Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführ-
ten Punkte zu erweitern:
ZP 5 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 15/1830 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 15/1831 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Heinrich L.
Kolb, Dirk Niebel, Daniel Bahr ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Beendigung der Frühverrentung
- Drucksache 15/1810 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Eckpunkte für die Weiterentwicklung der Rentenreform des Jahres 2001 und zur
Stabilisierung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung
- Drucksache 15/1832 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Die Abgeordnete Lötzsch hat Widerspruch gegen die
Aufsetzung der Rentengesetze angemeldet und verlangt
eine Geschäftsordnungsdebatte.
Das Wort zur Geschäftsordnung erteile ich der Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen
von Petra Pau und mir, also namens der PDS im Bundestag, beantrage ich die Absetzung des Zusatzpunktes
Rente von der Tagesordnung. Die Gesetzentwürfe sind
erst gestern Abend von den Regierungsfraktionen beschlossen und danach dem Parlament zugeleitet worden.
Um 23.30 Uhr wurden sie vom Etagenservice bei uns
verteilt.
Gestern Vormittag wurde uns ein noch nicht bestätigter Entwurf zugestellt. Aber wir reden hier im Deutschen
Bundestag nicht über Dinge, die einfach so entworfen
wurden, sondern über Vorlagen, die dem Parlament entsprechend den Regeln der Geschäftsordnung zugeleitet
wurden. Ich betone das so ausdrücklich, weil mir bei
ähnlicher Gelegenheit - es ging um die Gesundheitsreform - der Parlamentarische Geschäftsführer der SPDFraktion Wilhelm Schmidt meinte vorwerfen zu müssen,
Redetext
ich wolle durch Verfahrenstricks Reformen in Deutschland verhindern. Diesen Vorwurf will ich für die heutige
Debatte vorsorglich zurückweisen. Wo kommen wir
denn hin, wenn diejenigen, die die Einhaltung einiger
weniger Grundregeln fordern, als Trickser bezeichnet
werden und diejenigen, die die Regeln verletzen, also
Gesetze erst um Mitternacht zuleiten, andere der Trickserei bezichtigen dürfen!
({0})
Ich wundere mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, dass Sie dieses Spiel mitmachen. Ohne Ihr Einverständnis könnten die Regierungsfraktionen nicht so mit dem Parlament verfahren.
Aber wie ernst nehmen Sie sich noch als Parlamentarier?
Meine Damen und Herren von der Koalition, es geht
doch wohl vor allen Dingen um Druck auf die eigenen
Fraktionskollegen. Angebliche Alternativlosigkeit soll
mit Zeitdruck untermauert werden. Ich kann Ihnen das
an einem Beispiel erläutern. Heute Morgen hörte ich im
Radio einen Tipp der Verbraucherzentrale. Dabei ging es
um das Locken mit Rabatten. Küchen werden um
40 Prozent günstiger angeboten, aber nur heute. Ein Mitarbeiter der Verbraucherzentrale erklärte, dabei handele
es sich um psychischen Druck, dem viele erliegen würden. Später werde der Kauf bereut.
Bei uns geht es aber nicht um den Kauf einer Küche
für die eigene Wohnung, sondern um Entscheidungen,
die das Leben von Millionen Menschen in diesem Land
betreffen. Dabei ist Seriosität und Gründlichkeit angesagt.
Deshalb verlangen wir die Absetzung der Beratung
über die Schnellschussgesetze von der heutigen Tagesordnung.
Vielen Dank.
({1})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Küster, SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die fraktionslosen Abgeordneten widersprechen der
Aufsetzung zweier Gesetzentwürfe zur Änderung des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze.
Mit diesen Gesetzen sollen kurzfristige Maßnahmen im
Bereich der Rentenversicherung ergriffen werden. Es soll
sichergestellt werden, dass der Rentenversicherungsbeitrag stabil bei 19,5 Prozent bleibt.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die beiden Gesetzentwürfe noch in diesem Jahr beschlossen werden.
Trotz unterschiedlicher Haltung in der Sache sind alle
Fraktionen einverstanden, dass wir heute in die erste Beratung eintreten und unverzüglich mit den Ausschussberatungen beginnen.
Ich halte dies für sehr angemessen und es ist auch verfahrensökonomisch gut, weil wir auf diese Art und
Weise eine Sondersitzung am kommenden Dienstag vermeiden. Wenn wir heute in die erste Beratung eintreten
und dann mit den Ausschussberatungen beginnen, können wir die nächste Woche für Anhörungen und andere
Dinge nutzen.
Die hier zu beratenden Gesetzentwürfe sind auch den
fraktionslosen Abgeordneten, wie sie auch bestätigt haben, gestern früh vorab zugeleitet worden. Sie hatten genügend Zeit, die Gesetzentwürfe zur Kenntnis zu nehmen, sich mit ihnen auseinander zu setzen und ihre
Haltung dazu zu erarbeiten. Der Geschäftsordnungsantrag der beiden fraktionslosen Abgeordneten ist demnach abzulehnen. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über den interfraktionellen Antrag auf Aufsetzung, wobei von der Frist für
den Beginn der Beratung abgewichen werden soll. Wer
stimmt für den Aufsetzungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag auf Aufsetzung der Zusatzpunkte 5 a bis 5 d mit den Stimmen des
Hauses gegen die Stimmen der beiden fraktionslosen
Abgeordneten beschlossen.
Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({1}) vom 20. Dezember 2001, 1413 ({2}) vom 23. Mai 2002,
1444 ({3}) vom 27. November 2002 und 1510
({4}) vom 13. Oktober 2003 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
- Drucksachen 15/1700, 15/1806 Berichterstattung:
Abgeordnete Gert Weisskirchen ({5})
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Ludger Volmer
Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1822 Berichterstattung:
Abgeordnete Antje Hermenau
Lothar Mark
Herbert Frankenhauser
Dietrich Austermann
Jürgen Koppelin
Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Bundesregierung werden wir später namentlich abstimmen.
Präsident Wolfgang Thierse
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Peter Struck das Wort.
({7})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die internationale Staatengemeinschaft steht an
einem Wendepunkt in ihrer Afghanistanpolitik. Sie geht
neue Wege, um Stabilität und Sicherheit im ganzen Land
voranzubringen. Wir, die Bundesrepublik Deutschland,
übernehmen heute zusätzliche Verantwortung auf der
Grundlage der neuen Resolution des Sicherheitsrates
vom 13. Oktober.
Deutschland hat eine besondere Verantwortung für
dieses Land - historisch bedingt, aber auch bedingt
durch die Petersberg-Konferenz, die wir in unserem
Land durchgeführt haben. Wir beteiligen uns an dem
ISAF-Mandat - wir haben die Leitfunktion für das Mandat übernommen -, wir sind federführend bei dem Aufbau der Polizei und wir leisten andere Unterstützungen
für dieses arme, geschundene Land.
Der Erfolg des ISAF-Prozesses in Afghanistan lässt
sich sehen. Ich bin jedem Kollegen und jeder Kollegin
aus diesem Hause dankbar, die unsere Soldatinnen und
Soldaten in Afghanistan besuchen, weil sie dort selbst
erleben können, welch wichtige Aufgabe die Bundeswehr in diesem Land wahrnimmt.
({0})
Die Angehörigen der Bundeswehr in Afghanistan
sind keine Besatzungssoldaten, sondern sind Helfer in
Uniform.
({1})
Das wird einem täglich deutlich, wenn man, wie ich, öfter in diesem Land ist und in die Augen der Menschen in
Afghanistan blickt.
Das Land ist allerdings noch nicht befriedet. Zeichen
der Stagnation sind unübersehbar und es besteht die Gefahr von Rückschlägen. Es geht uns mit unserer Initiative, die die Vereinten Nationen dankenswerterweise
aufgegriffen haben, darum, die Durchsetzungsfähigkeit
der Zentralregierung zu erhöhen. Außerdem wollen wir
den Verfassungsprozess und die Wahlen im nächsten
Jahr aktiv begleiten und unterstützen.
Zurzeit sind etwa 1 800 Soldaten im Rahmen des vom
Bundestag beschlossenen Mandates in Kabul stationiert.
Das Vertrauen gegenüber deutschen Soldaten ist dort
sehr viel höher als gegenüber denen einiger anderer Nationen. Deshalb wollen wir diese besondere Verantwortung auch übernehmen.
Die Bundesregierung hat sich entschieden, dies alles
unter dem Mandat der internationalen Schutz- und Aufbautruppe ISAF als eine so genannte ISAF-Insel in der
Provinz Kunduz zu beginnen. Damit gehen wir einen
neuen Weg. Bei dem vom Bundestag beschlossenen
Mandat für ein Jahr wird man sicherlich auch erleben
können - das will ich gerne zugestehen -, dass wir noch
einiges ändern müssen. Wir gehen bei unserem Einsatz
in diesem Land auch nach der Methode „learning by doing“ vor.
Unser Konzept für die so genannten Wiederaufbauteams unterscheidet sich von dem, was die Amerikaner
bisher hatten. Der Bevölkerung soll eine Friedensperspektive aufgezeigt werden, um damit radikalen Elementen in diesem Land den Boden zu entziehen. Deshalb
steht bei unserem Konzept der zivile Wiederaufbau im
Vordergrund.
({2})
Es ist, auch in den Ausschüssen, oft die Frage gestellt
worden, warum wir ausgerechnet Kunduz gewählt haben. Wie Sie wissen, haben wir von Erkundungsteams
die Lage auch in anderen Regionen dieses Landes untersuchen lassen. Für Kunduz sprechen die Sicherheitslage
und die Kooperationsbereitschaft der lokalen Autoritäten. Darüber hinaus gibt es in der Provinz Kunduz wie in
den drei benachbarten Provinzen - der Bundestag erteilt
das Mandat für die ganze Region Kunduz - gute Chancen für den Wiederaufbau.
Ich kann nicht verstehen, dass uns vorgeworfen wird,
wir hätten uns bewusst für eine relativ sichere Region
entschieden. In Afghanistan ist alles relativ. Dass man
von Stabilität und Sicherheit in unserem Sinne im ganzen Land nicht sprechen kann, weiß jeder, der die Nachrichten sieht. Ich als Bundesminister der Verteidigung
habe die Verantwortung für das Leben der Soldatinnen
und Soldaten. Deswegen bin ich froh, dass wir nicht in
eine Region gehen, in der man jeden Tag mit Anschlägen auf die Bundeswehrangehörigen rechnen muss. Wir
wissen dass es nicht ungefährlich ist. Ich denke, jedes
Mitglied dieses Hauses, das diesem Mandat zustimmen
wird, ist sich der Verantwortung bewusst.
Ich habe auch Verständnis für die Kolleginnen und
Kollegen - das will ich hier ausdrücklich sagen -, die
sich aus bestimmten Gründen nicht entschließen können,
diesem Einsatz zuzustimmen. Ich finde, das muss jeder
mit sich selbst abmachen. Trotzdem glaube ich, dass wir
mit diesem Konzept dem Land helfen und verhindern
können, dass dieses Land Ausgangsbasis für terroristische Aktivitäten in der Welt wird.
({3})
In Afghanistan ist der Einsatz insgesamt acht solcher
Wiederaufbauteams geplant. Einige sind sogar schon
vorhanden. Die USA haben in Kunduz, Gardez, Jalalabad je ein Team; wir übernehmen von ihnen den Einsatzort Kunduz. Von den USA sind weitere Teams in Herat,
Kandahar und Charikar geplant. Neuseeland übernimmt
ein Team in Bamian. Großbritannien hat ein solches
Team in Mazar-i-Scharif schon installiert.
Aufgaben unserer Soldatinnen und Soldaten in Kunduz sind, durch Patrouillenfahrten und -gänge einen Beitrag zur Herstellung eines sicheren Umfeldes für die zivilen Wiederaufbauhelfer zu leisten, die afghanischen
Sicherheitskräfte bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zu unterstützen und die zivilen Wiederaufbauhelfer zu schützen. Wir werden, wenn es sich im Laufe des nächsten
Jahres ergibt, auch so genannte zivil-militärische Aktivitäten in den Provinzen installieren.
Aufgabe der Angehörigen der Bundeswehr ist ausdrücklich nicht die Drogenbekämpfung; das will ich
vor dem Plenum betonen. Dafür sind die Soldatinnen
und Soldaten nicht da. Die Drogenbekämpfung ist Aufgabe der afghanischen Kräfte, der afghanischen Polizei
und der afghanischen Armee, und Aufgabe der Führungsnation Großbritannien, die sich dazu verpflichtet
hat, Hilfe zu leisten.
Wir werden in ganz Afghanistan, also außerhalb von
Kunduz, nur in einem Ausnahmefall Soldatinnen und
Soldaten einsetzen. Das betone ich hier, weil das in den
Diskussionen in den Fraktionen eine Rolle gespielt hat.
Die Debatten, die von den Fraktionen dazu angeregt
worden sind, waren für die Erkenntnisbildung der Bundesregierung durchaus hilfreich.
Es wird voraussichtlich Mitte des nächsten Jahres
Wahlen in Afghanistan geben. Wir wollen im Rahmen
des Mandats mit militärischem Personal diese Wahlen
absichern und Unterstützung leisten.
Ich sage hier, dass jeder Soldat und jede Soldatin, die
in diesem Land außerhalb von Kabul oder Kunduz tätig
werden sollen, das nur dürfen, wenn ich die Genehmigung dazu erteile. Dies wird also unter dem Genehmigungsvorbehalt des Ministers stehen. Ich werde die
Fraktionen des Deutschen Bundestages vor der Erteilung
einer solchen Genehmigung über die gegebene Situation
informieren. Ich versichere auch, dass ich eine solche
Genehmigung nicht erteilen werde, wenn es aus dem
Kreise der Fraktionen erhebliche Bedenken geben sollte.
({4})
Wir streben auch die Beteiligung anderer Nationen an
unserem Wiederaufbauteam in Kunduz an. Ich habe mit
den Kolleginnen und Kollegen aus unseren europäischen
Nachbarstaaten viele Gespräche geführt. Wenn der Bundestag heute entsprechend beschließt, werden sofort
konkrete Gespräche mit den Nationen aufgenommen. Interesse an einer Beteiligung an unserem Team haben die
Niederlande, Belgien, Norwegen, Schweden, Finnland,
Italien und Tschechien angemeldet. Vielleicht kommt
auch noch das eine oder andere Land hinzu.
Es geht nicht darum, dass dadurch das Kontingent der
Bundeswehr von zunächst geplanten 230 Soldaten deutlich verringert werden könnte, sondern es geht darum,
dass wir den Afghanen in Kunduz über Verbindungselemente und über die Beteiligung auch nur einiger weniger
Soldaten aus anderen Ländern deutlich machen, dass
nicht nur Deutschland, sondern auch viele andere Staaten diesem Land aus seiner Misere und aus seinen
Schwierigkeiten heraushelfen wollen.
({5})
In unserem letzten bilateralen Gespräch haben wir
mit den Vereinigten Staaten vereinbart, dass es in Kunduz ein US-Verbindungselement geben wird und dass
im Notfall - wie auch in Kabul - Hilfe bei der Evakuierung deutscher Staatsbürger, auch deutscher Soldaten,
geleistet wird. Russland und Frankreich haben sich bereit erklärt, durch ein Transitabkommen bzw. durch die
Bereitstellung von Transportkapazitäten nach Kabul
und Kunduz Unterstützung zu leisten. Im Rahmen des
ISAF-Mandats sind in Kabul gegenwärtig insgesamt
32 Nationen - 18 davon sind NATO-Staaten - tätig. Die
Führungsverantwortung bleibt bei der NATO; Kunduz
wird integriert. Die Planungen in der NATO sind weit
fortgeschritten und werden in Kürze abgeschlossen
sein.
Meine Damen und Herren, ich betone auch, dass es
eine klare Abgrenzung zwischen den Operationen ISAF
und Enduring Freedom gibt. Das Aufbauteam in Kunduz steht unter dem Mandat von ISAF - also Internationale Schutz- und Aufbautruppe - und damit unter der
militärischen Verantwortung der NATO. Wenn der Bundestag heute Mittag entsprechend beschließt, werden wir
unverzüglich ein Vorkommando von 27 Soldaten auf den
Weg schicken, das die technischen Fähigkeiten abzuklären hat. Sie werden also heute Mittag fliegen und abklären, wo unsere Soldaten untergebracht werden können
und wie der Aufwuchs vonstatten gehen kann.
Die Erweiterung dieses Bundeswehreinsatzes wird
nicht ohne finanzielle Konsequenzen bleiben. Aufgrund
entsprechender Fragen - diese wurden auch gestern im
Haushaltsausschuss gestellt - will ich deutlich betonen,
dass wir alles tun werden, was für die Sicherheit unserer
Soldatinnen und Soldaten erforderlich ist. Trotz der bekannten finanziellen Zwänge ist dieses Mandat auch
finanziell abgesichert. Ich erkläre, dass alle Soldatinnen
und Soldaten, die in Kunduz tätig sein werden, genauso
wie diejenigen, die in Kabul, auf dem Balkan oder am
Horn von Afrika tätig sind, mit dem Material und den
Systemen ausgestattet werden, die sie benötigen, um ihren Auftrag zu erfüllen, und durch die ihre persönliche
Sicherheit bestmöglich garantiert werden kann.
({6})
In den nächsten Monaten werden wir sehen, ob das
von Deutschland begonnene Experiment, den zivilen
Wiederaufbau in den Vordergrund der Aktivitäten in Afghanistan zu stellen, gelingt oder nicht. Es wird umso
besser gelingen können, wenn der Deutsche Bundestag
den Soldatinnen und Soldaten ein möglichst breites Unterstützungsvotum mit auf den Weg gibt. Darum bitte ich
Sie sehr herzlich.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Schäuble,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt dem Antrag
der Bundesregierung zu.
({0})
Die Entscheidung fällt allen Kolleginnen und Kollegen
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht leicht. Ich füge
hinzu: Die Bundesregierung hat uns die Entscheidung
auch nicht leicht gemacht.
Die Entscheidung fällt uns nicht leicht, weil es ein gefährlicher Einsatz für die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr ist; der Verteidigungsminister hat dies bereits gesagt. Auch wenn die Lage in Kunduz relativ stabil ist, bleibt es ein risikoreicher und übrigens auch entbehrungsreicher Einsatz.
Die Entscheidung ist uns aber auch deshalb nicht
leicht gefallen, weil die Bundesregierung - das muss ich
zu dieser Stunde sagen - in der Begründung ihrer Anträge nicht sorgfältig gearbeitet hat, was künftige Zustimmungen zu solchen Einsätzen angeht.
({1})
Vor der Sommerpause gab es eine Unterrichtung der
Fraktionsvorsitzenden, bei der auch die Zustimmung für
eine Erkundungsmission nach Herat erbeten wurde.
Ein wirkliches Ergebnis der Erkundungsmission nach
Herat haben wir nie bekommen. Stattdessen haben wir
gehört, dass ein Einsatz in Kunduz geplant ist.
Ich respektiere all das, was der Verteidigungsminister
eben gesagt hat. Dennoch möchte ich darauf hinweisen,
dass nicht alle Menschen in unserem Lande verstanden
haben, warum nach Herat eine zivile Mission ohne militärischen Schutz durch die Bundeswehr entsandt wird,
während in das stabilere Kunduz eine zivile Mission mit
militärischen Schutz durch die Bundeswehr entsandt
wird. Wir bräuchten eine sorgfältiger erarbeitete Erklärung dafür, um insbesondere die Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Entwicklungshilfe besser davon
überzeugen zu können, als dies bisher offensichtlich
- auch nach jüngsten Meldungen - gelungen ist.
({2})
Wir haben auch nie eine wirklich überzeugende Erklärung dafür bekommen, was sich in dem PetersbergProzess eigentlich verändert hat. Insbesondere Sie, Herr
Bundesaußenminister, haben noch im Dezember des vergangenen Jahres amtlich erklärt, dass eine Ausweitung
des Bundeswehrengagements in Afghanistan über Kabul
hinaus im Rahmen des ISAF-Prozesses nicht infrage
komme. Das hat sich geändert. Daher muss darüber geredet werden, welche Erwartungen, die mit den Afghanistan-Konferenzen auf dem Petersberg verbunden
waren, sich nicht erfüllt haben und was wir nun machen
müssen, damit der Westen und die freie Welt in Afghanistan nicht scheitern. Deswegen stimmen wir, obwohl
Sie es uns nicht leicht gemacht haben, Ihrem Antrag zu.
Ich will eine Bemerkung hinzufügen: Es ist in Ordnung, dass der Verteidigungsminister jetzt eine Eingrenzung der Ausweitung des Mandats über die Region Kunduz hinaus vorgenommen hat. Die Opposition hat aber
erst durch den Antrag erfahren, dass eine solche Ausweitung vorgesehen war. Es gab keine Unterrichtung seitens
der Bundesregierung; noch nicht einmal der Ausschuss
ist darüber informiert worden.
({3})
- Das war so, gnädige Frau Kollegin. Wenn wir das nicht
geklärt hätten, wäre es nicht geklärt worden. Dass dies
aber geklärt werden musste, hat der Verteidigungsminister soeben gesagt. Arbeiten Sie bitte in der Zukunft sorgfältiger, meine Damen und Herren von der Bundesregierung!
({4})
Herr Kollege Erler, wir schicken Soldaten der Bundeswehr in einen gefährlichen Einsatz.
({5})
Wir machen es uns als Opposition nicht leicht; aber
stimmen diesem Antrag zu. Es ist aber wirklich nicht zu
viel verlangt, wenn wir von der Bundesregierung die
notwendige Sorgfalt bei der Vorbereitung solcher Entscheidungen einfordern. Das sollten Sie respektieren und
unterstützen.
({6})
Wir stimmen dem Antrag zu, weil es falsch wäre, sich
aus Afghanistan zurückzuziehen, und weil es richtig ist,
dass das ISAF-Mandat, begrenzt auf Kabul, im Prozess
der Stabilisierung Afghanistans über Kabul hinaus seine
Begründung verliert. Wir stehen vor der Alternative, uns
entweder aus Afghanistan zurückzuziehen oder über Kabul hinaus für Stabilität zu sorgen. Daher ist die Erweiterung und Fortsetzung der Beteiligung richtig. Wir werden dem Antrag zustimmen.
Ein Rückzug aus Afghanistan wäre eine dramatische
Niederlage im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Herr Verteidigungsminister, diese Abstimmung
ist keine einfache Frage, bei der Sie so einfach hinnehmen können, dass Mitglieder dieses Hauses eine andere
Meinung haben. Wir alle stehen in der Verantwortung
für diese Entscheidung, bei der es um die Sicherheit der
Menschen auch in Deutschland geht. Wenn der internationale Terrorismus obsiegen würde, wäre die Sicherheit
nicht nur in Amerika und Afghanistan, sondern auch in
Europa bzw. in Deutschland gefährdet. Deswegen stimmen wir dem Antrag zu. Diese Zusammenhänge muss
sich jeder klar machen.
({7})
Wir werden - das ist seit den Petersberg-Konferenzen
deutlich geworden; das gilt für das Bemühen um eine
globale Weltordnung insgesamt - respektieren und
akzeptieren müssen, dass sich ein Land wie Afghanistan
nicht nach unseren Vorstellungen von staatlicher Organisation in Europa entwickeln wird. Entwicklungsstand,
kulturelle Erfahrungen und Herkunft sind völlig unterschiedlich. Wer glaubt, man könne mit noch so viel Bemühen Afghanistan zu einem Land machen, das unseren
Vorstellungen von einem Land in Europa entspricht, der
wird scheitern; denn das wird in Afghanistan nicht gelingen.
Wenn ich sage, dass wir das respektieren müssen,
dann müssen wir aber auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Wir können und dürfen bei allen Unterschieden in
Kultur, Tradition, Herkunft, Erfahrung und Entwicklungsstand nicht akzeptieren, dass ein Land wie Afghanistan zur Basis für die Ausbildung von Terroristen wird,
die die Sicherheit der Menschen überall in der Welt bedrohen. Auch können wir als Weltgemeinschaft nicht akzeptieren, dass Länder zur Versorgung der Menschheit
mit lebensgefährdenden Drogen beitragen.
Es ist richtig - diese Klarstellung haben Sie vorgenommen; darin stimmen wir überein -, dass die Soldaten der Bundeswehr den Drogenanbau nicht mit den
militärischen Mitteln der Bundeswehr bekämpfen können. Das wäre unverantwortlich. Die Mittel dafür wären völlig unzureichend. Das ist nicht möglich. Richtig
ist aber auch - das ist das Problem mit Herat und Kunduz und den Veränderungen nach dem Petersberg-Prozess; darüber muss ebenso gesprochen werden -, dass
wir bei aller Kooperation mit den lokalen Machthabern, mit denen wir zusammenarbeiten müssen, um die
Soldaten nicht in unvertretbare Risiken zu schicken,
verlangen müssen, dass sie zum einen nicht mit Terroristen zusammenarbeiten und zum anderen nicht den
Drogenanbau fördern und davon profitieren. Sie müssen ihn vielmehr bekämpfen. Es macht keinen Sinn, Polizeikräfte auszubilden, wenn die Machthaber trotzdem
vom Drogenanbau profitieren.
({8})
Die Bundesregierung muss ein Konzept entwickeln
und vorlegen. Das kann sie nicht allein machen. Sie
muss in internationaler Zusammenarbeit dafür sorgen,
dass durch Druck auf die lokalen Machthaber und die
Anrainerstaaten sichergestellt wird, dass Afghanistan
nicht in noch stärkerem Maße zum Drogenlieferanten
der Menschheit wird. Als ich als Bundesinnenminister
- das ist schon einige Jahre her - an einer Sondervollversammlung der Vereinten Nationen in New York teilgenommen habe, war das Hauptthema Nummer eins die
Weltdrogenbekämpfung. Wir dürfen dies heute auch in
Afghanistan nicht als nachrangiges Problem betrachten.
Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung bessere und mehr konzeptionelle Überlegungen, wie es mit
dem Drogenanbau in Afghanistan weitergeht. Es darf
nicht sein, dass wir für mehr Stabilität sorgen, damit der
Drogenanbau in Afghanistan erleichtert wird. Das wäre
eine falsche Entwicklung. Dieses Problem darf man
nicht vernachlässigen.
({9})
Dafür brauchen wir in internationaler Zusammenarbeit ein Konzept. Wir stimmen dem Antrag zu, weil das
Parlament letzten Endes keine internationale Zusammenarbeit leisten kann. Dafür haben wir eine Regierung,
die dies gut oder schlecht machen kann. Mit unserer Zustimmung zu ihrem Antrag werden wir die Regierung
nicht von der Verpflichtung entbinden, dass nur sie für
eine zielführende Konzeption verantwortlich ist, mit der
wir den Soldaten der Bundeswehr genau erklären können; was sie im Hinblick auf die Entwicklung in Afghanistan leisten.
In welchem Zeitraum erwarten wir eine Entwicklung
in Afghanistan, die ermöglicht, dass man den Soldaten
der Bundeswehr sagen kann: Ihr habt euren Auftrag erfolgreich erfüllt? - Wir brauchen Ziel und Perspektive.
Von dieser Verantwortung kann die Bundesregierung
auch nicht durch die Zustimmung des Bundestages entbunden werden. Das muss klargestellt sein.
({10})
Ihren Äußerungen zur Finanzierung des Einsatzes,
Herr Bundesverteidigungsminister, stimmen wir zu, weil
wir davon überzeugt sind, dass die Soldaten der Bundeswehr, die wir in diesen und in andere Einsätze mit unserer Zustimmung entsenden, in der Tat so ausgestattet
sind, dass sie ihren Einsatz erfüllen können und dass sie,
soweit es überhaupt möglich ist, vor persönlichen Risiken geschützt sind. Wären wir davon nicht überzeugt,
würden wir dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen.
Aber das Problem der Finanzierung der Bundeswehr
ist damit natürlich nicht erledigt. Es reicht eben nicht
aus, die Soldaten, die wir in Auslandseinsätze entsenden,
so auszustatten, dass sie diese Einsätze erfüllen können,
den Rest der Bundeswehr in Deutschland aber mehr oder
weniger vor die Hunde gehen zu lassen. Das ist nämlich
das Problem. Wenn Sie sagen, dass Sie im Zuge der parlamentarischen Beratungen für eine Finanzierung der
Bundeswehr sorgen - gleichwohl sagt der Antrag der
Bundesregierung zur Finanzierung überhaupt nichts aus;
deswegen können unsere Kollegen im Haushaltsausschuss dem ja auch nicht zustimmen -, gleichzeitig aber
beim nächsten Tagesordnungspunkt, im Zusammenhang
mit der Rentendebatte, eine globale Minderausgabe beschließen, von der auch der Verteidigungshaushalt betroffen ist,
({11})
dann ist das ein bisschen zu wenig.
Ich will den Zusammenhang darstellen. Letzten Endes leisten die Soldaten der Bundeswehr den Dienst für
die Sicherheit unseres Landes und für die Sicherheit unserer Menschen, also von uns allen. Sie leisten einen gefährlichen Dienst; wir schulden ihnen dafür Dank und
Fürsorge. Sie leisten diesen Dienst in Afghanistan und
auf dem Balkan - aber sie leisten ihn auch in Deutschland. Auch dafür muss die Bundeswehr ausgestattet bleiben. Wenn Sie beides nicht miteinander verbinden, dann
erfüllen wir zwar unsere Fürsorgepflicht für die Soldaten
in Afghanistan, aber nicht mehr für die Soldaten in
Deutschland. Auch das geht nicht zusammen und muss
in Ordnung gebracht werden.
({12})
Vielleicht ist diese Debatte und diese Entscheidung
eine Chance für die Regierung und das Haus als Ganzes,
aus Erfahrungen zu lernen, die wir in dieser Debatte gemacht haben. Der Bundesverteidigungsminister hat eben
gesagt, die Bundesregierung habe durch diese Debatten
mehr Klarheit bekommen, als sie zuvor gehabt habe.
Wenn das dazu führt, dass wir gemeinsam den Dienst
unserer Soldaten für die Sicherheit unseres Landes und
unsere Verpflichtung gegenüber den Soldaten ernster
nehmen, und zwar nicht nur in Reden, sondern auch im
konkreten Handeln, dann wäre es eine Chance nicht nur
für die Bundeswehr, sondern auch für die Sicherheit unseres Landes.
Das letzte Wort, das ich sagen möchte, ist: Wir sollten
uns bei jeder dieser Entscheidungen nicht nur unserer
Verantwortung für die Soldaten bewusst sein, sondern
auch der Dankesschuld; denn die Soldaten leisten einen
gefährlichen Dienst dafür, dass wir in Frieden und Sicherheit leben können. Wir wünschen, dass sie ihn mit
möglichst wenig Opfern und unversehrt leisten können.
Herzlichen Dank.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Winfried Nachtwei,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag entscheidet heute über die Verlängerung und die begrenzte Erweiterung des Bundeswehrbeitrages zur Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF in
Afghanistan.
Die Verlängerung, die übrigens mit einer Reduzierung der Obergrenze einhergeht, ist unstrittig. Unübersehbar und von der afghanischen Bevölkerung hoch angesehen ist, was die ISAF-Soldaten für die Menschen in
Kabul und für den Stabilitätsprozess unter hohen Strapazen und unter hohem Risiko leisten. Dafür verdienen
diese Soldatinnen und Soldaten den ehrlichen und überzeugten Dank und die Anerkennung des gesamten Bundestages.
({0})
Eingeschlossen in diesen Dank und diese Anerkennung
sind die deutschen Polizeibeamten, Zivilexperten, Helfer
und die Vertreter von Nichtregierungsorganisationen,
ohne deren wichtige Arbeit der Einsatz der ISAF-Soldaten perspektivlos wäre.
Zur Ausweitung des Bundeswehrengagements auf
die Region Kunduz und zu einer begrenzten Wahlabsicherung haben sich zu Recht mehr Fragen ergeben. Die
Forderung, den internationalen Stabilitätsbeitrag bzw.
den ISAF-Einsatz auf das Land auszuweiten, gibt es
schon länger. Sie wurde vom UN-Generalsekretär, vom
UN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Brahimi, und
- am 17. Juni dieses Jahres - von 85 internationalen
Nichtregierungsorganisationen erhoben. Diese Forderung ist also sehr verbreitet. Dem gegenüber stand das
Sträuben der internationalen Gemeinschaft, diesen Forderungen entgegenzukommen.
In den letzten Monaten ist allerdings unübersehbar
geworden, dass die internationale Afghanistanpolitik an
einem Scheideweg steht. Angesichts der verschlechterten Sicherheitslage und der Tatsache, dass Mitte nächsten Jahres Wahlen stattfinden, ergibt sich eine schlichte,
aber eindeutige Alternative: Entweder wird der Petersberg-Prozess fortgesetzt, indem er verstärkt und ausgeweitet wird, oder Afghanistan wird mittelfristig in seine
kriegerische Vergangenheit zurückrutschen. Das ist die
Alternative, um die es heute geht.
Der neue und erweiterte deutsche Beitrag ist weder
ein nur militärischer noch ein deutscher Alleingang. Die
Bundesregierung hat ausdrücklich ein ganzes Paket beschlossen. Dazu gehören erstens die zivile Präsenz in
Herat, zweitens die verstärkte Unterstützung des Polizeiaufbaus in Afghanistan und drittens die Bildung von
ISAF-Inseln in Kunduz und gegebenenfalls die Wahlabsicherung. Das alles gehört notwendigerweise zusammen.
Dieser deutsche Beitrag ist zudem Teil eines landesweiten Netzes von regionalen Wiederaufbauteams und
ISAF-Inseln. Mit dem Aufbau dieses landesweiten Netzes haben die USA angefangen. Dann sind Großbritannien und Neuseeland eingestiegen. Jetzt beteiligt sich
auch die Bundesrepublik zusammen mit anderen Partnern. Es geht dabei schlichtweg um internationale
Arbeitsteilung.
Viele fragen sich, was die 230 Soldaten in Kunduz
machen sollen. Ich glaube, es gibt in diesem Zusammenhang einige Missverständnisse. Ein Missverständnis besteht darin, dass die relative Ruhe, die in der Tat in der
Region herrscht, mit Stabilität verwechselt wird. Stabilität gibt es dort aber noch keineswegs.
Ein zweites Missverständnis ist, dass die ISAF-Inseltruppe für eine Art Protektoratstruppe gehalten wird, die
die Warlords und Drogenbarone sozusagen mit vorgehaltenem Maschinengewehr dazu zwingen würde, von
ihrem bisherigen Kurs abzulassen. Ein solches Vorgehen
ist aber selbstverständlich illusorisch. Die Soldaten dieser ISAF-Insel haben einen ISAF-Auftrag auszuführen.
Dieser umfasst konkret die Sicherheitsunterstützung
durch Präsenzpatrouillen in der Stadt und in der Region
zusammen mit afghanischen Polizisten und - das ist entscheidend, entzieht sich aber weitgehend der Öffentlichkeit - durch Verbindungsarbeit mit lokalen Machthabern.
Des Weiteren ist die Informationsarbeit vor allem
über das Radio - beim Militär wird das operative Information genannt - von entscheidender Bedeutung. Wer
das einmal in Kabul mitbekommen hat, weiß, welche
strategische Bedeutung dieser Aufgabe zukommt.
Erforderlich sind auch schnell wirksame Wiederaufbauprojekte und die Unterstützung des Polizeiaufbaus.
Die Erfahrungen in Kabul haben gezeigt, dass auf diese
Weise auch mit relativ - um nicht zu sagen: erstaunlich geringer Kraft ein hohes Maß an Stabilitätsförderung bewirkt werden kann.
Wider die Befürchtungen einzelner Nichtregierungsorganisationen ist sichergestellt, dass die Unabhängigkeit
dieser Organisationen selbstverständlich unberührt
bleibt. Der Bundesregierung ist ausdrücklich dafür zu
danken, dass sie den Anstoß der USA zu regionalen Wiederaufbauteams aufgenommen und in Richtung ISAF-Inseln weiterentwickelt hat. Dass die Bundesregierung dabei international eine treibende Kraft war, ist ihr in keiner
Weise vorzuwerfen, sondern - im Gegenteil - hoch anzurechnen. Das ist nämlich ein Zeichen von Verlässlichkeit.
Wir können wahrhaftig nicht das Verhalten mancher
Partner als Vorbild nehmen, die sich inzwischen von Afghanistan in Richtung Irak verabschiedet haben.
Zusammengefasst: Die Fraktion von Bündnis 90/Die
Grünen stimmt nach sorgfältiger Prüfung dem Antrag
der Bundesregierung zu. Die Ausweitung des zivilen,
des polizeilichen und des militärischen Engagements ist
dringend notwendig. Sie ist von den Vereinten Nationen
und von der afghanischen Regierung legitimiert und gewünscht und sie ist auch angesichts der unbestreitbaren
Risiken verantwortbar. Das ist ein Signal, dass sich die
Bundesrepublik Deutschland zu der seit der PetersbergKonferenz übernommenen Verantwortung bekennt und
nicht auf halbem Weg stehen bleibt, das heißt nicht mittelfristig kehrtmacht.
Ich danke Ihnen.
({1})
Ich erteile das Wort Kollegen Dr. Werner Hoyer,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
FDP-Bundestagsfraktion wird heute dem Antrag der
Bundesregierung nicht zustimmen.
