Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Grüß Gott, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a bis 1 c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/1636 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1637 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1638 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Interfraktionell wurde vereinbart, dass keine Aussprache erfolgen soll. - Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden.
Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf
den Drucksachen 15/1636, 15/1637 und 15/1638 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettsitzung mitgeteilt: Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung,
Marion Caspers-Merk.
Redetext
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes beschlossen. Der Gesetzentwurf dient der Verbesserung
der Arzneimittelsicherheit und enthält im Wesentlichen
die zur Umsetzung europäischen Rechts notwendigen
Änderungen der Regelung zur klinischen Prüfung von
Arzneimitteln an Menschen.
Mit dem Entwurf des Zwölften AMG-Änderungsgesetzes sollen einheitliche Rahmenbedingungen für die klinische Forschung mit Arzneimitteln in Europa geschaffen
und europäisches Recht umgesetzt werden. Darüber hinaus dient die Novelle der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit. Insbesondere die künftige stärkere Berücksichtigung von Neben- und Wechselwirkungen bei
Medikamenten spielt eine große Rolle. Durch die Regelungen in diesem Gesetzentwurf wird auch die Verbreitung
von Arzneimittelfälschungen deutlich erschwert. Dieses
Problem hat bislang stärker in Entwicklungsländern eine
Rolle gespielt; mittlerweile hat es aber leider auch
Deutschland erreicht. Mit dem Gesetzentwurf tragen wir
dem Wunsch der Pharmaindustrie Rechnung, die Verbreitung von Arzneimittelfälschungen deutlich zu erschweren.
So wird unter anderem in § 8 das Verbot aufgenommen, Arzneimittel herzustellen oder in den Verkehr zu
bringen, die in Bezug auf ihre Identität und Herkunft
falsch gekennzeichnet sind. Damit werden die Regelungen des Arzneimittelgesetzes verschärft, die auf eine
mindere Qualität gefälschter Arzneimittel und deren
Auswirkungen abhoben. Auch der Strafrahmen für die
Herstellung und das In-Verkehr-Bringen von Arzneimitteln, die in ihrer Qualität gemindert sind, wird verschärft. Dazu wird dieser Tatbestand von § 96 Arzneimittelgesetz in den Strafkatalog des § 95 AMG mit einer
Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe
verschoben. Die Herstellung und das In-Verkehr-Bringen von gefälschten Arzneimitteln wird als neuer
Straftatbestand geregelt. Verstöße gegen das Werbeverbot für nicht zugelassene Arzneimittel werden in Zukunft als Ordnungswidrigkeit geahndet.
Was Meldungen über unerwünschte Wirkungen von
Arzneimitteln betrifft, so soll eine EU-weite Datenbank
aufgebaut werden, die den Informationsaustausch über
schwerwiegende unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen soll.
Im Interesse der von allen Seiten geforderten Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für Kinder wird durch den
Gesetzentwurf die klinische Prüfung bei Kindern und Jugendlichen unter bestimmten Voraussetzungen auch dann
gestattet, wenn ein so genannter Gruppennutzen vorliegt.
Ich nenne ein Beispiel: Durch eine zusätzliche Blutuntersuchung nach dem erfolgreichen Abschluss einer Therapie kann vielleicht zwar kein individueller Nutzen für die
betroffene Person, wohl aber ein künftiger Nutzen für die
jeweilige Patientengruppe erwartet werden.
Durch Gruppennutzen bei Kindern können insbesondere Laborwerte untersucht oder funktionsdiagnostische
Untersuchungen zusätzlich bestimmt oder untersucht
werden, die für eine Überwachung sowie den Nachweis
der Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie notwendig
erscheinen. Bisher musste für solche Untersuchungen ein
individueller Nutzen vermutet werden. Für solche Untersuchungen muss wie generell bei klinischen Prüfungen
an Kindern immer die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und - sofern Einsichtsfähigkeit besteht - auch die
des Kindes vorliegen. Durch diese Änderung soll unter
anderem verhindert werden, dass Kinderärzte Medikamente für Erwachsene, die nicht für den Einsatz bei Kindern erforscht sind, bei Kindern anwenden müssen.
Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen von
solchen Medikamenten sind bisher nicht auf Kinder abgestimmt. In Deutschland und auch in Europa werden
die meisten Medikamente bei ihrer klinischen Erforschung immer noch auf Männer mit einem Durchschnittsgewicht von 80 Kilogramm ausgerichtet. Das
heißt: Bei klinischen Studien liegt eine Unterrepräsentanz von Frauen vor. Auch diesem Gesichtspunkt tragen
wir mit unserer Novelle Rechnung.
Bei der klinischen Prüfung an Kindern sind sehr
strenge Maßstäbe einzuhalten. Die gesetzlichen Voraussetzungen sind einer sehr intensiven Grundrechtsprüfung
unterzogen worden, weil es sich hier um einen ethisch
sehr kritischen Bereich handelt. Wir haben sie aber in einem engen Rahmen zugelassen, weil wir die Medikamententherapie für Kinder insgesamt verbessern wollen.
Wir glauben, dass das ein richtiger und ausgewogener
Weg ist, um in diesem Bereich zu Verbesserungen zu
kommen.
Die Umsetzung des europäischen Rechts erfordert
ferner die Einführung eines Genehmigungsverfahrens
für klinische Prüfungen beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sowie beim Paul-EhrlichInstitut.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den soeben berichtet wurde. - Herr Kollege
Parr, bitte.
Frau Staatssekretärin, in der Enquete-Kommission
„Ethik und Recht der modernen Medizin“ haben wir am
vergangenen Montag zum ersten Mal eine Themengruppe, nämlich die Themengruppe „Forschung und
Ethik“, eingesetzt. In dieser Enquete-Kommission stellt
sich uns zunächst die Aufgabe, eine Stellungnahme zur
AMG-Novelle, die Sie gerade erläutert haben, zu erarbeiten. Das ist natürlich nicht sehr glücklich.
Sind in diesen Entwurf schon Ergebnisse der Anhörungen, die wir in der Enquete-Kommission durchgeführt haben, eingeflossen?
Herr Kollege Parr, Sie wissen, dass die Umsetzung
des europäischen Rechts in nationales Recht schon lange
gefordert wird. Das heißt, wir stehen hier unter einem
gewissen Handlungsdruck.
Klinische Prüfungen an Kindern haben wir immer in
einer sehr restriktiven Art behandelt, wohl wissend, dass
es weiterer Debatten - auch gesellschaftlicher Debatten - bedarf. Der Gesetzentwurf ist zustimmungspflichtig. Wir hören im Moment sowohl vonseiten derjenigen,
die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, als auch vonseiten der Industrie, dass dies als ein gangbarer Weg angesehen wird. Die weitergehende Forderung, wonach
Untersuchungen auch an gesunden Kindern vorgenommen werden können, haben wir abgelehnt. Wir bewegen
uns also in einem sehr engen Rahmen.
