Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die Beratung des Antrags der FDPFraktion „Aktionsplan für freie, effiziente und innovative Forschung“ - Drucksache 15/1932 - zu erweitern.
Der Antrag soll in Verbindung mit Tagesordnung 16 beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie
der Resolutionen 1368 ({0}) und 1373 ({1})
des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksache 15/1880 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Peter Struck das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Eindämmung des internationalen Terrorismus ist auf absehbare Zeit die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung aller Demokratien. Deutschland
muss und will dazu weiterhin einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag umfasst übrigens weit mehr als nur den Einsatz militärischer Mittel.
Seit Ende 2001 befindet sich die Bundeswehr gemeinsam mit Verbündeten und Partnern im Kampf gegen
den internationalen Terrorismus. Ohne das Engagement
von rund 50 Nationen im Rahmen der Operation Enduring Freedom wäre der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus zum Scheitern verurteilt. Unsere Soldatinnen und Soldaten können schon jetzt eine beeindruckende Leistungsbilanz vorlegen.
Die deutschen See- und Seeluftstreitkräfte waren
während des gesamten vergangenen Jahres am Horn von
Afrika und vor der Küste Somalias im Einsatz. Schiffe
und Boote unserer Marine sind auch im östlichen Mittelmeer und seit dem 1. Oktober dieses Jahres in der Straße
von Gibraltar eingesetzt. Wir haben dort in hohem Maße
dazu beigetragen, den Seeraum zu überwachen, Handelsschiffe vor terroristischen Angriffen zu schützen,
Aktivitäten terroristischer Gruppierungen aufzuklären,
den Terroristen die Rückzugsgebiete zu verwehren und
ihre Nachschub- und Transportwege zu versperren.
Bis zum 15. September dieses Jahres waren Teile des
Kommandos Spezialkräfte gegen versprengte Reste von
Kämpfern der al-Qaida-Organisation und der Taliban in
Afghanistan eingesetzt. Wir haben während jeder Stunde
der zurückliegenden zwölf Monate den Airbus A310 sowie die notwendigen Sanitätskräfte für die notfallmedizinische Evakuierung in Bereitschaft gehalten. Bis zum
2. Juli dieses Jahres haben wir ein Kontingent von ABCAbwehrkräften in Kuwait stationiert, das den Nukleus
zur Fähigkeit zur Reaktion auf terroristische Angriffe
mit A-, B- oder C-Waffen nicht nur auf amerikanische
Verbündete bildete.
Unsere Soldatinnen und Soldaten haben durch professionelles Auftreten auch international höchstes Ansehen
gewonnen. Sie verdienen für ihre hervorragende Arbeit
Dank.
({0})
Redetext
Ausdruck dieser Wertschätzung des deutschen Beitrages
und der deutschen Bundeswehr ist zum Beispiel die
Übertragung des Kommandos über eine Taskforce 150
der Marinekräfte vor dem Horn von Afrika, das wir von
Mai bis September wahrgenommen haben.
All dies macht deutlich: Wir haben uns der Verantwortung zur Bekämpfung der Geißel des Terrorismus
gestellt - aus Solidarität gegenüber der internationalen
Gemeinschaft, gegenüber den Vereinigten Staaten von
Amerika, aber auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Denn eines bleibt klar: Der Terror bedroht auch
uns. Wir haben jedoch immer betont, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht allein und schon gar nicht
ausschließlich eine militärische Aufgabe ist.
({1})
Unser militärischer Beitrag ist nur ein Teil eines umfassenden politischen Ansatzes, der politische, wirtschaftliche, finanzielle, soziale und auch polizeiliche Elemente
einschließen muss. Nur mit einem solchen Ansatz kann
es gelingen, die Arterien des Terrorismus abzubinden
und illegale Finanzströme, Handel mit Waffen, Sprengstoff und Drogen, aber auch die Migration von Terroristen und ihren extremistischen Auftraggebern zu bekämpfen. Nur mit einem solchen Ansatz können wir die
Lebensbedingungen des Einzelnen verbessern und ihm
soziale und wirtschaftliche Perspektiven eröffnen, um
damit die Hinwendung zum Terrorismus zu verhindern.
Auf diese Weise bekämpfen wir den Terrorismus langfristig am wirkungsvollsten, entziehen ihm seinen Nährboden und den Terroristen ihre Rekrutierungsbasis.
({2})
Die nachhaltige Bekämpfung des Terrorismus ist eine
komplexe Aufgabe; aber es gibt bereits sichtbare Erfolge. In den Ländern am Horn von Afrika hat die Präsenz auch der deutschen Marineeinheiten stabilisierende
Wirkung entfaltet. In Afghanistan tragen die Bemühungen um den politischen und infrastrukturellen Wiederaufbau erkennbar Früchte. In Schulen wird unterrichtet;
auch Mädchen werden unterrichtet. Krankenhäuser werden aufgebaut; die Wasser- und Stromversorgung wird
wieder instand gesetzt. Der Prozess des Aufbaus staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen gewinnt an Momentum. Die Vorbereitungen für die Loya Jirga in Afghanistan schreiten voran. Der vorliegende Entwurf
einer Verfassung für dieses Land ist ein weiterer großer
Schritt nach vorn.
Doch wir wissen, der Kampf gegen den Terrorismus
ist noch längst nicht gewonnen. Ungeachtet aller Fortschritte ist die Befriedung Afghanistans noch nicht dauerhaft gesichert. Die Feinde der Freiheit gruppieren sich
neu, die Gefahr eines Rückschlages ist immer noch akut.
Es gilt, die erfolgreichen Stabilisierungsbemühungen
auch auf Regionen außerhalb Kabuls auszudehnen und
die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung gegenüber regionalen Machthabern zu ermöglichen.
Welche Gefahren und Risiken dort, aber auch anderswo nach wie vor lauern, hat das Selbstmordattentat
auf den Omnibus der Bundeswehr bei ISAF gezeigt, bei
dem am 7. Juni in Kabul vier Bundeswehrsoldaten ihr
Leben verloren haben, was uns schmerzlich die Gefahren nach wie vor bewusst gemacht hat. Das Attentat
von Casablanca im Mai dieses Jahres und der Anschlag
auf ein Hotel in Jakarta im August sind weitere Beispiele
für die anhaltende Bedrohung durch den internationalen
Terrorismus. Im Irak scheinen internationale Terroristen
bei einer Vielzahl von verbrecherischen Anschlägen gegen UN-Organisationen, gegen amerikanische Streitkräfte und gegen irakische Einrichtungen zunehmend
eine Rolle zu spielen. Jedes dieser Attentate zeigt: Das
Netzwerk des Terrors ist weiterhin weltumspannend aktiv.
Vor diesem Hintergrund hat der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen im Zuge der Erweiterung des Mandates der internationalen Schutztruppe für Afghanistan
vor wenigen Wochen erneut zum Ausdruck gebracht,
dass er alle internationalen Bemühungen zur Beseitigung
des Terrorismus unterstützt. Dabei bleibt der Einsatz militärischer Mittel nach wie vor unverzichtbar.
Deutschland wird weiterhin ausgewählte militärische
Fähigkeiten dafür bereitstellen. Der Beitrag bleibt erforderlich, um flexibel und schnell auf wechselnde Einsatzerfordernisse bei der gemeinsamen Bekämpfung des
internationalen Terrorismus reagieren zu können. Allerdings umfasst das Mandat, über das wir heute entscheiden, keine deutschen ABC-Abwehrkräfte mehr.
Die bisherige Personalobergrenze wird von maximal
3 900 auf 3 100 Soldaten gesenkt. Wir passen damit unsere Kräfte den gegenwärtigen Erfordernissen an.
Ich will hinzufügen, dass die Frage, warum das Mandat in diesem Umfang von der Bundesregierung beschlossen worden ist, offenbar in den Fraktionen - auch
in den Oppositionsfraktionen - diskutiert wird. Ich will
darauf eine Antwort geben. Wir haben uns einen Rahmen gesetzt. Innerhalb dieses Rahmens haben wir bestimmte Kräfte beschlossen. Dazu gehört Medevac, also
die Bereitschaft, an jedem Ort der Erde sehr schnell
Ärzte und Sanitäter einzusetzen. Dazu gehören die Unterstützungskräfte, Pioniereinheiten und vieles anderes
mehr.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir hier eine flexible
Grenze haben, die es uns ermöglicht, auch auf Situationen reagieren zu können, von denen wir nicht erwarten,
dass sie eintreten - wir hoffen, dass das nicht der Fall
sein wird -, bei denen wir aber auch nicht ausschließen
können, dass sie eintreten. Diese Obergrenze ist erforderlich, meine Damen und Herren.
Das entspricht im Übrigen auch dem Vorgehen der
Vereinigten Staaten von Amerika, die den Einsatz von
ABC-Abwehrkräften der internationalen Antiterrorkoalition zur Hilfeleistung nach terroristischen Angriffen
in Kuwait beendet haben. Ich darf daran erinnern, dass
wir in Kuwait ein gemeinsames Kommando mit Tschechien und den USA hatten. Dieses Kommando ist auf
Wunsch der Amerikaner aufgelöst worden, weil es für
sein Fortbestehen keinen Grund mehr gab.
Der durch den Einsatz bedingte Finanzaufwand beläuft sich bei einer angenommenen durchschnittlichen
Stärke von 710 Soldaten in den kommenden zwölf Monaten auf insgesamt 150 Millionen Euro. Diese werden
aus vorhandenen Ansätzen im Einzelplan 14 finanziert.
Dafür ist sowohl im Haushaltsjahr 2003 als auch im
Haushaltsentwurf 2004 Vorsorge getroffen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
von Anfang an die Auffassung vertreten, dass der Kampf
gegen den internationalen Terrorismus das Engagement
und Zusammenstehen aller zivilisierten Staaten erfordert. Nur gemeinsam besteht eine Chance, erfolgreich zu
sein.
Die Risiken, die für Soldatinnen und Soldaten im Einsatz bestehen, sind beträchtlich, wie wir auch für unsere
Bundeswehr leidvoll erfahren mussten. Umso wichtiger
ist, dass sich die Bundeswehr bei allen Auslandseinsätzen einer breiten parlamentarischen Unterstützung gewiss sein kann.
({3})
Ich bitte sehr darum, dass dieser Gesichtspunkt auch bei
der in der nächsten Woche zu treffenden Entscheidung
des Deutschen Bundestages zum Ausdruck gebracht
wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile dem Kollegen Andreas Schockenhoff,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
umfassende Ansatz zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist richtig. Die Operation Enduring
Freedom hat bereits Erfolge gezeitigt. In Afghanistan
sind die Taliban vertrieben worden. Vor kurzem ist ein
Verfassungsentwurf vorgelegt worden. Im nächsten Jahr
sollen Wahlen stattfinden.
Aber die militärische Absicherung dieses Prozesses
ist weiterhin unverzichtbar. Wir hätten nicht vor 14 Tagen eine Ausweitung der ISAF-Mission in die Region
Kunduz beschließen können, wenn dieser umfassende,
auch militärische Schutz nicht gegeben gewesen wäre.
Wir hatten im vergangenen Jahr bei der Verlängerung
des Mandats einen Disput darüber, ob es um den Kampf
gegen den Terrorismus oder um den Kampf gegen Massenvernichtungswaffen geht. Herr Minister Fischer, Sie
haben damals gesagt: Der Irak hat nichts mit Terrorismusbekämpfung zu tun. Dabei geht es um Massenvernichtungswaffen. Wir haben eine andere Prioritätensetzung.
Unabhängig davon, wie wir das seinerzeit bewertet
haben - wir sind zu unterschiedlichen Bewertungen gekommen -, glaube ich, dass aus heutiger Sicht niemand
mehr sagen würde, dass es im Irak nicht auch um den
Kampf gegen den Terrorismus geht. Ich glaube, man
kann auch nicht sagen, dass Massenvernichtungswaffen
nichts mit dem Terrorismus zu tun haben.
Sie nehmen zwar bei der Fortsetzung des Mandats die
800 ABC-Abwehrkräfte heraus. Das könnte uns zu dem
Schluss verleiten, dass Massenvernichtungswaffen keine
Gefahr mehr darstellen. Aber im Irak gab es Massenvernichtungswaffen. Sie wurden gegen die eigene Bevölkerung und gegen Nachbarstaaten eingesetzt. Der Irak hat
nach eigenen Angaben über biologische und chemische
Kampfstoffe verfügt. Die Tatsache, dass diese bisher
nicht gefunden wurden, bedeutet nicht, dass keine Gefahr durch Massenvernichtungswaffen mehr besteht,
sondern, dass diese Massenvernichtungswaffen noch
nicht unter internationaler Kontrolle sind. Es könnte also
auch dort sehr bald eine Situation entstehen, die erneut
den Einsatz von ABC-Kräften notwendig macht. Dann
müssten wir uns wieder mit diesem Thema beschäftigen.
({0})
Als wir das Mandat für Enduring Freedom in einer
dramatischen Abstimmung beschlossen haben - damals
war die Rücktrittsdrohung des Bundeskanzlers noch etwas Dramatisches -, ging es um den Einsatz in Afghanistan. Das war die Grundlage des Mandats. Heute ist
das Einsatzgebiet wesentlich unverbindlicher gehalten.
Das Gebiet nach Art. 6 des NATO-Vertrages umfasst die
Arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien, Nordostafrika sowie die angrenzenden Seegebiete. Sicherlich
haben wir zurzeit nur eine relativ geringe Ausschöpfung
des Mandats. Herr Minister Struck, Sie haben gesagt, Sie
gingen von bis zu 710 Mann aus. Es herrscht auch kein
akuter Einsatzdruck. Aber wir sollen die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag ermächtigen, das
Mandat bis auf das Fünffache des heutigen Umfangs in
einem kaum überschaubaren Einsatzraum auszuweiten.
Das kommt schon einer sehr weit gehenden Ermächtigung gleich. Wir müssen aber über den Einsatzraum und
darüber, wie die Bundesregierung mit einer möglichen
Ausweitung der Operationen innerhalb des Einsatzraumes umzugehen gedenkt, in der nächsten Woche in den
Ausschüssen noch intensiv reden.
Wir beraten derzeit aber auch über ein Entsendegesetz, das die Beteiligung des Bundestages genauer regeln soll. Wenn diejenigen, die heute ein solches Mandat
wollen, uns gleichzeitig ständig sagen, die Bundeswehr
sei eine Parlamentsarmee, dann kann man nur feststellen, dass das nicht zusammenpasst. Es ist schon bezeichnend, dass heute ausschließlich Mitglieder der Bundesregierung für die beiden Koalitionsfraktionen sprechen.
({1})
Sie, verehrte Abgeordnete, die Sie auf der linken Seite
des Hauses sitzen, können sich dazu überhaupt nicht
äußern.
({2})
Vielleicht haben Sie nächste Woche Gelegenheit - wenn
Sie das schon nicht öffentlich tun können -, sich zumindest in den Ausschussberatungen oder in Ihren Arbeitsgruppen auch als einfache Parlamentarier zu diesem
Thema zu äußern.
Vielleicht sollten wir - ich meine das ganz ernst - Anspruch und Wirklichkeit der Parlamentsbeteiligung realistischer sehen. Bei der Formulierung eines Mandats
müssen die Grundlagen des Einsatzes so präzise wie
möglich beschrieben werden. Ein Mandat muss aber
auch der Bundesregierung den Entscheidungsspielraum
lassen, um auf veränderte Situationen schnell und im
notwendigen Umfang zu reagieren. Es muss jederzeit die
umfassende Information des Parlaments sicherstellen.
Vor allem haben die Soldaten Anspruch auf eine breite
Zustimmung zu ihrem Einsatz. Darüber sind wir uns alle
einig.
({3})
Das Verfahren, das Sie heute wieder praktizieren, ist
dem aber nicht angemessen. Wir führen einmal pro Jahr
eine namentliche Abstimmung über ein sehr weit gefasstes Mandat im Plenum durch. Wir bringen vorher in den
Ausschüssen unsere Bedenken zum Ausdruck. Die Bundesregierung trägt diesen mit einer Protokollnotiz Rechnung. Das war es dann.
({4})
- Herr Kollege Weisskirchen, mir geht es überhaupt
nicht darum, den notwendigen Spielraum der Bundesregierung einzuschränken. Wir, das Parlament, müssen
aber über die gesamte Dauer eines Mandats in präzise
Einsatzentscheidungen zeitnah einbezogen sein.
({5})
Dafür brauchen wir ein kleineres, repräsentatives und
kurzfristig entscheidungsfähiges Gremium, das Details
eines von uns allen beschlossenen oder von uns allen zu
beschließenden Mandats mit der Bundesregierung klärt.
({6})
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Finanzierung von Enduring Freedom sagen. Als wir vor einem Jahr das Mandat verlängert haben, hieß es im Antrag der Bundesregierung: Für die einsatzbedingten
Zusatzausgaben ist im Einzelplan 14 bzw. im Haushaltstitel 60 02 Vorsorge getroffen. Herr Minister Struck, Sie
haben letztes Jahr im Verteidigungsausschuss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Finanzierung über den
Einzelplan 60 gewährleistet sei, dass also mit einer zusätzlichen Belastung des Verteidigungshaushaltes nicht
zu rechnen sei.
Heute haben Sie gesagt - so steht es auch im Antrag -,
es werde lediglich im Einzelplan 14 für die Deckung der
zusätzlichen Kosten Vorsorge getroffen. Derzeit sind
Gott sei Dank nur einige Hundert Soldaten eingesetzt;
das Mandat lässt aber einen Einsatz von bis zu 3 100
Soldaten zu. Wir bitten die Bundesregierung, in den
Ausschussberatungen nächste Woche auch etwas zur Finanzierung zu sagen. Die Bundeswehr ist dramatisch unterfinanziert. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass
durch langwierige und umfangreiche Einsätze bedingte
Zusatzausgaben wie selbstverständlich aus dem laufenden Verteidigungshaushalt bestritten werden.
({7})
Dies geht schon heute zulasten der Ausstattung. Wir dürfen das im Interesse der Sicherheit der Soldaten nicht
dauerhaft hinnehmen.
Der internationale Terrorismus bleibt eine große Bedrohung. Deutschland wird sich der Bekämpfung dieser
Gefahr nicht entziehen. Wir müssen in den Ausschussberatungen der nächsten Woche noch Details mit der
Bundesregierung klären.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Ich erteile dem Bundesminister Joseph Fischer das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei
Jahren haben wir hier im Deutschen Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring
Freedom beschlossen. Damit leisten wir im Rahmen der
internationalen Gemeinschaft unseren Beitrag zum
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Die Verlängerung - Kollege Struck hat das gerade
ausführlich begründet - ist sachlich geboten. Ich füge
hinzu: leider. Es wäre uns allen sehr viel lieber, wir
könnten heute sagen: Dieses Mandat kann auslaufen.
Von der Verlängerung geht ein wichtiges politisches
Signal an die Partner und an die internationale Staatengemeinschaft aus: Deutschland steht auch in Zukunft zu
seiner Mitverantwortung im Kampf gegen diese internationale Herausforderung.
Für uns ist die Erkenntnis entscheidend, dass der
Kampf gegen den internationalen Terrorismus der
al-Qaida nicht allein eine militärische Herausforderung ist. Wir beschließen hier ein militärisches Mandat,
weil es das Grundgesetz so verlangt. Das Spektrum dessen, was zu tun ist, ist allerdings wesentlich breiter. Die
Hilfen zur Modernisierung, zur Beendigung bitterer regionaler Konflikte, zum Wiederaufbau zusammengebrochener Strukturen stehen gleichgewichtig neben dem
militärischen, dem polizeilichen und dem geheimdienstlichen Engagement.
({0})
Auch eine breite internationale Koalition gegen diesen Terrorismus mit engster Informationskooperation ist
ohne jeden Zweifel von großer Bedeutung. Ein erfolgreiBundesminister Joseph Fischer
ches Voranschreiten in Afghanistan hat eine überragende
Bedeutung für unseren Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Herr Kollege Schockenhoff, ich möchte jetzt keine
Irakdebatte führen. Die Begründung, die Sie soeben angeführt haben, trägt nicht.
({1})
Ich habe gerade heute auf dem Weg hierhin die Information erhalten, dass es weitere Verluste bei engen Bündnispartnern von uns gegeben hat. Dies und auch der
schwere Verlust, den die USA durch den Abschuss eines
Transporthubschraubers erlitten haben, in dem sich
Soldaten auf dem Weg in den Heimaturlaub befanden,
machen klar, dass wir uns in einer Situation befinden, in
der die Bewältigung der Herausforderung, den Frieden
gemeinsam zu gewinnen, von allergrößter Bedeutung ist.
Unsere Betroffenheit gerade über die Verluste, die das
amerikanische Militär zu erleiden hat, ist sehr groß. Sowohl der Bundeskanzler als auch ich selbst haben dem
amerikanischen Präsidenten und dem amerikanischen
Außenminister unser Beileid übermittelt.
Wir werden diese Frage dennoch an einer anderen
Stelle diskutieren müssen. Ich füge hinzu: Sie ist in der
Zwischenzeit leider sehr schwierig und komplex geworden.
Ich möchte mich heute auf die Verlängerung des
Mandats konzentrieren. Ich möchte nochmals an die
Kollegen appellieren, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Es ist natürlich ein ungewöhnliches Mandat, wobei
der Begriff des Ungewöhnlichen zu kurz greift. Es war
die Reaktion auf eine historische Zäsur, auf den verbrecherischen Terrorangriff des al-Qaida-Terrorismus auf
die Menschen und auf die Regierung der Vereinigten
Staaten am 11. September 2001. Dort ist eine neue Herausforderung sichtbar geworden, die räumlich nicht eingrenzbar ist. Wir haben daher hier nicht mit der klassischen Mandatsstruktur zu tun. Das gilt bis auf den
heutigen Tag.
Kollege Schockenhoff, ich behaupte: Eine räumliche
Eingrenzung - zu diesem Versuch wären wir jederzeit
bereit; aber meines Erachtens würde uns das in ziemliche Untiefen führen - über die gegenwärtige Formulierung hinaus, das heißt eine präzisere Fassung, ist angesichts der Herausforderung durch den internationalen
Terrorismus schlicht und einfach nicht machbar. Deswegen hat sich die Bundesregierung hier für Kontinuität
entschieden.
Selbstverständlich - das kann ich den Kollegen aller
Fraktionen zusagen - gilt die geübte Mandatspraxis.
Sie können sich mittlerweile nicht nur auf den Text des
Mandats verlassen - ich verstehe völlig, dass das sehr
wichtig ist -, sondern auch - das ist ein ganz wichtiger
Gesichtspunkt - auf die geübte Mandatspraxis.
({2})
Für die Bundesregierung, insbesondere für den Kollegen Struck und für mich, kann ich sagen: Sollte sich im
Rahmen der Mandatspraxis eine Schwerpunktverlagerung ergeben - es wurde zu Recht darauf hingewiesen:
Schwerpunkt war Afghanistan, Schwerpunkt war der
Schutz der Seewege, Schwerpunkt war der Einsatz der
Füchse in Kuwait zur Abwehr und vor allem zur Feststellung einer Gefahr durch Chemiewaffen -, wird
selbstverständlich nichts geschehen - das gebe ich hier
schon vorweg zu Protokoll -, ohne dass die Bundesregierung die zuständigen Ausschüsse, die Obleute - in
Bezug auf das KSK gibt es eine bewährte Praxis auf der
Ebene Verteidigungsminister-Obleute - informiert, ohne
dass sie vorher ausführlich mit allen Fraktionen spricht.
({3})
Das liegt in unserem Interesse und selbstverständlich
auch im Interesse der eingesetzten Soldaten. Insofern
muss man an diesem Punkt wirklich den Begriff der geübten Mandatspraxis ernst nehmen.
Zu einem zweiten Aspekt, der in dem Zusammenhang
angesprochen wurde, Kollege Schockenhoff. Ich möchte
dazu gleich bei der ersten Lesung etwas sagen. Es geht
um die Frage, warum es jetzt zu einer Reduzierung
kommt, vor allem bei den Füchsen. Kollege Struck hat
darauf hingewiesen, dass vor allem die USA und Tschechien ihre Kräfte in dem Einsatzgebiet aufgelöst haben.
Sollte es außerhalb unserer Grenzen zu einer neuen Bedrohung kommen, wird allein die technische Einsatzvorbereitung dem Bundestag jede Möglichkeit zur Entscheidung geben. Wenn die Bundesregierung der
Meinung ist, das Mandat müsse wieder um diese Komponente ergänzt werden - andere Komponenten sind
ebenfalls denkbar; da kann aufgrund einer heute noch
nicht feststellbaren Bedrohungslage plötzlich ein neuer
Bedarf auftauchen; wir wissen, auf welch furchtbare Art
und Weise der internationale Terrorismus immer neue
Wege findet, um seinem verbrecherischen Handwerk
nachzugehen -, werden wir selbstverständlich wieder
auf der Grundlage einer Beschlussfassung der Bundesregierung und der vertrauensvollen Information des Parlaments nach sorgfältiger Prüfung einen Mandatsbeschluss
zu fassen haben. Die Zeit dafür ist gegeben.
Zu den anderen Komponenten - ich spreche jetzt
nicht von den Unterstützungskomponenten -: Ich hoffe
nicht, dass der Einsatz der Sanitätskomponente, vor allem der flugzeuggestützten Sanitätskomponente, notwendig wird. Ich hoffe, dass sie immer nur in Bereitschaft stehen wird. Aber wenn es notwendig wird, sollte
sie innerhalb weniger Stunden oder innerhalb eines Tages einsatzfähig sein. Das heißt, hier ist die Bereitstellung unverzichtbar.
Für das KSK gilt Ähnliches. Falls sich eine erneute
Bedrohungsverdichtung, vor allem im bisherigen Einsatzgebiet, ergibt - dort sind wir ja auch im Rahmen eines anderen Mandats mit nicht unerheblichen Kräften
präsent -, ist eine schnelle Entscheidung geboten.
Drittens müssen wir aufpassen, dass wir nicht ein völlig falsches Signal geben. Gott sei Dank haben wir nach
dem Angriff auf die USS Cole keinen direkten Angriff
auf die Seeschifffahrtswege erlebt; aber die Besorgnis aller Sicherheitsbehörden diesbezüglich existiert. Es wäre
ein falsches Signal gegenüber dem internationalen Terrorismus - ein Entwarnungssignal wäre schlicht und einfach nicht angemessen -, es wäre aber auch ein falsches
Signal an unsere Bündnispartner. Von daher erklärt sich
die hohe Bereitschaftskomponente auch und gerade in
Bezug auf den Schutz der Seewege, wobei wir nicht hoffen, dass wir mit einer konkreten Besorgnis oder gar einem konkreten Ereignis konfrontiert werden.
Aber dennoch ist hier eine hohe Einsatzbereitschaft
aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, gegeben.
Gemäß der Struktur des Mandats bleibt am Ende noch
die Aufgabe der Unterstützung von Transportfunktionen
sowie der Unterstützung unserer eigenen und der internationalen Stäbe.
Wir reden hier über Obergrenzen; diese sind allerdings nicht willkürlich definiert worden. Es läuft nicht
so ab, dass das Militär willkürlich Vorgaben von der
Bundesregierung bekommt, sondern das Militär definiert
diese Obergrenzen auf der Basis der eigenen praktischen
Erfahrungen. Ich denke, es ist angemessen und richtig
und gehört auch zur Übung bei der praktischen Umsetzung des Mandats, dass wir auf die militärische Kompetenz unserer Fachleute vertrauen. Angesichts dessen,
was sie bisher geleistet haben, verdienen sie unser Vertrauen. Darüber hinaus gilt ihnen auch unser Dank; denn
ohne diese verantwortliche Planung wären die Einsätze
der Soldaten in riskanten und gefährlichen Lagen nicht
möglich gewesen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir werden Zeit haben,
dieses Mandat in den Ausschüssen ausführlich zu diskutieren. Ich füge nochmals hinzu: Der Kampf gegen den
internationalen Terrorismus in seiner ganzen Breite ist
das eigentliche Ziel. Ich meine damit nicht nur die militärische Komponente, sondern denke auch an den breiten Sektor von polizeilichen, zivilen Komponenten und
politischen Antworten sowie an Hilfestellungen für die
betroffenen Völker, sich von einer totalitären Ideologie
zu lösen, sodass sie als konstruktive Mitglieder wieder in
die internationale Staatengemeinschaft zurückkehren
können. Wir leisten dazu mit dem Mandat für Enduring
Freedom im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten
einen nicht unerheblichen Beitrag. Die dort eingesetzten
Soldaten haben einen nicht ungefährlichen Auftrag gemeinsam mit unseren internationalen Bündnispartnern
wahrgenommen. Ich würde mich freuen, wenn wir hier
im Bundestag für die Fortsetzung dieses Mandats eine
sehr breite Zustimmung bekämen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Helga Daub, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Deutschland leistet einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den
internationalen Terrorismus. Die Bundeswehr arbeitet in
allen Einsätzen hochprofessionell und engagiert. Unsere
Soldatinnen und Soldaten genießen unter den Bündnispartnern hohes Ansehen. Im Namen der FDP-Fraktion
möchte ich den Dank und die Anerkennung aussprechen,
die alle Beteiligten verdient haben.
({0})
Die Bundesregierung schreibt in ihrem Antrag zu
Recht, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus noch lange nicht beendet ist - trotz aller Fortschritte. Riad, Casablanca und Jakarta sind Beispiele, die
uns sehr deutlich vor Augen geführt haben, welche Bedrohung nach wie vor für uns alle besteht. In Ihrem Antrag steht:
Das erfordert die fortgesetzte, lageabhängige Bereitstellung ausgewählter militärischer Fähigkeiten
durch Deutschland
- dem ist nur zuzustimmen; aber es müsste eigentlich ein
Punkt vor dem Zusatz stehen auf der Grundlage der entsprechenden bisherigen
Beschlüsse des Deutschen Bundestages.
Damit komme ich zu einem für unsere Fraktion sehr
wichtigen Punkt, zur Mandatsverlängerung. In aller
Deutlichkeit vorweg: Die FDP steht ausdrücklich und
ohne jeden Zweifel zu einer deutschen Beteiligung am
Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
({1})
Wir haben das Mandat Enduring Freedom bisher stets
unterstützt, wenn eine Entscheidung darüber nicht gerade mit einer Vertrauensfrage des Kanzlers verbunden
wurde. Wir möchten das gerne auch nächste Woche tun.
