Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: OECD-Studie 2002 „Bildung
auf ein Blick“.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung,
Edelgard Bulmahn.
Sehr geehrte Herren und Damen! Der OECD-Bildungsbericht wird in regelmäßigen Abständen herausgegeben. Dieser Bericht weist darauf hin - das ist, denke ich,
gerade für Bildungs- und Forschungspolitiker, aber auch
für Politiker generell ein ganz entscheidender Gesichtspunkt -, dass es einen sehr engen Zusammenhang zwischen Bildungsstand, Bildungsanstrengungen der Länder
und den wirtschaftlichen Wachstumschancen von Volkswirtschaften gibt. Ferner weist er darauf hin, dass es einen
ebenfalls sehr engen Zusammenhang zwischen individuellen Lebenschancen und Bildungschancen gibt.
Der OECD-Bericht unterstreicht, dass Deutschland
insgesamt einen sehr hohen Bildungsstand hat. Die Stärke
des deutschen Bildungssystems zeigt sich darin, dass ein
hoher Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
über einen Schulabschluss des Sekundarbereichs II verfügt. Mit einer Abschlussquote von 91 Prozent, bezogen
auf die Bevölkerung im typischen Abschlussalter, nimmt
Deutschland hier hinter Ungarn und Japan einen herausgehobenen Platz ein.
Der OECD-Bericht unterstreicht außerdem, dass es zu
einer sehr positiven Entwicklung im Bereich der Hochschulausbildung gekommen ist. Hier zeigt sich, dass die
Anstrengungen der Bundesregierung Erfolge zeitigen.
Wir haben in den vergangenen vier Jahren eine deutliche
Steigerung der Zahl derjenigen Jugendlichen erreichen
können, die sich für ein Studium entscheiden. Die Studierendenquote ist in den letzten vier Jahren um mehr als
4 Prozent gestiegen. Dazu haben ganz wesentlich sowohl
die Reform des BAföG als auch die Einführung der gestuften Studiengänge von Bachelor und Master beigetragen. Die Studie weist darauf hin, dass der Weg, den wir
hier beschritten haben, und die diesbezüglichen Anstrengungen fortgesetzt werden sollten.
Die Studie zeigt ebenfalls auf, dass wir nach wie vor einen sehr hohen Stand bei der beruflichen Bildung haben,
dass die Modernisierungsanstrengungen, die wir in diesem Bereich unternommen haben, richtig und notwendig
waren und dass auch dieser erfolgreiche Weg der beruflichen Ausbildung fortgesetzt werden sollte.
Es gibt einen Punkt, bei dem wir noch Verbesserungen
erreichen müssen: Das ist die Durchlässigkeit zwischen
den verschiedenen Bildungswegen, also zwischen der beruflichen Bildung und der Hochschulausbildung. Deshalb
ist es richtig, dass wir hier vermehrt Anstrengungen unternehmen. Dies liegt allerdings in der Hand der Länder.
Sie könnten durch erleichterte Aufnahmeregelungen und
Bestimmungen für Personen aus der beruflichen Bildung
den Zugang zur Hochschule einfacher machen.
Die Studie weist auf die bekannten Probleme in der
Schulpolitik hin. Es zeigt sich, dass es richtig war, dass die
Bundesregierung in dieser Frage die notwendigen Konsequenzen gezogen hat, um die schulische Bildung ebenfalls deutlich zu verbessern. Die PISA-Studie hat ja klar
aufgezeigt, dass wir erhebliche Schwächen im Schulsystem haben. Das Leistungsniveau der deutschen Schülerinnen und Schüler, auch in der Spitzengruppe, ist nicht
so hoch; es ist vielmehr deutlich geringer und niedriger als
in vergleichbaren Industriestaaten. Es ist vor allen Dingen
ein sehr enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen zu konstatieren. Man kann es
auch anders formulieren - so formuliere ich es immer -,
nämlich dass wir ein sehr ungerechtes Bildungssystem
haben.
Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung hier
Konsequenzen gezogen hat. Wir werden unseren Beitrag
leisten, um den Bildungsstandard insgesamt, bei allen
Kindern und Jugendlichen in Deutschland zu verbessern.
Ganztagsschulen können dazu erheblich beitragen, weil
sie es ermöglichen, dass Kinder besser individuell gefördert werden. Eine der ganz wichtigen Zielsetzungen unseres Ganztagsschulprogramms ist, den Raum, die Zeit
und die Möglichkeit für eine bessere individuelle Förderung zu geben. Genau das - darauf weist die OECD-Studie ausdrücklich hin - ist entscheidend für die Verbesserung der Qualität unseres Bildungssystems.
Ein weiterer Punkt. Die Bundesregierung hat gefordert, dass wir bundesweite nationale Bildungsstandards
erarbeiten. Die Formulierung eines solchen Ziels ist richtig; auch das zeigt die OECD-Studie auf. Es wird mehrfach darauf hingewiesen, dass es in den Ländern, die in
der Bildung erfolgreich sind, üblich ist, dass solche nationalen Bildungsstandards vorhanden sind. Ich bitte darum,
dies nicht mit Zentralismus, mit zentralen Lehrplänen
oder Rahmenrichtlinien zu verwechseln. Einige machen
das immer wieder. Ein solcher Ansatz ist aber das Gegenteil einer aufgeklärten Bildungspolitik. Das Setzen von
Standards bedeutet vielmehr, dass Kompetenzen prägnant
beschrieben werden und dass die Schulen die Selbstständigkeit erhalten, die sie benötigen, um den Weg festzulegen, wie sie sicherstellen wollen, dass jede Schülerin und
jeder Schüler vergleichbare Kompetenzen erlangen kann.
Die Studie unterstreicht auch, wie wichtig es ist, dass
Bildungsleistungen regelmäßig evaluiert werden. Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung gesagt hat,
sie werde ihren Beitrag dazu leisten, dass eine nationale
Evaluierungsagentur eingerichtet wird, die regelmäßig
den Stand von Bildung überprüft und ihn offen legt, damit
wir frühzeitig auf Schwächen und Stärken unseres Bildungssystems hingewiesen werden.
Die OECD-Berichte unterstreichen darüber hinaus die
Bedeutung einer kontinuierlichen Bildungsberichterstattung. Die Bundesregierung weiß um diese Bedeutung und
setzt den Beschluss des Deutschen Bundestages vom
Sommer dieses Jahres für eine kontinuierliche Bildungsberichterstattung, die in Zukunft in zweijährigem Rhythmus stattfinden wird, auch um.
Last not least: Wir werden im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern die Verbesserung der
Unterrichtsqualität vorantreiben, und zwar besonders
dort, wo es in Deutschland zentrale Schwächen gibt. Dies
ist etwa bei der Sprachkompetenz oder im naturwissenschaftlich-mathematischen Unterricht der Fall wie auch
vor allen Dingen bei der Förderung von Kindern und
Jugendlichen aus so genannten benachteiligten Familien,
die also, aus welchen Gründen auch immer, familiäre
Schwierigkeiten haben. Das sind die Hauptfelder, auf die
wir uns in der Bund-Länder-Kommission verständigt haben und auf denen wir ein gemeinsames Programm für die
Verbesserung des Unterrichts umsetzen werden.
Der Bericht unterstreicht, um das kurz zu sagen, ausdrücklich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Er weist
auch darauf hin - diesen Punkt will ich hier thematisieren -,
dass zwar die Anstrengungen im Bereich Bildung gerade
in den letzten Jahren verstärkt worden sind, dass aber die
öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern wie zum Beispiel den skandinavischen Ländern, aber auch den Ländern Korea,
Kanada oder den Vereinigten Staaten noch immer nicht in
dem gleichen Maße gestiegen sind. Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesregierung hier in den vergangenen vier Jahren ihre Anstrengungen erheblich verstärkt
hat. Nachdem wir vor 1998 einen Stillstand, ja sogar Kürzungen im Bildungs- und Forschungshaushalt auf Bundesebene erleben mussten, haben wir die Bildungsausgaben in den vergangenen Jahren erhöht. Mit dem Haushalt
für das Jahr 2003 sind das fast 30 Prozent, konkret 28 Prozent. Die Bundesregierung wird an diesem Kurs festhalten. Der Bericht der OECD unterstreicht mit sehr großem
Nachdruck, dass dieser Kurs und die Entscheidungen
richtig sind. Aber auch andere Politikebenen müssen diese
Anstrengungen unterstützen; denn Bildungspolitik ist
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bundesregierung wird jetzt wie auch in Zukunft ihrer Verantwortung
gerecht.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Das Wort hat
die Kollegin Katherina Reiche.
Frau Ministerin, Krippen und Kindergärten sollen ausgebaut werden. Dies soll mit den Ersparnissen beim Arbeitslosengeld bezahlt werden. So lauten die Pläne. Die
Finanzierung ist auf Sand gebaut, weil vorerst niemand
weiß, ob und in welcher Höhe diese Einspareffekte
tatsächlich zu erzielen sind.
Deshalb frage ich: Kann die Bundesregierung konkret
beziffern, welche Beiträge wann durch die Einsparungen
beim Arbeitslosengeld zur Verfügung stehen werden und
in welcher Höhe die Länder diese für den Ausbau von
Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen gegebenenfalls
zur Verfügung stellen werden? Gibt es bereits konkrete
Gespräche oder Verhandlungen mit den Ländern?
Auf Punkt und Komma genau kann die Bundesregierung die Summe noch nicht beziffern. Wir gehen nach unseren Schätzungen davon aus, dass ein Finanzvolumen
von ungefähr 1,5 Milliarden Euro mobilisiert werden
kann. Dieses soll von den Ländern, den Gemeinden und
den Städten genau hierfür eingesetzt werden. Aber wie gesagt: Auf Punkt und Komma genau können wir es noch
nicht sagen.
Ich will noch auf einen anderen Gesichtspunkt, der in
diesem Zusammenhang eine ganz wichtige Rolle spielt,
hinweisen: Die Bundesregierung wird einen Bildungsgipfel durchführen, auf dem die Zusammenarbeit zwischen
Kindergärten und Grundschulen thematisiert und Bildungsziele für Kindergärten entwickelt werden sollen.
Die erfolgreichen Bildungssysteme zeichnen sich nämlich durch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Kindergärten und Grundschulen aus. Deshalb habe ich immer
darauf hingewiesen, dass Kindergärten einen Bildungsauftrag haben, den sie wahrnehmen müssen, und dass sie
mit den Grundschulen sehr eng kooperieren müssen.
Das Beispiel Finnland zeigt uns, wie auf diesem Gebiet
erfolgreich gearbeitet werden kann. Dort erarbeiten die
Kindergärten gemeinsam mit den Grundschulen zum Beispiel Schul- bzw. Kindergartenprogramme für das letzte
Kindergarten- und das erste Grundschuljahr. Das ist ein
ganz wichtiger Schritt, um die Qualität der Bildung gerade in den ersten Lebensjahren voranzutreiben.
Ich komme zu einem zweiten wichtigen Schritt: Ich
habe immer darauf hingewiesen, dass unser Ganztagsschulprogramm vor allen Dingen im Bereich der Grundschule und im Bereich der Sekundarstufe I eingesetzt werden soll, weil es insbesondere hier Mängel und Defizite
gibt. Damit soll insbesondere für die Kinder in dem entsprechenden Alter eine bessere individuelle Förderung
gewährleistet werden.
Last not least will ich darauf hinweisen, dass ich die
1,5 Milliarden Euro, die ich eben beziffert habe, nicht im
Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld, sondern im
Zusammenhang mit der Umsetzung des Hartz-Konzeptes,
das weitaus umfänglicher ist, genannt habe. Deshalb bitte
ich, dies auch so zu zitieren. Es bezieht sich auf die Umsetzung des gesamten Hartz-Konzeptes.
Eine kurze Nachfrage der Kollegin Reiche.
Ich hätte ganz gern noch etwas über den Verhandlungsstand gewusst. In welchem Verhandlungsstand mit
den Ländern befinden Sie sich? Das war auch ein Teil
meiner Frage.
({0})
Die Bundesregierung hat die Umsetzung des HartzKonzeptes vorbereitet. In Kürze werden wir die Vorschläge der Bundesregierung hier im Deutschen Bundestag beraten. Dann werden auch die Verhandlungen mit
den Ländern aufgenommen werden.
Als Nächster hat sich der Kollege Uwe Schummer gemeldet.
Frau Ministerin, schon in der PISA-Studie wurde die
duale Ausbildung in Deutschland als vorbildlich gelobt.
Nach den Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit sind
im letzten Jahr etwa 100 000 Schulabgänger ohne eine berufliche Ausbildungsstelle geblieben; in diesem Jahr werden es wahrscheinlich 125 000 sein.
Worauf führen Sie diesen massiven Anstieg der nicht
mit einer beruflichen Ausbildungsstelle versorgten Schulabgänger zurück? Was gedenkt die Bundesregierung zu
tun, um die Ausbildungsmotivation und -fähigkeit in den
Betrieben zu stärken?
Offiziell endet das Ausbildungsjahr mit dem 31. August. Wir haben aber die Ausbildungsanstrengungen im
letzten und auch schon im vorletzten Jahr auch nach dem
31. August fortgesetzt. Dadurch ist es gelungen, zu einer
ausgeglichenen Ausbildungsbilanz zu kommen. Allen Jugendlichen, die können und wollen, konnte ein Ausbildungsplatz vermittelt werden. Das werden wir auch in
diesem Jahr fortsetzen. Wenn die Situation eintritt, dass
wir bis zum 31. August nicht ausreichend Ausbildungsplätze mobilisiert haben, dann setzen wir die Ausbildungsanstrengungen fort.
Die duale Ausbildung beruht auf zwei Säulen. Auf der
einen Seite steht die Ausbildung in den Betrieben und den
Unternehmen. Auf der anderen Seite steht die Ausbildung
in den Berufsschulen. Diesen Weg werden wir fortsetzen.
Mir kommt es darauf an, dass wir den Zusammenhang
zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung aufrechterhalten.
Erstens. Wir werden das duale System dadurch stärken,
dass wir die Modernisierung der Ausbildungsberufe fortsetzen. Ich will nur darauf hinweisen, dass es uns durch
die gute Zusammenarbeit im Bündnis für Arbeit gelungen
ist, eine erhebliche Zahl von Berufen zu modernisieren
und neue Ausbildungsberufe zu schaffen, was im Übrigen
dazu geführt hat, dass viele zusätzliche Ausbildungsplätze
entstanden sind.
Zweitens. Wir werden die Berufsausbildung auch dadurch stärken - das haben wir angekündigt -, dass wir die
Modellversuche, die wir in den letzten vier Jahren stark
vorangetrieben haben, weiterentwickeln und ausweiten.
Die berufliche Ausbildung soll in den Berufen, in denen
das von der Sache her notwendig ist, mit einer Fachhochschulausbildung verknüpft werden. Beides soll parallel
laufen. Das ist gerade für sehr technikintensive Berufe ein
sehr erfolgreicher Weg, den wir beschritten haben und
weiter beschreiten werden.
Drittens. Wir werden auch unsere Modernisierungsanstrengungen fortsetzen. Hier haben wir deutliche Erfolge
erzielt. Inzwischen dauert es weniger als ein Jahr, um Berufe zu modernisieren bzw. neue Berufe zu schaffen.
Viertens - das ist mein letzter Punkt -: Jugendlichen,
die besondere Lernschwierigkeiten haben und eine Ausbildung, aus welchen Gründen auch immer, nicht abschließen, wird die Möglichkeit gegeben, Ausbildungsabschnitte - wir nennen es Ausbildungsbausteine, weil es in
sich geschlossene Bausteine sein sollen - zertifizieren zu
lassen, sodass sie damit eine bessere Chance haben, in den
Arbeitsmarkt zu kommen und einen Job zu finden.
Herr Kollege Schummer, Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass ich eine weitere Frage von Ihnen im
Vizepräsidentin Susanne Kastner
Augenblick nicht zulassen kann. Viele Kolleginnen und
Kollegen wollen noch Fragen stellen und kämen ansonsten nicht zum Zuge.
Als Nächster hat der Kollege Jörg Tauss das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe das Gefühl, Kollegin Reiche, dass bei der Frage
der Betreuung von Kindern von null bis drei Jahren und
den Ganztagsschulen vielleicht ein Missverständnis vorlag. Aber das können wir möglicherweise bilateral klären,
weil ich nicht danach fragen möchte.
Frau Ministerin, die Initiativen der Bundesregierung
würdigend, möchte ich eine Nachfrage stellen. Nachdem
jetzt erfreulicherweise auch von der Kultusministerkonferenz Hinweise zu der Entwicklung von Bildungsstandards
vorliegen und Sie verdienstvollerweise diese Debatte mit
den Ländern durch die Ankündigung befördert haben,
dass der Bund ebenfalls nationale Standards entwickelt,
interessiert mich, wie die Verzahnung der Entwicklung
der Standards zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussieht und
wie die Bundesregierung möglicherweise die Arbeit der
Kultusministerkonferenz weiter ergänzen und fördern
will und kann.
Ich habe darauf hingewiesen, dass in den erfolgreichen
Bildungsnationen nationale Standards üblich sind. Dies
gilt auch für ein föderales Land wie Kanada. Das heißt, es
ist auch in einem föderalen politischen System möglich,
nationale Standards mit Erfolg zu verankern.
Zu der Frage, wie in Deutschland diese Standards entwickelt, implementiert und evaluiert werden können, haben wir eine Expertise an den Leiter des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, Herrn
Professor Klieme, vergeben. Die Ergebnisse dieser Studie
werden im Januar vorliegen und gemeinsam mit den Ländern ausgewertet. Bund und Länder sind über dieses
wichtige Thema miteinander intensiv im Gespräch und
werden dies auch bleiben.
({0})
Die nächste Frage kommt von der Kollegin Pieper.
Frau Ministerin, in der OECD-Studie wird die Effizienz der Bildungssysteme von 30 Mitgliedstaaten verglichen. Es ist nicht nur festgestellt worden, dass in Deutschland in der Tat große Defizite im Grundschulbereich
bestehen, sondern in der OECD-Studie wird unter anderem auch deutlich, dass zu wenig Schüler in Deutschland
die Hochschulreife erwerben. Im Vergleich mit dem
OECD-Durchschnitt, der bei 64 Prozent liegt, erwerben in
Deutschland nur 37 Prozent eines Jahrgangs die Hochschulreife.
Sie haben auch die Sekundarstufe II angesprochen. In
Deutschland nehmen nur 30,2 Prozent der Jugendlichen
nach Abschluss der Sek II ein Studium auf. Im OECDDurchschnitt sind es immerhin 44 Prozent. Ich weise
außerdem darauf hin, dass in Deutschland nur 19 Prozent
eines Altersjahrgangs einen entsprechenden Hochschulabschluss erwerben. Im OECD-Durchschnitt hingegen
sind es 26 Prozent.
Ich frage Sie daher, welche Schritte die Bundesregierung zu unternehmen beabsichtigt, um die Studierwilligkeit junger Menschen in Deutschland zu erhöhen. Ich
denke dabei insbesondere an die Einführung von Bachelorund Masterstudiengängen, die eine deutliche Verringerung der Studienzeit und eine passgenauere Vorbereitung
der Studierenden auf den späteren Beruf zulässt.
Ich stimme Ihnen darin zu, dass die Einführung von
Bachelor- und Masterstudiengängen ein wichtiger Schritt
ist, um die Studienbereitschaft zu erhöhen. Denn damit
müssen sich Jugendliche nicht von vornherein entscheiden, ob sie ein Studium mit einer längeren Studienzeit
durchführen bzw. ob sie eher einen wissenschaftlich orientierten oder einen berufsorientierten Studiengang
wählen sollen, sondern sie verfügen über Entscheidungsalternativen. Deshalb unterstützt die Bundesregierung die
Einführung dieser Studiengänge, und zwar nicht nur in
finanzieller Hinsicht, sondern auch durch die im vergangenen Jahr vorgenommene Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, mit der wir diese Studiengänge zu Regelstudiengängen gemacht haben.