Bei schweren Erkrankungen, zum Beispiel Krebserkrankungen, von Kindern kann man nicht immer nachweisen, dass einem speziellen Kind geholfen werden
kann. Für die Gruppe der krebskranken Kinder kann eine
klinische Untersuchung von neuen Medikamenten aber
sehr wohl einen künftigen Nutzen bringen. Deswegen
lassen wir sie unter sehr engen Bedingungen zu.
Auch die klinische Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen haben wir abgelehnt, nachdem wir
ethisch sehr sorgfältig abgewägt haben. Ich weiß, dass
auch dies Gegenstand einer Debatte in der EnqueteKommission ist. Die weiterführende Diskussion ist hiermit aber sicher nicht abgeschlossen.
Herr Kollege Parr, haben Sie noch eine weitere
Frage? - Bitte schön.
Ich möchte noch einmal zu den Rahmenbedingungen
für klinische Prüfungen in Deutschland kommen. Sie
sind nicht die besten, was durch zahlreiche Investitionen
von Unternehmen im Ausland und deren verstärkter Zusammenarbeit mit ausländischen Zulassungsbehörden
im Rahmen klinischer Prüfungen sowie durch die geringe Zahl von klinischen Prüfungen in Deutschland offensichtlich wird. Dies wird besonders deutlich, wenn
wir das mit Schweden, Großbritannien oder den Niederlanden vergleichen.
Aus unserer Sicht liegen die Gründe in den komplizierten und langwierigen Zulassungsverfahren von klinischen Prüfungen und der Arbeit der Ethikkommissionen
in Deutschland. Frau Staatssekretärin, können Sie sagen,
inwieweit Sie den Spielraum der GCP-Richtlinie wirklich genutzt haben, um einen möglichen Standortvorteil
für Deutschland zu erzielen?
Herr Kollege Parr, Sie wissen, dass für uns das Thema
Standortbedingungen im Bereich der Pharmaforschung
ein wichtiges Anliegen ist. Deswegen gibt es eine gemeinsame Task Force des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Bei diesen Gesprächen
spielt die Verbesserung der Standortbedingungen eine
wichtige Rolle.
Aus diesem Grunde sind wir entschlossen, die Spielräume zu nutzen, die uns der europäische Rechtsrahmen
bietet. Jetzt ist grundsätzlich nur eine Ethikkommission
federführend zuständig. Dadurch wird das Verfahren gestrafft.
Darüber hinaus müssen wir zu einer deutlichen Verkürzung der Zulassungsverfahren kommen. Im Gesetz
ist ein maximaler Zeitraum von 60 Tagen festgelegt,
Ausnahmen regelt die geplante Rechtsverordnung. Wir
befinden uns im Moment in Gesprächen mit den Bundesländern, die dem Gesetz zustimmen müssen, und den
betroffenen Verbänden. Wir wollen eine deutliche Verkürzung der Zulassungsverfahren in der Verordnung vornehmen, weil wir diese Problematik kennen.
Ehrlicherweise muss man aber sagen: Die lange
Dauer der Zulassungsverfahren und ihre Auswirkungen
auf den Standort Deutschland sind nur ein Gesichtspunkt. Bei der Entwicklung eines Medikaments entstehen Kosten in Millionenhöhe. Bei den klinischen Untersuchungen wird daher in aller erster Linie der größte
Markt - das sind die USA - bedient. Das halten wir für
problematisch. Deswegen führt kein Weg daran vorbei,
in Europa stärker zusammenzuarbeiten, um europäische
Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Standort Europa attraktiver machen. Wir haben die Spielräume, die
uns die EU-Regelungen geben, genutzt. Auf der anderen
Seite haben wir versucht, wo möglich, Verfahrensvereinfachungen vorzunehmen.
Aber Sie wissen selbst - Sie haben eben die EnqueteKommission erwähnt -, dass es schwierig ist, einerseits
ethische Fragestellungen zu behandeln und andererseits
die Verfahren zu beschleunigen. Gerade im Bereich der
klinischen Forschung an müssen ethische Aspekte eine
stärkere Rolle spielen.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Hüppe.
Frau Staatssekretärin, zum letzten Bereich, den Sie
genannt haben: Können Sie fremdnützige Forschung an
nicht einwilligungsfähigen Personen - mir liegt nur der
Referentenentwurf vor, auf den ich mich beziehe - ausschließen? Meiner Meinung nach lässt nämlich § 41
diesbezüglich einiges offen.
Meine zweite Frage: Würde dies auch für Kinder gelten, deren gesetzliche Vertreter nicht die Eltern sind, zum
Beispiel für Kinder in einer stationären Einrichtung?
Herr Kollege Hüppe, in meinem Einführungsvortrag
bin ich auf dieses Thema sehr intensiv eingegangen.
({0})
Wie ich sehe, kommen viele Kollegen erst jetzt ins
Plenum, weil die Sitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung noch andauerte.
Ich will zu diesem Punkt Folgendes sagen: Wir haben
dafür gesorgt, dass keine Forschung an gesunden Kindern vorgenommen werden darf. Klinische Forschungen
an Kindern sind nur dann zugelassen, wenn das Einverständnis eines Erziehungsberechtigten - wer immer dies
auch sein mag - vorliegt. In einer stationären Einrichtung müssen dies nicht die Eltern sein, sondern dies kann
auch durch einen Dritten erfolgen. Wenn die Kinder ab
einem bestimmten Alter einsichtsfähig sind, ist auch ihre
Zustimmung erforderlich. Die klinische Prüfung an nicht
einwilligungsfähigen kranken Erwachsenen setzt wie
bisher einen individuellen Nutzen voraus.
Die nächste Frage hat die Kollegin Widmann-Mauz.
Frau Staatssekretärin, Sie haben, wie ich gerade mitbekommen habe, erläutert, dass in Zukunft pro Land nur
noch eine Stellungnahme einer Ethikkommission notwendig ist. Haben Sie in Ihrem Vorhaben auch geregelt,
ob Rechtsmittel gegen eine Entscheidung bzw. gegen ein
ausbleibendes Votum der Ethikkommission eingelegt
werden können? Wenn ja, wie haben Sie diese Rechtsmittel ausgestaltet, und, wenn nein, warum sehen Sie
kein Erfordernis, gegen ein Votum bzw. gegen ein ausbleibendes Votum der Ethikkommission Rechtsmittel
vorzusehen?
Zunächst einmal sind wir einem Wunsch der forschenden Pharmaunternehmen nach mehr Klarheit und
Transparenz entgegengekommen. Wir haben eine Vielzahl von Ethikkommissionen. In Europa gibt es unterschiedliche Situationen. Es gibt Länder, die nur wenige
haben. In Deutschland gibt es ein Nebeneinander von
Ethikkommissionen. Durch die 12. AMG-Novelle wird
künftig eine Ethikkommission federführend zuständig
sein und die anderen Ethikkommissionen werden zuarbeiten. Deren Rechte werden also nicht beschnitten. In
Zukunft laufen bei einer Kommission die Informationen
zusammen.