Der Regierung ist offenbar bewusst, dass ein Kontingent von 3 900 Soldaten auf Widerstand stoßen könnte
und hat deshalb die Zahl im vorliegenden Antrag auf
3 100 reduziert. Einige kritische Nachfragen müssen Sie
sich schon gefallen lassen: Zum Höhepunkt der Operation Enduring Freedom war das Mandatskontingent von
3 900 nahezu ausgeschöpft. Die Lage heute ist eine völlig andere. Aktuell sind nur noch 299 Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom im
Einsatz. Die Bundesregierung kommt auf eine Zahl von
710 Soldaten, weil sie die deutsche Beteiligung an der
NATO-Operation Active Endeavour im Mittelmeer mit
einbezieht. Active Endeavour ist zwar bisher eindeutig
kein Teil von Enduring Freedom. Da es sich aber auch
um Terrorismusbekämpfung handelt, könnte man die
Verknüpfung noch akzeptieren.
Unklar ist mir allerdings, warum das Parlament ein
Mandat für den Einsatz von 3 100 Soldaten erteilen soll,
wenn nur knapp über 700 im Einsatz sind und keine konkreten Planungen für eine Erhöhung des Einsatzkontingents bestehen. Es handelt sich also offenbar um ein
„Mandat auf Vorrat“, ein Vorratsmandat ohne jede Not.
({2})
- Sie hätten sich durchaus mit einem eigenen Redebeitrag zu Wort melden können. Lassen Sie mich meine
Ausführungen jetzt zu Ende führen!
({3})
Die Bundesregierung könnte bei Erteilung eines solchen Mandates ohne erneute Befassung des Parlaments
mit rund 2 400 Soldaten an bisher nicht bekannten Auslandseinsätzen teilnehmen. Ich möchte ein Beispiel nennen: Im Falle eines Terroranschlags im Jemen oder bei
einer Verschärfung der Situation in Afghanistan könnte
die Bundesregierung zwölf Monate lang bis zu
2 400 Bundeswehrsoldaten in gefährliche Einsätze entsenden, solange diese nur unter Enduring Freedom gefasst werden - ohne jede Parlamentsbeteiligung.
Ich glaube Ihnen ja, dass Sie sich gewissenhaft auf
diesen Antrag vorbereitet haben und die Zahlen kennen.
Deshalb können wir uns des Eindrucks nicht erwehren,
dass mit diesem Antrag der Parlamentsvorbehalt möglicherweise unterlaufen werden soll. Sie wollen vom
Bundestag eine Carte blanche, einen Blankoscheck für
den Einsatz von circa 2 400 Bundeswehrsoldaten in
einem riesigen potenziellen Einsatzgebiet, ohne dass
dann das Parlament noch einmal damit befasst werden
müsste. Das lässt sich mit unserer Auffassung von verantwortungsvollem Handeln nicht in Einklang bringen.
({4})
Die FDP-Fraktion fordert Sie auf, einen ehrlicheren
Mandatsantrag zu stellen. Ich wäre froh, wenn Sie so unsere Befürchtungen widerlegen könnten. Ein sinnvoller
Mandatsantrag würde von dem derzeit für erforderlich
gehaltenen Mandatsumfang ausgehen und eine Sicherheitsreserve mit einbeziehen. Vorhin kam ja schon öfter
zum Ausdruck, dass eine solche Sicherheitsreserve gebraucht wird. Das heißt, dass sich das Mandat auf etwa
1 000 Soldaten beziehen könnte, keinesfalls aber auf
eine Verfünffachung des derzeitigen Einsatzkontingents.
Noch einmal: Wir stellen unsere kritischen Nachfragen ausdrücklich nicht aus Zweifel an der deutschen
Beteiligung am Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Es wird aber deutlich, wie dringlich die Verabschiedung eines Entsendegesetzes ist.
({5})
Genau mit einem solchen Fall könnte sich zum Beispiel
ein Entsendeausschuss befassen. Die FDP-Bundestagsfraktion wird deshalb in der nächsten Woche hierfür
einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen.
Legen Sie einen ehrlichen Mandatsantrag vor, damit
wir in der nächsten Woche gemeinsam die Mandatsverlängerung beschließen können!
Danke.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Helmut Rauber, CDU/CSUFraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Anfang dieses Jahres waren noch gut
900 Soldaten in Kuwait, in Dschibuti und auch in Kenia,
in Mombasa im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eingesetzt. Sie haben unter extremen klimatischen Bedingungen einen harten Dienst verrichten müssen. Dafür sagen wir, die CDU/CSU, Danke.
({0})
Bedingt durch die veränderte sicherheitspolitische
Lage wurde vor wenigen Tagen der Stützpunkt in Mombasa geschlossen. Bereits Ende Mai wurden die
250 deutschen ABC-Abwehrsoldaten aus Kuwait abgezogen. Nach den vorgenommenen Umstrukturierungsmaßnahmen sind derzeit weniger als 300 Soldaten - darunter eine Soldatin - im Rahmen von Enduring
Freedom eingesetzt. Die Obergrenze des Mandats liegt,
wie bereits genannt, bei 3 100 Soldaten. Wir wollen in
diesem Punkt eine Präzisierung; denn uns erscheint die
Differenz zwischen Ist und Soll doch etwas zu groß.
Aus der genannten deutlichen Reduzierung der Anzahl der Soldaten den Schluss zu ziehen, dass der Kampf
gegen den Terrorismus bald gewonnen sei, wäre fatal.
Die fast täglich gemeldeten Anschläge im Irak und in Afghanistan zeigen ebenso wie die hinterhältigen Morde in
Kenia, auf Bali, auf Djerba und an anderen Stellen in der
Welt, dass die Hydra des Terrorismus nach wie vor lebt.
Wir alle kennen seit Jahren die Ziele und auch die
Techniken einer asymmetrischen Kriegsführung. Bis
zum 11. September 2001 hatten wir aber keine Vorstellung davon, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung sie einmal angewandt werden könnte. Die USA
wurden an diesem Tag auf ihrem eigenen Territorium
von einer terroristischen Gruppierung nicht mit Massenzerstörungsmitteln, sondern mit „weapons of mass effect“ angegriffen und bis ins Mark getroffen. Im World
Trade Center starben Christen ebenso wie Juden und
Muslime. Sie starben nicht, weil sie sich persönlich in irgendeiner Form schuldig gemacht hätten, sondern nur,
weil sie auf dem Boden einer westlich orientierten Kultur lebten und arbeiteten.
Diese und viele andere schreckliche Ereignisse dürfen
wir nicht verdrängen; denn sie sind - zumindest theoretisch - auch bei uns möglich. Eine terroristische Gruppierung, die den Tod von 20 000 unschuldigen Menschen will, strebt auch 2 Millionen Tote an, wenn sie nur
über die entsprechenden Zerstörungsmittel verfügt. Spätestens nach dem 11. September gibt es keine scharfe
Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit mehr.
Wenn wir zu Recht von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgehen, dann gilt dies auch für die Terrorismusbekämpfung. Die Diskussion über dieses alte und
doch so neue Phänomen muss vorurteilsfrei geführt
werden. Unsere Verfassung sieht eine klare Trennung
zwischen innerer und äußerer Sicherheit bzw. zwischen
Polizei und Militär vor. In Art. 35 unseres Grundgesetzes ist auch die Rechts- und Amtshilfe bzw. die Katastrophenhilfe geregelt. Die nach dem 11. September neu
zu stellende Frage ist, ob militärische Kräfte nicht erst
bei Eintritt einer Katastrophe, sondern bereits zur Abwehr einer potenziellen Gefahr - sprich: präventiv - eingesetzt werden können oder dürfen.
Ich nenne ein Beispiel. Vor dem Irakkrieg im März
dieses Jahres baten die Amerikaner unseren Verteidigungsminister, auch ihre Wohngebiete durch Bundeswehrsoldaten sichern zu lassen. Der Minister hat dies ablehnen müssen - ich betone: müssen -, weil diese
Aufgabe in die Zuständigkeit der Polizei fällt. Niemand
von uns will den Wehrpflichtigen als Terroristenjäger.
Worum es geht, ist, Redundanzen zu vermeiden und die
vorhandenen Mittel effizient einzusetzen.
Die Polizei verfügt über keine Aufklärungsmittel im
Bereich der ABC-Waffen und sie hat auch keine Kapazitäten, um unsere Lufträume oder Seewege zu kontrollieren. Auch die Überwachung oder der Schutz gefährdeter
oder sensibler Räume ist von der Polizei allein schon
aufgrund ihres Kräftemangels nicht zu leisten. Niemand
ist so naiv, zu glauben, dass es für alle sensiblen Objekte
- seien es Kraftwerke, Staudämme oder Überlandleitungen - einen hundertprozentigen Schutz rund um die Uhr
gibt. In den USA existieren allein 850 000 Stellen, wo
hochgefährliche Chemikalien produziert, verbraucht
oder gelagert werden.
Worum es geht, ist, bei - ich betone - sich abzeichnenden Krisenentwicklungen unsere lebenswichtige Infrastruktur besser schützen zu können. Allein aus diesem
Grunde brauchen wir die Bundeswehr in der Fläche.
Solange es kein in sich geschlossenes Konzept von Heimat- und Territorialschutz gibt, ist die Auflösung nicht
aktiver Truppenteile zu stoppen. Wir, die CDU/CSU,
wollen Heimatschutzkräfte, die sich aus Wehrpflichtigen
und Reservisten zusammensetzen und die von Fall zu
Fall auch die aktive Truppe unterstützen können.
Ich komme zum Schluss. Wir stimmen der Verlängerung der Operation Enduring Freedom unter den genannten Bedingungen zu. Wir wünschen allen Soldatinnen
und Soldaten, dass sie gesund und unbeschadet an Leib
und Leben von ihrer schweren Mission nach Hause zurückkehren können.
({1})
Ich erteile Kollegin Petra Pau das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Herbst vor zwei Jahren begannen die USA ihren militärischen Feldzug gegen den Terrorismus. Die Bundesrepublik folgte in - wir erinnern uns - bedingungsloser Solidarität vorerst nach Afghanistan.
({0})
- Nein, Herr Nachtwei. Da haben Sie eine Gedächtnislücke. Lesen Sie noch einmal nach!
({1})
Seither diskutieren wir in regelmäßigen Abständen
über Bundeswehrmandate bzw. über deren Verlängerung
und Ausweitung - auch heute wieder. So entsteht langsam der Eindruck, als ob es sich um Routine handele.
Das ist es aber nicht.
({2})
Denn es geht um Kampfeinsätze und um ein Kriegsmandat in einem explosiven Land.
({3})
Die PDS im Bundestag bleibt dabei: Schon das Erstmandat war falsch. Wir werden wieder Nein sagen.
({4})
Herr Bundesaußenminister, wir debattieren im Übrigen über die Fortsetzung des Einsatzes nicht deswegen,
weil dies im Grundgesetz verlangt wird, sondern deswegen, weil Sie dieses falsche Mandat verlängern wollen.
({5})
In der richtigen Welt gibt es eine ganz einfache Folge:
Man setzt sich ein Ziel und bestimmt Mittel und Wege.
Nach einer gewissen Zeit überprüft man alle drei: das
Ziel, den Weg und die Mittel. Sie tun das nicht. Sie bilanzieren nicht einmal, was von dem einstigen Kriegsziel übrig geblieben ist, obwohl jeder weiß: Osama Bin
Laden ist nicht gefunden worden. Die Taliban melden
sich zurück. Der Drogenanbau ist umfangreicher denn
je. Mit den Rauschgewinnen werden neue Kriege entfacht. - Was soll also die Verlängerung eines falschen
Mandates?
({6})
Vor zwei Jahren hatte der Bundesverteidigungsminister ausdrücklich betont, Deutschland werde sich nicht an
Kampfeinsätzen beteiligen. Das war schon damals wenig
glaubwürdig. Das wird noch unglaubwürdiger, wenn man
weiß, dass das KSK mit im Einsatz war, jenes Krisenspezialkommando, von dem Phoenix in dieser Woche berichtete: Keiner darf sagen, wer er ist. Keiner darf sagen, was
er tut. Aber jeder ist ein Spezialkrieger vor dem Herrn.
Auch einen weiteren Vorwurf bekommen Sie nicht
entkräftet. In demselben Maße, wie die USA im Irakkrieg um Entlastung buhlen, wächst das deutsche Engagement in Afghanistan. Dafür hat der Bundeskanzler
das ausdrückliche Lob des US-Präsidenten eingeheimst;
aber ein Friedenspreis ist das Gegenteil davon.
({7})
Wir haben immer davor gewarnt, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak durch die Hintertür zu
unterstützen.
({8})
Auch deshalb werden wir wieder mit Nein stimmen.
Noch einen Anwurf will ich Ihnen nicht ersparen. Sie
kürzen den Rentnern die Rente. Sie nehmen Arbeitslosen die Hilfe und kassieren von Kranken Gebühren. Zugleich beschließen Sie Mal um Mal, Millionen am Hindukusch zu verpulvern.
({9})
Um Irrtümern vorzubeugen: Ich gehöre nicht zu den Linken, die den Wehretat so weit aufteilen, bis alle Übel der
Welt gelöst sind. Aber ein Widerspruch bleibt; denn Sie
reformieren den Sozialstaat bis zur Unkenntlichkeit.
Herr Bundesaußenminister, um auf Ihren Zuruf zu
antworten: Wenn Sie die letzte Stufe der Steuerreform
vorziehen, gehen meiner Heimatstadt Berlin 400 Millionen Euro zusätzlich zu dem verloren, was uns SPD und
CDU mit dem Bankenskandal eingebrockt haben. Hier
wäre das Geld besser eingesetzt, als es am Hindukusch
zu verpulvern.
({10})
Kurz und gut: Das Ziel ist verlogen, der Weg ist
falsch und die Mittel sind vergeudet.
({11})
Deshalb lehnt die PDS die Verlängerung des Afghanistanmandates ab.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegen Christian Ruck, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller
Anstrengungen und aller Erfolge der Operation Enduring Freedom: Das Bedrohungspotenzial des internationalen Terrorismus hat sich kaum verringert; da sind wir
uns alle einig. Es kann nur dann erfolgreich und nachhaltig entschärft werden, wenn die Weltgemeinschaft geschlossen einen umfassenden Politikansatz verfolgt. Da
bin ich mit Verteidigungsminister Struck einer Meinung.
Aber dies bedeutet national wie international: Die
Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die Entwicklungspolitik sollten aus einem Guss sein. Für uns ist
wichtig, dass in dem spektakulären Alltagsgeschäft der
Terrorbekämpfung ein entscheidender Zusammenhang
nicht untergeht: Wenn wir verhindern wollen, dass für
jeden ausgeschalteten Terroristen zehn neue aufstehen
und dass aus Terrororganisationen breite Bewegungen
werden, müssen wir im Kampf gegen Armut, Unbildung
und Perspektivlosigkeit von Millionen von Menschen in
den Entwicklungs- und Tranformationsländern entschlossener, geschlossener und konzeptionell besser aufgestellt sein.
({0})
In vielen dieser Länder liegen nicht nur die Rückzugsbasen für die Terroristen, sondern auch die Nährböden des Sympathisantentums aufgrund der vielfach
untragbaren politischen, ökonomischen und sozialen Zustände. Staaten im Zerfall oder am Rande des Zerfalls in
Afrika und anderswo werden zu idealen Zulieferern für
organisierte Kriminalität und internationalen Terrorismus. Deswegen ist es eine der großen Aufgaben der Entwicklungspolitik, diese weltweiten Zeitbomben langfristig zu entschärfen und der Entstehung von noch mehr
Terrorismus und Kriminalität vorzubeugen.
({1})
Viele von uns haben eine kurze, aber dennoch sehr beeindruckende Reise nach Kabul gemacht. Dort haben wir
die symbiotische Wirkung zwischen außenpolitischer
Konzeption, Militäreinsatz und Wiederaufbauhilfe erlebt. Außenpolitische Konferenzen und der Einsatz der
Streitkräfte schaffen erst die Sicherheit dafür, dass aufgebaut werden kann und Staaten wieder zu einer gewissen
Verfassung zurückfinden. Wenn aber die außenpolitische Konzeption fehlerhaft ist oder wenn die Wiederaufbauhilfe zu langsam kommt und Erwartungen enttäuscht, sind auch unsere Streitkräfte, sind unsere
Soldaten in Gefahr.
Meine Damen und Herren von der Koalition, bei der
Umsetzung des Gesamtmodells ist noch erheblicher
Sand im Getriebe der Bundesregierung und das kann unter Umständen fatale Folgen haben. Die Politik der Bundesregierung ist mitnichten widerspruchsfrei und koordiniert. Ich möchte einige Beispiele nennen, die sehr eng
mit Enduring Freedom verbunden sind.
Erstes Beispiel, verdeutlicht an Afghanistan: Drei Minister reisen getrennt, handeln getrennt und reden getrennt. Die offenkundigen Animositäten der Leitungsund Arbeitsebenen von Außenministerium und Entwicklungsministerium sind ein offenes Geheimnis. Ein Resultat daraus ist der absurde Aufbau von Doppelstrukturen. Ich finde es auch bezeichnend, dass heute
niemand aus dem Entwicklungsministerium auf der Regierungsbank sitzt. Das stelle ich mit Bedauern fest.
Die Entwicklungsministerin fuhr nach Kabul und erklärte schon vorab, dass sie keine Soldaten sehen will.
({2})
Wir sagen: Für uns ist die Arbeit der Soldaten in Afghanistan oder auf dem Balkan sehr wichtig für den Wiederaufbau, weil das dort Sympathie schafft. Das wurde auch
von den Nichtregierungsorganisationen in Kabul ausdrücklich anerkannt.
({3})
Ein weiteres Beispiel: Herr Außenminister, Sie haben
gestern zu Recht davon gesprochen, dass sich Enduring
Freedom vor allem gegen den islamistischen Terrorismus wendet. Wir alle wissen, dass auch der Balkan ein
mögliches Einfallstor dafür ist. Das militärische Engagement der NATO hat vorläufig Frieden gebracht, aber die
außenpolitische Konzeption beispielsweise für BosnienHerzegowina oder für den Kosovo ist - das ist zu befürchten - eine Sackgasse. Die Aufbauarbeit auf dem
Balkan ist vielfach stecken geblieben und die Bundesregierung fährt die Hilfen für Südosteuropa drastisch zurück. Auch das hat etwas mit Enduring Freedom zu tun.
Nächstes Beispiel: Herr Außenminister, Sie waren ja
in Afrika. In den Afrika-Debatten der jüngsten Zeit
wurde auch über den Zusammenhang von Gewalt und
Chaos auf der einen Seite und Unterstützung für den
Terrorismus auf der anderen Seite diskutiert. Auch die
Afrika-Politik der Bundesregierung ist nach wie vor gespickt mit Widersprüchen.
Es kann doch niemand leugnen, Herr Außenminister
- damit komme ich zum Irak -, dass die Stabilisierung
und die langfristige Friedenssicherung im Irak für die
Friedenssicherung der gesamten Region und damit auch
für Enduring Freedom sehr wichtig sind. Deswegen kritisieren wir noch einmal nachdrücklich, dass Sie sich
einem nennenswerten Beitrag zum Aufbau im Irak bisher verweigert und damit jeden Einfluss auf die zukünftige Gestaltung dieses Landes verloren haben.
({4})
Das ist ein eklatanter Widerspruch zu Sinn und Zweck
von Enduring Freedom.
({5})
Enduring Freedom ist wichtig. Wenn aber der gefährliche Auftrag einen Sinn haben soll, müssen wir uns alle
breiter aufstellen. Dann muss auch die Bundesregierung
gerade im Zusammenwirken von Außen-, Sicherheitsund Entwicklungspolitik gefährliche Fehler abstellen.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1880 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie Zusatz-
punkt 10 auf:
16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kretschmer, Katherina Reiche, Thomas Rachel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Die Innovationskraft Deutschlands stärken Zukunftschancen durch moderne Forschungsförderung eröffnen
- Drucksache 15/1696 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Besteuerung von
Wagniskapitalgesellschaften
- Drucksache 15/1405 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Daniel Bahr ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Aktionsplan für freie, effiziente und innovative Forschung
- Drucksache 15/1932 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit technologischen Erfindungen und innovativen Produkten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten unseren Lebensstandard finanziert. Das ist auch in Zukunft unsere
einzige Chance in einer sich immer weiter globalisierenden Welt. Deshalb muss uns der aktuelle Bericht zur
technologischen Leistungsfähigkeit alarmieren.
Die Exportnation Deutschland führt mittlerweile
mehr „Wissen“ ein, als sie exportiert. Kontinuierlich
nimmt unser Export an technologischen Dienstleistungen ab. Innerhalb von vier Jahren hat sich der Negativsaldo auf ein Rekordminus von 7,5 Milliarden Euro im
Jahr 2001 nahezu verdoppelt. Unser Welthandelsanteil
an forschungs- und entwicklungsintensiven Waren liegt
bei mageren 14,8 Prozent. Dabei stützt sich dieser
Außenhandelserfolg des deutschen Technologiesektors
mittlerweile fast ausschließlich auf die AutomobilindusMichael Kretschmer
trie. Würde man sich das Experiment erlauben und diesen Automobilsektor aus der Außenhandelsbilanz herausrechnen, dann würde Deutschland nicht einmal mehr
zu den Ländern gehören, die sich im internationalen
Handel auf forschungsintensive Produktion spezialisiert
haben. Man könnte diese Liste noch weiterführen. Besonders dramatisch ist, dass wir auch im Bereich der
Schlüsseltechnologien immer weiter zurückfallen.
Meine Damen und Herren, die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet: Was ist der Grund für diese Entwicklung und wie kommen wir aus dieser Situation heraus?
Das Ziel ist klar: Deutschland muss im Bereich Forschung und Entwicklung wieder an die Weltspitze zurückkehren. Wenn wir auch in zehn oder 20 Jahren unseren Lebensstandard noch mit den Erfindungen unseres
Landes finanzieren wollen, müssen wir heute in Forschung und Entwicklung investieren.
({0})
Ein Kernsatz von Max Planck lautet: Dem Anwenden
muss das Erkennen vorausgehen. Sie, Frau Bulmahn,
versuchen es andersherum. Die Ergebnisse kann man im
Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit nachlesen, der seit einem halben Jahr vorliegt. Das Einzige,
was Sie bisher zu diesem erschreckenden Befund zu sagen hatten, war der Hinweis auf die Aufwuchszahlen Ihres BMBF-Haushaltes seit 1998.
Doch diese Zahlen können nur noch Laien beeindrucken. Tatsächlich lebt der Forschungsstandort Deutschland von seiner Substanz. Im Vergleich der OECD-Länder hinsichtlich der Intensität von Forschung und
Entwicklung ist Deutschland dramatisch zurückgefallen.
Länder wie die USA, Japan und Korea, aber auch unsere
europäischen Nachbarn Schweden, Finnland und die
Schweiz haben uns im Wettbewerb um die Ausgaben für
Forschung und Entwicklung längst überholt und investieren, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, weit mehr in
Forschung und Wissenschaft als wir.
({1})
Wenn Sie, Frau Bulmahn, in einer stillen Minute einmal ehrlich zurückschauen und sich fragen, warum das
Glück Sie verlassen hat,
({2})
dann werden Sie feststellen, dass es Ihnen in erster Linie
an einer Strategie für die Forschung in Deutschland gefehlt hat.
({3})
Außer Ankündigungen hat es bei Rot-Grün nicht viel
gegeben. So kämpft die Ministerin mit ihrem Kollegen
Clement um den Titel „größter Ankündigungsminister
im Kabinett Schröder“. Ich möchte Sie fragen, Frau Minister: Was ist eigentlich aus dem Hightechmasterplan
geworden? Ist er genauso wie Ihr Staatssekretär verschwunden? Ist er schon im Papierkorb gelandet oder
werden wir in den nächsten Wochen und Monaten noch
etwas von ihm hören?
({4})
Der warme Regen aus UMTS-Mitteln ist ebenfalls
versiegt. Damit ist wohl auch das Ende von einigen
wirklich wichtigen und hochgejubelten Zukunftsprojekten vorprogrammiert. Die Patentverwertungsoffensive,
der Bereich optische Technologien oder das nationale
Genomforschungsnetzwerk sind nur einige Beispiele,
bei denen aktuell gekürzt wird. Von Nachhaltigkeit kann
keine Rede sein. Wir schlagen in unserem Antrag deshalb einen Dreiklang aus folgenden Maßnahmen vor:
Anhebung der staatlichen Forschungsförderung, Erhöhung der Anreize der Wissenschaft zur Kooperation mit
der Wirtschaft und schließlich die Verbesserung der Innovationstätigkeit der Unternehmen.
Als Erstes müssen wir die Haushaltsmittel für die
Forschungsförderung erhöhen. Wir müssen so umschichten, dass wir zu weniger konsumtiven Ausgaben
und zu mehr Ausgaben für Forschung und Wissenschaft
kommen. Das Gegenteil ist derzeit aber der Fall: Im
Jahr 2004 stehen 155 Millionen Euro weniger zur Verfügung als noch in diesem Jahr. Und seit gestern sind es
noch einmal 84 Millionen Euro weniger. Frau Ministerin, das ist der Beitrag des BMBF zu dem Gesamtbetrag,
der dazu dienen soll, den Rentenbeitrag stabil zu halten.
Wir verfrühstücken für die Renten von heute das Geld,
das uns später fehlen wird, um durch Forschung Beschäftigung zu schaffen, wovon wir wiederum Renten
bezahlen können. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg.
({5})
Im Ergebnis steht eine Kürzung der Projektgelder und
Mittel für den Hochschulbau an - und das im Jahr der
Technik. Bis vor wenigen Wochen lautete der Titel noch
„Jahr der Wissenschaft“; der Schwerpunkt sollte auf der
Wissenschaft liegen. Der Kanzler hat gemerkt, dass daraus nichts mehr wird, und ruft deswegen schnell das
Jahr der Technik aus. Dass sich die deutschen Wissenschaftler betrogen fühlen und die ausländischen Kollegen nur den Kopf schütteln, dürfte angesichts dessen nur
verständlich sein.
Zweitens müssen die Mittel in Forschung und Entwicklung wesentlich zielgerichteter eingesetzt werden.
Wir können es uns nicht leisten, so wie in der Vergangenheit, unser Geld für ideologische Spielwiesen zu verschwenden. Mir ist es unerklärlich, warum wir Spitzenreiter bei der Erforschung gesellschaftlicher Strukturen
und Beziehungen sein müssen. Mein Eindruck ist, dass
unsere britischen Freunde beschäftigungspolitisch
freundlicher und klüger handeln, wenn sie mit 1,5 Milliarden Euro dreimal so viel Geld wie wir für Forschung
im Bereich Schutz und Förderung der menschlichen Gesundheit ausgeben. Das Ergebnis ist: Großbritannien ist
der Pharmastandort Europas.
Gerade die Projektmittel in den Bereichen Luft- und
Weltraumforschung, Nanotechnologien und Optik müssen aufgestockt werden. Der jetzige Trend, die Grundfinanzierung der Forschungsorganisationen zulasten der
Projektmittel zu erhöhen, ist der Höhepunkt der Absurdität. Projektförderung ist gerade für kleine und mittlere
Unternehmen der Zugang in die externe Forschung, beispielsweise in Netzwerke mit Forschungsinstitutionen.
Der Mittelstand ist durch die Ausgründungsbestrebungen der Industrie und die sinkende Fertigungstiefe der
Finalproduzenten der Schlüssel für mehr Innovation in
der deutschen Wirtschaft. Daher brauchen wir mehr Projektmittel und nicht weniger.
Drittens. Künftig wollen wir den Hochschulen und
später auch den Forschungsinstitutionen für eingeworbene Drittmittel eine Forschungsprämie bezahlen.
Leistung muss sich lohnen. Das Geld soll die Neigung
der Einrichtungen, mit Unternehmen zu kooperieren, erhöhen. Ob diese Mittel für technische Ausstattung, für
Honorare von wissenschaftlichen Mitarbeitern oder zur
Finanzierung einer eigenen Professur eingesetzt werden,
muss Sache der Hochschulen selbst sein.
Viertens wollen wir die Mittel für die industrielle Gemeinschaftsforschung jährlich um mindestens 5 Prozent
erhöhen. Dieses Instrument hat sich bewährt und muss
ausgebaut werden.
Fünftens. Ganz entscheidend ist die Mobilität zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Beispiele aus dem
Ausland zeigen, dass das der entscheidende Punkt für
Unternehmungs- und Existenzgründungen ist. Unser
starres BAT-Gerüst verhindert mit seiner Alimentierung,
dass die Wissenschaftler nicht aus der Wissenschaft in
die Wirtschaft wechseln. Sie bleiben in der Forschung.
Das müssen wir ändern. Wir brauchen Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Wirtschaft.
({6})
Damit komme ich - das ist mein sechster Punkt - zu
den neuen Bundesländern. Hier müssen wir die wissenschaftlichen und die industriellen Stärken weiter ausbauen; das ist ganz entscheidend. Ich will nicht von den
Problemen und Defiziten sprechen. Unser Blick ist nach
vorne gerichtet. Wir sehen, wie viele positive Beispiele
es gibt: die vielen Wissenschaftler, die nach vorne
schauen, die große Zahl der Unternehmensgründungen.
Die Forschung ist der entscheidende Faktor beim
Aufbau Ost. Davon sind wir überzeugt. Mit der Kürzung
der Hochschulbaumittel gefährden Sie allerdings den
Aufbau der Wissenschaftsinfrastruktur. Alle Maßnahmen, die jetzt gestoppt werden, wurden positiv evaluiert
und sind dringend notwendig. Wir fordern von der Bundesregierung, die Kürzungen im Haushalt 2004 rückgängig zu machen.
Wir erwarten außerdem von Ihnen, Frau Ministerin,
dass Sie die Frage der Grundfinanzierung der Forschungs-GmbHs endlich klären. Seit Jahren ist der Fortbestand dieser Einrichtungen, die aus den Akademieinstituten der DDR hervorgegangen sind, ungewiss. Bis
heute wird ihnen eine Grundfinanzierung vorenthalten.
In Berlin-Adlershof kämpft gerade ein solches Institut,
das Institut für Angewandte Chemie, ums Überleben.
Ende des Jahres läuft die institutionelle Förderung des
Bundes aus. Wovon das Institut ab Februar seine Mitarbeiter bezahlen soll, ist unklar.