Wenn wir das Ziel verfolgen - dass es mein Ziel ist,
habe ich auch im Namen der Bundesregierung immer wieder formuliert -, 40 Prozent der Jugendlichen zu höchsten
Bildungsabschlüssen - ich unterscheide dabei nicht zwischen akademischer und beruflicher Bildung - zu führen,
ist es sicherlich richtig, dass wir das gesamte Potenzial der
Begabungen in unserem Land mobilisieren, fördern und
unterstützen müssen. Damit müssen wir bei den Grundschulen beginnen. Wenn wir die Grundschulen nicht ausreichend fördern, wird die Zahl junger Menschen, die die
Hochschulen erreichen, nicht ausreichen. Deshalb ist für
mich die Verbesserung der Bildungssituation in den
Grundschulen ein wichtiges Anliegen.
Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die von
mir bereits genannten Maßnahmen vorgestellt, nämlich
die Schaffung eines flächendeckenden Angebots an Ganztagsschulen, die Verbesserung der Unterrichtsqualität, die
Schaffung und Entwicklung bundesweiter Bildungsstandards und die nationale Bildungsberichterstattung. All
diese Schritte verfolgen das Ziel, die individuelle Förderung von Kindern zu verbessern. Das ist das A und O,
wenn wir das Ziel erreichen wollen, 40 Prozent der Jugendlichen zu höchsten Bildungsabschlüssen zu führen.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen. In der
OECD-Studie wird nicht darauf eingegangen, dass wir im
Bereich der beruflichen Bildung viele Berufsausbildungen haben, die durchaus zu einem sehr hohen Bildungsniveau führen. Was aber notwendig und in Deutschland
noch nicht in ausreichendem Maße erreicht worden ist, ist
die Schaffung von Möglichkeiten für Jugendliche, beispielsweise im Anschluss an eine berufliche Ausbildung
ein Hochschulstudium aufzunehmen. Ich habe in der vergangenen Legislaturperiode erstmals mit den Sozialpartnern einen Durchbruch für die informationstechnischen
Berufe erreicht. Wir haben gemeinsam ein Weiter- und
Fortbildungssystem entwickelt, das mit einer anerkannten
Zertifizierung und der Verleihung von Kreditpunkten, wie
sie ebenfalls unserer Zielsetzung entspricht, ermöglicht,
dass zum Beispiel eine berufliche Ausbildung als IT-Systeminformatiker in Zukunft bei der Aufnahme eines
Hochschulstudiums entsprechend gewichtet wird. Das
will ich auch für andere Bereiche und Branchen durchsetzen. Denn wir dürfen den Zugang zur Hochschule sozusagen nicht als Einbahnstraße, sondern müssen ihn als
mehrspurige Straße organisieren, sodass der Zugang über
unterschiedliche Bildungswege gewährleistet wird.
Sie werden mir sicherlich zugestehen, auf einen kleinen
Erfolg hinzuweisen. Wir haben durchaus schon einen spürbaren Erfolg erzielt. Wir haben es in den letzten vier Jahren geschafft, die Zahl der Studienanfänger erheblich zu
steigern - von rund 28 Prozent auf jetzt 32,4 Prozent. Die
Entscheidungen und die Reformen der Bundesregierung
haben wesentlich dazu beigetragen, dieses Ziel zu erreichen. Wir werden auf diesem Weg auch noch weitergehen.
Last but not least wollen wir auch durch den Pakt für
Hochschulen, den ich den Ländern angeboten habe, sicherstellen, dass die Zahl der Studienabbrecher deutlich
verringert wird.
({0})
Denn die Tatsache, dass die Zahl der Studienabbrecher in
einigen Studienfächern doch extrem hoch ist, kann aus
meiner Sicht nicht einfach hingenommen werden. Ich will
mit diesem Pakt für Hochschulen sicherstellen, dass wir
die Zahl der Studienabbrecher deutlich reduzieren. Wenn
uns das gelingt, werden wir nämlich auch die Zahl der
Studienabschlüsse deutlich erhöhen können.
Frau Kollegin Pieper, ich weiß, dass Sie eine zweite
Frage stellen wollen. Ich glaube aber, es ist ein Gebot der
Fairness gegenüber den anderen Kolleginnen und Kollegen, die sich noch gemeldet haben, dass Sie sich vielleicht
noch einmal melden, wenn noch Zeit vorhanden ist.
Als Nächste folgt die Kollegin Vera Dominke.
Frau Ministerin, Sie haben gerade und auch eingangs
schon auf die besonders positive Entwicklung im Hochschulbereich hingewiesen. Tatsächlich war ja in den letzten Jahren insbesondere ein Boom privat finanzierter Elitehochschulen zu verzeichnen. Nun haben Sie in Ihrer
Koalitionsvereinbarung angekündigt, dass Firmenspenden
für gemeinnützige und insbesondere auch wissenschaftliche Zwecke künftig nicht mehr absetzbar sein sollen.
({0})
Der Generalsekretär des Stifterverbandes für die deutsche
Wissenschaft, Herr Professor Erhardt, hat diese Entscheidung als Katastrophe für die Wissenschaft bezeichnet;
denn wir wissen alle, dass gerade Hochschulen und auch
Forschungsinstitute in besonderem Maße von der Förderung durch die Wirtschaft abhängig sind.
({1})
Nun hat zwar der Herr Bundeskanzler verbal schon seinen
Rückzieher angekündigt, aber wir wissen ja alle nicht,
was nach den Wahlen in Niedersachsen und Hessen
tatsächlich in diesem Bereich auf uns zukommen wird.
Ich frage Sie deshalb: Wie will die Bundesregierung in
Zukunft das Engagement der zu Recht verschreckten
Wirtschaft in Bildung und Wissenschaft fördern? Wie
wollen Sie die Entwicklung von mehr Public Private Partnership fördern und anstoßen?
Liebe Kollegin, das Wort des Bundeskanzlers gilt.
({0})
Das kann ich ganz kurz beantworten. Deshalb wird die
Bundesregierung die Abzugsfähigkeit von Unternehmensspenden an wissenschaftliche Einrichtungen und
Bildungseinrichtungen nicht streichen,
({1})
sondern die wird es weiterhin geben.
({2})
Ich weise darauf hin, dass wir im Augenblick Fragen
zu dem Themenbereich, der heute angemeldet ist, stellen.
Als Nächste bitte die Kollegin Grietje Bettin.
Frau Ministerin, können Sie mir schon etwas sagen
zum Verteilungsschlüssel für die 4 Milliarden Euro, die
jetzt zum Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfügung gestellt werden sollen? Ist diese Verteilung auch an pädagogische Konzepte geknüpft oder erfolgt die Vergabe dieser
Gelder nach einem bestimmten Schlüssel? Wie ist die Planung bisher?
Ich habe immer darauf hingewiesen, dass die Verteilung dieser Mittel daran geknüpft ist, dass erstens ein
pädagogisches Konzept vorliegt und zweitens dadurch
auch ein zusätzliches Ganztagsangebot geschaffen wird.
Das sind die beiden wichtigen Kriterien.
Erstens. Die Umsetzung liegt in der Hand der Länder.
Die Länder müssen und werden das pädagogische Konzept verantworten. Es ist völlig klar, dass eine Ganztagsschule natürlich ein pädagogisches Konzept erfordert und
dass wir dieses auch fördern.
Zweitens. Der Verteilungsschlüssel wird nach unserem
Vorschlag so aussehen, dass die Zahl der Schülerinnen
und Schüler in der Grundschule und in der Sekundarstufe I zugrunde gelegt werden sollte. Weil das der objektiv gerechteste Schlüssel ist, haben wir ihn zugrunde gelegt. In unserem Angebot an die Länder wird auch dieser
Schlüssel angeboten.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Marion Seib.
Im Zusammenhang mit dieser OECD-Studie und als
einzige Reaktion auf PISA haben Sie - das haben Sie
heute wieder betont; gerade eben haben Sie der Kollegin,
die danach fragte, eine Antwort gegeben - das 4-Milliarden-Euro-Programm für die Ganztagsschulen angeboten.
({0})
Seit dem Haushaltsentwurf 2003 ist aber klar, dass mit
diesem Programm nur die Investitionen gefördert werden
sollen. Das heißt, die Länder und die Kommunen bleiben
auf den Sach- und den Personalkosten sitzen. Ich habe
deshalb die folgenden Fragen:
Erstens. Wann beabsichtigt die Bundesregierung, den
Ländern ein ganz konkretes - und zwar schriftliches - Angebot für die Ausstattung der Ganztagsschulen zu unterbreiten?
Zweitens. Welche genauen Bedingungen sollen daran
geknüpft sein? Wir haben eben gehört, dass Sie von den
Ländern ein pädagogisches Konzept verlangen. Wer beurteilt dieses pädagogische Konzept?
Drittens. Wird der Schlüssel, den Sie eben auf die
Schülerzahl bezogen haben, tatsächlich eingehalten bzw.
welchen Einfluss hat das pädagogische Konzept noch auf
die Verteilung der Mittel, wenn Sie den Schlüssel nur auf
die Schülerzahl beziehen?
Liebe Kollegin, Sie selbst haben gerade unterstrichen, wie notwendig und wie wichtig es ist, dass das,
was man lernt, in unterschiedlichen Zusammenhängen
wiederholt wird.
({0})
Wir bieten nicht nur eine einzige Maßnahme an; vielmehr schlagen wir - ich betone das seit Frühjahr dieses
Jahres immer wieder; ich habe das auch hier, im Bundestag, schon mehrfach geäußert - fünf Schritte vor.
Erstens. Wir stärken mit einem pädagogischen Konzept die Ganztagsschule, um eine bessere individuelle
Förderung zu erreichen. Die Ganztagsschule muss zu einer wichtigen Säule im Schulsystem werden.
Zweitens. Dazu gehört die Entwicklung von bundesweiten, präzisen und prägnanten Bildungsstandards, damit jeder weiß, wohin er muss und wohin er kommen soll.
Das ist nämlich immer und an jeder Stelle wichtig und
richtig. Das gilt sowohl für Schüler als auch für Lehrer als
auch für Eltern - für Politiker natürlich auch.
Drittens. Ich habe eine regelmäßige nationale Evaluierung unserer Bildungseinrichtungen vorgeschlagen.
Dabei denke ich auch an Bildungsvergleiche. Ich will
nämlich nicht, dass wir auf Dauer auf internationale
Untersuchungen angewiesen sind.
Viertens. Daher wollen wir eine nationale Bildungsberichterstattung.
Fünftens. Ich habe den Ländern vorgeschlagen - das
haben wir bereits beschlossen -, ein gemeinsames Programm zur Verbesserung des Unterrichts umzusetzen. Die
PISA-Studie weist nämlich darauf hin, dass wir genau an
diesem Punkt erhebliche Mängel und Schwächen haben.
Die Schwerpunkte dessen, was wir diesbezüglich vorhaben, habe ich bereits vorhin genannt.
Zu Ihrer Frage: Wir, die Bundesregierung, haben den
Ländern vorgeschlagen, dass wir 4 Milliarden Euro einsetzen, um ein flächendeckendes Ganztagsschulangebot mit
der Zielsetzung der individuellen Förderung sicherzustellen. Wir fordern dafür ein pädagogisches Konzept
ein. Wie ich bereits vorhin ausgeführt habe, liegt es in der
Verantwortung der Länder, dieses pädagogische Konzept
zu überprüfen und sicherzustellen, dass es qualitativ gut ist.
({1})
Völlig klar ist aber: Wir wollen diese Mittel nicht dafür
einsetzen, dass allein ein warmes Mittagessen sichergestellt ist; deshalb fordern wir ein pädagogisches Konzept
an. Die Länder müssen dieses Konzept verantworten, so
wie es auch in anderen Bereichen geregelt ist.
({2})
Die nächste Frage stellt der Kollege Ernst Dieter
Rossmann.
Frau Ministerin, Sie haben Ihre Ideen zur Verbesserung
des Unterrichts angesprochen. Ich möchte Sie nach dem
Zusammenhang zwischen dem Handlungsfeld „BundLänder-Programme“ und dem Handlungsfeld „Stiftung
Bildung und Erziehung“ fragen. Wo wollen Sie dort jeweils verschiedene Akzente setzen? Wie sollen die beiden
Handlungsfelder zusammenfließen?
Wir haben vor, eine „Stiftung Bildung und Erziehung“
ins Leben zu rufen. An dieser Stiftung sollen sich unserer
Zielsetzung nach auch Private beteiligen können, weil
Bildung - ich habe es bereits am Anfang gesagt - eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Diese Stiftung sollte unseren Überlegungen nach zum
Beispiel die Möglichkeit haben, gegenüber Schulen, die
gern ein neues Unterrichtskonzept umsetzen möchten, für
das sie eine finanzielle Unterstützung brauchen, als Ansprechpartner, aber auch als Förderer aufzutreten.
Das ist sozusagen der Bottom-up-Weg, wie es so schön
heißt. So haben die einzelnen Einrichtungen selber die
Möglichkeit, Finanzierungshilfen zu erhalten, wenn sie
ein überzeugendes Konzept haben, das zügig und schnell
aufgegriffen, umgesetzt und erprobt werden kann. Es
muss ja auch die Möglichkeit vorhanden sein, hiermit Erfahrungen zu sammeln.
Die nächste Frage bitte vom Kollegen Christoph
Bergner.
Frau Ministerin, Sie haben bei Ihren Ausführungen
einmal mehr darauf hingewiesen, dass Sie in der Einführung von Ganztagsschulen einen Weg zur Überwindung der Bildungsdefizite sehen, die die OECD-Studie
ausweist. Nun ist jedem, der sich einmal in der Schulpraxis mit der Umsetzung von Ganztagsschulkonzepten beschäftigt hat, bekannt, dass sich hinter dem Begriff Ganztagsschule zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze
verbergen können.
Bei dem einen versteht man darunter eine Betreuungseinrichtung ergänzend zu einer üblichen Halbtagsschule;
die Schule nähme also unter ihrem Dach Betreuungsangebote im Sinne des Kinder- und Jugendhilfegesetzes
wahr. Diese wären fakultativ, die Teilnahme wäre also in
keiner Weise obligatorisch.
Der andere Ansatz - auf den müssten Sie verweisen,
wenn Ihnen beispielsweise das finnische Modell vorschwebt - sieht eine ganztägige Betreuung im Sinne einer
Unterrichtsbetreuung vor. Das hätte zwangsläufig eine
Ausweitung der Schulpflicht zur Folge.
Ich bedauere etwas, dass Sie bei Ihren Verweisen auf
die Ganztagsschulen bisher in diesem, für mich entscheidenden Punkte eine Präzisierung vermissen lassen. Deshalb möchte ich Sie fragen, welcher der von mir genannten Typen aus Ihrer Sicht eine Überwindung der
Bildungsdefizite in Deutschland verspricht.
Sie wissen, dass die Zuständigkeit für die Schulen bei
den Ländern liegt.
({0})
Wir machen aber in Form der fünf Punkte, die ich genannt
habe, den Ländern ein Angebot, um in einem gemeinsamen Kraftakt unser Bildungssystem zu verbessern. Das
halte ich auch für notwendig, weil wir erreichen müssen,
dass wir in zehn Jahren wieder zu den Nationen mit der
besten Bildung gehören. Das werden wir nicht in ein oder
zwei Jahren schaffen, aber innerhalb von zehn Jahren
müssen wir es schaffen. Das Ganztagsschulangebot ist bei
diesem Vorhaben eine wichtige Säule - neben den anderen, die ich genannt habe. Dazu gehört sozusagen als
sechste Säule auch noch die Veränderung der Lehrerausbildung und die Lehrerfortbildung.
Die Ganztagsschule ist in Finnland so organisiert, dass
dort Personal mit unterschiedlichen Kompetenzen einbezogen wird. Das auch in Deutschland so zu machen halte
ich für sinnvoll und richtig. Ich sage ausdrücklich: Eine
Ganztagsschule ist keine Schule im traditionellen Sinne,
wo die bisherigen 45-minütigen Unterrichtsstunden zum
Teil einfach bis in den Nachmittag verlängert werden.
Hier soll auch viel stärker projektorientiert gearbeitet
werden und den musischen Fächern wieder ein höherer
Stellenwert zukommen. Ich halte es beispielsweise für
richtig, dass ein Kind die Möglichkeit hat, in der Schule
ein Musikinstrument zu erlernen. Das ist im üblichen Unterrichtsstundenrahmen im Augenblick schwer unterzubringen.
Mir ist es deshalb wichtig, deutlich zu machen, dass
eine Ganztagsschule eine Schule ist, in der Begabungen
und Fähigkeiten von Kindern besser gefördert werden.
Dafür brauchen wir Lehrerinnen und Lehrer, aber auch
Menschen mit anderen Kompetenzen und Fähigkeiten.
Diese Aufgabe, die ich für sehr wichtig halte, haben wir
gemeinsam mit den Ländern, Städten und Gemeinden zu
meistern, damit wir hier Fortschritte und Erfolge erzielen.
Da wir zu diesem Themenbereich nur noch einen Fragesteller haben, kann ich jetzt eine weitere Frage von Ihnen zulassen.
Bitte schön, Herr Kollege Bergner.
Frau Ministerin, die für mich entscheidende Frage - es
tut mir Leid, das sagen zu müssen - ist nach wie vor nicht
beantwortet. Wenn die Ganztagsschule ein wirkungsvolles Instrument zur Überwindung von Bildungsdefiziten
sein soll, dann kann man nicht der Frage ausweichen, welcher Typus von Ganztagsschule gemeint ist. Deshalb
möchte ich meine Frage gern noch einmal präzisieren:
Meinen Sie, dass die flächendeckende Einführung der
Ganztagsschule mit einer Ausweitung der Schulpflicht
verbunden sein muss, damit sie zur Überwindung der Bildungsdefizite beiträgt?
Ich habe vorhin gesagt, dass die Ganztagsschule als
eine Angebotsschule organisiert werden soll. Das werden
die Länder sicherlich entsprechend umsetzen. Es soll also
keinen Zwang geben, sondern ein Angebot, das von den
Familien genutzt werden kann. Ich bin davon überzeugt,
dass viele das Angebot nutzen werden; denn diese Ganztagsschulen werden eine bessere individuelle Förderung
der Kinder ermöglichen. Ich bin nicht der Auffassung,
dass man das mit einer so starren Definition machen kann,
wie das Ihre Frage nahe legt. Sie werden wissen, dass wir
in Deutschland nicht einmal eine einheitliche Definition
für Ganztagsschulen haben. Die KMK ist erst jetzt dabei,
eine verbindliche einheitliche Definition zu erarbeiten.
Wenn Sie erfolgreich organisierte Ganztagsschulen sehen wollen, bitte ich Sie, einen Blick in die Ausarbeitung
des Forums Bildung zu werfen. Wir haben in den vergangenen vier Jahren gemeinsam mit den Ländern, mit den
Sozialpartnern, mit Wissenschaftlern und mit in der
Schule Tätigen herausragende Schulen identifiziert und
vorgestellt. Jeder kann sich dort anschauen, wie ein guter,
erfolgreicher Ganztagsschulbetrieb praktiziert wird und
was dort geleistet wird.
Ich hoffe, dass alle die sich bietenden Möglichkeiten
nutzen. Wie gut eine Ganztagsschule arbeitet, hängt
natürlich auch sehr stark von den Lehrern ab, die dort tätig
sind, und von den Eltern. Deshalb kommt es darauf an, sie
dafür zu gewinnen und davon zu überzeugen. Ich bin der
Auffassung, dass ein solches Best-practice-Beispiel viel
überzeugender ist als abstrakte, blutleere theoretische Definitionen. Darum sollte man darauf schauen.
Die letzte Frage in dieser Regierungsbefragung hat der
Kollege Hartwig Fischer.
Frau Ministerin, Sie haben eben erklärt, dass die Voraussetzung für die Förderung Konzepte seien, die die
Länder Ihnen vorlegen. Vor diesem Hintergrund frage ich
Sie, ob bei den Konzepten auch die Unterrichtsversorgung eine Rolle spielt. In Niedersachsen zum Beispiel hat
sich die Schüler-Lehrer-Relation seit 1990 um 19 Prozent
verschlechtert
({0})
und gegenüber 1990 wird 12 Prozent weniger Unterricht
erteilt.
({1})
Lieber Herr Kollege, erstens hat sich die Unterrichtsversorgung in Niedersachsen in den letzten Jahren deutlich verbessert.