Ich habe eben erläutert, dass neben dem Gesetz auch
eine Verordnung erlassen werden wird, die das Verfahren detailliert regelt. Die Verordnung befindet sich im
Entwurfsstadium und wird mit den Bundesländern und
den beteiligten Kreisen erörtert. Ich bin sicher, dass die
Frage der Rechtsmittel noch einmal zu diskutieren sein
wird.
Der nächste Fragesteller ist der Kollege Storm.
Frau Staatssekretärin, kommen durch die vorgesehenen Neuregelungen zusätzliche Aufgaben auf das
BfArM und das Paul-Ehrlich-Institut zu und, wenn ja,
inwiefern werden die finanziellen und personellen Kapazitäten dafür geschaffen?
Es kommen auf das BfArM zwangsläufig neue Aufgaben zu, weil wir EU-Recht in nationales Recht umsetzen müssen. So wird - ich habe das eingangs erläutert eine europäische Datenbank aufgebaut, in die Angaben
über unerwünschte Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Medikamenten aufgenommen werden. Um
diese Datenbank zu bedienen, muss man zwangsläufig
Kapazitäten aufbauen. Wir gehen davon aus, dass das,
was an zusätzlichen Mitteln erforderlich wird, durch
kostendeckende Gebühren gegenfinanziert werden
könnte.
Herr Kollege Zöller, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin, wie sieht der konkrete Zeitplan
für die Verabschiedung des Gesetzentwurfes aus? Wann
soll das Gesetz in Kraft treten?
Es handelt sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Ich kann Ihnen nicht endgültig sagen, wie die weiteren Gespräche mit den Ländern vorangehen werden.
Ich gehe davon aus, dass das davon abhängen wird, ob
die damit zusammenhängende Verordnung auch sehr eng
mit den Ländern abgestimmt wird. Das haben wir vor,
denn die Länder werden wissen wollen, wie die Verordnung in die Praxis umgesetzt werden soll. Wenn wir einen Konsens erzielen, wird das die mögliche Zustimmung der Länder befördern.
Ich bin sehr optimistisch, was die Diskussion über
den Verordnungsentwurf mit den beteiligten Verbänden
und den Ländern angeht. Die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass wir die Vorschläge der Länder bezüglich der konkreten Verfahrensabläufe aufgreifen sollten.
Ich kann keine Prognose abgeben, ob der Bundesrat im
vorgesehenen Zeitplan zustimmen wird oder nicht.
Kollegin Michalk, Sie haben das Wort.
Frau Staatssekretärin, warum soll die Einrichtung von
Kontaktstellen für die beteiligten Probanden nach Landesrecht statt bundeseinheitlich durch eine Bundesbehörde geregelt werden?
Ich kann Ihnen diese Fachfrage nicht beantworten.
Das Referat im BMGS, das federführend für die
12. AMG-Novelle zuständig ist, steht in engem Kontakt
mit den Ländern. In aller Regel geht es auf den Wunsch
der Länder zurück, wenn Zuständigkeiten auf Länderseite gebündelt werden.
Ich bin aber gern bereit, Ihnen die Antwort auf Ihre
Frage schriftlich nachzureichen. Ich nehme an, dass
durch das Eingehen auf Länderbegehren die Zustimmungsfähigkeit des Gesetzes erreicht werden soll.
Frau Kollegin Widmann-Mauz, bitte.
Frau Staatssekretärin, können Sie mich darüber informieren, ob in der AMG-Novelle auch Regelungen vorgesehen sind, die die Sicherheitsstandards bei der Einfuhr von Arzneimitteln verbessern sollen?
Frau Widmann-Mauz, auch das habe ich bereits in
meinem Einführungsvortrag dargelegt. Wir tragen in der
AMG-Novelle mehreren Punkten Rechnung. Wir setzen
europäisches Rahmenrecht um, wollen die klinische Forschung erleichtern und schaffen erstmals Regelungen für
nicht einwilligungsfähige Kinder, und zwar unter sehr
strengen Kriterien.
Wir haben aber auch das Thema Arzneimittelsicherheit berücksichtigt. Dabei geht es um die Frage der Arzneimittelfälschungen. Der Entwurf sieht hierzu eine verschärfte, strafbewehrte Verbotsregelung vor. Ferner soll
den europarechtlichen Regelungen entsprechend ein Erlaubnisvorbehalt für den Großhandel mit Arzneimitteln
in das AMG aufgenommen werden. Ich habe bereits die
beiden Paragraphen genannt, um die es in diesem Zusammenhang geht.
Der Strafrahmen ist ausgeweitet worden und die Kontrolldichte wird verschärft. Das war ein ausdrückliches
Begehren der Pharmaunternehmen. Denn die Fälschung
von Arzneimitteln, die früher ausschließlich in Entwicklungsländern ein Problem war, hat mittlerweile auch
Europa erreicht. Deswegen haben sich auch die Pharmaunternehmen für die Ausweitung des Strafrahmens
eingesetzt.
Frau Widmann-Mauz, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Führen Sie mit der Novelle auch Veränderungen bei
den GMP-Zertifikaten, die für die klinische Prüfung erforderlich sein könnten, durch?
Das ist mir nicht bekannt.
Herr Kollege Bauer, bitte.
Frau Staatssekretärin, mit dem Gesetzentwurf werden
die Genehmigungsverfahren in gewisser Weise verändert. Könnten Sie ausführen, wie sich das Verhältnis
zwischen Deutschland und anderen europäischen Staaten - beispielsweise England - gestalten wird und welche Unterschiede bestehen werden?
Wir setzen mit dieser Novelle europäisches Recht um.
Dahinter steht die Idee, innerhalb Europas eine
Rechtsangleichung vorzunehmen. Es erfüllt uns mit
Sorge, dass Deutschland im Bereich der klinischen Forschung im Mittelfeld liegt. Wir sehen diese Situation als
Herausforderung.
Ich habe eingangs erläutert, dass aus diesem Grund
von zwei Bundesministerien eine Task Force eingerichtet wurde, die sich auch mit der Frage befasst, wie der
Standort für die Pharmaindustrie insgesamt wie auch für
die klinische Forschung, die für die Einführung neuer
Medikamente notwendig ist, verbessert werden kann.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Rückgang der klinischen Forschung nicht nur monokausal mit der Verfahrensdauer zusammenhängt. Vielmehr spielen auch die
Personalkapazitäten in den Kliniken und der Umfang der
Forschungsförderung in diesem Bereich eine Rolle. Die
Bedingungen für den Standort Deutschland müssen verbessert werden. Mit Sicherheit ist auch eine Straffung
des Verfahrens möglich. Ich habe das eingangs im Zusammenhang mit der Frage der Ethikkommissionen erläutert.