({0})
Wir haben uns diese Entscheidung alles andere als leicht
gemacht. Ich bekenne, dass sie mir aus zwei Gründen
sehr schwer gefallen ist. Erstens weiß ich genau, dass
weder der Wiederaufbau Afghanistans noch die Bekämpfung des dortigen Terrorismus erledigt ist; das
muss fortgesetzt werden. Mir ist die Entscheidung
- zweitens - auch deshalb schwer gefallen, weil ich die
Soldaten der Bundeswehr in solch schwierige Missionen
sehr gerne mit dem vollen Rückenwind des Bundestages
schicken würde. Deswegen neigen wir von der FDP
dazu, solchen Anträgen der Bundesregierung zuzustimmen, wenn es irgendwie möglich ist. Aber man muss uns
davon überzeugen, dass die entsprechende Mission auch
zu verantworten ist. Das ist hier nicht der Fall.
({1})
Ich versuche, das zu erläutern. Herr Kollege
Schäuble, wir sind nicht der Auffassung, dass die einzige
Alternative dazu, zu dem vorliegenden Antrag Ja zu sagen, darin bestände, aus Afghanistan herauszugehen. Ich
bin dezidiert der Auffassung, dass der Auftrag in Kabul
fortgesetzt werden muss. Ich sperre mich auch keineswegs dagegen, darüber nachzudenken, ob man nicht
über Kabul hinausgehen sollte, und zwar im Rahmen eines internationalen und vor allem europäisch abgestimmten Konzeptes, das tatsächlich zur Bildung eines
flächendeckenden Netzes aus Stabilitätsinseln führt. Das
würde uns ermöglichen, unser Ziel zu erreichen, nämlich
auf der einen Seite im Zusammenwirken von ISAF und
Enduring Freedom den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen und auf der anderen Seite den Aufbau Afghanistans voranzubringen. Vom Bundesminister der Verteidigung haben wir eben die eindrucksvolle Liste von
Partnerländern vorgetragen bekommen, mit denen er im
Gespräch ist und von denen wir vielleicht erwarten können, dass sie einige Offiziere oder zivile Kräfte bereitstellen werden, um in unserem Team mitzuwirken. Aber
neben dem amerikanischen und dem neuseeländischen
Team wird es außer dem britischen keine weiteren europäischen Teams dort geben. Das halte ich für ein eklatantes Versagen der europäischen Außenpolitik. Ich
bedauere das sehr.
({2})
Wir werden auf diese Weise eine Abdeckung Afghanistans erreichen, die weit unter 20 Prozent liegt. Das
wird dem hohen Ziel - das wir teilen - nicht gerecht. Wir
sollten in der Tat auf die zivilen Organisationen hören,
die zu einem erheblichen Teil zu bedenken gegeben haben, ob ihre Arbeit durch die räumliche, aber auch inhaltliche Nähe zur militärischen Komponente nicht eher
erschwert denn geschützt wird. Daher ist es nach meiner
Auffassung eine unehrliche Lösung, in Kunduz selber
einfach nur eine räumliche Trennung vorzunehmen. Gerade wenn ein Schutz erforderlich sein sollte, wäre eine
gemeinsame Unterbringung der militärischen und der zivilen Kräfte durchaus sinnvoll. Das ist durch und durch
widersprüchlich. Es ist nichts Halbes und nichts Ganzes.
Ich bin im Übrigen auch der Auffassung, dass wir uns
intensiver mit den Hilfsorganisationen auseinander setzen sollten. Diese nämlich mahnen eine andere Prioritätensetzung bei unserem Afghanistanengagement an und
machen deutlich, dass Afghanistan in erster Linie Schulen, Krankenhäuser und Infrastruktur benötigt und erst in
zweiter Linie Soldaten, es sei denn, sie sind unmittelbar
am Kampf gegen den Terror beteiligt.
Das Inselkonzept zielt auf die Stärkung der Kabuler Zentralregierung gegenüber den Provinzfürsten.
Das ist im Ansatz richtig und wichtig, wird sich in der
geplanten Form aber nicht durchsetzen lassen. Die Bundeswehrsoldaten werden in Kunduz so lange sicher
sein, wie sie den regionalen Machthabern, insbesondere den Drogenbaronen, nicht in die Quere kommen.
In dem Moment, in dem es zu Konflikten kommt, in
dem es auch konkret darum geht, die Zentralregierung
gegen-über regionalen Machthabern zu stärken und Positionen der Zentralregierung durchzusetzen, wird es
brandgefährlich. Dann reichen Ausrüstung, Ausstattung, Luftunterstützung und sonstige Abdeckung unserer militärischen Kräfte nicht aus. Ich halte das für
brandgefährlich.
({3})
Besonders brisant wird das Dilemma, in das die Bundesregierung unsere Soldaten in Kunduz schicken will,
mit Blick auf die Drogenproblematik. Aus Afghanistan
kommen drei Viertel des weltweit vertriebenen Heroins.
In der Region Kunduz liegen die wichtigsten Anbaugebiete. Gerade aus dem Drogenhandel finanzieren die
Warlords ihre Privatarmeen. Das bislang in Kunduz tätige
amerikanische Team schaut dem Drogenanbau und -handel rat- und tatenlos zu. Alles andere wäre auch nicht
durchzusetzen; denn die Warlords werden sich ihre Finanzierungsquellen nicht nehmen lassen.
Das Wegsehen gibt dem schändlichen Treiben aber
sozusagen internationalen Geleitschutz.
({4})
Das wird die regionalen Warlords und die Drogenbarone
gegenüber der Zentralregierung in Kabul stärken und
nicht umgekehrt. Übrigens ist das auch Gegenstand der
Berichterstattung der ersten Fact Finding Mission, die
ausdrücklich eine Klärung dieser Frage verlangt hat. Deren Bedingungen sind in keiner Weise erfüllt worden.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass uns auf deutschen Fernsehschirmen bald die ersten Bilder von Bundeswehrsoldaten präsentiert werden, die untätig vor
wunderschön blühenden Schlafmohnfeldern oder vor
Drogenumschlagplätzen stehen müssen,
({5})
also genau dort, wo die Drogen produziert und gehandelt
werden, die eines Tages unseren Kindern in Frankfurt, in
Köln und in Hamburg verkauft werden.
({6})
Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich plädiere keineswegs für eine Rolle der Bundeswehrsoldaten als Drogenpolizei. Das würde sie in der Tat völlig überfordern und
unverantwortlich gefährden. Aber umgekehrt kompromittiert das Nichtstun die sonst so lautstark und entschlossen vorgetragene Drogenpolitik der Bundesregierung und des Bundestages.
({7})
Es ist eben ein totales Dilemma, eine Mission Impossible. In eine solche darf man die Soldaten der Bundeswehr nicht schicken.
({8})
In eine solche dürfen wir uns auch politisch nicht hineinmanövrieren.
({9})
Die Bundesregierung hat uns zum Schluss noch mit
einer erheblichen Ausweitung des Mandats überrascht.
Sie beantragt die Ermächtigung, Bundeswehrsoldaten
aus dem ISAF-Kontingent im Umfeld der geplanten
Wahlen über Kabul und Kunduz hinaus in ganz Afghanistan einzusetzen, in Ausnahmefällen und - Minister
Struck hat das erläutert - nach Befassung der Obleute
der zuständigen Ausschüsse.
Das ist, denke ich, gut gemeint. Ich frage mich allerdings, wie die gut 2 000 deutschen Soldaten in Kunduz
und Kabul, die in den wenigen Monaten, die bis zu den
Wahlen tatsächlich zur Verfügung stehen, weiß Gott genug zu tun haben werden, auch das noch hinbekommen
sollen und wie man das, wenn es Ärger geben sollte,
wenn es konfliktreich werden sollte, konkret militärisch
absichern kann. Die ganz offenkundigen Bauchschmerzen des Bundesministers der Verteidigung teile ich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass
auch viele in den Koalitionsfraktionen und in der Union
nicht zuletzt wegen der Drogenproblematik Bedenken
hatten. Nur das erklärt das Herumgeeiere der letzten
Tage, das in allen möglichen Erklärungen und Anträgen
seinen Niederschlag gefunden hat.
({10})
Da wird am Dienstagabend noch ein Antrag der Koalitionsfraktionen für die Ausschüsse vorgelegt, mit dem
Ziel, festzustellen, dass es keine Drogenbekämpfung geben und eine Ausweitung des Einsatzes über Kunduz
und Kabul hinaus nur unter bestimmten Bedingungen
möglich sein solle. Dann wird mit Schrecken reagiert,
als man erkennt: Das geht doch gar nicht, weil das Bundesverfassungsgericht uns aufgegeben hat, dass wir hier
sagen müssen: „Hic Rhodus, hic salta“, dass wir also zu
diesen Anträgen nur Ja oder Nein sagen und keine weiteren Erklärungen abgeben können. Daraufhin hat die
Bundesregierung in Erkenntnis der Rechtslage gemeint:
Dann machen wir eine Protokollerklärung. - Nachdem
diese Protokollerklärung vorgetragen worden war, kam
der große Schrecken: Darin wird die Ablehnung jeglichen Tätigwerdens in der Drogenfrage zu evident. In der
dritten Version ist dann noch an den Schluss folgende
salvatorische Klausel eingefügt worden: Es solle zwar
keine Beteiligung an der Drogenbekämpfung geben,
aber ein Umfeld geschaffen werden, innerhalb dessen
die Ausbildung von afghanischen Drogenbekämpfern
möglich werde. - Meine Damen und Herren, das hat etwas Winkeladvokatorisches.
({11})
Die FDP-Bundestagsfraktion kann diesem Antrag leider nicht zustimmen. Ich sage „leider“ und füge hinzu:
Wir wissen, dass wir heute in dieser Abstimmung unterliegen werden.
({12})
Wir werden als Demokraten das Ergebnis dieser Abstimmung respektieren und anschließend dort, wo wir parlamentarisch oder sonstwie Verantwortung oder Mitverantwortung tragen, alles dafür tun, dass dieser heute vom
Bundestag beschlossene Auftrag erfolgreich durchgeführt werden kann und dass die Soldaten der Bundeswehr erfolgreich und unversehrt nach Hause zurückkehren können.
Danke schön.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Gernot Erler, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Beitrag des Kollegen Hoyer hat noch einmal gezeigt: Es
ist wichtig, dass geklärt wird, worüber wir heute beschließen. Darüber hat es eine öffentliche Diskussion gegeben; sie hat gezeigt, dass es Klärungsbedarf gibt. Der
richtige Ort für diese Klärung ist hier, das Plenum des
Deutschen Bundestages.
({0})
Ich will anfangen, indem ich klarstelle, was diese
Kunduz-Mission nicht ist: Sie ist kein Spaziergang der
Bundeswehr in ein sicheres Gebiet, gewissermaßen
überflüssig und lediglich der Tätigkeitsnachweis für einen deutschen Beitrag im Antiterrorkampf und damit ein
Ersatz für andere Aktivitäten. Die Wahrheit ist: Kunduz
ist ein geographisches Kürzel für vier Nordprovinzen in
Afghanistan mit 85 200 Quadratkilometern, auf denen
3,2 Millionen Menschen leben. Es ist schon eine schwierige Aufgabe, dort das hier schon mehrfach zitierte sichere Umfeld zu schaffen. Das kann man nur durch Präsenz der internationalen Gemeinschaft vor Ort. Wir
können dabei auf das besondere Vertrauensverhältnis zu
Deutschland zurückgreifen, das dort verbreitet ist. Damit
kommen wir dem dringenden Wunsch der afghanischen
Übergangsregierung nach, das exakt dort zu tun. Es kann
natürlich nicht darum gehen, dort Sicherheit zu erzwingen. Mit 230 bis 450 Soldaten wäre das auch absolut lächerlich.
Warum ist es überhaupt notwendig und sinnvoll, in dieser Region ein sicheres Umfeld zu schaffen? Gerade in
Kunduz, in diesen vier Nordprovinzen, stehen in den nächsten Wochen und Monaten sehr wichtige, exemplarische
Prozesse bevor. Der eine davon verbindet sich mit drei
Stichworten, nämlich Demobilisierung, Demilitarisierung
und Reintegration, was dann die etwas eigenartige Abkürzung „DDR“ ergibt. Diese Mission wird von der neu
gebildeten afghanischen Nationalarmee durchgeführt,
die dabei die besondere Unterstützung Japans erhält.
Kunduz ist hierfür als Ort eines exemplarischen Pilotprojektes ausgesucht worden. Es versteht wohl jeder,
dass man für diesen komplizierten Prozess ein sicheres
Umfeld braucht.
({1})
Für den 10. Dezember erwarten wir die Bildung der
verfassungsgebenden Loya Jirga durch den afghanischen
Übergangspräsidenten. Dann wird auch in dieser Region
eine sehr intensive, wahrscheinlich auch spannungsreiche Diskussion über die neue Verfassung geführt. Dabei
wird über die künftige Struktur Afghanistans sehr viel
entschieden. Dafür braucht man ein sicheres Umfeld
durch eine sichtbare Repräsentanz der internationalen
Gemeinschaft.
({2})
Der Plan von Petersberg sieht vor, dass im Juni nächsten Jahres Wahlen stattfinden. In den nächsten Monaten
findet die Registrierung der Wähler statt. Dadurch werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass alle Parteien - auch solche, die nicht ethnisch begründet oder von
den Warlords in ihren Regionen kreiert worden sind eine Chance haben. Dazu braucht man ein sicheres Umfeld und die Repräsentanz der internationalen Gemeinschaft.
Herr Hoyer, ich glaube, das ist insgesamt schon ein
überzeugendes Konzept. Ich bedauere sehr, dass Sie und
Ihre Fraktion die Bedeutung offensichtlich nicht verstanden haben.
({3})
Auch wenn es entsprechende Befürchtungen gegeben
hat, ist die Mission in Kunduz außerdem kein Begleitschutz für zivile Helfer vor Ort. Denn dies würde die Gefahr bergen, dass die beiden Missionen vermischt werden und eine optische Identität von Militärischem und
Zivilem entsteht. Die Bundeswehr wird vor Ort keine
Rolle spielen, für die sie nicht ausgebildet und auf die sie
nicht vorbereitet ist. Herr Kollege Hoyer, sie wird in der
Tat nicht Drogenpolizei spielen.
Warum haben wir denn in Kabul nicht nur eine allgemeine Polizei - das war die deutsche Aufgabe - und eine
Grenzpolizei, sondern auch eine Drogenpolizei eingerichtet? Herr Hoyer, diese ist dort einzusetzen. Ihre Bedenken sind doch kein Argument gegen die Kunduzmission.
({4})
Herr Hoyer, der militärische Einsatz wird überhaupt
erst verständlich, weil er mit einem zivilen Einsatz und
einer Verstärkung von internationalen Programmen einhergeht. Ich hätte mir gewünscht, dass Ihre Fraktion zur
Kenntnis nimmt: Die Bundesregierung hat dafür gesorgt,
dass diese Programme zum Beispiel Einkommenshilfen
für jene Bauern einschließen, die sich vom Opiumanbau
abwenden. Zu diesen Maßnahmen gehört eine vernünfGernot Erler
tige Arbeitsplatzpolitik für die zurückgekehrten Flüchtlinge und diejenigen, die aus der Demobilisierung kommen. Das ist doch die einzige Chance im Kampf gegen
die Opiumherrschaft der dortigen Drogenbarone.
({5})
Es gibt noch viele andere Aufgaben im Infrastrukturbereich: bei der Aufbereitung von Trinkwasser, im
Bereich der Elektrizität, beim Straßenbau. Der Aufbau
der Polizei in der Region - das ist die Verbindung von
Militärischem und Zivilem in Kunduz. Das, was in Kabul geglückt ist, soll in der Provinz ebenfalls gelingen.
Das Konzept sieht vor, dass die afghanischen Politiker vor Ort mehr Selbstverantwortung übernehmen. Das
ist auch im Kontext mit einer ganz anderen Diskussion
sehr wichtig. Man kann das im Zusammenhang mit der
Kunduzmission nicht einfach beiseite schieben, wie es
hier passiert ist.
({6})
Offenbar besteht auch Unklarheit darüber, was das
Konzept von ISAF-Inseln beinhaltet. Ich kann dabei
nur aufgreifen, was der Kollege Schäuble hier gesagt
hat. Es stimmt, das Konzept der ISAF-Inseln ist kein Retortenprodukt von irgendwelchen Strategen am Schreibtisch; die ISAF-Inseln sind die Folge einer defizitären
politischen Entwicklung vor Ort.
Wir wissen, dass die Übergangsregierung Karzai
heute Autorität im Wesentlichen in Kabul und der Umgebung hat. Die Hoffnung darauf, dass sie sich von alleine ausweitet, war leider irrig. Die Idee, so viele Soldaten zur Verfügung zu stellen, dass man die Autorität
zwangsweise ausweiten kann, ist unrealistisch, weil kein
Land bereit ist, entsprechende Kräfte zur Verfügung zu
stellen.
Insofern ist das Konzept, ISAF-Inseln zu schaffen,
auch Ausdruck eines Lösungsansatzes. Herr Kollege
Hoyer, die Idee dahinter ist doch, dass man ein Vorbild
bzw. einen Anstoß gibt, von dem man erwarten kann,
dass auch die afghanische Bevölkerung ihn versteht. Gerade die Kooperation von Zentralregierung und internationaler Gemeinschaft, die der Bevölkerung sichtbare
Vorteile bringt, soll als Pilotprojekt wirken, das sich von
ganz allein fortsetzt. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit soll größer werden.
({7})
Deswegen ist die Kombination von Bundeswehreinsatz und internationaler Hilfe so wichtig. Es ist
wichtig, dass es nicht nur acht Inseln bleiben, sondern
dass sich darüber hinaus auch noch andere Länder engagieren. Das wollen wir doch.
Deshalb ist auch entscheidend, dass das Ganze im neu
geschaffenen Rahmen von ISAF und nicht im Kontext
von Enduring Freedom und der Terrorbekämpfung stattfindet; denn diese Mission hatte für die Bevölkerung vor
Ort sehr viele problematische Begleiterscheinungen. Ich
finde, man muss sehr anerkennen, dass die Bundesregierung es geschafft hat, dass es zu der UN-Resolution
1510 gekommen ist.
({8})
Ich möchte behaupten: In der Geschichte der Afghanistanpolitik wird es als das Wichtigste angesehen werden, dass das ISAF-Konzept jetzt im ganzen Land angewandt werden kann, auch wenn es leider zurzeit nur
inselförmig zur Anwendung kommt. Dieser Prozess, den
wir mit unserem heutigen Beschluss unterstützen können, steht wirklich für eine neue strategische Etappe.
Das schließt sich nahtlos an unsere bisherigen Engagements an, die immer Pioniercharakter hatten. Wir waren
die Ersten, die umfangreiche humanitäre Hilfe in Afghanistan geleistet haben. Die Bundesregierung hat mit unserer Unterstützung den politischen Prozess der Petersberg-Konferenzen auf den Weg gebracht. Wir haben
uns mehr als andere Nationen bei der Absicherung dieses politischen Prozesses beteiligt, indem wir eine militärisch sekundäre, aber politisch sehr wichtige Rolle eingenommen haben. Die nächste wichtige Etappe der
ISAF-Mission ist es jetzt, Inseln zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was hier stattfindet,
kann man getrost als Regimechange bezeichnen. Wir befinden uns mitten in einem Nation-Building-Prozess.
({9})
Jeder von uns weiß, dass dieser Prozess mühsam, langwierig und auch unerhört kostspielig ist. Wir beachten
dabei aber - ich zitiere das hier im Plenum immer wieder gerne - die große Mahnung, die von diesem Platz
aus Kofi Annan uns gegeben hat, nämlich eine nachhaltige Friedensstrategie zu verfolgen. Kunduz steht für die
Fortsetzung dieser nachhaltigen Friedensstrategie.
Abschließend möchte ich doch noch einmal ein Wort
zu Ihren Ausführungen, Herr Hoyer, sagen: Ich habe gehört, wie respektvoll sich der Bundesminister der Verteidigung mit Ihrem Nein auseinander gesetzt hat. Eine
Kritik kann ich Ihnen nach Ihrem Beitrag aber nicht ersparen: Sie haben wunderbar die Schwierigkeiten beschrieben. Der Analyse kann man nicht widersprechen.
Ich fand es aber empörend, dass Sie hier das Bild gezeichnet haben, dass deutsche Soldaten einfach nur zuschauen würden, wie dort weiterhin Drogenanbau betrieben wird.
({10})
Man kann doch in der Politik nicht nur Fragen stellen,
sondern man muss auch Antworten geben. Sie haben
keinerlei Alternative aufgezeigt.
({11})
Nachdem nun schon Ihre eigenen Leute Ihrer Partei vorhalten, dass sie sich in der deutschen Politik abmeldete,
sage ich Ihnen, dass die Gefahr besteht, dass Sie sich
auch noch in der internationalen Politik abmelden. Das
ist natürlich Ihr Problem.
({12})
Für meine Fraktion kann ich nur sagen: Wir unterstützen die Fortsetzung der Friedenspolitik durch die Mission in Kunduz. Wir werden die deutschen Soldaten,
aber auch die Arbeit des Entwicklungshilfeministeriums
und der internationalen Hilfsorganisationen in dieser Region solidarisch begleiten und immer auch kritisch auf
ihre Wirksamkeit überprüfen. In diesem Sinne werden
wir zustimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans Raidel, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir entscheiden heute, ob wir in Afghanistan
weiter Hoffnungen fördern wollen oder ob wir Hoffnungen enttäuschen wollen. Wir haben das Petersberg-Abkommen. Es wäre sicherlich hilfreich gewesen, wenn in
diesem Zusammenhang sozusagen im Rahmen eines Petersberg-III-Abkommens erläutert worden wäre, wo wir
stehen und wohin wir wollen. Auch für die heutige Debatte wäre das wahrscheinlich aufschlussreich gewesen.
Unser Ziel muss es natürlich sein, weiterhin Hilfe zur
Selbsthilfe zu geben und die Afghanen möglichst
schnell in die Lage zu versetzen, ihr Land aufzubauen.
Ich frage mich da schon: Wo sind die Alternativvorschläge der Kritiker?
({0})
Ich stelle hier fest: Wer Sicherheit in diesem Lande haben will, der wird über die Ausweitung von Stabilitätszonen über Kunduz und Kabul hinaus nachdenken müssen.
Angesichts der Tatsache, dass wir uns in diesem Ziel
einig sind, stellt sich die Frage, wie wir weiter vorgehen
sollen. Das Leuchtturmprojekt „Kunduz“ ist kein Sonderprojekt Deutschlands. Die Amerikaner, die Engländer
und andere haben im Lande schon Ähnliches gestaltet.
Die Amerikaner gehen jetzt aus Kunduz heraus und wir
gehen nach Kunduz mit einem erweiterten Spektrum an
Aufgaben hinein. Alle wissen, wie gefährlich das ist und
dass die Hilfstruppe Bundeswehr die Helfer bei ihrer humanitären Hilfe unterstützen muss, wenn diese ihre originären Aufgaben dort erfüllen sollen. Deutschland darf
in der Kunduzfrage nicht abseits stehen und wir können
uns dieser Aufgabe nicht entziehen. Vorhin klang es so,
als würden wir uns in Komplizenschaft zu den Drogenbaronen begeben. Genau dieses ist aber nicht der Fall
- das weiß jeder -, wenn wir uns weiterhin bei der Ausbildung von afghanischer Polizei und afghanischem Militär engagieren, die dann unsere Aufgaben übernehmen
können.
({1})
- Wir sind doch auf einem gute Wege. Es gibt bereits
eine Polizeischule dort; die Ausbildung hat schon begonnen. Außerdem haben wir erste Militärkräfte in dieser
Region. Bei aller Kritik muss man schon ein bisschen
Hoffnung bei diesem Einsatz haben.
({2})
Natürlich wissen wir, dass der Einsatz gefährlich ist;
denn trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen waren in
Kabul Opfer zu beklagen. Wir müssen aufpassen, dass
Ähnliches in Kunduz nicht passiert.
Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht.
Gerade die CDU/CSU hat in allen Arbeitsgruppen bohrende und quälende Fragen gestellt.
({3})
Ich bin jedem Kritiker auf unserer Seite dankbar, weil er
mit seiner Kritik dazu beigetragen hat, die Diskussion
über dieses Thema zu befördern, Aufklärung zu leisten
und die Regierung in der Frage - ich will nicht sagen:
festzunageln - zu positionieren, was geht und was nicht
geht.
Wir haben die Frage nach Schutzkonzepten, nach
Ausrüstung und Ausbildung gestellt. Wir waren doch
diejenigen, die gefordert haben, dass es eine seriöse Finanzierung geben muss.
({4})
Es ist ein Kritikpunkt von unserer Seite, dass die Bereitstellung der Mittel im Haushalt derzeit noch nicht abgesichert ist.
({5})
Die Frage ist: Wie gestalten wir dieses Thema weiter?
Wir wissen doch, dass nicht nur für uns allein dieses
Thema wichtig ist. Heute schaut ganz Afghanistan auf
uns, um zu sehen, ob wir beschließen, die PetersbergHilfe, die wir zugesagt haben, fortzusetzen. Wollen Sie
da aussteigen - ja oder nein? Die UNO, die USA, die
NATO und auch Europa sehen nach den vielen Irritationen der letzten Monate die Afghanistanfrage als Testfall
für die Bündnisfähigkeit und für die Zuverlässigkeit
Deutschlands an. Wollen Sie sagen, dass diese Fragen,
die die Partner stellen, nicht berechtigt sind?
Auch die Bundeswehr schaut auf uns, um zu sehen,
ob das Parlament mit großer Mehrheit diese Einsätze
mitträgt. Immer nur zu erklären, wie es sein sollte, dann
aber nicht bereit zu sein, Entscheidungen mitzutragen,
das ist in so wichtigen und entscheidenden Fragen zu
wenig. Deswegen begrüße ich diesen klärenden Prozess
in unserer Fraktion. Wir haben uns in sehr vielen Stufen
kritisch diesem Thema genähert. Zum Schluss können
wir bei allem, was ansteht, sagen: Wir halten diesen EinHans Raidel
satz für verantwortbar. Vor allem halten wir ihn auch gegenüber unserer Bundeswehr für verantwortbar; denn
wir sind es, die im Rahmen der Fürsorgepflicht von dieser Regierung die Zusage einfordern, dass alles getan
wird, damit der Einsatz möglichst sicher sein wird.
Wenn wir zustimmen, stimmen wir natürlich nicht in
freudiger Erwartung zu. Jeder weiß doch, wie schwer
wir es uns machen und wie schwer jeder es sich auch
machen muss. Denn es ist keine Nebenbei-Entscheidung, wenn man solche Einsätze beschließt. Wenn wir
zustimmen, dann aus Verantwortung für Afghanistan
und aufgrund unserer Bündnisverpflichtungen.
({6})
Ich erteile Bundesminister Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich ausdrücklich bei Ihnen, Herr Kollege, und
bei Ihrer Fraktion für Ihre Zustimmung zu dem Antrag
der Bundesregierung bedanken. Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen, die in der Debatte angesprochen
wurden.
Am heutigen Tag gibt es in den deutschen Medien
zwei interessante Stellungnahmen zu lesen - interessant
von der Sache her, aber auch interessant, was die Autoren betrifft. Das Erste ist das, was der Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten in einem Memorandum über die Schwierigkeiten, die sich in Afghanistan,
vor allem aber im Irak ergeben, gesagt hat. Das Zweite
ist ein - in Übersetzung in der „taz“ erschienener - hochinteressanter Artikel von Frederick Kagan, in dem er das
Nation Building als zentrales Mittel für den Krieg gegen den internationalen, insbesondere den islamistischen
Terrorismus dargestellt hat.
Ich denke, das sind zwei bemerkenswerte Stellungnahmen, weil Folgendes klar wird: Es geht nicht nur darum, Terrorismus dort, wo er eine aktuelle Gefährdung
bedeutet, militärisch zu bekämpfen und seine Netzwerke
zu zerstören, sondern es geht vor allen Dingen darum,
dazu beizutragen, Staaten zu helfen, Völkern zu helfen,
langfristig wieder auf die Beine zu kommen, und Verhältnisse herzustellen - das ist eine mühselige, langwierige Aufgabe -, die dauerhaften Frieden ermöglichen.
({0})
Genau das ist die Politik, die die Bundesregierung immer vertreten hat und weiterhin vertritt.
Ich kann Ihnen, Herr Kollege Schäuble, nur zustimmen bei dem, was Sie in Ihrem Beitrag heute gesagt haben. Was wir in Afghanistan tun, ist ein Beitrag zum
Kampf gegen den internationalen Terrorismus - im
Sinne unseres erweiterten Sicherheitsbegriffes -; das ist
keine Frage des Mandats, sondern der Substanz. Afghanistan befindet sich gegenwärtig am Scheideweg. Sie haben die Frage gestellt: Was hat sich verändert? Ich habe
es im Ausschuss neulich schon gesagt und möchte es
hier wiederholen:
Wir hatten die Sorge, dass es mit dem Beginn des
Irakkrieges zu einer Verschiebung der Aufmerksamkeit
und einem Abnehmen der Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, sich in Afghanistan zu engagieren, kommt. Wir hatten damals die Führungsverantwortung in Kabul; alle haben das sehr geschätzt. Die
große Sorge war, dass der Wiederaufbau in Afghanistan
zu einem nationalen Problem der Bundesrepublik
Deutschland werden könnte. Das hätte uns schlicht überfordert.
Jetzt hat die NATO die Führung der ISAF-Mission in
Kabul übernommen. Nun geht es darum, mit der Umsetzung des Petersberg-Abkommens voranzukommen.
Wie der Kollege Nachtwei angesprochen hat, ist dabei
die Frage der Stabilisierung zentral dafür, vor allen Dingen den politischen Prozess weiter voranzubringen. Es
gab Stimmen, das Petersberg-Abkommen sei gescheitert. Ich kann nur sagen: Ich sehe das völlig anders. Im
Gegenteil: Es gibt kein anderes Konzept. Wir müssen es
umsetzen.
({1})
Trotz aller Schwierigkeiten, die hier genannt worden
sind, haben wir beachtliche Erfolge erzielt: Zweieinhalb
Millionen Flüchtlinge sind zurückgekehrt. Ein Minimum
an Stabilität ist gegeben.
Die Taliban versuchen sich in den Ostprovinzen und
Südostprovinzen, an den Grenzen zu Pakistan, zu reorganisieren. Nicht nur wir, sondern alle unsere westlichen
Partner, an erster Stelle die Vereinigten Staaten, führen
intensive Gespräche, um Pakistan zu bewegen, Grenzübertritte energischer als bisher zu unterbinden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gauweiler?
Aber bitte.
Herr Fischer, zu Ihrer Anmerkung hinsichtlich einer
Stabilisierung des Landes: Ist Ihnen der Bericht des Leiters der Erkundungskommission der Bundesregierung
für Kunduz, des Generalleutnants Riechmann, bekannt,
der im Zusammenhang mit der Region, zu der Sie jetzt
Ausführungen gemacht haben, von der Gefahr des Aufbaus eines Drogenstaates gesprochen hat?
Ja. Dies ist richtig. Umso wichtiger ist es, dass wir
nicht zulassen, dass sich so etwas entwickelt.
({0})
Ich komme auf die Drogenproblematik gleich zu sprechen, Kollege Gauweiler. Denn ich nehme sie und die in
diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente sehr
ernst.
({1})
- Ich gehe gleich auf die FDP ein. - Herr Kollege
Gauweiler, ich werde versuchen, Ihre Frage aus meiner
Sicht etwas später zu beantworten. Ich bitte, das zu akzeptieren.
Der entscheidende Punkt ist für mich in diesem Zusammenhang, dass wir jetzt mit der Umsetzung des
Petersberg-Abkommens, vor allen Dingen was den
Wahlprozess betrifft, vorankommen. Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum Irak. Es ist den Vereinten
Nationen auf der Grundlage des Petersberg-Abkommens
gelungen - Lakhdar Brahimi hat auf dem Petersberg eine
großartige Arbeit geleistet -, einen innerafghanischen
Konsens, der zwar fragil ist, aber dennoch existiert und
sich mittlerweile über Monate hinweg als belastbar erwiesen hat, zu erzielen. Die Umsetzung dieses Konsenses durch den Aufbau politischer Institutionen, durch
wirtschaftlichen Fortschritt und durch den Aufbau des
Landes, und zwar sowohl was die politischen als auch
die ökonomischen und sozialen Strukturen betrifft, ist
die zentrale Herausforderung.
Dazu sage ich Ihnen, Herr Hoyer - ich habe mir die
wesentlichen Punkte aufgeschrieben, die Sie genannt haben -: All das, was Sie hier aufgeführt haben, spräche
dafür, dass die FDP den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Kabul fordert.
({2})
Das will Ihnen einmal erläutern:
Erster Punkt: internationales Konzept. Die FDP war
einmal die Partei großer Außenminister. Es gab jetzt eine
Resolution der Vereinten Nationen. Das Vorgehen ist im
Rahmen des Sicherheitsrates mit den internationalen
Partnern abgestimmt. Es hat parallel zur Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York eine Afghanistankonferenz stattgefunden, an der Sie nicht teilgenommen haben. Exakt dort ist es darum gegangen, wie
wir mit der Implementierung weiterkommen. Da wir den
Militäraufbau nicht flächendeckend gestalten können
- wenn Sie das Militär, das in Kabul ist, proportional,
das heißt flächendeckend, auf das Land insgesamt hochrechnen, so ist das nicht darstellbar - und da wir uns auf
Kabul nicht begrenzen können, ist nach den ersten Erfahrungen der PRTs, der Provincial Reconstruction
Teams bzw. der Wiederaufbauteams, die Konsequenz,
genau diesen Weg zu gehen. Das hat die Zustimmung
der internationalen Staatengemeinschaft in New York
gefunden.
({3})
Ich frage mich, was Sie unter einem Konzept tatsächlich
verstehen.
Zweiter Punkt: Drogen. Ich weiß nicht, wie oft Sie in
Kabul waren und inwieweit Sie die Realität kennen. Ich
kann Ihnen nur sagen: Wenn der Maßstab die Kooperation mit denjenigen ist, die mit Drogen oder auch mit
Waffen handeln oder Privatarmeen aufbauen, dann werden Sie den genauso in Kabul anlegen müssen. Verschließen Sie doch die Augen nicht vor der Realität!
({4})
Meines Erachtens ist es völlig blind, wenn Sie nicht sehen, wie die Verhältnisse auch in Kabul sind. Die sind
nicht wesentlich anders.
Das heißt, wenn wir diese Verhältnisse ändern wollen,
dann nützt es nichts, wenn wir darüber eine innenpolitische Debatte führen und wenn wir diese Verhältnisse
zwar in Kabul akzeptieren, aber im Hinblick auf die Provinzen, in denen wir im Zusammenhang mit dem Wahlprozess dringend Präsenz brauchen, plötzlich puristisch
werden. Das verstehe ich beim besten Willen nicht.
({5})
Ich kann das, was der Kollege von der CDU/CSU vorhin
in diesem Zusammenhang gesagt hat, nur nachdrücklich
unterstreichen.
Dritter Punkt: Extraction. Sie haben die Frage gestellt: Was passiert mit den Bundeswehrsoldaten, wenn
es tatsächlich zu einer krisenhaften Zuspitzung kommt?
Dazu kann ich nur sagen: Dasselbe gilt in Kabul. Eine
Extraction ist nur mit NATO-Unterstützung und hier mit
US-Unterstützung zu gewährleisten. Das gilt schon
heute; das gilt selbstverständlich auch morgen und übermorgen. Das wissen auch Sie, weil wir darüber in den
beiden zuständigen Ausschüssen oft diskutiert haben.
Ich kann Ihnen nur sagen: Seien wir froh, dass ein britisches PRT, ein britisches Rekonstruktionsteam, bestehend aus einer kleinen Gruppe britischer Militärs, in
Masar-i-Scharif war. Daran können Sie sehen: Dies war
ein riskanter, aber notwendiger Einsatz, übrigens auf
dem gleichen Niveau wie in Mazedonien, nämlich konfliktschlichtend. Den Briten war es in Masar-i-Scharif
zusammen mit dem afghanischen Innenminister möglich, die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei
regionalen Provinzfürsten zur Einstellung zu bringen.
Das ist eine der Aufgaben, die dort zu leisten ist. Sie ist
riskant, aber im Interesse des Wiederaufbaus.
({6})
Eine der großen Leistungen, die wir mit relativ geringen Kräften erzielen, ist der Polizeiaufbau. Drogenbekämpfung bedeutet erstens, dass wir strukturell den Wiederaufbau der afghanischen Volkswirtschaft jenseits der
Drogenproduktion ermöglichen. Zweitens heißt es, die
afghanischen Sicherheitsbehörden aufzubauen. Hier leistet die Bundesrepublik Deutschland mit den wenigen eingesetzten Polizeibeamten von Bund und Ländern - ich
betone das ganz bewusst, weil diese Zusammenarbeit
sehr wichtig ist - eine so hervorragende Arbeit, dass ich
international immer wieder darauf angesprochen werde.
