Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass der Kollege
Rainer Brüderle als stellvertretendes Mitglied aus dem
Vermittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird
der Kollege Carl-Ludwig Thiele vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Thiele als stellvertretendes
Mitglied im Vermittlungsausschuss bestimmt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Entwurfes eines
Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, Drucksache 15/1848, zu erweitern.
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich rufe den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes
zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
- Drucksache 15/1848 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Interfraktionell ist vereinbart, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung an den Rechtsausschuss zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren, Opferrechtsreformgesetz.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren Abgeordnete! Das Kabinett hat heute
den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte
von Verletzten im Strafverfahren, das so genannte Opferrechtsreformgesetz, verabschiedet. Damit setzen wir ein
richtiges und gutes Signal zur Wahrung der Opferrechte.
Ich bin froh, dass im Hohen Hause insgesamt die Notwendigkeit gesehen wird, die Opferrechte zu verbessern.
Es liegt zum Beispiel ein Entwurf der CDU/CSU-Fraktion vor, dessen wesentliche Punkte sich in unserem Gesetzentwurf wiederfinden; drei Punkte, glaube ich, haben
wir nicht übernommen. Darüber hinaus haben wir aber
noch einiges mehr geregelt. Es geht dabei um folgende
vier Kernpunkte:
Erstens. Wir wollen die Belastungen des Verletzten
durch das Strafverfahren weiter verringern. Mehrfachvernehmungen, die insbesondere für Opfer von Körperverletzungen oder Sexualdelikten sehr belastend sind,
sollen verstärkt vermieden werden. Dazu wollen wir unter anderem die Möglichkeit schaffen, eine Klage statt
beim Amtsgericht gleich beim Landgericht erheben zu
dürfen. Dadurch, dass die Arbeit gründlich beim Landgericht gemacht wird, müssen die Opfer nicht nochmals
in einer zweiten Tatsacheninstanz vernommen werden.
Mit der Zulassung der Videovernehmung des Zeugen
unter erleichterten Voraussetzungen wird es in verstärktem Maße möglich werden, dass sich Angeklagte und
Opfer im Rahmen des Prozesses nicht im Verhandlungssaal begegnen müssen.
Als zweiter wesentlicher Punkt ist die Stärkung der
Verfahrensrechte von Verletzten zu nennen. Künftig sollen auch Angehörige eines Getöteten Anspruch auf kostenlose Beiordnung eines Rechtsanwaltes haben. Damit
schaffen wir die Möglichkeit, dass mehr Menschen einen so genannten Opferanwalt hinzuziehen können.
Auch die Menschen, die Opfer von Ausbeutung, von
Prostitution oder Zuhälterei geworden sind, werden
künftig berechtigt sein, dem Verfahren als Nebenkläger
beizuwohnen. Ein weiterer Vorteil für die Opfer ist, dass
sie künftig grundsätzlich das Recht auf Anwesenheit einer Vertrauensperson bei Vernehmungen erhalten.
Redetext
Der dritte Punkt betrifft die Stärkung des Adhäsionsverfahrens; dieses Thema haben wir hier schon häufiger
diskutiert. Ziel ist, schon im Strafprozess über zivilrechtliche Ansprüche mitentscheiden zu können. Dieses Verfahren wollen wir ausbauen. Wir wollen, dass die Entscheidung des Strafgerichts über den gestellten
Ersatzanspruch entgegen der bisherigen Praxis zur Regel
wird. Uns ist allerdings bewusst, dass wir in der Praxis,
bei der Fortbildung der Richterinnen und Richter, noch
das eine oder andere werden tun müssen.
Der vierte Punkt betrifft die bessere Information der
Opfer. Ziel ist es, dass die Opfer nicht nur über den Termin der Hauptverhandlung informiert werden, sondern
auch über den Ausgang des Verfahrens, über eine eventuelle Einstellung des Verfahrens, über die Haft, die Unterbringung sowie vor allen Dingen über Zeiträume der
Haftunterbrechung und über die Haftentlassung. Wir
möchten vermeiden, dass das Opfer den Täter zufällig
auf der Straße trifft und mit der ganzen Situation wieder
konfrontiert wird.
Daneben wollen wir auch die Unterrichtung über
Schutz-, Beistands-, Informations- und Verfahrensrechte
ausbauen. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Verletzten von ihren Rechten mehr Gebrauch machen; denn
sie können von diesen natürlich nur dann mehr Gebrauch
machen, wenn sie sie kennen. Deshalb sollen sie künftig
nicht nur über den Termin der Hauptverhandlung, sondern auch weitergehend informiert werden.
Ich meine, dass die wesentlichen Punkte des Opferschutzes in diesem Gesetzentwurf berücksichtigt werden. In der Sachverständigenanhörung, die, soweit ich
weiß, für Dezember geplant ist, werden wir Gelegenheit
haben, diese Punkte in Verbindung mit den Anträgen der
Union - soweit sie sich in diesem Gesetzentwurf nicht
wiederfinden - im Einzelnen zu diskutieren.
Danke schön.
Vielen Dank, Frau Bundesministerin.
Wir kommen jetzt zu Fragen, die zu diesem Themenbereich gehören. - Bitte schön, Herr Kollege GrosseBrömer.
Frau Ministerin, der Opferschutz war immer ein
wichtiger Schwerpunkt der Rechtspolitik meiner Fraktion. Es begann 1986 und setzte sich 1998 mit dem Zeugenschutzgesetz fort. In dieser Tradition hat die CDU/
CSU-Fraktion im April dieses Jahres einen eigenen Gesetzentwurf zu diesem Thema eingebracht, den Sie
freundlicherweise gerade auch erwähnt haben.
Bei der Debatte am 8. Mai 2003 hier in diesem Hohen
Hause wurde dieser Antrag meiner Fraktion insbesondere vom rechtspolitischen Sprecher der SPD mit der
Begründung abgelehnt, man könne hier nicht stückweise
vorgehen, das sei nur tagespolitisch opportun und ansonsten nicht durchdacht. Er sagte, man habe vielmehr
vor, ein Gesamtkonzept vorzulegen und eine umfassende
Novellierung der Strafprozessordnung durchzuführen.
Frau Ministerin, diese Novellierung der Strafprozessordnung wurde bisher nicht durchgeführt und auch dieses
Gesamtkonzept sehe ich zurzeit noch nicht. Deswegen
erlaube ich mir die Frage, ob Sie noch beabsichtigen, dieses Vorhaben umzusetzen. Aufgrund der Tatsache, dass
dies bis heute nicht geschehen ist, sondern Sie, wie wir
damals im April, zu diesem Thema einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen, stelle ich auch die Frage, inwieweit Sie Ihre Auffassung möglicherweise geändert haben
und ob unser Entwurf damals weniger aus sachlichen,
sondern eher aus parteitaktischen Gründen abgelehnt
wurde.
Der Entwurf, den Sie seinerzeit eingebracht haben, ist
nicht abgelehnt worden, sondern die Bundesregierung
hat in der letzten Legislaturperiode eine Stellungnahme
dazu abgegeben, in der sie die Grundtendenz begrüßt hat.
In der Tat wollten wir ein umfangreiches StPO-Konzept vorlegen. Allerdings müssen wir feststellen, dass
sich die weit reichenden Veränderungen, die wir in anderen Bereichen planen, nicht in der Geschwindigkeit realisieren lassen, wie wir uns das vorgestellt haben. Der
Deutsche Juristentag wird sich im nächsten Jahr mit der
Reform der Strafprozessordnung befassen. Unser Ziel ist
es, die Änderungen in der Strafprozessordnung auf dem
Juristentag diskutieren zu lassen und die entsprechenden
Vorschläge mit einem sehr viel weiteren Zeithorizont abzuarbeiten.
Wir haben uns dafür entschieden, den Bereich des
Opferschutzes vorzuziehen und dazu einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, weil wir meinen, dass diese
Veränderungen an der StPO auch separat durchgeführt
werden können. Diese werden dazu führen, dass den Opfern schnellstmöglich geholfen werden kann.
Kollege Siegfried Kauder.
Herr Präsident! Frau Ministerin, ein Teil der von Ihnen gepriesenen Reform stellt eine Anpassung des Gesetzes an die gerichtliche Realität dar. Es gibt kein Gericht mehr - zumindest keines, das ich kenne -, welches
die Begegnung von Opfer und Täter für unabwendbar
hält und es dazu kommen lässt. In diesem Bereich werden Opfer schon heute geschützt. - Ihr Gesetzentwurf
enthält aber auch Positives. Was gut ist, sollte man auch
als gut preisen.
In einer Rede vor diesem Haus am 8. Mai dieses Jahres habe ich den Hinterbliebenenanwalt angemahnt. Das
heißt, dass auch die Hinterbliebenen des Opfers eines
Tötungsdeliktes einen Opferanwalt auf Staatskosten bekommen sollen. Ich habe damals angeprangert, dass wir
die Herausgabe von Videobändern über die Vernehmungen von Kindern an Täter verhindern müssen. Ich danke
Ihnen, dass dies im Gesetzentwurf berücksichtigt worden ist.
Frau Ministerin, warum aber wollen Sie das Adhäsionsverfahren, das Verfahren, in welchem Opfer von
Siegfried Kauder ({0})
Straftaten Schmerzensgeld im Strafverfahren erhalten
können, kaputtsanieren? Ich bitte, zu überlegen, ob
§ 405 StPO, der sich mit dem Vergleich im Strafverfahren befasst, nicht in § 406 StPO n. F. gehört. In
§ 406 StOP n. F. wird beispielsweise auch das Grundurteil und das Anerkenntnisurteil geregelt. Der Vergleich
gehört daher nicht als Vorspann in § 405, sondern in
§ 406 StPO.
Können Sie mir bitte auch erklären, wie es zu einem
Auseinanderfallen des Rechtsweges kommen konnte? In
§ 406 a - Annahme des Adhäsionsverfahrens - wird
festgelegt, dass das Tatopfer dann, wenn der Richter den
Antrag auf ein Adhäsionsverfahren, also auf Schmerzensgeld ablehnt, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde haben soll. Wir wissen, über die sofortige Beschwerde entscheidet nicht das erstinstanzliche Gericht,
sondern das übergeordnete Gericht.
Erlauben Sie mir, dass ich versuche, dies an einem
kleinen Beispiel zu erläutern: Der Prozess fängt beim
Amtsgericht an. Der Amtsrichter lehnt das Adhäsionsverfahren ab. Das Tatopfer legt eine Beschwerde ein.
Dieses Rechtsmittel geht ans Landgericht. Der Verteidiger des verurteilten Mandanten legt eine Sprungrevision
ein mit der Folge, dass die Akten an das Oberlandesgericht gehen. Ein Teil des Verfahrens hängt als Beschwerdeverfahren beim Landgericht, der andere Teil beim
Oberlandesgericht. - Frau Justizministerin, nehmen Sie
es mir nicht übel, dass ich wieder sagen muss: Es fehlt in
Ihrem Haus an den handwerklichen Fähigkeiten.
({1})
- Sie kennen die Geschäftsordnung genauso gut wie ich.
Ich darf eine Frage mit einem einleitenden, erklärenden
Zusatz verbinden.
({2})
Herr Kollege Küster, für die Geschäftsordnung bin
ich zuständig, nicht Sie.
({0})
Bitte schön.
Erlauben Sie mir, dass ich wiederum einen handwerklichen Fehler rüge. Die sofortige und auch die einfache
Beschwerde gibt es im Prinzip in der Hauptverhandlung
nicht, und zwar aus gutem Grund. Ein Jurist, der die
Kommentierung liest, weiß, warum der Gesetzgeber dies
damals so geregelt hat. Man will nicht, dass das Strafverfahren in der Hauptverhandlung mit zusätzlichen
Rechtsmitteln blockiert oder ausgedehnt werden kann.
Deswegen gibt es in der Hauptverhandlung die Beschwerde im Wesentlichen nur gegen Haftentscheidungen und gegen die Anordnung der Unterbringung.
Wenn Sie aber für den Bereich des Adhäsionsverfahrens eine Beschwerde zulassen wollen, müssen Sie dies
korrigierend in § 305 StPO erwähnen, was in Ihrem Entwurf nicht enthalten ist. Meine Frage ist, warum Sie dies
nicht aufgenommen haben.
Frau Ministerin, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich möchte mich
gerne schützend vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Ministeriums stellen.
({0})
Sie leisten sehr gute Arbeit, was nicht heißt, dass ihnen
nicht auch einmal ein Fehler unterlaufen kann. Offenbar
sind Sie hier der Einzige, dem so etwas nicht passiert.
Möglicherweise ist uns ein Fehler passiert, wenngleich es sachlogische Gründe gibt, das so zu regeln, wie
es hier vorgeschlagen ist. Aber wir werden Ihre Einwände wie auch Ihre sonstigen Vorschläge in der von
mir bereits erwähnten Sachverständigenanhörung im
Dezember sicherlich diskutieren. Es werden auch hinreichend Richterinnen und Richter anwesend sein, die uns
aus der Praxis sagen können, ob es in der Tat so ist, dass
die Akten gespalten werden, oder ob es nicht vielmehr
so ist, dass zunächst das eine und dann das andere entschieden wird.
({1})
Ich darf zunächst fragen, ob es von anderen Kollegen
Fragen gibt. - Das ist nicht der Fall. Bitte schön, Herr
Kauder.
Darf ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass für
die Beschwerde eine Frist von 14 Tagen gilt und dann
die Hauptverhandlung schon vorbei ist? Man kann also
nicht zuerst über die sofortige Beschwerde entscheiden
und dann das Urteil fällen. Das ist nur in lange andauernden Strafverfahren möglich, die beim Amtsgericht eher
unüblich sind.
Es bleibt dabei. Wir werden das in der Anhörung mit
den Sachverständigen besprechen. Ich kann Ihnen jetzt
nichts anderes sagen.
Gibt es noch Fragen zu diesem Themenbereich? Bitte schön, Frau Kollegin Noll.
Sehr geehrte Frau Ministerin, auch Sie wissen, dass es
seit jeher ein Anliegen der Union ist, sich für den Opferschutz einzusetzen. Sie werden mir auch zustimmen,
wenn ich behaupte, dass das Opferschutzgesetz in der
Fassung von 1986 genauso wie der Täter-Opfer-Ausgleich von 1994 und das Zeugenschutzgesetz unsere
Handschrift tragen. Seit Sie an der Regierung sind, hat
sich meiner Meinung nach auf dem Gebiet des Opferschutzes leider wenig getan. Deswegen bin ich umso
glücklicher, dass jetzt dieser Entwurf vorliegt und wir
darüber diskutieren können.
Was ich gerne an dieser Stelle ansprechen würde, ist
der Opferschutz für Kinder. Wir haben in der letzten Debatte darüber gesprochen, dass sich der Opferschutz für
Kinder am Kindeswohl orientieren muss. Glauben Sie,
dass die von Ihnen vorgeschlagene Fassung des § 247 a
StPO wirklich den Belangen kindlicher Opferzeugen,
vor allem ganz kleiner Kinder, gerecht wird? Sie wissen
wahrscheinlich, worauf ich hinaus will. Es geht mir um
das Mainzer Modell, dessen Anwendung bei der Hauptverhandlung ich damals gefordert habe.
Die Zuschauer wissen vielleicht nicht, was das Mainzer Modell beinhaltet. In den 90er-Jahren hatten wir den
so genannten Wormser Missbrauchsprozess. Damals
wurde zum ersten Mal Videotechnologie zum Schutze
von kindlichen Zeugen eingesetzt. Zur Vernehmung begab sich der Richter in einen separaten Raum, aus dem
per Video übertragen wurde. So wurden die Kinder besonders geschützt.
Ich frage mich: Wollen wir etwas für Kinder tun und
eine Vertrauenssphäre schaffen, um weitere Traumatisierungen zu verhindern? Wie stehen Sie dazu? Können wir
damit rechnen, dass vielleicht das Mainzer Modell auch
in der Hauptverhandlung angewendet wird?
Ich weiß um die Debatten, die seinerzeit hinsichtlich
der Frage geführt wurden, ob man das Mainzer Modell
anwenden soll oder ob man das machen soll, was jetzt
Gesetz geworden ist. Jetzt gibt es die Möglichkeit, dass
die Kinder außerhalb des Raumes sind, in dem die
mündliche Verhandlung stattfindet, und die Befragung
durch den Vorsitzenden Richter aus der Hauptverhandlung heraus per Video erfolgt.
Sie wissen, dass jede Position ein Für und Wider hat.
Man hat sich damals aus guten Gründen, nämlich wegen
des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung, dafür entschieden, dass der Richter im Saal bleiben
solle. Die Strafprozessordnung hat vor allen Dingen den
Zweck, die Rechte des Angeklagten zu garantieren. Daher soll das rechtsstaatliche Verfahren so ablaufen und
die Befragung des Kindes im Nebenraum per Video erfolgen.
Ich habe den Eindruck, dass das in der Praxis ganz gut
funktioniert. Wenn es Erkenntnisse geben sollte, dass
das nicht funktioniert, bin ich gerne bereit, erneut darüber nachzudenken. Nach meinem Kenntnisstand wird
dieses Verfahren nur selten angewandt, was auch daran
liegt, dass viele Gerichte noch nicht mit der Technik ausgestattet sind. Im Übrigen wird nach der derzeitigen
Rechtslage vorgegangen. Aber bei allem gilt: Das Bessere ist des Guten Feind. Wenn sich herausstellen sollte,
dass Nachbesserungsbedarf besteht, können wir gerne
erneut darüber diskutieren. Dieses Thema ist aber erst
vor wenigen Jahren intensiv diskutiert worden und es
wurde aus guten Gründen so entschieden.
Darf ich Sie so verstehen: Wenn Studien vorliegen,
die belegen, dass es für das Kindeswohl besser wäre, das
Mainzer Modell zu verwirklichen, würden Sie dann unserem Entwurf zustimmen können?
Dann müssen wir darüber reden. Es kommt darauf an,
welche Studie das ist. Wenn ein Professor das Modell
nur deswegen besser findet, weil er es sich ausgedacht
hat, dann kann das nicht Grundlage für die Rechtsetzung
werden.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? Herr Kauder.
Herr Präsident! Frau Justizministerin, es gibt einen
Bereich im Strafrecht, in dem Opfer weit weniger geschützt sind als im Erwachsenenstrafrecht: Das ist das
Jugendstrafverfahren. Im Jugendstrafverfahren ist die
Nebenklage nicht zugelassen. Ich frage mich immer wieder, warum das Verfahren gegen einen Jugendlichen
nicht öffentlich und das Verfahren über das Schicksal eines jugendlichen Zeugen weitgehend öffentlich ist.
Sind Sie mit mir der Meinung - ich vermisse das in
diesem Entwurf -, dass zu einer Opferrechtsreform auch
die Betrachtung der besonderen Situation des Opfers im
Jugendstrafverfahren gehört? Gibt es in Ihrem Ministerium entsprechende Überlegungen oder wird das nicht
bedacht?
Herr Abgeordneter, das Jugendstrafverfahren ist von
einem anderen Grundsatz geprägt als das Erwachsenenstrafverfahren. Das führt nach unserer heutigen Rechtslage zu erheblichen Unterschieden in der Art des Verfahrens, die Sie eben genannt haben. Was die Frage angeht,
ob entsprechende Änderungen vorgenommen werden
sollten, ist festzustellen, dass das zurzeit niemand außer
Ihnen fordert.
({0})
- Das ist mir bisher beim Lesen der Unterlagen entgangen. - Es ist allerdings problematisch, eine solche Überlegung im Jugendstrafverfahren, das sehr stark von den
Grundsätzen der Erziehung geprägt ist, mit einzubringen. Wie Sie vielleicht wissen, stehen aber die Änderung
des Jugendgerichtsgesetzes und das Jugendgerichtsverfahren im Allgemeinen - dazu gehören auch Ansätze,
das Verfahren zu ändern - auf der morgigen Tagesordnung der Justizministerkonferenz. Vielleicht werden sich
auch Kollegen Ihrer Partei dazu entschließen, Ihre Forderungen mit aufzunehmen.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenkomplex? Das ist offenkundig nicht der Fall.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Dazu hat sich die Kollegin Gesine
Lötzsch gemeldet. Bitte sehr, Frau Kollegin.
Gestern hat Bundesverteidigungsminister Struck den
Brigadegeneral Günzel entlassen, weil dieser die antisemitischen Äußerungen des CDU-Abgeordneten
Hohmann in einem Brief unterstützt hatte. Der Verteidigungsminister hat dargestellt, dass es sich hierbei um einen verwirrten General handele, der eine Einzelmeinung
vertrete. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesem Fall? Ist damit der Fall erledigt oder
gibt es Bestrebungen, festzustellen, ob es sich tatsächlich
um eine verwirrte Einzelmeinung handelt oder inwiefern
der General mit dieser als Einzelmeinung bezeichneten
Äußerung Einfluss auf die KSK hatte?
Herr Staatssekretär Wagner, bitte schön.
Frau Kollegin, es war in der Tat eine Einzelmeinung.
Es ist innerhalb der Bundeswehr nicht erkennbar, dass es
Kräfte gibt, die die Äußerungen von Herrn Günzel unterstützen. Insofern war es richtig, von einer verwirrten
Einzelmeinung zu sprechen.
Gibt es eine Nachfrage, Frau Lötzsch?
Immerhin war General Günzel der Chef der KSK.
Von daher werfe ich die Frage auf, ob es nicht lohnt,
nachzuforschen, inwieweit er mit dieser Meinung Einfluss auf Untergebene hatte.
Uns ist nicht bekannt, dass er mit dieser Meinung Einfluss auf die Soldatinnen und Soldaten hatte, die diesem
Einsatzkommando angehören. Vielmehr handelt es sich
um eine veröffentlichte Einzelmeinung von ihm, die in
der Truppe keine Rolle gespielt hat.
Der Kollege Jürgen Koppelin hat eine Frage.
Ist inzwischen innerhalb der Bundesregierung geklärt
worden, wer von den grünen Ministern Trittin und
Künast eine Challenger-Maschine der Bundeswehr
beantragt hat - das ist immer noch unklar -, um sie für
Flüge innerhalb Brasiliens zu nutzen? Kann mir jemand
Auskunft geben, wer von diesen beiden Ministern die
Challenger-Maschine beantragt hat?
Herr Kollege Wagner, bitte schön.
Herr Kollege Koppelin, soweit uns bekannt ist, ist
der Weg der Beantragung von den zur Nutzung der
Challenger-Maschine berechtigten Ministern ordnungsgemäß eingehalten worden. Sie haben auf Ihren Antrag
hin ab 16.30 Uhr im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Gelegenheit, die beiden Minister zu
befragen. Sie werden Ihnen sicherlich umfassend Auskunft erteilen. Von unserer Seite ist dem nichts hinzuzufügen.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Koppelin.