Vor zwei Wochen hat uns der Staatssekretär hier noch
erklären wollen, dass man sich um das ACA keine Sorgen machen müsse. Das war zur selben Zeit, als das
BMBF seine Mitarbeiter aus dem Kuratorium abziehen
wollte. Das kann nicht wahr sein. Ich sage Ihnen ganz
klar: Für uns sind die Forschungs-GmbHs und das ACA
die Nagelprobe dafür, wie ernst es Ihnen beim Aufbau
Ost mit der Wissenschaft ist. Wir werden das ganz intensiv beobachten.
Die Wirtschaft in den neuen Bundesländern ist extrem
kleinteilig. Deshalb brauchen wir spezielle Forschungsprogramme für die Kooperation. Die Programme „InnoRegio“ und „Regionale Wachstumskerne“ sind Wege dahin. Mit diesen sind viele Probleme verbunden, weil die
Bürokratie zu groß ist. Wir haben oft darüber geredet,
Sie haben aber nichts daran geändert. Das bedauern wir
sehr. Ich will aber trotzdem nicht weiter darüber reden.
Viel spannender ist nämlich die Frage, wie es weitergeht. Das Projekt „Regionale Wachstumskerne“, das
aus acht Einzelteilen besteht, läuft Ende dieses Jahres
aus. Es ist völlig unklar, wie es weitergeht. Frau Ministerin, ich habe schon vor langer Zeit gefragt, was damit eigentlich passiert. Was ist dabei herausgekommen? Sie
haben bis heute keine Evaluation vorgenommen und
wissen bis heute nicht, ob sich das Projekt bewährt hat
oder nicht. Unsere Forderung ist, sich diese Projekte in
Zukunft ganz gezielt anzuschauen und schon lange vor
dem Ende der Projektlaufzeit zu entscheiden, ob man
sich in diesen Projekten weiter engagiert oder ob man sie
auslaufen lässt.
Bezogen auf die Arbeitslosigkeit ist die Situation in
den neuen Bundesländern dramatisch. Aus diesem
Grund kann man vom Bundesforschungsministerium,
wenn es um den Aufbau Ost geht, erwarten, dass es genau hinschaut und dort andere Regeln anwendet, als es
vielleicht im übrigen Deutschland geschieht.
Wir erwarten, dass schon vor dem Ende eines Projekts abgeklärt wird, ob zukünftig weiterführende Förderungen möglich sind und dass nicht einfach nur ein Impuls gesetzt wird. Dabei darf es nicht bleiben. Man muss
etwas mehr Zeit für den Aufbau Ost aufwenden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich erteile Bundesministerin Edelgard Bulmahn das
Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Innovationen sind das Lebenselixier
und die Basis für wirtschaftliches Wachstum, für unseren
Wohlstand und für unsere Gesellschaft insgesamt. Nur
mit neuen Produkten, Dienstleistungen und Verfahren
stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auf den globaBundesministerin Edelgard Bulmahn
len Märkten. Nur mit Innovationen schaffen wir neue
zukunftsfähige Arbeitsplätze für die Menschen in unserem Land.
Über diese Punkte besteht glücklicherweise ein breiter Konsens. Wie die Rede meines Vorgängers gezeigt
hat, endet dieser Konsens bei den Fragen, wo wir stehen
und wie wir weiter vorangehen. Faktenkenntnisse und
abgewogene Urteile zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands spielen eine erstaunlich geringe
Rolle. Bei der Verwendung mancher Zahlen - den Eindruck hatte ich bei Ihrer Rede, Herr Kretschmer - ist allerdings nicht selten auch eine bewusste Irreführung mit
im Spiel.
({0})
Ich denke hier zum Beispiel an den Umgang mit Daten der technologischen Zahlungsbilanz, die lediglich
die Gestaltung von Verrechnungspreisen innerhalb multinationaler Unternehmen widerspiegelt.
({1})
Genau das haben Sie nämlich beschrieben. Rückgänge
im internationalen Handel mit Patenten und Lizenzen
sind also keineswegs ein Hinweis darauf, dass unser
Land heute insgesamt mehr Wissen importiert als exportiert. Das weiß auch jeder, der sich mit der Sache etwas
ausführlicher und detaillierter beschäftigt.
({2})
Trotzdem werden diese Zahlen mit seltener Uneinsichtigkeit immer wieder verwendet, um genau diesen Unsinn zu behaupten.
({3})
Richtig ist Folgendes: Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den Staat und Wirtschaft für Forschung und
Entwicklung aufgewendet haben, ist - hören Sie gut zu von 2,2 Prozent im Jahre 1998 auf 2,5 Prozent im Jahre
2001 gestiegen.
({4})
Das ist die eigentlich wichtige Entwicklung. Seitdem ist
dieser Wert stabil; er ist nicht wieder gesunken.
({5})
Wir haben ihn steigern können und er bleibt stabil.
({6})
Das ist uns ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen
Situation, in der wir uns generell befinden, gelungen. Ich
finde, das ist ein Zeichen für das inzwischen weit verbreitete Bewusstsein für die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen, welches mir besonders wichtig ist; denn das
ist für die kommenden Jahre entscheidend.
({7})
Hochtechnologien und deren Anwendung sowie Innovationen spielen heute wieder eine Schlüsselrolle in
unserem Land. Deutschland ist der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Mitte der 90er-Jahre hatte nur
jede vierte Firma ein Produkt im Angebot, das auf neuen
Forschungsergebnissen beruhte. Heute hat jedes dritte
Unternehmen ein neues Angebot, mit dem es auf den
Markt drängt.
({8})
Keine Frage, wir müssen noch besser werden. Aber es
gibt eine positive Entwicklung in diesem Bereich, die
wir weiter unterstützen müssen.
Deutschland verfügt inzwischen über die höchste
Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Ein Beispiel: Noch Anfang der 80er-Jahre war Deutschland bei
der Produktion von Laserstrahlquellen Entwicklungsland.
({9})
Heute halten deutsche Unternehmen einen Weltmarktanteil von 40 Prozent.
({10})
Mehr als 50 000 zusätzliche Arbeitsplätze sind allein in
diesem Bereich entstanden.
({11})
Von diesen Entwicklungen in der Lasertechnik profitieren auch für uns so wichtige Bereiche wie der Maschinenbau oder die Fertigungstechnik. Das ist genau der
Weg, den wir gehen müssen: unsere Stärken ausbauen
und Arbeitsplätze durch Innovationen zukunftssicher
machen. Das ist meine Politik.
({12})
Wir haben mit unserem regionalen Förderansatz - insofern wiederspreche ich Ihnen, Herr Kretschmer; es
kann nicht um eine Förderung mit der Gießkanne gehen,
({13})
wir brauchen einen fokussierten Ansatz - in den neuen
Bundesländern Erfolge erzielt. Ich nenne nur das Beispiel Dresden.
({14})
Dort ist das Silicon Valley Europas entstanden, mit erheblicher öffentlicher Förderung gerade aus meinem
Ministerium. 1,2 Milliarden Euro öffentlicher Mittel
sind in diese Region geflossen. Schon heute liegt der Return bei 6 Milliarden Euro; 11 000 Arbeitsplätze sind
dort entstanden. Unternehmen aus Frankreich und den
USA - Sie haben sich das doch angeschaut ({15})
haben jüngst ihre Entwicklungsabteilung dorthin verlegt
und die Produktion eröffnet. Das zeigt, wie wichtig Investitionen in Forschung und Entwicklung sind; es zeigt
aber auch, wie wichtig es ist, dass man sie an der richtigen Stelle einsetzt.
({16})
Meine sehr geehrten Herren und Damen, diese Beispiele und Zahlen zeigen eines sehr deutlich: Die technische Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft ist gut. Allerdings werden auch die anderen Länder immer besser.
({17})
Dabei zeigt sich, dass sowohl in Europa als auch weltweit
die Länder mit den höchsten Investitionen in Forschung
und Entwicklung das höchste wirtschaftliche Wachstum
haben. Finnland, Schweden und die USA stehen beispielhaft dafür. Genau diese Länder sind unser Maßstab; denn
wir müssen uns mit den Besten der Welt messen und nicht
mit denen, die auf Platz 30 oder 35 stehen.
({18})
Wir wollen im weltweiten Innovationswettlauf nicht
nur mithalten, sondern den Takt der Entwicklung mitbestimmen. Deshalb brauchen wir eine neue Wachstumsdynamik. Die Reformen unseres Sozialstaates, die wir
gerade durchführen, eine klare Politik für weniger Bürokratie und eine klare Politik pro Bildung und Forschung
sind dafür die wichtigsten Voraussetzungen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper?
Selbstverständlich.
Frau Ministerin, wenn das so ist, wie Sie argumentieren, können Sie mir dann bitte erklären, warum
80 Millionen Euro gerade in Ihrem Haushalt - zulasten
von Bildung und Forschung - gestrichen werden sollen,
um Rentenlöcher zu stopfen?
Liebe Frau Pieper, nicht nur in meinem Haushalt werden 80 Millionen Euro gekürzt. Die Bundesregierung
insgesamt hat die Agenda 2010 beschlossen, welche
zwei Zielsetzungen hat. Diese können wir nur durchsetzen, wenn Sie alle in diesem Parlament mitmachen und
sich für das Gelingen einsetzen. Wir wollen mit dieser
Agenda 2010 die Säulen unseres sozialen Sicherungssystems stabilisieren und damit unser Rentensystem und unser Krankenversicherungssystem zukunftssicher machen.
({0})
Dazu müssen wir alle einen Beitrag leisten. Das ist
schmerzhaft. Aber wenn wir wollen, dass wir in Zukunft
wieder finanzielle Spielräume haben,
({1})
gerade auch im Bereich von Bildung und Forschung,
dann kommt es auf Sie alle an. Es wird sich zeigen, ob
Sie - FDP, CDU und CSU - im Bundesrat den Mut haben, beim Subventionsabbau mitzumachen.
({2})
Wir werden sehen, ob Sie nach Ihren Reden hier im Bundestag auch im Bundesrat den Mut und die Bereitschaft
aufbringen,
({3})
mit uns gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass wir in
den kommenden Jahren wieder finanzielle Spielräume
für Bildung und Forschung bekommen, um die notwendigen Zukunftsinvestitionen zu leisten.
({4})
Das ist sozusagen der Lackmustest, dem Sie sich stellen
müssen. Dieser Test wird zeigen, ob Sie es mit Ihrer Forderung nach mehr Geld für Bildung und Forschung ernst
meinen.
({5})
Ich hoffe, dass Sie es ernst meinen, weil ich davon
überzeugt bin: Wir müssen deutlich mehr Geld in Bildung und Forschung investieren.
({6})
Daran möchte ich überhaupt keinen Zweifel aufkommen
lassen. Sie wissen, dass wir dies alleine nicht entscheiden können.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Nachfrage von
Frau Pieper?
Wir haben ganz konkrete Vorschläge zur Erhöhung
der Mittel in diesem Bereich auf den Tisch gelegt. Ich
hoffe, Sie werden ihnen zustimmen.
Noch einmal: Gestatten Sie eine Nachfrage von Kollegin Pieper?
Nein, ich möchte mit meiner Rede weitermachen.
({0})
Wir schaffen genau diese notwendigen finanziellen
Spielräume mit der Agenda 2010, um in diesen so wichtigen Bereich weiterhin investieren zu können. Das haben wir im Übrigen auch in den vergangenen Jahren getan. Wir haben eine neue Dynamik in diesem Bereich
erreicht. In diesem Jahr stehen über 9,1 Milliarden Euro
für Bildung und Forschung zur Verfügung. Das bedeutet
im Vergleich zu 1998 einen Zuwachs von mehr als
25 Prozent.
({1})
Ich möchte aber ausdrücklich sagen: Andere Länder sind
genauso gut. Deswegen dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, sondern müssen zulegen.
Veränderungskraft und neue Ideen sind allerdings
nicht allein eine Frage des Geldes. Lassen Sie mich auch
das klar sagen: Innovation braucht vor allem kluge
Köpfe,
({2})
Akademiker genauso wie hoch qualifizierte Fachkräfte.
Zugespitzt formuliert: Wir dürfen nicht gleichzeitig älter,
weniger und dümmer werden. Deshalb gehört zur Verbesserung unseres Innovationssystems die Reform unserer Bildungs- und Ausbildungssysteme. Das sind Kernpunkte einer Erfolg versprechenden Innovationspolitik.
({3})
Die Basis für Innovationen wird mit exzellenter Forschung gelegt. Dafür brauchen wir eine zielgenaue Förderpolitik, die Kreativität und Kompetenzen für neue
Lösungen bündelt, Disziplingrenzen überwinden hilft
und die branchenübergreifenden Netzwerke aktiv fördert.
Wir haben deshalb die Mittel für die themenorientierte
Projektförderung neu gebündelt und dort konzentriert, wo
auf der einen Seite die größte Hebelwirkung für wirtschaftliches Wachstum zu erwarten ist und auf der anderen Seite dringender gesellschaftlicher Bedarf besteht.
Wir fördern den Ausbau bestehender Märkte in der
Mikrosystemtechnik. Die Erfolgsstory in Dresden ist ein
Ergebnis dieser Förderung in die Mikrosystemtechnik,
der optischen Technologien und der Materialforschung.
({4})
Wir erschließen neue Wachstumsfelder durch die gezielte Förderung der Bio- und der Nanotechnologie, die
sich mehr und mehr zu starken Wachstumsmotoren für
viele andere Branchen entwickeln.
Wenn Sie von der Opposition diese Schwerpunktsetzung nicht wollen, dann müssen Sie andere Schwerpunkte nennen.
({5})
Ich halte es für richtig, dass wir unsere Schwerpunkte
genau auf diesen Feldern setzen.
({6})
Zwischen 20 und 25 Prozent des jährlichen Wirtschaftswachstums in Deutschland beruhen auf dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nachdem in den 90er-Jahren vor allem andere
Länder, die hier früher viel stärker investiert hatten, von
diesen neuen Technologien profitierten, hat Deutschland
wieder Anschluss gefunden. Heute ist Deutschland einer
der modernsten IT-Standorte der Welt. Unter dem Dach
der Fraunhofer-Gesellschaft haben wir die europaweit
größte IT-Forschungseinrichtung mit einem erheblichen
und inzwischen sehr gut funktionierenden Forschungspotenzial geschaffen. Mit dem Programm „IT-Forschung
2006“ stellen wir insgesamt 3 Milliarden Euro für Forschung zur Verfügung, um die Innovationskraft genau in
diesem Bereich langfristig zu sichern.
Die Biotechnologie gehört zu den wichtigsten Innovationsfeldern des 21. Jahrhunderts. Wir erwarten, dass
bis zum Jahre 2020 biotechnologische Methoden an etwa
der Hälfte aller wichtigen Innovationen beteiligt sind.
({7})
Gerade in der Biotechnologie haben wir, nachdem wir
den Start in den 80er- und 90er-Jahren verschlafen haben, im internationalen Vergleich endlich wieder kräftig
aufgeholt. Nirgendwo sind in den letzten Jahren mehr
neue Biotechnologiefirmen als in Deutschland gegründet
worden. Nach einer Konsolidierungsphase stehen wir
gerade in Deutschland in diesem Bereich vor einem
neuen Aufschwung.
In den Jahren 2001 bis 2005 steht rund 1 Milliarde
Euro für die Förderung der Biotechnologie zur Verfügung. Wir haben erheblich aufgestockt und die Mittel für
die Projektförderung in nur fünf Jahren gegenüber Ihren
Ansätzen verdoppelt.
({8})
Damit setzt sich im Übrigen Deutschland bei der Finanzierung der Genomforschung durch die öffentliche Hand
in Europa an die Spitze und nimmt weltweit hinter den
USA die zweite Stelle ein. Allein für das Nationale Genomforschungsnetz, das genannt worden ist - ich habe
gerade in der letzten Woche die zweite Phase gestartet -,
werden wir in den kommenden drei Jahren 135 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
({9})
Dieses Forschungsnetz ist für die Innovationskraft unseres Landes von erheblicher Bedeutung. 17 Patente,
80 Patentanmeldungen und 94 konkrete Produktideen
sind hier bereits zu verbuchen. Ich bin sicher, dass wir in
Kürze auch mit einer Reihe von Firmengründungen
rechnen können.
Damit wir aber nicht nur gut in der Forschung sind,
sondern auch exzellent in der Anwendung und der Umsetzung - in der Nanotechnologie sind wir zum Beispiel
weltweit in der Forschung Spitze -, habe ich im Frühjahr
dieses Jahres den Hightechmasterplan vorgestellt.
({10})
Dabei geht es im Kern um folgende Punkte:
({11})
Die Bundesregierung hat bereits ein neues Modell - das
ist das Ergebnis der Diskussion, der Gespräche und der
Verhandlungen, die wir auf der Grundlage dieses Hightechmasterplans geführt haben - der öffentlichen Förderung von Wagniskapital eingeführt, das den geänderten
Rahmenbedingungen von Venture Capital im Markt gerecht wird. Wir haben einen neuen Dachfonds gegründet.
({12})
Wir haben ihn vor ungefähr drei bis vier Wochen vorgestellt, Herr Kretschmer. Das ist Ihnen vielleicht entgangen.
({13})
Damit haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen,
dass in unserem Land Venture Capital wieder in größerem Umfang zur Verfügung steht. Wir werden damit
Venture Capital in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro
mobilisieren können.
Frau Ministerin, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.
Ferner verbessern wir auch die steuerlichen Rahmenbedingungen für die jungen Technologieunternehmen
und ihre Finanziers in Deutschland. Die Bundesregierung wird deshalb in Kürze wichtige steuerliche Einzelfragen im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung von VC-Fonds abschließend regeln und über einen
Gesetzentwurf zum so genannten Carried Interest, den
Bund und Länder gemeinsam vorbereiten, wird hier im
Bundestag beraten.
Zu der Politik, die ich geschildert habe, gibt es keine
Alternative
({0})
und deshalb werden wir sie auch fortsetzen.
({1})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin
Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das Wort.
({0})
Frau Ministerin, Sie haben die FDP-Fraktion direkt
angesprochen, was die Unterstützung gerade für Forschung und Wissenschaft und insbesondere die Entscheidung im Bundesrat und in diesem Hohen Haus anbelangt. Ich möchte ausdrücklich für die FDP-Fraktion
festhalten, dass wir sehr daran interessiert sind, dass es
keine weiteren Kürzungen im Bereich Forschung, Wissenschaft und Bildung gibt.
Ich muss Sie fragen, Frau Ministerin, ob ich den gestrigen Bericht in einer renommierten Tageszeitung
Deutschlands ernst zu nehmen habe, dass Ihr Haushalt
- so konnte ich es lesen - um 80 Millionen Euro zulasten von Forschung und Bildung gekürzt werden soll.
({0})
Selbst wenn es nicht 80 Millionen Euro sind, sondern ein
geringerer Betrag, so werden wir von der FDP-Fraktion
das sicher nicht mittragen.
({1})
Das erwarten wir auch von Ihnen als Ministerin.
({2})
Ich will noch einmal von meiner Seite festhalten: Es
geht um Zukunftsinvestitionen. Sie selbst sind damals
als Ministerin mit dem Ziel angetreten, die Zukunftsinvestitionen zu verdoppeln. Sie haben dieses Ziel wieder
infrage gestellt. Wir haben mehrmals mit unseren Initiativen und mit unserem heutigen Antrag deutlich gemacht, dass wir bereit sind, dieses Ziel zu unterstützen.
Ich erinnere daran, dass es eine CDU/CSU-FDP-Bundesregierung war, die die Initiative zur Biotechnologie,
Bio-Regio, gestartet hat. Ich bitte, keine falschen Behauptungen in den Raum zu stellen.
({3})
Uns liegt sehr daran, dass Sie die Forschungsförderung,
insbesondere auch die Industrieforschung, in den neuen
Bundesländern voranbringen. In den neuen Ländern
macht die Industrieforschung nur noch 5 Prozent der
Forschung aus. Darauf sind Sie in Ihrer Rede gar nicht
eingegangen.
In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie angekündigt:
Bei der Entscheidung über neu einzurichtende Forschungszentren des Bundes wollen wir die ostdeutschen Länder vorrangig berücksichtigen.
({4})
Ich erwarte von Ihnen einen klaren Vorschlag. Die
Neutronenspallationsquelle wird eines der größten europäischen Forschungsvorhaben in den nächsten zehn
Jahren darstellen. Es besteht die Chance, ein Großforschungszentrum in den neuen Bundesländern einzurichten. Wo bleibt Ihre Initiative, Frau Ministerin?
({5})
Verzichten Sie bitte auf leere Worte und Versprechungen! Lassen Sie uns vielmehr Taten sehen und verhindern Sie weitere Kürzungen in Ihrem Haushalt. Wir werden Kürzungen jedenfalls nicht unterstützen.
({6})
Frau Ministerin, Sie haben die Gelegenheit zur Antwort.
({0})
Sehr geehrte Frau Pieper! Erstens ist es richtig, dass
mein Haushalt - wie auch alle anderen Haushalte der
Bundesregierung - zu Kürzungen herangezogen wird.
Das ist zwar schmerzhaft,
({0})
aber ich weiß, wofür wir das tun. Mit den Kürzungen
- das sage ich ausdrücklich - werden wir die finanziellen Spielräume schaffen, damit in den kommenden Jahren wieder mehr Mittel für Bildung und Forschung
eingesetzt werden können. Wir müssen - das ist der entscheidende Punkt - unsere sozialen Sicherungssysteme
sichern.
Alle Haushalte - auch meiner - werden herangezogen. Das ist zwar schmerzlich, aber wir tun das, damit
wieder mehr Geld für Bildung und Forschung zur Verfügung steht.
({1})
Liebe Frau Pieper, es ärgert mich, wenn Sie fordern,
mehr Geld für Bildung und Forschung bereitzustellen.
Auch wir wollen das und werden das auch wieder tun.
Wenn Sie aber gleichzeitig die Kürzung der Eigenheimzulage ablehnen, dann ist das nicht glaubwürdig.
({2})
Wer auch in finanziell schwierigen Phasen die notwendigen Mittel für Bildung und Forschung aufbringen will,
({3})
muss bereit sein, an anderen Stellen Subventionen abzubauen.
Was ich von Ihnen erwarte, ist, dass Sie nicht auf der
einen Seite mehr Geld für Bildung und Forschung fordern - darin, dass dies notwendig ist, stimmen wir mit
Ihnen überein -, während Sie auf der anderen Seite nicht
bereit sind, die schmerzhaften Einschnitte bei den Subventionen vorzunehmen, die für die Stärkung der finanziellen Ressourcen notwendig sind.
Ich erwarte von Ihnen nicht mehr und nicht weniger,
als dass Sie die von uns im Bundestag beschlossenen
Vorschläge im Bundesrat mittragen, damit wieder mehr
Mittel für Forschung und Bildung aufgebracht werden
können.
({4})
Ich komme zum zweiten Punkt. Sie haben die neuen
Bundesländer angesprochen, Frau Pieper. Diese Bundesregierung hat die Förderung der Forschung in den
neuen Bundesländern zu einem wichtigen Schwerpunkt
ihrer Politik gemacht.
({5})
Wir haben allein dafür die Mittel von 1,2 Milliarden auf
1,5 Milliarden Euro erhöht.
Des Weiteren haben wir es mit dem Inno-Regio-Programm erreicht, Forschung und Wirtschaft zusammenzubringen und damit nicht nur in Dresden, sondern auch
in vielen anderen Regionen der neuen Bundesländer
Wirtschaftswachstum in Gang zu setzen und neue Unternehmen und Arbeitsplätze zu schaffen. Zum Beispiel haben wir mit dem Inno-Regio-Programm in einem wirtschaftlich so schwierigen Land wie Sachsen-Anhalt
mehrere Tausend Arbeitsplätze geschaffen, und zwar in
einer relativ kurzen Zeit von knapp fünf Jahren.
({6})
Wir werden diesen Kurs, aufbauend auf hervorragendem Forschungspotenzial, in Zusammenarbeit mit kleinen und großen Unternehmen, aber vor allen Dingen
durch Neugründungen Arbeitsplätze zu schaffen und die
Forschung in den neuen Bundesländern zu stärken, fortsetzen.
Ich komme zum letzten Punkt. Es kann nicht sein, dass
einerseits die Landesregierungen auch weiterhin für ihre
Forschungseinrichtungen zuständig sein wollen - das gilt
für die Forschungs-AGs; für diese Forschungseinrichtungen ist der Bund nicht zuständig; wir haben aber die Forschungs-AGs durch Projektförderung unterstützt -, dass
sie aber andererseits nicht entscheiden, wie es weitergehen soll. Das ist notwendig; erst dann können wir vonseiten der Bundesregierung mit den Bundesländern darüber
verhandeln, wie diese Vorschläge umgesetzt werden können. Solange die Länder nicht wissen, wie sie mit den
Forschungs-AGs verfahren wollen, kann ich nicht handeln.
({7})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Bulmahn, für die FDP ist ganz klar: Unser Schwerpunkt
in dem vorliegenden Haushalt sind Bildung und Forschung. Wir haben das schon vorher deutlich gesagt. Wir
sind bereit, entsprechende Haushaltsmittel einzustellen,
und wir haben auch bewiesen, dass wir das tun wollen.
Des Weiteren wollen wir insgesamt 20 Prozent der
Subventionen abbauen; das wissen Sie. Aber wir wollen
auch eine Steuerreform, die zu niedrigen Steuersätzen
führt. Das gehört zusammen. Wir wollen die Menschen
in diesem Land nicht einseitig belasten, sondern für einen
entsprechenden wirtschaftlichen Aufschwung sorgen.
({0})
Genau das tun Sie natürlich nicht.
Frau Bulmahn, Sie erklären ständig, dass Sie einen
Anteil von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Forschung und Entwicklung ausgeben wollen. Inzwischen liegt dieser Anteil in der Privatwirtschaft bei gerade einmal 1,7 Prozent und beim Staat bei 0,8 Prozent.
Das bedeutet in Zahlen - das sollte man den Menschen
ruhig einmal sagen -: Sie müssten 4 Milliarden Euro
mehr ausgeben, um das angestrebte Ziel von 3 Prozent
zu erreichen. Wo ist denn dieses Geld, Frau Bulmahn?
({1})
Auch Herr Matschie - ich schätze ihn sehr und habe
mit Interesse gelesen, dass er als Nachwuchshoffnung
der SPD propagiert wird - hat zu Subventionskürzungen
aufgerufen. Aber in der gleichen Pressemeldung sagt er,
dass das Ministerium die Mittel für die Projektförderung
- das ist besonders interessant - um 84 Millionen Euro
kürzen werde. Dabei hat es schon einen Haushalt mit flächendeckenden Kürzungen um einen hohen Prozentsatz
in diesem Bereich gegeben. Trotzdem erklären Sie, Frau
Bulmahn, uns zehn Minuten lang, dass das alles nicht
wahr sei. Was sollen wir denn eigentlich noch glauben?
Wo sind denn hier der nach vorne gerichtete Ansatz der
Regierung und vor allem das Plus für Bildung und Forschung? Wir können das nicht erkennen.
({2})
Ich möchte Ihnen einen ganz persönlichen Rat mit auf
den Weg geben. In den vorangegangenen Tagen war zu
lesen, dass von den 300 Millionen Euro für das von Ihnen so hoch gelobte Ganztagsschulprogramm gerade
einmal 35 Millionen Euro abgerufen worden sind.
({3})
Ich komme aus einem Bundesland, in dem 1,5 Prozent
der Grundschulkinder von diesem Programm profitieren
könnten. Jetzt frage ich als Liberale: Wo bleibt die Gerechtigkeit? Was ist mit der Solidarität? Dieses Programm ist doch ein Flop größten Ausmaßes, Frau
Bulmahn. Nehmen Sie endlich die Gelder für das Ganztagsschulprogramm, die von den Ländern offensichtlich
nicht gewollt werden - rennen Sie doch nicht hinter den
Ländern her; das bringt doch nichts -, und setzen Sie sie
im Bereich von Bildung und Forschung ein, und zwar an
den Stellen, wo wir sie brauchen!
({4})
Deutschland ist im Bereich von Forschung und Technologie zur Importnation geworden. Wir führen inzwischen mehr Wissen und Hightech ein, als wir exportieren. Dagegen hilft auch kein Hightechmasterplan, Frau
Bulmahn.
Aber es fehlt nicht nur Geld, was wir auch in unserem
Antrag, den wir eingebracht haben, deutlich machen.
Vielmehr ist auch eine Strukturreform der deutschen
Forschungsförderung notwendig. Der Wissenschaftsrat
hat Ihnen schon vor Monaten ins Stammbuch geschrieben, dass es an Koordination von Förderinitiativen, an
Verfahren, Lücken aufzuspüren, an einer Prioritätensetzung, an variablen Begutachtungsverfahren und auch an
spezifischen Förderinstrumenten für unkonventionelle
Forschungsprojekte fehle. Wir finden es gut, dass der
Bundesrat - das möchte ich ausdrücklich sagen - jetzt
einen Vorschlag zur Besteuerung von Wagniskapitalgesellschaften gemacht hat; denn gerade junge, innovative
Unternehmen brauchen Wagniskapital. Die bisherigen
ungünstigen steuerlichen Rahmenbedingungen sind ein
Hemmschuh für private Kapitalgesellschaften.
Der Unionsantrag enthält eine Reihe von sinnvollen,
aber leider auch sehr teuren Forderungen. An dieser
Stelle möchte ich den Kollegen von der Union sagen: Ich
hätte mich gefreut, wenn Sie an den Haushaltsberatungen teilgenommen hätten.
({5})
Das wäre sehr hilfreich gewesen. Nun warten Sie mit
einer Reihe von Forderungen auf, die Sie aber nicht entsprechend hinterlegt haben, Herr Kretschmer. Es wäre
besser gewesen, Sie hätten sich wie wir konstruktiv eingebracht. Dann gäbe es jetzt entsprechende Vorlagen,
über die wir beraten könnten. Die FDP hat dies getan.
({6})
Unsere Etatforderungen begleiten wir heute mit unseren entsprechenden strukturellen Forderungen. Wir unterstützen die Forderung des Wissenschaftsrates nach
einem Forum für Forschungsförderung. Dann könnten
endlich Dopplungen und Lücken vermieden werden.
