Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/7/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der FDPFraktion „Aktionsplan für freie, effiziente und innovative Forschung“ - Drucksache 15/1932 - zu erweitern. Der Antrag soll in Verbindung mit Tagesordnung 16 beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373 ({1}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen - Drucksache 15/1880 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Peter Struck das Wort.

Dr. Peter Struck (Minister:in)

Politiker ID: 11002278

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Eindämmung des internationalen Terrorismus ist auf absehbare Zeit die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung aller Demokratien. Deutschland muss und will dazu weiterhin einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag umfasst übrigens weit mehr als nur den Einsatz militärischer Mittel. Seit Ende 2001 befindet sich die Bundeswehr gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Ohne das Engagement von rund 50 Nationen im Rahmen der Operation Enduring Freedom wäre der Kampf gegen den internationalen Terrorismus zum Scheitern verurteilt. Unsere Soldatinnen und Soldaten können schon jetzt eine beeindruckende Leistungsbilanz vorlegen. Die deutschen See- und Seeluftstreitkräfte waren während des gesamten vergangenen Jahres am Horn von Afrika und vor der Küste Somalias im Einsatz. Schiffe und Boote unserer Marine sind auch im östlichen Mittelmeer und seit dem 1. Oktober dieses Jahres in der Straße von Gibraltar eingesetzt. Wir haben dort in hohem Maße dazu beigetragen, den Seeraum zu überwachen, Handelsschiffe vor terroristischen Angriffen zu schützen, Aktivitäten terroristischer Gruppierungen aufzuklären, den Terroristen die Rückzugsgebiete zu verwehren und ihre Nachschub- und Transportwege zu versperren. Bis zum 15. September dieses Jahres waren Teile des Kommandos Spezialkräfte gegen versprengte Reste von Kämpfern der al-Qaida-Organisation und der Taliban in Afghanistan eingesetzt. Wir haben während jeder Stunde der zurückliegenden zwölf Monate den Airbus A310 sowie die notwendigen Sanitätskräfte für die notfallmedizinische Evakuierung in Bereitschaft gehalten. Bis zum 2. Juli dieses Jahres haben wir ein Kontingent von ABCAbwehrkräften in Kuwait stationiert, das den Nukleus zur Fähigkeit zur Reaktion auf terroristische Angriffe mit A-, B- oder C-Waffen nicht nur auf amerikanische Verbündete bildete. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben durch professionelles Auftreten auch international höchstes Ansehen gewonnen. Sie verdienen für ihre hervorragende Arbeit Dank. ({0}) Redetext Ausdruck dieser Wertschätzung des deutschen Beitrages und der deutschen Bundeswehr ist zum Beispiel die Übertragung des Kommandos über eine Taskforce 150 der Marinekräfte vor dem Horn von Afrika, das wir von Mai bis September wahrgenommen haben. All dies macht deutlich: Wir haben uns der Verantwortung zur Bekämpfung der Geißel des Terrorismus gestellt - aus Solidarität gegenüber der internationalen Gemeinschaft, gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Denn eines bleibt klar: Der Terror bedroht auch uns. Wir haben jedoch immer betont, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht allein und schon gar nicht ausschließlich eine militärische Aufgabe ist. ({1}) Unser militärischer Beitrag ist nur ein Teil eines umfassenden politischen Ansatzes, der politische, wirtschaftliche, finanzielle, soziale und auch polizeiliche Elemente einschließen muss. Nur mit einem solchen Ansatz kann es gelingen, die Arterien des Terrorismus abzubinden und illegale Finanzströme, Handel mit Waffen, Sprengstoff und Drogen, aber auch die Migration von Terroristen und ihren extremistischen Auftraggebern zu bekämpfen. Nur mit einem solchen Ansatz können wir die Lebensbedingungen des Einzelnen verbessern und ihm soziale und wirtschaftliche Perspektiven eröffnen, um damit die Hinwendung zum Terrorismus zu verhindern. Auf diese Weise bekämpfen wir den Terrorismus langfristig am wirkungsvollsten, entziehen ihm seinen Nährboden und den Terroristen ihre Rekrutierungsbasis. ({2}) Die nachhaltige Bekämpfung des Terrorismus ist eine komplexe Aufgabe; aber es gibt bereits sichtbare Erfolge. In den Ländern am Horn von Afrika hat die Präsenz auch der deutschen Marineeinheiten stabilisierende Wirkung entfaltet. In Afghanistan tragen die Bemühungen um den politischen und infrastrukturellen Wiederaufbau erkennbar Früchte. In Schulen wird unterrichtet; auch Mädchen werden unterrichtet. Krankenhäuser werden aufgebaut; die Wasser- und Stromversorgung wird wieder instand gesetzt. Der Prozess des Aufbaus staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen gewinnt an Momentum. Die Vorbereitungen für die Loya Jirga in Afghanistan schreiten voran. Der vorliegende Entwurf einer Verfassung für dieses Land ist ein weiterer großer Schritt nach vorn. Doch wir wissen, der Kampf gegen den Terrorismus ist noch längst nicht gewonnen. Ungeachtet aller Fortschritte ist die Befriedung Afghanistans noch nicht dauerhaft gesichert. Die Feinde der Freiheit gruppieren sich neu, die Gefahr eines Rückschlages ist immer noch akut. Es gilt, die erfolgreichen Stabilisierungsbemühungen auch auf Regionen außerhalb Kabuls auszudehnen und die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung gegenüber regionalen Machthabern zu ermöglichen. Welche Gefahren und Risiken dort, aber auch anderswo nach wie vor lauern, hat das Selbstmordattentat auf den Omnibus der Bundeswehr bei ISAF gezeigt, bei dem am 7. Juni in Kabul vier Bundeswehrsoldaten ihr Leben verloren haben, was uns schmerzlich die Gefahren nach wie vor bewusst gemacht hat. Das Attentat von Casablanca im Mai dieses Jahres und der Anschlag auf ein Hotel in Jakarta im August sind weitere Beispiele für die anhaltende Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Im Irak scheinen internationale Terroristen bei einer Vielzahl von verbrecherischen Anschlägen gegen UN-Organisationen, gegen amerikanische Streitkräfte und gegen irakische Einrichtungen zunehmend eine Rolle zu spielen. Jedes dieser Attentate zeigt: Das Netzwerk des Terrors ist weiterhin weltumspannend aktiv. Vor diesem Hintergrund hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Zuge der Erweiterung des Mandates der internationalen Schutztruppe für Afghanistan vor wenigen Wochen erneut zum Ausdruck gebracht, dass er alle internationalen Bemühungen zur Beseitigung des Terrorismus unterstützt. Dabei bleibt der Einsatz militärischer Mittel nach wie vor unverzichtbar. Deutschland wird weiterhin ausgewählte militärische Fähigkeiten dafür bereitstellen. Der Beitrag bleibt erforderlich, um flexibel und schnell auf wechselnde Einsatzerfordernisse bei der gemeinsamen Bekämpfung des internationalen Terrorismus reagieren zu können. Allerdings umfasst das Mandat, über das wir heute entscheiden, keine deutschen ABC-Abwehrkräfte mehr. Die bisherige Personalobergrenze wird von maximal 3 900 auf 3 100 Soldaten gesenkt. Wir passen damit unsere Kräfte den gegenwärtigen Erfordernissen an. Ich will hinzufügen, dass die Frage, warum das Mandat in diesem Umfang von der Bundesregierung beschlossen worden ist, offenbar in den Fraktionen - auch in den Oppositionsfraktionen - diskutiert wird. Ich will darauf eine Antwort geben. Wir haben uns einen Rahmen gesetzt. Innerhalb dieses Rahmens haben wir bestimmte Kräfte beschlossen. Dazu gehört Medevac, also die Bereitschaft, an jedem Ort der Erde sehr schnell Ärzte und Sanitäter einzusetzen. Dazu gehören die Unterstützungskräfte, Pioniereinheiten und vieles anderes mehr. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir hier eine flexible Grenze haben, die es uns ermöglicht, auch auf Situationen reagieren zu können, von denen wir nicht erwarten, dass sie eintreten - wir hoffen, dass das nicht der Fall sein wird -, bei denen wir aber auch nicht ausschließen können, dass sie eintreten. Diese Obergrenze ist erforderlich, meine Damen und Herren. Das entspricht im Übrigen auch dem Vorgehen der Vereinigten Staaten von Amerika, die den Einsatz von ABC-Abwehrkräften der internationalen Antiterrorkoalition zur Hilfeleistung nach terroristischen Angriffen in Kuwait beendet haben. Ich darf daran erinnern, dass wir in Kuwait ein gemeinsames Kommando mit Tschechien und den USA hatten. Dieses Kommando ist auf Wunsch der Amerikaner aufgelöst worden, weil es für sein Fortbestehen keinen Grund mehr gab. Der durch den Einsatz bedingte Finanzaufwand beläuft sich bei einer angenommenen durchschnittlichen Stärke von 710 Soldaten in den kommenden zwölf Monaten auf insgesamt 150 Millionen Euro. Diese werden aus vorhandenen Ansätzen im Einzelplan 14 finanziert. Dafür ist sowohl im Haushaltsjahr 2003 als auch im Haushaltsentwurf 2004 Vorsorge getroffen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat von Anfang an die Auffassung vertreten, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus das Engagement und Zusammenstehen aller zivilisierten Staaten erfordert. Nur gemeinsam besteht eine Chance, erfolgreich zu sein. Die Risiken, die für Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bestehen, sind beträchtlich, wie wir auch für unsere Bundeswehr leidvoll erfahren mussten. Umso wichtiger ist, dass sich die Bundeswehr bei allen Auslandseinsätzen einer breiten parlamentarischen Unterstützung gewiss sein kann. ({3}) Ich bitte sehr darum, dass dieser Gesichtspunkt auch bei der in der nächsten Woche zu treffenden Entscheidung des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gebracht wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der umfassende Ansatz zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist richtig. Die Operation Enduring Freedom hat bereits Erfolge gezeitigt. In Afghanistan sind die Taliban vertrieben worden. Vor kurzem ist ein Verfassungsentwurf vorgelegt worden. Im nächsten Jahr sollen Wahlen stattfinden. Aber die militärische Absicherung dieses Prozesses ist weiterhin unverzichtbar. Wir hätten nicht vor 14 Tagen eine Ausweitung der ISAF-Mission in die Region Kunduz beschließen können, wenn dieser umfassende, auch militärische Schutz nicht gegeben gewesen wäre. Wir hatten im vergangenen Jahr bei der Verlängerung des Mandats einen Disput darüber, ob es um den Kampf gegen den Terrorismus oder um den Kampf gegen Massenvernichtungswaffen geht. Herr Minister Fischer, Sie haben damals gesagt: Der Irak hat nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun. Dabei geht es um Massenvernichtungswaffen. Wir haben eine andere Prioritätensetzung. Unabhängig davon, wie wir das seinerzeit bewertet haben - wir sind zu unterschiedlichen Bewertungen gekommen -, glaube ich, dass aus heutiger Sicht niemand mehr sagen würde, dass es im Irak nicht auch um den Kampf gegen den Terrorismus geht. Ich glaube, man kann auch nicht sagen, dass Massenvernichtungswaffen nichts mit dem Terrorismus zu tun haben. Sie nehmen zwar bei der Fortsetzung des Mandats die 800 ABC-Abwehrkräfte heraus. Das könnte uns zu dem Schluss verleiten, dass Massenvernichtungswaffen keine Gefahr mehr darstellen. Aber im Irak gab es Massenvernichtungswaffen. Sie wurden gegen die eigene Bevölkerung und gegen Nachbarstaaten eingesetzt. Der Irak hat nach eigenen Angaben über biologische und chemische Kampfstoffe verfügt. Die Tatsache, dass diese bisher nicht gefunden wurden, bedeutet nicht, dass keine Gefahr durch Massenvernichtungswaffen mehr besteht, sondern, dass diese Massenvernichtungswaffen noch nicht unter internationaler Kontrolle sind. Es könnte also auch dort sehr bald eine Situation entstehen, die erneut den Einsatz von ABC-Kräften notwendig macht. Dann müssten wir uns wieder mit diesem Thema beschäftigen. ({0}) Als wir das Mandat für Enduring Freedom in einer dramatischen Abstimmung beschlossen haben - damals war die Rücktrittsdrohung des Bundeskanzlers noch etwas Dramatisches -, ging es um den Einsatz in Afghanistan. Das war die Grundlage des Mandats. Heute ist das Einsatzgebiet wesentlich unverbindlicher gehalten. Das Gebiet nach Art. 6 des NATO-Vertrages umfasst die Arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika sowie die angrenzenden Seegebiete. Sicherlich haben wir zurzeit nur eine relativ geringe Ausschöpfung des Mandats. Herr Minister Struck, Sie haben gesagt, Sie gingen von bis zu 710 Mann aus. Es herrscht auch kein akuter Einsatzdruck. Aber wir sollen die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag ermächtigen, das Mandat bis auf das Fünffache des heutigen Umfangs in einem kaum überschaubaren Einsatzraum auszuweiten. Das kommt schon einer sehr weit gehenden Ermächtigung gleich. Wir müssen aber über den Einsatzraum und darüber, wie die Bundesregierung mit einer möglichen Ausweitung der Operationen innerhalb des Einsatzraumes umzugehen gedenkt, in der nächsten Woche in den Ausschüssen noch intensiv reden. Wir beraten derzeit aber auch über ein Entsendegesetz, das die Beteiligung des Bundestages genauer regeln soll. Wenn diejenigen, die heute ein solches Mandat wollen, uns gleichzeitig ständig sagen, die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee, dann kann man nur feststellen, dass das nicht zusammenpasst. Es ist schon bezeichnend, dass heute ausschließlich Mitglieder der Bundesregierung für die beiden Koalitionsfraktionen sprechen. ({1}) Sie, verehrte Abgeordnete, die Sie auf der linken Seite des Hauses sitzen, können sich dazu überhaupt nicht äußern. ({2}) Vielleicht haben Sie nächste Woche Gelegenheit - wenn Sie das schon nicht öffentlich tun können -, sich zumindest in den Ausschussberatungen oder in Ihren Arbeitsgruppen auch als einfache Parlamentarier zu diesem Thema zu äußern. Vielleicht sollten wir - ich meine das ganz ernst - Anspruch und Wirklichkeit der Parlamentsbeteiligung realistischer sehen. Bei der Formulierung eines Mandats müssen die Grundlagen des Einsatzes so präzise wie möglich beschrieben werden. Ein Mandat muss aber auch der Bundesregierung den Entscheidungsspielraum lassen, um auf veränderte Situationen schnell und im notwendigen Umfang zu reagieren. Es muss jederzeit die umfassende Information des Parlaments sicherstellen. Vor allem haben die Soldaten Anspruch auf eine breite Zustimmung zu ihrem Einsatz. Darüber sind wir uns alle einig. ({3}) Das Verfahren, das Sie heute wieder praktizieren, ist dem aber nicht angemessen. Wir führen einmal pro Jahr eine namentliche Abstimmung über ein sehr weit gefasstes Mandat im Plenum durch. Wir bringen vorher in den Ausschüssen unsere Bedenken zum Ausdruck. Die Bundesregierung trägt diesen mit einer Protokollnotiz Rechnung. Das war es dann. ({4}) - Herr Kollege Weisskirchen, mir geht es überhaupt nicht darum, den notwendigen Spielraum der Bundesregierung einzuschränken. Wir, das Parlament, müssen aber über die gesamte Dauer eines Mandats in präzise Einsatzentscheidungen zeitnah einbezogen sein. ({5}) Dafür brauchen wir ein kleineres, repräsentatives und kurzfristig entscheidungsfähiges Gremium, das Details eines von uns allen beschlossenen oder von uns allen zu beschließenden Mandats mit der Bundesregierung klärt. ({6}) Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Finanzierung von Enduring Freedom sagen. Als wir vor einem Jahr das Mandat verlängert haben, hieß es im Antrag der Bundesregierung: Für die einsatzbedingten Zusatzausgaben ist im Einzelplan 14 bzw. im Haushaltstitel 60 02 Vorsorge getroffen. Herr Minister Struck, Sie haben letztes Jahr im Verteidigungsausschuss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Finanzierung über den Einzelplan 60 gewährleistet sei, dass also mit einer zusätzlichen Belastung des Verteidigungshaushaltes nicht zu rechnen sei. Heute haben Sie gesagt - so steht es auch im Antrag -, es werde lediglich im Einzelplan 14 für die Deckung der zusätzlichen Kosten Vorsorge getroffen. Derzeit sind Gott sei Dank nur einige Hundert Soldaten eingesetzt; das Mandat lässt aber einen Einsatz von bis zu 3 100 Soldaten zu. Wir bitten die Bundesregierung, in den Ausschussberatungen nächste Woche auch etwas zur Finanzierung zu sagen. Die Bundeswehr ist dramatisch unterfinanziert. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass durch langwierige und umfangreiche Einsätze bedingte Zusatzausgaben wie selbstverständlich aus dem laufenden Verteidigungshaushalt bestritten werden. ({7}) Dies geht schon heute zulasten der Ausstattung. Wir dürfen das im Interesse der Sicherheit der Soldaten nicht dauerhaft hinnehmen. Der internationale Terrorismus bleibt eine große Bedrohung. Deutschland wird sich der Bekämpfung dieser Gefahr nicht entziehen. Wir müssen in den Ausschussberatungen der nächsten Woche noch Details mit der Bundesregierung klären. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Bundesminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom beschlossen. Damit leisten wir im Rahmen der internationalen Gemeinschaft unseren Beitrag zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die Verlängerung - Kollege Struck hat das gerade ausführlich begründet - ist sachlich geboten. Ich füge hinzu: leider. Es wäre uns allen sehr viel lieber, wir könnten heute sagen: Dieses Mandat kann auslaufen. Von der Verlängerung geht ein wichtiges politisches Signal an die Partner und an die internationale Staatengemeinschaft aus: Deutschland steht auch in Zukunft zu seiner Mitverantwortung im Kampf gegen diese internationale Herausforderung. Für uns ist die Erkenntnis entscheidend, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus der al-Qaida nicht allein eine militärische Herausforderung ist. Wir beschließen hier ein militärisches Mandat, weil es das Grundgesetz so verlangt. Das Spektrum dessen, was zu tun ist, ist allerdings wesentlich breiter. Die Hilfen zur Modernisierung, zur Beendigung bitterer regionaler Konflikte, zum Wiederaufbau zusammengebrochener Strukturen stehen gleichgewichtig neben dem militärischen, dem polizeilichen und dem geheimdienstlichen Engagement. ({0}) Auch eine breite internationale Koalition gegen diesen Terrorismus mit engster Informationskooperation ist ohne jeden Zweifel von großer Bedeutung. Ein erfolgreiBundesminister Joseph Fischer ches Voranschreiten in Afghanistan hat eine überragende Bedeutung für unseren Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Herr Kollege Schockenhoff, ich möchte jetzt keine Irakdebatte führen. Die Begründung, die Sie soeben angeführt haben, trägt nicht. ({1}) Ich habe gerade heute auf dem Weg hierhin die Information erhalten, dass es weitere Verluste bei engen Bündnispartnern von uns gegeben hat. Dies und auch der schwere Verlust, den die USA durch den Abschuss eines Transporthubschraubers erlitten haben, in dem sich Soldaten auf dem Weg in den Heimaturlaub befanden, machen klar, dass wir uns in einer Situation befinden, in der die Bewältigung der Herausforderung, den Frieden gemeinsam zu gewinnen, von allergrößter Bedeutung ist. Unsere Betroffenheit gerade über die Verluste, die das amerikanische Militär zu erleiden hat, ist sehr groß. Sowohl der Bundeskanzler als auch ich selbst haben dem amerikanischen Präsidenten und dem amerikanischen Außenminister unser Beileid übermittelt. Wir werden diese Frage dennoch an einer anderen Stelle diskutieren müssen. Ich füge hinzu: Sie ist in der Zwischenzeit leider sehr schwierig und komplex geworden. Ich möchte mich heute auf die Verlängerung des Mandats konzentrieren. Ich möchte nochmals an die Kollegen appellieren, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Es ist natürlich ein ungewöhnliches Mandat, wobei der Begriff des Ungewöhnlichen zu kurz greift. Es war die Reaktion auf eine historische Zäsur, auf den verbrecherischen Terrorangriff des al-Qaida-Terrorismus auf die Menschen und auf die Regierung der Vereinigten Staaten am 11. September 2001. Dort ist eine neue Herausforderung sichtbar geworden, die räumlich nicht eingrenzbar ist. Wir haben daher hier nicht mit der klassischen Mandatsstruktur zu tun. Das gilt bis auf den heutigen Tag. Kollege Schockenhoff, ich behaupte: Eine räumliche Eingrenzung - zu diesem Versuch wären wir jederzeit bereit; aber meines Erachtens würde uns das in ziemliche Untiefen führen - über die gegenwärtige Formulierung hinaus, das heißt eine präzisere Fassung, ist angesichts der Herausforderung durch den internationalen Terrorismus schlicht und einfach nicht machbar. Deswegen hat sich die Bundesregierung hier für Kontinuität entschieden. Selbstverständlich - das kann ich den Kollegen aller Fraktionen zusagen - gilt die geübte Mandatspraxis. Sie können sich mittlerweile nicht nur auf den Text des Mandats verlassen - ich verstehe völlig, dass das sehr wichtig ist -, sondern auch - das ist ein ganz wichtiger Gesichtspunkt - auf die geübte Mandatspraxis. ({2}) Für die Bundesregierung, insbesondere für den Kollegen Struck und für mich, kann ich sagen: Sollte sich im Rahmen der Mandatspraxis eine Schwerpunktverlagerung ergeben - es wurde zu Recht darauf hingewiesen: Schwerpunkt war Afghanistan, Schwerpunkt war der Schutz der Seewege, Schwerpunkt war der Einsatz der Füchse in Kuwait zur Abwehr und vor allem zur Feststellung einer Gefahr durch Chemiewaffen -, wird selbstverständlich nichts geschehen - das gebe ich hier schon vorweg zu Protokoll -, ohne dass die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse, die Obleute - in Bezug auf das KSK gibt es eine bewährte Praxis auf der Ebene Verteidigungsminister-Obleute - informiert, ohne dass sie vorher ausführlich mit allen Fraktionen spricht. ({3}) Das liegt in unserem Interesse und selbstverständlich auch im Interesse der eingesetzten Soldaten. Insofern muss man an diesem Punkt wirklich den Begriff der geübten Mandatspraxis ernst nehmen. Zu einem zweiten Aspekt, der in dem Zusammenhang angesprochen wurde, Kollege Schockenhoff. Ich möchte dazu gleich bei der ersten Lesung etwas sagen. Es geht um die Frage, warum es jetzt zu einer Reduzierung kommt, vor allem bei den Füchsen. Kollege Struck hat darauf hingewiesen, dass vor allem die USA und Tschechien ihre Kräfte in dem Einsatzgebiet aufgelöst haben. Sollte es außerhalb unserer Grenzen zu einer neuen Bedrohung kommen, wird allein die technische Einsatzvorbereitung dem Bundestag jede Möglichkeit zur Entscheidung geben. Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, das Mandat müsse wieder um diese Komponente ergänzt werden - andere Komponenten sind ebenfalls denkbar; da kann aufgrund einer heute noch nicht feststellbaren Bedrohungslage plötzlich ein neuer Bedarf auftauchen; wir wissen, auf welch furchtbare Art und Weise der internationale Terrorismus immer neue Wege findet, um seinem verbrecherischen Handwerk nachzugehen -, werden wir selbstverständlich wieder auf der Grundlage einer Beschlussfassung der Bundesregierung und der vertrauensvollen Information des Parlaments nach sorgfältiger Prüfung einen Mandatsbeschluss zu fassen haben. Die Zeit dafür ist gegeben. Zu den anderen Komponenten - ich spreche jetzt nicht von den Unterstützungskomponenten -: Ich hoffe nicht, dass der Einsatz der Sanitätskomponente, vor allem der flugzeuggestützten Sanitätskomponente, notwendig wird. Ich hoffe, dass sie immer nur in Bereitschaft stehen wird. Aber wenn es notwendig wird, sollte sie innerhalb weniger Stunden oder innerhalb eines Tages einsatzfähig sein. Das heißt, hier ist die Bereitstellung unverzichtbar. Für das KSK gilt Ähnliches. Falls sich eine erneute Bedrohungsverdichtung, vor allem im bisherigen Einsatzgebiet, ergibt - dort sind wir ja auch im Rahmen eines anderen Mandats mit nicht unerheblichen Kräften präsent -, ist eine schnelle Entscheidung geboten. Drittens müssen wir aufpassen, dass wir nicht ein völlig falsches Signal geben. Gott sei Dank haben wir nach dem Angriff auf die USS Cole keinen direkten Angriff auf die Seeschifffahrtswege erlebt; aber die Besorgnis aller Sicherheitsbehörden diesbezüglich existiert. Es wäre ein falsches Signal gegenüber dem internationalen Terrorismus - ein Entwarnungssignal wäre schlicht und einfach nicht angemessen -, es wäre aber auch ein falsches Signal an unsere Bündnispartner. Von daher erklärt sich die hohe Bereitschaftskomponente auch und gerade in Bezug auf den Schutz der Seewege, wobei wir nicht hoffen, dass wir mit einer konkreten Besorgnis oder gar einem konkreten Ereignis konfrontiert werden. Aber dennoch ist hier eine hohe Einsatzbereitschaft aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, gegeben. Gemäß der Struktur des Mandats bleibt am Ende noch die Aufgabe der Unterstützung von Transportfunktionen sowie der Unterstützung unserer eigenen und der internationalen Stäbe. Wir reden hier über Obergrenzen; diese sind allerdings nicht willkürlich definiert worden. Es läuft nicht so ab, dass das Militär willkürlich Vorgaben von der Bundesregierung bekommt, sondern das Militär definiert diese Obergrenzen auf der Basis der eigenen praktischen Erfahrungen. Ich denke, es ist angemessen und richtig und gehört auch zur Übung bei der praktischen Umsetzung des Mandats, dass wir auf die militärische Kompetenz unserer Fachleute vertrauen. Angesichts dessen, was sie bisher geleistet haben, verdienen sie unser Vertrauen. Darüber hinaus gilt ihnen auch unser Dank; denn ohne diese verantwortliche Planung wären die Einsätze der Soldaten in riskanten und gefährlichen Lagen nicht möglich gewesen. ({4}) Meine Damen und Herren, wir werden Zeit haben, dieses Mandat in den Ausschüssen ausführlich zu diskutieren. Ich füge nochmals hinzu: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus in seiner ganzen Breite ist das eigentliche Ziel. Ich meine damit nicht nur die militärische Komponente, sondern denke auch an den breiten Sektor von polizeilichen, zivilen Komponenten und politischen Antworten sowie an Hilfestellungen für die betroffenen Völker, sich von einer totalitären Ideologie zu lösen, sodass sie als konstruktive Mitglieder wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückkehren können. Wir leisten dazu mit dem Mandat für Enduring Freedom im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten einen nicht unerheblichen Beitrag. Die dort eingesetzten Soldaten haben einen nicht ungefährlichen Auftrag gemeinsam mit unseren internationalen Bündnispartnern wahrgenommen. Ich würde mich freuen, wenn wir hier im Bundestag für die Fortsetzung dieses Mandats eine sehr breite Zustimmung bekämen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Helga Daub, FDP-Fraktion.

