundesweit warten fast 38 000 Jugendliche vergeblich auf einen Ausbildungsplatz. Hinzurechnen müssen
wir diejenigen, die auch schon im vergangenen Jahr und
davor keine betriebliche Ausbildungsmöglichkeit erhalten haben. Etwa 310 000 Schulabgänger mussten sich
für alternative Maßnahmen entscheiden. Die Situation
ist also weitaus dramatischer, als manche meinen.
Dies sind nur nackte Zahlen. Aber hinter jeder dieser
Zahl verbirgt sich ein junger Mensch, der von der Schulbank direkt in die Arbeitslosigkeit marschiert. Was das
für jeden Einzelnen bedeutet, können wir uns alle sicherlich vorstellen.
({1})
Wenn einem Jugendlichen bereits der Einstieg in das Berufsleben verbaut wird, welche Perspektive soll der Einzelne dann überhaupt noch haben?
In den vergangenen Tagen und auch heute hier im
Plenum habe ich immer wieder erlebt, wie einige versuchen, das Problem klein zu rechnen oder auf andere Bereiche zu verlagern: Mal soll die Qualität der schulischen
Ausbildung mal soll die gesamtwirtschaftliche Situation
schuld sein; mal soll sich das Problem wegen der demographischen Entwicklung in unserem Land ganz von
selbst lösen.
({2})
Ich will diese Argumente nicht gänzlich in Abrede
stellen, Herr Kretschmer; denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine gute Ausbildung aller Jugendlichen sind derzeit schwierig. Aber wir müssen uns klar
machen - das ist das Entscheidende, Herr Kretschmer -,
dass Endlosdebatten letztlich auf dem Rücken der jungen Menschen ausgetragen werden, die heute dringend
einen Ausbildungsplatz suchen.
({3})
Deshalb sage ich Ihnen: Wir müssen jetzt - im Interesse der jungen Generation - handeln!
({4})
Wir werden handeln; denn wir wollen den jungen Menschen eine Perspektive für ihr Leben geben.
({5})
Wir wollen sie mit ihrer schwierigen Situation nicht allein lassen. Das ist nicht nur im Interesse unserer Gesellschaft, sondern auch im Interesse der Wirtschaft.
({6}) - Dagmar Wöhrl ({7}): Handeln Sie doch auch danach! Han-
deln Sie nicht kontraproduktiv!)
Wer etwas anderes behauptet, der sägt an dem Stuhl, der
unser Land künftig tragen soll.
({8})
Deshalb ist es notwendig, dass jetzt ein Gesetz für einen Ausbildungsfonds auf den Weg gebracht wird: für
einen Fonds, der Anreize für eine betriebliche Berufsausbildung schafft, für einen Fonds, der gerecht und flexibel ausgestaltet wird, für einen Fonds, der Rücksicht
auf regionale Besonderheiten nimmt, für einen Fonds,
der ohne neue Behörden und ohne große Bürokratie gestaltet werden soll.
({9})
Wichtig ist mir vor allem, dass weiterhin brancheninterne Lösungen Vorrang haben. Diese freiwilligen Lösungen sollten beispielgebend für alle sein. Wer in der
Wirtschaft seiner Verantwortung für die junge Generation gerecht werden will, hatte bereits in der Vergangenheit die Chance dazu. Dies wird auch zukünftig so sein.
Aber ich sage von dieser Stelle aus auch ganz direkt
und klar: Wer nicht oder unzureichend ausbildet, obwohl
er das könnte,
({10})
der wird künftig dazu beitragen müssen, dass ausbildungswillige Betriebe einen Ausgleich erhalten
({11})
und zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen werden können.
({12})
Als Bundestagsabgeordnete aus den neuen Bundesländern weiß ich, dass es die Sorge gibt, der Ausbildungsfonds sei ein zusätzliches Entwicklungshemmnis
für die ohnehin schon kapitalschwachen Betriebe in
strukturschwachen Gebieten.
({13})
Diese Bedenken werden wir im Gesetzgebungsprozess
ernst nehmen.