Wir wollen dem Vorschlag folgen, einen europäischen
Forschungsrat einzurichten. In einen solchen Forschungsrat gehören übrigens - das sagen wir an dieser
Stelle sehr ausdrücklich - Wissenschaftler und nicht Politiker. Außerdem wollen wir eine ressortübergreifende
Schwerpunktsetzung. Ich sage ebenfalls ganz klar: Wir
stehen in Konkurrenz zu Ländern wie den USA. Dort gibt
es in allen Bereichen riesige Programme. Dort ist klar erkennbar: Dieses Land führt eine gewaltige Nanoinitiative
und eine gewaltige Life-Science-Initiative durch.
Bei uns „tröpfeln“ entsprechende Ansätze durch die
verschiedenen Haushalte.
({7})
Wer sich zum Beispiel die Energieforschung anschaut,
der stellt fest: Diese Ansätze „tröpfeln“ sogar durch
Haushalte von Ministerien, die sich bekämpfen. Was die
Energieforschung angeht, sind mittlerweile sowohl Frau
Künast als auch Herr Trittin als auch Herr Clement als
auch Sie, Frau Bulmahn, am Hebel. Offensichtlich sind
Sie die Schwächste in dem ganzen Konzert. Das ist nicht
produktiv.
Überlegen Sie einmal, mit welchen Größenordnungen
wir es zu tun haben! Allein der Aufwuchs der Mittel für
die Biowissenschaften eines Jahres in den USA entspricht dem Gesamtansatz der deutschen Wissenschaftsorganisationen Max-Planck-Gesellschaft und Deutsche
Forschungsgemeinschaft. Ich wiederhole: Das Plus dieser Mittel in den USA entspricht dem Gesamtansatz dieser deutschen Wissenschaftsorganisationen. Machen Sie
sich das einmal bewusst! Frau Bulmahn, insofern brauchen wir uns nicht der Illusion hinzugeben, dass Sie auf
einem positiven Weg sind.
Ich will Ihnen an dieser Stelle aber sagen: Ich wäre
wirklich froh, wenn Sie es wären. Wir von der FDP unterstützen Ihre Strukturreformen und Ihre Forderung
nach mehr Geld. Da ich gerade Frau Zypries sehe: Wir
freuen uns über Ihren innovativen Impuls.
({8})
Wir erwarten von der Regierung aber, dass sie diesen
Impuls auch umsetzt. Hüpfen müssen Sie selbst, liebe
Frau Bulmahn!
({9})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Kretschmer. Die Betonung liegt auf „kurz“, da
Sie schon ausführlich geredet haben.
Vielen Dank, Herr Präsident, für diese freundliche Ermahnung. - Frau Ausschussvorsitzende, ich möchte gern
darauf eingehen, warum wir im Haushaltsausschuss
keine Änderungsvorschläge gemacht haben: Zu diesem
Haushalt kann man keine Änderungsvorschläge machen.
({0})
- Herr Kuhn, ganz ruhig. Ich war da. Wir alle waren da.
Wir haben uns Ihr Zahlenwerk ganz genau angeschaut.
Dieser Haushalt ist eine einzige Makulatur.
({1})
Wenn man alles zusammenrechnet, dann stellt man fest,
dass die Neuverschuldung im kommenden Jahr bei
40 Milliarden Euro liegt, und zwar ohne das, was jetzt
noch hinzukommt. Was sollen wir denn da diskutieren?
In diesem Haushalt steht nichts von einem Zuschuss an
die Bundesanstalt für Arbeit und nichts von einem Zuschuss an die Rentenkasse. Wir sehen in diesem Jahr
doch, was los ist. Warum soll man denn über so einen
Haushalt diskutieren?
({2})
Ziehen Sie diesen Entwurf zurück und legen Sie einen
neuen vor! Wenn Sie das getan haben, dann können wir
Vorschläge für Forschung und Entwicklung machen!
Der ganze Haushalt ist nichts als Makulatur und aus diesem Grunde beteiligen wir uns an dieser Show nicht.
({3})
Frau Flach, Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Herr Kretschmer, Sie haben sich im Ausschuss nicht
beteiligt.
({0})
- Na gut, seine Kollegen waren da.
({1})
Von jemanden, der seriös agiert, erwarte ich, dass er
keine Vorschläge macht, deren Umsetzung an sehr vielen Stellen Aufwüchse nach sich zieht. Ich erwarte eine
gewisse Seriosität in der Diskussion.
({2})
Im letzten Jahr sind wir, die FDP, kritisiert worden,
unseriös zu sein. Wir haben uns dieses Mal bemüht, ordentlich vorzugehen. Auch einer Oppositionsfraktion
wie der CDU/CSU hätte es gut zu Gesicht gestanden,
das zu tun.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was Herr Kretschmer gerade gesagt hat, war ja lustig.
Ich finde, dass wir das Thema Innovation in einem anderen Ton behandeln sollten.
({0})
- Ich habe das getan, weil Herr Kretschmer nicht im
Ausschuss war, Herr Kollege.
Wenn in Deutschland eine größere Zahl von Arbeitsplätzen entstehen soll, dann müssen wir uns im Parlament - das gilt auch für Sie - auf eine Strategie der
Innovationen verständigen, was die Bildung und die
Forschung angeht, was die Finanzierungsinstrumente
angeht und auch was die technischen Leistungen angeht,
für die wir die Menschen in unserem Land motivieren
können.
({1})
Ich bin für diese Debatte erst einmal dankbar.
({2})
- Für Ihr Problem gibt es in Apotheken eine Lösung,
nämlich Baldrian, Herr Kollege.
({3})
Dass ein Antrag des Bundesrats auf dem Tisch liegt,
der bessere und berechenbare Rahmenbedingungen für
Wagniskapitalgesellschaften verlangt, und dass wir da zu
einer Einigung kommen werden, ist ein positiver erster
Schritt.
({4})
Herr Professor Riesenhuber, Sie werden zugeben:
Dass der Dachfonds jetzt eingerichtet ist, der mit privaten Beteiligungsgebern auf ein Volumen von immerhin
1,7 Milliarden Euro kommen wird, ist ein wichtiger
Schritt für Wagnisfinanzierung und für innovative Firmen, vor allem in der zweiten Phase, in der es bei den
Investitionen große ökonomische Probleme gibt. Gegenüber der letzten Debatte sollte man einfach einmal festhalten: Jetzt gibt es einen Fonds, aus dem innovative Firmen Mittel abrufen können. Das ist ein Fortschritt für
den Innovationsstandort Bundesrepublik.
({5})
Opposition muss immer klagen, aber sie muss auch
erkennen, was sich positiv verändert hat. Ich bin froh,
Herr Riesenhuber, dass Sie nach mir sprechen werden,
weil Sie ein Mensch des Konstruktiven und nicht des
Wadenbeißens sind.
({6})
Wir müssen in der Tat mehr für die Bildungskette in
Deutschland vom Kindergarten bis zur Hochschule, Forschung und Weiterbildung tun. Ich stimme Ihnen von der
FDP zu, wenn Sie sagen: Da muss mehr geschehen; da
darf nicht gekürzt werden. - Allerdings: Wenn Sie genau
hinschauen, stellen Sie fest, dass der Bund gegenüber
1998, als Sie noch regiert haben, also in fünf Jahren,
trotz der Kürzungen, die jetzt stattfinden, insgesamt
1 Milliarde Euro mehr für Forschung und Entwicklung
ausgegeben hat.
({7})
Das einzuräumen gehört zur Redlichkeit dazu.
Es ist etwas aufgewachsen. Wir von den Grünen sagen: Das ist zu wenig. Auch die SPD sagt: Es ist zu wenig. - Wenn die finanziellen Verhältnisse durch Abbau
der Arbeitslosigkeit wieder besser werden, dann werden
wir versuchen, das weiter aufzufüllen.
({8})
Da besteht Konsens in der Regierung; da freuen Sie sich,
Frau Bulmahn. Aber es stimmt, dass in der ganzen Bildungskette mehr getan werden muss.
Was Sie zu den Ganztagsschulen gesagt haben, ist
übrigens nicht richtig.
({9})
In den einzelnen Ländern geschieht jetzt Folgendes: Das
wächst systematisch auf. Der Widerstand der Länder
geht zurück, weil vor Ort die Bevölkerung, vor allem die
Eltern, Druck ausübt dahin gehend, dass man in einem
konstruktiven Konzept den Einsatz dieser Mittel mit
Landesmitteln verknüpft.
({10})
- Da sind Sie einfach nicht richtig informiert, liebe Kollegin.
Wenn wir das Ziel „3 Prozent vom BIP für Forschung
und Entwicklung“ erreichen wollen - das wollen Sie,
wenn ich Sie richtig verstanden habe, das wollen die
Kollegen von den Schwarzen und das wollen wir -, dann
gibt es eine entscheidende Anforderung - da müssen Sie
sich bewegen -: Wir müssen uns gemeinsam energisch
an den Abbau von Subventionen machen.
({11})
Sie fordern mehr für Forschung und Bildung, aber immer dann, wenn ein Subventionsabbauvorschlag auf den
Tisch kommt, finden Sie eine Lobby, aus deren Sicht
heraus Sie argumentieren können, dass gerade dieser
Vorschlag nicht umgesetzt werden kann.
({12})
Schauen Sie sich doch an, wie das mit den Vorschlägen läuft! Herr Stoiber, der bayerische Ministerpräsident, macht einen Teildeckungsvorschlag für das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform. Wo will er
kürzen? - Er will - das müssen Sie sich jetzt leider anhören - bei den Weiterbildungsmitteln der Bundesanstalt
für Arbeit kürzen, weil er die Weiterbildung offensichtlich nicht für ein zentrales Instrument hält, das dazu beiträgt, in Deutschland zu mehr Innovationen zu kommen.
({13})
Solange Sie so etwas gutheißen, brauchen sie uns nicht
zu erzählen, wir sollten mehr für Bildung tun.
({14})
Sie kürzen da, wo es Ihnen gefällt. Damit verlieren
Sie entscheidend an Glaubwürdigkeit. Herr Hinsken, Sie
als Handwerker wissen doch, wie wichtig es ist, dass
man glaubwürdig bleibt.
({15})
Wenn man nicht glaubwürdig bleibt, kann man seine
Produkte und seine Politik nicht mehr verkaufen.
({16})
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, auf den
wir uns verständigen müssen. Systematischer, als es in
einer Zahlendebatte geschieht, müssen wir einmal fragen, was eigentlich Innovationen blockiert.
({17})
- Jetzt einmal etwas ernster, Herr Kollege! Sie müssen in
solchen Debatten mehr Ernsthaftigkeit aufbringen.
Ich will zwei Punkte nennen. Sie können entscheiden,
ob Sie die teilen.
Erstens. Fehlender Wettbewerb ist schlecht für Innovationen.
({18})
Ich will ein Beispiel nennen. Ich glaube, dass der
Gesundheitsmarkt, der Markt für Gesundheitstechnik
und Gesundheitstechnologien, einer der größten innovativen Märkte der Zukunft überhaupt ist.
({19})
Das wird auch in der Forschungs-Community nicht
bestritten. Wenn das so ist, dann dürfen wir nicht eine
Gesundheitsreform machen, die sich nicht das Ziel setzt,
echten Wettbewerb der Anbieter im Gesundheitssystem
zu ermöglichen. Da müssen wir ran, wenn wir Innovationen wollen. Wir dürfen nicht die Kartelle schonen, wie
dies in der Vergangenheit geschehen ist.
Wettbewerb zwischen der pharmazeutischen Industrie, den Ärzten, den Krankenkassen und den Anbietern
im Gesundheitssystem ist also gut für Innovationen.
Demgegenüber sperren wir uns in einer Art großer Koalition, indem diese Frage gar nicht erst aufgeworfen
wird.
Der zweite Punkt betrifft die Subventionen. Es gibt
einen ganz einfachen Satz: Wenn wirtschaftliche Strukturen subventioniert werden, kommt es zu Fehlsteuerungen. Wenn für Unternehmen der Subventionswettlauf
einfacher ist als der Innovationswettlauf, dann entscheiden sie sich für den Subventionswettlauf. Das ist eine
ganz einfache ökonomische Tatsache. Subventionen, die
über einen langen Zeitraum gewährt werden, stellen ein
Trägheitsmoment in einer innovativen Gesellschaft dar.
Deshalb müssen Sie nicht nur aus finanzpolitischen
Gründen, sondern auch, um ökonomische Fehlsteuerungen zu verhindern, dabei mithelfen, Subventionen abzubauen, und dürfen nicht als Sprachrohr der Lobbys der
Subventionsempfänger hier im Bundestag auftreten.
({20})
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen, der für
mehr Innovation genauso wichtig ist. Wer die Geschichte von Innovationen in anderen Gesellschaften
und anderen Zeiten studiert, der wird immer feststellen,
dass ein vernünftiges Maß an Einwanderung, also dass
Leute von außen mit höheren Qualifikationen hereinkommen, die Voraussetzung dafür war, dass Gesellschaften Innovationen hervorbringen konnten. Ihr Verhalten
gegenüber dem Zuwanderungsgesetz kann man jedoch
nicht anders als Blockade bezeichnen.
({21})
Schauen Sie sich einmal an, wie viele Leute in den wichtigsten US-amerikanischen Publikationslisten und wie
viele Preisträger der wichtigsten Preise amerikanische
Staatsbürger mit einem spanischsprachigen Einwanderungshintergrund sind. Das ist der innovativste Teil der
Wissenschaftsszene in den Vereinigten Staaten von
Amerika. Das können Sie nicht einfach ignorieren. Sie
müssen sich hier öffnen, weil sich ein Land, das seine
Produkte überall in der Welt verkaufen will, im Wissenschaftsprozess nicht abschotten darf. Aber genau das ist
ja leider Ihre Strategie.
({22})
Deswegen müssen wir zwar über Geld und Finanzierungsbedingungen - da ist Bewegung drin und in diesem
Bereich haben wir Fortschritte erzielt -, aber genauso gut
auch über den gesellschaftspolitischen Rahmen von Innovationen reden. Hier müssen Sie den Fuß von der Bremse
nehmen. Dann können wir endlich eine Strategie verfolgen, die dazu beiträgt, dass in Deutschland innovative
Produkte und Dienstleistungen hervorgebracht werden,
die woanders nicht hergestellt bzw. erbracht werden. Damit können Arbeitsplätze geschaffen werden.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Sie, Herr
Riesenhuber, sind der nächste Redner. Ich freue mich
schon auf Ihre Rede.
({23})
Werter Kollege Riesenhuber, Ihnen ist schon das Wort
erteilt worden. Sie sind nun auch wirklich an der Reihe.
({0})
Herr Präsident! Lieber Präsident Kuhn! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Vieles von dem, was Sie,
Herr Kuhn, sagen, hat ja durchaus seinen Reiz und ist
intelligenter als das, was ich vonseiten der Regierung
höre.
({0})
Bezüglich der Frage Subventionswettlauf könnte man
einmal eine Debatte über die Windenergieförderung führen.
({1})
Bezüglich der Frage Subventionsabbau könnten wir einmal eine Debatte darüber führen, wer die anspruchsvollsten Vorschläge macht.
({2})
Es gibt kein energischeres Subventionsabbauprogramm als das, was Friedrich Merz vorgelegt hat. Das
ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt. Vergeuden Sie
nicht Ihre Mühen in irgendwelchen Detailfragen, sondern lassen Sie uns ein strategisches Gesamtkonzept erstellen, die Steuern senken und Freiräume schaffen, damit die Leute das Geld, das sie verdient haben, wirklich
in ihre Arbeit stecken und etwas für die Zukunft tun können. Dann sind wir dabei.
({3})
Es wäre ja wirklich reizvoll, viele von den einzelnen
genannten Punkten aufzunehmen. Beispielsweise wäre
es faszinierend, hier über die Kürzungen in Höhe von
80 Millionen Euro zu sprechen. Frau Pieper und Frau
Flach haben das angesprochen. 60 Millionen Euro sind
an Kürzungen im Haushalt des BMWA vorgesehen und
die Ausgaben für BTU, das Beteiligungsprogramm für
kleinere Technologieunternehmen, sind erheblich unterveranschlagt. Ich bin einmal gespannt, was da alles noch
herausradiert werden wird.
({4})
All dem stelle ich jetzt einmal die Diskussion über die
Ganztagsschulen gegenüber. Natürlich sind solche
Schulen eine wunderbare Sache. Aber der hochverehrte
Herr Müntefering, der heute nicht leiblich unter uns weilen kann, sagt: In Forschung und Innovation liegt das
Geheimnis des Wohlstandes.
({5})
Gut. Weiterhin sagt er: Viele in Partei und Regierung
sind zu stark auf die Sicherung des Sozialstaates fixiert,
aber nicht auf die Sicherung von Wohlstand.
({6})
Ja, Freunde, jetzt setzt mal Prioritäten! Wir sprechen
über Milliardenbeträge für Ganztagsschulen. Dass die
Länder zugreifen, wenn ihnen Geld - in welcher Form
auch immer - angeboten wird, das entspricht der
menschlichen Natur.
({7})
Dass das eine sinnvolle Allokation knapper Ressourcen
in einer begrenzten Welt sei, kann aber doch kein vernünftig Denkender sagen. Herr Müntefering gibt uns die
Leitlinie, wir sollten in den Wohlstand, in Innovationen
investieren, nicht vor allem in den Sozialstaat. Folgen
Sie Ihrem Fraktionsvorsitzenden mit seiner zukunftsweisenden Idee und vertrauen Sie darauf, dass er eingesehen
hat, was richtig ist.
({8})
Die Situation des Haushalts ist ziemlich tragisch: Der
Forschungsbereich beim BMBF sinkt um 1,8 Prozent,
die Projektförderung gar um über 8 Prozent. Wenn die
Projektförderung sinkt, heißt das, dass Programme abreißen. Einige Projekte müssen sogar zurückgerufen werden. Darunter leidet die Kontinuität. Das heißt, dass einige Programme nicht mehr funktionieren.
Der Wirtschaftsminister sagt voller Stolz: In den vergangenen fünf Jahren ist unser Forschungsetat nominal
um 5 Prozent gewachsen. - Das ist nicht unbedingt das,
was uns versprochen worden ist: Der Weg zu Forschungsausgaben in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in jedem europäischen Land ist damit
nicht unbedingt direkt beschritten.
Das Geld ist das eine, die Frage der Prioritäten im
Haushalt aber das andere. Verhält man sich populistisch
oder setzt man auf die Zukunft, auf Innovationen, auf
das, was unseren Wohlstand begründen wird?
({9})
Sicher ist das eine Frage des knappen Geldes, aber
manchmal fehlen anscheinend auch ein wenig die Ideen.
Herr Kuhn - mit Ihnen plaudere ich ja gerne -, Sie haben das Gesundheitswesen angesprochen.
({10})
- Das sage ich ja. - Das ist ein faszinierender Bereich.
Wo stehen wir denn da? Helge Braun hat gerade einen
Antrag eingebracht, mit dem er die klinische Forschung
verbessern will. Für Gesundheitsforschung geben wir in
Deutschland jährlich 3 bis 3,5 Milliarden Euro aus; das
ist das, was die Länderhaushalte für die Universitätskliniken vorsehen.
Hier ist Deutschland nicht erkennbar, hier ist eine
strategische Linie nicht ersichtlich. Das Ministerium
macht von seiner Führungs- und Gestaltungskraft keinen
Gebrauch, hat keine einheitliche Strategie und lässt einen großen Teil der Mittel irgendwo, aber nicht in der
Forschung versickern. Deswegen sind die Prägekraft, die
Zielsetzung und die Leidenschaft für die Zukunft, die
wir erreichen wollen, nicht mit hinreichender Klarheit zu
erkennen.
Nun ist der Hightechmasterplan diskutiert worden.
Er geistert seit Februar hier herum und ist in wesentlichen Elementen vom „plan innovation“ der Franzosen
abgeschrieben. Das ist eine wunderbare Sache: Früher
haben die Franzosen unsere Projekte abgeschrieben,
jetzt lernen wir von den Franzosen.
({11})
Die Zeiten ändern sich: Jede Regierung hat ihren eigenen Stil.
({12})
Was war hier vorgeschlagen? Da war vorgeschlagen,
dass man innovative Betriebe begünstigt besteuert. Davon ist nicht mehr die Rede. Das war Punkt eins. Da war
vorgeschlagen, dass eine Hightechbörse eingerichtet
wird. Auch davon ist nicht mehr die Rede. Ich bin einmal gespannt, was von dem ganzen Masterplan übrig
bleibt.
Was ist mit der anderen großen Initiative? Noch im
Sommer haben wir im Ausschuss, lieber Herr Kuhn, ein
Dokument des Wirtschaftsministers vorgelegt bekommen, nach dem im Sommer ein Konzept für Innovation
und Forschung im Mittelstand hätte vorgestellt werden sollen. Ich schaue auf die Homepage des
Wirtschaftsministers - da ist nichts zu finden. Ich schaue
bei Google nach - der Begriff kommt nicht vor. Dieses
ganze Konzept ist plötzlich wieder in irgendeiner Ritze
verschwunden.
Aber ich bin voller Zuversicht, Herr Tauss, dass Sie
jetzt auf Ihrem Parteitag in dieser Sache glanzvolle Lichter aufstellen und dieses Thema mit Kraft auch in den
Bundestag sickert. Aber muss das so lange dauern?
({13})
Hier geht es um Deutschland. Wir müssen zu Entscheidungen kommen. Das ist doch das Problem, vor
dem wir stehen. Ideen - strukturelle Ideen, thematische
Ideen - sind in großem Reichtum vorhanden. Sie werden
nur nicht aufgegriffen.
Im Januar vergangenen Jahres haben wir besprochen,
dass ein Programm zur Nanotechnologie wohl angezeigt sei. Ich höre, dass jetzt an einem solchen Programm gearbeitet wird. Prima! Es wird aber auch langsam Zeit. Dies alles dauert viel zu lange.
Wir haben über Strukturen gesprochen. Herr Tauss,
Sie haben auf dem Gebiet der Public Private Partnership gearbeitet.
({14})
In Bezug auf Innovationen ist dies eine glänzende Idee.
Aber es darf nicht das passieren, was beim Transrapid
und bei der Maut passiert ist. Man muss das auch können. Es ist nicht nur der gute Wille, der zählt.
({15})
Wir brauchen einerseits ein bisschen mehr Initiative und
andererseits mehr Professionalität. Das würde dem Land
nicht schaden. Es kommt nämlich nicht nur auf die segensreiche Bereitschaft an.
Wir können die verschiedensten Bereiche durchgehen. Überall gibt es Fragen, die man angehen muss.
Michael Kretschmer sprach über die Forschungsprämie. Das ist eine gute Sache.
({16})
Wir haben im Januar vergangenen Jahres diese Idee unterstützt. Der BDI hat sie im Oktober aufgegriffen. Aber
es ist noch nichts passiert. Das Outsourcen von Forschung, eine der wirkungsvollsten Strategien für alle Beteiligten, ist schon gewachsen, muss aber noch beschleunigt werden.
Wir können über die unterschiedlichsten Bereiche
sprechen. Wir können zum Beispiel über die grüne Gentechnologie sprechen. Das Moratorium geht jetzt zu
Ende, wenn nicht noch irgendwelche unvorhergesehenen
Dinge passieren. Nun beginnt aber Frau Künast, gegen
die Apfelbäume zu kämpfen.
({17})
Sie wird dabei vielleicht erfolgreich sein. Das erinnert
mich an das, was ein gewisser Joschka Fischer als Umweltminister in Hessen im Rahmen eines ausstiegsorientierten Vollzugs über Jahre praktiziert hat, mit der Folge,
dass die Insulinproduktion in unserem Land um acht
oder neun Jahre verzögert wurde. So kann man Deutschland kaputtmachen.
({18})
Herr Kollege Riesenhuber, Sie sind zwar gut in Fahrt.
Dennoch muss ich Ihnen sagen, dass Ihre Redezeit überschritten ist.
Das ist schmerzlich.
({0})
Ich bitte um Nachsicht; ich bin erst beim ersten Drittel
meiner Rede.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Situation ist schwierig, aber es besteht Hoffnung. Wenn die
Not am größten ist, ist der Kanzler am nächsten.
({1})
Er hat verkündet: Das nächste Jahr wird das Jahr der
Wissenschaft, der Forschung, der Technik. Ich freue
mich auf die entsprechende Regierungserklärung. Der
Begriff „Wissensgesellschaft“ in einer Kanzlerrede wäre
der Durchbruch in eine neue Dimension des deutschen
Selbstverständnisses.
({2})
Wir hoffen zuversichtlich, dass wir dazu einige bescheidene Anregungen gegeben haben. Den Rest liefern
wir nach.
({3})
Dass die Bundesregierung gut daran täte, unserem brüderlichen Rat zu folgen, davon können Sie ausgehen.
Auf eine herzliche Zusammenarbeit zum Wohle
Deutschlands, wofür auch Sie etwas tun können!
({4})
Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute Morgen einmal mehr das Thema
Innovation. Ich halte dies für richtig. Insofern bedauere
ich es ein wenig, Herr Kollege Riesenhuber, dass Sie den
an Sie gestellten hohen Erwartungen unseres Kollegen
Kuhn nicht gerecht geworden sind.
({0})
Ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass es weniger Polemik und dafür mehr substanzielle Beiträge von Ihrer
Seite gegeben hätte. Den einen oder anderen Punkt, den
Sie vorgetragen haben und den Sie unter Zugrundelegung der Komplexität insgesamt gesehen nicht falsch
dargestellt haben, auf Gemeinsamkeit abzuklopfen wäre
mir bei Ihnen sicherlich leichter gefallen als bei dem
Kollegen Kretschmer.
Herr Kollege Kretschmer, es ist einfach blöd, wenn
man morgens beim Frühstück eine Rede schreibt. Dann
kann man schon einmal Dinge verwechseln. Es ist ein
großes Problem, wenn man wie Sie Statistiken zum
Thema Wissen mit Statistiken zum Thema Waren verwechselt. Das erschwert die gemeinsame Diskussion.
Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.
Bei der gestrigen Debatte, bei der es um die Bund/
Länder-Bildungsplanung ging, haben Sie gezeigt, wie
isoliert und wie weit Sie von der Mehrheit in diesem
Hause entfernt sind. In die Mehrheit dieses Hauses, was
die künftige Bildungs- und Forschungskoordination angeht, schließe ich die FDP mit ein. Sie haben bewiesen,
wie stark Sie dem Provinzialismus verhaftet sind und
wie weit Sie sich von den Forschungsbedürfnissen entfernt haben.
({1})
Über Forschung zu reden, aber gleichzeitig die Hochschulen provinzialisieren zu wollen, wie es Ihnen die
Hochschulrektorenkonferenz ins Stammbuch geschrieben hat, ist kein Konzept. Deswegen würde ich an Ihrer
Stelle nicht mit der Arroganz auftreten, die Sie an den
Tag gelegt haben.
({2})
- Ich kann Ihnen ein paar Beispiele nennen, wenn Sie es
wünschen. Ich lese mit Interesse in Ihrem Antrag, dass
Sie die Fachhochschulen stärken wollen. Wir hatten gerade dieser Tage bei mir im Wahlkreis eine große Festveranstaltung. Da ging es um das fünfjährige Bestehen
der Existenzinitiative KEIM. Wir versuchen, in den Universitäten und Hochschulen die Idee der Gründung von
Unternehmen aus Universitäten und Hochschulen heraus
zu verankern. Das war in der Vergangenheit ein Erfolgskonzept. Vom Vertreter der Landesregierung BadenWürttemberg - es war übrigens der Vertreter von Herrn
Döring, liebe Frau Kollegin Flach - haben wir, nachdem
sich der Rektor der Fachhochschule Karlsruhe bitter darüber beklagt hat, dass ihnen in Baden-Württemberg das
finanzielle Grundwasser abgeschnitten werde, gehört, es
sei richtig, Bildung und Forschung mit der Rasenmähermethode zu kürzen, weil man nur so zu mehr Effizienz
komme.
({3})
Ich hätte die herzliche Bitte - Herr Riesenhuber, hier
gäbe es vielleicht Berührungspunkte -, zu erkennen,
dass wir alle miteinander als Bildungs- und Forschungspolitiker und -politikerinnen das Problem haben - Sie in
den Ländern, in denen Sie regieren; zugegebenermaßen
auch wir in den Ländern, in denen wir regieren, und auf
Bundesebene -, den Finanzbeamten klar zu machen,
dass Innovationen, Forschung und Investitionen in die
Zukunft etwas mit Zukunftssicherung zu tun haben
({4})
und dass das keine Investitionen in negativem Sinne
sind, die überhaupt nicht in der Statistik erscheinen, sondern in der Tat Zukunftsinvestitionen. Das sollten wir
gemeinsam angehen.
({5})
Sie sagen, Sie seien auf diesem Gebiet erfolgreich.
Ich verweise auf die Länder. Ich kann nur feststellen:
Die Lage dort ist nicht sehr schön. Hätten sich die Niedersachsen erträumt, dass nach dem Wahlsieg als Erstes
bei den Fachhochschulen Kahlschläge erfolgen? Hätten
sich die Bayern erträumt, dass als Erstes der Forschungsbereich Kahlschläge erlebt?
({6})
Wer im Glashaus sitzt und so wie Sie vorgeht, sollte hier
anders auftreten. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit.
({7})
Sie haben völlig Recht - ich glaube, da sind wir uns
einig -: Innovationen, Forschung und Wissenschaft sind
die Zukunftsfelder unseres Landes. Wir leben heute im
Export im Wesentlichen davon - Herr Kretschmer, da
gebe ich Ihnen sogar Recht; wo Sie Recht haben, haben
Sie Recht ({8})
- nein, Sie brauchen keine Angst zu bekommen; es ist
richtig -, dass wir vor 100 Jahren Erfinder hatten - ich
erinnere an Namen wie Benz, Siemens und andere -, von
deren Arbeit wir noch heute leben. Dies betrifft Exporte
im Maschinenbau und im Fahrzeugbau. Im Bereich der
Elektrotechnik verdienen wir heute unser Geld mit Produkten, die zum Teil erst in den letzten fünf Jahren entstanden sind. Das heißt, wir brauchen einen kontinuierlichen Prozess an Innovationen.
({9})
Bei dieser Gelegenheit füge ich allerdings hinzu:
Wenn Sie fordern, im geisteswissenschaftlichen Bereich
die Mittel, was Innovationen angeht, zu kürzen, haben
Sie den Innovationsbegriff nicht richtig verstanden.
({10})
Es geht vielmehr darum, Innovationen in allen Bereichen, in den technischen und in den gesellschaftlichen,
zu entwickeln.