Herr Staatssekretär, da Sie so konkret Auskunft geben
können - Sie haben sich scheinbar informiert und kennen sich im Detail aus -, werden Sie uns, dem Parlament, und der deutschen Öffentlichkeit - der Haushaltsausschuss tagt schließlich nicht öffentlich - sicherlich
mitteilen können, wer von den beiden Ministern den Antrag gestellt hat, der in schriftlicher Form erfolgen muss.
Als ehemals langjähriges Mitglied des Haushaltsausschusses schließe ich nicht aus, dass das, was dort besprochen wird, nach kurzer Zeit in der Presse erscheint.
({0})
Die aufgebauten Fernsehkameras weisen darauf hin,
dass dies schon vorbereitet ist. Insofern wird die deutsche Öffentlichkeit sehr schnell darüber informiert.
Ich kann zu Ihrer Frage nur feststellen: Bei uns ist
dieses Verfahren ordnungsgemäß - wie Ihnen, glaube
ich, am 7. Mai dieses Jahres vorgetragen worden ist - in
schriftlicher Form eingehalten worden. Alles andere
müssen die Ministerin und der Minister beantworten. Ich
kann diese Frage nicht beantworten.
Jetzt gibt es eine weitere Frage des Kollegen von
Klaeden.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig, dass Ihnen nicht bekannt ist, wer diese Maschine beantragt hat,
oder gibt es andere Gründe, warum Sie hier die Auskunft
verweigern?
Ich verweigere die Auskunft nicht. Mir ist nicht bekannt, wer von den beiden Ministern die Maschine beantragt hat. Das Verfahren ist jedenfalls von uns ordnungsgemäß, also genau nach den Vorschriften durchgeführt
worden.
Gibt es weitere Fragen zur heutigen Kabinettsitzung? - Das ist nicht der Fall. Gibt es Fragen, die über
die Themenbereiche hinausgehen, die dort angesprochen
worden sind? - Auch hierzu gibt es keine Fragen. Dann
sind wir am Ende der Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/1857 Wir kommen als Erstes zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft. Die Fragen 1 und 2 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Margareta Wolf zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Doris Meyer ({0}) auf:
Wie ist der derzeitige Stand der Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des EEG?
Frau Kollegin Meyer, ich beantworte namens der
Bundesregierung Ihre Frage wie folgt: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat Mitte August 2003 den Referentenentwurf betreffend die Novelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz
den beteiligten Ressorts übersandt. Der Referentenentwurf wird derzeit, wie Sie sicherlich schon den Medien
entnommen haben, zwischen den beteiligten Ressorts
abgestimmt. Mir ist soeben telefonisch mitgeteilt worden, dass sich die beteiligten Ressorts - in diesem Fall:
das BMU und das BMWA - vor nunmehr zehn Minuten
verständigt haben.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Meyer.
Können Sie mir schon inhaltlich etwas zu dieser Vereinbarung sagen?
Ich kann Ihnen sagen, dass sich die beiden Häuser
über die Höhe der EEG-Umlage pro Haushalt verständigt haben. Man wird eine härtefallbedingte Erhöhung
der Umlage von maximal 10 Prozent anstreben. Darüber
hinaus hat man sich auf eine Fortschreibung der Härtefallregelung geeinigt. Man hat die entsprechenden Kriterien geändert. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich
darauf nicht näher eingehen kann; denn ich habe, wie gesagt, das gerade erst telefonisch erfahren. Wir sind aber
optimistisch, dass das weitere Verfahren sehr rasch vorangehen wird und dass das Kabinett noch im Dezember
dieses Jahres den zwischen den Ressorts abgestimmten
Entwurf - es müssen noch weitere Ressorts beteiligt
werden - verabschieden wird.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Meyer? - Das ist nicht
der Fall.
Ich rufe die Frage 4 der Kollegin Meyer ({0})
auf:
Warum sieht sich die Bundesregierung nicht in der Lage,
die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU „Zukunftsorientierte und effiziente Gestaltung der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ - Bundestagsdrucksache 15/818 vom 8. April 2003 innerhalb der ursprünglich von ihr selbst
vorgesehenen Frist bis zum 31. Oktober 2003 - sondern nunmehr nur bis zum 31. Januar 2004 - zu beantworten?
Frau Kollegin Meyer, diese Frage schließt sich im
Prinzip an die vorherige insoweit an, als eine Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU natürlich erst
auf Basis der ressortabgestimmten Novelle erfolgen
kann. Ich sagte Ihnen bereits, dass der Prozess der Abstimmung noch nicht abgeschlossen ist. Wir haben deshalb den Präsidenten am 24. Oktober dieses Jahres um
Fristverlängerung bis zum 31. Januar 2004 gebeten.
Eine Zusatzfrage, Frau Meyer? - Das ist nicht der
Fall.
Wir kommen zur Frage 5 der Kollegin Kristina
Köhler ({0}):
Beabsichtigt die Bundesregierung eine Neuauflage des
100 000-Dächer-Programms?
Sehr geehrte Frau Köhler, erlauben Sie mir vorab eine
persönliche Bemerkung: Ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass Sie als engagierte, junge Abgeordnete in
Zukunft nicht mehr dem Umweltausschuss angehören
werden.
Das habe ich der Zeitung entnommen. Sie sollen dort
durch Herrn Hohmann ersetzt werden. Da Sie Juristin
sind, haben Sie aber sicherlich auch Interesse an der Arbeit im Innenausschuss.
Namens der Bundesregierung antworte ich auf die
Frage wie folgt:
Das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm hat in
Deutschland - wie Sie wissen - ein beispielloses Wachstum der Photovoltaik ausgelöst. In Verbindung von
100 000-Dächer-Programm und EEG konnte im Zeitraum von 1999 bis 2003 insgesamt eine zusätzliche photovoltaische Leistung von 350 MW installiert werden.
Eine Fortsetzung oder Neuauflage des Programms ist
allerdings nicht vorgesehen. In Zukunft soll der weitere
Ausbau der Photovoltaik im Rahmen des ErneuerbareEnergien-Gesetzes gefördert werden. Das 100 000-Dächer-Programm soll im Zuge der Novelle des EEG kompensiert werden.
Weiterhin können von Privatpersonen Anträge auf
zinsgünstige Darlehen aus dem CO2-Minderungsprogramm der KfW gestellt werden. Für gewerbliche Investitionen in Photovoltaikanlagen kann das KfW-Umweltprogramm in Anspruch genommen werden.
Zusatzfrage, Frau Köhler.
Frau Staatssekretärin, für Ihre persönliche Anmerkung danke ich Ihnen. Ich erlaube mir die folgende Bemerkung: Ich bin traurig darüber, dass ich nicht mehr im
Umweltausschuss sein werde, freue mich aber darauf,
Mitglied des Innenausschusses zu werden.
Das habe ich mir gedacht.
Insofern ist das Ganze ambivalent.
Meine Nachfrage zum 100 000-Dächer-Programm:
Können Sie umreißen, wie hoch die Förderung für die
Solarenergie innerhalb des EEG im Vergleich zu der
beim 100 000-Dächer-Programm sein wird? Steigt das?
Sinkt das? Wie entwickelt sich das?
Wir sehen im Rahmen des EEG eine volle Kompensation vor. Das heißt natürlich auch, dass die Volumina
gleich sind. Die Forderung, dass man die Förderung aller
Energien in einem Gesetz bündelt, wurde übrigens von
den Verbänden an uns herangetragen. Dem entsprechen
wir nun. Insofern, denke ich, ist die Solarbranche damit
zufrieden. Uns hat bis heute hierzu auch noch kein Protest erreicht.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 6 der Abgeordneten Kristina
Köhler ({0}) auf:
Wie schätzt die Bundesregierung den Beitrag ein, den erneuerbare Energien mittel- und langfristig zur Gewährleistung
der Energieversorgungssicherheit leisten können, und auf
welchen Grundlagen beruht diese Einschätzung?
Ich beantworte diese Frage wie folgt:
Die Bundesregierung hat im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie im Jahr 2002 Folgendes bekräftigt:
Ziel der Bundesregierung ist es, den Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch bis 2010 gegenüber 2000 auf 4,2 Prozent und am Stromverbrauch
auf 12,5 Prozent zu erhöhen. Dies entspricht etwa einer
Verdopplung. Deutschland leistet damit einen wichtigen
Beitrag zum Ziel der EU, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von 14 Prozent im Jahr 1997
auf 22 Prozent im Jahr 2010 zu erhöhen. Bis Mitte des
Jahrhunderts sollen erneuerbare Energien rund die
Hälfte des Energieverbrauchs decken. - Sie wissen, dass
uns die Klimaschutz-Enquete das sehr ans Herz gelegt
hat. - Daraus ergeben sich zwischen 2010 und 2050 liegende Orientierungswerte. Um eine solche Entwicklung
zu erreichen, genügt es nicht allein, die erneuerbaren
Energien auszubauen. Vielmehr muss zugleich der Energieverbrauch insgesamt reduziert werden.
Sie fragten auch, auf welchen Grundlagen diese Einschätzung beruht. Wir haben in den Jahren 2000 bis
2003 verschiedenste Forschungsvorhaben auf den Weg
gebracht. Manche laufen noch; es geht ja unter anderem
um den Ausblick bis 2050. Ich möchte Ihnen jetzt nicht
alle diese Vorhaben vorlesen; ich kann Ihnen die Liste
gern zur Verfügung stellen. Ein ganz wichtiges Forschungsvorhaben läuft beim Deutschen Zentrum für
Luft- und Raumfahrt, das wir für unsere Arbeit herangezogen haben. Sie wissen, dass es dort ein großes Potenzial für die Erdbeobachtung gibt. Auch das WuppertalInstitut für Klima, Umwelt, Energie und das Institut für
Energie- und Umweltforschung haben sich damit beschäftigt.
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ist
ein weiteres ganz wichtiges Institut im Zusammenhang
mit Klimaforschung. Wir haben - zusammen mit dem
BfN, dem UBA und anderen - auch ihm entsprechende
Aufträge erteilt. Ich gebe Ihnen gerne gleich die nötigen
Informationen. Sie können demnächst im Netz nachschauen, zu welchen Ergebnissen und Zwischenergebnissen die Institute gekommen sind. Wir haben bei den
Gutachten eine Aufteilung in die Sparten Biomasse,
Windenergie, Geothermie, Solarenergie und Brennstoffzellen vorgenommen. Ich denke, es wäre zu Ihrer Information ganz hilfreich, wenn Sie sich das anschauten.
Zusatzfrage, Frau Köhler.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir zumindest sagen, inwiefern in diesen Untersuchungen und Überlegungen die volkswirtschaftlichen Kosten überhaupt
einbezogen wurden? Wie werden sich die volkswirtschaftlichen Kosten im Zusammenhang mit Ihren doch
Kristina Köhler ({0})
sehr ehrgeizigen Zielen bezüglich des Anteils der erneuerbaren Energien entwickeln?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht aus dem Kopf sagen. Ich
kann die Frage gerne schriftlich beantworten. Ich kann
Ihnen aber zum Vergleich eine Zahl sagen, die ich im
Kopf habe: Die durch die Hochwasserkatastrophen und
die Stürme der letzten Jahre sowie durch ihre Folgeschäden verursachten volkswirtschaftlichen Kosten haben
sich von 2001 zu 2002 - sie sind von 35 Milliarden Euro
auf nunmehr 70 Milliarden Euro gestiegen - verdoppelt.
Daraus schließe ich, dass man auch aus volkswirtschaftlichen Gründen etwas dafür tun muss, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Ich kann Ihnen die Kosten gerne
schriftlich darlegen.
Der Kollege Rolf Bietmann hat das Wort zu einer
weiteren Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, im Monitoring-Bericht des
Bundeswirtschaftsministers, der heute im Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit diskutiert
wurde, wird festgehalten, dass 90 Prozent unserer elektrischen Energie in Kraftwerken produziert wird und
dass sich ein guter Teil der Kraftwerksbetreiber angesichts von Investitionsunsicherheiten aus der Stromproduktion zurückgezogen hat. Außerdem geht daraus hervor, dass die erneuerbaren Energien heute nicht in der
Lage sind, den traditionell produzierten Strom zu ersetzen. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass die
Windenergie einen Anteil von 3 Prozent erreicht hat.
Das Ministerium kommt im Monitoring-Bericht zu der
Erkenntnis, dass die deutsche Wirtschaft deshalb schon
heute auf Importstrom angewiesen ist, insbesondere um
den Regelenergiebedarf sicherzustellen.
Ab dem Jahr 2010 könnte aufgrund des Ausstiegs aus
der Kernenergie, des Stopps des Ausbaus von Kraftwerken und des nicht effizienten Einsatzes von erneuerbaren
Energien die Notwendigkeit, Strom aus dem Ausland
einzukaufen, noch größer sein als im Monitoring-Bericht
dargestellt. Sehen Sie nicht darin eine große Gefahr für
den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Herr Kollege Bietmann, ich teile nicht Ihre Einschätzung, dass wir über kurz oder lang auf den Import von
Strom angewiesen sein werden. Ich hatte heute Morgen
die Gelegenheit, mit dem VIK über diese Frage zu diskutieren. In der Tat beträgt der Anteil der erneuerbaren
Energien bei der Stromerzeugung im Moment 8 Prozent;
Atom-, Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke stellen
90 Prozent. Das BMU geht nach wie vor davon aus, dass
wir auf einen Energiemix setzen sollten. Dabei sind wir
uns bewusst, dass der Ersatz eines Kohlekraftwerkes
- ich nenne zum Beispiel eines, das die BASF bis vor
ein oder zwei Jahren in Ludwigshafen betrieben hat durch eine GuD-Anlage zu einer Einsparung von bis zu
50 Millionen Tonnen CO2 führen kann.
Das heißt aber nicht, dass wir auf nur eine Energieform setzen; wir setzen vielmehr auf einen Energiemix. Gleichwohl ist es aus energiepolitischen und umweltpolitischen Gründen wünschenswert, dass die
Kohlekraftwerke effizienter arbeiten und weniger als
heute emittieren; schließlich sind sie nun einmal die
Hauptemittenten. Ich habe den Eindruck, dass in diesem
Zusammenhang kein Dissens zwischen den Energieversorgern, dem BMWA und unserem Haus besteht.
Entschuldigen Sie bitte, dass ich den Monitoring-Bericht noch nicht ausführlich studieren konnte; denn er ist
mir erst heute zugegangen. Ich bin Ihnen aber dankbar
für diesen Hinweis.
Kollege Deß.
Frau Staatssekretärin, können Sie Berichte bestätigen,
dass jemand, der sich an der Finanzierung eines Windparks beteiligt, durch Abschreibungsmodelle seine Steuerlast im ersten Jahr auf null zurückfahren kann? Das
mir vorliegende Beispiel sieht so aus, dass jemand, der
200 000 Euro verdient und 80 000 Euro Steuern zahlen
müsste, durch die Beteiligung an einem Windpark vom
Finanzamt seine gesamten Steuern zurückerstattet bekommt. Können Sie das bestätigen und, wenn ja, unternimmt die Bundesregierung etwas gegen diese Abschreibungsmodelle, die ja zu massiven Ausfällen bei den
Steuereinnahmen führen?
Sehr geehrter Herr Kollege Deß, ich glaube, es hätte
sich in der Bevölkerung insgesamt herumgesprochen,
wenn man durch Investitionen in Windparkanlagen die
Steuern auf null reduzieren könnte. Ich kann das, was
Sie da sagen, nicht bestätigen. Es gibt keine besonderen
steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Windenergieanlagen.
Herr Bietmann, Sie hatten Ihr Fragerecht doch schon
genutzt.
({0})
- Also ausnahmsweise eine ergänzende Frage. Bitte
schön.
Ist Ihnen bekannt, dass gerade heute in der Tagespresse ein Anbieter von Fonds für Windkraftanlagen damit wirbt, dass Ausschüttungen in Höhe von maximal
25 Prozent des eingesetzten Kapitals steuerfrei sind?
Ich habe die Anzeige gesehen, Herr Kollege. Ich
würde Ihnen die Frage gerne schriftlich beantworten.
Das werde ich morgen noch veranlassen.
Damit kommen wir zur Frage 7 der Kollegin MarieLuise Dött:
Welchen Termin hat die Bundesregierung für das Ende der
Abstimmungsgespräche zum EEG zwischen dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und
dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vorgesehen?
Sehr geehrte Frau Kollegin Dött, Sie fragen, welchen
Termin die Bundesregierung für das Ende der Abstimmungsgespräche zum Erneuerbare-Energien-Gesetz
zwischen dem BMU und dem BMWA vorgesehen hat.
Ich sagte vorhin schon zu Ihrer Kollegin, dass wir den
Referentenentwurf bereits Mitte August den beteiligten
Ressorts zugeleitet haben. Vor ein paar Minuten ist auch
die erfreuliche Meldung über den Ticker gelaufen, dass
sich die Ressorts verständigt haben.
Wir gehen davon aus, dass dieses sehr komplexe Gesetz, an dem unterschiedliche Ressorts beteiligt sind und
mit dem sie unterschiedliche Prioritätensetzungen verbinden, noch am 10. Dezember im Kabinett behandelt
wird. Sie wissen, dass vorab die Verbände und Vertreter
der Wirtschaft angehört werden und danach noch einmal
eine Ressortabstimmung stattfinden muss. Wir sind aber
sehr ehrgeizig und arbeiten mit Hochdruck daran, dass
dieses auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland
sehr wichtige Gesetz am 10. Dezember das Kabinett erreicht.
Zusatzfrage, Frau Dött?
Ja. - Frau Staatssekretärin, können Sie vielleicht auch
sagen, in welcher Form man sich geeinigt hat, also wie
die Belange der einzelnen Ressorts gewertet und gewichtet werden?
Sie wissen, dass es die größten Unterschiede bezüglich der Prioritätensetzung zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesumweltministerium
gab. Jetzt muss noch die Abstimmung zwischen dem
Verbraucherschutzministerium und dem Finanzministerium erfolgen; diese ist aber unproblematisch.
Zwischen dem BMWA und uns ging es, wie Sie vermutlich auch der Presse entnommen haben, erstens um
die Frage der Höhe der EEG-Umlage, also darum, welche Belastung pro Monat auf die privaten Haushalte zukommt. Diese Frage wurde lange diskutiert. Der zweite
Streitpunkt war die Härtefallregelung. Ich stellte es vorhin dar: Im Bereich der Härtefallregelung wird es zu einer Fortschreibung bei veränderten Kriterien kommen.
Im Zusammenhang mit der Härtefallregelung hat man
sich auf eine härtefallbedingte Erhöhung der EEG-Umlage von maximal 10 Prozent verständigt.
Was darüber hinaus noch vereinbart wurde, kann ich
Ihnen nicht sagen, weil ich mit Beginn dieser Fragestunde das Telefonat mit unserem Staatssekretär leider
abbrechen musste. Ich gehe aber davon aus, dass wir das
in der nächsten Sitzungswoche im Umweltausschuss
umfänglich darstellen können.
Da es keine weitere Zusatzfrage gibt, kommen wir zur
Frage 8 der Kollegin Marie-Luise Dött:
Wie viele Unternehmen haben die so genannte Härtefallregelung des EEG bislang in Anspruch genommen?
Frau Kollegin Dött, bis zum 27. Oktober 2003 sind
beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle,
dem BAFA, 54 Anträge von 48 Unternehmen eingegangen. Die Härtefallregelung sieht vor, dass das BAFA die
Anträge innerhalb von vier Wochen nach Eingang der
vollständigen Unterlagen bearbeitet. Das BAFA hat bis
zum 27. Oktober 2003 insgesamt 20 Anträge bewilligt.
Ich habe heute Morgen beim BAFA nachgefragt. Es
wurde mir versichert, dass auch über die weiteren Anträge zügig entschieden wird, wenn die Antragsunterlagen vorliegen. Sollten Antragsunterlagen fehlen, würden
sich BAFA-Mitarbeiter telefonisch melden - es würde
also kein zusätzlicher Verwaltungsvorgang in Form von
Schriftwechseln erfolgen -, um das Verfahren insgesamt
zu beschleunigen.
Zusatzfrage, Frau Dött? - Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Uwe Schummer
auf:
Welche Zielvorstellung verbindet die Bundesregierung mit
der Einrichtung der Arbeitsgruppe zu Strukturfragen der Weiterentwicklung des Berufsbildungssystems durch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, die
am 7. November 2003 zum ersten Mal tagen soll, und wann
rechnet die Bundesregierung damit, abschließende Ergebnisse
vorlegen zu können?
Die hochrangig besetzte Arbeitsgruppe ist eine Folgeaktivität des Ausbildungsgipfels vom 9. Oktober
2003, die von der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Edelgard Bulmahn, dort angekündigt wurde.
Die Arbeitsgruppe wird von den Staatssekretären der
Bundesministerien für Bildung und Forschung sowie
für Wirtschaft und Arbeit, Herrn Wolf-Michael Catenhusen bzw. Herrn Georg-Wilhelm Adamowitsch, geleitet. Sie hat zum Ziel, Vorschläge für eine dauerhafte
und konjunkturunabhängige Sicherung eines ausreichenden Ausbildungsplatzangebotes und zur Sicherung
der Qualität der Berufsausbildung zu erarbeiten. Die
Bundesregierung erwartet konkrete Ergebnisse, die in
die weiteren berufsbildungspolitischen Planungen Eingang finden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schummer.
Herr Staatssekretär Matschie, nun waren ja bei dem
Ausbildungsgipfel die Bundesländer, die wichtige Akteure auf dem Gebiet der beruflichen Bildung sind,
nicht vertreten. Auch die Opposition im Deutschen
Bundestag wird wohl bei der Besetzung der Arbeitsgruppe nicht berücksichtigt. Sehen Sie noch Chancen
- das würde das Verhältnis zur Opposition und insbesondere zur Union verbessern -, dass die Opposition
beteiligt wird?
Herr Kollege Schummer, wir haben vor, alle Akteure
in diese Arbeitsgruppe einzubeziehen. Neben der Bundesregierung sind dies die Länder, die auf Staatssekretärsebene vertreten sein werden. Die Wirtschaft wurde um
die Benennung von Hauptgeschäftsführern und die Gewerkschaften von Vorständen als Vertreter gebeten. Damit sind die Akteure, die für diese Beratung benötigt
werden, am Tisch.
Weitere Zusatzfrage.
