Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/15/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- zung ist eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/1636 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1637 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1638 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Interfraktionell wurde vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. - Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden. Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/1636, 15/1637 und 15/1638 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Marion Caspers-Merk. Redetext

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes beschlossen. Der Gesetzentwurf dient der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und enthält im Wesentlichen die zur Umsetzung europäischen Rechts notwendigen Änderungen der Regelung zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln an Menschen. Mit dem Entwurf des Zwölften AMG-Änderungsgesetzes sollen einheitliche Rahmenbedingungen für die klinische Forschung mit Arzneimitteln in Europa geschaffen und europäisches Recht umgesetzt werden. Darüber hinaus dient die Novelle der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. Insbesondere die künftige stärkere Berücksichtigung von Neben- und Wechselwirkungen bei Medikamenten spielt eine große Rolle. Durch die Regelungen in diesem Gesetzentwurf wird auch die Verbreitung von Arzneimittelfälschungen deutlich erschwert. Dieses Problem hat bislang stärker in Entwicklungsländern eine Rolle gespielt; mittlerweile hat es aber leider auch Deutschland erreicht. Mit dem Gesetzentwurf tragen wir dem Wunsch der Pharmaindustrie Rechnung, die Verbreitung von Arzneimittelfälschungen deutlich zu erschweren. So wird unter anderem in § 8 das Verbot aufgenommen, Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die in Bezug auf ihre Identität und Herkunft falsch gekennzeichnet sind. Damit werden die Regelungen des Arzneimittelgesetzes verschärft, die auf eine mindere Qualität gefälschter Arzneimittel und deren Auswirkungen abhoben. Auch der Strafrahmen für die Herstellung und das In-Verkehr-Bringen von Arzneimitteln, die in ihrer Qualität gemindert sind, wird verschärft. Dazu wird dieser Tatbestand von § 96 Arzneimittelgesetz in den Strafkatalog des § 95 AMG mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe verschoben. Die Herstellung und das In-Verkehr-Bringen von gefälschten Arzneimitteln wird als neuer Straftatbestand geregelt. Verstöße gegen das Werbeverbot für nicht zugelassene Arzneimittel werden in Zukunft als Ordnungswidrigkeit geahndet. Was Meldungen über unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln betrifft, so soll eine EU-weite Datenbank aufgebaut werden, die den Informationsaustausch über schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen soll. Im Interesse der von allen Seiten geforderten Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für Kinder wird durch den Gesetzentwurf die klinische Prüfung bei Kindern und Jugendlichen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gestattet, wenn ein so genannter Gruppennutzen vorliegt. Ich nenne ein Beispiel: Durch eine zusätzliche Blutuntersuchung nach dem erfolgreichen Abschluss einer Therapie kann vielleicht zwar kein individueller Nutzen für die betroffene Person, wohl aber ein künftiger Nutzen für die jeweilige Patientengruppe erwartet werden. Durch Gruppennutzen bei Kindern können insbesondere Laborwerte untersucht oder funktionsdiagnostische Untersuchungen zusätzlich bestimmt oder untersucht werden, die für eine Überwachung sowie den Nachweis der Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie notwendig erscheinen. Bisher musste für solche Untersuchungen ein individueller Nutzen vermutet werden. Für solche Untersuchungen muss wie generell bei klinischen Prüfungen an Kindern immer die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und - sofern Einsichtsfähigkeit besteht - auch die des Kindes vorliegen. Durch diese Änderung soll unter anderem verhindert werden, dass Kinderärzte Medikamente für Erwachsene, die nicht für den Einsatz bei Kindern erforscht sind, bei Kindern anwenden müssen. Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen von solchen Medikamenten sind bisher nicht auf Kinder abgestimmt. In Deutschland und auch in Europa werden die meisten Medikamente bei ihrer klinischen Erforschung immer noch auf Männer mit einem Durchschnittsgewicht von 80 Kilogramm ausgerichtet. Das heißt: Bei klinischen Studien liegt eine Unterrepräsentanz von Frauen vor. Auch diesem Gesichtspunkt tragen wir mit unserer Novelle Rechnung. Bei der klinischen Prüfung an Kindern sind sehr strenge Maßstäbe einzuhalten. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind einer sehr intensiven Grundrechtsprüfung unterzogen worden, weil es sich hier um einen ethisch sehr kritischen Bereich handelt. Wir haben sie aber in einem engen Rahmen zugelassen, weil wir die Medikamententherapie für Kinder insgesamt verbessern wollen. Wir glauben, dass das ein richtiger und ausgewogener Weg ist, um in diesem Bereich zu Verbesserungen zu kommen. Die Umsetzung des europäischen Rechts erfordert ferner die Einführung eines Genehmigungsverfahrens für klinische Prüfungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie beim Paul-EhrlichInstitut. Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Herr Kollege Parr, bitte.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, in der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ haben wir am vergangenen Montag zum ersten Mal eine Themengruppe, nämlich die Themengruppe „Forschung und Ethik“, eingesetzt. In dieser Enquete-Kommission stellt sich uns zunächst die Aufgabe, eine Stellungnahme zur AMG-Novelle, die Sie gerade erläutert haben, zu erarbeiten. Das ist natürlich nicht sehr glücklich. Sind in diesen Entwurf schon Ergebnisse der Anhörungen, die wir in der Enquete-Kommission durchgeführt haben, eingeflossen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Parr, Sie wissen, dass die Umsetzung des europäischen Rechts in nationales Recht schon lange gefordert wird. Das heißt, wir stehen hier unter einem gewissen Handlungsdruck. Klinische Prüfungen an Kindern haben wir immer in einer sehr restriktiven Art behandelt, wohl wissend, dass es weiterer Debatten - auch gesellschaftlicher Debatten - bedarf. Der Gesetzentwurf ist zustimmungspflichtig. Wir hören im Moment sowohl vonseiten derjenigen, die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, als auch vonseiten der Industrie, dass dies als ein gangbarer Weg angesehen wird. Die weitergehende Forderung, wonach Untersuchungen auch an gesunden Kindern vorgenommen werden können, haben wir abgelehnt. Wir bewegen uns also in einem sehr engen Rahmen. Bei schweren Erkrankungen, zum Beispiel Krebserkrankungen, von Kindern kann man nicht immer nachweisen, dass einem speziellen Kind geholfen werden kann. Für die Gruppe der krebskranken Kinder kann eine klinische Untersuchung von neuen Medikamenten aber sehr wohl einen künftigen Nutzen bringen. Deswegen lassen wir sie unter sehr engen Bedingungen zu. Auch die klinische Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen haben wir abgelehnt, nachdem wir ethisch sehr sorgfältig abgewägt haben. Ich weiß, dass auch dies Gegenstand einer Debatte in der EnqueteKommission ist. Die weiterführende Diskussion ist hiermit aber sicher nicht abgeschlossen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Parr, haben Sie noch eine weitere Frage? - Bitte schön.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte noch einmal zu den Rahmenbedingungen für klinische Prüfungen in Deutschland kommen. Sie sind nicht die besten, was durch zahlreiche Investitionen von Unternehmen im Ausland und deren verstärkter Zusammenarbeit mit ausländischen Zulassungsbehörden im Rahmen klinischer Prüfungen sowie durch die geringe Zahl von klinischen Prüfungen in Deutschland offensichtlich wird. Dies wird besonders deutlich, wenn wir das mit Schweden, Großbritannien oder den Niederlanden vergleichen. Aus unserer Sicht liegen die Gründe in den komplizierten und langwierigen Zulassungsverfahren von klinischen Prüfungen und der Arbeit der Ethikkommissionen in Deutschland. Frau Staatssekretärin, können Sie sagen, inwieweit Sie den Spielraum der GCP-Richtlinie wirklich genutzt haben, um einen möglichen Standortvorteil für Deutschland zu erzielen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Parr, Sie wissen, dass für uns das Thema Standortbedingungen im Bereich der Pharmaforschung ein wichtiges Anliegen ist. Deswegen gibt es eine gemeinsame Task Force des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Bei diesen Gesprächen spielt die Verbesserung der Standortbedingungen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grunde sind wir entschlossen, die Spielräume zu nutzen, die uns der europäische Rechtsrahmen bietet. Jetzt ist grundsätzlich nur eine Ethikkommission federführend zuständig. Dadurch wird das Verfahren gestrafft. Darüber hinaus müssen wir zu einer deutlichen Verkürzung der Zulassungsverfahren kommen. Im Gesetz ist ein maximaler Zeitraum von 60 Tagen festgelegt, Ausnahmen regelt die geplante Rechtsverordnung. Wir befinden uns im Moment in Gesprächen mit den Bundesländern, die dem Gesetz zustimmen müssen, und den betroffenen Verbänden. Wir wollen eine deutliche Verkürzung der Zulassungsverfahren in der Verordnung vornehmen, weil wir diese Problematik kennen. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Die lange Dauer der Zulassungsverfahren und ihre Auswirkungen auf den Standort Deutschland sind nur ein Gesichtspunkt. Bei der Entwicklung eines Medikaments entstehen Kosten in Millionenhöhe. Bei den klinischen Untersuchungen wird daher in aller erster Linie der größte Markt - das sind die USA - bedient. Das halten wir für problematisch. Deswegen führt kein Weg daran vorbei, in Europa stärker zusammenzuarbeiten, um europäische Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Standort Europa attraktiver machen. Wir haben die Spielräume, die uns die EU-Regelungen geben, genutzt. Auf der anderen Seite haben wir versucht, wo möglich, Verfahrensvereinfachungen vorzunehmen. Aber Sie wissen selbst - Sie haben eben die EnqueteKommission erwähnt -, dass es schwierig ist, einerseits ethische Fragestellungen zu behandeln und andererseits die Verfahren zu beschleunigen. Gerade im Bereich der klinischen Forschung an müssen ethische Aspekte eine stärkere Rolle spielen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Hüppe.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, zum letzten Bereich, den Sie genannt haben: Können Sie fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Personen - mir liegt nur der Referentenentwurf vor, auf den ich mich beziehe - ausschließen? Meiner Meinung nach lässt nämlich § 41 diesbezüglich einiges offen. Meine zweite Frage: Würde dies auch für Kinder gelten, deren gesetzliche Vertreter nicht die Eltern sind, zum Beispiel für Kinder in einer stationären Einrichtung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Hüppe, in meinem Einführungsvortrag bin ich auf dieses Thema sehr intensiv eingegangen. ({0}) Wie ich sehe, kommen viele Kollegen erst jetzt ins Plenum, weil die Sitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung noch andauerte. Ich will zu diesem Punkt Folgendes sagen: Wir haben dafür gesorgt, dass keine Forschung an gesunden Kindern vorgenommen werden darf. Klinische Forschungen an Kindern sind nur dann zugelassen, wenn das Einverständnis eines Erziehungsberechtigten - wer immer dies auch sein mag - vorliegt. In einer stationären Einrichtung müssen dies nicht die Eltern sein, sondern dies kann auch durch einen Dritten erfolgen. Wenn die Kinder ab einem bestimmten Alter einsichtsfähig sind, ist auch ihre Zustimmung erforderlich. Die klinische Prüfung an nicht einwilligungsfähigen kranken Erwachsenen setzt wie bisher einen individuellen Nutzen voraus.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die nächste Frage hat die Kollegin Widmann-Mauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben, wie ich gerade mitbekommen habe, erläutert, dass in Zukunft pro Land nur noch eine Stellungnahme einer Ethikkommission notwendig ist. Haben Sie in Ihrem Vorhaben auch geregelt, ob Rechtsmittel gegen eine Entscheidung bzw. gegen ein ausbleibendes Votum der Ethikkommission eingelegt werden können? Wenn ja, wie haben Sie diese Rechtsmittel ausgestaltet, und, wenn nein, warum sehen Sie kein Erfordernis, gegen ein Votum bzw. gegen ein ausbleibendes Votum der Ethikkommission Rechtsmittel vorzusehen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal sind wir einem Wunsch der forschenden Pharmaunternehmen nach mehr Klarheit und Transparenz entgegengekommen. Wir haben eine Vielzahl von Ethikkommissionen. In Europa gibt es unterschiedliche Situationen. Es gibt Länder, die nur wenige haben. In Deutschland gibt es ein Nebeneinander von Ethikkommissionen. Durch die 12. AMG-Novelle wird künftig eine Ethikkommission federführend zuständig sein und die anderen Ethikkommissionen werden zuarbeiten. Deren Rechte werden also nicht beschnitten. In Zukunft laufen bei einer Kommission die Informationen zusammen. Ich habe eben erläutert, dass neben dem Gesetz auch eine Verordnung erlassen werden wird, die das Verfahren detailliert regelt. Die Verordnung befindet sich im Entwurfsstadium und wird mit den Bundesländern und den beteiligten Kreisen erörtert. Ich bin sicher, dass die Frage der Rechtsmittel noch einmal zu diskutieren sein wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der nächste Fragesteller ist der Kollege Storm.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, kommen durch die vorgesehenen Neuregelungen zusätzliche Aufgaben auf das BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut zu und, wenn ja, inwiefern werden die finanziellen und personellen Kapazitäten dafür geschaffen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Es kommen auf das BfArM zwangsläufig neue Aufgaben zu, weil wir EU-Recht in nationales Recht umsetzen müssen. So wird - ich habe das eingangs erläutert eine europäische Datenbank aufgebaut, in die Angaben über unerwünschte Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Medikamenten aufgenommen werden. Um diese Datenbank zu bedienen, muss man zwangsläufig Kapazitäten aufbauen. Wir gehen davon aus, dass das, was an zusätzlichen Mitteln erforderlich wird, durch kostendeckende Gebühren gegenfinanziert werden könnte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Zöller, bitte sehr.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie sieht der konkrete Zeitplan für die Verabschiedung des Gesetzentwurfes aus? Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Es handelt sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Ich kann Ihnen nicht endgültig sagen, wie die weiteren Gespräche mit den Ländern vorangehen werden. Ich gehe davon aus, dass das davon abhängen wird, ob die damit zusammenhängende Verordnung auch sehr eng mit den Ländern abgestimmt wird. Das haben wir vor, denn die Länder werden wissen wollen, wie die Verordnung in die Praxis umgesetzt werden soll. Wenn wir einen Konsens erzielen, wird das die mögliche Zustimmung der Länder befördern. Ich bin sehr optimistisch, was die Diskussion über den Verordnungsentwurf mit den beteiligten Verbänden und den Ländern angeht. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass wir die Vorschläge der Länder bezüglich der konkreten Verfahrensabläufe aufgreifen sollten. Ich kann keine Prognose abgeben, ob der Bundesrat im vorgesehenen Zeitplan zustimmen wird oder nicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Kollegin Michalk, Sie haben das Wort.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, warum soll die Einrichtung von Kontaktstellen für die beteiligten Probanden nach Landesrecht statt bundeseinheitlich durch eine Bundesbehörde geregelt werden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich kann Ihnen diese Fachfrage nicht beantworten. Das Referat im BMGS, das federführend für die 12. AMG-Novelle zuständig ist, steht in engem Kontakt mit den Ländern. In aller Regel geht es auf den Wunsch der Länder zurück, wenn Zuständigkeiten auf Länderseite gebündelt werden. Ich bin aber gern bereit, Ihnen die Antwort auf Ihre Frage schriftlich nachzureichen. Ich nehme an, dass durch das Eingehen auf Länderbegehren die Zustimmungsfähigkeit des Gesetzes erreicht werden soll.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Widmann-Mauz, bitte.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mich darüber informieren, ob in der AMG-Novelle auch Regelungen vorgesehen sind, die die Sicherheitsstandards bei der Einfuhr von Arzneimitteln verbessern sollen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Widmann-Mauz, auch das habe ich bereits in meinem Einführungsvortrag dargelegt. Wir tragen in der AMG-Novelle mehreren Punkten Rechnung. Wir setzen europäisches Rahmenrecht um, wollen die klinische Forschung erleichtern und schaffen erstmals Regelungen für nicht einwilligungsfähige Kinder, und zwar unter sehr strengen Kriterien. Wir haben aber auch das Thema Arzneimittelsicherheit berücksichtigt. Dabei geht es um die Frage der Arzneimittelfälschungen. Der Entwurf sieht hierzu eine verschärfte, strafbewehrte Verbotsregelung vor. Ferner soll den europarechtlichen Regelungen entsprechend ein Erlaubnisvorbehalt für den Großhandel mit Arzneimitteln in das AMG aufgenommen werden. Ich habe bereits die beiden Paragraphen genannt, um die es in diesem Zusammenhang geht. Der Strafrahmen ist ausgeweitet worden und die Kontrolldichte wird verschärft. Das war ein ausdrückliches Begehren der Pharmaunternehmen. Denn die Fälschung von Arzneimitteln, die früher ausschließlich in Entwicklungsländern ein Problem war, hat mittlerweile auch Europa erreicht. Deswegen haben sich auch die Pharmaunternehmen für die Ausweitung des Strafrahmens eingesetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Widmann-Mauz, Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Führen Sie mit der Novelle auch Veränderungen bei den GMP-Zertifikaten, die für die klinische Prüfung erforderlich sein könnten, durch?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Das ist mir nicht bekannt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Bauer, bitte.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, mit dem Gesetzentwurf werden die Genehmigungsverfahren in gewisser Weise verändert. Könnten Sie ausführen, wie sich das Verhältnis zwischen Deutschland und anderen europäischen Staaten - beispielsweise England - gestalten wird und welche Unterschiede bestehen werden?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Wir setzen mit dieser Novelle europäisches Recht um. Dahinter steht die Idee, innerhalb Europas eine Rechtsangleichung vorzunehmen. Es erfüllt uns mit Sorge, dass Deutschland im Bereich der klinischen Forschung im Mittelfeld liegt. Wir sehen diese Situation als Herausforderung. Ich habe eingangs erläutert, dass aus diesem Grund von zwei Bundesministerien eine Task Force eingerichtet wurde, die sich auch mit der Frage befasst, wie der Standort für die Pharmaindustrie insgesamt wie auch für die klinische Forschung, die für die Einführung neuer Medikamente notwendig ist, verbessert werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Rückgang der klinischen Forschung nicht nur monokausal mit der Verfahrensdauer zusammenhängt. Vielmehr spielen auch die Personalkapazitäten in den Kliniken und der Umfang der Forschungsförderung in diesem Bereich eine Rolle. Die Bedingungen für den Standort Deutschland müssen verbessert werden. Mit Sicherheit ist auch eine Straffung des Verfahrens möglich. Ich habe das eingangs im Zusammenhang mit der Frage der Ethikkommissionen erläutert. Was wir an neuen Regelungen schaffen müssen, ist europäischem Recht geschuldet, das wir umsetzen. Insofern bin ich der Auffassung, dass die Rechtsangleichung in Europa - beispielsweise die Einrichtung einer europaweiten Datenbank mit Angaben über unerwünschte Wechsel- und Nebenwirkungen - dazu beitragen wird, dass die klinische Forschung am Standort Deutschland wieder zunimmt. Diesen Wunsch verbinden wir jedenfalls mit unserem Vorhaben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Löning, bitte.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, es ist vorgesehen, dass zukünftig bei der Herstellung von Wirkstoffen ein Herstellungsleiter und ein gesonderter Kontrollleiter notwendig sind. Warum belässt es die Bundesregierung nicht bei der alten Regelung, wonach Herstellungsleiter und Kontrollleiter identisch sein können? Das ist gerade für kleinere Firmen sehr wichtig, weil das ein außerordentlicher Kostenfaktor ist.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, wir haben darüber vor allem vor dem Hintergrund der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit diskutiert. Die Interessenlagen von großen und kleinen Unternehmen sind oft sehr unterschiedlich. Die großen Unternehmen haben Angst vor der Verbreitung von Arzneimittelfälschungen. Sie möchten auch den Markenschutz verstärkt sehen. Die kleinen Unternehmen wollen eine Regelung, die ihnen nicht die Luft zum Atmen nimmt. Wir haben versucht, im Rahmen einer sehr fairen Abwägung beiden Seiten gerecht zu werden. Ich glaube, wir haben einen guten Mittelweg gefunden. Nach meinem Wissen ist die Regelung, die wir vorgenommen haben, in der Diskussion auf Zustimmung gestoßen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Storm, bitte.

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte an die Frage des Kollegen Dr. Bauer anknüpfen. Können Sie noch einmal deutlich machen, welches die Hauptinstrumente sein sollen, mit denen Sie eine Vereinfachung der Verfahren sowohl bei der EMEA als auch in den anderen europäischen Ländern erreichen wollen? Sie haben angedeutet, dass Sie hier Bedarf sehen, den Standort Deutschland wesentlich zu stärken. Das betrifft vor allen Dingen wohl auch die Fristen bei den Zulassungsverfahren. Haben Sie sich konkrete Ziele gesetzt, in welchem Umfang die Verfahren zeitlich verkürzt werden sollen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Storm, ich habe schon am Anfang gesagt, dass wir insbesondere in der verbesserten Zusammenarbeit der Ethikkommissionen die Möglichkeit zur Verkürzung der Fristen sehen. Wir haben zwar im vorliegenden Gesetzentwurf die Frist bei 60 Tagen belassen. Wir wollen aber mit der entsprechenden Verordnung eine deutliche Verkürzung dieser Frist - wir streben eine Halbierung an - durchsetzen. Dies muss noch mit den Ländern erörtert werden. Wir sind der Auffassung, dass wir alle Möglichkeiten, die uns das europäische Recht lässt, ausschöpfen sollten, um zu einer Vereinfachung und Straffung der Verfahren zu kommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Zöller, bitte.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe Probleme mit folgendem Satz in der Begründung des Gesetzentwurfes - vielleicht kann man ihn noch ändern; ich möchte zitieren -: Wegen des statistisch geringen Gewichts der Arzneimittel im Rahmen der Kosten sind Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, nicht zu erwarten. Die Bundesregierung macht uns aber ständig weis, dass der Preistreiber Nummer eins die Arzneimittel seien. Wie passt das zusammen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich stimme Ihnen zu, Herr Zöller - es ist ja nichts Neues, dass wir ab und zu einer Meinung sind -, dass die Formulierung in der Begründung sicherlich wenig glücklich ist. Gemeint sind damit die Auswirkungen des Medikamentenbereichs auf die gesamten Lebenshaltungskosten. Wenn man natürlich die Arzneimittelkosten in Bezug auf die Ausgaben der GKV sieht, dann stellt sich in der Tat ein anderes Bild dar.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Löning, bitte.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, für das derzeit vorgesehene reine Modifizierungsverfahren soll eine Gebühr von 770 Euro erhoben werden. Mit welcher Steigerung dieser Gebühr durch das Genehmigungsverfahren rechnet die Bundesregierung?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, ich möchte Ihnen dazu die Haltung des Haushaltsausschusses und insbesondere die Ihres Haushaltsberichterstatters erläutern: Wir werden ständig aufgefordert, bei allem, was wir tun, kostendeckende Gebühren durchzusetzen. Wir werden diesen wichtigen Vorschlag des Haushaltsausschusses aufgreifen und ihn auch umsetzen. Es wohnen hier aber zwei Seelen in der Brust des Parlaments: Auf der anderen Seite möchten die Fachpolitiker, die auch die Standortbedingungen sehen, immer, dass wir bei den Gebühren nicht überziehen. Die Haushaltspolitiker mahnen uns angesichts der Haushaltslage immer, dass wir kostendeckende Gebühren erheben. Wir werden es in diesem Fall auch wegen der angespannten Haushaltslage gar nicht anders machen können: Wir müssen kostendeckende Gebühren erheben. Wie sich das im Einzelnen gestaltet, kann ich Ihnen erst dann sagen, wenn der Aufbau der europäischen Datenbank geklärt ist und die Veränderungen im Verfahren durchkalkuliert sind. Wenn ich Ihnen jetzt hierzu etwas sagen würde, wäre das fahrlässig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nun eine Wortmeldung der Kollegin Lanzinger.