Man fordert uns auch auf, diese Arbeit auch außerhalb
Kabuls zu leisten.
({7})
Drittens werden wir uns für die institutionelle Verbindung von Provinzen einsetzen. Afghanistan war kein
Zentralstaat und soll auch keiner werden. Der Kollege
Schäuble hat bereits auf die Realitäten in Afghanistan
vor 1973 hingewiesen und erklärt, dass die dortigen Realitäten nicht mit denen der Bundesrepublik vergleichbar
sind.
Ich denke, es bedarf langfristiger Anstrengungen und
Hilfe, um die Beschlüsse der Afghanistan-Konferenz
auf dem Petersberg umzusetzen und zu einer eigenständigen afghanischen Perspektive zu kommen. Es ist uns
dabei klar, dass wir die Drogenproblematik nicht völlig
beseitigen können. Das wurde auch bei den deutschrussischen Konsultationen - bei dem Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem russischen Präsidenten in Jekaterinenburg - deutlich. Das haben auch
die praktischen Kooperationen mit dem Iran gezeigt, sie
gibt es schon länger im Kampf gegen den afghanischen
Drogenhandel.
Tatsache ist: Auf die Nachbarstaaten kommt mehr
und mehr ein Problem zu. Die Bereitschaft zur aktiven
Kooperation zur Unterbindung des Handels gründet sich
in diesen Staaten auf Eigeninteresse; denn die Drogenproblematik betrifft die jungen Menschen in diesen Ländern immer stärker. Der internationale Fokus richtet sich
darauf, Großbritannien hat die Führungsfunktion im Bereich Drogenbekämpfung übernommen und wir sind uns
einig, dass wir intensiv zusammenarbeiten werden. Konsequenz ist aber die Präsenz von ISAF.
({8})
Konsequenz heißt nicht wegschauen und den Kopf in
den Sand stecken. Nein, meine Damen und Herren von
der FDP, ich bedauere sehr, dass Sie mit Ihrer außenpolitische Tradition jetzt auf diesem Kurs sind. Aber das
müssen Sie letztendlich selbst verantworten.
Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen
für die Unterstützung dieses Mandats bedanken und ich
wünsche unseren eingesetzten Soldaten, dass sie gesund
und wohlbehalten von diesem Einsatz zurückkehren.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schon kurz nach dem 11. September 2001 haben wir in
diesem Hause gemeinsam die Entscheidung getroffen,
uns in Afghanistan auch mit bewaffneten deutschen Soldaten zu engagieren. Uns allen war damals klar, dass wir
es uns nicht erlauben können, dieses Land wieder zu einer Zone der Ordnungslosigkeit und zu einem Trainingscamp für den internationalen Terrorismus absinken zu
lassen.
({0})
Das war und ist nicht nur außen- und sicherheitspolitisch, sondern auch entwicklungspolitisch geboten. Unser militärisches Engagement bietet eine Chance, Afghanistan nach Jahrzehnten des Kriegs, der Unterdrückung
und der Zerstörung wieder auf einen hoffnungsvollen
Weg in die Zukunft zu bringen.
Klar ist aber auch, dass wir unsere Augen nicht vor
der Wirklichkeit verschließen dürfen. Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass seit unserem letzten Beschluss über
die Verlängerung des ISAF-Mandates vor knapp einem
Jahr die Probleme in Afghanistan gewiss nicht kleiner
geworden sind. Es kann nicht oft genug daran erinnert
werden, dass vier deutsche Soldaten bei ihrem Einsatz
ihr Leben verloren und viele andere zum Teil schwerste
Verletzungen davongetragen haben.
Umso notwendiger ist es, in ganz Afghanistan den
Teufelskreis aus Mangel an Sicherheit und Wiederaufbau endlich zu durchbrechen. Deswegen nehmen wir es
sehr ernst, wenn uns beispielsweise Vertreter der politischen Stiftungen sagen, dass wir uns mit unseren Anstrengungen nicht auf Kabul und Umgebung beschränken dürfen, weil sonst nicht nur der Rest des Landes in
Elend und Chaos zu versinken droht, sondern auch die in
Kabul bereits erreichten Erfolge wieder infrage gestellt
werden.
({1})
Deswegen ist die US-amerikanisch-britische Idee, der
wir uns nun anschließen, mithilfe regionaler Wiederaufbauteams die Entwicklung im Lande voranzutreiben,
grundsätzlich richtig und auch die militärische Absicherung dieser Aktivitäten halten wir trotz aller vorgetragener Bedenken von Nichtregierungsorganisationen für
richtig.
({2})
Wir nehmen gleichwohl die Bedenken der NROs, die
auch Wolfgang Schäuble angesprochen hat, sehr ernst.
Wir müssen bei unserer Entscheidung berücksichtigen,
dass der geplante Einsatz deutscher Soldaten in Kunduz
in der Tat gegen den Willen maßgeblicher deutscher
Nichtregierungsorganisationen erfolgt. Frau Ministerin, auch wenn Sie den Kopf schütteln, muss man sagen:
Man sollte diese Bedenken nicht mit dem Hinweis darauf ignorieren, dass auch die NROs eine Ausweitung
des ISAF-Mandates über Kabul hinaus befürworten. Es
ist eben ein Unterschied, ob ich grundsätzlich ein Engagement auch außerhalb Kabuls unterstützte oder ob
ich ganz konkret diesen militärischen Einsatz mittrage.
({3})
Deswegen stimmt es uns natürlich auch bedenklich,
wenn - wie vor zwei Tagen in der „Berliner Zeitung“ zu
lesen - die Gesellschaft für bedrohte Völker sagt: „Kunduz braucht diesen Einsatz nicht“, wenn das Deutsche
Rote Kreuz fürchtet, die Glaubwürdigkeit einer neutralen Organisation sei dahin, und wenn Caritas International erklärt: „Die Sicherheit unserer Mitarbeiter wird
durch den Kunduz-Einsatz nicht unbedingt erhöht“.
({4})
Ich könnte diese Reihe noch lange fortsetzen. Ich wiederhole noch einmal: Man muss nicht all diese Bedenken
teilen, aber man muss sie aus entwicklungspolitischer
Sicht wenigstens ernst nehmen. Deswegen bedauern wir
es, dass das Entwicklungshilfeministerium nicht in der
Lage gewesen ist, die NROs von der Notwendigkeit dieses Einsatzes zu überzeugen
({5})
und bei seinen Ansprechpartnern offensichtlich nicht das
wünschenswerte Vertrauen genießt. Das ist bedauerlich
und muss hier festgestellt werden.
({6})
Ich muss in diesem Zusammenhang noch ein zentrales Bedenken aufgreifen, das schon angesprochen worden ist: Wir sind uns hier über die Parteigrenzen hinweg
üblicherweise einig, dass Entwicklungspolitik Hilfe zur
Selbsthilfe bedeuten soll. Das heißt eben auch, dass Afghanistan den nach seinen Kräften möglichen eigenen
Beitrag dazu leisten muss.
Genau diesen Beitrag vermissen wir allerdings bei der
Bekämpfung des Drogenanbaus. Dabei ist die Protokollnotiz des Bundesaußenministers ja richtig und deswegen von uns auch eingefordert worden: Natürlich
wollen wir nicht, dass die Bundeswehr in die Drogenbekämpfung militärisch hineingezogen wird. Aber umgekehrt wird niemand ernsthaft bestreiten können, dass der
Drogenanbau in Afghanistan nicht bei Nacht und Nebel
anonym durch völlig unbekannte Mächte erfolgt, sondern dass er gerade in der Region Kunduz von Personen
des öffentlichen Lebens betrieben wird, die auch der
Bundesregierung bekannt sind. Natürlich ist das ein
Dilemma für uns. Frustrierend ist für uns auch die Vorstellung, wie dieser Drogenanbau funktioniert. Es kann
aber nicht sein, dass wir den Drogenanbau in der Region
Kunduz dauerhaft mit unserer militärischen Präsenz erleichtern. Das kann auf Dauer keine Perspektive sein.
Herr Kollege Hoyer, in einem muss ich dem Außenminister beipflichten: Wir werden mit diesem Beschluss
keine Komplizen der Drogenbarone. Wir tun das uns
Mögliche, um genau das nicht zu werden. Wir kommen
aber aus diesem Dilemma, in dem wir unbestreitbar stecken, auf keinem Weg heraus. Wir kommen da auch
nicht durch einen völligen Rückzug aus dem Land heraus. Wir sind von Deutschland aus nicht in der Lage,
aus diesem Dilemma herauszukommen. Das müssen die
Afghanen selbst leisten. Diesen Beitrag müssen wir auch
mit aller Dringlichkeit und Nachhaltigkeit von ihnen einfordern.
({7})
Neben den angedeuteten und vielen anderen Gründen
gäbe es aus entwicklungspolitischer Sicht bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, regionale Inseln der Stabilität außerhalb Kabuls zu schaffen, sicherlich viele
Gründe, zu dieser konkreten Entscheidung für einen Einsatz in der Region Kunduz Nein zu sagen. Aber natürlich
kann man auch eine solche entwicklungspolitische Entscheidung nicht von außen- und sicherheitspolitischen
Erwägungen abkoppeln. Für uns ist klar: Wir können
und dürfen nicht aus der internationalen Allianz im
Kampf gegen den Terrorismus ausscheren. Deswegen
ist es natürlich wichtig und nicht zu vernachlässigen,
dass es für diesen Einsatz ein UN-Mandat und eine
NATO-Entscheidung gibt, in die wir als Bundesrepublik
Deutschland zusammen mit vielen unserer Partner eingebunden sind. Der Außenminister und der Bundesverteidigungsminister haben zu Recht auf diese wichtige internationale Einbindung hingewiesen.
({8})
Wir müssen uns schließlich auch vor Augen halten,
worüber heute tatsächlich abgestimmt wird und worüber
nicht. Anders als bei einer früheren Entscheidung über
einen internationalen Bundeswehreinsatz wird uns heute
keine Abstimmung darüber abverlangt, ob wir Vertrauen
zum Bundeskanzler haben oder nicht. Diese Frage würden wir, so wie die übergroße Mehrheit der Menschen in
unserem Lande, selbstverständlich und aus tiefstem Herzen verneinen. Diese Frage stellt sich heute aber nicht.
Ob es uns gefällt oder nicht, wir haben heute mit der
Entscheidung für oder gegen einen Einsatz in Kunduz
auch über die Fortsetzung unseres Engagements im Rahmen des bisherigen ISAF-Mandates zu entscheiden. Sich
dieser Fortsetzung und damit unserer militärischen Präsenz in Afghanistan überhaupt zu verweigern wäre im
Interesse der Menschen in Afghanistan wie auch in unserem eigenen wohlverstandenen nationalen Interesse
nicht zu rechtfertigen. Deswegen stimmen wir, wenn
auch mit Bedenken, dem Antrag der Bundesregierung
zu. Unseren Soldatinnen und Soldaten wie auch allen
Entwicklungshelferinnen und -helfern wünschen wir viel
Erfolg bei ihrer Arbeit in Afghanistan und allen eine
gute Rückkehr.
Vielen Dank.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Bereits zu Beginn dieser Woche
ist in der Presse vermeldet worden, dass die PDS-Abgeordneten gegen die Erweiterung des Afghanistan-Mandates für die Bundeswehr stimmen werden. Man hatte
uns zuvor zwar nicht dazu befragt, aber ich halte es für
ein gutes Zeichen, dass die Ablehnung durch die PDS
als selbstverständlich gilt. Damit aber nicht der Eindruck
entsteht, wir würden nur aus Prinzip und ohne weitere
Argumente ablehnen, will ich Ihnen unsere Ablehnungsgründe gerne erläutern.
Übrigens: Wenn man sich nur einigermaßen auf Umfragen verlassen kann, vertreten heute all diejenigen Abgeordneten, die mit Nein stimmen werden, die große
Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Laut
einer Emnid-Umfrage sprechen sich 69 Prozent der
Menschen in unserem Land gegen die Ausweitung des
Bundeswehreinsatzes aus. Die heute im Deutschen Bundestag zu erwartende Mehrheit repräsentiert also nicht
einmal ein Drittel der Bevölkerung. Aber vielleicht beruft sich diese Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages auf höhere Einsichten, die der Bevölkerung nicht zugänglich sind. Nicht umsonst tagen die Ausschüsse zu
diesen Themen meistens in vertraulichen Sitzungen.
Aber auch die Experten warnen. Humanitäre
Hilfsorganisationen warnen vor der Vermischung von
zivilem und militärischem Einsatz. Die Formulierung im
Antrag der Bundesregierung von der - ich zitiere - „zivil-militärischen Zusammenarbeit“ ist aus meiner Sicht
ein Widerspruch in sich. Die Geschäftsführerin von
„Ärzte ohne Grenzen“ in Deutschland, Ulrike von Pilar,
erklärte:
Wir wollen weiterhin als Mediziner von der Bevölkerung angesehen werden und nicht als Teil einer
politischen Agenda.
Das Deutsche Rote Kreuz befürchtet - das ist hier von
meinem Vorredner schon angesprochen worden -, dass
anderenfalls die Glaubwürdigkeit einer neutralen Organisation dahin sei.
Kritik kommt aber nicht nur von Zivilisten, sondern
auch von Militärs. Sie befürchten, deutsche Soldaten
könnten zwischen die Fronten von verschiedenen
Kriegsherren und Drogenbaronen geraten. Nebenbei bemerkt: Kriegsherren sind häufig auch Drogenbarone.
Nun hat die Bundesregierung erklärt, dass die Aufgabe
deutscher Soldaten nicht in der Drogenbekämpfung besteht. Was heißt das aber praktisch? Nehmen wir den
Fall an, eine Bundeswehrstreife greift Drogenhändler
auf. Was macht sie in diesem Fall? Der Abgeordnete
Willy Wimmer aus der CDU/CSU-Fraktion weist in einem Brief an den Bundesminister der Verteidigung darauf hin, dass Kunduz die Hochburg des Drogenanbaus
und Drogenhandels ist. Ich zitiere den Schluss seines
Briefes an Herrn Struck:
Kunduz ist der hellste Stern am afghanischen Drogenhimmel. Und ausgerechnet dort sollen unsere
Soldaten die Kastanien aus den Feuern der Machthaber holen, sich dabei die Hände schmutzig machen und zwischen alle Fronten geraten?
Meine Damen und Herren, mit welcher Begründung
sind deutsche Soldaten überhaupt nach Afghanistan geschickt worden? Viele haben das schon vergessen und
befinden sich hier in einer Abstimmungsroutine. Nach
dem 11. September 2001 war von der US-Regierung
Afghanistan als verantwortlich für die Anschläge auf das
World Trade Center erklärt worden. Bin Laden sollte gefasst werden. Die Bundesregierung erklärte damals die
uneingeschränkte Solidarität mit den USA.
Blickt man auf die vergangenen zwei Jahre zurück, so
muss man feststellen, dass die Zusicherung der uneingeschränkten Solidarität ein schwerer Fehler war; denn die
Bundesrepublik wurde von der Bush-Regierung in einen
lang andauernden Krieg gegen den Terror eingebunden.
Jetzt weiß die Regierung nicht mehr, wie sie aus diesem
Feldzug wieder herauskommen soll.
({0})
Es ist ein offenes Geheimnis: Die Erweiterung und
Verlängerung des Afghanistanmandats haben nicht nur
etwas mit Afghanistan zu tun - vielleicht sogar eher weniger -, sondern das ist vor allem ein Kuhhandel mit den
Amerikanern.
({1})
Die Deutschen sollen Bush in Afghanistan den Rücken
freihalten, damit Amerika im Irak schalten und walten
kann, wie es will. Einer solchen Strategie können wir als
PDS niemals zustimmen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Ich erteile Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 58 Jahren trat die Charta der Vereinten Nationen in Kraft. Seitdem wird der 24. Oktober in vielen Mitgliedstaaten als
der Tag der Vereinten Nationen in Erinnerung gerufen.
Das sollte uns allen in diesem Hause gemeinsam Anlass
sein, den Vereinten Nationen zu danken und unsere
Dankbarkeit für die Existenz der Vereinten Nationen sowie unsere Zustimmung zur Notwendigkeit einer multilateralen Organisation und Weltordnung zum Ausdruck
zu bringen.
({0})
Afghanistan ist - jedenfalls bisher - ein Beispiel für
ein gemeinsames Vorgehen der internationalen Gemeinschaft. Es beruht auf der Basis eines breiten UN-Mandates und der afghanischen Eigenverantwortung. Ich
möchte auch noch einmal an die Kolleginnen und Kollegen der FDP appellieren: Diese Anstrengungen werden
nur zum Erfolg führen, wenn die internationale Gemeinschaft ihre Bemühungen fortsetzt und sie über die große
Region um Kabul hinaus ausweitet.
({1})
Mit der Resolution 1510 des UN-Sicherheitsrats vom
13. Oktober 2003 gibt es jetzt nicht nur eine völkerrechtliche Grundlage für die Ausweitung des ISAF-Mandates, sondern sogar die Erwartung der internationalen
Staatengemeinschaft, dass die beteiligten Länder ihr Engagement fortsetzen und ausweiten.
Mancher redet hier wirklich wie der Blinde von der
Farbe.
({2})
Ich war zweimal in diesem Land und bin mit vielen seiner Menschen in dauerndem Kontakt. Ich muss sagen: In
den anderthalb Jahren, seitdem der Wiederaufbau möglich war und seitdem die Taliban gestürzt wurden, ist
sehr viel erreicht worden - das haben alle meine Gespräche im Land, seien es die mit der Regierung, mit Nichtregierungsorganisationen oder mit einfachen Menschen
auf der Straße, deutlich gemacht -: Mädchen gehen wieder in die Schule,
({3})
Krankenhäuser wurden wieder aufgebaut und es werden
dort auch wieder Frauen behandelt, was vorher nicht
möglich war, Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben die
Chance, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, und die Wasser- und Stromversorgung wurde wieder instand gesetzt.
Meine Gesprächspartner haben mir aber auch ihre Besorgnisse genannt. Sie haben die Sorge, dass die Stabilität im Land nicht in allen Regionen ausreichend gesichert ist. Alle afghanischen Regierungsangehörigen und
Partner haben sich für die Ausweitung des Einsatzes auf
Kunduz ausgesprochen. Berücksichtigen Sie doch auch,
was unsere Partner in Afghanistan sagen, und behaupten
Sie nicht, Sie wüssten das alles besser als sie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das deutsche Engagement in Kunduz soll einen Beitrag zur Schaffung
eines Klimas der Sicherheit leisten und zum Wiederaufbau einer Region beitragen, in der mehr als 3 Millionen
Menschen leben. Wir haben unseren Beitrag sehr sorgfältig vorbereitet. An die Adresse des Kollegen
Brauksiepe gerichtet sage ich: Dabei haben wir den Bedenken Rechnung getragen, die internationale Organisationen gegen das amerikanische Konzept des Provincial
Reconstruction Teams zu Recht hatten;
({4})
denn zum einen wurde dort der militärische und der entwicklungspolitische Teil vermischt und zum anderen das
PRT-Konzept in die Struktur der Operation Enduring
Freedom eingebunden. Wir haben dazu beigetragen,
dass dieses Konzept nicht verfolgt wird, sondern dass
die Ausweitung des ISAF-Einsatzes in das Konzept des
Wiederaufbaus, wie es auf der Petersberger Konferenz
beschlossen wurde, eingebunden wird und damit in
einen politischen Kontext und nicht in einen Kontext mit
Terrorismusbekämpfung unter Enduring Freedom.
({5})
Um Missverständnisse auszuräumen: Unser entwicklungspolitisches Engagement ist ein klar definierter, eigenständiger Beitrag. Es ist kein Beitrag im Rahmen des
militärischen ISAF-Engagements. Es wird auch zu keiner Vermischung dieser beiden Komponenten kommen.
Ziel ist die Schaffung eines Klimas der Sicherheit, von
dem alle profitieren, die sich für den Wiederaufbau einsetzen. Militärische und entwicklungspolitische Maßnahmen sind zwei eigenständige Säulen eines Konzepts
und sie bleiben getrennt.
({6})
Wie in Kabul werden auch in Kunduz die Vertreterinnen und Vertreter der staatlichen Durchführungsorganisationen gemeinsam in einem Haus arbeiten, und zwar in
dem Gebäude, in dem bereits jetzt eine Organisation zurückgekehrten afghanischen Flüchtlingen mit unserer
Unterstützung Hilfe leistet, die AGEF.
Das von uns erarbeitete Konzept der Eigenständigkeit
der Komponenten entspricht im Übrigen genau dem,
was 80 internationale Nichtregierungsorganisationen im
Juni 2003 in einem offenen Brief an die internationale
Gemeinschaft gefordert haben, nämlich das ISAF-Mandat über Kabul hinaus auszuweiten und so Sicherheit für
die Arbeit staatlicher und nicht staatlicher Organisationen zu gewährleisten.
({7})
Auch in diesem Zusammenhang sage ich an die
Adresse des Kollegen Brauksiepe gerichtet: Mein Ministerium und ich selbst haben am 9. Oktober - das ist also
noch nicht sehr lange her - mit Vertreterinnen und Vertretern des Verbands der deutschen Nichtregierungsorganisationen, VENRO, zu der Frage des Einsatzes in Kunduz ein Gespräch geführt. Darin wurde durch die
Vertreterinnen und Vertreter der Nichtregierungsorganisationen bestätigt, dass das neue Konzept der Bundesregierung im Hinblick auf die Provinzen Afghanistans und
auf Kunduz ihren ursprünglichen Bedenken Rechnung
trägt. Natürlich wird nicht jede einzelne Nichtregierungsorganisation alle unsere Positionen teilen. In diesem Gespräch ist jedoch deutlich geworden, dass diese
Position unterstützt wird. Das sollten Sie zur Kenntnis
nehmen.
({8})
Im Übrigen: Wir nehmen für dieses Konzept keine
Nichtregierungsorganisation in Anspruch. In diesem Gespräch aber haben viele Vertreterinnen und Vertreter von
Nichtregierungsorganisationen gesagt, dass sie zur Zusammenarbeit bereit seien. Ich respektiere es, wenn
Nichtregierungsorganisationen eigenständig sind. Was
ich aber nicht akzeptieren kann, ist Heuchelei.
({9})
In Kabul leistet die ISAF einen Beitrag zum Klima der
Sicherheit für all diejenigen, die sich für den Wiederaufbau engagieren. Was in Kabul richtig ist, kann doch für
die Region Kunduz nicht falsch sein. Das sollte in dieser
Diskussion sehr deutlich gesagt werden.
({10})
Nach sorgfältiger Prüfung haben wir gemeinsam mit
unseren afghanischen Partnern entschieden, uns in Kunduz auf drei entwicklungspolitische Schwerpunkte zu
konzentrieren: erstens auf die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und auch der sozialen Infrastruktur - Straßenbau, Wasserversorgung, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung -, zweitens auf die Schaffung
von Arbeitsplätzen, die Förderung privater Investitionen,
damit die Menschen langfristig eine Perspektive haben,
und drittens auf den Aufbau demokratischer Institutionen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Bezug
nehmen auf die Diskussion zur Bekämpfung des Drogenanbaus. Auch hier wende ich mich wieder an die
Kolleginnen und Kollegen der FDP. Der Drogenanbau
existiert bereits jetzt in Afghanistan - unter Ihren Augen.
Ich sage ausdrücklich: Wenn die internationale Gemeinschaft einen Beitrag dazu leistet, dass es in Afghanistan
wirtschaftlich, sozial, politisch und demokratisch wieder
Perspektiven gibt, dann wird es dort eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung geben. Damit wird den Drogenbaronen der Boden entzogen.
({11})
Wer nun einen Rückzug aus Afghanistan befürwortet,
muss sich fragen lassen, wie diese Botschaft von den
Drogenbaronen aufgenommen wird. Ich meine, alle sollten ihre Verantwortung wahrnehmen und für dieses
Mandat stimmen.
({12})
Wenn die internationale Gemeinschaft ihr Engagement zusammen mit den afghanischen Partnern - auch
in der Regierung gibt es sehr unterschiedliche Ansprechpartner -, die für den demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans stehen, entschlossen
fortsetzt, wird dem Drogenanbau auf Dauer die Grundlage entzogen. Afghanistan würde damit die Chance für
eine gesunde wirtschaftliche Zukunft gegeben.
Federführend beim Kampf gegen den Drogenanbau
sind die afghanischen Sicherheitskräfte. Ich appelliere
an die amerikanische Regierung, die die Lead Nation in
Afghanistan ist, ihr Engagement beim Aufbau der neuen
afghanischen Armee auszuweiten.
({13})
Dafür ist das afghanische Innenministerium in Zusammenarbeit insbesondere mit Großbritannien im internationalen Verbund zuständig. Ich stehe in engem Kontakt mit meinem britischen Kollegen Hilary Benn, der in
diesem Bereich besondere Verantwortung trägt. Sie können daher sicher sein, dass wir beim zivilen Wiederaufbau wichtige Beiträge leisten, um die Drogenbekämpfung zu unterstützen. Dieses Ziel wird vor allem durch
den Aufbau und die Ausbildung der Polizei, die Förderung des Anbaus alternativer Produkte und die Eröffnung neuer nicht landwirtschaftlicher Einkommen im
Rahmen der Privatwirtschaft verfolgt.
Zum Schluss: So oder so - Afghanistan wird auf jeden Fall Modellcharakter haben. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass unser Engagement zusammen mit unseren Partnern ein Erfolg wird. Es geht heute um den
Einsatz der Soldaten. Wir alle hoffen, dass sie ihre Arbeit gesund und wohlbehalten leisten können. Ich
möchte den Soldaten für ihr Engagement danken.
Ich will an dieser Stelle aber auch sagen: Die Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen, die mit
unserer Zustimmung in Afghanistan und insbesondere
auch in Kunduz tätig sein werden, haben es verdient,
dass wir ihnen für ihr Engagement, das sie häufig unter
Einsatz von Leben und Gesundheit leisten, danken. Ich
denke, ich kann im Namen des ganzen Hauses erklären,
dass wir ihnen für ihre Arbeit viel Erfolg wünschen. Wir
hoffen, dass sie ihre Arbeit wohlbehalten und gesund tun
können. Unsere Unterstützung dafür haben sie.
({14})
Ich danke Ihnen sehr.
({15})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd
Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn man sich ein Ziel gesetzt hat, dann muss
man auch bereit sein, die für einen Erfolg nötigen Mittel
konsequent einzusetzen. Das gilt auch für den Einsatz in
Afghanistan.
Unser Ziel und das der Vereinten Nationen ist klar
formuliert.
Erstens. Wir wollen in Afghanistan, einem Land, das
von Krieg, Unruhen und Terror geprägt ist, daran mitwirken, gemeinsam mit der afghanischen Bevölkerung
eine stabile politische und gesellschaftliche Ordnung
herzustellen und damit dem afghanischen Volk neue
Chancen für eine bessere Zukunft zu eröffnen.
Zweitens - das scheint mir auch in der Auseinandersetzung der unterschiedlichen Auffassungen einer der
wichtigsten Punkte zu sein -: Wir wollen in Afghanistan
in einer Allianz gegen den Terror den Kampf gegen den
internationalen Terrorismus fortsetzen und wir wollen
auf diese Weise klar zum Ausdruck bringen, dass es uns
sehr ernst mit dem Kampf gegen den internationalen
Terrorismus ist. Wir wollen demonstrieren, dass
Deutschland zur Solidarität und internationalen Kooperation bereit ist. Wenn wir diese Ziele erreichen wollen,
dann müssen wir auch dazu bereit sein, die dafür notwendigen Mittel einzusetzen. Im vorliegenden Fall heißt
das: Zustimmung zur Verlängerung und Erweiterung des
Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan.
({0})
Gestatten Sie mir einen kurzen Rückblick. Sie alle erinnern sich gewiss daran, dass in den 90er-Jahren die so
genannte Afghanistan-Connection der Ursprung vieler,
vermutlich der meisten internationalen Anschläge war.
Der weltweite Terror hatte in Afghanistan seinen Ausgangspunkt. Ein weltweites Terrornetz wurde aus Afghanistan heraus aufgebaut. Der Höhepunkt dieses Terrors,
dieses menschenverachtenden Wahnsinns, war der Anschlag vom 11. September vor zwei Jahren. Noch immer
haben wir die grausamen Bilder von damals vor Augen.
In diesem Zusammenhang muss gefragt werden, wo
sich die Terroristen aufgehalten haben, wo sie ausgebildet
wurden und woher die unermesslichen Finanzmittel kamen. In der Sicherheitskonferenz von Scharm el-Scheich
hieß es: Terrorismus hat einen Namen, eine Adresse und
ein Konto. Das waren die Ausgangspunkte für die Auseinandersetzungen in Afghanistan. Wir alle wissen, wer die
wirklichen Täter, wer die Hintermänner und wer die Auftraggeber dieses Terrorismus waren bzw. sind.
Natürlich hat die Weltgemeinschaft einige Fortschritte im Kampf gegen den Terrorismus erzielt. In
Afghanistan konnte man al-Qaida-Mitgliedern und Talibanführern habhaft werden. Man konnte sie festnehmen.
Aber machen wir uns nichts vor: Weltweiter Terror ist
noch immer vorhanden, ebenso die Logistik des Terrornetzes und anderes. Es ist deutlich zu beobachten, dass
sich die Sicherheitslage generell auch in Afghanistan
nicht verbessert hat. Ich will das sehr vorsichtig ausdrücken. Sie wissen, dass es im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan zu heftigen Kämpfen zwischen
den Taliban, die sich dort wieder gesammelt haben, und
den Regierungstruppen und den sie unterstützenden
Amerikanern gekommen ist.
Die Sicherheitslage ist also durchaus als kritisch anzusehen. Es hat sich auch in Kabul gezeigt, dass es keine
Insel des Friedens gibt, sondern dass alles instabil geworden ist. Ich erinnere mich an den 7. Juni dieses Jahres, an dem sieben deutsche Soldaten ums Leben gekommen sind. Dieser Anschlag hat deutlich gemacht, dass es
keinen gefahrlosen Einsatz gibt. Trotz aller Bemühungen
von Erkundungsteams gibt es keine Insel der Glückseligkeit, sondern wir müssen damit rechnen, dass es Anschläge und Auseinandersetzungen auch bei vermeintlich harmlosen Einsätzen gibt.
({1})
Eines will ich auch meinem Freund Werner Hoyer sagen: Natürlich verschließen sich die, die diesen Einsatz
unterstützen, nicht dem in Afghanistan herrschenden
Problem des riesigen Drogenmarkts, des Drogenhandels und Drogenanbaus. Es ist auch richtig, dass afghanische Regionalfürsten und Repräsentanten darin sehr
stark involviert sind. Ich will Zahlen nennen: Schätzungen gehen davon aus, dass die Ausweitung der Opiumproduktion enorm zugenommen hat und dass sich der
Anbau von Opium im Vergleich zu 1998 um bis zu
40 Prozent erhöht hat. Wir sprechen von bis zu
4 000 Tonnen Rohopium jährlich.
Man kann die Augen vor dieser Problematik nicht
verschließen, die nicht nur in Kunduz, sondern in allen
Anbaugebieten Afghanistans herrscht. Nach Erhebungen
der UN und anderer Organisationen, auch der EU, werden 70 Prozent der weltweit konsumierten Drogen in Afghanistan angebaut. Hinzu kommt - das wurde schon erwähnt -, dass Millionen von Süchtigen in dieser Region
und den Nachbarländern zu beobachten sind, die die
Problematik verstärken.
Allerdings - das hat die Interimsregierung bewiesen besteht derzeit keine Chance für die Drogenbekämpfung. Wer meint, dass diese jetzt im Vordergrund stehen
kann, irrt. Sie wissen, Werner Hoyer - Sie haben das
auch schon selbst festgestellt -, dass alle Bemühungen in
der Drogenbekämpfung in den letzten Jahren zu keinen
Ergebnissen geführt haben. Man kann diese Art und
Weise der Drogenbekämpfung zwar verbal preisen, aber
wir alle wissen, was wir davon zu halten haben.
Die Weltgemeinschaft muss sich zwar um dieses Problem kümmern, das kann aber nicht mit dem heute zu
fassenden Beschluss geschehen. Dieser Beschluss bildet
vielmehr die Voraussetzung dafür, dass wir uns um die
Problematik im Ganzen kümmern können.
({2})
Ich halte deshalb die Erklärung der Bundesregierung,
deren Präzisierung wir gefordert haben, für richtig. Soldaten sind - das ist keine neue Erkenntnis - keine Drogenfahnder. Sie können nicht für entsprechende Aufgaben eingesetzt werden. Soldaten sind aber auch keine
Hampelmänner, die absichtlich wegsehen, um keine
Schwierigkeiten zu bekommen.
({3})
Sie müssen sich mit dieser Problematik auseinander setzen und dafür sorgen, dass afghanische Kräfte für die
Ausbildung und den Einsatz in der Bekämpfung dieser
riesigen Problematik in den Provinzen gewonnen werden können.
Kollege Schmidbauer, Sie müssen bitte zum Ende
kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin der
Meinung, dass wir mit unserem Beschluss zu einem guten Start beitragen, dass wir dazu die bereits genannten
flankierenden Maßnahmen auf den Weg bringen müssen
und dass wir in bestimmten Fällen Aufbauhilfe leisten
müssen. Mit dem Pilotprojekt in Kunduz wird ein guter
Start ermöglicht, der es verdient, von einer breiten Mehrheit im Parlament unterstützt zu werden.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Präsident Wolfgang Thierse
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 15/1806 zu dem Antrag der Bundesregierung über
die Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer In-
ternationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afgha-
nistan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/1700 anzunehmen. Es ist eine namentli-
che Abstimmung verlangt. Dazu liegen Erklärungen zur
Abstimmung von über 30 Kollegen vor.1) Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Ist das erfolgt? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
({0})
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.
({0})
- Wir wollen die Beratungen fortsetzen. Deshalb bitte
ich die Kolleginnen und Kollegen, besonders diejenigen
im Mittelgang, herzlich, ihre Plätze einzunehmen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 5 a bis 5 d auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 15/1830 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
- Drucksache 15/1831 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
1) Anlagen 2 und 3
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Daniel Bahr
({3}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Frühverrentung
- Drucksache 15/1810 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
d) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für die Weiterentwicklung der
Rentenreform des Jahres 2001 und zur Stabilisierung des Beitragssatzes in der gesetzlichen
Rentenversicherung
- Drucksache 15/1832 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion.
Guten Morgen, Frau Präsidentin!
({0})
- Sie sind doch froh, wenn Sie sich nichts anhören müssen.
({1})
Frau Kollegin, einen Moment bitte. Ich bitte, die Diskussionen wenigstens im Sitzen fortzuführen.
({0})
Bitte schön, Frau Kollegin Schaich-Walch.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit der heutigen Einbringung des Zweiten
und des Dritten Gesetzes zur Änderung des SGB VI treffen wir Entscheidungen, die uns nicht leicht gefallen
sind. Sie führen zu Belastungen bei Rentnerinnen und
Rentnern. Aber das, was wir für die Renten ausgeben,
müssen die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber erst erwirtschaften. Ein geringes Wachstum ist die Hauptursache für die Finanzlücke in der gesetzlichen Rentenversicherung. Egal welche Rentenformel wir hätten,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die konjunkturelle Einnahmeschwäche machte davor nicht
Halt. Hätten wir heue Ihr Gesetz, dann läge der Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Jahr bei 21,5 Prozent
({0})
und im nächsten Jahr bei 22,3 Prozent.
({1})
Was das für die konjunkturelle Entwicklung und den Arbeitsmarkt bedeuten würde, möchte ich erst gar nicht beschreiben.
Angesichts der finanziellen Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung ist es notwendig - das ist sicherlich auch schwierig und unpopulär -, das durchzuführen, was wir heute in erster Lesung einbringen. Aber
die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen sind unbedingt notwendig, wenn die Akzeptanz der Rentenversicherung gewahrt bleiben soll.
In den ersten neun Monaten dieses Jahres sind die
Beitragseinnahmen nur um 0,5 Prozent gestiegen. Das
sind 2 Prozentpunkte weniger als erwartet. Daraus ergibt
sich ein Defizit von 8 Milliarden Euro. Wenn in Folge
der nicht vorherzusehenden Konjunkturschwäche die
Beitragseinnahmen der Rentenversicherung wegbrechen, gibt es leider nur zwei Möglichkeiten: eine Erhöhung des Beitragssatzes von 19,5 auf 20,5 Prozentpunkte
mit allen negativen Wirkungen für die Beschäftigten sowie letztlich auch für die Rentnerinnen und Rentner oder
unseren Vorschlag, die konjunkturell bedingte Belastung
innerhalb der Rentenversicherung aufzufangen und auch
die Rentnerinnen und Rentner an der Lösung des Problems zu beteiligen.
Ich will hier überhaupt nicht verhehlen, dass es durch
den Verzicht auf die Rentenanpassung im nächsten Jahr
und dadurch, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung
voll getragen werden müssen, zu Belastungen bei Rentnerinnen und Rentnern kommt. Wir haben uns nach langer, schwieriger und eingehender Diskussion aber dafür
entschieden, dass in der gegenwärtigen konjunkturellen
Situation stabile Beiträge die Priorität haben. Gewerkschaften und Arbeitgeber - auch wenn es die einen oder
anderen da kritisch sehen - teilen in dieser Frage unsere
Auffassung, nämlich dass jetzt sämtliche Politikbereiche
ihren Beitrag zu leisten haben, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern.