Bis wann rechnen Sie damit, dass parlamentarisch
verwertbare Ergebnisse durch die Arbeitsgruppe erarbeitet werden? Wird die nächste Ausbildungsgeneration am
1. September 2004 davon profitieren können?
Herr Kollege, die erste Sitzung findet am
7. November statt. Ich glaube nicht, dass man jetzt schon
sagen kann, zu welchem Zeitpunkt konkrete Ergebnisse
vorliegen werden. Wir sind jedenfalls bemüht, in dieser
Arbeitsgruppe schnell zu Ergebnissen zu kommen.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Werner
Lensing:
Wie ist der Arbeitsstand der Bundesregierung zu der angekündigten Erstellung einer Novelle zum bestehenden Berufsbildungsgesetz, BBiG, und zu welchem Zeitpunkt wird die
Bundesregierung eine solche Novelle vorlegen?
Herr Kollege Lensing, die Bundesregierung beabsichtigt, noch in diesem Jahr Eckwerte für die geplante Novellierung des Berufsbildungsgesetzes vorzulegen. Auf
der Grundlage dieses Eckwertepapiers wird sie im Jahre
2004 das formale Gesetzgebungsverfahren einleiten und
auch im Jahre 2004 abschließen.
Zusatzfrage?
Herr Matschie, gibt es neben der Festlegung der Eckpunkte, von denen Sie gerade gesprochen haben, bereits
zu diesem Zeitpunkt auch Überlegungen dahin gehend
- gerade im Bereich der Modellversuche -, die bisher
übliche knappe und wenig aussagekräftige Aufzählung
der Inhaltskategorien der zu schaffenden Ausbildungsberufe, zum Beispiel im kaufmännischen Bereich „Einkauf, Kalkulation, Vertrieb“, durch eine anschauliche
und transparente Beschreibung praxistypischer Handlungsfelder zu ergänzen, also konkrete Aussagen zu machen?
Herr Kollege Lensing, wie ich Ihnen eben schon vorgetragen habe, werden wir die Eckpunkte im Dezember
vorlegen. Deshalb kann ich erst zu dem Zeitpunkt im
Einzelnen über konkrete Überlegungen informieren.
Herr Staatssekretär, ich dachte, Sie wären so kreativ,
schon im Vorfeld einige Eckpunkte einzubringen, die Ihnen besonders wichtig sind. Aber ich werde diese positive Einschätzung gern revidieren.
Ich habe noch eine weitere Frage.
Damit kommen wir zu Ihrer Frage 11, Herr Lensing.
Ich habe zunächst noch eine Zusatzfrage zu Frage 10,
wenn Sie gestatten, Herr Präsident.
Ich dachte, der Kommentar wäre schon die zweite Zusatzfrage.
Nein, denn das war ja keine Frage.
Sie haben das Recht, zwei Zusatzfragen zu stellen.
Das Recht auf die zweite Zusatzfrage haben Sie sozusagen „halb verbraucht“. Aber ich gestatte Ihnen noch eine
Zusatzfrage.
Ich danke Ihnen sehr.
Gestern haben die Fraktion der SPD und auch die des
Bündnisses 90/Die Grünen Überlegungen angestellt, wie
bisher nicht ausbildende Betriebe an den Kosten der Berufsausbildung beteiligt werden könnten. Darüber berichtet heute unter anderem die „Welt“; darauf werde ich
gleich noch zurückkommen. Gibt es in Ihrem Haus diese
Überlegungen?
Herr Kollege Lensing, wie Sie wissen, haben wir auf
unserem Ausbildungsgipfel vereinbart, jetzt in eine
Nachvermittlungsphase einzutreten, um möglichst allen
Jugendlichen einen Ausbildungsplatz anbieten zu können. Konkrete Ergebnisse dieser Nachvermittlungsphase
liegen noch nicht vor. Deshalb ist es jetzt zu früh, über
weitere Schritte zu entscheiden.
Wir kommen zu Frage 11 des Kollegen Lensing:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Stärkung des Angebotes an betrieblichen Ausbildungsplätzen?
Die Bundesregierung ist sich der großen Bedeutung
der Sicherung eines ausreichenden Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen im Rahmen des dualen Systems bewusst. Sie hat deshalb im April 2003 gemeinsam
mit den Spitzenvertretern der Wirtschaftsverbände und
der Gewerkschaften eine Ausbildungsoffensive gestartet. Die im Rahmen dieser Offensive eingeleiteten Maßnahmen haben spürbare Bewegung in die Ausbildungslandschaft gebracht. Trotz aller positiven Signale und
Effekte kann die Situation zum 30. September 2003 jedoch noch nicht befriedigen.
Bundesministerin Bulmahn und Bundesminister
Clement haben deshalb auf einem zweiten Gipfel am
9. Oktober 2003 mit den Sozialpartnern die Ergebnisse
der gemeinsamen Ausbildungsoffensive analysiert und
die Wirtschaft aufgefordert, konkrete Folgemaßnahmen
zur Schließung der Ende September noch bestehenden
Ausbildungsplatzlücke in Angriff zu nehmen. Mit einer
gemeinsamen Nachvermittlungsoffensive wollen der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der
Zentralverband des Deutschen Handwerks mit der Bundesanstalt für Arbeit alle Jugendlichen, die am
30. September 2003 noch als Bewerber um einen Ausbildungsplatz geführt wurden, individuell ansprechen.
Hier wird jeweils auch ein konkretes Angebot erfolgen.
Die Bundesregierung begleitet diesen Prozess intensiv.
Für den 6. November 2003 haben die Wirtschaftsverbände die Darstellung konkreter Ergebnisse angekündigt. Ich gehe davon aus, dass dann erste Erfolge der
Nachvermittlungsphase sichtbar werden.
Zusatzfragen, Herr Lensing? - Bitte schön.
Vor dem Hintergrund der Maßnahmen, die die Bundesregierung plant und die ich, wenn sie so durchgeführt
werden, durchaus begrüße, frage ich Sie, ob Sie auch
Überlegungen angestellt haben, wie Hauptschüler und
nicht so gute Realschüler einen Ausbildungsplatz finden
können, denn für diese dürfte es ja ganz besonders
schwierig werden.
Herr Kollege Lensing, Sie wissen genauso wie ich,
dass es natürlich gerade für Schüler, die einen schlechten
oder gar keinen Schulabschluss haben, besonders
schwierig ist, einen Ausbildungsplatz zu finden. Deshalb
haben wir verstärkt Maßnahmen im berufsvorbereitenden Bereich ergriffen. Ich glaube, dass es notwendig ist,
in diesem Bereich verstärkt dafür zu sorgen, dass Jugendliche am Ende ausbildungsfähig werden.
Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass
an dieser Stelle natürlich die Schulen gefordert sind, dafür zu sorgen, dass Schüler, die die Schule verlassen,
ausbildungsfähig sind.
Zweite Zusatzfrage.
Noch einmal rekurrierend auf das Thema Ausbildungsplatzabgabe: Ist es ein parteipolitisches Vorurteil
oder aber zutreffend, dass die SPD-Fraktionsführung mit
der eventuellen Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe eine zentrale Forderung der SPD-Linken erfüllen
will, um diesen durch ein solches Entgegenkommen die
Zustimmung zum Reformpaket des Kanzlers zu erleichtern?
Herr Kollege Lensing, Sie wissen, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung im März dieses
Jahres für den Fall, dass es nicht gelingt, ausreichend
Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, angekündigt hat,
({0})
auch gesetzliche Schritte in Erwägung zu ziehen. Das
hat er gestern wiederholt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
befinden wir uns in der Nachvermittlungsphase. Die Ergebnisse dieser Nachvermittlungsphase werden wir
abwarten. Erst danach wird über weitere Schritte entschieden werden.
Herr Deß, Sie hatten eine Zusatzfrage? - Bitte schön,
Herr Deß.
Herr Staatssekretär, ich habe vor kurzem gelesen,
dass die Gewerkschaften sehr wenig ausbilden. Ist daran
gedacht, auch die Gewerkschaften in die Ausbildungsplatzabgabe einzubeziehen?
Sehr geehrter Herr Kollege, da es eine solche Ausbildungsplatzabgabe bisher nicht gibt, kann natürlich auch
nicht daran gedacht werden, die Gewerkschaften einzubeziehen.
Im Übrigen sind alle, die Ausbildungsmöglichkeiten
zur Verfügung stellen können, aufgefordert, dies in ausreichendem Umfange zu tun, auch die Gewerkschaften.
({0})
Jetzt kommen wir zur Frage 12 des Kollegen Michael
Kretschmer:
Wie hat sich das finanzielle Volumen der Förderung von
Kooperationen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den EU-Beitrittsstaaten im Bereich Forschung und Entwicklung in den Jahren 1998 bis 2003 insgesamt entwickelt
und wie viele Projekte wurden in diesem Zeitraum gefördert?
Herr Kollege Kretschmer, die Entwicklung des finanziellen Volumens der Förderung von Kooperationen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den EU-Beitrittsstaaten im Bereich Forschung und Entwicklung und
die Entwicklung der Projektzahlen gestalteten sich in
den Jahren 1998 bis 2002 wie folgt: 1998 gab es in der
bilateralen Zusammenarbeit einen Mitteleinsatz von
2,5 Millionen Euro. Damit wurden 314 Projekte gefördert. Multilateral standen 9,6 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wurden 29 multilaterale Projekte gefördert.
Im Jahre 1999 standen für die bilaterale Zusammenarbeit 2,9 Millionen Euro zur Verfügung. Hiermit wurden
332 Projekte gefördert. Multilateral standen 9,1 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wurden 27 Projekte gefördert.
Im Jahre 2000 standen für die bilaterale Zusammenarbeit 3,2 Millionen Euro zur Verfügung. Gefördert wurden damit 367 Projekte. Multilateral standen 9,8 Millionen Euro zur Verfügung. Damit wurden 27 Projekte
gefördert.
Im Jahre 2001 standen bilateral 2,6 Millionen Euro
zur Verfügung. Damit wurden 345 Projekte gefördert.
Multilateral standen 10 Millionen Euro zur Verfügung.
Gefördert wurden damit 21 Projekte.
Im Jahre 2002 standen bilateral 2,6 Millionen Euro
zur Verfügung. Hiermit wurden 354 Projekte gefördert.
Multilateral standen wie im Jahr davor 10 Millionen
Euro zur Verfügung. Gefördert wurden damit 25 Projekte.
Somit wurden für die bilaterale Kooperation in diesem Zeitraum insgesamt 13,8 Millionen Euro bereitgestellt und damit jährlich durchschnittlich circa 342 Projekte gefördert. Im multilateralen Bereich belief sich die
Förderung auf 48,5 Millionen Euro und jährlich durchschnittlich 26 Projekte.
Da die endgültigen Zahlen für das Haushaltsjahr 2003
noch nicht abschließend vorliegen, können dazu noch
keine verlässlichen Aussagen gemacht werden.
Zusatzfrage, Kollege Kretschmer.
Herr Staatssekretär, die Beträge sind, gemessen am
Haushalt des BMBF und an der Größe der Grenzregionen bzw. der Anzahl der Beitrittsländer, nicht sehr üppig.
Ich möchte Sie fragen, wie Sie das im Hinblick auf die
Herausforderungen im Zuge der EU-Erweiterung bewerten: Plant das BMBF möglicherweise, in den Grenzregionen die Forschungsprogramme des Bundes zu öffnen,
um grenzüberschreitende Innovationsräume zu ermöglichen?
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Wir können,
wie Sie gesehen haben, mit einer kleinen Summe eine
große Zahl von Projekten anstoßen. Es handelt sich
überwiegend um Zuschüsse zu Mobilitätskosten von Experten sowie zur Anbahnung und Flankierung gemeinsamer Projekte. Daher gehe ich davon aus, dass wir auch
mit einer nicht so großen Summe erheblich zur Kooperation beitragen können.
Zweite Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kretschmer.
Es ist bekannt, dass sich die Beitrittsstaaten intensiv
bemühen, am 6. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union beteiligt zu werden. Meine Frage ist: Inwieweit unterstützt das BMBF dies, welche strategischen Initiativen gibt es und können Sie konkrete
Beispiele für Kooperationen in diesem Bereich nennen?
Herr Kollege Kretschmer, wenn ich richtig informiert
bin, ist es schon heute möglich, dass sich die Beitrittsstaaten am 6. Forschungsrahmenprogramm beteiligen.
Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen
Kretschmer:
Welche Maßnahmen will die Bundesregierung bezüglich
des jetzt auslaufenden Förderprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Verwertungsoffensive“ ergreifen?
Das Förderprogramm „Verwertungsoffensive“ des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird
nach der Planung der Bundesregierung für die Jahre
2004 bis 2006 fortgesetzt. Im Rahmen der Verwertungsoffensive ist es bisher gelungen, durch kräftige Anschubfinanzierung - die Mittel wurden durch die Zinsersparnisse im Zusammenhang mit den UMTS-Erlösen
frei - einen wichtigen und starken Impuls für den Aufbau des Hochschulpatentwesens in Deutschland zu geben. In allen Ländern sind Patent- und Verwertungsagenturen entstanden, die für die Hochschulen im
Auftragswege das diffizile Geschäft zur Identifizierung
erfinderischer Forschungsergebnisse, deren Bewertung
als patentierbar und unter dem Verwertungsaspekt sowie
die wirtschaftliche Verwertung übernehmen.
Die Verwertungsstrukturen sind noch nicht aus sich
heraus lebensfähig. Dafür ist die bisherige Aufbauzeit zu
kurz gewesen. Um den Prozess der Strukturänderung zu
stabilisieren, sieht die Fortsetzung der Förderung einen
deutlich geringeren Bundesanteil vor; denn die Hochschulen und damit auch die Länder müssen in die Verantwortung für diese wichtige Aktivität hineinwachsen.
Auch die Förderung von Patentierungshilfen für die Anmeldekosten bei Patentämtern und von Patentanwälten
wird mit niedrigerer Förderquote fortgesetzt werden.
Zusatzfrage, Kollege Kretschmer.
Herr Staatssekretär, diese Patentverwertungsoffensive
war groß angekündigt und wurde als eine Maßnahme
propagiert, die viele Probleme lösen sollte. Jetzt, nach
drei Jahren, stellen wir fest, dass sich nicht viel getan
hat. Sie wollen dennoch für weitere zwei Jahre fördern.
Glauben Sie denn, dass nach dann fünf Jahren diese Patentverwertungsagenturen tatsächlich lebensfähig sind?
Herr Kollege Kretschmer, die Inanspruchnahme der
Förderung durch die Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen zeigt, dass das Thema „wirtschaftliche Verwertung von Forschungsergebnissen“ in der
deutschen Wissenschaftslandschaft greift. Ein wichtiges
Anzeichen dafür, dass diese Offensive Erfolg hat, ist,
dass alle Verbünde die nach der ersten Förderphase entstandenen Strukturen weiter nutzen und ausbauen wollen. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen und spricht dafür, dass diese Initiative erfolgreich ist.
Zweite Zusatzfrage.
Ich möchte meine Frage schlicht noch einmal stellen:
Glauben Sie, dass sich diese Agenturen nach fünf Jahren
tatsächlich selber tragen werden?
Herr Kollege, Sie wissen, Prognosen sind immer
schwierig. Wir hoffen, dass die Verwertungsagenturen so
schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen werden.
Das ist in der Anlaufphase von drei Jahren bisher nicht
gelungen, deshalb fördern wir weiter. Klar ist aber, dass
die Hochschulen und Länder in diese Aufgabe hineinwachsen müssen und sich die Verwertungsagenturen
selbst tragen müssen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der
Fragen steht der Herr Staatsminister Rolf Schwanitz zur
Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 14 des Kollegen Eckart
von Klaeden auf:
Seit wann war dem Bundeskanzler, Gerhard Schröder, und
dem Chef des Bundeskanzleramtes, Dr. Frank-Walter Steinmeier, bekannt, dass aussortiertes, kernbereichsrelevantes
Material - unter anderem zahlreiche Schreiben des Lobbyisten D. H. an das Bundeskanzleramt sowie Leitungsvorlagen
mit Anmerkungen der dort befassten Personen aus dem Jahre
1992 bis 1994, vergleiche Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Bonn vom 2. Oktober 2003 - im Bundeskanzleramt vorhanden ist?
Herr Kollege von Klaeden, die Bundesregierung
nimmt zu staatsanwaltschaftlichen Verfügungen in einem nicht öffentlichen Verfahren grundsätzlich keine
Stellung. Insoweit bin ich überrascht, dass Sie, Herr Kollege von Klaeden, aus Akten eines nicht öffentlichen Ermittlungsverfahrens zitieren.
({0})
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Ihnen ist eine Frage gestellt worden, die Sie auch Pressemitteilungen entnehmen konnten.
Ich habe gefragt, ob das kernbereichsrelevante Material
im Bundeskanzleramt vorhanden war oder nicht. Ich habe
ferner gefragt, ob und wenn ja, seit wann die Führung des
Kanzleramtes Kenntnis davon hatte.
Ich darf Sie doch bitten, nicht die Frage verfälschend
darzustellen, sondern die Frage zu beantworten.
Herr Kollege von Klaeden, die Frage zielt auf einen
sehr speziellen Sachverhalt ab. In allgemeiner Form
kann ich zu dem von Ihnen angesprochenen Sachverhalt
Folgendes ausführen: Bei dem Sachverhalt geht es nicht
um den Verlust von Schriftgut, sondern um Aktenvorenthaltung gegenüber dem Parlament. Das in Ihrer Frage
angesprochene Material wurde weder aussortiert noch
hat es die Bundesregierung als vermisst bezeichnet. Es
waren nicht diese Unterlagen, sondern es sind Unterlagen aus ganz anderen Bereichen, die die Bundesregierung auch heute noch vermisst.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatsminister, das beantwortet meine Frage
nicht. Ich frage Sie noch einmal: Seit wann ist der Führung des Kanzleramtes dieses kernbereichsrelevante Material bekannt?
Herr Kollege von Klaeden, ich will noch einmal ausdrücklich sagen: Es geht hier um Material, das dem Untersuchungsausschuss vorenthalten wurde. Ihre Frage
lässt indirekt vermuten, es ginge hier um vermisstes Material. Ich will deswegen ausführlich auf die Frage des
vermissten Materials eingehen. Die Bundesregierung
vermisst zum Beispiel im Fall Leuna die Originalakten
aus dem Zeitraum bis zum Abschluss der Privatisierung
der Raffinerie in Leuna. Das ist der Zeitraum bis zum
Ende des Jahres 1992. Aus diesem Zeitraum gibt es keinerlei Originalakten, sondern nur sechs unstrukturierte
Kopiebände.
({0})
Die Bände sind nicht chronologisch geordnet und sind
auch sonst chaotisch zusammengestellt, sie enthalten
fast nur minderwertiges Schriftgut.
Ich möchte noch einmal auf das Nichtweiterreichen
des Materials an den Untersuchungsausschuss eingehen.
Bereits die Verwaltungsermittlungen zwischen Oktober
1999 und Februar 2000 haben ergeben, dass in der
13. Legislaturperiode zusammen mit anderem Schriftgut
auch Schreiben des von Ihnen angesprochenen Lobbyisten D. H. dem Untersuchungsausschuss des Deutschen
Bundestages vorenthalten wurden. Das ist das Material,
Herr von Klaeden, das in Ihrer Frage angesprochen worden ist. Dies geschah, obwohl die Unterlagen vom Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses „DDRVermögen“ umfasst waren.
Der Chef des Bundeskanzleramtes, Staatssekretär
Dr. Steinmeier, informierte hierüber den Untersuchungsausschuss der 14. Legislaturperiode sehr frühzeitig,
nämlich am 17. Februar 2000, und leitete die kompletten
Akten dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss
der 14. Legislaturperiode unter dem Datum 24. Februar
2000 zu.
Es gibt noch den Wunsch nach weiteren Zusatzfragen. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Staatsminister, ist Ihnen eine Kontaktaufnahme
zwischen dem ehemaligen Kanzleramtsminister Hombach und Bediensteten oder politischen Amtsträgern des
Bundeskanzleramtes bekannt, in der er darauf hingewiesen hat - so hat er es jetzt mehrfach in Interviews
geäußert -, dass ihm niemals Akten nicht vorgelegt wurden, nach denen er sich erkundigt hat, und er auch nicht
die Auffassung teilt, wonach es die so genannten Bundeslöschtage gegeben hat? Hat es also von Herrn Hombach an Sie, an Herrn Minister Steinmeier oder auch an
den Bundeskanzler direkt Hinweise darauf gegeben,
dass all das, was Sie hier vortragen, aus seiner Sicht unzutreffend sei?
Herr Kollege, ich weiß nicht, nach welchen
Unterlagen - darauf zielen Sie mit Ihrer Frage ab - sich
der damalige Bundesminister a. D. Hombach erkundigt
hat. Ich habe darüber keine Kenntnis.
Mir ist nur wichtig, dass nicht der Eindruck entsteht,
als seien bestimmte Akten - Herr von Klaeden hat sie in
seiner Frage benannt - ursprünglich als vermisst eingestuft worden und dann wieder aufgetaucht. Es geht vielmehr darum, dass diese speziellen Akten dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vorenthalten worden
sind.
({0})
Darüber ist selbstverständlich unmittelbar nach dem Regierungswechsel dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der 14. Legislaturperiode durch den
Chef des Kanzleramtes Bericht erstattet worden.
Weitere Frage des Kollegen Gewalt.
Herr Staatsminister, die Staatsanwaltschaft hat sich
öffentlich - in diesem Fall braucht man nicht in irgendwelche Akten zu schauen - sehr kritisch mit dem Sonderermittler, Herrn Burkhard Hirsch, auseinander gesetzt.
({0})
Deshalb meine Frage an Sie: Welche Rechte und welche
Pflichten hatte Burkhard Hirsch eigentlich? War er zum
Beispiel nach dem Beamtenrecht zu einer besonderen
Verschwiegenheit verpflichtet? Musste er beamtenrechtliche Vorschriften beachten oder stand er diesbezüglich
über den Dingen?
Herr Kollege Gewalt, ich habe auf Fragen aus Ihrer
Fraktion mehrmals auf das öffentlich-rechtliche Verhältnis, dem Herr Bundestagsvizepräsident a. D. Burkhard
Hirsch unterlegen hat, hingewiesen - übrigens auch in
einer Antwort auf eine Kleine Anfrage, die Ihre Fraktion
gestellt hat.