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage zum Schutz von Minderjährigen und nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um den Begriff der minimalen Risiken und der minimalen Belastungen zu konkretisieren? Es ist ja wichtig, zwischen dem objektiven Risiko einerseits und der subjektiven Belastung der Patienten andererseits zu unterscheiden. Die individuelle Entscheidung spielt hierbei eine sehr entscheidende Rolle. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um hier Grenzen aufzuzeigen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal betonen: Die klinische Prüfung an nicht einwilligungsfähigen kranken Erwachsenen setzt wie bisher einen individuellen Nutzen voraus. Wir haben im Gegensatz zum Referentenentwurf die Bedingungen für die klinische Prüfung von Medikamenten an Kindern noch einmal verschärft. Es gab das Begehren interessierter Kreise, dass man diese Forschungen an gesunden Kindern vornehmen kann. Das haben wir abgelehnt. Es ist klar: Erstens muss ein Nutzen - das ist die Voraussetzung - für die Gruppe vorhanden sein. Zweitens muss immer ein Erziehungsberechtigter seine Einwilligung geben. Wenn das Kind in einem Alter ist, in dem es einsichtsfähig ist, muss auch von ihm eine Einwilligung vorliegen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Kinder etwas größer sind. Wenn die Einsichtsfähigkeit vorhanden ist, muss auch das Kind gefragt werden. Wir haben versucht, sehr enge Grenzen zu ziehen. Die klinische Forschung, um die es hier geht, soll eine minimale Eingriffstiefe und minimale Risiken aufweisen. Das kann der Gesetzgeber nicht bis in die letzte Verästelung festlegen. Es gibt auf der einen Seite die Verordnung und es müssen sich auf der anderen Seite konkrete Verfahrensabläufe in der Praxis bewähren. Wir haben darüber intensiv mit den beiden Verfassungsressorts diskutiert. Ich habe vorhin schon gesagt: Es ist eine ethisch sehr schwierige Frage, weil man auf der einen Seite möchte, dass Medikamente nicht nur an Erwachsenen getestet werden, sondern dass man auch Erfahrungen bei Kindern sammelt, und weil man auf der anderen Seite Kinder als besonders vulnerable Gruppe keinen Zusatzrisiken aussetzen möchte. Deswegen gibt es diese sehr engen Grenzen, die ich für vertretbar halte. Aber in der Praxis muss natürlich immer sehr sorgfältig abgewogen werden. Insofern sind die Ethikkommissionen so wichtig. Sie haben im Prinzip zu entscheiden, ob geprüft wird oder nicht. Deswegen haben wir die Ethikkommissionen mit einer sehr starken Stimme ausgestattet und eine erhält die federführende Zuständigkeit. Wir glauben, dass damit gewährleistet wird, dass die ethischen Fragen und die Fragen danach, was wirklich ein minimales Risiko ist, beantwortet werden können. Das kann mit Sicherheit niemand in einer Verwaltungsbehörde beurteilen. Vielmehr brauchen Sie dazu medizinischen und pharmakologischen Sachverstand. Dieser ist in Ethikkommissionen in aller Regel vorhanden. Deshalb haben sie eine starke Stellung.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Haben Sie eine Zusatzfrage?

Barbara Lanzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003499, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben vorhin erwähnt, dass es unterschiedliche Ethikkommissionen gibt. Wir haben in Deutschland insgesamt 52 verschiedene Ethikkommissionen. Die Richtlinie verlangt ein einziges Votum pro Land. Wäre es daher nicht sinnvoll und angebracht, den Bereich der Ethikkommissionen bundesweit einheitlich zu regeln und die Zahl entsprechend zu verringern?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sie wissen, dass dies ein sehr strittiges Thema in der Auseinandersetzung mit den Bundesländern ist. Es wäre schwierig gewesen, eine bundesweit einheitliche Struktur durchzusetzen. Ich kenne den Antrag der Union, in dem es um diese Frage geht und der den Gedanken einer Leitethikkommission enthält. Eine Leitethikkommission bringt ein anderes Problem mit sich: Es soll eine Leitethikkommission für Kinder und verschiedene Leitethikkommissionen für dieses und jenes geschaffen werden. Wir sind anderer Meinung und glauben nicht, dass sich dadurch eine klare Struktur ergibt. Wir meinen, dass diejenigen, die jetzt beteiligt sind, zusammenarbeiten sollen. Einer soll „den Hut aufhaben“; einer soll die Federführung übernehmen. Sie werden in einem föderalen System, in dem auch die Länder an der Gesetzgebung mitwirken, nicht durchsetzen können, dass man die Zahl von 52 Ethikkommissionen auf eine einzige reduziert, wenn es ein starkes Interesse der Länder gibt, die Struktur so zu belassen, wie sie ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zu diesem Themenbereich liegen keine weiteren Fragen vor. Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Es gibt eine Wortmeldung zu einem anderen Thema der heutigen Kabinettssitzung. Herr Kollege von Klaeden, Sie haben das Wort.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Frage an Herrn Staatsminister Schwanitz. Wir wissen aus der Presse, dass die Staatsanwaltschaft Bonn dem Kanzleramt mittlerweile zum dritten Mal mitgeteilt hat, dass sie der Ansicht ist, es habe sich hinsichtlich des Vorwurfs der angeblichen Datenlöschung und der angeblichen Aktenvernichtung im Kanzleramt in einem Fall der Anfangsverdacht nicht erhärtet und das Verfahren sei deswegen einzustellen; in einem anderen Fall sei nicht einmal ein Anfangsverdacht vorhanden. Wird die Bundesregierung gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde einlegen und wird sie das Strafverfahren weiter verlängern? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass die Bundesregierung eine entsprechende Einlegungsfrist hat. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Insofern befindet sich diese Frage noch in Prüfung und kann hier heute noch nicht beantwortet werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege von Klaeden, eine Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wenn die Frist abgelaufen ist, dann brauche ich Sie auch nicht mehr zu fragen. Die Frist läuft am Freitag oder Montag ab. Deswegen bin ich ein wenig erstaunt. Sie haben dieses Verfahren mit Intensität und in einer verfassungsrechtlich äußerst fragwürdigen Art und Weise durchgezogen. Sie bekommen jetzt zum dritten Mal dieselben Argumente vorgetragen und können mir jetzt nicht sagen, ob Sie Beschwerde einlegen wollen oder nicht. Das erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht ganz; denn ich weiß nicht, was aus Ihrer Sicht noch zu prüfen ist.

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, ich weise zunächst noch einmal ausdrücklich zurück, dass wir mit einem fragwürdigen Verfahren agiert haben. Wir haben rechtsstaatliche Mittel in Anspruch genommen. Selbstverständlich ist es notwendig - ich denke, das würden Sie andernfalls von der Bundesregierung erwarten -, dass man das, was als Begründung für diese Einstellung vorgelegt worden ist, einer sorgsamen Prüfung unterzieht und dann am Ende dieses Prüfungsprozesses eine Entscheidung fällt, und zwar innerhalb des Zeitraums, der uns rechtlich zur Verfügung steht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich weise darauf hin, dass die Zeit für die Befragung der Bundesregierung überschritten ist. Ich gebe jetzt noch dem Kollegen Grindel das Wort. Bitte, Herr Kollege Grindel. ({0})

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie im Anschluss an die Frage des Kollegen von Klaeden bitten, uns folgende Fragen zu beantworten - die Prüfung umfasst ja eine Abwägung -: Welche Gründe sprechen für eine Fortführung des Verfahrens? Welche Gründe sprechen dafür, die Frist verstreichen zu lassen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Grindel, es ist nicht eine Abwägung der von Ihnen formulierten Gestalt. Es ist ein Prüfen der inhaltlichen Argumente, die die Staatsanwaltschaft selbst schriftlich vorgetragen hat. Wir befinden uns in einer entsprechenden Prüfung. Ich kann Ihnen gerne über das Ergebnis dieser Prüfung Auskunft geben, aber erst am Ende, wenn sie abgeschlossen ist. Das dauert nicht mehr allzu lange.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Herr Staatsminister Schwanitz. Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Fragestunde - Drucksache 15/1676 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Christoph Matschie bereit. Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordneten Michael Kretschmer: Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung die aktuelle Diskussion um die Schließung des Instituts für Angewandte Chemie, ACA, in Berlin-Adlershof typisch für die finanzielle Situation in der Industrieforschung - gerade der Forschungs-GmbHs - in den neuen Bundesländern?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Sehr geehrter Herr Kollege Kretschmer, Ihre Frage zur aktuellen Diskussion um das Institut für Angewandte Chemie in Berlin-Adlershof beantworte ich wie folgt: Das Institut für Angewandte Chemie, ACA, in BerlinAdlershof als eingetragener Verein ist hinsichtlich der Finanzierung nicht mit Forschungs-GmbHs zu vergleichen. Die Finanzierung des Instituts basiert auf einer Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Berlin. Seit dem 1. Dezember 1993 belief sich die Förderung aus BMBF-Projektmitteln auf 47 960 406 Euro. Auch weiterhin wird das BMBF im Rahmen der Projektförderung das ACA konstruktiv unterstützen. Die aktuelle Diskussion um die Schließung des Instituts ist von daher nicht typisch für die finanzielle Situation der Industrieforschung in den neuen Ländern.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Wer die Zeitungsberichterstattung aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass in den vergangenen Jahren von einer Grundfinanzierung durch das BMBF die Rede geMichael Kretschmer wesen ist. Es wird geschrieben, dass diese Grundfinanzierung wohl auf Protest des Bundesrechnungshofs ab dem kommenden Jahr nicht mehr gewährt wird. Wie sieht die Zukunft des Instituts Ihrer Meinung nach aus?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Zunächst will ich Ihnen sagen, dass die Vereinbarung zwischen dem BMBF und dem Land Berlin über die Finanzierung Ende des Jahres 2003 ausläuft. Gleichwohl unterstützt das BMBF das ACA auch im Jahr 2004 und in den folgenden Jahren im Rahmen seiner Programme durch Projektförderung. Das Verfahren zur Einwerbung von BMBF-Projektmitteln erfolgt, wie Sie wissen, nach Wettbewerbsbedingungen; das gilt für alle Antragsteller. Von neun Projekten, für die Anträge neu eingereicht worden waren, sind sechs Projekte durch externe Gutachter zur Förderung empfohlen worden. Das jetzt beantragte Zuwendungsvolumen beträgt rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Sofern die Antragsbearbeitung abgeschlossen sein wird, können diese Projekte ab Januar 2004 gestartet werden. Nach eigener Darstellung wird das ACA im Jahr 2004 insgesamt 6,7 Millionen Euro Einnahmen erzielen, darunter 2,1 Millionen Euro vom Land Berlin, 2,2 Millionen Euro an Industriemitteln, und damit nach erfolgter Umstrukturierung seine finanzielle Situation stabilisieren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat das ACA Ihrer Meinung nach keine Probleme, zu überleben. Das freut mich, weil es natürlich ein wichtiges Institut für Berlin und die neuen Bundesländer ist. Können Sie mir einen Überblick über die Industrieforschung in den neuen Bundesländern und im Besonderen über deren Grundfinanzierung im Vergleich zu der in den alten Bundesländern geben?

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Das Institut befindet sich im Moment, wie Sie wissen, in einem Umstrukturierungsprozess. Natürlich kann ich heute keine Aussage darüber machen, ob dieser Umstrukturierungsprozess gelingt. Ob er gelingt, müssen die nächsten Jahre zeigen. Es sind aber gute Bedingungen dafür gegeben, glaube ich, dass sich das Institut auch in Zukunft behaupten kann. Aussagen zur Lage der Industrieforschungseinrichtungen insgesamt kann ich aus dem Stand nicht machen. Sie wissen selbst, dass die Situation der Einrichtungen sehr unterschiedlich ist und dass es auch unterschiedliche Rechtsformen gibt. Deshalb wird es vor allem darauf ankommen, wie sich die Bundesländer zu den einzelnen Forschungseinrichtungen verhalten und welche Perspektive sie für diese Forschungseinrichtungen sehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren Fragen vor. Herr Staatssekretär Matschie, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 2 der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch soll schriftlich beantwortet werden. Dadurch entfällt die Behandlung hier. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf: Nach welchen Kriterien trifft die Bundesregierung Entscheidungen über künftige Schließungen von Bundeswehrstandorten?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege Hofbauer, die Frage, nach welchen Kriterien die Bundesregierung über künftige Schließungen von Bundeswehrstandorten entscheidet, beantworte ich wie folgt: Der Personalumfang der Bundeswehr wird bis zum Jahr 2010 auf 250 000 militärische Dienstposten und 75 000 zivile Dienstposten verringert. Die Stationierung der Bundeswehr wird ausschließlich nach militärisch/funktionalen und betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Zusatzfragen.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele Soldaten ein Standort in Zukunft haben muss, damit er nach der Wirtschaftlichkeitsberechnung Bestand hat?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie wissen, dass ja schon im Jahre 2001 ein Kriterienkatalog bezüglich der Schließung von Standorten aufgestellt worden ist. Dieser wird jetzt weiter konkretisiert, sodass ich noch nicht sagen kann, wie die Zahlen aussehen werden. Im Vordergrund steht natürlich der militärisch/funktionale Gesichtspunkt, daneben spielen auch betriebswirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Sie wissen, dass uns die Betriebskosten im Einzelplan 14 die größten Sorgen bereiten. Auf sie fallen etwa 75 Prozent. Allein die Personalkosten machen etwa 50 Prozent aus. Beide Kriterien werden also durchaus eine Rolle spielen.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, eine weitere Frage: In der Presse wird davon gesprochen, dass 140 bis 150 Standorte aufgelöst werden sollen. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass Ihnen keine konkreten Zahlen darüber vorliegen, wie viele Soldaten an einem Standort sein müssen, damit er wirtschaftlich betrieben werden kann. Ich glaube, dass da sehr wohl ein Zusammenhang gegeben ist.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Die genannte Zahl stammt nicht aus dem Bundesverteidigungsministerium, sondern wurde vom Deutschen Bundeswehr-Verband verbreitet. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie der Bundeswehr-Verband zu dieser Zahl kommt. Im Ministerium kursieren diese Zahlen nicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, fällt unter den Aspekt „Militärische Notwendigkeiten“ auch die Fähigkeit der Bundeswehr, im Katastrophenfall schnell zu helfen? Ich erinnere da an die guten Leistungen der Bundeswehr bei Flutkatastrophen. Wenn es in immer mehr Landstrichen in Deutschland keine Bundeswehr mehr gibt, stellt das viele Landkreise vor ein Problem, weil manche Hilfsleistungen nur von der Bundeswehr erbracht werden können. Spielen also die Aspekte Katastrophenschutz und -hilfe bei Ihrer Standortplanung eine Rolle?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Natürlich spielt das eine Rolle. Die Möglichkeit der Bundeswehr, solche Hilfseinsätze durchzuführen, die ja sehr lobenswert gewesen sind, wie Sie selbst ausgeführt haben, und für die die Bevölkerung sehr dankbar war, wird mit in die Überlegungen einbezogen. Hier spielt auch die Frage der Wehrpflicht eine Rolle, denn es waren ja hauptsächlich Wehrpflichtige, die im Einsatz waren. Deren Bereitschaft, dort zu helfen, war sehr groß. Dass so etwas weiter möglich ist, dafür werden wir sorgen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben sehr deutlich darauf hingewiesen, dass Sie nach wirtschaftlichen Kriterien entscheiden, welche Bundeswehrstandorte geschlossen werden und welche nicht. Kommen bei Ihren Überlegungen auch Umzüge in leer stehende Militäreinrichtungen zum Tragen? Im Landkreis Rotenburg zum Beispiel steht die modernste Kaserne der ganzen Bundesrepublik Deutschland, die von den Niederländern wahrscheinlich im Jahr 2007 aufgegeben wird. Können Sie sich auch einen Umzug dorthin vorstellen?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Natürlich können wir uns das vorstellen. Wir wären ja von allen guten Geistern verlassen, wenn wir die Kaserne Seedorf, die mit erheblichem Aufwand und mit Bundesmitteln renoviert worden ist, nicht in die Überlegungen einbeziehen würden. Es ist selbstverständlich, dass wir das tun. Davon können Sie ausgehen. Die dort vorhandene Infrastruktur ist ja nach meinen Informationen in bestem Zustand. Es gab in dieser Woche ein Gespräch des Bundesministers mit drei Bürgermeistern aus der Region und Herrn Kollegen Stünker. Dabei ist schon dargestellt worden, dass die Nutzung dieser Kaserne in die weiteren Überlegungen einbezogen wird. ({0}) - Das war jetzt eine Kommentierung, die ich nicht akzeptieren kann. Der Minister lädt die Gäste ein, die er braucht bzw. die auf ihn zukommen. Wenn Sie den Wunsch gehabt hätten, mit Herrn Bundesminister Dr. Struck zu reden, wäre er sicher bereit gewesen, auch mit Ihnen darüber ein Gespräch zu führen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Klaus Hofbauer auf: Gibt es Einheiten der Bundeswehr, die sowohl von den technischen als auch von den logistischen Anforderungen standortunabhängig sind, und, wenn ja, können diese Einheiten aus strukturpolitischen Erwägungen in ländliche Räume oder strukturschwache Regionen verlegt werden, die von Standortschließungen betroffen sind?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Auf Ihre Frage, Herr Kollege Hofbauer, antworte ich: Ja, es gibt, wie Sie vermutet haben, solche Einheiten der Bundeswehr, die sowohl von den technischen als auch von den logistischen Anforderungen her standortunabhängig sind. Sollte sich aus der Weiterentwicklung der Bundeswehr die Notwendigkeit zu Verlegungen ergeben, wird über diese nur auf der Basis von militärisch/funktionalen und betriebswirtschaftlichen Kriterien entschieden werden. Von allen anderen Überlegungen müssen wir uns trennen, denn sonst können wir die Kosten nicht senken und vor allen Dingen im Einzelplan 14 nicht den Spielraum gewinnen, den wir brauchen.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich war in der letzten Woche an einem Standort, an dem der Auflösungsappell stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass Sie als Mitglied der Bundesregierung ganzheitlich handeln. Die Menschen in jener Region fühlen sich sehr allein gelassen. Die Auflösung des Standortes Kötzting hat wirtschaftliche Folgen für die Region. Es handelt sich um eine strukturschwache Region in Ostbayern. Die Bundesregierung möchte sich dort auch aus der Gemeinschaftsaufgabe zurückziehen. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung an, gerade in solchen strukturschwachen Regionen Übergangsregelungen bzw. -hilfen anzubieten? Die zweite Frage möchte ich - wenn ich darf, Frau Präsidentin - gleich anfügen. Ich habe ein bisschen den Eindruck, Herr Staatssekretär, dass insbesondere die Abwicklung, also der Verkauf der betreffenden Liegenschaften, unheimlich zäh vor sich geht. Ich habe selber zwei Gespräche mit Ihren zuständigen Stellen initiiert. Es ist fast schon beschämend, wie diese Verhandlungen geführt werden: keine konkreten Angaben, weder zum Preis noch zum Zeitpunkt des Verkaufs noch zur Art und Weise. Ich glaube, dass wir hier wesentlich aktiver agieren müssen, um Lösungen für die Region zu finden; denn es ist ja unbestritten, dass der eine oder andere Standort aufgelöst werden muss.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Herr Kollege, ich unterstütze ausdrücklich Ihre Aussage, dass diese Bundesregierung ganzheitlich handelt. Das ist Sinn und Zweck der Zusammenarbeit in der Regierung. Zweiter Punkt: Es kommt darauf an, Herr Kollege, wer für die Verkäufe der Liegenschaften zuständig ist. Es gibt mittlerweile - leider - vier verschiedene Zuständigkeiten: Der Bundesfinanzminister ist über die Bundesvermögensverwaltung zuständig. Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zuständigkeit über die Standortverwaltungen, die ihre Arbeit jetzt optimieren wollen; sie behaupten zumindest, sie könnten den Verkauf genauso gut abwickeln wie die Bundesvermögensverwaltung. Dann gibt es die GEBB. Weitere Verkäufe von Liegenschaften müssen geprüft werden. Es ist bedauerlich, dass das so lange dauert; da gebe ich Ihnen Recht. Keiner wäre glücklicher als wir, wenn der Haushalt durch die Verkäufe der Liegenschaften aufgebessert werden könnte. In den einzelnen Standorten werden Entwicklungsmaßnahmen überlegt, die zu einer Standortoptimierung beitragen können. Möglicherweise denken bei dem von Ihnen erwähnten Standort die kommunale Ebene und die entsprechenden Dienststellen gemeinsam darüber nach, wie die Liegenschaft fortan genutzt werden kann. Es gibt sehr gute Beispiele dafür in Deutschland, dass solche Überlegungen zum Erfolg geführt haben. Zu Ihrem letzten Punkt. Standorte aus strukturellen Gründen aufrechtzuerhalten ist nicht mehr möglich. Wir müssen sehen, wie die Betriebskosten gesenkt werden können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie doch wissen, dass es bei der Auflösung von Standorten seit Jahren das Problem der vier Zuständigkeiten gibt, sind Sie dann mit mir der Auffassung, dass es die Aufgabe der Bundesregierung wäre, eine bessere Koordination bzw. eine Zusammenlegung vorzunehmen? Denn gerade vor dem Hintergrund der jetzt anstehenden Schließungen muss man dafür sorgen, dass es nicht zu zeitlichen Verzögerungen und Reibungsverlusten kommt.

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Sie haben Recht, das wird überprüft werden müssen. Die letzte Ausplanung von Standortschließungen dauerte zweieinhalb Jahre. Auch die Verunsicherung hat also so lange gedauert. Wir wollen alles daransetzen, dass die militärische Führung bis Ende des Jahres 2004 Klarheit darüber schafft, welche Standorte geschlossen werden müssen, und die politische Führung die Ergebnisse bestätigt. Ansonsten kann ich nur sagen, dass die Aufteilung so ist, wie sie ist. Wir, das heißt Minister Scharping, haben seinerzeit versucht, über die Gründung der GEBB für ein Liegenschaftsmanagement zu sorgen, das sehr schnell und erfolgreich agieren kann. Aber es hat sich gezeigt, dass viele Grundstücke, die 30 Jahre lang nicht verkauft werden konnten, auch nicht durch eine neue Firma innerhalb von drei Monaten verkauft werden können. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Es kann durchaus sein, dass sich zurzeit die Bundesvermögensverwaltung mit der Auflösung des von dem Kollegen angesprochenen Standortes beschäftigt. Ich will das gerne prüfen. Aber es muss in der Tat dafür gesorgt werden, dass effizienter gearbeitet wird. Diese Bemühungen könnten alle vier Zuständigkeiten gemeinsam erfolgreich unterstützen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen Grindel.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Hofbauer hatte auch nach der Verlegung von Standorten in Regionen gefragt, in denen andere militärische Verwendungen aufgegeben worden sind. Sie haben das Gespräch am Montag zum Thema Seedorf angesprochen. In diesem Gespräch hat der Bundesminister wohl erklärt, dass er auch aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sein könnte, Budel, einen Bundeswehrstandort in den Niederlanden, aufzugeben. Können Sie mir berichten, ob es schon nähere Erkenntnisse darüber gibt, dass sich dort die Frage der Wirtschaftlichkeit beispielsweise aufgrund der Auslandszulage in besonderer Schärfe stellt und ob deswegen mit einer Verlegung des Luftwaffenausbildungsbataillons an deutsche Standorte zu rechnen ist?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Diese Frage muss natürlich in die Überlegungen einbezogen werden; eine entsprechende Frage hatte ich schon in der letzten Fragestunde beantwortet. Denn der Einzugsbereich dieses niederländischen Standortes ist nun einmal Nordrhein-Westfalen und der Nordwesten von Deutschland. Die Kosten könnten also niedriger ausfallen. Das muss aber geprüft werden, wenn die Niederländer ihre Entscheidung getroffen haben, Seedorf zu verlassen. Diese Entscheidung soll Ende dieses Monats bzw. Anfang November durch das niederländische Parlament erfolgen. Dann wird man sich diese Frage erneut stellen müssen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich vor. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin Kerstin Müller zur Verfügung. Die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Peter Weiß ({0}): Beabsichtigt die Bundesregierung bei der internationalen Geberkonferenz am 23. und 24. Oktober 2003 in Madrid finanzielle Zusagen für den Wiederaufbau im Irak zu machen und, wenn ja, welche?