Dies zu vermitteln wäre unsere Aufgabe, Herr
Riesenhuber. Ich bedauere, dass Sie diese Chance heute
vertan haben. Da war unser Gespräch, das wir neulich
miteinander geführt haben, wesentlich freundschaftlicher. Kuhn hat doch Recht, wenn er, was die derzeitige
Situation betrifft, sagt, dass die besten Köpfe im Moment
nicht nach Deutschland kommen, weil Sie ein provinzielles Ausländerrecht auf den Weg bringen wollen - wenn
es überhaupt dazu kommt. Das alles haben wir doch in
der Anhörung dieser Woche gehört. Sie verhindern, dass
Fachkräfte zu uns kommen. Noch viel schlimmer: Sie
schüren an den Stammtischen - im bayerischen Landtagswahlkampf war es deutlich zu erkennen - die Angst
der Menschen davor, international stärker zu kooperieren
und um die besten Köpfe zu werben. Das ist Ihre Schuld,
die Sie in diesem Falle auf sich laden.
({11})
Im Übrigen sage ich ganz deutlich: Ich halte nichts
davon, Herr Riesenhuber - da gewinnt keiner von uns -,
wenn man, und sei es als Gag hier im Saale, Bildungsinvestitionen in Ganztagesschulen gegen Forschung und
Wissenschaft ausspielt.
({12})
Wir brauchen Investitionen in beide Bereiche! In meinem Wahlkreis - Sie werden es nicht anders erleben gibt es im Moment einen Wettlauf um Mittel für Ganztagesschulen. Alle sagen, wir bräuchten mehr davon - und
nicht deswegen, weil es schön ist, Geld auszugeben, sondern deswegen, weil der Bedarf für mehr Ganztagsbetreuung und mehr Betreuung der Kinder insgesamt hoch
ist.
({13})
Dies ist eine gesellschaftliche Herausforderung, der wir
uns gemeinsam zu stellen haben.
Von daher ist es bedauerlich, dass in diesem Lande
mehr über Probleme beim Zahnersatz - natürlich gibt es
auch die - als über die Frage, wie viel Geld wir in Wissenschaft und Forschung stecken, diskutiert wird. Der
Ansatz der Agenda 2010 ist richtig: Wir müssen, um die
Sozialversicherungssysteme stabil zu halten, sparen.
Wir müssen sparen und können Rentenerhöhungen nicht
auf Pump durchsetzen, denn wir brauchen die Mittel, um
auch zukünftig in Forschung und Wissenschaft investieren zu können. Wir müssen den Rentnerinnen und Rentnern erklären, dass sie im Grunde genommen einen Beitrag dafür leisten, dass es ihren Enkeln nicht in die
Schulen hineinregnet. Diese Zusammenhänge müssen
wir noch deutlicher erklären. Wenn wir es nicht schaffen, in diesen Bereichen voranzukommen, werden wir in
zehn Jahren über ganz andere Entwicklungen in unserem
Sozialstaat diskutieren, weil dann die Grundlagen für
Wachstum nicht mehr vorhanden sind. Wir sind mit der
Agenda auf dem richtigen Weg. Es ist richtig, die Investitionen hier vorzunehmen.
Ich habe eine abschließende Bitte, Frau Flach, Herr
Kretschmer, Herr Riesenhuber und andere: Heute Morgen haben Sie Ihre Vorstellungen zur Finanzierung der
Steuerreform, zu der ich stehe, publizieren lassen. Sie
sagen, wir müssen die Steuerreform im Wesentlichen
durch Einsparungen finanzieren. Ich denke, Sie sollten
die Ehrlichkeit aufbringen, dann auch zu sagen, dass die
freien Mittel, bei denen gespart werden könnte, genau in
dem Bereich stecken, über den wir heute diskutieren,
({14})
nämlich im Bereich Wissenschaftsförderung.
({15})
- Selbstverständlich. Schauen Sie sich doch einmal die
Leistungsgesetze an, dann sehen Sie, welchen Spielraum
wir haben. Da haben wir im BMBF doch nur die Projektförderung. Diese Ehrlichkeit sollten Sie an den Tag legen.
({16})
Es ist verkehrt zu sagen, wir wollen in diesen Bereichen einsparen. Sagen Sie, wo Sie sparen wollen. Alle
Einsparvorschläge bis hin zu den Vorschlägen von Koch
und Steinbrück zielten auf andere Bereiche. Ich werfe
Ihnen vor, dass Sie hier nicht ehrlich genug sind.
Danke schön.
({17})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Georg
Fahrenschon.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
versuchen, zur Tagesordnung und zu den vorliegenden
Anträgen zurückzukommen. Einer Ihrer Nebensätze,
Herr Kuhn, macht mir das leicht, weil ich hoffe, dass wir
wieder einmal einen Punkt finden werden, an dem wir
gemeinsam in Deutschland etwas zum Guten wenden
können.
Die verbundene Debatte stellt neben der Diskussion
um den Innovationsstandort eine Bundesratsinitiative,
die Bayern angestoßen hat, zur Wagniskapitalbesteuerung in den Mittelpunkt. Wagniskapitalgesellschaften
sind mittlerweile ein immer wichtiger werdendes Instrument der außerbörslichen Unternehmensfinanzierung.
Man muss wissen, dass es dabei nicht nur um junge Unternehmen, also um Start-ups, geht, sondern auch um
etablierte Unternehmen, die expandieren wollen und dafür Geld brauchen. Die Wagniskapitalgesellschaften sind
ein zentraler Mittler zwischen den Kapitalanlegern einerseits und den zu finanzierenden Unternehmen andererseits.
In den Jahren 1998 bis 2000 war es ein hoch interessanter Markt, der eine wichtige Funktion übernommen
hatte. Im Jahr 2000 gab es einen Einbruch und danach
war im Grunde auf weiter Fläche nichts mehr zu sehen.
Das hat unterschiedliche Gründe.
({0})
Es hat konjunkturelle Gründe, aber auch die politische
Unsicherheit spielt eine Rolle. Die bestehende Verunsicherung hinsichtlich der Besteuerung der Wagniskapitalgesellschaften ist ebenfalls ein Grund.
({1})
- Nein, es ist nicht platt, Herr Tauss. Das ist ein wesentlicher Punkt; ich will es Ihnen erklären, zumindest will
ich es versuchen.
({2})
Wenn wir in Deutschland im Wettbewerb mit internationalen Kapitalgebern stehen, müssen wir uns darüber
im Klaren sein, dass die Höhe der Besteuerung dieser
Kapitalgeber im Wettbewerb mit entscheidend ist.
({3})
Der Status quo ist, dass es in Deutschland keine abgestimmte Regelung für ausländische und für inländische
Wagniskapitalfonds gibt. Wir haben keine Regelung. Im
Vergleich zu Frankreich, wo es eine klare Bevorteilung
gibt, ist das ein schlechter Status quo.
({4})
Deshalb müssen wir uns damit auseinander setzen, Herr
Tauss. Wir sind alle froh - ich knüpfe an Herrn Kuhn
an -, dass der Bundesrat den Antrag Bayerns mit Mehrheit beschlossen hat.
Wenn Sie sich detailliert damit auseinander setzen,
werden Sie folgende Lage erkennen: Die bisherigen
Pläne des BMF sehen vor, die Besteuerung durch eine
Verwaltungsanweisung zu regeln.
({5})
Im Mittelpunkt stehen die Gewerblichkeit von Wagniskapitalfonds und das Problem der Besteuerung der so genannten Carried interests. Was ist ein Carried interest?
Dabei geht es um die Frage, wie der Gewinn, den der Investor aus dem Fonds herausnimmt, behandelt wird.
Wird er genauso behandelt wie sein Anteil am Kapital
oder wird er aufgrund des höheren persönlichen Einsatzes, des Managements, besser, also bevorteilt besteuert?
Solange wir denjenigen, der Risikokapital in die Hand
nimmt, um junge und expandierende Unternehmen zu
unterstützen, gleich oder möglicherweise schlechter besteuern als die anderen Beteiligten, wird er nicht nach
Deutschland kommen. Das ist der wesentliche Punkt.
({6})
Es ist möglich, eine Regelung zu finden. Daran müssen
wir arbeiten. Es wundert uns, dass die Bundesregierung
bislang noch keinen Vorschlag unterbreitet hat und dass
der Bundesrat hat aktiv werden müssen.
({7})
Der Vorschlag des Finanzministeriums verwundert
uns noch viel mehr.
({8})
- Doch, den gibt es, er liegt vor; machen Sie sich schlau,
bevor Sie etwas dazwischenrufen. Der momentane Entwurf sieht vor, dass dann, wenn es sich bei dem Initiator
um einen privaten Anleger handelt, laufende Gewinnanteile Einkünfte aus Kapitalvermögen sind, die dem
Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Anteile am Veräußerungsgewinn sind dementsprechend steuerfrei.
Der Carried interest, also der erhöhte Gewinnanteil
desjenigen, der über die normale Beteiligung hinaus investiert, soll im Gegensatz dazu als erhöhter Gewinnanteil voll versteuert werden, weil er als Entgelt für die entsprechende Tätigkeit angesehen wird. Das ist eine
Benachteiligung.
Auch dann, wenn Initiator eine Kapitalgesellschaft
ist, sollen die laufenden Gewinnanteile als Dividenden,
als Anteil am Veräußerungsgewinn angesehen werden
und demnach steuerfrei sein, wenn sie dem Kapitalanteil
entsprechen. Wenn sie dem Kapitalanteil nicht entsprechen, was unser Ziel ist, wird der Carried interest als
Entgelt angesehen und ist damit voll steuerpflichtig. Der
Steuersatz liegt bei uns momentan bei 25 Prozent. Hinzu
kommt - Stichwort Doppelbesteuerung -, da Kapitalgesellschaften der Körperschaft- und der Gewerbesteuer
unterliegen, hier die Gewerbesteuer noch obendrauf.
({9})
Nein, es erfolgt hier eine Doppelbesteuerung, die
nach dem aktuellen Status quo nicht abzugsfähig ist.
({10})
Deshalb ist das Ziel der bayerischen Bundesratsinitiative vernünftig und wird von der CDU/CSU-Fraktion
unterstützt, nämlich die Eröffnung des Halbeinkünfteverfahrens für die Kapitalbeteiligungen am Fonds. Im
Gegensatz zu den Vorschlägen des BMF werden dadurch
laufende Gewinnanteile und Veräußerungserlöse einheitlich behandelt. Damit können wir den Carried interest,
also den Gewinnanteil desjenigen, der den Fonds initiiert
und ihn auch stützt und trägt, genauso behandeln wie
den aller anderen Kommanditisten, weil es sich dann um
die gleiche Einkunftsart handelt. Das ist der wesentliche
Punkt des neuen § 2 c des Einkommensteuergesetzes,
den wir vorschlagen.
Wir hoffen auf eine interessante inhaltliche Debatte
im Ausschuss und auf einen positiven Abschluss hier im
Bundestag. Denn, Herr Tauss, das sage ich klipp und
klar: Im globalen Wettbewerb um Investoren wird es uns
so lange nicht gelingen, diese nach Deutschland zu holen, wie der Standort Deutschland für einen Investor
nicht berechenbar ist, wie die Finanzverwaltung machen
kann, was sie will, und der Gesetzgeber, also diese Koalition, das Thema aussitzt. Das wollen wir ändern.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.
Ich möchte in meinem Beitrag nur auf die Bund-Länder-Finanzierung von Forschungseinrichtungen am
Beispiel der Max-Planck-Gesellschaft eingehen. Die
Institute der Max-Planck-Gesellschaft werden bekanntermaßen je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert.
({0})
Das ist ein offensichtliches Problem für arme Länder, die
ihren 50-prozentigen Anteil kaum noch aufbringen können und denen das Geld schon jetzt für notwendige Ersatzinvestitionen fehlt.
Natürlich ist da die Versuchung groß, dem Ruf aus
München oder Stuttgart zu folgen und sich in den reichen Ländern anzusiedeln, dort, wo es schon eine breit
gefächerte und funktionsfähige Wissenschaftsinfrastruktur gibt.
Doch das kann nicht die Lösung für das ganze Land
sein. Gerade im Osten brauchen wir überproportional
viel Wissenschaft und Forschung und wir brauchen dringend Spitzenforschung.
({1})
Ich will das begründen, und dass vorhin ausgerechnet
von der CDU ein Zwischenruf kam, passt besonders gut:
Erstens. Von der Abwicklung von Wissenschaft und
Forschung nach der Wende, die Herr Schäuble mit seinem Einigungsvertrag mit zu verantworten hat, hat sich
die Industrieforschung und haben sich die Universitäten
sowie die außeruniversitäre Forschung nicht erholt.
Zweitens. Alle müssen nun erkannt haben, dass mit
Lausitz-Ring und Vergnügungsparks der Osten nicht zu
retten ist. Nur langfristig wirkende Investitionen wie
zum Beispiel die Ansiedlung von Max-Planck-Instituten
bringen den Osten wieder auf die Beine.
({2})
Drittens. Wenn wir die Jugend im Osten halten wollen, dann müssen wir Wissenschaft und Forschung im
Osten ansiedeln, um kreativem wissenschaftlichem
Nachwuchs auch eine Zukunft zu geben.
({3})
Es ist nicht akzeptabel, dass von den 1,6 Milliarden
Euro, die die Bundesregierung in den nächsten zehn Jahren für Großforschungsgeräte ausgeben will, nur
12,25 Millionen Euro in die neuen Länder fließen. Das
sind weniger als 0,8 Prozent! Auch wenn wir uns die
Verteilung der Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der DFG, anschauen, müssen wir feststellen, dass
der Osten dabei nicht gut wegkommt.
Wir als PDS sehen die dringende Notwendigkeit, die
Forschungsinfrastruktur im Osten auszubauen. Dabei
brauchen wir mehr als nur Außenstellen von Großforschungseinrichtungen. Es wäre wichtig, die Bund-Länder-Finanzierung so zu ändern, dass es auch ärmeren
Ländern möglich ist, Investitionen zu tätigen. Das ist
keine utopische Forderung; denn bekanntlich hat sich
der Bund bereit erklärt, die Finanzierung für die MaxPlanck-Gesellschaft zu 100 Prozent zu übernehmen. Das
wäre meiner Meinung nach aber nicht die Lösung, denn
der Einfluss auf die Grundlagenforschung sollte nicht
ganz der Bundesregierung überlassen werden.
Ich bin der Überzeugung, dass die verstärkte Ansiedlung von Wissenschaft und Forschung in Ostdeutschland
das nachhaltigste Programm für den Osten wäre. Der Erfolg würde sich wahrscheinlich nicht bis zu den Wahlen
2006 einstellen; denn bekanntlich hält sich Wissenschaft
nicht an Wahlperioden. Aber damit müssen alle Parteien
leben.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dieter
Grasedieck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sie von der CDU/CSU fordern für alle Bereiche,
für alle Budgets und auf allen Ebenen mehr Geld. Sie
wollen die Eigenheimzulage erhalten - das ist eines Ihrer
Anliegen -, wollen es aber nicht zulassen, dass Schulden
aufgenommen werden. Im Gegenteil: Sie fordern wie
selbstverständlich, die Steuern sollten auch noch gesenkt
werden. Das alles passt einfach nicht zusammen.
({0})
Sie müssen sich entscheiden. Manchmal habe ich das
Gefühl, Sie haben Angst vor Entscheidungen und wollen
gar nicht wissen, was Sie eigentlich erreichen möchten.
({1})
Das will ich an einigen Beispielen festmachen:
({2})
Erstes Beispiel: das Rentensystem. Vor zwei Wochen
haben Sie zum ersten Mal seit langer Zeit - das haben
Sie im Übrigen selbst gesagt - einen Vorschlag hierzu
gemacht. Damit haben Sie von Anfang an ein allgemeines Durcheinander erzeugt. Zum Beispiel sollte eine
Kopfpauschale in Höhe von 260 Euro eingeführt werden; darüber wurde ausführlich diskutiert.
({3})
Herr Seehofer, die CSU und die CDA waren dagegen.
Die Rentenproblematik wird nun wirklich lange genug
diskutiert. Sie haben es aber noch immer nicht geschafft,
ein Konzept vorzulegen. Dabei müssen wir so schnell
wie möglich eine Entscheidung und damit eine Verbesserung herbeiführen.
Bei der Steuerpolitik ist es ähnlich. Die nächste Stufe
der Steuerreform soll vorgezogen werden. Das erwarten
die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürger. Hierüber
müssen wir eine Entscheidung fällen.
({4})
Bereits vor Monaten haben wir deshalb einen Koalitionsentwurf vorgelegt. Drei Wochen vor der endgültigen
Entscheidung legt uns nun Herr Merz auf einmal ein
neues Modell mit Steuerstufen von 12 Prozent, 24 Prozent und 36 Prozent vor. Vorgestern spricht sich Herr
Glos für ein lineares Gegenmodell aus.
({5})
- Richtig, das ist absolutes Chaos. - Der saarländische
Ministerpräsident Müller spricht sich dafür aus, ein Gespräch mit Gerhard Schröder zu führen. Vorher müsse er
aber versuchen, den Vorschlag von Merz zu verbessern.
Herr Stoiber spricht unter anderem von der Streichung
von ABM-Stellen. Widersprüchlicher kann man die Politik nicht gestalten.
({6})
Aus taktischen Gründen haben Sie sich nicht entschieden und wollen sich auch nicht entscheiden. In der
Bibel steht:
Ich kenne Deine Werke. Du bist weder kalt noch
heiß. Weil Du aber lau bist, will ich Dich aus meinem Munde ausspeien.
Denken Sie daran!
({7})
Das taktische Lavieren wird der Bürger ganz sicher nicht
honorieren.
Sie wollen die steuerlichen Regelungen zum Beispiel
für Business Angels verbessern. In Ihrer Fraktion fordern Sie zum einen eine Wesentlichkeitsgrenze von
10 Prozent. Innerhalb des Bundesrates unterstützen Sie
aber den Vorschlag von Bayern, nach dem die Wesentlichkeitsgrenze 1 Prozent beträgt. Was wollen Sie eigentlich? Welche Punkte wollen Sie hier ansprechen?
Die Koalition, die Grünen und die SPD, unterstützt
den zweiten Antrag, der innerhalb dieser Diskussion gestellt wurde; Herr Fahrenschon hat das bereits angesprochen. Wir begrüßen es natürlich, dass Wagniskapital
gefördert und unterstützt wird. Durch Venture Capital
Fonds und Private Equity Fonds werden Unternehmen
im Bereich der Biotechnologie und der Medizintechnologie gefördert, die neue Technologien und Überlegungen vorweisen. Das unterstützen wir natürlich, weil wir
genau wissen, dass dies wichtige Fonds sind; denn erstens wird die Beschaffung von Eigenkapital über öffentliche Kapitalmärkte sinnvoll ergänzt und zweitens haben
die mittelständischen Unternehmen häufig keinen Zugang zu einer Börse. Es ist wichtig, auch das zu bedenken.
Deshalb brauchen wir mehr Transparenz bei der Besteuerung und deshalb ist es wichtig, dass wir hier eine
Verbesserung einbauen. Dadurch würden wir den Mittelstand unterstützen, so wie wir von der Bundesregierung das schon seit Jahren tun.
({8})
Ich will nur daran erinnern, dass wir die kleinen und
mittleren GmbHs mit unserem Steuerprogramm unterstützen. Durch unsere Steuerreform wurde hier eine wesentliche Verbesserung erreicht. Der Steuersatz ist von
45 Prozent auf 25 Prozent heruntergegangen. Dies stellt
eine Unterstützung des Mittelstandes dar. So soll es auch
bleiben. Deshalb unterstützen wir den Antrag des Landes Bayern und des Bundesrates.
({9})
Danke schön. - Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/1696, 15/1405 und 15/1932 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften
({0})
- Drucksache 15/1562 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften
({2})
- Drucksachen 15/1621, 15/1798 ({3})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({4})
- Drucksachen 15/1928, 15/1945 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1929 Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie
offensichtlich einverstanden. Dann verfahren wir auch
so. Das Wort hat zunächst die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nach intensiven Beratungen einschließlich einer
Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages liegt Ihnen heute der Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2003 zur zweiten und dritten Lesung vor.
Dabei handelt es sich - ich will es auch zur Erläuterung für unsere Besucher auf der Tribüne sagen - um ein
so genanntes Omnibusgesetz. Ein solches Gesetz muss
man immer mal wieder erlassen. Weil es eine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, der der Gesetzgeber folgen
muss, müssen Einzelentscheidungen gefällt werden.
Diese fasst man in einem Gesetz zusammen. Ganz konsistent ist das Gesetz eigentlich nicht, die Dinge müssen
aber erledigt werden.
Ich darf Ihnen noch einmal kurz die drei großen Regelungsbereiche nennen:
Erstens. Modernisierung und Vereinfachung der Besteuerungspraxis. Dies geht auf unsere eigene Initiative
zurück und hat nichts mit höchstrichterlicher Rechtsprechung zu tun. Insbesondere durch die Einführung einer
elektronischen Lohnsteuerbescheinigung soll dies geschehen. Damit werden wesentliche Voraussetzungen für
ein grundlegend modernisiertes Lohnsteuer- und Einkommensteuerverfahren geschaffen. Die heutigen papiergebundenen Abläufe können weitgehend voll elektronisch abgewickelt werden.
Wie bereits die Lohnsteueranmeldungen sollen künftig auch die Lohnsteuerbescheinigungen, also die Bescheinigungen darüber, was im Laufe eines Jahres verdient wurde und welche Lohnsteuer gezahlt wurde, von
den Arbeitgebern an die Finanzverwaltung elektronisch
übermittelt werden. Ab 2004 wird die Finanzverwaltung
Daten der Lohnsteuerbescheinigungen online und natürlich verschlüsselt via Internet annehmen. Das ist eine erhebliche Erleichterung für die Arbeitgeber.
Zweitens. Anpassung des Umsatzsteuergesetzes an
die Europäische Rechnungsrichtlinie und damit die Harmonisierung der obligatorischen Angaben in der Rechnung für den Bereich des Umsatzsteuerrechts. Darüber
hinaus wird die Umsatzsteuer in weiteren Bereichen an
das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union und
an höchstrichterliche Rechtsprechungen angepasst.
Drittens. Anpassung des Investitionszulagengesetzes
1999 an beihilferechtliche Rahmenregelungen der Europäischen Gemeinschaften. Damit sollen die Voraussetzungen für eine Genehmigung der weiteren Förderung
der Investitionen in den neuen Bundesländern im
Jahr 2004 durch die Kommission und die Europäische
Gemeinschaft geschaffen werden. Wir wollen die weitere Förderung und müssen dies ins europäische Recht
einpassen, damit man uns auch in Zukunft genehmigt,
die Investitionen in den neuen Bundesländern besonders
zu fördern. Wie Sie wissen, müssen die Anpassungen an
das europäische Recht aus EU-rechtlichen Gründen bis
Ende dieses Jahres erfolgen.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf hat in den parlamentarischen Beratungen zahlreiche Änderungen erfahren. Zum Teil handelt es sich auch hier um Reaktionen
auf höchstrichterliche Entscheidungen. Das gilt zum
Beispiel für die Aufhebung der Zweijahresfrist für die
steuerliche Anerkennung der doppelten Haushaltsführung.
Ich darf in dem Zusammenhang vielleicht noch sagen
- mehr für die Öffentlichkeit als an uns selber gerichtet -:
In einer Zeitung war zu lesen, wir würden das beschließen, damit wir Abgeordneten die doppelte Haushaltsführung unbegrenzt geltend machen können. Das ist in
zweifacher Hinsicht unrichtig. Erstens hat uns das Bundesverfassungsgericht dies auferlegt. Es kostet uns zwar
Steuereinnahmen, aber wir müssen das tun. Zweitens
konnten die Abgeordneten noch nie so etwas wie eine
doppelte Haushaltsführung geltend machen und können
das auch in Zukunft nicht tun. Sie bekommen nämlich
eine Pauschale für den ganzen Aufwand, den sie haben.
Zum Beispiel können sie auch nicht einfach mit jemandem essen gehen und die Kosten anschließend von der
Steuer absetzen. Bei Abgeordneten ist so etwas von
vornherein ausgeschlossen. Diese Regelung ergeht also
gerade nicht zugunsten von Abgeordneten, sondern zugunsten anderer Steuerzahler, die gleichsam an zwei Orten leben und arbeiten.
Ein weiterer Punkt hat seine Veranlassung in
höchstrichterlicher Rechtsprechung: Der Bundesfinanzhof, das höchste Finanzgericht der Bundesrepublik
Deutschland, hatte zwei Entscheidungen getroffen - genau genommen handelt es sich also um zwei Unterpunkte -, die für die Eltern von behinderten Kindern
sowie von Pflegekindern äußerst lästige Folgen gehabt
hätten. Das alles wäre sehr unpraktisch gewesen, weil
ein hoher Aufwand zum Erbringen von Einzelnachweisen erforderlich geworden wäre. In dieser Sache folgen
wir dem Bundesfinanzhof gerade nicht. Das darf der Gesetzgeber; denn es war ja keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Wir ändern also angesichts dieses Urteils des Bundesfinanzhofes das Recht, damit der
alte Rechtszustand - den wir wollen - wieder hergestellt
wird. Das bedeutet, dass die Eltern von behinderten Kindern sowie von Pflegekindern nicht einen unnötig großen Aufwand bei Nachweisen treiben müssen, um Kindergeld zu bekommen.
Weitere hervorzuhebende Regelungen betreffen Änderungen bei der Steuerfreiheit von Zuschlägen für die
Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit - Stichwort Borussia Dortmund; die hatten uns das eingebrockt - sowie
eine Ermächtigung der Bundesregierung zur Umsetzung
der so genannten EU-Zinsinformationsrichtlinie in nationales Recht. Der aufgrund von EU-Recht zwingende
Wegfall der Umsatzsteuerbefreiung für die Auftragsforschung staatlicher Hochschulen wird durch eine Übergangsregelung abgemildert; außerdem wird sie von Ertragsteuern, also Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer,
befreit.
Die Regelungen zur Einführung eines bundeseinheitlichen Ordnungsmerkmals haben zum Ziel, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu verbessern, den Bürokratieabbau voranzutreiben, die Finanzverwaltung zu
modernisieren und bürgerfreundlicher zu gestalten.
An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die überwiegende Anzahl der Änderungen des ursprünglichen
Gesetzentwurfs auf Anregungen des Bundesrates zurückgeht. Sie betreffen insbesondere das Lohnsteuerverfahren und die Umsatzsteuer. Es wurden aber - nach
konstruktiven Beratungen im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages - auch Anregungen der Opposition
aufgegriffen. Insofern bin ich immer noch zuversichtlich, dass die Opposition heute doch ihr Herz über die
Hürde werfen kann und zustimmt.
({0})
- Welcher Verstand, Kollege Dautzenberg?
({1})
Ich hoffe daher, dass dieser Gesetzentwurf heute im
Deutschen Bundestag und am 28. November 2003 auch
im Bundesrat Zustimmung findet.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Rzepka von
der CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Staatssekretärin Hendricks, Sie wissen,
dass wir konstruktiv und mit Intensität im Finanzausschuss mit dem Ziel verhandelt haben, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen. Auch außerhalb des
Finanzausschusses sind verschiedene Gespräche über
die Sachfragen geführt worden. Sie können aber von uns
nicht verlangen, dass wir in diesem Hause Regelungen
zustimmen, die nach der Einschätzung aller Sachverständigen, die sich in der Anhörung geäußert haben,
eben nicht zu Wachstum und zusätzlichen Arbeitsplätzen
beitragen, sondern eine solche Entwicklung eher verhindern.
({0})
Unser Steuerrecht soll einfacher und damit gerechter
werden. Dies wird auch in dem Gesetzentwurf, der uns
heute zur Beratung vorliegt, als zentrales Ziel der Regierung und der Regierungsfraktionen beschrieben.
({1})
- Dann handeln Sie doch auch danach, Frau Kollegin.
({2})
Das grundlegende Ziel einer Steuervereinfachung
scheint alle Fraktionen in diesem Hause zu einen, wie
die Beschlüsse des Bundesvorstandes der CDU vom
3. November für eine radikale Vereinfachung und grundlegende Reform des deutschen Einkommensteuersystems sowie die Beschlüsse des Präsidiums der FDP vom
6. Oktober dieses Jahres für einfache, niedrigere und gerechte Steuern belegen.
({3})
Wie aber sieht die Wirklichkeit in der Steuerpolitik
dieser Regierungskoalition aus? Mit dem Steueränderungsgesetz 2003 sollen 15 Gesetze - vom Einkommensteuergesetz bis zum Feuerschutzsteuergesetz - und acht
Verordnungen - von der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung bis zur Bundesmeldedatenübermittlungsverordnung - geändert werden. Der neue § 139 b der
Abgabenordnung, der die Einführung einer Identifikationsnummer für jede steuerpflichtige natürliche Person
vorsieht, umfasst allein 423 Wörter. Der neue § 139 c
der Abgabenordnung, der die Wirtschaftidentifikationsnummer für wirtschaftlich Tätige einführen soll, kommt
sogar auf 428 Wörter.
63 Seiten umfasst die vorliegende Beschlussfassung
des Finanzausschusses zu diesem Gesetz. Die Regierungskoalition hat zu ihrem eigenen Gesetzentwurf über
40 Änderungsanträge eingebracht, einen Teil der Änderungsanträge im Verfahren noch einmal verändert, einen
Änderungsantrag sogar zweimal. Die letzten Änderungsanträge der Regierungskoalition trafen erst am Abend
vor der abschließenden Beratung im Finanzausschuss
ein. Unter diesen Umständen von einem geordneten Gesetzgebungsverfahren zu reden, wie es die Regierungskoalition noch in den abschließenden Beratungen im
Finanzausschuss getan hat, widerspricht jedenfalls meinen Vorstellungen von sorgfältiger Gesetzgebungsarbeit.
({4})
Ungeachtet dieser Unzulänglichkeiten des Entwurfs
und des sich daran anschließenden Verfahrens hat die
Unionsfraktion das Gesetzgebungsverfahren konstruktiv begleitet. Wir haben bereits bei der Einbringung deutlich gemacht, dass wir sinnvolle Regelungen natürlich
mittragen werden. Die elektronische Übermittlung der
Lohnsteuerbescheinigung an die Finanzämter - Frau
Staatssekretärin Hendricks hat es angesprochen erleichtert die Besteuerungspraxis für Arbeitgeber und
entlastet viele Arbeitnehmer auf dem Weg zu einem
schnelleren Steuerbescheid und einer gegebenenfalls
schnelleren Erstattung der Einkommensteuer.