Helga Daub (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003515, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Die Bundeswehr arbeitet in allen Einsätzen hochprofessionell und engagiert. Unsere Soldatinnen und Soldaten genießen unter den Bündnispartnern hohes Ansehen. Im Namen der FDP-Fraktion möchte ich den Dank und die Anerkennung aussprechen, die alle Beteiligten verdient haben. ({0}) Die Bundesregierung schreibt in ihrem Antrag zu Recht, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus noch lange nicht beendet ist - trotz aller Fortschritte. Riad, Casablanca und Jakarta sind Beispiele, die uns sehr deutlich vor Augen geführt haben, welche Bedrohung nach wie vor für uns alle besteht. In Ihrem Antrag steht: Das erfordert die fortgesetzte, lageabhängige Bereitstellung ausgewählter militärischer Fähigkeiten durch Deutschland - dem ist nur zuzustimmen; aber es müsste eigentlich ein Punkt vor dem Zusatz stehen auf der Grundlage der entsprechenden bisherigen Beschlüsse des Deutschen Bundestages. Damit komme ich zu einem für unsere Fraktion sehr wichtigen Punkt, zur Mandatsverlängerung. In aller Deutlichkeit vorweg: Die FDP steht ausdrücklich und ohne jeden Zweifel zu einer deutschen Beteiligung am Kampf gegen den internationalen Terrorismus. ({1}) Wir haben das Mandat Enduring Freedom bisher stets unterstützt, wenn eine Entscheidung darüber nicht gerade mit einer Vertrauensfrage des Kanzlers verbunden wurde. Wir möchten das gerne auch nächste Woche tun. Der Regierung ist offenbar bewusst, dass ein Kontingent von 3 900 Soldaten auf Widerstand stoßen könnte und hat deshalb die Zahl im vorliegenden Antrag auf 3 100 reduziert. Einige kritische Nachfragen müssen Sie sich schon gefallen lassen: Zum Höhepunkt der Operation Enduring Freedom war das Mandatskontingent von 3 900 nahezu ausgeschöpft. Die Lage heute ist eine völlig andere. Aktuell sind nur noch 299 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom im Einsatz. Die Bundesregierung kommt auf eine Zahl von 710 Soldaten, weil sie die deutsche Beteiligung an der NATO-Operation Active Endeavour im Mittelmeer mit einbezieht. Active Endeavour ist zwar bisher eindeutig kein Teil von Enduring Freedom. Da es sich aber auch um Terrorismusbekämpfung handelt, könnte man die Verknüpfung noch akzeptieren. Unklar ist mir allerdings, warum das Parlament ein Mandat für den Einsatz von 3 100 Soldaten erteilen soll, wenn nur knapp über 700 im Einsatz sind und keine konkreten Planungen für eine Erhöhung des Einsatzkontingents bestehen. Es handelt sich also offenbar um ein „Mandat auf Vorrat“, ein Vorratsmandat ohne jede Not. ({2}) - Sie hätten sich durchaus mit einem eigenen Redebeitrag zu Wort melden können. Lassen Sie mich meine Ausführungen jetzt zu Ende führen! ({3}) Die Bundesregierung könnte bei Erteilung eines solchen Mandates ohne erneute Befassung des Parlaments mit rund 2 400 Soldaten an bisher nicht bekannten Auslandseinsätzen teilnehmen. Ich möchte ein Beispiel nennen: Im Falle eines Terroranschlags im Jemen oder bei einer Verschärfung der Situation in Afghanistan könnte die Bundesregierung zwölf Monate lang bis zu 2 400 Bundeswehrsoldaten in gefährliche Einsätze entsenden, solange diese nur unter Enduring Freedom gefasst werden - ohne jede Parlamentsbeteiligung. Ich glaube Ihnen ja, dass Sie sich gewissenhaft auf diesen Antrag vorbereitet haben und die Zahlen kennen. Deshalb können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass mit diesem Antrag der Parlamentsvorbehalt möglicherweise unterlaufen werden soll. Sie wollen vom Bundestag eine Carte blanche, einen Blankoscheck für den Einsatz von circa 2 400 Bundeswehrsoldaten in einem riesigen potenziellen Einsatzgebiet, ohne dass dann das Parlament noch einmal damit befasst werden müsste. Das lässt sich mit unserer Auffassung von verantwortungsvollem Handeln nicht in Einklang bringen. ({4}) Die FDP-Fraktion fordert Sie auf, einen ehrlicheren Mandatsantrag zu stellen. Ich wäre froh, wenn Sie so unsere Befürchtungen widerlegen könnten. Ein sinnvoller Mandatsantrag würde von dem derzeit für erforderlich gehaltenen Mandatsumfang ausgehen und eine Sicherheitsreserve mit einbeziehen. Vorhin kam ja schon öfter zum Ausdruck, dass eine solche Sicherheitsreserve gebraucht wird. Das heißt, dass sich das Mandat auf etwa 1 000 Soldaten beziehen könnte, keinesfalls aber auf eine Verfünffachung des derzeitigen Einsatzkontingents. Noch einmal: Wir stellen unsere kritischen Nachfragen ausdrücklich nicht aus Zweifel an der deutschen Beteiligung am Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Es wird aber deutlich, wie dringlich die Verabschiedung eines Entsendegesetzes ist. ({5}) Genau mit einem solchen Fall könnte sich zum Beispiel ein Entsendeausschuss befassen. Die FDP-Bundestagsfraktion wird deshalb in der nächsten Woche hierfür einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Legen Sie einen ehrlichen Mandatsantrag vor, damit wir in der nächsten Woche gemeinsam die Mandatsverlängerung beschließen können! Danke. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Helmut Rauber, CDU/CSUFraktion, das Wort.

Helmut Rauber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002755, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anfang dieses Jahres waren noch gut 900 Soldaten in Kuwait, in Dschibuti und auch in Kenia, in Mombasa im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eingesetzt. Sie haben unter extremen klimatischen Bedingungen einen harten Dienst verrichten müssen. Dafür sagen wir, die CDU/CSU, Danke. ({0}) Bedingt durch die veränderte sicherheitspolitische Lage wurde vor wenigen Tagen der Stützpunkt in Mombasa geschlossen. Bereits Ende Mai wurden die 250 deutschen ABC-Abwehrsoldaten aus Kuwait abgezogen. Nach den vorgenommenen Umstrukturierungsmaßnahmen sind derzeit weniger als 300 Soldaten - darunter eine Soldatin - im Rahmen von Enduring Freedom eingesetzt. Die Obergrenze des Mandats liegt, wie bereits genannt, bei 3 100 Soldaten. Wir wollen in diesem Punkt eine Präzisierung; denn uns erscheint die Differenz zwischen Ist und Soll doch etwas zu groß. Aus der genannten deutlichen Reduzierung der Anzahl der Soldaten den Schluss zu ziehen, dass der Kampf gegen den Terrorismus bald gewonnen sei, wäre fatal. Die fast täglich gemeldeten Anschläge im Irak und in Afghanistan zeigen ebenso wie die hinterhältigen Morde in Kenia, auf Bali, auf Djerba und an anderen Stellen in der Welt, dass die Hydra des Terrorismus nach wie vor lebt. Wir alle kennen seit Jahren die Ziele und auch die Techniken einer asymmetrischen Kriegsführung. Bis zum 11. September 2001 hatten wir aber keine Vorstellung davon, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung sie einmal angewandt werden könnte. Die USA wurden an diesem Tag auf ihrem eigenen Territorium von einer terroristischen Gruppierung nicht mit Massenzerstörungsmitteln, sondern mit „weapons of mass effect“ angegriffen und bis ins Mark getroffen. Im World Trade Center starben Christen ebenso wie Juden und Muslime. Sie starben nicht, weil sie sich persönlich in irgendeiner Form schuldig gemacht hätten, sondern nur, weil sie auf dem Boden einer westlich orientierten Kultur lebten und arbeiteten. Diese und viele andere schreckliche Ereignisse dürfen wir nicht verdrängen; denn sie sind - zumindest theoretisch - auch bei uns möglich. Eine terroristische Gruppierung, die den Tod von 20 000 unschuldigen Menschen will, strebt auch 2 Millionen Tote an, wenn sie nur über die entsprechenden Zerstörungsmittel verfügt. Spätestens nach dem 11. September gibt es keine scharfe Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr. Wenn wir zu Recht von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgehen, dann gilt dies auch für die Terrorismusbekämpfung. Die Diskussion über dieses alte und doch so neue Phänomen muss vorurteilsfrei geführt werden. Unsere Verfassung sieht eine klare Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit bzw. zwischen Polizei und Militär vor. In Art. 35 unseres Grundgesetzes ist auch die Rechts- und Amtshilfe bzw. die Katastrophenhilfe geregelt. Die nach dem 11. September neu zu stellende Frage ist, ob militärische Kräfte nicht erst bei Eintritt einer Katastrophe, sondern bereits zur Abwehr einer potenziellen Gefahr - sprich: präventiv - eingesetzt werden können oder dürfen. Ich nenne ein Beispiel. Vor dem Irakkrieg im März dieses Jahres baten die Amerikaner unseren Verteidigungsminister, auch ihre Wohngebiete durch Bundeswehrsoldaten sichern zu lassen. Der Minister hat dies ablehnen müssen - ich betone: müssen -, weil diese Aufgabe in die Zuständigkeit der Polizei fällt. Niemand von uns will den Wehrpflichtigen als Terroristenjäger. Worum es geht, ist, Redundanzen zu vermeiden und die vorhandenen Mittel effizient einzusetzen. Die Polizei verfügt über keine Aufklärungsmittel im Bereich der ABC-Waffen und sie hat auch keine Kapazitäten, um unsere Lufträume oder Seewege zu kontrollieren. Auch die Überwachung oder der Schutz gefährdeter oder sensibler Räume ist von der Polizei allein schon aufgrund ihres Kräftemangels nicht zu leisten. Niemand ist so naiv, zu glauben, dass es für alle sensiblen Objekte - seien es Kraftwerke, Staudämme oder Überlandleitungen - einen hundertprozentigen Schutz rund um die Uhr gibt. In den USA existieren allein 850 000 Stellen, wo hochgefährliche Chemikalien produziert, verbraucht oder gelagert werden. Worum es geht, ist, bei - ich betone - sich abzeichnenden Krisenentwicklungen unsere lebenswichtige Infrastruktur besser schützen zu können. Allein aus diesem Grunde brauchen wir die Bundeswehr in der Fläche. Solange es kein in sich geschlossenes Konzept von Heimat- und Territorialschutz gibt, ist die Auflösung nicht aktiver Truppenteile zu stoppen. Wir, die CDU/CSU, wollen Heimatschutzkräfte, die sich aus Wehrpflichtigen und Reservisten zusammensetzen und die von Fall zu Fall auch die aktive Truppe unterstützen können. Ich komme zum Schluss. Wir stimmen der Verlängerung der Operation Enduring Freedom unter den genannten Bedingungen zu. Wir wünschen allen Soldatinnen und Soldaten, dass sie gesund und unbeschadet an Leib und Leben von ihrer schweren Mission nach Hause zurückkehren können. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Petra Pau das Wort.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Herbst vor zwei Jahren begannen die USA ihren militärischen Feldzug gegen den Terrorismus. Die Bundesrepublik folgte in - wir erinnern uns - bedingungsloser Solidarität vorerst nach Afghanistan. ({0}) - Nein, Herr Nachtwei. Da haben Sie eine Gedächtnislücke. Lesen Sie noch einmal nach! ({1}) Seither diskutieren wir in regelmäßigen Abständen über Bundeswehrmandate bzw. über deren Verlängerung und Ausweitung - auch heute wieder. So entsteht langsam der Eindruck, als ob es sich um Routine handele. Das ist es aber nicht. ({2}) Denn es geht um Kampfeinsätze und um ein Kriegsmandat in einem explosiven Land. ({3}) Die PDS im Bundestag bleibt dabei: Schon das Erstmandat war falsch. Wir werden wieder Nein sagen. ({4}) Herr Bundesaußenminister, wir debattieren im Übrigen über die Fortsetzung des Einsatzes nicht deswegen, weil dies im Grundgesetz verlangt wird, sondern deswegen, weil Sie dieses falsche Mandat verlängern wollen. ({5}) In der richtigen Welt gibt es eine ganz einfache Folge: Man setzt sich ein Ziel und bestimmt Mittel und Wege. Nach einer gewissen Zeit überprüft man alle drei: das Ziel, den Weg und die Mittel. Sie tun das nicht. Sie bilanzieren nicht einmal, was von dem einstigen Kriegsziel übrig geblieben ist, obwohl jeder weiß: Osama Bin Laden ist nicht gefunden worden. Die Taliban melden sich zurück. Der Drogenanbau ist umfangreicher denn je. Mit den Rauschgewinnen werden neue Kriege entfacht. - Was soll also die Verlängerung eines falschen Mandates? ({6}) Vor zwei Jahren hatte der Bundesverteidigungsminister ausdrücklich betont, Deutschland werde sich nicht an Kampfeinsätzen beteiligen. Das war schon damals wenig glaubwürdig. Das wird noch unglaubwürdiger, wenn man weiß, dass das KSK mit im Einsatz war, jenes Krisenspezialkommando, von dem Phoenix in dieser Woche berichtete: Keiner darf sagen, wer er ist. Keiner darf sagen, was er tut. Aber jeder ist ein Spezialkrieger vor dem Herrn. Auch einen weiteren Vorwurf bekommen Sie nicht entkräftet. In demselben Maße, wie die USA im Irakkrieg um Entlastung buhlen, wächst das deutsche Engagement in Afghanistan. Dafür hat der Bundeskanzler das ausdrückliche Lob des US-Präsidenten eingeheimst; aber ein Friedenspreis ist das Gegenteil davon. ({7}) Wir haben immer davor gewarnt, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak durch die Hintertür zu unterstützen. ({8}) Auch deshalb werden wir wieder mit Nein stimmen. Noch einen Anwurf will ich Ihnen nicht ersparen. Sie kürzen den Rentnern die Rente. Sie nehmen Arbeitslosen die Hilfe und kassieren von Kranken Gebühren. Zugleich beschließen Sie Mal um Mal, Millionen am Hindukusch zu verpulvern. ({9}) Um Irrtümern vorzubeugen: Ich gehöre nicht zu den Linken, die den Wehretat so weit aufteilen, bis alle Übel der Welt gelöst sind. Aber ein Widerspruch bleibt; denn Sie reformieren den Sozialstaat bis zur Unkenntlichkeit. Herr Bundesaußenminister, um auf Ihren Zuruf zu antworten: Wenn Sie die letzte Stufe der Steuerreform vorziehen, gehen meiner Heimatstadt Berlin 400 Millionen Euro zusätzlich zu dem verloren, was uns SPD und CDU mit dem Bankenskandal eingebrockt haben. Hier wäre das Geld besser eingesetzt, als es am Hindukusch zu verpulvern. ({10}) Kurz und gut: Das Ziel ist verlogen, der Weg ist falsch und die Mittel sind vergeudet. ({11}) Deshalb lehnt die PDS die Verlängerung des Afghanistanmandates ab. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Christian Ruck, CDU/ CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller Anstrengungen und aller Erfolge der Operation Enduring Freedom: Das Bedrohungspotenzial des internationalen Terrorismus hat sich kaum verringert; da sind wir uns alle einig. Es kann nur dann erfolgreich und nachhaltig entschärft werden, wenn die Weltgemeinschaft geschlossen einen umfassenden Politikansatz verfolgt. Da bin ich mit Verteidigungsminister Struck einer Meinung. Aber dies bedeutet national wie international: Die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Entwicklungspolitik sollten aus einem Guss sein. Für uns ist wichtig, dass in dem spektakulären Alltagsgeschäft der Terrorbekämpfung ein entscheidender Zusammenhang nicht untergeht: Wenn wir verhindern wollen, dass für jeden ausgeschalteten Terroristen zehn neue aufstehen und dass aus Terrororganisationen breite Bewegungen werden, müssen wir im Kampf gegen Armut, Unbildung und Perspektivlosigkeit von Millionen von Menschen in den Entwicklungs- und Tranformationsländern entschlossener, geschlossener und konzeptionell besser aufgestellt sein. ({0}) In vielen dieser Länder liegen nicht nur die Rückzugsbasen für die Terroristen, sondern auch die Nährböden des Sympathisantentums aufgrund der vielfach untragbaren politischen, ökonomischen und sozialen Zustände. Staaten im Zerfall oder am Rande des Zerfalls in Afrika und anderswo werden zu idealen Zulieferern für organisierte Kriminalität und internationalen Terrorismus. Deswegen ist es eine der großen Aufgaben der Entwicklungspolitik, diese weltweiten Zeitbomben langfristig zu entschärfen und der Entstehung von noch mehr Terrorismus und Kriminalität vorzubeugen. ({1}) Viele von uns haben eine kurze, aber dennoch sehr beeindruckende Reise nach Kabul gemacht. Dort haben wir die symbiotische Wirkung zwischen außenpolitischer Konzeption, Militäreinsatz und Wiederaufbauhilfe erlebt. Außenpolitische Konferenzen und der Einsatz der Streitkräfte schaffen erst die Sicherheit dafür, dass aufgebaut werden kann und Staaten wieder zu einer gewissen Verfassung zurückfinden. Wenn aber die außenpolitische Konzeption fehlerhaft ist oder wenn die Wiederaufbauhilfe zu langsam kommt und Erwartungen enttäuscht, sind auch unsere Streitkräfte, sind unsere Soldaten in Gefahr. Meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Umsetzung des Gesamtmodells ist noch erheblicher Sand im Getriebe der Bundesregierung und das kann unter Umständen fatale Folgen haben. Die Politik der Bundesregierung ist mitnichten widerspruchsfrei und koordiniert. Ich möchte einige Beispiele nennen, die sehr eng mit Enduring Freedom verbunden sind. Erstes Beispiel, verdeutlicht an Afghanistan: Drei Minister reisen getrennt, handeln getrennt und reden getrennt. Die offenkundigen Animositäten der Leitungsund Arbeitsebenen von Außenministerium und Entwicklungsministerium sind ein offenes Geheimnis. Ein Resultat daraus ist der absurde Aufbau von Doppelstrukturen. Ich finde es auch bezeichnend, dass heute niemand aus dem Entwicklungsministerium auf der Regierungsbank sitzt. Das stelle ich mit Bedauern fest. Die Entwicklungsministerin fuhr nach Kabul und erklärte schon vorab, dass sie keine Soldaten sehen will. ({2}) Wir sagen: Für uns ist die Arbeit der Soldaten in Afghanistan oder auf dem Balkan sehr wichtig für den Wiederaufbau, weil das dort Sympathie schafft. Das wurde auch von den Nichtregierungsorganisationen in Kabul ausdrücklich anerkannt. ({3}) Ein weiteres Beispiel: Herr Außenminister, Sie haben gestern zu Recht davon gesprochen, dass sich Enduring Freedom vor allem gegen den islamistischen Terrorismus wendet. Wir alle wissen, dass auch der Balkan ein mögliches Einfallstor dafür ist. Das militärische Engagement der NATO hat vorläufig Frieden gebracht, aber die außenpolitische Konzeption beispielsweise für BosnienHerzegowina oder für den Kosovo ist - das ist zu befürchten - eine Sackgasse. Die Aufbauarbeit auf dem Balkan ist vielfach stecken geblieben und die Bundesregierung fährt die Hilfen für Südosteuropa drastisch zurück. Auch das hat etwas mit Enduring Freedom zu tun. Nächstes Beispiel: Herr Außenminister, Sie waren ja in Afrika. In den Afrika-Debatten der jüngsten Zeit wurde auch über den Zusammenhang von Gewalt und Chaos auf der einen Seite und Unterstützung für den Terrorismus auf der anderen Seite diskutiert. Auch die Afrika-Politik der Bundesregierung ist nach wie vor gespickt mit Widersprüchen. Es kann doch niemand leugnen, Herr Außenminister - damit komme ich zum Irak -, dass die Stabilisierung und die langfristige Friedenssicherung im Irak für die Friedenssicherung der gesamten Region und damit auch für Enduring Freedom sehr wichtig sind. Deswegen kritisieren wir noch einmal nachdrücklich, dass Sie sich einem nennenswerten Beitrag zum Aufbau im Irak bisher verweigert und damit jeden Einfluss auf die zukünftige Gestaltung dieses Landes verloren haben. ({4}) Das ist ein eklatanter Widerspruch zu Sinn und Zweck von Enduring Freedom. ({5}) Enduring Freedom ist wichtig. Wenn aber der gefährliche Auftrag einen Sinn haben soll, müssen wir uns alle breiter aufstellen. Dann muss auch die Bundesregierung gerade im Zusammenwirken von Außen-, Sicherheitsund Entwicklungspolitik gefährliche Fehler abstellen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1880 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie Zusatz- punkt 10 auf: 16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kretschmer, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die Innovationskraft Deutschlands stärken Zukunftschancen durch moderne Forschungsförderung eröffnen - Drucksache 15/1696 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Besteuerung von Wagniskapitalgesellschaften - Drucksache 15/1405 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Daniel Bahr ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Aktionsplan für freie, effiziente und innovative Forschung - Drucksache 15/1932 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({4})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit technologischen Erfindungen und innovativen Produkten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten unseren Lebensstandard finanziert. Das ist auch in Zukunft unsere einzige Chance in einer sich immer weiter globalisierenden Welt. Deshalb muss uns der aktuelle Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit alarmieren. Die Exportnation Deutschland führt mittlerweile mehr „Wissen“ ein, als sie exportiert. Kontinuierlich nimmt unser Export an technologischen Dienstleistungen ab. Innerhalb von vier Jahren hat sich der Negativsaldo auf ein Rekordminus von 7,5 Milliarden Euro im Jahr 2001 nahezu verdoppelt. Unser Welthandelsanteil an forschungs- und entwicklungsintensiven Waren liegt bei mageren 14,8 Prozent. Dabei stützt sich dieser Außenhandelserfolg des deutschen Technologiesektors mittlerweile fast ausschließlich auf die AutomobilindusMichael Kretschmer trie. Würde man sich das Experiment erlauben und diesen Automobilsektor aus der Außenhandelsbilanz herausrechnen, dann würde Deutschland nicht einmal mehr zu den Ländern gehören, die sich im internationalen Handel auf forschungsintensive Produktion spezialisiert haben. Man könnte diese Liste noch weiterführen. Besonders dramatisch ist, dass wir auch im Bereich der Schlüsseltechnologien immer weiter zurückfallen. Meine Damen und Herren, die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Was ist der Grund für diese Entwicklung und wie kommen wir aus dieser Situation heraus? Das Ziel ist klar: Deutschland muss im Bereich Forschung und Entwicklung wieder an die Weltspitze zurückkehren. Wenn wir auch in zehn oder 20 Jahren unseren Lebensstandard noch mit den Erfindungen unseres Landes finanzieren wollen, müssen wir heute in Forschung und Entwicklung investieren. ({0}) Ein Kernsatz von Max Planck lautet: Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen. Sie, Frau Bulmahn, versuchen es andersherum. Die Ergebnisse kann man im Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit nachlesen, der seit einem halben Jahr vorliegt. Das Einzige, was Sie bisher zu diesem erschreckenden Befund zu sagen hatten, war der Hinweis auf die Aufwuchszahlen Ihres BMBF-Haushaltes seit 1998. Doch diese Zahlen können nur noch Laien beeindrucken. Tatsächlich lebt der Forschungsstandort Deutschland von seiner Substanz. Im Vergleich der OECD-Länder hinsichtlich der Intensität von Forschung und Entwicklung ist Deutschland dramatisch zurückgefallen. Länder wie die USA, Japan und Korea, aber auch unsere europäischen Nachbarn Schweden, Finnland und die Schweiz haben uns im Wettbewerb um die Ausgaben für Forschung und Entwicklung längst überholt und investieren, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, weit mehr in Forschung und Wissenschaft als wir. ({1}) Wenn Sie, Frau Bulmahn, in einer stillen Minute einmal ehrlich zurückschauen und sich fragen, warum das Glück Sie verlassen hat, ({2}) dann werden Sie feststellen, dass es Ihnen in erster Linie an einer Strategie für die Forschung in Deutschland gefehlt hat. ({3}) Außer Ankündigungen hat es bei Rot-Grün nicht viel gegeben. So kämpft die Ministerin mit ihrem Kollegen Clement um den Titel „größter Ankündigungsminister im Kabinett Schröder“. Ich möchte Sie fragen, Frau Minister: Was ist eigentlich aus dem Hightechmasterplan geworden? Ist er genauso wie Ihr Staatssekretär verschwunden? Ist er schon im Papierkorb gelandet oder werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch etwas von ihm hören? ({4}) Der warme Regen aus UMTS-Mitteln ist ebenfalls versiegt. Damit ist wohl auch das Ende von einigen wirklich wichtigen und hochgejubelten Zukunftsprojekten vorprogrammiert. Die Patentverwertungsoffensive, der Bereich optische Technologien oder das nationale Genomforschungsnetzwerk sind nur einige Beispiele, bei denen aktuell gekürzt wird. Von Nachhaltigkeit kann keine Rede sein. Wir schlagen in unserem Antrag deshalb einen Dreiklang aus folgenden Maßnahmen vor: Anhebung der staatlichen Forschungsförderung, Erhöhung der Anreize der Wissenschaft zur Kooperation mit der Wirtschaft und schließlich die Verbesserung der Innovationstätigkeit der Unternehmen. Als Erstes müssen wir die Haushaltsmittel für die Forschungsförderung erhöhen. Wir müssen so umschichten, dass wir zu weniger konsumtiven Ausgaben und zu mehr Ausgaben für Forschung und Wissenschaft kommen. Das Gegenteil ist derzeit aber der Fall: Im Jahr 2004 stehen 155 Millionen Euro weniger zur Verfügung als noch in diesem Jahr. Und seit gestern sind es noch einmal 84 Millionen Euro weniger. Frau Ministerin, das ist der Beitrag des BMBF zu dem Gesamtbetrag, der dazu dienen soll, den Rentenbeitrag stabil zu halten. Wir verfrühstücken für die Renten von heute das Geld, das uns später fehlen wird, um durch Forschung Beschäftigung zu schaffen, wovon wir wiederum Renten bezahlen können. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg. ({5}) Im Ergebnis steht eine Kürzung der Projektgelder und Mittel für den Hochschulbau an - und das im Jahr der Technik. Bis vor wenigen Wochen lautete der Titel noch „Jahr der Wissenschaft“; der Schwerpunkt sollte auf der Wissenschaft liegen. Der Kanzler hat gemerkt, dass daraus nichts mehr wird, und ruft deswegen schnell das Jahr der Technik aus. Dass sich die deutschen Wissenschaftler betrogen fühlen und die ausländischen Kollegen nur den Kopf schütteln, dürfte angesichts dessen nur verständlich sein. Zweitens müssen die Mittel in Forschung und Entwicklung wesentlich zielgerichteter eingesetzt werden. Wir können es uns nicht leisten, so wie in der Vergangenheit, unser Geld für ideologische Spielwiesen zu verschwenden. Mir ist es unerklärlich, warum wir Spitzenreiter bei der Erforschung gesellschaftlicher Strukturen und Beziehungen sein müssen. Mein Eindruck ist, dass unsere britischen Freunde beschäftigungspolitisch freundlicher und klüger handeln, wenn sie mit 1,5 Milliarden Euro dreimal so viel Geld wie wir für Forschung im Bereich Schutz und Förderung der menschlichen Gesundheit ausgeben. Das Ergebnis ist: Großbritannien ist der Pharmastandort Europas. Gerade die Projektmittel in den Bereichen Luft- und Weltraumforschung, Nanotechnologien und Optik müssen aufgestockt werden. Der jetzige Trend, die Grundfinanzierung der Forschungsorganisationen zulasten der Projektmittel zu erhöhen, ist der Höhepunkt der Absurdität. Projektförderung ist gerade für kleine und mittlere Unternehmen der Zugang in die externe Forschung, beispielsweise in Netzwerke mit Forschungsinstitutionen. Der Mittelstand ist durch die Ausgründungsbestrebungen der Industrie und die sinkende Fertigungstiefe der Finalproduzenten der Schlüssel für mehr Innovation in der deutschen Wirtschaft. Daher brauchen wir mehr Projektmittel und nicht weniger. Drittens. Künftig wollen wir den Hochschulen und später auch den Forschungsinstitutionen für eingeworbene Drittmittel eine Forschungsprämie bezahlen. Leistung muss sich lohnen. Das Geld soll die Neigung der Einrichtungen, mit Unternehmen zu kooperieren, erhöhen. Ob diese Mittel für technische Ausstattung, für Honorare von wissenschaftlichen Mitarbeitern oder zur Finanzierung einer eigenen Professur eingesetzt werden, muss Sache der Hochschulen selbst sein. Viertens wollen wir die Mittel für die industrielle Gemeinschaftsforschung jährlich um mindestens 5 Prozent erhöhen. Dieses Instrument hat sich bewährt und muss ausgebaut werden. Fünftens. Ganz entscheidend ist die Mobilität zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass das der entscheidende Punkt für Unternehmungs- und Existenzgründungen ist. Unser starres BAT-Gerüst verhindert mit seiner Alimentierung, dass die Wissenschaftler nicht aus der Wissenschaft in die Wirtschaft wechseln. Sie bleiben in der Forschung. Das müssen wir ändern. Wir brauchen Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. ({6}) Damit komme ich - das ist mein sechster Punkt - zu den neuen Bundesländern. Hier müssen wir die wissenschaftlichen und die industriellen Stärken weiter ausbauen; das ist ganz entscheidend. Ich will nicht von den Problemen und Defiziten sprechen. Unser Blick ist nach vorne gerichtet. Wir sehen, wie viele positive Beispiele es gibt: die vielen Wissenschaftler, die nach vorne schauen, die große Zahl der Unternehmensgründungen. Die Forschung ist der entscheidende Faktor beim Aufbau Ost. Davon sind wir überzeugt. Mit der Kürzung der Hochschulbaumittel gefährden Sie allerdings den Aufbau der Wissenschaftsinfrastruktur. Alle Maßnahmen, die jetzt gestoppt werden, wurden positiv evaluiert und sind dringend notwendig. Wir fordern von der Bundesregierung, die Kürzungen im Haushalt 2004 rückgängig zu machen. Wir erwarten außerdem von Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie die Frage der Grundfinanzierung der Forschungs-GmbHs endlich klären. Seit Jahren ist der Fortbestand dieser Einrichtungen, die aus den Akademieinstituten der DDR hervorgegangen sind, ungewiss. Bis heute wird ihnen eine Grundfinanzierung vorenthalten. In Berlin-Adlershof kämpft gerade ein solches Institut, das Institut für Angewandte Chemie, ums Überleben. Ende des Jahres läuft die institutionelle Förderung des Bundes aus. Wovon das Institut ab Februar seine Mitarbeiter bezahlen soll, ist unklar. Vor zwei Wochen hat uns der Staatssekretär hier noch erklären wollen, dass man sich um das ACA keine Sorgen machen müsse. Das war zur selben Zeit, als das BMBF seine Mitarbeiter aus dem Kuratorium abziehen wollte. Das kann nicht wahr sein. Ich sage Ihnen ganz klar: Für uns sind die Forschungs-GmbHs und das ACA die Nagelprobe dafür, wie ernst es Ihnen beim Aufbau Ost mit der Wissenschaft ist. Wir werden das ganz intensiv beobachten. Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern ist extrem kleinteilig. Deshalb brauchen wir spezielle Forschungsprogramme für die Kooperation. Die Programme „InnoRegio“ und „Regionale Wachstumskerne“ sind Wege dahin. Mit diesen sind viele Probleme verbunden, weil die Bürokratie zu groß ist. Wir haben oft darüber geredet, Sie haben aber nichts daran geändert. Das bedauern wir sehr. Ich will aber trotzdem nicht weiter darüber reden. Viel spannender ist nämlich die Frage, wie es weitergeht. Das Projekt „Regionale Wachstumskerne“, das aus acht Einzelteilen besteht, läuft Ende dieses Jahres aus. Es ist völlig unklar, wie es weitergeht. Frau Ministerin, ich habe schon vor langer Zeit gefragt, was damit eigentlich passiert. Was ist dabei herausgekommen? Sie haben bis heute keine Evaluation vorgenommen und wissen bis heute nicht, ob sich das Projekt bewährt hat oder nicht. Unsere Forderung ist, sich diese Projekte in Zukunft ganz gezielt anzuschauen und schon lange vor dem Ende der Projektlaufzeit zu entscheiden, ob man sich in diesen Projekten weiter engagiert oder ob man sie auslaufen lässt. Bezogen auf die Arbeitslosigkeit ist die Situation in den neuen Bundesländern dramatisch. Aus diesem Grund kann man vom Bundesforschungsministerium, wenn es um den Aufbau Ost geht, erwarten, dass es genau hinschaut und dort andere Regeln anwendet, als es vielleicht im übrigen Deutschland geschieht. Wir erwarten, dass schon vor dem Ende eines Projekts abgeklärt wird, ob zukünftig weiterführende Förderungen möglich sind und dass nicht einfach nur ein Impuls gesetzt wird. Dabei darf es nicht bleiben. Man muss etwas mehr Zeit für den Aufbau Ost aufwenden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Innovationen sind das Lebenselixier und die Basis für wirtschaftliches Wachstum, für unseren Wohlstand und für unsere Gesellschaft insgesamt. Nur mit neuen Produkten, Dienstleistungen und Verfahren stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den globaBundesministerin Edelgard Bulmahn len Märkten. Nur mit Innovationen schaffen wir neue zukunftsfähige Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land. Über diese Punkte besteht glücklicherweise ein breiter Konsens. Wie die Rede meines Vorgängers gezeigt hat, endet dieser Konsens bei den Fragen, wo wir stehen und wie wir weiter vorangehen. Faktenkenntnisse und abgewogene Urteile zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands spielen eine erstaunlich geringe Rolle. Bei der Verwendung mancher Zahlen - den Eindruck hatte ich bei Ihrer Rede, Herr Kretschmer - ist allerdings nicht selten auch eine bewusste Irreführung mit im Spiel. ({0}) Ich denke hier zum Beispiel an den Umgang mit Daten der technologischen Zahlungsbilanz, die lediglich die Gestaltung von Verrechnungspreisen innerhalb multinationaler Unternehmen widerspiegelt. ({1}) Genau das haben Sie nämlich beschrieben. Rückgänge im internationalen Handel mit Patenten und Lizenzen sind also keineswegs ein Hinweis darauf, dass unser Land heute insgesamt mehr Wissen importiert als exportiert. Das weiß auch jeder, der sich mit der Sache etwas ausführlicher und detaillierter beschäftigt. ({2}) Trotzdem werden diese Zahlen mit seltener Uneinsichtigkeit immer wieder verwendet, um genau diesen Unsinn zu behaupten. ({3}) Richtig ist Folgendes: Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufgewendet haben, ist - hören Sie gut zu von 2,2 Prozent im Jahre 1998 auf 2,5 Prozent im Jahre 2001 gestiegen. ({4}) Das ist die eigentlich wichtige Entwicklung. Seitdem ist dieser Wert stabil; er ist nicht wieder gesunken. ({5}) Wir haben ihn steigern können und er bleibt stabil. ({6}) Das ist uns ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der wir uns generell befinden, gelungen. Ich finde, das ist ein Zeichen für das inzwischen weit verbreitete Bewusstsein für die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen, welches mir besonders wichtig ist; denn das ist für die kommenden Jahre entscheidend. ({7}) Hochtechnologien und deren Anwendung sowie Innovationen spielen heute wieder eine Schlüsselrolle in unserem Land. Deutschland ist der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Mitte der 90er-Jahre hatte nur jede vierte Firma ein Produkt im Angebot, das auf neuen Forschungsergebnissen beruhte. Heute hat jedes dritte Unternehmen ein neues Angebot, mit dem es auf den Markt drängt. ({8}) Keine Frage, wir müssen noch besser werden. Aber es gibt eine positive Entwicklung in diesem Bereich, die wir weiter unterstützen müssen. Deutschland verfügt inzwischen über die höchste Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Ein Beispiel: Noch Anfang der 80er-Jahre war Deutschland bei der Produktion von Laserstrahlquellen Entwicklungsland. ({9}) Heute halten deutsche Unternehmen einen Weltmarktanteil von 40 Prozent. ({10}) Mehr als 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze sind allein in diesem Bereich entstanden. ({11}) Von diesen Entwicklungen in der Lasertechnik profitieren auch für uns so wichtige Bereiche wie der Maschinenbau oder die Fertigungstechnik. Das ist genau der Weg, den wir gehen müssen: unsere Stärken ausbauen und Arbeitsplätze durch Innovationen zukunftssicher machen. Das ist meine Politik. ({12}) Wir haben mit unserem regionalen Förderansatz - insofern wiederspreche ich Ihnen, Herr Kretschmer; es kann nicht um eine Förderung mit der Gießkanne gehen, ({13}) wir brauchen einen fokussierten Ansatz - in den neuen Bundesländern Erfolge erzielt. Ich nenne nur das Beispiel Dresden. ({14}) Dort ist das Silicon Valley Europas entstanden, mit erheblicher öffentlicher Förderung gerade aus meinem Ministerium. 1,2 Milliarden Euro öffentlicher Mittel sind in diese Region geflossen. Schon heute liegt der Return bei 6 Milliarden Euro; 11 000 Arbeitsplätze sind dort entstanden. Unternehmen aus Frankreich und den USA - Sie haben sich das doch angeschaut ({15}) haben jüngst ihre Entwicklungsabteilung dorthin verlegt und die Produktion eröffnet. Das zeigt, wie wichtig Investitionen in Forschung und Entwicklung sind; es zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass man sie an der richtigen Stelle einsetzt. ({16}) Meine sehr geehrten Herren und Damen, diese Beispiele und Zahlen zeigen eines sehr deutlich: Die technische Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ist gut. Allerdings werden auch die anderen Länder immer besser. ({17}) Dabei zeigt sich, dass sowohl in Europa als auch weltweit die Länder mit den höchsten Investitionen in Forschung und Entwicklung das höchste wirtschaftliche Wachstum haben. Finnland, Schweden und die USA stehen beispielhaft dafür. Genau diese Länder sind unser Maßstab; denn wir müssen uns mit den Besten der Welt messen und nicht mit denen, die auf Platz 30 oder 35 stehen. ({18}) Wir wollen im weltweiten Innovationswettlauf nicht nur mithalten, sondern den Takt der Entwicklung mitbestimmen. Deshalb brauchen wir eine neue Wachstumsdynamik. Die Reformen unseres Sozialstaates, die wir gerade durchführen, eine klare Politik für weniger Bürokratie und eine klare Politik pro Bildung und Forschung sind dafür die wichtigsten Voraussetzungen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Selbstverständlich.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, wenn das so ist, wie Sie argumentieren, können Sie mir dann bitte erklären, warum 80 Millionen Euro gerade in Ihrem Haushalt - zulasten von Bildung und Forschung - gestrichen werden sollen, um Rentenlöcher zu stopfen?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Liebe Frau Pieper, nicht nur in meinem Haushalt werden 80 Millionen Euro gekürzt. Die Bundesregierung insgesamt hat die Agenda 2010 beschlossen, welche zwei Zielsetzungen hat. Diese können wir nur durchsetzen, wenn Sie alle in diesem Parlament mitmachen und sich für das Gelingen einsetzen. Wir wollen mit dieser Agenda 2010 die Säulen unseres sozialen Sicherungssystems stabilisieren und damit unser Rentensystem und unser Krankenversicherungssystem zukunftssicher machen. ({0}) Dazu müssen wir alle einen Beitrag leisten. Das ist schmerzhaft. Aber wenn wir wollen, dass wir in Zukunft wieder finanzielle Spielräume haben, ({1}) gerade auch im Bereich von Bildung und Forschung, dann kommt es auf Sie alle an. Es wird sich zeigen, ob Sie - FDP, CDU und CSU - im Bundesrat den Mut haben, beim Subventionsabbau mitzumachen. ({2}) Wir werden sehen, ob Sie nach Ihren Reden hier im Bundestag auch im Bundesrat den Mut und die Bereitschaft aufbringen, ({3}) mit uns gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass wir in den kommenden Jahren wieder finanzielle Spielräume für Bildung und Forschung bekommen, um die notwendigen Zukunftsinvestitionen zu leisten. ({4}) Das ist sozusagen der Lackmustest, dem Sie sich stellen müssen. Dieser Test wird zeigen, ob Sie es mit Ihrer Forderung nach mehr Geld für Bildung und Forschung ernst meinen. ({5}) Ich hoffe, dass Sie es ernst meinen, weil ich davon überzeugt bin: Wir müssen deutlich mehr Geld in Bildung und Forschung investieren. ({6}) Daran möchte ich überhaupt keinen Zweifel aufkommen lassen. Sie wissen, dass wir dies alleine nicht entscheiden können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Nachfrage von Frau Pieper?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Wir haben ganz konkrete Vorschläge zur Erhöhung der Mittel in diesem Bereich auf den Tisch gelegt. Ich hoffe, Sie werden ihnen zustimmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch einmal: Gestatten Sie eine Nachfrage von Kollegin Pieper?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Nein, ich möchte mit meiner Rede weitermachen. ({0}) Wir schaffen genau diese notwendigen finanziellen Spielräume mit der Agenda 2010, um in diesen so wichtigen Bereich weiterhin investieren zu können. Das haben wir im Übrigen auch in den vergangenen Jahren getan. Wir haben eine neue Dynamik in diesem Bereich erreicht. In diesem Jahr stehen über 9,1 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung. Das bedeutet im Vergleich zu 1998 einen Zuwachs von mehr als 25 Prozent. ({1}) Ich möchte aber ausdrücklich sagen: Andere Länder sind genauso gut. Deswegen dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, sondern müssen zulegen. Veränderungskraft und neue Ideen sind allerdings nicht allein eine Frage des Geldes. Lassen Sie mich auch das klar sagen: Innovation braucht vor allem kluge Köpfe, ({2}) Akademiker genauso wie hoch qualifizierte Fachkräfte. Zugespitzt formuliert: Wir dürfen nicht gleichzeitig älter, weniger und dümmer werden. Deshalb gehört zur Verbesserung unseres Innovationssystems die Reform unserer Bildungs- und Ausbildungssysteme. Das sind Kernpunkte einer Erfolg versprechenden Innovationspolitik. ({3}) Die Basis für Innovationen wird mit exzellenter Forschung gelegt. Dafür brauchen wir eine zielgenaue Förderpolitik, die Kreativität und Kompetenzen für neue Lösungen bündelt, Disziplingrenzen überwinden hilft und die branchenübergreifenden Netzwerke aktiv fördert. Wir haben deshalb die Mittel für die themenorientierte Projektförderung neu gebündelt und dort konzentriert, wo auf der einen Seite die größte Hebelwirkung für wirtschaftliches Wachstum zu erwarten ist und auf der anderen Seite dringender gesellschaftlicher Bedarf besteht. Wir fördern den Ausbau bestehender Märkte in der Mikrosystemtechnik. Die Erfolgsstory in Dresden ist ein Ergebnis dieser Förderung in die Mikrosystemtechnik, der optischen Technologien und der Materialforschung. ({4}) Wir erschließen neue Wachstumsfelder durch die gezielte Förderung der Bio- und der Nanotechnologie, die sich mehr und mehr zu starken Wachstumsmotoren für viele andere Branchen entwickeln. Wenn Sie von der Opposition diese Schwerpunktsetzung nicht wollen, dann müssen Sie andere Schwerpunkte nennen. ({5}) Ich halte es für richtig, dass wir unsere Schwerpunkte genau auf diesen Feldern setzen. ({6}) Zwischen 20 und 25 Prozent des jährlichen Wirtschaftswachstums in Deutschland beruhen auf dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nachdem in den 90er-Jahren vor allem andere Länder, die hier früher viel stärker investiert hatten, von diesen neuen Technologien profitierten, hat Deutschland wieder Anschluss gefunden. Heute ist Deutschland einer der modernsten IT-Standorte der Welt. Unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft haben wir die europaweit größte IT-Forschungseinrichtung mit einem erheblichen und inzwischen sehr gut funktionierenden Forschungspotenzial geschaffen. Mit dem Programm „IT-Forschung 2006“ stellen wir insgesamt 3 Milliarden Euro für Forschung zur Verfügung, um die Innovationskraft genau in diesem Bereich langfristig zu sichern. Die Biotechnologie gehört zu den wichtigsten Innovationsfeldern des 21. Jahrhunderts. Wir erwarten, dass bis zum Jahre 2020 biotechnologische Methoden an etwa der Hälfte aller wichtigen Innovationen beteiligt sind. ({7}) Gerade in der Biotechnologie haben wir, nachdem wir den Start in den 80er- und 90er-Jahren verschlafen haben, im internationalen Vergleich endlich wieder kräftig aufgeholt. Nirgendwo sind in den letzten Jahren mehr neue Biotechnologiefirmen als in Deutschland gegründet worden. Nach einer Konsolidierungsphase stehen wir gerade in Deutschland in diesem Bereich vor einem neuen Aufschwung. In den Jahren 2001 bis 2005 steht rund 1 Milliarde Euro für die Förderung der Biotechnologie zur Verfügung. Wir haben erheblich aufgestockt und die Mittel für die Projektförderung in nur fünf Jahren gegenüber Ihren Ansätzen verdoppelt. ({8}) Damit setzt sich im Übrigen Deutschland bei der Finanzierung der Genomforschung durch die öffentliche Hand in Europa an die Spitze und nimmt weltweit hinter den USA die zweite Stelle ein. Allein für das Nationale Genomforschungsnetz, das genannt worden ist - ich habe gerade in der letzten Woche die zweite Phase gestartet -, werden wir in den kommenden drei Jahren 135 Millionen Euro zur Verfügung stellen. ({9}) Dieses Forschungsnetz ist für die Innovationskraft unseres Landes von erheblicher Bedeutung. 17 Patente, 80 Patentanmeldungen und 94 konkrete Produktideen sind hier bereits zu verbuchen. Ich bin sicher, dass wir in Kürze auch mit einer Reihe von Firmengründungen rechnen können. Damit wir aber nicht nur gut in der Forschung sind, sondern auch exzellent in der Anwendung und der Umsetzung - in der Nanotechnologie sind wir zum Beispiel weltweit in der Forschung Spitze -, habe ich im Frühjahr dieses Jahres den Hightechmasterplan vorgestellt. ({10}) Dabei geht es im Kern um folgende Punkte: ({11}) Die Bundesregierung hat bereits ein neues Modell - das ist das Ergebnis der Diskussion, der Gespräche und der Verhandlungen, die wir auf der Grundlage dieses Hightechmasterplans geführt haben - der öffentlichen Förderung von Wagniskapital eingeführt, das den geänderten Rahmenbedingungen von Venture Capital im Markt gerecht wird. Wir haben einen neuen Dachfonds gegründet. ({12}) Wir haben ihn vor ungefähr drei bis vier Wochen vorgestellt, Herr Kretschmer. Das ist Ihnen vielleicht entgangen. ({13}) Damit haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in unserem Land Venture Capital wieder in größerem Umfang zur Verfügung steht. Wir werden damit Venture Capital in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro mobilisieren können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ferner verbessern wir auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für die jungen Technologieunternehmen und ihre Finanziers in Deutschland. Die Bundesregierung wird deshalb in Kürze wichtige steuerliche Einzelfragen im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung von VC-Fonds abschließend regeln und über einen Gesetzentwurf zum so genannten Carried Interest, den Bund und Länder gemeinsam vorbereiten, wird hier im Bundestag beraten. Zu der Politik, die ich geschildert habe, gibt es keine Alternative ({0}) und deshalb werden wir sie auch fortsetzen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Sie haben die FDP-Fraktion direkt angesprochen, was die Unterstützung gerade für Forschung und Wissenschaft und insbesondere die Entscheidung im Bundesrat und in diesem Hohen Haus anbelangt. Ich möchte ausdrücklich für die FDP-Fraktion festhalten, dass wir sehr daran interessiert sind, dass es keine weiteren Kürzungen im Bereich Forschung, Wissenschaft und Bildung gibt. Ich muss Sie fragen, Frau Ministerin, ob ich den gestrigen Bericht in einer renommierten Tageszeitung Deutschlands ernst zu nehmen habe, dass Ihr Haushalt - so konnte ich es lesen - um 80 Millionen Euro zulasten von Forschung und Bildung gekürzt werden soll. ({0}) Selbst wenn es nicht 80 Millionen Euro sind, sondern ein geringerer Betrag, so werden wir von der FDP-Fraktion das sicher nicht mittragen. ({1}) Das erwarten wir auch von Ihnen als Ministerin. ({2}) Ich will noch einmal von meiner Seite festhalten: Es geht um Zukunftsinvestitionen. Sie selbst sind damals als Ministerin mit dem Ziel angetreten, die Zukunftsinvestitionen zu verdoppeln. Sie haben dieses Ziel wieder infrage gestellt. Wir haben mehrmals mit unseren Initiativen und mit unserem heutigen Antrag deutlich gemacht, dass wir bereit sind, dieses Ziel zu unterstützen. Ich erinnere daran, dass es eine CDU/CSU-FDP-Bundesregierung war, die die Initiative zur Biotechnologie, Bio-Regio, gestartet hat. Ich bitte, keine falschen Behauptungen in den Raum zu stellen. ({3}) Uns liegt sehr daran, dass Sie die Forschungsförderung, insbesondere auch die Industrieforschung, in den neuen Bundesländern voranbringen. In den neuen Ländern macht die Industrieforschung nur noch 5 Prozent der Forschung aus. Darauf sind Sie in Ihrer Rede gar nicht eingegangen. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie angekündigt: Bei der Entscheidung über neu einzurichtende Forschungszentren des Bundes wollen wir die ostdeutschen Länder vorrangig berücksichtigen. ({4}) Ich erwarte von Ihnen einen klaren Vorschlag. Die Neutronenspallationsquelle wird eines der größten europäischen Forschungsvorhaben in den nächsten zehn Jahren darstellen. Es besteht die Chance, ein Großforschungszentrum in den neuen Bundesländern einzurichten. Wo bleibt Ihre Initiative, Frau Ministerin? ({5}) Verzichten Sie bitte auf leere Worte und Versprechungen! Lassen Sie uns vielmehr Taten sehen und verhindern Sie weitere Kürzungen in Ihrem Haushalt. Wir werden Kürzungen jedenfalls nicht unterstützen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort. ({0})

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Pieper! Erstens ist es richtig, dass mein Haushalt - wie auch alle anderen Haushalte der Bundesregierung - zu Kürzungen herangezogen wird. Das ist zwar schmerzhaft, ({0}) aber ich weiß, wofür wir das tun. Mit den Kürzungen - das sage ich ausdrücklich - werden wir die finanziellen Spielräume schaffen, damit in den kommenden Jahren wieder mehr Mittel für Bildung und Forschung eingesetzt werden können. Wir müssen - das ist der entscheidende Punkt - unsere sozialen Sicherungssysteme sichern. Alle Haushalte - auch meiner - werden herangezogen. Das ist zwar schmerzlich, aber wir tun das, damit wieder mehr Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung steht. ({1}) Liebe Frau Pieper, es ärgert mich, wenn Sie fordern, mehr Geld für Bildung und Forschung bereitzustellen. Auch wir wollen das und werden das auch wieder tun. Wenn Sie aber gleichzeitig die Kürzung der Eigenheimzulage ablehnen, dann ist das nicht glaubwürdig. ({2}) Wer auch in finanziell schwierigen Phasen die notwendigen Mittel für Bildung und Forschung aufbringen will, ({3}) muss bereit sein, an anderen Stellen Subventionen abzubauen. Was ich von Ihnen erwarte, ist, dass Sie nicht auf der einen Seite mehr Geld für Bildung und Forschung fordern - darin, dass dies notwendig ist, stimmen wir mit Ihnen überein -, während Sie auf der anderen Seite nicht bereit sind, die schmerzhaften Einschnitte bei den Subventionen vorzunehmen, die für die Stärkung der finanziellen Ressourcen notwendig sind. Ich erwarte von Ihnen nicht mehr und nicht weniger, als dass Sie die von uns im Bundestag beschlossenen Vorschläge im Bundesrat mittragen, damit wieder mehr Mittel für Forschung und Bildung aufgebracht werden können. ({4}) Ich komme zum zweiten Punkt. Sie haben die neuen Bundesländer angesprochen, Frau Pieper. Diese Bundesregierung hat die Förderung der Forschung in den neuen Bundesländern zu einem wichtigen Schwerpunkt ihrer Politik gemacht. ({5}) Wir haben allein dafür die Mittel von 1,2 Milliarden auf 1,5 Milliarden Euro erhöht. Des Weiteren haben wir es mit dem Inno-Regio-Programm erreicht, Forschung und Wirtschaft zusammenzubringen und damit nicht nur in Dresden, sondern auch in vielen anderen Regionen der neuen Bundesländer Wirtschaftswachstum in Gang zu setzen und neue Unternehmen und Arbeitsplätze zu schaffen. Zum Beispiel haben wir mit dem Inno-Regio-Programm in einem wirtschaftlich so schwierigen Land wie Sachsen-Anhalt mehrere Tausend Arbeitsplätze geschaffen, und zwar in einer relativ kurzen Zeit von knapp fünf Jahren. ({6}) Wir werden diesen Kurs, aufbauend auf hervorragendem Forschungspotenzial, in Zusammenarbeit mit kleinen und großen Unternehmen, aber vor allen Dingen durch Neugründungen Arbeitsplätze zu schaffen und die Forschung in den neuen Bundesländern zu stärken, fortsetzen. Ich komme zum letzten Punkt. Es kann nicht sein, dass einerseits die Landesregierungen auch weiterhin für ihre Forschungseinrichtungen zuständig sein wollen - das gilt für die Forschungs-AGs; für diese Forschungseinrichtungen ist der Bund nicht zuständig; wir haben aber die Forschungs-AGs durch Projektförderung unterstützt -, dass sie aber andererseits nicht entscheiden, wie es weitergehen soll. Das ist notwendig; erst dann können wir vonseiten der Bundesregierung mit den Bundesländern darüber verhandeln, wie diese Vorschläge umgesetzt werden können. Solange die Länder nicht wissen, wie sie mit den Forschungs-AGs verfahren wollen, kann ich nicht handeln. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion, das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bulmahn, für die FDP ist ganz klar: Unser Schwerpunkt in dem vorliegenden Haushalt sind Bildung und Forschung. Wir haben das schon vorher deutlich gesagt. Wir sind bereit, entsprechende Haushaltsmittel einzustellen, und wir haben auch bewiesen, dass wir das tun wollen. Des Weiteren wollen wir insgesamt 20 Prozent der Subventionen abbauen; das wissen Sie. Aber wir wollen auch eine Steuerreform, die zu niedrigen Steuersätzen führt. Das gehört zusammen. Wir wollen die Menschen in diesem Land nicht einseitig belasten, sondern für einen entsprechenden wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. ({0}) Genau das tun Sie natürlich nicht. Frau Bulmahn, Sie erklären ständig, dass Sie einen Anteil von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgeben wollen. Inzwischen liegt dieser Anteil in der Privatwirtschaft bei gerade einmal 1,7 Prozent und beim Staat bei 0,8 Prozent. Das bedeutet in Zahlen - das sollte man den Menschen ruhig einmal sagen -: Sie müssten 4 Milliarden Euro mehr ausgeben, um das angestrebte Ziel von 3 Prozent zu erreichen. Wo ist denn dieses Geld, Frau Bulmahn? ({1}) Auch Herr Matschie - ich schätze ihn sehr und habe mit Interesse gelesen, dass er als Nachwuchshoffnung der SPD propagiert wird - hat zu Subventionskürzungen aufgerufen. Aber in der gleichen Pressemeldung sagt er, dass das Ministerium die Mittel für die Projektförderung - das ist besonders interessant - um 84 Millionen Euro kürzen werde. Dabei hat es schon einen Haushalt mit flächendeckenden Kürzungen um einen hohen Prozentsatz in diesem Bereich gegeben. Trotzdem erklären Sie, Frau Bulmahn, uns zehn Minuten lang, dass das alles nicht wahr sei. Was sollen wir denn eigentlich noch glauben? Wo sind denn hier der nach vorne gerichtete Ansatz der Regierung und vor allem das Plus für Bildung und Forschung? Wir können das nicht erkennen. ({2}) Ich möchte Ihnen einen ganz persönlichen Rat mit auf den Weg geben. In den vorangegangenen Tagen war zu lesen, dass von den 300 Millionen Euro für das von Ihnen so hoch gelobte Ganztagsschulprogramm gerade einmal 35 Millionen Euro abgerufen worden sind. ({3}) Ich komme aus einem Bundesland, in dem 1,5 Prozent der Grundschulkinder von diesem Programm profitieren könnten. Jetzt frage ich als Liberale: Wo bleibt die Gerechtigkeit? Was ist mit der Solidarität? Dieses Programm ist doch ein Flop größten Ausmaßes, Frau Bulmahn. Nehmen Sie endlich die Gelder für das Ganztagsschulprogramm, die von den Ländern offensichtlich nicht gewollt werden - rennen Sie doch nicht hinter den Ländern her; das bringt doch nichts -, und setzen Sie sie im Bereich von Bildung und Forschung ein, und zwar an den Stellen, wo wir sie brauchen! ({4}) Deutschland ist im Bereich von Forschung und Technologie zur Importnation geworden. Wir führen inzwischen mehr Wissen und Hightech ein, als wir exportieren. Dagegen hilft auch kein Hightechmasterplan, Frau Bulmahn. Aber es fehlt nicht nur Geld, was wir auch in unserem Antrag, den wir eingebracht haben, deutlich machen. Vielmehr ist auch eine Strukturreform der deutschen Forschungsförderung notwendig. Der Wissenschaftsrat hat Ihnen schon vor Monaten ins Stammbuch geschrieben, dass es an Koordination von Förderinitiativen, an Verfahren, Lücken aufzuspüren, an einer Prioritätensetzung, an variablen Begutachtungsverfahren und auch an spezifischen Förderinstrumenten für unkonventionelle Forschungsprojekte fehle. Wir finden es gut, dass der Bundesrat - das möchte ich ausdrücklich sagen - jetzt einen Vorschlag zur Besteuerung von Wagniskapitalgesellschaften gemacht hat; denn gerade junge, innovative Unternehmen brauchen Wagniskapital. Die bisherigen ungünstigen steuerlichen Rahmenbedingungen sind ein Hemmschuh für private Kapitalgesellschaften. Der Unionsantrag enthält eine Reihe von sinnvollen, aber leider auch sehr teuren Forderungen. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen von der Union sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie an den Haushaltsberatungen teilgenommen hätten. ({5}) Das wäre sehr hilfreich gewesen. Nun warten Sie mit einer Reihe von Forderungen auf, die Sie aber nicht entsprechend hinterlegt haben, Herr Kretschmer. Es wäre besser gewesen, Sie hätten sich wie wir konstruktiv eingebracht. Dann gäbe es jetzt entsprechende Vorlagen, über die wir beraten könnten. Die FDP hat dies getan. ({6}) Unsere Etatforderungen begleiten wir heute mit unseren entsprechenden strukturellen Forderungen. Wir unterstützen die Forderung des Wissenschaftsrates nach einem Forum für Forschungsförderung. Dann könnten endlich Dopplungen und Lücken vermieden werden. Wir wollen dem Vorschlag folgen, einen europäischen Forschungsrat einzurichten. In einen solchen Forschungsrat gehören übrigens - das sagen wir an dieser Stelle sehr ausdrücklich - Wissenschaftler und nicht Politiker. Außerdem wollen wir eine ressortübergreifende Schwerpunktsetzung. Ich sage ebenfalls ganz klar: Wir stehen in Konkurrenz zu Ländern wie den USA. Dort gibt es in allen Bereichen riesige Programme. Dort ist klar erkennbar: Dieses Land führt eine gewaltige Nanoinitiative und eine gewaltige Life-Science-Initiative durch. Bei uns „tröpfeln“ entsprechende Ansätze durch die verschiedenen Haushalte. ({7}) Wer sich zum Beispiel die Energieforschung anschaut, der stellt fest: Diese Ansätze „tröpfeln“ sogar durch Haushalte von Ministerien, die sich bekämpfen. Was die Energieforschung angeht, sind mittlerweile sowohl Frau Künast als auch Herr Trittin als auch Herr Clement als auch Sie, Frau Bulmahn, am Hebel. Offensichtlich sind Sie die Schwächste in dem ganzen Konzert. Das ist nicht produktiv. Überlegen Sie einmal, mit welchen Größenordnungen wir es zu tun haben! Allein der Aufwuchs der Mittel für die Biowissenschaften eines Jahres in den USA entspricht dem Gesamtansatz der deutschen Wissenschaftsorganisationen Max-Planck-Gesellschaft und Deutsche Forschungsgemeinschaft. Ich wiederhole: Das Plus dieser Mittel in den USA entspricht dem Gesamtansatz dieser deutschen Wissenschaftsorganisationen. Machen Sie sich das einmal bewusst! Frau Bulmahn, insofern brauchen wir uns nicht der Illusion hinzugeben, dass Sie auf einem positiven Weg sind. Ich will Ihnen an dieser Stelle aber sagen: Ich wäre wirklich froh, wenn Sie es wären. Wir von der FDP unterstützen Ihre Strukturreformen und Ihre Forderung nach mehr Geld. Da ich gerade Frau Zypries sehe: Wir freuen uns über Ihren innovativen Impuls. ({8}) Wir erwarten von der Regierung aber, dass sie diesen Impuls auch umsetzt. Hüpfen müssen Sie selbst, liebe Frau Bulmahn! ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Kretschmer. Die Betonung liegt auf „kurz“, da Sie schon ausführlich geredet haben.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident, für diese freundliche Ermahnung. - Frau Ausschussvorsitzende, ich möchte gern darauf eingehen, warum wir im Haushaltsausschuss keine Änderungsvorschläge gemacht haben: Zu diesem Haushalt kann man keine Änderungsvorschläge machen. ({0}) - Herr Kuhn, ganz ruhig. Ich war da. Wir alle waren da. Wir haben uns Ihr Zahlenwerk ganz genau angeschaut. Dieser Haushalt ist eine einzige Makulatur. ({1}) Wenn man alles zusammenrechnet, dann stellt man fest, dass die Neuverschuldung im kommenden Jahr bei 40 Milliarden Euro liegt, und zwar ohne das, was jetzt noch hinzukommt. Was sollen wir denn da diskutieren? In diesem Haushalt steht nichts von einem Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit und nichts von einem Zuschuss an die Rentenkasse. Wir sehen in diesem Jahr doch, was los ist. Warum soll man denn über so einen Haushalt diskutieren? ({2}) Ziehen Sie diesen Entwurf zurück und legen Sie einen neuen vor! Wenn Sie das getan haben, dann können wir Vorschläge für Forschung und Entwicklung machen! Der ganze Haushalt ist nichts als Makulatur und aus diesem Grunde beteiligen wir uns an dieser Show nicht. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Flach, Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kretschmer, Sie haben sich im Ausschuss nicht beteiligt. ({0}) - Na gut, seine Kollegen waren da. ({1}) Von jemanden, der seriös agiert, erwarte ich, dass er keine Vorschläge macht, deren Umsetzung an sehr vielen Stellen Aufwüchse nach sich zieht. Ich erwarte eine gewisse Seriosität in der Diskussion. ({2}) Im letzten Jahr sind wir, die FDP, kritisiert worden, unseriös zu sein. Wir haben uns dieses Mal bemüht, ordentlich vorzugehen. Auch einer Oppositionsfraktion wie der CDU/CSU hätte es gut zu Gesicht gestanden, das zu tun. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was Herr Kretschmer gerade gesagt hat, war ja lustig. Ich finde, dass wir das Thema Innovation in einem anderen Ton behandeln sollten. ({0}) - Ich habe das getan, weil Herr Kretschmer nicht im Ausschuss war, Herr Kollege. Wenn in Deutschland eine größere Zahl von Arbeitsplätzen entstehen soll, dann müssen wir uns im Parlament - das gilt auch für Sie - auf eine Strategie der Innovationen verständigen, was die Bildung und die Forschung angeht, was die Finanzierungsinstrumente angeht und auch was die technischen Leistungen angeht, für die wir die Menschen in unserem Land motivieren können. ({1}) Ich bin für diese Debatte erst einmal dankbar. ({2}) - Für Ihr Problem gibt es in Apotheken eine Lösung, nämlich Baldrian, Herr Kollege. ({3}) Dass ein Antrag des Bundesrats auf dem Tisch liegt, der bessere und berechenbare Rahmenbedingungen für Wagniskapitalgesellschaften verlangt, und dass wir da zu einer Einigung kommen werden, ist ein positiver erster Schritt. ({4}) Herr Professor Riesenhuber, Sie werden zugeben: Dass der Dachfonds jetzt eingerichtet ist, der mit privaten Beteiligungsgebern auf ein Volumen von immerhin 1,7 Milliarden Euro kommen wird, ist ein wichtiger Schritt für Wagnisfinanzierung und für innovative Firmen, vor allem in der zweiten Phase, in der es bei den Investitionen große ökonomische Probleme gibt. Gegenüber der letzten Debatte sollte man einfach einmal festhalten: Jetzt gibt es einen Fonds, aus dem innovative Firmen Mittel abrufen können. Das ist ein Fortschritt für den Innovationsstandort Bundesrepublik. ({5}) Opposition muss immer klagen, aber sie muss auch erkennen, was sich positiv verändert hat. Ich bin froh, Herr Riesenhuber, dass Sie nach mir sprechen werden, weil Sie ein Mensch des Konstruktiven und nicht des Wadenbeißens sind. ({6}) Wir müssen in der Tat mehr für die Bildungskette in Deutschland vom Kindergarten bis zur Hochschule, Forschung und Weiterbildung tun. Ich stimme Ihnen von der FDP zu, wenn Sie sagen: Da muss mehr geschehen; da darf nicht gekürzt werden. - Allerdings: Wenn Sie genau hinschauen, stellen Sie fest, dass der Bund gegenüber 1998, als Sie noch regiert haben, also in fünf Jahren, trotz der Kürzungen, die jetzt stattfinden, insgesamt 1 Milliarde Euro mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben hat. ({7}) Das einzuräumen gehört zur Redlichkeit dazu. Es ist etwas aufgewachsen. Wir von den Grünen sagen: Das ist zu wenig. Auch die SPD sagt: Es ist zu wenig. - Wenn die finanziellen Verhältnisse durch Abbau der Arbeitslosigkeit wieder besser werden, dann werden wir versuchen, das weiter aufzufüllen. ({8}) Da besteht Konsens in der Regierung; da freuen Sie sich, Frau Bulmahn. Aber es stimmt, dass in der ganzen Bildungskette mehr getan werden muss. Was Sie zu den Ganztagsschulen gesagt haben, ist übrigens nicht richtig. ({9}) In den einzelnen Ländern geschieht jetzt Folgendes: Das wächst systematisch auf. Der Widerstand der Länder geht zurück, weil vor Ort die Bevölkerung, vor allem die Eltern, Druck ausübt dahin gehend, dass man in einem konstruktiven Konzept den Einsatz dieser Mittel mit Landesmitteln verknüpft. ({10}) - Da sind Sie einfach nicht richtig informiert, liebe Kollegin. Wenn wir das Ziel „3 Prozent vom BIP für Forschung und Entwicklung“ erreichen wollen - das wollen Sie, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das wollen die Kollegen von den Schwarzen und das wollen wir -, dann gibt es eine entscheidende Anforderung - da müssen Sie sich bewegen -: Wir müssen uns gemeinsam energisch an den Abbau von Subventionen machen. ({11}) Sie fordern mehr für Forschung und Bildung, aber immer dann, wenn ein Subventionsabbauvorschlag auf den Tisch kommt, finden Sie eine Lobby, aus deren Sicht heraus Sie argumentieren können, dass gerade dieser Vorschlag nicht umgesetzt werden kann. ({12}) Schauen Sie sich doch an, wie das mit den Vorschlägen läuft! Herr Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, macht einen Teildeckungsvorschlag für das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform. Wo will er kürzen? - Er will - das müssen Sie sich jetzt leider anhören - bei den Weiterbildungsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit kürzen, weil er die Weiterbildung offensichtlich nicht für ein zentrales Instrument hält, das dazu beiträgt, in Deutschland zu mehr Innovationen zu kommen. ({13}) Solange Sie so etwas gutheißen, brauchen sie uns nicht zu erzählen, wir sollten mehr für Bildung tun. ({14}) Sie kürzen da, wo es Ihnen gefällt. Damit verlieren Sie entscheidend an Glaubwürdigkeit. Herr Hinsken, Sie als Handwerker wissen doch, wie wichtig es ist, dass man glaubwürdig bleibt. ({15}) Wenn man nicht glaubwürdig bleibt, kann man seine Produkte und seine Politik nicht mehr verkaufen. ({16}) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, auf den wir uns verständigen müssen. Systematischer, als es in einer Zahlendebatte geschieht, müssen wir einmal fragen, was eigentlich Innovationen blockiert. ({17}) - Jetzt einmal etwas ernster, Herr Kollege! Sie müssen in solchen Debatten mehr Ernsthaftigkeit aufbringen. Ich will zwei Punkte nennen. Sie können entscheiden, ob Sie die teilen. Erstens. Fehlender Wettbewerb ist schlecht für Innovationen. ({18}) Ich will ein Beispiel nennen. Ich glaube, dass der Gesundheitsmarkt, der Markt für Gesundheitstechnik und Gesundheitstechnologien, einer der größten innovativen Märkte der Zukunft überhaupt ist. ({19}) Das wird auch in der Forschungs-Community nicht bestritten. Wenn das so ist, dann dürfen wir nicht eine Gesundheitsreform machen, die sich nicht das Ziel setzt, echten Wettbewerb der Anbieter im Gesundheitssystem zu ermöglichen. Da müssen wir ran, wenn wir Innovationen wollen. Wir dürfen nicht die Kartelle schonen, wie dies in der Vergangenheit geschehen ist. Wettbewerb zwischen der pharmazeutischen Industrie, den Ärzten, den Krankenkassen und den Anbietern im Gesundheitssystem ist also gut für Innovationen. Demgegenüber sperren wir uns in einer Art großer Koalition, indem diese Frage gar nicht erst aufgeworfen wird. Der zweite Punkt betrifft die Subventionen. Es gibt einen ganz einfachen Satz: Wenn wirtschaftliche Strukturen subventioniert werden, kommt es zu Fehlsteuerungen. Wenn für Unternehmen der Subventionswettlauf einfacher ist als der Innovationswettlauf, dann entscheiden sie sich für den Subventionswettlauf. Das ist eine ganz einfache ökonomische Tatsache. Subventionen, die über einen langen Zeitraum gewährt werden, stellen ein Trägheitsmoment in einer innovativen Gesellschaft dar. Deshalb müssen Sie nicht nur aus finanzpolitischen Gründen, sondern auch, um ökonomische Fehlsteuerungen zu verhindern, dabei mithelfen, Subventionen abzubauen, und dürfen nicht als Sprachrohr der Lobbys der Subventionsempfänger hier im Bundestag auftreten. ({20}) Ich will noch einen weiteren Punkt nennen, der für mehr Innovation genauso wichtig ist. Wer die Geschichte von Innovationen in anderen Gesellschaften und anderen Zeiten studiert, der wird immer feststellen, dass ein vernünftiges Maß an Einwanderung, also dass Leute von außen mit höheren Qualifikationen hereinkommen, die Voraussetzung dafür war, dass Gesellschaften Innovationen hervorbringen konnten. Ihr Verhalten gegenüber dem Zuwanderungsgesetz kann man jedoch nicht anders als Blockade bezeichnen. ({21}) Schauen Sie sich einmal an, wie viele Leute in den wichtigsten US-amerikanischen Publikationslisten und wie viele Preisträger der wichtigsten Preise amerikanische Staatsbürger mit einem spanischsprachigen Einwanderungshintergrund sind. Das ist der innovativste Teil der Wissenschaftsszene in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das können Sie nicht einfach ignorieren. Sie müssen sich hier öffnen, weil sich ein Land, das seine Produkte überall in der Welt verkaufen will, im Wissenschaftsprozess nicht abschotten darf. Aber genau das ist ja leider Ihre Strategie. ({22}) Deswegen müssen wir zwar über Geld und Finanzierungsbedingungen - da ist Bewegung drin und in diesem Bereich haben wir Fortschritte erzielt -, aber genauso gut auch über den gesellschaftspolitischen Rahmen von Innovationen reden. Hier müssen Sie den Fuß von der Bremse nehmen. Dann können wir endlich eine Strategie verfolgen, die dazu beiträgt, dass in Deutschland innovative Produkte und Dienstleistungen hervorgebracht werden, die woanders nicht hergestellt bzw. erbracht werden. Damit können Arbeitsplätze geschaffen werden. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Sie, Herr Riesenhuber, sind der nächste Redner. Ich freue mich schon auf Ihre Rede. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Werter Kollege Riesenhuber, Ihnen ist schon das Wort erteilt worden. Sie sind nun auch wirklich an der Reihe. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Lieber Präsident Kuhn! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vieles von dem, was Sie, Herr Kuhn, sagen, hat ja durchaus seinen Reiz und ist intelligenter als das, was ich vonseiten der Regierung höre. ({0}) Bezüglich der Frage Subventionswettlauf könnte man einmal eine Debatte über die Windenergieförderung führen. ({1}) Bezüglich der Frage Subventionsabbau könnten wir einmal eine Debatte darüber führen, wer die anspruchsvollsten Vorschläge macht. ({2}) Es gibt kein energischeres Subventionsabbauprogramm als das, was Friedrich Merz vorgelegt hat. Das ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt. Vergeuden Sie nicht Ihre Mühen in irgendwelchen Detailfragen, sondern lassen Sie uns ein strategisches Gesamtkonzept erstellen, die Steuern senken und Freiräume schaffen, damit die Leute das Geld, das sie verdient haben, wirklich in ihre Arbeit stecken und etwas für die Zukunft tun können. Dann sind wir dabei. ({3}) Es wäre ja wirklich reizvoll, viele von den einzelnen genannten Punkten aufzunehmen. Beispielsweise wäre es faszinierend, hier über die Kürzungen in Höhe von 80 Millionen Euro zu sprechen. Frau Pieper und Frau Flach haben das angesprochen. 60 Millionen Euro sind an Kürzungen im Haushalt des BMWA vorgesehen und die Ausgaben für BTU, das Beteiligungsprogramm für kleinere Technologieunternehmen, sind erheblich unterveranschlagt. Ich bin einmal gespannt, was da alles noch herausradiert werden wird. ({4}) All dem stelle ich jetzt einmal die Diskussion über die Ganztagsschulen gegenüber. Natürlich sind solche Schulen eine wunderbare Sache. Aber der hochverehrte Herr Müntefering, der heute nicht leiblich unter uns weilen kann, sagt: In Forschung und Innovation liegt das Geheimnis des Wohlstandes. ({5}) Gut. Weiterhin sagt er: Viele in Partei und Regierung sind zu stark auf die Sicherung des Sozialstaates fixiert, aber nicht auf die Sicherung von Wohlstand. ({6}) Ja, Freunde, jetzt setzt mal Prioritäten! Wir sprechen über Milliardenbeträge für Ganztagsschulen. Dass die Länder zugreifen, wenn ihnen Geld - in welcher Form auch immer - angeboten wird, das entspricht der menschlichen Natur. ({7}) Dass das eine sinnvolle Allokation knapper Ressourcen in einer begrenzten Welt sei, kann aber doch kein vernünftig Denkender sagen. Herr Müntefering gibt uns die Leitlinie, wir sollten in den Wohlstand, in Innovationen investieren, nicht vor allem in den Sozialstaat. Folgen Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden mit seiner zukunftsweisenden Idee und vertrauen Sie darauf, dass er eingesehen hat, was richtig ist. ({8}) Die Situation des Haushalts ist ziemlich tragisch: Der Forschungsbereich beim BMBF sinkt um 1,8 Prozent, die Projektförderung gar um über 8 Prozent. Wenn die Projektförderung sinkt, heißt das, dass Programme abreißen. Einige Projekte müssen sogar zurückgerufen werden. Darunter leidet die Kontinuität. Das heißt, dass einige Programme nicht mehr funktionieren. Der Wirtschaftsminister sagt voller Stolz: In den vergangenen fünf Jahren ist unser Forschungsetat nominal um 5 Prozent gewachsen. - Das ist nicht unbedingt das, was uns versprochen worden ist: Der Weg zu Forschungsausgaben in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in jedem europäischen Land ist damit nicht unbedingt direkt beschritten. Das Geld ist das eine, die Frage der Prioritäten im Haushalt aber das andere. Verhält man sich populistisch oder setzt man auf die Zukunft, auf Innovationen, auf das, was unseren Wohlstand begründen wird? ({9}) Sicher ist das eine Frage des knappen Geldes, aber manchmal fehlen anscheinend auch ein wenig die Ideen. Herr Kuhn - mit Ihnen plaudere ich ja gerne -, Sie haben das Gesundheitswesen angesprochen. ({10}) - Das sage ich ja. - Das ist ein faszinierender Bereich. Wo stehen wir denn da? Helge Braun hat gerade einen Antrag eingebracht, mit dem er die klinische Forschung verbessern will. Für Gesundheitsforschung geben wir in Deutschland jährlich 3 bis 3,5 Milliarden Euro aus; das ist das, was die Länderhaushalte für die Universitätskliniken vorsehen. Hier ist Deutschland nicht erkennbar, hier ist eine strategische Linie nicht ersichtlich. Das Ministerium macht von seiner Führungs- und Gestaltungskraft keinen Gebrauch, hat keine einheitliche Strategie und lässt einen großen Teil der Mittel irgendwo, aber nicht in der Forschung versickern. Deswegen sind die Prägekraft, die Zielsetzung und die Leidenschaft für die Zukunft, die wir erreichen wollen, nicht mit hinreichender Klarheit zu erkennen. Nun ist der Hightechmasterplan diskutiert worden. Er geistert seit Februar hier herum und ist in wesentlichen Elementen vom „plan innovation“ der Franzosen abgeschrieben. Das ist eine wunderbare Sache: Früher haben die Franzosen unsere Projekte abgeschrieben, jetzt lernen wir von den Franzosen. ({11}) Die Zeiten ändern sich: Jede Regierung hat ihren eigenen Stil. ({12}) Was war hier vorgeschlagen? Da war vorgeschlagen, dass man innovative Betriebe begünstigt besteuert. Davon ist nicht mehr die Rede. Das war Punkt eins. Da war vorgeschlagen, dass eine Hightechbörse eingerichtet wird. Auch davon ist nicht mehr die Rede. Ich bin einmal gespannt, was von dem ganzen Masterplan übrig bleibt. Was ist mit der anderen großen Initiative? Noch im Sommer haben wir im Ausschuss, lieber Herr Kuhn, ein Dokument des Wirtschaftsministers vorgelegt bekommen, nach dem im Sommer ein Konzept für Innovation und Forschung im Mittelstand hätte vorgestellt werden sollen. Ich schaue auf die Homepage des Wirtschaftsministers - da ist nichts zu finden. Ich schaue bei Google nach - der Begriff kommt nicht vor. Dieses ganze Konzept ist plötzlich wieder in irgendeiner Ritze verschwunden. Aber ich bin voller Zuversicht, Herr Tauss, dass Sie jetzt auf Ihrem Parteitag in dieser Sache glanzvolle Lichter aufstellen und dieses Thema mit Kraft auch in den Bundestag sickert. Aber muss das so lange dauern? ({13}) Hier geht es um Deutschland. Wir müssen zu Entscheidungen kommen. Das ist doch das Problem, vor dem wir stehen. Ideen - strukturelle Ideen, thematische Ideen - sind in großem Reichtum vorhanden. Sie werden nur nicht aufgegriffen. Im Januar vergangenen Jahres haben wir besprochen, dass ein Programm zur Nanotechnologie wohl angezeigt sei. Ich höre, dass jetzt an einem solchen Programm gearbeitet wird. Prima! Es wird aber auch langsam Zeit. Dies alles dauert viel zu lange. Wir haben über Strukturen gesprochen. Herr Tauss, Sie haben auf dem Gebiet der Public Private Partnership gearbeitet. ({14}) In Bezug auf Innovationen ist dies eine glänzende Idee. Aber es darf nicht das passieren, was beim Transrapid und bei der Maut passiert ist. Man muss das auch können. Es ist nicht nur der gute Wille, der zählt. ({15}) Wir brauchen einerseits ein bisschen mehr Initiative und andererseits mehr Professionalität. Das würde dem Land nicht schaden. Es kommt nämlich nicht nur auf die segensreiche Bereitschaft an. Wir können die verschiedensten Bereiche durchgehen. Überall gibt es Fragen, die man angehen muss. Michael Kretschmer sprach über die Forschungsprämie. Das ist eine gute Sache. ({16}) Wir haben im Januar vergangenen Jahres diese Idee unterstützt. Der BDI hat sie im Oktober aufgegriffen. Aber es ist noch nichts passiert. Das Outsourcen von Forschung, eine der wirkungsvollsten Strategien für alle Beteiligten, ist schon gewachsen, muss aber noch beschleunigt werden. Wir können über die unterschiedlichsten Bereiche sprechen. Wir können zum Beispiel über die grüne Gentechnologie sprechen. Das Moratorium geht jetzt zu Ende, wenn nicht noch irgendwelche unvorhergesehenen Dinge passieren. Nun beginnt aber Frau Künast, gegen die Apfelbäume zu kämpfen. ({17}) Sie wird dabei vielleicht erfolgreich sein. Das erinnert mich an das, was ein gewisser Joschka Fischer als Umweltminister in Hessen im Rahmen eines ausstiegsorientierten Vollzugs über Jahre praktiziert hat, mit der Folge, dass die Insulinproduktion in unserem Land um acht oder neun Jahre verzögert wurde. So kann man Deutschland kaputtmachen. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Riesenhuber, Sie sind zwar gut in Fahrt. Dennoch muss ich Ihnen sagen, dass Ihre Redezeit überschritten ist.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist schmerzlich. ({0}) Ich bitte um Nachsicht; ich bin erst beim ersten Drittel meiner Rede. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Situation ist schwierig, aber es besteht Hoffnung. Wenn die Not am größten ist, ist der Kanzler am nächsten. ({1}) Er hat verkündet: Das nächste Jahr wird das Jahr der Wissenschaft, der Forschung, der Technik. Ich freue mich auf die entsprechende Regierungserklärung. Der Begriff „Wissensgesellschaft“ in einer Kanzlerrede wäre der Durchbruch in eine neue Dimension des deutschen Selbstverständnisses. ({2}) Wir hoffen zuversichtlich, dass wir dazu einige bescheidene Anregungen gegeben haben. Den Rest liefern wir nach. ({3}) Dass die Bundesregierung gut daran täte, unserem brüderlichen Rat zu folgen, davon können Sie ausgehen. Auf eine herzliche Zusammenarbeit zum Wohle Deutschlands, wofür auch Sie etwas tun können! ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute Morgen einmal mehr das Thema Innovation. Ich halte dies für richtig. Insofern bedauere ich es ein wenig, Herr Kollege Riesenhuber, dass Sie den an Sie gestellten hohen Erwartungen unseres Kollegen Kuhn nicht gerecht geworden sind. ({0}) Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass es weniger Polemik und dafür mehr substanzielle Beiträge von Ihrer Seite gegeben hätte. Den einen oder anderen Punkt, den Sie vorgetragen haben und den Sie unter Zugrundelegung der Komplexität insgesamt gesehen nicht falsch dargestellt haben, auf Gemeinsamkeit abzuklopfen wäre mir bei Ihnen sicherlich leichter gefallen als bei dem Kollegen Kretschmer. Herr Kollege Kretschmer, es ist einfach blöd, wenn man morgens beim Frühstück eine Rede schreibt. Dann kann man schon einmal Dinge verwechseln. Es ist ein großes Problem, wenn man wie Sie Statistiken zum Thema Wissen mit Statistiken zum Thema Waren verwechselt. Das erschwert die gemeinsame Diskussion. Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. Bei der gestrigen Debatte, bei der es um die Bund/ Länder-Bildungsplanung ging, haben Sie gezeigt, wie isoliert und wie weit Sie von der Mehrheit in diesem Hause entfernt sind. In die Mehrheit dieses Hauses, was die künftige Bildungs- und Forschungskoordination angeht, schließe ich die FDP mit ein. Sie haben bewiesen, wie stark Sie dem Provinzialismus verhaftet sind und wie weit Sie sich von den Forschungsbedürfnissen entfernt haben. ({1}) Über Forschung zu reden, aber gleichzeitig die Hochschulen provinzialisieren zu wollen, wie es Ihnen die Hochschulrektorenkonferenz ins Stammbuch geschrieben hat, ist kein Konzept. Deswegen würde ich an Ihrer Stelle nicht mit der Arroganz auftreten, die Sie an den Tag gelegt haben. ({2}) - Ich kann Ihnen ein paar Beispiele nennen, wenn Sie es wünschen. Ich lese mit Interesse in Ihrem Antrag, dass Sie die Fachhochschulen stärken wollen. Wir hatten gerade dieser Tage bei mir im Wahlkreis eine große Festveranstaltung. Da ging es um das fünfjährige Bestehen der Existenzinitiative KEIM. Wir versuchen, in den Universitäten und Hochschulen die Idee der Gründung von Unternehmen aus Universitäten und Hochschulen heraus zu verankern. Das war in der Vergangenheit ein Erfolgskonzept. Vom Vertreter der Landesregierung BadenWürttemberg - es war übrigens der Vertreter von Herrn Döring, liebe Frau Kollegin Flach - haben wir, nachdem sich der Rektor der Fachhochschule Karlsruhe bitter darüber beklagt hat, dass ihnen in Baden-Württemberg das finanzielle Grundwasser abgeschnitten werde, gehört, es sei richtig, Bildung und Forschung mit der Rasenmähermethode zu kürzen, weil man nur so zu mehr Effizienz komme. ({3}) Ich hätte die herzliche Bitte - Herr Riesenhuber, hier gäbe es vielleicht Berührungspunkte -, zu erkennen, dass wir alle miteinander als Bildungs- und Forschungspolitiker und -politikerinnen das Problem haben - Sie in den Ländern, in denen Sie regieren; zugegebenermaßen auch wir in den Ländern, in denen wir regieren, und auf Bundesebene -, den Finanzbeamten klar zu machen, dass Innovationen, Forschung und Investitionen in die Zukunft etwas mit Zukunftssicherung zu tun haben ({4}) und dass das keine Investitionen in negativem Sinne sind, die überhaupt nicht in der Statistik erscheinen, sondern in der Tat Zukunftsinvestitionen. Das sollten wir gemeinsam angehen. ({5}) Sie sagen, Sie seien auf diesem Gebiet erfolgreich. Ich verweise auf die Länder. Ich kann nur feststellen: Die Lage dort ist nicht sehr schön. Hätten sich die Niedersachsen erträumt, dass nach dem Wahlsieg als Erstes bei den Fachhochschulen Kahlschläge erfolgen? Hätten sich die Bayern erträumt, dass als Erstes der Forschungsbereich Kahlschläge erlebt? ({6}) Wer im Glashaus sitzt und so wie Sie vorgeht, sollte hier anders auftreten. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. ({7}) Sie haben völlig Recht - ich glaube, da sind wir uns einig -: Innovationen, Forschung und Wissenschaft sind die Zukunftsfelder unseres Landes. Wir leben heute im Export im Wesentlichen davon - Herr Kretschmer, da gebe ich Ihnen sogar Recht; wo Sie Recht haben, haben Sie Recht ({8}) - nein, Sie brauchen keine Angst zu bekommen; es ist richtig -, dass wir vor 100 Jahren Erfinder hatten - ich erinnere an Namen wie Benz, Siemens und andere -, von deren Arbeit wir noch heute leben. Dies betrifft Exporte im Maschinenbau und im Fahrzeugbau. Im Bereich der Elektrotechnik verdienen wir heute unser Geld mit Produkten, die zum Teil erst in den letzten fünf Jahren entstanden sind. Das heißt, wir brauchen einen kontinuierlichen Prozess an Innovationen. ({9}) Bei dieser Gelegenheit füge ich allerdings hinzu: Wenn Sie fordern, im geisteswissenschaftlichen Bereich die Mittel, was Innovationen angeht, zu kürzen, haben Sie den Innovationsbegriff nicht richtig verstanden. ({10}) Es geht vielmehr darum, Innovationen in allen Bereichen, in den technischen und in den gesellschaftlichen, zu entwickeln. Dies zu vermitteln wäre unsere Aufgabe, Herr Riesenhuber. Ich bedauere, dass Sie diese Chance heute vertan haben. Da war unser Gespräch, das wir neulich miteinander geführt haben, wesentlich freundschaftlicher. Kuhn hat doch Recht, wenn er, was die derzeitige Situation betrifft, sagt, dass die besten Köpfe im Moment nicht nach Deutschland kommen, weil Sie ein provinzielles Ausländerrecht auf den Weg bringen wollen - wenn es überhaupt dazu kommt. Das alles haben wir doch in der Anhörung dieser Woche gehört. Sie verhindern, dass Fachkräfte zu uns kommen. Noch viel schlimmer: Sie schüren an den Stammtischen - im bayerischen Landtagswahlkampf war es deutlich zu erkennen - die Angst der Menschen davor, international stärker zu kooperieren und um die besten Köpfe zu werben. Das ist Ihre Schuld, die Sie in diesem Falle auf sich laden. ({11}) Im Übrigen sage ich ganz deutlich: Ich halte nichts davon, Herr Riesenhuber - da gewinnt keiner von uns -, wenn man, und sei es als Gag hier im Saale, Bildungsinvestitionen in Ganztagesschulen gegen Forschung und Wissenschaft ausspielt. ({12}) Wir brauchen Investitionen in beide Bereiche! In meinem Wahlkreis - Sie werden es nicht anders erleben gibt es im Moment einen Wettlauf um Mittel für Ganztagesschulen. Alle sagen, wir bräuchten mehr davon - und nicht deswegen, weil es schön ist, Geld auszugeben, sondern deswegen, weil der Bedarf für mehr Ganztagsbetreuung und mehr Betreuung der Kinder insgesamt hoch ist. ({13}) Dies ist eine gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns gemeinsam zu stellen haben. Von daher ist es bedauerlich, dass in diesem Lande mehr über Probleme beim Zahnersatz - natürlich gibt es auch die - als über die Frage, wie viel Geld wir in Wissenschaft und Forschung stecken, diskutiert wird. Der Ansatz der Agenda 2010 ist richtig: Wir müssen, um die Sozialversicherungssysteme stabil zu halten, sparen. Wir müssen sparen und können Rentenerhöhungen nicht auf Pump durchsetzen, denn wir brauchen die Mittel, um auch zukünftig in Forschung und Wissenschaft investieren zu können. Wir müssen den Rentnerinnen und Rentnern erklären, dass sie im Grunde genommen einen Beitrag dafür leisten, dass es ihren Enkeln nicht in die Schulen hineinregnet. Diese Zusammenhänge müssen wir noch deutlicher erklären. Wenn wir es nicht schaffen, in diesen Bereichen voranzukommen, werden wir in zehn Jahren über ganz andere Entwicklungen in unserem Sozialstaat diskutieren, weil dann die Grundlagen für Wachstum nicht mehr vorhanden sind. Wir sind mit der Agenda auf dem richtigen Weg. Es ist richtig, die Investitionen hier vorzunehmen. Ich habe eine abschließende Bitte, Frau Flach, Herr Kretschmer, Herr Riesenhuber und andere: Heute Morgen haben Sie Ihre Vorstellungen zur Finanzierung der Steuerreform, zu der ich stehe, publizieren lassen. Sie sagen, wir müssen die Steuerreform im Wesentlichen durch Einsparungen finanzieren. Ich denke, Sie sollten die Ehrlichkeit aufbringen, dann auch zu sagen, dass die freien Mittel, bei denen gespart werden könnte, genau in dem Bereich stecken, über den wir heute diskutieren, ({14}) nämlich im Bereich Wissenschaftsförderung. ({15}) - Selbstverständlich. Schauen Sie sich doch einmal die Leistungsgesetze an, dann sehen Sie, welchen Spielraum wir haben. Da haben wir im BMBF doch nur die Projektförderung. Diese Ehrlichkeit sollten Sie an den Tag legen. ({16}) Es ist verkehrt zu sagen, wir wollen in diesen Bereichen einsparen. Sagen Sie, wo Sie sparen wollen. Alle Einsparvorschläge bis hin zu den Vorschlägen von Koch und Steinbrück zielten auf andere Bereiche. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie hier nicht ehrlich genug sind. Danke schön. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg Fahrenschon.