Was wir an neuen Regelungen schaffen müssen, ist
europäischem Recht geschuldet, das wir umsetzen. Insofern bin ich der Auffassung, dass die Rechtsangleichung
in Europa - beispielsweise die Einrichtung einer europaweiten Datenbank mit Angaben über unerwünschte
Wechsel- und Nebenwirkungen - dazu beitragen wird,
dass die klinische Forschung am Standort Deutschland
wieder zunimmt. Diesen Wunsch verbinden wir jedenfalls mit unserem Vorhaben.
Herr Kollege Löning, bitte.
Frau Staatssekretärin, es ist vorgesehen, dass zukünftig bei der Herstellung von Wirkstoffen ein Herstellungsleiter und ein gesonderter Kontrollleiter notwendig
sind. Warum belässt es die Bundesregierung nicht bei
der alten Regelung, wonach Herstellungsleiter und
Kontrollleiter identisch sein können? Das ist gerade für
kleinere Firmen sehr wichtig, weil das ein außerordentlicher Kostenfaktor ist.
Herr Kollege, wir haben darüber vor allem vor dem
Hintergrund der Verbesserung der Arzneimittelsicherheit
diskutiert. Die Interessenlagen von großen und kleinen
Unternehmen sind oft sehr unterschiedlich. Die großen
Unternehmen haben Angst vor der Verbreitung von Arzneimittelfälschungen. Sie möchten auch den Markenschutz verstärkt sehen. Die kleinen Unternehmen wollen
eine Regelung, die ihnen nicht die Luft zum Atmen
nimmt. Wir haben versucht, im Rahmen einer sehr fairen
Abwägung beiden Seiten gerecht zu werden. Ich glaube,
wir haben einen guten Mittelweg gefunden. Nach meinem Wissen ist die Regelung, die wir vorgenommen haben, in der Diskussion auf Zustimmung gestoßen.
Herr Kollege Storm, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich möchte an die Frage des
Kollegen Dr. Bauer anknüpfen. Können Sie noch einmal
deutlich machen, welches die Hauptinstrumente sein sollen, mit denen Sie eine Vereinfachung der Verfahren sowohl bei der EMEA als auch in den anderen europäischen Ländern erreichen wollen? Sie haben angedeutet,
dass Sie hier Bedarf sehen, den Standort Deutschland
wesentlich zu stärken. Das betrifft vor allen Dingen
wohl auch die Fristen bei den Zulassungsverfahren. Haben Sie sich konkrete Ziele gesetzt, in welchem Umfang
die Verfahren zeitlich verkürzt werden sollen?
Herr Kollege Storm, ich habe schon am Anfang gesagt, dass wir insbesondere in der verbesserten Zusammenarbeit der Ethikkommissionen die Möglichkeit zur
Verkürzung der Fristen sehen. Wir haben zwar im vorliegenden Gesetzentwurf die Frist bei 60 Tagen belassen.
Wir wollen aber mit der entsprechenden Verordnung
eine deutliche Verkürzung dieser Frist - wir streben eine
Halbierung an - durchsetzen. Dies muss noch mit den
Ländern erörtert werden. Wir sind der Auffassung, dass
wir alle Möglichkeiten, die uns das europäische Recht
lässt, ausschöpfen sollten, um zu einer Vereinfachung
und Straffung der Verfahren zu kommen.
Herr Kollege Zöller, bitte.
Frau Staatssekretärin, ich habe Probleme mit folgendem Satz in der Begründung des Gesetzentwurfes - vielleicht kann man ihn noch ändern; ich möchte zitieren -:
Wegen des statistisch geringen Gewichts der Arzneimittel im Rahmen der Kosten sind Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, nicht zu erwarten.
Die Bundesregierung macht uns aber ständig weis, dass
der Preistreiber Nummer eins die Arzneimittel seien.
Wie passt das zusammen?
Ich stimme Ihnen zu, Herr Zöller - es ist ja nichts
Neues, dass wir ab und zu einer Meinung sind -, dass die
Formulierung in der Begründung sicherlich wenig
glücklich ist. Gemeint sind damit die Auswirkungen des
Medikamentenbereichs auf die gesamten Lebenshaltungskosten. Wenn man natürlich die Arzneimittelkosten
in Bezug auf die Ausgaben der GKV sieht, dann stellt
sich in der Tat ein anderes Bild dar.
Herr Kollege Löning, bitte.
Frau Staatssekretärin, für das derzeit vorgesehene
reine Modifizierungsverfahren soll eine Gebühr von
770 Euro erhoben werden. Mit welcher Steigerung dieser Gebühr durch das Genehmigungsverfahren rechnet
die Bundesregierung?
Herr Kollege, ich möchte Ihnen dazu die Haltung des
Haushaltsausschusses und insbesondere die Ihres Haushaltsberichterstatters erläutern: Wir werden ständig aufgefordert, bei allem, was wir tun, kostendeckende Gebühren durchzusetzen. Wir werden diesen wichtigen
Vorschlag des Haushaltsausschusses aufgreifen und ihn
auch umsetzen. Es wohnen hier aber zwei Seelen in der
Brust des Parlaments: Auf der anderen Seite möchten die
Fachpolitiker, die auch die Standortbedingungen sehen,
immer, dass wir bei den Gebühren nicht überziehen. Die
Haushaltspolitiker mahnen uns angesichts der Haushaltslage immer, dass wir kostendeckende Gebühren erheben.
Wir werden es in diesem Fall auch wegen der angespannten Haushaltslage gar nicht anders machen können: Wir müssen kostendeckende Gebühren erheben.
Wie sich das im Einzelnen gestaltet, kann ich Ihnen erst
dann sagen, wenn der Aufbau der europäischen Datenbank geklärt ist und die Veränderungen im Verfahren
durchkalkuliert sind. Wenn ich Ihnen jetzt hierzu etwas
sagen würde, wäre das fahrlässig.
Nun eine Wortmeldung der Kollegin Lanzinger.
Ich habe eine Frage zum Schutz von Minderjährigen
und nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um den Begriff der
minimalen Risiken und der minimalen Belastungen zu
konkretisieren? Es ist ja wichtig, zwischen dem objektiven Risiko einerseits und der subjektiven Belastung der
Patienten andererseits zu unterscheiden. Die individuelle
Entscheidung spielt hierbei eine sehr entscheidende
Rolle. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um
hier Grenzen aufzuzeigen?
Ich will in diesem Zusammenhang noch einmal betonen: Die klinische Prüfung an nicht einwilligungsfähigen kranken Erwachsenen setzt wie bisher einen individuellen Nutzen voraus. Wir haben im Gegensatz zum
Referentenentwurf die Bedingungen für die klinische
Prüfung von Medikamenten an Kindern noch einmal
verschärft.