({14})
Man sollte sich die Situation in den neuen Bundesländern aber genau anschauen, bevor man voreilige
Schlüsse zieht. Erfreulicherweise können nämlich die
neuen Bundesländer trotz aller Schwierigkeiten schon
jetzt eine höhere Ausbildungsquote vorweisen als die alten Länder.
({15})
Zudem wurden gerade im Osten mit den regionalen
Ausbildungsverbünden sehr gute Erfahrungen gemacht.
Hier gibt es Regionen mit viel Engagement. Das ist
selbstverständlich noch ausbaufähig. Der Ausbildungsfonds wird seinen Anteil dazu leisten.
({16})
Die derzeit schwierige Ausbildungsplatzsituation ist
uns allen bekannt; sie geht uns alle an. Ausbildung ist
eine Investition in die Zukunft. Eine gute Ausbildung ist
im Interesse der Gesellschaft und der Wirtschaft, die
letztlich auf qualifizierte junge Menschen angewiesen
ist. Die Ausbildungsverantwortung wenigen Betrieben
zu überlassen und gleichzeitig von deren Leistung und
Engagement zu profitieren passt nicht zusammen. Das
ist auch nicht gerecht.
({17})
Wir werden konsequent dafür sorgen - deshalb schlagen wir diesen Weg vor -, dass jeder Jugendliche eine
gerechte Chance bekommt, sein Leben selbst in die
Hand zu nehmen.
Vielen Dank.
({18})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Dr. Gesine
Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Wir freuen uns, dass sich die SPD-Fraktion so eindeutig für eine Ausbildungsplatzumlage ausgesprochen hat.
({0})
- Herr Tauss, halten Sie sich mit Zwischenrufen lieber
zurück! Erinnern Sie sich an die E-Mail, die ich Ihnen
geschrieben habe! Ihre Zwischenrufe sind nämlich häufig sachlich falsch.
({1})
Ich kann das gerne aufklären, wenn Sie das interessiert.
Die SPD kommt mit der Ausbildungsplatzumlage einer Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts nach,
das bereits 1980, also vor 23 Jahren, eine gesetzliche Regelung anmahnte und darauf verwies, dass es eine „Verantwortung der Arbeitgeber für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen“ gibt.
({2})
Die Unternehmen, die nicht ausbilden, hatten also
23 Jahre Zeit, freiwillig eine Lösung zu finden. Ich
denke, eine Bedenkzeit von 23 Jahren muss wirklich
ausreichen.
Jetzt ist das Geschrei bei CDU/CSU und FDP - jetzt
komme ich auf Sie zu sprechen - groß, die wieder einmal den Niedergang des Abendlandes voraussagen. Ich
bin mir ziemlich sicher, dass das Abendland wegen einer
Ausbildungsplatzumlage nicht untergehen wird.
({3})
Weniger als 30 Prozent der Betriebe bilden aus. Insbesondere Handwerksbetriebe bilden aus. Sie stehen bei
der Ausbildung an erster Stelle. Aber auch die Bauindustrie hat gezeigt - das spielte heute schon eine Rolle -,
dass eine Ausbildungsplatzumlage über eine tarifliche
Regelung seit 40 Jahren gut funktioniert. Warum soll das
in anderen Branchen nicht gehen?
Wer sich heute noch immer einer Ausbildungsplatzumlage verweigert, dem sind die Jugendlichen offensichtlich egal, die nach der Schule auf der Straße stehen
und keinen Ausbildungsplatz bekommen. In diesem Jahr
betrifft das 24 000 Jugendliche. Das Defizit ist jedoch
viel größer, da in den vergangenen Jahren 120 000 bis
150 000 Jugendliche nicht vermittelt wurden und noch
immer auf einen Ausbildungsplatz warten müssen. Fast
eine halbe Million Jugendliche unter 25 Jahren ist in unserem Land arbeitslos. Viele von ihnen haben keine Ausbildung.
Wir reden heute nur über ein Eckpunktepapier der
SPD-Fraktion zu einer Ausbildungsplatzumlage, noch
nicht über ein Gesetz. Das soll erst im Februar kommen.