Georg Fahrenschon (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, zur Tagesordnung und zu den vorliegenden Anträgen zurückzukommen. Einer Ihrer Nebensätze, Herr Kuhn, macht mir das leicht, weil ich hoffe, dass wir wieder einmal einen Punkt finden werden, an dem wir gemeinsam in Deutschland etwas zum Guten wenden können. Die verbundene Debatte stellt neben der Diskussion um den Innovationsstandort eine Bundesratsinitiative, die Bayern angestoßen hat, zur Wagniskapitalbesteuerung in den Mittelpunkt. Wagniskapitalgesellschaften sind mittlerweile ein immer wichtiger werdendes Instrument der außerbörslichen Unternehmensfinanzierung. Man muss wissen, dass es dabei nicht nur um junge Unternehmen, also um Start-ups, geht, sondern auch um etablierte Unternehmen, die expandieren wollen und dafür Geld brauchen. Die Wagniskapitalgesellschaften sind ein zentraler Mittler zwischen den Kapitalanlegern einerseits und den zu finanzierenden Unternehmen andererseits. In den Jahren 1998 bis 2000 war es ein hoch interessanter Markt, der eine wichtige Funktion übernommen hatte. Im Jahr 2000 gab es einen Einbruch und danach war im Grunde auf weiter Fläche nichts mehr zu sehen. Das hat unterschiedliche Gründe. ({0}) Es hat konjunkturelle Gründe, aber auch die politische Unsicherheit spielt eine Rolle. Die bestehende Verunsicherung hinsichtlich der Besteuerung der Wagniskapitalgesellschaften ist ebenfalls ein Grund. ({1}) - Nein, es ist nicht platt, Herr Tauss. Das ist ein wesentlicher Punkt; ich will es Ihnen erklären, zumindest will ich es versuchen. ({2}) Wenn wir in Deutschland im Wettbewerb mit internationalen Kapitalgebern stehen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Höhe der Besteuerung dieser Kapitalgeber im Wettbewerb mit entscheidend ist. ({3}) Der Status quo ist, dass es in Deutschland keine abgestimmte Regelung für ausländische und für inländische Wagniskapitalfonds gibt. Wir haben keine Regelung. Im Vergleich zu Frankreich, wo es eine klare Bevorteilung gibt, ist das ein schlechter Status quo. ({4}) Deshalb müssen wir uns damit auseinander setzen, Herr Tauss. Wir sind alle froh - ich knüpfe an Herrn Kuhn an -, dass der Bundesrat den Antrag Bayerns mit Mehrheit beschlossen hat. Wenn Sie sich detailliert damit auseinander setzen, werden Sie folgende Lage erkennen: Die bisherigen Pläne des BMF sehen vor, die Besteuerung durch eine Verwaltungsanweisung zu regeln. ({5}) Im Mittelpunkt stehen die Gewerblichkeit von Wagniskapitalfonds und das Problem der Besteuerung der so genannten Carried interests. Was ist ein Carried interest? Dabei geht es um die Frage, wie der Gewinn, den der Investor aus dem Fonds herausnimmt, behandelt wird. Wird er genauso behandelt wie sein Anteil am Kapital oder wird er aufgrund des höheren persönlichen Einsatzes, des Managements, besser, also bevorteilt besteuert? Solange wir denjenigen, der Risikokapital in die Hand nimmt, um junge und expandierende Unternehmen zu unterstützen, gleich oder möglicherweise schlechter besteuern als die anderen Beteiligten, wird er nicht nach Deutschland kommen. Das ist der wesentliche Punkt. ({6}) Es ist möglich, eine Regelung zu finden. Daran müssen wir arbeiten. Es wundert uns, dass die Bundesregierung bislang noch keinen Vorschlag unterbreitet hat und dass der Bundesrat hat aktiv werden müssen. ({7}) Der Vorschlag des Finanzministeriums verwundert uns noch viel mehr. ({8}) - Doch, den gibt es, er liegt vor; machen Sie sich schlau, bevor Sie etwas dazwischenrufen. Der momentane Entwurf sieht vor, dass dann, wenn es sich bei dem Initiator um einen privaten Anleger handelt, laufende Gewinnanteile Einkünfte aus Kapitalvermögen sind, die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Anteile am Veräußerungsgewinn sind dementsprechend steuerfrei. Der Carried interest, also der erhöhte Gewinnanteil desjenigen, der über die normale Beteiligung hinaus investiert, soll im Gegensatz dazu als erhöhter Gewinnanteil voll versteuert werden, weil er als Entgelt für die entsprechende Tätigkeit angesehen wird. Das ist eine Benachteiligung. Auch dann, wenn Initiator eine Kapitalgesellschaft ist, sollen die laufenden Gewinnanteile als Dividenden, als Anteil am Veräußerungsgewinn angesehen werden und demnach steuerfrei sein, wenn sie dem Kapitalanteil entsprechen. Wenn sie dem Kapitalanteil nicht entsprechen, was unser Ziel ist, wird der Carried interest als Entgelt angesehen und ist damit voll steuerpflichtig. Der Steuersatz liegt bei uns momentan bei 25 Prozent. Hinzu kommt - Stichwort Doppelbesteuerung -, da Kapitalgesellschaften der Körperschaft- und der Gewerbesteuer unterliegen, hier die Gewerbesteuer noch obendrauf. ({9}) Nein, es erfolgt hier eine Doppelbesteuerung, die nach dem aktuellen Status quo nicht abzugsfähig ist. ({10}) Deshalb ist das Ziel der bayerischen Bundesratsinitiative vernünftig und wird von der CDU/CSU-Fraktion unterstützt, nämlich die Eröffnung des Halbeinkünfteverfahrens für die Kapitalbeteiligungen am Fonds. Im Gegensatz zu den Vorschlägen des BMF werden dadurch laufende Gewinnanteile und Veräußerungserlöse einheitlich behandelt. Damit können wir den Carried interest, also den Gewinnanteil desjenigen, der den Fonds initiiert und ihn auch stützt und trägt, genauso behandeln wie den aller anderen Kommanditisten, weil es sich dann um die gleiche Einkunftsart handelt. Das ist der wesentliche Punkt des neuen § 2 c des Einkommensteuergesetzes, den wir vorschlagen. Wir hoffen auf eine interessante inhaltliche Debatte im Ausschuss und auf einen positiven Abschluss hier im Bundestag. Denn, Herr Tauss, das sage ich klipp und klar: Im globalen Wettbewerb um Investoren wird es uns so lange nicht gelingen, diese nach Deutschland zu holen, wie der Standort Deutschland für einen Investor nicht berechenbar ist, wie die Finanzverwaltung machen kann, was sie will, und der Gesetzgeber, also diese Koalition, das Thema aussitzt. Das wollen wir ändern. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS. Ich möchte in meinem Beitrag nur auf die Bund-Länder-Finanzierung von Forschungseinrichtungen am Beispiel der Max-Planck-Gesellschaft eingehen. Die Institute der Max-Planck-Gesellschaft werden bekanntermaßen je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert. ({0}) Das ist ein offensichtliches Problem für arme Länder, die ihren 50-prozentigen Anteil kaum noch aufbringen können und denen das Geld schon jetzt für notwendige Ersatzinvestitionen fehlt. Natürlich ist da die Versuchung groß, dem Ruf aus München oder Stuttgart zu folgen und sich in den reichen Ländern anzusiedeln, dort, wo es schon eine breit gefächerte und funktionsfähige Wissenschaftsinfrastruktur gibt. Doch das kann nicht die Lösung für das ganze Land sein. Gerade im Osten brauchen wir überproportional viel Wissenschaft und Forschung und wir brauchen dringend Spitzenforschung. ({1}) Ich will das begründen, und dass vorhin ausgerechnet von der CDU ein Zwischenruf kam, passt besonders gut: Erstens. Von der Abwicklung von Wissenschaft und Forschung nach der Wende, die Herr Schäuble mit seinem Einigungsvertrag mit zu verantworten hat, hat sich die Industrieforschung und haben sich die Universitäten sowie die außeruniversitäre Forschung nicht erholt. Zweitens. Alle müssen nun erkannt haben, dass mit Lausitz-Ring und Vergnügungsparks der Osten nicht zu retten ist. Nur langfristig wirkende Investitionen wie zum Beispiel die Ansiedlung von Max-Planck-Instituten bringen den Osten wieder auf die Beine. ({2}) Drittens. Wenn wir die Jugend im Osten halten wollen, dann müssen wir Wissenschaft und Forschung im Osten ansiedeln, um kreativem wissenschaftlichem Nachwuchs auch eine Zukunft zu geben. ({3}) Es ist nicht akzeptabel, dass von den 1,6 Milliarden Euro, die die Bundesregierung in den nächsten zehn Jahren für Großforschungsgeräte ausgeben will, nur 12,25 Millionen Euro in die neuen Länder fließen. Das sind weniger als 0,8 Prozent! Auch wenn wir uns die Verteilung der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der DFG, anschauen, müssen wir feststellen, dass der Osten dabei nicht gut wegkommt. Wir als PDS sehen die dringende Notwendigkeit, die Forschungsinfrastruktur im Osten auszubauen. Dabei brauchen wir mehr als nur Außenstellen von Großforschungseinrichtungen. Es wäre wichtig, die Bund-Länder-Finanzierung so zu ändern, dass es auch ärmeren Ländern möglich ist, Investitionen zu tätigen. Das ist keine utopische Forderung; denn bekanntlich hat sich der Bund bereit erklärt, die Finanzierung für die MaxPlanck-Gesellschaft zu 100 Prozent zu übernehmen. Das wäre meiner Meinung nach aber nicht die Lösung, denn der Einfluss auf die Grundlagenforschung sollte nicht ganz der Bundesregierung überlassen werden. Ich bin der Überzeugung, dass die verstärkte Ansiedlung von Wissenschaft und Forschung in Ostdeutschland das nachhaltigste Programm für den Osten wäre. Der Erfolg würde sich wahrscheinlich nicht bis zu den Wahlen 2006 einstellen; denn bekanntlich hält sich Wissenschaft nicht an Wahlperioden. Aber damit müssen alle Parteien leben. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter Grasedieck. ({0})

Dieter Grasedieck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie von der CDU/CSU fordern für alle Bereiche, für alle Budgets und auf allen Ebenen mehr Geld. Sie wollen die Eigenheimzulage erhalten - das ist eines Ihrer Anliegen -, wollen es aber nicht zulassen, dass Schulden aufgenommen werden. Im Gegenteil: Sie fordern wie selbstverständlich, die Steuern sollten auch noch gesenkt werden. Das alles passt einfach nicht zusammen. ({0}) Sie müssen sich entscheiden. Manchmal habe ich das Gefühl, Sie haben Angst vor Entscheidungen und wollen gar nicht wissen, was Sie eigentlich erreichen möchten. ({1}) Das will ich an einigen Beispielen festmachen: ({2}) Erstes Beispiel: das Rentensystem. Vor zwei Wochen haben Sie zum ersten Mal seit langer Zeit - das haben Sie im Übrigen selbst gesagt - einen Vorschlag hierzu gemacht. Damit haben Sie von Anfang an ein allgemeines Durcheinander erzeugt. Zum Beispiel sollte eine Kopfpauschale in Höhe von 260 Euro eingeführt werden; darüber wurde ausführlich diskutiert. ({3}) Herr Seehofer, die CSU und die CDA waren dagegen. Die Rentenproblematik wird nun wirklich lange genug diskutiert. Sie haben es aber noch immer nicht geschafft, ein Konzept vorzulegen. Dabei müssen wir so schnell wie möglich eine Entscheidung und damit eine Verbesserung herbeiführen. Bei der Steuerpolitik ist es ähnlich. Die nächste Stufe der Steuerreform soll vorgezogen werden. Das erwarten die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger. Hierüber müssen wir eine Entscheidung fällen. ({4}) Bereits vor Monaten haben wir deshalb einen Koalitionsentwurf vorgelegt. Drei Wochen vor der endgültigen Entscheidung legt uns nun Herr Merz auf einmal ein neues Modell mit Steuerstufen von 12 Prozent, 24 Prozent und 36 Prozent vor. Vorgestern spricht sich Herr Glos für ein lineares Gegenmodell aus. ({5}) - Richtig, das ist absolutes Chaos. - Der saarländische Ministerpräsident Müller spricht sich dafür aus, ein Gespräch mit Gerhard Schröder zu führen. Vorher müsse er aber versuchen, den Vorschlag von Merz zu verbessern. Herr Stoiber spricht unter anderem von der Streichung von ABM-Stellen. Widersprüchlicher kann man die Politik nicht gestalten. ({6}) Aus taktischen Gründen haben Sie sich nicht entschieden und wollen sich auch nicht entscheiden. In der Bibel steht: Ich kenne Deine Werke. Du bist weder kalt noch heiß. Weil Du aber lau bist, will ich Dich aus meinem Munde ausspeien. Denken Sie daran! ({7}) Das taktische Lavieren wird der Bürger ganz sicher nicht honorieren. Sie wollen die steuerlichen Regelungen zum Beispiel für Business Angels verbessern. In Ihrer Fraktion fordern Sie zum einen eine Wesentlichkeitsgrenze von 10 Prozent. Innerhalb des Bundesrates unterstützen Sie aber den Vorschlag von Bayern, nach dem die Wesentlichkeitsgrenze 1 Prozent beträgt. Was wollen Sie eigentlich? Welche Punkte wollen Sie hier ansprechen? Die Koalition, die Grünen und die SPD, unterstützt den zweiten Antrag, der innerhalb dieser Diskussion gestellt wurde; Herr Fahrenschon hat das bereits angesprochen. Wir begrüßen es natürlich, dass Wagniskapital gefördert und unterstützt wird. Durch Venture Capital Fonds und Private Equity Fonds werden Unternehmen im Bereich der Biotechnologie und der Medizintechnologie gefördert, die neue Technologien und Überlegungen vorweisen. Das unterstützen wir natürlich, weil wir genau wissen, dass dies wichtige Fonds sind; denn erstens wird die Beschaffung von Eigenkapital über öffentliche Kapitalmärkte sinnvoll ergänzt und zweitens haben die mittelständischen Unternehmen häufig keinen Zugang zu einer Börse. Es ist wichtig, auch das zu bedenken. Deshalb brauchen wir mehr Transparenz bei der Besteuerung und deshalb ist es wichtig, dass wir hier eine Verbesserung einbauen. Dadurch würden wir den Mittelstand unterstützen, so wie wir von der Bundesregierung das schon seit Jahren tun. ({8}) Ich will nur daran erinnern, dass wir die kleinen und mittleren GmbHs mit unserem Steuerprogramm unterstützen. Durch unsere Steuerreform wurde hier eine wesentliche Verbesserung erreicht. Der Steuersatz ist von 45 Prozent auf 25 Prozent heruntergegangen. Dies stellt eine Unterstützung des Mittelstandes dar. So soll es auch bleiben. Deshalb unterstützen wir den Antrag des Landes Bayern und des Bundesrates. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1696, 15/1405 und 15/1932 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/1562 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({2}) - Drucksachen 15/1621, 15/1798 ({3}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4}) - Drucksachen 15/1928, 15/1945 - Berichterstattung: Abgeordnete Lydia Westrich b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/1929 Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Walter Schöler Antje Hermenau Dr. Günter Rexrodt Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir auch so. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach intensiven Beratungen einschließlich einer Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages liegt Ihnen heute der Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2003 zur zweiten und dritten Lesung vor. Dabei handelt es sich - ich will es auch zur Erläuterung für unsere Besucher auf der Tribüne sagen - um ein so genanntes Omnibusgesetz. Ein solches Gesetz muss man immer mal wieder erlassen. Weil es eine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, der der Gesetzgeber folgen muss, müssen Einzelentscheidungen gefällt werden. Diese fasst man in einem Gesetz zusammen. Ganz konsistent ist das Gesetz eigentlich nicht, die Dinge müssen aber erledigt werden. Ich darf Ihnen noch einmal kurz die drei großen Regelungsbereiche nennen: Erstens. Modernisierung und Vereinfachung der Besteuerungspraxis. Dies geht auf unsere eigene Initiative zurück und hat nichts mit höchstrichterlicher Rechtsprechung zu tun. Insbesondere durch die Einführung einer elektronischen Lohnsteuerbescheinigung soll dies geschehen. Damit werden wesentliche Voraussetzungen für ein grundlegend modernisiertes Lohnsteuer- und Einkommensteuerverfahren geschaffen. Die heutigen papiergebundenen Abläufe können weitgehend voll elektronisch abgewickelt werden. Wie bereits die Lohnsteueranmeldungen sollen künftig auch die Lohnsteuerbescheinigungen, also die Bescheinigungen darüber, was im Laufe eines Jahres verdient wurde und welche Lohnsteuer gezahlt wurde, von den Arbeitgebern an die Finanzverwaltung elektronisch übermittelt werden. Ab 2004 wird die Finanzverwaltung Daten der Lohnsteuerbescheinigungen online und natürlich verschlüsselt via Internet annehmen. Das ist eine erhebliche Erleichterung für die Arbeitgeber. Zweitens. Anpassung des Umsatzsteuergesetzes an die Europäische Rechnungsrichtlinie und damit die Harmonisierung der obligatorischen Angaben in der Rechnung für den Bereich des Umsatzsteuerrechts. Darüber hinaus wird die Umsatzsteuer in weiteren Bereichen an das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union und an höchstrichterliche Rechtsprechungen angepasst. Drittens. Anpassung des Investitionszulagengesetzes 1999 an beihilferechtliche Rahmenregelungen der Europäischen Gemeinschaften. Damit sollen die Voraussetzungen für eine Genehmigung der weiteren Förderung der Investitionen in den neuen Bundesländern im Jahr 2004 durch die Kommission und die Europäische Gemeinschaft geschaffen werden. Wir wollen die weitere Förderung und müssen dies ins europäische Recht einpassen, damit man uns auch in Zukunft genehmigt, die Investitionen in den neuen Bundesländern besonders zu fördern. Wie Sie wissen, müssen die Anpassungen an das europäische Recht aus EU-rechtlichen Gründen bis Ende dieses Jahres erfolgen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf hat in den parlamentarischen Beratungen zahlreiche Änderungen erfahren. Zum Teil handelt es sich auch hier um Reaktionen auf höchstrichterliche Entscheidungen. Das gilt zum Beispiel für die Aufhebung der Zweijahresfrist für die steuerliche Anerkennung der doppelten Haushaltsführung. Ich darf in dem Zusammenhang vielleicht noch sagen - mehr für die Öffentlichkeit als an uns selber gerichtet -: In einer Zeitung war zu lesen, wir würden das beschließen, damit wir Abgeordneten die doppelte Haushaltsführung unbegrenzt geltend machen können. Das ist in zweifacher Hinsicht unrichtig. Erstens hat uns das Bundesverfassungsgericht dies auferlegt. Es kostet uns zwar Steuereinnahmen, aber wir müssen das tun. Zweitens konnten die Abgeordneten noch nie so etwas wie eine doppelte Haushaltsführung geltend machen und können das auch in Zukunft nicht tun. Sie bekommen nämlich eine Pauschale für den ganzen Aufwand, den sie haben. Zum Beispiel können sie auch nicht einfach mit jemandem essen gehen und die Kosten anschließend von der Steuer absetzen. Bei Abgeordneten ist so etwas von vornherein ausgeschlossen. Diese Regelung ergeht also gerade nicht zugunsten von Abgeordneten, sondern zugunsten anderer Steuerzahler, die gleichsam an zwei Orten leben und arbeiten. Ein weiterer Punkt hat seine Veranlassung in höchstrichterlicher Rechtsprechung: Der Bundesfinanzhof, das höchste Finanzgericht der Bundesrepublik Deutschland, hatte zwei Entscheidungen getroffen - genau genommen handelt es sich also um zwei Unterpunkte -, die für die Eltern von behinderten Kindern sowie von Pflegekindern äußerst lästige Folgen gehabt hätten. Das alles wäre sehr unpraktisch gewesen, weil ein hoher Aufwand zum Erbringen von Einzelnachweisen erforderlich geworden wäre. In dieser Sache folgen wir dem Bundesfinanzhof gerade nicht. Das darf der Gesetzgeber; denn es war ja keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Wir ändern also angesichts dieses Urteils des Bundesfinanzhofes das Recht, damit der alte Rechtszustand - den wir wollen - wieder hergestellt wird. Das bedeutet, dass die Eltern von behinderten Kindern sowie von Pflegekindern nicht einen unnötig großen Aufwand bei Nachweisen treiben müssen, um Kindergeld zu bekommen. Weitere hervorzuhebende Regelungen betreffen Änderungen bei der Steuerfreiheit von Zuschlägen für die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit - Stichwort Borussia Dortmund; die hatten uns das eingebrockt - sowie eine Ermächtigung der Bundesregierung zur Umsetzung der so genannten EU-Zinsinformationsrichtlinie in nationales Recht. Der aufgrund von EU-Recht zwingende Wegfall der Umsatzsteuerbefreiung für die Auftragsforschung staatlicher Hochschulen wird durch eine Übergangsregelung abgemildert; außerdem wird sie von Ertragsteuern, also Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer, befreit. Die Regelungen zur Einführung eines bundeseinheitlichen Ordnungsmerkmals haben zum Ziel, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu verbessern, den Bürokratieabbau voranzutreiben, die Finanzverwaltung zu modernisieren und bürgerfreundlicher zu gestalten. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die überwiegende Anzahl der Änderungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs auf Anregungen des Bundesrates zurückgeht. Sie betreffen insbesondere das Lohnsteuerverfahren und die Umsatzsteuer. Es wurden aber - nach konstruktiven Beratungen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages - auch Anregungen der Opposition aufgegriffen. Insofern bin ich immer noch zuversichtlich, dass die Opposition heute doch ihr Herz über die Hürde werfen kann und zustimmt. ({0}) - Welcher Verstand, Kollege Dautzenberg? ({1}) Ich hoffe daher, dass dieser Gesetzentwurf heute im Deutschen Bundestag und am 28. November 2003 auch im Bundesrat Zustimmung findet. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Rzepka von der CDU/CSU. ({0})