Es gab das Begehren interessierter Kreise, dass man
diese Forschungen an gesunden Kindern vornehmen
kann. Das haben wir abgelehnt. Es ist klar: Erstens muss
ein Nutzen - das ist die Voraussetzung - für die Gruppe
vorhanden sein. Zweitens muss immer ein Erziehungsberechtigter seine Einwilligung geben. Wenn das Kind in
einem Alter ist, in dem es einsichtsfähig ist, muss auch
von ihm eine Einwilligung vorliegen. Das ist immer
dann der Fall, wenn die Kinder etwas größer sind. Wenn
die Einsichtsfähigkeit vorhanden ist, muss auch das
Kind gefragt werden. Wir haben versucht, sehr enge
Grenzen zu ziehen.
Die klinische Forschung, um die es hier geht, soll eine
minimale Eingriffstiefe und minimale Risiken aufweisen. Das kann der Gesetzgeber nicht bis in die letzte Verästelung festlegen. Es gibt auf der einen Seite die Verordnung und es müssen sich auf der anderen Seite
konkrete Verfahrensabläufe in der Praxis bewähren. Wir
haben darüber intensiv mit den beiden Verfassungsressorts diskutiert.
Ich habe vorhin schon gesagt: Es ist eine ethisch sehr
schwierige Frage, weil man auf der einen Seite möchte,
dass Medikamente nicht nur an Erwachsenen getestet
werden, sondern dass man auch Erfahrungen bei Kindern sammelt, und weil man auf der anderen Seite Kinder als besonders vulnerable Gruppe keinen Zusatzrisiken aussetzen möchte. Deswegen gibt es diese sehr
engen Grenzen, die ich für vertretbar halte. Aber in der
Praxis muss natürlich immer sehr sorgfältig abgewogen
werden.
Insofern sind die Ethikkommissionen so wichtig. Sie
haben im Prinzip zu entscheiden, ob geprüft wird oder
nicht. Deswegen haben wir die Ethikkommissionen mit
einer sehr starken Stimme ausgestattet und eine erhält
die federführende Zuständigkeit. Wir glauben, dass damit gewährleistet wird, dass die ethischen Fragen und
die Fragen danach, was wirklich ein minimales Risiko
ist, beantwortet werden können. Das kann mit Sicherheit
niemand in einer Verwaltungsbehörde beurteilen. Vielmehr brauchen Sie dazu medizinischen und pharmakologischen Sachverstand. Dieser ist in Ethikkommissionen
in aller Regel vorhanden. Deshalb haben sie eine starke
Stellung.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Sie haben vorhin erwähnt, dass es unterschiedliche
Ethikkommissionen gibt. Wir haben in Deutschland insgesamt 52 verschiedene Ethikkommissionen. Die Richtlinie verlangt ein einziges Votum pro Land. Wäre es daher nicht sinnvoll und angebracht, den Bereich der
Ethikkommissionen bundesweit einheitlich zu regeln
und die Zahl entsprechend zu verringern?
Sie wissen, dass dies ein sehr strittiges Thema in der
Auseinandersetzung mit den Bundesländern ist. Es wäre
schwierig gewesen, eine bundesweit einheitliche Struktur durchzusetzen.
Ich kenne den Antrag der Union, in dem es um diese
Frage geht und der den Gedanken einer Leitethikkommission enthält. Eine Leitethikkommission bringt ein anderes
Problem mit sich: Es soll eine Leitethikkommission für
Kinder und verschiedene Leitethikkommissionen für
dieses und jenes geschaffen werden. Wir sind anderer
Meinung und glauben nicht, dass sich dadurch eine klare
Struktur ergibt.
Wir meinen, dass diejenigen, die jetzt beteiligt sind,
zusammenarbeiten sollen. Einer soll „den Hut aufhaben“; einer soll die Federführung übernehmen. Sie werden in einem föderalen System, in dem auch die Länder
an der Gesetzgebung mitwirken, nicht durchsetzen können, dass man die Zahl von 52 Ethikkommissionen auf
eine einzige reduziert, wenn es ein starkes Interesse der
Länder gibt, die Struktur so zu belassen, wie sie ist.
Zu diesem Themenbereich liegen keine weiteren Fragen vor. Frau Staatssekretärin Caspers-Merk, herzlichen
Dank für die Beantwortung der Fragen.
Es gibt eine Wortmeldung zu einem anderen Thema
der heutigen Kabinettssitzung. Herr Kollege von
Klaeden, Sie haben das Wort.
Ich habe eine Frage an Herrn Staatsminister
Schwanitz. Wir wissen aus der Presse, dass die Staatsanwaltschaft Bonn dem Kanzleramt mittlerweile zum dritten Mal mitgeteilt hat, dass sie der Ansicht ist, es habe
sich hinsichtlich des Vorwurfs der angeblichen Datenlöschung und der angeblichen Aktenvernichtung im
Kanzleramt in einem Fall der Anfangsverdacht nicht erhärtet und das Verfahren sei deswegen einzustellen; in
einem anderen Fall sei nicht einmal ein Anfangsverdacht
vorhanden. Wird die Bundesregierung gegen die Einstellungsverfügung Beschwerde einlegen und wird sie das
Strafverfahren weiter verlängern?
({0})
Herr Kollege von Klaeden, Sie wissen, dass die Bundesregierung eine entsprechende Einlegungsfrist hat.
Diese Frist ist noch nicht abgelaufen. Insofern befindet
sich diese Frage noch in Prüfung und kann hier heute
noch nicht beantwortet werden.
Herr Kollege von Klaeden, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn die Frist abgelaufen ist,
dann brauche ich Sie auch nicht mehr zu fragen. Die
Frist läuft am Freitag oder Montag ab. Deswegen bin ich
ein wenig erstaunt. Sie haben dieses Verfahren mit Intensität und in einer verfassungsrechtlich äußerst fragwürdigen Art und Weise durchgezogen. Sie bekommen jetzt
zum dritten Mal dieselben Argumente vorgetragen und
können mir jetzt nicht sagen, ob Sie Beschwerde einlegen wollen oder nicht. Das erschließt sich mir, ehrlich
gesagt, nicht ganz; denn ich weiß nicht, was aus Ihrer
Sicht noch zu prüfen ist.
Herr von Klaeden, ich weise zunächst noch einmal
ausdrücklich zurück, dass wir mit einem fragwürdigen
Verfahren agiert haben. Wir haben rechtsstaatliche Mittel in Anspruch genommen. Selbstverständlich ist es notwendig - ich denke, das würden Sie andernfalls von der
Bundesregierung erwarten -, dass man das, was als Begründung für diese Einstellung vorgelegt worden ist, einer sorgsamen Prüfung unterzieht und dann am Ende
dieses Prüfungsprozesses eine Entscheidung fällt, und
zwar innerhalb des Zeitraums, der uns rechtlich zur Verfügung steht.
Ich weise darauf hin, dass die Zeit für die Befragung
der Bundesregierung überschritten ist.
Ich gebe jetzt noch dem Kollegen Grindel das Wort.
Bitte, Herr Kollege Grindel.