({5})
Die Verlängerung der Förderung betrieblicher Investitionen in den neuen Bundesländern im Rahmen des
Investitionszulagengesetzes findet ebenfalls unsere uneingeschränkte Zustimmung. Die Unionsfraktion hat
sich mit eigenen Änderungsanträgen und Vorschlägen
konstruktiv in die parlamentarische Beratung mit dem
Ziel eines Kompromisses eingebracht, um - ich sagte es
schon - bei diesem Gesetz die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu vermeiden.
Wir haben uns dabei von dem Ziel leiten lassen, zusätzliche Bürokratie, höhere Steuerbelastungen und weitere Verunsicherungen für Bürger und Unternehmen zu
vermeiden. Zahlreiche Verbesserungen des ursprünglichen Gesetzentwurfs konnten so erreicht werden. So
werden zum Beispiel die Anforderungen an die umsatzsteuerliche Rechnung vermindert. Statt der Angabe
der Steuernummer des Steuerpflichtigen auf jeder Rechnung, die zu Missbräuchen führen kann, reicht nunmehr
die Angabe der Umsatzsteueridentifikationsnummer aus.
Bei Kleinbetragsrechnungen bis zu 100 Euro wird auf
die Angabe der Steuernummer gänzlich verzichtet. Auch
die Anforderung der Vollständigkeit und Richtigkeit der
Rechnung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist
aus dem Entwurf der Koalition gestrichen worden. Wenigstens an diesen Stellen ist es der Union gelungen, im
Einklang mit dem einheitlichen europäischen Rechtsrahmen Bürokratie und Risiken für die Unternehmen gegenüber den ursprünglichen Bestrebungen der Regierungskoalition zu vermindern. Wir begrüßen auch die im
Verlauf der Beratungen erreichten familienpolitischen
Verbesserungen für die Eltern behinderter Kinder und
die Pflegeeltern.
Dennoch wird die Unionsfraktion den Gesetzentwurf
in der Schlussabstimmung ablehnen, weil die Regierungskoalition weiteren zentralen Anliegen der Union
nicht Rechnung getragen hat. Es geht zum einen um den
von uns geforderten Verzicht auf die Einführung von
Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne.
({6})
Nach dem Entwurf sollen Kreditinstitute und andere Finanzdienstleistungsinstitute verpflichtet werden, für Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne Jahresbescheinigungen mit allen für die Besteuerung erheblichen
Angaben auszustellen. Betroffen wären 400 Millionen
Konten und Depots mit entsprechendem enormen technischen und kostenintensiven Aufwand.
Frau Kollegin Scheel, Sie sprechen die Abgeltungsteuer an. Die Regierungskoalition hat doch vorgeschlagen und im Hinblick darauf schon erste gesetzgeberische
Maßnahmen eingeleitet, die Abgeltungsteuer einzuführen und die Kapitalerträge pauschal an der Quelle zu erfassen, was doch gerade die Ausstellung der Jahresbescheinigung, die Sie in das Gesetz hineingeschrieben
haben, zu einem großen Teil überflüssig machen würde.
Zum anderen wollen Sie durch ein Amnestiegesetz
Fluchtgelder nach Deutschland zurückholen. Die Jahresbescheinigungen, die Sie einführen wollen, werden
jedoch das Vertrauen in die Steuerpolitik der Regierung,
soweit es überhaupt noch vorhanden ist, sicher nicht
stärken, mit dem Resultat, dass die erhofften Mehreinnahmen, die sich der Finanzminister schon ausgerechnet
hat, nicht eintreten werden.
In einem weiteren Punkt, der uns wesentlich erscheint, haben Sie sich als beratungsresistent erwiesen.
Sie halten an dem Plan fest, die vom Bundesfinanzhof
verworfene Verwaltungsregelung zum anschaffungsnahen Aufwand bei der Modernisierung von Gebäuden
einer gesetzlichen Regelung zuzuführen, und wollen damit die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes wieder
kassieren. Damit erschüttern Sie erneut das notwendige
Vertrauen von Bürgern und Unternehmen in die Stetigkeit staatlichen Handelns.
In der Anhörung haben die Experten zu diesem
Thema detailliert Stellung genommen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks befürchtet, dass die entsprechenden Investitionen ausbleiben oder in die Schattenwirtschaft verlagert werden. Wenn Sie dies zu Ende
denken, müsste Ihnen klar werden, dass sich der Niedergang der Bauwirtschaft fortsetzen wird, die Steuereinnahmen weiter zurückgehen und mehr Menschen arbeitslos sein werden.
({7})
Die Union fordert Sie deshalb auf, nach wie vor die
Rechtsprechung des höchsten deutschen Steuergerichts
zu diesem Thema zu akzeptieren und beizubehalten.
({8})
Schließlich fordern wir den Verzicht auf die Einführung einer Haftung des Abtretungsempfängers für die
Umsatzsteuer bei der Abtretung von Forderungen. Die
vorgeschlagene Regelung soll den Umsatzsteuerbetrug bekämpfen. Ich habe bereits kürzlich in diesem
Hause klargestellt, dass die Union in Anbetracht der
Größenordnung dieses Problems zu jeder Zusammenarbeit bereit ist, die mit richtigen Instrumenten zu einer
konstruktiven Lösung des Problems des Umsatzsteuerbetruges führt. Denn wir alle wissen, dass das Ifo-Institut
die Größenordnung der Steuereinnahmen, die jedes Jahr
verloren gehen, auf inzwischen 14 Milliarden Euro
schätzt.
Das führt zu Verwerfungen in der Wirtschaft, bei denen die ehrlichen Unternehmen den Betrügern unterliegen. Der Schaden für die Volkswirtschaft und nicht nur
für den Fiskus ist damit erheblich. Hätte der Finanzminister diese Einnahmen, wäre seine Not sicher etwas geringer als jetzt.
({9})
Die Union hat deshalb aber kein Verständnis dafür,
dass die Lösung dieses Problems so lange aufgeschoben
worden ist. Der Bundesrechnungshof hat jahrelang gedrängt. Auch die Ausschüsse dieses Hauses, insbesondere meine Kollegen im Haushaltsausschuss, haben immer wieder gefordert, diesem Problem intensivere
Aufmerksamkeit zu widmen.
Reagiert wurde mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz, das aber in der Praxis bekanntlich
nicht angewandt wird bzw. werden kann,
({10})
weil die Regelungen offensichtlich in der Praxis nicht
handhabbar sind oder weil in der Finanzverwaltung das
erforderliche Personal fehlt, um die bestehenden gesetzlichen Regelungen anzuwenden und ihnen zum Durchbruch zu verhelfen.
({11})
Wir sind der Auffassung, dass zunächst einmal die bestehenden Regelungen konsequent angewandt werden
müssen, statt mit immer neuen Vorschriften eine Aktivität vorzutäuschen, die das Problem letzten Endes nicht
löst.
Die geringe Eigenkapitalausstattung und die hohe
Zahl der Insolvenzen gerade im Mittelstand verbieten
Schnellschüsse, wodurch die Unternehmen bei der Verschaffung von Liquidität durch Forderungsabtretungen
behindert werden könnten. Insofern ist zunächst einmal
eine konsequente Verwaltungspraxis in der Finanzverwaltung notwendig, bevor wir die Gesetzgebung weiter
bemühen.
Abschließend stelle ich fest: Wir waren bereit, trotz
erheblicher Bedenken hinsichtlich des Inhaltes des Gesetzes und des Verfahrens zu einem von allen getragenen
Kompromiss zu kommen, auch deshalb, um für die betroffenen Bürger und Unternehmen möglichst frühzeitig
Klarheit zu schaffen, damit sie sich auf die Neuregelung
einstellen können. Leider haben Sie den wesentlichen
Einwendungen, die wir erhoben haben und die in der
durchgeführten Anhörung von den geladenen Experten
in vollem Umfang bestätigt worden sind, nicht Rechnung getragen. Wir werden deshalb diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, wir stehen mit unserer Kritik nicht allein. „Mehrheit hält rot-grüne Steuerpolitik für unseriös“ titelt heute
„Die Welt“. Wirtschaft und Steuerberaterkammer bestärken nach dem Bericht des „Handelsblatts“ vom gestrigen
Tag die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat, den Vermittlungsausschuss gegen Ihre Steuergesetze anzurufen, damit „doch noch etwas Vernünftiges herauskommt“.
Wir jedenfalls werden uns dieser Verantwortung auch
in Zukunft stellen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vereinfachung, Modernisierung und damit auch
Entbürokratisierung sind die Ziele des Steueränderungsgesetzes.
({0})
Wir beschließen heute eine ganze Reihe konkreter und
sinnvoller Vereinfachungen für die Steuerpflichtigen,
aber auch für die Steuerverwaltung. Ich finde es bedauerlich, dass die Union dabei nicht mitzieht.
({1})
Herr Rzepka, weil Sie ausgeführt haben, dass das Verfahren problematisch gewesen sei und dass unsere letzten Änderungsanträge relativ kurzfristig im Finanzausschuss vorlagen, möchte ich Sie daran erinnern, dass wir
den Gesetzentwurf in der vergangenen Woche gemeinsam beraten haben. Vergangene Woche sind von der
Union noch einige Vorschläge vorgelegt worden. Der
Bundesrat hat ebenfalls einige Änderungsvorschläge formuliert. Wir haben die Vorschläge - darunter auch einen
großen Teil Ihrer Vorschläge - zeitnah aufgegriffen und
die Beratung am Mittwoch ordnungsgemäß abgeschlossen.
Zum einen war das völlig korrekt und zum anderen
kann man, wenn man gemeinsame Ergebnisse erzielen
will, nicht erwarten, dass die eigenen Vorschläge zu
100 Prozent übernommen werden, während 50 Prozent
der Vorschläge der anderen Seite herausfliegen. Wenn
man sich verständigen will, dann ist das auch möglich,
aber dann man kann seine Vorschläge nicht zu
100 Prozent umsetzen, sondern muss auch einmal mit
90 Prozent zufrieden sein.
({2})
Wenn man weiß, wie solche Verfahren funktionieren, ist
es ganz einfach.
Wie wir wissen, beschäftigt sich demnächst der Bundesrat mit dem Gesetzentwurf. Ich hoffe sehr darauf,
dass die unionsregierten Länder im Bundesrat dem Gesetzentwurf zustimmen,
({3})
weil auch sie wissen, dass dies zu Vereinfachung, Modernisierung und Entbürokratisierung führt. Auch die
Länder verfolgen diese Ziele. Deswegen hoffe ich darauf, dass sich der Sachverstand im Bundesrat in der
Entscheidung niederschlägt und dass der Gesetzentwurf
nicht in das Vermittlungsverfahren gezogen wird, sodass
alle Beteiligten noch mehr Zeit verlieren.
({4})
Viele Abläufe im Bereich der Lohn- und Einkommensteuer, die heute noch auf dem Papier stattfinden,
können in Zukunft von den Arbeitgebern und den Finanzverwaltungen elektronisch abgewickelt werden. Die
Lohnsteuerkarte wird faktisch abgeschafft. Das ist ein
riesiger Fortschritt für die Steuerpflichtigen, aber auch
für den Fiskus.
Ich halte auch die Einführung eines bundeseinheitlichen Ordnungsmerkmals für eine ganz hervorragende
Vereinfachung; denn bis heute können Steuerdaten - das
kommt einem ziemlich vorsintflutlich vor - nicht eindeutig einem bestimmten Steuerpflichtigen zugeordnet
werden und nicht problemlos über Landesgrenzen hin
und her transferiert werden. Das wird jetzt anders. So ist
die Vergabe weiterer Steuernummern zum Beispiel für
verschiedene Steuerarten oder in den Fällen, in denen
ein Wechsel des Wohn- oder Betriebssitzes vorgenommen wird, in Zukunft nicht mehr notwendig. Das ist ein
Riesenschritt in Richtung Vereinfachung.
({5})
Durch entsprechende Regelungen ersparen wir in Zukunft Pflegeeltern und Eltern behinderter Kinder den
Einzelnachweis über Aufwendungen für die Betreuung,
die Erziehung oder die Ausbildung ihres Pflegekindes
bzw. über die Verwendung des für das behinderte Kind
empfangenen Pflegegeldes. Ein solcher Nachweis von
oft vielfältigen Einzelkosten stößt nicht nur auf praktische Schwierigkeiten. Er würde auch sonst keinen Sinn
machen; denn er würde einen riesigen Verwaltungsaufwand sowohl aufseiten der Eltern als auch aufseiten der
Finanzverwaltung auslösen. Unsere diesbezüglichen Regelungen halte ich deswegen für sehr gut.
Herr Rzepka, Sie haben völlig Recht, wenn Sie darauf
hinweisen, dass der Schaden durch Umsatzsteuerbetrug in der Bundesrepublik Deutschland auch in diesem Jahr fast 18 Milliarden Euro beträgt. Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt, die auf dem Bericht
des Bundesrechnungshofes aufbauen. Ein Vorschlag findet sich unter anderem in dem vorliegenden Gesetzentwurf wieder. Andere Vorschläge sind zum Beispiel in
das Haushaltsbegleitgesetz eingeflossen. Deswegen bitte
ich Sie: Gehen Sie mit uns entschlossen und vor allen
Dingen wirksam gegen Umsatzsteuerbetrug vor! Sagen
Sie nicht einfach, wir müssten noch einmal darüber reden, weil das von uns verabschiedete Gesetz nicht greifen würde. Es greift teilweise auch deswegen nicht, weil
Sie damals, als wir über den entsprechenden Gesetzentwurf beraten haben, im Bundesrat bestimmte Dinge
nicht akzeptiert haben. Das Gesetz, wie es im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist und in Kraft getreten
ist, ist dadurch regelrecht durchlöchert worden und
konnte im Endeffekt nicht mehr greifen. Das ist die
Wahrheit.
Ich hoffe, dass der fiskalische Schaden, der durch betrügerische Geschäfte entsteht, durch die Vorschläge, die
wir zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges vorgelegt haben, ein Stück weit eingedämmt wird. Unser Ziel
sind Betrugsbekämpfung und Vereinfachung. Dazu stehen wir. Ich hoffe sehr, dass sich die unionsregierten
Länder im Bundesrat unserem Ansinnen anschließen
werden.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas
Pinkwart.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf enthält mehrere
Maßnahmen, die zur Verschärfung der Besteuerung führen und die die Rechte der Steuerzahler auf Wahrung des
Datenschutzes und des Steuergeheimnisses einschränken. Aus diesen Gründen lehnen wir, die Freien Demokraten, den Gesetzentwurf ab.
({0})
- Vielleicht lesen Sie einmal nach, was der Bundesdatenschutzbeauftragte diesbezüglich festgestellt hat.
Bei der Güterabwägung zwischen dem Recht des
Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung und einer
fairen Besteuerung auf der einen Seite sowie der Einnahmeerzielungsabsicht des Staates auf der anderen Seite
entscheiden Sie sich mit dem vorliegenden Entwurf
- das sollte insbesondere Bündnis 90/Die Grünen zu
denken geben - einseitig für rein fiskalische Ziele. Ich
möchte dies an drei Beispielen verdeutlichen, über die
wir bereits gesprochen haben. Frau Westrich hat sich
zwar sehr bemüht - das wollen wir auch anerkennen -,
aber leider haben wir keine Lösung finden können.
Erstes Beispiel. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, dass von
Bürgern eingelegte Rechtsmittel durch gesetzliche Fiktion als zurückgewiesen angesehen werden. Wir halten
dies - auch aus verfassungsrechtlicher Sicht - für mehr
als bedenklich.
({1})
Dies gilt insbesondere, weil die Zurückweisungsfiktion
auch Einsprüche und Änderungsanträge von Steuerzahlern erfassen soll, die erfolgreich sein müssen, weil die
Entscheidung zugunsten der Bürger ausfallen würde.
Zweites Beispiel. Nachdem der Bundesfinanzhof die
Auffassung der Finanzverwaltung zum anschaffungsnahen Aufwand verworfen hat, soll diese für die Steuerpflichtigen positive Entscheidung nach Ihrem Entwurf
künftig nicht mehr gelten. Diese Änderung lehnen wir
ab, da sie von notwendigen baulichen Maßnahmen innerhalb der ersten drei Jahre nach Anschaffung eines
Gebäudes abhält und gleichzeitig der Sicherung und
Schaffung legaler Arbeitsplätze im Bausektor entgegenwirkt.
({2})
Drittes Beispiel. Ihr Entwurf sieht die Einführung
einer Steueridentnummer vor, und zwar auch für Neugeborene und Kinder, obwohl sie überwiegend nicht
steuerpflichtig sind. Hierbei hat der Bundesdatenschutzbeauftragte die Verhältnismäßigkeit der Mittel in Zweifel gezogen. Wir hoffen sehr, dass dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit bei der weiteren Umsetzung mehr
Rechnung getragen wird als in Ihrem Entwurf.
({3})
Abschließend will ich deutlich machen: Sie sprechen
zwar in Ihrem Gesetzentwurf von Vereinfachung, bauen
aber weitere Verkomplizierungen ins Steuerrecht ein.
Dies gilt insbesondere für die Ausnahme von der Ausnahme bei Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Sie, aber auch Koch und Steinbrück haben bislang
nicht die Kraft aufgebracht, bei diesem Thema nach der
Rasenmähermethode vorzugehen und Steuervergünstigungen gleichmäßig abzubauen. Die Bemühungen gehen uns nicht weit genug.
Der Entwurf sieht eine weitere Verkomplizierung des
Steuerrechts vor, die sich ungerecht für den Steuer zahlenden Bürger auswirkt. Ich nenne dafür ein Beispiel: Es
ist aus unserer Sicht nicht verständlich, dass bei einer angestellten Hebamme Zuschläge für Arbeiten, die sie an
Sonn- und Feiertagen oder in der Nacht verrichtet, steuerbefreit sind und bei einer freiberuflich tätigen Hebamme nicht.
({4})
Hier muss der Steuerzahler gerechter behandelt werden.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Lydia Westrich.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben vorhin über die Hightech-Zukunft unseres
Landes sehr leidenschaftlich diskutiert. Dieses Gesetz
- es trägt den prosaischen Namen Steueränderungsgesetz - ermöglicht den verstärkten Einsatz von Hightech
in der Steuerverwaltung; es erleichtert die Einführung
einer elektronischen Lohnsteuerkarte. Es ermöglicht
den Arbeitgebern die Datenübertragung per Knopfdruck
direkt an die Behörde. Es kommt der Vorstellung der
Koalitionsfraktionen näher, dass Arbeitnehmer irgendwann in naher Zukunft ihre Steuererklärung quasi per
Postkarte einreichen können. Dies ist ein erster Schritt in
diese Richtung. Rot-Grün wird diese Vorstellung verwirklichen.
({0})
Hinzu kommt die Einführung einer bundeseinheitlichen Steuernummer. Herr Merz hat es ebenfalls gefordert; Herr Pinkwart hat dies abgelehnt. In den meisten
Ländern ist solch eine einheitliche Steuernummer selbstverständlich. Nur in Deutschland zieht fast jeder Wohnungswechsel eine neue Steuernummer nach sich. Datenschutzrechtliche Bedenken konnten ausgeräumt
werden. Herr Pinkwart, das müssen Sie ehrlicherweise
zugeben.
({1})
Durch dieses einheitliche Ordnungsmerkmal wird wieder ein Hemmnis auf dem Weg zum Ausbau der elektronischen Datenübermittlung bei den Finanzverwaltungen
abgebaut.
({2})
Neben der Modernisierung und Vereinfachung enthält
dieses Gesetz auch wichtige Erleichterungen für die
Steuerbürger. Zum Beispiel werden Eltern von Pflegekindern und von behinderten Kindern von lästigen
Nachweisen befreit. Mir liegt gerade ein Fall vor, in dem
die Kindergeldkasse von jemandem eine detaillierte
Aufstellung der Kosten gefordert hat. Das ist ein unmöglicher Zustand. Diese Eltern haben es schon schwer genug. Deswegen bin ich froh über diese Regelung.
({3})
Die Regelungen zur doppelten Haushaltsführung gelten für mobile Arbeitnehmer über die Grenze von zwei
Jahren hinaus. Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgetragen. Wir sind dem selbstverständlich nachgekommen.
Wir schaffen für die Bankkunden - das machen wir
gerne - einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf eine
jährliche Bescheinigung über die Kapitalerträge und
Veräußerungsgewinne. So können sie in Zukunft ihre
Steuererklärung ganz problemlos abgeben. Eigentlich ist
das ein ganz selbstverständliches Recht der Bankkunden. Viele Kreditinstitute praktizieren das mittlerweile
als Serviceleistung. Von daher weiß ich nicht, woher ein
zusätzlicher Verwaltungsaufwand kommen soll. Für die
weniger kundenfreundlichen Banken wird es eigentlich
höchste Zeit, diesen Service ebenfalls zu erbringen.
({4})
Auch wenn die Abgeltungsteuer eingeführt wird, behalten die jährlichen Erträgnisbescheinigungen ihre Berechtigung, da es bei uns noch viele Steuerzahler gibt,
die einen Steuersatz von unter 25 Prozent haben und mit
dieser Bescheinigung dann problemlos Steuern zurückerhalten können. Hierbei geht es einfach um eine Erleichterung für die Steuerzahler. Das ist wichtiger als ein
eventueller Mehraufwand einiger Banken, für die das
Wort Service ein Fremdwort ist.
Wir setzen EU-Richtlinien um, aber auch EU-Vorschriften im Umsatzsteuerbereich. Vor allem das
nimmt die Opposition zum Anlass, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Wir kennen das von Ihnen: Große Worte
von Subventionsabbau. Sie fordern die Verbreiterung der
Steuerbasis. Sie wollen einfache Steuergesetze. Sie machen große Pressekonferenzen. Aber wenn es dann konkret wird, wird der Schwanz eingezogen.
({5})
„Schließen von Steuerschlupflöchern im Konkreten“ ist
für die Damen und Herren von der Opposition anscheinend ein Fremdwort.
Die eigentlich selbstverständliche Tatsache, dass Betriebsausgaben, die die Steuern gemindert haben, irgendwann der Besteuerung zugeführt werden müssen, scheint
noch nicht Allgemeingut bei der Union und der FDP zu
sein.
({6})
Das tut mir sehr Leid, weil das eigentlich zum Grundwissen in diesem Bereich gehört.
Ihre Fachkollegen aus den Finanzministerien der Länder sind da ganz anderer Meinung. Sie sehen mit Missvergnügen die Steuereinnahmen davonschwimmen und
fordern die Schließung von Regelungslücken und die gerichtsfeste Verankerung im Gesetz. Dem kommen wir
hiermit nach. Aber bis zu Ihnen hier im Bundestag ist
das noch nicht gedrungen.
Es ist schade, dass sich die Opposition ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in diesem Bereich nicht bewusst ist. Gravierend ist das vor allem im Umsatzsteuerbereich. Herr Rzepka, Sie haben selbst die Zahlen
angesprochen. Die anschauliche Schilderung des Bundesrechnungshofs dazu, was sich im Bereich des - kriminellen - Umsatzsteuermissbrauchs tut, müsste bei
jedem verantwortlichen Politiker die Alarmglocken
schrillen lassen.
({7})
Nur bei Ihnen ist das nicht der Fall.
Außerdem ist der fortwährende Missbrauch der Umsatzsteuerregelungen natürlich eine eklatante Wettbewerbsverzerrung zulasten vieler seriöser Unternehmen.
Da Sie genau wissen, dass es langwierig sein wird, das
Umsatzsteuersystem europaweit umzustellen, sollten Sie
mit uns gemeinsam alles tun, den Umsatzsteuerbetrug
mit wirksamen Maßnahmen zu bekämpfen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein guter Schritt dazu.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so-
wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vor-
schriften. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 15/1928, die ge-
nannten Gesetzentwürfe als Zweites Gesetz zur
Änderung steuerlicher Vorschriften in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben,
wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Enthaltungen gibt es
nicht. Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit
den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen
worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
Paziorek, Katherina Reiche, Marie-Luise Dött,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Strategie für eine nachhaltige Chemiepolitik in
Deutschland und Europa
- Drucksache 15/1356 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Angelika Brunkhorst, Daniel Bahr
({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Leistungsfähigkeit der deutschen Chemiewirtschaft im europäischen Rahmen sichern
- Drucksache 15/1332 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Es gibt keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Abgeordnete Katherina Reiche.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr der Chemie als Chemikerin zum Chemiestandort Deutschland zu sprechen kommt nicht alle Tage
vor. Deshalb freue ich mich auch über die Gelegenheit.
Im Januar 2003 hat die Bundesregierung mit viel
Tamtam und Show das Jahr der Chemie eingeläutet. Ich
zitiere aus einer Presseerklärung:
Seit Mitte Januar ist er „on the road“: Justus, der
Chemie-Truck zum Jahr der Chemie, ist auf Tour
durch ganz Deutschland.
Doch was hat die Bundesregierung in diesem Jahr eigentlich unternommen, um den Chemiestandort wirklich
wettbewerbsfähig zu machen? Der Bundesregierung ist
es nicht gelungen, die Belastungen, die den deutschen
Unternehmen durch REACH auf europäischer Ebene
drohen, zu minimieren oder gar aus dem Weg zu räumen. Die Belastungen durch den EU-Kommissionsvorschlag sind weiterhin erheblich und liegen deutlich über
den Vorgaben des Weißbuchs der EU-Kommission vom
27. Februar 2001.
({0})
Nach wie vor bildet ein bürokratisches und kostspieliges
Registrierungsverfahren die Grundlage des Vorschlages.
Bundeswirtschaftsminister Clement hat REACH übrigens als Testfall für die EU-Industriepolitik bezeichnet.
Es scheint so zu sein, dass dieser Testballon nun zerplatzt. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little hat
im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Arbeit eine Studie erstellt, aus der hervorgeht, dass
durch die geplante EU-Chemikalienpolitik allein in der
Chemiefaser- und Textilindustrie ein Abbau von
17 500 Arbeitsplätzen zu befürchten ist.
Die Unternehmen in den USA wachsen aufgrund von
günstigen industriepolitischen Rahmenbedingungen; sie
sind dynamisch. Deutsche Unternehmen verlieren
Marktanteile in der Welt, und zwar signifikant. Zu diesem Schluss kommt jüngst eine Studie der Boston Consulting Group. Deshalb muss es die Aufgabe der deutschen und auch der europäischen Politik sein,
regulatorische Hürden für Unternehmen aus dem Weg zu
räumen und nicht ständig neue zu schaffen.
({1})
Überzeugen Sie die schwedische Umweltkommissarin
Wallström, die zwar Elche und Wald kennt, aber keine
chemische Industrie, von der Bedeutung dieses Industriezweiges für Deutschland.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, lassen Sie nicht zu, dass die Chemikalienpolitik in
Europa zu einer Wachstums- und Innovationsbremse
wird. Die chemische Industrie in Deutschland ist eine
der Schlüsselindustrien. Mit einem Umsatz von über
133 Milliarden Euro und circa 460 000 Beschäftigten ist
sie ein ganz wesentlicher Eckpfeiler der deutschen Industrie. Nach dem World Competitiveness Yearbook
2003 liegt Deutschland bezüglich seiner wirtschaftlichen
Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich nur
auf Platz 15. Besonders schlecht fällt hierbei die Bewertung der wirtschaftsrelevanten Gesetzgebung, des Bildungswesens, des Arbeitsmarktes und der Steuerpolitik,
aus. Deutschland droht, mittelfristig in die zweite Liga
der Industriestandorte abzusteigen. Damit die chemische
Industrie weiterhin ihren Beitrag leisten kann, sind in
diesen Politikfeldern konsequente Reformen notwendig.
Die Globalisierung schreitet fort, der Wettbewerb
wird härter. Wir werden nie die Billigsten sein, also müssen wir die Besten sein. Deshalb ist unser wichtigstes
Kapital das Wissen; das müssen wir voll einsetzen. Innovationen, natürlich auch die in der chemischen Industrie, sind abhängig von der Qualität und der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungssystems. Wenn
wir ein starker Industriestandort bleiben und auch in Zukunft sein wollen, dann müssen wir langfristig ein qualifiziertes Arbeitskräfteangebot sichern. Wenn die Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Innovationsstandort
gesichert werden soll, ist ein ganzheitlicher Reformansatz notwendig. Schon in der Schule muss die Grundlage
gelegt werden, sodass über Studium und berufliche Weiterbildung der Weg hin zum lebenslangen Lernen führt.
Hierzu gehört zum Beispiel im schulischen Bereich auch
eine fundierte Allgemeinbildung in Mathematik und den
Naturwissenschaften, gerade in einer zunehmend von
Technik und Naturwissenschaften geprägten Welt. Eine
naturwissenschaftliche Ausbildung kann durchaus auch
in der Grundschule beginnen. Unser Hauptziel muss
sein, dass die Schüler wieder adäquat auf ihre Ausbildung vorbereitet werden. Derzeit werden sie es nicht.
Für mich ist es ganz besonders wichtig, Begeisterung
für Naturwissenschaften und Technik zu wecken. Namen wie Justus von Liebig, Adolf von Baeyer, Robert
Bunsen oder auch Karl Ziegler stehen für eine ganz
große Chemietradition in Deutschland. Tatsache ist aber
auch, dass ein Chemienobelpreis letztmalig 1988 an einen Deutschen vergeben wurde. Den hier eingetretenen
Rückstand müssen wir aufholen. Hier muss man auch
das Hochschulsystem ins Auge fassen. Wir müssen unser Hochschulwesen wieder konkurrenzfähig machen.
Dazu gehört, dass die Universitäten ihre Studenten selbst
auswählen können. Für das Chemiestudium hieße das
zum Beispiel, dass man nach einer einjährigen Orientierungsphase einen Eignungstest durchführt.
Hochschulen wollen und sollen unternehmerisch tätig
werden können. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, die
die Politik nutzen muss. Die Bildungsministerin ist nicht
mehr anwesend; sonst würde ich ihr sagen: Schaffen Sie
das Verbot von Studiengebühren ab, entschlacken Sie
das Hochschulrahmengesetz
({3})
und schaffen Sie eine Basis dafür, dass die Universitäten
exzellente Absolventen hervorbringen!
({4})
Meine Damen und Herren, Chemie ist das, was knallt
und stinkt, Physik ist das, was nie gelingt. Diese angebliche Weisheit muss von jemandem stammen, der von Naturwissenschaften nicht viel versteht.