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretärin Hendricks, Sie wissen, dass wir konstruktiv und mit Intensität im Finanzausschuss mit dem Ziel verhandelt haben, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Auch außerhalb des Finanzausschusses sind verschiedene Gespräche über die Sachfragen geführt worden. Sie können aber von uns nicht verlangen, dass wir in diesem Hause Regelungen zustimmen, die nach der Einschätzung aller Sachverständigen, die sich in der Anhörung geäußert haben, eben nicht zu Wachstum und zusätzlichen Arbeitsplätzen beitragen, sondern eine solche Entwicklung eher verhindern. ({0}) Unser Steuerrecht soll einfacher und damit gerechter werden. Dies wird auch in dem Gesetzentwurf, der uns heute zur Beratung vorliegt, als zentrales Ziel der Regierung und der Regierungsfraktionen beschrieben. ({1}) - Dann handeln Sie doch auch danach, Frau Kollegin. ({2}) Das grundlegende Ziel einer Steuervereinfachung scheint alle Fraktionen in diesem Hause zu einen, wie die Beschlüsse des Bundesvorstandes der CDU vom 3. November für eine radikale Vereinfachung und grundlegende Reform des deutschen Einkommensteuersystems sowie die Beschlüsse des Präsidiums der FDP vom 6. Oktober dieses Jahres für einfache, niedrigere und gerechte Steuern belegen. ({3}) Wie aber sieht die Wirklichkeit in der Steuerpolitik dieser Regierungskoalition aus? Mit dem Steueränderungsgesetz 2003 sollen 15 Gesetze - vom Einkommensteuergesetz bis zum Feuerschutzsteuergesetz - und acht Verordnungen - von der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung bis zur Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung - geändert werden. Der neue § 139 b der Abgabenordnung, der die Einführung einer Identifikationsnummer für jede steuerpflichtige natürliche Person vorsieht, umfasst allein 423 Wörter. Der neue § 139 c der Abgabenordnung, der die Wirtschaftidentifikationsnummer für wirtschaftlich Tätige einführen soll, kommt sogar auf 428 Wörter. 63 Seiten umfasst die vorliegende Beschlussfassung des Finanzausschusses zu diesem Gesetz. Die Regierungskoalition hat zu ihrem eigenen Gesetzentwurf über 40 Änderungsanträge eingebracht, einen Teil der Änderungsanträge im Verfahren noch einmal verändert, einen Änderungsantrag sogar zweimal. Die letzten Änderungsanträge der Regierungskoalition trafen erst am Abend vor der abschließenden Beratung im Finanzausschuss ein. Unter diesen Umständen von einem geordneten Gesetzgebungsverfahren zu reden, wie es die Regierungskoalition noch in den abschließenden Beratungen im Finanzausschuss getan hat, widerspricht jedenfalls meinen Vorstellungen von sorgfältiger Gesetzgebungsarbeit. ({4}) Ungeachtet dieser Unzulänglichkeiten des Entwurfs und des sich daran anschließenden Verfahrens hat die Unionsfraktion das Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleitet. Wir haben bereits bei der Einbringung deutlich gemacht, dass wir sinnvolle Regelungen natürlich mittragen werden. Die elektronische Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung an die Finanzämter - Frau Staatssekretärin Hendricks hat es angesprochen erleichtert die Besteuerungspraxis für Arbeitgeber und entlastet viele Arbeitnehmer auf dem Weg zu einem schnelleren Steuerbescheid und einer gegebenenfalls schnelleren Erstattung der Einkommensteuer. ({5}) Die Verlängerung der Förderung betrieblicher Investitionen in den neuen Bundesländern im Rahmen des Investitionszulagengesetzes findet ebenfalls unsere uneingeschränkte Zustimmung. Die Unionsfraktion hat sich mit eigenen Änderungsanträgen und Vorschlägen konstruktiv in die parlamentarische Beratung mit dem Ziel eines Kompromisses eingebracht, um - ich sagte es schon - bei diesem Gesetz die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu vermeiden. Wir haben uns dabei von dem Ziel leiten lassen, zusätzliche Bürokratie, höhere Steuerbelastungen und weitere Verunsicherungen für Bürger und Unternehmen zu vermeiden. Zahlreiche Verbesserungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs konnten so erreicht werden. So werden zum Beispiel die Anforderungen an die umsatzsteuerliche Rechnung vermindert. Statt der Angabe der Steuernummer des Steuerpflichtigen auf jeder Rechnung, die zu Missbräuchen führen kann, reicht nunmehr die Angabe der Umsatzsteueridentifikationsnummer aus. Bei Kleinbetragsrechnungen bis zu 100 Euro wird auf die Angabe der Steuernummer gänzlich verzichtet. Auch die Anforderung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Rechnung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist aus dem Entwurf der Koalition gestrichen worden. Wenigstens an diesen Stellen ist es der Union gelungen, im Einklang mit dem einheitlichen europäischen Rechtsrahmen Bürokratie und Risiken für die Unternehmen gegenüber den ursprünglichen Bestrebungen der Regierungskoalition zu vermindern. Wir begrüßen auch die im Verlauf der Beratungen erreichten familienpolitischen Verbesserungen für die Eltern behinderter Kinder und die Pflegeeltern. Dennoch wird die Unionsfraktion den Gesetzentwurf in der Schlussabstimmung ablehnen, weil die Regierungskoalition weiteren zentralen Anliegen der Union nicht Rechnung getragen hat. Es geht zum einen um den von uns geforderten Verzicht auf die Einführung von Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne. ({6}) Nach dem Entwurf sollen Kreditinstitute und andere Finanzdienstleistungsinstitute verpflichtet werden, für Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne Jahresbescheinigungen mit allen für die Besteuerung erheblichen Angaben auszustellen. Betroffen wären 400 Millionen Konten und Depots mit entsprechendem enormen technischen und kostenintensiven Aufwand. Frau Kollegin Scheel, Sie sprechen die Abgeltungsteuer an. Die Regierungskoalition hat doch vorgeschlagen und im Hinblick darauf schon erste gesetzgeberische Maßnahmen eingeleitet, die Abgeltungsteuer einzuführen und die Kapitalerträge pauschal an der Quelle zu erfassen, was doch gerade die Ausstellung der Jahresbescheinigung, die Sie in das Gesetz hineingeschrieben haben, zu einem großen Teil überflüssig machen würde. Zum anderen wollen Sie durch ein Amnestiegesetz Fluchtgelder nach Deutschland zurückholen. Die Jahresbescheinigungen, die Sie einführen wollen, werden jedoch das Vertrauen in die Steuerpolitik der Regierung, soweit es überhaupt noch vorhanden ist, sicher nicht stärken, mit dem Resultat, dass die erhofften Mehreinnahmen, die sich der Finanzminister schon ausgerechnet hat, nicht eintreten werden. In einem weiteren Punkt, der uns wesentlich erscheint, haben Sie sich als beratungsresistent erwiesen. Sie halten an dem Plan fest, die vom Bundesfinanzhof verworfene Verwaltungsregelung zum anschaffungsnahen Aufwand bei der Modernisierung von Gebäuden einer gesetzlichen Regelung zuzuführen, und wollen damit die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes wieder kassieren. Damit erschüttern Sie erneut das notwendige Vertrauen von Bürgern und Unternehmen in die Stetigkeit staatlichen Handelns. In der Anhörung haben die Experten zu diesem Thema detailliert Stellung genommen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks befürchtet, dass die entsprechenden Investitionen ausbleiben oder in die Schattenwirtschaft verlagert werden. Wenn Sie dies zu Ende denken, müsste Ihnen klar werden, dass sich der Niedergang der Bauwirtschaft fortsetzen wird, die Steuereinnahmen weiter zurückgehen und mehr Menschen arbeitslos sein werden. ({7}) Die Union fordert Sie deshalb auf, nach wie vor die Rechtsprechung des höchsten deutschen Steuergerichts zu diesem Thema zu akzeptieren und beizubehalten. ({8}) Schließlich fordern wir den Verzicht auf die Einführung einer Haftung des Abtretungsempfängers für die Umsatzsteuer bei der Abtretung von Forderungen. Die vorgeschlagene Regelung soll den Umsatzsteuerbetrug bekämpfen. Ich habe bereits kürzlich in diesem Hause klargestellt, dass die Union in Anbetracht der Größenordnung dieses Problems zu jeder Zusammenarbeit bereit ist, die mit richtigen Instrumenten zu einer konstruktiven Lösung des Problems des Umsatzsteuerbetruges führt. Denn wir alle wissen, dass das Ifo-Institut die Größenordnung der Steuereinnahmen, die jedes Jahr verloren gehen, auf inzwischen 14 Milliarden Euro schätzt. Das führt zu Verwerfungen in der Wirtschaft, bei denen die ehrlichen Unternehmen den Betrügern unterliegen. Der Schaden für die Volkswirtschaft und nicht nur für den Fiskus ist damit erheblich. Hätte der Finanzminister diese Einnahmen, wäre seine Not sicher etwas geringer als jetzt. ({9}) Die Union hat deshalb aber kein Verständnis dafür, dass die Lösung dieses Problems so lange aufgeschoben worden ist. Der Bundesrechnungshof hat jahrelang gedrängt. Auch die Ausschüsse dieses Hauses, insbesondere meine Kollegen im Haushaltsausschuss, haben immer wieder gefordert, diesem Problem intensivere Aufmerksamkeit zu widmen. Reagiert wurde mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, das aber in der Praxis bekanntlich nicht angewandt wird bzw. werden kann, ({10}) weil die Regelungen offensichtlich in der Praxis nicht handhabbar sind oder weil in der Finanzverwaltung das erforderliche Personal fehlt, um die bestehenden gesetzlichen Regelungen anzuwenden und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen. ({11}) Wir sind der Auffassung, dass zunächst einmal die bestehenden Regelungen konsequent angewandt werden müssen, statt mit immer neuen Vorschriften eine Aktivität vorzutäuschen, die das Problem letzten Endes nicht löst. Die geringe Eigenkapitalausstattung und die hohe Zahl der Insolvenzen gerade im Mittelstand verbieten Schnellschüsse, wodurch die Unternehmen bei der Verschaffung von Liquidität durch Forderungsabtretungen behindert werden könnten. Insofern ist zunächst einmal eine konsequente Verwaltungspraxis in der Finanzverwaltung notwendig, bevor wir die Gesetzgebung weiter bemühen. Abschließend stelle ich fest: Wir waren bereit, trotz erheblicher Bedenken hinsichtlich des Inhaltes des Gesetzes und des Verfahrens zu einem von allen getragenen Kompromiss zu kommen, auch deshalb, um für die betroffenen Bürger und Unternehmen möglichst frühzeitig Klarheit zu schaffen, damit sie sich auf die Neuregelung einstellen können. Leider haben Sie den wesentlichen Einwendungen, die wir erhoben haben und die in der durchgeführten Anhörung von den geladenen Experten in vollem Umfang bestätigt worden sind, nicht Rechnung getragen. Wir werden deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wir stehen mit unserer Kritik nicht allein. „Mehrheit hält rot-grüne Steuerpolitik für unseriös“ titelt heute „Die Welt“. Wirtschaft und Steuerberaterkammer bestärken nach dem Bericht des „Handelsblatts“ vom gestrigen Tag die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, den Vermittlungsausschuss gegen Ihre Steuergesetze anzurufen, damit „doch noch etwas Vernünftiges herauskommt“. Wir jedenfalls werden uns dieser Verantwortung auch in Zukunft stellen. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vereinfachung, Modernisierung und damit auch Entbürokratisierung sind die Ziele des Steueränderungsgesetzes. ({0}) Wir beschließen heute eine ganze Reihe konkreter und sinnvoller Vereinfachungen für die Steuerpflichtigen, aber auch für die Steuerverwaltung. Ich finde es bedauerlich, dass die Union dabei nicht mitzieht. ({1}) Herr Rzepka, weil Sie ausgeführt haben, dass das Verfahren problematisch gewesen sei und dass unsere letzten Änderungsanträge relativ kurzfristig im Finanzausschuss vorlagen, möchte ich Sie daran erinnern, dass wir den Gesetzentwurf in der vergangenen Woche gemeinsam beraten haben. Vergangene Woche sind von der Union noch einige Vorschläge vorgelegt worden. Der Bundesrat hat ebenfalls einige Änderungsvorschläge formuliert. Wir haben die Vorschläge - darunter auch einen großen Teil Ihrer Vorschläge - zeitnah aufgegriffen und die Beratung am Mittwoch ordnungsgemäß abgeschlossen. Zum einen war das völlig korrekt und zum anderen kann man, wenn man gemeinsame Ergebnisse erzielen will, nicht erwarten, dass die eigenen Vorschläge zu 100 Prozent übernommen werden, während 50 Prozent der Vorschläge der anderen Seite herausfliegen. Wenn man sich verständigen will, dann ist das auch möglich, aber dann man kann seine Vorschläge nicht zu 100 Prozent umsetzen, sondern muss auch einmal mit 90 Prozent zufrieden sein. ({2}) Wenn man weiß, wie solche Verfahren funktionieren, ist es ganz einfach. Wie wir wissen, beschäftigt sich demnächst der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf. Ich hoffe sehr darauf, dass die unionsregierten Länder im Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen, ({3}) weil auch sie wissen, dass dies zu Vereinfachung, Modernisierung und Entbürokratisierung führt. Auch die Länder verfolgen diese Ziele. Deswegen hoffe ich darauf, dass sich der Sachverstand im Bundesrat in der Entscheidung niederschlägt und dass der Gesetzentwurf nicht in das Vermittlungsverfahren gezogen wird, sodass alle Beteiligten noch mehr Zeit verlieren. ({4}) Viele Abläufe im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer, die heute noch auf dem Papier stattfinden, können in Zukunft von den Arbeitgebern und den Finanzverwaltungen elektronisch abgewickelt werden. Die Lohnsteuerkarte wird faktisch abgeschafft. Das ist ein riesiger Fortschritt für die Steuerpflichtigen, aber auch für den Fiskus. Ich halte auch die Einführung eines bundeseinheitlichen Ordnungsmerkmals für eine ganz hervorragende Vereinfachung; denn bis heute können Steuerdaten - das kommt einem ziemlich vorsintflutlich vor - nicht eindeutig einem bestimmten Steuerpflichtigen zugeordnet werden und nicht problemlos über Landesgrenzen hin und her transferiert werden. Das wird jetzt anders. So ist die Vergabe weiterer Steuernummern zum Beispiel für verschiedene Steuerarten oder in den Fällen, in denen ein Wechsel des Wohn- oder Betriebssitzes vorgenommen wird, in Zukunft nicht mehr notwendig. Das ist ein Riesenschritt in Richtung Vereinfachung. ({5}) Durch entsprechende Regelungen ersparen wir in Zukunft Pflegeeltern und Eltern behinderter Kinder den Einzelnachweis über Aufwendungen für die Betreuung, die Erziehung oder die Ausbildung ihres Pflegekindes bzw. über die Verwendung des für das behinderte Kind empfangenen Pflegegeldes. Ein solcher Nachweis von oft vielfältigen Einzelkosten stößt nicht nur auf praktische Schwierigkeiten. Er würde auch sonst keinen Sinn machen; denn er würde einen riesigen Verwaltungsaufwand sowohl aufseiten der Eltern als auch aufseiten der Finanzverwaltung auslösen. Unsere diesbezüglichen Regelungen halte ich deswegen für sehr gut. Herr Rzepka, Sie haben völlig Recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass der Schaden durch Umsatzsteuerbetrug in der Bundesrepublik Deutschland auch in diesem Jahr fast 18 Milliarden Euro beträgt. Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt, die auf dem Bericht des Bundesrechnungshofes aufbauen. Ein Vorschlag findet sich unter anderem in dem vorliegenden Gesetzentwurf wieder. Andere Vorschläge sind zum Beispiel in das Haushaltsbegleitgesetz eingeflossen. Deswegen bitte ich Sie: Gehen Sie mit uns entschlossen und vor allen Dingen wirksam gegen Umsatzsteuerbetrug vor! Sagen Sie nicht einfach, wir müssten noch einmal darüber reden, weil das von uns verabschiedete Gesetz nicht greifen würde. Es greift teilweise auch deswegen nicht, weil Sie damals, als wir über den entsprechenden Gesetzentwurf beraten haben, im Bundesrat bestimmte Dinge nicht akzeptiert haben. Das Gesetz, wie es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist und in Kraft getreten ist, ist dadurch regelrecht durchlöchert worden und konnte im Endeffekt nicht mehr greifen. Das ist die Wahrheit. Ich hoffe, dass der fiskalische Schaden, der durch betrügerische Geschäfte entsteht, durch die Vorschläge, die wir zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges vorgelegt haben, ein Stück weit eingedämmt wird. Unser Ziel sind Betrugsbekämpfung und Vereinfachung. Dazu stehen wir. Ich hoffe sehr, dass sich die unionsregierten Länder im Bundesrat unserem Ansinnen anschließen werden. Danke schön. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Pinkwart.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält mehrere Maßnahmen, die zur Verschärfung der Besteuerung führen und die die Rechte der Steuerzahler auf Wahrung des Datenschutzes und des Steuergeheimnisses einschränken. Aus diesen Gründen lehnen wir, die Freien Demokraten, den Gesetzentwurf ab. ({0}) - Vielleicht lesen Sie einmal nach, was der Bundesdatenschutzbeauftragte diesbezüglich festgestellt hat. Bei der Güterabwägung zwischen dem Recht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung und einer fairen Besteuerung auf der einen Seite sowie der Einnahmeerzielungsabsicht des Staates auf der anderen Seite entscheiden Sie sich mit dem vorliegenden Entwurf - das sollte insbesondere Bündnis 90/Die Grünen zu denken geben - einseitig für rein fiskalische Ziele. Ich möchte dies an drei Beispielen verdeutlichen, über die wir bereits gesprochen haben. Frau Westrich hat sich zwar sehr bemüht - das wollen wir auch anerkennen -, aber leider haben wir keine Lösung finden können. Erstes Beispiel. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass von Bürgern eingelegte Rechtsmittel durch gesetzliche Fiktion als zurückgewiesen angesehen werden. Wir halten dies - auch aus verfassungsrechtlicher Sicht - für mehr als bedenklich. ({1}) Dies gilt insbesondere, weil die Zurückweisungsfiktion auch Einsprüche und Änderungsanträge von Steuerzahlern erfassen soll, die erfolgreich sein müssen, weil die Entscheidung zugunsten der Bürger ausfallen würde. Zweites Beispiel. Nachdem der Bundesfinanzhof die Auffassung der Finanzverwaltung zum anschaffungsnahen Aufwand verworfen hat, soll diese für die Steuerpflichtigen positive Entscheidung nach Ihrem Entwurf künftig nicht mehr gelten. Diese Änderung lehnen wir ab, da sie von notwendigen baulichen Maßnahmen innerhalb der ersten drei Jahre nach Anschaffung eines Gebäudes abhält und gleichzeitig der Sicherung und Schaffung legaler Arbeitsplätze im Bausektor entgegenwirkt. ({2}) Drittes Beispiel. Ihr Entwurf sieht die Einführung einer Steueridentnummer vor, und zwar auch für Neugeborene und Kinder, obwohl sie überwiegend nicht steuerpflichtig sind. Hierbei hat der Bundesdatenschutzbeauftragte die Verhältnismäßigkeit der Mittel in Zweifel gezogen. Wir hoffen sehr, dass dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der weiteren Umsetzung mehr Rechnung getragen wird als in Ihrem Entwurf. ({3}) Abschließend will ich deutlich machen: Sie sprechen zwar in Ihrem Gesetzentwurf von Vereinfachung, bauen aber weitere Verkomplizierungen ins Steuerrecht ein. Dies gilt insbesondere für die Ausnahme von der Ausnahme bei Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Sie, aber auch Koch und Steinbrück haben bislang nicht die Kraft aufgebracht, bei diesem Thema nach der Rasenmähermethode vorzugehen und Steuervergünstigungen gleichmäßig abzubauen. Die Bemühungen gehen uns nicht weit genug. Der Entwurf sieht eine weitere Verkomplizierung des Steuerrechts vor, die sich ungerecht für den Steuer zahlenden Bürger auswirkt. Ich nenne dafür ein Beispiel: Es ist aus unserer Sicht nicht verständlich, dass bei einer angestellten Hebamme Zuschläge für Arbeiten, die sie an Sonn- und Feiertagen oder in der Nacht verrichtet, steuerbefreit sind und bei einer freiberuflich tätigen Hebamme nicht. ({4}) Hier muss der Steuerzahler gerechter behandelt werden. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Lydia Westrich.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vorhin über die Hightech-Zukunft unseres Landes sehr leidenschaftlich diskutiert. Dieses Gesetz - es trägt den prosaischen Namen Steueränderungsgesetz - ermöglicht den verstärkten Einsatz von Hightech in der Steuerverwaltung; es erleichtert die Einführung einer elektronischen Lohnsteuerkarte. Es ermöglicht den Arbeitgebern die Datenübertragung per Knopfdruck direkt an die Behörde. Es kommt der Vorstellung der Koalitionsfraktionen näher, dass Arbeitnehmer irgendwann in naher Zukunft ihre Steuererklärung quasi per Postkarte einreichen können. Dies ist ein erster Schritt in diese Richtung. Rot-Grün wird diese Vorstellung verwirklichen. ({0}) Hinzu kommt die Einführung einer bundeseinheitlichen Steuernummer. Herr Merz hat es ebenfalls gefordert; Herr Pinkwart hat dies abgelehnt. In den meisten Ländern ist solch eine einheitliche Steuernummer selbstverständlich. Nur in Deutschland zieht fast jeder Wohnungswechsel eine neue Steuernummer nach sich. Datenschutzrechtliche Bedenken konnten ausgeräumt werden. Herr Pinkwart, das müssen Sie ehrlicherweise zugeben. ({1}) Durch dieses einheitliche Ordnungsmerkmal wird wieder ein Hemmnis auf dem Weg zum Ausbau der elektronischen Datenübermittlung bei den Finanzverwaltungen abgebaut. ({2}) Neben der Modernisierung und Vereinfachung enthält dieses Gesetz auch wichtige Erleichterungen für die Steuerbürger. Zum Beispiel werden Eltern von Pflegekindern und von behinderten Kindern von lästigen Nachweisen befreit. Mir liegt gerade ein Fall vor, in dem die Kindergeldkasse von jemandem eine detaillierte Aufstellung der Kosten gefordert hat. Das ist ein unmöglicher Zustand. Diese Eltern haben es schon schwer genug. Deswegen bin ich froh über diese Regelung. ({3}) Die Regelungen zur doppelten Haushaltsführung gelten für mobile Arbeitnehmer über die Grenze von zwei Jahren hinaus. Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen. Wir sind dem selbstverständlich nachgekommen. Wir schaffen für die Bankkunden - das machen wir gerne - einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf eine jährliche Bescheinigung über die Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne. So können sie in Zukunft ihre Steuererklärung ganz problemlos abgeben. Eigentlich ist das ein ganz selbstverständliches Recht der Bankkunden. Viele Kreditinstitute praktizieren das mittlerweile als Serviceleistung. Von daher weiß ich nicht, woher ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand kommen soll. Für die weniger kundenfreundlichen Banken wird es eigentlich höchste Zeit, diesen Service ebenfalls zu erbringen. ({4}) Auch wenn die Abgeltungsteuer eingeführt wird, behalten die jährlichen Erträgnisbescheinigungen ihre Berechtigung, da es bei uns noch viele Steuerzahler gibt, die einen Steuersatz von unter 25 Prozent haben und mit dieser Bescheinigung dann problemlos Steuern zurückerhalten können. Hierbei geht es einfach um eine Erleichterung für die Steuerzahler. Das ist wichtiger als ein eventueller Mehraufwand einiger Banken, für die das Wort Service ein Fremdwort ist. Wir setzen EU-Richtlinien um, aber auch EU-Vorschriften im Umsatzsteuerbereich. Vor allem das nimmt die Opposition zum Anlass, den Gesetzentwurf abzulehnen. Wir kennen das von Ihnen: Große Worte von Subventionsabbau. Sie fordern die Verbreiterung der Steuerbasis. Sie wollen einfache Steuergesetze. Sie machen große Pressekonferenzen. Aber wenn es dann konkret wird, wird der Schwanz eingezogen. ({5}) „Schließen von Steuerschlupflöchern im Konkreten“ ist für die Damen und Herren von der Opposition anscheinend ein Fremdwort. Die eigentlich selbstverständliche Tatsache, dass Betriebsausgaben, die die Steuern gemindert haben, irgendwann der Besteuerung zugeführt werden müssen, scheint noch nicht Allgemeingut bei der Union und der FDP zu sein. ({6}) Das tut mir sehr Leid, weil das eigentlich zum Grundwissen in diesem Bereich gehört. Ihre Fachkollegen aus den Finanzministerien der Länder sind da ganz anderer Meinung. Sie sehen mit Missvergnügen die Steuereinnahmen davonschwimmen und fordern die Schließung von Regelungslücken und die gerichtsfeste Verankerung im Gesetz. Dem kommen wir hiermit nach. Aber bis zu Ihnen hier im Bundestag ist das noch nicht gedrungen. Es ist schade, dass sich die Opposition ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in diesem Bereich nicht bewusst ist. Gravierend ist das vor allem im Umsatzsteuerbereich. Herr Rzepka, Sie haben selbst die Zahlen angesprochen. Die anschauliche Schilderung des Bundesrechnungshofs dazu, was sich im Bereich des - kriminellen - Umsatzsteuermissbrauchs tut, müsste bei jedem verantwortlichen Politiker die Alarmglocken schrillen lassen. ({7}) Nur bei Ihnen ist das nicht der Fall. Außerdem ist der fortwährende Missbrauch der Umsatzsteuerregelungen natürlich eine eklatante Wettbewerbsverzerrung zulasten vieler seriöser Unternehmen. Da Sie genau wissen, dass es langwierig sein wird, das Umsatzsteuersystem europaweit umzustellen, sollten Sie mit uns gemeinsam alles tun, den Umsatzsteuerbetrug mit wirksamen Maßnahmen zu bekämpfen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein guter Schritt dazu. Vielen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so- wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vor- schriften. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 15/1928, die ge- nannten Gesetzentwürfe als Zweites Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften in der Ausschussfas- sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Enthaltungen gibt es nicht. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge- gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Katherina Reiche, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik in Deutschland und Europa - Drucksache 15/1356 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Daniel Bahr ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im europäischen Rahmen sichern - Drucksache 15/1332 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Katherina Reiche.