Ich bin fest davon überzeugt, dass langfristig auch die
Rentnerinnen und Rentner hiervon profitieren und dass
in der Zukunft wieder Rentenanpassungen möglich sein
werden. Ich glaube, dass es gerecht ist, die Beitragszahler nicht stärker zu belasten, da diese bereits durch den
gestiegenen Beitragssatz in diesem Jahr und durch die
Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ihren Beitrag
zur Stabilisierung der Rentenversicherung geleistet haben.
({2})
Unter dem Gesichtspunkt der Lastenverteilung zwischen den Generationen ist es richtig, dass die Älteren
ihren Beitrag leisten - wir werden mit ihnen darüber intensiv zu diskutieren haben -; ich weiß glücklicherweise
aus Debatten, dass die meisten Rentnerinnen und Rentner dazu auch bereit sind.
Jetzt zu dem Punkt, der immer wieder als Rentenkürzung bezeichnet wird. Es geht um die künftige volle Finanzierung des Pflegeversicherungsbeitrags durch die
Rentnerinnen und Rentner. Wir behandeln in dieser
Frage Rentnerinnen und Rentner künftig nicht anders,
als wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer behandeln.
({3})
Ich glaube, dass das ein ausgesprochen gerechter Ansatz
ist; denn mit der Einführung der Pflegeversicherung ist
den Rentnerinnen und Rentnern ohne Vorfinanzierung
eine notwendige und richtige Leistung zur Verfügung
gestellt worden. Mit den geplanten Regelungen zur Pflegeversicherung wird sie künftig auch noch verbessert
werden können.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist keine
Frage: Die Situation der Rentenversicherung ist schwierig. Hierbei geht es nicht so sehr um die aktuelle, sondern mehr um die langfristige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung.
({4})
Diese ist auch für die Zukunft gegeben, wenn die Weichen richtig gestellt werden, und wir werden die Weichen richtig stellen. Es geht um die Akzeptanz des Systems. Wie ich heute früh lesen konnte, sind zwei Drittel
der Menschen in diesem Land davon überzeugt, dass
dieses System richtig angelegt ist. Das heißt, dass wir
gemeinsam Verantwortung dafür haben, Horrorszenarien
vorzubeugen und Polemik in dieser Frage erst gar nicht
zuzulassen.
({5})
Es war gute politische Tradition in der Bundesrepublik, dass langfristige rentenpolitische Entscheidungen
im Konsens der gesellschaftlichen Kräfte getroffen wurden. Wir sollten diese Tradition fortsetzen. Grundlage
dafür ist Ehrlichkeit in der Debatte, das heißt Akzeptanz
der Fakten.
({6})
Auch mit dem demographischen Faktor wären die
Ausgaben der Rentenversicherung heute nicht geringer.
Ohne die Einnahmen aus der Ökosteuer und ohne die
Rentenversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte läge der Beitragssatz, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, heute um gut einen Prozentpunkt höher.
({7})
Die Union als große Volkspartei hat jetzt die Verantwortung, auf populistische Profilierung zu verzichten
und die Akzeptanz der Sozialversicherung als einer
Säule der sozialen Marktwirtschaft nicht zu gefährden.
({8})
Ich kann Ihnen nicht dazu raten, eine sozialpolitische
Sonthofen-Strategie zu verfolgen und im Bundesrat Ihre
Zustimmung zu dem zustimmungsbedürftigen Teil, mit
dem die Erstauszahlung der Rente auf das Monatsende
verschoben wird, zu verweigern. Die dann notwendige
Beitragssatzsteigerung hätten allein Sie zu verantworten
und kein Mensch in diesem Land würde das verstehen,
besonders nicht nach der gemeinsamen Anstrengung, mit
uns den Beitragssatz zur Krankenversicherung zu senken.
({9})
Heute diskutieren wir über Maßnahmen, die gewährleisten, dass der Beitragssatz im nächsten Jahr stabil
bleibt und ein klares Signal für Wachstum und Beschäftigung gegeben wird.
({10})
Wir müssen aber gewährleisten, dass die Finanzierung
der Rentenversicherung auch in Zukunft akzeptable Bedingungen für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ermöglicht. Mit der gemeinsam von Union und SPD
getragenen Rentenreform von 1989 haben wir bereits
einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass angesichts der demographischen Entwicklung ein Beitragssatzanstieg auf deutlich über 30 Prozent bis zum
Jahre 2030 verhindert wird. Heute wissen wir aber, dass
diese Maßnahmen angesichts der neuen Daten nicht ausreichend sind. So wird die Lebenserwartung bis zum
Jahr 2030 - glücklicherweise - um weitere drei Jahre ansteigen und sich entsprechend die Rentenbezugsdauer
gegenüber heute um 20 Prozent verlängern.
Der demographische Wandel ist dabei kein Schicksal, dem wir uns ergeben müssten. Vielmehr müssen wir
in der Politik heute tatkräftig den Rahmen gestalten; wir
müssen klug handeln. Zum Beispiel verliert der zukünftig eintretende Rückgang der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter erkennbar seinen Schrecken, wenn
es uns gelingt, die Erwerbsbeteiligung der älteren Arbeitnehmer zu erhöhen und die Erwerbsquote der Frauen
deutlich zu verbessern. Aus Sicht der SPD sind die diesbezüglichen Annahmen der Rürup-Kommission ein
Stück zu kurz gegriffen. Die Erfahrung der skandinavischen Staaten macht deutlich, dass man damit hervorragende Erfolge erzielen kann.
Trotz dieser Maßnahmen werden wir nicht darum herumkommen, auch die langfristigen Ausgaben zu begrenzen. Hierzu haben wir am letzten Sonntag ebenfalls
Eckpunkte beschlossen. Wer sich diese vorurteilsfrei anschaut und sie zum Beispiel auch mit Vorschlägen aus
der Herzog-Kommission vergleicht, wird feststellen,
dass es an einigen Punkten ähnliche Ansätze gibt, dass
es aber andererseits Vorstellungen in der Herzog-Kommission gibt - ich nenne hier besonders die Frage der
Witwen -, die mit unseren Auffassungen nicht vereinbar
sind.
Ich möchte aber trotz allem die Union ausdrücklich
auffordern, sich daran zu beteiligen, eine einvernehmliche Lösung für die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung zu finden.
({11})
Das erwarten nicht nur die Rentnerinnen und Rentner
zur Lösung der jetzt anstehenden Probleme; das erwarten auch die Jüngeren, die Planbarkeit und Kalkulierbarkeit benötigen und Sicherheit für ihre Lebensplanung sowie für ihr Leben im Alter brauchen.
Ich danke Ihnen.
({12})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe,
komme ich zu Tagesordnungspunkt 12 zurück und gebe
das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer
Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan bekannt. Abgegebene Stimmen 593. Mit Ja
haben gestimmt 531, mit Nein haben gestimmt 57, Enthaltungen 5. Die Beschlussempfehlung und damit der
Antrag der Bundesregierung sind angenommen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Endgültiges Ergebnis
Abgegebenen Stimmen: 593;
davon
ja: 531
nein: 57
enthalten: 5
Ja
SPD
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Wilhelm Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler ({14})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({15})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({16})
Christian Müller ({17})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({18})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({19})
Michael Roth ({20})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({21})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({22})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Heinz Schmitt ({28})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({29})
Reinhard Schultz
({30})
Swen Schulz ({31})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({32})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({33})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Matthias Weisheit
Prof. Gert Weisskirchen
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({35})
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({36})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({37})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({38})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Prof. Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Prof. Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({39})
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({40})
Gitta Connemann
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Vera Dominke
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({41})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({42})
Dirk Fischer ({43})
Axel E. Fischer ({44})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({45})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Georg Girisch
Michael Glos
Ralf Göbel
Dr. Reinhard Göhner
Tanja Gönner
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Karl-Theodor Freiherr von
und zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({46})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({47})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({48})
Dr. Karl A. Lamers
({49})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({50})
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
({51})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({52})
Stephan Mayer ({53})
Conny Mayer ({54})
Dr. Martin Mayer
({55})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({56})
Doris Meyer ({57})
Maria Michalk
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({58})
Bernward Müller ({59})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Henry Nitzsche
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({60})
Katherina Reiche
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Prof. Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Albert Rupprecht ({61})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({62})
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Andreas Schmidt ({63})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({64})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({65})
Gerald Weiß ({66})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({67})
Volker Beck ({68})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({69})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Michaele Hustedt
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({70})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({71})
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({72})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({73})
Werner Schulz ({74})
Petra Selg
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Ludger Volmer
Margareta Wolf ({75})
FDP
Ulrich Heinrich
Nein
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Renate Blank
Wolfgang Börnsen
({76})
Manfred Carstens ({77})
Leo Dautzenberg
Herbert Frankenhauser
Kurt-Dieter Grill
Norbert Schindler
Willy Wimmer ({78})
FDP
Daniel Bahr ({79})
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({80})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({81})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann
({82})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({83})
Eberhard Otto ({84})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
Enthalten
CDU/CSU
Ilse Aigner
Siegfried Helias
Susanne Jaffke
BÜNDNIS 90 / DIE
GRÜNEN
Winfried Hermann
Hans-Christian Ströbele
Nächster Redner in der Debatte zu Zusatzpunkt 5 ist
der Kollege Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion.
({85})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Schaich-Walch, es ist noch nicht einmal drei
Monate her, dass wir im Rahmen der Konsensgespräche
über die Gesundheitsreform gemeinsam beschlossen haben, dass die Rentner auf ihre Betriebsrenten in Zukunft
den vollen Krankenkassenbeitrag zu bezahlen haben.
Wir in der Union haben uns mit dieser Maßnahme nicht
leicht getan.
Bei diesen Verhandlungen haben die Vertreter der
Bundesregierung heilige Eide geschworen, dass die
Rentner über diese Maßnahme hinaus nicht noch weiter
massiv belastet werden.
({0})
Wir hätten uns damals nicht im Traum vorstellen können, dass nach nur einem Vierteljahr im Bundestag die
erste Rentenkürzung in der Nachkriegsgeschichte beschlossen werden soll.
({1})
Wenn die Rentner im nächsten Jahr zusätzlich zur
Nullrunde durch die Pflegebeiträge voll belastet werden,
dann werden die Zahlbeträge der Renten um
0,85 Prozent sinken. Das bedeutet: Jeder Rentner verliert
im Schnitt 10 Euro im Monat. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurden die Rentner so stark
und so einseitig belastet wie durch diese angekündigte
Maßnahme.
Noch vor einigen Jahren haben Sie das anders gesehen. Ich zitiere:
Das trifft doch insbesondere jene meist älteren
Frauen, die ihre Männer im Krieg verloren haben,
die ihre Kinder im Krieg durchgebracht haben und
die vor allen Dingen die Lasten des Aufbaus im
Westen getragen haben. Denen an die Rente zu gehen ist nicht nur sozial ungerecht, es ist unanständig.
({2})
Das hat Gerhard Schröder, wenige Wochen bevor er zum
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt
worden ist, gesagt.
({3})
Die Rentenversicherungsträger sagen uns, dass das Ende
der Fahnenstange noch nicht erreicht worden ist, dass nach
der Rentenkürzung für das nächste Jahr auch im Jahr 2005
und im Jahr 2006 Rentenerhöhungen kaum möglich sind,
dass sie sogar gegen null tendieren werden, wenn die bisherige Rentenformel um einen Nachhaltigkeitsfaktor erweiAndreas Storm
tert wird. Das bedeutet: Dank Rot-Grün bekommen die
Rentner in den nächsten drei Jahren nicht einmal einen
Inflationsausgleich; im nächsten Jahr werden sie sogar
nominal weniger in die Tasche bekommen.
Nicht nur die erste Rentenkürzung in der Geschichte
der Bundesrepublik ist ohne Beispiel, sondern auch der
Plan von Rot-Grün, die Finanzreserve der Rentenkassen
vollständig zu plündern.
({4})
Technisch ausgedrückt heißt das: Die Schwankungsreserve
soll auf 0,2 Monatsausgaben gesenkt werden. Was verbirgt sich hinter dieser technischen Umschreibung?
Diese Maßnahme bedeutet nichts anderes als den Anfang vom Ende der finanziellen Eigenständigkeit der
gesetzlichen Rentenversicherung.
({5})
Die Rentenversicherungsträger haben auf ihrer Jahrestagung in dieser Woche bestätigt: Wenn die Schwankungsreserve auf nur noch 0,2 Monatsausgaben gesenkt
wird, dann sind die frei verfügbaren Mittel in den beitragsschwachen Monaten im Sommer 2004 komplett
aufgebraucht. Das bedeutet: Ab Mitte des kommenden
Jahres ist die Rentenversicherung auf vorgezogene Zuschüsse des Bundes angewiesen und dann, wenn diese
Zahlungen nicht ausreichen, hängt die Rente vollends am
Gängelband des Bundesfinanzministers, dann kommt es
zum ersten Mal zur Rente auf Pump.
({6})
Das ist vollkommen inakzeptabel.
({7})
Das sind keineswegs Horrorszenarien, die verunsichern sollen, sondern ein realistischer Ausblick auf das,
was uns im nächsten Jahr erwartet. Wenn der Finanzminister in die Mithaftung für die Finanzlage der Rentenversicherung genommen wird, dann will er, ja, dann
muss er mit darüber entscheiden, ob es in Zukunft Rentenerhöhungen gibt und, wenn ja, wie hoch sie ausfallen.
Das bedeutet mit anderen Worten: Wenn Sie dahin kommen, dass die Rentenversicherung dauerhaft vom Finanzminister abhängig ist,
({8})
dann brauchen wir uns im kommenden Jahr über eine
neue Rentenformel nicht mehr zu unterhalten, dann
brauchen wir nur noch mit dem Finanzminister zu diskutieren.
({9})
Vor diesem Hintergrund war auch die Forderung der
Grünen, die Schwankungsreserve vollständig aufzulösen, völlig unverantwortlich. Diese Rücklage darf nicht
aufgelöst, sondern muss mittelfristig wieder erhöht werden.
({10})
Das hat Ihnen die Rürup-Kommission ins Stammbuch
geschrieben und das fordert die Herzog-Kommission.
Für die Union ist dies ein Essential einer langfristig angelegten Rentenreform.
({11})
Neben den Rentnern hat es am vergangenen Sonntag
einen weiteren Verlierer gegeben: den Bundesfinanzminister. Was sich da abgespielt hat, ist doch schon ein parlamentarischer Treppenwitz. Vor einer Woche hat dieses
Haus mit rot-grüner Mehrheit ein Haushaltsbegleitgesetz
verabschiedet, durch das der Bundeszuschuss für die
Rentenkasse im nächsten Jahr um 2 Milliarden Euro abgesenkt werden sollte. Heute, sieben Tage später, bringen Sie einen Gesetzentwurf ein, der das Ganze wieder
rückgängig macht. Das ist wirklich kabarettreif, meine
Damen und Herren.
({12})
Lassen Sie mich zu den Maßnahmen zusammenfassend sagen: Die vorgesehenen Rentenkürzungen und das
Ausplündern der Rentenkasse stellen einen verhängnisvollen Irrweg dar, für den alleine die Abgeordneten der
Koalitionsfraktionen die Verantwortung tragen.
({13})
Denn dass die gesetzliche Rentenversicherung in der
größten Finanzkrise seit ihrem Bestehen steckt und mit
einem Finanzloch von 8 Milliarden Euro - wenn man
die 2 Milliarden Euro, die Herr Eichel wollte, dazurechnet, sogar 10 Milliarden Euro - das größte Loch in der
Rentenkasse in der Nachkriegsgeschichte entstanden ist,
ist ausschließlich auf eine Kette von Fehlern zurückzuführen, die die Bundesregierung selbst verschuldet hat.
({14})
Fehler Nummer eins war die Rücknahme des demographischen Faktors von Norbert Blüm.
({15})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat das ja
eingestanden. Es ist erst wenige Wochen her, dass er gesagt hat: Dieses war ein Fehler; wir brauchen wieder einen demographischen Faktor.
({16})
Hätten Sie den 1998 nicht aus der Rentenformel gestrichen, hätten wir uns viele Debatten in diesem Hause ersparen können.
({17})
An der Stelle will ich Ihnen auch noch einmal den
grundlegenden Unterschied zwischen einem demographischen Faktor bzw. einem Nachhaltigkeitsfaktor, der
von Ihnen ins Spiel gebracht wurde, die gleiche Grundphilosophie wie der demographische Faktor hat und sich
nur im Detail von diesem unterscheidet, und Ihrer Rentenkürzung deutlich machen. Beim demographischen
Faktor ging es darum, wie wir die Lasten zwischen
Rentnern und Beitragszahlern fair und gerecht aufteilen. Weder die Rentner alleine sollten über anhaltende
Nullrunden oder Kürzungen die Lasten schultern, noch
sollten die Beitragszahler alleine über immer weiter
steigende Beiträge belastet werden. Deshalb war ein fairer Ausgleich nötig, der dazu beiträgt, dass die Beiträge
nur sehr wenig steigen und die Renten ein wenig angehoben werden können, aber langsamer als ohne diesen
Korrekturfaktor steigen. Sie aber belasten mit der von
Ihnen vorgesehenen Kürzung zum ersten Mal in der
Nachkriegsgeschichte einseitig die Rentner. Das stellt
eine Abkehr von den bisherigen Grundprinzipien
der deutschen Rentenpolitik dar.
({18})
Herr Kollege Storm, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Dreßen?
Gerne.
({0})
Nein, ich habe mich vielmehr über einen Satz geärgert, den ich jetzt Herrn Storm noch einmal vorhalten
möchte.
({0})
Sie haben gerade erwähnt, dass wir uns diese Debatten
erspart hätten, wenn wir den Blüm-Faktor beibehalten
hätten.
({1})
Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass wir, wenn wir Ihren
Forderungen gefolgt wären, wenn also beispielsweise
die Einnahmen aus der Ökosteuer nicht in die Rentenkasse fließen würden, heute trotz Blüm-Faktor bei einem
Beitragssatz von 21,3 Prozent wären?
Herr Kollege Dreßen, ich bin Ihnen dankbar für diese
Frage. Ihre Kollegin Frau Schaich-Walch hat das vorhin
auch schon behauptet. Das ist aber falsch, denn Sie können nicht Systeme mit unterschiedlichen Bundeszuschüssen vergleichen. Sie müssen dabei immer einen
gleich hohen Bundeszuschuss zugrunde legen. Unter
dieser Voraussetzung ist es zweifelsfrei so, dass wir mit
einem demographischen Faktor eine Verringerung der
Finanzprobleme in der Rentenversicherung allein in diesem Jahr um 3 Milliarden Euro hätten; die Probleme wären also mit demographischem Faktor wesentlicher geringer als ohne ihn.
({0})
Meine Damen und Herren, Fehler Nummer zwei der rotgrünen Rentenpolitik sind Berechnungen, die in einer solchen Weise angestellt wurden, dass man damit in der PisaStudie mit Pauken und Trompeten durchgefallen wäre. Alle
Jahre wieder das gleiche Schauspiel: Es werden im Oktober
bei der Berechnung des Beitragssatzes für das kommende
Jahr gesamtwirtschaftliche Annahmen zugrunde gelegt,
die gnadenlos schöngerechnet sind. Deshalb haben wir
zum dritten Mal in Folge die Situation, dass wir feststellen müssen, dass der Beitrag hinten und vorne nicht ausreicht. Vor zwei Jahren haben Sie mit dem damaligen
Minister Walter Riester eine Reform im Deutschen Bundestag durchgesetzt und dabei verkündet, die Probleme
seien gelöst. Alleine in den letzten drei Jahren ist eine Finanzlücke in Höhe von 21 Milliarden Euro entstanden:
im Jahr 2001, dem Jahr der Verabschiedung der RiesterReform, 3 Milliarden Euro; im vergangenen Jahr
8 Milliarden Euro und in diesem Jahr - die Einsparung,
die Herr Eichel wollte, eingerechnet - 10 Milliarden Euro.
Das Verheerende an dieser Krise ist, dass sie mit der
demographischen Entwicklung nichts, aber auch gar
nichts zu tun hat. Sie ist auf die Fehler und Versäumnisse
dieser Bundesregierung zurückzuführen.
({1})
Sie ist vor allen Dingen auf ein vollständiges Versagen
in der Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen.
({2})
Diese Fehler setzen sich fort.
Gestern bei der Vorlage durch den Bundeswirtschaftsminister haben Sie über die Annahmen für das kommende Jahr gesagt: Wir gehen davon aus, dass es wieder
ein Wachstum geben wird und die Arbeitslosigkeit
leicht sinkt. - Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben
Ihnen am Dienstag ins Stammbuch geschrieben: Wenn
es zu einer Aufwärtsentwicklung kommt, dann wird
diese nicht dafür ausreichen, dass es einen Beschäftigungsaufbau gibt. - Das heißt: Im Kern wird bereits jetzt
die Misere angelegt, die sich im nächsten Jahr zeigen
wird.
({3})
Vor einem Jahr, zum Zeitpunkt der Festlegung des
Beitragssatzes für dieses Jahr, haben die Rentenversicherungsträger gewarnt und gesagt: Er reicht nicht aus. - Es
war also schon vor einem Jahr absehbar, dass es eine
Krise geben wird. Deshalb hat der Direktor des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Professor Ruland, am 9. Oktober in der „Welt“ gesagt:
Die Regierung wird nun dafür bestraft, dass sie damals zu kurz gesprungen ist.
({4})
Das macht deutlich: Diese Krise ist das Ergebnis einer verfehlten Politik. So haben wir nicht den Hauch einer Chance. Die Misere in der Sozialversicherung - das
betrifft nicht nur die Rentenversicherung, sondern genauso die Kranken- und die Pflegeversicherung - können wir nur dann überwinden, wenn es gelingt, die Beschäftigungskrise zu bewältigen.
Was Sie jetzt vorgelegt haben, ist - ähnlich wie in den
beiden Vorjahren - ein reines Notmaßnahmenpaket, das
vielleicht ausreicht, einen Teil der Finanzlöcher im kommenden Jahr notdürftig zu stopfen. Aber mit dieser
Flickschusterei werden Sie es nicht schaffen, bis zum
Ende der Wahlperiode eine klare Linie in die Rentenpolitik zu bekommen.
({5})
Nun fragen Sie vielleicht: Was ist die Alternative der
Union?
({6})
Wir diskutieren gleich im Ausschuss über Ihre Gesetze.
Es gibt einen Antrag der Union, der bereits vom 20. Mai
datiert. Wir haben Ihnen damals gesagt, dass es höchste
Zeit ist, zu handeln. Im Frühsommer haben wir Sie aufgefordert: Legen Sie ein Paket von Maßnahmen für eine
große Rentenreform vor, die bereits im nächsten Jahr
greift! Machen Sie einen Vorschlag für eine nachhaltige
Rentenformel!
Sie haben uns im Deutschen Bundestag - sowohl im
Plenum als auch im Fachausschuss - immer gesagt:
Nein, wir warten ab bis zum Oktober oder bis zum November. Erst dann kennen wir die genauen Zahlen. Wer den Karren vorsätzlich gegen die Wand fährt, der
braucht sich nicht zu wundern, wenn er niemanden findet, der bereit ist, die Abschleppkosten zu übernehmen.
({7})
Wenn es angesichts Ihrer Vorschläge einen positiven
Aspekt gibt, dann ist es der: Sie haben erkannt, dass die
langfristigen Maßnahmen von den kurzfristig angelegten
notdürftigen Reparaturmaßnahmen abgekoppelt werden
müssen.
Bei den langfristigen Maßnahmen liegen Licht und
Schatten eng beieinander. Zunächst einmal muss man sagen: Es ist richtig, wenn Sie zu einer nachgelagerten
Besteuerung der Renten übergehen wollen. Darüber
müssen wir reden; das ist seit langem eine Forderung der
Union.
({8})
Da gibt es aber immer noch Punkte, über die wir sehr genau reden müssen. Das ist zum Beispiel die Frage der
Übergangszeiträume. Aber im Grundsatz sind wir uns
einig.
Im Übrigen haben wir drei Jahre lang gesagt, dass die
Riester-Rente deswegen ein Flop ist, weil sie viel zu
kompliziert ist und weil die elf Kriterien derart einengend wirken, dass kein Mensch vernünftigerweise bereit
sein wird, die Riester-Rente als optimale Form der Altersvorsorge zu sehen. Wir haben eine Entschlackung
auf drei Kriterien gefordert. Nachdem Sie jahrelang gesagt haben, das sei falsch, wollen Sie den Kriterienkatalog nun reduzieren und so die ergänzende Vorsorge attraktiver machen. Das ist richtig. Man kann sagen, dieser
Vorschlag liest sich so, als hätten Sie ihn aus unserem
Wahlprogramm abgeschrieben. Aber es ist besser, Sie
kommen spät zu dieser Erkenntnis als nie. Auch an dieser Stelle können wir miteinander reden; denn wir dürfen
keine Zeit verlieren. Es muss gerade den Jüngeren
schnell ermöglicht werden, eine attraktive ergänzende
Altersvorsorge zu wählen.
({9})
Auch über einen Nachhaltigkeitsfaktor können wir
miteinander reden. Dieser Faktor entspricht zwar nicht
im Detail, aber in der Zielsetzung genau unserem demographischen Faktor.
Aber ein Punkt ist für die Union völlig inakzeptabel,
nämlich die vorgesehene Abschaffung der Anrechnungszeiten für die Schulausbildung und für das Studium bei der Rentenberechnung.
({10})
Diese Änderung führt für alle unter 60-jährigen Versicherten, die bisher eine dreijährige Anrechnungszeit haben, zu einer monatlichen Rentenkürzung um über
58 Euro. Das entspricht im Durchschnitt etwa einer Rentenkürzung um 5 Prozent.
Sie haben Recht: In der Vergangenheit gab es noch
längere Anrechnungszeiten. In den 90er-Jahren sind wir
zu dem Ergebnis gekommen, dass drei Jahre ein angemessener Zeitraum sind; er bedeutet keine zu lange Anerkennung von Ausbildungszeiten. Aber darauf zu verzichten wäre völlig unangemessen. Auch in unseren
Nachbarländern werden sie in der Regel anerkannt. Zu
einem Zeitpunkt, zu dem wir über die Stärkung des Bildungsstandortes Deutschland miteinander diskutieren,
wäre es geradezu absurd, das Signal zu senden, dass derjenige bei der Alterssicherung bestraft wird, der in Bildung investiert.
Deshalb noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Fraktion, die als „Abweichler“ große
Beachtung gefunden haben. Liebe Frau Skarpelis-Sperk,
lieber Kollege Schreiner,
({11})
wenn Ihre Zustimmung schon zu dem Dumpingpreis zu
haben ist, dass statt einer dreijährigen Übergangszeit,
wie von der Ministerin angedacht, eine vierjährige Übergangszeit geschaffen werden soll, dann ist das eine
Lachnummer. Denn das würde bedeuten, dass nicht die
heute unter 60-Jährigen, sondern „nur“ die unter 59-Jährigen betroffen wären. Eine solche Bonsailösung kann
doch nicht allen Ernstes der Preis für diejenigen sein, die
zu Recht ihre Zustimmung nicht geben wollen.
({12})
Um es zum Schluss noch einmal ganz deutlich zu sagen: Dieses kurzfristige Notsparpaket ist völlig unangemessen. Die großen Verlierer sind die Rentner. Das müssen Sie alleine schultern. Wir sind bereit, im kommenden
Jahr über eine gemeinsame Rentenreform zu reden. Aber
wenn die vorgesehene Abschaffung der Anrechnung der
Ausbildungszeiten bei der Rente ein Eckpfeiler des im
nächsten Jahr von Ihnen geplanten, langfristig angelegten Rentenpakets sein sollte, dann würde dies eine klare
Absage an eine parteiübergreifende Rentenreform bedeuten. Deshalb gehen Sie in sich
({13})
und legen Sie einen besseren Vorschlag vor!
({14})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Storm, lassen Sie mich vorab eines sagen:
Ich habe bis zur letzten Sekunde darauf gewartet, dass
Sie uns in aller Freundlichkeit endlich einmal Ihre Vorschläge zur Überwindung der aktuell schwierigen Situation, in der wir uns befinden, unterbreiten.
({0})
Sie haben sich wieder einen schlanken Fuß gemacht,
Herr Storm. Aber zur Opposition werde ich noch kommen.
({1})
Lassen Sie mich eines feststellen: Der Beschluss der
Koalition vom letzten Sonntag, für das nächste Jahr in
der Rente keine Beitragserhöhung, sondern eine Stabilisierung des Beitragssatzes bei 19,5 Prozent festzuschreiben, ist ein notwendiger und konsequenter Schritt, um
die Investitionen in Arbeit im nächsten Jahr zu stärken.
Sie, Herr Storm, haben genau das Gegenteil vorgeschlagen.
({2})
Wir stehen heute an der Schwelle einer wirtschaftlichen Belebung - noch längst nicht an der Schwelle eines
Aufschwungs.
({3})
In dieser Situation ist es absolut notwendig, klare Prioritäten für mehr Arbeit zu setzen. Dazu gehört, die Rentenbeiträge für das nächste Jahr zu stabilisieren. Dazu
gehören ebenso das Vorziehen der Steuerreform, die
Hartz-Reformen, durch die wir übrigens die Beschäftigungsschwelle schon auf 1,8 Prozent gesenkt haben, sowie die schwierigen Schritte in der Gesundheitsreform.
Eines ist völlig klar: Es wäre Gift für die Konjunktur,
wenn wir die Beiträge in dieser Situation erhöht hätten.
Deswegen haben wir uns so entschieden. Ich weiß, dass
das für viele sehr schwierig ist; denn Beitragszahlen sind
abstrakte Zahlen und eine Nichterhöhung der Renten
trifft Menschen ganz konkret. Aber wir müssen uns immer wieder klar machen: Eine Erhöhung der Beiträge
um 1 Prozent bedeutet 100 000 Arbeitslose mehr und
das können wir uns nicht leisten.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Fuchs?
Ja.
Frau Kollegin, Sie sprachen gerade davon, dass wir
an der Schwelle eines Aufschwungs stehen würden.
Einer Belebung, habe ich gesagt.
Können Sie mir dafür irgendwelche Indikatoren nennen? Zurzeit haben wir die größte Pleitewelle; gestern
stand es in den Zeitungen. 42 000 Unternehmen werden
in diesem Jahr Pleite gehen. Das hat mit Aufschwung
nicht allzu viel zu tun. Wir haben ein Minuswachstum.
Ich kann mir nicht vorstellen, wie man minus wachsen
kann. Das ist für mich eine Schrumpfung. Das ist die
Folge Ihrer Politik. Erklären Sie mir bitte, wo Sie die
Hoffnung hernehmen, dass wir jetzt an der Schwelle eines Aufschwungs stehen! Diesen kündigen Sie seit drei
Jahren an; aber ich kann nicht feststellen, wo er ist.
({0})
Herr Kollege, ich fände es schön, wenn Sie zuhören
würden, wenn man hier eine Rede hält. Ich habe davon
gesprochen, dass wir an der Schwelle einer wirtschaftlichen Belebung und noch längst nicht an der Schwelle eines Aufschwungs stehen.
({0})
Dass Sie diesen Unterschied nicht erkennen, zeigt Ihre
wirtschaftspolitische Kompetenz.
({1})
Es gibt Indikatoren dafür. Lesen Sie einmal wirtschaftspolitische Zeitungen - und nicht nur die „Bild“Zeitung, wenn sich Frau Böhmer darin ausbreitet -,
({2})
die deutlich schreiben, dass wir in Deutschland, gerade
was die Exportentwicklung anbelangt, wieder auf dem
Vormarsch sind, allerdings - auch das sage ich; das ist
ein Wermutstropfen - noch nicht so stark in den neuen
Ländern. Deswegen ist es absolut notwendig, mit der
Stabilisierung der Rentenbeiträge alles dafür zu tun, der
konjunkturellen Entwicklung keine Steine in den Weg zu
legen.
Dies sind unbequeme Wahrheiten; ich weiß das. Es ist
eine unbequeme Wahrheit, wenn man sagen muss: Es
gibt im nächsten Jahr keine Rentenerhöhung, weil wir
ansonsten den Zuwachs an Arbeitsplätzen gefährden
würden. Das ist richtig. Es ist auch richtig, dass wir hier
die Solidarität der Rentnerinnen und Rentner mit den Arbeitslosen einfordern. Aber ich habe mich gefreut, feststellen zu können - auch darauf will ich hinweisen -,
dass nach Umfragen 54 Prozent der Rentnerinnen und
Rentner dazu bereit sind.
Herr Storm, Sie haben in dieser Debatte mehrere Behauptungen eingebracht - sie sind schlichtweg falsch -,
um in einer schwierigen politischen Situation zu zündeln. Sie sagen, wir hätten in Deutschland noch nie eine
Nullrunde gehabt.
({3})
Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir 1983 unter der
Regierung Kohl eine Nullrunde hatten; die Renten wurden damals nicht erhöht.
Sie haben gesagt, wir hätten noch nie eine Rentenkürzung gehabt. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir
im Jahre 1995, als die Pflegeversicherung eingeführt
worden ist, einen Beitrag der Rentnerinnen und Rentner
zur Pflegeversicherung von 0,5 Prozent festgelegt haben. Genau das tun wir auch heute. Sie hetzen heute dagegen. Das Gleiche haben Sie damals gemacht.
({4})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Storm?
Bitte schön.
Frau Kollegin Dückert, Sie haben eben behauptet, es
habe bei der Einführung der Pflegeversicherung eine
Rentenkürzung gegeben. Können Sie mir bestätigen,
dass die Renten im Jahre 1994 in den alten Bundesländern um 3,39 und in den neuen Bundesländern um
3,45 Prozent und im Jahre 1995 in den alten Ländern um
0,5 und in den neuen Ländern um 2,48 Prozent angehoben worden sind und dass angesichts der Einführung eines Beitrags der Rentner zur Pflegeversicherung von einem halben Prozentpunkt von einer Rentenkürzung
keine Rede sein kann?
({0})
Herr Kollege Storm, ich kann Ihnen genau das bestätigen, was ich eben gesagt habe,
({0})
nämlich dass die Rentnerinnen und Rentner im Jahre
1995 zusätzlich mit einem Pflegeversicherungsbeitrag
von 0,5 Prozent belastet worden sind. Das ist genau das,
was wir jetzt machen.
({1})
Herr Storm, Sie haben noch etwas anderes behauptet:
dass wir mit dem demographischen Faktor von Blüm
und der blümschen Rentenreform insgesamt nicht in
diese Situation gekommen wären.
({2})
Auch das, Herr Storm, ist nachweislich falsch. Mit
der Riester-Treppe, die wir eingeführt haben, haben wir
eine stärkere Wirkung auf die Rentenentwicklung erzielt, als dies mit dem blümschen demographischen Faktor der Fall gewesesn wäre.
Mit der Einführung der Ökosteuer haben wir zusätzliche Mittel für die Finanzierung der Renten erschlossen.
Ohne diese Maßnahmen läge der Beitragssatz bei
21 Prozent. Das ist die Wahrheit.
({3})
Mit Ihrer Politik gäbe es keine dritte Säule, die private
Vorsorge, in der Rentenversicherung und wir hätten last,
but not least nicht die bedarfsorientierte Grundsicherung
für Rentnerinnen und Rentner. Diese Maßnahmen tragen
dazu bei, Altersarmut zu verhindern.
Was tragen Sie uns vor? Sie haben konkret nichts vorgetragen.
({4})
- An kurzfristigen Lösungen haben Sie uns nichts vorgetragen. Sie haben gesagt, das sei nicht Ihre, sondern unsere Sache.
({5})
Sie haben das Herzog-Konzept in die Debatte gebracht. In diesem Konzept - jetzt sind wir wieder bei der
Frage der Lohnnebenkosten - schlagen Sie vor, die Beiträge zur Pflegeversicherung von 1,7 Prozent auf 3,4 Prozent anzuheben, also zu verdoppeln. Das bedeutet erstens, wie in unseren Vorschlägen, eine zusätzliche
Belastung der Rentner. Sie aber polemisieren dagegen,
obwohl die Anhebung in Ihrem eigenen Konzept steht.
Zweitens bedeutet es, dass die Arbeitnehmer doppelt
so stark wie heute belastet werden, und gleichzeitig sprechen Sie davon, dass Familien entlastet werden sollen.
An dieser Stelle kann man doch nur lachen.
({6})
Drittens werden die Rentenkassen zusätzlich belastet.
Das würde zu Beitragserhöhungen führen.
Die Diskussion, die Sie hier führen, gibt keine Antworten und verschleiert die Wahrheit. Ich denke aber,
wir sollten über die Wahrheiten reden.
({7})
Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, den Sie angesprochen haben: die Akademikerinnen und Akademiker. Es ist richtig, dass wir zu einer nachhaltigen Finanzierung der Rentenversicherung kommen müssen.
Dazu leisten die Akademikerinnen und Akademiker einen Beitrag. Diejenigen, die in der Schule eine Berufsausbildung erhalten, müssen diesen Beitrag übrigens
nicht leisten. Mir ist sehr wichtig, dass das hier noch einmal zur Sprache gebracht wird.