Das wundert mich schon. Die Regierungsfraktionen hatten es bei den Hartz-Gesetzen und bei den Gesetzen zur
Rentenkürzung viel eiliger. Da haben Sie ein Tempo vorgelegt, dass man nur staunen konnte.
({4})
Ich denke, das ist kein Zufall. Zwischen Ausfertigung
und Einbringung der Rentengesetze in den Bundestag
lag nicht einmal eine halbe Nacht. Es ist kein Problem,
das im Protokoll nachzulesen.
Es ist kein Zufall, dass wir in der heutigen Aktuellen
Stunde über dieses Thema sprechen, steht doch die SPD
kurz vor einem Bundesparteitag. Da trifft es sich gut,
wenn die Fraktion eine Ausbildungsplatzumlage fordert.
({5})
- Die FDP hat die Aktuelle Stunde beantragt. Das ist
richtig; aber die SPD-Fraktion hat dieses Papier verabschiedet. Ein bisschen Sachlichkeit sollten wir hier walten lassen.
Ich hoffe, meine Damen und Herren von der SPD,
dass aus dem Eckpunktepapier der Fraktion auch ein Gesetzentwurf wird. Die PDS würde einem solchen Gesetzentwurf gern zustimmen.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir haben eine
Lehrstellenlücke. Wir haben nach wie vor eine Bugwelle
von jungen Leuten, die einen Ausbildungsplatz suchen.
Zudem sind viele Jugendliche in berufsvorbereitenden
Maßnahmen, wie im BFJ, im BVJ oder im BGJ. Diese
jungen Menschen wollen eigentlich nur eines: eine vernünftige, qualifizierte Ausbildung - nach Möglichkeit in
Betrieben - absolvieren.
({0})
Ich denke, es macht Sinn, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Die Wirklichkeit aber sieht so aus - darauf wurde mehrfach hingewiesen -, dass nur noch ein
Teil der Unternehmen, die in der Lage sind, auszubilden,
auch tatsächlich ausbildet. Hier sind wir gefordert.
Der Bundeskanzler hat im März dieses Jahres in seiner Ansprache zur Agenda 2010 sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Wenn es der Wirtschaft nicht gelingt,
genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen,
werden wir tätig werden und entsprechende Gesetze verabschieden. Ich finde, man muss den Bundeskanzler und
die Agenda an dieser Stelle genauso ernst nehmen wie in
anderen Bereichen, wo wir bereits viele Vorhaben umgesetzt haben.
({1})
Es wundert mich schon, dass die Vertreter der Industrie
und der Verbände den Kanzler in diesem Punkt offensichtlich nicht ernst genommen haben, oder aber sie nehmen die Ausbildungsnot der Jugendlichen nicht ernst.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir nehmen das ernst und
handeln.
({2})
Wir wollen, dass es genügend qualifizierte betriebliche
Ausbildungsstellen gibt.
Eben wurde der Vorwurf einer schleichenden Verstaatlichung erhoben. Ich finde es interessant, dass dieser
Vorwurf insbesondere von der FDP erhoben wurde. Es
muss berücksichtigt werden, dass die Bundesrepublik
Deutschland derzeit mehr als 6 Milliarden Euro für den
schulischen Teil der dualen Ausbildung ausgibt. Knapp
14 Milliarden Euro bringen die Unternehmerinnen und
Unternehmer auf. Wenn wir hier nicht aufpassen - das
gilt insbesondere für die schulischen Maßnahmen -,
kommt es in der Tat zu einer schleichenden Verstaatlichung. Dies halte ich für falsch. Wir brauchen und wollen betriebliche Ausbildungsplätze.
({3})
Ich finde es genauso interessant, wenn einerseits Herr
Brüderle dieses kritisiert, andererseits aber die FDP vor
wenigen Wochen einen Antrag in den Bundestag eingebracht hat, in dem sie fordert, den Unternehmen
3 000 Euro pro Ausbildungsplatz zu geben. Wenn das
keine schleichende Verstaatlichung ist, dann weiß ich es
nicht.