({0})
Ich weise nur darauf hin, dass Niedersachsen eines der
ersten Bundesländer ist, die die verlässliche Grundschule
eingerichtet haben,
({1})
wodurch die Eltern sicher wissen, dass ihr Kind nicht vor
13 Uhr womöglich vor der verschlossenen Haustür steht.
Die Sicherheit, die dadurch geschaffen worden ist, ist von
der Sache her notwendig.
Aber ich will zweitens noch einmal auf den anderen
Punkt eingehen. Wir fordern in unserem Vorschlag ein
pädagogisches Konzept. Die Länder sind diejenigen, die
das pädagogische Konzept überprüfen und es auch verantworten müssen. Die Länder haben die Verantwortung
für die Schulpolitik. Deshalb sind sie es, die das pädagogische Konzept prüfen und qualitativ verantworten müssen. Wir fordern den Ländern lediglich ab, dafür Sorge zu
tragen, dass ein solches pädagogisches Konzept vorliegt.
Eine kurze Zusatzfrage.
Wird die Unterrichtsversorgung in den einzelnen Bundesländern für Sie bei der Beurteilung des pädagogischen
Konzepts eine Rolle spielen?
Die Länder beurteilen das pädagogische Konzept.
({0})
- Ich habe ja vorhin gesagt, dass die Länder das pädagogische Konzept der Schule prüfen und dass sie es auch
verantworten müssen. Ich gehe davon aus, dass die Frage
der Unterrichtsversorgung für die Länder ein wichtiger
Gesichtspunkt ist.
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Damit beende ich die Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/20 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, fraktionslos, auf:
Welche konkreten diplomatischen Schritte - bilateral oder im
Rahmen der EU - plant die Bundesregierung angesichts der guten
persönlichen Beziehungen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder
zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, um die russische Regierung zu einer politischen Lösung des Tschetschenien-Konfliktes zu bewegen?
Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung drängt
- bilateral und gemeinsam mit ihren EU-Partnern - im
Dialog mit Russland seit Jahren darauf, eine politische
Lösung des Tschetschenien-Konflikts zu suchen. Die
Bundesregierung wird diese Politik auch bei künftigen
Begegnungen mit der russischen Seite auf allen Ebenen
fortsetzen.
Frau Kollegin, Ihre Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, dass eine politische Lösung
des Tschetschenien-Konflikts nur unter Berücksichtigung
der Ausgangslage des Jahres 1991, als Tschetschenien
verfassungsgemäß aus der Russischen Föderation ausgetreten ist, erreichbar ist?
Frau Kollegin, es ist Sache der beteiligten Konfliktparteien, in politischen Gesprächen miteinander eine Lösung
für die Zukunft Tschetscheniens zu finden.
Für den Weg dorthin orientiert sich die Haltung der
Bundesregierung an folgenden Prinzipien: Sie orientiert
sich zum Ersten an der Anerkennung der territorialen Integrität Russlands und zum Zweiten an dem gemeinsamen
Kampf gegen den Terrorismus. Zum Dritten sind russische Menschenrechtsverletzungen, aber auch Verbrechen
und Vergehen durch Terroristen und tschetschenische Rebellen für uns nicht hinnehmbar. Zum Vierten muss der
ungehinderte Zugang für Organisationen, die humanitäre
Hilfe leisten, gewährleistet sein.
Frau Kollegin, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Ausgehend von
dieser Beantwortung möchte ich gerne wissen, ob Sie den
Tschetschenien-Konflikt als innere Angelegenheit Russlands betrachten und - wenn ja - nach welchen Kriterien
Konflikte als innere Angelegenheit von Ländern betrachtet werden und nach welchen nicht.
Frau Kollegin, ich hatte Ihnen vorhin die Kriterien genannt, an denen sich die Bundesregierung orientiert. Dazu
gehört unter anderem die Anerkennung der territorialen
Integrität.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das bereits jahrelang mit überaus unverhältnismäßiger Härte auch gegenüber der
Zivilbevölkerung praktizierte Vorgehen der russischen Streitkräfte in Tschetschenien - das in anderen Fällen zum Anlass genommen wurde, seitens der NATO militärisch zu intervenieren mit den Pflichten des Europaratmitgliedes Russland hinsichtlich
der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Konvention zum Schutz von nationalen Minderheiten im Einklang steht?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Lötzsch, Bundesminister Fischer hat unter anderem vor der Genfer Menschenrechtskommission am
20. März dieses Jahres erklärt, dass die Bundesregierung
das gewaltsame Vorgehen der Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien für inakzeptabel und mit
europäischen und VN-Normen nicht vereinbar hält.
Die Russische Föderation hat die Europäische Menschenrechtskonvention am 5. Mai 1998 und das Rahmenübereinkommen Nr. 157 zum Schutz nationaler Minderheiten am 21.August 1998 ratifiziert. Sie hat damit alle
Pflichten, die sich aus dem System des Menschenrechtsschutzes des Europarats ergeben, übernommen.
Die sehr hohe Zahl der gegen die Russische Föderation
in den letzten drei Jahren eingelegten Individualbeschwerden ist Grund für besondere Aufmerksamkeit. Es ist davon
auszugehen, dass viele dieser Beschwerden mit dem
Tschetschenien-Konflikt zusammenhängen. Erste Urteile
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in
Verfahren gegen die Russische Föderation könnten bis
Ende 2003 vorliegen. Die Bundesregierung will dem Ausgang dieser Verfahren nicht vorgreifen.
Die Bundesregierung setzt sich aktiv für die Einhaltung der Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und für die Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein und wird
die weitere Arbeit der Gremien des Europarats aufmerksam verfolgen.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Wie beurteilt die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Vorgehen
der russischen Seite bei der Befreiung der Geiseln im
Theater Nord-Ost und die Exekution bewusstloser Geiselnehmer anstelle ihrer Festnahme und Ladung vor ein Gericht?
Vizepräsidentin Susanne Kastner
Frau Kollegin, ich glaube, Entscheidungen wie diejenigen, die bei einer solchen Geiselnahme zu treffen sind,
gehören zu den schwierigsten, die Politikerinnen und Politiker zu treffen haben. Denn es handelt sich bei einer solchen Aktion immer um eine Abwägung zwischen der Rettung von Menschenleben - immerhin waren rund
800 Geiseln in der Gewalt der Geiselnehmer - und der
möglichen Gefährdung von Menschenleben. Ich glaube
nicht, dass es uns zusteht, die Entscheidung für die Befreiungsaktion hier zu kritisieren.
Auch wenn Sie sagen, es stehe der Bundesregierung
nicht an, solches Vorgehen zu kritisieren, möchte ich fragen: Gibt es Gespräche zwischen der Bundesregierung
und der russischen Seite über das Vorgehen in diesem Fall
und gibt es Fragen nach dem Einsatz des Kampfgases?
Frau Kollegin, selbstverständlich gibt es laufend intensive Kontakte mit der russischen Seite.
Es liegen für diesen Geschäftsbereich keine weiteren
Fragen vor. Deswegen schließe ich den Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes und bedanke mich bei Staatsminister Hans Martin Bury für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Ernst Hinsken,
CDU/CSU-Fraktion, auf:
Mit welcher Begründung bewertet die Bundesregierung die
deutsche Erbschaftsteuergesetzgebung als nicht „ursächlich für
eine etwaige Unschlüssigkeit der Erben mittelständischer Betriebe“ ({0}), obwohl immer mehr Mittelständler unschlüssig sind, ob sie ihr Erbe überhaupt antreten
und die Betriebe weiterführen sollen, und was gedenkt sie dagegen zu unternehmen?
Bitte schön, Frau Staatssektretärin.
Herr Kollege Hinsken, das Erbschaftsteuergesetz enthält für denjenigen, der einen geerbten Betrieb fortführt,
erhebliche Erleichterungen. Zu nennen sind hier unter anderem: ein Freibetrag von 256 000 Euro; ein Bewertungsabschlag vom Gesamterbe von 40 Prozent - bevor
dieser Freibetrag überhaupt ansetzt! -; die Besteuerung in
der günstigen Steuerklasse I, und zwar unabhängig vom
Verwandtschaftsgrad des Erbers, und die Möglichkeit der
zinslosen Stundung der Erbschaftsteuer, sofern sie überhaupt anfällt, für die Dauer von zehn Jahren.
Deshalb kann das geltende Erbschaftsteuerrecht keinesfalls Ursache dafür sein, das Erbe eines Betriebsvermögens nicht antreten und einen mittelständischen Betrieb nicht fortführen zu wollen. Dies müsste andere
Gründe haben.
Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin
Hendricks, warum war Ihr Kollege Diller nicht in der
Lage, mir eine solche Antwort zu geben? Ist es diesem
vielleicht egal, dass bis zum Jahr 2004 380 000 Betriebsübergaben anstehen? Mindestens die Hälfte dieser Betriebsinhaber weiß noch nicht, wer den Betrieb weiterführen wird. Die Bereitschaft dazu ist überhaupt nicht
mehr vorhanden, weil die steuerliche Belastung sehr
hoch, ja, erdrückend ist und man sich sagt: Anderweitig
komme ich besser über die Runden.
Zunächst, Herr Kollege Hinsken: Ich kenne das Schreiben, das Ihnen Kollege Diller in meiner Abwesenheit - und
damit gewissermaßen als mein Vertreter - geschickt hat.
Ich bitte darum, Herrn Kollegen Diller von irgendeiner
Schuld freizusprechen. Er war natürlich in der Lage, Ihnen
eine vernünftige Antwort zu geben.
({0})
Gleichwohl waren Sie mit der Antwort nicht zufrieden;
das ist Ihr gutes Recht. Deshalb haben Sie hierzu eine
Frage gestellt.
Wir alle wissen um die große Zahl der Betriebe, deren
Übergabe ansteht. Sie haben gerade von einer Zahl von
380 000 gesprochen. Wir alle kennen das Problem aus unseren Wahlkreisen.
Da sind aber nicht nur Fragen des Erbschaftsteuerrechts zu klären. Es gibt sehr viele Betriebsinhaber, die
zwar Kinder haben, die aber den elterlichen Betrieb - aus
welchen Gründen auch immer - nicht fortführen wollen.
Auch gibt es Betriebsinhaber, die keine Erben haben und
sich deswegen jemanden suchen, der ihren Betrieb käuflich erwirbt. Das ist natürlich nicht immer einfach, weil
derjenige, der einen Betrieb veräußert, aus dem Erlös für
sein Alter vorsorgen möchte, was sein gutes Recht ist.
Er wird also einen Käufer suchen. Das hat aber mit dem
Erbschaftsteuerrecht überhaupt nichts zu tun; denn vererben kann man natürlich auch an Nichtverwandte, aber
dann gibt man den Betrieb ja kostenfrei ab. Ein Betriebsinhaber möchte natürlich, sofern er keine nahen Verwandten hat, seinen Betrieb lieber verkaufen, als ihn kostenfrei an irgendeinen Betriebsfremden abzugeben. Er
wird ihn also veräußern. Da erfüllen sich nicht immer alle
Wünsche der Betriebsveräußerer; denn es ist in der Tat
nicht so einfach, einen Betrieb zu erwerben und den dafür
notwendigen Schulden- und Zinsendienst zu leisten, der
wesentlich höher ist als jede denkbare Zahlung der Erbschaftsteuer.
Die Erbschaftsteuer, so wie sie in der Bundesrepublik
Deutschland besteht und ich sie Ihnen gerade dargestellt
habe, ist gerade im Hinblick auf Betriebsvermögen außerordentlich niedrig. Sie kann kein Hindernis für die Fortführung eines Betriebes sein.
Wir haben - denn diese Frage wird häufig gestellt - bei
den Landesfinanzverwaltungen nachgefragt: Es gibt bisher keinen einzigen aktenkundigen Fall dahin gehend,
dass ein Betrieb etwa wegen Zahlens der Erbschaftsteuer
in Konkurs gegangen ist.
Herr Kollege Hinsken, Ihre zweite Zusatzfrage bitte.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass in einem
Großteil der EU-Staaten die Erbschaft- und Schenkungsteuer gestrichen worden ist? In etlichen Ländern hat man
entsprechende Veränderungen vorgenommen, um Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Betriebe vermehrt übernommen werden.
Deshalb die Frage an Sie: Meinen Sie nicht auch, dass
es dringend erforderlich wäre, Nachbesserungen bzw.
Korrekturen in der Richtung vorzunehmen, die ich gerade
angesprochen habe, damit der Einzelne stärker bereit ist,
in die Selbstständigkeit zu gehen bzw. selbstständig zu
bleiben, wenn er den Betrieb der Eltern übernehmen kann
oder er die Möglichkeit hat, bei einem Verwandten oder
Bekannten einzusteigen?
Wir sprechen von Erbe und Erbschaftsteuer; das möchte
ich noch einmal deutlich machen. Ich kenne nicht viele Betriebsinhaber, die ihren Betrieb Bekannten vererben wollen; an Bekannte wollen sie ihn veräußern. Die meisten
wollen an Verwandte, am liebsten an relativ nahe Verwandte - manchmal auch an Neffen oder Nichten -, vererben. Ich kenne nur sehr wenige, die ihren Betrieb Bekannten vererben wollen, also ohne einen Veräußerungserlös zu
erzielen.
({0})
Dieser Fall entspricht nicht der nahen Lebenswirklichkeit.
Wir reden also von Verwandten, von Kindern oder von
Verwandten zweiten Grades, zum Beispiel Nichten oder
Neffen. Sie könnten infrage kommen, einen Betrieb fortzuführen. Im Rahmen der Erbschaftsteuer werden sie alle
wie Nachkömmlinge ersten Grades behandelt; es wird
also nicht auf den Verwandtschaftsgrad geachtet. Selbst
ein Fremder würde hier wie ein Kind behandelt.
Ich sage es noch einmal: Zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer wird das Betriebsvermögen grundsätzlich um 40 Prozent reduziert.
Dies bezieht sich auf alle Anteile des Betriebsvermögens,
auch auf Kapitalvermögen. Es ist eigentlich eine seltsame
Vorstellung, dass 10 Millionen Euro, sobald sie in das Betriebsvermögen übergehen, für die Erbschaftsteuer nur
noch 6 Millionen Euro wert sind. Das stellt eine erhebliche Vergünstigung dar. Dazu gibt es übrigens schon einen
Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes an das Bundesverfassungsgericht; der Bundesfinanzhof hält die Begünstigung des Betriebsvermögens für zu umfangreich.
Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung
keinerlei Veranlassung, die Vergünstigungen des bestehenden Erbschaftsteuerrechts bei der Vererbung von Betriebsvermögen noch stärker auszuweiten.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die Frage des Kollegen Hinsken gesagt, dass es bei der
Erbschaftsteuer erhebliche Vergünstigungen gebe, wenn
ein Betrieb übernommen wird, und Sie sähen nicht die
von Herrn Hinsken angesprochene Problematik. Führen
Sie nicht die rapide Abnahme der Zahl von Unternehmen
auf die Steuerbelastungen zurück, also auch auf die Doppelbesteuerung in Verbindung mit der Erbschaftsteuer?
Und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang Ihre
neuesten Steuererhöhungspläne, die eine unbegrenzte Besteuerung von Gewinnen aus Wertpapier- und Immobilienverkäufen vorsehen? Dies würde neben der Erbschaftsteuer eine zusätzliche große Belastung bedeuten.
Herr Kollege Michelbach, ich sehe diesen von Ihnen
hergestellten Zusammenhang nicht. Ich weise auch den
Begriff der Doppelbesteuerung zurück. Selbstverständlich
werden betriebliche Gewinne, sofern sie anfallen, versteuert. Ein Erbfall ist ein eigener steuerlicher Tatbestand,
der für sich gesehen wird und neu zu bewerten ist. Zudem
fällt die Erbschaftsteuer nicht beim bisherigen Betriebsinhaber an, der die betrieblichen Gewinne bis dahin versteuert hat, sondern beim Nachfolger, der den Betrieb kostenfrei erworben hat, ihn also nicht kaufen muss wie
andere junge Menschen, die sich selbstständig machen
wollen. Es gibt also überhaupt keinen Grund, hier von einer Doppelbesteuerung zu reden. Es sind zwei verschiedene Sachverhalte.
Zum anderen weise ich darauf hin, dass die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen natürlich schon Gegenstand unseres Steuerrechts war, wenn auch mit Fristen.
Auch in Zukunft wird es so sein, dass bei demjenigen, der
einen Betrieb geerbt hat - nur hier kann ich einen Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Hinsken sehen -, bei
einer späteren Veräußerung der Wert des Betriebes zu dem
Zeitpunkt des Erbantritts berücksichtigt wird.
Wir kommen damit zur Frage 4 des Abgeordneten
Ernst Hinsken:
Wird die Bundesregierung, da sie bisher über keine Übersicht
zu den steuerlichen Regelungen des Unternehmenserbes im Mittelstand in den EU-Mitgliedstaaten verfügt - vergleiche Antwort
des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der
Finanzen, Karl Diller, vom 25. Oktober 2002 auf meine schriftlichen Fragen mit den Arbeitsnummern 17 und 18 für den Monat
Oktober 2002 -, diese Informationen einholen, um zu prüfen, welches System für Deutschland als Vorbild dienen könnte, und wenn
ja, bis wann?
Die Bundesregierung sieht angesichts der für Betriebsvermögen in Deutschland bereits bestehenden Erleichterungen - ich habe sie eben geschildert, Herr Kollege
Hinsken - derzeit keine Veranlassung, einen Rechtsvergleich über die Erbschaftsteuer für die Betriebsnachfolge
in den EU-Mitgliedstaaten durchzuführen. Zu bedenken
ist auch, dass in den EU-Mitgliedstaaten zum Teil sehr unterschiedliche Systeme für Erbrecht und Erbschaftsteuer
bestehen. So gibt es in anderen Ländern zum Beispiel eine
Nachlasssteuer oder eine Erbanfallsteuer. Somit wäre ein
Rechts- und Belastungsvergleich sehr schwierig.
Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin Hendricks, halten Sie es denn für
richtig und ist es nicht mehr als mager, wenn Ihr Kollege
Diller - ich nehme ihn hier in die Verantwortung, weil er
das unterschrieben hat - mir auf die Frage: „Wie ist in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Unternehmenserbe im Mittelstand steuerlich geregelt und welches
System könnte für Deutschland als vorbildlich dienen?“
antwortet: „Die Bundesregierung hat keine Übersicht darüber, wie in den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Unternehmenserbe im Mittelstand steuerlich geregelt ist.“ Haben Sie in Ihrem Haus überhaupt
eine Abteilung, die sich solchen Sachen widmet? Wenn
der Wissenschaftliche Dienst, an den ich mich in der
Folge gewandt habe, in der Lage ist, mir innerhalb von
sechs Tagen die Antworten zu liefern, die das Bundesfinanzministerium zu liefern nicht in der Lage war, dann ist
das doch ein Armutszeugnis für Sie. Sind Sie deshalb
bemüht, insofern möglichst schnell für Abhilfe zu sorgen,
sodass in Zukunft Abgeordnete auf vernünftig gestellte
Fragen auch ausreichende Antworten bekommen?
({0})
Herr Kollege Hinsken, Sie haben selbstverständlich
immer das Recht, Fragen an die Bundesregierung zu stellen. Die Bundesregierung wird, wie schon in der Vergangenheit, auch in Zukunft immer bemüht sein, Ihnen rasch
Antworten zu geben. Allerdings ist die Bundesregierung
auch berechtigt, den Aufwand für die Beantwortung von
Fragen in einem angemessenen Rahmen zu halten. Dies
entspricht der Geschäftsordnung.
Herr Kollege Hinsken, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin Hendricks, Sie sind mir persönlich
sehr sympathisch. Ich weiß, dass ich heute mit Ihnen die
Falsche treffe. Mir wäre es lieber, Ihr Kollege stünde hier.
Aber dennoch die Fragen: Sind auch bei Ihnen schon Besorgnis erregende Briefe eingegangen, wie ich sie vorhin genannt habe, in denen also gesagt wird: „Wir wollen nicht
übernehmen, weil die steuerliche Belastung so hoch ist.“
Was halten Sie von Forderungen verschiedener Wirtschaftsverbände, aber auch politischer Organisationen, nach denen
das Betriebsvermögen von der Erbschaftsteuer freigestellt
werden soll, wenn der Nachfolger den Betrieb mindestens
zehn Jahre weiterführt, die Erbschaftsteuer zunächst gestundet, dann Jahr für Jahr reduziert und nach Ablauf dieser
Zeit völlig erlassen werden soll?