Es ist nicht richtig, Herr Storm, dass Ihre Kollegin,
Frau Böhmer, über die „Bild“-Zeitung die Rentnerinnen
und Rentner gegen dieses Projekt aufhetzen will. Es ist
zwar richtig, dass wir jetzt drei Jahre zusätzlicher Rentenaufstockung streichen wollen, aber Frau Böhmer verschweigt, dass Sie in den 90er-Jahren dafür verantwortlich waren, dass zehn Jahre gestrichen wurden.
({8})
Ich frage Sie und Frau Böhmer: Wo waren Sie damals
mit Ihrer Gerechtigkeitsdebatte?
({9})
Es ist und bleibt eine verlogene Diskussion.
Ich komme zum Schluss.
({10})
Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Situation.
Wir müssen die Lohnnebenkosten senken. Auf dem Arbeitsmarkt sind harte Reformen nötig. Eins gilt für uns
alle: Wir können den Sozialstaat und den Arbeitsmarkt
nur zukunftsfest machen, wenn wir den Mut zu diesen
Reformen haben.
Ich gebe Ihnen von der Union für die Verhandlungen
im Bundesrat einen guten Rat.
({11})
Zeigen Sie Ihrem Blockade-Koch an dieser Stelle die
schwarze Karte. Das ist für die Rentenentwicklung in
Deutschland notwendig.
({12})
Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Dückert, Sie haben gerade eine große Chance
vertan.
({0})
Anstatt hier Ihre Ahnungslosigkeit in wirtschaftlichen
und sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhängen
zu demonstrieren, hätten Sie wie Ihr Bundeskanzler sagen sollen: Ja, es ist richtig, wir haben einen Fehler gemacht, wir stehen vor einem Scherbenhaufen; lasst uns
gemeinsam an die Aufarbeitung herangehen. Das wäre
Ihre Chance gewesen.
({1})
Man muss es ganz nüchtern sehen, Frau Kollegin
Dückert: Mit den heute zu debattierenden Vorschaltgesetzen dokumentieren Sie einen Tiefpunkt in der deutschen Rentenpolitik seit der Einführung der umlagefinanzierten Rente im Jahr 1957.
({2})
Rot-grüne Rentenpolitik, Herr Kollege Müntefering,
macht alle Beteiligten zu Verlierern:
({3})
die jungen Menschen, die zusammengerechnet mit der
Ökosteuer, dem Rentenbeitrag an der Zapfsäule, die
höchsten Abgaben für die gesetzliche Rentenversicherung zu erbringen haben, im Gegenzug aber nur noch die
geringsten Leistungen erwarten dürfen,
({4})
die Menschen, die mehr oder weniger kurz vor dem Eintritt
in die Rente stehen und die Sie im Wochenrhythmus mit
immer neuen Hiobsbotschaften konfrontieren - zuletzt betreffend die Anrechnung von Ausbildungszeiten -,
({5})
und die Rentner, die im kommenden Jahr zum ersten
Mal in der Geschichte der umlagefinanzierten Rentenversicherung faktisch eine Rentenkürzung hinnehmen
müssen.
({6})
Herr Dreßen, nicht lautes Aufbegehren, sondern in sich
zu gehen und Reue zu zeigen wäre für Sie das Gebot der
Stunde.
({7})
Eines muss Sie doch nachdenklich stimmen: Das Vertrauen der Menschen in Deutschland in die Rentenversicherung ist als Folge rot-grüner Politik mittlerweile auf
nahezu null gesunken.
({8})
Gerade noch 7 Prozent der Bürger unseres Landes halten
die Rente für sicher. Besonders groß sind die Zweifel bei
den unter 40-Jährigen. Bescheidene 4 Prozent von ihnen
glauben, dass die Renten sicher sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün - Herr
Dreßen, Frau Schaich-Walch und wie Sie alle heißen -, es
ist Ihre traurige Verantwortung, wenn in einer solch essenziellen Frage fast 95 Prozent der Bürger kein Vertrauen mehr zu ihrer Regierung haben.
({9})
Dieses Vertrauen haben Sie durch Ihre leichtfertige
und sprunghafte Rentenpolitik der letzten Jahre verspielt. Eine Tüte Milch aus dem Supermarkt hat mittlerweile eine längere Haltbarkeit als ein rentenpolitischer
Beschluss von Rot-Grün.
({10})
Am letzten Freitag haben Sie die Kürzung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung um 2 Milliarden
Euro beschlossen. Schon heute debattieren wir im Rahmen der Diskussion über den Entwurf eines zweiten
SGB -VI-Änderungsgesetzes über die Rücknahme der
Kürzung dieses Bundeszuschusses. Herr Müntefering,
das ist wirklich neuer deutscher Rekord, zugleich aber
ein einmaliger Vorgang. Es unterstreicht auch die Kurzatmigkeit Ihrer Politik und erklärt, warum diese Bundesregierung das Vertrauen der Menschen in unserem Land
in absehbarer Zeit nicht mehr wird zurückgewinnen können. Dafür sind Sie verantwortlich.
({11})
- Das ist jetzt der Gipfel. Der Kollege Dreßen sagt, Sie
müssten unsere Fehler reparieren. Jetzt hören Sie einmal
gut zu, Herr Kollege Dreßen: Wir haben 1997 die Einführung des demographischen Faktors beschlossen.
Sie haben ihn nach dem Regierungswechsel 1998 wieder
abgeschafft,
({12})
ohne eine Antwort auf die Frage zu geben, was denn an
seine Stelle treten soll. Hätten Sie den demographischen
Faktor beibehalten, hätten wir heute 3 Milliarden Euro
mehr in der Rentenkasse.
({13})
Das gibt Ihr Bundeskanzler mittlerweile auch zu und Sie
sollten das auch tun.
Wir, Herr Dreßen, haben 1997 eine Reform der Lohnund Einkommensteuer mit deutlichen Nettoentlastungen
beschlossen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln
und die Beschäftigungsquote zu erhöhen. Sie haben
diese Reform damals im Bundesrat blockiert.
({14})
Deswegen, Herr Dreßen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün: Die Schuld dafür, dass Sie heute am
Abgrund eines Rentenloches stehen, liegt ausschließlich
bei Ihnen.
({15})
Im Übrigen gilt: Wer nicht beizeiten handelt und sich
Optionen eröffnet, hat kurzfristig keine Alternative.
({16})
Das ist jetzt Ihr Problem. Das gilt gerade für die Rentenpolitik, wo wir mit langen Übergangszeiträumen arbeiten müssen. Eines müssen Sie uns zugestehen: An Aufforderungen an Sie - mehr kann die Opposition jetzt
nicht tun -, zu handeln, hat es wahrlich nicht gefehlt.
({17})
Im Ausschuss, im Plenum und in Pressemitteilungen in
dichter Folge haben wir Sie dazu aufgefordert.
Ich habe Ihnen, Herr Müntefering, schon im März
dieses Jahres gesagt, dass der Rentenbeitragssatz im
Jahre 2004 nicht bei 19,5 Prozent gehalten werden kann.
Im Mai habe ich Ihnen vorausgesagt, dass der Rentenbeitragssatz im nächsten Jahr ohne weitere Maßnahmen
über die 20-Prozent-Grenze steigen wird. Sie haben
meine Warnungen ebenso wie die des Kollegen Storm
und aller Sachverständigen ignoriert und überhaupt
keine Vorkehrungen getroffen, sondern stur an Ihren
mittlerweile überholten Prognosen festgehalten. Und das
werfen wir Ihnen vor.
({18})
Die Menschen in Deutschland wären bereit, Verzicht
zu leisten. 52 Prozent sagen: Ja, wir akzeptieren, dass die
Renten langsamer steigen als die Löhne. Auch die Rentner selbst wären dazu bereit. Sie erwarten im Gegenzug
aber ein langfristig tragfähiges Konzept und keine Politik mit dem Notfallkoffer, wie sie von Ihnen gemacht
wird.
({19})
Zu dem, was Sie heute vorlegen, fällt mir nur noch
ein Satz von Walter Benjamin ein: Dass es so weitergeht,
ist die Katastrophe.
({20})
Die Maßnahmen der Vorschaltgesetze reichen nach meiner Auffassung nicht aus, um das Defizit von
8 Milliarden Euro in der gesetzlichen Rentenversicherung zu kompensieren und damit den Beitragssatz im
kommenden Jahr bei 19,5 Prozent zu halten. Erneut gehen Sie mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent
vom best case, also von der besten denkbaren Entwicklung aus. Das ist, auch nach den Erfahrungen der letzten
Jahre, nicht nur sehr ehrgeizig, sondern muss als wenig
realistisch bezeichnet werden.
Ich will hier nicht die Rolle der Rentenkassandra
übernehmen, werde aber wohl noch auf die Risiken hinweisen dürfen. Sie wollen durch die Absenkung der
Schwankungsreserve von 0,5 auf 0,2 Monatsausgabe
4,8 Milliarden Euro realisieren. Die Schwankungsreserve beträgt aktuell aber nur 0,39. Sie hoffen, gestützt
durch die Annahmen des Schätzerkreises, dass Sie bis
zum Jahresende wieder auf 0,42 steigen wird. Erreicht
sie diesen Wert aber nicht, entstehen neue Finanzierungsprobleme.
({21})
Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen, dass es soweit
kommen könnte, Herr Dreßen. Als Stichworte nenne ich
nur die Entgeltumwandlung, den Verdi-Tarifabschluss
und die Kürzung bzw. Streichung des Weihnachtsgeldes
in vielen Branchen. Eine Finanzierungslücke von 1 bis
1,5 Milliarden Euro, die allein darauf zurückzuführen
ist, ist aus meiner Sicht nicht unwahrscheinlich.
Die von Ihnen aufgrund der Beitragssatzsenkung erwartete Einsparung von 500 Millionen Euro in der Krankenversicherung der Rentner ist ein sehr optimistischer
Ansatz. Der Parlamentarische Staatssekretär Thönnes
hat in dieser Woche auf meine Anfrage erklärt, man habe
eine durchschnittliche Senkung der Krankenkassenbeiträge um 0,7 Prozent unterstellt. Das ist doch utopisch!
Die Krankenversicherungsträger haben schon mehrfach
darauf hingewiesen, dass es keine Garantie für eine Beitragssatzsenkung im nächsten Jahr geben könne, weil die
Krankenkassen deutlich höher verschuldet sind, als sie
bisher zugegeben haben.
Sie müssen umkehren. Wir sind zur Mitarbeit bereit,
({22})
wenn Sie an der katastrophalen Finanzsituation wirklich
etwas ändern wollen. Aber Sie müssen jetzt den Mut
aufbringen, zu handeln.
Aus unserer Sicht hat Priorität, die im Arbeitsförderungsrecht immer noch bestehenden Frühverrentungsanreize zu beseitigen. Die Frühverrentung stellt eine Subvention zulasten der Beitragszahler und Rentenkassen
dar und ist nicht mehr vertretbar. Wir haben Ihnen heute
einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem wir die Anreize
zur Frühverrentung nehmen.
({23})
- Mit Wirkung vom 1. Januar 2004. Wir haben einen
Vertrauensschutz zugunsten derjenigen vorgesehen, die
die Anspruchsvoraussetzungen bis dahin erfüllt haben.
Dann muss damit aber auch Schluss sein; das sage ich
klipp und klar. Die Lebenserwartung und die Rentenbezugsdauer sind deutlich gestiegen. Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen liegt in Deutschland mit
41,5 Prozent weit unter der anderer wirtschaftlich erfolgreicher Länder. Die Schweiz hat beispielsweise eine Erwerbstätigenquote von 68 Prozent, Schweden von
70 Prozent.
Wir müssen also die Anreize zur Frühverrentung verringern, müssen gleichzeitig aber auch dafür sorgen,
dass ältere Menschen wieder bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben und dass ihnen Angebote auf Beschäftigung gemacht werden. Das kann nach meiner Auffassung nur über veränderte gesetzliche und tarifliche
Rahmenbedingungen gelingen. Dazu haben wir Ihnen
bereits in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Jetzt müssen die Vorschriften
neu justiert werden; denn man muss sehen: Je älter Arbeitnehmer sind, desto teurer und besser geschützt sind
sie. Das vermindert aus Sicht der Unternehmen ihre
Chancen auf Einstellung und Reintegration.
Herr Kollege Kolb, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, noch ein
Schlusssatz.
Die Vorschaltgesetze werden ihr Ziel nicht erreichen.
Sie basieren allein auf dem Prinzip Hoffnung. Die rentenpolitischen Weichen müssen neu gestellt werden, um
verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wir dürfen
keine Zeit verlieren. Für Gespräche, die das Ziel haben,
die Rente wieder sicherer zu machen, stehen wir zur Verfügung, für kurzfristige Flickschusterei nicht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Lotz, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich denke, Herr Kolb, es wird spannend werden, ob
Sie tatsächlich zur Verfügung stehen werden oder nicht.
Ich frage mich, wie lange Sie zur Verfügung stehen werden. Werden Sie so lange dabei sein wie bei den Verhandlungen über das Gesundheitsmodernisierungsgesetz?
Zum demographischen Faktor. FDP und CDU/CSU
beklagen, dass wir den demographischen Faktor ausgesetzt haben. Das hätte für die Rentenkasse eine Verbesserung von 3 Milliarden Euro bedeutet. Sagen Sie
aber bitte dazu, bei wem Sie das eingespart hätten. Auf
der einen Seite beklagen Sie die Maßnahmen, die wir ergreifen, auf der anderen Seite sagen Sie, dass der demographische Faktor es gebracht hätte. Dies hätte aber doch
auch Auswirkungen auf die Rentnerinnen und Rentner
gehabt. Sagen Sie das doch auch dazu!
({0})
Mein lieber Herr Storm, ich komme zum „Flickwerk“
und denke an das Jahr 1996. Damals haben Sie das
Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz verabschiedet, den Kündigungsschutz vermindert, die Regelungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verändert,
die Altersgrenze für langjährig Versicherte angehoben,
die Bedingungen für Frauen nach der Arbeitslosigkeit
verändert und die Altersteilzeit eingeführt. Herr Kolb
will die Altersteilzeit bereits zum Januar wieder abschaffen. Die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen müssen
das doch wissen. Wir müssen laut verkünden, dass die
FDP bereits im Januar die Altersteilzeit ohne irgendwelche Übergangsfristen abschaffen will. Das geht so nicht.
({1})
- Sie sagen: mit Vertrauensschutz. Die Betriebe und Arbeitnehmer müssen sich darauf doch einstellen können.
({2})
Nun komme ich zu dem, was vor uns liegt. Am vergangenen Freitag haben wir die beiden Hartz-Gesetze
verabschiedet. Ziel ist die Konzentration auf die Vermittlung. Das bedeutet, dass wir mehr Menschen in Arbeit
bringen wollen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nun
einmal schwierig. Die Arbeitnehmer wissen und spüren
das. Viele mussten bereits Abstriche beim Urlaubsgeld
und beim Weihnachtsgeld hinnehmen. Dies bedeutet
letztendlich weniger Einkommen. Bei der Rentenversicherung macht es sich ebenfalls bemerkbar; auch das
wissen sie.
Nach Vorlage des Ergebnisses, zu dem der Schätzerkreis in der vergangenen Woche gekommen ist, standen
wir vor der Frage, ob wir die Beiträge heraufsetzen oder
eine andere Lösung bevorzugen sollten. Wir haben uns
für die andere Lösung entschieden, weil eine Heraufsetzung des Beitragssatzes nicht gut für den Arbeitsmarkt
und die Stimmung wäre; auch dann nicht, wenn die Steigerung nur gering ausfallen würde. Wir haben dem Arbeitsmarkt also einen absoluten Vorrang eingeräumt.
Dieser ist nun einmal die Finanzgrundlage für die gesetzliche Rentenversicherung.
({3})
Damit wir den Beitragssatz nicht erhöhen müssen,
treffen wir eine Reihe von Maßnahmen. Eine davon betrifft die Schwankungsreserve, die wir auf 20 Prozent
einer Monatsausgabe senken wollen. Herr Storm hat ein
Horrorszenario an die Wand gemalt.
({4})
Um hier gleich Missverständnissen vorzubeugen, will
ich eines ganz klar sagen: Rentnerinnen und Rentner
brauchen um ihre monatliche Rente nicht zu bangen.
({5})
- Mit dem, was Sie hier an die Wand gemalt haben, verfolgen Sie doch das Ziel, die Rentner und Rentnerinnen
zu verunsichern. Das ist nicht in Ordnung.
({6})
Mit der Schwankungsreserve sollen Liquiditätsschwankungen, die innerhalb eines Jahres auftreten, ausgeglichen werden. Diese treten immer auf; sie sind auch
zu Ihren Zeiten aufgetreten. Die Einnahmen der Rentenversicherung sind beispielsweise wegen quartalsmäßiger
Kündigungen oder aufgrund der Zahlung von Urlaubsgeld nicht gleich bleibend, während die Ausgaben ziemlich konstant sind. Deshalb ist es wichtig, eine Schwankungsreserve zu haben.
Natürlich ist eine höhere Schwankungsreserve wünschenswert. Durch das Vorziehen des Bundeszuschusses
kann eine Einnahmedifferenz - das Vorliegen einer solchen ist von Ihnen an die Wand gemalt worden - ausgeglichen werden.
({7})
Außerdem steht der Bund für die Rente ein. Das ist wohl
bei keinem anderen Versicherungswerk so.
({8})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kolb?
Ja, bitte, Herr Kolb.
Frau Kollegin Lotz, hierbei befinden Sie sich ja nicht
mehr im Stadium der Jungfräulichkeit.
Im Jahre 2001 betrug die Schwankungsreserve 1,0.
Sie hatte also die Höhe einer vollen Monatsausgabe. Wir
haben uns damals hier versammelt und sie wurde auf 0,8
abgesenkt. Staatssekretärin Mascher erklärte damals,
dass es zwar bitter, aber gerade noch vertretbar sei. Im
Dezember 2002 haben wir uns wieder hier getroffen. Die
Schwankungsreserve lag weiterhin bei 0,8. Damals legten Sie ein Gesetz vor, durch das ein Korridor eingeführt
wurde, sodass sie auf 0,5 bis 0,7 Monatsausgaben abgesenkt werden konnte. Es hieß erneut, dass das zwar sehr
hart, aber gerade noch das Unterste des Vertretbaren sei.
Jetzt beträgt die Schwankungsreserve 0,39 Monatsausgaben und Sie wollen sie faktisch abschaffen. Man
muss dabei nämlich im Hinterkopf haben, dass es bei der
Schwankungsreserve auch noch hohe immobile Anteile
gibt; ich nenne die GAGFAH.
({0})
Sie können uns hier doch nicht ernsthaft erzählen,
dass Sie eine verantwortliche Politik betreiben. Sie betreiben wirklich eine Politik nach Kassenlage.
({1})
Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen?
Nein, ich bin noch nicht einmal bereit, das zur Kenntnis zu nehmen.
Herr Kolb, reden wir doch einmal über die Alternative! Die Alternative wäre, den Beitragssatz anzuheben.
Das halte ich aber nicht für verantwortlich
({0})
und im Grunde geht es Ihnen doch auch so. Wir bewegen
uns in einem Spannungsverhältnis zwischen der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation und der Sicherung der
Rentenzahlungen. Es besteht ja auch die Absicht, die
Schwankungsreserve wieder anzuheben.
({1})
Dafür aber müssen zunächst die Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehört auch die Schaffung von
Arbeitsplätzen. Daran arbeiten wir und dabei sollten Sie
uns unterstützen. Das wäre besser als das, was Sie hier
machen.
({2})
Eine weitere Maßnahme ist das Aussetzen der Rentenanpassung zum 1. Juli 2004; das ist schon gesagt
worden. Ich weiß, dass die Rentnerinnen und Rentner
dadurch belastet werden. Trotzdem werbe ich um Verständnis. Es geht um die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation, es geht um die Verbesserung der Chancen ihrer
Enkel.
Das Gleiche trifft für die Maßnahme im Bereich der
Pflegeversicherung zu. Diese jüngste Säule der Sozialversicherung wird faktisch allein von den Arbeitnehmern finanziert; denn als Kompensation für den Arbeitgeberbeitrag wurde ein Feiertag, der Buß- und Bettag,
gestrichen. Nur das Land Sachsen ist diesen Schritt nicht
gegangen. Dort zahlen die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen - Frau Michalk, Sie wissen das - den Beitrag
tatsächlich alleine.
Im Fall der Rentner hat die Rentenversicherung den
Arbeitgeberbeitrag zur Pflegeversicherung finanziert. In
Zukunft sollen dies die Rentner und Rentnerinnen selbst
bezahlen. Da kommt kein Jubel auf; das weiß auch ich.
Wir ergreifen diese Maßnahme auch nicht frohen Herzens. Hätten wir dies nicht gemacht, wäre der Beitragssatz in der Rentenversicherung von 19,5 Prozent nicht zu
halten gewesen, und zwar mit allen Folgewirkungen.
Auch an dieser Stelle möchte ich um Verständnis werben
und alle bitten, mit dazu beizutragen, dass es zu einer Erholung am Arbeitsplatzmarkt kommt.
Was die Finanzlage angeht, so hatten wir im letzten
Jahr eine ähnliche Situation.
({3})
Damals haben wir die Beitragssätze um 0,2 Prozent und
auch die Beitragsbemessungsgrenze erhöht. Damit haben die Aktiven einen Beitrag geleistet. Diesmal müssen
wir dies den Rentnern und Rentnerinnen zumuten. Eine
Entlastung stellt jedoch die Senkung der Krankenkassenbeiträge dar. Wir werden dafür sorgen, dass dies so
schnell wie möglich bei den Rentnern und Rentnerinnen
ankommt. Jeder Einzelne kann einmal einen Blick auf
seinen Krankenkassenbeitrag werfen.
Für Rentenneuzugänge wird der Auszahlungstermin der Rente auf das Monatsende verlegt. Dem muss
der Bundesrat zustimmen. Wenn wir den Auszahlungstermin nicht verlegen können - Sie haben schon gesagt,
das Ganze sei knapp gerechnet -, ist der Beitragssatz
von 19,5 Prozent nicht zu halten. An dieser Stelle appelliere ich auch an Sie, auf Ihre Ministerpräsidenten einzuwirken, sich nicht bockig anzustellen und dieser Regelung zuzustimmen.
({4})
Die Maßnahmen, die ich genannt habe, müssen kurzfristig greifen. Wegen der demographischen Entwicklung dürfen wir auf diesem Weg aber nicht stehen bleiben. Wir werden daher im weiteren Verfahren
zusätzliche Maßnahmen vorsehen.
Die Unternehmen können nicht die Heraufsetzung
des Rentenalters fordern, aber gleichzeitig zulassen,
dass in 60 Prozent der Unternehmen niemand beschäftigt wird, der 50 Jahre und älter ist. Hier müssen sich die
Unternehmen bewegen. Es wäre gut gewesen, wenn Sie,
Herr Kolb, einen entsprechenden Appell an die Unternehmer gerichtet hätten.
({5})
Es gibt schließlich genügend Angebote seitens der Politik, Unternehmen, die ältere Arbeitnehmer einstellen,
zu unterstützen.
Lassen Sie mich noch etwas zu dem sagen, was in der
Öffentlichkeit breit diskutiert wird, zu der Regelung,
dass die schulische Ausbildungszeit nicht mehr als bewertete Anrechnungszeit gelten soll. Die Union hat gesagt - ich spreche hier Frau Dr. Böhmer an -, alle sollten
sich beim Bundesverfassungsgericht beschweren. Ich
frage mich schon: Wo waren Sie 1992 oder auch 1996?
Denn ursprünglich lag die Anrechnungszeit bei 13 Jahren. Ich muss schon sagen: Ich halte es für ziemlich
scheinheilig, jetzt zum Widerstand aufzurufen und 1996
ähnliche Einschränkungen mitgetragen zu haben.
Ein anderer Punkt ist die Anrechnung von Studienzeiten. Die Forderung nach Einführung einer Studiengebühr kommt doch immer aus Ihren Reihen. Wer hat denn
beim BAföG dafür gesorgt, dass auch junge Menschen
aus ärmeren Familien die Chance haben zu studieren?
Das waren wir. Sie hingegen haben die jungen Leute im
Stich gelassen.
({6})
Das, was Sie an dieser Stelle machen, ist Populismus
pur.
Worum geht es? Wer zum Beispiel eine Hochschule
oder eine Fachhochschule besucht, bekommt zurzeit ab
dem 17. Lebensjahr für drei Jahre Schule oder Studium
Entgeltpunkte für die Rente gutgeschrieben, ohne dafür
Beiträge zu zahlen. Eine Änderung dieser Regelung werden wir gründlich beraten. Ich denke, das Prinzip der
Lohn- und Beitragsbezogenheit muss gestärkt werden.
Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist, dass wir auch an die denken
müssen, deren Ausbildung an beruflichen Schulen stattfindet, zum Beispiel Altenpflege- oder Krankenpflegeschulen. Wir müssen prüfen, ob diejenigen, die ganz unten im System eine Ausbildung anfangen, tatsächlich
hinterher oben ankommen und ein gutes Einkommen beziehen. Auf jeden Fall muss das Prinzip der Lohn- und
Beitragsbezogenheit weiterhin Gültigkeit haben. Trotz
aller Finanznot werden wir genau prüfen, wie wir hier
vorgehen.
Sie sind eingeladen, hieran mitzuwirken, damit wir
angesichts der gesellschaftlichen Änderungen zu tragbaren Lösungen kommen, und zwar für alle.
Danke schön.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Frau Lotz, der Einladung zur Giftmischerei werden wir nicht Folge leisten.
({0})
Ich glaube, dass Ihr Beitrag für Sie selbst eine verwickelte Sache war, weil Sie sachkundig und eine sehr redliche Kollegin sind.
Sie wissen genauso wie wir: Diese Rentenbeschlüsse
sind ein Vertrauensbruch gegenüber den Rentnerinnen
und Rentnern.
({1})
Frau Lotz, Sie wissen genauso wie wir, dass das, was uns
hier als ernsthafte Gesetzentwürfe angeboten wird, eine
schlampige Notoperation ist. Diese Maßnahmen werden
der Rentenversicherung nicht helfen, sondern zu einer
ungerechten Behandlung der Rentner führen. Dieses Resümee können wir schon jetzt ziehen. Sie wissen genauso wie wir, dass diese abschüssige Bahn der rot-grünen Rentenwillkür, die Sie jetzt betreten haben, zu einer
staatskassenabhängigen Willkürrente führen wird. Der
Staatseingriff in die Rentenmechanik wird bei Ihnen Methode. Das lassen wir Ihnen natürlich nicht durchgehen.
({2})
Frau Dückert, Ihre ganze Schönfärberei hilft nicht
weiter. Sie haben darauf verwiesen, dass es Kürzungen
bei der Rente schon früher gegeben hat. Nein, das, was
wir jetzt erleben, ist eine traurige Weltpremiere. Zum
ersten Mal wird der Rentenzahlbetrag - die Kollegen
Storm und Kolb haben dies schon gesagt - gekürzt.
({3})
Bei Ihren Berechnungen ist die Inflationsrate noch
gar nicht berücksichtigt. Dies wird zu einem massiven
Kaufkraftverlust bei den Rentnerinnen und Rentnern
führen. Das hat mit Generationen- und Rentengerechtigkeit nicht das Geringste zu tun.
({4})
Überhaupt muss man bei Ihnen Anspruch und Wirklichkeit miteinander vergleichen. Alle Ihre Prognosen, die
Sie hier im Hause abgegeben haben und die in den Protokollen nachzulesen sind, sind falsch. Die riestersche
Reform, hier von diesem Pult verkündet - Sie haben etwas mit Wilhelm II. gemeinsam; es muss immer monumental und groß sein -, haben Sie Jahrhundertreform genannt. Diese Jahrhundertreform sah nach zwei Jahren
fürchterlich alt aus. Es war alles falsch, was Sie verheißen haben. Das ist eine Erschütterung des Vertrauens.
({5})
Mit dem Vertrauensbruch, den Sie jetzt sehenden Auges
begehen, werden Sie das Zutrauen der älteren Menschen,
Gerald Weiß ({6})
aber auch der jüngeren in dieses Alterssicherungssystem
weiter unterhöhlen.
({7})
Sie setzen diesen unheilvollen Weg weiter fort.
({8})
„Unanständig“ nannte der Bundeskanzler den blümschen demographischen Faktor, durch den die Renten etwas langsamer als die Löhne, dafür aber generationengerecht und belastungsgerecht wachsen sollten.
({9})
Es war die Rede davon, Verlässlichkeit zu schaffen.
Was Sie hier machen, ist genau das Gegenteil davon.
Wenn der demographische Faktor unanständig war,
durch den es zu langfristig berechenbaren, realen Rentensteigerungen gekommen wäre, wie soll man dann das
nennen, was Sie jetzt veranstalten, Frau Lotz?
({10})
Das kann man eigentlich nur mit einem im Parlament
nicht zugelassenen Ausdruck belegen.
Sie bemühen immer wieder den Begriff der Nachhaltigkeit. In der virtuellen Welt des Herrn Rürup wird die
Schwankungsreserve, die Vermögensrücklage, erhöht.
In der realen Welt der Ulla Schmidt und des Gerhard
Schröder wird die Schwankungsreserve bis zur Unkenntlichkeit gekürzt. Das ist ein besonders schwerwiegender
Prozess. Das wissen auch Sie, Frau Lotz. Die Schwankungsreserve ist auch so etwas wie ein Sperrriegel gegen
die Abhängigkeit von der Staatskasse. Wenn Sie die
Schwankungsreserve, die letzte Rücklage, bis zur Unkenntlichkeit kürzen und verfrühstücken mit dem Ergebnis, dass mittlerweile die Rentenversicherungsträger ihre
Wohnungsbestände verramschen müssen, dann wird
künftig der Finanzminister sehr viel stärker über die
Rentenzahlungen bestimmen als die Rentenformel. Das
kann doch nicht unser Wollen sein.
({11})
Ich komme jetzt dazu, dass die Ausbildungszeiten
bei der Rente nicht mehr angerechnet werden sollen. Das
bedeutet für die durchschnittliche Angestelltenrente eine
Kürzung von 6,73 Prozent. Das sind 55 Euro pro Monat.
Das ist keine zu vernachlässigende Größe. Hier wird die
Quadratur des Irrsinns geprobt, Herr Kollege Dreßen.
„Bildungsförderung“ durch Nichtanrechnung der Ausbildungszeiten bei der Rente. Das ist Bal paradox in der
Sozialpolitik. Das ist kontraproduktiv und völlig inakzeptabel,
({12})
auch wenn Sie eine etwas längere Übergangsfrist einräumen wollen.
({13})
Ich muss Ihnen jetzt einmal etwas sagen. Sie fahren mit
der Dampfwalze in eigentumsgleichen Rentenansprüchen herum.
({14})
Menschen sind unter bestimmten Bedingungen in das
Erwerbsleben eingetreten oder sind gerade dabei, dies zu
tun.
({15})
Sie können diese Anwartschaften nicht wie etwas Beliebiges behandeln. Sie sind verfassungsrechtlich eigentumsgleich zu sichern. Was Sie jetzt vorsehen, grenzt an
Verfassungsbruch.
({16})
Nullrunde, Verschiebung des Auszahlungstermins der
Renten, höherer Pflegebeitrag, Senkung der Schwankungsreserve ({17})
all das ist - ich bleibe dabei - eine schlampige Notoperation, die die Union nicht mitmachen wird.
({18})
- Zu diesem Schrei aus dem Abgrund nach den Alternativen: Was unsere mittel- und langfristige Konzeption
angeht - darüber werden wir noch diskutieren -, so ist
zu sagen: Schlag nach bei Herzog.
({19})
Was die kurzfristigen Maßnahmen anbelangt, stelle
ich fest: Wenn jemand, der ein Auto in den Graben gesteuert hat - ich glaube, Sie haben das Bild auch schon
verwendet, Herr Kolb -, nach einer Alternative fragt,
dann lautet die Antwort: Man hätte - es geht immerhin
um das Gesamtkonzept der Politik und um die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Rentenpolitik im engeren
Sinne, das heißt um den deutschen Sozialstaat - alles tun
müssen, damit das Auto auf der Fahrbahn bleibt. Sie
aber haben es in den Graben gesteuert. Wir werfen Ihnen
vor, dass die Frage nach der Alternative zu der geplanten
Notoperation in Form dieses miesen Kurzfristgesetzes
nur eine Verschleierung Ihrer eigenen Verantwortung
darstellt.
({20})
Im Jahre 6 der Regierung Schröder
({21})
Gerald Weiß ({22})
- ja, Schröder/Fischer - verfügen 43 Prozent der Haushalte über ein frei verfügbares Einkommen von weniger als 100 Euro im Monat.
({23})
Das ist leider eine dynamisch wachsende Größe. Vor zwei
Jahren waren es 37 Prozent, vor vier Jahren 29 Prozent.
Rot-Grün macht die Republik und die Menschen arm.
Jetzt fordern Sie die Menschen, die privat vorsorgen
sollen, auf: Nehmt 4 Prozent vom Einkommen und
spart! Dank Ihrer Politik können die Leute aber keine
Vorsorge treffen und sparen. Deshalb werden die
Riester-Produkte auch nur von 16 Prozent der Bevölkerung angenommen. Jetzt wollen Sie Korrekturen vornehmen und sich dafür feiern lassen. Zuerst haben Sie ein
monströses Gebilde der Bürokratie aufgebaut, das Sie
jetzt feierlich schlachten wollen, und dafür wollen Sie
sich auch noch loben lassen. Das ist doch keine Politik,
die Sie allen Ernstes stolz vorführen können!
({24})
Wir haben letzte Woche ein gutes Gespräch mit dem
DGB-Vorsitzenden, Michael Sommer, geführt und stimmen ihm zu, wenn er sagt, diese willkürhafte Rentenpolitik sei ein Sündenfall. Michael Sommer hat Recht. Eine
solche Rentenpolitik kann nicht akzeptiert werden. Rentenwillkür ist mit der Union nicht möglich.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({25})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Weiß, liebe Kollegen von der Opposition, ich
glaube, dass Sie sich damit, wie Sie die Diskussion führen - von wegen Rentenwillkür! -, kein gutes Zeugnis
ausstellen.
({0})
Dem gesamten Diskurs nach dem Motto „Wir haben
es schon immer gewusst“ muss ich entgegenhalten: Erstens ist das nicht der Fall.
({1})
Zweitens. Wenn es so wäre, würde Sie das nicht der
Aufgabe entheben, angesichts eines Milliardenlochs in
der Rentenkasse dafür zu sorgen, dass die Beiträge nicht
steigen und die Renten auch längerfristig finanzierbar
bleiben.
({2})
Dafür haben Sie kein Konzept.
({3})
Sie beschränken sich darauf, zu allen Vorhaben Nein
zu sagen.
({4})
Sie sagen Nein zur Absenkung der Schwankungsreserve und zur Verschiebung der Pflegeversicherungsbeiträge auf die Rentner. Sie sagen auch Nein zu einer Nullrunde bei den Renten. Zu einer Verschiebung der
Auszahlung der Rentenbeträge für Neurentner haben Sie
keine Meinung. Das ist der einzige Punkt, der zustimmungspflichtig ist. Stattdessen treten Sie mit Ihren Sprüchen die Flucht in die populistische Neinsagerei an, wie
ich es nenne. Anders gesagt: Die Opposition übt Politikverzicht.
({5})
Herr Kollege Weiß, Sie haben ausgeführt, die Menschen seien zu arm, um Altersvorsorge zu betreiben.
Richtig ist vielmehr: Wir würden sie arm machen, wenn
wir die Rentenbeiträge erhöhen würden. Das wäre nämlich die Konsequenz Ihrer Neinsagerei. Aber genau das
tun wir eben nicht, weil wir den Leuten kein Geld aus
der Tasche ziehen
({6})
und insbesondere den Faktor Arbeit nicht weiter belasten
wollen.
({7})
Zur Schwankungsreserve - von wegen Rentenwillkür! -: Man kann unterschiedlicher Meinung sein, ob die
Schwankungsreserve eine gute Einrichtung ist oder ob es
besser wäre, die Liquidität anders zu sichern. Aber die
Behauptung, dass die Höhe der Schwankungsreserve
bzw. ihre Existenz etwas mit der Finanzierbarkeit der
Renten zu tun habe, ist falsch.
({8})
Genauso gut könnten Sie behaupten, die Finanzierbarkeit hänge vom Wetterbericht ab. Das ist eben nicht der
Fall.
({9})
Auch ohne Schwankungsreserve wäre die Auszahlung
der Renten über den Bundeshaushalt abgesichert.
({10})
Die Finanzierung der Renten wird dagegen über den
Beitragssatz gesichert. Übrigens, zum Thema „böser
Staat“: In die Rentenversicherung fließt immerhin ein
steuerfinanzierter Bundeszuschuss in Höhe von fast
78 Milliarden Euro. Deswegen darf man dem Bund
durchaus vertrauen, Herr Weiß.