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr der Chemie als Chemikerin zum Chemiestandort Deutschland zu sprechen kommt nicht alle Tage vor. Deshalb freue ich mich auch über die Gelegenheit. Im Januar 2003 hat die Bundesregierung mit viel Tamtam und Show das Jahr der Chemie eingeläutet. Ich zitiere aus einer Presseerklärung: Seit Mitte Januar ist er „on the road“: Justus, der Chemie-Truck zum Jahr der Chemie, ist auf Tour durch ganz Deutschland. Doch was hat die Bundesregierung in diesem Jahr eigentlich unternommen, um den Chemiestandort wirklich wettbewerbsfähig zu machen? Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, die Belastungen, die den deutschen Unternehmen durch REACH auf europäischer Ebene drohen, zu minimieren oder gar aus dem Weg zu räumen. Die Belastungen durch den EU-Kommissionsvorschlag sind weiterhin erheblich und liegen deutlich über den Vorgaben des Weißbuchs der EU-Kommission vom 27. Februar 2001. ({0}) Nach wie vor bildet ein bürokratisches und kostspieliges Registrierungsverfahren die Grundlage des Vorschlages. Bundeswirtschaftsminister Clement hat REACH übrigens als Testfall für die EU-Industriepolitik bezeichnet. Es scheint so zu sein, dass dieser Testballon nun zerplatzt. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little hat im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit eine Studie erstellt, aus der hervorgeht, dass durch die geplante EU-Chemikalienpolitik allein in der Chemiefaser- und Textilindustrie ein Abbau von 17 500 Arbeitsplätzen zu befürchten ist. Die Unternehmen in den USA wachsen aufgrund von günstigen industriepolitischen Rahmenbedingungen; sie sind dynamisch. Deutsche Unternehmen verlieren Marktanteile in der Welt, und zwar signifikant. Zu diesem Schluss kommt jüngst eine Studie der Boston Consulting Group. Deshalb muss es die Aufgabe der deutschen und auch der europäischen Politik sein, regulatorische Hürden für Unternehmen aus dem Weg zu räumen und nicht ständig neue zu schaffen. ({1}) Überzeugen Sie die schwedische Umweltkommissarin Wallström, die zwar Elche und Wald kennt, aber keine chemische Industrie, von der Bedeutung dieses Industriezweiges für Deutschland. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, lassen Sie nicht zu, dass die Chemikalienpolitik in Europa zu einer Wachstums- und Innovationsbremse wird. Die chemische Industrie in Deutschland ist eine der Schlüsselindustrien. Mit einem Umsatz von über 133 Milliarden Euro und circa 460 000 Beschäftigten ist sie ein ganz wesentlicher Eckpfeiler der deutschen Industrie. Nach dem World Competitiveness Yearbook 2003 liegt Deutschland bezüglich seiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich nur auf Platz 15. Besonders schlecht fällt hierbei die Bewertung der wirtschaftsrelevanten Gesetzgebung, des Bildungswesens, des Arbeitsmarktes und der Steuerpolitik, aus. Deutschland droht, mittelfristig in die zweite Liga der Industriestandorte abzusteigen. Damit die chemische Industrie weiterhin ihren Beitrag leisten kann, sind in diesen Politikfeldern konsequente Reformen notwendig. Die Globalisierung schreitet fort, der Wettbewerb wird härter. Wir werden nie die Billigsten sein, also müssen wir die Besten sein. Deshalb ist unser wichtigstes Kapital das Wissen; das müssen wir voll einsetzen. Innovationen, natürlich auch die in der chemischen Industrie, sind abhängig von der Qualität und der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungssystems. Wenn wir ein starker Industriestandort bleiben und auch in Zukunft sein wollen, dann müssen wir langfristig ein qualifiziertes Arbeitskräfteangebot sichern. Wenn die Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Innovationsstandort gesichert werden soll, ist ein ganzheitlicher Reformansatz notwendig. Schon in der Schule muss die Grundlage gelegt werden, sodass über Studium und berufliche Weiterbildung der Weg hin zum lebenslangen Lernen führt. Hierzu gehört zum Beispiel im schulischen Bereich auch eine fundierte Allgemeinbildung in Mathematik und den Naturwissenschaften, gerade in einer zunehmend von Technik und Naturwissenschaften geprägten Welt. Eine naturwissenschaftliche Ausbildung kann durchaus auch in der Grundschule beginnen. Unser Hauptziel muss sein, dass die Schüler wieder adäquat auf ihre Ausbildung vorbereitet werden. Derzeit werden sie es nicht. Für mich ist es ganz besonders wichtig, Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik zu wecken. Namen wie Justus von Liebig, Adolf von Baeyer, Robert Bunsen oder auch Karl Ziegler stehen für eine ganz große Chemietradition in Deutschland. Tatsache ist aber auch, dass ein Chemienobelpreis letztmalig 1988 an einen Deutschen vergeben wurde. Den hier eingetretenen Rückstand müssen wir aufholen. Hier muss man auch das Hochschulsystem ins Auge fassen. Wir müssen unser Hochschulwesen wieder konkurrenzfähig machen. Dazu gehört, dass die Universitäten ihre Studenten selbst auswählen können. Für das Chemiestudium hieße das zum Beispiel, dass man nach einer einjährigen Orientierungsphase einen Eignungstest durchführt. Hochschulen wollen und sollen unternehmerisch tätig werden können. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, die die Politik nutzen muss. Die Bildungsministerin ist nicht mehr anwesend; sonst würde ich ihr sagen: Schaffen Sie das Verbot von Studiengebühren ab, entschlacken Sie das Hochschulrahmengesetz ({3}) und schaffen Sie eine Basis dafür, dass die Universitäten exzellente Absolventen hervorbringen! ({4}) Meine Damen und Herren, Chemie ist das, was knallt und stinkt, Physik ist das, was nie gelingt. Diese angebliche Weisheit muss von jemandem stammen, der von Naturwissenschaften nicht viel versteht. ({5}) Die Chemie ist ein bedeutender Innovationsmotor und gibt die meisten Anstöße für neue Produkte, zum Beispiel in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der Nachrichtentechnik oder bei neuen Werkstoffen. Das gilt auch - die Grünen wird es besonders freuen, das zu hören -, wenn es darum geht, nachhaltig zu wirtschaften, zum Beispiel durch die Wärmedämmung von Häusern. Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass der Chemiestandort Deutschland konkurrenzfähig bleibt. Stimmen Sie unserem Antrag zu und stärken Sie somit die chemische Industrie in Deutschland! Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich der Anträge der FDP und der Union zur europäischen Chemiepolitik, über die wir heute diskutieren, lässt sich leicht feststellen, dass beide Vorlagen längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Das Verfahren zur Neuordnung der Chemiepolitik auf europäischer Ebene ist bereits viel weiter fortgeschritten als das, was Ihren Anträgen zu entnehmen ist. Mittlerweile liegt ein umfangreiches Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission hinter uns. Mit der am 29. Oktober dieses Jahres vorgelegten Verordnung der Kommission ist das Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene nun offiziell eingeleitet. Selbst wenn man diesen Aspekt zunächst einmal außer Acht lässt, hat man den Eindruck - das bezieht sich auch auf Ihre Rede, Frau Reiche -, dass Sie sich nur einseitig mit dieser Materie befassen. Nur so ist zu erklären, dass in beiden Anträgen nur die eine Seite der Medaille betrachtet wird. Im FDP-Antrag zum Beispiel ist zu lesen, es müsse verhindert werden, dass durch die neue europäische Chemiepolitik „ein unnötiger und kostspieliger bürokratischer Aufwand entsteht“. Im Antrag der CDU/CSU ist von einem „Übermaß an Bürokratie und Regulierung“ mit „Folgeschäden“ für die Industrie die Rede. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn es das einzige Anliegen der Kommission wäre, neue Auflagen und neue Bürokratie zu schaffen, würde ich Ihnen ja durchaus zustimmen. Niemand hier im Hause will der Chemieindustrie in Deutschland und in Europa Übermäßiges oder gar Unnötiges zumuten. Da sind wir uns einig. ({0}) Aber so einfach können wir es uns wirklich nicht machen. Wenn in der Chemiepolitik alles zum Besten wäre, wie dem Antrag der FDP zu entnehmen ist, dann wäre die neue Verordnung der Kommission in der Tat nicht sinnvoll. Aber so ist es nicht. Auf dem Gebiet der Chemikalienpolitik besteht dringender Handlungsbedarf. Wir reden heute unter anderem darüber, dass es für 95 Prozent der Chemikalien, die auf dem Markt sind, keine ausreichenden Informationen gibt. Wir reden darüber, dass wir bei vielen Chemikalien, die uns tagtäglich und überall im Alltag begegnen, die Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht genau kennen. Wir reden auch über den zukünftigen Umgang mit Chemikalien von allerhöchster Giftigkeit. Darum geht es in erster Linie, wenn die Europäische Union jetzt eine Neuordnung des Chemikalienrechtes anstrebt. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist die andere Seite der Medaille, die Sie in Ihren Anträgen gerade einmal am Rande streifen. Ihre Anträge sind also nicht nur bezüglich der Aktualität überholt, sie sind auch inhaltlich völlig unzureichend. Deshalb müssen wir sie ablehnen. ({1}) Im CDU/CSU-Antrag zum Beispiel ist die Rede davon, dass Sicherheitslücken bei importierten Stoffen bestünden. Das ist bereits in die Verordnung aufgenommen. An anderer Stelle heißt es, dass der Bereich der Arzneimittelwirkstoffe von den Regelungen in der Verordnung ausgenommen werden solle. Arzneimittel, mit denen wir Heinz Schmitt ({2}) täglich zu tun haben, die die Gesundheit und das Lebensgefühl der Menschen bestimmen, sollen ausgenommen werden? Das sind Dinge, die nicht mit den Anforderungen zusammenpassen, die sich ergeben haben. Die Neuordnung des europäischen Chemikalienrechtes ist eine absolute Notwendigkeit. Sie ist aber zugleich eine Chance für die Chemieindustrie und für den Industriestandort insgesamt. Diese Notwendigkeit wird deutlich, wenn man sich einmal die Lücken in den aktuellen Regelungen für Chemikalien ansieht. Im Augenblick wird in der Chemikalienpolitik noch zwischen so genannten Neu- und Altstoffen unterschieden. Für Stoffe, die seit 1981 auf den Markt gebracht wurden, gibt es hohe Sicherheitsanforderungen. Aber es gibt auch Tausende von chemischen Altstoffen, die bereits vor 1981 auf dem Markt waren. Gerade über diese Stoffe wissen wir nicht genügend, um ihre Gefährlichkeit beurteilen zu können. Das soll sich nun mit der neuen Verordnung ändern. Alt- und Neustoffe werden zukünftig in der neuen Chemikalienpolitik gleich behandelt. Wichtig ist dabei auch die Gleichbehandlung von europäischen Herstellern und von Importeuren chemischer Substanzen. Dadurch lassen sich Verzerrungen beim Wettbewerb vermeiden. Kernstück der Verordnung ist das so genannte REACH-System. Das neue System sieht eine Registrierungspflicht für einen Großteil chemischer Substanzen vor. In einem Zeitraum von ungefähr elf Jahren sollen diese Substanzen einheitlich bei einer neuen europäischen Chemieagentur erfasst und relevante Sicherheitsdaten bereitgestellt werden. Ab einer bestimmten Herstellungsmenge pro Jahr wird es für Stoffe eine Überprüfung durch staatliche Behörden geben. Besonders gefährliche Stoffe sollen außerdem einem Zulassungsverfahren unterworfen werden. Der Begriff REACH steht für Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals. Über die Notwendigkeit, das jetzige System zu verbessern, bestand schon in der Vergangenheit Einvernehmen bei den politisch Verantwortlichen und bei der Industrie selbst. Diese grundsätzliche Übereinstimmung kommt auch in der so genannten gemeinsamen Bewertung der neuen Chemiepolitik deutlich zum Ausdruck. Diese Bewertung wurde von der Bundesregierung, vom Verband der Chemischen Industrie und von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie gemeinsam erarbeitet. Das Positionspapier nennt Kritikpunkte an Einzelregelungen im Verordnungsentwurf. Die Notwendigkeit eines neuen Systems und eines hohen Niveaus für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt wird jedoch grundsätzlich anerkannt. Die Kommission hat ihrerseits im offiziellen Verordnungsentwurf, der am 29. Oktober vorgelegt wurde, bereits auf viele Kritikpunkte des Konsultationsverfahrens reagiert und Änderungen vorgenommen. Damit ist ein guter Ansatz gefunden, die Chemiepolitik auf europäischer Ebene in die richtige Richtung weiterzuentwickeln. ({3}) Auch was die Kosten angeht, ist man der Industrie entgegengekommen. Die Kommission schätzt die Kosten für die Umsetzung von REACH auf ungefähr 5,5 Milliarden Euro; wie gesagt, verteilt auf elf Jahre. Das ist eine Größenordnung, die vertretbar erscheint; denn diesen Kosten steht auf der anderen Seite ein großer Nutzen gegenüber. Nach vorsichtigen Schätzungen entsteht etwa 1 Prozent der Gesundheitskosten aller EULänder durch Erkrankungen im Zusammenhang mit Chemikalien. Das sind ungefähr 7 Milliarden Euro pro Jahr. Eine bessere Kenntnis der Gesundheitsrisiken durch Chemikalien kann helfen, diese Kosten zu senken. Bei der Debatte wird übersehen - dieser Punkt kommt auch in Ihren Anträgen nicht vor -, dass in dem neuen System auch große ökonomische Potenziale liegen. Auch dies wurde von der Industrie bisher nicht ausreichend gewürdigt. Ein funktionierendes europäisches Chemikaliensystem kann die europäische Chemieindustrie zum Vorreiter für einen sicheren, vertrauenswürdigen Umgang mit chemischen Substanzen machen. Sachverständige sprechen schon jetzt davon, Europa könne zu einem LeadMarkt für Chemikalien werden. Auch wenn es durchaus unterschiedliche Meinungen bei der Ausgestaltung von Details gibt: Man darf die Chancen des neuen Systems nicht außer Acht lassen. ({4}) Aus diesen genannten Gründen befürwortet die SPDBundestagsfraktion das Vorhaben der Europäischen Kommission, das neue REACH-System zügig in geltendes Recht umzusetzen. ({5}) Wir sehen darin nicht nur deutliche Fortschritte für den Umwelt- und Gesundheitsschutz beim Umgang mit Chemikalien. Wir sehen darin auch die Chance für die europäische Chemieindustrie insgesamt, mit neuen und sicheren Produkten ihre Spitzenposition auf dem Weltmarkt zu behaupten und auszubauen. ({6}) Lassen Sie uns deshalb die Chancen für die Umwelt, die Gesundheit, den Verbraucherschutz und für eine erfolgreiche Entwicklung des Industriestandortes Deutschland gemeinsam nutzen! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben seit einigen Tagen den Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Chemikalienpolitik vorliegen. Es ist wichtig, heute deutlich zu machen, dass dieser insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung ist. Die Chemiewirtschaft gehört bei uns zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Deutschland besitzt in Europa die mit Abstand größte Chemieindustrie. Gut ein Viertel des Umsatzes mit chemischen Produkten in der EU wird in deutschen Unternehmen erwirtschaftet. Weil das so ist, haben wir uns vonseiten der FDPFraktion sehr frühzeitig diesem Prozess gewidmet. Bereits Anfang 2001, als von der EU-Kommission das Chemikalien-Weißbuch vorgelegt wurde, hat die FDP deshalb als erste Fraktion im Deutschen Bundestag einen Antrag eingebracht und die Bundesregierung aufgefordert, auf die Gestaltung chemikalienrechtlicher Vorgaben auf europäischer Ebene sachgerecht Einfluss zu nehmen. „Sachgerecht“ bedeutet: unter Berücksichtigung aller Faktoren, die eine Rolle spielen, also unter Berücksichtigung sowohl ökologischer und gesundheitlicher als auch ökonomischer und sozialer Fragestellungen; denn mit diesem Bereich sind auch Arbeitsplätze verbunden. ({0}) Leider wurde dieser Antrag von der rot-grünen Mehrheit im Deutschen Bundestag abgelehnt. ({1}) Das hinderte allerdings den Bundeskanzler überhaupt nicht daran, sich dieser Angelegenheit wenige Tage später persönlich anzunehmen. ({2}) - Frau Mehl, es war so. - Im März 2002 wurde von der Bundesregierung, den Gewerkschaften und der chemischen Industrie ein gemeinsamer Standpunkt zur europäischen Chemikalienpolitik vorgelegt, der in seinen wesentlichen Inhalten unserem Antrag, den Sie kurz zuvor abgelehnt hatten, entsprach. ({3}) Mittlerweile hat es weitere Verbesserungen gegeben. Aber ich muss feststellen, dass trotz aller Verbesserungen im Detail ein Grundproblem bestehen bleibt: Die Gefährlichkeit von Chemikalien bestimmt sich nach deren Anwendung und nicht nach den stofflichen Eigenschaften; das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Es sind also noch nicht alle Bedenken ausgeräumt. Weiterhin sieht die FDP Anlass zur Sorge, dass aufgrund der neuen europäischen Regelungen zur Chemikalienpolitik ein unnötiger, kostspieliger und insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen existenzbedrohender bürokratischer Aufwand entsteht, ohne dass die Umwelt und die menschliche Gesundheit hiervon in irgendeiner Weise profitieren würden. ({4}) Ich möchte noch auf Herrn Schmitt eingehen. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir in Deutschland schon heute ein vorbildliches Sicherheitsniveau beim Umgang mit Chemikalien haben. Es droht, dass mit dieser Verordnung den Zielen des Chemikalienrechts ein Bärendienst erwiesen wird. Es wäre absolut absurd, wenn erhebliche und sachlich nicht begründete Nachteile für den Chemiestandort Deutschland widersinnigerweise dazu führen würden, dass Produktionsstandorte, bei denen auf Gesundheits- und Umweltschutz kein Wert gelegt wird, an Attraktivität gewinnen. Deshalb haben wir vonseiten der FDP einen Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung nochmals aufgefordert wird, aktiv zu werden. Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung ihre Position zur Chemikalienpolitik vor kurzem prompt erneut konkretisiert und aktualisiert hat. Deswegen kann ich Sie von Rot-Grün und auch die Bundesregierung nur zu weiterer Einsicht ermuntern. Wir erwarten Ihre Zustimmung zu unserem Antrag gerne. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje VogelSperl.

Dr. Antje Vogel-Sperl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003651, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf für eine neue europäische Chemikalienverordnung stehen wir vor der letzten großen umweltpolitischen Herausforderung der 80er-Jahre. Diese Verordnung wird uns einen bedeutenden Schritt nach vorn bringen. ({0}) Die Prinzipien der Produktverantwortung und der Beweislastumkehr finden erstmals Eingang in den Bereich der Verwendung und Kontrolle von Chemikalien. Künftig müssen eben nicht die Behörden den Nachweis erbringen, dass ein Stoff gesundheitsgefährdend ist, sondern Hersteller und Weiterverarbeiter. Was für Elektrogeräte etc. eine Selbstverständlichkeit ist, gilt künftig genauso für die Sicherheit von Chemikalien, bevor sie auf den Markt kommen, gemäß dem Prinzip: no data, no market. Bis dato werden diese Anforderungen nur an Neustoffe gestellt. Durch die Wissenslücke über die Wirkungen der Altstoffe auf Mensch und Umwelt ergibt sich eine mögliche Gesundheitsbelastung, die mit dem Anspruch eines vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes nicht vereinbar ist. Das existierende Altstoffverfahren hat sich zudem als äußerst ineffizient erwiesen. Nur etwa 30 Stoffe konnten in rund zehn Jahren abschließend bewertet werden. Das heutige Chemikalienrecht bietet zu wenig Anreize für Innovationen, weil für die Verwendung von Altstoffen einerseits und von neu entwickelten Chemikalien andererseits unterschiedliche Regelungen bestehen. Die neue Verordnung wird 39 Richtlinien und zwei Verordnungen in einer Verordnung zusammenfassen. Das bedeutet: Klarheit, Transparenz und Bürokratieabbau. Chancen bietet das neue REACH-System in vielfacher Hinsicht. Durch die Verankerung der Produktverantwortung eröffnet sich der europäischen Chemieindustrie die Möglichkeit, sich mit qualitativ hochwertigen, sicheren und ökologisch innovativen Produkten Zukunftsmärkte zu sichern. Langfristig werden ökologisch unbedenkliche Stoffe die gefährlichen ersetzen. Produkte, die mit sicheren Chemikalien hergestellt werden, haben das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher auf ihrer Seite. Dies gilt nicht nur für die Verbraucher in Europa; ich denke an „Made in Europe“ als Exportschlager. Gleichzeitig besteht die einmalige Chance, durch ein effektives, systematisches Chemikalienmanagement in erheblichem Umfang Kosten im Umwelt- und Gesundheitsschutz einzusparen, ({1}) und zwar ganz im Sinne des Vorsorgeprinzips. ({2}) Von diesen Chancen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, lese ich in Ihren Anträgen leider nichts. ({3}) Ganz im Gegenteil: Sie blenden all dies völlig aus und warnen nur einseitig vor hohen Kosten und bürokratischen Lasten für die Unternehmen. Dies haben Sie bereits getan, lange bevor eine seriöse Diskussionsgrundlage überhaupt auf dem Tisch lag. Teile Ihrer Bedenken sind inzwischen überholt. Im Laufe des Konsultationsprozesses sind gerade für die mittelständischen Unternehmen und die nachgeschalteten Anwender sehr viel praktikablere Regelungen gefunden worden. Aus den genannten Gründen stimmen wir Ihren Anträgen auch nicht zu. Widmen wir uns doch lieber gemeinsam dem nun vorliegenden Entwurf und dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene. Auch ich sehe gravierende Defizite - selbst im Vergleich mit der gemeinsamen Position von Bundesregierung, VCI und IG BCE in dem nun vorliegenden Entwurf. ({4}) Unabdingbar ist eine verbindliche Regelung, doppelte Wirbeltierversuche auszuschließen und eine gemeinsame Nutzung von Daten seitens der Unternehmen vorzuschreiben, wie es in Deutschland schon Standard ist. ({5}) Alternative tierversuchsfreie Testmethoden müssen schnellstmöglich anerkannt und verbindlich Eingang in die Verordnung finden. Mit dem REACH-System sollte die Chance genutzt werden, tierversuchsfreie Testverfahren international zu etablieren. Verlässliche Aussagen über mögliche Risiken sind nach dem vorliegenden Entwurf nur für ein Drittel aller registrierpflichtigen Stoffe möglich. Ein aussagekräftiger Mindestdatensatz für Zwischenprodukte muss Bestandteil der Verordnung sein. Ein solcher ist bereits seit 1997 aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der chemischen Industrie in Deutschland Standard. Weiterhin werden zwar gleiche Anforderungen an Hersteller und Importeure von Stoffen gestellt. Es muss aber gleichzeitig eine Lösung gefunden werden, um zu verhindern, dass schadstoffbelastete Konsumgüter über die Hintertür nach Europa kommen. Fazit: Diese Kritikpunkte müssen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens Eingang in die Verordnung finden. Bei einer effektiven, praktikablen Umsetzung wird REACH einen essenziellen Beitrag zum vorsorgenden Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz liefern. Gleichzeitig eröffnet dieses Konzept der chemischen Industrie in ganz Europa die Chance, sich mit ökologischen Innovationen Standortvorteile auf den internationalen Märkten zu sichern. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marie-Luise Dött. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich in die Begründung des Verordnungsvorschlags der Europäischen Kommission zur Novellierung des europäischen Chemikalienrechts schaue, sehe ich dort drei Zielsetzungen. Zunächst verfolgt die Neuregelung die Verbesserung der Sicherheit von Chemikalien. Darüber haben wir heute schon einiges gehört. Ich bitte Sie aber, auch die anderen beiden Zielsetzungen nicht zu vernachlässigen. Sie lauten: Förderung von Innovation und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen chemischen Industrie. Die Chemie ist eine Schlüsselbranche in Deutschland und Europa. Allein in Deutschland stellt sie 460 000 Arbeitsplätze und erwirtschaftet einen Gesamtumsatz von 133 Milliarden Euro im Jahr. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, einem Wirtschaftsmotor wie der chemischen Industrie und dem Chemikalienhandel Anreize zu Wachstum und Innovationsfreudigkeit zu geben. ({0}) In der Theorie stimme ich also mit den Zielsetzungen von Frau Wallström und Herrn Liikanen völlig überein. Die Praxis spricht jedoch eine ganz andere Sprache. Schon der Konsultationsvorschlag der Kommission war ein bürokratisches Monster, das de facto zum Stillstand der deutschen Chemikalienwirtschaft geführt hätte. Zum Glück hat sich die Vernunft zumindest in Teilbereichen durchgesetzt. Der letzte Woche veröffentlichte Verordnungsentwurf wurde gegenüber dem vorangegangenen in wesentlichen Punkten geändert. Nichtsdestotrotz bleiben erhebliche Mängel. Allein die Tatsache, dass das Werk insgesamt über 1 000 Seiten umfasst, steht für sich. Ich befürchte, dass hier letzten Endes Regelungen geschaffen werden, die an Unübersichtlichkeit dem alten Chemikalienrecht in nichts nachstehen. ({1}) Das heißt nicht, dass ich mich gegen eine Neuregelung ausspreche. Im Gegenteil: Das zersplitterte europäische Chemikalienrecht mit seinen über 40 Richtlinien und Verordnungen muss durch eine klare und praktikable Regelung, durch die Innovationen gefördert werden und Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird, abgelöst werden. Was die Kommission jetzt vorgelegt hat, ist ein umfangreiches, komplexes, bürokratisches und aufwendiges Regulierungsverfahren. Die Erfüllung der Anforderungen des Registrierungsverfahrens ist zu zeitintensiv. Um die umfangreichen Unterlagen zusammenzustellen, ist ein Vorlauf von fünf bis zwölf Monaten notwendig. Das anschließende behördliche Verfahren kann bis zu neun Monate dauern. Das bedeutet erhebliche Zeitverluste gerade auch bei der Markteinführung neuer Chemikalien. Wir müssen also im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicherstellen, dass das Innovationspotenzial der europäischen Chemieindustrie gegenüber dem Weltmarkt durch diese zeitliche Verzögerung nicht erheblich geschwächt wird. ({2}) Von den einzelnen Unternehmen wird die Auflistung unglaublicher Datenmengen verlangt: Daten für die Registrierung, Daten für die Evaluierung, Daten für die Präregistrierung. Daneben bestehen umfangreiche Voranfrage- und Meldepflichten. Bei all der Datengemenge ist nicht klar, ob sie dem Verbraucher überhaupt nützen. Ich frage Sie daher: Warum kann die Datenerhebung nicht an die tatsächliche Exposition, an die tatsächliche Gefahrenprognose geknüpft werden? Die Stoffe werden zum Teil in nur ganz geringen Mengen verarbeitet. Ihre Ungefährlichkeit ist erkennbar, da sie schon mehrere Jahrzehnte auf dem Markt sind. Warum müssen für solche Stoffe diverse Sicherheitsdaten zusammengestellt werden? Leidtragende dieser Politik sind vor allem die mittelständischen Unternehmen. ({3}) Diese machen einen Großteil der Unternehmen der chemischen Branche aus. Circa 90 Prozent der Betriebe in der deutschen Chemieindustrie haben weniger als 500 Mitarbeiter. Sie verfügen nicht über dieselbe Personalkompetenz wie große Industrieunternehmen. Sie können die komplexe Administration zur Bewältigung der Daten-, Stoff- und Geldströme im Reach-Prozess nicht so einfach bewältigen. Auch wenn die kleinen und mittelständischen Unternehmen die Mengenschwelle von 10 Tonnen eines Stoffes pro Jahr nicht überschreiten, sind sie dennoch von der Verordnung betroffen. Hier hat die Europäische Kommission in der Öffentlichkeit ein falsches Bild aufkommen lassen. Die Aussage, durch die Anhebung der Mengenschwelle würden nur noch 10 000 anstatt 30 000 Stoffe in das System kommen, ist schlichtweg falsch. Auch bei weniger als 10 Tonnen eines Stoffes muss er nach der Verordnung registriert werden. Diese Daten werden zwar nicht zentral erfasst, trotzdem bringt allein die Registrierung einen großen Aufwand mit sich: Die Unternehmen müssen Tests durchführen und die Daten zusammenstellen. Danach ist der Stoff registrieren zu lassen. Allein der behördliche Vorgang dauert 30 Tage. Die Vorarbeit wird die Unternehmen ein Vielfaches an Zeit kosten. Es heißt, einem nackten Mann könne man nicht in die Tasche greifen. ({4}) Im Falle unserer mittelständischen Unternehmen werden wir Tag für Tag eines Besseren belehrt. Die vorgelegte Verordnung trägt ihren Teil dazu bei. Den kleinen Betrieben fehlen schlichtweg die finanziellen Mittel, um Risikoanalysen durchführen zu können. Die Kosten für die Registrierung der Stoffe sind in kleinen und großen Unternehmen in absoluten Zahlen gesehen zwar gleich hoch, die Belastungen sind aber immer auch im Verhältnis zum Umsatz zu sehen. Wenn man diese Relation betrachtet, so merkt man, dass die Kosten bei den Mittelständlern erheblich höher ausfallen. Kleine Unternehmen leben häufig von Einzelaufträgen und Spezialanfertigungen. Zur Herstellung eines ganz speziellen Klebstoffes oder eines Spezialproduktes für die Elektrotechnik wird dann auch nur ein kleines Volumen der Chemikalie gebraucht.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Ihren Hinweis schon gesehen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Trotzdem ist die im Verhältnis aufwendige Registrierung durchzuführen. Das Verhältnis von Kosten und Ertrag ist dadurch empfindlich gestört. Nun will zumindest der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Herr Baake, die Verpflichtung, einen Sicherheitsbericht zu erstellen, von 10 000 auf 30 000 Stoffe erweitern, sprich, er will die Mengenschwelle wieder anheben. Ich hoffe, es handelt sich dabei nicht um einen weiteren umweltpolitischen Alleingang Deutschlands, sondern nur um den Alleingang eines Staatssekretärs.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie können Ihre Rede nicht mehr zur Gänze vortragen. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein letzter Satz. Ich fordere Sie daher auf, sich im Ministerrat für eine schlanke, bürokratiearme und mittelstandsfreundliche Regelung einzusetzen. Ich gehe davon aus, dass Sie das auch tun werden. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1356 und 15/1332 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen ({0}) - Drucksachen 15/1553, 15/1671 ({1}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksachen 15/1896, 15/1944 - Berichterstattung: Abgeordnete Horst Schild b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/1901 - Berichterstattung: Abgeordnete Steffen Kampeter Walter Schöler Antje Hermenau Dr. Günter Rexrodt b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4}) - zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Finanzplatz Deutschland weiter fördern - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Förderung des Finanzplatzes Deutschland - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Hans-Joachim Otto ({5}), Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Finanzplatz Frankfurt stärken - Drucksachen 15/930, 15/748, 15/369, 15/1296 Berichterstattung: Abgeordnete Lothar Binding ({6}) Interfraktionell ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz hat das Bundesministerium der Finanzen Entwürfe für ein aufsichtsrechtliches Investmentgesetz und ein Investmentsteuergesetz vorgelegt. Dieses Gesetzesvorhaben setzt die im Finanzmarktförderplan 2006 angelegte Finanzmarktpolitik der Bundesregierung fort. Es ist ein entscheidender Schritt zur Modernisierung und Steigerung der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland. Wesentliche Änderungen und Neuerungen sind: Aufhebung der gesetzlichen Fondstypen, Einführung eines vereinfachten Verkaufsprospektes, Einführung eines europäischen Passes für Verwaltungsgesellschaften, Absenkung des Anfangskapitals für Kapitalanlagegesellschaften, Regelung zur Auslagerung von Tätigkeiten von Kapitalanlagegesellschaften, Regelung zur Kostentransparenz, Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Vertragsbedingungen, Neuregelung der Meldepflichten gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Einführung einer Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital und Neuregelung des Vertriebs. Die Rahmenbedingungen im Bereich des Investmentwesens werden damit weiter harmonisiert und die Vorschriften unter Beachtung der unterschiedlichen Interessen an die geänderten Bedürfnisse der Branche, der Aufsicht und natürlich der Anleger angepasst. Der erzielte Interessenausgleich wird von allen Beteiligten als gelungen bezeichnet. ({0}) Erstmalig werden Bestimmungen zur Zulassung und Regulierung von Hedgefonds, die im Gesetz als Sondervermögen mit zusätzlichen Risiken bezeichnet werden, geschaffen. Der Finanzplatz Deutschland ist aus Sicht der Bundesregierung reif für diese Produkte, für die ein großes Bedürfnis bei institutionellen und privaten Anlegern besteht. In der Anhörung der Verbände des Investmentwesens haben die Sachverständigen bestätigt, dass es sich um einen gelungenen Gesetzentwurf handelt, der geeignet ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschlands zu fördern und einen attraktiven Markt auch für ausländische Anbieter von Investmentprodukten zu schaffen. Dies gilt auch für die Vorschriften zur Regelung von Hedgefonds. Diese Produkte können in Zukunft auch in Deutschland aufgelegt werden und die Gesellschaften müssen nicht mehr in andere Staaten ausweichen. ({1}) Damit werden wir auch hoch qualifizierte Arbeitsplätze in Deutschland gewinnen können. Änderungsanträge insbesondere zu den Regelungen zu Hedgefonds sind ganz überwiegend berücksichtigt worden. Single-Hedgefonds können wie die DachHedgefonds als Publikumsfonds aufgelegt, aus Gründen des Anlegerschutzes aber nicht öffentlich vertrieben werden. Der Vertrieb im Wege der Privatplatzierung darf nur durch Kreditinstitute und Finanzdienstleister mit einer Erlaubnis zur Anlage- und Abschlussvermittlung erfolgen. Dagegen können Dach-Hedgefonds wegen der höheren gesetzlichen Anforderungen an die Manager wie herkömmliche Fonds auch über Vermittler, die keiner Erlaubnis bedürfen, öffentlich vertrieben werden. Auch hier zeigt sich, dass die Bundesregierung an einem Ausgleich der Interessen der Branche und der Verbraucherschützer interessiert war und überzeugende Lösungen gefunden hat. Im Investmentsteuergesetz werden die bisherigen steuerrechtlichen Regelungen zusammengefasst. In Reaktion auf ein EU-Vertragsverletzungsverfahren richtet sich die Besteuerung bei inländischen und ausländischen Investmentfonds künftig in gleicher Weise danach, ob der Steuerpflichtige die erforderlichen Besteuerungsgrundlagen nachweisen kann. Ist ihm dies nicht möglich, wird eine pauschale Steuer erhoben. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates insbesondere zu den steuerrechtlichen Regelungen hat die Bundesregierung nach Prüfung durch eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des Bundes und der Länder weitgehend berücksichtigt. Die Fraktionen haben in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages am 5. November, also vorgestern, diese und weitere Änderungen sowie den Gesetzentwurf insgesamt einstimmig angenommen. Einen weiteren Diskussionsbedarf gab es dabei nicht mehr. Der mitberatende Rechtsausschuss hat ebenfalls einstimmig zugestimmt, während der Haushaltsausschuss sein zustimmendes Votum nur mit den Stimmen der Regierungskoalition abgegeben hat. Ich möchte bei dieser Gelegenheit deshalb meinen herzlichen Dank fraktionsübergreifend an alle Kolleginnen und Kollegen richten, die im Finanzausschuss mit ihrer konstruktiven Zusammenarbeit mit dafür gesorgt haben, dass sich Deutschland auch auf dem Gebiet des Investmentwesens neu positionieren kann. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bis vor einiger Zeit war auf Großflächenplakaten überall zu lesen: „Deutschland bewegt sich“. Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass wir alle nicht wissen - wahrscheinlich auch Sie nicht -, wohin wir uns bewegen. Aber ich freue mich, dass sich zumindest beim Kapitalmarktrecht etwas bewegt; ich habe das schon bei der Expertenanhörung gesagt. Deswegen haben wir den Gesetzentwurf zum Investmentmodernisierungsgesetz mitgetragen. Natürlich haben wir auch verschiedene Änderungsvorschläge eingebracht. Ich darf mich an dieser Stelle ganz herzlich bei den Kollegen Berichterstattern der anderen Fraktionen bedanken, dass wir diesen Entwurf einvernehmlich auf den Weg bringen konnten. Wir stehen heute vor der Situation, dass deutsche Fondsgesellschaften Investmentfonds im Ausland auflegen, aber in Deutschland vertreiben. Mittlerweile wird rund ein Drittel des Fondsvermögens deutscher Investmentgesellschaften nicht mehr in Deutschland aufgelegt, sondern in Luxemburg. Der Grund dafür liegt - das wird allgemein anerkannt - darin, dass die Rahmenbedingungen in unseren Nachbarländern insgesamt für attraktiver gehalten werden als hierzulande. Ganz offensichtlich gibt es in Europa also ein Flexibilitäts- und Regulierungsgefälle. Dieses wollen wir - darin sind wir uns einig - zu unseren Gunsten beheben. Auf der einen Seite betrifft dies das Kapitalmarktrecht. Denn in anderen Ländern gibt es nun einmal gesetzliche Regelungen für innovative Finanzprodukte, während dies bei uns nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite betrifft dies - das ist, so denke ich, noch viel wichtiger aber auch die Aufsicht. Fonds in anderen Ländern, insbesondere in Luxemburg, können nämlich sehr viel schneller aufgelegt und vertrieben werden, als das in Deutschland der Fall ist. ({0}) In Luxemburg zum Beispiel braucht die Aufsicht etwa eine Arbeitswoche, um einen Fonds zuzulassen; in Deutschland dauert es zuweilen - wenn es sich nicht um ein Standardprodukt handelt - Wochen bis Monate. Ich denke, hier besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf. ({1}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits im Frühjahr in ihrem Antrag zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland auf den intensiven internationalen Wettbewerb zwischen den Finanzplätzen hingewiesen. In der Anhörung zu den Anträgen im Finanzausschuss ist noch einmal deutlich geworden, dass Deutschland in erster Linie ein Vertriebsstandort für Finanzdienstleistungen und erst in zweiter Linie ein Produktionsstandort ist - aber auch nur für solche Finanzprodukte, die am Heimatmarkt abgesetzt werden können. Es ist uns also bis heute nicht gelungen, aus Deutschland einen Produktionsstandort für innovative Finanzmarktprodukte zu machen, die dann europa- oder gar weltweit abgesetzt werden können. Stefan Müller ({2}) Für mich heißt dies: Deutschland ist eben kein internationaler Finanzplatz, wie das immer behauptet wird. Ich darf in diesem Zusammenhang Bundesbankpräsident Ernst Welteke zitieren, der gesagt hat: Den Gedanken, dass wir einen Wettbewerb mit dem Finanzplatz London gewinnen können, sollten wir vergessen. - Er hat natürlich Recht: Unsere Konkurrenten heißen nicht London und New York, sondern Luxemburg, Irland und die Schweiz. Umso wichtiger ist es, dass wir klare und verlässliche Rahmenbedingungen für die Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland schaffen. ({3}) Wir brauchen diese Rahmenbedingungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzwirtschaft zu stärken. Schließlich trägt - das ist in der Anhörung noch einmal betont worden - die Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland rund 5 Prozent zur Bruttowertschöpfung unseres Landes bei. Wir haben deshalb bereits im Frühjahr Vorschläge zur Modernisierung des rechtlichen Rahmens gemacht und entsprechende Änderungen angemahnt. In diesem Sinne leistet das nunmehr vorliegende Investmentmodernisierungsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland. Die Zusammenfassung von KAGG und Auslandsinvestmentgesetz wird dazu führen, dass die Genehmigungsverfahren in Deutschland beschleunigt werden und der Anlegerschutz verbessert wird. Die Anpassung der steuerrechtlichen Regelungen im Investmentwesen soll die Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Fondsvermögen abmildern. Zudem könnte die Zulassung und Regulierung von Hedgefonds in Deutschland zum Aufbau einer deutschen Hedgefondsindustrie führen. Dies kann - Sie haben es gerade angesprochen, Frau Staatssekretärin - bestenfalls dazu beitragen, dass neue Arbeitsplätze in diesem Bereich in Deutschland geschaffen werden; schließlich können diese Fondsprodukte aus Deutschland dann auch im Ausland verkauft werden. Die Äußerungen inländischer und ausländischer Investmentbanker klingen auf jeden Fall vielversprechend. Wir dürfen auf diesem Stand natürlich nicht stehen bleiben. Ich bitte uns alle, darauf zu achten, dass wir aktuelle Entwicklungen in der Finanzdienstleistungsbranche immer wieder aufgreifen. Dabei müssen wir uns vor Augen halten - auch das ist deutlich geworden -, dass oberste Priorität bei der Stärkung des Finanzplatzes ganz eindeutig die Verbesserung der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben muss. ({4}) Dazu gehören für mich eine grundlegende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eine aktivierende und leistungsfördernde Steuerpolitik sowie der Abbau bürokratischer Hemmnisse. Gerade dieser Punkt ist hinsichtlich der Kreditwirtschaft für mich von ganz wesentlicher Bedeutung. ({5}) Die Anhörung im Juni dieses Jahres hat gezeigt, dass kein anderer Wirtschaftszweig so stark reguliert ist und dass keine andere Branche in einer solchen Art und Weise durch Kontroll- und Meldepflichten für staatliche Aufgaben herangezogen wird. Insofern ist es für mich nicht verständlich, warum Sie im Steueränderungsgesetz nach wie vor auf der Verpflichtung zur Erstellung einer Jahreserträgnisaufstellung bestehen. Dies wird zu einer weiteren Belastung der Kreditwirtschaft führen. ({6}) Sie müssen sich die Vorschläge von Herrn Merz einmal genauer anschauen. ({7}) Dort ist davon nichts zu lesen. Zumindest sind wir mit dem neuen Investmentmodernisierungsgesetz auf dem richtigen Weg, den Finanzplatz zu stärken und ein Stück weit leistungsfähiger zu machen. Deswegen ist es auch für den Finanzplatz ein wichtiges Signal, dass wir dieses Gesetz gemeinsam beschließen. Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten eine positive Grundeinstellung gegenüber der Finanzwirtschaft bewiesen. Diese sollten wir uns erhalten. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen.