({0})
Herr Kollege Hinsken, ich verstehe natürlich solche
Wünsche von Interessenverbänden. Jeder würde immer
lieber weniger Steuern zahlen, als er zahlen soll. Ich habe
Ihnen aber schon gesagt, dass es bereits eine großzügige
Regelung für die Erbschaftsteuer, nämlich die zinsfreie
Stundung für die Dauer von zehn Jahren, gibt.
Ich möchte noch auf die erste Frage eingehen. Bei mir
sind bis jetzt keine Briefe eingegangen, in denen stand:
Ich bin unschlüssig, ob ich das Erbe meiner Eltern antreten soll, weil mir die Erbschaftsteuer zu hoch ist. - Briefe
solchen Inhalts oder auch mit vergleichbaren Formulierungen hat es nach meiner Kenntnis im Bundesfinanzministerium noch nicht gegeben. Wenn ich einen solchen
Brief erhielte, würde ich am konkreten Fall demjenigen,
der Bedenken hat, nachweisen können, dass eine solche
Unschlüssigkeit unbegründet wäre.
({0})
Herr Kollege Michelbach, ich erteile Ihnen das Wort zu
einer Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass Ihnen
diese Stundungsregelung nicht bekannt ist. Ist Ihnen nicht
bekannt, dass es ein so genanntes englisches Modell gibt,
das in Großbritannien die Fortführung von mittelständischen Betrieben sehr begünstigt, indem für die Erbschaftsteuer Stundung und bei einer Fortführung des Betriebs über zehn Jahre sogar Erlass gewährt wird, und das
sich für die Arbeitsplatzsicherung und die Erhaltung von
Betrieben sehr bewährt hat? Warum können Sie sich eine
steuerliche Regelung wie in Großbritannien nicht auch in
Deutschland vorstellen?
Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal die
Frage stellen: Sehen Sie nicht ein - wenn Sie schon nicht
einräumen, dass es sich bei der Erbschaftsteuer um eine
Doppelbesteuerung handelt -, dass es sich bei der Erbschaftsteuer zumindest um eine Substanzbesteuerung
handelt? Denn die Vermögenszuwächse, die für die Betriebe wichtig sind, werden ja noch einmal besteuert, obwohl sie schon vorher vom Erblasser versteuert worden
sind.
Herr Kollege Michelbach, das von Ihnen angesprochene englische Modell - das möchte ich gerne einräumen - war mir so nicht bekannt. Ich kann aber verstehen,
dass es ein solches Modell in Großbritannien gibt. Dort
scheint es auch notwendig zu sein, weil die Erbschaftsteuersätze etwa viermal so hoch sind wie in der
Bundesrepublik Deutschland. Bezogen auf das Betriebsvermögen ist die Erbschaftsteuer in Großbritannien bei
allgemeinem Erbanfall im Vergleich zur Bundesrepublik
Deutschland sogar noch höher als der vierfache Satz,
wenn ich mich richtig erinnere. Wenn also die Erbschaftsteuer so hoch wie in Großbritannien ist, dann wird
man das Betriebsvermögen besonders schützen müssen.
Dies tun wir in der Bundesrepublik Deutschland, wie
ich anfangs ausgeführt habe, durch die besondere Begünstigung des Betriebsvermögens beim Erbanfall, und zwar
durch einen 40-prozentigen Bewertungsabschlag, durch
die Regelung, dass jeder Erwerber die günstigste Steuerklasse erhält, und durch einen Freibetrag von mehr als
250 000 Euro für den Ersterwerber. Bei einem normalen
Betriebsvermögen zum Beispiel in der Größenordnung
von 3,5 Millionen Euro, das an eine Ehefrau und zwei
Kinder vererbt wird, fällt - ich betone das - keine Erbschaftsteuer an. Auch bei größeren Vermögen sind die
Erbschaftsteuersätze äußerst moderat. Deshalb brauchen
wir in Deutschland keine besondere Regelung wie in
Großbritannien.
Eine weitere Frage vom Kollegen Koschyk.
Frau Staatssekretärin, nach der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, auf die der
Kollege Hinsken vorhin abgehoben hat, ist in Großbritannien die Regelung so, dass mittelständische Betriebe völlig von der Erbschaftsteuer ausgenommen sind. Würden
Sie vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis des Wissenschaftlichen Dienstes bei möglichen Neuregelungen
durch die Bundesregierung nicht doch dem englischen
Modell näher treten wollen?
Herr Kollege Koschyk, Sie haben nicht gesagt, wie die
allgemeinen Bedingungen in Großbritannien aussehen.
Sie haben lediglich behauptet, die Betriebe in Großbritannien seien völlig von der Erbschaftsteuer ausgenommen, wenn sie für eine bestimmte Zeit fortgeführt würden. Dies mag so sein, wobei allerdings auch noch die
Abgrenzungsfrage interessant ist, was also in Großbritannien als Betriebsvermögen und was als Privatvermögen
bewertet wird. Gerade vor diesem Hintergrund warne ich
davor, die Ergebnisse kurzsichtiger Rechtsvergleiche für
bare Münze zu nehmen; denn meistens sind die Bedingungen an anderer Stelle wieder unterschiedlich. Deswegen trägt ein einfacher Vergleich nicht.
Es liegen keine weiteren Fragen zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen mehr vor.
Deswegen schließe ich diesen Geschäftsbereich. Ich bedanke mich sehr herzlich bei der Frau Staatssekretärin
Dr. Barbara Hendricks.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Ute Vogt zur Verfügung.
Wir kommen zu Frage 5 des Kollegen Hartmut
Koschyk:
Haben sich nach Einschätzung der Bundesregierung Tarifautonomie und Flächentarifvertrag auch im öffentlichen Dienst
bewährt und hält die Bundesregierung daran fest, zunächst Tarifverhandlungen für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen
Dienst abzuschließen und anschließend das Ergebnis zeit- und
inhaltsgleich auf Beamte zu übertragen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Kollege Koschyk, die vom Grundgesetz garantierte Tarifautonomie hat sich auch im öffentlichen Dienst bewährt.
Dies gilt im Grundsatz auch für Flächentarifverträge, sofern sie neben den bestehenden bundeseinheitlichen Regelungen ausreichend Flexibilität bieten, um spezifischen
Gegebenheiten in unterschiedlichsten Bereichen des öffentlichen Dienstes Rechnung zu tragen. Das Ergebnis der
Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst wird auch künftig Basis der allgemeinen Anpassungen für die Beamtinnen und
Beamten sein. Ob und inwieweit das Ergebnis der Tarifverhandlungen im Einzelnen auf Beamtinnen und Beamte
übertragen wird, ist zu gegebener Zeit durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu
entscheiden.
Ihre erste Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Koschyk.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, darf ich Ihren Aussagen entnehmen, dass die
Bundesregierung der vom Land Berlin ausgehenden Bundesratsinitiative ablehnend gegenübersteht, die eine Öffnungsklausel im Hinblick auf die bundeseinheitliche Besoldung von Beamten zum Ziel hat?
Zu diesem konkreten Entwurf wird sich die Bundesregierung dann äußern, wenn ein entsprechender Beschluss
des Bundesrates vorliegt.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege
Koschyk.
Frau Staatssekretärin, hält die Bundesregierung auch
weiter an ihrer Begründung zum Versorgungsänderungsgesetz 2001 fest, zu dem sie ausgeführt hat, eine bundeseinheitliche Regelung - ich darf ergänzen: der Beamten-,
Arbeiter- und Angestelltenbesoldung im öffentlichen
Dienst - ist erforderlich, da Regelungen über die Alterssicherung für die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, ein ganz besonderes Gewicht haben? Gilt diese Aussage der Bundesregierung auch für die kommenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst?
Diese Aussage gilt im Grundsatz weiter.
Damit kommen wir zur Frage 6 des Abgeordneten
Hartmut Koschyk:
Seit wann hat die Bundesregierung bereits Kenntnis von der
im „Spiegel“ vom 28. Oktober 2002, Seite 134, wiedergegebenen
Einschätzung des Bundeskriminalamtes ({0}) hinsichtlich der
Bedrohung durch Anschläge des terroristischen Islamismus in
Deutschland, nach der Deutschland von den Experten des BKA
mittlerweile für annähernd so gefährdet gehalten wird wie die Vereinigten Staaten von Amerika selbst?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Die Veröffentlichung im „Spiegel“ bezieht sich auf
vertrauliche Dokumente. Die Bundesregierung nimmt zu
diesen vertraulichen Dokumenten öffentlich keine Stellung. Ich kann Ihnen aber zur allgemeinen Gefährdungslage sagen, dass die Gefährdungsbewertungen für die
Bundesrepublik Deutschland sowie die deutschen Interessen im Ausland fortlaufend und der Lage angepasst
durch das Bundeskriminalamt in Zusammenarbeit mit
dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst erstellt werden.
Die sich aus den Gefährdungsbewertungen ergebenden
Konsequenzen werden zwischen Bund und Ländern regelmäßig und zeitnah erörtert. Deutschland ist ebenso wie
die USA und alle sonstigen westlich orientierten Staaten
Teil eines Gefahrenraumes, in dem die Gefahr von Anschlägen aus dem Bereich des islamistischen Terrors besteht. Informationen über konkrete Ziele, Orte, Zeiten
oder Modi Operandi möglicher Anschläge liegen den
deutschen Sicherheitsbehörden nicht vor.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Koschyk.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, Sie
haben darauf verwiesen, dass es sich um vertrauliche,
nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen des
Bundeskriminalamtes handelt. Jetzt hat in dieser Woche
der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Herr
Hanning, in einem Fernsehinterview, das von den Medien
sehr breit aufgenommen worden ist und die heutigen
Schlagzeilen beherrscht, die Gefährdungslage durch terroristische Bedrohungen für Deutschland sehr dramatisch
dargestellt. Wäre es vor dem Hintergrund einer solchen
Aussage des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes
nicht angebracht, dass nicht nur der Chef eines Dienstes,
sondern auch der Bundesminister des Innern und die Bundesregierung die Öffentlichkeit über die Gefährdungslage
durch terroristische Bedrohungen informieren?
Die Bundesregierung hat keinen Anlass, dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes zu widersprechen.
Die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik - das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz
und der Bundesnachrichtendienst - beurteilen die Sicherheitslage gemeinsam so, dass wir mit einer steigenden Gefährdung rechnen müssen. Diese Beurteilung wird ebenso
wie die daraus notwendigen Maßnahmen regelmäßig mit
den Ländern abgestimmt.
Ihre zweite Frage, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
Erhöhung des Gefährdungspotenzials für die Bundesrepublik Deutschland - auch von Ihnen wurde die Aussage
des Bundesnachrichtendienstes indirekt bestätigt - die
bislang getroffenen gesetzgeberischen Maßnahmen der
beiden Antiterrorpakete für ausreichend und sieht die
Bundesregierung nicht die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen, wenn es zum Beispiel um die Einreisemodalitäten möglicher gewaltbereiter Extremisten nach
Deutschland geht?
Die gesetzgeberischen Maßnahmen, die in den Antiterrorpaketen I und II getroffen worden sind, sind aus
Sicht der Bundesregierung ausreichend. Wir arbeiten gemeinsam mit den Ländern und international intensiv an
der Umsetzung. Das betrifft auch Einreisebestimmungen,
Visaerteilungen und Ähnliches. Dies wird international
abgestimmt.
Wir kommen jetzt zur Frage 7 der Abgeordneten Petra
Pau, fraktionslos:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im dritten Quartal
2002 in der Bundesrepublik Deutschland begangen und wie viele
Opfer dieser Straftaten gab es?
Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, im dritten Quartal des
Jahres 2002 wurden insgesamt 243 antisemitische Straftaten, die dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ zugeordnet wurden, gemeldet. Darunter sind
37 Propagandadelikte und fünf Gewaltdelikte, bei denen
es sich um vier Körperverletzungen sowie um eine Brandstiftung handelt. Im dritten Quartal 2002 wurden zwei Personen verletzt; es waren keine Todesfälle zu verzeichnen.
Da die Kollegin Pau keine Zusatzfragen hat, kommen
wir gleich zur Frage 8 der Kollegin Petra Pau:
Mit welchen konkreten Maßnahmen will das Bundesministerium des Innern die Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes
zur „Bundespolizei“ durchführen?
Die Bundesregierung beabsichtigt, dem Bundesgrenzschutz einen Namen zu geben, der dem geänderten Aufgabenspektrum Rechnung trägt. Die neue Bezeichnung
wird mit einer entsprechenden Umbenennung des BGSGesetzes sowie der Namensanpassung in anderen Vorschriften einhergehen.
Eine Erweiterung des Zuständigkeitsbereiches oder
eine Umstrukturierung des Bundesgrenzschutzes ist damit nicht verbunden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, darf
ich aus Ihrer Antwort entnehmen, dass die Bundesregierung nicht mit den Vorstellungen der Gewerkschaft der
Polizei zur Schaffung einer tatsächlichen Bundespolizei
und auch zur Zusammenfassung von Kompetenzen, wie
sie im vergangenen Jahr in einem Strategiepapier niedergelegt wurden, übereinstimmt?
Mit der vorzunehmenden Namensänderung ist keine
Veränderung der Aufgabenstellung und der Strukturen des
Bundesgrenzschutzes verbunden.
({0})
Ich sehe keine weitere Zusatzfragen. Damit sind wir
am Ende der Fragestunde angelangt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14.30 Uhr. Die
Aktuelle Stunde ist nach interfraktioneller Verständigung
auf 14.30 Uhr terminiert worden.
({0})
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Auswirkungen der finanz- und gesellschaftspolitischen Vorhaben der Bundesregierung auf
die Familien
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Maria Eichhorn, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Rot-Grün hat vor der Wahl die Familienförderung
zu den drängendsten Aufgaben erklärt. Nach der Wahl ist
davon nichts mehr übrig.
({0})
Versprochen hatte die SPD eine Kindergelderhöhung auf
mindestens 200 Euro, die Grünen sogar eine Kindergrundsicherung.
({1})
Davon ist im Koalitionsvertrag keine Rede mehr.
({2})
Entlarvend ist Ihr Satz, dass Eltern ihr Armutsrisiko
durch die Erwerbstätigkeit selbst bekämpfen sollen. Damit verabschiedet sich Ihre Familienpolitik aus dem sozialen Ausgleich.
({3})
Nun hat SPD-Generalsekretär Scholz die Katze völlig aus
dem Sack gelassen. Rot-Grün wolle mit der Ganztagsbetreuung eine „kulturelle Revolution“ erreichen. Offensichtlich geht es Ihnen, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, nicht darum, mit der Kinderbetreuung Familien zu unterstützen. Nein, Ihnen geht es um eine ideologisch ausgerichtete Familienpolitik.
({4})
Mit der weitgehenden Gleichsetzung von ehelichen
und nicht ehelichen Lebensgemeinschaften in der letzten
Legislaturperiode begann der Anfang vom Ende des
Schutzes von Ehe und Familie. In diesem Zusammenhang
ist auch der Versuch zu sehen, das Ehegattensplitting
abzuschaffen. Wer das Splitting abschafft oder begrenzt,
besteuert Eheleute höher als Singles. Bestraft werden diejenigen, die wegen der Kindererziehung auf Erwerbstätigkeit verzichten oder verzichtet haben.
({5})
Der Gipfel der Abgeschmacktheit, wie die „FAZ“ zu
Recht kommentiert hat, ist der unsägliche Satz des Generalsekretärs, die SPD wolle „die Lufthoheit über den Kinderbetten“.
({6})
Sie nehmen durch Ihre Politik den Familien die Luft weg.
Sie schnüren Familien finanziell und gesellschaftspolitisch ein. Das sind die Tatsachen.
({7})
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig es ist, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren.
Wir von der Union fordern und setzen uns für eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung für alle Altersstufen ein.
Aber die Betonung liegt auf „bedarfsgerecht“. Darüber
muss vor Ort entschieden werden. Die Eltern müssen
selbst entscheiden können, ob sie Beruf und Erwerbstätigkeit miteinander vereinbaren oder ob sie sich zumindest eine Zeit lang ganz der Erziehung der Kinder widmen
möchten. Beides muss möglich sein.
({8})
Dafür hat die Politik die Rahmenbedingungen zu schaffen. Sie von Rot-Grün jedoch fördern durch Ihre Politik
einseitig die Erwerbstätigkeit.
Der Ausbau der Betreuungseinrichtungen darf nicht
zulasten der finanziellen Förderung von Familien gehen.
Für die Verwirklichung der Wahlfreiheit ist beides notwendig: die Betreuungseinrichtungen, aber auch eine angemessene finanzielle Förderung von Familien.
Kinder sind in Deutschland ein Armutsrisiko. Dies
wird sich durch Ihre Politik verstärken. „Der Spiegel“ hat
Ihnen vorgerechnet, dass Familien mit einem Kind in Zukunft 300 Euro weniger in der Tasche haben werden. Allein die Beschränkung der Eigenheimzulage schlägt mit
177 Euro zu Buche. Die Verschiebung der Steuerreform
geht ebenfalls zulasten der Familien.
({9})
Durch höhere Sozialabgaben werden den Familien im
nächsten Jahr nahezu 450 Euro fehlen. Hinzu kommt
noch die nächste Stufe der Ökosteuer, die vor allem Familien mit mehreren Kindern belasten wird.
Meine Damen und Herren, die Finanzierung der von
Ihnen geplanten Betreuungseinrichtungen ist unseriös.
({10})
Länder, Städte und Gemeinden müssen fürchten, dass sie
mit den Kosten allein gelassen werden; denn die Finanzierung soll durch Einsparungen aus der Umsetzung des
Hartz-Konzepts erfolgen. Ob diese Vorschläge tatsächlich
umgesetzt werden, muss sich erst zeigen. Wer Beschlüsse
fasst, muss aber auch für eine verlässliche Finanzierung
sorgen.
({11})
Meine Damen und Herren, Kinder in Deutschland müssen
sich auf eisige Zeiten einstellen. Von Ihren vollmundigen
Ankündigungen vor der Wahl ist nichts mehr übrig geblieben. Eine Zeitung wählte vor kurzem die Überschrift
„Schröder-Schröpf“. - Recht hat sie!
({12})
Die nächste Rednerin ist die Parlamentarische Staatssekretärin Christel Riemann-Hanewinckel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am 22. September 2002 haben Frauen in Ost und West und aller Altersgruppen die
SPD und das Bündnis 90/Die Grünen gewählt. Warum
wohl?
({0})
Weil sie nämlich mit dem einverstanden sind, was seit
1998 in familienpolitischer Hinsicht auf den Weg ge356
bracht wurde. Sie wollen, dass dieser Weg weiterverfolgt wird.
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Frauen
und Familien waren es leid, dass ihnen per Gesetz bzw.
durch Diskriminierung vorgeschrieben wurde, wie sie zu
leben haben.
({2})
Deshalb hat die rot-grüne Koalition in den vergangenen
vier Jahren durch die Schaffung neuer Rahmenbedingungen dafür gesorgt, dass Frauen, Familien und alte Menschen ihre Lebensentwürfe auch tatsächlich leben können.
({3})
Für uns hat die Familie ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft. Das soll auch so bleiben.
({4})
Jetzt gilt es, Strukturen für Familien zu schaffen, die ihnen Sicherheit und Möglichkeiten bieten, ihre vielfältigen
Lebensentwürfe umzusetzen.
({5})
Denn die Familien halten unsere Gesellschaft zusammen
und sorgen für die Weitervermittlung unserer Werte. Im
Miteinander der Geschlechter und Generationen lernen
Kinder Teilnahme, Teilhabe und Teilen. Sie üben das
Streiten und Versöhnen und erleben Wärme, Geborgenheit und Liebe. Familien leben vor, was Solidarität, Verantwortung und Gerechtigkeit heutzutage für uns bedeuten. Sie zeigen uns aber auch auf, wo es an Erneuerung
fehlt.