Sie haben des Weiteren von einem Vertrauensbruch
gesprochen, weil die Rentner belastet werden. Keine
Frage, es handelt sich um eine Belastung, wenn es eine
Nullrunde bei den Renten gibt, wenn also die Rentner
und Rentnerinnen die Stabilisierung des Beitragssatzes
in der Rentenversicherung alleine tragen. Aber ich frage
Sie: Glauben Sie wirklich, dass es richtig ist, sich zu Besitzstandswahrern für die Rentner zu machen?
({11})
Die Rentner und Rentnerinnen selber wissen es besser.
Meine Kollegin hat schon darauf hingewiesen, dass sie
mehrheitlich eine Nullrunde im Interesse der Beitragssatzstabilität unterstützen. Wollen Sie in der jetzigen Situation entweder einen höheren Bundeszuschuss - das
würde eine höhere Verschuldung bedeuten - oder höhere
Rentenbeiträge als Alternativen in Kauf nehmen?
({12})
Wenn Sie das wollen, dann müssen Sie das auch sagen
und dafür in der Öffentlichkeit einstehen.
({13})
Genau davor versuchen Sie sich zu drücken. Das werden
wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
({14})
Wir haben ein Paket geschnürt, das insgesamt vertretbar ist. Wir haben die Priorität gesetzt, den Beitragssatz
nicht zu erhöhen. Genau das ist das richtige Signal für
die wirtschaftliche Erholung, die wir brauchen.
({15})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die PDS im Bundestag lehnt die vorliegenden Gesetzentwürfe ab; denn das, was Rot-Grün als Reform verkauft, ist schlicht Rentenklau; das ist schlimm. Das wissen auch Sie.
({0})
Obendrein garnieren Sie das Ganze mit dümmlichen Lügen, und zwar permanent. Ich möchte hier wenigstens
drei dieser Lügen anreißen.
Sie behaupten, zur Sicherung der Renten müssten
alle, auch die Rentnerinnen und Rentner, einen Beitrag
leisten. Es sei ungerecht, behaupten Sie weiter, das Problem auf die Jüngeren abzuwälzen. Sie verschweigen
dabei aber, dass die Rentenkürzungen nicht nur die aktuellen, sondern auch die künftigen Rentnerinnen und
Rentner treffen; denn in Wahrheit kürzen Sie die Rentenansprüche sowohl der Älteren als auch der Jüngeren. So
weit zur ersten Lüge.
Sie behaupten weiter, Sie müssten die Rentenansprüche kürzen, damit die monatlichen Rentenbeiträge die
20-Prozent-Marke nicht überschritten. Das ist die zweite
Lüge; denn die monatlichen Beiträge liegen längst jenseits der 20-Prozent-Marke, allerdings nur für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich weiß, dass Sie
nicht mehr gern über die Riester-Rente sprechen. Aber
Sie haben schon damals die Renten deutlich gesenkt. Sie
haben gesagt: Wer dennoch Renten wie vordem beziehen will, dem empfehlen wir eine Zusatzversicherung,
die so genannte Riester-Rente. Wer aber für die RiesterRente einzahlt, der kommt schon jetzt - wenn man alles
addiert - auf einen Rentenbeitrag von über 20 Prozent.
Übrigens, das Prinzip der Riester-Rente - das habe
ich Ihnen schon in der vergangenen Legislaturperiode
erklärt - lässt sich auf eine ganz einfache Formel bringen. Stellen Sie sich vor, dass Ihnen ein Taschendieb die
Handtasche entreißt und Ihnen anschließend eine private
Diebstahlversicherung anbietet. Das ist das Prinzip der
Riester-Rente.
({1})
Nun zur dritten Lüge: Sie bedauern, dass Sie die
Rente kürzen müssen. Aber schließlich müssten ja alle
Opfer bringen. Ich weiß nicht, was Sie unter „alle“ verstehen. Würden Sie mit „alle“ wirklich alle meinen, dann
hätten Sie alle Chancen auf eine wirkliche Reform. Aber
Sie meinen mit „alle“ immer nur die Bedürftigen und die
Bezieher von Leistungen; denn im selben Zuge, da Sie
die Renten kürzen und die Beiträge erhöhen, senken Sie
die Sozialbeiträge der Unternehmen.
Vor einem Jahr gab es eine Initiative von Euromillionären. Sie boten von sich aus an, einen höheren Beitrag für den Sozialstaat und für die Solidarsysteme zu
leisten. Bislang gibt es allerdings keine Initiative von
Rot-Grün, geschweige denn von Schwarz-Gelb, dieses
Angebot aufzugreifen. Übrigens wurde dieses Angebot
am Wohnort des Bundeskanzlers, in Hannover, gestartet.
Dabei würde es sich lohnen, sich dieses Angebot einmal anzusehen. Es gibt in Deutschland nicht nur mehr
als 4 Millionen Arbeitslose; es gibt inzwischen auch
370 000 Euromillionäre, die insgesamt über ein Vermögen von 4 Billionen Euro verfügen. Das ist im Vergleich
zu den irdischen 2 Milliarden Euro, über die wir akut
streiten, ein Universum. Würden Sie diese Euromillionäre nur 1 Prozent ihres Vermögens als Notcent leisten
lassen, dann wären das 40 Milliarden Euro, Tendenz
steigend - und das jährlich.
Diese Rechnung blendet Rot-Grün komplett aus.
Stattdessen durfte ein namhafter Oppositionspolitiker
bei Christiansen am letzten Wochenende unwidersprochen sagen: Deutschland ist in den letzten Jahren ärmer
geworden. - Armes Deutschland, das so belogen wird!
Natürlich muss es eine Reform im Rentensystem geben - das fordert auch die PDS seit Jahren -, aber eben
eine Reform und nicht eine Deform. Eine Reform beginnt damit, dass Besserverdienende in die allgemeine
Rentenkasse einbezogen werden. Das erfordert, den
Arbeitgeberanteil vom Lohn abzukoppeln und an den
Gewinn anzudocken. Das Ganze muss gerecht und solidarisch sein. Es gibt also Alternativen. Sie sind durchgerechnet und sie sind machbar.
({2})
Was heute hier beraten wird, hat aber weder etwas mit
Reformen noch mit Gerechtigkeit zu tun. Es ist schlicht
rot-grünes Raubrittertum. Auch deshalb hoffe ich sehr,
dass möglichst viele der derzeit Betroffenen und der zukünftig Betroffenen am 1. November dieses Jahres an
der Demonstration in Berlin - dazu wurde bundesweit
aufgerufen - gegen diesen Unfug teilnehmen.
({3})
Das Wort hat die Ministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Ulla Schmidt.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Kolb, da Sie in Ihrer Rede die Umfragen
zitiert haben, hätten Sie auch die heutige Umfrage zitieren müssen. Da gibt es nämlich zwei bemerkenswerte
Ergebnisse:
Erstens. Auf die Frage „Wer ist denn schuld an der
aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise?“ antwortet die
Mehrheit der Deutschen: die frühere Bundesregierung
aus CDU/CSU und FDP.
({0})
- Die Mehrheit. Mehrheit ist Mehrheit, Herr Kollege.
({1})
Das zweite und wesentlich wichtigere Ergebnis für
die heutige Debatte ist: 66 Prozent der Menschen vertrauen auf das umlagefinanzierte System.
({2})
Sie tun es zu Recht.
Es trifft zu, dass die Menschen verunsichert sind.
Aber das gilt nicht nur für die Rentner und Rentnerinnen. Seit drei Jahren haben wir ein Nullwachstum;
({3})
es gibt international Probleme. Wir stehen mit diesen
Problemen nicht allein in Europa.
({4})
Alle unsere Nachbarländer stehen vor den gleichen Problemen und in den gleichen Diskussionen. Es geht um
die Frage: Wie schaffen wir es, unter veränderten ökonomischen Bedingungen in einer Zeit, in der Arbeit und
Wissen weltweit vorhanden sind, dafür zu sorgen, dass
Wachstum in Europa und auch bei uns in Deutschland
stattfindet, damit es Beschäftigung gibt? Denn eines wissen wir: Nur ein Mehr an Beschäftigten, nur Wachstum
können auf Dauer unsere sozialen Sicherungssysteme
garantieren.
Deswegen finden in allen unseren Nachbarländern
und auch bei uns heftige Debatten statt. Wir alle wissen:
Wir müssen strukturelle Reformen auf den Weg bringen, damit wir soziale Sicherheit für unsere Kinder und
auch noch für unsere Enkelkinder bewahren können.
Das ist der Grund dafür, dass wir Politik machen und
dass wir über die Zukunftssicherung der Rentenversicherung reden.
({5})
Die Menschen vertrauen in dieses System. Trotz der
Probleme, die wir in der gesetzlichen Rentenversicherung haben, erleben sie nämlich, dass alle kapitalgedeckten Systeme sehr viel größere Probleme haben.
({6})
In den letzten drei Jahren haben die deutschen Lebensversicherungen allein durch die Entwicklung der Aktienkurse 100 Milliarden Euro verloren.
In der Schweiz, die uns immer als Beispiel vorgeführt
wird, musste die Regierung 20 Milliarden Euro an die
Pensionsfonds geben, weil die Kapitaldeckung nicht
ausreicht. Im Jahre 2002 beliefen sich die Verluste der
Pensionsfonds weltweit auf 1 400 Milliarden Dollar. Vor
einer Woche haben wir hier im Deutschen Bundestag
Hilfen im Steuerrecht beschlossen, damit diejenigen, die
Lebensversicherungen abgeschlossen haben, Sicherheit
bekommen.
Es wird ja oft behauptet, dass die Kapitaldeckung
und die Privatisierung das Beste seien. Herr Kollege
Kolb, ich glaube, wir tun gut daran, in Deutschland die
Probleme, die wir in unseren Sicherungssystemen haben,
gemeinsam anzugehen und zu lösen.
({7})
Wir müssen dafür sorgen, durch effizientere Strukturen
und eine effektivere Bereitstellung von Leistungen das
Maß an Sicherheit zu bekommen, das alle brauchen.
({8})
Alle Kommissionen, die Enquete-Kommission, die
Herzog-Kommission, die Rürup-Kommission - ich kann
sie jetzt nicht alle aufzählen -, sagen: Wir stehen vor
großen demographischen Herausforderungen.
({9})
- Das wussten Sie auch ohne Kommissionen; aber Sie
haben das ja in den 90er-Jahren nicht angepackt, liebe
Kolleginnen und Kollegen.
({10})
- Sie sprechen den demographischen Faktor an. Die
Beamten, die jetzt in meinem Haus tätig sind, sind dieselben, die damals für den Kollegen Blüm die Berechnungen aufgestellt haben. Diese Beamten haben auch
den Verlauf berechnet, der sich bei Anwendung des demographischen Faktors ergibt. Sie wissen ja: Minister
kommen und gehen; die Beamten bleiben bestehen. Ihre Berechnungen besagen: Der demographische Faktor
allein reicht nicht.
({11})
- Die Ökosteuer wirkt doch auf Sie wie das Weihwasser
auf den Teufel.
({12})
Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie das gemacht!
({13})
Sie hätten vielleicht die Mehrwertsteuer erhöht.
Mit dem demographischen Faktor wären wir heute
bei einem Beitragssatz von über 21 Prozent. Hätten Sie
all das gemacht, was wir gemacht haben, hätten Sie die
Ökosteuer eingeführt, Maßnahmen zur Umfinanzierung
ergriffen usw., dann hätten wir kein Defizit von
8 Milliarden Euro, sondern eines von 7 Milliarden Euro.
Es will doch niemand von Ihnen behaupten, dass wir mit
einem Defizit von 7 Milliarden weniger Probleme hätten. Der Beitragssatz läge lediglich um 0,1 Prozentpunkte niedriger.
Die Herzog-Kommission arbeitet mit einer Modifizierung des demographischen Faktors; wir haben den
Nachhaltigkeitsfaktor. Beides geht in die gleiche Richtung. In Bezug auf zukünftige Rentenanpassungen müssen wir berücksichtigen, wie sich das Verhältnis der Zahl
der Beitragszahler zu der der Rentenbezieher verändert.
Deswegen werden wir mit einem solchen Faktor - wir
nennen ihn Nachhaltigkeitsfaktor; Sie nennen ihn demographischen Faktor; die Zielrichtung ist die gleiche - dafür sorgen müssen, dass bei abnehmendem Beschäftigungsvolumen auch die Anpassungen geringer ausfallen.
Wenn es uns aber gelingt, Beschäftigung und Wohlstand
in diesem Lande zu schaffen, können die Anpassungen
für die Rentnerinnen und Rentner höher ausfallen. Das ist
der einzige Weg, den wir gehen können. Wir können nicht
mehr verteilen als das, was vorher erwirtschaftet wurde.
Wir haben alle zusammen möglicherweise den Fehler
gemacht, große Teile der Sozialpolitik und der Arbeitsmarktpolitik in die Rente hinein verlagert zu haben.
Stattdessen müssten Arbeitsmarktfragen in der Arbeitsmarktpolitik angegangen werden, Familienfragen in der
Familienpolitik und Bildungsfragen in der Bildungspolitik.
Herr Storm, wir sind es gewesen, die Kindererziehungszeiten zu anrechenbaren Beitragszeiten gemacht
haben.
({14})
Wir haben dafür gesorgt, dass Einnahmen aus der Ökosteuer in die Rentenversicherung fließen. Die Zeiten der
Kindererziehung einer Frau - in der Regel ist es die
Frau; selten ist es der Mann - werden bei der Berechnung der Rente dergestalt berücksichtigt, als hätte die
Frau durchgängig ein Durchschnittseinkommen erzielt.
Dafür haben wir mit der Rentenreform 2001 gesorgt. Mit
dieser Reform haben wir auch die Anrechnungszeiten erhöht. Außerdem haben wir eine Höherbewertung der
Teilzeitarbeit durchgeführt.
({15})
Herr Kollege Storm, Sie haben heute über die Bildungspolitik gesprochen. Sie sagen: Wenn die Koalition
dabei bleibt, dass sie Privilegien von Akademikern und
Akademikerinnen - sie verdienen oft besonders gut abschafft, dann kann es mit uns keinen Konsens geben.
Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich weiß, dass Sie
Akademiker sind. Wenn wir von allen Menschen Akzeptanz dafür erwarten, dass sich das Anwachsen des Wohlstands in Zukunft verlangsamt - der Nachhaltigkeitsfaktor trägt dem Rechnung -, dann kann es doch nicht
Maßstab unserer Politik sein, bei denjenigen Halt zu machen, deren Einkommen im Alter im Durchschnitt doppelt so hoch liegt wie das derjenigen, die eine handwerkliche Ausbildung haben. Sie wissen ganz genau, dass nur
diejenigen 58 Euro weniger erhalten, die ihr ganzes Arbeitsleben mindestens ein Durchschnittseinkommen erzielt haben.
({16})
Vielleicht sollten Sie manchmal an Ihre eigene Geschichte denken; das wäre gar nicht so schlecht. Ich erinnere an eine Debatte im Deutschen Bundestag aus dem
Jahre 1997. Damals ging es um das Wachstums- und
Beschäftigungsförderungsgesetz. Sie wollten für
Wachstum und Beschäftigung sorgen und haben daher
eine ganze Menge Streichungen vorgenommen. Wir haben das damals bekämpft.
({17})
Man sieht: Die Geschichte wiederholt sich. Im Hinblick
auf künftige Verhandlungen sollte man daran denken: Jeder kommt einmal in die Situation des anderen. Der Kollege Blüm hat damals zu Recht gesagt: Wir reduzieren
die beitragsfreien Ausbildungszeiten, die bisher mit maBundesministerin Ulla Schmidt
ximal sieben Jahren angerechnet werden, auf drei Jahre.
Diese Reduzierung war massiv - übrigens mit einer
Übergangsfrist von vier Jahren. Ich habe mich an Ihre
Vorgaben gehalten. Wie Sie sehen, sind es immer dieselben Beamten, die Vorschläge machen.
({18})
Was Norbert Blüm uns damals gefragt hat, frage ich
jetzt Sie, Herr Kollege Storm: Wollen Sie, dass ein Maurer, der mit 15 Jahren angefangen hat, auf dem Bau zu
arbeiten, für die Ausbildungszeiten eines Bauingenieurs,
der mit 30 Jahren ins Berufsleben eingetreten ist, in die
Rentenkasse zahlt? Halten Sie das für gerecht, Herr Kollege Storm?
Sie werden wahrscheinlich sagen, dass die Reduzierung von sieben Jahren auf drei Jahre richtig war. Dazu
sage ich Ihnen eines: Um die Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung im nächsten Jahr stabil zu
halten - auch aus psychologischen Gründen möchten
wir das entstehende Wachstum nicht von vornherein
durch eine Beitragssatzanhebung gefährden; es handelt
sich nicht nur um eine finanzielle Frage -, sind wir
gezwungen - die Rentnerinnen und Rentner zu belasten.
Wir machen das nicht gerne. Vor diesem Hintergrund
muss man auch in diesem Land die Frage stellen, ob die
Privilegien von Menschen aufrechterhalten werden können, die aufgrund ihrer guten Ausbildung bessere Chancen im Berufsleben haben und in der Regel mehr verdienen, als jemand, der eine einfache Berufsausbildung hat.
Ich sage Ihnen ganz klar: Als ich zu studieren begann,
dachte ich nicht daran, anschließend zwei Entgeltpunkte
in der Rentenversicherung zu bekommen; ich war vielmehr froh, dass mir, einem Arbeiterkind, der Staat über
das Honnefer Modell die Finanzierung meines Studiums
ermöglichte.
({19})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Storm?
Ja.
Frau Ministerin, Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass viele Beamte Ihres Ministeriums schon seit
vielen Jahren dort arbeiten. Das heißt, sie haben auch an
der von Ihnen erwähnten Debatte Mitte der 90er-Jahre
mitgewirkt. Können Sie bestätigen, dass damals sehr intensiv darüber diskutiert worden ist, die Anrechnung von
Ausbildungszeiten ganz abzuschaffen? Können Sie bestätigen, dass man sich für die Anrechnung von drei Jahren bewusst entschieden hat, weil dieser Zeitraum der
Dauer beruflicher Ausbildungen entspricht? Können Sie
bestätigen, dass das, was Sie vorhaben, also eine extreme Benachteiligung derjenigen ist, die keine berufliche Ausbildung haben?
Können Sie zum Zweiten bestätigen, dass diejenigen,
deren Schulausbildung über das 17. Lebensjahr hinaus
fortdauert, nicht zwingend später extrem hohe Rentenansprüche erwerben und von daher die Rentenkürzung um
58 Euro pro Monat für einen beträchtlichen Teil dieser
Menschen eine enorme Härte darstellen wird?
Herr Kollege Storm, diejenigen mit längerer Schulausbildung, die während ihrer Erwerbszeit keine hohen
Einkommen erzielen, bekommen auch schon heute die
58 Euro nicht; denn die Höherbewertung ihres eigenen
Einkommens
({0})
- richtig, ihres Durchschnittseinkommens - führt lediglich dazu, dass sie maximal 75 Prozent des allgemeinen
Durchschnittssatzes bekommen. Das heißt, sie müssen
schon insgesamt das durchschnittliche Einkommen oder
mehr erzielt haben, damit sie überhaupt Anspruch auf
diese 58 Euro haben. Es gibt viele - vor allen Dingen
Akademikerinnen, die wir jetzt mit der Anrechnung von
Kindererziehungszeiten besser stellen, aber auch viele,
die unterbrochene Erwerbsbiografien haben -, die
von dieser Höherbewertung nur mit 10 oder 5 Euro pro
Monat profitieren. Es gibt aber auch einige, die gar
nichts bekommen. Sie haben richtigerweise festgestellt,
dass die Höherbewertung für berufliche Ausbildung und
schulische Ausbildung, die einer beruflichen Ausbildung
gleichzusetzen ist, bestehen bleibt.
Ich will nicht vom Tisch wischen, dass es die entsprechenden Debatten schon gegeben hat, als man die Anrechnung von Ausbildungszeiten von 13 Jahren auf sieben Jahre und als man sie von sieben Jahren auf drei
Jahre verkürzt hat. Man ist dabei immer von der Frage
ausgegangen: Was können wir uns denn noch leisten?
Der Kollege Blüm hat die Anrechnungszeiten von sieben
auf drei Jahre verkürzt, weil sich die ökonomischen Rahmenbedingungen und die Beschäftigung in den 90erJahren verändert haben. Er hat sich gefragt, wo er in diesem System sozial verantwortbar Einsparungen vornehmen kann, und hat sich dann dafür entschieden. Jetzt haben wir eine ähnliche Situation. Ich hoffe, dass wir
deshalb die Rentenreform im nächsten Jahr gemeinsam
machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Privilegien für Akademiker der einzige Punkt sind, warum die
Union nicht zu einer gemeinsamen Rentenreform bereit
sein sollte. Das glaube ich nicht; denn wir haben ganz
andere Probleme zu bereden. Angesichts der derzeitigen
Wirtschaftslage müssen wir prüfen, was man dem Einzelnen zumuten kann und wie wir erreichen können,
dass - wie es ein Journalist in dieser Woche gesagt hat da, wo Rente draufsteht, auch Rente drin ist, das heißt
nur beitragsfinanzierte Rentenanteile in die Berechnung
der Gesamtrente einfließen.
Herr Kollege Storm, Sie können mir glauben, dass ich
die Maßnahmen, über die wir heute reden, nicht gerne
ergreife. Das würde kein Sozialminister und keine Sozialministerin gerne machen. Auch meine Vorgänger haben so etwas nicht gerne gemacht. Aber angesichts der
aktuellen Situation, die Einsparungen von insgesamt
10 Milliarden erfordert - zum einen ein Defizit von
8 Milliarden; hinzu kommt eine Kürzung des Bundeszuschusses von 2 Milliarden -, musste ich mich entscheiden, ob ich den aktuellen Beitragssatz von
19,5 Prozent auf 20,5 Prozent anhebe oder ob ich sie anders gegenfinanzieren kann.
Sicherlich geht es hier nicht alleine um eine wirtschaftliche Frage. Aber in der jetzigen Situation, in der
langsam Anzeichen für ein Wirtschaftswachstum in
Sicht kommen, das leider nicht sofort Auswirkungen auf
die Beschäftigungssituation haben wird, den Beitragssatz zu erhöhen wäre falsch, falsch gerade auch vor dem
Hintergrund, dass wir im Gesundheitsbereich Operationen vorgenommen und ein Vorziehen der Steuerreform
beschlossen haben, um ein weiteres Ansteigen der Lohnnebenkosten zu verhindern und um diese Impulse weiter
zu verstärken. Ein Anheben der Beitragssätze wäre zwar
politisch die einfachste Lösung, aber unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht die beste. Deswegen wollen
wir die 10 Milliarden anders gegenfinanzieren.
2,2 Milliarden tragen die jetzigen Rentner und Rentnerinnen durch den Verzicht auf eine Rentenanpassung
im kommenden Jahr und die Übernahme des 50-prozentigen Beitragsanteils für die Pflegeversicherung, den bisher die Rentenkassen getragen haben. Ich weiß, dass die
Rentnerinnen und Rentner im kommenden Jahr weniger
haben werden. Ich kann doch rechnen.
Ich will aber noch auf einen anderen Punkt hinweisen,
Herr Kollege Storm. Die Renten fielen auch geringer
aus, als unter dem Kollegen Blüm 1995 die Pflegeversicherung eingeführt wurde. Die Rentnerinnen und Rentner mussten sich zunächst mit 0,5 Prozent beteiligen. Im
Juli dieses Jahres - das ist keine Frage - gab es eine Anpassung.
({1})
Wie gesagt, die Rentnerinnen und Rentner tragen eine
Belastung in Höhe von 2,2 Milliarden Euro; die Steuerzahler tragen eine Belastung in Höhe von 2 Milliarden
Euro, die in anderen Bereichen eingespart werden. Ich
bin froh, dass meine Kolleginnen und Kollegen im Kabinett bereit waren - darüber musste diskutiert werden -,
diese Aufgabe gemeinsam zu schultern und die Einsparung nicht zulasten der Rentenversicherung durchzuführen. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler werden
mit 5 Milliarden Euro belastet; denn die Schwankungsreserve, die wir jetzt absenken, muss über die Beiträge
aufgefüllt werden. Eine Belastung in Höhe von
700 Millionen Euro tragen diejenigen, die jetzt noch in
Arbeit sind und später ihre Rente erst am Ende des Monats ausgezahlt bekommen. Das ist verantwortbar, weil
sie ihr Gehalt auch erst am Ende des Monats erhalten,
und bringt langfristige Zinsvorteile für die Rentenversicherung. Ich hoffe auf die Zustimmung des Bundesrates
in diesem Punkt.
Es ist eine schwierige Entscheidung. Aber ich habe
heute keinen einzigen Vorschlag gehört, wie man die
Finanzierung dieser 10 Milliarden Euro besser regeln
könnte. Vielleicht macht der Herr Kollege Zöller, der
nach mir spricht, einen Vorschlag. Wenn Sie bessere
Vorschläge haben, sind wir gerne bereit, uns überzeugen
zu lassen.
Vielen Dank.
({2})
Frau Ministerin, jetzt spricht nicht der Kollege Zöller.
Ich gebe zunächst das Wort zu einer Kurzintervention
dem Kollegen Kolb.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis. Was die Frau Ministerin gesagt hat, kann nicht
im Raum stehen bleiben.
Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag muss
sich wirklich nicht vorwerfen lassen, nicht beizeiten auf
die anstehenden Probleme hingewiesen zu haben. 1993
hat der damalige Bundeswirtschaftsminister Günther
Rexrodt dieses Thema in aller Öffentlichkeit unmissverständlich angesprochen. Ich erinnere mich an die öffentliche Diskussion und an den Sturm der Entrüstung,
der damals über uns hereingebrochen ist. Auch das
muss man der Ehrlichkeit halber hier sagen.
Es gab eine Kampagne „Die Rente ist sicher“. Aber
die Rente war schon damals langfristig gesehen nicht sicher, weil die Babyboomer schon geboren waren und
weil es den Pillenknick gab, der für die geburtenschwachen Jahrgänge sorgte, die uns ab 2010 Probleme bereiten werden.
Frau Ministerin Schmidt, man muss auch Folgendes
sehen. Wir hatten während unserer Regierungszeit die
nicht einfache Aufgabe,
({0})
die Rentner aus den neuen Bundesländern, also aus der
früheren DDR, in unser Rentensystem zu integrieren,
was wir im Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz mit Bravour, wie ich finde, geschafft haben.
Es ist eine große Leistung unseres Rentensystems, dass
wir diese Aufgabe schultern konnten.
Ich will aber auch sagen: Die FDP-Fraktion hat in der
letzten Legislaturperiode, als es hier noch eine breite
Mehrheit für eine Fortschreibung der Altersteilzeit gab,
als einzige Fraktion gegen die Verlängerung dieses Subventionstatbestandes gestimmt. All das ist Geschichte,
muss aber zur Erläuterung an dieser Stelle gesagt werden.
Frau Ministerin Schmidt, Sie können nicht so einfach
hier sagen: Wenn der demographische Faktor anstelle
der Ökosteuer eingeführt worden wäre, würden wir
heute an dieser oder jener Stelle stehen. Die Entwicklung der Rentenfinanzen, die Sie dargestellt haben und
die Sie auch beklagen, ist die Quittung für Ihre verfehlte
Wirtschaftspolitik. Sie haben fünf wertvolle Jahre verloren, weil die Steuerreform nicht zum Tragen kam
({1})
und weil Sie im Zuge der Arbeitsmarktreformen das
Gegenteil dessen getan haben, was eigentlich erforderlich gewesen wäre.
({2})
Deswegen kann man es nicht einfach prolongieren. Wir
hätten heute eine vollkommen andere Situation, wenn es
einen Impuls für die Wirtschaft über die Steuerreform
und wenn es mehr Beschäftigung am Arbeitsmarkt durch
ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen gegeben
hätte. Dazu ist es nicht gekommen, weil Sie nicht gehandelt haben. Das ist die Wahrheit.
({3})
Frau Ministerin, bitte.
Herr Kollege Kolb, die deutsche Rentenversicherung
leistet auch heute noch vieles für eine Angleichung der
Renten in Ost und West.
({0})
Es handelt sich um einen Betrag in Höhe von 10 Milliarden Euro, den die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler - er wird nicht steuerfinanziert; das ist auch gut so jedes Jahr aufbringen.
Das Zweite: Auch Sie können nicht so tun, als gäbe es
heute keine wirtschaftlichen Probleme. Wenn das Problem nur Deutschland beträfe, könnte man anders damit
umgehen. Aber es besteht in Europa und weltweit.
Um Ihnen zu zeigen, wie unterschiedlich mit Problemen umgegangen werden kann und dass Verantwortungsbewusstsein eine große Rolle spielt, erinnere ich
Sie an Folgendes: Am 30. Oktober 1997 musste der damalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm erklären, dass die Beitragssätze zur Rentenversicherung wohl
um 0,7 Prozent steigen müssten. Er hat deutlich gemacht, dass das keine gute Nachricht und nicht wünschenswert sei, denn das sei negativ für die Arbeitsplätze
und das Wachstum in Deutschland. Deshalb - so hat er
der SPD gesagt - sei keine Zeit für Parteitaktik, sondern
Opposition und Regierung müssten zusammenhalten,
({1})
um einen Anstieg der Beitragssätze auf 21 Prozent zu
verhindern. - Wir haben uns damals darauf eingelassen
und gemeinsam beschlossen, stattdessen die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt anzuheben.
In der heutigen Situation, Herr Kollege Kolb, wäre
ein solcher Beschluss nicht richtig. Es gab Zeiten, zu denen die Steuern erhöht werden konnten, und Zeiten, zu
denen die Beiträge angehoben werden konnten.
({2})
Man muss jeweils entscheiden, was der richtige Schritt
ist.
Eines ist anscheinend nicht wegzudiskutieren: das besondere Phänomen, dass die Freie Demokratische Partei
in diesem Land zwar 23 Jahre mitregiert hat, aber für
nichts verantwortlich ist.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, Sie haben die Frage gestellt: Wo bleiben
die Alternativen? - Ich kann Ihnen einen Hinweis geben:
Schauen Sie einmal in den Papierkörben von Rot-Grün
nach. Alle Gesetze, die wir vor sechs Jahren beschlossen
haben, haben Sie wieder zurückgenommen. Bei allen
neuen Vorschlägen, die wir gemacht haben, haben Sie
uns mit Ihrer Mehrheit überstimmt. Heute jedoch stellen
Sie sich hier hin und fragen, wo unsere Alternativen bleiben. Die sind in Ihren Papierkörben gelandet!
({0})
Die Steuerreform und die Rentenreform könnten seit
über sechs Jahren wirken. Während Ihrer heutigen Redebeiträge habe ich den Eindruck gewonnen, Sie regierten
erst seit 14 Tagen. Aber Sie sind seit fünf Jahren an der
Regierung.
({1})
Das scheinen Sie zu vergessen.
Etwas, was schnell und gut wirken würde, Frau Ministerin - das wäre eine wirkliche Alternative -, wären Neuwahlen. Dann würde ein Ruck durch Deutschland gehen.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich etwas zu unserem derzeitigen Umgang mit der parlamentarischen Arbeit sagen: Mit gewissenhafter Arbeitsweise hat das nichts mehr zu tun.
({3})
- Statt so viel dazwischenzurufen, wäre es gar nicht verkehrt, wenn Sie einmal zuhören würden; denn es geht
auch um Ihr Selbstverständnis als Parlamentarier.
({4})
Im Haushaltsbegleitgesetz war vorgesehen, den
Bundeszuschuss zur Rentenversicherung um 2 Milliarden Euro zu kürzen. Am vorletzten Mittwoch wurde unser Antrag im Gesundheitsausschuss, das nicht durchzuführen, von Rot-Grün abgelehnt. Heute erklären Sie hier,
dass die Kürzung verkehrt gewesen wäre, weil dann der
Beitrag hätte angehoben werden müssen. Genau das war
unsere Begründung, die Sie im Gesundheitsausschuss
abgelehnt haben. Das heißt, Sie haben innerhalb einer
Woche eine Wende um 180 Grad gemacht.
Es kommt aber noch viel schöner. Wie mussten Sie
als Sozialpolitiker rumeiern, um das zu begründen! Bei
der namentlichen Abstimmung am letzten Freitag in diesem Haus haben zehn Abgeordnete von der SPD eine
persönliche Erklärung abgegeben, dass sie die Kürzung
um 2 Milliarden Euro für falsch halten,
({5})
dass sie aber aus grundsätzlichen Erwägungen trotzdem
zustimmen würden.
({6})
In der Kabinettsklausur, gleich am Wochenende danach,
wurde genau das beschlossen, was wir als Antrag eingebracht hatten und Sie in der namentlichen Abstimmung
abgelehnt haben. Heute schlagen Sie in erster Lesung
wieder das Gegenteil dessen vor, was Sie am letzten
Freitag beschlossen haben. Können Sie sich ein größeres
Durcheinander vorstellen? Ich mir nicht!
({7})
Das geht langsam an das Selbstwertgefühl aller Abgeordneten.
Leider schlägt das auch auf andere Bereiche durch.
Ich will dies an einem Beispiel klar machen - deshalb
habe ich die entsprechenden Unterlagen mitgebracht -:
Ich wollte im Plenarprotokoll 15/67 nachlesen, wer in
der namentlichen Abstimmung für die Zweimilliardenkürzung gestimmt hat. Dort heißt es:
Abgegebene Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt
305, mit Nein haben gestimmt 297.
Ich schaue in der Namensaufzählung nach. Dort sind allerdings keine 305, sondern nur 46 Ja-Stimmen aufgeführt. Ich gebe zu, das könnte eine Verwechslung sein,
indem ein verkehrtes Abstimmungsergebnis abgedruckt worden ist.
Jetzt kommt es aber noch dicker. Als ich gestern
Abend in mein Büro kam, lag dort das Plenarprotokoll
mit der gleichen Nummer in neuer Fassung. Ich schlage
die gleiche Seite auf; auch dort heißt es wieder:
Abgegebene Stimmen 602. Mit Ja haben gestimmt
305, mit Nein haben gestimmt 297.
Ich schaue wiederum auf die Liste mit den einzelnen Namen; sie wird jetzt wohl richtig sein. Aber siehe da: In
der Aufzählung der Namen hat die SPD plötzlich eine
Stimme mehr - sie hat jetzt 306 - und wir eine weniger,
nämlich 296.
Schlampiger geht es nicht!
({8})
Dies und das Durcheinander während der Auszählung
hängen mit Ihrer chaotischen Zeitplanung zusammen.
Man nimmt sich nicht mehr ausreichend Zeit, ordentlich
zu debattieren.
({9})
Ich sage Ihnen eines - damit hier kein verkehrter Zungenschlag hineinkommt -: Ich habe höchsten Respekt
davor, was die Leute im Stenografischen Dienst leisten.
Die haben mit dieser Situation wirklich nichts zu tun.
Heute beraten wir zwei Gesetzentwürfe, die im Anschluss an die Kabinettsklausur am letzten Sonntag als
Notoperation vorgelegt wurden. Sie müssen zugeben,
dass das für die 20 Millionen Rentner bestimmt keine
freudigen Nachrichten sind. Die Rentenanpassung soll
ausgesetzt, die Schwankungsreserve soll erneut auf
0,2 Monatsbeiträge gesenkt und die Rentner sollen bei
den Beiträgen zur Pflegeversicherung voll belastet werden.
Frau Ministerin, auch in diesem Punkt muss ich Ihnen
widersprechen: Sie können hier nicht sagen, künftig
müsse in der Rente sein, was Rente ist, und in der Pflege,
was Pflege ist. Jetzt bringen Sie wieder einen Gesetzentwurf ein, in dem im Rahmen eines Notopfers zur Rente
das geregelt werden soll, was eigentlich im Rahmen der
Pflegeversicherung getan werden müsste. Hier machen
Sie genau das Gegenteil von dem, was Sie gerade gesagt
haben.
({10})
Auch das Verschieben der Rentenauszahlungen auf
das Monatsende für alle neuen Ruheständler ist letztendlich eine Rentenkürzung um einen Monatsbeitrag. Das
sollte man ehrlich darstellen.
({11})
Rot-Grün macht einen Fehler.
({12})
Sie gehen, wenn irgendwo im Finanzsystem Löcher entstehen, den einfachsten Weg und sagen: Wir nehmen
Kürzungen bzw. Streichungen vor. Es wäre sinnvoller,
wenn Sie sich unserer Philosophie anschließen würden.
({13})
Wir haben einen wesentlich nachhaltigeren Ansatz: Wir
müssen an die Ursachen für die Löcher, die in den Systemen entstehen, herangehen. Priorität Nummer eins ist
natürlich unser Arbeitsmarkt. Schauen Sie sich an, welche Vorschläge wir zur Belebung des Arbeitsmarktes
gemacht haben! Diese haben Sie abgelehnt. Wir sagen
auch: Wir müssen der Familienpolitik noch mehr Gewicht geben, weil die Entwicklung der Kinderzahlen mit
einer der wesentlichsten Gründe dafür ist, dass die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme nicht
nachhaltig gesichert ist.