({0})
Ich möchte Sie im Anschluss an die Frage des Kollegen von Klaeden bitten, uns folgende Fragen zu beantworten - die Prüfung umfasst ja eine Abwägung -:
Welche Gründe sprechen für eine Fortführung des Verfahrens? Welche Gründe sprechen dafür, die Frist verstreichen zu lassen?
Herr Kollege Grindel, es ist nicht eine Abwägung der
von Ihnen formulierten Gestalt. Es ist ein Prüfen der inhaltlichen Argumente, die die Staatsanwaltschaft selbst
schriftlich vorgetragen hat. Wir befinden uns in einer
entsprechenden Prüfung. Ich kann Ihnen gerne über das
Ergebnis dieser Prüfung Auskunft geben, aber erst am
Ende, wenn sie abgeschlossen ist. Das dauert nicht mehr
allzu lange.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Schwanitz.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/1676 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Christoph Matschie bereit.
Wir kommen zur Frage 1 des Abgeordneten Michael
Kretschmer:
Inwieweit ist nach Auffassung der Bundesregierung die
aktuelle Diskussion um die Schließung des Instituts für Angewandte Chemie, ACA, in Berlin-Adlershof typisch für die finanzielle Situation in der Industrieforschung - gerade der Forschungs-GmbHs - in den neuen Bundesländern?
Sehr geehrter Herr Kollege Kretschmer, Ihre Frage
zur aktuellen Diskussion um das Institut für Angewandte
Chemie in Berlin-Adlershof beantworte ich wie folgt:
Das Institut für Angewandte Chemie, ACA, in BerlinAdlershof als eingetragener Verein ist hinsichtlich der
Finanzierung nicht mit Forschungs-GmbHs zu vergleichen. Die Finanzierung des Instituts basiert auf einer
Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur Berlin.
Seit dem 1. Dezember 1993 belief sich die Förderung
aus BMBF-Projektmitteln auf 47 960 406 Euro. Auch
weiterhin wird das BMBF im Rahmen der Projektförderung das ACA konstruktiv unterstützen.
Die aktuelle Diskussion um die Schließung des Instituts ist von daher nicht typisch für die finanzielle Situation der Industrieforschung in den neuen Ländern.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wer die Zeitungsberichterstattung aufmerksam verfolgt hat, der weiß, dass in den vergangenen Jahren von
einer Grundfinanzierung durch das BMBF die Rede geMichael Kretschmer
wesen ist. Es wird geschrieben, dass diese Grundfinanzierung wohl auf Protest des Bundesrechnungshofs ab
dem kommenden Jahr nicht mehr gewährt wird. Wie
sieht die Zukunft des Instituts Ihrer Meinung nach aus?
Zunächst will ich Ihnen sagen, dass die Vereinbarung
zwischen dem BMBF und dem Land Berlin über die Finanzierung Ende des Jahres 2003 ausläuft. Gleichwohl
unterstützt das BMBF das ACA auch im Jahr 2004 und
in den folgenden Jahren im Rahmen seiner Programme
durch Projektförderung.
Das Verfahren zur Einwerbung von BMBF-Projektmitteln erfolgt, wie Sie wissen, nach Wettbewerbsbedingungen; das gilt für alle Antragsteller. Von neun Projekten, für die Anträge neu eingereicht worden waren, sind
sechs Projekte durch externe Gutachter zur Förderung
empfohlen worden. Das jetzt beantragte Zuwendungsvolumen beträgt rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Sofern
die Antragsbearbeitung abgeschlossen sein wird, können
diese Projekte ab Januar 2004 gestartet werden.
Nach eigener Darstellung wird das ACA im Jahr 2004
insgesamt 6,7 Millionen Euro Einnahmen erzielen, darunter 2,1 Millionen Euro vom Land Berlin, 2,2 Millionen Euro an Industriemitteln, und damit nach erfolgter
Umstrukturierung seine finanzielle Situation stabilisieren.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, bitte.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat das ACA
Ihrer Meinung nach keine Probleme, zu überleben. Das
freut mich, weil es natürlich ein wichtiges Institut für
Berlin und die neuen Bundesländer ist. Können Sie mir
einen Überblick über die Industrieforschung in den
neuen Bundesländern und im Besonderen über deren
Grundfinanzierung im Vergleich zu der in den alten Bundesländern geben?
Das Institut befindet sich im Moment, wie Sie wissen,
in einem Umstrukturierungsprozess. Natürlich kann ich
heute keine Aussage darüber machen, ob dieser Umstrukturierungsprozess gelingt. Ob er gelingt, müssen die
nächsten Jahre zeigen. Es sind aber gute Bedingungen
dafür gegeben, glaube ich, dass sich das Institut auch in
Zukunft behaupten kann.
Aussagen zur Lage der Industrieforschungseinrichtungen insgesamt kann ich aus dem Stand nicht machen.
Sie wissen selbst, dass die Situation der Einrichtungen
sehr unterschiedlich ist und dass es auch unterschiedliche Rechtsformen gibt. Deshalb wird es vor allem darauf
ankommen, wie sich die Bundesländer zu den einzelnen
Forschungseinrichtungen verhalten und welche Perspektive sie für diese Forschungseinrichtungen sehen.
Zu diesem Geschäftsbereich liegen keine weiteren
Fragen vor. Herr Staatssekretär Matschie, vielen Dank
für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 2 der Abgeordneten
Dr. Gesine Lötzsch soll schriftlich beantwortet werden.
Dadurch entfällt die Behandlung hier.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Herr Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg
Wagner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer auf:
Nach welchen Kriterien trifft die Bundesregierung Entscheidungen über künftige Schließungen von Bundeswehrstandorten?
Herr Kollege Hofbauer, die Frage, nach welchen Kriterien die Bundesregierung über künftige Schließungen
von Bundeswehrstandorten entscheidet, beantworte ich
wie folgt: Der Personalumfang der Bundeswehr wird bis
zum Jahr 2010 auf 250 000 militärische Dienstposten
und 75 000 zivile Dienstposten verringert. Die Stationierung der Bundeswehr wird ausschließlich nach militärisch/funktionalen und betriebswirtschaftlichen Kriterien
ausgerichtet.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie viele
Soldaten ein Standort in Zukunft haben muss, damit er
nach der Wirtschaftlichkeitsberechnung Bestand hat?
Sie wissen, dass ja schon im Jahre 2001 ein Kriterienkatalog bezüglich der Schließung von Standorten aufgestellt worden ist. Dieser wird jetzt weiter konkretisiert,
sodass ich noch nicht sagen kann, wie die Zahlen aussehen werden. Im Vordergrund steht natürlich der militärisch/funktionale Gesichtspunkt, daneben spielen auch
betriebswirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Sie wissen,
dass uns die Betriebskosten im Einzelplan 14 die größten Sorgen bereiten. Auf sie fallen etwa 75 Prozent. Allein die Personalkosten machen etwa 50 Prozent aus.
Beide Kriterien werden also durchaus eine Rolle spielen.