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Sehr verehrter Herr Kollege Weiß, in Vorbereitung der Geberkonferenz befindet sich die Bundesregierung in einem ständigen, engen Abstimmungsprozess mit unseren EU-Partnern und der EU-Kommission. Die Verhandlungen über die Mechanismen zur Geberkoordinierung dauern noch an. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die EU am 13. Oktober beschlossen hat, 200 Millionen Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt für den Wiederaufbau im Irak bereitzustellen. Wie Sie wissen, beträgt der deutsche Anteil daran rund 25 Prozent.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, bedeutet diese Antwort, dass sich die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich darauf beschränken will, im Rahmen der von der EU bereits angekündigten Hilfe tätig zu werden, und dass es auf der Geberkonferenz keinen eigenen bilateralen Beitrag der Bundesregierung für die Wiederaufbauprogramme im Irak gibt?

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Nein, das bedeutet es nicht; denn wir befinden uns noch in einer Prüfphase. Sie müssen berücksichtigen, dass die von den Vereinten Nationen und der Weltbank erstellten Bedarfsermittlungen erst seit dem 10. Oktober vorliegen. Ich darf Sie ferner darauf hinweisen, dass diese Bedarfsermittlungen sehr vorläufig sind, wie mir der Präsident der Weltbank, Herr Wolfensohn, in einem Gespräch, das ich mit ihm vor zwei Wochen in Washington geführt habe, bestätigte. Man muss auch bedenken, dass der irakische Haushalt erst zu Beginn dieser Woche veröffentlicht wurde. Das heißt, es gibt noch keine hinreichende Basis, auf der man einen Beschluss für eine mögliche deutsche Beteiligung fassen könnte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, das Kabinett hat heute Morgen im Hinblick auf die demnächst zu erwartende Zustimmung des Deutschen Bundestages für die Kunduz-Mission wohl beschlossen, trotz der Tatsache, dass bereits im laufenden und im kommenden Haushalt Mittel für den Stabilitätspakt Afghanistan eingestellt sind, zusätzliche Mittel sowohl für den militärischen Teil als auch für die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Wiederaufbauarbeit in Afghanistan, die nicht zulasten der bestehenden Etats gehen sollen, zur Verfügung zu stellen. Würde für den Fall, dass wir beschließen, uns am Wiederaufbauprogramm für den Irak zu beteiligen, die Bundesregierung einen ähnlichen Beschluss fassen und zusätzliche Mittel einstellen, die nicht zulasten der bestehenden Etats gehen?

Not found (Gast)

Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortbar. Ich sage noch einmal: Wir befinden uns in der Prüfphase und sichten die Grundlagen. Die Geberkonferenz wird stattfinden; die Bundesregierung wird daran teilnehmen und sich mit den Partnern abstimmen. Es ist aber objektiv nicht möglich, diese Frage in der jetzigen Phase zu beantworten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Peter Weiß ({0}): Für welche Projekte im Rahmen der Wiederaufbauprogramme im Irak sollen gegebenenfalls deutsche Finanzhilfen bereitgestellt werden?

Not found (Gast)

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung leistet bereits jetzt, und zwar sowohl bilateral als auch im Rahmen der EU, humanitäre Hilfe und wird dies auch weiterhin tun. So befinden sich beispielsweise seit Ende September 2003 Experten des Technischen Hilfswerkes im Irak, um zum Wiederaufbau der Wasserwerke beizutragen. Schließlich ist die Bundesregierung bereit, zur Ausbildung irakischer Polizeikräfte beizutragen. Sie hat anlässlich einer Reise des Bundeskanzlers am 6. Oktober 2003 eine entsprechende Absichtserklärung mit den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichnet. Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, den Wiederaufbauprozess im Irak weiter zu unterstützen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Weiß.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, da die von Ihnen bereits erwähnten Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich der humanitären Hilfe aus den dafür zur Verfügung stehenden Etatansätzen des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert werden, möchte ich gerne wissen, ob für die Unterstützung der Ausbildung von Sicherheitskräften Mittel bereitgestellt worden sind oder ob es zumindest eine entsprechende Planung gibt, um die Zusage des Bundeskanzlers einzulösen.

Not found (Gast)

Wir werden sicherlich Mittel zur Verfügung stellen, um die Zusage des Bundeskanzlers umzusetzen; davon können Sie ausgehen. Nähere Einzelheiten stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Ich kann Ihnen hierzu sagen, dass die Zusage des Bundeskanzlers bei allen Partnern auf große Zustimmung stößt. Vor allem die amerikanische Seite hat es sehr begrüßt, dass wir uns an der Ausbildung einer irakischen Polizei beteiligen wollen. Denn dies ist perspektivisch ein ganz wichtiger Punkt zur Herstellung von Sicherheit und Stabilität im Irak. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung für den Wiederaufbau. Der jetzige Stand ist: Es gibt eine gemeinsame Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit. Die Einzelheiten zur Umsetzung dieser Erklärung werden auf Expertenebene geprüft und ausgearbeitet. Wir wollen natürlich, dass diese Programme eine möglichst breite Wirkung entfalten. Gehen Sie davon aus, dass wir diese Zusage umsetzen werden!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, der eigentlichen Geberkonferenz wird am 22. Oktober 2003 eine Vorkonferenz mit Nichtregierungsorganisationen und Vertretern des Privatsektors vorausgehen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Ist bereits, was die Teilnahme deutscher Vertreter der Nichtregierungsorganisationen und des Privatsektors, vor allem Vertreter der Industrie, anbelangt, eine Koordinierung mit der Bundesregierung erfolgt und hat die Bundesregierung für diese Vorkonferenz gegenüber den Nichtregierungsorganisationen und Vertretern des Privatsektors Zusagen hinsichtlich einer finanziellen und technischen Unterstützung ihrer Aktivitäten gemacht?

Not found (Gast)

Ich vermute einmal, dass dies nicht der Fall ist. Aber es gibt in der Tat diese Veranstaltung für den Privatsektor. Der BDI hat sich bereit erklärt, die deutsche Wirtschaft entsprechend zu informieren. Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem 23. und 24. Oktober 2003. Wir werden natürlich entsprechende Unterstützung leisten, sofern dies in unsere Zuständigkeit fällt und das im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Fischer, bitte.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, können Sie uns eventuell sagen, ob uns Ihre Kollegin Eid dazu Auskunft geben könnte?

Not found (Gast)

Nein. ({0}) - Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich vermute einmal, dass sie es nicht kann. Aber zu diesem Thema stehe ja ich zur Verfügung. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Präsidentenwahl in Tschetschenien vom 5. Oktober 2003 und hat Bundeskanzler Gerhard Schröder sein letztes Zusammentreffen mit Präsident Wladimir Putin genutzt, um über die Situation in Tschetschenien zu sprechen?

Not found (Gast)

Die Position der Bundesregierung kommt in den beiden Erklärungen der Europäischen Union zu den Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien vom 26. September und vom 8. Oktober 2003 zum Ausdruck. In diesem Sinne wurde das Thema Tschetschenien auch im Rahmen der deutsch-russischen Regierungskonsultationen besprochen, die am 8. und 9. Oktober 2003 in Jekaterinenburg unter Leitung von Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin und unter Teilnahme des Außenministers stattfanden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatsministerin, an der Präsidentenwahl in Tschetschenien haben bekanntermaßen auch russische Besatzungssoldaten teilgenommen. Wie bewertet die Bundesregierung die Teilnahme von Besatzungssoldaten an der Wahl und entspricht dies ihrem Verständnis von demokratischen Wahlen?

Not found (Gast)

Wir stehen zu den entsprechenden EU-Erklärungen, die ich hier gern noch einmal darstellen möchte. In den Erklärungen haben wir gemeinsam mit den Partnern kritisiert, dass es einen Mangel an echten Alternativkandidaten für das Präsidentenamt gab. Wir haben ferner das Fehlen unabhängiger Medien kritisiert und die Notwendigkeit unterstrichen, dass die tschetschenische Bevölkerung die Rechtmäßigkeit der Wahl anerkennt. Das betrifft insbesondere den Punkt, den Sie gerade erwähnt haben. Darüber hinaus haben wir in den EU-Erklärungen unsere Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass in Tschetschenien Menschenrechte geachtet und Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden und die Förderung eines politischen Prozesses zur Konfliktlösung angegangen wird. Wir haben ferner die russische Regierung aufgerufen, ihre Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, insbesondere mit der OSZE, zu intensivieren. Ich denke, wir haben unsere Sorgen bezüglich der Wahl klar formuliert.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie können noch eine weitere Zusatzfrage stellen.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Staatsministerin, Sie haben in Beantwortung der Ausgangsfrage dargestellt, dass der Bundeskanzler diese Fragen gegenüber Präsident Putin angesprochen hat. Wie war die Reaktion der russischen Seite?

Not found (Gast)

Es waren Vier-Augen-Gespräche, von daher kann ich Ihnen die Reaktionen nicht beschreiben. Das tut mir Leid. Ich kann Ihnen nur zur Sache sagen, dass sowohl der Kanzler als auch der Außenminister auf der Linie der EU-Erklärungen die Frage der Wahl in Tschetschenien klar angesprochen haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Markus Löning auf: Wie steht die Bundesregierung dazu, dass viele der großen humanitären Hilfsorganisationen einen Bundeswehreinsatz in Kunduz ablehnen?

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Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Viele der in Afghanistan tätigen staatlichen und nicht staatlichen Hilfsorganisationen fordern eine Ausweitung der ISAF-Präsenz über den Raum Kabul hinaus. So haben im Juni 2003 über 80 Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief die internationale Gemeinschaft aufgefordert, das ISAF-Mandat über Kabul hinaus zu erweitern und so Sicherheit für die Arbeit von staatlichen und nicht staatlichen Hilfsorganisationen zu schaffen. Zu den Unterzeichnern gehören so bedeutende Organisationen wie CARE International, Caritas Internationalis, Human Rights Watch und Oxfam International. Die Bundesregierung hat bei der Planung des Einsatzes in Kunduz die von einigen deutschen Hilfsorganisationen geäußerten Sorgen zur Gestaltung des Verhältnisses von zivilen und militärischen Komponenten in Rechnung gestellt. Erfahrungen mit bereits aktiven PRTs zeigen, dass einschlägige Befürchtungen von NROs in relativ kurzer Zeit abgebaut werden konnten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatsministerin, Sie haben die beiden Kritikpunkte bereits angesprochen. Ein Kritikpunkt der Nichtregierungsorganisationen bezieht sich darauf, dass bei der Präsenz eines größeren Soldatenkontingents, das zur Zielscheibe terroristischer oder sonstiger Angriffe werden könnte, nicht mehr zwischen den Soldaten und den Helfern, die in einer gewissen räumlichen Nähe untergebracht sind, unterschieden werden kann. Selbst die Entwicklungshilfeministerin hat das vor einigen Monaten noch sehr kritisch gesehen. Was hat die Bundesregierung jetzt konkret beschlossen, um zu verhindern, dass zivile Helfer in das Fadenkreuz von Terroristen geraten könnten?

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Eine solche Gefahr ergibt sich meines Erachtens zumindest nicht deshalb, weil es dort in einigen Regionen eine militärische Schutzkomponente geben wird. Die Erfahrungen sind andere. Sie kennen die internationale und die nationale Diskussion. Die positiven Erfahrungen bisheriger PRTs zeigen, dass selbst eine militärische Präsenz kleinen Ausmaßes stabilisierend in der gesamten Region wirkt. Insofern haben wir uns für das Konzept der ISAF-Inseln entschieden. Ein entsprechender Beschluss der Bundesregierung ist heute im Kabinett gefasst worden. Er sieht ein erweitertes ziviles und militärisches Engagement in der Region Kunduz und eine zivile Präsenz in Herat vor. Im Kern geht es ganz klar um Schutz - das heißt, wir werden generell nur assistierend tätig.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Frage, bitte.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als zweiten Kritikpunkt bringen die Nichtregierungsorganisationen an, Kunduz sei eine relativ stabile Region und bedürfe eigentlich keiner Stabilisierung. Es ist jetzt relativ stabil. Wir haben heute Morgen wieder die Auskunft bekommen, dass keine Gefahr für die zivilen Aufbauhelfer in der Region Kunduz besteht. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen, dass die Regierung hier versucht, einen Ausweg zu finden, um gegenüber den Amerikanern das Gesicht zu wahren, und die Bundeswehr eben nicht dorthin schickt, wo sie wirklich stabilisierend wirken könnte, nämlich in Gegenden, in denen zum Teil noch gekämpft wird und in denen es noch Unruhen gibt?

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Ich teile die Behauptung, die in Ihrer Frage impliziert ist, überhaupt nicht. Auch die Region Kunduz hat ganz klar Bedarf an Stabilisierung. Wir haben uns nach sehr umsichtiger Prüfung der Lage vor Ort - nach mehreren Reisen und Gesprächen - für diesen Ort entschieden. Sie wissen, dass wir uns mit den Amerikanern und einigen anderen die Zuständigkeit für die jeweiligen PRTs in den verschiedenen Regionen teilen. Dort besteht ganz klar Bedarf. Wir werden die amerikanische PRT ablösen, das zurzeit dort eingesetzt ist. Ich teile diese Ansicht nicht. Vielmehr besteht dort die Notwendigkeit einer Stabilisierung. Wir machen das ausschließlich aus dem Grund, um zur weiteren Stabilisierung Afghanistans beizutragen. Ziel ist die Umsetzung der Petersberger Beschlüsse, denen wir uns als Bundesregierung - nicht zuletzt aufgrund der entsprechenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages - verpflichtet sehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.

Hartwig Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003526, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, Sie haben eben von ISAF-Inseln gesprochen und gesagt, Kunduz sei eine solche ISAF-Insel. Welches sind die weiteren Inseln und von welchen Ländern werden sie betreut? Sind es wirklich ISAF-Inseln oder muss man nicht eher von EnduringFreedom-Inseln sprechen?

Not found (Gast)

ISAF-Inseln ist der Begriff, den wir verwenden und der sich auch in den Beschlüssen des Kabinetts wiederfindet. Weitere PRTs, befinden sich, wie Sie wissen, in Gardes, in Bamian, in Masar-i-Scharif, in Jalalabad, Kandahar und Herat. Wie die einzelnen Länder den Einsatz gestalten, bleibt ihnen überlassen. Die Resolution der Vereinten Nationen sieht lediglich vor, dass eine Ausweitung der ISAF-Präsenz in Kabul auf andere Regionen möglich ist. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie dürfen leider keine zweite Zusatzfrage stellen. Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Markus Löning: Wie will die Bundesregierung verhindern, dass im Falle eines Bundeswehreinsatzes unter den Augen der deutschen Soldaten Drogen angebaut und gehandelt werden und damit der Eindruck entstehen könnte, dies würde unter dem Schutz, zumindest aber mit Duldung der Bundeswehr geschehen?

Not found (Gast)

Herr Löning, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Anbau von und der Handel mit Drogen ist unbestritten ein zentrales Problem Afghanistans. Der Kampf gegen die Drogen ist eine polizeiliche Aufgabe. Er zählt nicht zu den Aufgaben der Bundeswehr. Die Bundesregierung unterstützt Afghanistan beim Polizeiaufbau einschließlich des Aufbaus spezieller Antidrogeneinheiten und der Grenzpolizei. Ziel der deutschen Unterstützung ist es, die afghanische Zentralregierung in die Lage zu versetzen, selbst den Kampf gegen den Anbau und Handel von Drogen erfolgreich aufzunehmen. Dazu gehört auch, dass die Bundesregierung gezielt Alternativanbaumöglichkeiten für die Landbevölkerung fordern will, was sich in der Planung befindet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatsministerin, wenn es erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, den Ausbau der Zentralgewalt in Afghanistan zu unterstützen, frage ich Sie, welche Gespräche Sie mit dem afghanischen Verteidigungsminister, Herrn Fahim, führen, der als Machthaber in der Region um Kunduz gilt, und warum die Bundesregierung nicht darauf hingewirkt hat, dass die neuen afghanischen Polizeikräfte und die neue afghanische Armee, die sich im Aufbau befinden - schon 6 000 bis 7 000 fertig ausgebildete Soldaten stehen unter dem Kommando von Herrn Fahim -, die Verantwortung in Kunduz selbst übernehmen?

Not found (Gast)

Meinen Sie das mit Blick auf die ISAF-Inseln? ({0}) Den Einsatz über Kabul hinaus auszuweiten ist auf den ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung zurückzuführen. Für den Ort Kunduz haben wir uns entschieden, und zwar nach langer umsichtiger Prüfung und in Abstimmung mit den Partnern. Ich möchte hier noch einmal deutlich machen: Bei unserem gesamten Engagement geht es um Unterstützung, um Assistance; es geht darum, die entsprechenden Kräfte, seien es afghanische oder internationale, beim Aufbau zu unterstützen. Dazu zählt auch der Kampf gegen Drogen. Wir unterstützen zum Beispiel Großbritannien, das die Zuständigkeit übernommen hat, sich speziell um Antidrogenprogramme zu kümmern, was zugleich eine Unterstützung für die afghanische Regierung ist. Wir könnten natürlich viele Konzepte entwickeln, haben aber grundsätzlich die Haltung - diese ist in den Petersberger Beschlüssen festgehalten -, dass es ein afghanisches Ownership über den Prozess geben muss. Wir sagen nicht bevormundend, was die Menschen in Afghanistan machen müssen, sondern leisten Assistance, wollen Fortschritte ermöglichen, wollen unterstützen und leisten Monitoring. Das ist der Kern unserer Aktivitäten. Das ist wichtig, gerade auch im Hinblick auf den Kampf gegen den Drogenanbau.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatsministerin, sieht die Bundesregierung nach dem, was Sie gerade ausgeführt haben, keinen Widerspruch darin, dass Sie die Zentralregierung in Kunduz, was zum Einflussbereich von Herrn Fahim gehört, aus der Verantwortung entlässt? Sie leisten durch die Anwesenheit der Bundeswehr gerade keine Assistance, sondern entlassen die afghanische Zentralregierung aus der Verantwortung, wenn einer ihrer Minister, der zugleich Machthaber in der Region von Kunduz ist, sein lokales Machtgebiet unter die Autorität der Zentralregierung stellt, und zwar auch beim Thema Drogenanbau.

Not found (Gast)

Ich sehe darin keinen Widerspruch. Noch einmal: Die Ortswahl hat in enger Abstimmung mit der afghanischen Regierung, mit den internationalen Partnern und dem Sonderbeauftragten der VN stattgefunden. Vonseiten der afghanischen Regierung wird klar die Notwendigkeit gesehen. Ziele sind, Schutz und Assistance zu gewähren und die Zentralregierung insgesamt zu stärken, eben auch in den Regionen. Wenn der Wille nicht bestanden hätte, dann hätten wir das auch nicht gemacht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des Auswärtigen Amtes. Ich danke Ihnen, Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Die Beantwortung der Fragen übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Körper. Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Roland Gewalt auf: Ist die Kritik des Bundesrechnungshofes zutreffend, dass die Übernahme der Reiterstaffel der Berliner Polizei durch den Bundesgrenzschutz, BGS, erfolgte, obwohl der BGS, im Gegensatz zu den Länderpolizeien, noch wenige Jahre zuvor die Einsatzmöglichkeiten von Dienstpferden für nicht ausreichend hielt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Gewalt, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die polizeiliche Lage hat sich - insbesondere in Berlin - seit Mitte der 90er-Jahre grundlegend gewandelt. Mit dem Umzug der Verfassungsorgane, der Landesvertretungen, der Botschaften usw. hat sich die Anzahl von gefährdeten Personen, von Staatsbesuchen und von Arbeitsbesuchen von der und durch die Bundesregierung sowie der Versammlungs- und Veranstaltungslagen ständig erhöht. So hat sich die Zahl der Versammlungen in Berlin zwischen 1998 und 2002 vervierfacht. Zusätzlich erfuhren durch die Ereignisse des 11. September 2001 unter anderem Verfassungsorgane, Flughäfen und Einrichtungen des öffentlichen Personen- und Güterverkehrs eine Vielzahl zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen; das war im Übrigen von uns allen so gewollt. Gleiches gilt für Reisen gefährdeter Personen und Staatsbesuche. Diese grundlegende Änderung der polizeilichen Lage bestimmt die heutige Beurteilung des Einsatzes von Dienstpferden beim BGS. Dienstpferde werden aktuell in fast allen Aufgabenbereichen des Bundesgrenzschutzes eingesetzt. Im Vordergrund stehen dabei berittene Streifen zum Schutz von Bundesorganen - Bundesministerien und Verfassungsorgane seien als Beispiele genannt - und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit des Luftverkehrs. Darüber hinaus haben sich berittene Streifen auch bei der Überwachung der Grenzen und bei der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Bahnverkehrs bewährt. Zudem ist der Neuaufbau einer Reiterstaffel, worüber Mitte der 90er-Jahre zu entscheiden war, nicht mit der Übernahme einer funktionsfähigen Reiterstaffel zu vergleichen, da die hierbei anfallenden Kosten wesentlich geringer sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich hatte Sie nicht ohne Grund nach der Kritik des Bundesrechnungshofes gefragt. Deshalb muss ich mich wiederholen: Ist die Kritik des Bundesrechnungshofes zutreffend, wonach der BGS selbst den Einsatz von Dienstpferden für nicht erforderlich gehalten hat, bevor die Reiterstaffel in den BGS übergegangen ist, und dass es beim Bundesministerium des Innern und beim BGS überhaupt keine Planung für den Einsatz von Dienstpferden gab, bevor sich der Innensenator von Berlin an Herrn Bundesinnenminister Schily gewandt hat?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Entscheidend sind der polizeitaktische Einsatz, sind die Einsatzmöglichkeiten dieser Reiterstaffel. Ich habe meine Antwort ganz bewusst so gewählt, um Ihnen deutlich zu machen, bei welchen Gegebenheiten diese Reiterstaffel der Polizei zum Einsatz kommt. Ich weiß, dass Sie aus Berlin und aus diesem Bereich kommen. ({0}) Sie kennen die polizeiliche Lage und Sie werden mir mit Sicherheit nicht widersprechen, wenn ich sage, dass dies ein sinnvolles Instrument für unsere innere Sicherheit ist. Ich bin mir sicher, dass ich damit nicht im Widerspruch zu Ihnen stehe.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da Sie davon überzeugt sind, frage ich Sie: Kann die Bundesregierung hier und heute erklären, dass die Übernahme der Reiterstaffel der Berliner Polizei nicht nur eine Verlegenheitslösung war, sondern dass der Einsatz beim BGS langfristig - das betone ich - gesichert ist? Das wollen sicher auch die Kollegen beim BGS wissen.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Gewalt, Sie wissen, dass die Übernahme dieser Reiterstaffel in Berlin eine hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit hatte. Man sollte daran nicht weiter herummäkeln; ({0}) denn ihr Einsatz ist aufgrund der Einsatzmöglichkeiten sinnvoll. Dass wir diese Reiterstaffel inklusive dem zuständigen Personal übernommen haben, war eine kluge und wichtige Entscheidung von uns. Die dortigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten verrichten einen hervorragenden Dienst; wir sind zufrieden. Ich denke, das sieht der Bundesrechnungshof auch zukünftig so. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage des Kollegen Fischer.