Wir müssen auch endlich dafür sorgen, dass der Griff
in die Sozialkassen von Staatsseite endlich aufhört; da
schließe ich keine Regierung aus. Seien wir ehrlich zu
uns selber: In den letzten Jahrzehnten wurden von Staats
wegen aus manchen Sozialkassen bis zu 30 Milliarden
Euro entnommen. Die gleichen Leute haben sich dann
beschwert, dass wir in diesen Systemen Finanzierungsprobleme haben.
({14})
Gehen wir also gemeinsam die Ursachen an! Dann erreichen wir wesentlich mehr, als wenn wir nur kurzfristig
wirkende Maßnahmen vorschlagen.
Ich bitte, eines zu beachten: Im Zusammenhang mit
den Belastungen für die Rentner tun wir so, als hätten
wir in Deutschland ein durchschnittliches Rentenniveau
von über 2 000 Euro. Die Renten liegen bei den Männern im Westen durchschnittlich bei 1 157 Euro und bei
den Frauen bei 593 Euro. Wir dürfen doch nicht vergessen, dass wir die Rentner schon in anderen Bereichen,
zum Beispiel im Gesundheitswesen, belastet haben. Sie
müssen den vollen Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten und Versorgungsbezüge erbringen, erhöhte Zuzahlungen leisten und die Kosten für Fahrten und nicht
verschreibungspflichtige Medikamente übernehmen. All
diese Belastungen haben die Rentner zusätzlich zu tragen.
Und noch eines kann ich Ihnen nicht ersparen: Als
wir entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt hatten
- rechtzeitig! -, sind wir von Ihnen mit „sozialer Kahlschlag“ beschimpft worden. Sie machen jetzt zum Teil
noch viel größere Einschnitte und wenn wir diese kritisieren, heißt es, man stehe vor der Alternative: höhere
Beiträge oder Leistungen kürzen.
({15})
Nein, die Alternative hätte gelautet: rechtzeitig diese
Maßnahmen einführen! Wir hätten seit sechs Jahren wesentlich bessere Rahmenbedingungen haben können.
({16})
Das hätte dazu geführt, dass mehr Menschen in Arbeit
gekommen wären.
({17})
- Sie wären froh, wenn die Rahmenbedingungen noch so
gut wären wie zu dem Zeitpunkt, als Sie die Regierung
übernommen haben. Heute sind die Bedingungen
schlechter als 1998.
({18})
Das Paket, das Sie uns heute zur Beratung vorgelegt
haben, ist wirklich nicht geeignet, die Probleme auch nur
annähernd zu lösen. Mit der heute von Ihnen angekündigten Reform ist es wie mit der Rücktrittsdrohung des
Kanzlers: Ankündigungen, die nicht problemlösend umgesetzt werden, können nicht zum Ziel führen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({19})
Herr Kollege Zöller, Sie haben in Ihrer Rede den bedauerlichen Fehler am letzten Freitag angesprochen, der
bei der Auszählung passiert ist. Damit sich kein falscher
Eindruck bei unseren Besucherinnen und Besuchern auf
der Tribüne verfestigt, muss ich feststellen, dass an dieser Auszählung nicht nur Schriftführerinnen und Schriftführer aus den Koalitionsfraktionen, sondern auch
Schriftführerinnen und Schriftführer aus der CDU/CSUFraktion beteiligt waren. Ich stelle das hier klar, weil
sonst der Eindruck entstehen könnte, dass dieser bedauerliche Fehler, der natürlich immer einmal passieren
kann, wenn Menschen arbeiten, auf die Koalitionsfraktionen zurückzuführen ist.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1830,
15/1831, 15/1810 und 15/1832 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas Strobl
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik transparent machen
- Drucksachen 15/655, 15/1776 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Lale Akgün
Dr. Michael Bürsch
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Josef Philip Winkler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Lale Akgün, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsparteien, damit meine ich insbesondere die Kollegen Grindel und
Schröder! Die Richtlinienentwürfe zur europäischen Migrationspolitik sind in den letzten Monaten von den Innenpolitikern wahrlich intensiv diskutiert worden.
({0})
In vielen Sitzungswochen gab es Treffen der Berichterstatter. Im Juli hat eine öffentliche Anhörung zu den einzelnen Richtlinien stattgefunden und der Innenausschuss
hat mehrfach einzelne Richtlinien diskutiert und wird
auch jede weitere diskutieren, die eingebracht wird.
Was die Information durch das Bundesinnenministerium angeht, so habe ich als Parlamentarierin nichts zu
beanstanden. Anfang dieser Woche haben wir den Vorbericht mit der vorläufigen Tagesordnung zum Rat der
Innen- und Justizminister am 8. November erhalten. Dadurch haben wir reichlich Vorlaufzeit, um uns zu den anstehenden Themen zu positionieren. Ich weiß, dass Sie
bedauern, in den Vorberichten seitens des BMI nicht
schon die Verhandlungsergebnisse mitgeteilt zu bekommen, aber das liegt in der Natur der Sache.
Ich möchte gar nicht viel zum Verfahren sagen. Ich
möchte auch nicht intensiv auf die Diskussion einzelner
Richtlinien eingehen, weil der Verfahrensstand heute
vielfach ein ganz anderer ist als bei der Formulierung Ihres Antrags. Mir geht es vielmehr darum, einen Gesamtzusammenhang darzustellen und Ihre Forderung zu bewerten, deutsches Recht auf europäischer Ebene eins zu
eins abzubilden.
Ich habe bereits einmal erwähnt, dass unser Bundesinnenminister beim Einbringen deutscher Positionen
sehr erfolgreich ist.
({1})
Er tut das übrigens nicht, weil Sie, Herr Grindel, ihn vor
sich hertreiben,
({2})
sondern weil er ein guter und überzeugender Verhandler
ist. Das werden Sie in den Debatten im Vermittlungsausschuss zum Zuwanderungsgesetz noch merken.
({3})
Das ist aber gar nicht der entscheidende Aspekt. Was
mir Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass es Ihnen offensichtlich an Verständnis für die Zusammenhänge der
Migrationspolitik fehlt. Auch mangelt es Ihnen an europäischem Bewusstsein.
({4})
Sie beklagen in Ihrem Antrag den - ich zitiere - „weitgehenden Verlust der nationalen Gestaltungsfähigkeit in
Asyl-, Ausländer- bzw. Zuwanderungsfragen“. Sie erwarten, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen über
die Richtlinien anstrebt, das deutsche Ausländerrecht eins
zu eins abzubilden, und Sie gehen so weit, zu fordern,
dass die Bundesregierung gar ein Veto einlegen muss,
({5})
wenn dies nicht vollständig gelingt. Das heißt in der
Konsequenz: ein Veto gegen eine gemeinsame europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik.
({6})
Aber gleich in einem der nächsten Kapitel Ihres Antrages formulieren Sie folgenden Satz:
Ziel einer europäischen Ausländer-, Zuwanderungs- und Asylpolitik muss es sein, im gesamten
Raum der EU gleiche Regelungen für Aufnahme,
Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung von Flüchtlingen und Bürgerkriegsflüchtlingen zu schaffen …
Den letzten Satz kann ich nur begrüßen. Die Europäische Union befindet sich zurzeit in genau diesem Prozess, nämlich in dem schwierigen Prozess, die in den
Mitgliedstaaten häufig unterschiedlichen Probleme von
Zuwanderung und Integration zu koordinieren; Probleme übrigens, die häufig die gleichen Ursachen haben.
Wie wichtig das ist, möchte ich nur anhand von zwei
Ereignissen aus jüngster Zeit andeuten. Von dem einen
Ereignis komme ich gerade selbst zurück, nämlich von
der Parlamentarierinnenkonferenz der EU- und Mittelmeeranrainerstaaten in Amman. Dort ging es um interkulturellen Dialog, um Friedenspolitik, aber eben
auch um Migrationsfragen. Die Mittelmeeranrainer sind
häufig Herkunftsländer, viel mehr aber noch Transitländer für die Flüchtlingsströme aus den Krisengebieten
Schwarzafrikas und Asiens; Flüchtlingsströme übrigens, von denen hier in Europa und insbesondere in
Deutschland nur ein Bruchteil ankommt.
Wer solchen Konferenzen beiwohnt, der merkt
schnell, wie wichtig es ist, eine europäische Koordinierung in den Beziehungen zu den Nachbarstaaten herzustellen. Ich hätte mir gewünscht, dass auch eine Vertreterin der Opposition das Angebot zur Teilnahme an der
Konferenz wahrgenommen hätte. Man lernt dort nämlich, über den Tellerrand der innenpolitischen Rechtsverordnungen zu schauen.
({7})
Das zweite Ereignis hat in der Presse dieser Woche einen breiten Raum eingenommen, nämlich das Flüchtlingsdrama vor Lampedusa, bei dem bis zu 80 Afrikaner auf einem Flüchtlingsschiff auf grausamste Weise
starben. Für sie, wie für viele andere, war der erhoffte
Weg in die Freiheit ein Weg in den Tod. Wir alle wissen,
dass dies kein Einzelfall ist, und wir wissen, dass dieses
Flüchtlingsdrama eine lange Vorgeschichte hat, bei der
skrupellose und menschenverachtende Schleusung über
das Mittelmeer nur die letzte Station ist.
Die Menschen, die dieses Schicksal erleiden, tun alles, sie riskieren sogar ihr Leben, um Massakern, Kriegen, Bürgerkriegen, Hungersnöten oder wirtschaftlicher
Perspektivlosigkeit zu entfliehen.
Dabei lassen sie sich von nichts abschrecken, nicht
von den inhumanen Methoden der Schleuser - das
Schleusen von Menschen ist mangels anderer Perspektive zur wirtschaftlichen Grundlage für manches Sahelland geworden, wie zum Beispiel für den Niger -, nicht
von den unmenschlichen Bedingungen und dem Rassismus in den Flüchtlingslagern der arabischen Länder,
nicht von den Berichten von Verwandten und Landsleuten, die es geschafft haben und merken, dass Europa
nicht das erhoffte Paradies ist, ja, nicht einmal durch den
Verlust von Freunden und Angehörigen, die bei Dramen
wie dem in dieser Woche ihr Leben im Mittelmeer gelassen haben.
Glauben Sie wirklich, Kolleginnen und Kollegen von
der Union, diese Menschen ließen sich davon abschrecken bzw. ihre Situation würde sich dadurch verbessern,
dass ein Halbsatz aus der deutschen Rechtsprechung in
die europäische Richtlinie XY aufgenommen wird?
Glauben Sie wirklich, dass darin die Lösung bei der Gestaltung europäischer Zuwanderungspolitik liegt? Ich
glaube, so naiv können nicht einmal Sie sein.
({8})
Sie müssten es doch besser wissen. Sie müssten wissen, dass Zuwanderung nach Europa über ganz andere
Faktoren gesteuert wird. Was wir deswegen tun müssen,
ist:
Erstens. Wir müssen unter Berücksichtigung von Demographie, Arbeitsmarkt, humanitären und anderen relevanten Gesichtspunkten gemeinsam überlegen, wie viel
und welche Zuwanderung Europa in den kommenden
Jahrzehnten braucht und will.
Zweitens. Es bedarf einer gemeinsamen Strategie
zur zielgerichteten Integration der Zugewanderten, die in
Europa bereits leben bzw. noch zu uns kommen werden.
Wohlgemerkt: Wir brauchen keine Gleichschaltung von
Integration, sondern eine gemeinsame Strategie.
Drittens. Es müssen gemeinsame Aktivitäten zur Bekämpfung von Schleuserkriminalität aufgebaut werden,
die koordiniert werden. Es muss eine gemeinsame Koordinierung der Grenzkontrollen stattfinden.
Viertens. Wir brauchen eine gemeinsame Strategie
zur Kooperation mit Transit- und Herkunftsländern zur
Fluchtursachenbekämpfung. Letzteres hat auch mit Fragen des Welthandels und der Entwicklungshilfe zu tun.
Nebenbei gesagt: Auch bei der Entwicklungshilfe hat
die rot-grüne Koalition einen sinnvollen Wandel hin zu
multilateralen Kooperationsprojekten herbeigeführt. Sie
dagegen wollen wieder zurück zu den wenig effektiven
bilateralen Kleinprojekten.
Alle diese Ziele, die ich erwähnt habe, lassen sich
aber nur im Rahmen einer gesamteuropäischen Kooperation und Koordination sinnvoll angehen. Dazu wird auf
europäischer Ebene gerade dieser notwendige gemeinsame Rechtsrahmen erarbeitet. Noch einmal: Ein gemeinsamer europäischer Rechtsrahmen bedeutet eben
nicht die Gleichschaltung der nationalen Gesetzgebung,
sondern das Schaffen von gemeinsamen Mindestnormen und Arbeitsgrundlagen. Ich bezweifle, dass das
deutsche Recht dabei das Maß aller Dinge sein kann.
Ich will als Beispiel nur die Integration von Neuzuwanderern nennen. Wir alle sind uns darüber einig, dass
die Notwendigkeit besteht, dass Neuzuwanderer in
Deutschland Sprachkurse besuchen. Darüber gibt es im
Zuwanderungsgesetz keinen Dissens. Aber uns allen
muss auch klar sein, dass dieses für Deutschland sinnvolle Instrument unter anderen Umständen völlig unsinnig ist, beispielsweise beim Zuzug westafrikanischer Zuwanderer nach Frankreich, die in ihrem Herkunftsland
mit Französisch als Muttersprache aufwachsen. Es
macht daher keinen Sinn, so etwas als europäischen
Standard festzuschreiben.
({9})
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Union,
dass Sie das deutsche Ausländerrecht für das Beste unter
allen europäischen halten, bleibt Ihnen unbenommen.
Was an Ihrem Antrag aber unverzeihlich ist, ist die Kernforderung, nämlich die Aufforderung an die Bundesregierung, per Veto zu einzelnen Richtlinien einen gemeinsamen europäischen Rahmen für die Migrations-,
Integrations- und Flüchtlingspolitik zu blockieren, falls
das deutsche Recht nicht eins zu eins in europäisches
Recht umgesetzt wird. Dies ist im Kern eine Absage an
die europäische Integration. Damit liegen Sie nicht nur
gefährlich falsch, sondern befinden sich auch im Widerspruch zur Politik Ihrer Partei seit den Zeiten Konrad
Adenauers.
({10})
Daher mein Appell an Sie: Hören Sie mit Ihrer kleinkarierten Sichtweise auf und gestalten Sie Europa mit!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Reinhard Grindel von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beschäftigen uns heute mit einem Thema, bei dem es
schon auf den inneren Zusammenhalt in unserem Land
ankommt. Weil Frau Akgün die Flüchtlingsströme angesprochen hat, möchte ich schon auf unsere gemeinsamen
asylpolitischen Erfahrungen aufmerksam machen. Wir
dürfen nicht vergessen, dass der massive Zustrom von
Asylbewerbern und illegalen Ausländern in den Jahren
1992 und 1993 zu erheblichen Verwerfungen in unserem
Land geführt hat.
({0})
Es waren die beiden großen Volksparteien und die FDP,
die sich damals für eine grundlegende Änderung des
Ausländer- und Asylrechts in Deutschland eingesetzt haben. Der Asylkompromiss von damals war richtig und
erfolgreich. Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland
hat sich seitdem deutlich reduziert. Das ging nicht zulasten der tatsächlich politisch Verfolgten, die immer noch
einen sehr kleinen Anteil - weniger als 2 Prozent aller
Zuwanderer werden als solche anerkannt - an den Zuwanderern ausmachen.
Frau Akgün, der entscheidende Punkt ist, dass wir
spätestens seit der Anhörung zu den geplanten EU-Asylrichtlinien im Juli wissen: Wenn die Richtlinienentwürfe
der EU-Kommission tatsächlich beschlossen werden
sollten, dann würde unser gemeinsames und bewährtes
Asylrecht ausgehebelt und es müsste erneut mit einem
drastischen Zuwanderungsdruck nach Deutschland
gerechnet werden.
({1})
Angesichts der sozialen Lage in unserem Land können
wir das alle gemeinsam nicht wollen; das kann kein vernünftiger Mensch wollen.
Unser Antrag enthält deshalb im Grunde eine zentrale Aufforderung an die Bundesregierung und insbesondere an den Bundesinnenminister: Sorgen Sie durch
Ihren Einsatz in Brüssel dafür, dass die Grundsäulen
des Asylkompromisses - ich sage noch einmal: unseres
gemeinsamen Asylkompromisses! - nicht eingerissen
werden und dass wir hier in Deutschland eine Ausländerpolitik machen können, die mehr tut für Integration
und die nicht wegen einer ungesteuerten Zuwanderung
zum Scheitern verurteilt ist! Um diese Aufforderung
geht es.
({2})
Es war Bundeskanzler Gerhard Schröder, der wegen
dieser Überlegungen beim EU-Gipfel in Nizza dafür gesorgt hat, dass über die Ausländer- und Asylpolitik innerhalb der EU einstimmig entschieden werden muss ({3})
nicht weil wir wollen, dass am deutschen Wesen die
Welt genesen soll, wie Frau Akgün gesagt hat,
({4})
sondern weil wir wissen, dass es kein anderes Land innerhalb der EU gibt, das einen Individualanspruch auf
Asyl kennt, dass es kein anderes Land gibt, das solche
Zuzugszahlen hat, und dass es kein anderes Land gibt, in
dem es so lange Verfahren gibt. Auch am deutschen Sozialwesen - das werden wir sicher alle gemeinsam
sagen - kann die Welt nämlich nicht genesen. Auch damit wären wir überfordert. Es war der Bundeskanzler,
der diese Einstimmigkeit aus gutem Grund gewollt hat.
Insofern hat das nichts mit irgendeinem Alleingang oder
einem falschen Verständnis von Europa zu tun.
({5})
Bei dieser Gelegenheit möchte ich - Frau Staatssekretärin, Sie haben mich im Ausschuss dazu aufgefordert;
dem komme ich gerne nach - den Einsatz des Bundesinnenministers für eine Beibehaltung der Drittstaatenregelung innerhalb der EU ausdrücklich unterstützen.
Im Kampf gegen den Missbrauch des Asylrechts haben
wir damit gute Erfahrungen gemacht. Gerade angesichts
des noch unterentwickelten Grenzschutzes in den Beitrittsländern wäre es völlig falsch, wenn man etwa Polen
oder Ungarn die Möglichkeit einer Drittstaatenregelung
verweigern würde. Wir brauchen sie auch an den neuen
EU-Außengrenzen.
Da das in der Tat traurige Schicksal der Menschen im
Mittelmeer angesprochen worden ist, will ich festhalten:
Wir dürfen den Schleppern und Schleusern ihr menschenverachtendes Geschäft doch nicht dadurch erleichtern, dass sie in den Herkunftsländern Hoffnungen wecken können - nach dem Motto: Jetzt, nach der
Erweiterung der EU und mit den neuen Asylrichtlinien,
ist es wieder einfacher, nach Deutschland zu kommen
und hier zu bleiben.
Warum ist denn zum Beispiel der Zustrom von Rumänen, von Bulgaren nach dem Asylkompromiss von 1993
zurückgegangen? Herr Wiefelspütz weiß es doch am
besten:
({6})
weil die Zuwanderer in ihren Heimatländern erzählt haben, dass sie schon nach zwei bis drei Tagen wieder zurück gewesen sind - weil sie aufgrund der neuen Rechtsregel sofort abgeschoben wurden - und dass es sich nicht
lohnt, den Schleppern das Geld zu geben, weil man
keine Chance auf ein dauerhaftes Leben in Deutschland
hat.
Deswegen sage ich Ihnen: Wir brauchen Hilfe in den
Herkunftsländern. Dann wird man solche Schicksale
bekämpfen können. Es ist aber der falsche Ansatz, hier
irgendwelche falschen Anreize zu geben, damit sich die
Menschen auf den Weg nach Deutschland machen. Frau
Akgün, so legt man den Schleppern mit Sicherheit nicht
das Handwerk.
Dazu gehört auch, dass diejenigen, die kein Recht
haben, in Deutschland zu bleiben, auch tatsächlich ausReinhard Grindel
reisen oder abgeschoben werden. Ich begrüße es ausdrücklich, dass sich Herr Schily beim letzten EU-Innenministerrat klar dafür ausgesprochen hat, gegenüber
Drittstaaten, die ihre Staatsangehörigen nicht zurücknehmen, auch repressive Maßnahmen anzuwenden. Ich
frage mich nur: Warum warten wir dabei auf die EUKommission?
({7})
Warum fangen wir damit in Deutschland nicht schon
einmal an?
({8})
Frau Staatssekretärin, die Herkunftsländer sind nach
dem Völkerrecht verpflichtet, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Wir dürfen uns da weder finanziell noch
durch andere Gegenleistungen von diesen Staaten erpressen lassen. Ich bin der Auffassung: Wenn wir bei der
Abschiebung ausreisepflichtiger Ausländer konsequenter und im Ergebnis erfolgreicher sind, ist es integrationspolitisch auch einfacher, über eine umfassende Härtefallregelung nachzudenken.
Das ist doch unser Ziel: Wir wollen uns auf die Integration der ausländischen Mitbürger konzentrieren. Wir
wollen, dass dies gelingt. Bei ungesteuerter Zuwanderung ist dies nicht der Fall.
Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Frau
Beck, hat mir nach unserer letzten Debatte einen Vortrag
von Professor Heckmann aus Bamberg über Bedingungen erfolgreicher Integration zugeschickt. Darin wird
Sprachkompetenz der Zuwanderer verlangt und vor einer ungesteuerten Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt
gewarnt.
({9})
Dann heißt es wörtlich:
Die Bevölkerung darf nicht überfordert werden in
dem Sinne, dass Zuwanderung und Zuwanderungspolitik von gesellschaftlicher Akzeptanz getragen
werden sollten. Auch im Bereich sozialer Integration gilt, dass gesteuerte Zuwanderung eine Erfolgsbedingung von Integration ist.
Die Übersendung dieses Vortrags kann ich nur als ein
Angebot zur Verständigung auffassen, liebe Frau Beck.
({10})
Wer in diesen Tagen die Presse verfolgt, der stellt fest,
dass sich auch bei den Grünen erstaunliche Erkenntnisse
durchsetzen. Gestern erschien im „Handelsblatt“ der Artikel „Kurswechsel bei den Grünen - Integration statt
Zuwanderung“. Das ist ja unser Motto. Frau Beck, Sie
haben offensichtlich letzten Dienstag ein Hintergrundgespräch geführt. Hier ist ein Zitat von Ihnen:
Ich stelle fest, dass die Zeiten für zusätzliche Zuwanderung schlechter geworden sind.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ heißt es:
Es sei „zu prüfen, ob die ursprünglichen Motive
überhaupt noch Bestand haben“, ob „wir uns tatsächlich noch eine Debatte um Zuwanderungsgestaltung leisten“ …
Ich sage nur: Willkommen im Klub! Das haben wir
immer gesagt.
({11})
Warum haben wir eigentlich so heftig gestritten? Ist es
nicht Zeit, dass Sie die bösen Angriffe auch gegen unsere Fraktion, hier würde Ausländerfeindlichkeit geschürt, endlich einmal zurücknehmen? Ich frage Sie dies
vor dem Hintergrund, dass Sie selbst mit solchen Thesen
kommen.
({12})
Erlauben Sie eine Frage der Kollegin Beck?
Ja, gerne.
Frau Beck, bitte schön.
Herr Kollege Grindel, sind Sie mit mir der Meinung,
dass wir beide froh sein sollten über die vielfältige Presselandschaft, die wir im freien Deutschland haben? Ich
würde Sie dann aber bitten, auch die dpa-Meldung zu zitieren, in der ich gesagt habe, dass das zentrale Motiv
dieses Zuwanderungsgesetzes die Gestaltung von Arbeitsmigration war und dass wir nicht einen Teil aus diesem Gesetz herausbrechen lassen werden, weil ansonsten das ursprüngliche Motiv dieses Gesetzes entfallen
würde. Sind Sie bereit, mir zuzustimmen, dass es auch
diese Pressemeldung gegeben hat?
Liebe Frau Beck, wir müssen uns schon einmal darüber unterhalten, ob wir von Marieluise Beck oder von
Volker Beck sprechen; denn ich habe in den letzten Tagen festgestellt, dass das ein gewaltiger Unterschied ist.
({0})
Von Ihnen, Frau Beck, von Marieluise, habe ich in der
Tat gelesen - das steht sowohl im Artikel des „Handelsblatt“ als auch in der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ -, dass Sie gesagt haben, es sei angesichts der
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit den vielen, auch
ausländischen Arbeitslosen nicht die Stunde, über zusätzliche Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt zu reden.
Das wird jedenfalls in dem Artikel in der „FAZ“ von
Herrn Leithäuser deutlich gemacht, der offensichtlich
bei dem Hintergrundgespräch anwesend war. Es heißt, es
sei jetzt eher Ihr Ziel, sich auf Integrationsmaßnahmen
zu verständigen. - Ich will zugeben, dass auch ich dieser
Auffassung bin.
Ich habe aber heute zur Kenntnis genommen, dass
Herr Volker Beck gesagt hat, eine Zuwanderung auf den
Arbeitsmarkt sei weiter notwendig. Er fragt uns, die
CDU/CSU-Fraktion, mit Blick auf die morgigen Gespräche, wie verhandlungsfähig wir seien. Diese Frage sollten sich die Grünen zunächst einmal selber beantworten;
denn ich stelle fest, liebe Frau Marieluise Beck, dass bei
Ihnen erheblicher Klärungsbedarf besteht. Es gilt das
Motto: Nicht überall, wo „Beck“ draufsteht, ist auch
„Beck“ drin. Das ist ein erhebliches Problem. Insofern
könnte man vielleicht sagen: Volker, höre die Signale!
Es geht in Richtung Integration und nicht in Richtung
Ausweitung der Zuwanderung.
Darum geht es auch in unserem Antrag. Wir wollen
nicht über den Umweg Brüssel in der Zuwanderungsdebatte vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir wollen von der EU-Kommission auch nicht an einer erfolgreichen Integrationspolitik gehindert werden. Das hat
nichts mit Europaskepsis zu tun, Frau Akgün, sondern
mit der selbstverständlichen Wahrnehmung nationaler
Interessen für eine Integrationspolitik. Darum bitten wir,
dazu fordern wir die Bundesregierung auf.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Die innen- und europapolitischen
Diskussionen überlappen sich in den letzten Jahren zunehmend. Dies gilt insbesondere auch für das Asyl- und
Flüchtlingsrecht, das durch den Amsterdamer Vertrag im
Wesentlichen in die so genannte erste Säule des EG-Vertrages transformiert worden ist.
In diesem Prozess spielt Deutschland eine wichtige
Rolle. Das ist für die Grünen als Teil der rot-grünen Regierung von großer Bedeutung. Dies wird derzeit bei
dem Richtlinienentwurf zu Asylverfahren besonders
deutlich. Zu diesem Richtlinienentwurf, der Ende 2003
verabschiedet werden soll, möchte ich für die grüne
Fraktion drei Anmerkungen machen.
Zu den Regelungen zu sicheren Drittstaaten: Was
hier an Verwirrungen entstanden ist oder herbeigeführt
wurde, insbesondere durch die Opposition, muss jeden
aufbringen, der die Diskussionen um den deutschen
Asylkompromiss 1993 miterlebt bzw. miterlitten hat.
Die CDU/CSU hat angedeutet, dass aus ihrer Sicht in der
Richtlinie festgelegt werden soll, dass die deutsche
Drittstaatenregelung für alle Mitgliedstaaten möglich ist.
Sie hat jedoch in der Öffentlichkeit nicht deutlich gemacht, was dies bedeutet.
Wer grundsätzlich von einer Prüfung des individuellen Vorbringens des Asylbewerbers in den Fällen absehen will, in denen die Einreise aus einem so genannten
sicheren Drittstaat erfolgt ist - also analog zum deutschen Konzept -, der muss sicher sein, dass der Drittstaat ähnlich hohe rechtliche Standards wie er selbst gewährt. Das gilt gerade dann, wenn - wie im deutschen
Recht - auch die Grenzbehörden, die in Asylfragen unkundig sind, ohne Prüfung in den sicheren Drittstaat abschieben dürfen.
({0})
Der deutsche Asylkompromiss von 1993 - nicht gerade das rot-grüne Lieblingsprojekt - hat in der Verfassung festgelegt, dass wir nur von einer vergleichbaren
Sicherheit ausgehen dürfen, wenn die Anwendung der
Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen
Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Herr Kollege Grindel, wenn Sie es im Grundgesetz nicht finden:
Art. 16 a Abs. 2 Satz 1. Das ist eine klare und eindeutige
Festlegung.
({1})
Wenn die CDU/CSU nun signalisiert, unsere tschechischen und insbesondere unsere polnischen Nachbarn
sollten gegenüber ihren Nachbarstaaten so vorgehen
können wie der verfassungsändernde Gesetzgeber 1993
in Deutschland, dann überschätzt sie die bisherigen
rechtsstaatlichen und bürgerrechtlichen Entwicklungen
etwa in Staaten wie Weißrussland und der Ukraine.
({2})
Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Drittstaatenregelung in dem Richtlinienentwurf zu Asylverfahren so auszugestalten, dass eine individuelle Einzelfallprüfung zur tatsächlichen Sicherheit des
Betreffenden in dem sicheren Drittstaat in jedem Fall
erfolgen muss. Bei einer solchen Konzeption sind formale Kriterien, die bestimmen, was einen sicheren
Drittstaat ausmachen soll, nicht von so außerordentlicher Bedeutung wie im deutschen Konzept. Im Konzept der EU-Kommission fände in jedem Fall eine Einzelfallprüfung statt, in der sich der Schutzsuchende zur
Sicherheit im Drittstaat äußern könnte. Das ist der deutliche Unterschied zum deutschen Konzept.
Die Übernahme allein dieses Konzeptes der Kommission in der Richtlinie hätte zur Folge gehabt, dass
Art. 16 a Abs. 2 des Grundgesetzes keine Anwendung
mehr hätte finden können. Deshalb hat die Bundesregierung in Brüssel einen Änderungsantrag eingebracht, der
im Wesentlichen die Möglichkeit eröffnen soll, dass Mitgliedstaaten auch - ich betone: auch - das deutsche Konzept zur Regelung zu sicheren Drittstaaten anwenden
dürfen. In den Diskussionen in Brüssel wird die deutsche
Seite noch klarer als bisher machen müssen, dass das
deutsche Konzept ein Konzept mit hohen menschenrechtlichen Anforderungen und ein im eigentlichen
Sinne europäisches Konzept ist.
({3})
Das heißt, Drittstaaten, die die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen
Menschenrechtskonvention nicht sicherstellen, können
aus deutscher Sicht niemals sichere Drittstaaten sein.
Hiermit wären insbesondere Länder gemeint, die die
Konventionen nur ratifiziert haben, ihre Anwendung
aber in der Praxis nicht tatsächlich sicherstellen. Ich
denke hier etwa an die Europaratsmitglieder Russland,
die Ukraine, aber auch an die Türkei. Auch Staaten, die
eine der beiden Konventionen nicht ratifiziert haben, wie
zum Beispiel Weißrussland die Europäische Menschenrechtskonvention, können im deutschen Konzept nie sichere Drittstaaten sein.
Es wird und darf in Brüssel mit deutscher Zustimmung keine Regelung zu sicheren Drittstaaten geben, die
die menschenrechtlichen Voraussetzungen der deutschen
Drittstaatenregelung übergeht oder die Elemente der beiden vorliegenden Konzepte so kombiniert, dass politischer oder gar europarechtlicher Druck auf den Asylkompromiss von 1993 entstehen kann.
Insbesondere die Vorschläge der Briten im Bereich
der Regelung zu sicheren Drittstaaten, die das Konzept
auch dann anwenden wollen, wenn ein Gebietskontakt
zu einem bestimmten Drittstaat nicht stattgefunden hat
oder eine Rückführung nicht gesichert ist, sind aus
flüchtlingspolitischer Sicht problematisch. Sie würden
voraussehbar zu Situationen führen, in denen Staaten um
die Aufnahme streiten und den Flüchtlingen ihre Rechte
vorenthalten werden. Man spricht von so genannten
Flüchtlingen „in orbit“. Das werden wir wie auch die
Bundesregierung weiterhin ablehnen.
({4})
Meine zweite Anmerkung betrifft die Haftmöglichkeiten während des Asylverfahrens. In der Richtlinie der
EU zu Asylverfahren muss deutlich werden, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern eine wirkliche Ausnahme
bleibt. Eine Inhaftierung erschwert es in aller Regel, den
Asylantrag letztendlich erfolgreich bis zur Anerkennung
zu betreiben. Die Regelung im deutschen Asylverfahrensgesetz ist eine solche Ausnahmeregelung. Sie funktioniert aus meiner Sicht teilweise ungenügend. Aber sie
geht nicht so weit wie viele der in Brüssel verhandelten
Vorschläge anderer Mitgliedstaaten oder gar der EUKommission zu Art. 17 des Richtlinienentwurfs.
Wir werden nicht zulassen, dass über einen künftigen
europäischen Mindeststandard, sei er nun verpflichtend
oder nur als Kannregelung ausgestaltet, politischer
Druck insbesondere auf die Beitrittsländer erzeugt werden kann. Wir halten es vielmehr für erforderlich, sicherzustellen, dass etwa Eltern durch Haft nicht von ihren
Kindern getrennt werden dürfen. Eine Harmonisierung
nach „unten“ wird es nicht geben. Wir verhandeln in
Brüssel in Richtung hoher Menschenrechtsstandards, ob
Ihnen das passt oder nicht.
Dritte und letzte Anmerkung: Rechtsschutz gegen ablehnende behördliche Entscheidungen. Das bezieht sich
auf Art. 39 Abs. 5 des Richtlinienentwurfs. Effektiver
Rechtsschutz ist ein Kernelement nicht nur des deutschen
Rechtsstaats. Der allzu lange Katalog von Möglichkeiten
im Richtlinienentwurf, bereits die Beantragung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels auszuschließen, sollte erheblich gekürzt werden. Wir sind hier auf
einem guten Weg. Das deutsche Recht kennt einen solchen Ausschluss der Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz erhalten zu können, eben aus guten Gründen nur
bei der Regelung zu sicheren Drittstaaten und nicht auch
bei offensichtlich unbegründeten Anträgen oder bei Folgeasylanträgen.
Auch im Bereich des Rechtsschutzes wäre es blauäugig, wenn man - bei aller Kompromissbereitschaft, die
selbstverständlich auch nötig ist - zuließe, dass Formulierungen Eingang in den Richtlinienentwurf fänden, die
in zu vielen Fallkonstellationen Ausnahmen von dieser
rechtsstaatlichen Grundregel erlaubten. Es reicht auch
hier nicht aus, sich von deutscher Seite darauf zurückzuziehen, es würde sich in Art. 39 Abs. 5 des Richtlinienentwurfs nur um Kannregeln handeln, die Deutschland nicht unmittelbar verpflichten, das innerstaatliche
Recht in allen angeführten Fällen zu ändern bzw. zu verschärfen.
Uns muss es um die Schaffung eines guten europäischen Standards gehen. Dieses Ziel haben wir auch im
Koalitionsvertrag gemeinsam mit der SPD vereinbart.
({5})
Die Ausführungen im vorliegenden Unionsantrag sind in
dieser Hinsicht vollkommen untauglich, ein Schritt in
die falsche Richtung und werden deshalb von uns mit allem Nachdruck abgelehnt.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Max Stadler von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben es heute mit dem seltenen Fall zu tun,
dass gleich ein Antrag abgelehnt werden wird, nämlich
der Antrag der CDU/CSU,
({0})
dieser Antrag aber dennoch einen politischen Erfolg bewirkt hat, den die Antragsteller beabsichtigt haben.
Wir von der FDP werden diesen Antrag ablehnen, denn
er hat zum Inhalt, dass das geltende deutsche Asyl- und
Ausländerrecht als verbindliche Verhandlungsposition
für Verhandlungen der Bundesregierung auf EU-Ebene
festgeschrieben werden soll.
({1})
Ohne auf den Inhalt einzugehen, muss ich doch daran erinnern, dass es immer die gemeinsame Haltung aller
Fraktionen des Hohen Hauses gewesen ist, vernünftigerweise einer Bundesregierung bei Verhandlungen mit etlichen anderen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene einen gewissen Verhandlungsspielraum zu gewähren.
({2})
Es versteht sich doch von selbst, dass wir für ein
europäisches Asylrecht sind. Dieses kann aber nur dann
zustande kommen, wenn Kompromisse geschlossen
werden. Von daher haben wir die Idee, die früher bei den
Grünen eine Rolle gespielt hat, nämlich die Bundesregierung mit einem imperativen Mandat nach niederländischem Beispiel völlig zu binden, immer abgelehnt.
({3})
Daher werden wir auch Ihren Antrag ablehnen.
({4})
Gleichwohl, meine Kollegen von der CDU/CSU, haben Sie bei der Bundesregierung offenbar Wirkung erzielt. Denn wir stellen fest, dass die Bundesregierung
bzw. Minister Schily in den Verhandlungen über die beiden entscheidenden Richtlinien, um die es jetzt geht
- dabei handelt es sich um die Richtlinie zur Definition
des Flüchtlingsstatus, die so genannte Qualifizierungsrichtlinie, und um die Asylverfahrensrichtlinie -, in
Brüssel sehr, sehr vorsichtig agiert.