Ich will ausdrücklich noch einmal sagen, dass es nicht
mein Eindruck ist, dass sich die Staatsanwaltschaft hier
kritisch gegenüber Herrn Dr. Hirsch geäußert hat. Das
trifft aber sehr wohl - das habe ich sehr intensiv
vernommen - auf Kommentierungen und Presseerklärungen seitens Ihrer Fraktion zu, auch zu den Fragen, die
heute hier gestellt werden, die ich aber ausdrücklich
nicht teile.
Dann kommen wir zur Frage 15 des Kollegen von
Klaeden:
Hat der disziplinare Vorermittler im Bundeskanzleramt,
Dr. Burkhard Hirsch, seinen Bericht vom 31. Mai 2000 für
den Chef des Bundeskanzleramtes, Dr. Frank-Walter Steinmeier, mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass bestimmte Bedienstete bzw. frühere Bedienstete des Bundeskanzleramtes in
dem Verdacht stehen, ihre beamtenrechtlichen Pflichten verletzt zu haben, und, wenn ja, warum sind diese nicht als Betroffene vor der Anhörung von Dr. Burkhard Hirsch vor dem
1. Untersuchungsausschuss der 14. Wahlperiode am 28. Juni
2000 gehört worden, um sich frühzeitig sachdienlich verteidigen zu können?
Herr Kollege von Klaeden, nein, die disziplinaren
Vorermittlungen richten sich nicht gegen bestimmte Beamte, sondern gegen unbekannt.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben gerade gesagt, das Ermittlungsverfahren sei nicht öffentlich gewesen. Ist Ihnen bekannt, dass nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft Köln die Beschwerde der Bundesregierung
verfristet gewesen ist und dass deswegen das Ermittlungsverfahren nach § 172 der Strafprozessordnung als
abgeschlossen zu betrachten ist?
({0})
Herr Kollege von Klaeden, das Bundeskanzleramt hat
fristgemäß schriftlich Stellung genommen und diese
Stellungnahme ist seitens des Generalstaatsanwaltes
Köln als Beschwerde gewertet worden und in das Verfahren eingegangen.
Weitere Zusatzfragen?
Ist Ihnen bekannt, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt ist?
Herr von Klaeden, solange der hierfür vorgesehene
Rechtsweg - dazu gehört selbstverständlich auch das
rechtliche Werten einer Beschwerde und die entsprechende Entscheidung darüber - nicht ausgeschöpft ist,
ist dieses Verfahren nicht abgeschlossen.
Gibt es weitere Fragen dazu? - Das ist nicht der Fall.
Die Frage 16 der Kollegin Rita Pawelski soll schriftlich beantwortet werden. - Ich bedanke mich, Herr
Staatsminister.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 17 des Kollegen
Jens Spahn:
Hält die Bundesregierung eine ideelle wie finanzielle Unterstützung zur Aufrechterhaltung des Museumsbetriebes in
Huis Doorn, dem Exilsitz von Wilhelm II. in den Niederlanden, auch als Zeichen der Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und den Niederlanden für geboten und wie ist
der aktuelle Verhandlungsstand?
Herr Kollege Spahn, die Bundesregierung hat sich für
die Aufrechterhaltung des Museumsbetriebs in Haus
Doorn eingesetzt und zu diesem Zweck Gespräche mit
drei Bundesländern, verschiedenen Kulturstiftungen und
Wirtschaftsunternehmen geführt. Dabei ist es unstrittig,
dass diese Aufgabe nicht zur auswärtigen Kulturpolitik
gehört und daher auch nicht mit entsprechenden Bundesmitteln gefördert werden kann. Die Bemühungen der
Bundesregierung zielten daher darauf ab, eine finanzielle Zusammenarbeit interessierter deutscher Stellen
- dazu gehören vor allem Museen, die Leihgaben aus
dem Haus Doorn ausstellen - mit dem Königreich der
Niederlande zu initiieren. Leider konnte trotz intensiver
Bemühungen die Finanzierung eines deutschen Beitrages zu den Betriebskosten nicht sichergestellt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, dass die niederländische Seite die Aussagen eines Ministerialdirektors aus dem Bundeskanzleramt während eines Gesprächs im Mai 2003 als eine mündliche Zusage
gewertet hat, dass ab 2004 250 000 Euro für eine vorläufige Zwischenlösung in einem Sonderfonds zur Verfügung gestellt werden? Dies hat auf niederländischer
Seite ein sehr positives Echo gefunden. Dass dann diese
Zusage offiziell zurückgenommen wurde, hat für Unmut
gesorgt.
Herr Kollege Spahn, es trifft nicht zu, dass eine Zusage zurückgenommen worden ist. Es hat offensichtlich
ein Missverständnis hinsichtlich des Gespräches mit
Herrn Nevermann gegeben. Ich bedauere, dass es dazu
gekommen ist. Nach meiner Kenntnis ist das Missverständnis aber ausgeräumt worden.
In internen Vorgesprächen haben das Auswärtige Amt
und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien in Aussicht gestellt, sich mit einer einmaligen
Anschubfinanzierung von jeweils 50 000 Euro an dem
von niederländischer Seite für erforderlich gehaltenen
deutschen Jahresbeitrag von 250 000 Euro zu beteiligen.
Das zeigt, dass die Bundesregierung wirklich alles ihr
Mögliche getan hat, um die Aufrechterhaltung des Museumsbetriebes im Haus Doorn zu unterstützen. Da trotz
dieses Angebots die Gesamtfinanzierung nicht zustande
gekommen ist, konnte der niederländischen Seite leider
auch keine Zusage gemacht werden.
Wir kommen zu Frage 18 des Abgeordneten Albert
Rupprecht:
Könnte nach Ansicht der Bundesregierung aus dem europäischen Verfassungsvertrag in seinem momentanen Entwurf
ein Anspruch auf den Empfang von Sozialleistungen auch für
jene EU-Ausländer abgeleitet werden, die sich in Deutschland
ohne Arbeitnehmerstatus niederlassen?
Ich würde diese Frage gerne im Zusammenhang mit
Frage 19 des Kollegen Rupprecht beantworten.
Dann rufe ich auch Frage 19 des Abgeordneten Albert
Rupprecht auf:
Wenn ja, mit welchem Ziel gedenkt die Bundesregierung
im Verlauf der Verhandlungen der aktuellen Regierungskonferenz in Rom diesen Punkt zu verhandeln?
Herr Kollege Rupprecht, die Antwort auf Ihre erste
Frage lautet: Nein.
Da Ihre zweite Frage ausdrücklich die Bejahung der
ersten Frage voraussetzt, erübrigt sich logischerweise
eine Beantwortung.
Zusatzfrage, bitte schön.
Es kann weder im Interesse der Beitrittsstaaten der
Europäischen Union noch der westeuropäischen Staaten
sein, dass es zu einer Zuwanderung zu Sozialsystemen
des Nachbarlandes gibt. Ich denke deshalb, dass wir dieses Thema sehr behutsam und intensiv durchdenken und
behandeln müssen.
Meine Nachfrage: Glauben Sie nicht, dass aufgrund
des Verfassungsvertrages, und zwar konkret aufgrund
von II Art. 34, diese Frage eine neue Qualität bekommt?
Hier heißt es unter anderem, dass jeder Mensch in der
Europäischen Union, der den Wohnsitz wechselt, Anspruch auf soziale Leistungen hat.
Wäre es darüber hinaus nicht sinnvoll gewesen, im
europäischen Verfassungsvertrag präzisere Formulierungen zu wählen? Ich denke unter anderem an Vorschläge
des Ifo-Instituts, das die Position vertritt, dass ein europäischer Bürger, der in einem anderen Land Sozialleistungen beziehen möchte, diese nur nach angemessenen
Fristen bzw. innerhalb dieser Fristen nur Teilleistungen
erwerben kann, und zwar in dem Umfang, in dem er in
die sozialen Sicherungssysteme des betreffenden Landes
eingezahlt hat.
Zum ersten Teil Ihrer Frage. Durch den Verfassungsentwurf ergibt sich keine Änderung der Rechtslage im
Hinblick auf die von Ihnen gestellte Frage nach dem
Empfang von Sozialleistungen auch für jene EU-Ausländer, die sich in Deutschland ohne Arbeitnehmerstatus
niederlassen. Der von Ihnen angesprochene Artikel
schreibt ausdrücklich den Bezug auf das Unionsrecht
und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vor. Die
Einfügung der Grundrechte-Charta in den Verfassungsentwurf verbessert den Grundrechteschutz der Bürger
gegen sie belastende Akte des Unionsrechts, veränderte
jedoch nicht die in der Verfassung festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.
Der zweite Teil Ihrer Frage berührt nach meiner Auffassung nicht Verfassungsfragen, sondern Fragen, die
Gegenstand laufender Gesetzgebungsvorhaben der Europäischen Union sind.
Zweite Zusatzfrage.
Heißt das, dass die Bundesregierung der Ansicht ist,
dass es im Zuge der Erweiterung der Europäischen
Union definitiv nicht zu einer Zuwanderung zu Sozialsystemen kommen wird?
Herr Kollege, die EU arbeitet auf der Grundlage der
Verträge von Amsterdam und Nizza gegenwärtig bereits
an verschiedenen Gesetzgebungsvorhaben in den Bereichen Asyl und Einwanderung. Die Kommission hat dazu
eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die zum Teil
bereits verabschiedet, zum Teil noch in den Gremien beraten werden. Sie müssen von den Mitgliedstaaten einstimmig angenommen werden.
Bei all diesen Vorhaben trägt die Bundesregierung dafür Sorge, dass eine Einwanderung in die Sozialsysteme
nicht stattfinden kann. Damit wird noch vor dem InKraft-Treten einer künftigen Verfassung ein Grundbestand gemeinsamer Regelungen geschaffen. Sowohl für
EU-Bürger als auch für Angehörige von Drittstaaten ist
das Aufenthaltsrecht nach dem Grundbestand stets daran
geknüpft, dass der Betroffene für seinen Unterhalt selbst
aufkommen kann. Daran ändert sich auch künftig nichts.
Die Frage 20 soll schriftlich beantwortet werden. Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung. Die Fragen 21 und 22 sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Dr. Gesine
Lötzsch:
Trifft es zu - Quelle: „Report Mainz“ vom 6. Oktober 2003 -,
dass der Bundesverband Investment und Asset Management,
BVI, eine Mitarbeiterin in das Bundesministerium der Finanzen, BMF, abgeordnet hat, um mit Know-how und Ressourcen
das BMF bei der Arbeit zu unterstützen, und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Lobbygruppen, Unternehmen
und Vereinen sind im Jahr 2003 in Bundesministerien tätig gewesen?
Frau Kollegin Lötzsch, es trifft zu, dass eine Mitarbeiterin des Bundesverbandes Investment und Asset Management von Januar bis August 2003 im Bundesministerium der Finanzen tätig war. Sie war in den
Arbeitsbereich des für Investmentwesen zuständigen Referats unter der Leitung des Referatsleiters integriert.
Ziel des Einsatzes war, Praxiswissen in die konkrete Arbeit dieses Referates einzubringen.
Hinsichtlich der Zahl der externen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter möchte ich auf die Beantwortung der
schriftlichen Frage Nr. 115 des Abgeordneten Feibel verweisen. Zahlen für davon abweichende Zeiträume liegen
der Bundesregierung nicht vor, weil eine statistische Erfassung nicht erfolgt.
Frau Lötzsch, Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe nicht nach externen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gefragt, sondern der
zweite Teil meiner Frage bezieht sich ausdrücklich darauf, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
Lobbygruppen, Unternehmen usw. neben der einen genannten Mitarbeiterin - diesbezüglich haben Sie die
Frage bereits beantwortet - im Jahre 2003 in Bundesministerien tätig gewesen sind, also abgeordnet waren,
bzw. immer noch dort arbeiten.
Bezüglich der externen Zuarbeit verweise ich noch
einmal auf die Anfrage des Abgeordneten Feibel. In der
Antwort auf diese Frage wurde das genau aufgelistet.
Ansonsten gibt es keine weitere Erfassung statistischer
Art.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, in Art. 33 Abs. 4 unseres Grundgesetzes steht - ich darf zitieren -:
Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als
ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis
stehen.
In welchem Treueverhältnis befinden sich die abgeordneten Lobbyisten Ihrer Meinung nach?
Ich habe Ihnen beschrieben, welche Aufgabenstellung
diese Mitarbeiterin im Bundesfinanzministerium hatte.
Dabei ging es nicht um hoheitliche Befugnisse. Die Verschwiegenheits- und Vertrauensregularien sind in diesen
Fällen klar geregelt.
Wir kommen zur Frage 24 der Kollegin Lötzsch:
Wie will die Bundesregierung verhindern, dass die abgeordneten Personen aus ihrer Tätigkeit in einem Bundesministerium einen Informationsvorsprung gegenüber der Konkurrenz gewinnen können, und wie will die Bundesregierung
verhindern, dass durch solche Abordnungen Partikularinteressen von Lobbyisten einen prägenden Einfluss auf die Gesetzgebung bekommen?
Beschäftigte, die im Rahmen ihrer Tätigkeit in einem
Bundesministerium Zugang zu vertraulichen Informationen erhalten, haben deren Vertraulichkeit zu gewährleisten.
Das Gesetzgebungsverfahren unterliegt nach den Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung der
Bundesministerien zahlreichen Beteiligungserfordernissen, aufgrund derer beispielsweise die Ressorts entsprechend ihren Zuständigkeiten sowohl formal als auch inhaltlich auf die Gesetzesvorlage einwirken können.
Entsprechend diesen Bestimmungen sind außerdem unter anderem die Länder, kommunale Spitzenverbände,
Fachkreise und Verbände zu beteiligen, wenn ihre Belange berührt sind. Darüber hinaus unterliegt jedes Gesetzgebungsverfahren den Kontrollwirkungen der Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, um ein konkretes Beispiel zu nehmen: Können Sie ausschließen, dass bei der Erarbeitung
des Vertrages über die Erhebung der LKW-Maut für die
Benutzung von Autobahnen in den dafür zuständigen
Ministerien Lobbyisten tätig waren?
Ich möchte es mir nicht anmaßen, für einen Bereich,
in dem ich nicht tätig bin, etwas auszuschließen. Deswegen will ich Ihnen diese Frage auch nicht beantworten.
Zweite Zusatzfrage.
Das ist sehr schade. Herr Staatssekretär, könnten Sie
dafür Sorge tragen, dass mir diese Frage von einem anderen Mitglied der Bundesregierung beantwortet wird,
da ich diese Frage nicht an Sie persönlich, sondern an
die Bundesregierung gerichtet habe?
Ich denke, die Nachfragen sollten in einem bestimmten Verhältnis zu der gestellten Frage stehen. Deswegen
ist die Antwort so zu geben, wie ich Sie Ihnen eben gegeben habe.
Die Fragen 25 und 26 sollen schriftlich beantwortet
werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Die Fragen 27 und 28 sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Henry
Nitzsche:
Wann ist gemäß dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 3. Juli 2003 mit der befristeten Befreiung von der
Grunderwerbsteuer bei Fusionen von Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften in den neuen Ländern zu rechnen und welche Schritte - vergleiche Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, Bundestagsdrucksache 15/1091, Abschnitt III Ziffer 6, sowie Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates vom 9. Juli 2003, Bundestagsdrucksache 15/1407,
Anlage 2 - wurden bisher unternommen?
Herr Kollege Nitzsche, der Bundesrat hatte bereits am
23. Mai dieses Jahres beschlossen, den Entwurf eines
Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung bei Fusionen
von Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften
in den neuen Ländern beim Deutschen Bundestag einzubringen. Dieser Gesetzentwurf sieht somit schon die
vom Deutschen Bundestag Wochen später, nämlich am
3. Juli, geforderte befristete Steuerbefreiung vor. Der
Gesetzentwurf wurde dem Deutschen Bundestag gemäß
Art. 76 Abs. 3 des Grundgesetzes am 9. Juli durch die
Bundesregierung übermittelt.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass sich daneben ein eigener inhaltsgleicher Gesetzentwurf erübrigt, zumal das Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer
allein den Ländern zusteht. Die Initiative zur Änderung
von Gesetzen, die solche Ländersteuern betreffen, sollte
von den Ländern ausgehen. Dieser ständige Grundsatz
wird ebenso in anderen Fragen vertreten, was auch hier
geschehen ist.
Wegen der in der Stellungnahme der Bundesregierung
genannten verfassungsrechtlichen und europarechtlichen
Bedenken waren die neuen Länder um eine Stellungnahme gebeten worden. Diese wurde inzwischen abgegeben und wird zurzeit dem Finanzausschuss des
Deutschen Bundestages übermittelt, um gegebenenfalls
in die Entscheidung Eingang zu finden.
Da das Vorhaben als staatliche Beihilferegelung im
Sinne des Art. 87 Abs. 1 des EG-Vertrages der Europäischen Kommission zur Genehmigung vorzulegen ist, beabsichtigt die Bundesregierung, dieses Notifizierungsverfahren in Absprache mit den neuen Ländern parallel
zum Gesetzgebungsverfahren einzuleiten; denn vor einer
abschließenden Entscheidung der Kommission darf die
geplante Steuerbefreiung nicht in Kraft gesetzt werden.
Herr Nitzsche, eine Zusatzfrage?
({0})
Dann kommen wir zur Frage 30 des Kollegen Uwe
Schummer:
Verfügt die Bundesregierung über Berechnungen über die
unterschiedlichen Belastungen der Bürger durch die Reformgesetze der Agenda 2010 einschließlich der geplanten Steuersenkung ab 2004, so wie das von der Bundesregierung auf ihrer Hardenberg-Klausurtagung vereinbart worden ist, und,
wenn ja, zu welchem Ergebnis kommen diese?
Herr Kollege Schummer, die in Ihrer Frage enthaltene
Behauptung konnte ich nicht verifizieren. Deshalb lassen Sie mich Folgendes antworten: Zusammenfassende
Berechnungen über die unterschiedlichen Wirkungen
der verschiedenen Reformmaßnahmen liegen nicht vor.
Im Hinblick darauf, dass die von der Bundesregierung
vorgeschlagenen Reformmaßnahmen verschiedene Personenkreise ansprechen, hätten logischerweise derartige
Berechnungen nur eine eingeschränkte Aussagekraft.
Das Leben ist nun einmal vielfältig. Daher können manche Gruppen mehrfach betroffen sein.
Hinsichtlich des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Vorziehens der dritten Stufe der Steuerreform
wird deutlich, dass insbesondere Verheiratete steuerlich
besonders stark entlastet werden. So reduziert sich beispielsweise die Einkommensteuerbelastung einschließlich Solidaritätszuschlag eines Verheirateten mit einem
Jahresbruttolohn von 32 500 Euro - darin sind schon Arbeitnehmerpauschbetrag, Sonderausgabenpauschbetrag
und Vorsorgepauschale berücksichtigt - um 23,4 Prozent
gegenüber der Steuerschuld, die er bei einem gleichen
Einkommen in diesem Jahr hat. Ein verheirateter Arbeitnehmer mit einem Jahresbruttolohn von weit mehr als
32 500 Euro, beispielsweise 55 000 Euro, wird im kommenden Jahr gegenüber 2003 durch unsere Steuerreform
um rund 10 Prozent entlastet. Bei gleichen Jahresbruttolöhnen sparen Ledige 9,6 bzw. 9,4 Prozent ihrer bisherigen Steuerschuld.
Zusatzfrage, Kollege Schummer.
Es ging weniger um die Darstellung einer Steuerstufe
als um die Berechnung der Gesamtbelastung eines
durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalts im Jahr 2004
durch alle beschlossenen oder beabsichtigten Maßnahmen, einschließlich der in der Agenda 2010. Muss ich
davon ausgehen, dass es eine solche Gesamtberechnung
für einen durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt für
das Jahr 2004 nicht gibt und nicht geben wird? Was halten Sie vor diesem Hintergrund von einer entsprechenden Berechnung der Gewerkschaft Verdi, wonach die
Gesamtbelastung eines durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushaltes mit zwei Kindern im nächsten Jahr trotz
Ihrer Steuerreform drastisch ansteigen wird?
Herr Kollege, ich würde gerne einmal anhand konkreter Fälle nachvollziehen können, welche Gruppe man
unter einem durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalt
versteht. Gehört dazu ein Arbeitnehmer, der pendelt,
oder ein Arbeitnehmer, der nicht pendelt? Pendelt dieser
Arbeitnehmer eine weite Strecke oder eine kurze? Hat er
die Absicht, im nächsten Jahr ein Eigenheim zu bauen,
oder hat er diese Absicht nicht? Ist er in Arbeit oder arbeitslos? Welche zusätzlichen Ansprüche kann er geltend machen?
Ich würde raten, das an einem konkreten Beispiel festzumachen. Dann kann man nachvollziehbar darlegen,
wie sich die Belastungen bzw. Entlastungen auswirken.
Zweite Zusatzfrage, Herr Schummer.
Die Frage war: Liegen entsprechende optionale Berechnungen vor oder ist vorgesehen, solche Berechnungen durchzuführen?
Herr Kollege, ich hatte eingangs gesagt und wiederhole jetzt: Zusammenfassende Berechnungen über die
unterschiedlichen Wirkungen der verschiedenen Reformmaßnahmen liegen nicht vor.
Die Fragen 31 und 32 sollen schriftlich beantwortet
werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, die Fragen 33 bis 36, sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Iris Gleicke zur Verfügung. Die
Fragen 37 und 38 sollen schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 39 des Abgeordneten
Nitzsche:
Ist beabsichtigt, den kommunalen Eigenanteil bei der Aufwertung innerhalb des Stadtumbauprogramms Ost auf Dritte
zu übertragen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Abgeordneter Nitzsche, nein, die Übernahme des kommunalen Eigenanteils durch einen Dritten ist bereits
heute möglich, wenn der Dritte unbeteiligt ist, das heißt,
nicht selbst gefördert werden soll. Die Aufbringung des
kommunalen Eigenanteils durch einen Empfänger der
Förderung, zum Beispiel eine Wohnungsbaugesellschaft,
widerspräche dem Grundsatz, dass Förderer und Förderungsempfänger nicht identisch sein können.
Zusatzfrage, Herr Nitzsche.
Frau Staatssekretärin, ist vielleicht daran gedacht,
dass man bei der Aufwertung innerhalb des Stadtumbauprogramms die Bereitstellung des Eigenanteils splitten
könnte, sodass bei öffentlichen Vorhaben der Eigenanteil
der Gemeinde zum Beispiel durch Wohnungsbaugesellschaften erbringbar wäre? Ich meine eine Trennung in
öffentliche und nicht öffentliche Formen.