({4})
Wir wollen mit einer Umlage auch diejenigen ein
Stück weit beteiligen, die nicht oder nicht genügend ausbilden. Wir werden unsere Vorschläge sehr konsequent
umsetzen. Für uns ist die Aufrechterhaltung der Betriebsnähe wichtig. Das Geld soll nicht für rein staatliche
Aktivitäten ausgegeben werden, sondern dafür, dass betriebliche Ausbildungsplätze angeboten werden. Wir
wollen möglichst wenig Bürokratie. Unser Ziel bleibt es,
ausreichend qualifizierte betriebliche Ausbildungsplätze
zu bekommen.
Heute habe ich dazu in der „Süddeutschen Zeitung“
den Vorschlag von Herrn Stoiber gelesen, lieber die Ausbildungsvergütungen zu kürzen.
({5})
Ich halte es für einen Witz,
({6})
dass die betroffenen Jugendlichen auch noch selber für
die Verbesserung ihrer schlechten Situation bezahlen
sollen.
({7})
Den jungen Leuten einen Teil ihrer Ausbildungsvergütung zu nehmen, um damit zusätzliche Ausbildungsplätze zu finanzieren, ist weder sozial noch sachgemäß.
Das lehnen wir ab.
Uns geht es darum, klarzustellen, wer die Verantwortung für ausreichend Arbeitsplätze trägt. Wir unterstützen die tariflichen Lösungen, die es gibt. Ich erinnere nur
daran, dass die chemische Industrie einen sehr guten Tarifvertrag entwickelt und umgesetzt hat. Ich werde
gleich noch etwas zur Bauwirtschaft sagen. Niemand
wird daran gehindert, seinen Beitrag zu leisten. Im Gegenteil, wir unterstützen ihn dabei.
Lassen Sie mich noch etwas zur Umlage in der Bauwirtschaft sagen, die es schon seit Jahren gibt. Ich habe
mich sehr gefreut über die Mitteilung der SozialkasseBau in Wiesbaden von vor wenigen Tagen, dass die Zahl
der bis Ende Oktober 2003 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge trotz der anhaltenden Strukturkrise in der
Bauwirtschaft erstmals höher ist als 1995.
({8})
Sie ist im Vergleich dazu um 3,5 Prozent gestiegen. Das
ist ein gutes Beispiel dafür, welche Wirkung eine Regelung hat, die vernünftig ist und sachlich geboten ist.
({9})
Zum Schluss möchte ich noch auf die Aussage eingehen, die man so häufig hört, Jugendliche seien nicht ausbildungsfähig, sie seien nicht ausreichend qualifiziert,
hätten schulische Probleme, seien daran selbst schuld
usw. Wer so etwas sagt, schiebt den jungen Leuten den
schwarzen Peter zu. Das akzeptieren wir nicht. Deshalb
handeln wir.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Meckelburg,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Man glaubt nicht, dass das, was heute diskutiert
wird, wahr ist. Ich hatte das Gefühl, dass allen nach fünf
Jahren Rot-Grün zumindest ansatzweise klar ist, dass
Hemmnisse im Bereich Wirtschaft bestehen und dass
wir Reformen brauchen, Bürokratie abbauen müssen
und zu mehr Flexibilität und Freiheit im Bereich der
Wirtschaft kommen müssen, um so neue Arbeitsplätze
zu schaffen.
({0})
Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, wollen in
dieser Situation aber nun eine Ausbildungsplatzabgabe
einführen. Damit setzen Sie wieder einen neuen Gespensterzug aufs Gleis und bremsen.
Ich darf Sie an die ersten fünf Jahre Ihrer Regierungszeit erinnern. Unmittelbar nach der Regierungsübernahme haben Sie Versuche gestartet, mit ausgeklügelten
pfiffigen Ideen die Wirtschaft zu regeln. 1999 zum Beispiel war die Scheinselbstständigkeit an der Reihe. In
diesem Jahr haben wir erlebt, dass Sie alles wieder aufgehoben haben und zum alten Stand zurückgekehrt sind;
denn mit Ihrer Regelung haben Sie genau das Gegenteil
von dem erreicht, was Sie angestrebt haben: Sie hatten
Bremsen in den Arbeitsmarkt eingezogen.