Familien sind Leistungsträger und brauchen vor allen
Dingen die richtigen Rahmenbedingungen, um ihre Leistungsfähigkeit entfalten zu können. Deshalb war es in der
vergangenen Legislaturperiode nötig, den Schwerpunkt
auf die materielle Sicherheit der Familien zu setzen.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgrund Ihrer
Versäumnisse in der Familienpolitik diese Priorität aufgegeben.
({7})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
scheinen vergessen zu haben, was in den vergangenen
vier Jahren von der rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht wurde.
({8})
Den Familien ist das gegenwärtig, aber ich werde es Ihnen noch einmal aufzählen, damit Sie sich wieder daran
erinnern können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
In der vergangenen Legislaturperiode ist die Entlastung der Familien um 13 Milliarden Euro gestiegen.
({9})
- Sie wissen sehr wohl, Frau Lenke, dass sich daran nichts
ändern wird. - Sie haben mehr als acht Jahre dafür gebraucht, eine solche Zahl zustande zu bringen.
({10})
Ich erinnere noch einmal an die Maßnahmen, die von
uns durchgeführt worden sind: die dreimalige Erhöhung
des Kindergelds auf 154 Euro, die Erhöhung des Kinderfreibetrags
({11})
und die Einführung eines Freibetrags für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf.
({12})
- Was heißt hier „niedriger“? Ich habe gar keine Zahl genannt. Der ist eingeführt worden.
({13})
Ich nenne weiter die Einführung der steuerlichen Absetzbarkeit von erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten,
die es bisher so auch nicht gab. Die Einkommensgrenzen
beim Erziehungsgeld sind nach Urzeiten endlich erhöht
worden. Wir haben ferner ein Budget eingeführt, sodass
Familien selbst entscheiden können, wie sie es für sich
gern hätten, und sie sich nicht so verhalten müssen, wie es
ihnen die Opposition in früheren Zeiten vorgeschrieben
hat.
({14})
- Beim Erziehungsgeld war es ja so, dass Eltern sehr genau überlegen mussten, wie sie am besten klar kommen.
Jetzt haben sie Entscheidungsfreiheit.
({15})
Das ist notwendig. Wie die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf umgesetzt wird, wollen wir den Familien nicht vorschreiben, sondern es ihnen überlassen.
({16})
Die Wohngeldleistungen für Familien wurden verbessert
und - wenn Sie sich erinnern; auch das gehört zur Familienpolitik - der BAföG-Höchstfördersatz und die Elternfreibeträge wurden erhöht.
({17})
Es ist also deutlich geworden: Familienpolitik heißt,
gerechte Strukturen zu schaffen, wenn es um die wirtschaftliche Situation der Familien geht. Das haben wir begonnen und das werden wir auch weiterhin tun, denn Familien wollen nicht in erster Linie von Transferleistungen,
sondern vom Einkommen aus ihrer Erwerbsarbeit leben.
Deshalb brauchen Familien eine gut funktionierende Infrastruktur.
({18})
Die ist sehr breit und ich nenne hier nur einen wichtigen
Punkt: die Infrastruktur der Kinderbetreuung.
({19})
Familien wollen eine ausreichende Zahl von qualitätsvollen Kindertageseinrichtungen in Ost und in West.
({20})
Sie wollen Krippen, Kindergärten, Horte, in denen sich
Kinder wohl fühlen, die Bildung, Erziehung, Wärme, Geborgenheit und Betreuung bieten. Besondere Schwerpunkte werden wir deshalb bei der Errichtung von Ganztagsschulen und bei der Kleinkindbetreuung setzen. Dort
muss es um das Zusammenwirken von Bildung, Erziehung und Betreuung gehen. Wir werden Mütter und Väter, Frauen und Männer, die Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen, unterstützen und auch denjenigen
den Wiedereinstieg erleichtern, die sich über längere Zeit
der Kinderbetreuung gewidmet haben.
Meine Damen und Herren, Familie bedeutet auch das
miteinander Leben und das füreinander Einstehen von
mehreren Generationen. Die meisten Menschen, die
Pflege brauchen, werden von Familienangehörigen gepflegt, vorrangig von den weiblichen Familienangehörigen. Sie tun das sehr selbstverständlich;
({21})
es ist manchmal aber auch eine große Belastung und sie
sind deshalb auf Unterstützung und Entlastung
({22})
durch ambulante Dienste, Tagespflegeeinrichtungen und
stationäre Einrichtungen angewiesen. Wir werden in dieser Legislaturperiode diese Bereiche eng miteinander verzahnen, damit die, die Pflege brauchen, und die, die
Pflege leisten, im besten Sinne nicht allein gelassen werden, sondern Unterstützung erfahren.
Es ist sehr gut und ich bin sehr froh darüber, dass nach
zwölf Jahren nun endlich das Altenpflegegesetz in dieser
Republik gültiges Recht werden wird und die CSU und
Bayern an dieser Stelle vom Bundesverfassungsgericht
deutlich in ihre Schranken gewiesen wurden.
({23})
Es gibt aber noch einen anderen Bereich, in dem die
rot-grüne Regierung Impulse für eine gesellschaftspolitisch andere Entwicklung gesetzt hat. Ich rede vom Gesetz
zur gewaltfreien Erziehung und vom Gewaltschutzgesetz,
das in der letzten Legislaturperiode Recht geworden ist.
Jetzt muss es noch darum gehen, dass Gewalt in dieser
Gesellschaft mehr denn je geächtet wird. Auch dazu werden wir in der kommenden Legislaturperiode das Unsere
beitragen.
Meine Damen und Herren, solidarisch ist es, wenn die
Hilfe für diejenigen, die in diesem Jahr durch die Flutkatastrophe an den Rand ihrer Existenz gekommen sind, und
das, was in dem Bereich geleistet werden muss, auf alle
Schultern verteilt wird. Familien erhalten die Hilfen, die
sie brauchen, aber Familien in diesem Lande sind auch gewillt, Hilfe zu leisten. Sie sind nämlich bereit, auf die Entlastung durch die zweite Stufe der Steuerreform zu verzichten.
({24})
Wir werden mit unserer Familienpolitik den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken - egal was Sie von der Opposition dazu sagen. Wir werden die vorhandene Solidarität der Menschen untereinander sichern und stützen.
({25})
Wir werden Familien stärken und fördern; denn darum
geht es. Wir werden Begehrlichkeiten sowie unverträgliche Belastungen abwenden und die Kräfte der Familie unterstützen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, unterstützen Sie nicht weiterhin die Spaltung der Gesellschaft
da,
({26})
wo Menschen bereit sind, füreinander einzustehen! Arbeiten Sie lieber konstruktiv mit und verweigern Sie sich
nicht den Familien!
Vielen Dank.
({27})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ina Lenke, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierungsparteien haben die Bundestagswahl nur knapp
gewonnen.
({0})
Viele Wählerinnen haben großes Vertrauen in eine sozialdemokratische Politik gesetzt. Sie sind allesamt betrogen
worden, Herr Küster:
({1})
Vor der Wahl versprechen, nach der Wahl es brechen. Frau
Hanewinckel hat heute auf Wolke sieben gesessen und die
Realität nicht gesehen.
({2})
Der Koalitionsvertrag und besonders die Regierungserklärung des Bundeskanzlers zur Familienpolitik im
Frühjahr
({3})
- nun beruhigen Sie sich einmal - trieften geradezu vor
Versprechungen. O-Ton Schröder vom 18. April - hören
Sie sich das einmal an -:
Deshalb setzen wir mit unserer Politik da an, wo
Menschen zusammenleben ..., in der Familie also. ...
Wir wollen diesen Weg der Verbesserung - das ist
immer noch nötig - weitergehen.
({4})
Wir werden nicht zulassen, dass etwas verloren
geht ...
Was sind denn die nackten Tatsachen nach der Wahl?
Rot-Grün überbietet sich mit Belastungen und Einsparvorschlägen, die Familien, Kinder sowie Leistungsträger
und Leistungsträgerinnen in unserer Gesellschaft besonders hart treffen.
({5})
Die neue Familienministerin, Frau Schmidt, ist auf Tauchstation gegangen. Sie schweigt, schweigt und schweigt.
({6})
Kurz nach der Wahl erleben wir ein rot-grünes Streichkonzert ohne Ende.
Erstens: Eigenheimzulage - familienfeindlich.
Zweitens: Gaspreiserhöhung und Ökosteuererhöhung.
Eine Familie - das wissen diejenigen, die Kinder haben verbraucht viel Energie für die Heizung, für die Waschmaschine, für Warmwasser, für alles Mögliche. Also, Sie
vergrößern die Belastungen der Familien.
({7})
Drittens: Ausweitung der Beitragsbemessungsgrenze
bei der Krankenversicherung und Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge. Für Mütter und Väter, die durch
eigener Hände Arbeit das Familieneinkommen sichern,
bedeutet das nicht mehr, sondern weniger netto.
({8})
Viertens: die Ankündigung, das Ehegattensplitting zu
kappen. Die Kappung haben Sie vor, obwohl Sie genau
wissen, dass 70 Prozent der Familien vom Ehegattensplitting profitieren. Die Grünen haben von diesem Vorhaben Abstand genommen. Frau Schewe-Gerigk, ich sage
Ihnen: Diese Pläne kommen wieder. Warten wir einmal
ein Jahr ab, dann kommt es.
Fünftens. Frau Hanewinckel hat darauf verwiesen, was
die Regierungskoalition durch das Zweite Familienförderungsgesetz alles erreicht hat. Dieses Gesetz enthielt die
Streichung des Haushaltsfreibetrages für Alleinerziehende und die Kürzung der steuerlichen Entlastung für
auswärts studierende Kinder. Frau Hanewinckel, Sie als
Staatssekretärin möchte ich bitten, sich vielleicht bei Frau
Hendricks schlau zu machen. Das BAföG haben Sie zwar
erhöht, den Steuerfreibetrag für Eheleute, deren Kinder
auswärtig studieren, haben Sie aber gesenkt.
({9})
Erzählen Sie mir nichts! Sie sind auf dem Irrweg. Fragen
Sie einmal Ihren Steuerberater, der das besser als Sie
weiß!
({10})
- Ich weiß das schon, Herr Küster. Ich weiß das besser als
Sie. Herr Küster, ich komme aus diesem Beruf. Sie können mir nichts erzählen.
({11})
- Regen Sie sich ruhig auf! Ich glaube, Sie haben ein
Recht dazu, weil Sie alles falsch machen.
Sechstens. Die hohe Arbeitslosigkeit trifft zuerst
Frauen. SPD- und Grünen-Politiker sind für die schlechte
Arbeitsmarktlage verantwortlich.
({12})
Kein europäisches Nachbarland hat derart schlechte Wirtschaftsdaten.
Frau Hanewinckel schwebt wirklich auf Wolke sieben.
Sie hat gesagt, Sie würden für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sorgen.
({13})
In den letzten vier Jahren haben Sie überhaupt nichts getan. Sie haben vier Jahre lang Verbesserungen im Kinderbetreuungsbereich versprochen, jetzt erst fangen Sie damit an. Sie haben noch nicht einmal eine Konferenz
zustande gebracht. Frau Bergmann, die vorherige Frauenministerin, wollte einen Kinderbetreuungsgipfel; jetzt
will ihn auch die neue Ministerin. Freuen wir uns darauf;
bisher hat es nicht geklappt. Das ist Versagen auf der
ganzen Linie.
({14})
Da nützen Ihnen, meine Damen und Herren, die Hinweise
auf die Erhöhung des Kindergeldes nun überhaupt nicht.
({15})
Nein, Sie kürzen zwar das Kindergeld nicht, aber Sie ziehen den Familien peu à peu das Geld durch andere versteckte Maßnahmen aus der Tasche. So sieht es aus.
({16})
Liberale Familienpolitik bedeutet, das kleinste und bedeutendste soziale Netz in unserer Gesellschaft durch
niedrigere Steuern, durch Verringerung der Abgabenlast,
durch ein nachhaltiges System zum Erhalt unserer sozialen Sicherungssysteme und durch Steuerentlastung bei
den Kinderbetreuungskosten zu fördern.
Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. Der
Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel - den
kennen Sie ja alle - rechnete die mögliche finanzielle Belastung durch die Steuerbeschlüsse aus, die manchen Familien die Tränen in die Augen treiben. Tränen der Wut,
wie der „Weser-Kurier“ in Bremen kommentierte. Dem
kann ich nur zustimmen. So ist die Lage.
({17})
In Niedersachsen und Hessen werden, am 2. Februar
2003, Landtagswahlen stattfinden. Mein Hinweis an frustrierte Wählerinnen und Wähler lautet: Kommen Sie zu
uns!
({18})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich muss zunächst meine Stimme entschuldigen:
Ich bin stark erkältet; ich hoffe, Sie sehen mir das nach.
({0})
- Schon länger.
Ich möchte zuerst einen Blick zurückwerfen, weil ich
zeigen möchte, was wir in der letzten Legislaturperiode
erreicht haben. Ganz allgemein: Wir haben ein modernes
Kinder- und Familienbild und ein modernes Gesellschaftsbild auf den Weg gebracht. Jetzt führen wir das in
Form der Förderung eines modernen Frauen- und Familienbildes und moderner Beziehungsmodelle fort.
({1})
Das ist ein Erfolg. Darauf bin ich stolz. Ich bin mir sicher,
dass die Punkte, die wir anführen und die ich noch ausführen werde, dazu beitragen können.
({2})
Das war übrigens einer der Hauptgründe für unseren
Wahlerfolg. Das haben ja auch Sie, sehr geehrte Damen
und Herren von der CDU, erkannt. Sie haben erkannt,
dass Sie gerade für junge Familien und für junge Frauen
kein attraktives Bild abgegeben haben, weil Sie ein antiquiertes Familienbild präsentiert haben.
({3})
Sie haben hier eine Neuorientierung Ihrer Politik angekündigt. Ich bin sehr gespannt, wie sich das äußert und
ob Sie sich der Lebenswirklichkeit junger Menschen
wirklich annähern können.
({4})
Die Kollegin Riemann-Hanewinckel hat ja schon ausgeführt, was Rot-Grün in den letzten vier Jahren gemacht
hat, deswegen erwähne ich es nur ganz kurz: Kindergeld,
steuerfreier Grundfreibetrag für Kinder, zusätzliche kindbezogene Freibeträge, Absetzbarkeit erwerbsbedingter
Betreuungskosten. Diese Reformen haben sich finanziell
positiv auf die Familien ausgewirkt.
({5})
53 Milliarden Euro sind in der letzten Legislaturperiode
mehr für Familien ausgegeben worden. Das müssen uns
andere Regierungen erst einmal nachmachen.
({6})
- In vier Jahren.
Von den künftigen finanz- und gesellschaftspolitischen
Vorhaben will ich drei Punkte herausgreifen. Das eine ist
der Ausbau der Kinderbetreuung. Mit Ihrer Forderung,
meine Damen und Herren von der Opposition, den Familien und den Frauen bei der Entscheidung, ob sie ihre Kinder selber betreuen oder Betreuungseinrichtungen nutzen
wollen, die Wahlmöglichkeit zu lassen, haben Sie wirklich Recht; aber viele haben keine Wahl.
({7})
Ich komme aus Baden-Württemberg und habe einen zweieinhalbjährigen Sohn. Vor diesem Hintergrund kann ich
sagen: Baden-Württemberg ist das Land mit der miserabelsten Betreuungsquote überhaupt.
({8})
Eine Wahl ist erst möglich, wenn es flächendeckend Betreuungsmöglichkeiten gibt. Erst dann kann ich entscheiden, ob ich die Betreuungseinrichtungen nutze oder die
Kinder bei mir zu Hause bleiben.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass
der Bund dies durch eine gesetzliche Regelung sicherstellen wird. Das Entscheidende hierbei ist, dass durch eine
gesetzliche Regelung festgeschrieben wird, dass in dieser
Legislaturperiode in jedem Bundesland eine bedarfsgerechte Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren von
mindestens 20 Prozent erreicht werden muss. Das sind
richtige Schritte, die jungen Familien nützen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und für Gerechtigkeit gegenüber Alleinerziehenden sorgen, weil
diese ganz besonders auf Betreuungseinrichtungen angewiesen sind.
({9})
Zu den finanzpolitischen Vorhaben. Wir halten an unserem Ziel der Haushaltskonsolidierung fest. Wir haben
sie zeitlich verzögert, aber wir halten daran fest. Haushaltskonsolidierung ist ein elementarer Beitrag zu Generationengerechtigkeit und für unsere Kinder.
({10})
Wir haben im Rahmen der Sparmaßnahmen aber immer auch darauf geachtet, die zusätzlichen Belastungen
für Familien mit Kindern gering zu halten. Das gilt beispielsweise für die Eigenheimzulage, über die wir morgen
noch sprechen werden.
({11})
Die Fördermöglichkeiten für Familien mit Kindern sind
beibehalten worden. Ebenso bestehen weiterhin Fördermöglichkeiten für Familien, die erst bauen und dann Kinder bekommen.
({12})
Aber richtig ist, dass es zu mehr Belastungen kommt,
für Paare mit Kindern weniger als für Paare ohne Kinder.
Zur Haushaltskonsolidierung müssen alle ihren Beitrag
leisten.
({13})
Wenn Sie nach den Auswirkungen der finanzpolitischen Vorhaben fragen, dann will ich noch eines anführen: Die nächste Stufe der Steuerreform wird kommen,
({14})
und zwar am 1. Januar 2004.
({15})
Die erste Stufe der Steuerreform hat insbesondere für Familien spürbare Entlastungen gebracht. Eine Familie mit
zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen wird
durch unsere Steuerreform um 2 400 Euro pro Jahr entlastet. Wir haben diese Steuerreform auf den Weg gebracht, nicht Sie.
({16})
Meine Damen und Herren, Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen, weitere Stufen der Steuerreform,
Haushaltskonsolidierung und besondere Berücksichtigung
von Alleinerziehenden,
({17})
das sind einige unserer familienpolitischen Vorhaben und
Schwerpunkte. Sie nutzen Familien, Kindern und der Gesellschaft.
Vielen Dank.
({18})
Liebe Kollegin Andreae, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrer ersten Rede
im Deutschen Bundestag und wünsche Ihnen alles Gute
und gute Besserung für Ihre Stimme.
({0})
Nächster Redner in der Debatte ist Thomas Dörflinger,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es
ist gut, dass wir zu Beginn der 15. Wahlperiode diese Debatte führen; denn der Beginn dieser Wahlperiode unterscheidet sich von dem Beginn anderer Wahlperioden dadurch, dass wir uns nicht mehr in einem parteipolitischen
Wettstreit darüber befinden, wer mit welchen Konzepten
die bessere Familienförderung erreicht, sondern an einem
Scheideweg stehen, an dem wir uns entscheiden müssen
zwischen einer Familienpolitik, die sich an Art. 6 des
Grundgesetzes orientiert, und einer Familienpolitik, die
die Änderung oder die Abschaffung dieses Artikels des
Grundgesetzes notwendig macht.
({0})
Wir sind uns vermutlich darüber einig, dass die „FAZ“
nicht unbedingt zu den Organen gehört, die sozialdemokratische Grundsatzpositionen vertreten.
({1})
Aber wir sind uns wahrscheinlich auch darüber einig, dass
diese Zeitung ein internationales Renommee besitzt und
auf ihre Wortwahl durchaus achtet. Der Kommentator der
„FAZ“ hat am vergangenen Montag seinen Kommentar
mit den Worten beschlossen:
Zerstörung der Ehe, Entwertung der Familie als
Lebens- und Fürsorgegemeinschaft,
({2})
- es ist interessant, dass Sie das lächerlich finden das ist in der Tat eine kulturelle Revolution. Nur originell ist sie nicht. Sie entspringt der Tradition eines
freiheitsverachtenden sozialistisch-totalitären Denkens ...
Den Rest des Zitates erspare ich Ihnen.
({3})
Wenn sich der Kommentator der „FAZ“ einer solchen
Wortwahl befleißigt, dann müssten Ihnen eigentlich die
Ohren klingen, dass in Ihrer Politik etwas nicht in Ordnung sein kann.