Herr Kollege Nitzsche, der Aufwertungsteil beträfe
beispielsweise nach dem Abriss eines Wohnblocks die
Erstellung eines Parks. Es ist vollkommen klar: Ein
Wohnungsbauunternehmen, das wir fördern, weil es in
seiner Existenz bedroht ist, und das einen Block abreißen kann, kann nicht selber zu dieser Förderung herangezogen werden. Das kann nicht funktionieren. Gleichwohl ist es jetzt schon möglich, dass sich statt der
Kommune beispielsweise ein anderer Träger, zum Beispiel eine Stiftung, bereit erklärt, eine Maßnahme wie
die Errichtung eines solchen Parks zu fördern, also den
kommunalen Eigenanteil zu übernehmen. Das kennen
wir aus anderen Bereichen, Herr Kollege Nitzsche. Sie
wissen, dass wir diese Förderkriterien auch bei der Städtebauförderung bzw. beim Denkmalschutz haben. In diesen Bereichen kennen wir solche Übernahmen von kommunalen Eigenanteilen, beispielsweise auch durch die
Stiftung Denkmalpflege.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Ich habe noch eine letzte Frage: Gibt es Überlegungen, bei der Aufwertung eine generelle Trennung in einen öffentlichen und privaten Bereich vorzunehmen?
Nein. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das auseinander gedröselt werden soll. Wir haben bei der Vorbereitung der Verwaltungsvereinbarung für das Jahr 2004
auch mit den Ländern darüber gesprochen, ob es bei dem
Grundsatz bleiben soll, dass ein Wohnungsunternehmen
den kommunalen Eigenanteil nicht selber übernehmen
kann. Die Länder sprechen sich klar dafür aus, den
Grundsatz beizubehalten, dass Förderempfänger und
Förderer nicht identisch sein können.
Die Fragen 40 und 41 sollen schriftlich beantwortet
werden. - Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Gemäß I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse hat die Fraktion der CDU/CSU zur Antwort der Bundesregierung
auf die Fragen 14 und 15 des Kollegen Eckart von
Klaeden eine Aktuelle Stunde verlangt.
Die SPD wiederum beantragt, dass die Aktuelle
Stunde zur vorgesehenen Zeit, nämlich um 15.30 Uhr,
stattfindet.
({0})
- Um 15.40 Uhr?
({1})
- Wenn Sie 15.40 Uhr vorschlagen, dann übernehmen
wir das.
Wir unterbrechen jetzt die Sitzung. Sie wird um
15.40 Uhr fortgesetzt.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Die Fraktion der CDU/CSU hat eine Aktuelle Stunde
zu der Antwort der Bundesregierung auf die Fragen 14
und 15 in der Fragestunde verlangt. Dies entspricht Nummer I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von
allgemeinem aktuellen Interesse. Die Aktuelle Stunde ist
unmittelbar nach der Fragestunde durchzuführen.
Ich rufe daher auf:
Aktuelle Stunde
zu Vorermittlungen im Bundeskanzleramt zum
Verdacht der Akten- und Datenvernichtung
Ich erteile als erstem Redner dem Kollegen Eckart
von Klaeden das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes wegen angeblicher Datenänderung und
Aktenvernichtung ist eingestellt. Herr Staatsminister
Schwanitz, daran können auch Sie nichts ändern, obwohl
Sie eben in der Fragestunde versucht haben, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken.
({0})
Sie haben nämlich behauptet, Sie warteten noch auf einen Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Köln bzw.
der Staatsanwaltschaft Bonn in dieser Frage.
({1})
Tatsächlich hat aber das Bundeskanzleramt mit Schreiben vom 16. Oktober dieses Jahres der Generalstaatsanwaltschaft angekündigt, dass es nicht gemäß § 172 StPO
vorgehen will. Das heißt, dass Sie weder gegen die Einstellungsverfügung eine Beschwerde im Sinne der Strafprozessordnung eingelegt haben noch versucht haben,
ein Klageerzwingungsverfahren anzustrengen. Sie haben
mit dem besagten Schreiben ausdrücklich darauf verzichtet. Einen Einstellungsbescheid zu erwarten, obwohl
Sie selber auf eine Beschwerde verzichtet haben, stellt
das Verfahren auf den Kopf. Sie haben also im Zusammenhang mit diesem Verfahren ein weiteres Mal versucht, im Bundestag einen falschen Eindruck zu erwecken. Ich frage mich, ob dahinter Vorsatz oder nur
Unkenntnis steckt.
({2})
Wir befassen uns mit einem einmaligen Vorgang in
der Geschichte der Bundesrepublik; denn noch nie hat
eine Bundesregierung versucht, ihre Vorgängerregierung
auf eine derartig infame Art und Weise in ein kriminelles
Licht zu rücken.
({3})
1999 ist es der Bundesregierung fast genauso ergangen
wie jetzt: Die SPD hat eine Reihe von Landtagswahlen
verloren und hat sich laut Umfragen der 20-ProzentMarke gefährlich genähert. Angesichts dessen ist sie der
Idee verfallen, einen zu diesem Zeitpunkt schon lange
bekannten Vorgang, nämlich den Umstand, dass vor dem
Regierungswechsel 1998 Unterlagen in einem geringen
Umfang nach Rückkehr vom Treuhanduntersuchungsausschuss nicht aufzufinden waren, zum Anlass für eine
parlamentarische Inszenierung zu nehmen.
({4})
Herr Hofmann, es handelt sich dabei um Akten, die jahrelang den SPD-Abgeordneten selber im Untersuchungsausschuss vorgelegen haben.
Es ist weiterhin behauptet worden, Daten seien
rechtswidrig gelöscht worden, und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass es ständige Praxis des Bundeskanzleramtes ist, dass dauerhaft aufzubeEckart von Klaeden
wahrende Daten nicht als Datei, sondern in Papierform
zu den Akten zu verfügen sind. Sowohl damals als auch
heute gilt im Bundeskanzleramt die Anweisung, dass
Daten regelmäßig zu löschen sind.
({5})
Die Staatsanwaltschaft Bonn hat Ihnen in ihren Vermerken mehrfach nachgewiesen, dass es zu den von Ihnen
behaupteten Datenlöschungen nicht gekommen ist und
dass insbesondere die Festplatte, mit der Sie die von
Ihnen behauptete Datenlöschung hätten nachweisen
können, nicht in der Verantwortung von Helmut Kohl,
sondern von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundeskanzleramt vernichtet worden ist.
({6})
Es ist bedauerlich, dass sich jemand wie Burkhard
Hirsch für ein derartiges Verfahren hergegeben hat und
dass Sie immer wieder versucht haben, mit Beschwerden
und Anzeigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Bundeskanzleramtes zu diskreditieren. Sie haben nicht
die Courage gehabt, sich mit dem politischen Gegner
auseinander zu setzen, sondern die Feigheit besessen,
immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Bundeskanzleramtes mit Strafverfahren und Beschwerden zu überziehen.
({7})
Ich möchte Ihnen mitteilen, was der ehemalige Chef des
Bundeskanzleramtes, Ihr Parteifreund Bodo Hombach,
über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes am 18. Juni 2003 gesagt hat:
({8})
Und die Mitarbeiter, die ich aus der Vergangenheit
übernommen hatte - ich habe ja drei Monate mit
dem persönlichen Referenten von Herrn Bohl weitergearbeitet -, waren außerordentlich loyal. Ich
habe keinen Verdacht zu erheben.
Bodo Hombach hat zu den Vorwürfen, die Sie erhoben haben, gesagt:
Dass in großem Stil Akten im Bundeskanzleramt
vor der Amtsübergabe vernichtet worden sind, dafür gibt es keine Beweise. Die „Bundeslöschtage“
hat es nie gegeben.
({9})
In demselben Zusammenhang hat er gesagt:
Da, wo ich aus der Vergangenheit Informationen
wollte, da, wo ich nach Akten verlangt habe, da
wurden die mir vorgelegt.
({10})
Ein bezeichnendes Beispiel für die Art und Weise, in
der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes von Ihnen diffamiert worden sind, sind die
Aussagen des früheren Staatsministers im Kanzleramt
Naumann, der im Deutschen Bundestag behauptet hat:
Eine solche Suche
- nämlich nach Akten erübrigt sich im Grunde genommen aufgrund des
skandalösen, streckenweise offenkundig auch kriminellen Tatbestandes der Vernichtung von Akten
- über eine Million Seiten sind verschwunden -, jedenfalls so lange, bis dieser Vorgang geklärt ist.
({11})
Damit wird das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung auf den Kopf gestellt.
({12})
Sie haben dieses Verfahren inszeniert, um die Vorgängerregierung zu diffamieren. Sie haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kanzleramts in völlig unverantwortlicher Weise für Ihre parteipolitischen Zwecke
missbraucht.
({13})
Es ist an der Zeit, dass sich diese Regierung für dieses
Vorgehen entschuldigt. Wir werden dieses Vorgehen
noch weiter parlamentarisch untersuchen.
({14})
Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Rainer Wend.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich am Montagmorgen beim Frühstück saß,
habe ich mir überlegt, zu welchem Thema die CDU/
CSU in dieser Woche eine Aktuelle Stunde beantragen
würde. Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Sie
die merzschen Steuerreformvorschläge zum Thema machen würden.
({0})
Vermutlich haben Sie sich aber überlegt, dass wir Ihnen
Folgendes vorrechnen würden: Der gut verdienende
Fernsehintendant oder auch Bundestagsabgeordnete profitiert zwar, aber die Krankenschwester, die Nachtarbeit
leistet, ist die große Verliererin dieser Steuerreform.
({1})
Vielleicht hätten Sie sich sogar von der CSU anhören
müssen, dass der Stufentarif von Herrn Merz dummes
Zeug und im Übrigen die ganze Lösung sozial ungerecht
ist. Von daher habe ich verstanden, dass Sie diese Aktuelle Stunde nicht wollen.
Aber ein bisschen überrascht war ich dann doch darüber, dass Sie die bedauerlicherweise schon fast vergessene Skandalgeschichte um die Parteispenden Ihres
früheren Kanzlers Helmut Kohl zum Thema der Aktuellen Stunde gemacht haben, das also selber noch einmal
auf die Tagesordnung gebracht haben.
({2})
Aber sei es drum! Sie wollen offensichtlich gern an die
1 Million DM erinnert werden, die in der Schweiz auf einem Parkplatz in einem Lederkoffer von dem Waffenhändler Schreiber an den CDU-Schatzmeister überreicht
worden und auf einem Schwarzgeldkonto verschwunden
sind.
({3})
Sie wollen offensichtlich gern daran erinnert werden,
dass die Eheleute Ehlerding den Zuschlag für den Kauf
von Wohnungen bekommen haben, obwohl sie
1 Milliarde DM weniger geboten haben als der Konkurrent, und dass sie einige Tage später die größte Parteispende in der Geschichte der CDU in Höhe von 5,9 Millionen DM geleistet haben, die auf einem Schwarzgeldkonto von Helmut Kohl verschwunden sind.
({4})
Sie wollen offensichtlich daran erinnert werden, dass
Helmut Kohl bis heute die Namen dieser Spender noch
nicht genannt hat
({5})
und dass Sie als Partei bis heute nichts unternommen haben, insbesondere keine Auskunftsklage erhoben haben,
um herauszubekommen, von wem diese Spendengelder
in Millionenhöhe gekommen sind. Sie werden wissen,
warum Sie das von Helmut Kohl bis heute noch nicht
verlangt haben.
Ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf mit dem
Stichwort Wuppertal. Ich könnte auch das Stichwort
Köln ergänzen. Das Bittere ist, dass Kreisfunktionäre
von CDU und SPD in Köln
({6})
Spenden an Parteien anonymisiert haben, was schon ein
Skandal ist. Dass aber ein früherer Bundeskanzler dies
für Beträge in Millionenhöhe getan hat, ist ein doppelter
Skandal, den Sie sich vorrechnen lassen müssen, meine
Damen und Herren!
({7})
Zu all den Dingen, die damals gelaufen sind, sagen
Sie heute: Schwamm drüber. Herr Hirsch ist der Übeltäter. Die neue Bundesregierung diffamiert die alte Bundesregierung.
Man muss die alte Bundesregierung gar nicht diffamieren. Erinnern Sie sich doch bitte nur daran, dass ein
früherer beamteter Staatssekretär im Verteidigungsministerium per Haftbefehl gesucht wird und flüchtig ist!
Solche Leute waren Teil der damaligen Bundesregierung.
({8})
Von daher kann von einer Diffamierung der früheren
Bundesregierung gar nicht die Rede sein.
({9})
Ich will Ihnen auch vorhalten, was im Kanzleramt allerdings bis heute fehlt. Bereits 1997 waren sechs Bände
der Leuna-Akte komplett verloren. Im Sommer 1998
stellte die Registratur des Bundeskanzleramtes das Fehlen eines weiteren Bandes der Leuna-Akte fest. Im Februar 2000 stellte man beim Versuch der Aktenrekonstruktion über das IT-System fest, dass für den Zeitraum
vor Oktober 1998 auffallend weniger Dokumente als für
spätere Zeiträume gespeichert sind. Disziplinarische
Vorermittlungen wurden eingeleitet.
Wer dies angesichts der Auffälligkeiten in Bezug auf
die Aktenlage im Kanzleramt zur damaligen Zeit - es
handelt sich um einen Parteispendenskandal - vergessen
machen will, heute von Diffamierungen redet und in der
Presse den Sonderermittler Hirsch in der Tat diffamiert,
der macht sich in besonderer Weise des Tatbestandes
schuldig, dass er die Täter zu Opfern stilisiert. Das können wir nicht akzeptieren.
({10})
Was Herrn Hirsch angeht, kann ich zusammenfassend
nur feststellen: Aus meiner Sicht hat er in einer besonnenen, akribischen Weise
({11})
das, was sozusagen auf der Hand liegt - die nachfolgenden Redner werden Ihnen das zeigen -, ermittelt.
({12})
Dabei hat er festgestellt, dass das, was im Kanzleramt
gelaufen ist, nicht in Ordnung war.
Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Es ist
wohl wahr, dass es peinlich gewesen wäre, hier über die
Steuervorschläge von Herrn Merz zu diskutieren. Was
Sie hier allerdings veranstalten, ist angesichts des düstersten Kapitels Ihrer Partei und Ihres früheren Kanzlers
in der vorletzten Legislaturperiode weitaus peinlicher.
Arme CDU!
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben wieder einmal den Unterschied zwischen einer Parlamentsdebatte und einem Gerichtsverfahren: Im Gerichtsverfahren kann der Angeklagte
seinen Verteidiger wenigstens selbst wählen. Herr Kollege Wend, ich bin sicher, dass Burkhard Hirsch Sie
nicht als Verteidiger gewählt hätte.
({0})
Sie haben in dieser Aktuellen Stunde damit begonnen
- das war zu befürchten -, gegenseitige Schuldzuweisungen in Bezug auf Vorgänge, die wir in der letzten Legislaturperiode behandelt haben, vorzunehmen.
({1})
Worum geht es eigentlich? Die CDU/CSU hat diese
Aktuelle Stunde beantragt, weil die Staatsanwaltschaft
Bonn die Ermittlungen wegen Aktenvernichtungen und
Datenschwund im Kanzleramt eingestellt hat. Welche
Konsequenzen ergeben sich daraus? Dazu muss ich Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/
CSU, allerdings sagen: Sie - weder Sie, Herr von
Klaeden, noch der CSU-Landesgruppenvorsitzende,
Michael Glos - haben mit Verbalinjurien im Vorfeld dieser Aktuellen Stunde nicht gespart.
({2})
Ich zitiere aus einer AP-Meldung von gestern eine
Aussage von Michael Glos:
Diejenigen, die die Behauptungen aufgestellt hätten, seien jetzt als Lügner entlarvt worden. Sowohl
Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch sein
- man beachte die Wortwahl Helfershelfer Hirsch stünden als Verleumder da.
({3})
Das sind starke Worte. Ich sage Ihnen eines: Starke
Worte deuten oftmals auf schwache Fakten und Argumente hin.
({4})
Genau so ist es.
Tatsache ist: Der Untersuchungsausschuss der letzten
Legislaturperiode hat ergeben, dass der Vorwurf, die Regierung Kohl/Genscher sei politisch korrupt gewesen,
nicht erwiesen ist und nicht zutrifft. Deswegen war es
gerade für mich, der ich dieses Ergebnis hier immer verteidigt habe, besonders ärgerlich, dass die Aktenführung
im Kanzleramt in Bezug auf diejenigen Punkte, die in
diesem Untersuchungsausschuss zu klären waren, Auffälligkeiten aufwies. Es geht um das Thema „Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien“, es geht um die LeunaAkten und es geht allgemein um den Datenbestand im
Kanzleramt.
Eine weitere Tatsache ist - das lässt sich nicht leugnen -, dass die Originale von sechs Aktenbänden zu
Leuna im Kanzleramt fehlen.
({5})
Es fehlen die Kopien. Es existieren Zweitkopien, die
man aus dem Bundesfinanzministerium hat. Heute kann
man daher nicht mehr rekonstruieren, ob die Zweitkopien mit dem Original übereinstimmen.
Ich möchte auf den Vorgang „Lieferung von Spürpanzern nach Saudi-Arabien“ zu sprechen kommen. Da
weist die Akte im Bundeskanzleramt eine auffällige zeitliche Lücke von zweieinhalb Jahren auf. Diese Lücke
betrifft genau den Zeitraum, in dem die damalige Bundesregierung - übrigens aus nachvollziehbaren außenpolitischen Gründen - entschieden hat, dass entgegen der
früheren Praxis diese Panzerlieferung genehmigt wird.
Die Akte lebt, wie man so sagt, vorher und sie lebt nachher. Also ist es auffällig, dass es diese Lücke gibt.
Zu dem Datenschwund sage ich Ihnen: Es ist nach
wie vor so, dass es beim Regierungswechsel 1998 einen
Datenschwund von mindestens 1 Gigabyte im Kanzleramt gegeben hat.
({6})
Das entspricht, um es anschaulicher darzustellen, etwa
250 000 beschriebenen Schreibmaschinenseiten.
Wenn all dies sich so verhält - das ist nach wie vor so -,
dann bestand aller Anlass, da genauer hinzuschauen und
Vorermittlungen zu führen. Mit diesen Vorermittlungen
ist Burkhard Hirsch beauftragt worden. Er hat sie nach
Recht und Gesetz durchgeführt.
({7})
Jetzt argumentieren Sie, daran, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt habe, sehe man, dass es
sich um eine große Inszenierung handele
({8})
und an all dem nichts dran sei. Damit verkennen Sie völlig, dass es ein totaler Unterschied ist, ob man, wenn es
gewisse Verdachtsmomente gibt, die ich Ihnen dargestellt habe, in Vorermittlungen eintritt - übrigens Vorermittlungen zu Disziplinarverfahren; die eigentlichen
Disziplinarverfahren sind von Burkhard Hirsch gar nicht
durchgeführt worden, weil er das als Nichtbeamter ja gar
nicht hätte machen können - oder ob eine Staatsanwaltschaft am Ende langwieriger Ermittlungen zu dem Ergebnis kommt, keine Anklage erheben zu wollen.
Das kann viele Gründe haben. Das kann den Grund
haben, dass zwar Akten vernichtet oder aus dem Kanzleramt mitgenommen worden sind, die dort hätten bleiben müssen, aber der Vorsatz bei demjenigen, der das
gemacht hat, nicht nachweisbar war, weil der gar nicht
wusste, dass er sie dort hätte belassen müssen. Das kann
den Grund haben, dass Daten gelöscht worden sind, aber
man nicht mehr feststellen kann, ob möglicherweise die
Berechtigten mit der Löschung einverstanden waren.
({9})
Das kann etwa zum Grund haben - ich beziehe mich auf
die Panzerlieferungen -, dass man nach zehn oder zwölf
Jahren nicht mehr feststellen kann, ob es dazu einmal
Originalakten gegeben hat, und man jetzt nicht mehr klären kann, ob solche Originalakten vernichtet worden
sind. Natürlich gilt in all diesen Fällen der Satz: in dubio
pro reo.
Meine Damen und Herren, wenn eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen einstellt, dann freut mich das für die
betroffenen Beschuldigten. Es wäre ungut gewesen,
wenn es notwendig gewesen wäre, hohe Beamte wegen
Aktenvernichtung und Urkundenunterdrückung vor Gericht zu stellen. Das heißt aber nicht, dass alles in Ordnung gewesen ist. In Wahrheit heißt das: Es gab Anlass,
genauer hinzuschauen. Genau das hat Burkhard Hirsch
gemacht. Deswegen sollten Sie ihm gegenüber zu einem
zivilisierten Umgangston zurückkehren.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Christian
Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Fakt ist, dass es zum Zeitpunkt des Regierungswechsels 1998 im Bundeskanzleramt Datenlöschungen gab.
({0})
Fakt ist auch, dass Akten fehlen. Im so genannten
Leuna-Komplex beispielsweise … sechs Bände mit
Originalen und Kopien.
Das habe nicht ich festgestellt, sondern der zuständige
Generalstaatsanwalt in Köln. Ich habe das aus dem
„Spiegel“ vom 30. Juni 2003 zitiert. Damit sollten Sie
sich auseinander setzen. Uns sollten Sie in dieser Aktuellen Stunde erklären, warum diese Akten weggekommen sind und wo sie sich befinden.
({1})
Der Generalstaatsanwalt hat in diesem Interview am
Ende gesagt: Ein Vorsatz sei für die Staatsanwaltschaft
- jedenfalls bis zu diesem Interview - nicht erkennbar.
In dieser Einschätzung folge ich dem Herrn Generalstaatsanwalt nicht, weil es auf der Hand liegt, dass vorsätzlich gehandelt wurde:
Warum wurden gerade diejenigen Akten nicht gefunden - der Kollege Stadler hat es vorhin ein bisschen vorsichtiger formuliert -, die hinsichtlich des Komplexes
Leuna besonders interessant waren, die schon vorher
zwei Untersuchungsausschüsse beschäftigt hatten und
die das Panzergeschäft mit Saudi-Arabien - ich komme
gleich noch auf einen dritten Fall zu sprechen - betrafen? Warum finden sich gerade für diesen kritischen
Zeitraum von anderthalb Jahren keine Akten? Es gibt für
die Zeiträume davor und danach Akten; aber es finden
sich keine Akten für den Zeitraum, in dem das Geschäft
zustande gekommen und abgewickelt worden ist.
Es finden sich beispielsweise keine Akten über das
Panzergeschäft mit Saudi-Arabien. Das Geschäft ist zustande gekommen und abgewickelt worden in der Zeit
von Oktober 1990 bis April/Mai 1991. Gerade für diesen
Zeitraum fehlen die Akten. Sie fehlen auch für die Zeiträume danach, in denen die Bestechungsgelder, die aus
dem Deal mit Saudi-Arabien stammen, geflossen sind.