Axel E. Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003118, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf feststellen, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben. Die Frage lautete, ob Sie eine langfristige Perspektive bieten können. Ich stelle die Frage für den Kollegen jetzt einfach noch einmal und bitte Sie, hier zu verkünden, ob Sie diese langfristige Perspektive anbieten können.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Fischer, Sie haben bei meiner Antwort wohl nicht richtig zugehört. Ich habe gesagt, dass die polizeifachliche Lage in Berlin einen sinnvollen Einsatz dieser Reiterstaffel möglich macht. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die polizeiliche Lage mittel- und langfristig so ändern wird, dass man diesen Einsatz infrage stellen wird. Das haben Sie aus meiner Antwort vielleicht nicht herausgehört. Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich dafür, dass ich das noch einmal unterstreichen durfte. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Roland Gewalt auf: Hat es zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat Verhandlungen über die Überlassung von Hubschraubern des BGS zur Erfüllung von Polizeiaufgaben in der Hauptstadt gegeben und, wenn ja, zu welchem Ergebnis haben sie geführt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Gewalt, einer Nachfrage des Landes Berlin aus dem Jahre 2000 zur dauerhaften Überlassung von Polizeihubschraubern des Bundesgrenzschutzes zwecks Erfüllung von Polizeiaufgaben des Landes Berlin konnte seitens des Bundesministeriums des Innern nicht entsprochen werden. Jedoch kann es sinnvoll sein, im Wege einer Kooperation mit gleichen Rechten und Pflichten einen gemeinsamen Polizeihubschrauber zu betreiben, mittels dessen Polizeiaufgaben beider Seiten in der Bundeshauptstadt erfüllt werden können. Eine entsprechende Prüfung findet derzeit statt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Gewalt, Sie haben das Wort.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort so zu verstehen, dass dem Land Berlin bzw. der Berliner Polizei - gemeinsam mit dem BGS - in Zukunft ständig ein Hubschrauber zur Verfügung steht, der durch den BGS bereitgestellt wird?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Meine Antwort ist so nicht zu verstehen. Ich habe Ihnen gesagt, dass zu diesem Themenkomplex derzeit eine Prüfung stattfindet. Darüber hinaus ist zum jetzigen Zeitpunkt inhaltlich nichts festzuhalten. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie stets denken: Alles für Berlin! Das ist aus Ihrer Sicht verständlich. Aber auch das, was ich dazu gesagt habe, ist nachvollziehbar. Lassen Sie uns darüber reden! Der Prüfungsvorgang ist, wie gesagt, im Gange.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Frage, bitte.

Roland Gewalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003533, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie wissen sicherlich auch, dass es 2004 aufgrund von Einsparbeschlüssen des Berliner Senats keine Berliner Polizeihubschrauber mehr geben wird. Halten Sie es denn nicht für erforderlich, dass Hubschrauber - ob nun vom BGS oder von der Berliner Polizei - für den Polizeieinsatz in Berlin ständig zur Verfügung stehen: zur Sicherung des Regierungsviertels, bei Großlagen etc.?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Gewalt, § 11 des Bundesgrenzschutzgesetzes regelt die Verwendung zur Unterstützung eines Landes ganz klar. Dort ist von der Unterstützung eines Landes durch den Bundesgrenzschutz die Rede; es geht nicht speziell nur um das Land Berlin. Dies ist die geltende Rechtslage. Meine Antwort, dass wir derzeit prüfen, besagt im Übrigen noch lange nicht, dass es für das Jahr 2004 keine entsprechende Entscheidung gibt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Frage 13 des Kollegen Jens Spahn wird schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 14 der Kollegin Petra Pau: Wie viele antisemitische Straftaten wurden im zweiten Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, im zweiten Quartal 2003 wurden insgesamt 245 antisemitische Straftaten, die dem so genannten Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität - rechts“ zugeordnet wurden, gemeldet, darunter sind 43 Propagandadelikte und neun Gewaltdelikte. Bei Letzteren handelt es sich um sieben Körperverletzungen, einen Landfriedensbruch sowie einen gefährlichen Eingriff in den Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr. Im zweiten Quartal 2003 wurden acht Personen verletzt. Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön, Frau Kollegin.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, ich hatte ausdrücklich nach antisemitischen Straftaten gefragt. Ich gehe davon aus, dass sich die von Ihnen genannten Zahlen auf diesen Komplex beziehen. Ich möchte mich nur vergewissern, weil Sie von Rechtsextremismus sprachen. Ich gehe weiterhin davon aus, dass Sie gut vorbereitet sind und mir die Streuung dieser Straftaten auf die einzelnen Bundesländer mitteilen können.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, diese Streuung kann ich Ihnen derzeit nicht mitteilen. Sie wissen, dass es sich um vorläufige Zahlen handelt. Ich kann Ihnen dafür aber - ich bin immer gut vorbereitet - einen anderen Service anbieten: Im Jahr 2002 - die Zahlen für diesen Zeitraum stehen fest - wurden in diesem Bereich 1 334 Straftaten verübt. Im Vergleich zu der vorläufigen Zahl von 2003 ergibt sich also, das kann man mit allem Vorbehalt sagen, erfreulicherweise eine rückläufige Tendenz. Aber Sie kennen die Problematik der Zählung, insbesondere was den Zeitpunkt der Zählung und die Nachmeldungen angeht. Das muss man berücksichtigen. Aber im Vergleich zeigt der Trend eine positive Entwicklung im Jahre 2003. Im Übrigen waren die Straftaten im Jahre 2002 regional weit gestreut, sodass es sehr schwer gefallen wäre, regional einen Schwerpunkt herauszugreifen. Das könnte man gegebenenfalls gesondert auflisten. Das Ergebnis dürfte jedoch so sein, wie ich es im Kopf habe.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben eine weitere Frage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, mit Blick auf eine Debatte, die wir heute Vormittag im Innenausschuss geführt haben: Liegen Ihnen Erkenntnisse vor, dass außer im rechtsextremistischen Bereich in anderen Spektren - ich möchte es einmal so vorsichtig formulieren - ein Zuwachs von antisemitischen Straftaten zu verzeichnen ist?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, mit Blick auf das Gespräch heute Vormittag im Innenausschuss kann ich diese Frage, insbesondere für diesen Deliktbereich, nicht bejahen. Dass die eine oder andere Entwicklung stattgefunden hat, ist auch heute Vormittag deutlich geworden. Dass wir dies aufmerksam verfolgen müssen, ist auch in Ihrer Beurteilung zum Ausdruck gekommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hartmut Koschyk werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Herr Staatssekretär Körper, ich bedanke mich sehr herzlich für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Austermann und die Frage 19 des Kollegen Rupprecht werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfügung. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Ina Lenke auf: Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem Wirtschaftsmarkt China und den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China bei und hält die Bundesregierung es für sinnvoll, jungen chinesischen Nachwuchskräften in Deutschland eine Fachschulausbildung nach deutschem oder internationalem Standard - zur Erlangung der deutschen Hochschulreife - zu ermöglichen - wie es schon bei EU-Bürgern praktiziert wird -, damit diese nach ihrer Ausbildung und der Rückkehr in ihre Heimat durch die in Deutschland erworbenen Kenntnisse dazu beitragen können, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten zu fördern und auszuweiten?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, ich beantworte die Frage 20 etwas ausführlicher, weil Sie sowohl nach dem Stellenwert der wirtschaftlichen Beziehungen als auch nach Möglichkeiten für die Ausbildung von jungen Chinesinnen und Chinesen gefragt haben. Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sind seit Jahren durch eine außerordentliche Dynamik gekennzeichnet. Im Jahre 2002 erzielte Deutschland im Handel mit China ein Volumen von 35,6 Milliarden Euro und verdrängte damit erstmals Japan vom ersten Platz im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum. Besonderen Anteil an dieser Entwicklung hat der deutsche Export, der seit 1998 jährlich mit zweistelligen Raten zunahm. Das Ausfuhrvolumen im Jahre 2002 betrug 14,5 Milliarden Euro. Dieser Trend hat sich auch im ersten Halbjahr 2003 - Ausfuhr: 8,5 Milliarden Euro mit plus 29,9 Prozent fortgesetzt. Der besondere Stellenwert des chinesischen Marktes wird auch durch zahlreiche hochrangige deutsche Staatsbesuche unterstrichen. Der überaus positive Trend ist unter anderem auch auf die ungebrochene Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen in China zurückzuführen. Daraus resultiert ein Bedarf an hoch qualifizierten Fachkräften, die in China für deutsche Unternehmen tätig werden können. Chinesische Mitarbeiter deutscher, in China angesiedelter Unternehmensteile haben deshalb die Möglichkeit, zu betriebsbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen nach Deutschland einzureisen. Im Einklang mit den Grundlinien der Entwicklungspolitik können jetzige und zukünftige Fach- und Führungskräfte, somit Fachkräfte, die über eine abgeschlossene Grundausbildung und nach Möglichkeit über mehrjährige Berufserfahrung verfügen, in Deutschland eine Aus- und Fortbildung erhalten. Den späteren Führungskräften wird die Möglichkeit der Fortbildung in Deutschland eröffnet, da darin ein sinnvoller Beitrag im Rahmen der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen gesehen werden kann. Im Übrigen ist hinsichtlich der Zulassung zur Schulausbildung nach allgemein bildenden Schulen, die zur allgemeinen Hochschulreife führen, und Fachschulen zur beruflichen Erstausbildung, die neben dem Erwerb eines Berufsabschlusses einen Fachhochschulzugang eröffnen, zu differenzieren. Eine berufliche Grundausbildung in Deutschland wird nicht mit deutschen Steuergeldern gefördert, da diese in vielen Staaten in den relevanten Fachgebieten kostengünstiger und näher an den Problemen des Landes orientiert möglich ist. Dazu hat Deutschland mit dem Ziel, einheimische Bildungsstrukturen aufzubauen und zu stärken, durch Unterstützung von Projekten zur Förderung der Grundbildung in diesen Ländern beigetragen. Dies schließt allerdings eigenfinanzierte Ausbildungen in Deutschland nicht per se aus. Eine aus wirtschaftspolitischer Sicht sinnvolle Möglichkeit kann die vollzeitschulische Erstausbildung bei privaten Schulen oder Bildungsträgern sein, wobei die Teilnehmer die entstehenden Kosten selbst aufbringen. Entsprechend kann Ausländern die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden, wenn es sich bei der Schule um eine besondere Schule mit internationaler Ausrichtung handelt oder wenn es sich um eine staatlich anerkannte Schule handelt, die ganz oder überwiegend aus von den Eltern zu entrichtenden Schulgeldern finanziert wird. Bestrebungen, die darauf ausgerichtet sind, ganze Schulen oder komplette Klassenzüge ausschließlich für chinesische Staatsangehörige einzurichten, widersprechen der deutschen Rechts- und Interessenlage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe jetzt die Zusatzfrage der Kollegin Lenke auf.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das Letzte, was Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben, kann ich überhaupt nicht verstehen, nämlich dass es nicht im Interesse von Deutschland sein kann, dass junge Chinesinnen und Chinesen hier Deutschkenntnisse erwerben und die allgemeine Hochschulreife erlangen. Vielleicht können Sie mir das erklären. Aber ich habe noch eine andere Frage. Aus welchem Grund wurden die deutschen Auslandsvertretungen in China durch das Auswärtige Amt in Abstimmung mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesinnenministerium sowie den Landesministerien angewiesen, jungen Chinesen und Chinesinnen, die einen ausschließlich privat finanzierten Aufenthalt - davon haben Sie auch gesprochen - zum Zwecke des Besuchs einer privaten Schule beabsichtigten, keine Visa zu erteilen? Ich bitte Sie - wenn wir schon bei diesem Thema sind -, mir eine positive Antwort zu erteilen und diese auch an Ihr Ministerium weiterzugeben, damit wir vielleicht gemeinsam eine Änderung bewirken können.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Ich würde Ihnen selbstverständlich gerne positiv antworten, wenn ich das könnte. Mir ist die von Ihnen erwähnte Vorgabe nicht bekannt. Sie würde im Übrigen auch den allgemeinen Aussagen und Vorgaben, die ich gerade zitiert habe, nicht entsprechen. Ich bitte Sie um Verständnis dafür, dass ich Ihre Zusatzfrage nach dem Erhalt einer entsprechenden Auskunft im Hause schriftlich beantworte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich finde Ihre Bereitschaft sehr positiv und sympathisch und bitte Sie, doch einmal die ablehnende Begründung zu prüfen, dass es nicht im entwicklungspolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liege. Ich begrüße es auch sehr, dass diese Fragen nicht seitens des Entwicklungsministeriums, sondern von Ihnen als Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums beantwortet werden.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir ist diese Begründung nicht bekannt; ich kenne vielmehr Gegenbeispiele. Zum Beispiel hält die Steinbeis-Stiftung ausdrücklich und in hohem Maße Studiengänge für chinesische Absolventinnen und Absolventen vor, die auch entsprechend in Anspruch genommen werden. Obwohl ich in letzter Zeit mit der Stiftung in Kontakt gestanden und die Absolventinnen und Absolventen getroffen habe, habe ich nichts von Schwierigkeiten bei der Visaerteilung gehört. Ich bin aber gerne bereit, dieser Frage nachzugehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der Kollege Grindel hat eine Zusatzfrage.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch mich hat es in der Tat gewundert, Herr Staatssekretär, weshalb das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit die Fragen beantwortet. Denn die aktuellen Vorfälle, die auch den Fragen von Frau Lenke zugrunde liegen, gehen vor allen Dingen auf das Auswärtige Amt und das Innenministerium zurück. Vielleicht können Sie mich bei der schriftlichen Beantwortung einbeziehen, wenn Ihnen die Antwort auch auf meine Nachfrage nicht geläufig ist. In der Tat gibt es zahlreiche Visaverfahren von chinesischen Auszubildenden oder Schülern, zum Beispiel auch im Zusammenhang mit den von Ihnen angesprochenen Projekten. Diese Vorhaben werden verhindert. Ich würde gerne von Ihnen wissen - vielleicht ist Ihnen das von der Steinbeis-Stiftung bekannt -, ob es in irgendeinem Fall aufenthaltsrechtliche Probleme gegeben hat, indem vordergründig ein privater Schulbesuch angestrebt worden ist, aber dann tatsächlich ein Asylantrag gestellt worden oder jemand untergetaucht ist. Das könnte schließlich dahinter stehen, wenn eine solche restriktive Visapolitik betrieben wird.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir persönlich ist aus meinem Erfahrungsbereich, der in dieser Beziehung allerdings begrenzt ist, kein solcher Fall bekannt. Ich bin aber gerne bereit, auch dieser Frage nachzugehen und sie im Zuge der zugesagten schriftlichen Beantwortung zu beantworten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Ina Lenke auf: Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, den Kommunen, die von Bundeswehrstandortschließungen betroffen sind, dadurch zu helfen, dass durch den Abbau von gesetzlichen Hürden bzw. durch großzügigere Ermessensentscheidungen solventen Investoren besondere Anreize geschaffen werden, an stillgelegten ehemaligen Bundeswehrstandorten zu investieren, um so die in den von den Standortschließungen betroffenen Regionen oft starken wirtschaftlichen Verluste abzufedern bzw. aufzufangen, und erachtet die Bundesregierung beispielsweise die Einrichtung einer privaten Fachschule für junge Chinesen, die später einmal in ihrem Heimatland Führungspositionen einnehmen wollen, an einem solchen Standort für in diesem Sinne förderungswürdig?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Frau Kollegin Lenke, eine spezielle Förderung im Zusammenhang mit Konversionsmaßnahmen findet, wie Sie wahrscheinlich wissen, nicht mehr statt. Daher kann nicht von einer Förderung von Privatschulen an ehemaligen Bundeswehrstandorten ausgegangen werden. Die Einrichtung von privaten Fachschulen für die ausschließliche Ausbildung chinesischer Nachwuchsführungskräfte wird von unserem Haus als nicht sinnvoll angesehen. Chinesische Absolventen deutscher Bildungseinrichtungen können eine enge Bindung an den deutschen Bildungs- und Wirtschaftsraum entwickeln und so nach ihrer Rückkehr den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen langfristig förderlich sein. Das ist in etwa das Ziel der Ausbildung durch die Steinbeis-Stiftung, die ich skizziert habe. Dies erfordert im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten eine Integration der Interessenten in bestehende private Bildungseinrichtungen, um gute Chancen zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Kennenlernen der deutschen Kultur von Anbeginn zu eröffnen. Dies kann nur in Zusammenarbeit und im Zusammenleben mit deutschen Mitschülern optimal gelingen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich glaube eher, dass ich mich falsch ausgedrückt habe, als dass Sie mich missverstanden haben. Hier geht es auf keinen Fall um eine staatliche Förderung des Umbaus von Kasernen. Wenn Sie wüssten, welche Schwierigkeiten die Kommunen haben, um die Kasernen nachnutzen zu können! Der Inhalt meiner Frage - das sage ich als Kommunalpolitikerin - zielte auf eine mögliche Nachnutzung der stadtnah liegenden Kasernen durch die Kommunen ab. Es geht nicht um Kasernen, die weit weg vom Stadtkern liegen. Hier gibt es offenbar keine staatliche Förderung. Meine Zusatzfrage: Hält es die Bundesregierung vor diesem Hintergrund für möglich, dass die Anwendung der Verwaltungsvorschrift in der Praxis - sie heißt „Verwaltungsverordnung zum Ausländergesetz“ und ist nach meiner Meinung sehr restriktiv - in Bezug auf junge Chinesen, die sich ausschließlich auf privatfinanzierter Basis zum Zweck des Besuchs einer privaten Schule in Deutschland aufhalten, gelockert wird und dass die deutschen Auslandsvertretungen in China angewiesen werden, den Antragstellern und Antragstellerinnen ein Visum für diesen Zweck zu erteilen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Erstens. Zu Ihrer Bemerkung „Wenn Sie wüssten …“ möchte ich Ihnen sagen: Auch ich bin in einer Kommune verhaftet, die Nachnutzungen durchgeführt hat. ({0}) Ich weiß, dass diese Vorhaben zwar unglaublich langwierig und schwierig waren, dass sie aber erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Ich kenne also die diesbezüglichen Schwierigkeiten. Zweitens. Auf Ihre Frage möchte ich ganz spontan und möglicherweise auch etwas ungeschützt antworten: Ich halte dieses Anliegen für schlüssig, wenn dadurch die deutschen Interessen betreffend etwa die Finanzierung nicht berührt sind. Ich möchte gern im Zuge der schriftlichen Beantwortung eine großzügigere Anwendung der angesprochenen Verwaltungsvorschrift anregen. Haben Sie aber bitte Verständnis, dass ich das zuerst mit meinem Haus und auch mit dem Auswärtigen Amt, das hier zuständig ist, absprechen möchte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Grindel, bitte.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben in Ihrer Anwort auf die Frage 20 der Kollegin Lenke darauf hingewiesen - das ist vielleicht auch für die weiteren Beratungen in dieser Frage wichtig -, dass große Unternehmen wie etwa VW eine Fortbildung für später in China arbeitende chinesische Mitarbeiter durchführen. Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, ob die angesprochenen Berufsfachschulen für Chinesen nicht auch für die mittelständischen Unternehmen, die sich so etwas nicht leisten können, Möglichkeiten bieten, sich ein Potenzial an Mitarbeitern, die sich über den Besuch einer Berufsfachschule für Chinesen qualifiziert haben, für ihre Niederlassungen in China zu erschließen. Schließlich bauen auch mittelständische Unternehmen dort in zunehmendem Maße Betriebe auf.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Herr Kollege, selbstverständlich bin auch ich der Auffassung, dass solche Berufsfachschulen Möglichkeiten für den Mittelstand bieten. Mit dem Projekt der Steinbeis-Stiftung, das ich Ihnen schon skizziert habe, hat man genau das im Auge. Wie Sie vielleicht wissen, werden die Absolventen des Steinbeis-Studienganges - das ist gewissermaßen ein duales System - in der Praxis mittelständischen Firmen zugewiesen und erhalten von der Steinbeis-Stiftung parallel bzw. nachgeschaltet eine theoretische Ausbildungsbegleitung. Dieses Projekt habe ich mir sehr genau angeschaut. Ich versuche gerade, diese Initiative über andere Länderbeteiligungen - die Steinbeis-Stiftung hat ihren Ausgangspunkt in Baden-Württemberg; sie ist aber auch in Nordrhein-Westfalen aktiv - und vielleicht auch auf der Ebene des Bundes weiter zu fördern. Ich bin gerade dabei, zu prüfen, inwieweit dies nötig ist. Das scheint mir eine sehr vernünftige Sache zu sein, und zwar deshalb, weil diesem Projekt ein duales Prinzip zu Grunde liegt und weil diejenigen, die diesen Studiengang besuchen, nicht von ihrem deutschen Umfeld abgeschlossen sind und wie in dem VW-Beispiel auch praktische Kenntnisse erwerben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Klaus Rose auf: Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass ein Gericht die Praxis eines Unternehmens bestätigt hat - vergleiche „Passauer Neue Presse“ vom 7. Oktober 2003 -, deutsche Beschäftigte durch kostengünstigere ungarische Werkvertragsarbeitnehmer zu ersetzen?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Lieber Herr Kollege Rose, ich beantworte die Frage wie folgt: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass gemäß der noch bis zum EU-Beitritt Ungarns am 1. Mai 2004 geltenden Rechtslage, die im vorliegenden Zusammenhang vom deutschen Arbeitsgenehmigungsrecht und der bilateralen deutsch-ungarischen Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung bestimmt wird, die in der Fragestellung angesprochene Praxis nicht zulässig ist. Nach dieser Vereinbarung verbieten Arbeitsmarktschutzaspekte, dass deutsche Beschäftigte durch ungarische Werkvertragsarbeitnehmer ersetzt werden. Zum einen wird deshalb im vorliegenden Fall, den Sie in Ihrer Fragestellung angesprochen haben, die Bundesanstalt für Arbeit, die die Arbeitsgenehmigungen für ausländische Werkvertragsarbeitnehmer zu erteilen hat, im gerichtlichen Verfahren eine weitere Klärung zur Auslegung der einschlägigen deutsch-ungarischen Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung herbeiführen. Bundesanstalt und Bundesregierung vertreten dabei - im bisherigen Einvernehmen mit den Vertragspartnern wie Ungarn - anders als das Sozialgericht in Nürnberg die Auffassung, dass die deutsch-ungarische Vereinbarung - wie sie übrigens auch mit anderen Staaten besteht eine Zulassung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer nicht vorsieht, wenn diese an die Stelle entlassener inländischer Arbeitnehmer treten würden. Die rechtliche Argumentation hierzu hat die Bundesregierung in der schriftlichen Antwort auf die Fragen des Kollegen Straubinger zur gleichen Angelegenheit näher erläutert. Zum anderen werden Bundesregierung und Bundesanstalt für Arbeit zusammen mit Ungarn wie auch anderen Vertragspartnern die Frage prüfen, ob die jeweiligen Vereinbarungen einer textlichen Präzisierung bedürfen. Mit in Betracht zu ziehen ist dabei, dass mit dem Beitritt Ungarns - auch weiterer Vertragsstaaten - zur Europäischen Union die Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung nur noch in bestimmten Wirtschaftszweigen - insbesondere in der wichtigen Branche Baugewerbe Anwendung finden wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nach Ihrer Aussage, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung richtig gehandelt und vorher schon verhandelt und nur das Sozialgericht hat das missverstanden. Gibt es denn auch weitere Beispiele oder nur das Beispiel dieses einen Betriebes, der angeblich so gehandelt hat, dass alles missverständlich war?

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Mir ist keines geläufig. Ich bin aber gern bereit, nachzufragen, um Ihnen darauf eine schriftliche Antwort zu geben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bis wann wird denn die Bundesregierung bzw. die Bundesanstalt für Arbeit dieses gerichtliche Gegenverfahren eingeleitet haben oder bis wann kann man erwarten, dass auch etwas dabei herauskommt? Bekanntermaßen ist die EU-Erweiterung im nächsten Jahr. Es wäre ein bisschen schade, wenn es sich so lange hinziehen würde und praktisch nichts erreicht wird.