({5})
Die Chemie ist ein bedeutender Innovationsmotor und
gibt die meisten Anstöße für neue Produkte, zum Beispiel in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, der
Nachrichtentechnik oder bei neuen Werkstoffen. Das gilt
auch - die Grünen wird es besonders freuen, das zu
hören -, wenn es darum geht, nachhaltig zu wirtschaften,
zum Beispiel durch die Wärmedämmung von Häusern.
Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass der
Chemiestandort Deutschland konkurrenzfähig bleibt.
Stimmen Sie unserem Antrag zu und stärken Sie somit
die chemische Industrie in Deutschland!
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich der Anträge der FDP und der Union zur europäischen Chemiepolitik, über die wir heute diskutieren,
lässt sich leicht feststellen, dass beide Vorlagen längst
nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Das Verfahren zur
Neuordnung der Chemiepolitik auf europäischer Ebene
ist bereits viel weiter fortgeschritten als das, was Ihren
Anträgen zu entnehmen ist. Mittlerweile liegt ein umfangreiches Konsultationsverfahren der Europäischen
Kommission hinter uns. Mit der am 29. Oktober dieses
Jahres vorgelegten Verordnung der Kommission ist das
Gesetzgebungsverfahren auf europäischer Ebene nun offiziell eingeleitet.
Selbst wenn man diesen Aspekt zunächst einmal außer Acht lässt, hat man den Eindruck - das bezieht sich
auch auf Ihre Rede, Frau Reiche -, dass Sie sich nur einseitig mit dieser Materie befassen. Nur so ist zu erklären,
dass in beiden Anträgen nur die eine Seite der Medaille
betrachtet wird.
Im FDP-Antrag zum Beispiel ist zu lesen, es müsse
verhindert werden, dass durch die neue europäische
Chemiepolitik „ein unnötiger und kostspieliger bürokratischer Aufwand entsteht“. Im Antrag der CDU/CSU ist
von einem „Übermaß an Bürokratie und Regulierung“
mit „Folgeschäden“ für die Industrie die Rede.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn
es das einzige Anliegen der Kommission wäre, neue
Auflagen und neue Bürokratie zu schaffen, würde ich Ihnen ja durchaus zustimmen. Niemand hier im Hause will
der Chemieindustrie in Deutschland und in Europa
Übermäßiges oder gar Unnötiges zumuten. Da sind wir
uns einig.
({0})
Aber so einfach können wir es uns wirklich nicht machen. Wenn in der Chemiepolitik alles zum Besten wäre,
wie dem Antrag der FDP zu entnehmen ist, dann wäre
die neue Verordnung der Kommission in der Tat nicht
sinnvoll. Aber so ist es nicht.
Auf dem Gebiet der Chemikalienpolitik besteht dringender Handlungsbedarf. Wir reden heute unter anderem
darüber, dass es für 95 Prozent der Chemikalien, die auf
dem Markt sind, keine ausreichenden Informationen
gibt. Wir reden darüber, dass wir bei vielen Chemikalien,
die uns tagtäglich und überall im Alltag begegnen, die
Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht genau kennen.
Wir reden auch über den zukünftigen Umgang mit Chemikalien von allerhöchster Giftigkeit.
Darum geht es in erster Linie, wenn die Europäische
Union jetzt eine Neuordnung des Chemikalienrechtes
anstrebt. Das, meine Damen und Herren von der Opposition, ist die andere Seite der Medaille, die Sie in Ihren
Anträgen gerade einmal am Rande streifen. Ihre Anträge
sind also nicht nur bezüglich der Aktualität überholt, sie
sind auch inhaltlich völlig unzureichend. Deshalb müssen wir sie ablehnen.
({1})
Im CDU/CSU-Antrag zum Beispiel ist die Rede davon, dass Sicherheitslücken bei importierten Stoffen bestünden. Das ist bereits in die Verordnung aufgenommen.
An anderer Stelle heißt es, dass der Bereich der Arzneimittelwirkstoffe von den Regelungen in der Verordnung
ausgenommen werden solle. Arzneimittel, mit denen wir
Heinz Schmitt ({2})
täglich zu tun haben, die die Gesundheit und das Lebensgefühl der Menschen bestimmen, sollen ausgenommen
werden? Das sind Dinge, die nicht mit den Anforderungen zusammenpassen, die sich ergeben haben.
Die Neuordnung des europäischen Chemikalienrechtes ist eine absolute Notwendigkeit. Sie ist aber zugleich
eine Chance für die Chemieindustrie und für den Industriestandort insgesamt. Diese Notwendigkeit wird deutlich, wenn man sich einmal die Lücken in den aktuellen
Regelungen für Chemikalien ansieht. Im Augenblick
wird in der Chemikalienpolitik noch zwischen so genannten Neu- und Altstoffen unterschieden. Für Stoffe,
die seit 1981 auf den Markt gebracht wurden, gibt es
hohe Sicherheitsanforderungen. Aber es gibt auch Tausende von chemischen Altstoffen, die bereits vor 1981
auf dem Markt waren. Gerade über diese Stoffe wissen
wir nicht genügend, um ihre Gefährlichkeit beurteilen zu
können.
Das soll sich nun mit der neuen Verordnung ändern.
Alt- und Neustoffe werden zukünftig in der neuen Chemikalienpolitik gleich behandelt. Wichtig ist dabei auch
die Gleichbehandlung von europäischen Herstellern und
von Importeuren chemischer Substanzen. Dadurch lassen sich Verzerrungen beim Wettbewerb vermeiden.
Kernstück der Verordnung ist das so genannte
REACH-System. Das neue System sieht eine Registrierungspflicht für einen Großteil chemischer Substanzen
vor. In einem Zeitraum von ungefähr elf Jahren sollen
diese Substanzen einheitlich bei einer neuen europäischen Chemieagentur erfasst und relevante Sicherheitsdaten bereitgestellt werden. Ab einer bestimmten Herstellungsmenge pro Jahr wird es für Stoffe eine
Überprüfung durch staatliche Behörden geben. Besonders gefährliche Stoffe sollen außerdem einem Zulassungsverfahren unterworfen werden. Der Begriff
REACH steht für Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals.
Über die Notwendigkeit, das jetzige System zu verbessern, bestand schon in der Vergangenheit Einvernehmen bei den politisch Verantwortlichen und bei der Industrie selbst. Diese grundsätzliche Übereinstimmung
kommt auch in der so genannten gemeinsamen Bewertung der neuen Chemiepolitik deutlich zum Ausdruck.
Diese Bewertung wurde von der Bundesregierung, vom
Verband der Chemischen Industrie und von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie gemeinsam erarbeitet. Das Positionspapier nennt Kritikpunkte
an Einzelregelungen im Verordnungsentwurf. Die Notwendigkeit eines neuen Systems und eines hohen Niveaus für den Schutz der menschlichen Gesundheit und
der Umwelt wird jedoch grundsätzlich anerkannt.
Die Kommission hat ihrerseits im offiziellen Verordnungsentwurf, der am 29. Oktober vorgelegt wurde, bereits auf viele Kritikpunkte des Konsultationsverfahrens
reagiert und Änderungen vorgenommen. Damit ist ein
guter Ansatz gefunden, die Chemiepolitik auf europäischer Ebene in die richtige Richtung weiterzuentwickeln.
({3})
Auch was die Kosten angeht, ist man der Industrie
entgegengekommen. Die Kommission schätzt die Kosten für die Umsetzung von REACH auf ungefähr
5,5 Milliarden Euro; wie gesagt, verteilt auf elf Jahre.
Das ist eine Größenordnung, die vertretbar erscheint;
denn diesen Kosten steht auf der anderen Seite ein großer Nutzen gegenüber. Nach vorsichtigen Schätzungen
entsteht etwa 1 Prozent der Gesundheitskosten aller EULänder durch Erkrankungen im Zusammenhang mit
Chemikalien. Das sind ungefähr 7 Milliarden Euro pro
Jahr. Eine bessere Kenntnis der Gesundheitsrisiken
durch Chemikalien kann helfen, diese Kosten zu senken.
Bei der Debatte wird übersehen - dieser Punkt kommt
auch in Ihren Anträgen nicht vor -, dass in dem neuen
System auch große ökonomische Potenziale liegen.
Auch dies wurde von der Industrie bisher nicht ausreichend gewürdigt.
Ein funktionierendes europäisches Chemikaliensystem kann die europäische Chemieindustrie zum Vorreiter
für einen sicheren, vertrauenswürdigen Umgang mit
chemischen Substanzen machen. Sachverständige sprechen schon jetzt davon, Europa könne zu einem LeadMarkt für Chemikalien werden. Auch wenn es durchaus
unterschiedliche Meinungen bei der Ausgestaltung von
Details gibt: Man darf die Chancen des neuen Systems
nicht außer Acht lassen.
({4})
Aus diesen genannten Gründen befürwortet die SPDBundestagsfraktion das Vorhaben der Europäischen
Kommission, das neue REACH-System zügig in geltendes Recht umzusetzen.
({5})
Wir sehen darin nicht nur deutliche Fortschritte für den
Umwelt- und Gesundheitsschutz beim Umgang mit Chemikalien. Wir sehen darin auch die Chance für die europäische Chemieindustrie insgesamt, mit neuen und sicheren Produkten ihre Spitzenposition auf dem Weltmarkt
zu behaupten und auszubauen.
({6})
Lassen Sie uns deshalb die Chancen für die Umwelt,
die Gesundheit, den Verbraucherschutz und für eine erfolgreiche Entwicklung des Industriestandortes Deutschland gemeinsam nutzen!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben seit einigen Tagen den Verordnungsentwurf
der EU-Kommission zur Chemikalienpolitik vorliegen.
Es ist wichtig, heute deutlich zu machen, dass dieser insbesondere für die Bundesrepublik Deutschland von großer Bedeutung ist. Die Chemiewirtschaft gehört bei uns
zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Deutschland besitzt in Europa die mit Abstand größte Chemieindustrie.
Gut ein Viertel des Umsatzes mit chemischen Produkten
in der EU wird in deutschen Unternehmen erwirtschaftet.
Weil das so ist, haben wir uns vonseiten der FDPFraktion sehr frühzeitig diesem Prozess gewidmet. Bereits Anfang 2001, als von der EU-Kommission das
Chemikalien-Weißbuch vorgelegt wurde, hat die FDP
deshalb als erste Fraktion im Deutschen Bundestag einen
Antrag eingebracht und die Bundesregierung aufgefordert, auf die Gestaltung chemikalienrechtlicher Vorgaben auf europäischer Ebene sachgerecht Einfluss zu nehmen. „Sachgerecht“ bedeutet: unter Berücksichtigung
aller Faktoren, die eine Rolle spielen, also unter Berücksichtigung sowohl ökologischer und gesundheitlicher als
auch ökonomischer und sozialer Fragestellungen; denn
mit diesem Bereich sind auch Arbeitsplätze verbunden.
({0})
Leider wurde dieser Antrag von der rot-grünen Mehrheit im Deutschen Bundestag abgelehnt.
({1})
Das hinderte allerdings den Bundeskanzler überhaupt
nicht daran, sich dieser Angelegenheit wenige Tage später persönlich anzunehmen.
({2})
- Frau Mehl, es war so. - Im März 2002 wurde von der
Bundesregierung, den Gewerkschaften und der chemischen Industrie ein gemeinsamer Standpunkt zur europäischen Chemikalienpolitik vorgelegt, der in seinen
wesentlichen Inhalten unserem Antrag, den Sie kurz zuvor abgelehnt hatten, entsprach.
({3})
Mittlerweile hat es weitere Verbesserungen gegeben.
Aber ich muss feststellen, dass trotz aller Verbesserungen im Detail ein Grundproblem bestehen bleibt: Die
Gefährlichkeit von Chemikalien bestimmt sich nach deren Anwendung und nicht nach den stofflichen Eigenschaften; das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
Es sind also noch nicht alle Bedenken ausgeräumt.
Weiterhin sieht die FDP Anlass zur Sorge, dass aufgrund der neuen europäischen Regelungen zur Chemikalienpolitik ein unnötiger, kostspieliger und insbesondere
für kleine und mittlere Unternehmen existenzbedrohender bürokratischer Aufwand entsteht, ohne dass die Umwelt und die menschliche Gesundheit hiervon in irgendeiner Weise profitieren würden.
({4})
Ich möchte noch auf Herrn Schmitt eingehen. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir in Deutschland schon heute
ein vorbildliches Sicherheitsniveau beim Umgang mit
Chemikalien haben. Es droht, dass mit dieser Verordnung den Zielen des Chemikalienrechts ein Bärendienst
erwiesen wird. Es wäre absolut absurd, wenn erhebliche
und sachlich nicht begründete Nachteile für den Chemiestandort Deutschland widersinnigerweise dazu führen
würden, dass Produktionsstandorte, bei denen auf Gesundheits- und Umweltschutz kein Wert gelegt wird, an
Attraktivität gewinnen.
Deshalb haben wir vonseiten der FDP einen Antrag
vorgelegt, in dem die Bundesregierung nochmals aufgefordert wird, aktiv zu werden. Zu begrüßen ist, dass die
Bundesregierung ihre Position zur Chemikalienpolitik
vor kurzem prompt erneut konkretisiert und aktualisiert
hat. Deswegen kann ich Sie von Rot-Grün und auch die
Bundesregierung nur zu weiterer Einsicht ermuntern.
Wir erwarten Ihre Zustimmung zu unserem Antrag
gerne.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje VogelSperl.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem Entwurf für eine neue europäische
Chemikalienverordnung stehen wir vor der letzten großen umweltpolitischen Herausforderung der 80er-Jahre.
Diese Verordnung wird uns einen bedeutenden Schritt
nach vorn bringen.
({0})
Die Prinzipien der Produktverantwortung und der Beweislastumkehr finden erstmals Eingang in den Bereich
der Verwendung und Kontrolle von Chemikalien. Künftig
müssen eben nicht die Behörden den Nachweis erbringen, dass ein Stoff gesundheitsgefährdend ist, sondern
Hersteller und Weiterverarbeiter. Was für Elektrogeräte
etc. eine Selbstverständlichkeit ist, gilt künftig genauso
für die Sicherheit von Chemikalien, bevor sie auf den
Markt kommen, gemäß dem Prinzip: no data, no market.
Bis dato werden diese Anforderungen nur an Neustoffe gestellt. Durch die Wissenslücke über die Wirkungen der Altstoffe auf Mensch und Umwelt ergibt sich
eine mögliche Gesundheitsbelastung, die mit dem Anspruch eines vorsorgenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes nicht vereinbar ist. Das existierende Altstoffverfahren hat sich zudem als äußerst ineffizient
erwiesen. Nur etwa 30 Stoffe konnten in rund zehn Jahren abschließend bewertet werden. Das heutige Chemikalienrecht bietet zu wenig Anreize für Innovationen,
weil für die Verwendung von Altstoffen einerseits und
von neu entwickelten Chemikalien andererseits unterschiedliche Regelungen bestehen.
Die neue Verordnung wird 39 Richtlinien und zwei
Verordnungen in einer Verordnung zusammenfassen.
Das bedeutet: Klarheit, Transparenz und Bürokratieabbau.
Chancen bietet das neue REACH-System in vielfacher
Hinsicht. Durch die Verankerung der Produktverantwortung eröffnet sich der europäischen Chemieindustrie
die Möglichkeit, sich mit qualitativ hochwertigen, sicheren und ökologisch innovativen Produkten Zukunftsmärkte zu sichern. Langfristig werden ökologisch unbedenkliche Stoffe die gefährlichen ersetzen.
Produkte, die mit sicheren Chemikalien hergestellt
werden, haben das Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher auf ihrer Seite. Dies gilt nicht nur für die
Verbraucher in Europa; ich denke an „Made in Europe“
als Exportschlager.
Gleichzeitig besteht die einmalige Chance, durch ein
effektives, systematisches Chemikalienmanagement in
erheblichem Umfang Kosten im Umwelt- und Gesundheitsschutz einzusparen,
({1})
und zwar ganz im Sinne des Vorsorgeprinzips.
({2})
Von diesen Chancen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, lese ich in Ihren
Anträgen leider nichts.
({3})
Ganz im Gegenteil: Sie blenden all dies völlig aus und
warnen nur einseitig vor hohen Kosten und bürokratischen Lasten für die Unternehmen. Dies haben Sie bereits getan, lange bevor eine seriöse Diskussionsgrundlage überhaupt auf dem Tisch lag.
Teile Ihrer Bedenken sind inzwischen überholt. Im
Laufe des Konsultationsprozesses sind gerade für die
mittelständischen Unternehmen und die nachgeschalteten Anwender sehr viel praktikablere Regelungen gefunden worden. Aus den genannten Gründen stimmen wir
Ihren Anträgen auch nicht zu.
Widmen wir uns doch lieber gemeinsam dem nun
vorliegenden Entwurf und dem anstehenden Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene. Auch ich sehe gravierende Defizite - selbst im Vergleich mit der gemeinsamen Position von Bundesregierung, VCI und IG BCE in dem nun vorliegenden Entwurf.
({4})
Unabdingbar ist eine verbindliche Regelung, doppelte
Wirbeltierversuche auszuschließen und eine gemeinsame Nutzung von Daten seitens der Unternehmen vorzuschreiben, wie es in Deutschland schon Standard ist.
({5})
Alternative tierversuchsfreie Testmethoden müssen
schnellstmöglich anerkannt und verbindlich Eingang in
die Verordnung finden. Mit dem REACH-System sollte
die Chance genutzt werden, tierversuchsfreie Testverfahren international zu etablieren.
Verlässliche Aussagen über mögliche Risiken sind
nach dem vorliegenden Entwurf nur für ein Drittel aller
registrierpflichtigen Stoffe möglich. Ein aussagekräftiger Mindestdatensatz für Zwischenprodukte muss Bestandteil der Verordnung sein. Ein solcher ist bereits seit
1997 aufgrund der freiwilligen Selbstverpflichtung der
chemischen Industrie in Deutschland Standard.
Weiterhin werden zwar gleiche Anforderungen an
Hersteller und Importeure von Stoffen gestellt. Es muss
aber gleichzeitig eine Lösung gefunden werden, um zu
verhindern, dass schadstoffbelastete Konsumgüter über
die Hintertür nach Europa kommen.
Fazit: Diese Kritikpunkte müssen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens Eingang in die Verordnung finden. Bei einer effektiven, praktikablen Umsetzung wird
REACH einen essenziellen Beitrag zum vorsorgenden
Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz liefern.
Gleichzeitig eröffnet dieses Konzept der chemischen Industrie in ganz Europa die Chance, sich mit ökologischen Innovationen Standortvorteile auf den internationalen Märkten zu sichern.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Marie-Luise Dött.
({0})
Wenn ich in die Begründung des Verordnungsvorschlags der Europäischen Kommission zur Novellierung
des europäischen Chemikalienrechts schaue, sehe ich
dort drei Zielsetzungen. Zunächst verfolgt die Neuregelung die Verbesserung der Sicherheit von Chemikalien.
Darüber haben wir heute schon einiges gehört. Ich bitte
Sie aber, auch die anderen beiden Zielsetzungen nicht zu
vernachlässigen. Sie lauten: Förderung von Innovation
und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen chemischen Industrie.
Die Chemie ist eine Schlüsselbranche in Deutschland und Europa. Allein in Deutschland stellt sie
460 000 Arbeitsplätze und erwirtschaftet einen Gesamtumsatz von 133 Milliarden Euro im Jahr. Gerade in
der heutigen Zeit ist es wichtig, einem Wirtschaftsmotor wie der chemischen Industrie und dem Chemikalienhandel Anreize zu Wachstum und Innovationsfreudigkeit zu geben.
({0})
In der Theorie stimme ich also mit den Zielsetzungen
von Frau Wallström und Herrn Liikanen völlig überein.
Die Praxis spricht jedoch eine ganz andere Sprache.
Schon der Konsultationsvorschlag der Kommission war
ein bürokratisches Monster, das de facto zum Stillstand
der deutschen Chemikalienwirtschaft geführt hätte. Zum
Glück hat sich die Vernunft zumindest in Teilbereichen
durchgesetzt.
Der letzte Woche veröffentlichte Verordnungsentwurf wurde gegenüber dem vorangegangenen in wesentlichen Punkten geändert. Nichtsdestotrotz bleiben
erhebliche Mängel. Allein die Tatsache, dass das Werk
insgesamt über 1 000 Seiten umfasst, steht für sich. Ich
befürchte, dass hier letzten Endes Regelungen geschaffen werden, die an Unübersichtlichkeit dem alten Chemikalienrecht in nichts nachstehen.
({1})
Das heißt nicht, dass ich mich gegen eine Neuregelung ausspreche. Im Gegenteil: Das zersplitterte europäische Chemikalienrecht mit seinen über 40 Richtlinien
und Verordnungen muss durch eine klare und praktikable Regelung, durch die Innovationen gefördert werden und Wettbewerbsfähigkeit gesteigert wird, abgelöst
werden.
Was die Kommission jetzt vorgelegt hat, ist ein umfangreiches, komplexes, bürokratisches und aufwendiges
Regulierungsverfahren. Die Erfüllung der Anforderungen des Registrierungsverfahrens ist zu zeitintensiv. Um
die umfangreichen Unterlagen zusammenzustellen, ist
ein Vorlauf von fünf bis zwölf Monaten notwendig. Das
anschließende behördliche Verfahren kann bis zu neun
Monate dauern. Das bedeutet erhebliche Zeitverluste gerade auch bei der Markteinführung neuer Chemikalien.
Wir müssen also im weiteren Gesetzgebungsverfahren sicherstellen, dass das Innovationspotenzial der
europäischen Chemieindustrie gegenüber dem Weltmarkt durch diese zeitliche Verzögerung nicht erheblich
geschwächt wird.
({2})
Von den einzelnen Unternehmen wird die Auflistung
unglaublicher Datenmengen verlangt: Daten für die Registrierung, Daten für die Evaluierung, Daten für die
Präregistrierung. Daneben bestehen umfangreiche Voranfrage- und Meldepflichten.
Bei all der Datengemenge ist nicht klar, ob sie dem
Verbraucher überhaupt nützen. Ich frage Sie daher: Warum kann die Datenerhebung nicht an die tatsächliche
Exposition, an die tatsächliche Gefahrenprognose geknüpft werden? Die Stoffe werden zum Teil in nur ganz
geringen Mengen verarbeitet. Ihre Ungefährlichkeit ist
erkennbar, da sie schon mehrere Jahrzehnte auf dem
Markt sind. Warum müssen für solche Stoffe diverse
Sicherheitsdaten zusammengestellt werden?
Leidtragende dieser Politik sind vor allem die mittelständischen Unternehmen.
({3})
Diese machen einen Großteil der Unternehmen der chemischen Branche aus. Circa 90 Prozent der Betriebe in
der deutschen Chemieindustrie haben weniger als
500 Mitarbeiter. Sie verfügen nicht über dieselbe Personalkompetenz wie große Industrieunternehmen. Sie können die komplexe Administration zur Bewältigung der
Daten-, Stoff- und Geldströme im Reach-Prozess nicht
so einfach bewältigen.
Auch wenn die kleinen und mittelständischen Unternehmen die Mengenschwelle von 10 Tonnen eines
Stoffes pro Jahr nicht überschreiten, sind sie dennoch
von der Verordnung betroffen. Hier hat die Europäische
Kommission in der Öffentlichkeit ein falsches Bild aufkommen lassen. Die Aussage, durch die Anhebung der
Mengenschwelle würden nur noch 10 000 anstatt 30 000
Stoffe in das System kommen, ist schlichtweg falsch.
Auch bei weniger als 10 Tonnen eines Stoffes muss er
nach der Verordnung registriert werden. Diese Daten
werden zwar nicht zentral erfasst, trotzdem bringt allein
die Registrierung einen großen Aufwand mit sich: Die
Unternehmen müssen Tests durchführen und die Daten
zusammenstellen. Danach ist der Stoff registrieren zu
lassen. Allein der behördliche Vorgang dauert 30 Tage.
Die Vorarbeit wird die Unternehmen ein Vielfaches an
Zeit kosten.
Es heißt, einem nackten Mann könne man nicht in die
Tasche greifen.
({4})
Im Falle unserer mittelständischen Unternehmen werden
wir Tag für Tag eines Besseren belehrt. Die vorgelegte
Verordnung trägt ihren Teil dazu bei. Den kleinen Betrieben fehlen schlichtweg die finanziellen Mittel, um
Risikoanalysen durchführen zu können. Die Kosten für
die Registrierung der Stoffe sind in kleinen und großen
Unternehmen in absoluten Zahlen gesehen zwar gleich
hoch, die Belastungen sind aber immer auch im Verhältnis zum Umsatz zu sehen. Wenn man diese Relation betrachtet, so merkt man, dass die Kosten bei den Mittelständlern erheblich höher ausfallen.
Kleine Unternehmen leben häufig von Einzelaufträgen und Spezialanfertigungen. Zur Herstellung eines
ganz speziellen Klebstoffes oder eines Spezialproduktes
für die Elektrotechnik wird dann auch nur ein kleines
Volumen der Chemikalie gebraucht.
Frau Kollegin, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich habe Ihren Hinweis schon gesehen. Vielen Dank,
Frau Präsidentin. - Trotzdem ist die im Verhältnis aufwendige Registrierung durchzuführen. Das Verhältnis
von Kosten und Ertrag ist dadurch empfindlich gestört.
Nun will zumindest der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Herr Baake, die Verpflichtung, einen
Sicherheitsbericht zu erstellen, von 10 000 auf 30 000
Stoffe erweitern, sprich, er will die Mengenschwelle
wieder anheben. Ich hoffe, es handelt sich dabei nicht
um einen weiteren umweltpolitischen Alleingang
Deutschlands, sondern nur um den Alleingang eines
Staatssekretärs.
Frau Kollegin, Sie können Ihre Rede nicht mehr zur
Gänze vortragen. Bitte kommen Sie zum Schluss.
Ein letzter Satz. Ich fordere Sie daher auf, sich im Ministerrat für eine schlanke, bürokratiearme und mittelstandsfreundliche Regelung einzusetzen. Ich gehe davon
aus, dass Sie das auch tun werden.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1356 und 15/1332 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung des Investmentwesens und
zur Besteuerung von Investmentvermögen
({0})
- Drucksachen 15/1553, 15/1671 ({1})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen 15/1896, 15/1944 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1901 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({4})
- zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Finanzplatz Deutschland weiter fördern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Michael
Meister, Heinz Seiffert, Leo Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Förderung des Finanzplatzes Deutschland
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Hermann
Otto Solms, Hans-Joachim Otto ({5}),
Dr. Andreas Pinkwart, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Finanzplatz Frankfurt stärken
- Drucksachen 15/930, 15/748, 15/369, 15/1296 Berichterstattung:
Abgeordnete Lothar Binding ({6})
Interfraktionell ist für die Aussprache eine halbe
Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara
Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Investmentmodernisierungsgesetz hat
das Bundesministerium der Finanzen Entwürfe für ein
aufsichtsrechtliches Investmentgesetz und ein Investmentsteuergesetz vorgelegt. Dieses Gesetzesvorhaben setzt
die im Finanzmarktförderplan 2006 angelegte Finanzmarktpolitik der Bundesregierung fort. Es ist ein entscheidender Schritt zur Modernisierung und Steigerung
der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland.
Wesentliche Änderungen und Neuerungen sind:
Aufhebung der gesetzlichen Fondstypen, Einführung eines vereinfachten Verkaufsprospektes, Einführung eines
europäischen Passes für Verwaltungsgesellschaften, Absenkung des Anfangskapitals für Kapitalanlagegesellschaften, Regelung zur Auslagerung von Tätigkeiten von
Kapitalanlagegesellschaften, Regelung zur Kostentransparenz, Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens
für Vertragsbedingungen, Neuregelung der Meldepflichten gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Einführung einer Investmentaktiengesellschaft mit veränderlichem Kapital und Neuregelung des
Vertriebs.
Die Rahmenbedingungen im Bereich des Investmentwesens werden damit weiter harmonisiert und die Vorschriften unter Beachtung der unterschiedlichen Interessen an die geänderten Bedürfnisse der Branche, der
Aufsicht und natürlich der Anleger angepasst. Der erzielte Interessenausgleich wird von allen Beteiligten als
gelungen bezeichnet.
({0})
Erstmalig werden Bestimmungen zur Zulassung und
Regulierung von Hedgefonds, die im Gesetz als Sondervermögen mit zusätzlichen Risiken bezeichnet werden,
geschaffen. Der Finanzplatz Deutschland ist aus Sicht
der Bundesregierung reif für diese Produkte, für die ein
großes Bedürfnis bei institutionellen und privaten Anlegern besteht. In der Anhörung der Verbände des Investmentwesens haben die Sachverständigen bestätigt, dass
es sich um einen gelungenen Gesetzentwurf handelt, der
geeignet ist, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes
Deutschlands zu fördern und einen attraktiven Markt
auch für ausländische Anbieter von Investmentprodukten zu schaffen. Dies gilt auch für die Vorschriften zur
Regelung von Hedgefonds. Diese Produkte können in
Zukunft auch in Deutschland aufgelegt werden und die
Gesellschaften müssen nicht mehr in andere Staaten ausweichen.
({1})
Damit werden wir auch hoch qualifizierte Arbeitsplätze
in Deutschland gewinnen können.
Änderungsanträge insbesondere zu den Regelungen
zu Hedgefonds sind ganz überwiegend berücksichtigt
worden. Single-Hedgefonds können wie die DachHedgefonds als Publikumsfonds aufgelegt, aus Gründen
des Anlegerschutzes aber nicht öffentlich vertrieben
werden. Der Vertrieb im Wege der Privatplatzierung darf
nur durch Kreditinstitute und Finanzdienstleister mit einer Erlaubnis zur Anlage- und Abschlussvermittlung erfolgen. Dagegen können Dach-Hedgefonds wegen der
höheren gesetzlichen Anforderungen an die Manager
wie herkömmliche Fonds auch über Vermittler, die keiner Erlaubnis bedürfen, öffentlich vertrieben werden.
Auch hier zeigt sich, dass die Bundesregierung an einem
Ausgleich der Interessen der Branche und der Verbraucherschützer interessiert war und überzeugende Lösungen gefunden hat.