Die Fragen „Wo ist das Motiv? Wo ist der Vorsatz?
Was könnte dahinter stecken?“ lassen sich beantworten,
wenn man sich einmal anschaut, welche Akten weggekommen sind. Ich hätte von Ihnen erwartet, Sie hätten
hierüber gegenüber dem damaligen Untersuchungsausschuss, dessen Mitglieder fast vollständig anwesend
sind, sowie gegenüber dem Bundestag und der Öffentlichkeit Rechenschaft abgelegt.
Ich will zu einem dritten Komplex kommen. Die Lateiner hätten gesagt: Si tacuisses, philosophus mansisses.
- Übertragen auf diesen Fall könnte man den Satz so
übersetzen: Wenn Sie geschwiegen hätten, dann hätte
sich niemand mehr mit dieser Sache beschäftigt. Aber
Sie wollen, dass man darüber redet. Ich möchte Sie daher ernsthaft hinsichtlich dieses dritten Komplexes fragen: Warum waren die Akten über das Milliardengeschäft Bearhead, die es im Kanzleramt gab, in der Akte
„Weinbrennerei Rüdesheim“ versteckt?
({2})
Was hat die Akte über ein geplantes Panzergeschäft in
Kanada in Milliardenhöhe in der Akte „Weinbrennerei
Rüdesheim“ zu suchen?
({3})
Es gibt da einen Verdacht, den ich schon häufiger ausgesprochen habe. Nachdem der Kollege Hirsch diese
Akten gefunden und sie dem Untersuchungsausschuss
dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hatte, haben
wir uns diese Akte angeschaut. Wir haben dabei festgestellt, dass es in diesen Akten eine Visitenkarte des Waffenhändlers Schreiber gibt. Auf der Visitenkarte findet
sich eine handschriftliche Notiz des damaligen Bundeskanzlers. Diese Notiz wurde auf die Visitenkarte geschrieben, bevor der damalige Bundeskanzler nach HaliHans-Christian Ströbele
fax in Kanada gefahren ist, um gemeinsam mit dem
damaligen Wirtschaftsminister Rexrodt dieses Panzergeschäft in Kanada zu unterstützen und dafür bei der kanadischen Regierung zu werben.
Es gibt einen Zusammenhang, der uns in die heutige
Zeit führt.
({4})
Denn zehn Tage bevor diese Visitenkarte ausgehändigt
worden ist,
({5})
war der Waffenhändler Schreiber bei Ihrem Kandidaten
für das Amt des Bundespräsidenten, bei Herrn
Dr. Schäuble, und zwar im Nachgang einer Spende von
Herrn Schreiber in Höhe von 100 000 DM, die Herr
Dr. Schäuble illegalerweise angenommen hat. Da liegen
die Zusammenhänge, die aufgeklärt werden müssen. Wir
wollen von Ihnen gerne wissen, wie es im Einzelnen gewesen ist. Warum sind damals gerade diese wichtigen
Akten im Kanzleramt verschwunden und warum sind die
Unterlagen über das Panzergeschäft in die Akte „Weinbrennerei Rüdesheim“ gesteckt worden?
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Diese Fragen beantworten Sie nicht. Sie halten sich
an einem Punkt auf, der mit der Sache überhaupt nichts
zu tun hat.
Ich bin dankbar, dass Sie heute diese Aktuelle Stunde
beantragt haben. So können wir die Fakten noch einmal
auf den Tisch legen und können der Öffentlichkeit all
das in Erinnerung rufen, was Sie in der damaligen Zeit
gemacht haben.
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen.
Der Aktenschwund und die Löschung der Dateien
sind nur der kleinere Teil von dem, was der Untersuchungsausschuss damals aufgeklärt hat.
Danke sehr.
({0})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Wolfgang Bosbach das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Ströbele hat gerade aus einem Interview mit Herrn
Generalstaatsanwalt Linden zitiert. Das Entscheidende
hat er bewusst weggelassen. Es lautet:
Es gibt nach den bisherigen Feststellungen der
Staatsanwaltschaft keinen relevanten Hinweis auf
eine Tat oder einen Täter.
Deswegen - in dubio pro reo - sind alle Ausführungen,
die Sie gemacht haben, grober Unfug.
({0})
Sie klammern sich an eine Theorie, von der Sie wissen,
dass sie falsch ist, in der Hoffnung, dass sie verbreitet
wird, in der Erwartung, dass die Bevölkerung sie glaubt.
Das ist schäbig.
({1})
Helmut Kohl schreibt in seinem Tagebucheintrag vom
26. Juni 2000:
({2})
Vorab berichtet die Presse über den Abschlussbericht von Burkhard Hirsch, aus dem hervorgeht, dass
nach der Wahlniederlage 1998 in noch größerem Stil
als bisher vermutet brisante Datenbestände im
Kanzleramt vernichtet worden sein sollen. … Meine
erste Reaktion auf die Medienberichte: Ich verlange
zum wiederholten Male, dass die Bundesregierung
Anzeige gegen unbekannt erstattet und sich die
Staatsanwaltschaft und ein ordentliches Gericht mit
dem Verschwinden der Akten beschäftigen. Ich bin
sicher, dass ein solches rechtsstaatliches Verfahren
- im Gegensatz zur Meinung von Herrn Hirsch - zu
ganz anderen Ergebnissen kommen wird. Zu befürchten ist allerdings, dass das tatsächliche Ergebnis des Verfahrens dann kaum eine angemessene
Veröffentlichung finden wird.
Das ist ja genau das, worauf Sie spekulieren: unbewiesene Behauptungen, Verdächtigungen, Verleumdungen
({3})
auf der Titelseite, als Fünfspalter. Dann, zwei, drei Jahre
später, die Einstellungsverfügung auf Seite 3 oder möglicherweise sogar noch zwischen Kleinanzeigen versteckt. Ihr Ziel haben Sie jedenfalls erreicht.
({4})
Denn die ganze Nummer wird ja veranstaltet in der
Hoffnung, dass die Menschen draußen glauben: Wo
Rauch ist, ist auch Feuer; da wird schon etwas dran sein.
So verfahren Sie.
({5})
In der Einstellungsverfügung des Leitenden Oberstaatsanwaltes heißt es:
Hinsichtlich des Vorwurfs der Datenlöschung …
hat sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet. Hinsichtlich des Vorwurfs der Aktenvernichtung …
fehlt es … an dem Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten.
({6})
Es gibt überhaupt keine Täter. Die gibt es nur in Ihrer
Fantasie. Das ist gerade der große Unterschied, der zwischen uns besteht:
({7})
Sie wollen den Menschen von morgens bis abends einbläuen, dass Ihre Vorgängerregierung politisch käuflich,
also korrupt gewesen sei.
({8})
- Nein, Herr Ströbele, das ist nicht so gewesen.
({9})
Sie wissen, dass der Untersuchungsausschuss das Gegenteil ermittelt hat. Herr Ströbele, wenn irgendwer die
ungeeignetste Person zur Verteidigung des Rechtsstaates
ist, dann ist es der Abgeordnete Christian Ströbele. Das
möchte ich hier auf den Punkt bringen.
({10})
Selbst Hans Leyendecker, der ja nun wirklich nicht in
dem Verdacht steht,
({11})
besonders freundlich über die Union zu schreiben,
({12})
hat vor kurzem in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ eingestanden:
Aber andere Sachen, wie die so genannten „Bundeslöschtage“, sind ihm schon deshalb nicht anzulasten, weil es sie nicht gegeben hat. Leider sind nicht
alle Leser an Differenzierung interessiert. … Das ist
bei den Partygesprächen über die Datenlöschungen
auch so.
({13})
Neulich bin ich bei einer Veranstaltung „Zeit“-Lesern begegnet, und die legten sofort los: Daß die
Bonner Staatsanwälte Versager oder Korruptis
seien, daß unzulänglich ermittelt worden sei, daß
ein gravierender Verdacht bestehen bleibe. Die ließen sich durch kein Argument beirren, ohne irgendeine Akte oder Vernehmung gelesen zu haben.
Einfach, weil ihnen die Bundeslöschtage-Version
besser gefiel.
Sie sind genau solche Partyplauderer, über die sich Hans
Leyendecker in dem Artikel beklagt.
({14})
Die Tätigkeit von Burkhard Hirsch war nicht rechtmäßig,
({15})
sie war rechtswidrig. Über das Treiben von Burkhard
Hirsch gibt es ein umfangreiches Sachverständigengutachten von einem der renommiertesten deutschen Verwaltungsrechtler, Professor Battis, Berlin. Er hat eindeutig festgestellt, dass die Tätigkeit rechtswidrig war.
Der erhebliche Unterschied liegt jedoch in Folgendem: Wenn es einen Regierungswechsel gibt, dann wird
- das ist immer so gewesen - die Vorgängerregierung
kritisiert. Immer wenn es eine neue Regierung gibt, wird
der Bevölkerung ein neues Zeitalter verkündet; das wird
auch 2006 vermutlich so sein.
({16})
Aber in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik
Deutschland ist es einmalig, dass eine neue Regierung
versucht, ihre Vorgängerregierung nicht nur politisch zu
diskreditieren, sondern den Bundeskanzler, Bundesminister und leitende Mitarbeiter seines Hauses zu kriminalisieren.
({17})
Das ist der eigentliche Skandal.
({18})
Wenn Sie schon nicht den Mumm haben, hier die
ganze Wahrheit zu sagen, dann sollten Sie sich zumindest dafür schämen,
({19})
dass Sie Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes mit einem
solchen Verfahren überzogen haben. Zumindest bei diesen sollten Sie sich entschuldigen.
({20})
Ich erteile der Kollegin Christine Lambrecht für die
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
der Union sehr dankbar dafür, dass sie hier im Plenum
die dubiosen Machenschaften der Kohl-Regierung - der
Umgang mit den Akten im Kanzleramt ist nur eine Facette davon - einmal mehr zum Thema macht. Auch ich
bin der Überzeugung, dass die Vorgänge um die Lieferung der Spürpanzer nach Saudi-Arabien, um die
Schmiergeldzahlungen im Zusammenhang mit der Privatisierung der Leuna/Minol und um den Verkauf der Eisenbahnerwohnungen - um nur einige Beispiele zu nennen - nicht in Vergessenheit geraten dürfen.
Nicht in Vergessenheit geraten darf dabei aber auch,
dass der Aktenbestand im Kanzleramt zu den genannten
Beispielen - der Aktenbestand ist ja Gegenstand dieser
Aktuellen Stunde - zumindest unvollständig ist. Sie aber
verlangen eine Entschuldigung dafür, dass dies festgestellt worden ist.
({0})
Ich muss schon sagen: Das ist sehr dreist. Im Gegenzug ist
vielmehr - auch angesichts der Diffamierungen heute eine Entschuldigung der Union angesagt.
({1})
- Hören Sie erst einmal zu, wie die Faktenlage tatsächlich ist!
Nehmen wir zum Beispiel den Verkauf der Eisenbahnerwohnungen.
({2})
Da klafft im Bestand der Akten des Bundeskanzleramtes
eine Lücke vom 20. Juni 1996 bis zum 29. Mai 1998,
eine Lücke also von fast zwei Jahren. Es gibt keine einzige Akte über die Verhandlungen mit den Interessenten
- die wurden nämlich in diesem Zeitraum geführt - und
keinen Vermerk über die Abgabe der jeweiligen Gebote.
Die Deutsche Annington - dahinter stand eine japanische Gruppe - hat immerhin 1 Milliarde DM mehr geboten als die Bieter, die später den Zuschlag bekommen haben. Diese Firma hat sogar angeboten, ihr Gebot zu
erhöhen. Darauf ist man aber nicht eingegangen. Darüber steht nichts in den Akten.
({3})
- Das können Sie jemandem erzählen, der sich die Hose
mit der Kneifzange anzieht.
Dann erhält aus heiterem Himmel trotz dieses höheren Gebots ein anderes Bieterkonsortium den Zuschlag.
({4})
Ich will Ihnen einmal sagen, wie das abgelaufen ist - das
hat uns nämlich Helmut Kohl im Untersuchungsausschuss dargestellt -:
({5})
Am 8. Juni 1998 hat es zwischen dem Kanzler und den
Fachministern, dem Verkehrsminister, dem Bauminister
und dem Finanzminister, ein Treffen gegeben. Helmut
Kohl soll angeblich ganz spontan erklärt haben - so hat
er uns das zumindest im Untersuchungsausschuss erzählt; Sie können das nachlesen -, dass die Japaner nicht
den Zuschlag bekommen, dass an diese nicht verkauft
wird.
Das war der Hintergrund dieses plötzlichen Stimmungswandels. Noch nicht einmal über das Treffen, auf
dem es angeblich zu diesem Stimmungswandel kam,
gibt es einen Vermerk. Es gibt keinen Vermerk darüber,
wer an diesem Treffen teilgenommen und wo das Ganze
stattgefunden hat. Und Sie wollen uns erzählen, dass die
damalige Entscheidung, dass jemand den Zuschlag bekommt, obwohl er 1 Milliarde DM weniger geboten hat,
nicht damit im Zusammenhang stand,
({6})
dass dieser Bieter ein paar Tage später 5,9 Millionen DM
an die Union gespendet hat? Und Sie verlangen in diesem Zusammenhang eine Entschuldigung von uns? Ich
glaube, da ist bis heute eine Entschuldigung Ihrerseits,
der Union, fällig.
({7})
Nehmen wir den Verkauf der Fuchspanzer nach
Saudi-Arabien. Auch hierzu klafft im Aktenbestand eine
Lücke vom 20. Oktober 1990 bis zum 29. Januar 1993.
Vor dieser Zeit war man sich in der Bundesregierung einig darüber, dass keine Panzer in dieses Krisengebiet geliefert werden sollen. Heute wissen wir, dass sich der
mittlerweile flüchtige ehemalige Staatssekretär Pfahls
ganz massiv für diesen Meinungsumschwung eingesetzt
hat.
Wir kennen mittlerweile ein Schreiben von Helmut
Kohl an den damaligen Verteidigungsminister, in dem
Helmut Kohl angeordnet hat, dass hierfür in Zukunft
ausgerechnet dieser Herr Pfahls zuständig sein soll. Es
gibt ein Schreiben von Herrn Pfahls, in dem dieser sich
bei Herrn Teltschik darüber beklagt, dass das Auswärtige Amt nicht bereit sei, sich für diese Panzerlieferungen einzusetzen, und in dem er bittet, in geeigneter
Weise auf die Haltung des Auswärtigen Amtes Einfluss
zu nehmen. Mit Erfolg; denn es gab, wie wir wissen,
hinterher eine andere Entscheidung.
({8})
Diese Schreiben kennen wir heute - aber nicht aus
dem Aktenbestand des Kanzleramtes, sondern aus anderen Ministerien. Es kann doch nicht wahr sein, dass solche Schreiben, die aus dem Kanzleramt kommen, dort
nicht vorgehalten werden. Da muss es doch irgendeinen
Zusammenhang geben.
({9})
Meine Damen und Herren, Sie wollen eine Entschuldigung dafür, dass solche Vorgänge öffentlich gemacht
werden. Es ist doch absurd, ausgerechnet dafür eine Entschuldigung zu verlangen.
({10})
Ich habe wegen der Kürze der Zeit nur zwei Beispiele
aufzeigen können, hätte aber noch zu vielen anderen
Punkten - beispielsweise dazu, was und warum beim
Komplex Leuna/Minol alles fehlt - Stellung nehmen
können.
Sie haben die Aktuelle Stunde zu diesem Thema gewollt und Sie haben sie bekommen. Sie fordern hier eine
Entschuldigung. Da kann ich Ihnen beipflichten. Aber
die Entschuldigung haben Sie zu bringen.
Vielen Dank.
({11})
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Schmidt für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe den Eindruck - zumindest nach Ihren
Redebeiträgen -, Sie sind schlechte Verlierer.
({0})
Sie haben mit keinem Satz zum Thema Stellung genommen. Wir reden heute über die Beendigung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens.
({1})
- Lassen Sie uns ganz ruhig darüber reden, worum es
heute geht, Herr Ströbele. - Dieses Verfahren ist nach
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Das ist sozusagen
das rechtsstaatliche Testat, dass eine Diffamierungskampagne endgültig gescheitert ist.
Da diese Einstellungsverfügung bei der Bundesregierung offensichtlich nicht bekannt ist, möchte ich ganz
kurz aus den zentralen Sätzen dieser Einstellungsverfügung - es handelt sich übrigens um eine Mitteilung an
das Kanzleramt - zitieren:
Hinsichtlich des Vorwurfs der Datenlöschung …,
zu dem Sie gegen Ministerialdirektor a. D. Dr. Roll
und Ministerialrat Grewenig sowie eventuell weitere Beteiligte mit Schreiben vom 07.07. und
27.07. 2000 Strafantrag gestellt haben, hat sich der
Anfangsverdacht nicht erhärtet.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Aktenvernichtung …,
zu dem Sie eine Strafanzeige nicht erstattet haben,
fehlt es gemäß § 152 Abs. 2 StPO an dem Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten.
Das ist, rechtsstaatlich gesehen, ein Freispruch erster
Klasse und, politisch gesehen - man kann das ja auch
politisch bewerten -, eine Anklageschrift gegen die jetzigen Verantwortlichen im Bundeskanzleramt.
({2})
Wenn Sie sich diese Einstellungsverfügung durchlesen - Sie sollten das wirklich tun, Herr Hofmann -, dann
werden Sie sehen: Es hat einen unglaublichen Vorgang
gegeben, für den allein der Bundeskanzler und der Chef
des Bundeskanzleramtes die Verantwortung tragen.
Ganz eindeutig ist versucht worden, ohne Beweise und
wider besseres Wissen Beamte und Politiker, auch den
früheren Bundeskanzler Herrn Kohl, aus parteitaktischen Gründen mit einem Verdacht zu überziehen.
({3})
Und nicht nur das: Man hat zudem versucht, die Ausräumung des Verdachts zu verhindern und die Aufklärung
der Fragen in die Länge zu ziehen. Das ist der eigentliche Skandal, über den wir heute sprechen.
({4})
Wir sind doch alle Vertreter des Rechtsstaates; teilweise sind wir sogar im Rechtsausschuss. Es ist in Ordnung, wenn wir uns politisch bekämpfen, aber es gibt
auch Grenzen. Die Grenzen sind dort, wo rechtsstaatliche Prinzipien betroffen sind.
({5})
Ich finde wirklich, dass dieses Verfahren eher an eine Inquisition als an den Rechtsstaat erinnert.
Lassen Sie mich kurz die Fakten schildern, damit Sie
sehen, warum ich das so einschätze. Im Jahr 2000 stellt
der Chef des Bundeskanzleramtes Strafantrag gegen Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes wegen angeblicher
Datenlöschung. Es wird behauptet, es habe eine AktenAndreas Schmidt ({6})
vernichtung in großem Umfange gegeben. Interessanterweise ist seinerzeit keine Strafanzeige gestellt worden;
aufgrund der öffentlichen Berichterstattung wurde allerdings ermittelt. Anfang 2001 wird bekannt, dass die
Staatsanwaltschaft Bonn - die zuständig war - das Verfahren einstellen will, weil der Verdacht ausgeräumt ist.
Der Chef des Bundeskanzleramtes, Herr Steinmeier, widerspricht. Dann wird Druck auf die Staatsanwaltschaft
ausgeübt. Ein Professor aus Freiburg - ich glaube, es war
Professor Hennis - ruft in einer Wochenzeitung zum Protest gegen die Einstellung auf. 12 000 Menschen - die
kennen nicht einmal die Akten - protestieren. Was hat das
mit einem Rechtsstaat zu tun? Hier wird blinder Verfolgungseifer propagiert, nur um einen Verdacht aufrechtzuerhalten, der von der Staatsanwaltschaft schon ausgeräumt war.
({7})
Es folgt die Anordnung des Kölner Generalstaatsanwaltes, weitere Ermittlungen einzuleiten.
({8})
- Passen Sie auf, es geht noch weiter!
Es gibt weitere Ermittlungen, zu denen die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung jetzt Folgendes
schreibt:
Hierzu möchte ich in Erinnerung rufen, dass die
Staatsanwaltschaft bereits im Vermerk vom
15.01.2001 - also vor zweieinhalb Jahren - umfassend Gründe dargelegt hat, die nach Bewertung der
damaligen Erkenntnisse für die Einstellung des Verfahrens sprachen.
Die nach der Stellungnahme des Kanzleramtes vom
31.05.2001 durchgeführten ergänzenden Ermittlungen haben dieses Ergebnis nicht nur bestätigt, sondern die - teilweise - bestehende Verdachtslage
weiter abgeschwächt.
Es hat also nichts Neues gegeben, im Gegenteil: Die
Verdachtsmomente sind weiter ausgeräumt worden.
Am 12. Juni 2003 - das ist der entscheidende Punkt,
der die Sache zum Skandal macht - hat es eine schriftliche Stellungnahme des Bundeskanzleramtes zu den laufenden Ermittlungen gegeben. Darin steht unter Hinweis
auf den inzwischen eingetretenen Zeitablauf, dass eine
akzeptable Beweiswürdigung immer noch aussteht.
Das ist interessant. Ich frage: Was ist eine akzeptable
Beweiswürdigung? Das Bundeskanzleramt versteht unter einer akzeptablen Beweiswürdigung das Ergebnis,
das ihm in den Kram passt. Das müssen Sie sich einmal
vorstellen. Ich bin für die Dummheit, dass hier die
Maske freiwillig fallen gelassen wurde, dankbar.
({9})
Der Staat ist eine objektive Behörde. Ich möchte Ihnen
zum Schluss gern vortragen, was die Staatsanwaltschaft
zur Forderung nach einer akzeptablen Beweiswürdigung
sagt. Sie schreibt in der Einstellungsmitteilung - das ist
eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung -:
Wenn ein solches Ergebnis als nicht „akzeptabel“
eingeschätzt wird, mag dies auf dem - im Rahmen
der Strafverfolgung oftmals unvermeidbaren - Widerstreit zwischen der Interessenlage eines Anzeigenerstatters und der Sachverhaltsbewertung durch
eine zur Objektivität und damit auch zur Beachtung
des Zweifelsgrundsatzes verpflichtete Staatsanwaltschaft beruhen.
Meine Damen und Herren, die Regierung ist keine
Privatperson und auch Sie sind an rechtsstaatliche Prinzipien gebunden.