Rezzo Schlauch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002777

Da ihre Auffassung so klar und deutlich ist, wie ich sie auch formuliert habe, setzt die Bundesregierung alles daran, dieses Verfahren zu beschleunigen. Ich gehe davon aus - ohne dass ich es genau weiß -, dass natürlich im Rechtsmittelverfahren erst einmal versucht wird, dieses erste, „falsche“ Urteil zu korrigieren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Die Frage 23 des Kollegen Jens Spahn, die Frage 24 des Kollegen Ernst Hinsken, die Fragen 25 und 26 des Kollegen Hartwig Fischer ({0}) und die Frage 27 der Kollegin Petra Pau werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung. Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Manfred Grund auf: Trifft es zu, dass der Abschnitt zwischen Breitenworbis und Bleicherode in Thüringen im Zuge des Neubaus der Bundesautobahn A 38, Göttingen-Halle - VKE 561-4 -, erst 2007 und nicht wie bislang geplant 2005 fertig gestellt wird - vergleiche „Thüringer Allgemeine“ vom 17. September 2003 -, und, wenn ja, warum?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Kollege Grund, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Bau der Bundesautobahn A 38 erfolgt - wie bei allen Bauvorhaben dieser Größenordnung - in verkehrswirksamen Abschnitten. Ziel der Bundesregierung ist es nach wie vor, das Gesamtvorhaben bis zum Jahr 2005 weitestgehend fertig zu stellen, wobei die Inbetriebnahme der restlichen Abschnitte in den Jahren 2006 und 2007 erfolgen wird. Die zeitliche Realisierung der einzelnen Streckenabschnitte ist zum einen von deren verkehrlicher Wirkung und zum anderen von der Dauer der hierfür jeweils notwendigen Planungen abhängig. So waren für den Planungsabschnitt zwischen Breitenworbis und Bleicherode aufgrund der problematischen geologischen Situation - Bergsenkung, Erdfälle, Kaliberge - und der sensiblen ökologischen Verhältnisse umfangreiche und zeitaufwendige Zusatzuntersuchungen erforderlich. Weiterhin mussten infolge der trassennahen Wohnund Gewerbebebauung mehrere alternative Linienführungen untersucht werden, die bereits im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens mit den betroffenen Gemeinden und Anliegern ausführlich erörtert wurden. Das Planfeststellungsverfahren ist eingeleitet. Die Auslegung der Pläne erfolgt im November dieses Jahres. Der Baubeginn dieses Streckenabschnitts kann erfolgen, wenn der Freistaat Thüringen hierfür das Baurecht geschaffen hat. Auf der Grundlage dieses Planungsstandes ist davon auszugehen, dass die Fertigstellung im vorgenannten zeitlichen Rahmen des Gesamtprojektes erfolgt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Grund, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank für die Beantwortung dieser Frage. Ich danke auch dafür, dass man in der Vorbereitung in diesem wirklich schwierigen Abschnitt auf die Kommunen zugegangen ist. Frau Staatssekretärin, können wir angesichts dessen, was Sie hier vorgetragen haben, davon ausgehen, dass in 2004 alle Bauabschnitte, also auch dieser schwierige Bauabschnitt, in Bau sein werden, oder rechnen Sie aus irgendwelchen Gründen mit anderweitigen Verzögerungen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Das Planfeststellungsverfahren muss abgeschlossen sein. Bevor Baurecht vorliegt, wird man schwerlich bauen können. Es gibt kein finanzielles Problem - da sind wir uns einig -; das Problem besteht darin, angesichts der geologischen Gegebenheiten das Recht zum Bauen zu erlangen. Es gab eine Verzögerung. Wir müssen abwarten. Es geht jetzt voran. Ich gehe davon aus, dass ab November, wenn die Pläne ausliegen, sehr zügig gearbeitet wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schließen Sie aus, dass irgendetwas anderes als die von Ihnen genannten Schwierigkeiten - Probleme geologischer Art, Probleme mit der Wohnbebauung - dazu beigetragen hat, dass es zu Verzögerungen gekommen ist, die auch für die betroffenen Anlieger sehr ärgerlich sind?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich habe keinerlei Hinweise darauf, dass die Straßenbauverwaltung Thüringen, die letztlich den Auftrag von uns bekommen hat, die DEGES oder das entsprechende Ministerium in Thüringen in irgendeiner Weise nicht ordentlich gearbeitet haben. Ich glaube, dass sie alle ihren Beitrag geleistet haben. In problematischen Bereichen wie diesem passiert so etwas einfach manchmal. Es handelt sich um ein ehemaliges Abbaugebiet, wo die Arbeit wegen des Untergrunds besonders schwierig ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Manfred Grund auf: Was wird die Bundesregierung veranlassen, um für die Dauer der Bauverzögerung die Ortsdurchfahrten der Bundesstraße B 80 vom Fahrzeugaufkommen zu entlasten?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Eine Entlastung der Ortsdurchfahrten im Zuge der Bundesstraße B 80 vom Durchgangsverkehr bis zur Fertigstellung der Bundesautobahn A 38 durch temporäre Maßnahmen ist nicht vorgesehen und wäre auch nicht möglich. Die für die Bundesautobahn A 38 zwischen Göttingen und Halle prognostizierte Verkehrsstärke wird sich erst nach der Gesamtfertigstellung der neuen Autobahn einstellen. Da neben dem Bauabschnitt Breitenworbis-Bleicherode auch die Fertigstellung weiterer Teilstücke des Verkehrsprojekts „Deutsche Einheit“ Nr. 13 nach dem Jahr 2005 erfolgt, werden die Bundesautobahn A 38 und die für den weiträumigen Verkehr noch benötigten Abschnitte der vorhandenen Bundesstraße B 80 im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 eine erheblich geringere Verkehrsstärke aufweisen. Die Bundesstraße B 80 mit circa 10 000 Kfz innerhalb von 24 Stunden ist im bundesweiten Vergleich für eine Bundesstraße nicht überdurchschnittlich hoch belastet. Die völlige Entlastung vom überregionalen Verkehr ist zeitlich absehbar.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie sprechen von 10 000 Fahrzeugen pro Tag. Ich kenne noch andere Zählungen. Auch nach Zählungen, die vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben worden sind, sind es 18 000 Fahrzeuge, davon ein Drittel Schwerlasttransporte. Bei einer Verzögerung der Fertigstellung der Ortsdurchfahrten - es handelt sich um fast reine Ortsdurchfahrten - machen insbesondere diese Schwerlasttransporte den Anwohnern natürlich schwer zu schaffen. Die Anwohner sorgen sich darum, was in dieser Zeit geschieht, sowohl was die Lärmbelästigung als auch was die anderen Folgen insbesondere der Schwerlasttransporte angeht. Sie sehen also keine Möglichkeit, Frau Staatssekretärin - ich darf einmal nachfragen -, im Hinblick auf die Verzögerung der Fertigstellung irgendetwas zu tun, um die Anlieger von den zu erwartenden Belastungen, die jedes Jahr steigen, ein wenig zu entlasten?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich kann die Anwohner sehr gut verstehen; ich wohne an einer Straße, auf der 60 000 Kfz am Tag fahren. Aber Sie müssen Folgendes sehen: Bei der Zählung mit dem Ergebnis „10 000 Kfz“ handelt es sich um eine normierte Zählung. Dass man an bestimmten Tagen auf andere Mengen kommt, ist völlig klar. 10 000 Kfz pro Tag sind im bundesweiten Vergleich sehr wenig. Vor allem im Westen gibt es Bundesstraßen, auf denen pro Tag mehr als 20 000 Kfz gezählt werden. Auch für die neuen Bundesländer liegt die Zahl von 10 000 eher im Durchschnitt. Es besteht überhaupt keine gesetzliche Grundlage, um für die wahrscheinlich zwei Jahre der Verzögerung eine Erleichterung zu schaffen. Eine solche Erleichterung - wenn Sie ganz ehrlich sind, werden Sie mir darin auch zustimmen - wäre auch etwas, was gegenüber anderen nicht gerechtfertigt werden könnte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, am Freitag dieser Woche wird in Sollstedt von einer Bürgerinitiative, die bei der Planung bisher sehr konstruktiv mitgewirkt hat, eine Bürgerversammlung durchgeführt. Sind Sie oder ist jemand anderes aus dem Ministerium, der auch ein bisschen in der politischen Verantwortung steht, bereit, dort das, was hier schlüssig dargelegt worden ist, noch einmal vorzutragen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ja. Wir werden den Leiter des zuständigen Gebietsreferates dorthin schicken. Er wird die gesamte Zeit dort sein, die Position des Ministeriums noch einmal vertreten und für die Beantwortung aller Fragen zur Verfügung stehen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Hans-Joachim Otto ({0}), die Frage 32 des Kollegen Michael Kretschmer und die Frage 33 des Kollegen Albert Rupprecht ({1}) werden schriftlich beantwortet. Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Frau Staatssekretärin Mertens, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Wir sind damit auch am Schluss der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr. ({2}) ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zum Eingeständnis des Bundesfinanzministers, dass er 2003 für den Bund mit über 40 Milliarden Euro die höchsten Schulden in der Geschichte der Bundesrepublik aufnehmen wird Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Wir können die Bundesregierung gar nicht zu ihrer Haltung befragen, weil sie nicht anwesend ist. Ich frage jetzt den Präsidenten, wie wir verfahren wollen. ({0}) Angesichts der Leere in den Bänken der Bundesregierung und der Rednerreihenfolge, die uns hier vorliegt, stelle ich fest, dass der Finanzminister einmal mehr das Parlament und damit auch die Öffentlichkeit scheut ({1}) und nicht Stellung zu dem von ihm verursachten Finanzdesaster nehmen will, über das jetzt hier im deutschen Parlament und damit vor der deutschen Öffentlichkeit diskutiert werden soll. Ich beantrage daher im Namen meiner Fraktion die Herbeizitierung des Bundesfinanzministers. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Soweit die Frage an den Präsidenten, wie man verfahren soll, nicht rhetorisch gemeint war - das hat sich ja durch den im Anschluss daran gestellten Antrag eigentlich erledigt -, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass eine Aktuelle Stunde nicht mit einer Befragung der Bundesregierung gleichzusetzen ist und das Parlament selbstverständlich in Anwesenheit und auch in Abwesenheit von tatsächlich oder vermeintlich Betroffenen diskutieren kann. Es gibt jetzt aber einen förmlichen Antrag der CDU/ CSU-Fraktion auf Herbeizitierung des Bundesfinanzministers. Über diesen Antrag können wir nichtsdestoweniger abstimmen. Zuvor zur Geschäftsordnung Frau Kollegin Hauer.