Ich darf Sie darüber hinaus daran erinnern, was Sie
bei den Minijobs gemacht haben. Auch bei den Minijobs
haben Sie versucht, alles zu regulieren. Das Ergebnis
war, dass in dem Bereich nichts mehr ging. Wir haben
geholfen, die Blockade durch Hartz I und Hartz II zu beseitigen. Seitdem boomt es bei den Minijobs.
({1})
Frau Ministerin Bulmahn besitzt auch noch die Dreistigkeit, hier zu behaupten, es sei ihr zu verdanken, dass
endlich etwas passiert. Ich fordere Sie auf: Weg mit den
Blockaden! Diese Regelung darf nicht in das Gesetzblatt
kommen.
({2})
Die Frage, warum Sie die Ausbildungsplatzabgabe
wollen, ist relativ einfach zu beantworten. Auf den ersten Blick mag man das Gefühl haben, dass sie gerecht
ist. Deswegen gibt es von Menschen, die sich nicht näher
damit beschäftigen, auch Zustimmung. Der eine Grund
für die Ausbildungsplatzabgabe ist aber: Sie suchen einen Schuldigen - das ist in dem Fall die Wirtschaft -, um
von Ihrer falschen Wirtschaftspolitik abzulenken.
({3})
Der zweite Grund ist ein sehr vordergründiger: Sie haben einen Parteitagsbeschluss der SPD zu erfüllen und
damit die Linken zu befrieden, die noch immer nicht erkannt haben, wohin es in Zukunft in der Wirtschaft geht.
({4})
Ich sage es ganz deutlich: Es ist eine Streicheleinheit,
die Sie an die Linken verteilen. Sie gehen dabei so vor,
dass Sie jetzt, in einer Zeit, in der Sie ein wenig Ruhe an
der Front brauchen, Eckpunkte aufstellen; das Gesetz
wird erst im Februar kommen. Wenn Sie es mit der Ausbildungsplatzabgabe ernst meinen würden und glauben
würden, dass sie etwas bringt, dann hätten Sie sie längst
auf den Weg gebracht. Sie gehen in diesem Fall aber völlig anders vor als sonst: Sonst haben Sie keine Skrupel,
auch große Gesetze innerhalb von zwei Wochen im
Schweinsgalopp durch den Bundestag zu bringen und
ins Gesetzblatt zu schreiben mit dem Ergebnis, dass es
nicht funktioniert - jeder weiß das -, weil es nicht durchdacht ist. Jetzt gehen Sie den umgekehrten Weg und
schieben das Vorhaben auf die lange Bank. Eigentlich
wollen Sie nur eine Befriedung.
({5})
- Ich rege mich darüber nicht auf. Es ist doch offensichtlich: Sie wollen den linken Flügel Ihrer Partei befriedigen. Das sieht man zum Beispiel daran, dass alle, auch
die Ministerin, die Auffassung vertreten, eine Ausbildungsplatzabgabe müsse nur im Notfall erhoben werden.
Die Ausbildungsplatzabgabe wird das Gegenteil von
dem bewirken, was Sie wollen - das sage ich ganz deutlich -: Sie werden, wenn Sie diese Abgabe wirklich
durchsetzen, schleichend das duale System bei der Ausbildung abschaffen.
({6})
Außerdem schaffen Sie unglaublich viel Bürokratie.
Denn wer will entscheiden, ob ein Betrieb zu wenig ausbildet? Wie wollen Sie bei den Betrieben entscheiden,
die keine Lehrlinge finden? Diese soll es nämlich auch
geben. Wie wollen Sie diese behandeln? Sie sollen einen
Zuschuss bekommen, werden aber trotzdem keine Lehrlinge finden. Auch das sind Probleme, die auftreten werden. Sie belasten die Wirtschaft auf jeden Fall mit Kosten und Bürokratie.