({4})
In diesem Zusammenhang ist mindestens genauso interessant, dass sich der SPD-Vize Wolfgang Thierse heute
bemüßigt fühlt, in einem Beitrag für die „Zeit“ aufzufordern, traditionelle Institutionen wie Kirchen und Familien
wieder stärker aufzuwerten. Ich sage: Ausnahmsweise hat
der Mann Recht, nur, er müsste in den eigenen Reihen damit anfangen, anstatt andere dazu aufzufordern.
({5})
Ihr Problem, meine Damen und Herren von Rot-Grün,
ist: Sie haben ein tiefes Misstrauen gegenüber den Menschen.
({6})
Sie trauen ihnen beispielsweise nicht zu, ihre Kinder verantwortungsbewusst so zu erziehen, dass das anschließend in Einklang mit dem zu bringen ist, was Sie an ideologischen Vorgaben gemacht haben.
({7})
Sie sind der Auffassung, der Staat müsse grundsätzlich
alles regeln.
({8})
Dieser Auffassung sind wir nicht. Wir sind vielmehr der
Meinung, dass jeder, familienpolitisch gesehen, nach seiner eigenen Fasson selig werden kann und dass der Staat
nur dort eine Hilfeleistung anbieten sollte, wo sie notwendig ist. Im Unterschied zu Ihnen überlassen wir es
dem Einzelnen, wo und wann er Hilfe anfordert. Wir
maßen uns nicht an, zu entscheiden, wann unseren Bürgerinnen und Bürgern geholfen werden sollte.
({9})
Wir haben ein grundsätzlich anderes Menschenbild.
Das unterscheidet uns und das wird an dieser Frage deutlich. Der Staat hat nicht die Aufgabe, Bedarfe zu wecken
- im Übrigen entsteht ohne sein Angebot kein Bedarf -,
nur weil er beispielsweise meint, dass Erwerbstätigkeit
grundsätzlich höher zu bewerten sei als Berufstätigkeit in
der Familie.
({10})
Lassen Sie mich zwei abschließende Bemerkungen zu
der nach meiner Meinung wenig geschmackvollen
Ankündigung des SPD-Generalsekretärs und Kollegen
Olaf Scholz machen, man wolle die „Lufthoheit über den
Kinderbetten“ erreichen.
({11})
Dazu sage ich Ihnen eines: Die Lufthoheit über den Betten unserer beiden Kinder haben meine Frau und ich.
Dazu brauchen wir nicht Herrn Scholz, dazu brauchen wir
nicht Frau Schmidt und dazu brauchen wir auch nicht
Herrn Schröder.
({12})
Eine weitere Bemerkung zu dieser Ankündigung.
({13})
Wenn ich in das Zimmer meines Sohnes Klaus-Martin mit
einem Foto dieses Kabinetts gehen würde, dann würde er
mich fragen: Papa, was soll diese alte Truppe in meinem
Zimmer?
Lassen Sie uns, die jungen Familien in Deutschland,
einfach das tun, was wir für richtig halten. Wir können es
wesentlich besser als Sie.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ingrid ArndtBrauer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass Ihre zwei Kinder und meine vier Kinder Ihre Rede nicht anhören mussten.
({0})
Dieses Niveau dürfen wir niemandem zumuten. Wir sollten
dieses Thema ernst nehmen und sachlich darüber reden.
({1})
Ich möchte daher am Anfang meiner Rede über das
Menschenbild sprechen, das wir zugrunde gelegt haben,
als wir in der letzten Legislaturperiode reformorientierte
Gesetze auf den Weg gebracht haben.
({2})
Es ging beispielsweise um das Problem, wie man bei der
Rente mit Menschen umgeht, die jahrelang Kinder erzogen haben. Dieses Problem haben Sie uns ziemlich ungelöst vor die Tür gelegt.
({3})
Es waren gerade die Frauen, die durch ihre Familienleistungen erhebliche Ausfälle in der Rentenversicherung
hinnehmen mussten.
({4})
Sie wissen, dass wir das verändert haben. Wir haben die
Anerkennungszeiten erhöht.
({5})
Wir haben für Menschen, die mehrere Kinder erziehen,
Entgeltpunkte eingeführt. Sie wissen genauso gut wie ich,
dass wir bei der Riester-Rente eine sehr hohe Kinderförderung eingebaut haben. Das kommt den Familien sehr
zugute.
({6})
Zur Beruhigung eines Vorredners will ich sagen, dass
das Ehegattensplitting bleibt.
({7})
Auch bei uns hat das Ehegattensplitting einen hohen Stellenwert. Diesen Punkt wollte ich noch einmal deutlich
machen.
Auch Sie haben 16 Jahre lang gefordert, Subventionen
müssten abgebaut werden.
({8})
Jeder Bürger fordert dies. Wir haben aber folgendes Problem: Es gibt circa 20 Millionen Familien in Deutschland.
Wenn man Subventionen abbaut, ist es schwierig, nur die
zu treffen, die keine Familie haben.
({9})
Mit unseren Maßnahmen treffen wir ein wenig auch die
Familien. Aber wir haben uns bemüht, beim Subventionsabbau die Familien nicht, wie Sie es vorhin unterstellt haben, über Gebühr zu treffen.
({10})
Wenn man bedenkt, dass mit dem Subventionsabbau
der Haushalt konsolidiert wird und damit eine verantwortungsvolle und nachhaltige Politik möglich wird, dann
muss man sagen, dass dieser Abbau den Familien zugute
kommt.
({11})
Wenn Sie sich dann noch anschauen, was wir streichen,
dann werden Sie mir zustimmen, dass alles nicht so
schlimm ist.
({12})
Sie können niemandem erklären, dass die Senkung der
linearen Gebäudeabschreibung per se familienfeindlich
ist. Sie können ferner niemandem erklären, dass die Erhöhung der Pauschale bei privater Nutzung von Firmenwagen familienfeindlich ist.
({13})
Auch die Einführung von Kontrollmitteilungen seitens
der Banken an die Finanzbehörden ist vom Ansatz her
nicht familienfeindlich.
({14})
Vielleicht wirkt sie sich auf die eine oder andere Familie
negativ aus; das mag so sein. Aber ich denke, wir alle wollen, dass eine vernünftige Finanzpolitik gemacht wird.
Deswegen ist diese Einführung völlig in Ordnung.
Dass wir bei der Eigenheimzulage besonders die Kinder als Förderpotenzial herausstellen, ist nicht familienfeindlich.
({15})
- Nein, nicht ab dem sechsten Kind. - Im Gegenteil, wir
erhöhen zum Beispiel die Ökozulage bei der Eigenheimförderung. Wir handeln also nachhaltig, indem wir den
Familien, vor allem den Kindern, eine vernünftige Welt
hinterlassen. Das ist sehr familienfreundlich.
({16})
Wir nehmen einige Dinge bei der Umsatzsteuer zurück,
({17})
die jahrelang Subventionen waren. Das mag natürlich bei
dem einen oder anderen Betrieb, der Familienangehörige
beschäftigt, zu Einbußen führen.
({18})
Aber Sie können keinem verkaufen, warum es solche Subventionen weiterhin geben muss. Bei einigen Dingen kann
man nur mit dem Kopf schütteln, zum Beispiel dass wir
Sporen zur Aussaat privilegiert behandelt und Stroh und
Streu bevorzugt besteuert haben. Auch Abfälle aus der Lebensmittelindustrie wurden mit dem halben Steuersatz
besteuert. Worin bei den hier vorgesehenen Maßnahmen
Familienfeindlichkeit besteht, kann ich nicht erkennen.
({19})
Alles in allem muss man klarstellen: Wir versuchen,
den Haushalt zu konsolidieren, ohne die Leistungen für
die Familie zurückzufahren. Im Gegenteil: Wir versuchen, die Lebenssituation der Familien zu verbessern.
({20})
Die Unterstellung, die in dem Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde deutlich wird, wird nicht dadurch wahrer, dass Sie Ihre Aussagen hier im Bundestag
machen und sie nicht nur in entsprechenden Presseorganen verbreiten.
({21})
Wir sollten uns zusammensetzen, vernünftig über alles
sprechen, die Schärfe herausnehmen und ein bisschen auf
das Niveau unserer Diskussion achten.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat die Abgeordnete Ingrid Fischbach,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war jetzt
der absolute Kracher.
({0})
Ich hoffe, und zwar nicht nur für uns, sondern für alle anderen, dass gerade viele Menschen bzw. Familien vor dem
Fernseher gesessen und dem zugehört haben, was Sie,
verehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, hier zum Besten gegeben haben: Die Familien werden zum Subventionsfall der neuen Bundesregierung gemacht. Dazu kann ich
nur sagen: Machen Sie weiter so! Denn dann, Frau
Hanewinckel, werden Sie genau das erleben, was Sie vorhin angesprochen haben. Am 22. September seien Sie, so
sagten Sie, von den Familien und Frauen gewählt worden,
und Sie fragten, warum wohl. Angesichts der jetzigen
Umfrageergebnisse frage ich Sie: Warum wohl? Das, was
die Kollegin gerade gesagt hat, war besser als all das, was
ich darauf hätte antworten können. Machen Sie weiter so!
Sie werden die Quittung bekommen.
({1})
Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
ein Jahrzehnt für die Familien angekündigt. Er will
Deutschland zu einem familienfreundlichen Land machen.
({2})
Im Koalitionsvertrag steht: „Wir stärken die Familien und
das Leben mit Kindern.“
({3})
Nach der Rede von eben, nach Ihren Aussagen ist festzustellen: Sie sind dabei, die Familien zum Subventionsfall
zu machen.
({4})
Die konkreten Maßnahmen im Koalitionsvertrag: keine.
Trotz der angespannten Lage, in der sich die Familien zurzeit in Deutschland befinden, werden in der kommenden
Legislaturperiode keine Entlastungen erfolgen. Vielmehr
werden die Familien stärker belastet als bisher. Das ist der
falsche Weg.
Das werde ich Ihnen an zwei Stellen deutlich machen - ich spreche jetzt nicht über Milliardenbeträge; das
versteht draußen keiner; denn die Portemonnaies der Familien sind klein und die Budgets eng; da geht es um einzelne Euro, um einzelne Cent -: an der Krankenversicherung und an der Rentenversicherung. Das sind Dinge, die
die Menschen draußen verstehen. Denn hier muss Vorsorge bzw. Planungssicherheit für das Alter geschaffen
werden. Daran denken die Menschen. Schauen wir einmal, was Sie den Familien hier anbieten: Führen Sie hier
Entlastungen durch? Geben Sie Planungssicherheit? Helfen Sie den Familien? Gibt es hier eine Familienförderung? Fördern Sie Familien? - Pustekuchen!
Herr Kuhn, Sie sitzen hier so locker und lustig.
({5})
Ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie gesagt haben:
Ein Rentenbeitrag von 19,3 Prozent, das ist das letzte
Wort!
Wir erleben jetzt, dass die Koalitionsvereinbarung
nicht das Papier wert ist, auf dem sie steht; denn sie hat
nicht einmal drei Wochen gehalten.
({6})
Was hat die Ministerin Ulla Schmidt nicht alles versprochen! - Sie ist heute nicht da. Das ist auch nicht tragisch. Sie hat weit wichtigere Probleme zu lösen. - Noch
im August hat sie gesagt, ob man es hören wollte oder
nicht: Die Opposition redet Unsinn. Die Krankenkassenund Rentenversicherungsbeiträge sind stabil. Wir lassen
uns doch nicht schlecht reden. - Was haben wir jetzt auf
dem Tisch? Herr Kuhn hat gesagt, 19,3 Prozent seien das
letzte Wort. Nun sind es 19,5 Prozent für die Rentenversicherung. Wissen Sie, was die Anhebung von 19,1 Prozent
auf 19,5 Prozent für die Familien bedeutet?
({7})
- Sie haben gesagt, die Beiträge blieben stabil. Zu diesem
Zweck haben Sie die Ökosteuer eingeführt. Sie haben gesagt: „Liebe Leute, ihr müsst jetzt Ökosteuer zahlen, weil
wir die Rentenbeiträge stabil halten wollen“, und die Menschen haben es getan. Jetzt aber zahlen sie Ökosteuer, erhöhte Rentenbeiträge und - jetzt kommt das Schlimmste auch die Heizölkosten werden steigen.
({8})
Das bedeutet für die Familien eine zusätzliche Belastung
von im Schnitt 75 Euro pro Monat. Wer soll das denn bezahlen? Das ist doch schier unmöglich.
({9})
Mein Kollege Laumann hat einmal gesagt: Um die
Rentenbeiträge stabil zu halten, müssen wir jetzt viel
mehr Auto fahren: Rasen für die Rente. Meine Damen und
Herren, Sie setzen noch eins drauf. Jetzt heißt es nicht nur:
„Rasen für die Rente“, sondern auch: „Heizen für die
Rente“. Je kälter der Winter, desto sicherer ist unsere Altersvorsorge. Liebe Leute, so geht es doch wirklich nicht!
({10})
Sie erhöhen die Krankenkassenbeiträge und die Rentenversicherungsbeiträge. Wo entlasten Sie eigentlich die
Familien? Wenn Sie in dieser Form ein Jahrzehnt weitermachen, dann werden wir keine Familien mehr haben.
({11})
Ihre Kollegin hat vorhin gesagt: Man muss offensichtlich
erst ein Haus bauen und kann erst dann Kinder kriegen.
Aber dann will keiner mehr Kinder, weil es nicht zu bezahlen ist. Dann wird auch niemand mehr das Haus bauen
können, das er bauen will, zumindest wird er es nicht abbezahlen können.
({12})
- Herr Dreßen, Sie können schimpfen, so viel Sie wollen.
Sie wissen, dass ich Recht habe. Deshalb ärgern Sie sich
auch so.
({13})
Sie haben in beiden Bereichen, sowohl bei der Krankenversicherung als auch bei der Rentenversicherung, einen faulen Kompromiss ausgehandelt. Sie wissen ganz genau, dass die Zahlen, die Sie jetzt auf den Tisch gelegt
haben, keinen Bestand haben werden. Das heißt, dass das
Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist. Die Beiträge
sind weder stabil noch ist ein Ende der Beitragserhöhungen
in Sicht. Es wird weitergehen. Das werden die Familien
nicht mitmachen; das haben sie auch nicht verdient. Die
Menschen in Deutschland haben Stabilität verdient, ein
faires Miteinander und auch, zu wissen, wohin es geht.
Meine Damen und Herren, in der „Financial Times“
vom 5. November steht ein Artikel mit der Überschrift
„Das Letzte“. Die neue Familienministerin - eine starke
Frau, sie kämpft für die Familien - sagt in diesem Artikel:
Ich hasse meinen Job! ... Für meine Aufgabe habe ich
kein Geld und keine Gesetzgebungskompetenz, deshalb wurde ich offenbar ausgesucht.
({14})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die CDU/CSU hat Kompetenz. Wir hassen unseren Job nicht, sondern machen ihn
gerne und wir machen ihn für die Familien.
({15})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ekin Deligöz,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Fischbach, wenn ich Sie von Quittungen sprechen höre, fällt mir nur eine Quittung ein: Wir haben die
Wahl gewonnen, Sie nicht.
({0})
Im Übrigen: Sie reden über Zeitungsartikel vom 5. November, ich über Zeitungsartikel vom 6. November. Darin
steht, dass die Preise für Heizöl nicht erhöht werden. Das
ist auch Tatsache.
({1})
Es gibt noch einen Punkt, den ich hier mit einer gewissen Ironie und auch mit einer gewissen Bitterkeit anspreche.
({2})
Wenn Frau Eichhorn in dieser Runde aufsteht und die
Worte „Bedarfsgerechtigkeit und Verlässlichkeit“ in den
Mund nimmt, während die Bayerische Staatsregierung
plant, innerhalb der kommenden Jahre 9 000 Kindergärtnerinnen- bzw. Erzieherinnenstellen und
({3})
3 800 Kindergartengruppen zu streichen und sich immer
noch weigert, das Recht auf einen Kindergartenplatz in
Bayern umzusetzen, dann ist das nicht nur ironisch, sondern, wie ich finde, kinder- und elternfeindlich und nichts
anderes.
({4})
Herr Dörflinger, Sie haben eine schöne Rede gehalten;
aber Sie waren, glaube ich, im falschen Film. Sie haben es
irgendwie nicht verstanden. Wir reden überhaupt nicht
über Art. 6.
({5})
Kein Mensch redet über Art. 6. Kein Mensch will ihn antasten. Ganz im Gegenteil: Wir reden hier über die Familien, über die Realität in den Familien, über das, was die
Eltern wollen, über das, was die Eltern brauchen, über
das, was wir für sie tun können. Wir wollen - darin unterscheiden wir uns von Ihnen - Eltern in diesem Land nicht
allein lassen. Wir wollen sie nicht im Stich lassen.
(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Sie wollen
sie bevormunden - Hans Michelbach ({6})
Wir wollen uns dieser Verantwortung stellen. Wir wollen
diese Aufgabe ernst nehmen und wahrnehmen.
({7})
Eine Sache muss ich noch ansprechen. Es ist an der
Zeit, finde ich, dass wir gerade dann, wenn es um die
Zukunft der Familien, um die Zukunft der Kinder in
diesem Land geht, endlich anfangen, über geeignete Maßnahmen im Bereich der Infrastruktur und zum Teil auch
im Bereich der Förderung zu debattieren.
({8})
Vor allem müssen wir diese ideologisierten Debatten beenden. Der Satz von Herrn Scholz von der Hoheit in den
Kinderzimmern - das muss man hier offen erwähnen gehört dazu. Das gefällt auch mir nicht.
({9})
Uns geht es darum, die öffentliche Verantwortung für
unsere Kinder zu übernehmen, und zwar gemeinsam. Es
geht darum, Lebensbedingungen zu verbessern, und es
geht darum, sie zu optimieren. Es geht um Beratung, es
geht um Hilfsangebote, es geht um Elternkompetenz, es
geht um Kinderrechte.
Mir gefällt es auch nicht, wenn ich, wo es um Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten geht, wo es um
Qualität in der Pädagogik geht, wo es nicht nur darum
geht, was für die Eltern gut ist, sondern auch darum, was
für unsere Kinder gut ist, von Herrn Goppel einen Satz
wie „Das kennen wir aus kommunistischen Staaten wie
der DDR und der Sowjetunion, mit verheerenden Auswirkungen“ in der Zeitung lesen muss. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte Sie: Kehren Sie doch bitte in die
Realität der Politik zurück!
Worum geht es uns? Es geht uns darum, Standards zu
schaffen, damit sich Eltern, insbesondere Mütter, entscheiden können, berufs- bzw. erwerbstätig zu bleiben,
damit gut qualifizierte Frauen, aber nicht nur die, ihre Erwerbstätigkeit fortsetzen können. Es geht um Qualität in
den Betreuungseinrichtungen. Es geht nicht um Sozialismus. Es geht um ein Kinder- und Jugendhilfegesetz - dem
Sie übrigens zugestimmt haben - das weder von Marx
noch von Lenin verfasst wurde, sondern vom Bundestag
verabschiedet wurde.
({10})
Kehren wir zu einer weiteren Realität zurück. Diese
Regierung hat deutlich etwas für die Familien getan.
({11})
Wir haben Familien aus der Armut herausgeholt. Ich
nenne nur: Erhöhung der Freibeträge, Kindergelderhöhung, BAföG, gesetzliche Rentenversicherung, Anerkennung von Erziehungszeiten, Erziehungsgeldreform,
Kinderrechte. Das alles war Bestandteil unserer Gesetzgebung.
({12})
Das sind die Gesetze, gegen die Sie gestimmt haben.
({13})
Bei keiner einzigen dieser Maßnahmen zur Familienförderung habe ich Sie zustimmen sehen.
({14})
Sie haben nirgendwo zugestimmt und das, denke ich,
spricht für Ihre Politik.
Zum Schluss kann ich nur eines sagen: Gerade wir als
Grüne führen die Gerechtigkeitsdebatte. Wir führen die
Generationendebatte. Wir sind die Anwälte der Eltern und
Kinder. Sie haben das längst verspielt.
({15})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Antje Blumenthal,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Deligöz, manchmal ist der Blick zurück doch ganz hilfreich. Erinnern Sie sich bitte daran, was unter CDU/CSUFDP-geführten Regierungen seit 1986 alles umgesetzt
worden ist!