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich beantrage, die Sitzung für eine außerordentlich einzuberufende Sitzung des Ältestenrates zu unterbrechen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Auch zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin etwas überrascht, dass die Koalitionsfraktionen es angesichts eines Antrages, einen Bundesminister herbeizurufen, für notwendig halten, den Ältestenrat einzuberufen. Ich muss schon sagen, das ist etwas ungewöhnlich. Sie wollen doch nur Zeit schinden, um Ihre Leute zusammenzurufen! ({0}) Anscheinend haben Sie kein Interesse, über dieses Thema zu diskutieren. Herr Präsident, wir unterstützen den Antrag der Union. Es ist doch eine Zumutung für ein Parlament und ziemlich ungewöhnlich, wenn ein Bundesfinanzminister am Rande eines Parteitages der hessischen Sozialdemokraten so wichtige Entscheidungen wie die Erhöhung der Neuverschuldung bekannt gibt, aber nicht bereit ist, hier im Parlament Rede und Antwort zu stehen. Das geht nicht. ({1}) Wir haben bereits vor Monaten darauf hingewiesen, welche Risiken der Haushalt 2003 birgt. Die Fraktion der FDP hat bereits im Februar den Minister aufgefordert, den Haushalt zurückzuziehen und neu zu bearbeiten, weil bereits damals die Risiken abzusehen waren. Die Koalition hat das durch ihre Redner mit Vehemenz bestritten. Der Bundesfinanzminister war damals nicht bereit, Rede und Antwort zu stehen. Heute muss er Rede und Antwort stehen. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Union auf Herbeirufung von Minister Eichel. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen nicht vor. Der Antrag ist gestellt. Gleichzeitig liegt der Antrag einer Fraktion zur Unterbrechung der Sitzung zwecks Einberufung des Ältestenrates vor. Ich empfehle Folgendes: Erstens besteht kein Zweifel, dass über den Antrag abzustimmen ist. Zweitens haben wir die ständige Praxis, dass wir dem Wunsch auf Unterbrechung der Sitzung, wenn er von Fraktionen geäußert wird, Rechnung tragen. Für eine Einberufung des Ältestenrates kann ich selbst bei großzügigster Auslegung der Geschäftsordnung keinerlei Bedarf erkennen. ({0}) Um dem nachvollziehbaren Anliegen der antragstellenden Fraktion entgegenzukommen, empfehle ich, die Sitzung für 15 Minuten zu unterbrechen, anschließend über den Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, den die CDU/CSU-Fraktion gestellt hat, und dann in die Aktuelle Stunde einzutreten. ({1}) Die Sitzung ist bis 15.50 Uhr unterbrochen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU zur Aktuellen Stunde, den Bundesminister der Finanzen herbeizurufen. Wer diesem Geschäftsordnungsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist der Antrag abgelehnt. ({0}) Ich mache darauf aufmerksam, dass die Aktuelle Stunde dennoch stattfindet. Es wäre schön, wenn die anwesenden Kolleginnen und Kollegen klären könnten, wer an dieser Debatte teilnehmen will und wer wegen Ausschusssitzungen zurück in die damit verbundenen Beratungen muss. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion. ({1})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diese Debatte beantragt, weil wir der Auffassung sind, dass das deutsche Volk schonungslos über die Situation der Staatsfinanzen unseres Landes aufgeklärt werden muss. ({0}) Wir hatten gefordert, diese Aufklärung in Anwesenheit eines der Hauptverantwortlichen, nämlich in Anwesenheit des Bundesfinanzministers, durchzuführen. Viele sind herbeigeeilt - gewissermaßen hergelaufen -, die verhindern wollten, dass der Finanzminister selber kommt. Offensichtlich versteckt er sich hinter Bataillonen leerer Sparschweine in seinem Büro. ({1}) Ich finde dieses Verhalten ausgesprochen unparlamentarisch, um es nicht schlimmer, nämlich peinlich und feige, zu nennen. Wir erwarten, dass der Finanzminister die volle Verantwortung für das übernimmt, was er in den letzten viereinhalb Jahren angerichtet hat. Deutschland befindet sich in einer desaströsen Finanzsituation, in einer Finanzkrise. Der Bundesfinanzminister ist der Architekt dieses finanziellen Lügengebäudes beim Generalunternehmer Gerhard Schröder. Ich meine, man muss deutlich sagen, dass er als Schuldenmeister die Verantwortung für die Situation, in der wir uns in diesem Jahr befinden - die Höhe der Verschuldung ist absoluter Nachkriegsrekord -, trägt. Die Situation ist deshalb so dramatisch, weil sie zu einer dauerhaften Belastung der nachfolgenden Generationen führt. ({2}) Damit ist offensichtlich auch der zweite rot-grüne Finanzminister gescheitert. ({3}) Man kann jetzt darüber diskutieren, ob der Bundesfinanzminister das, was an Wahrheiten jeden Tag neu herauskommt, wusste oder nicht. Er hat vor kurzem gesagt, das hätte jeder seit zwei Monaten wissen können. Solche Erklärungen gibt er in Talkshows ab oder am Rande von Veranstaltungen seines Ortsvereins, aber nicht hier im Parlament. Bei seinen parlamentarischen Vorlagen, beim Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, beim Verweigern des Nachtragshaushalts für dieses Jahr gaukelt er den Menschen nach wie vor vor, dass wir die MaastrichtKriterien einhalten und uns auf der Ebene eines verfassungsgemäßen Haushalts befinden. Nein, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Haushaltswahrheit, Haushaltsklarheit und Haushaltsvollständigkeit sind im rot-grünen Haushaltssumpf untergegangen. ({4}) Diese haushaltspolitische Geisterfahrt muss beendet werden. Was ist denn in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich eingetreten? Wir hatten eine ständige Abwärtsbewegung beim wirtschaftlichen Wachstum. Wir hatten eine Aufwärtsbewegung bei den Arbeitslosenzahlen und eine entsprechende Aufwärtsbewegung bei den Schulden. Das tatsächliche gesamtstaatliche Defizit tendiert in diesem Jahr gegen 100 Milliarden Euro. Sie kennen alle die Richterskala für Erdbeben. Ich würde sagen: Auf der nach oben offenen Eichel-Skala haben wir durchaus noch Luft, um diesen Wert im nächsten Jahr zu toppen. Wenn Ihre Politik so weiter betrieben wird, wird Eichel im nächsten Jahr - wenn er dann noch im Amt ist, was ich beklagen würde - diese Marge noch übertreffen, weil die Zahlen dieses Jahres die Basis für die weitere Entwicklung sind. ({5}) Das werden die Steuerschätzung Anfang November und die Erörterung der einen oder anderen Vorlage im Vermittlungsausschuss bestätigen. Unsere Meinung dazu ist seit Monaten klar: ({6}) Ich könnte Ihnen die Presseerklärungen vom Januar, vom März und vom Mai dieses Jahres vorlegen, in denen unsere Haushälter jeweils deutlich gemacht haben, dass die Schulden dieses Jahres, Frau Kollegin Lehn, mindestens doppelt so hoch sein werden wie von der Bundesregierung im Haushaltsaufstellungsverfahren angenommen. ({7}) Dabei wird ein wesentlicher Teil der Daten, die Sie alle kennen müssten, von Ihnen immer noch verschleiert. Jeden Tag geht das Wirrwarr weiter. Ich will nur einen einzigen Punkt erwähnen: Gestern und vorgestern haben wir in der Zeitung gelesen, dass möglicherweise Versicherungsunternehmen in Abweichung von dem geltenden, im Jahre 2000 beschlossenen Recht um 5 bis 10 Milliarden Euro entlastet werden sollen, weil das Halbeinkünfteverfahren, das wir von Anfang an für eine Missgeburt gehalten haben, bei ihnen nicht mehr angewendet werden soll. Jetzt soll Gesetzgebung auf Zuruf von Interessenverbänden gemacht werden. Daran können Sie erkennen, wieweit es mit der Achtung der Regierung vor dem Parlament hinsichtlich der Gesetzgebungsverfahren gekommen ist. ({8}) Alles das, was Sie an Basis für den Haushalt des kommenden Jahres am Freitag vorlegen werden, ist lückenhaft, ist nicht einmal ein Torso, ist in Teilbereichen eine gewaltige Belastung für Bürger und Betriebe, und zwar selbst unter Einbeziehung des Vorziehens der Steuerreform. Angesichts der desaströsen Lage der Rentenversicherung - es ist ja nicht so, dass Sie nur die Finanzen des Bundes durcheinander gebracht haben; Sie haben auch dazu beigetragen, dass die Rentner auf absehbare Zeit nicht mehr mit Zuwächsen rechnen können - haben wir immer gesagt: Es müssen folgende Entscheidungen getroffen werden: Haushaltssperre, Nachtragshaushalt, sofortiger Kassensturz, wirkliche Sparmaßnahmen. Dies alles haben Sie immer verweigert. Deswegen gilt: Sie haben zwar den Architekten dieses Lügengebäudes, aber Sie tragen mit dem Generalunternehmer und den Fraktionen der Koalition die Verantwortung. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium der Finanzen, Karl Diller. ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Haushalt 2003 liegt die Annahme eines realen wirtschaftlichen Wachstums von 1 Prozent zugrunde. Diese Annahme lag zu der damaligen Zeit ({0}) ziemlich dicht an der Prognose des Ifo-Instituts vom März, welches damals ein wirtschaftliches Wachstum von 0,9 Prozent unterstellte. Die Nachwirkungen des Irakkrieges ergaben ein schwächeres Wirtschaftswachstum, sodass die gegenwärtigen Prognosen bei 0 bis 0,2 Prozent liegen. ({1}) Bezüglich der Folgen muss man wissen: Der Bundeshaushalt ist im Unterschied zu allen Länderhaushalten und allen Kommunalhaushalten von der konjunkturellen Entwicklung im Positiven wie im Negativen jeweils doppelt betroffen, weil wir die konjunkturelle Entwicklung sowohl auf der Einnahmeseite als auch auf der Ausgabenseite ganz drastisch in einer Milliardengrößenordnung spüren. Auf der Einnahmeseite bedeutet schlechtes wirtschaftliches Wachstum, dass uns die Steuereinnahmen wegbrechen. Auf der Ausgabenseite bedeutet schlechtes wirtschaftliches Wachstum Mehrausgaben beim Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit und Mehrausgaben bei der Arbeitslosenhilfe, die zu 100 Prozent aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird. ({2}) Wie sahen die Maßnahmen aus, über die wir im Rahmen des Haushalts 2003 beraten haben? Es waren die Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss, die in den Beratungen dankenswerterweise die Aufgabe übernommen haben, CDU/CSU-Anträge auf Mehrausgaben in der Größenordnung von 3 Milliarden Euro, die nicht gedeckt bzw. kreativ gedeckt waren, ({3}) abzulehnen. ({4}) Die Koalition blieb seriös, während Sie unseriös waren und Wünsche für Mehrausgaben für Bundeswehr, Beamte, Landwirtschaft und für alle möglichen Gruppen Ihrer Wählerinnen und Wähler meinten anmelden zu müssen. ({5}) Diese Koalition hat all ihre Wünsche mit entsprechenden Mehrausgaben auch finanziert. Ich erinnere nur an die Mehrausgaben für das Programm zur Beschäftigung jugendlicher Arbeitsloser, JUMP plus, und für das Programm zur Beschäftigung von 100 000 Langzeitarbeitslosen in der Größenordnung von 165 Millionen Euro. ({6}) Diese Koalition hat die Mehrausgaben an anderer Stelle eingespart. Das ist solide Haushaltspolitik. ({7}) Der Nachtragshaushalt für das Jahr 2003 wird derzeit aufgestellt; Herr Kollege Austermann, was Sie angesprochen haben, darüber haben wir vorhin im Haushaltsausschuss diskutiert. ({8}) Die Regierung hat Ihnen im August den Finanzplan vorgelegt. Im Finanzplan ist deutlich zu lesen, dass sich die Verschuldung entgegen der Annahme aus dem Haushaltsplan verdoppeln wird. Der Grund ist die Wachstumsschwäche. Wir werden in der nächsten Woche eine neue Wachstumsschätzung vorliegen haben und werden daraus Folgerungen für die Einnahme- und Ausgabeseite des Haushaltes ziehen müssen. Deswegen ist es wahrscheinlich - aber noch nicht belastbar -, dass die Nettokreditaufnahme bei bzw. über 40 Milliarden Euro liegen wird. ({9}) Nun hat Kollege Austermann gemeint - im Antrag kommt das auch zum Ausdruck -, einen Vergleich mit dem Jahr 1996 ziehen zu können, als Sie die bis heute größte Nettokreditaufnahme zu verantworten hatten. ({10}) Damals lag sie bei 40,02 Milliarden Euro, trotz eines Wirtschaftswachstums von real 1,4 Prozent. ({11}) Heute haben wir Stagnation und deswegen eine ähnlich hohe Nettokreditaufnahme. ({12}) Nun hat der Kollege Austermann auch noch gemeint, einen längeren Zeitraum ins Auge fassen zu können. Sie haben eben darauf hingewiesen, dass wir im fünften Jahr Verantwortung tragen. ({13}) Wenn wir einen vergleichbar langen Zeitraum Ihrer Regierungszeit nehmen und die letzten fünf Jahre Ihrer Regierungszeit betrachten - das sind die Jahre 1994 bis 1998 -, dann müssen wir feststellen, dass Sie in diesen Jahren insgesamt 152,7 Milliarden neue Schulden gemacht haben. ({14}) Wenn wir diese Zahl toppen wollten, müsste die Neuverschuldung in diesem Jahr bei über 48 Milliarden Euro liegen. Sie wird darunter liegen, und zwar deutlich. ({15}) Sie müssen noch folgenden Punkt berücksichtigen: Zum Schließen des Haushaltsloches kann man nicht nur neue Schulden machen, sondern man kann auch Vermögensanteile verkaufen. ({16}) Die damals regierende Koalition hat im Zeitraum 1994 bis 1998 neben der Aufnahme dieser gigantischen Schulden zur Schließung von Haushaltslöchern weitere 14,76 Milliarden, im Wesentlichen Telekom-Aktien, verkauft. ({17}) Bei uns sind das nur 8 Milliarden und damit 6 Milliarden weniger. Deswegen sehen wir auch in diesem Vergleich deutlich besser aus. ({18}) Lassen Sie mich noch einmal den Grund nennen: Der Grund, dass wir trotz der schwierigen Entwicklung in diesem Jahr sowohl auf das Jahr als auch auf einen längeren Zeitraum bezogen besser aussehen, als Sie damals aussahen, ({19}) liegt darin, dass diese Koalition im Jahre 1999, dem ersten Jahr ihrer Regierungszeit, die Kraft hatte, gegen Ihre Stimmen ein Konsolidierungsprogramm zu beschließen, ({20}) durch das im ersten Jahr 15 Milliarden Euro eingespart werden konnten. Dieses wirkt noch bis heute fort. ({21}) Die Umsetzung dieses Programms erbrachte Einsparungen bzw. Mehreinnahmen von bisher 25 Milliarden Euro jährlich. ({22}) Diese Konsolidierung zugunsten des Bundeshaushaltes setzt sich weiter fort. Unsere Folgerungen sind: Wir befinden uns unbestritten in einer wirtschaftlich und damit haushälterisch schwierigen Situation. ({23}) Unsere Vorschläge zur Lösung dieser Situation liegen auf dem Tisch. ({24}) Ich nenne die Strukturreformen. ({25}) Wir werden im Haushaltsausschuss sehen, wie Sie abstimmen. Daneben nenne ich die Konsolidierungsmaßnahmen. Wir werden schauen, wie Sie abstimmen. ({26}) Schließlich setzen wir Impulse für mehr Wachstum. Auch hier sind wir gespannt, wie Sie abstimmen. ({27}) Sie stehen mit in der Verantwortung. Dieser Verantwortung können Sie sich nicht entziehen. Spätestens im Vermittlungsausschuss müssen Sie Farbe bekennen. ({28})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist Dr. Günter Rexrodt für die FDPFraktion.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister ist wahrscheinlich schon wieder irgendwo unterwegs, um den Leuten zu erzählen, dass die exorbitante, astronomische Neuverschuldung auf die insgesamt schlechte Wirtschaftslage in unserer Welt zurückzuführen ist. Herr Diller betet das hier für ihn nach. Es ist im Kern wahr, dass die Wirtschaftslage schlecht ist, wodurch sich Auswirkungen auf den Haushalt ergeben und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Herr Diller, die schlechte Wirtschaftslage ist aber doch nicht von Gott gegeben. Das ist eine hausgemachte Angelegenheit. Dies haben Sie zu verantworten. ({0}) Sie tragen in dieser Republik seit fünf Jahren Verantwortung. Nun sagen Sie, dass die Weltwirtschaft schlecht ist, was Auswirkungen auf die Verschuldung hat. ({1}) Wissen Sie, dass von der Weltwirtschaft - so schlecht sie im Vergleich zu den Vorjahren auch sein mag - expandierende Impulse auf die deutsche Wirtschaft ausgehen? Jeweils bezogen auf den Vergleichszeitraum sind die Exporte zwischen 1999 und 2002 gestiegen, und zwar zunächst um 5,1 Milliarden Euro bis schließlich um 6,9 Milliarden Euro; bei den Exporten geht es um Billionen. Im Jahre 2003 werden sie, bezogen auf den Vergleichszeitraum, noch einmal um 7 Milliarden Euro steigen. Die Exporte wachsen, die Weltwirtschaft beflügelt die deutsche Wirtschaft. Ursache für die katastrophale Entwicklung der Nettoneuverschuldung und des Haushalts ist die Tatsache, dass Sie eine strukturelle Sanierung der Haushalte nie konsequent angepackt haben. ({2}) Herr Diller, Sie beschwören hier die alten Zeiten. 1999 und 2000 haben Sie im Wesentlichen von Privatisierungserlösen gelebt, die Sie durch Privatisierungen, die von uns gegen Ihre Stimme durchgesetzt wurden, erzielt haben. Diese haben Sie in die Lage versetzt, die Nettoneuverschuldung ein Stück zurückzuführen. ({3}) Ihre Politik in den ersten Jahren war sehr fehlerhaft; das ist ja sogar vom Bundeskanzler zugegeben worden. Sie haben das, was - zögerlich; ich bin da ganz fair - wir in Gang gebracht hatten, wieder aufgehoben. Ich nenne die Veränderungen bei der Lohnfortzahlung, die Abschaffung der demographischen Komponente in der Rentenversicherung - das waren Ihre Entscheidungen -, den Feldzug gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit, die Pflicht zum Angebot von Teilzeitarbeit und vieles andere mehr. Das Wesentliche hat aber der Bundesfinanzminister verschuldet: Der Spitzensatz bei der Körperschaftsteuer wurde zwar auf 25 plus 13, also auf 38 Prozent, gesenkt - so weit, so gut -, aber die Belastung für die mittelständischen Unternehmen wurde bei 48,5 Prozent belassen. Diese Spreizung, Herr Diller, ist die Ursache dafür, dass die mittelständische Wirtschaft verdrossen ist und dass das Vertrauen in die Politik dieser Bundesregierung völlig verloren gegangen ist. ({4}) Nun wollen Sie das mit dem Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform wieder gutmachen. Mittlerweile versteht kein Mensch mehr - darüber werden wir am Freitag sprechen -, was Sie überhaupt wollen. Die Verstimmung ist groß und der Verdruss nimmt zu. Eines haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, noch nicht registriert: Das ständige Wiederaufflackern der Diskussion um die Erhöhung der Erbschaftsteuer und um die Wiederbelebung der Vermögensteuer ist die Hauptursache dafür, dass der Mittelstand niemanden mehr einstellt. Diese Verdrossenheit und dieser Ärger sind ursächlich für den Rückgang der Beschäftigtenzahlen. ({5}) Wer so Politik macht, braucht sich nicht zu wundern, dass die Wirtschaft in Deutschland lahmt, die Steuereinnahmen wegbrechen, die Arbeitslosigkeit ein historisches Hoch erreicht hat, die Neuverschuldung exorbitante Ausmaße annimmt, der Haushalt verfassungswidrig ist und sich diese Bundesregierung zum dritten Mal anschickt, völkerrechtlich verbindliche Verträge über die Verschuldung eines Landes ganz bewusst zu brechen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Das müssen Sie sich und niemand anderes vorhalten lassen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Beim Haushalt 2003 wird es wohl auf eine Höchstverschuldung hinauslaufen. Das ist ({0}) in den letzten Tagen noch deutlicher geworden. Da die Opposition kritisch einen Nachtragshaushalt angemahnt hat, haben wir darüber schon länger gesprochen. ({1}) - Ich sage gleich etwas zum Handeln. Das ist ein wichtiger Punkt. Diese Situation mit ihren Risiken und diese negative Entwicklung haben wir nicht verleugnet. Sie haben uns immer vorgehalten, wir müssten die Höhe des Nachtragshaushaltes rechtzeitig darlegen. Wir haben immer darauf verwiesen - das möchte ich zu dem Vorwurf sagen, der Haushalt laufe aus dem Ruder -, dass wir in vielen Bereichen konsolidiert haben. In zwei Bereichen - sie sind für diese riesige Neuverschuldung, mit der wir in 2003 rechnen müssen, ausschlaggebend - können wir aufgrund der konjunkturellen Situation nicht mehr einsparen. Vom Kollegen Rexrodt ist in einer anderen Debatte befürwortet worden, dass man in einer stagnativen Entwicklung nicht übermäßig sparen darf. Es ist nun einmal so: Die Steuereinnahmen lassen sich nicht weiter erhöhen und bei der Bundesanstalt für Arbeit ist aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit ein großes finanzielles Loch entstanden, das sich dramatisch vergrößert. Dafür muss sich die Regierung verantworten. In diesem Bereich akzeptiere ich auch Ihre heftige Kritik. Diese Bereiche, der hohe Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und die fehlenden Steuereinnahmen, sind der Grund für die hohe Neuverschuldung. ({2}) - Das hat mit der hohen Arbeitslosigkeit zu tun. Ich habe diese Punkte angeführt, weil ich der Öffentlichkeit klar machen will, dass dieser Haushalt nicht an allen Ecken und Enden auseinander klafft, sondern nur an wenigen, aber dafür entscheidenden Stellen aus dem Ruder läuft. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Ich möchte zu Ihrem Verhalten ein paar Worte sagen. Nach drei Jahren Stagnation müssen wir bei der Neuverschuldung in der Tat einen traurigen Rekord verantworten. Sie machen uns den Vorwurf, die Probleme seien hausgemacht. ({3}) Dieser Vorwurf wird von der Bevölkerung durchaus geteilt. ({4}) Ich möchte Sie jetzt für einen gewissen Realismus und die Einsicht gewinnen, dass sich das „Hausgemachte“ der Probleme nicht nur auf die Regierungszeit von RotGrün bezieht, sondern sich auf eine Politik der Regierungen bezieht, die über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren Verantwortung getragen haben. ({5}) Die Bevölkerung ist unter schwierigen Bedingungen und mit widerstreitenden Gefühlen bereit, Strukturveränderungen mitzumachen. Sie weiß, dass wir viele grundsätzliche, strukturelle Probleme haben. Das betrifft Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Rentenversicherung und der Krankenversicherung. Mit der Behauptung, diese Probleme seien hausgemacht und auf die Regierungszeit von Rot-Grün zurückzuführen, locken Sie keine Wähler hinter dem Ofen hervor. Das fällt auf uns alle zurück. Wir sind noch nicht da, wohin wir müssen. Diese Ehrlichkeit dürfen die Bürgerinnen und Bürger von uns, aber auch von Ihnen erwarten. ({6}) - Sie sind immer so polemisch und geben uns die Schuld. Das kommt nicht mehr an. ({7}) Ich möchte noch eines mit Blick auf den Einwurf, der aus Ihren Reihen kam - wie man denn das Problem lösen solle -, sagen. Um den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten, müssen wir in den Bereichen, die ich aufgezählt habe, in allen Bereichen, die unsere sozialen Sicherungssysteme betreffen, Veränderungen vornehmen. ({8}) Wir tun das. Jetzt möchte ich etwas zu dem Vorwurf des Zickzackkurses sagen. ({9}) - Das mache ich gerne, weil das erst recht auf Sie, Herr Kampeter, zurückfällt. Wer in Bezug auf die Reformen und die Richtung, in die es gehen muss, einen sagenhaften Zickzackkurs hinlegt, das ist die CDU/CSU. Extremer geht es gar nicht, wie Sie in die Ecken segeln und keine Linie haben. ({10}) Das ist nicht so schlimm, weil Sie im Moment bei Gesetzesinitiativen nicht in die Vorlage treten müssen. Aber Sie lehnen sich wohlgefällig zurück, obwohl wir eine schwierige Situation haben. Ein Letztes zum Wort Zickzackkurs im engeren Blick auf diesen Haushalt. Es ist notwendig, dass wir eine Konsolidierung hinkriegen. Es ist auch notwendig, dass wir parallel dazu Steuerreformvorhaben voranbringen. Wenn man aber ein einfacheres Steuersystem mit niedrigen Tarifen haben will, dann darf man keinen Zickzackkurs einschlagen und beim Subventionsabbau zurückrudern, wie es die Opposition immer wieder tut, und das falsche Argument von „linke Tasche, rechte Tasche“ bringen. Ich bitte Sie, da keinen Zickzackkurs zu fahren. Wenn Sie ein einfaches Steuersystem und eine Konsolidierung haben wollen, dann machen Sie beim Subventionsabbau mit.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Ende, Herr Präsident. Das würde etwas mehr Perspektive für die Zukunft schaffen. Wir haben noch einen langen, schweren Weg vor uns. ({0}) Danke schön. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Redebeitrag meiner Vorrednerin war schon erstaunlich. Als ob die CDU/CSU in den vergangenen Jahren nicht in jeder Haushaltsdebatte, in jeder wirtschaftspolitischen Debatte auf die Risiken der verfehlten rot-grünen Politik hingewiesen hätte. ({0}) Eines will ich Ihnen sagen: Unterstützt wurden wir dabei von Ihrem Amtsvorgänger Metzger, der in der Regel immer unseren Argumenten zugestimmt hat. Er hat anders gehandelt, weil sich die Grünen nie entscheiden können, ob sie Regierung oder Opposition sind. Aber so zu tun, als ob Sie in den letzten 14 Tagen als Erste in Deutschland die Risiken für Haushalt, Wirtschaft und Zukunftsentwicklung entdeckt hätten, ist schlichtweg eine Unverschämtheit, die ich zurückweisen möchte. ({1}) Mit diesem Wechsel der Grünen zwischen Regierung und Opposition bei jeder Debatte wird vielleicht eine Aussage bald Wahrheit, die gestern im „Handelsblatt“ zu lesen war. Mit „Eichel ist Vergangenheit“ war ein Artikel überschrieben. Hoffentlich wird es bald so weit kommen. ({2}) Denn dann wäre Vergangenheit, dass wir in Deutschland keinen Buchhalter mehr und endlich einen Finanzminister haben, der Konsolidierung so begreift, wie man sie begreifen müsste, nämlich als wirtschaftspolitische Aufgabe und nicht als buchhalterischen Steuerungstrick, der mit dem Nachkriegsrekord der Neuverschuldung von knapp 42 Milliarden Euro zum gegenwärtigen Zeitpunkt gescheitert ist. ({3}) Früher konnte man als deutscher Finanzminister noch den anderen europäischen Staaten Ratschläge geben. Heute dagegen werden wir europaweit milde belächelt. Ein wichtiges Argument bei der schwedischen Abstimmung gegen den Euro war, dass Länder wie Deutschland den Euro schwächen. In der Verantwortung des Herrn Eichel ist der deutsche Beitrag zur Stabilität des Euro so reduziert worden, dass er als Argument gegen die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung in dem Industrieland Schweden angeführt wird. Das ist die Wahrheit über die Bilanz Ihrer Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Wenn die Regierung nicht mehr aufzubieten hat als den Staatssekretär Diller, der das personifizierte Leiden ist, ist das schon Selbstanklage genug. Aber ich halte es für eine Missachtung des Parlaments, dass zum selben Zeitpunkt, zu dem wir angesichts des Nachkriegsrekords in der Verschuldung um die besseren Wege für die Zukunft ringen, ({5}) der Bundesfinanzminister vor einem Lobbyverband eine von „Phoenix“ übertragene Rede hält. Dass er segnend durch das Land zieht, während wir uns hier in den parlamentarischen Pflichten ergehen, ist eine Missachtung des Parlaments, die wir empört zurückweisen müssen. ({6}) Der Kollege Austermann hat schon relativ frühzeitig einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 2003 gefordert. Wenn ein Nachtragshaushalt etwas bewirken und zu einer Umsteuerung führen soll, dann muss er möglichst früh eingebracht werden. Es geht nicht darum, am Jahresende sozusagen notariell zu bestätigen, dass man gescheitert ist. Ein Nachtragshaushalt ist vielmehr die gesetzgeberische Möglichkeit, Haushaltspolitik mit der Wirtschaftspolitik gleichzusetzen und während des laufenden Haushaltsjahres Einsparungen vorzunehmen. All diese Chancen hat der Bundesfinanzminister verpasst. Er tritt wie ein Notar und ein Buchhalter auf und ist ein Schaden für die Haushaltspolitik dieses Landes. ({7}) Man kann kaum noch von Haushaltslöchern sprechen; es sind vielmehr riesige Haushaltskrater, die von Tag zu Tag größer werden. Allein diese Woche beraten wir im Finanz- und Haushaltsausschuss ein knappes Dutzend finanz- und steuerpolitische Gesetzentwürfe. Ihnen allen ist gemein, dass der Bundesfinanzminister in der Auseinandersetzung mit seiner Regierung unterlegen ist. Ich nenne als Beispiele die Tabaksteuer, bei der er balbiert worden ist, und das Hin und Her bei der Rentenversicherung, zu dem es jeden Tag eine andere Meldung gab. Mal hatte Eichel 2 Milliarden, mal fehlten sie ihm. ({8}) Ein Finanzminister, der im Kabinett den Stellenwert eines Hausmeisters hat, ist ein Schaden für ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland. ({9}) Deswegen ist unsere Auffassung, dass der Bundeskanzler, der der Generalunternehmer dieses Chaosunternehmens ist, endlich handeln sollte. Er sollte seinen Finanzminister entlassen. Er sollte Deutschland von dieser finanzpolitischen Plage befreien und endlich auf die Vorschläge der Union eingehen, die wir beispielsweise in dieser Woche unter dem Stichwort „Herzog-Kommission“ offensiv diskutieren. ({10}) Er sollte darauf eingehen, dass endlich die Angebotsseite unserer Volkswirtschaft auf dem Arbeitsmarkt - wir diskutieren in diesem Zusammenhang über das HartzKonzept - reformiert werden sollte. Er sollte von seiner Buchhaltermentalität Abstand nehmen und offen zeigen, dass Steuerpolitik aus etwas anderem bestehen kann, als Steuererhöhungen vorzunehmen, abzukassieren und die Leute so zu quälen, dass sie keine Lust mehr haben, in diesem Land zu arbeiten. ({11}) Ich will mit einer Überschrift aus der „Süddeutschen Zeitung“ schließen, die über die Haushaltspolitik von Rot-Grün schreibt: „Plünderer am Werk“. ({12}) Es war einer der politischen Gassenhauer, SPD als Abkürzung für „Sie plündern Deutschland“ zu bezeichnen. Dieser Finanzminister ist der Beweis dafür, dass dieser Spruch zutrifft. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Carsten Schneider, SPDFraktion, das Wort. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zum wiederholten Male den Bundeshaushalt und die implizierte Neuverschuldung für 2003. Wir kommen gerade aus einer Sitzung des Haushaltsausschusses, in der wir uns mit dem Haushaltsbegleitgesetz beschäftigt haben, mit dem für den Haushalt 2004 wichtige einschneidende und maßgebliche Vorkehrungen und Veränderungen innerhalb der Haushaltsstruktur vorgesehen werden. Sie weigern sich, an dieser Debatte teilzunehmen. Sie haben sich auch verweigert, als wir den Haushalt 2003 beraten haben. Sie haben - der Kollege Diller hat es erwähnt - Forderungen zur Gegenfinanzierung in Milliardenhöhe vorgelegt. Dass Sie heute behaupten, mit all dem nichts zu tun zu haben, ist ein Skandal. ({0}) Schließlich reißen nicht nur wir im Bundeshaushalt die Latte bei der Nettokreditaufnahme - leider - in sehr bedenklicher Höhe. Das ist auch in den Landeshaushalten so. Wenn Sie sich den Bericht des Bundesfinanzministeriums über die Halbjahreszahlen anschauen, dann werden Sie feststellen, dass in manchen Landeshaushalten schon nach einem halben Jahr der eigentlich geplante Kreditrahmen für das ganze Jahr ausgeschöpft ist. Die Ursachen, warum die Situation im diesjährigen Bundeshaushalt so angespannt ist, hat Kollege Diller bereits dargestellt. Im Bundeshaushalt schlagen sich nämlich sowohl die schwache Konjunktur in Form von Steuermindereinnahmen als auch die gestiegenen Arbeitsmarktausgaben nieder. Dass die Situation in den Landeshaushalten genauso angespannt ist ({1}) - Herr Fromme, Niedersachsen ist davon genauso betroffen wie Hessen -, ({2}) ist meines Erachtens ein Beweis dafür, dass dies nichts damit zu tun hat, wer regiert, sondern mit den Entscheidungen, die wir auch im Deutschen Bundestag getroffen haben. ({3}) Im Jahr 2003 lag der Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes vor. Wenn dieser angenommen worden wäre, dann hätte das Mehreinnahmen für Bund, Länder und Gemeinden in Milliardenhöhe bedeutet. Wir haben den Bundeshaushalt auf der Grundlage dieses Gesetzes aufgestellt. Ich erinnere mich noch an die Debatte vom 2. April dieses Jahres. Ich habe damals an Sie, die Sie die Mehrheit im Bundesrat haben, appelliert, diesem Entwurf zuzustimmen. Da Sie das aber nicht getan haben, haben Sie den Bundeshaushalt und natürlich auch die Länderhaushalte mit vor die Wand gefahren. Auch Sie haben ein Stück weit Verantwortung in den Ländern und den Kommunen zu tragen. ({4}) Herr Kollege Kampeter, Sie haben von den Vorschlägen gesprochen, die die Union vorgelegt hat. Sie haben unter anderem auch die Herzog-Pläne genannt. Das, was Sie dazu im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt gesagt haben, halte ich für Ihre extremste Aussage; denn die Herzog-Pläne gehen meines Erachtens - wenn ich nicht richtig informiert bin, können Sie mich gern korrigieren - von Mehrausgaben für den Bundeshaushalt in Höhe von 36 Milliarden Euro im Minimum aus. Vielleicht ist es noch mehr. ({5}) Herr Kampeter, wie soll es möglich sein, zusätzlich 36 Milliarden Euro für Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in den Bundeshaushalt einzustellen? ({6}) Wenn man das täte, würde das Defizit noch größer werden. Deshalb kann man solche Vorschläge nur ablehnen. ({7}) Wenn es darum geht, das wirtschaftliche Wachstum zu stimulieren, dann stehen Sie von der Union immer auf der Seite der Blockierer und der Verhinderer. ({8}) Ich möchte Ihnen als Beispiel nur die Gesundheitsreform und das Stichwort „Meisterzwang“ nennen. Wir haben diesbezüglich Vorschläge gemacht, um eine stärkere wirtschaftliche Dynamik in unserem Land zu entfalten. ({9}) Aber Ihnen gelingt es nicht, sich über die Belange Ihrer Klientel hinwegzusetzen und die Interessen unseres Landes zu berücksichtigen und zu verteidigen. ({10}) Daher gebührt Ihnen ein großer Anteil an den jetzt vorliegenden Ergebnissen. Wenn ich Ihre Vorschläge den Subventionsabbau betreffend anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie zum Beispiel die Einsparungen, die Sie im Bereich der Steinkohle erzielen wollen, zehnmal in anderen Bereichen investieren wollen. Das führt letztlich nicht zu Einsparungen. Früher war für die PDS der Verteidigungshaushalt die Sparbüchse. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit einer solch unsoliden Finanzpolitik werden Sie keinen Blumentopf gewinnen. ({11}) Zum Schluss: Herr Austermann hat der „taz“ ein sehr interessantes Interview gegeben, das in der heutigen Ausgabe erschienen ist und aus dem ich zitieren möchte. Die Frage lautet: Theo Waigel, Finanzminister der Union, hat sich 1996 den damaligen Schuldenrekord von umgerechnet 40 Milliarden Euro geleistet. War auch Waigel voll verantwortlich? Die Antwort von Herrn Austermann lautet: Damals gab es eine einmalige Situation, die bedingt war durch Weltwirtschaftskrise, Asienkrise und die Folgewirkungen der Wiedervereinigung. ({12}) Lieber Kollege Austermann, Sie hätten auch den Irakkrieg nennen können; denn die Asienkrise begann erst 1997, hatte ihren Höhepunkt im Jahre 1999 und hatte somit keine Auswirkung auf den Bundeshaushalt 1996. Ich erkenne an, dass Sie damals - wie wir heute beim Bundeshaushalt von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig waren. Auch wir haben Prognosen zugrunde gelegt, die leider nicht eingetreten sind. Deshalb appelliere ich an Sie: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! In der anschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses haben Sie Gelegenheit dazu. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde sollte dazu dienen, dass wir, das heißt das Parlament, und die deutsche Öffentlichkeit die Haltung der Bundesregierung dazu hören, weshalb es zu dieser höchsten Verschuldung gekommen ist, die jemals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat. ({0}) Herr Staatssekretär Diller, von Ihnen haben wir einen Ausflug - zudem einen völlig falschen - in die Vergangenheit erfahren. Aber zur aktuellen Situation haben Sie überhaupt nichts beigetragen. ({1}) Sie haben nicht gesagt, weshalb es zu dieser Verschuldung gekommen ist. Die Ignoranz der Bundesregierung zeigt sich darin, dass der Finanzminister bei dieser Debatte - neben dem Bundeskanzler hat er das wesentlich mitzuverantworten - nicht anwesend ist und dass der zweite Minister, der Wirtschaftsminister, dessen Anwesenheit aufgrund unserer wirtschaftlichen Situation auch erforderlich wäre, es auch nicht für notwendig erachtet, im Parlament zu erscheinen. Eine Zeit lang war sein Staatssektretär Schlauch noch hier, aber auch er hat es vorgezogen, wieder von dannen zu gehen und seinen leeren Schlauch einzupacken. ({2}) So kann man keine zukunftsorientierte Politik machen. Aber, Herr Staatssekretär Diller, ich will Ihnen, weil Sie in die Vergangenheit gegangen sind, einige Punkte dazu sagen. Wer war denn bis 1998 der Blockierer? Das war doch die Sozialdemokratische Partei, die die Ländermehrheit dazu missbraucht hat, die Reformen, die wir angestoßen haben, zu verhindern. Das, was wir ohne den Bundesrat durchführen konnten, wurde sofort im Jahre 1999 - ich nenne hier nur den Namen Lafontaine, den Sie nicht mehr gerne hören - mit einem Schlag wieder zurückgefahren, was allein damals eine Größenordnung von rund 40 Milliarden Euro beinhaltet hat; darunter leiden wir noch heute. ({3}) Kollege Schneider hat soeben die ganz schlimme weltwirtschaftliche Situation genannt. ({4}) - Seine Aussagen finde ich nicht toll. ({5}) Ich stimme Ihnen zu, dass das Aussagen waren, die man schnellstens vergessen sollte. Wir konnten im vergangenen Jahr noch ein bescheidenes Wachstum von 0,2 Prozent verzeichnen. Ein Wachstum kam aber überhaupt nur deshalb zustande, weil wir allein durch den Export ein Wachstum von 1,4 Prozent hatten. Das heißt, im Endeffekt gab es bereits im vergangenen Jahr ein Minus unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Dann stellen Sie sich her und sagen, die schlimme Weltwirtschaft habe daran Schuld. ({6}) Der Wirtschaftsminister zieht es vor, hier nicht Rede und Antwort zu stehen, sondern erklärt heute wiederum in der „Süddeutschen Zeitung“: Wir werden im nächsten Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent haben. Diesen Beschluss, Herr Staatssekretär Diller, hat die Bundesregierung genau im März, als wir über den Haushalt 2003 beraten haben, auch gefasst. Sie hat es einfach beschlossen, genau so, wie man sagen kann, dass im Himmel Jahrmarkt ist. Diesen Beschluss kann man auch fassen; er hat dieselbe Qualität. Denn Sie hatten im Haushalt 2003 - es geht hier gerade um die Verschuldung in diesem Jahr - eine absolute Null hinsichtlich des Zuschusses zur Bundesanstalt für Arbeit vorgesehen. Jeder konnte Ihnen sagen, dass das eine völlig fehlgeleitete Zahl ist. Sie hätten jeden fragen können; aber Sie haben niemanden gefragt. Sie haben es auch selbst gewusst. Das heißt, dass der Haushalt 2003 von Hause aus auf Lügen aufgebaut ist. Das nächste Jahr ist bereits das vierte Jahr, in dem wir bezüglich der Maastricht-Kriterien ins Negative gehen. Denn wir hatten den Grenzwert schon im vorvergangenen Jahr ganz knapp tangiert; da haben Sie noch auf 2,8 Prozent schöngerechnet. Schon 2002 lag die Neuverschuldung mit 3,5 Prozent deutlich zu hoch. In diesem Jahr wird sie mehr als 4 Prozent betragen. Auch im kommenden Jahr wird die Neuverschuldung das Haushaltsdefizit weiter wachsen lassen. Wir haben heute angefangen, den Bundeshaushalt für das nächste Jahr zu beraten. Angesichts Ihres Haushaltsplans wird die Nettoneuverschuldung eher 50 Milliarden Euro als das, wovon Sie jetzt ausgehen, erreichen. Ihre Ignoranz zeigt sich auch darin, wie spät sich bei Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr bei mindestens 42 Milliarden Euro liegen wird, nämlich erst, als das wirklich nicht mehr zu leugnen war. Dazu bekannten Sie sich aber nicht in der Öffentlichkeit oder vor dem Deutschen Bundestag, sondern auf einem SPD-Parteitag in Baunatal. Das ist eine Ungehörigkeit, die schlicht und einfach widerspiegelt, wie diese Regierung mit dem Parlament und mit der Öffentlichkeit umgeht. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor allem liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne! ({0}) Wir behandeln die 1,3 Billionen Euro Schulden, die Bund, Länder und Gemeinden derzeit haben. Es geht dabei nicht nur um ein bundespolitisches Problem, sondern auch um ein Problem unserer gesamten Nation, um ein Problem auf allen politischen Ebenen. Im Moment diskutieren wir über die Nettoneuverschuldung. Würden wir endlich mit dem Schuldenabbau beginnen ({1}) - hören Sie einen Moment zu, Kollegen! -, würden Bund, Länder und Gemeinden jährlich 13 Milliarden Euro Schulden abbauen, brauchten wir noch immer 100 Jahre - die jungen Leute hier oben brauchten ihr ganzes Leben -, um diesen Schuldenberg abzubauen. ({2}) - Es ist wirklich peinlich, ({3}) dass Sie meinen, dieses Problem durch permanentes Gebrüll und Geblöke wie in der ersten Schulklasse behandeln zu müssen. ({4}) Wir sollten uns diesem Problem endlich gemeinsam ernsthaft stellen. Wir alle stehen in der Verantwortung, diesen Schuldenberg abzutragen. Nicht diejenigen, die hier sitzen, sondern alle Politikergenerationen der Nachkriegszeit, egal welcher Couleur, haben ihn Schritt für Schritt angehäuft. Unser Problem ist, dass das ganze politische Handeln seit den 50er-Jahren auf Verteilung ausgerichtet war. ({5}) Historisch gesehen, haben wir jetzt das Ende dieser Verteilungspolitik erreicht. Sie verbreiten die Illusion, wir könnten durch das Drehen an ein paar Stellschrauben relativ schnell, womöglich schon morgen, für ein großes Wachstum sorgen und übermorgen wieder Verteilungspolitik betreiben. ({6}) Das ist ein ganz großer Fehler. Ihre Doppelzüngigkeit besteht darin, einerseits die Einhaltung der Maastricht-Kriterien und andererseits viel Geld für bestimmte Zwecke zu fordern. In diesem Sinne äußern sich in jeder Sitzung des Haushaltsausschusses Austermann, Kampeter, Rossmanith usw. ({7}) - In letzter Zeit haben Sie keinen Antrag gestellt, weil Sie dazu nicht mehr in der Lage sind. Ganz konkret: Sie sind nicht bereit, unsere Pläne zur Abschaffung der Eigenheimzulage und zur Absenkung der Entfernungspauschale mitzutragen. Viele Elemente der Vorschläge von Koch und Steinbrück zum Subventionsabbau haben wir in den letzten drei Jahren längst umgesetzt. Sie hingegen haben seit Jahr und Tag kein Konzept, mit dem man wirklich politisch verantwortungsvoll arbeiten kann. Das zentrale Problem ist - es ist ein gemeinsames Problem und deswegen kommen Sie nicht so billig davon -, dass Sie aufgrund Ihrer Stellung im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat mitverantwortlich sind. Ich behaupte, Sie tragen auch als Parlamentarier im Bundestag Mitverantwortung; denn eine Aufgabe des Parlaments als des Haushaltsgesetzgebers ist es, mit den Steuergeldern verantwortungsvoll umzugehen. Insofern ist es einfach zu billig, zu behaupten, es handele sich um ein Eichel-Problem. ({8}) Kommen Sie daher endlich in die Pötte! Hören Sie auf, hier ständig Vorwürfe zu machen! Wenn Sie nach der Beantragung dieser Aktuellen Stunde endlich konsequent und ehrlich sein wollen, dann müssen Sie, erstens, dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 voll und ganz zustimmen. Zweitens müssen Sie den Haushaltsvorlagen zu allen Etats - mit den Kürzungs- und Sparvorschlägen haben wir sie auf wirklich knapp kalkulierte Etats zurückgeführt und schlank gestaltet - zustimmen. ({9}) Drittens müssen Sie Hartz III und Hartz IV - auch das gehört dazu - zustimmen; denn das ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt des Umstrukturierens, nämlich weg von einer Verteilungspolitik hin zu einer Politik, mit der ein schlanker Staat solche Leistungen erbringt. ({10}) Zu den Umstrukturierungen im Bereich Gesundheit und Rente: Im Bereich der Gesundheit hat sich zumindest die CDU/CSU mit ins Boot begeben. Die FDP hat gemeint, sie könne sich fein heraushalten und sich praktisch hinter der Pharmaindustrie und den Apothekern verstecken. Es ist eine ganz billige Methode, hier immer zu sagen: „Wir sind für Subventionsabbau und für Strukturreformen“, aber dann, wenn es Ernst wird, nicht einmal mehr den Mut zu haben, auch nur die erste Reform mitzumachen. Bei der Eigenheimzulage wird es wieder so sein, dass Sie nicht den Mut haben, mitzuziehen. Sie müssten also jeden Schritt mittragen, der in Richtung Einsparvolumen geht, im Steuerrecht genauso wie beim Haushalt, statt hier ständig zu blockieren und zu meinen, Sie könnten die Probleme lösen, indem Sie alles offen halten. Sie müssten sogar weiter gehende Vorschläge machen. Wenn Sie das tun, dann sind wir gern bereit, darüber zu diskutieren. Aber solange Sie hier nur rumpöbeln und meinen, das sei Politik, ist das, finde ich, ziemlich verantwortungslos. Sie sollten sich vor der gesamten deutschen Bevölkerung schämen! ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Georg Schirmbeck, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Diller, wenn bei Ihrer Bilanz das Wort „solide“ in den Mund genommen wird, dann fehlen einem wirklich die Worte. ({0}) Wir haben noch gut in Erinnerung, wie Sie uns in den Bundestagswahlkämpfen immer wieder eingehämmert haben: Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser. - Ich frage Sie: Was? ({1}) Zurzeit sind Sie doch damit beschäftigt - das muss man einmal zur Kenntnis nehmen -, das wegzuräumen, was Sie in den ersten vier Jahren angerichtet haben. ({2}) Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, Sie haben hier eben quasi um Zustimmung zu Ihren nicht vorhandenen Konzepten gebettelt. ({3}) Ich erinnere Sie einmal an die Zeit von 1994 bis 1998. Da wurde in Deutschland blokkiert! Wir entwickeln Konzepte: für die Gesundheitsreform, für die Rentenreform. ({4}) Wir haben auch bewiesen, dass wir sie in diesem Hause auch mit tragen. Dafür sollten Sie dankbar sein. Unsere Konzepte haben dazu geführt, dass sich in diesem Bereich etwas bewegt hat. Sie haben das 630-DM-Gesetz abgeschafft, weil das in Ihren Augen Teufelswerk war. Dann haben Sie 400-Euro-Jobs eingeführt. Es war eines unserer Konzepte, das Sie damit umgesetzt haben. Wir mussten den Schaden erst wieder gutmachen. ({5}) Ein Sprichwort lautet: An ihren Taten wird man sie messen. ({6}) Diese Bundesregierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen kann man aber auch an ihren Worten erkennen. Es heißt oft, man wolle mit neuem Geld Investitionen fördern. Was heißt das eigentlich? Will man den Euro wieder abschaffen? Will man die Lira oder den russischen Rubel einführen? In Wirklichkeit heißt das: Man macht Schulden, immer mehr Schulden. Finanzierungsmöglichkeiten wie Mauteinnahmen kann man offensichtlich nicht erschließen. Ich stelle fest: Sozialisten können nicht mal mehr Geld einsammeln. ({7}) Meine Damen und Herren, Sie wollen die Nettokreditaufnahme senken. Was heißt das? - Man macht immer noch Schulden. In Wirklichkeit hat man noch nie mehr Schulden gemacht. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: 42 Milliarden Euro neue Schulden! Das sind mehr als 80 Milliarden DM. Ich sage das, weil viele Bürger, die uns zuhören, immer noch in dieser Währung denken. ({8}) Herr Eichel wird in den Medien mit den Worten zitiert, es wäre Gift für die Konjunktur, wenn man jetzt Steuern erhöhen würde. Über was sonst als darüber, dass er natürlich wieder eine Steuer erhöhen will, spricht Herr Eichel eigentlich? Er hat davon gesprochen, dass der Haushalt auf Kante genäht ist. Eichel vor der Sommerpause im Haushaltsausschuss: Wir haben einige Probleme, haben aber grundsätzlich natürlich alles im Griff. - Nach der Sommerpause sind es nicht mehr 18,9 Milliarden Euro neue Schulden, sondern 42 Milliarden Euro. Das war nicht auf Kante genäht, sondern das war eine Luftnaht, eine Eulenspiegelei oder eine vorsätzliche Täuschung des Parlaments. ({9}) Es wird davon gesprochen, wir hätten einen Wachstumsabschwung, ein Minuswachstum oder eine rote Null. ({10}) Im Klartext heißt das für die Bevölkerung, die uns zuhört: Wir haben eine schrumpfende Volkswirtschaft. Das Ergebnis davon sind Milliarden Einnahmeausfälle für alle Sozialkassen und Milliarden Steuerausfälle auf allen politischen Ebenen. Das Sozialsystem steht kurz vor dem Kollaps. Die kommunale Selbstverwaltung haben Sie damit quasi außer Kraft gesetzt. Sie sprechen von der Agenda 2010. Was will uns das sagen? Agenda suggeriert doch Nachhaltigkeit, zukunftsgerechtes Handeln und Ressourcenschutz. ({11}) Genau das Gegenteil machen Sie. Die Zukunftschancen der nachwachsenden Generation werden von einem bürokratischen Schuldenstaat verspielt. Unserer Jugend, der man angeblich so viel Gutes tun will, lädt man ständig mehr Lasten auf. Das ist die Wirklichkeit. Meine Damen und Herren, wozu hat diese Politik geführt? - Von 18,9 Milliarden zu 42 Milliarden jährlichen Schulden beim Bund. Das Land Niedersachsen beispielsweise hat im letzten Jahr 2,5 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen und muss auch in diesem Jahr und im nächsten Jahr jeweils 2,5 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Bis auf Bayern hat kein Bundesland einen verfassungsgemäßen Haushalt. Jetzt aber den schwarzen Peter den Ländern zuzuschieben, das stellt doch die Dinge auf den Kopf. ({12}) Die Länder haben eigentlich nur die Auswirkungen Ihrer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik auszubaden. ({13}) Die Länder sind nicht die Täter, die Länder sind die Opfer dieser falschen Politik. ({14}) In dem Landkreis, für den ich Verantwortung trage, beträgt die Arbeitslosigkeit 7 Prozent; das ist eine vergleichsweise gute Situation. ({15}) In 57 Jahren haben wir 60 Millionen Euro Schulden aufgetürmt, also 120 Millionen DM. Allein in diesem Jahr müssen wir aufgrund der Auswirkungen Ihrer verfehlten Politik 40 Millionen DM neue Schulden machen, das heißt, in drei Jahren müssen wir so viel Schulden machen, wie wir vorher in 57 Jahren gemacht haben. Ich stelle fest: Wir befinden uns ungebremst auf der Fahrt Richtung Wand. ({16}) Meine Damen und Herren, Wissenschaftler haben letzte Woche bei der Anhörung gesagt, sie könnten es sich nicht vorstellen, dass eine Regierung vorsätzlich verfassungswidrige Haushalte aufstellt. Diese Bundesregierung sprengt jedes Vorstellungsvermögen von Wissenschaftlern! Ich stelle weiter fest, dass das Land Niedersachsen von 1990 bis 1998 achteinhalb Jahre, sogar fast neun Jahre, mit Gerhard Schröder einen Ministerpräsidenten hatte, der es fertig gebracht hat, die Verschuldung von 37 Milliarden DM auf 70 Milliarden DM zu erhöhen. ({17}) Wir wissen also, was ein Volk unter Gerhard Schröder zu erwarten hat. Wenn - darin sind sich die Wissenschaftler ja einig - 50 Prozent der Wirtschafts- und Finanzpolitik von psychologischen Aspekten abhängt, dann wäre es das Beste für unser Land und wohl auch das einzige Mittel, das ihm helfen kann, wenn dieser Kanzler und diese Regierung zurücktreten würden. Das wäre das beste Signal für unsere Volkswirtschaft. ({18}) Herzlichen Dank. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat das Wort der Kollege Lothar Binding, SPDFraktion.