Wenn Sie es mit dem Stichtag 30. September ernst
meinen, dann werden Sie erleben, dass allein die InKraft-Setzung dieses Gesetzes dazu führen wird, dass im
nächsten Jahr nicht so viele Ausbildungsplätze bereit gestellt werden wie in diesem Jahr, weil jedermann auf diesen Stichtag wartet und erst dann bereit ist, Zusätzliches
zu erbringen.
({7})
Dabei wird es jedoch viel Bürokratie und eine hohe Belastung für die Wirtschaft geben. Das wird so nicht gehen.
Klar ist: Das Ifo-Institut, das BIBB, das IAB, das
Handwerk, das Bauhauptgewerbe,
({8})
der zuständige Minister in NRW, Schartau, und Herr
Rohwer, Minister in Schleswig-Holstein, sind dagegen.
Selbst Clement sagt diesem Gesetz den Kampf an; denn
er will alles tun, damit sich ein solches Gesetz nicht entfalten muss.
Meine Damen und Herren, gehen Sie den richtigen
Weg! Hören Sie auf, mit Regelungen und Belastungen
der Wirtschaft etwas verändern zu wollen! Ändern Sie
die entsprechenden Stellen Ihrer Politik, sodass die Wirtschaft wieder Luft hat, es nicht andauernd zu Pleiten
kommt und wir Arbeits- und Ausbildungsplätze auf der
normalerweise üblichen Basis bereitstellen können!
Herzlichen Dank.
({9})
Nun hat die Kollegin Nicolette Kressl, SPD-Fraktion,
das Wort.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! „Unternehmen, die
ausbilden, sollen belohnt werden“ - so heißt es in der
Überschrift des Antrags der FDP.
({0})
Genau das werden wir auf den Weg bringen. Unternehmen, die ausbilden, werden durch eine Finanzierung belohnt, die etwas anders aussehen wird, als es die FDP in
ihrem Antrag formuliert hat.
Ich finde es etwas bedauerlich, dass Herr Brüderle
nicht mehr da ist.
({1})
Er hätte nämlich lernen können, zu verstehen, was im
Antrag der FDP steht. Im FDP-Antrag steht, dass die
Unternehmen, die ausbilden, mit 3 000 Euro belohnt
werden sollen. Diese fallen aber nicht vom Himmel.
Wenn ich mich nicht täusche, dann müssen das Steuermittel sein.
({2})
Sie aber wagen es, von der Verstaatlichung der Ausbildung zu reden. Das kann doch wirklich nicht wahr sein.
({3})
- Herr Hartmann, JUMP wird also nicht durch Steuermittel finanziert, sondern die Mittel dafür fallen vom
Himmel? Ich empfehle Ihnen dringend, das Einmaleins
der Wirtschafts- und Bildungspolitik zu lernen. Es wäre
besser, solche seltsamen Zwischenrufe zu unterlassen.
({4})
- Sie täuschen sich, ich komme aus dem Bereich, Herr
Hartmann.
({5})
Schauen wir einmal: Die FDP empfiehlt eine Verstaatlichung der Berufsausbildung über den Einsatz von
Steuermitteln, während für uns die solidarische Finanzierung von Ausbildung bedeutet, dass wir den Unternehmen, die überdurchschnittlich ausbilden, mithilfe der
Unternehmen, die sich dieser Verantwortung entziehen,
zusätzliche Anreize geben. Diese logische Reihenfolge
brauchen wir. Es darf nicht darum gehen, 3 000 Euro aus
Steuermitteln bereitzustellen, Herr Hartmann.
({6})
Auch Frau Wöhrl ist nicht mehr da. Wir haben vorhin
gesagt, dass wir Frau Wöhrl sehr gerne finanziell unterstützen, wenn ihr Unternehmen überdurchschnittlich
ausbildet. Wir sind nämlich der Meinung, dass dadurch
eine gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen
wird. Dies muss von den Unternehmen, die sich dieser
Verantwortung entziehen, finanziert werden. Das ist ein
einfaches und faires System, durch das die Verantwortung tatsächlich im Bereich der Wirtschaft bleibt.
({7})
Zusätzlich zu dieser fairen Finanzierung und diesem
fairen Ausgleich im Bereich der Unternehmen vermeiden wir im Gegensatz zu Ihnen etwas. Ich finde es richtig zynisch.