({10})
Hier bestätigt Ihnen die Staatsanwaltschaft, dass Sie das
nicht getan und deswegen die Forderung nach einer akzeptablen Beweiswürdigung in die Welt gesetzt haben.
Das ist der eigentliche Skandal und darüber haben Sie
heute kein Wort gesagt. Das zeigt in der Tat, dass Sie das
Thema nicht nur nicht begriffen haben, sondern dass Sie
hier einen unmöglichen Vorgang nicht kommentieren
wollen, weil er Ihnen peinlich ist.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat nun die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, völlig unabhängig von einem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und der Einstellung eines Verfahrens müssen wir im Parlament die politische
Aufklärung in der Aktuellen Stunde weiterführen.
({0})
Sie haben von Vorsatz gesprochen. Der Vorsatz fehlte
und der Staatsanwalt hat gesagt, wir befinden uns leider
in einer rechtlichen Grauzone, weil es kein Gesetz darüber gibt, welche Akten im Kanzleramt aufgehoben werden müssen.
({1})
Ihre Regierung hat dem Parlament wichtige Akten
vorenthalten. Es hat noch niemals bei einem Regierungswechsel eine so beispiellose Reißwolf- und Säuberungsaktion gegeben wie 1998 im Kanzleramt unter der Verantwortung von Bundeskanzler Kohl.
({2})
Sie versuchen, die ganze Geschichte dieses Untersuchungsausschusses, der eine Geschichte voller Skandale
Ihrer Regierungszeit ist, umzuschreiben. Das wird Ihnen
nicht gelingen; auch in anderen Fällen sind Sie dabei gescheitert.
Es liegt in der Verantwortung Ihrer Regierung, dass
wir so wichtige Ereignisse - sie sind bereits angesprochen worden - jetzt aufarbeiten müssen. Mich als neue
Bundestagsabgeordnete würde der Leuna-Komplex interessieren. Aber es gibt keinen Zugang zu den Akten.
Mich würde auch die Panzerlieferung nach Saudi-Arabien interessieren. Aber die entscheidenden Akten fehlen. In Ihrer Fraktion gibt es Herren, die Licht in dieses
Dunkel bringen und Lücken füllen könnten. Diese Herren heißen Kohl und Schäuble. Genau diese beiden sollten Sie befragen, statt hier den Versuch zu unternehmen,
die Geschichte der Aktenvernichtung umzuschreiben.
({3})
- Ich kenne diese Umdrehung. Infam ist nicht die Aufarbeitung von Skandalen, infam sind die Skandale.
({4})
Diese Wahrheiten, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, werden wir im Parlament auch weiter ansprechen.
({5})
- Das sind keine Unwahrheiten. Ich erinnere mich an
keinen anderen Bundeskanzler, der mit Ledertaschen
voller Geld durch die Gegend zog
({6})
und bis heute diesen Vorgang nicht aufklärt.
({7})
Ich möchte zum Selbstverständnis des Parlaments,
zum Selbstverständnis von Öffentlichkeit und zu dem
Transparenzgebot, das für Regierungshandeln gilt, zurückkommen. Was ist das eigentlich für eine Einstellung,
wenn ein Bundeskanzler meint, dass dann, wenn er nicht
mehr Bundeskanzler ist, die Akten des Kanzleramtes
Akten sind, die man in die Konrad-Adenauer-Stiftung
bringen kann? Diese Akten sind doch kein Eigentum Ihrer Partei.
({8})
Andere Akten nimmt der Kanzler mit nach Hause. Was
ist das für ein Parlamentsverständnis, was ist das für ein
Demokratieverständnis?
Sie sollten solche Aktuellen Stunden erst wieder beantragen, wenn Sie endlich sagen können, wo die verschwundenen Aktenbände sind und wie eine Ablage im
Kanzleramt möglich ist, der es an Chronologie mangelt
und in der ganze Monate oder Jahre fehlen.
Wir sollten aus dieser Aktenvernichtungsaffäre aus
Ihrer Regierungszeit eine Konsequenz ziehen. Wir feiern
in Kürze als grüne Fraktion „Fünf Jahre grüner Kampf
für ein Informationsfreiheitsgesetz“. Als grüne Abgeordnete hoffe ich, dass wir in dieser Auseinandersetzung
demnächst erfolgreich sind. Die Freigabe von Akten ist
aber natürlich nur dann möglich,
({9})
wenn die Akten noch vorhanden sind und auch vorhanden bleiben.
Ich möchte zum Schluss den Vorschlag machen, eine
Idee aus Amerika zu übernehmen. Der amerikanische
Präsident darf noch nicht einmal einen mit der Hand geschriebenen Notizzettel, der mit Regierungshandeln in
Zusammenhang steht, eigenständig in den Papierkorb
werfen. Das amerikanische Bundesarchiv entscheidet
darüber, welche Akten in welcher Form wie aufbereitet
für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Vielleicht
sollten wir eine Lehre aus dieser Erfahrung ziehen und
sagen: Wir brauchen Regeln für den Umgang mit Akten.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun der Kollege Hans-Peter Friedrich
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin von den Grünen, wir brauchen vor allem Regeln
für den Anstand
({0})
im politischen Miteinander.
({1})
Was Sie hier unter dem Beifall der SPD an Diffamierungen und an erneuter übler Nachrede gegen die Regierung Helmut Kohl vom Stapel gelassen haben, ist unerträglich und unglaublich.
({2})
Lieber Herr Kollege Wend, Sie haben vorhin nach der
Aktualität der Einstellung der Ermittlungen der StaatsanDr. Hans-Peter Friedrich ({3})
waltschaft gefragt. Das Aktuelle an der Geschichte ist,
dass sich der Skandal um Hirsch und Steinmeier im Bundeskanzleramt des Gerhard Schröder abgespielt hat: vor
den Augen des Bundeskanzlers, vielleicht mit seinem
Wissen, zumindest aber in seinem Einflussbereich.
({4})
Dort ist systematisch Recht verletzt worden und dies
begann bereits mit der Einsetzung dieses unsäglichen
Sonderermittlers oder Ermittlungsführers Hirsch.
({5})
Bereits bei der Einsetzung von Herrn Hirsch ist gegen
Recht und Gesetz verstoßen worden. Uns liegt bereits
seit Dezember 2000 ein Gutachten von Professor Battis
vor, in dem sehr genau und sehr detailliert nachgewiesen
wird, dass es keine Rechtsgrundlage gab, Herrn Hirsch
als Ermittlungsführer oder sonst etwas in diese Sache
einzuführen.
Aber selbst wenn man zu der Auffassung kommen
sollte, es könnte eine Rechtsgrundlage konstruiert werden, war es in jedem Fall unzulässig, dass Herr Hirsch
als Außenstehender Einsicht in Personalakten von Beamten genommen hat und damit mit Wissen und Kenntnis und vielleicht auf Anweisung von Herrn Steinmeier
gegen das in Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des
Grundgesetzes verankerte informationelle Selbstbestimmungsrecht verstoßen hat.
({6})
Wir haben uns am Anfang gefragt, warum Steinmeier
und Schröder Burkhard Hirsch ausgewählt haben. Im
Laufe der Sitzungen des Untersuchungsausschusses und
insbesondere im Laufe der Anhörung des Herrn Hirsch
sind wir zu einer Antwort gekommen.
({7})
Herr Hirsch hasste Helmut Kohl. Das war offenkundig.
Helmut Kohl hat das sehr plastisch erklärt: Er hielt Herrn
Hirsch für ungeeignet, Bundesminister zu werden.
({8})
Das hat in Herrn Hirsch natürlich Hass erzeugt. Steinmeier
wusste, dass die Kombination von Hass und unsäglicher
Eitelkeit des Herrn Hirsch dazu führen würde, dass dieser ihm sozusagen als willenloses Werkzeug in seiner
Diffamierungskampagne dienen könnte.
({9})
In der Tat hat Herr Hirsch alle Erwartungen erfüllt.
Hierzu im „Focus“ vom 3. Juli 2000, zu lesen auch in der
Bundestagsdrucksache 14/4915 - daraus zitiere ich -:
In der Presse wurde danach berichtet, Dr. Burkhard
Hirsch habe unfaire Vernehmungsmethoden angewandt, so zum Beispiel manipulierte Kopien bei
Befragungen vorgelegt, entlastende Aussagen nicht
protokollieren wollen
({10})
und Befragten keine Kopie des Befragungsprotokolls zur Verfügung gestellt.
({11})
Dr. Burkhard Hirsch soll Personen als Zeugen geladen, sie im Termin aber belehrt haben, dass sie potenzielle Beschuldigte sein könnten mit der Konsequenz, dass es für das Hinzuziehen eines Anwaltes
zu spät war.
({12})
Darüber hinaus soll Dr. Burkhard Hirsch Rechtsanwälte als Begleitung von anzuhörenden Personen
anfangs generell abgelehnt haben.
({13})
Meine Damen und Herren, ob in der Tat die Vernehmungsmethoden angewendet wurden, die hier geschildert werden, ist nicht bewiesen. Der Skandal besteht
aber darin, dass Herr Steinmeier sich nie dafür interessiert hat.
({14})
Er hat sich weder dafür interessiert, mit welchen Methoden Herr Hirsch gearbeitet hat, noch dafür, ob seine Ergebnisse richtig waren.
({15})
Das ist ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht des Leiters
des Kanzleramtes gegenüber seinen Beamten.
({16})
Die angeblichen Erkenntnisse des Herrn Hirsch haben
immerhin gut in das Konzept von Herrn Steinmeier gepasst, das da hieß, die Vorgängerregierung zu diffamieren und zu diskreditieren. Genau das ist auch passiert.
({17})
Was ist aus den angeblichen Erkenntnissen des Herrn
Hirsch geworden? - Sie sind allesamt widerlegt worden
bzw. haben sich allesamt als falsch herausgestellt.
({18})
Das will ich Ihnen anhand eines Beispiels deutlich machen. Die Datenlöschung, die vorgenommen worden
sein soll, sei, so Herr Hirsch, von Zeugen bezeugt worden, die von Datenlöschungen berichtet hätten. Die
Staatsanwaltschaft hat dieser Sache nicht getraut und hat
die Zeugen selbst vernommen.
({19})
Ich zitiere aus der „FAZ“ vom 16. Oktober:
so daß die Bonner Staatsanwaltschaft vom Herbst
2001 an eigene Befragungen durchführte, bei denen
die beiden Kronzeugen Wegesin und Gregor K. die
wichtigsten Teile ihrer früheren Aussagen revidierten und schwerste Vorwürfe gegen den „Sonderermittler“ Hirsch, insbesondere gegen dessen suggestive Verhörtechnik, erhoben.
Diese Vernehmungen führten zu folgenden Ergebnissen.
Herr Kollege, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.
Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident. - In den
Unterlagen des Untersuchungsausschusses, die frei zugänglich sind, ist von einem Vermerk der Staatsanwaltschaft zu lesen, in dem es heißt - ich zitiere -:
Der vom so genannten Sonderermittler Hirsch gezogene Schluss einer zentral erfolgten Löschung
von zwei Dritteln des Datenbestandes im Zusammenhang mit dem Regierungswechsel ist nicht tragfähig.
Es wird Zeit, dass sich sowohl Herr Hirsch als auch Herr
Steinmeier bei Helmut Kohl entschuldigen
({0})
wie auch bei den Beamten, die unzulässigerweise in Verdacht geraten sind.
({1})
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Frank Hofmann für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Stadler, Sie haben eben gemerkt: Es macht keinen
Sinn, zu versuchen, mit Argumenten auf die CDU/CSU
einzugehen. Sie haben ja gesehen, wie Herr Friedrich
darauf geantwortet hat. Er nimmt nicht zur Kenntnis,
dass die zentralen Ergebnisse von Burkhard Hirsch, aber
auch vom Oberstaatsanwalt beim BGH, der ebenfalls
Vernehmungen durchgeführt hat, durch die Staatsanwaltschaft bestätigt worden sind. Insofern ist das, was Herr
Friedrich gesagt hat, falsch. Nicht Herr Hirsch ist, sondern Herr Bohl und Herr Dr. Kohl sind zur Verantwortung zu ziehen.
({0})
Sie beschimpfen diejenigen, die die Wahrheit ans Licht
bringen. Wer bei Ihnen denkt sich eigentlich solche Unverschämtheiten aus?
({1})
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Akten, die
sich im Kanzleramt befanden - es waren etwa 100 Ordner -, tauchten in der Konrad-Adenauer-Stiftung bei
Herrn Dr. Bohl auf. Wir wissen, dass etwa 300 Aktenordner von Herrn Dr. Kohl mitgenommen worden sind;
die Kollegin Stokar von Neuforn hat darauf aufmerksam
gemacht.
({2})
In den Privatakten von Herrn Dr. Bohl befanden sich Geheimpapiere aus dem Bereich der Fuchs-Spürpanzer.
Wir alle wissen, dass es um 1 Million geht.
({3})
Wen wollen Sie für diese Urkundenunterdrückung
und für diesen Verwahrungsbruch verantwortlich machen? Herrn Dr. Hirsch etwa? Sollten Sie richtigerweise
nicht doch Herrn Dr. Bohl dafür verantwortlich machen?
({4})
Es ist naiv, wenn Sie glauben, dass Ihre Ablenkungsmanöver nicht durchschaut werden.
({5})
Ich denke, wir müssen noch weitergehen. Schauen Sie
es sich einmal an! Nach dem Ende der Arbeit des Untersuchungsausschusses hat es ja nicht aufgehört. Was war
denn danach? Was ist danach zusätzlich bekannt geworden?
({6})
Können Sie sich noch daran erinnern, dass Herr Kirch
im November 2001 gesagt hat, dass er in geschäftlichen
Dingen mit Herrn Dr. Kohl nichts zu tun gehabt hat?
Was haben wir danach erfahren?
({7})
Frank Hofmann ({8})
Nachher haben wir erfahren, dass er einen Beratungsvertrag hatte, gemäß dem er pro Jahr zwölf Gespräche für
600 000 DM jährlich führen sollte. Das heißt, er sollte
pro Gespräch 50 000 DM erhalten. Ich finde, das ist
locker verdientes Geld. Auf der anderen Seite sagte er,
dass sie in geschäftlichen Dingen nichts miteinander zu
tun gehabt haben. Da fragt man sich doch, wofür dieses
Geld gezahlt worden ist.
Was glauben Sie, welche Antwort man erhält, wenn
man nachfragt und sich im Kanzleramt erkundigt, ob es
Unterlagen und Akten aus den Jahren 1994 und 1995
gibt? Zu der Zeit war Herr Dr. Kohl Bundeskanzler und
hat versucht, Herrn Thoma für die Kirch-Gruppe zu gewinnen, indem er 1995 zwei Briefe an die Telekom geschrieben hat. Man erfährt dann, dass es diese Akten natürlich nicht gibt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Ich frage mich, warum Herr Dr. Kohl und Herr
Dr. Bötsch im Untersuchungsausschuss die Existenz von
Beraterverträgen nicht offen gelegt haben.
({9})
Weshalb hat Herr Dr. Bötsch dem Ausschuss nicht angezeigt, dass er im Zusammenhang mit den Vernehmungen
von Leo Kirch befangen ist?
({10})
Warum wenden Sie sich diesem Thema heute in einer
Aktuellen Stunde zu? Zuerst habe ich mir gedacht, dass
Sie Mut zur Aufklärung haben. Den haben Sie aber
nicht. Das weiß ich nach den Reden, die Sie bisher gehalten haben. Ich meine, es ist eher ein Ablenken von
Frau Merkel und dem CDU-Problem Hohmann.
({11})
Es wäre richtig gewesen, diese Aktuelle Stunde vor
14 Tagen zu beantragen. Damals wurde nämlich diese
Einstellungsverfügung erlassen. Sie haben sie damals
aber nicht beantragt. Dass Sie sie jetzt beantragt haben,
deutet darauf hin, dass Sie woanders Probleme haben.
Glauben Sie, Ihre Weste ist rein? Sie besudeln Ihre
Weste weiter, weil immer wieder neue Tatsachen bekannt werden und Sie keinen reinen Tisch machen können.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Reinhard Grindel für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ich gerade Herrn Wend, Frau Lambrecht und Herrn
Hofmann gehört habe, musste ich daran denken, wie es
früher in unserer Redaktion abgelaufen ist. Wenn sich
eine Geschichte nicht so entwickelt hat, wie man eigentlich dachte, sodass man daraus keinen tollen Skandal
machen konnte, dann sagte man immer, dass man sich
seine Geschichte ja nicht kaputtrecherchiert. So gehen
Sie hier auch vor.
Ich will Ihnen ein Beispiel demonstrieren, an dem das
sehr deutlich wird.
({0})
- Mit Zwischenrufen würde ich mich jetzt erst einmal
zurückhalten. - Es geht um die Eisenbahnerwohnungen.
Sie haben hier gesagt - auf den ersten Blick klingt das ja
auch elektrisierend -, dass Eisenbahnerwohnungen angeblich unter Preis verkauft worden sind. Dann haben
Sie auf eine Spende der Familie Ehlerding an die CDU
hingewiesen.
({1})
Frau Lambrecht, nun wollen wir einmal weiter recherchieren. Dabei stößt man auf zwei Briefe - einen aus
Nordrhein-Westfalen und einen aus Niedersachsen, die
ich hier vor mir liegen habe.
({2})
- Herr Ströbele, auch über Sie ist schon eine Menge recherchiert worden. Hören Sie es sich an. - Aus Nordrhein-Westfalen, von Ministerpräsident Clement und
Landesminister Vesper, wurde an die Bundesregierung
geschrieben:
… mit großer Besorgnis haben wir zur Kenntnis genommen, dass das Bundeseisenbahnvermögen
({3}) beabsichtigt, Anteile der Eisenbahn-Wohnungsbaugesellschaften ({4}) an das japanische
Bankhaus Nomura zu verkaufen.
({5})
Der damalige Staatssekretär in Niedersachsen, Herr
Steinmeier,
({6})
schreibt ebenso an die Bundesregierung:
({7})
Ich möchte Ihnen versichern, dass es das Land Niedersachsen außerordentlich begrüßen würde, wenn
die Entscheidung zugunsten der regionalen Bieter
getroffen wird, und weiß mich hierin einig in der
Haltung der übrigen Länder.
Damit bricht das Lügengebäude einmal mehr zusammen. Sie sollten sich für solche wirklich unmöglichen
Vorwürfe in der Tat entschuldigen. Diese Beweise sind
eindeutig.
({8})
Wenn Sie mit den Akten kommen, dann darf ich Sie
ganz zart auf das Verfahren zwischen der FriedrichEbert-Stiftung und Frau Seebacher-Brandt über die Akten von Willy Brandt hinweisen. Es ist ein normales Verfahren, dass Akten aus dem Kanzleramt, die nicht Bestandteil des weiteren Verwaltungsverfahrens sind, in
Archive etwa der Stiftungen gehen. Das haben alle Bundesregierungen gemacht. Insofern fragen Sie einmal bei
der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Willy-Brandt-Stiftung nach, was sie von Ihren Ausführungen halten, Frau
Lambrecht.
({9})
Die Vorredner unserer Fraktion haben ausgeführt,
dass es den angeblichen Skandal um verschwundene
Leuna-Akten nicht gab.
({10})
Was es gegeben hat, ist eine groß angelegte Medienkampagne mit Pseudoinformationen, die sich aus dem Bundeskanzleramt speisten.
({11})
Ich will auf eines hinweisen: Der vermeintliche Skandal
wird in dicken Balkenüberschriften auf Seite 1 erst einmal unter die Leute gebracht. Wenn die Geschichte
dann, wie hier eindrucksvoll demonstriert, in sich zusammenfällt, dann wird das Ganze unter Vermischtes/
Vermengtes mit vier Zeilen abgetan. Das wollen wir
nicht durchgehen lassen. Deswegen machen wir diese
Aktuelle Stunde. Dem Kanzleramt unter Herrn
Steinmeier - das gilt es festzuhalten - ging es nicht um
die Wahrheit bei angeblichen Aktenvernichtungen, sondern um die Vernichtung des politischen Gegners.
({12})
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({13})
Wolfgang Thierse hat gestern beim Mainzer Mediendisput erklärt:
In Deutschland besteht die Gefahr, dass die Medien
nicht mehr sorgfältig berichten, die Wirklichkeit
nicht mehr abbilden.
Ich sage Ihnen: Der Herr Thierse hätte gar nicht nach
Mainz gehen müssen, um diese Warnung auszusprechen.
Er hätte sich auf den Weg ins Kanzleramt machen sollen.
Durch das Durchstechen von Papieren ist gezielt der
Versuch unternommen worden, die Unwahrheit in den
Medien möglichst lange am Kochen zu halten. Diesen
Skandal prangern wir hier mit allem Nachdruck an.
({14})
Wir müssen uns nicht in Einzelheiten verfangen, sondern auf die wesentlichen Vorwürfe, die gegen Herrn
Hirsch erhoben worden sind, eingehen. Herr Hirsch sagt
bis zum heutigen Tage in Interviews, Leuna-Akten seien
verschwunden.
({15})
Was er aber nicht sagt, ist - das müssen wir der Öffentlichkeit klar machen -, dass diese Akten bereits dem
Treuhanduntersuchungsausschuss vorlagen,
({16})
dass es sich dabei nur um minder wichtiges Schriftgut
handelt,
({17})
aber alle politisch sensiblen Akten vorhanden sind
({18})
und dass das Verschwinden dieser Akten schon 1997
entdeckt worden ist. Damals haben Sie noch Angst vor
einem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder gehabt. Von
einem Regierungswechsel war gar nicht die Rede. Das
darf man nicht weglassen, wenn man diesen Sachverhalt
bewertet.
({19})
Herr Hirsch - das sagen Zeugen - war parteiisch. Er
hat sich mit seiner völlig einseitigen Art der Vernehmungen und seiner einseitigen Pressearbeit während seiner
angeblichen Ermittlungstätigkeit an der Medienkampagne
beteiligt. Ich meine den Herrn Hirsch, der den Datenschutz in Sonntagsreden so hoch gehalten hat. Daher ist
es richtig zu sagen: Im Nachhinein zeigt sich, wie gut es
ist, dass er nie Bundesjustizminister geworden ist.
({20})
Ich will zum Abschluss - vielleicht nehmen Sie das
einmal ernst - eine andere Quelle zitieren. Den „Spiegel“ haben Sie erwähnt, Kollege Ströbele. Vielleicht
schauen Sie auch einmal in den „Tagesspiegel“.
({21})
Dort hätten Sie am 5. Oktober dieses Jahres von
Stephan-Andreas Casdorff - nicht gerade ein Schreiberling der CDU - lesen können:
Was jetzt gilt: Kohl hat das Recht auf seiner Seite.