({5})
Ich stelle aus Sicht der FDP fest, dass zum Beispiel
die Qualifizierungsrichtlinie verabschiedungsfähig wäre.
Alle Mitgliedstaaten sind sich einig, aber der Vorbehalt
der Bundesregierung verhindert die Verabschiedung dieser wichtigen Richtlinie.
({6})
Es war immer die Position von Edzard SchmidtJortzig, dem ehemaligen Justizminister, und der FDPFraktion, dass nichtstaatliche und geschlechtsspezifische
Verfolgung für den Flüchtlingsbegriff mit maßgebend
sein muss.
({7})
Nichts anderes steht in dieser Richtlinie. Deswegen würden wir die Bundesregierung ermutigen, an dieser Stelle
einen Schritt voranzugehen. Dies geschieht aber nicht
- in diesem Zusammenhang bin ich anderer Meinung als
Frau Akgün -, weil die Bundesregierung die Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz, die morgen beginnen, im Hinterkopf hat. Minister Schily will dieses Gesetz durchsetzen
({8})
und braucht dafür die CDU/CSU.
({9})
Aus diesem Grund - das war Ihr politisches Anliegen scheuen Sie sich, die auf EU-Ebene bereits vollendeten
Tatsachen auch auf Bundesebene umzusetzen. Dadurch
haben Sie eine Wirkung erzielt, die ich allerdings nicht
für besonders glücklich halte.
({10})
Denn es geht auch um die Asylverfahrensrichtlinie. In
diesem Zusammenhang erwecken Sie immer wieder den
Eindruck, Herr Grindel, diese Richtlinie würde dazu führen, dass der Asylkompromiss der Bundesrepublik
Deutschland von 1993 ausgehebelt würde.
({11})
- Hören Sie einmal zu, Herr Grindel! - Die Anhörung hat
bereits vor mehreren Wochen stattgefunden. Mittlerweile
hat sich der Verhandlungsstand verändert. Es geht um das
Konzept der sicheren Drittstaaten. Dies bedeutet, dass ein
Asylsuchender, der aus einem sicheren Drittland kommt,
in dem die Standards der Menschenrechtskonvention, der
Europäischen Flüchtlingskonvention und eines rechtsstaatlichen Asylverfahrens eingehalten werden, keinen
Anspruch auf Asyl in Deutschland oder Frankreich hat,
sondern darauf verwiesen werden kann, sein Asylbegehren in dem Land vorzubringen, aus dem er kommt.
({12})
Meine Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
es ist sozusagen die dialektische Umkehrung Ihres Anliegens eingetreten. Auf EU-Ebene wird jetzt in einer
Weise diskutiert, durch die dieses rechtsstaatliche Merkmal nicht mehr gesichert ist. Denn nach der neuesten
Entwicklung der Diskussion soll auch die Zurückweisung von Asylsuchenden in solche Länder möglich werden, die nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet haben.
({13})
Man muss beinahe Ihrem Antrag zustimmen, wenn
Sie verlangen, Schily möge auf EU-Ebene das deutsche
Recht durchsetzen; denn dieses ist rechtsstaatlicher als
das, was in der EU neuerdings diskutiert wird.
({14})
Ich würde es begrüßen, wenn Sie von der CDU/CSU
sich ebenfalls so vehement dafür einsetzen würden, unsere rechtsstaatlichen Grundsätze auf EU-Ebene umzusetzen.
Ich möchte zum Schluss noch eines feststellen: Die
gesamte Debatte ist nur der Prolog zu den Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz. Dazu will ich nur
eine Bemerkung machen, Herr Grindel. Zum wiederholten Male versuchen Sie, im Deutschen Bundestag den
Eindruck zu erwecken, als wäre mit einem Zuwanderungsgesetz eine automatische Zunahme der Zuwanderung nach Deutschland verbunden.
({15})
Das lassen wir Ihnen nicht mehr durchgehen. Sie wissen
ganz genau, dass mit dem Gesetzentwurf, den auch die
FDP unterstützt - das kommt in unserem Kompromissvorschlag deutlich zum Ausdruck -, ein Instrumentarium geschaffen werden soll, das eine gesteuerte Zuwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht,
wenn es erforderlich ist, das es aber auch so beschaffen
ist, dass die Zuwanderung auf null zurückgefahren werden kann. Darüber entscheiden der Bundestag und der
Bundesrat. Das, was Sie vorgaukeln, entspricht also in
keiner Weise der Wirklichkeit.
({16})
Ich möchte wie Frau Akgün die Gelegenheit nutzen,
an Rot-Grün und die CDU/CSU zu appellieren: Lassen
Sie uns in der morgigen Sitzung der Arbeitsgruppe des
Vermittlungsausschusses den ernsthaften Versuch machen, für die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt ein
vernünftiges Instrumentarium zur Verfügung zu stellen,
die humanitären Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention in Deutschland beizubehalten und - das ist unser
gemeinsames Ziel - für mehr Integration in Deutschland
zu sorgen.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Ole Schröder von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Asylbewerberzahlen sind seit ihrem Rekordniveau von 438 000 - das war, bevor der Asylrechtskompromiss von 1993 gegriffen hat - auf 70 000
im Jahr 2002 zurückgegangen. Im ersten Halbjahr dieses
Jahres sind nur noch 26 000 Personen zu uns gekommen.
Die Tendenz ist also weiterhin rückläufig. Wir alle spüren, dass die Ausländerfeindlichkeit in unserem Land
seitdem zurückgegangen ist. Niemand denkt gerne an
die damaligen Übergriffe auf Asylbewerberheime zurück.
Seit zehn Jahren besteht nun der Asylrechtskompromiss. Worauf basiert denn der Erfolg der Asylrechtsneuregelung des Art. 16 a des Grundgesetzes? Das sind drei
Säulen: die Drittstaatenregelung, die Flughafenregelung
und das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten. Diese
erfolgreichen Regelungen sind in Gefahr. Wenn die in
Brüssel verhandelten Richtlinien in Kraft treten, werden
diese drei Säulen eingerissen.
({0})
Die momentan in Brüssel zur Entscheidung anstehenden
Richtlinien, die den deutschen Gesetzgeber künftig in
seiner Asyl- und Außenpolitik binden werden, werden
dazu führen, dass der Asylmissbrauch in Europa und damit auch in Deutschland zunehmen wird.
Erstens: die Drittstaatenregelung. Nach heutigem
Stand der Verhandlungen im Europäischen Rat ist es
dem Bundesinnenminister nicht gelungen, an dem
Grundsatz der sicheren Drittstaaten festzuhalten. Dieses
bewährte Instrumentarium zur Grenzabweisung ohne
vorherige bürokratische Einzelfallprüfung - genau darauf kommt es an; das Prinzip der normativen Vergewisserung fällt nach dem neuesten Entwurf weg - droht nun
Geschichte zu werden.
({1})
Die Grenzbehörden werden künftig nicht mehr befugt
sein, Asylsuchende bei der Einreise aus einem sicheren
Drittstaat an der Grenze zurückzuweisen.
Zweitens: die Flughafenregelung. Das Flughafenverfahren steht ebenfalls vor dem Aus. Das Erfordernis
einer richterlichen Freiheitsentziehung stellt die Durchführbarkeit dieses Verfahrens im Grundsatz infrage.
Drittens: die Herkunftsstaatenregelung. Wir haben
Gleiches in Bezug auf die Herkunftsstaatenregelung zu
befürchten. Zwar ist man hier inzwischen auf einem
besseren Weg. Im Gegensatz zur Drittstaatenregelung
und zum Flughafenverfahren hat der Bundesinnenminister hier tatsächlich einen kleinen Erfolg vorzuweisen. Es liegt seit der letzten Tagung des JI-Rates Anfang des Monats nun endlich ein vernünftiger
Kompromissvorschlag vor. Es ist aber nicht gesichert,
dass dieser vernünftige Kompromiss auch tatsächlich
Bestand hat.
({2})
Wenn in den kommenden Verhandlungen nicht erreicht wird, dass alle drei Verfahren in der EU akzeptiert werden, dann werden die vorliegenden Rechtssetzungsvorschläge der EU-Kommission zu mehr
Zuwanderung nach Europa und damit auch nach
Deutschland führen.
Aber damit nicht genug, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Asylkompromiss soll in weiteren Bereichen
aufgeweicht werden. Es ist geplant, nichtstaatliche
Verfolgung und selbst geschlechtsspezifische Verfolgung als Fluchtgrund anzuerkennen.
({3})
Die Erstreckung der Flüchtlingseigenschaft auf solche,
die geschlechtsspezifische Verfolgung anführen, lässt
jegliche Diskriminierung wegen des Geschlechts zum
Asylgrund werden.
({4})
Das betrifft zum Beispiel die Pflicht zur Beachtung religiöser Kleidungsvorschriften und - in Kombination mit
der nichtstaatlichen Verfolgung - den in der neuesten
Stellungnahme des UNHCR auch erwähnten prügelnden
Ehemann. Aufgrund der Richtlinie zur Familienzusammenführung ist sogar zu befürchten, dass ein solcher
prügelnder Ehemann dann nach Deutschland nachreisen
kann.
Herr Kollege Schröder, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Schröder, ich danke Ihnen dafür,
dass ich Ihre Tiraden unterbrechen darf.
Wollen Sie ernstlich bezweifeln - wir beide sind
Mitglieder des Innenausschusses -, dass Bundesinnenminister Otto Schily in Brüssel andere Interessen vertritt als unsere nationalen deutschen Interessen? Wollen
Sie hier ernsthaft den Eindruck erwecken, als würden
unsere Interessen dort nicht angemessen und mit Nachdruck vertreten? Wo ist eigentlich Ihr Problem, Herr
Schröder?
Ich möchte gern, dass wir diese für unser nationales
Recht maßgebenden Richtlinien hier diskutieren. Ich
möchte gern, dass der Bundesinnenminister hier klar
Stellung nimmt, seinen Standpunkt darlegt und sagt, wie
weit er bei Verhandlungen gehen würde. Ich möchte erreichen - das ist, denke ich, unser aller Ziel -, dass uns
der Asylrechtskompromiss, der eine Erfolgsgeschichte
ist, der Art. 16 a des Grundgesetzes, weiterhin erhalten
bleibt, damit wir in unserem Land nicht die Zustände
wie vor dem Asylrechtskompromiss haben.
({0})
Wie ist die Kommission eigentlich dazu gekommen,
einen solchen Richtlinienvorschlag vorzulegen? Der Anteil von Nicht-EU-Ausländern ist in der EU sehr unterschiedlich. In Deutschland haben wir einen Anteil von
Nicht-EU-Ausländern von 9,3 Prozent. In anderen EULändern beträgt er 4,8 Prozent. In Portugal, dem Land,
das den verantwortlichen EU-Kommissar Vitorino stellt,
ist der Anteil der Nicht-EU-Ausländer 0,1 Prozent.
({1})
Kann es sein, dass die Brisanz dieses Themas in Portugal
etwas anders gesehen wird als in Deutschland?
({2})
Es liegt eben in der Verantwortung jedes einzelnen Landes, auch unseres Landes, seine Interessen geltend zu
machen, zumal es um einen Bereich geht, in dem das
Prinzip der Einstimmigkeit gilt.
Die organisierte Schleuserkriminalität ist ein zentrales Problem in unserem Land.
({3})
Wie können wir die organisierte illegale Einwanderung,
die das Asylrecht so missbraucht, bekämpfen? Wie können wir den Schleuserbanden das Handwerk legen?
Organisierte illegale Einwanderung lässt sich dauerhaft nur bekämpfen, indem wir ihre Attraktivität und damit die Nachfrage nach Schlepperleistungen drastisch
reduzieren. Eine nachhaltige Verminderung der Attraktivität der illegalen Einwanderung nach Europa lässt sich
nur dann erreichen, wenn es nach einer illegalen Einreise
alsbaldig zu einer Aufenthaltsbeendigung kommt. Die
auf europäischer Ebene zur Entscheidung anstehenden
Regelungen haben genau das Gegenteil zur Folge.
({4})
Über diese Problematik müssen wir im Deutschen
Bundestag reden. Deshalb haben wir bewusst diesen Antrag gestellt. Wir wollen diese Politik transparent machen.
Die Bevölkerung darf verlangen, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung in diesem Bereich wahrnimmt. Wie unzureichend dies geschieht, ist vorgestern
ja im Innenausschuss wieder einmal deutlich geworden. Im Vorbericht zum Rat für Justiz und Inneres am
6. November 2003 stehen gerade einmal sechs nichtssagende Zeilen zu dieser entscheidenden Verfahrensrichtlinie.
({5})
Will die Regierung damit sagen, dass sie nicht weiß, was
auf der Tagesordnung steht? - Machen wir uns bewusst:
Es geht hier um die Außerkraftsetzung eines Teils unserer Verfassung, nämlich um die Abschaffung des Asylrechtskompromisses. Art. 16 a des Grundgesetzes legt
das Konzept des deutschen Asylrechts fest; hier sind die
genannten drei Säulen festgelegt. Daher verhält sich die
Bundesregierung verfassungswidrig, wenn sie diese Instrumente in ihrem Bestand gefährdet.
({6})
Die Bundesregierung versteckt sich immer hinter der
Behauptung, sie wolle ihre Verhandlungsstrategie nicht
frühzeitig preisgeben.
({7})
Tatsächlich hat sie nicht den Mut, der Öffentlichkeit zu
erklären, dass sie sich einem erweiterten Zuzug Asylsuchender in die EU nicht ausreichend widersetzt.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Wir fordern hier im Deutschen Bundestag den Bundesinnenminister daher auf, in Europa seine Stimme geltend zu machen.
({0})
Der erfolgreiche Asylrechtskompromiss von 1993 darf
nicht aufgeweicht werden.
({1})
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Ute Vogt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es nicht so unverschämt wäre, was Sie uns geboten haben und bieten,
({0})
dann - das muss ich Ihnen sagen - wäre es fast schon
rührend, wie Sie sich bemühen, den Bundesinnenminister als jemanden darzustellen, der nicht gut und optimal
verhandelt. Es glaubt Ihnen doch kein Mensch in
Deutschland und übrigens auch nicht in Europa, dass
ausgerechnet der deutsche Bundesinnenminister es nicht
schaffen würde, die wichtigen politischen Vorhaben, die
er sich vorgenommen hat, auch umzusetzen.
({1})
Wenn Sie hier Scheinwelten aufbauen und Szenarien
entwerfen, die von einer Realitätsferne sind, wie man sie
kaum beschreiben kann, dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Sie erzeugen hier Panik vor Richtlinien, wohl
wissend, dass sie keine einzige relevante Richtlinie benennen können, die unverändert beschlossen worden
wäre, im Gegenteil: Über eine Reihe von Richtlinien, die
alle relevant sind, ist oft über Jahre verhandelt worden,
gerade weil Deutschland hart geblieben ist, seine Linie
konsequent verfolgt hat und einen maximalen Erfolg erzielen konnte. Sie erzeugen den Eindruck, als sei der Ursprungsentwurf einer Richtlinie deckungsgleich mit
dem, was dann hinterher verabschiedet wurde. Das zeigt,
dass Sie ganz schön weit weg von jeglicher Art von Regierungsfähigkeit sind.
({2})
Sie fordern Berichte. Sie fordern in Ihrem Antrag,
wir sollen vor und nach den einschlägigen Treffen berichten. Das tun wir gern und regelmäßig. Aber dann
würde ich Sie, Herr Schröder, bitten, diesen Berichten,
wenn sie im Innenausschuss des Bundestages erstattet
werden, auch Gehör zu schenken.
({3})
Wenn Sie in der letzten Innenausschusssitzung, der
vorletzten und in den vielen Sitzungen zuvor zugehört
hätten, dann wäre Ihnen bewusst, dass das, was Sie heute
über unsere Position zur Drittstaatenregelung erzählt haben, großer Unsinn ist. Vielmehr ist es gerade der deutsche Innenminister gewesen, der gesagt hat: Wir müssen
weiter verhandeln, gerade weil wir eine Regelung wollen - Herr Grindel hat das erfreulicherweise im Ausschuss immerhin begrüßt -, die dem entspricht, was wir
in Deutschland haben. Deshalb kann das auch noch eine
Weile dauern. Wir können Ihnen die Verhandlungsergebnisse nicht schon vor dem Ende der Verhandlung vorlegen. Statt nun Berichte zu fordern, setzen Sie sich bitte
mit den Ihnen vorliegenden Berichten auseinander!
Behaupten Sie nichts Gegenteiliges; denn Sie müssten es
eigentlich besser wissen!
({4})
Sie haben ein neues Verfahren gefordert. Ich sage Ihnen: Das brauchen wir nicht. Schauen Sie ins Grundgesetz! Art. 23 legt in Bezug auf die Information des Bundestages durch die Bundesregierung ganz eindeutig fest,
dass wir den Bundestag in Angelegenheiten der EU nach
einem festgelegten Verfahren regelmäßig unterrichten.
Dieses Verfahren hat damals übrigens eine unionsgeführte Regierung ins Leben gerufen und offensichtlich
für ausreichend gehalten. Sie kennen die Berichtsbögen
dazu. Die Handhabung entspricht dem, was im Grundgesetz steht. Dort steht aber auch:
Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen bei den Verhandlungen.
Dort steht nicht, dass ausgerechnet das rechtlich bindend
ist, was sich die Opposition wünscht.
({5})
Das zeigt wieder, dass Sie offenbar kein Gespür dafür
haben, was man tun muss, wenn man regiert. Wer Verhandlungsspielraum braucht, der legt sich doch selbst
Handfesseln an, wenn er mit der strikten Vorgabe in eine
Verhandlung geht, einen Beschluss eins zu eins umzusetzen. Wenn ich höre, was Sie in Bezug auf Verhandlungen und auf Regierungsfähigkeit sagen, dann frage ich
mich: In welcher Welt leben Sie eigentlich?
Es tut Ihnen sehr weh, dass der Bundesinnenminister
Otto Schily viel mehr Erfolge als zum Beispiel seine
Vorgänger aus der Zeit, als Sie regierten, vorweisen
kann.
({6})
- Herr Kollege Koschyk, ich glaube, es wäre gut, wenn
Sie sich ab und zu an die Realität erinnerten. Wir
scheuen den Vergleich mit dem, was Sie in der Innenpolitik geboten haben, jedenfalls nicht. Wir wissen, was Sie
in diesem Bereich schmerzt.
({7})
Sie wünschen, dass wir Ihnen noch umfassender,
noch detaillierter, noch häufiger berichten. Ich frage Sie
wirklich: Was ist Ihrer Meinung nach eigentlich sinnvolles Regierungshandeln?
({8})
Sollen wir für Sie über jedes Verhandlungsdatum, über
jede Vorschrift, über jede abweichende Meinung und
über jedes Telefonat, das innerhalb einer Verhandlung
geführt wird, einen Bericht erstellen? Haben Sie so viel
Zeit? Es ist schön für Sie, wenn Sie zu wenig zu tun haben. Die Bundesregierung zieht es jedenfalls vor, die
personellen Kapazitäten dort einzusetzen, wo es unserem Land etwas bringt: bei Verhandlungsführungen in
Brüssel. Das ist unser Schwerpunkt und das liegt im Interesse unseres Landes.
({9})
Ich bitte Sie - vor allen Dingen diejenigen, deren Berufsbezeichnung Jurist oder Anwalt ist oder die in diesem Bereich tätig sind -, in Bezug auf die in Ihrem Antrag enthaltene Idee, ein Mandatsgesetz auf den Weg zu
bringen, wirklich auf Ihre juristischen Kenntnisse zurückzugreifen. Schauen Sie, ob sich ein Gesetz, das den
Verlauf von Verhandlungen festlegt, mit der Verfassung
vereinbaren lässt!
Sie haben das schlüssige Gesamtkonzept noch nicht
verstanden. Daher möchte ich es ein weiteres Mal erläutern und ein paar Grundlinien nennen. Die Grundlinien
spiegeln sich selbstverständlich auch in dem wider, was
wir auf nationaler Ebene, auch im Zuwanderungsgesetz,
beschlossen haben. Ich darf Sie von der Opposition als
gute Demokraten daran erinnern, dass das Zuwanderungsgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen
wurde. Es ist falsch, immer wieder zu behaupten, das
Zuwanderungsgesetz habe keinerlei Grundlage und
Rechtfertigung.
({10})
Uns liegt ein Beschluss vor, der den Willen der Mehrheit im Deutschen Bundestag eindeutig festlegt.
({11})
Nun bringe ich Ihnen noch ein paar Einzelbeispiele
aus dem Gesamtkonzept. Zunächst möchte ich Ihnen in
Erinnerung rufen, dass wir sehr wohl eine klare Differenzierung zwischen Asyl- und Flüchtlingspolitik vornehmen und auch im Zuwanderungsgesetz vorgenommen haben. Auf der einen Seite wollen wir, dass es
möglichst umfassenden Schutz, wie es Art. 16 des
Grundgesetzes gebietet, für diejenigen gibt, die tatsächlich schutzberechtigt sind. Auf der anderen Seite muss es
eine ausreichende Differenzierung zu denjenigen geben,
die nicht schutzbedürftig oder -würdig sind. Hier brauchen auch die nationalen Staaten insgesamt Handlungsspielraum.
Jetzt komme ich zu dem, was schon mehrfach einige
Rednerinnen und Redner gesagt haben: Bekehren Sie die
Widerspenstigen in Ihren eigenen Reihen und stimmen
Sie dem Zuwanderungsgesetz zu!
({12})
Dort ist nämlich ausdrücklich eine Differenzierung vorgesehen.
({13})
Wenn Sie die Einwanderungspolitik insgesamt betrachten würden, dann wüssten Sie genau, dass wir mithilfe
eines Zuwanderungsgesetzes die Möglichkeit hätten,
den Zuzug zu begrenzen und zu steuern und ihn darauf
abzustellen, was im Interesse von Deutschland liegt.
Wir haben bei unseren Verhandlungen - daran möchte
ich Sie auch noch einmal erinnern - einige große Erfolge
verbucht. So wurde zum Beispiel im Juni dieses Jahres
Einvernehmen über den Richtlinienvorschlag zum Daueraufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen erzielt.
Ich will drei Regelungen herausgreifen, bei denen wir
uns durchgesetzt haben:
So kann der Erwerb eines Daueraufenthaltstitels davon abhängig gemacht werden, dass Integrationsbereitschaft besteht und auch das Erfüllen dieser Bedingungen
nachgewiesen wird.
({14})
- Das steht übrigens auch im Zuwanderungsgesetz drin.
({15})
Das könnten und sollten Sie ohne Probleme unterstützen.
({16})
Auf deutsche Initiative hin wurde in dieser Richtlinie
festgelegt, dass daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige auch hinsichtlich der Sozialleistungen nicht
mit Inländern gleichgestellt werden. Auch hier sind wir
der Forderung nach Differenzierung nachgekommen.
Schließlich orientiert sich der Ausweisungsschutz
- keine unwesentliche Forderung - nicht am erhöhten
Ausweisungsschutz, der für EU-Bürger gilt.
Diese Punkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden von Ihnen bewusst nicht genannt, weil Sie sonst
keine Chance hätten, fundierte Kritik anzubringen.
Wenn Sie sich nämlich den Realitäten stellen würden,
müssten Sie das, was in Verhandlungen erreicht worden
ist, benennen und als Tatsachen anerkennen. In den
Kernpunkten der Richtlinie - das habe ich Ihnen an wenigen Beispielen deutlich gemacht - haben wir jedenfalls unsere Forderungen durchgesetzt.
Nachdem wir über die Richtlinie zur Familienzusammenführung, über die wir ja schon häufiger inhaltlich gestritten haben, drei Jahre verhandelt haben, durften wir jetzt erleben, dass sie im Oktober 2003 in Kraft
getreten ist. Auch hier haben wir die Chance ergriffen
und dafür gesorgt, dass darin das, was wir für Deutschland für richtig halten, festgelegt wurde. Wir können mit
den Ergebnissen zufrieden sein. Wenn man mit Ihnen außerhalb des Plenums spricht, machen Sie ja auch deutlich, dass Sie keine Einwände bezüglich der Verhandlungsziele des Bundesinnenministers haben
({17})
und der Auffassung sind, dass er die Interessen unseres
Landes in Brüssel sehr gut vertritt.
({18})
Kein Geschrei und kein noch so lautes Getöse von Ihrer Seite und auch nicht die von Ihnen an die Wand gemalten Horrorszenarien können widerlegen,
({19})
dass die innenpolitischen Interessen Deutschlands in der
Europäischen Union optimal vertreten werden und wir
in den Verhandlungen Ergebnisse erreicht haben, die Sie
nicht einmal für durchsetzbar gehalten haben.
({20})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, scheint mir der
eigentliche Hintergrund für Ihre Kritik zu sein. Ein wenig perfide finde ich dieses Vorgehen schon. Ich glaube,
es gibt genug Themen, über die wir trefflich streiten
könnten. Die Art, wie Sie hier Fakten entstellen, und
Ihre Versuche, Dinge, die nur scheinbar da sind, als Tatsachen darzustellen, um sie dann widerlegen zu können,
mögen vielleicht nette rhetorische Tricks sein,
({21})
haben jedenfalls mit der Realität in Deutschland und den
Anforderungen an deutsche Innenpolitik nichts zu tun.
Ich würde mir wünschen, dass Sie jenseits solcher
Schauanträge zu einer konstruktiven Zusammenarbeit
zurückfinden. Wir sollten nicht auf das Niveau abrutschen, lieber Herr Kollege, das Sie in Ihren Reihen anscheinend pflegen. In der Sozialdemokratie ist es nicht
üblich, dass die Abgeordneten Frauen diffamieren. Das
sollte überall der Vergangenheit angehören.
({22})
- Dann seien Sie ein bisschen leiser! Dann stört es niemanden. - Mir wäre es Recht, wenn wir uns in Zukunft
über die Sache unterhalten könnten, wenn Sie die
Punkte, in denen wir einer Meinung sind, ehrlicherweise
nennen würden und wenn Sie nicht versuchen würden,
Diskussionen zu beginnen, die jeglicher Grundlage entbehren.
Die Innenpolitik hat früher auch aufgrund der guten
Zusammenarbeit mit der Opposition einen guten Ruf gehabt. Man war sich über die Grundlagen einig.
({23})
Heute ist eine realitätsnahe Innenpolitik leider allein Sache der Regierung. Aber etwas mehr konstruktive Opposition wäre wirklich hilfreich. Wir sollten ein bisschen
mehr auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Ich hoffe,
Herr Koschyk, dass Sie dazu die Kurve kriegen.
({24})
Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Koschyk von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag, der mehr Transparenz in der europäischen
Asyl- und Einwanderungspolitik und auch mehr Mitwirkungsrechte des Parlaments zum Inhalt hat, hat im Innenausschuss leider keine Mehrheit gefunden. Ich muss
feststellen, meine werten Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, dass Sie nach sechs Jahren mehr oder weniger schlecht wahrgenommener Regierungsverantwortung nicht über mehr Mitwirkungsrechte des Parlamentes reden wollen.
Ich denke beispielsweise an den Entwurf zur europäischen Verfassung. Wir müssen darauf achten - das haben
wir in unserem Antrag angedeutet -,
({0})
dass ein Parlament wie der Deutsche Bundestag auch
nach der Verabschiedung eines europäischen Verfassungsentwurfs noch hinreichend Mitwirkungsrechte hat.
Dass dieses Thema für Sie als Parlamentarier überhaupt
nicht mehr interessant ist und dass Sie sich in diesem
Punkt nicht mehr herausgefordert fühlen, ist zu bedauern.
Es zeigt aber auch, dass Macht manchmal korrumpiert.
({1})
Ich möchte noch etwas anderes sagen. Es ist auch
deutlich geworden, dass die Inhalte, um die wir heute
streiten, ganz eng mit der Debatte um ein Zuwanderungsgesetz zusammenhängen. Lieber Herr Stadler, ich
darf sehr deutlich sagen: CDU/CSU und FDP sind in
vielen Punkten beieinander, aber in dieser Frage sind wir
auseinander.
({2})
Ich glaube, es schadet überhaupt nicht, wenn die deutsche Öffentlichkeit durch eine solche Debatte erfährt,
dass die einzige politische Kraft, der es wirklich um Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung nach
Deutschland geht, die Union ist.
({3})
Die Union ist, was diese Frage angeht, vielleicht im Parlament in der Minderheit. Aber ich glaube schon, dass
wir mit unserer Position zur Zuwanderung nach
Deutschland und zu ihrer Begrenzung und Steuerung die
große Mehrheit unserer Bevölkerung repräsentieren.
({4})
Liebe Frau Staatssekretärin, ich will konzedieren, dass
die Verhandlungen über die Richtlinien als ein Prozess
zu begreifen sind und dass am Schluss nicht der ursprüngliche Richtlinienentwurf verabschiedet wird. Aber
in der Anhörung des Innenausschusses im Juni - die
Union hatte darauf gedrängt - wurde deutlich, dass viele
Bedenken, die wir gegenüber den sich noch in den Verhandlungen befindlichen Richtlinien haben, von Fachleuten geteilt wurden.
({5})
Ein anerkannter Rechtslehrer, nämlich Herr Professor
Huber von der Ludwig-Maximilian-Universität in München, hat bei dieser Anhörung gesagt, dass es auch eine
verfassungsrechtliche Frage ist, ob ein deutscher Innenminister in Brüssel Richtlinienentwürfen zustimmen
kann, die das deutsche Asylrecht bezüglich der mühsam
zustande gekommenen Reform von 1993 aushebeln.
Diese Bedenken sollten Sie nicht einfach beiseite schieben.
({6})
Ich will einmal darstellen, wie von Ihnen hier über die
Bande gespielt wird. Der Kollege Grindel hat Sie, liebe
Frau Beck, vorhin für die Überschrift des „Handelsblatt“-Artikels gelobt, auch wenn Sie für diese gar nicht
verantwortlich sind. In diesem Artikel und in anderen
Hintergrundberichten - es ist kein Zufall, dass sich das
in der Presse gerade vor unseren morgigen Verhandlungen breit macht - ist von einem „Drohmittel“ die Rede:
Sollte sich die Union diesen Wünschen von RotGrün
- in der nationalen Zuwanderungsdebatte verweigern, kann Berlin in Brüssel sein Veto bei
der neuen EU-Flüchtlingsrichtlinie zurückziehen und damit einem wesentlich liberaleren Flüchtlingsrecht die Vorfahrt einräumen.
({7})
Weiter heißt es:
Nach Angaben der Grünen ist diese Position der Integrationsbeauftragten sowohl mit den entsprechenden Arbeitsgremien und vor allem mit dem Unterhändler im Ausschuss, Volker Beck, abgesprochen.
({8})
Das werden wir nicht mitmachen: dass Sie das, was
Sie aufgrund unserer Bundesratsmehrheit vielleicht nicht
Gesetz werden lassen können, über die Bande spielen,
indem Sie es über Brüssel zu erreichen versuchen.
({9})
Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese Debatte
hier führen. Sie zeigt übrigens auch einen Zusammenhang, den ich für entscheidend halte, nämlich dass wir,
nachdem der EU-Verfassungsvertragsentwurf aufgeschnürt wird, nun erneut über die die Asyl- und Einwanderungsfragen betreffenden Regelungen, die in diesem
Vertrag festgelegt werden sollen, sprechen können.
({10})
Wir meinen, dass asyl- und flüchtlingspolitische Vorgaben im Verfassungsvertrag auf Mindestnormen beschränkt bleiben sollten. Auch das Recht, den Zugang
von Asylbewerbern und Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt
zu regeln, muss den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben.
Hinsichtlich der Asyl- und Flüchtlingspolitik muss es
beim geltenden Einstimmigkeitserfordernis bleiben.
Dieses Einstimmigkeitserfordernis muss auch in Zukunft
für alle anderen einwanderungspolitischen EU-Regelungen gelten.
Ich will durchaus würdigen, dass der Bundeskanzler in
Thessaloniki in letzter Minute angekündigt hat: Hier wird
es den Wunsch Deutschlands geben, dass es beim Einstimmigkeitserfordernis bleibt. - Nur, so wie das im gegenwärtigen Verfassungsvertragsentwurf angelegt ist, ist
uns das Schwert ein wenig zu stumpf, um es einmal so zu
formulieren. Deutschland und Frankreich haben anfangs
die Auffassung vertreten, den Verfassungsvertragsentwurf nicht aufzuschnüren. Wenn er aber jetzt aufgeschnürt wird, muss man erneut darüber reden, dass klar
geregelt wird, dass es auch in Zukunft sowohl im Bereich
Asyl- und Flüchtlingspolitik als auch im Bereich Einwanderungspolitik, vor allem bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt, beim Einstimmigkeitserfordernis bleibt.
({11})
Rufen wir uns einmal in Erinnerung, wie die Gemengelage im Vorfeld des vor zehn Jahren gefundenen Asylkompromisses war: Die Union wollte die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelungen in Gänze
umsetzen; wir wären sogar noch weiter gegangen. Teile
der SPD wollten zustimmen, andere Teile nicht. Ich höre
noch heute, wie Renate Schmidt - die jetzige Bundesfamilienministerin - damals gesagt hat, das sei alles Unsinn, das sei nur hektischer gesetzgeberischer Aktionismus; nach der Asylrechtsreform werde nicht ein einziger
Asylbewerber weniger nach Deutschland kommen. Die
Zahlen sind vorhin genannt worden: Es ist ein Rückgang
von über 400 000 auf 70 000 zu verzeichnen.
({12})
Jetzt befinden wir uns in derselben Situation: Die
Union fordert, dass es bei einer zuzugsbegrenzenden und
zuzugssteuernden Politik sowohl in unserem Land als
auch in Europa bleibt. Teile der SPD sind - das ist meine
feste Überzeugung - in diesem Punkt, ebenso wie bei
der Asylrechtsreform 1993, an unserer Seite.
({13})
Ich glaube, dass auch der Bundesinnenminister in seinem Innern
({14})
mit dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz, wie es verabschiedet worden ist, nicht leben kann und leben will und
jetzt auf uns setzt.
Ich bin sicher: Wenn die SPD von der elektronischen
Fußfessel der Grünen befreit ist,
({15})
dann könnte es in der Tat sowohl auf nationaler als auch
auf europäischer Ebene eine Zuwanderungspolitik geben, die deutschen Interessen dient.
({16})
Die Rede der Kollegin Petra Pau nehmen wir zu Pro-
tokoll.1)
Damit schließe ich die Aussprache.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses auf Drucksache 15/1776 zu dem Antrag
der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Europäische
Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitik transparent
machen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 15/655 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Ge-
genstimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Reden zu den
folgenden Tagesordnungspunkten werden zu Protokoll
genommen. Ich bitte Sie aber, mir bei den Verfahrens-
und Sachentscheidungen zu helfen, damit wir das or-
dentlich abwickeln können. Das dauert nicht mehr lange.
1) Anlage 4
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
Entschädigungsgesetzes und anderer Vorschriften ({0})
- Drucksache 15/1180 ({1})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({2})
- Drucksache 15/1808 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Stephan Hilsberg
Manfred Kolbe
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1809 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Steffen Kampeter
Walter Schöler
Antje Hermenau
Otto Fricke
Die Reden der Kollegen Stephan Hilsberg, SPD,
Manfred Kolbe und Dr. Peter Jahr, CDU/CSU, Kerstin
Andreae, Bündnis 90/Die Grünen, Rainer Funke, FDP,
und - für die Bundesregierung - der Parlamentarischen
Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks werden zu Proto-
koll gegeben.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung und Ergänzung des Entschädigungsgesetzes und
anderer Vorschriften, Drucksache 15/1180. Der Finanz-
ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1808, den Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förde-
rung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen und zur Ände-
rung anderer Vorschriften
- Drucksache 15/1783 -
1) Anlage 5
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({4})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden. Es handelt sich um die Beiträge der Kollegen
Karl Hermann Haack ({5}), SPD, Hubert Hüppe,
CDU/CSU, Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen, und
Daniel Bahr ({6}), FDP.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 15/1783 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 a und 17 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.
Fritz, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Neustrukturierung der Außenwirtschaftsförderung als Beitrag zur Schaffung von Wachstum und Beschäftigung
- Drucksache 15/746 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Erich G.
Fritz, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern von
Cancun konstruktiv und zügig voranbringen
- Drucksache 15/1567 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({8})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Auch hier nehmen wir die Beiträge zu Protokoll. Es
handelt sich um die Reden der Kollegin Dr. Sigrid
2) Anlage 6
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Skarpelis-Sperk von der SPD, des Kollegen Erich Fritz
von der CDU/CSU sowie der Kolleginnen Michaele
Hustedt vom Bündnis 90/Die Grünen und Gudrun Kopp
von der FDP.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/746 und 15/1567 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 15/746 soll zusätzlich an
den Umweltausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Dirk Niebel, Daniel Bahr ({9}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform der Arbeitsstättenverordnung muss
zu einem echten Bürokratieabbau für Unter-
nehmen in Deutschland führen
- Drucksache 15/1699 -
1) Anlage 7
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({10})
Innenausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Wir nehmen die Reden der Kollegen Wolfgang
Grotthaus, SPD, Alexander Dobrindt, CDU/CSU, Fritz
Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, und Birgit Homburger,
FDP, zu Protokoll.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 15/1699 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 5. November 2003, 13 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.