Herr Staatssekretär, eine weitere Frage: In der Presse
wird davon gesprochen, dass 140 bis 150 Standorte aufgelöst werden sollen. Ich kann mir schlecht vorstellen,
dass Ihnen keine konkreten Zahlen darüber vorliegen,
wie viele Soldaten an einem Standort sein müssen, damit
er wirtschaftlich betrieben werden kann. Ich glaube, dass
da sehr wohl ein Zusammenhang gegeben ist.
Die genannte Zahl stammt nicht aus dem Bundesverteidigungsministerium, sondern wurde vom Deutschen
Bundeswehr-Verband verbreitet. Es entzieht sich meiner
Kenntnis, wie der Bundeswehr-Verband zu dieser Zahl
kommt. Im Ministerium kursieren diese Zahlen nicht.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Grindel.
Herr Staatssekretär, fällt unter den Aspekt „Militärische Notwendigkeiten“ auch die Fähigkeit der Bundeswehr, im Katastrophenfall schnell zu helfen? Ich erinnere da an die guten Leistungen der Bundeswehr bei
Flutkatastrophen. Wenn es in immer mehr Landstrichen
in Deutschland keine Bundeswehr mehr gibt, stellt das
viele Landkreise vor ein Problem, weil manche Hilfsleistungen nur von der Bundeswehr erbracht werden
können. Spielen also die Aspekte Katastrophenschutz
und -hilfe bei Ihrer Standortplanung eine Rolle?
Natürlich spielt das eine Rolle. Die Möglichkeit der
Bundeswehr, solche Hilfseinsätze durchzuführen, die ja
sehr lobenswert gewesen sind, wie Sie selbst ausgeführt
haben, und für die die Bevölkerung sehr dankbar war,
wird mit in die Überlegungen einbezogen. Hier spielt
auch die Frage der Wehrpflicht eine Rolle, denn es waren ja hauptsächlich Wehrpflichtige, die im Einsatz waren. Deren Bereitschaft, dort zu helfen, war sehr groß.
Dass so etwas weiter möglich ist, dafür werden wir sorgen.
Eine weitere Zusatzfrage der Kollegin Lenke.
Herr Staatssekretär, Sie haben sehr deutlich darauf
hingewiesen, dass Sie nach wirtschaftlichen Kriterien
entscheiden, welche Bundeswehrstandorte geschlossen
werden und welche nicht. Kommen bei Ihren Überlegungen auch Umzüge in leer stehende Militäreinrichtungen zum Tragen? Im Landkreis Rotenburg zum Beispiel
steht die modernste Kaserne der ganzen Bundesrepublik
Deutschland, die von den Niederländern wahrscheinlich
im Jahr 2007 aufgegeben wird. Können Sie sich auch einen Umzug dorthin vorstellen?
Natürlich können wir uns das vorstellen. Wir wären ja
von allen guten Geistern verlassen, wenn wir die Kaserne Seedorf, die mit erheblichem Aufwand und mit
Bundesmitteln renoviert worden ist, nicht in die Überlegungen einbeziehen würden. Es ist selbstverständlich,
dass wir das tun. Davon können Sie ausgehen. Die dort
vorhandene Infrastruktur ist ja nach meinen Informationen in bestem Zustand. Es gab in dieser Woche ein Gespräch des Bundesministers mit drei Bürgermeistern aus
der Region und Herrn Kollegen Stünker. Dabei ist schon
dargestellt worden, dass die Nutzung dieser Kaserne in
die weiteren Überlegungen einbezogen wird.
({0})
- Das war jetzt eine Kommentierung, die ich nicht akzeptieren kann. Der Minister lädt die Gäste ein, die er
braucht bzw. die auf ihn zukommen. Wenn Sie den
Wunsch gehabt hätten, mit Herrn Bundesminister
Dr. Struck zu reden, wäre er sicher bereit gewesen, auch
mit Ihnen darüber ein Gespräch zu führen.
({1})
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer auf:
Gibt es Einheiten der Bundeswehr, die sowohl von den
technischen als auch von den logistischen Anforderungen
standortunabhängig sind, und, wenn ja, können diese Einheiten aus strukturpolitischen Erwägungen in ländliche Räume
oder strukturschwache Regionen verlegt werden, die von
Standortschließungen betroffen sind?
Auf Ihre Frage, Herr Kollege Hofbauer, antworte ich:
Ja, es gibt, wie Sie vermutet haben, solche Einheiten der
Bundeswehr, die sowohl von den technischen als auch
von den logistischen Anforderungen her standortunabhängig sind. Sollte sich aus der Weiterentwicklung der
Bundeswehr die Notwendigkeit zu Verlegungen ergeben,
wird über diese nur auf der Basis von militärisch/funktionalen und betriebswirtschaftlichen Kriterien entschieden werden. Von allen anderen Überlegungen müssen
wir uns trennen, denn sonst können wir die Kosten nicht
senken und vor allen Dingen im Einzelplan 14 nicht den
Spielraum gewinnen, den wir brauchen.
Herr Staatssekretär, ich war in der letzten Woche an
einem Standort, an dem der Auflösungsappell stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass Sie als Mitglied der
Bundesregierung ganzheitlich handeln. Die Menschen in
jener Region fühlen sich sehr allein gelassen. Die Auflösung des Standortes Kötzting hat wirtschaftliche Folgen
für die Region. Es handelt sich um eine strukturschwache Region in Ostbayern. Die Bundesregierung möchte
sich dort auch aus der Gemeinschaftsaufgabe zurückziehen. Welche Überlegungen stellt die Bundesregierung
an, gerade in solchen strukturschwachen Regionen
Übergangsregelungen bzw. -hilfen anzubieten?
Die zweite Frage möchte ich - wenn ich darf, Frau
Präsidentin - gleich anfügen. Ich habe ein bisschen den
Eindruck, Herr Staatssekretär, dass insbesondere die Abwicklung, also der Verkauf der betreffenden Liegenschaften, unheimlich zäh vor sich geht. Ich habe selber
zwei Gespräche mit Ihren zuständigen Stellen initiiert.
Es ist fast schon beschämend, wie diese Verhandlungen
geführt werden: keine konkreten Angaben, weder zum
Preis noch zum Zeitpunkt des Verkaufs noch zur Art und
Weise. Ich glaube, dass wir hier wesentlich aktiver agieren müssen, um Lösungen für die Region zu finden;
denn es ist ja unbestritten, dass der eine oder andere
Standort aufgelöst werden muss.
Herr Kollege, ich unterstütze ausdrücklich Ihre Aussage, dass diese Bundesregierung ganzheitlich handelt.
Das ist Sinn und Zweck der Zusammenarbeit in der Regierung.
Zweiter Punkt: Es kommt darauf an, Herr Kollege,
wer für die Verkäufe der Liegenschaften zuständig ist.