({8})
Wir wissen, wie viele junge Menschen es gibt, denen wir
keine Startchance geben können. Sie aber haben nichts
anderes zu tun, als sich hierher zu stellen und zu sagen,
sie seien selbst schuld. Sollen sie doch bessere Noten bekommen.
({9})
Wir wissen ganz genau, dass es junge Leute gibt, die
nicht reif für eine Ausbildung sind. Für diese jungen
Leute haben wir Ausbildungs- und Vorbereitungsprogramme auf den Weg gebracht. In diesem Fall bekennen
wir uns auch zu einer Steuerfinanzierung,
({10})
weil wir wissen, dass das zu unserer politischen Verantwortung gehört.
({11})
Ich sage Ihnen noch etwas: Ich habe zwölf Jahre lang
erlebt, wie junge Leute, die formal nicht die besten Noten hatten und manchmal eine schwierige Schulkarriere
hinter sich haben - das sind die Leute, von denen Sie so
locker behaupten, sie seien nicht ausbildungsreif -, in
den 80er-Jahren einen betrieblichen Ausbildungsplatz
gefunden haben.
({12})
Wenn diese jungen Menschen in ihrem Ausbildungsplatz
Anerkennung erfahren haben, was zur Steigerung des
Selbstwertgefühls geführt hat, dann konnte man beobachten, wie sie innerhalb eines halben Jahres zu richtig engagierten und verantwortungsbewussten Menschen wurden.
({13})
Sie aber geben ihnen keine Chance, sondern sagen nur:
Sie sind selber schuld. Was ist das für ein Zynismus! Das
regt mich richtig auf, obwohl mir das normalerweise
nicht passiert.
({14})
Innerhalb dieses Umlagesystems werden wir zwei
Freiwilligkeitskomponenten einbauen. Zum einen ist es
selbstverständlich so, dass wir bei tariflichen, freiwilligen Lösungen kein Interesse daran haben, die gesetzliche Umlage greifen zu lassen, weil Freiwilligkeit immer Vorrang hat.
({15})
Zum anderen halten wir es für sinnvoll, eine Komponente einzubauen, nach der die gesetzliche Umlage dann
nicht zum Tragen kommt, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eines Jahres genügend Ausbildungsplätze
angeboten werden. Diese beiden Freiwilligkeitskomponenten sind politisch wichtig. Für uns hat Freiwilligkeit
immer Vorrang. Wenn es aber auf freiwilliger Basis nicht
zu genügend Ausbildungsplätzen kommt, dann haben
wir verdammt noch mal die politische Verantwortung,
dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen eine
Startchance bekommen.
Vielen Dank.
({16})
Zum Schluss dieser Aktuellen Stunde erhält der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Verehrter Präsident! Meine Damen! Meine Herren!
Es gilt das zuletzt gesprochene Wort.
({0})
Klar ist: Der Ausbildungsmarkt folgt dem allgemeinen
Arbeitsmarkt. Gehen die Beschäftigtenzahlen zurück,
dann sinken automatisch auch die Ausbildungszahlen.
Im Jahresvergleich wurden in Deutschland 640 000 Arbeitsplätze abgebaut, 40 000 Betriebe gingen in die Insolvenz. Dahinter stehen etwa 400 000 Arbeits- und
Ausbildungsplätze. Das ist eine bittere Bilanz der Politik, die hier im Hause von Ihnen entschieden worden ist.
({1})
In diesem Jahr besteht noch immer eine rechnerische
Ausbildungsplatzlücke von 24 000.
({2})
In diesem Jahr mussten 14 000 Schulabgänger mehr in
den Arbeitsmarkt integriert werden. Ich bin zunächst einmal froh, dass unsere gemeinsame schlimme Befürchtung, in dieser Zeit könnten 60 000 bis 70 000 Schulabgänger nicht versorgt sein, nicht eingetreten ist. Durch
Nachvermittlung besteht weiterhin die Option, bis Ende
des Jahres allen Schulabgängern einen betrieblichen
Ausbildungsplatz oder eine Alternative anzubieten.