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich zu den Inhalten komme, etwas zur Diskussionskultur und im Grunde genommen auch zur Beliebigkeit der gewählten Argumente sagen. Es gab einen Zwischenruf von Herrn Kampeter, der lautete: Das glaubt hier ja keiner mehr! - In einem von ihm mitformulierten Antrag findet man die Wörter Vorhersehbarkeit, Wahrheit, Klarheit, Vollständigkeit. An einem ganz kleinen Beispiel will ich deutlich machen, was er darunter versteht: Er hat ja vorhin gesagt, Herr Eichel spreche zurzeit in „Phoenix“ vor Lobbyisten. Einmal abgesehen davon, ob das stimmt, halte ich es für eine starke Leistung, wenn ein Minister in der Öffentlichkeit seine Lobbygespräche führt. Das gefällt mir jedenfalls besser, als wenn er es hinter verschlossenen Türen täte, um dann entsprechende Anträge zu lancieren. ({0}) - Da kann man gut einen Zwischenruf machen. Ich höre das gerne. Die Wahrheit ist aber, dass Eichel nicht bei „Phoenix“ vor Lobbyisten spricht, sondern dass der Kanzler mit Kolleginnen und Kollegen auf einer IG Metall-Konferenz ist, die von „Phoenix“ übertragen wird. Lothar Binding ({1}) ({2}) Sie sehen an diesem kleinen Beispiel deutlich, wie hier mit Wahrheit umgegangen wird. ({3}) Jetzt komme ich zu dem ersten Argument, dem wichtigsten von denen, die Herr Austermann eingangs formuliert hat. Er sprach von schonungsloser Aufklärung. Sein nächster Satz lautete: Wir haben einen absoluten Nachkriegsrekord bei der Nettokreditaufnahme. ({4}) Das könnte, oberflächlich betrachtet, wahr sein. Wenn man aber noch einmal genauer hinschaut, stellt man fest, dass das nicht unbedingt wahr ist. Was sagt denn eigentlich die Nettokreditaufnahme aus, wenn man sie nicht ins Verhältnis zur Gesamtleistung des Volkes setzt? ({5}) Wir müssen also die Neuverschuldung stets im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sehen. Sie erinnern sich hoffentlich besser als in Bezug auf das, was „Phoenix“ überträgt, daran, dass 1996 das Verhältnis Neuverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt 2,2 Prozent betrug, 1993, in einer absolut starken Wachstumsphase, 2 Prozent, seit 1999 übrigens 1,3 Prozent und heute wieder - man höre und staune - bei 2 Prozent liegt, ({6}) also durchaus in einer Bandbreite, wie Sie sie vorgegeben haben. ({7}) - Ja, es gibt heute weniger Spielraum, da haben Sie Recht: Ihre Regierung konnte in einer absoluten Wachstumsphase handeln, während wir es heute mit einer weltweiten Wachstumsschwäche zu tun haben. ({8}) Wenn Sie die Nettokreditaufnahme und die Gesamtausgaben vergleichen, werden Sie sehen, dass das Verhältnis heute deutlich besser ist als in vielen Jahren unter Kohl. ({9}) Jetzt komme ich zu der Summe von 40 Milliarden Euro Neuverschuldung. Damit hatten wir nicht gerechnet; denn wir hätten nicht gedacht, dass die CDU/CSU die Finanzierung dieses Staates in einer so verantwortungslosen Weise untergräbt. ({10}) Das lässt sich mit drei einfachen Zahlen ganz leicht belegen: Wir haben ein Steuervergünstigungs-, also Schlupflochabbaugesetz und ein Gesetz zum Subventionsabbau vorgelegt, die Sie ziemlich rundheraus abgelehnt haben. ({11}) Das hat den Bund über 6 Milliarden Euro, die Länder über 6 Milliarden Euro und die Kommunen fast 3 Milliarden Euro gekostet, was in den Kommunen heute dramatische Folgeprobleme aufwirft. Deshalb denke ich, dass es sehr viel geschickter gewesen wäre, wenn Sie uns nicht beschimpft, sondern sich mit uns gemeinsam um die Finanzierung gekümmert hätten. ({12}) Besonders merkwürdig fand ich die Einlassung von Herrn Austermann zum Stichwort „Versicherungen“ und die Behauptung, dass wir sozusagen Politik auf Zuruf der Lobbyisten machten. ({13}) Sie kennen sicher die auch von Ihnen im Vermittlungsausschuss mitgezeichnete Protokollerklärung der Bundesregierung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz sehr gut. ({14}) Schon dort war angekündigt, dass genau dieser Komplex noch einmal hinterfragt werden solle. Die Sache ist ganz einfach erklärt: Bei Lebensversicherungen hat der Kunde eine Auszahlungsgarantie von 90 Prozent der Gewinne. ({15}) Bei Krankenversicherungen liegt die Auszahlungsgarantie bei 80 Prozent. Das ist eine Mindestrendite. Das bedeutet, wenn die Aktienkurse der Versicherung steigen, dann erhalten die Kunden eine entsprechend hohe Ausschüttung. Nach der hohen Ausschüttung, die dem Kunden zugute kommt, hat die Versicherung niedrige Steuern. Wenn aber die Börsenwerte fallen und die Ausschüttung niedrig ist, sind die Steuern plötzlich extrem hoch. ({16}) Lothar Binding ({17}) Daran erkennt man sofort, warum es extrem wichtig ist, die Versicherungen anders zu behandeln als eine normale Aktiengesellschaft, die über die Kumulation ihrer Gewinne und die Höhe der Ausschüttung selbst entscheiden kann. ({18}) Ein letzter Satz: Was schlägt die CDU/CSU eigentlich vor? Sie verlangt einen Nachtragshaushalt, schnell und sorgfältig ausgearbeitet. Jeder weiß, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nächste Woche neu betrachtet wird. Genau das wird die Basis für den Nachtragshaushalt sein. ({19}) Es kommt aber noch schlimmer.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lothar Binding (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003050, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch einen letzten Satz. ({0}) Sie haben auch einen inhaltlichen Vorschlag gemacht, nämlich eine Ausgabensperre zu verhängen. Sie wissen genau, dass eine Ausgabensperre die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verstärken würde. Dieser Vorschlag ist für uns nicht akzeptabel. ({1}) Deshalb fordere ich Sie auf, das Haushaltsbegleitgesetz mitzutragen; denn das ist eine vernünftige Basis für eine solide Haushaltsführung. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist vielleicht nahe liegend, aber nicht zwingend nötig, dass bei einer Debatte über die bislang höchste Neuverschuldung in einem Jahr auch der Lärmpegel das bisher höchste Niveau erreicht. ({0}) Der Verständigung untereinander dient es, wenn abwechselnd gesprochen wird, denn dann bekommt man eher etwas von den Argumenten mit, die jeweils vorgetragen werden, seien sie nun mehr oder weniger überzeugend. ({1}) Nun erteile ich dem Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({2})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgendwo und irgendwann hat alles ein Ende, auch die Unwahrheit. Heute ist die Aktuelle Stunde der Wahrheit für die rot-grüne Steuer- und Haushaltspolitik. Herr Eichel spielt weiter Versteck, er kneift. Herr Eichel ist beim Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, 300 Meter von hier entfernt, und hält eine unwidersprochene, flotte Rede. Aber das, was die Leute wissen wollen, nämlich wie sich der Haushalt in Deutschland entwickelt und wie hoch die Verschuldung ist, wird von ihm nicht deutlich gemacht. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, zu Ihrem Selbstverständnis: Sie können sich doch nicht immer mehr zu einer Abnicktruppe von Herrn Schröder und von Herrn Eichel entwickeln. Es muss doch Ihrem Ehrgefühl als Abgeordnete widersprechen, wenn Sie die Verschuldung hier einfach abnicken. ({0}) Das Haushaltsfiasko hat sich bereits seit längerem abgezeichnet. Dennoch hat Herr Eichel die wahre Haushalts- und Finanzlage immer wieder verschwiegen. Herr Eichel hat den dringlichen Handlungsbedarf zum Nachtragshaushalt und zur Haushaltssperre immer wieder verleugnet und insbesondere die notwendigen Entscheidungen zum Schaden unseres Landes verschleppt. Damit ist Deutschland in eine desaströse Haushaltsfalle geraten. Herr Eichel hat nicht gehandelt; er hat die Dinge einfach treiben lassen und bis heute Versteck gespielt. Das ist für mich ein schwer wiegender Amtsmissbrauch und die Fortsetzung des rot-grünen Wahlbetrugs. ({1}) Erst jetzt, als die Wahrheit nicht mehr zurückzuhalten war, wurden immer mehr „Eichel-Löcher“ eingestanden. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Nun ist es aber genug; Herr Meuchelbach! Und wie Herr Eichel diese Wahrheit eingestanden hat! Wie eine Wurstverkäuferin sagte er: Es kann ja auch ein bisschen mehr sein. ({2}) 42 Milliarden Euro Neuverschuldung sind nicht ein bisschen mehr; das ist ein trauriger Negativrekord und ein finanzpolitischer Supergau. Das sind die Tatsachen. ({3}) Rot-Grün versucht, alles zu relativieren und zu verniedlichen. Da wird auf Theo Waigel verwiesen und gesagt, er habe eine ähnliche Verschuldung zu verantworten. Es gibt aber wesentliche Unterschiede. ({4}) Damals, auf dem Höhepunkt der Einheitskosten, hatten wir eine Defizitquote von 2,4 Prozent. Heute liegt die Quote über 4,4 Prozent, Richtung 5 Prozent. Der Unterschied ist also: Heute gibt es ein Gesamtdefizit in Höhe von 100 Milliarden Euro, während es damals nicht einmal die Hälfte war. ({5}) Das sind die fehlerhaften Entwicklungen. Sie verweisen auf Privatisierungserlöse. Gleichzeitig verschweigen Sie aber, dass Sie Einnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 50 Milliarden Euro verbuchen konnten. ({6}) Aber das zeigt, wo wir wirklich stehen. Mit der Steuer-, Schulden- und Haushaltsfalle haben wir heute die größte Finanzkrise der öffentlichen Haushalte in der Geschichte der Bundesrepublik. Rot-Grün hat nicht nur den Bund, sondern inzwischen auch Länder und Kommunen mit ihrer Verschiebetaktik in die Haushaltsfalle geführt. Deutschland verletzt Jahr für Jahr in immer größerem Ausmaß den europäischen Stabilitätspakt. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion lebt aber von soliden öffentlichen Finanzen. Nur so kann die Grundlage für Vertrauen, Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Sie haben diesen völkerrechtlichen Vertrag, wonach übermäßige Defizite zu vermeiden sind, ({7}) geradezu ignoriert. Sie verwüsten sozusagen diesen Vertrag: Der Bundeskanzler fährt nach Paris, um Partner für seinen Amtsmissbrauch zu finden. ({8}) - Ich schreibe Ihnen ins Stammbuch: Der vorsätzliche Bruch eines völkerrechtlichen Vertrages ist für mich Amtsmissbrauch, nichts anderes. ({9}) Der Stabilitätspakt darf nicht einfach außer Kraft gesetzt werden. Da ist keine Beliebigkeit und keine flexible Auslegung möglich. Unser Land verliert damit jegliche finanzpolitische Glaubwürdigkeit. Als zivilisiertes Land kann Deutschland nicht vorsätzlich einen Vertrag brechen ({10}) und damit die Gefahr heraufbeschwören, dass dieser künftig auch von anderen europäischen Ländern nicht beachtet wird. Sie machen alles verkehrt; Ihr Handeln ist kontraproduktiv. ({11}) Eigentlich müssten Sie Freiräume schaffen, damit letzten Endes eine wirtschaftliche Dynamik entsteht. Heute wurde im Finanzausschuss über Tabaksteuererhöhung, Gewerbesteuererhöhung, Mindeststeuer, Beschränkung der Verlustverechnung, Abschreibungsverschlechterungen, Streichung der Eigenheimzulage und Kürzung der Entfernungspauschale beschlossen. Das ist eine Steuererhöhungsorgie von A bis Z an nur einem Tag. Das ist der verkehrte Weg; damit beschreiten Sie einen Irrweg. ({12}) Zum Schluss muss ich feststellen: Deutschland braucht einen Neustart in der Steuer- und Finanzpolitik. Hierzu muss Herrn Eichel ins Stammbuch geschrieben werden: Jemand, dem es an Mut zur Wahrheit mangelt und der stets bereit ist, im Sinne der Unwahrheit Zugeständnisse zu machen, kann niemals in Deutschland ein akzeptabler Finanzminister sein. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Michelbach, Sie sollten hin und wieder einmal einen Blick in ein großes Buch der Weltgeschichte werfen, in dem es so schön heißt: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. ({0}) Sie haben nämlich eben Folgendes gemacht - das gehört sich nicht in einem Parlament -: Sie haben anderen Amtsmissbrauch vorgeworfen. ({1}) Das ist ein sehr niedriges Niveau, Herr Michelbach. Im gleichen Atemzug haben Sie die Wahrheit gebeugt. Ich will Ihnen das an einem Punkt nachweisen. Sie haben gesagt, die während Ihrer Regierungszeit entstandenen Privatisierungserlöse seien das Normalste von der Welt gewesen und wir hätten das Gleiche bei den UMTS-Erlösen gemacht. Dazu will ich Ihnen sagen: Im Gegensatz zu Ihnen haben wir die UMTS-Erlöse nicht dafür verwendet, Haushaltslöcher zu stopfen, wie Sie das getan haben. Wir haben vielmehr damit begonnen, Ihre Schulden zu tilgen. ({2}) Das können Sie nicht bestreiten. Als Helmut Schmidt 1982 aus dem Amt schied, hatte der Bund 350 Milliarden DM Schulden. Als Helmut Kohl 1998 das Amt verließ, waren aus diesen 350 Milliarden 1,5 Billionen geworden. Das ist die Wahrheit. ({3}) Die Haushaltsentwicklung in diesem Jahr erfüllt uns alle mit Sorge; das ist gar keine Frage. Zweifellos haben die weltwirtschaftlichen und die strukturellen Probleme in unserem Land zu massiven Steuerausfällen geführt, ({4}) aber nicht nur dazu, sondern auch zu Mehrbelastungen durch gestiegene Ausgaben vor allen Dingen im Rahmen der Arbeitslosigkeit. In dieser Analyse können wir uns einig sein; das sind die Ursachen dafür, ({5}) dass wir in diesem Jahr auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene in Probleme geraten sind. Der Bund hat vor allen Dingen durch die gestiegenen Ausgaben für die Massenarbeitslosigkeit schwer zu tragen. ({6}) - Sind Sie evangelisch, katholisch oder ein Quäker? Sie quäken nämlich immer dazwischen. ({7}) - Auch ich musste Ihre Rede ertragen. Von jemandem, der immer wieder fordert zu sparen, aber als Rüstungslobbyist im Haushaltsausschuss ständig Ausgabenerhöhungen fordert, lasse ich mir nicht dazwischenbrüllen; das will ich deutlich sagen. ({8}) Die Frage, die uns zu bewegen hat, ist: Was können und was müssen wir angesichts dieser Situation konjunkturell und strukturell tun? Ich will Ihnen deutlich sagen, dass wir dieses Problem auf beiden Ebenen, also sowohl in der Konjunktur- als auch in der Strukturpolitik, zu beantworten haben. Konjunkturell war es in diesem Jahr richtig und notwendig, automatische Stabilisatoren wirken zu lassen und nicht prozyklisch in die Krise hineinzukürzen, um das schwache Wachstum, das wir in diesem Jahr haben, nicht noch weiter abzuwürgen. ({9}) Ich sage Ihnen auch, dass Konjunktur- und Konsolidierungspolitik etwas anderes ist als kurzatmige Sparvorschläge, die in der Realität gar nicht umzusetzen sind. Man sollte sich einmal anschauen, wie Sie mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz umgegangen sind. Bei der CDU/ CSU spielte vor allem die Melodie: mehr Geld ausgeben, mehr sparen und gleichzeitig die Steuern senken. ({10}) Sie wollten Politik gegen Adam Riese machen und haben durch Ihre Blockade im Bundesrat eine ganze Menge zu der jetzigen Misere beigetragen. ({11}) Jetzt kommt es darauf an, dass wir konjunkturell Impulse setzen. Sie haben die Gelegenheit, uns dabei zu helfen, zum Beispiel beim Vorziehen der Steuerreform. Sie haben vor allem die Möglichkeit, bei den Strukturreformen, die mit dem Begriff „Agenda 2010“ verbunden sind, mitzuwirken. Mit den Reformen im Gesundheitsbereich - die haben wir gemeinsam hinbekommen - und mit Reformen in den Bereichen Pflege, Rente und Arbeitsmarkt sowie in vielen anderen Bereichen gehen wir in diesem Jahr Probleme an, die in unserem Land 30 Jahre lang liegen geblieben sind. Frau Merkel hat vor kurzem in ihrer „großen“ Rede vor der Konrad-Adenauer-Stiftung einen wunderbaren Satz gesagt: „Wir müssen mehr für Deutschland tun und jeder muss bei sich selber anfangen.“ Wir haben angefangen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Frage ist, was von Ihnen außer Obstruktions- und Blockadepolitik kommt. ({12}) Wir tun eine ganze Menge. Wir legen dem Parlament in diesem Herbst eine Reihe von Gesetzesvorschlägen vor. Wir sorgen nicht nur mit dem Vorziehen der Steuerreform in der Konjunkturpolitik dafür, dass der Aufschwung im nächsten Jahr gelingen wird, sondern wir verändern auch die Strukturen am Arbeitsmarkt. Ich möchte Ihnen bei allem Streit, auch bei allem niveaulosem Hin- und Hergeplänkel, das wir gerade vom Kollegen Michelbach hinnehmen mussten, Folgendes ernsthaft mit auf den Weg geben: Wir sollten bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe einen ganz entscheidenden Schritt miteinander gehen. Machen Sie das nicht kaputt! Seien Sie keine vaterlandslosen Gesellen! ({13}) Helfen Sie mit, dass wir dieses Land gemeinsam voranbringen! ({14}) Herzlichen Dank. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Schindler und verbinde dies mit herzlichen Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenigstens am Anfang meiner Rede bekomme ich den Applaus des ganzen Hauses. Herr Staatssekretär Diller, Ihre Worte zu Beginn erinnern an die Zeit von 1982. Ihre Regierung ist am Ende, fix und alle! ({0}) Alles läuft aus dem Ruder. Ihre Partner in der Gesellschaftspolitik verlassen Sie. Sie hangeln sich von Fall zu Fall mit Kanzlerdrohung und knapper Kanzlermehrheit über die nächsten Tage und Wochen. Sie hätten gern heute dem Finanzminister das Wort überlassen. Das sehe ich Ihrem Gesichtsausdruck an, Herr Diller. ({1}) Dass es Herr Eichel vorzieht, drei Minuten in „Phoenix“ zu erscheinen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eichel Weltmeister ist. Er hat das Recht, ins Guinnessbuch der Rekorde eingetragen zu werden. Er hat geschafft, was Sie Theo Waigel so gern vorgehalten haben, aber unter ganz anderen Voraussetzungen. ({2}) - Darauf komme ich gern noch einmal zurück. Es ist gut, wenn Politologen einmal zuhören und sich nicht so schulmeisterlich benehmen wie gerade bei der Rede vom Kollegen Michelbach. ({3}) - Das war oberlehrerhaft. ({4}) Herr Diller, auf die Schulden der deutschen Einheit sind wir alle stolz. Wir haben zusammen mit Kohl, Waigel und der FDP die deutsche Einheit gemeistert. ({5}) Ich bin auf diese tausend Milliarden DM stolz. ({6}) Es ist kein Schuss gefallen, es gab keine harten militärischen Auseinandersetzungen. Wir haben Deutschland wieder vereinigt. Das war es uns wert. ({7}) - Lieber Herr Kollege, was hatten Sie denn für eine Kinderstube? Oder haben Sie Blähungen und rufen deshalb laufend dazwischen? Das könnte ich vielleicht noch nachvollziehen. ({8}) Wir haben 700 Milliarden DM Altschulden und Auslandsschulden der Deutschen Demokratischen Republik 1998 an Sie weitergegeben. Wir haben die Schulden damals gern übernommen. Die Höchstverschuldungsrate 1996 war das Ergebnis der deutschen Wiedervereinigung. Dann bekamen Sie 14 Milliarden Sondereinnahmen durch die Telekom. Sie haben dafür gestimmt. - Als es aber um die Privatisierung der Post ging, haben Ihre Ministerpräsidenten Lafontaine, Eichel und Schröder nicht mitgestimmt. Was für Tänze sind deshalb aufgeführt worden! - Auch die 50 Milliarden Euro durch den Versteigerung der UMTS-Lizenzen haben Sie gerne genommen. Das wurde von Herrn Michelbach bereits dargestellt. Damit konnten Sie die Haushalte 1999 und 2000 einigermaßen kaschieren. ({9}) - Wieso „unwahr“? Sie haben 5 Milliarden für die Infrastrukturen verteilt. ({10}) - Wenn das falsch war, wird es ja noch schlimmer. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist zwar gut gemeint, aber ein Dialog zwischen Rednern und Anwesenden auf der Regierungsbank ist nach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Damit wollen wir auch gar nicht erst anfangen.