Hubert Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003649, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute erneut über ein zentrales Thema, das neue Investmentmodernisierungsgesetz, das einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Wirtschafts- und Finanzplatzes Deutschland hat. Diese Diskussion über den Finanzmarkt darf man nicht losgelöst von den allgemeinen Tendenzen sehen, ({0}) die das Klima immer beeinflussen. Diese allgemeinen Tendenzen ({1}) entwickeln sich im Moment wieder einigermaßen positiv: Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Deutschland ist der Gefahr einer Rezession endgültig entronnen; das ist ein ganz wichtiger Punkt, wie man von dieser Stelle aus einmal feststellen sollte. Was noch wichtiger ist: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hellt sich nach und nach auf. ({2}) Umso wichtiger ist, dass das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform wirklich umgesetzt wird. Ebenso wichtig ist es - dabei spielen Sie als Opposition eine ganz zentrale Rolle -, dass man den Standort Deutschland weiter gutredet und nicht schlechtredet. Dabei tragen Sie eine große Verantwortung. ({3}) Das ganze Hin und Her um das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform ist einfach kontraproduktiv. Es ist aber wichtig, eine positive Grundstimmung in diesem Land zu schaffen. ({4}) Hier ist die Opposition als eine Art Nebenregierung über den Bundesrat ebenso in der Verantwortung. Es ist nicht sehr hilfreich, wenn einer Ihrer Ministerpräsidenten, Ministerpräsident Müller aus dem Saarland, in die sich weiterhin positiv entwickelnde Grundstimmung ein Stichwort wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer in die Diskussion einwirft. ({5}) Sie wissen, dass Steuererhöhungen die Konjunktur abwürgen würden. Allein schon die Diskussion darüber ist für das gesamte Land schädlich. Wir reden heute über ein Thema, über das sich Regierung, Koalition und Opposition einig sind, nämlich über den Finanzplatz Deutschland. ({6}) Das ist auch gut so. Gerade die Diskussion um den Finanzplatz ist beispielhaft für die Gesamtdiskussion. Diese Papiere, die zur Abstimmung vorliegen, unterscheiden sich nur marginal. Einen Unterschied gibt es in der Frage: Wo siedeln wir die zentrale Börsenaufsicht an? Soll sie ihren Sitz in Frankfurt, in Bonn oder an beiden Standorten haben? Über solche Punkte kann man sich einigen. Vom Grundsatz her macht die aktuelle Diskussion um die Fonds in den Vereinigten Staaten, aber auch die aktuelle Diskussion um die New Yorker Börse klar, wie wichtig eine zentrale Börsenaufsicht ist. Was Deutschland auch fehlt, ist eine Stimme am Tisch der Europäischen Union zu diesem Thema. Dort kommen wir bis heute nicht vor. Ein anderer Punkt wie die zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft ({7}) ist ebenfalls wichtig. - Auf so einen Zwischenruf möchte ich eigentlich gar nicht eingehen. - Die Einführung einer zentralen Schwerpunktstaatsanwaltschaft würde den Finanzplatz Deutschland zusätzlich nach vorne bringen. Schließlich ist es heute leider immer noch so, dass 90 Prozent aller Verfahren, die bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht werden, eingestellt werden. Das hängt teilweise damit zusammen, dass die Kompetenz nicht gebündelt ist. Ich will die Gelegenheit der Debatte über den Finanzplatz Deutschland nutzen, um eine andere Diskussion aufzugreifen, die in den letzten Tagen durch die Presse gegeistert ist, nämlich die Diskussion über das Dreisäulenmodell der deutschen Bankenlandschaft. Es gibt ein IWF-Gutachten und entsprechende Äußerungen aus der Politik, die in die Richtung gehen, man sollte unser Dreisäulenmodell, das aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken besteht, dem angelsächsischen System anpassen. Das heißt, auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollten von den Großbanken übernommen werden können. ({8}) Man muss sich einmal klar machen, was das bedeuten würde. Zuständig hierfür - Sie wissen das - sind die Länder. Einer der CDU-Wirtschaftsminister, nämlich der Wirtschaftsminister Georgi aus dem Saarland, hat diese Diskussionsrunde bereits im letzten Jahr zum Nachteil der Sparkassen und Genossenschaftsbanken eröffnet. ({9}) Diese Diskussion wäre unserem gesamten Finanzwesen sehr abträglich. Der IWF hat auf der einen Seite festgestellt, dass das deutsche Bankenwesen gerade wegen des Dreisäulenmodells sehr stabil und effizient arbeitet. ({10}) Er verlangt aber auf der anderen Seite, dass wir das Dreisäulenmodell verändern. Man muss sich einmal klar machen, wer im Wesentlichen die Finanzierung des deutschen Mittelstandes sichert. Das sind nun einmal nicht die Großbanken, sondern die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken. Würde man den Verbund, der heute zwischen den Genossenschaftsbanken und Sparkassen existiert, angehen, dann würde das sehr schnell zu einem Dominoeffekt führen. Man würde den gesamten Verbund zerschlagen. Die Folge wäre, dass Großbanken wie zum Beispiel die Deutsche Bank die Sparkassen übernehmen und die lukrativen Privatkunden behalten würden, aber die gesamte Mittelstandsfinanzierung verlottern ließen, so wie sie es heute auch schon machen. Das wäre ein sehr großes Problem. Deshalb auch der Appell von dieser Stelle an die Landesminister, egal welcher Couleur, bei dieser Diskussion vorsichtig zu sein und das Dreisäulenmodell in diesem Lande zu erhalten. Meine Redezeit ist leider um. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das Investmentmodernisierungsgesetz. Das steht auf der Tagesordnung. ({0}) Es ist zwar interessant, über das Dreisäulenmodell zu sprechen, aber es hat mit dem heutigen Thema nichts zu tun. ({1}) Die FDP-Bundestagsfraktion wird diesem Gesetz zustimmen. Ich will diese Zustimmung mit einem Dank an die Mehrheit in diesem Hause und die Bundesregierung verbinden, einem Dank dafür, dass es gelungen ist, an diesem Thema gemeinsam zu arbeiten und auf die Einwände, Ergänzungsvorschläge und hilfreichen zusätzlichen Informationen aus der Praxis einzugehen, die wir auch in der Anhörung gehört haben. Ich freue mich, dass die Mehrheit auch Vorschläge aus den Oppositionsfraktionen berücksichtigt hat, sodass es möglich wird, nun gemeinsam dieses Gesetz zu verabschieden, und zwar mit der Hoffnung und dem Ziel, dass dies ein neuer und wesentlicher Beitrag zur Stärkung des Finanzplatzes Deutschland sein wird. ({2}) Die Hoffnung, die sich daraus ergibt, ist die, dass Deutschland nicht nur ein Vertriebsstandort für Produkte aus dem Ausland sein wird, egal ob diese von deutschen oder von ausländischen Firmen geschaffen worden sind, sondern dass es gelingen möge, dass Deutschland selber auch als Produktionsstandort wieder ins Zentrum gerückt werden kann. Nach Gesprächen mit vielen Sachverständigen habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es Sachverstand in Deutschland in ausreichender Weise gibt, sodass wir alle Voraussetzungen haben, um uns als Produktionsstandort für Fondsprodukte wieder in den Wettbewerb einbringen zu können und vielleicht auch kreativen Neuentwicklungen den Weg zu bereiten. Das wäre für diesen Standort wichtig. Deswegen hoffe ich, dass das auch gelingt. Ich will noch eine weitere Bemerkung machen. Das Vertrauen in den Standort, insbesondere was den Kapitalmarkt betrifft, ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass ein solcher Finanzplatz funktioniert. ({3}) Dazu hat der Journalist Bernd Wittkowski in der „Börsen-Zeitung“ einen sehr zutreffenden Satz gesagt: Wäre die Finanzpolitik der Bundesregierung auch nur annähernd von der Qualität wie ihre Finanzmarktpolitik, dann ginge es Deutschland besser. ({4}) Deswegen will ich daran erinnern, Frau Staatssekretärin: Vertrauen für den Finanzmarkt zu schaffen bedeutet mehr als die Schaffung von Finanzmarktförderungsgesetzen oder eine Liberalisierung bei den Fondsprodukten. Es geht darüber hinaus darum, durch die Steuerpolitik und mit Kontrollinstrumenten eine Kultur zu schaffen, die den Sparern - seien es deutsche oder ausländische Sparer - das Vertrauen gibt, in Deutschland bzw. in deutsche Produkte zu investieren und damit die Voraussetzungen für einen fungiblen Finanzmarkt zu schaffen, der den Investitionsbedürfnissen gerecht wird und das erforderliche Eigenkapital für die mittelständische Wirtschaft bereitstellt, sodass es auf dem Arbeitsmarkt wieder aufwärts gehen kann. Die Diskussion über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Abschaffung der Erbschaftsteuer, ({5}) Kontrollmitteilungen usw. hat eine gegenteilige Wirkung. Deshalb erinnere ich noch einmal daran: Wenn wir die Zukunft dieses Landes gestalten wollen, müssen wir berücksichtigen, dass alle genannten Faktoren zusammengehören. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Horst Schild, SPDFraktion.

Horst Schild (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002775, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns zumindest in einem Punkt einig, Herr Solms: Mit dem heute zur Beratung stehenden Gesetzentwurf werden die Rahmenbedingungen für den deutschen Finanzmarkt wesentlich verbessert. Wir haben uns bereits ausgiebig gegenseitig gelobt. Ich finde die konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung des Gesetzesvorhabens durchaus erfreulich. Die Frau Staatssekretärin hat die Fraktionen gelobt. In diesem Zusammenhang darf ich wiederum das BMF loben. ({0}) Denn durch die konstruktive Zusammenarbeit auch mit Ihrem Hause war es uns möglich, viele offene Fragen, die im Zuge des Beratungsverfahrens noch zu klären waren, zumindest so weit zu klären, dass wir heute feststellen können: Mit dem zu verabschiedenden Gesetz haben wir einen wesentlichen Schritt nach vorne getan. Möglicherweise werden in der Zukunft noch einige Fragen zu klären sein, wobei wir sicherlich in der gleichen vertrauensvollen Weise vorgehen werden wie heute. Die Zusammenarbeit ist auch deshalb wichtig, weil davon ein positives Signal für den Finanzplatz Deutschland ausgeht. Gleichzeitig wird signalisiert, dass hinter der Finanzmarktpolitik ein hohes Maß an Verlässlichkeit steht. Das ist, glaube ich, allen wichtig, die sich in diesem Bereich engagieren. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir im Finanzausschuss viele Anregungen des Bundesrates aufgeHorst Schild nommen haben. Ich möchte noch auf eines hinweisen. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme mit großer Sorge auf die mit der Verabschiedung des Gesetzes verbundenen hohen Steuerausfälle verwiesen. Ich weise darauf hin - das ist kein Geheimnis -, dass insbesondere die lange vor uns hergeschobene gebotene Gleichstellung der steuerlichen Behandlung von in- und ausländischen Fonds letztlich mit den hohen Steuerausfällen begründet wurde. Diese Steuerausfälle werden wir in Zukunft zu tragen haben. Der Bundesrat hat auch darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen des Subventionsabbaus dafür Sorge getragen werden muss, dass diese Steuerausfälle kompensiert werden. Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt. Ich hoffe, dass in der Phase, in der es um die Kompensation dieser Steuerausfälle geht, die Bereitschaft zur Mitwirkung genauso groß ist wie jetzt. Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, welche Bedeutung der Finanzsektor in unserer Volkswirtschaft hat. Das wird bisweilen unterschätzt. Der Anteil der Bruttowertschöpfung im Finanzsektor ist schon jetzt mit ungefähr 5 Prozent größer als zum Beispiel der Anteil der Automobilindustrie mit 3 Prozent. Das muss berücksichtigt werden; denn es hat Bedeutung für unseren Arbeitsmarkt. Deswegen schafft der Gesetzgeber jetzt die Rahmenbedingungen, die den deutschen Finanzdienstleistern den internationalen Wettbewerb erleichtern und ihnen die Chance bieten, an diesem Wettbewerb teilzunehmen. Dazu gibt es keine Alternative, jedenfalls keine, die wir politisch für verträglich halten. Denn die Alternative bestünde darin, hinzunehmen, dass große Bereiche von Finanzdienstleistungen zu anderen Standorten wie New York oder London abwandern. Es ist auch festgestellt worden, dass wir mit den Sachverständigen große Übereinstimmung erzielt haben. Wir verbessern eindeutig auch den Schutz der Anleger durch die Transparenzregeln und die Vorschriften betreffend die Verkaufsprospekte. ({1}) Ich möchte abschließend noch auf den steuerlichen Teil, das Investmentsteuergesetz, eingehen. Das, was wir lange vor uns hergeschoben haben, wird am 1. Januar 2004 endlich Wirklichkeit - das habe ich schon angedeutet -: die steuerliche Gleichbehandlung von inund ausländischen Fonds. Aber im Hinblick auf den steuerlichen Teil muss man auch sagen: Nach der Reform ist vor der Reform! Wir haben die Absicht, eine Reform der Kapitaleinkommenbesteuerung zum 1. Januar 2005 zu verwirklichen. Die Besteuerung der Investmenterträge muss darin eingebunden werden. ({2}) Aus Vereinfachungsgründen sieht der derzeitige Entwurf eines Investmentmodernisierungsgesetzes den Wegfall der so genannten Zwischengewinnbesteuerung vor. Das ist vertretbar, wenn zukünftig eine private Veräußerungsgewinnbesteuerung greift. Ich weise nur auf die Vorschläge Ihres Kollegen Merz hin, der das aufgegriffen hat. ({3}) - Das ist konstruktiv. Wir werden über die Frage der steuerlichen Behandlung sicherlich noch diskutieren. Wir müssen abwarten, welche Erfahrungen mit dem Gesetz gemacht werden. Ich hoffe, dass der Finanzplatz Deutschland und insbesondere die Anleger das neue Gesetz positiv aufnehmen werden. Dann wäre der heutige Tag erfolgreich gewesen. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Investmentmodernisierungsgesetzes - lassen Sie mich das vorwegnehmen - ist gut. Ein von Anfang an guter Gesetzentwurf wurde durch die Ergebnisse der Anhörung und die Zusammenarbeit im Finanzausschuss in relevanten Punkten noch entscheidend verbessert. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich eine Sachverständigenanhörung gelohnt hat; denn die sachlichen Punkte, die in der Anhörung vorgebracht worden sind, haben nachher tatsächlich Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Ich wünsche mir das auch für die zukünftigen Anhörungen zu anderen Gesetzentwürfen im Finanzausschuss. ({0}) Zusammenfassung von Kapitalanlage- und Auslandsinvestmentgesetz, erstmalige Zulassung von Hedgefonds in Deutschland, verkürzte Genehmigungsverfahren für Fonds, Umsetzung der europäischen Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren und steuerliche Gleichbehandlung in- und ausländischer Fonds, das sind die wichtigsten Regelungen des Investmentmodernisierungsgesetzes. Herr Kollege Schild, Sie haben zu Recht auf den fiskalischen Aspekt der Steuermindereinnahmen infolge der steuerlichen Gleichbehandlung von in- und ausländischen Fonds abgehoben. Aber dadurch werden am Produktionsstandort Deutschland neue Arbeitsplätze geschaffen und nehmen auch die Finanzaktivitäten zu, was wiederum die Besteuerungsgrundlage vergrößert und letztlich der Einnahmenseite zugute kommt. Herr Kollege Ulrich, es wäre sicherlich reizvoll, bei den Beratungen über den Entwurf eines Investmentmodernisierungsgesetzes auch auf die Gesichtspunkte der Dreigliedrigkeit des deutschen Bankensystems einzugehen. Ich empfehle Ihnen aber, unseren Antrag zum Finanzplatz Deutschland zu lesen. Dort finden Sie die entscheidenden Punkte und erfahren Sie, wie wir die Dreigliedrigkeit einschätzen. ({1}) Im Bereich der öffentlich besonders diskutierten Zulassung von Hedgefonds wurden wichtige Anpassungen des Gesetzentwurfes erzielt. So sollen SingleHedgefonds nun auch als Publikumsfonds aufgelegt werden können, was dieses Instrument sowohl für Anbieter als auch für Anleger deutlich interessanter machen dürfte. Gleichzeitig ist der Anlegerschutz - darauf ist schon hingewiesen worden - durch weitere Vertriebsbeschränkungen verbessert worden. Da auch die Bedingungen für Dach-Hedgefonds etwa im Bereich der Anlagemöglichkeiten verbessert wurden, sind wir überzeugt, dass hier gute rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Deutschland - das ist schon mehrmals betont worden - nicht nur als Vertriebsstandort, sondern auch als Produktionsstandort von Hedgefonds attraktiv zu machen. Zudem bin ich überzeugt, dass wir hier mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen auf europäischer Ebene - das Europäische Parlament regt eine Harmonisierung der Hedgefondsregulierung in Europa an - eine gute Vorleistung erbracht haben. Weitere Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf betreffen die Meldepflichten der Kapitalanlagegesellschaften, die Pflicht zur Prüfung des Sondervermögens durch einen Wirtschaftsprüfer, die aus Praktikabilitätserwägungen gestrichen wurde, sowie die Sitzstaatbindung bei Immobiliengesellschaften, die ebenfalls gestrichen wurde. Auch wenn das Investmentmodernisierungsgesetz ein großer Schritt ist, um Deutschland als Produktionsstandort der Fondsindustrie zu stärken, gibt es keinen Grund, sich auszuruhen. Die zukünftigen Aufgaben der Politik lassen sich in drei Punkten grob skizzieren: Erstens. Das Investmentmodernisierungsgesetz selbst ist fortzuentwickeln. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wie wir den Bereich der Immobiliengesellschaften künftig neu regeln wollen; denn von einer Neuregelung haben wir im Investmentmodernisierungsgesetz zunächst Abstand genommen. Die Vertriebsbeschränkungen für Single-Hedgefonds, insbesondere gegenüber anderen komplexen Finanzprodukten, müssen, wenn möglich, liberalisiert werden. Zweitens. Die Rahmenbedingungen am Finanzplatz Deutschland müssen über das Investmentmodernisierungsgesetz hinaus verbessert werden. Wir von der CDU/CSU haben in unserem Antrag „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“ - der Kollege Müller hat dazu schon etwas ausgeführt - dazu klar Position bezogen. Wir vertreten die Auffassung, dass das eine gute Grundlage für unsere Altersvorsorge sein kann. Drittens. Wir können uns - auch dies ist ein wichtiger Punkt; er ist schon angesprochen worden - im Bereich der Finanzmarktpolitik noch so erfolgreich bemühen: Wenn die allgemeinen steuerlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann bringen uns auch die besten Rahmenbedingungen für den Finanzmarkt bei der Schaffung von mehr Beschäftigung und Wachstum nicht entscheidend weiter. Gerade was die Finanz- und Steuerpolitik angeht, sind in den letzten Wochen kontraproduktive Ansätze vorgelegt worden. ({2}) Sie werden uns nicht weiterbringen. Um mehr Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, muss eine konsistente Finanz- und Steuerpolitik betrieben werden. ({3}) Wir brauchen ein deutliches Absenken der Staatsquote und klare Reformoptionen, wie wir sie mit den steuerpolitischen Vorschlägen von Friedrich Merz und mit den sozialpolitischen Vorschlägen der Herzog-Kommission vorgelegt haben. Nur so können wir Deutschland wieder voranbringen und nur so können wir die Zukunft in Deutschland gestalten. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen, Drucksachen 15/1553 und 15/1671. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1896, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/1296. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/930 mit dem Titel „Finanzplatz Deutschland weiter fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/748 mit dem Titel „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Schließlich empfiehlt der Finanzausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1296 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/369 mit dem Titel „Finanzplatz Frankfurt stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/ CSU angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Hans-Michael Goldmann, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Arbeitserlaubnisregelung für ausländische Saisonarbeitskräfte bis 2007 verlängern - Drucksache 15/1713 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Tourismus ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Hans-Michael Goldmann, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Arbeitserlaubnis für ausländische Saisonarbeitskräfte auf vier Monate ausweiten - Drucksache 15/1714 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Tourismus Angelika Krüger-Leißner, Alexander Dobrindt, Josef Philip Winkler und Ernst Burgbacher haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1713 und 15/1714 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Unterstützung grenzübergreifender kommunaler Zusammenarbeit im Rahmen der EUOsterweiterung - Drucksache 15/1327 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Brunhilde Irber, Klaus Brähmig, Jürgen Klimke, Undine Kurth und Ernst Burgbacher haben ihre Reden ebenfalls zu Protokoll geben.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1327 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. November 2003, 13 Uhr, ein. Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.