Dies ist einzig und allein ein Verdienst von Firmeninhabern und Betriebsräten, die oft über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden und so jungen Menschen eine
Chance gegeben haben. Sie haben den Ausbildungsmarkt stabilisiert. Sie haben erreicht, was Ihnen durch
Politik nicht gelungen ist.
({3})
80 Prozent der Arbeits- und Ausbildungsplätze werden von kleinen und mittleren Betrieben bereitgestellt.
Nun wollen Sie mit dem Holzhammer die Opfer Ihrer
Politik zu Tätern machen, indem Sie eine Strafsteuer
einführen, mit der Sie diejenigen treffen, die die Ausbildungsleistung letztendlich erbracht haben.
({4})
Das ist klassische schrödersche Pendeldiplomatie: Gestern war er der Genosse der Bosse, der die Kapitalgesellschaften bei Veräußerungsgewinnen völlig von der
Steuer befreit. Heute läuft Herr Schröder mit sozialistischer Ballonmütze durch die Gegend und will mit einer
Ausbildungsplatzabgabe die Gewerkschaften wieder ruhig stellen.
({5})
Nonsens statt Konsens - das ist schrödersche Politik.
({6})
- Wenn Sie schreien, dann zeigt das nur, Kollege Brase,
dass Sie getroffen wurden.
Eine Umlagefinanzierung gibt es in der Bauwirtschaft. Tatsache ist, dass seit 1998 die Ausbildungsplätze
in der Bauwirtschaft trotz alledem
({7})
von 100 000 auf heute immer noch 40 000 abgebaut
wurden. Dass die Quote in der Bauwirtschaft noch relativ hoch ist, hat etwas damit zu tun
({8})
- wenn Sie besser zuhören und weniger laut reden würden, dann wären Sie auch in der Politik etwas besser -,
dass es im Handwerk den Meisterbrief gibt. Was wollen
Sie? - Sie wollen den Meisterbrief, der auch eine Ausbildungsqualifizierung bedeutet, weitestgehend abschaffen.
({9})
Das heißt, dass Sie das Handwerk, das etwa 18 Prozent
aller Betriebe, aber 40 Prozent aller Ausbildungsplätze
stellt, auch noch mit einer Abgabe bestrafen wollen.
({10})
Die Praxis zeigt: Betriebe brauchen Zukunft, sie brauchen Aufträge und sie brauchen einen besseren wirtschaftlichen Rahmen. Mit einer Steuer beseitigen Sie
nicht die Ursachen der Ausbildungsnot,
({11})
weil sie ein Ausfluss der wirtschaftlichen Not der Betriebe ist, die offenkundig auch mit Ihrer Steuerpolitik
und Ihrer Wirtschaftspolitik zusammenhängt.
({12})
- Herr Müller, Sie sind wirklich grandios. Wer solche
Zwischenrufe macht, der sollte sein Abitur zurückgeben.
({13})
In der Bauwirtschaft wurde die Umlagefinanzierung von
den Tarifparteien eingeführt. Nun wollen Sie ein Bundesgesetz erlassen, das die Wirtschaftsbereiche ausnimmt, die vergleichbare Regelungen treffen. Wissen
Sie, was das bedeutet? - Sie opfern die Tarifautonomie
auf dem Altar Ihrer Ideologie.
({14})
Autonomie kommt aus dem Griechischen - Herr Kollege Brase, wir Gewerkschafter wissen, was Tarifautonomie bedeutet - und heißt: nach eigenen Gesetzen lebend.
({15})
Sie werfen uns vor, dass wir betriebliche Bündnisse für
Arbeit und Ausbildung schaffen wollen, indem wir die
Betriebsräte stärken, aber Sie wollen einen Tarifpartner
nötigen, einen Vertrag zu unterschreiben,
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
- um sich bei dem anderen Tarifpartner für die letzte
Wahlkampfhilfe zu bedanken. Das hilft nicht den Menschen, sondern nur Ihrer parteipolitischen Räson.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. November
2003, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.