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bekomme ich noch eine halbe Minute Redezeit?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das ist wegen des Geburtstags in Ordnung, aber nicht wegen der Geschäftsordnung. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Diller, Sie müssen noch eines zur Kenntnis nehmen: Seit Sie an der Regierung sind, ist die Staatsquote auf 51 Prozent gestiegen. Das ist ein schlimmes Zeichen. Wir waren 1998 wieder bei einer Staatsquote von 46 Prozent angekommen. Was noch viel schlimmer ist, ist, dass wir mit Ihrer Währungspolitik die von uns im Stabilitätspakt in Europa mit vorgegebene Höchstgrenze für die Neuverschuldung mit einer Quote von 4,5 oder 5 Prozent deutlich überschreiten werden. Angesichts Ihrer zu Oppositionszeiten gegebenen Worte müssten Sie eigentlich sofort den Hut nehmen und nach Hause nach Trier ge5580 hen. Ihr habt doch total versagt. Das gilt auch für Ihren Finanzminister. ({0}) Welche strukturellen Veränderungen haben Sie mit Gesetzen und der Steuerreform 2000 auf den Weg gebracht? Was haben Sie alles verhindert? Kanzler Schröder hat sich vor einigen Wochen hier hingestellt und gesagt: Frau Merkel, die Abschaffung des demographischen Faktors war ein Fehler. Draußen bekam man dann sogar noch zu hören: Ach, er sieht ja ein, welch katastrophalen Fehler er mit Blick auf die Sicherung der Rente gemacht hat. - Der demographische Faktor wurde von uns 1997 richtungsweisend eingeführt. Wir haben auch mit den Petersberger Beschlüssen ein Steuerreformpaket geschnürt, welches hier dreimal abgelehnt worden ist. Die bitteren Ergebnisse der strukturschwachen Steuerreform aus dem Jahre 2000 schlagen doch bis in die Gemeindehaushalte durch. Wenn mein Landkreis Bad Dürkheim in den nächsten drei Jahren - Herr Schirmbeck aus Niedersachsen hat die gleiche Entwicklung zu verzeichnen - genauso viele Schulden macht wie in den letzten 25 Jahren zusammen, weil uns alles wegbricht, dann sind doch im Jahre 2000 wirtschafts- und steuerpolitisch die falschen Weichen gestellt worden, und zwar mit Ihrer - damals gekauften - Mehrheit im Bundesrat. Dafür müssen wir jetzt leider Gottes alle büßen. ({1}) Wer will denn angesichts der Haushaltansätze für das kommende Jahr und der damit verbundenen Perspektive für die Wirtschaft noch in Deutschland investieren? Sie lenken doch nur ab. Einmal war es der 11. September 2001. Vorhin haben wir gehört, es sei der Krieg im Irak gewesen. Am 6. Dezember verkünden Sie wahrscheinlich: Die Zahlen sind so schlecht, weil der Weihnachtsmann kommt. ({2}) Wenn man sich diese Haushaltsvorlage insbesondere mit Blick auf den investiven Bereich unserer Wirtschaft ansieht, bekommt man die Befürchtung, im nächsten Jahr werde die Neuverschuldung noch höher ausfallen. Ich prophezeie Ihnen: Spätestens im Frühjahr 2005 zur Landtagswahl in NRW - ich wette eine gute Kiste Spätlese trocken dagegen - sitzen Sie nicht mehr auf dieser Bank. Gehen Sie bitte heute. Es ist besser für Deutschland. Es ist besser für unsere Zukunft und auch für die Zukunft unserer Kinder. Danke schön. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wäre schön, wenn an der ausgelobten Wette ein großer Teil der an dieser Debatte Beteiligten unabhängig vom Ausgang derselben partizipieren könnte. ({0}) Als letzte Rednerin in der Debatte hat nun die Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion das Wort.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Als ich dieser Debatte sehr aufmerksam gefolgt bin, habe ich die ganze Zeit überlegt, an was mich das eigentlich erinnert. Ich war einmal Sozialdezernentin in einer mittelgroßen Stadt. Ich habe mich daran erinnert, ({0}) wie ein altes Ehepaar, seit mehr als 50 Jahren verheiratet, bei mir saß. Dieses Ehepaar hatte seit vielen Jahren den Lebensunterhalt dadurch sichergestellt, dass jedes Jahr Schulden gemacht wurden. Wenn die Waschmaschine kaputt gegangen war, haben sie Schulden aufgenommen. Wenn das Auto repariert werden musste, haben sie Schulden aufgenommen. ({1}) Seit vielen Jahren wurden immer mehr Schulden gemacht. ({2}) Dieses Ehepaar war nun bei mir, weil zusätzlich zu den Problemen, die es ohnehin gab, jetzt auch noch die Einnahmen fehlten, da der Nebenjob des Mannes plötzlich weggefallen war. Die Frau saß nun vor mir und wollte darüber diskutieren, was man in dieser Situation machen könnte, um zum Beispiel die Wohnung zu halten. Der Mann, der ebenfalls dabei war, hat die ganze Zeit darüber diskutiert, was die Frau in den letzten fünf Jahren falsch gemacht hat. Dieses Verhalten entspricht dem, was zurzeit abläuft: Wir reden nicht darüber, dass wir alle - Sie in Ihrer Regierungszeit, wir in unserer Regierungszeit, die FDP nahezu immer - mitgemacht haben: jedes Jahr nicht nur das auszugeben, was zur Verfügung steht, sondern deutlich über die Verhältnisse zu leben. In einem bestimmten Zeitabschnitt, nämlich kurz nach der deutschen Einheit, war diese Verhaltensweise besonders stark ausgeprägt. Das kann man durchaus damit rechtfertigen, dass in dieser Zeit mehr getan werden musste. Aber es stellt sich trotzdem die Frage, ob der Weg richtig gewesen ist. Ich möchte auf das Bild zurückkommen. Ich finde, es hilft uns allen überhaupt nicht weiter, wenn wir darüber diskutieren, wer welchen Anteil Schuld an der Situation hat, wie sie heute ist. ({3}) Wir müssen darüber diskutieren, welchen Beitrag jeder für sich, die Regierung auf der einen Seite und die Opposition, die im Bundesrat nun einmal eine eigene Mehrheit hat, auf der anderen Seite, leisten kann, damit sich die Situation in unserem Land wieder bessert. ({4}) Die haushalts- und finanzpolitische Situation ist sehr schwierig. Die Lage ist viel zu ernst, um solche Beiträge wie Ihre abzugeben, die ausgesprochen kleinkariert, rückwärts gewandt und voller Schuldzuweisungen gewesen sind. Das hilft dem Land nicht weiter. Das hat dieses Land auch nicht verdient. ({5}) Sie sind wenig glaubwürdig, wenn Sie hier in markigen Worten die Politik von Hans Eichel geißeln, aber gleichzeitig zu keiner konstruktiven Mitarbeit bereit sind. ({6}) Wir wären in diesem Land schon wesentlich weiter, wenn Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst wären und danach handeln würden. Sie sind unglaubwürdig, wenn Sie die Politik der Bundesregierung immer wieder kritisieren, aber gleichzeitig Maßnahmen, wie sie im Steuervergünstigungsabbaugesetz enthalten sind, verhindern. Allein die Kommunen haben auf diese Art und Weise in diesem Jahr Einnahmen in Höhe von 7 Milliarden Euro verloren. Das haben Sie zu verantworten. ({7}) Sie werfen uns vor, wir würden die Kommunen im Stich lassen. Sie sind der unseriöse Teil in diesem Haus. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass die folgenden Beratungen genau so ablaufen werden. Sie müssen endlich Klarheit darüber schaffen, was Sie mittragen wollen und was nicht. Darauf haben die Menschen in diesem Land einen Anspruch. Bei Ihnen herrscht das reinste Meinungschaos; das will ich Ihnen deutlich sagen. Als Beispiel nenne ich, wie es mit dem Steuerabbau weitergehen soll: Koch ist dagegen, Stoiber ist dafür, Beust ist eingeschränkt dafür, Austermann ist dagegen, Merz wiederum kann sich alles vorstellen. Wie soll man in einer solchen Situation zu Verständigung, zu Verabredungen, zu gemeinsamem Handeln kommen? Ich kann Sie nur auffordern, sich mit dem, was wir machen, konstruktiv auseinander zu setzen. Dazu zählt, nicht nur zu sagen, was Ihnen nicht passt, sondern klar zu machen, was Ihnen passt. Dann muss man das sortieren. Wir werden ohnehin keine andere Chance haben, weil die meisten unser Vorhaben zustimmungspflichtig sind und ohnehin den Bundesrat ereilen. Ich fordere Sie auf: Beteiligen Sie sich im Interesse dieses Landes konstruktiv an der Weiterentwicklung und stellen Sie das Meckern, das der Situation nicht angemessen ist, ein! Vielen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Oktober 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.