({0})
Sie haben es nicht geschafft, Erziehungszeiten anzurechnen. Sie haben die Rentnerinnen betrogen. Daran sollten
Sie sich erinnern! Sie sollten sich auch daran erinnern,
was wir in dieser Zeit geleistet haben und um wie viel wir
das Kindergeld erhöht haben. Das sollten Sie sich einmal
hinter die Ohren schreiben.
({1})
Frau Deligöz, Sie haben sich darauf bezogen, dass Sie
die Wahl gewonnen haben.
({2})
Dumm sind wir ja auch nicht. Aber fragen Sie heute bitte
Ihre Wählerinnen und Wähler, die Ihren Versprechungen
Glauben geschenkt haben! Diese sind bitter betrogen
worden. In Ihren heutigen familienpolitischen Papieren
heißt es: Ziel der Familienpolitik von Rot-Grün soll unter
anderem sein, die materielle Sicherheit von Familien zu
verbessern. - Tatsächlich sind die familienpolitischen
Auswirkungen der Koalitionsbeschlüsse aber katastrophal.
({3})
Wer unter Rot-Grün Kinder und Familie in unserem
Land hat, setzt sich einem nicht unerheblichen Armuts366
risiko aus. Anstatt diesen Missstand zu beseitigen, werden
die Familien aufgrund der bisher von Ihnen angekündigten Maßnahmen in ihrem ohnehin schon engen finanziellen Spielraum weiter beschnitten. Alle vollmundigen
Wahlversprechungen von Rot-Grün erweisen sich als
dreiste Täuschung. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Können Sie eigentlich
morgens noch in den Spiegel schauen? Ich glaube, Sie tun
es lieber abends, weil Sie sonst rot würden.
({4})
Frau Staatssekretärin Riemann-Hanewinckel, auch Sie
haben betont, dass Ihre Partei insbesondere von Frauen
gewählt worden sei. - Vielleicht können Sie mir zuhören,
Frau Staatssekretärin. Ich wollte Sie eigentlich direkt ansprechen.
({5})
- Vielleicht sollte ich auch danach fragen. - Wir haben
zurzeit in unserer Republik ein Problem: Sie behaupten
immer, dass Sie die Wahl zu Recht gewonnen hätten. Obwohl wir verzweifelt die Wähler und Wählerinnen von
Rot-Grün suchen, können wir sie nicht finden. Alle, die zu
uns kommen, beklagen sich über Ihre Beschlüsse und bereuen es, nicht uns gewählt zu haben.
({6})
Ich möchte - da das von der Regierungskoalition nicht
zur Sprache gebracht worden ist - noch einmal auf die von
Ihnen gemachten Versprechungen bzw. auf die Stellen
zurückkommen, wo es Veränderungen geben soll. Vor der
Bundestagswahl hat die SPD vollmundig von einer Kindergelderhöhung auf 200 Euro geredet. Davon hat sich
Rot-Grün mittlerweile verabschiedet. Noch nicht einmal
eine minimale Kindergelderhöhung ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. Insbesondere Familien mit kleinen Einkommen werden so von Ihnen weiterhin massiv benachteiligt werden. Der Familienleistungsausgleich wird von
Ihnen weder weiterentwickelt noch den von Ihnen zu verantwortenden steigenden Lebenshaltungskosten angepasst. Wie gesagt, die Kindergelderhöhung ist vom Tisch.
Eine Anpassung des Erziehungsgeldes an die steigenden
Lebenshaltungskosten ist nicht in Sicht.
Die Kindererziehungszeiten sollten in der Pflegeversicherung angemessen berücksichtigt werden; Sie hatten
versprochen, das unverzüglich zu tun. Jetzt ist zu lesen,
dass Sie frühestens im Jahr 2004 das umsetzen werden,
was Ihnen vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben
worden ist.
Die Koalition hat außerdem sinkende Sozialversicherungsbeiträge versprochen. Das Ergebnis sind steigende
Sozialversicherungsbeiträge und damit auch steigende
Lohnnebenkosten. Ich habe ja noch immer die Hoffnung,
dass Rot-Grün irgendwann versteht: Das, was wir in der
gegenwärtigen Situation dringend benötigen, sind sinkende und nicht steigende Lohnnebenkosten.
({7})
In der nächsten Stufe der Ökosteuer werden die Kosten
für Sprit, Strom und Erdgas erhöht. Diese Erhöhungen
werden Haushalte mit Kindern überproportional stark belasten; denn Kinder im Haus erhöhen die Verbrauchskosten deutlich. Kinder können aber nichts zur Entlastung
bzw. Kostendeckung beitragen.
All diese von Ihnen geplanten Maßnahmen tragen zu
einer massiven Verschlechterung und nicht zu einer Verbesserung der Situation der Familien bei. Schon heute leben 1 Million Kinder in der Sozialhilfe und fallen somit
in den Bereich der Kinderarmut. Bereits in der letzten Legislaturperiode geschah vonseiten der Regierung nichts,
um die Situation der Familien zu verbessern. Und jetzt?
Durch die von Ihnen geplanten und vor allen Dingen zu
vertretenden Mehrbelastungen werden noch mehr Familien und deren Kinder in Armut fallen.
({8})
Anstatt die Kinder und ihre Familien aus der Kinder- und
Familienarmut zu befreien, verschlechtern Sie die Situation und nehmen den Menschen damit die Chancen für die
Zukunft. Wenn das die von Ihnen neuerdings beanspruchte Lufthoheit über den Kinderbetten ist, von der Ihr
Generalsekretär Scholz verächtlich spricht,
({9})
dann gute Nacht!
({10})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Caren Marks, SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Familien sind in; 88 Prozent der jungen Menschen wünschen sich Kinder und Familie. Das ist das Ergebnis der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 1998. Dass
aber circa 40 Prozent der Akademikerinnen bis zum 39.
Lebensjahr keine Kinder haben, steht dazu zunächst einmal im Widerspruch. Die Gründe liegen jedoch auf der
Hand: Familie - sprich: Kinder zu wollen - ist eine Sache;
eine andere ist es, die Unwägbarkeiten, die mit der Familiengründung verbunden sind, zu meistern.
Das traurige Resultat von 16 Jahren konservativer,
rückständiger Familienpolitik
({0})
der CDU/CSU und der FDP
({1})
waren die verfassungswidrige finanzielle Benachteiligung von Familien,
({2})
mangelhafte Betreuungsmöglichkeiten und ein familienfeindliches Klima.
({3})
1998 wurde es höchste Zeit, Kinder und Familien aus
dem Abseits zu holen und wieder in das Zentrum der Gesellschaftspolitik zu stellen.
({4})
Dem längst überholten, ideologisch gefärbten Familienbild der Union haben wir, die SPD, eine moderne und gerechte Familienpolitik entgegengesetzt,
({5})
eine Familienpolitik, die sich an der Lebensvorstellung
und der Lebenswirklichkeit von jungen Paaren und jungen Familien orientiert. Die Familienpolitik der SPD basiert auf zwei Säulen: Die erste Säule,
({6})
die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der Familien, war ein Schwerpunkt der letzten Legislaturperiode.
Wir haben deutlich zugunsten der Familien umverteilt.
Mit der Erhöhung von Kindergeld und Steuerfreibeträgen,
der Anhebung von Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld und den Verbesserungen beim Wohngeld und
BAföG haben wir Familien spürbar entlastet.
({7})
Im Vergleich zur alten, unionsgeführten Regierung geben wir jedes Jahr 13 Milliarden Euro mehr für Familien
aus. Obwohl Union und FDP eine Anpassung materieller
Rahmenbedingungen für Familien 16 Jahre lang vernachlässigt haben, versuchen Sie, sehr geehrte Damen und
Herren von der Opposition,
({8})
die Familienpolitik nun auf diese materiellen Rahmenbedingungen zu reduzieren. Doch da haben Sie die Rechnung ohne die Familien und insbesondere ohne die jungen
Frauen gemacht.
({9})
Denn diese setzen insbesondere auf die zweite Säule unserer Familienpolitik: eine Verbesserung der strukturellen
Rahmenbedingungen. Die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ist hier an erster Stelle zu nennen.
Erste entscheidende Verbesserungen haben wir bereits
erreicht. So erleichtern der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, die Flexibilisierung der Elternzeit, aber auch die
steuerliche Absetzbarkeit erwerbsbedingter Betreuungskosten bereits die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit.
({10})
Diese Verbesserungen sind aber noch nicht ausreichend. In Sachen Kinderbetreuung - angefangen bei den
Krippenplätzen über Ganztagskindergärten und Hortplätze bis hin zu Ganztagsschulen - ist Deutschland innerhalb Europas ein Entwicklungsland. In dieser
Legislaturperiode räumen wir dem Ausbau der Ganztagsbetreuung Priorität ein und stellen hierfür 4 Milliarden
Euro zur Verfügung.
({11})
Die Union hat nichts dazugelernt. Mit dem Familiengeld wollten Sie, meine geehrten Damen und Herren von
der Opposition, da weitermachen, wo Sie aufgehört haben. Junge Mütter sollten mit dem Familiengeld, einer
Zuhause-bleib-Prämie, abgespeist werden.
({12})
Dieses Familienkonzept missachtet die Lebensvorstellungen der jungen Generation. Über die Finanzierung des Familiengeldes hat sich die Union wenig Gedanken gemacht.
({13})
Ein über Schulden finanziertes Familiengeld hätten die
Kinder, die Sie entlasten wollten,
({14})
bezahlt; denn die Kinder werden morgen für die Bedienung der Schulden geradestehen müssen, die Sie verursachen.
Doch die Menschen wissen, wer etwas für Familien
tut und wer nur über Familienförderung redet. So werden wir mit den Stimmen der Mütter und Väter weiter
für ein kinder- und familienfreundliches Deutschland
sorgen.
({15})
Anders als bei der Union war und ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dabei klar: Wir
schreiben keiner Familie und keiner Frau vor, wie sie leben sollen.
({16})
Wir ermöglichen es den Menschen aber, so zu leben, wie
sie leben wollen. Kinder dürfen für Frauen nicht länger
Verzicht auf Karriere bedeuten und Karriere darf für
Frauen nicht länger Verzicht auf Kinder bedeuten.
({17})
Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann weder auf
hoch qualifizierte, motivierte Frauen verzichten, noch
kann unsere Gesellschaft auf Kinder verzichten.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Das war Ihre erste Rede, Frau Kollegin. Ich gratuliere
Ihnen zu dieser ersten Rede.
({0})
Auch die Kollegin, die jetzt das Wort erhält, Rita
Pawelski, wird ihre erste Rede im Plenum halten.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Marks, wenn man aus einem Land kommt, das in
Bezug auf die Kinderbetreuung im untersten Drittel im
Ländervergleich liegt, wenn man aus einem Land kommt,
das Weltmeister im Schuldenmachen ist - das neue, ungedeckte Haushaltsloch beträgt 1,3 Milliarden Euro -,
wenn man aus einem Land kommt, das in der PISA-Studie noch hinter Polen rangiert, dann sollte man hier anders
auftreten.
({0})
In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung steht wörtlich:
Unser Familienbegriff ist so vielfältig wie die Lebensumstände der Menschen ...
So ganz ernst scheint Rot-Grün diesen Satz nicht zu nehmen; denn Sie haben in Ihren Vereinbarungen eine wichtige Gruppe kaum berücksichtigt: die Alleinerziehenden.
({1})
Die werden von Ihnen hart getroffen. In Deutschland leben
rund 2 Millionen allein erziehende Mütter und Väter, die
sich um 2,8 Millionen Kinder kümmern. Dass es diesen
Familien finanziell nicht gut geht, dass es ihnen schlecht
geht, dürfte selbst Ihnen von Rot-Grün bekannt sein. Denn
über 50 Prozent dieser Familien leben von Sozialhilfe. Das
Durchschnittseinkommen beträgt 1 700 Euro. Das ist wahrlich nicht viel.
Umso schlimmer ist: Sie schröpfen die Mütter und Väter, die es schaffen, den Lebensunterhalt für sich und ihre
Kinder nicht durch Transferleistungen, sondern durch Erwerbsarbeit zu bestreiten. Sie schämen sich nicht, diesen
Menschen, die es oft schwer genug haben, tief in die Tasche zu greifen. Den Alleinerziehenden wird der Haushaltsfreibetrag, der zuletzt 3 000 Euro betrug, stufenweise
bis 2005 weggenommen. Das ist ein Riesenskandal.
({2})
Aber das reicht Ihnen immer noch nicht. Durch Ihre
unsoziale Renten-, Gesundheits- und Steuerpolitik belasten Sie diese Familien zusätzlich. Sie nehmen ihnen die
Luft zum Atmen.
({3})
Wissen Sie eigentlich, was es heißt, jeden Cent nicht dreimal, sondern fünfmal umzudrehen? Wissen Sie eigentlich, wie diese Familien unter Ihrer Politik leiden? Und
Sie reden von sozialer Gerechtigkeit!
({4})
Alleinerziehende sind stärker als andere auf Betreuungseinrichtungen angewiesen. Im Koalitionsvertrag fordert Rot-Grün verlässliche Betreuungseinrichtungen und
setzt dabei den Schwerpunkt bei Kindern bis zu drei Jahren. Dafür wollen Sie 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung
stellen. Nur, dieses Geld stellen in Wahrheit nicht Sie von
der Regierung den Kommunen zur Verfügung. Vielmehr
soll es aus den Minderausgaben bei der Umsetzung des
Hartz-Konzeptes erwirtschaftet werden - eines Konzeptes, das noch gar nicht umgesetzt ist.
({5})
Sie verteilen also das Fell des Bären, den Sie noch nicht
einmal gesichtet haben.
({6})
Es kommt hinzu: Diese Summe reicht nicht. Das hat
Ihnen auch der Deutsche Städtetag vorgerechnet. Er geht
von Kosten in Höhe von mindestens 2,4 Milliarden Euro
aus. Zur jetzt schon offensichtlichen Finanzierungslücke
von 900 Millionen Euro schweigen Sie. Wie wollen Sie
dies finanzieren? Und vor allem stellt sich die Frage: Wer
soll dies tun? Die Kommunen, die von Ihnen ausgeblutet
wurden, können die Mehrbelastungen nicht mehr tragen
und wehren sich. Was sollen sie anderes tun? Sie werden
die Kosten an die Familien weiterreichen. Das trifft dann
genau diejenigen, die eigentlich Ihre Hilfe brauchen,
nämlich die Alleinerziehenden.
Nicht nur die Betreuung der ganz Kleinen ist durch Ihre
Finanzierung nur mangelhaft gesichert. Zur Betreuung
der Kinder zwischen drei und sechs steht in Ihrer Koalitionsvereinbarung kein einziges Wort.
({7})
Der von Rot-Grün angekündigte Ausbau der Ganztagsschulen entpuppt sich als schillernde Seifenblase, die
sehr schnell platzen wird, weil auch hier die Kommunen
zur Kasse gebeten werden. Ihre Finanzierungshilfen gibt
es nur für einen kleinen Teil der Sachkosten; der Löwenanteil, nämlich die Personalkosten, muss hauptsächlich
von den Ländern, die ebenfalls pleite sind - das gilt zumindest für Niedersachsen -, und von den Kommunen
aufgebracht werden.
({8})
Die Kommunen wissen das und wehren sich gegen die
Einrichtung der Ganztagsschulen. So wurden zum Beispiel in Niedersachsen von 140 Optionen auf Ganztagsschulen nur zwölf angenommen, weil sich die Kommunen
die Finanzierung einfach nicht leisten können.
({9})
Dabei wissen wir doch alle, dass gerade Alleinerziehende
auf Ganztagsschulen angewiesen sind.
Im Klartext heißt das: Durch Ihre Politik ist keine bessere Betreuung für Schulkinder in Sicht. Die Familien
werden sich bei Ihnen bedanken! In dem rot-grünen Koalitionsvertrag steht:
Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um
Armut von Familien zu vermindern.
Ich sage Ihnen: Sie machen Familien arm.
({10})
Auch Ihnen, liebe Frau Kollegin, gratuliere ich zur ersten Rede hier im Plenum.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Lydia Westrich,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Eichhorn und Herr Dörflinger, Sie und Ihre Partei
waren, wenn es um die Familie geht, schon immer gut im
Halten von Sonntagsreden. Aber Ihre Redebeiträge heute
und die Ihrer Kollegen haben die Familien nicht verdient.
({0})
Das, was Sie heute von sich gegeben haben, spottet jeder
Beschreibung.
({1})
Sie haben gezeigt, dass Sie noch immer nicht wissen,
wie eine moderne familienfreundliche Politik aussieht.
Sie haben bis heute keine Ahnung davon. Seit vielen Jahren beobachten wir und die staunende Öffentlichkeit, wie
Sie die Rahmenbedingungen für Familien immer an der
Lebenswirklichkeit vorbei formulieren, wenn Sie überhaupt zu Formulierungen kommen. Die Quittung dafür
haben Sie bei der Bundestagswahl vor allem von den jungen Frauen erhalten. Diese konnten mit dem von Ihnen
propagierten, aber nicht finanzierbaren Familiengeld
nichts anfangen.
({2})
Sie entwerfen jetzt ein Familienbild, das niemanden
mehr anspricht. Junge Menschen verbinden heute ganz
selbstverständlich den Wunsch nach Beruf und Familie.
Sie sind gut ausgebildet und wollen ihre Fähigkeiten einsetzen. Sie verlangen von uns, nicht nur die wirtschaftliche Situation für Familien zu verbessern - was wir getan
haben und was wir auch weiterhin tun werden -, sie wollen, wie es in unserem Koalitionsvertrag steht, ein bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot für
ihre Kinder.
({3})
Diesen Wunsch werden wir ihnen in dieser Legislaturperiode erfüllen.
({4})
Jahre um Jahre hat Ihnen, meine Damen und Herren
von der Opposition, das Bundesverfassungsgericht bescheinigt, dass Sie die Familien zu hoch besteuert haben.
({5})
Sie haben gerade denjenigen, die Ihnen angeblich so am
Herzen liegen, das Geld zu Unrecht aus der Tasche gezogen. Mit viel Geld und hohem finanziellen Einsatz haben
wir Ihre verfassungswidrige Familienpolitik erst wieder
in Ordnung bringen müssen.
({6})
Sie waren gegen alles: gegen die Erhöhung des Kindergeldes, gegen die Steuerentlastungen, gegen die Erhöhung des Erziehungsgeldes, gegen den Rechtsanspruch
auf Teilzeitarbeit.
({7})
Elternzeit für Väter und Mütter, das ist ein Fremdwort für
Sie.
({8})
Nachhaltigkeit ist in Ihrem Gehirn ebenfalls nicht gespeichert.
({9})
Nachhaltige Politik - ich will es Ihnen noch einmal erklären - betrifft die Umwelt und die Finanzen; sie sichert
die Zukunft. Wir sind immer noch damit beschäftigt,
Ihren Schuldenberg abzubauen, der eine Riesenhypothek
für die nächsten Generationen darstellt. Sie haben eine
verantwortungslose und für die Familien verfassungswidrige Politik betrieben und kommen uns jetzt mit Vorwürfen, weil wir das Ruder herumgerissen haben.
({10})
Ja, wir werden sparen, Subventionen abbauen und die
Förderungen auf die Menschen, die es wirklich nötig haben, konzentrieren. Wir werden die Eigenheimzulage kinderfreundlich ausgestalten.
({11})
- Frau Lenke, sie soll nicht Ihnen, sondern denjenigen zugute kommen, die sie dringend brauchen; Sie brauchen sie
nämlich nicht. Darüber diskutieren wir morgen aber ausführlich.
({12})
- Das stimmt ja nicht. Sie kennen den Gesetzentwurf ja
noch gar nicht. Sie müssen erst einmal nachlesen, was
morgen auf den Tisch kommt.
Wir verstärken die Lenkungswirkung der ökologischen
Steuerreform
({13})
und bauen auch dort Subventionen ab, so wie Sie das von
der Opposition immer forderten. Wenn es aber konkret
wird, kneifen Sie und sind Sprachrohr für jeden Verband
und jeden Lobbyisten, der herumläuft.
({14})
Auf die Anhörung zum und die Beratungen über das
Gesetz über die Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform sowie darauf, wie Sie sich dabei verhalten, bin
ich schon gespannt.