Im Investmentsteuergesetz werden die bisherigen
steuerrechtlichen Regelungen zusammengefasst. In
Reaktion auf ein EU-Vertragsverletzungsverfahren richtet sich die Besteuerung bei inländischen und ausländischen Investmentfonds künftig in gleicher Weise danach,
ob der Steuerpflichtige die erforderlichen Besteuerungsgrundlagen nachweisen kann. Ist ihm dies nicht möglich,
wird eine pauschale Steuer erhoben. Empfehlungen der
Ausschüsse des Bundesrates insbesondere zu den steuerrechtlichen Regelungen hat die Bundesregierung nach
Prüfung durch eine Arbeitsgruppe mit Vertretern des
Bundes und der Länder weitgehend berücksichtigt.
Die Fraktionen haben in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundestages am 5. November, also vorgestern, diese und weitere Änderungen sowie den Gesetzentwurf insgesamt einstimmig angenommen. Einen
weiteren Diskussionsbedarf gab es dabei nicht mehr. Der
mitberatende Rechtsausschuss hat ebenfalls einstimmig
zugestimmt, während der Haushaltsausschuss sein zustimmendes Votum nur mit den Stimmen der Regierungskoalition abgegeben hat.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit deshalb meinen
herzlichen Dank fraktionsübergreifend an alle Kolleginnen und Kollegen richten, die im Finanzausschuss mit
ihrer konstruktiven Zusammenarbeit mit dafür gesorgt
haben, dass sich Deutschland auch auf dem Gebiet des
Investmentwesens neu positionieren kann.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Stefan Müller.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Bis vor einiger Zeit war auf Großflächenplakaten überall
zu lesen: „Deutschland bewegt sich“. Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass wir alle nicht wissen
- wahrscheinlich auch Sie nicht -, wohin wir uns bewegen. Aber ich freue mich, dass sich zumindest beim Kapitalmarktrecht etwas bewegt; ich habe das schon bei der
Expertenanhörung gesagt. Deswegen haben wir den
Gesetzentwurf zum Investmentmodernisierungsgesetz
mitgetragen. Natürlich haben wir auch verschiedene Änderungsvorschläge eingebracht. Ich darf mich an dieser
Stelle ganz herzlich bei den Kollegen Berichterstattern
der anderen Fraktionen bedanken, dass wir diesen Entwurf einvernehmlich auf den Weg bringen konnten.
Wir stehen heute vor der Situation, dass deutsche
Fondsgesellschaften Investmentfonds im Ausland auflegen, aber in Deutschland vertreiben. Mittlerweile wird
rund ein Drittel des Fondsvermögens deutscher Investmentgesellschaften nicht mehr in Deutschland aufgelegt,
sondern in Luxemburg. Der Grund dafür liegt - das wird
allgemein anerkannt - darin, dass die Rahmenbedingungen in unseren Nachbarländern insgesamt für attraktiver
gehalten werden als hierzulande.
Ganz offensichtlich gibt es in Europa also ein Flexibilitäts- und Regulierungsgefälle. Dieses wollen wir - darin sind wir uns einig - zu unseren Gunsten beheben.
Auf der einen Seite betrifft dies das Kapitalmarktrecht.
Denn in anderen Ländern gibt es nun einmal gesetzliche
Regelungen für innovative Finanzprodukte, während
dies bei uns nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite betrifft dies - das ist, so denke ich, noch viel wichtiger aber auch die Aufsicht. Fonds in anderen Ländern, insbesondere in Luxemburg, können nämlich sehr viel
schneller aufgelegt und vertrieben werden, als das in
Deutschland der Fall ist.
({0})
In Luxemburg zum Beispiel braucht die Aufsicht etwa
eine Arbeitswoche, um einen Fonds zuzulassen; in
Deutschland dauert es zuweilen - wenn es sich nicht um
ein Standardprodukt handelt - Wochen bis Monate. Ich
denke, hier besteht auf jeden Fall Handlungsbedarf.
({1})
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits im
Frühjahr in ihrem Antrag zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland auf den intensiven internationalen Wettbewerb zwischen den Finanzplätzen hingewiesen. In der
Anhörung zu den Anträgen im Finanzausschuss ist noch
einmal deutlich geworden, dass Deutschland in erster Linie ein Vertriebsstandort für Finanzdienstleistungen und
erst in zweiter Linie ein Produktionsstandort ist - aber
auch nur für solche Finanzprodukte, die am Heimatmarkt
abgesetzt werden können. Es ist uns also bis heute nicht
gelungen, aus Deutschland einen Produktionsstandort
für innovative Finanzmarktprodukte zu machen, die
dann europa- oder gar weltweit abgesetzt werden können.
Stefan Müller ({2})
Für mich heißt dies: Deutschland ist eben kein internationaler Finanzplatz, wie das immer behauptet wird.
Ich darf in diesem Zusammenhang Bundesbankpräsident
Ernst Welteke zitieren, der gesagt hat: Den Gedanken,
dass wir einen Wettbewerb mit dem Finanzplatz London
gewinnen können, sollten wir vergessen. - Er hat natürlich Recht: Unsere Konkurrenten heißen nicht London
und New York, sondern Luxemburg, Irland und die
Schweiz.
Umso wichtiger ist es, dass wir klare und verlässliche
Rahmenbedingungen für die Finanzdienstleistungsbranche in Deutschland schaffen.
({3})
Wir brauchen diese Rahmenbedingungen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzwirtschaft zu stärken.
Schließlich trägt - das ist in der Anhörung noch einmal
betont worden - die Finanzdienstleistungsbranche in
Deutschland rund 5 Prozent zur Bruttowertschöpfung
unseres Landes bei.
Wir haben deshalb bereits im Frühjahr Vorschläge zur
Modernisierung des rechtlichen Rahmens gemacht
und entsprechende Änderungen angemahnt. In diesem
Sinne leistet das nunmehr vorliegende Investmentmodernisierungsgesetz einen wesentlichen Beitrag zur Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland. Die Zusammenfassung von KAGG und Auslandsinvestmentgesetz
wird dazu führen, dass die Genehmigungsverfahren in
Deutschland beschleunigt werden und der Anlegerschutz
verbessert wird. Die Anpassung der steuerrechtlichen
Regelungen im Investmentwesen soll die Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Fondsvermögen abmildern. Zudem könnte die Zulassung und Regulierung von Hedgefonds in Deutschland zum Aufbau
einer deutschen Hedgefondsindustrie führen. Dies kann
- Sie haben es gerade angesprochen, Frau Staatssekretärin - bestenfalls dazu beitragen, dass neue Arbeitsplätze
in diesem Bereich in Deutschland geschaffen werden;
schließlich können diese Fondsprodukte aus Deutschland dann auch im Ausland verkauft werden. Die Äußerungen inländischer und ausländischer Investmentbanker
klingen auf jeden Fall vielversprechend.
Wir dürfen auf diesem Stand natürlich nicht stehen
bleiben. Ich bitte uns alle, darauf zu achten, dass wir aktuelle Entwicklungen in der Finanzdienstleistungsbranche immer wieder aufgreifen. Dabei müssen wir uns vor
Augen halten - auch das ist deutlich geworden -, dass
oberste Priorität bei der Stärkung des Finanzplatzes ganz
eindeutig die Verbesserung der volkswirtschaftlichen
Rahmenbedingungen haben muss.
({4})
Dazu gehören für mich eine grundlegende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, eine aktivierende und leistungsfördernde Steuerpolitik sowie der Abbau bürokratischer Hemmnisse. Gerade dieser Punkt ist hinsichtlich
der Kreditwirtschaft für mich von ganz wesentlicher Bedeutung.
({5})
Die Anhörung im Juni dieses Jahres hat gezeigt, dass
kein anderer Wirtschaftszweig so stark reguliert ist und
dass keine andere Branche in einer solchen Art und
Weise durch Kontroll- und Meldepflichten für staatliche
Aufgaben herangezogen wird. Insofern ist es für mich
nicht verständlich, warum Sie im Steueränderungsgesetz
nach wie vor auf der Verpflichtung zur Erstellung einer
Jahreserträgnisaufstellung bestehen. Dies wird zu einer
weiteren Belastung der Kreditwirtschaft führen.
({6})
Sie müssen sich die Vorschläge von Herrn Merz einmal
genauer anschauen.
({7})
Dort ist davon nichts zu lesen.
Zumindest sind wir mit dem neuen Investmentmodernisierungsgesetz auf dem richtigen Weg, den Finanzplatz
zu stärken und ein Stück weit leistungsfähiger zu machen. Deswegen ist es auch für den Finanzplatz ein
wichtiges Signal, dass wir dieses Gesetz gemeinsam beschließen. Wir haben in den vergangenen Wochen und
Monaten eine positive Grundeinstellung gegenüber der
Finanzwirtschaft bewiesen. Diese sollten wir uns erhalten.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir reden heute erneut über ein zentrales
Thema, das neue Investmentmodernisierungsgesetz, das
einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des
Wirtschafts- und Finanzplatzes Deutschland hat. Diese
Diskussion über den Finanzmarkt darf man nicht losgelöst von den allgemeinen Tendenzen sehen,
({0})
die das Klima immer beeinflussen. Diese allgemeinen
Tendenzen
({1})
entwickeln sich im Moment wieder einigermaßen positiv: Die Arbeitslosigkeit geht zurück. Deutschland ist der
Gefahr einer Rezession endgültig entronnen; das ist ein
ganz wichtiger Punkt, wie man von dieser Stelle aus einmal feststellen sollte. Was noch wichtiger ist: Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hellt sich nach und
nach auf.
({2})
Umso wichtiger ist, dass das Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform wirklich umgesetzt wird.
Ebenso wichtig ist es - dabei spielen Sie als Opposition
eine ganz zentrale Rolle -, dass man den Standort
Deutschland weiter gutredet und nicht schlechtredet. Dabei tragen Sie eine große Verantwortung.
({3})
Das ganze Hin und Her um das Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform ist einfach kontraproduktiv. Es ist
aber wichtig, eine positive Grundstimmung in diesem
Land zu schaffen.
({4})
Hier ist die Opposition als eine Art Nebenregierung über
den Bundesrat ebenso in der Verantwortung.
Es ist nicht sehr hilfreich, wenn einer Ihrer Ministerpräsidenten, Ministerpräsident Müller aus dem Saarland,
in die sich weiterhin positiv entwickelnde Grundstimmung ein Stichwort wie die Erhöhung der Mehrwertsteuer in die Diskussion einwirft.
({5})
Sie wissen, dass Steuererhöhungen die Konjunktur abwürgen würden. Allein schon die Diskussion darüber ist
für das gesamte Land schädlich.
Wir reden heute über ein Thema, über das sich Regierung, Koalition und Opposition einig sind, nämlich über
den Finanzplatz Deutschland.
({6})
Das ist auch gut so. Gerade die Diskussion um den
Finanzplatz ist beispielhaft für die Gesamtdiskussion.
Diese Papiere, die zur Abstimmung vorliegen, unterscheiden sich nur marginal. Einen Unterschied gibt es in
der Frage: Wo siedeln wir die zentrale Börsenaufsicht
an? Soll sie ihren Sitz in Frankfurt, in Bonn oder an beiden Standorten haben? Über solche Punkte kann man
sich einigen. Vom Grundsatz her macht die aktuelle Diskussion um die Fonds in den Vereinigten Staaten, aber
auch die aktuelle Diskussion um die New Yorker Börse
klar, wie wichtig eine zentrale Börsenaufsicht ist. Was
Deutschland auch fehlt, ist eine Stimme am Tisch der
Europäischen Union zu diesem Thema. Dort kommen
wir bis heute nicht vor.
Ein anderer Punkt wie die zentrale Schwerpunktstaatsanwaltschaft
({7})
ist ebenfalls wichtig. - Auf so einen Zwischenruf
möchte ich eigentlich gar nicht eingehen. - Die Einführung einer zentralen Schwerpunktstaatsanwaltschaft
würde den Finanzplatz Deutschland zusätzlich nach
vorne bringen. Schließlich ist es heute leider immer noch
so, dass 90 Prozent aller Verfahren, die bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht werden, eingestellt werden. Das hängt teilweise damit zusammen, dass die
Kompetenz nicht gebündelt ist.
Ich will die Gelegenheit der Debatte über den Finanzplatz Deutschland nutzen, um eine andere Diskussion
aufzugreifen, die in den letzten Tagen durch die Presse
gegeistert ist, nämlich die Diskussion über das Dreisäulenmodell der deutschen Bankenlandschaft. Es gibt ein
IWF-Gutachten und entsprechende Äußerungen aus der
Politik, die in die Richtung gehen, man sollte unser Dreisäulenmodell, das aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken besteht, dem angelsächsischen
System anpassen. Das heißt, auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollten von den Großbanken übernommen werden können.
({8})
Man muss sich einmal klar machen, was das bedeuten
würde. Zuständig hierfür - Sie wissen das - sind die
Länder. Einer der CDU-Wirtschaftsminister, nämlich der
Wirtschaftsminister Georgi aus dem Saarland, hat diese
Diskussionsrunde bereits im letzten Jahr zum Nachteil
der Sparkassen und Genossenschaftsbanken eröffnet.
({9})
Diese Diskussion wäre unserem gesamten Finanzwesen
sehr abträglich. Der IWF hat auf der einen Seite festgestellt, dass das deutsche Bankenwesen gerade wegen des
Dreisäulenmodells sehr stabil und effizient arbeitet.
({10})
Er verlangt aber auf der anderen Seite, dass wir das Dreisäulenmodell verändern. Man muss sich einmal klar machen, wer im Wesentlichen die Finanzierung des deutschen Mittelstandes sichert. Das sind nun einmal nicht
die Großbanken, sondern die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken. Würde man den Verbund, der heute
zwischen den Genossenschaftsbanken und Sparkassen
existiert, angehen, dann würde das sehr schnell zu einem
Dominoeffekt führen. Man würde den gesamten Verbund zerschlagen. Die Folge wäre, dass Großbanken wie
zum Beispiel die Deutsche Bank die Sparkassen übernehmen und die lukrativen Privatkunden behalten würden, aber die gesamte Mittelstandsfinanzierung verlottern ließen, so wie sie es heute auch schon machen. Das
wäre ein sehr großes Problem. Deshalb auch der Appell
von dieser Stelle an die Landesminister, egal welcher
Couleur, bei dieser Diskussion vorsichtig zu sein und das
Dreisäulenmodell in diesem Lande zu erhalten.
Meine Redezeit ist leider um. Ich bedanke mich für
die Aufmerksamkeit.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Hermann Otto
Solms, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden
heute über das Investmentmodernisierungsgesetz. Das
steht auf der Tagesordnung.
({0})
Es ist zwar interessant, über das Dreisäulenmodell zu
sprechen, aber es hat mit dem heutigen Thema nichts zu
tun.
({1})
Die FDP-Bundestagsfraktion wird diesem Gesetz zustimmen. Ich will diese Zustimmung mit einem Dank an
die Mehrheit in diesem Hause und die Bundesregierung
verbinden, einem Dank dafür, dass es gelungen ist, an
diesem Thema gemeinsam zu arbeiten und auf die Einwände, Ergänzungsvorschläge und hilfreichen zusätzlichen Informationen aus der Praxis einzugehen, die wir
auch in der Anhörung gehört haben. Ich freue mich, dass
die Mehrheit auch Vorschläge aus den Oppositionsfraktionen berücksichtigt hat, sodass es möglich wird, nun gemeinsam dieses Gesetz zu verabschieden, und zwar mit
der Hoffnung und dem Ziel, dass dies ein neuer und wesentlicher Beitrag zur Stärkung des Finanzplatzes
Deutschland sein wird.
({2})
Die Hoffnung, die sich daraus ergibt, ist die, dass
Deutschland nicht nur ein Vertriebsstandort für Produkte
aus dem Ausland sein wird, egal ob diese von deutschen
oder von ausländischen Firmen geschaffen worden sind,
sondern dass es gelingen möge, dass Deutschland selber
auch als Produktionsstandort wieder ins Zentrum gerückt werden kann. Nach Gesprächen mit vielen Sachverständigen habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es
Sachverstand in Deutschland in ausreichender Weise
gibt, sodass wir alle Voraussetzungen haben, um uns als
Produktionsstandort für Fondsprodukte wieder in
den Wettbewerb einbringen zu können und vielleicht
auch kreativen Neuentwicklungen den Weg zu bereiten.
Das wäre für diesen Standort wichtig. Deswegen hoffe
ich, dass das auch gelingt.
Ich will noch eine weitere Bemerkung machen. Das
Vertrauen in den Standort, insbesondere was den Kapitalmarkt betrifft, ist die entscheidende Voraussetzung
dafür, dass ein solcher Finanzplatz funktioniert.
({3})
Dazu hat der Journalist Bernd Wittkowski in der „Börsen-Zeitung“ einen sehr zutreffenden Satz gesagt:
Wäre die Finanzpolitik der Bundesregierung auch
nur annähernd von der Qualität wie ihre Finanzmarktpolitik, dann ginge es Deutschland besser.
({4})
Deswegen will ich daran erinnern, Frau Staatssekretärin: Vertrauen für den Finanzmarkt zu schaffen bedeutet
mehr als die Schaffung von Finanzmarktförderungsgesetzen oder eine Liberalisierung bei den Fondsprodukten. Es geht darüber hinaus darum, durch die Steuerpolitik und mit Kontrollinstrumenten eine Kultur zu
schaffen, die den Sparern - seien es deutsche oder ausländische Sparer - das Vertrauen gibt, in Deutschland
bzw. in deutsche Produkte zu investieren und damit die
Voraussetzungen für einen fungiblen Finanzmarkt zu
schaffen, der den Investitionsbedürfnissen gerecht wird
und das erforderliche Eigenkapital für die mittelständische Wirtschaft bereitstellt, sodass es auf dem Arbeitsmarkt wieder aufwärts gehen kann.
Die Diskussion über die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Abschaffung der Erbschaftsteuer,
({5})
Kontrollmitteilungen usw. hat eine gegenteilige Wirkung. Deshalb erinnere ich noch einmal daran: Wenn wir
die Zukunft dieses Landes gestalten wollen, müssen wir
berücksichtigen, dass alle genannten Faktoren zusammengehören.
Vielen Dank.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Horst Schild, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns zumindest in einem Punkt einig, Herr
Solms: Mit dem heute zur Beratung stehenden Gesetzentwurf werden die Rahmenbedingungen für den deutschen Finanzmarkt wesentlich verbessert.
Wir haben uns bereits ausgiebig gegenseitig gelobt.
Ich finde die konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung des Gesetzesvorhabens durchaus erfreulich. Die
Frau Staatssekretärin hat die Fraktionen gelobt. In diesem Zusammenhang darf ich wiederum das BMF loben.
({0})
Denn durch die konstruktive Zusammenarbeit auch mit
Ihrem Hause war es uns möglich, viele offene Fragen,
die im Zuge des Beratungsverfahrens noch zu klären waren, zumindest so weit zu klären, dass wir heute feststellen können: Mit dem zu verabschiedenden Gesetz haben
wir einen wesentlichen Schritt nach vorne getan. Möglicherweise werden in der Zukunft noch einige Fragen zu
klären sein, wobei wir sicherlich in der gleichen vertrauensvollen Weise vorgehen werden wie heute.
Die Zusammenarbeit ist auch deshalb wichtig, weil
davon ein positives Signal für den Finanzplatz Deutschland ausgeht. Gleichzeitig wird signalisiert, dass hinter
der Finanzmarktpolitik ein hohes Maß an Verlässlichkeit
steht. Das ist, glaube ich, allen wichtig, die sich in diesem Bereich engagieren.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass wir im Finanzausschuss viele Anregungen des Bundesrates aufgeHorst Schild
nommen haben. Ich möchte noch auf eines hinweisen.
Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme mit großer
Sorge auf die mit der Verabschiedung des Gesetzes verbundenen hohen Steuerausfälle verwiesen. Ich weise
darauf hin - das ist kein Geheimnis -, dass insbesondere
die lange vor uns hergeschobene gebotene Gleichstellung der steuerlichen Behandlung von in- und ausländischen Fonds letztlich mit den hohen Steuerausfällen begründet wurde. Diese Steuerausfälle werden wir in
Zukunft zu tragen haben.
Der Bundesrat hat auch darauf aufmerksam gemacht,
dass im Rahmen des Subventionsabbaus dafür Sorge getragen werden muss, dass diese Steuerausfälle kompensiert werden. Wir haben dazu Vorschläge vorgelegt. Ich
hoffe, dass in der Phase, in der es um die Kompensation
dieser Steuerausfälle geht, die Bereitschaft zur Mitwirkung genauso groß ist wie jetzt.
Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, welche Bedeutung der Finanzsektor in unserer Volkswirtschaft hat.
Das wird bisweilen unterschätzt. Der Anteil der Bruttowertschöpfung im Finanzsektor ist schon jetzt mit ungefähr 5 Prozent größer als zum Beispiel der Anteil der
Automobilindustrie mit 3 Prozent. Das muss berücksichtigt werden; denn es hat Bedeutung für unseren Arbeitsmarkt.
Deswegen schafft der Gesetzgeber jetzt die Rahmenbedingungen, die den deutschen Finanzdienstleistern
den internationalen Wettbewerb erleichtern und ihnen
die Chance bieten, an diesem Wettbewerb teilzunehmen.
Dazu gibt es keine Alternative, jedenfalls keine, die wir
politisch für verträglich halten. Denn die Alternative bestünde darin, hinzunehmen, dass große Bereiche von
Finanzdienstleistungen zu anderen Standorten wie
New York oder London abwandern.
Es ist auch festgestellt worden, dass wir mit den Sachverständigen große Übereinstimmung erzielt haben. Wir
verbessern eindeutig auch den Schutz der Anleger durch
die Transparenzregeln und die Vorschriften betreffend
die Verkaufsprospekte.
({1})
Ich möchte abschließend noch auf den steuerlichen
Teil, das Investmentsteuergesetz, eingehen. Das, was wir
lange vor uns hergeschoben haben, wird am 1. Januar
2004 endlich Wirklichkeit - das habe ich schon angedeutet -: die steuerliche Gleichbehandlung von inund ausländischen Fonds. Aber im Hinblick auf den
steuerlichen Teil muss man auch sagen: Nach der Reform ist vor der Reform! Wir haben die Absicht, eine
Reform der Kapitaleinkommenbesteuerung zum 1. Januar 2005 zu verwirklichen. Die Besteuerung der Investmenterträge muss darin eingebunden werden.
({2})
Aus Vereinfachungsgründen sieht der derzeitige Entwurf
eines Investmentmodernisierungsgesetzes den Wegfall
der so genannten Zwischengewinnbesteuerung vor. Das
ist vertretbar, wenn zukünftig eine private Veräußerungsgewinnbesteuerung greift. Ich weise nur auf die Vorschläge Ihres Kollegen Merz hin, der das aufgegriffen
hat.
({3})
- Das ist konstruktiv.
Wir werden über die Frage der steuerlichen Behandlung sicherlich noch diskutieren. Wir müssen abwarten,
welche Erfahrungen mit dem Gesetz gemacht werden.
Ich hoffe, dass der Finanzplatz Deutschland und insbesondere die Anleger das neue Gesetz positiv aufnehmen
werden. Dann wäre der heutige Tag erfolgreich gewesen.
Danke schön.
({4})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Leo
Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf eines Investmentmodernisierungsgesetzes - lassen Sie mich das vorwegnehmen - ist gut.
Ein von Anfang an guter Gesetzentwurf wurde durch die
Ergebnisse der Anhörung und die Zusammenarbeit im
Finanzausschuss in relevanten Punkten noch entscheidend verbessert. Das ist ein Beispiel dafür, dass sich eine
Sachverständigenanhörung gelohnt hat; denn die sachlichen Punkte, die in der Anhörung vorgebracht worden
sind, haben nachher tatsächlich Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Ich wünsche mir das auch für die zukünftigen Anhörungen zu anderen Gesetzentwürfen im
Finanzausschuss.
({0})
Zusammenfassung von Kapitalanlage- und Auslandsinvestmentgesetz, erstmalige Zulassung von Hedgefonds
in Deutschland, verkürzte Genehmigungsverfahren für
Fonds, Umsetzung der europäischen Richtlinie über Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren und
steuerliche Gleichbehandlung in- und ausländischer
Fonds, das sind die wichtigsten Regelungen des Investmentmodernisierungsgesetzes. Herr Kollege Schild, Sie
haben zu Recht auf den fiskalischen Aspekt der Steuermindereinnahmen infolge der steuerlichen Gleichbehandlung von in- und ausländischen Fonds abgehoben.
Aber dadurch werden am Produktionsstandort Deutschland neue Arbeitsplätze geschaffen und nehmen auch die
Finanzaktivitäten zu, was wiederum die Besteuerungsgrundlage vergrößert und letztlich der Einnahmenseite
zugute kommt.
Herr Kollege Ulrich, es wäre sicherlich reizvoll, bei
den Beratungen über den Entwurf eines Investmentmodernisierungsgesetzes auch auf die Gesichtspunkte der
Dreigliedrigkeit des deutschen Bankensystems einzugehen. Ich empfehle Ihnen aber, unseren Antrag zum
Finanzplatz Deutschland zu lesen. Dort finden Sie die
entscheidenden Punkte und erfahren Sie, wie wir die
Dreigliedrigkeit einschätzen.
({1})
Im Bereich der öffentlich besonders diskutierten Zulassung von Hedgefonds wurden wichtige Anpassungen des Gesetzentwurfes erzielt. So sollen SingleHedgefonds nun auch als Publikumsfonds aufgelegt
werden können, was dieses Instrument sowohl für Anbieter als auch für Anleger deutlich interessanter machen
dürfte. Gleichzeitig ist der Anlegerschutz - darauf ist
schon hingewiesen worden - durch weitere Vertriebsbeschränkungen verbessert worden. Da auch die Bedingungen für Dach-Hedgefonds etwa im Bereich der Anlagemöglichkeiten verbessert wurden, sind wir überzeugt,
dass hier gute rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Deutschland - das ist schon mehrmals
betont worden - nicht nur als Vertriebsstandort, sondern
auch als Produktionsstandort von Hedgefonds attraktiv
zu machen.
Zudem bin ich überzeugt, dass wir hier mit Blick auf
die aktuellen Entwicklungen auf europäischer Ebene
- das Europäische Parlament regt eine Harmonisierung
der Hedgefondsregulierung in Europa an - eine gute
Vorleistung erbracht haben.
Weitere Änderungen gegenüber dem ursprünglichen
Gesetzentwurf betreffen die Meldepflichten der Kapitalanlagegesellschaften, die Pflicht zur Prüfung des Sondervermögens durch einen Wirtschaftsprüfer, die aus
Praktikabilitätserwägungen gestrichen wurde, sowie die
Sitzstaatbindung bei Immobiliengesellschaften, die
ebenfalls gestrichen wurde.
Auch wenn das Investmentmodernisierungsgesetz ein
großer Schritt ist, um Deutschland als Produktionsstandort der Fondsindustrie zu stärken, gibt es keinen Grund,
sich auszuruhen. Die zukünftigen Aufgaben der Politik
lassen sich in drei Punkten grob skizzieren:
Erstens. Das Investmentmodernisierungsgesetz selbst
ist fortzuentwickeln. Wir müssen uns gemeinsam überlegen, wie wir den Bereich der Immobiliengesellschaften
künftig neu regeln wollen; denn von einer Neuregelung
haben wir im Investmentmodernisierungsgesetz zunächst Abstand genommen. Die Vertriebsbeschränkungen für Single-Hedgefonds, insbesondere gegenüber anderen komplexen Finanzprodukten, müssen, wenn
möglich, liberalisiert werden.
Zweitens. Die Rahmenbedingungen am Finanzplatz
Deutschland müssen über das Investmentmodernisierungsgesetz hinaus verbessert werden. Wir von der
CDU/CSU haben in unserem Antrag „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“ - der Kollege Müller hat dazu
schon etwas ausgeführt - dazu klar Position bezogen.
Wir vertreten die Auffassung, dass das eine gute Grundlage für unsere Altersvorsorge sein kann.
Drittens. Wir können uns - auch dies ist ein wichtiger Punkt; er ist schon angesprochen worden - im Bereich der Finanzmarktpolitik noch so erfolgreich bemühen: Wenn die allgemeinen steuerlichen und
wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann bringen uns auch die besten Rahmenbedingungen für den Finanzmarkt bei der Schaffung von
mehr Beschäftigung und Wachstum nicht entscheidend
weiter. Gerade was die Finanz- und Steuerpolitik angeht, sind in den letzten Wochen kontraproduktive Ansätze vorgelegt worden.
({2})
Sie werden uns nicht weiterbringen. Um mehr Wachstum und Beschäftigung zu erreichen, muss eine konsistente Finanz- und Steuerpolitik betrieben werden.
({3})
Wir brauchen ein deutliches Absenken der Staatsquote und klare Reformoptionen, wie wir sie mit den
steuerpolitischen Vorschlägen von Friedrich Merz und
mit den sozialpolitischen Vorschlägen der Herzog-Kommission vorgelegt haben. Nur so können wir Deutschland wieder voranbringen und nur so können wir die Zukunft in Deutschland gestalten.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen, Drucksachen 15/1553
und 15/1671. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1896, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Tagesordnungspunkt 19 b: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/1296. Unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme des
Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 15/930 mit dem Titel
„Finanzplatz Deutschland weiter fördern“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei
Enthaltung der FDP angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/748 mit dem
Titel „Förderung des Finanzplatzes Deutschland“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/
CSU bei Enthaltung der FDP angenommen.
Schließlich empfiehlt der Finanzausschuss unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1296 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/369 mit dem Titel „Finanzplatz
Frankfurt stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/
CSU angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Hans-Michael Goldmann, Dirk
Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Arbeitserlaubnisregelung für ausländische
Saisonarbeitskräfte bis 2007 verlängern
- Drucksache 15/1713 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Hans-Michael Goldmann, Dirk
Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Arbeitserlaubnis für ausländische Saisonarbeitskräfte auf vier Monate ausweiten
- Drucksache 15/1714 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Tourismus
Angelika Krüger-Leißner, Alexander Dobrindt, Josef
Philip Winkler und Ernst Burgbacher haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/1713 und 15/1714 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Klimke, Klaus Brähmig, Ernst Hinsken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Unterstützung grenzübergreifender kommunaler Zusammenarbeit im Rahmen der EUOsterweiterung
- Drucksache 15/1327 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Brunhilde Irber, Klaus Brähmig, Jürgen Klimke,
Undine Kurth und Ernst Burgbacher haben ihre Reden
ebenfalls zu Protokoll geben.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1327 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 12. November 2003, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche den Kolleginnen und Kollegen sowie
den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tribüne ein
schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.