Und das Recht, eine Entschuldigung zu verlangen.
Helmut Kohl wie auch seine Mitarbeiter haben das
Recht, zu verlangen, dass diejenigen, die ihn mit ehrabschneiderischen Vorwürfen überzogen haben, diese auch
wieder aus der Welt schaffen.
Sie arbeiten nach einem ganz anderen Motto.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
Sie arbeiten nach dem Motto - das ist mein Schlusssatz -: Wahrscheinlich wird irgendetwas hängen bleiben. - Ich sage: Genau das war die Absicht des von
Gerhard Schröder geführten Kanzleramtes. Es sollte etwas hängen bleiben. Diesen miesen Stil lassen wir Ihnen
nicht durchgehen.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat der Staatsminister im Bundeskanzleramt
Rolf Schwanitz.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr von
Klaeden, eigentlich wollte ich mich bei Ihnen für diese
Aktuelle Stunde bedanken, weil sie Gelegenheit gibt, auf
einige Fakten anders aufmerksam zu machen, als es bei
den Fragen der Fall ist, die Sie sonst regelmäßig in den
Sitzungen während der Plenarwochen dazu stellen.
({0})
Ich will mit einer ganz persönlichen Bemerkung anfangen. Was ich in der Aktuellen Stunde von Ihrer Fraktion gehört habe, macht schon betroffen,
({1})
aber ganz anders, als Sie sich das wahrscheinlich vorstellen.
({2})
Herr von Klaeden, ich fange einmal mit Ihrer Presseerklärung vom Freitag letzter Woche an, in der Sie die
vier Fragen angekündigt haben. Von diesen vier Fragen
haben Sie - weil das ja so wichtig war - nur zwei mündlich gestellt, zwei sollten gleich schriftlich beantwortet
werden. Vor der Ankündigung dieser Fragen kommt ein
Riesenblock von Diffamierungen und von Anschuldigungen gegen Burkhard Hirsch.
({3})
Ich kenne das. Auch ich habe acht Jahre auf der Oppositionsbank gesessen.
({4})
Da gibt es so etwas wie eine innere Solidarität. Man
fühlt sich verantwortlich und verteidigt in solch einer
schwierigen Situation. Bis zu einem gewissen Grad ist
das in Ordnung. Bei Ihnen gibt es aber überhaupt kein
Halten mehr und Sie diffamieren bis in die Aktuelle
Stunde hinein nach dem Motto „Da hat irgendeiner gehasst“.
({5})
Ich habe 1990 im Innenausschuss angefangen und Herrn
Dr. Hirsch kennen gelernt.
({6})
Wenn irgendeiner für mich die Rechtsstaatlichkeit in
Person verkörpert hat, dann war er es.
({7})
Da mögen Sie lachen, aber dass das hier zu einer Diffamierungsfarce gegen den ehemaligen Vizepräsidenten
des Deutschen Bundestages wird, das ist unter aller Kanone. Das muss ich Ihnen einmal sagen.
({8})
Dr. Hirsch ist auf einer rechtsstaatlichen Grundlage
tätig geworden. Das ist völlig zweifelsfrei. Das haben
wir Ihnen x-fach hier im Plenum des Deutschen Bundestages beantwortet. Das geschah auf der Grundlage der
Disziplinarordnung. Es sind alle Rechte der Beteiligten
und der Betroffenen gewürdigt worden, sogar vorsorglich, bevor die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt worden sind. Ich weise ausdrücklich
alle Diffamierungen und Vorwürfe, die hier ausgesprochen worden sind, zurück.
({9})
Ich will in aller Kürze - das ist das Wichtigste, vor
allen Dingen, da Sie hier von Inszenierung sprechen ({10})
einfach noch einmal die Faktenlage von meiner Seite her
beschreiben.
({11})
Erstens. Es hat nach der Bundestagswahl, und zwar
vor dem Regierungswechsel im September/Oktober
1998, im Bundeskanzleramt umfangreiche zentrale und
rechtswidrige Löschungen von Daten gegeben.
({12})
Der Umfang mag streitig sein. Er wird im Minimalbereich bei einem Gigabyte angesetzt, im Maximalbereich
bei 2,8. Das sind mindestens 25 Prozent des im gesamten Speicherbereich des Kanzleramtes präsenten Schriftgutes gewesen. Die unterste Grenze sind ungefähr
250 000 Blatt. Das ist das erste Faktum, das ich hier
noch einmal nenne.
({13})
Zweitens. Es fehlen im Bundeskanzleramt nach wie
vor Akten zu wichtigen, politisch bedeutsamen Privatisierungsvorgängen sowie Material aus dem Kernbereich
der Exekutive.
({14})
Es handelt sich um Material, das politisch ganz bedeutsam und von hohem Interesse ist, beispielsweise zur Privatisierung der Leuna-Werke, zum Verkauf der Eisenbahnerwohnungen und zu Rüstungsgeschäften, die in
der Debatte schon eine große Rolle gespielt haben. Das
Bearhead-Projekt und der Verkauf der Fuchs-Spürpanzer
sind genannt worden.
Drittens - das ist ein Punkt, über den bis jetzt viel zu
wenig debattiert worden ist -: Dem parlamentarischen
Untersuchungsausschuss „Treuhandanstalt“ in der
12. Legislaturperiode und dem Untersuchungsausschuss
„DDR-Vermögen“ in der 13. Legislaturperiode wurde
rechtswidrig Aktenmaterial vorenthalten. Dadurch wurden die Rechte der Untersuchungsausschüsse beschnitten.
({15})
Das ist die Situation. Vorab hat es im Bundeskanzleramt
in der 12. Legislaturperiode Aus- und Umgründungen
von Akten gegeben. Der Untersuchungsausschuss ist
nicht darüber informiert worden, dass das übergebene
Aktenmaterial unvollständig ist.
({16})
Dadurch hatte das Parlament keine rechtlichen Möglichkeiten, gegen die unvollständige Übergabe von Material
Rechtsmittel einzulegen, das Bundesverfassungsgericht
anzurufen, die Herausgabe des Materials zu fordern und
anderes mehr.
({17})
Dass auch Sie als Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion
diesen parlamentsrechtlichen Gesichtspunkt in keiner
Weise thematisieren, ist sehr bezeichnend für die gegenwärtige Situation.
({18})
Viertens. Das Bundeskanzleramt hat in der Tat ein
Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft
Bonn hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das noch
nicht abgeschlossen ist. Das Beschwerdeverfahren läuft
noch. Ich hätte übrigens Ihre Kommentare im Deutschen
Bundestag hören mögen, wenn die Aktenverluste bekannt geworden wären, ohne dass wir tätig geworden
wären. Dann wären sicherlich wir als Rechtsbrecher bezeichnet worden.
({19})
Ich weise ausdrücklich darauf hin: Auch wenn zum
Schluss keine disziplinarische und auch keine strafrechtliche Verantwortlichkeit feststellbar sein sollte,
({20})
dann bleiben die ersten drei Tatsachen bestehen, nämlich
Datenlöschungen, Aktenfehlbestände und Rechtsverstöße gegenüber dem Parlament und dem Untersuchungsausschuss.
Herzlichen Dank.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Ingo Wellenreuther
für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Serie des rechtswidrigen Handelns bzw. der Manipulation des Rechts im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss „Parteispenden“
der letzten Wahlperiode
({0})
findet mit der Schröder/Hirsch-Affäre ihren traurigen
Höhepunkt, Herr Ströbele.
({1})
Rechtsstaatlich zweifelhaft waren bereits damals die
Einsetzung des Ausschusses, die Behandlung des Themas SPD-Finanzen und, Frau Kumpf, auch die Zeugenvernehmung und Verhandlungsführung des Vorsitzenden.
Aber der parallel konstruierte Vorwurf, beim Regierungswechsel strafbare Datenlöschungen bzw. Aktenvernichtungen vorgenommen zu haben, schlägt dem Fass
den Boden aus. Wir haben gerade heute einen Einblick
in das gewonnen, was wir als Schröder/Hirsch-Affäre
bezeichnen können, nämlich die rechtswidrige Vorgehensweise des Sonderermittlers Hirsch und die mediale
Aufbereitung, mit der versucht wurde, in der Öffentlichkeit eine unionsfeindliche Stimmung zu erzeugen.
Diese Aktuelle Stunde heute hat gezeigt, dass es sich
bei den unberechtigten Vorwürfen an die frühere Bundesregierung unter Helmut Kohl, sie habe ohne Einverständnis der verfügungsberechtigten Nutzer Datenlöschungen
veranlasst und in strafbarer Weise Aktenmaterial beseiIngo Wellenreuther
tigt, um einen der größten politischen Skandale der
Nachkriegszeit handelt. Für diesen Skandal, den das
Bundeskanzleramt unter Führung von Staatssekretär
Steinmeier bewirkt hat, tragen die Bundesregierung und
insbesondere Bundeskanzler Schröder persönlich die
Verantwortung.
({2})
Mithilfe des Sonderermittlers Hirsch, der in rechtswidriger und möglicherweise auch strafbarer Weise ein
Lügengebäude aufgebauscht hat
({3})
- warten Sie es ab, Herr Stadler! -, haben die Bundesregierung und das Bundeskanzleramt der gesamten Bundesrepublik einen kaum wieder gutzumachenden Schaden zugefügt.
Die Bundesregierung unter Helmut Kohl wurde aufs
Übelste verleumdet und diffamiert
({4})
und es wurden ihr Handlungen unterstellt, wie sie allenfalls in einer Bananenrepublik vorkommen.
({5})
- Herr Ströbele, als rechtskräftig verurteilter Straftäter
sollten Sie jetzt einmal den Mund halten! - Mit böswilligen Behauptungen ist ein Verfahren in Gang gesetzt
worden, das die Staatsanwaltschaft wegen der Unhaltbarkeit der Vorwürfe mehrfach einstellen wollte, wogegen aber das Bundeskanzleramt immer und immer wieder interveniert hat.
Mit der endgültigen Einstellung des Verfahrens durch
die Staatsanwaltschaft Bonn am 2. Oktober hat eine einzigartige Diffamierungskampagne des Bundeskanzleramtes gegen die Vorgängerregierung ihr unrühmliches
Ende gefunden.
({6})
Es hat sich herausgestellt, dass an den Vorwürfen nichts,
aber auch gar nichts dran ist, Herr Ströbele. Unberechtigte Datenlöschungen hat es nicht gegeben. Die Zeugen
haben das nicht bestätigt. Der Oberstaatsanwalt beim
BGH, der bereits zitiert worden ist, hat schon in seinem
Bericht vom 26. Juni 2001 festgestellt, dass der Leitung
des Bundeskanzleramtes keinerlei Vorwürfe in Hinblick
auf Datenlöschungen zu machen sind.
({7})
- Nein, ich zitiere aus der Bundestagsdrucksache 14/9300.
Lesen Sie das bitte nach, Herr Stadler!
({8})
Staatssekretär Steinmeier musste inzwischen einräumen, dass alle wesentlichen Unterlagen in den Registraturen des Kanzleramtes ausschließlich in Papierform
aufbewahrt und verwaltet werden. Die Festplatte des
Zentralservers im Bundeskanzleramt wurde im
Frühjahr 1999 unter Verantwortung des derzeitigen Bundeskanzlers ausgetauscht und vernichtet.
Genauso ist der Vorwurf strafbarer Aktenvernichtung
in sich zusammengebrochen. Es hat sich herausgestellt,
dass die Leuna-Akten und die Akten zu den anderen Privatisierungsvorgängen im Untersuchungsausschuss der
12. Wahlperiode im Original vorgelegen haben.
({9})
Diese Akten sind bereits 1997 - das wurde bereits angesprochen - nicht mehr gefunden worden, womit ein Zusammenhang mit der Bundestagswahl 1998 eindeutig
ausscheidet.
Kopien der Originalakten über die weiteren Privatisierungsvorhaben sind - ebenso unstreitig - in vollem
Umfang im Bundeskanzleramt vorhanden. Kernbereichsrelevantes Material wurde vor der Übersendung an
den Untersuchungsausschuss aussortiert. Die Öffentlichkeit wurde bewusst darüber getäuscht, wie Akten im
Kanzleramt angelegt und verwaltet werden.
({10})
Der Umstand, dass kein Aktenmaterial über bestimmte
Zeiträume vorhanden ist, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass es jemals existent war, Herr Ströbele. Das
gebieten schon die Gesetze der Logik.
({11})
Die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Bonn ist somit eine schallende Ohrfeige für
die Bundesregierung und insbesondere für das Bundeskanzleramt. Aber nicht allein die Haltlosigkeit der Vorwürfe, sondern auch das in rechtsstaatlicher Hinsicht unerträgliche Vorgehen des Sonderermittlers Hirsch sind
ein Skandal.
({12})
Allein schon die Bestellung des Sonderermittlers zum
Ermittlungsführer für disziplinare Vorermittlungen war
rechtsstaatlich fragwürdig. Das Verfahren artete in der
Folgezeit aus parteipolitischen und parteitaktischen
Gründen zu einer regelrechten Kampagne aus, die ihren
Hintergrund in den damaligen schlechten Umfragewerten von Rot-Grün hatte.
Besonders unerträglich waren die Methoden von
Hirsch. Zeugen haben gegenüber der Staatsanwaltschaft
Bonn angegeben, dass er nicht neutral, sondern voreingenommen gewesen sei, dass seine Befragung unfair
und unzulässig gewesen sei. Er habe nur Belastendes
und nichts Entlastendes gesucht. Er habe Arbeitsergebnisse manipuliert. Ein Zeuge berichtete, nicht alles, was
er gesagt habe, sei protokolliert worden, insbesondere
nichts Entlastendes.
({13})
Er sei zu bestimmten Aussagen gedrängt worden, weil
ein bestimmtes Ergebnis erreicht werden sollte. Hirsch
habe eine Bestätigung dafür gewollt, dass Datenlöschungen erfolgt seien. Ein anderer Zeuge hat gesagt, er habe
den Eindruck einer geführten Befragung gehabt. Suggestivfragen seien gestellt worden. Bestimmte Tatsachenkomplexe, die anschließend politisch skandaliert werden
sollten, sollten unbedingt belegt werden. Ein Zeuge
fühlte sich vor die Alternative gestellt, entweder die
rückhaltlosen Vorwürfe zu bestätigen oder dienstlich
nachteilige Maßnahmen in Kauf zu nehmen. Wenn ein
vom Bundeskanzleramt zum Ermittlungsführer bestimmter Sonderermittler derart rechtsstaatswidrig auftritt, dann ist das ein Schlag in das Gesicht des Rechtsstaates und ein für die Demokratie unhaltbarer Zustand,
der nicht folgenlos bleiben wird.
({14})
Der eigentliche Skandal ist, dass eine Regierung, die
seit fünf Jahren auf ganzer Linie versagt, ein Lügengespinst in die Welt setzt, um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Mithilfe eines so genannten Sonderermittlers, der gegen die einfachsten rechtsstaatlichen
und demokratischen Regeln verstoßen hat, wurde die
Vorgängerregierung auf niederträchtige Weise diffamiert.
({15})
- Herr Stadler, ich erkläre Ihnen das nachher noch im
Einzelnen.
Herr Präsident, ich bin sofort fertig. - Es wurde nicht
davor zurückgeschreckt, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Beamte des Kanzleramtes anzustrengen
und zu betreiben und damit deren Ansehen, Ehre und
Glaubwürdigkeit irreparabel zu beschädigen.
Herr Kollege, ich möchte nur darauf hinweisen, dass
ich die Ihnen bei früherer Gelegenheit wegen demonstrativer Unterschreitung der Redezeit eingeräumte Gutschrift für eine spätere Rede inzwischen eingelöst habe
({0})
und dass es schön wäre, wenn Sie allmählich zum
Schluss kommen könnten.
Herr Präsident, ich bedanke mich und komme zum
Schluss.
Ich fordere die Bundesregierung auf - das gilt auch
für den Bundeskanzler -, sich für ihr Verhalten nachdrücklich und öffentlich zu entschuldigen, damit das Ansehen der verfolgten und beschuldigten Beamten und der
Vorgängerregierung wiederhergestellt werden kann.
Danke schön.
({0})
Bevor ich als letztem Redner dem Kollegen Klaus
Uwe Benneter das Wort für die SPD erteile, erlaube ich
mir den Hinweis, dass ich die zwischenzeitlich geäußerte Vermutung eines Zitats aus Geheimakten und den
Hinweis auf eine Bundestagsdrucksache nach mehrfachen parlamentarischen Erfahrungen für nicht unvereinbar halte.
Nun hat der Kollege Benneter das Wort.
Meine Damen und Herren, wenn, dann zitiere ich nur
aus öffentlich zugänglichen Quellen. Ich habe nicht wie
andere den „Tagesspiegel“, sondern den „Spiegel“
({0})
und das neueste Werk von Herrn Leyendecker mitgebracht, der Ihnen schon eine rühmliche Erwähnung wert
war.
Nach meiner Meinung haben Sie sich dadurch, dass
Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt haben, keinen Gefallen getan. Sie versuchen schon das
ganze Jahr über, in den Fragestunden nach der „Haltet
den Dieb“-Methode die Sache umzudrehen.
({1})
Die betreffenden Vorgänge sind dafür wirklich nicht geeignet. Es ist ein völlig untauglicher Versuch, auf diese
Art und Weise die Vorgänge im Kanzleramt und insbesondere die dafür politisch Verantwortlichen, die Herren
Kohl und Bohl, reinzuwaschen. Auch Herrn Schäuble
machen Sie auf diese Art und Weise nicht nachträglich
zum Saubermann.
({2})
Kollege Ströbele hat schon den Generalstaatsanwalt
aus Köln zitiert. Der hat ganz eindeutig gesagt: Fakt ist,
dass es zum Zeitpunkt des Regierungswechsels 1998 im
Bundeskanzleramt Datenlöschungen gab.
({3})
Fakt ist auch, dass Akten fehlen. Im so genannten
Leuna-Komplex beispielsweise werden sechs Aktenbände mit Originalen und Kopien vermisst. Außerdem
sind Unterlagen aus anderen Akten ausgeheftet und dann
woanders einsortiert worden. Das alles ist unstrittig und
entspricht - das sage ich als Bürger; so sagt der Generalstaatsanwalt - auch nicht meiner Vorstellung von ordentlicher Aktenführung. - Meiner allerdings auch nicht.
({4})
Das sind die Fakten, von denen auszugehen ist.
Eine Tatsache ist auch, dass Löschungen in einem
unvorstellbaren Maß vorgenommen wurden. Sie sind
zentral vorgenommen worden. Es ist nicht so gewesen,
dass man an einzelnen Computern herumgewerkelt hat,
sondern es sind zentral Speicherkapazitäten gelöscht
worden, und zwar in einem Umfang, der jetzt auf
250 000 DIN-A4-Seiten bis 500 000 DIN-A4-Seiten geschätzt wird.
({5})
Soll das alles Zufall sein? Soll es auch Zufall sein,
dass gerade die brisanten Akten weg sind?
({6})
Welche Brisanz dahinter steckt, haben die Kolleginnen
und Kollegen, die vor mir gesprochen haben, schon erwähnt. Ist es Zufall, dass gerade bestimmte interessante
Details zentral gelöscht wurden? Ist es nur ein Zufall,
dass sich die Zeugen zuerst ganz genau erinnern und
später alles Mögliche dazu behaupten, wie sie unter
Druck geraten seien? Es geht dabei um höhere Beamte
im Bundeskanzleramt.
({7})
Das alles reimt sich nicht zusammen.
Ist es ein Zufall, dass auch noch das Löschungsverzeichnis deaktiviert wurde, wie es so schön heißt, dass
also auch im Papierkorb des Computers - die Menschen
wissen inzwischen, dass man dort Dinge ablegen kann gelöscht wurde? Das ist zentral verfügt worden. Das alles kann doch kein Zufall sein. Mir jedenfalls können Sie
das nicht weismachen.
({8})
Die Kollegin Lambrecht fühlte sich auch schon bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass sie sich die Hose nicht mit
der Kneifzange anzieht. Sie meinte wahrscheinlich nicht
die Hose, sondern den Rock.
({9})
Ich bin da nicht so blauäugig. Auch die Menschen sind
nicht so lebensfremd, dass sie Ihnen das abnehmen.
Die zentrale Festplatte ist ebenfalls weg. Auch die ist
ohne Nachfrage bei der Hausleitung einfach zerstört
worden. Noch einer dieser vielen Zufälle in diesem Zusammenhang! Das können wir Ihnen nicht abnehmen.
Das reimt sich nicht zusammen. Das entspricht nicht einer auch nur halbwegs ordnungsgemäßen Aktenführung.
Hier geht es darum, genau das politisch zu bewerten.
Das Verhalten von Herrn Kohl und Herrn Bohl im Zusammenhang mit der Aktenführung reimt sich aber sehr
wohl mit dem Beratervertrag bei Kirch zusammen.
({10})
Herr Kirch hat gegenüber dem Untersuchungsausschuss
wörtlich gesagt:
Ich habe Herrn Kohl nicht einmal richtig um Hilfe
gebeten, sondern ich habe ihn gefragt: Was ist denn
dieser Verein in Brüssel? Da hat er mich gefragt:
Was willst du denn von denen? Da sagte ich: Ich
will etwas ganz Normales. Ich will eine Fusion auf
dem Gebiet des Pay-Fernsehens mit Bertelsmann.
Dann sagte er: Ich verstehe davon überhaupt
nichts ... Dann hat er einmal angerufen. Davon habe
ich mehr Nachteile gehabt als Vorteile. Das Ergebnis ist bekannt. Es wurde verboten.
Wenn Kohl von geschäftlichen Dingen so wenig versteht, warum, so fragen wir alle uns, hat er dafür dann
600 000 DM im Jahr plus großzügige Spenden von
Herrn Kirch bekommen?
({11})
Auf diese Auffälligkeiten hat dankenswerterweise der
Kollege Stadler hingewiesen. Er hat gesagt, dass es deshalb unbedingt notwendig war, Vorermittlungen durchzuführen. Das ist in rechtsstaatlich einwandfreier Weise
durch Herrn Hirsch passiert. Die Art, in der Sie ihn hier
diffamiert haben, finde ich wirklich unerträglich.
({12})
Für dieses „bananöse“ Regierungsverhalten der Herren Kohl und Bohl müssen Sie sich hier entschuldigen.
Sie dürfen nicht jede Woche den Versuch unternehmen,
den Spieß umzudrehen.
({13})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 6. November
2003, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.