({15})
Es müsste ja selbst zu Ihnen durchgedrungen sein, dass
gute und zukunftsfreundliche Familienpolitik immer den
Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen beinhaltet: Ressourcenschonung, Energieeinsparung, Nutzung umweltfreundlicher Technologien und nachwachsender Rohstoffe, das sind Lebensbedingungen für Familien und
Kinder.
({16})
- Herr Seiffert, die Fortentwicklung der ökologischen
Steuerreform und die sie begleitenden Programme sind
gute Beiträge, diese Bedingungen für Familien zu gewährleisten.
Die auseinander klaffende Schere zwischen den Einkommen kinderloser Haushalte und der Haushalte mit
kleinen Kindern
({17})
wurzelt vor allem in den unzureichenden Erwerbsmöglichkeiten für Mütter. Frau Eichhorn, das wissen Sie doch.
({18})
Besonders für Alleinerziehende wirkt sich das verheerend aus.
({19})
Wenn Sie ein wenig lesen würden, würden Sie erkennen,
dass im europäischen Vergleich hinsichtlich der Einkommensarmut eine hohe Frauenerwerbsquote deutlich wirksamer ist als ein noch so hoher Familienlastenausgleich.
({20})
Deshalb ist der Weg der rot-grünen Koalition, den Ausbau
von Kinderbetreuungseinrichtungen zu verstärken, unausweichlich.
({21})
Das wäre es selbst für Sie, aber bei Ihnen kommt das ja
nicht vor.
Auch in Zusammenarbeit mit vielen Unternehmen, die
Familienfreundlichkeit als positiven Standortfaktor erkannt haben, kommen verstärkte Bemühungen um flexible Arbeitszeiten hinzu. Wie wir aus reichlicher Erfahrung wissen, ist der Abbau vieler lieb gewordener
Subventionen zwar sehr schwierig, aber wir werden diesen Weg trotzdem gehen, weil wir damit die finanziellen
Mittel erhalten, die wir für den Aufbau von Betreuungseinrichtungen brauchen, und weil wir damit die Qualität
von Bildung und Ausbildung stärken.
In jeder ernst zu nehmenden Studie der letzten Zeit und
vielen Verlautbarungen von zahlreichen Verbänden - von
Verbänden des Handwerks bis zur Caritas - steht, dass
eine andere Familienpolitik nötig ist. Sie haben es aber
noch nicht gemerkt.
({22})
Die Politik muss weg von Prämien, die Frauen an Heim
und Herd binden sollen, und hin zur Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie.
Frau Kollegin, denken Sie daran, dass die Redezeit in
der Aktuellen Stunde nur fünf Minuten beträgt.
Wir werden die Voraussetzungen dafür schaffen. Wir
sparen bei Dienstwagen, bei Auslandsflügen, bei Spekulationsgewinnen und durch die Mindestgewinnbesteuerung. Sie können uns dabei helfen, damit die Familienpolitik auch ihren Namen verdient.
Frau Kollegin!
Nicht nur Lobbyismus pur, sondern auch Mut, die unbequemen Entscheidungen für mehr Gerechtigkeit zu tragen, sind gefordert.
({0})
Ich möchte es für alle sagen: In der Aktuellen Stunde
sehen wir die Regelung bezüglich der fünfminütigen Redezeit eng, weil es wirklich Schlag auf Schlag gehen soll.
({0})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Elke Wülfing,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Westrich, ich weiß gar nicht, was Sie gegen
Lobbyisten haben. Zusammen mit meiner Fraktion bin ich
gerne Lobbyistin für Alleinerziehende, Familien und Kinder.
({0})
Vielleicht sind auch Sie das, aber Sie setzen sich in Ihrer
Regierung und bei Herrn Eichel nicht durch.
Frau Pawelski hat eben ganz richtig festgestellt: RotGrün macht arm.
({1})
Rot-Grün macht alle arm, speziell natürlich die Familien.
Wenn ich mich an den Wahlkampf erinnere - Frau ArndtBrauer, wir haben uns in der Gegend ab und zu gesehen -,
dann muss ich mich schon sehr über die Familienpolitik
wundern, die Sie zurzeit machen. Diese Familienpolitik
haben die Familien wirklich nicht verdient.
({2})
Was ist eigentlich aus Ihren Versprechungen geworden? Sie haben materielle Sicherheit für die Familien zugesagt. Das ist doch richtig, oder? Sie haben überall gefordert, das Kindergeld müsse auf 200 Euro erhöht
werden. Wo ist denn diese Erhöhung geblieben? Ich weiß,
das ist peinlich, das hören Sie nicht so gerne. Darauf können Sie auch nicht antworten. Es ist aber nun so, dass nicht
nur das Kindergeld nicht auf 200 Euro erhöht wird, sondern dass leider auch viele zusätzliche Belastungen auf
die Familien zukommen werden. Das war zum Teil schon
Thema dieser Aktuellen Stunde. Aber Sie handeln immer
nach dem Motto: Was stört mich mein Geschwätz von
gestern? Sie betreiben damit Wählerbetrug. Sie verraten
die Interessen unserer Zukunft, nämlich die Interessen unserer Kinder.
({3})
Ich will noch ein paar Beispiele hinzufügen. Wenn das
Heizen in einem Haushalt teurer wird, dann trifft das ausgerechnet die Familien; das wissen Sie ganz genau.
({4})
Wer so dämlich war, zu glauben, dass man mit einer Erdgasheizung umweltfreundlich und damit preiswert heizt,
ist jetzt wirklich angeschmiert. Der Ökosteuersatz für
Erdgas sollte von 3,4 Euro auf 5,7 Euro je Megawattstunde steigen. Sie werden es noch als familienpolitische
Förderung verkaufen, dass er jetzt nur auf 5,5 Euro erhöht
wird. Ich warte auf diese Art von Argumentation. Das
Gleiche haben Sie bei der Eigenheimzulage gebracht.
({5})
Die Drohung, dass dies auch für leichtes Heizöl gelten
sollte, stand schon im Raum. Das haben Sie abgewendet.
Dafür müssen Ihnen die Familien aber richtig dankbar
sein, nicht wahr?
({6})
Wie schön ist es doch, dass Sie dabei geblieben sind,
die Ökosteuer nur um 3,5 Cent je Liter zu erhöhen. Dazu
werden wir von Ihnen sicherlich noch das eine oder andere hören. Wir haben es vorhin schon gehört: Rasen für
die Rente, heizen für die Rente. Ich möchte wissen, was
man demnächst für die Rente noch alles tun muss.
({7})
Die Familien haben sich darüber gefreut, dass die von
Rot-Grün im letzten Jahr gestrichene Absetzbarkeit von
Haushaltshilfen zum Teil wieder eingeführt werden sollte.
Die 500-Euro-Mini-Jobs im Haushalt sollten nach dem
Hartz-Konzept vom zu versteuernden Einkommen abgesetzt werden können. Aber das wird wohl nichts. Davor
stehen nämlich Herr Eichel oder Frau Hendricks, der
größte Feind oder die größte Feindin, die Familien anscheinend haben.
Ich bin gespannt, was daraus nun wird. Der eine spricht
davon, dass 10 Prozent abgesetzt werden können. Der andere nennt 25 Prozent. Das sind entweder 600 Euro oder
1 500 Euro, aber nicht 6 000 Euro pro Jahr. Damit ist ein
wichtiger Anreiz, Haushaltshilfen einzustellen, genommen. Das wird damit zunichte gemacht.
Ihre Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die auch die
unsere ist - ich hoffe, Sie kapieren das bald -, haben Sie
auch noch in den Orkus geschmissen.
({8})
Sie wollten doch das Hartz-Konzept zu 100 Prozent
umsetzen.
({9})
Warum machen Sie es dann nicht? Ausgerechnet im Familienbereich, wo es wirklich etwas bewirken würde, machen Sie es nicht, Frau Kressl.
Besonders sauer auf Sie dürften die Familien auch wegen der Eigenheimzulage sein.
({10})
Die 13 000 Euro, die Sie den Familien streichen, bedeuten bei uns im Münsterland, dass sich Familien keine
Häuser mehr leisten können.
({11})
Viele Familien mit einem ganz normalen Einkommen haben sich dort noch Häuser leisten können. Wenn die Zulage von 13 000 Euro gestrichen wird, dann geht das nicht
mehr. Ein Eigenheim ist nicht irgendetwas, ist nicht nur
der Besitz eines Hauses. Für eine Familie ist das etwas,
was den Kindern nützt und ihnen dient. Ein Haus bringt
Sicherheit.
({12})
- Wir wollen einmal sehen, was daraus folgt. Sie sagen an
einem Tag dies, an einem anderen Tag jenes und am dritten Tag wieder etwas anderes. Wer einmal lügt, dem
glaubt man nicht, Frau Westrich. Ich bin es langsam leid.
({13})
Mit der Änderung der Eigenheimzulage werden wir
uns dann befassen, wenn sie so im Gesetzblatt steht, wie
Sie es einmal hier und einmal da ankündigen. Beim Ehegattensplitting ist es dasselbe. Sie haben Ihren ursprünglichen Plan plötzlich nicht weiterverfolgt. Ich bin aber
davon überzeugt, dass dieses Thema nach den Landtagswahlen am 2. Februar 2003 wieder auf den Tisch kommen
wird.
In dieser Aktuellen Stunde geht es um die Frage, wie
sich Ihre finanz- und gesellschaftlichen Vorhaben auf die
Familien auswirken. Ihre Vorhaben wirken sich so aus,
dass Kinder in ganz normalen Familien nicht mehr so leben können, wie sie es verdient haben, nämlich sicher und
mit guter Unterstützung seitens der Eltern. Sie wollen die
Einmischung des Staates in die Familien. Das ist Ihr gutes
Recht, aber unserer Meinung entspricht es nicht. Ich
meine, wir sollten Familienpolitik mit Rücksicht auf die
Situation der Eltern und Kinder in Deutschland gestalten
und nicht darauf, wie Sie es gerne hätten, Frau Marks nomen est omen.
({14})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel Humme,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/
CSU-Fraktion, ich danke Ihnen recht herzlich für die Beantragung der Aktuellen Stunde.
({0})
Denn wer aufmerksam zugehört hat, weiß genau, dass der
Kompetenzvorsprung in der Familienpolitik bei Rot-Grün
und nicht bei der CDU/CSU und der FDP liegt.
({1})
Ich garantiere, dass unsere heutige Politik auch weiterhin erfolgreich sein wird, weil sie die Grundlagen schafft,
die auch morgen und übermorgen tragfähig sind. Darum
und um nichts anderes geht es bei den anstehenden Entscheidungen gerade im Interesse von Familien. Deshalb
sind Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und Zukunftssicherung Markenzeichen der rot-grünen Regierung. Das war in der vergangenen Legislaturperiode so
und das wird - das garantieren wir - auch in den nächsten
vier Jahren so bleiben. Mit den anstehenden Reformen
bauen wir Brücken von der Gegenwart in die Zukunft, die
auch unsere Kinder und Kindeskinder noch sicher tragen
werden.
Mit unseren Reformen machen wir die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig. Davon profitieren die Familien. Unsere Umsetzung der Hartz-Vorschläge stellt die
Arbeitsmarktpolitik auf ein sicheres Fundament und senkt
die Arbeitslosigkeit. Auch das kommt vor allen Dingen
den Familien zugute.
Die von uns eingeleitete Energiewende ist Ausdruck
einer nachhaltigen Umweltpolitik. Mit der Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform schaffen wir beides:
Arbeitsplätze und eine lebenswerte Umwelt für unsere
Kinder.
({2})
Wir sind es, die endlich mit einer nachhaltigen Haushaltspolitik Ernst gemacht haben. Auch dies liegt im Interesse von Familien und Kindern. Denn wenn wir heute auf
Pump leben,
({3})
lassen wir es zu - wie es nämlich Ihre Politik war -, dass
unsere Kinder und Enkelkinder für unsere Schulden geradestehen müssen.
({4})
Das entspricht nicht unserer Vorstellung von einer nachhaltigen Familienpolitik.
({5})
Zu unserem Kurs der Konsolidierung und Neugestaltung gibt es keine Alternativen. Ihre Wahlprogramme für
2002, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Opposition,
liefen alle auf das eine hinaus: teure Wahlversprechen
ohne Gegenfinanzierung.
({6})
Das ist eine Politik, die die Lösung gegenwärtiger Probleme den uns nachfolgenden Generationen überlässt.
Das hat nichts mit Generationengerechtigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu tun und ist auch keine nachhaltige Politik zugunsten der Familien.
({7})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir haben die Familienpolitik in den vergangenen vier Jahren ohne ideologische Scheuklappen der Lebenswirklichkeit angepasst.
({8})
Sie, meine Damen und Herren von der Union, wollen
- das ist der Unterschied zu uns - die Lebenswirklichkeit
ständig Ihren politischen Vorstellungen anpassen. Das
geht aber gründlich schief.
Wenn Sie zu Hause alles im Griff haben, Herr
Dörflinger, dann ist das zwar in Ordnung, aber ich rate Ihnen, auch einmal über den Tellerrand zu schauen.
({9})
Dann wüssten Sie, dass 80 Prozent der jungen Frauen und
Männer eine Familie haben, aber auch erwerbsfähig sein
wollen.
({10})
70 Prozent der Frauen mit kleinen Kindern wollen arbeiten. Das müssen auch Sie einmal zur Kenntnis nehmen.
({11})
Wenn sich so viele Frauen wie bei uns gegen Kinder
entscheiden, dann lösen Sie dieses Problem nicht mit einer Trost- und Zuhausebleibprämie, mit Ihrem Familiengeld.
({12})
Mit Sicherheit schon deshalb nicht, weil Sie dieses Geld
unabhängig vom Einkommen an alle zahlen, also auch an
die gut verdienenden Abgeordneten. Das ist nicht die Lösung, die wir anstreben.
({13})
Schauen wir nicht in sozialistische Länder - Sie zitieren gern aus entsprechenden Berichten in der „FAZ“ -,
schauen wir in unsere europäischen Nachbarländer, die
weit weg sind vom Sozialismus, die genauso demokratische Staaten sind wie wir. Schauen wir in diese Nachbarländer, schauen wir nach Frankreich und Skandinavien.
Dort gibt es eine höhere Frauenerwerbsquote und eine
höhere Geburtenrate.
({14})
Dort können sich Frauen, wenn sie wollen, für Kinder entscheiden, ohne auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Gute
Bildungs- und Betreuungsangebote machen es möglich.
({15})
Das ist ein zukunftsweisender Weg.
({16})
Frau Pawelski, gleichzeitig lösen wir mit einem besseren Bildungs- und Betreuungsangebot das Problem der
Kinder- und Familienarmut und wir helfen vor allen Dingen Alleinerziehenden. Nach wie vor sind 60 Prozent der
Alleinerziehenden Sozialhilfeempfänger, die dringend
darauf warten, dass wir ihnen das Betreuungsangebot geben, das sie brauchen, um endlich erwerbstätig sein zu
können, und das mit Kindern.
({17})
Das genau ist der Grund, warum wir unsere Bildungsund Betreuungssituation dem internationalen Standard
anpassen. Es geht in der nächsten Zeit darum, unsere
knappen finanziellen Mittel effizient einzusetzen. Wir
werden das tun, so wie wir das in den vier Jahren der letzten Legislaturperiode getan haben. Wir werden das tun
mit 4 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung und
1,5 Milliarden Euro für die Betreuung von Kindern unter
drei Jahren.
({18})
Diese Politik nützt den Frauen, den Familien und uns allen, weil sie nämlich gleichzeitig die Bildungschancen
verbessert.
Schönen Dank.
({19})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch,
PDS.
({0})
- Ich habe nicht die Fraktion, sondern die Parteizugehörigkeit genannt.
Vielen Dank. Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Sehr geehrte Gäste! Diese Debatte im Deutschen
Bundestag wird sicher eine der Debatten dieser Legis374
laturperiode sein, bei der die meisten Frauen gesprochen
haben. Wenn es einerseits sehr erfreulich ist, dass Frauen
politisch aktiv sind und auch das Wort ergreifen, ist es gerade in dieser Debatte wiederum ein Zeichen dafür, dass
man die Verantwortung für die Familien vor allen Dingen
den Frauen zuweist.
({0})
In der Koalitionsvereinbarung wird die Vereinbarkeit
von Kindern und Beruf als ein zentrales gesellschaftspolitisches Reformvorhaben festgeschrieben und dazu will
die Bundesregierung Ganztagsschulen und Krippen
schaffen. Wir als PDS halten das Reformvorhaben für
richtig und wichtig. Die Bundesregierung kann sich bei
der Umsetzung dieses Projektes vertrauensvoll an uns
wenden; denn viele unserer guten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in Ostdeutschland haben in
der Frage der Ganztagsbetreuung langjährige Erfahrungen. So gut und nützlich Studienreisen nach Finnland und
Dänemark sind, ich denke, man kann manchmal auch sagen: Das Gute liegt so nah. Man kann sich über die Erfahrungen vor Ort informieren. Ich lade Sie, Frau Staatssekretärin, gern in meinen Wahlkreis Lichtenberg ein. Das
ist kostengünstiger; es kostet nur eine Fahrkarte der BVG.
({1})
Ich möchte gern noch auf ein gravierendes Problem
hinweisen. Mit der Ausweitung der Betreuungsangebote
allein werden Sie Ihre Reform nicht erfolgreich umsetzen
können; denn eine Erfahrung haben wir in Ostdeutschland
schon in den letzten zehn Jahren gemacht: Wir haben im
Osten eine ausreichende Zahl von Krippen und Kindergärten; in den Kommunen müssen diese sogar aufgrund
des dramatischen Geburtenrückgangs abgebaut werden.
Das Problem sind hier nicht in erster Linie die Betreuungsangebote für die Kinder, sondern die fehlenden
Arbeitsplätze für Mütter und Väter.
Meine Damen und Herren, bei der Finanzierung dieser
Reform stellen sich jedoch eine Reihe von Fragen. Der
Bund will den Kommunen ab 2004 1,5 Milliarden Euro
pro Jahr zur Verfügung stellen. Das ist nicht wirklich viel
Geld. Hinzu kommt aber, dass diese Mittel durch die Umsetzung des Hartz-Konzepts erst noch erwirtschaftet werden sollen. Die eingesparten Mittel dürfen die Kommunen
für eine bessere Kinderbetreuung einsetzen. Das ist ein
ungedeckter Wechsel. Meine Erfahrung mit den Reformen der letzten Bundesregierung ist, dass sie selten zu
mehr Geld für die Kommunen geführt haben.
({2})
Was passiert also, wenn das Hartz-Konzept nicht so
schnell greift, wie sich die Bundesregierung das vorstellt?
Die Bundesregierung will eine bedarfsgerechte Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren von mindestens 20 Prozent erreichen. Die Frage für Ostdeutschland
ist aus meiner Sicht, ob bei Übererfüllung des 20-ProzentZiels auch Mittel für die qualitative Verbesserung der
Bausubstanz und der Betreuung verwendet werden können, zum Beispiel für die Sanierung von Krippen und
Kindergärten oder für die Verbesserung des Betreuungsschlüssels, für die Verkleinerung der Gruppen oder für die
bilinguale Erziehung.
Ihr Konzept setzt bei der Krippe an. Warum setzen Sie
eigentlich nicht bei der Geburt an? Die leider viel zu früh
verstorbene Sozialministerin von Brandenburg, Regine
Hildebrandt, Ihre Parteifreundin, hat dort ein Begrüßungsgeld von 1 000 DM pro Kind eingeführt. Dann
wurde in Brandenburg das Geld knapp und diese Initiative
wurde wieder eingestellt. Es gibt doch sicher ein paar
reiche Kommunen, die ein solches Begrüßungsgeld finanzieren könnten. Vielleicht sollte die Ministerin diese
Initiative ihrer Parteifreundin Hildebrandt aufgreifen und
für jedes in der Bundesrepublik geborene Kind ein Begrüßungsgeld von 1 000 Euro einführen. Sie können sicher
sein: Die Statistiker werden in ein paar Jahren von einem
positiven Geburtenknick sprechen, der dann vielleicht der
„Schmidt-Effekt“ heißen wird.
Vielen Dank.
({3})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. November 2002,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.