Es gibt mittlerweile - leider - vier verschiedene Zuständigkeiten: Der Bundesfinanzminister ist über die Bundesvermögensverwaltung zuständig. Der Bundesverteidigungsminister hat eine Zuständigkeit über die
Standortverwaltungen, die ihre Arbeit jetzt optimieren
wollen; sie behaupten zumindest, sie könnten den Verkauf genauso gut abwickeln wie die Bundesvermögensverwaltung. Dann gibt es die GEBB. Weitere Verkäufe
von Liegenschaften müssen geprüft werden. Es ist bedauerlich, dass das so lange dauert; da gebe ich Ihnen
Recht. Keiner wäre glücklicher als wir, wenn der Haushalt durch die Verkäufe der Liegenschaften aufgebessert
werden könnte.
In den einzelnen Standorten werden Entwicklungsmaßnahmen überlegt, die zu einer Standortoptimierung
beitragen können. Möglicherweise denken bei dem von
Ihnen erwähnten Standort die kommunale Ebene und die
entsprechenden Dienststellen gemeinsam darüber nach,
wie die Liegenschaft fortan genutzt werden kann. Es gibt
sehr gute Beispiele dafür in Deutschland, dass solche
Überlegungen zum Erfolg geführt haben.
Zu Ihrem letzten Punkt. Standorte aus strukturellen
Gründen aufrechtzuerhalten ist nicht mehr möglich. Wir
müssen sehen, wie die Betriebskosten gesenkt werden
können.
Eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen
Fischer.
Herr Staatssekretär, wenn Sie doch wissen, dass es bei
der Auflösung von Standorten seit Jahren das Problem
der vier Zuständigkeiten gibt, sind Sie dann mit mir der
Auffassung, dass es die Aufgabe der Bundesregierung
wäre, eine bessere Koordination bzw. eine Zusammenlegung vorzunehmen? Denn gerade vor dem Hintergrund
der jetzt anstehenden Schließungen muss man dafür sorgen, dass es nicht zu zeitlichen Verzögerungen und Reibungsverlusten kommt.
Sie haben Recht, das wird überprüft werden müssen.
Die letzte Ausplanung von Standortschließungen dauerte
zweieinhalb Jahre. Auch die Verunsicherung hat also so
lange gedauert. Wir wollen alles daransetzen, dass die
militärische Führung bis Ende des Jahres 2004 Klarheit
darüber schafft, welche Standorte geschlossen werden
müssen, und die politische Führung die Ergebnisse bestätigt.
Ansonsten kann ich nur sagen, dass die Aufteilung so
ist, wie sie ist. Wir, das heißt Minister Scharping, haben
seinerzeit versucht, über die Gründung der GEBB für ein
Liegenschaftsmanagement zu sorgen, das sehr schnell
und erfolgreich agieren kann. Aber es hat sich gezeigt,
dass viele Grundstücke, die 30 Jahre lang nicht verkauft
werden konnten, auch nicht durch eine neue Firma innerhalb von drei Monaten verkauft werden können. Das
ist ein schwieriges Unterfangen.
Es kann durchaus sein, dass sich zurzeit die Bundesvermögensverwaltung mit der Auflösung des von dem
Kollegen angesprochenen Standortes beschäftigt. Ich
will das gerne prüfen. Aber es muss in der Tat dafür gesorgt werden, dass effizienter gearbeitet wird. Diese Bemühungen könnten alle vier Zuständigkeiten gemeinsam
erfolgreich unterstützen.
Eine weitere Zusatzfrage, und zwar des Kollegen
Grindel.
Kollege Hofbauer hatte auch nach der Verlegung von
Standorten in Regionen gefragt, in denen andere militärische Verwendungen aufgegeben worden sind. Sie haben das Gespräch am Montag zum Thema Seedorf angesprochen. In diesem Gespräch hat der Bundesminister
wohl erklärt, dass er auch aus wirtschaftlichen Gründen
gezwungen sein könnte, Budel, einen Bundeswehrstandort in den Niederlanden, aufzugeben. Können Sie mir
berichten, ob es schon nähere Erkenntnisse darüber gibt,
dass sich dort die Frage der Wirtschaftlichkeit beispielsweise aufgrund der Auslandszulage in besonderer
Schärfe stellt und ob deswegen mit einer Verlegung des
Luftwaffenausbildungsbataillons an deutsche Standorte
zu rechnen ist?
Diese Frage muss natürlich in die Überlegungen einbezogen werden; eine entsprechende Frage hatte ich
schon in der letzten Fragestunde beantwortet. Denn der
Einzugsbereich dieses niederländischen Standortes ist
nun einmal Nordrhein-Westfalen und der Nordwesten
von Deutschland. Die Kosten könnten also niedriger
ausfallen. Das muss aber geprüft werden, wenn die
Niederländer ihre Entscheidung getroffen haben, Seedorf zu verlassen. Diese Entscheidung soll Ende dieses
Monats bzw. Anfang November durch das niederländische Parlament erfolgen. Dann wird man sich diese
Frage erneut stellen müssen.
Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Geschäftsbereich vor. Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatsministerin
Kerstin Müller zur Verfügung.
Die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Peter
Weiß ({0}):
Beabsichtigt die Bundesregierung bei der internationalen
Geberkonferenz am 23. und 24. Oktober 2003 in Madrid
finanzielle Zusagen für den Wiederaufbau im Irak zu machen
und, wenn ja, welche?
Sehr verehrter Herr Kollege Weiß, in Vorbereitung
der Geberkonferenz befindet sich die Bundesregierung
in einem ständigen, engen Abstimmungsprozess mit unseren EU-Partnern und der EU-Kommission. Die Verhandlungen über die Mechanismen zur Geberkoordinierung dauern noch an.
Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass die EU
am 13. Oktober beschlossen hat, 200 Millionen Euro aus
dem Gemeinschaftshaushalt für den Wiederaufbau im
Irak bereitzustellen. Wie Sie wissen, beträgt der deutsche Anteil daran rund 25 Prozent.
Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, bedeutet diese Antwort, dass
sich die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich darauf beschränken will, im Rahmen der von der EU bereits angekündigten Hilfe tätig zu werden, und dass es
auf der Geberkonferenz keinen eigenen bilateralen Beitrag der Bundesregierung für die Wiederaufbauprogramme im Irak gibt?
Nein, das bedeutet es nicht; denn wir befinden uns
noch in einer Prüfphase. Sie müssen berücksichtigen,
dass die von den Vereinten Nationen und der Weltbank
erstellten Bedarfsermittlungen erst seit dem 10. Oktober
vorliegen. Ich darf Sie ferner darauf hinweisen, dass
diese Bedarfsermittlungen sehr vorläufig sind, wie mir
der Präsident der Weltbank, Herr Wolfensohn, in einem
Gespräch, das ich mit ihm vor zwei Wochen in Washington geführt habe, bestätigte. Man muss auch bedenken,
dass der irakische Haushalt erst zu Beginn dieser Woche
veröffentlicht wurde. Das heißt, es gibt noch keine hinreichende Basis, auf der man einen Beschluss für eine
mögliche deutsche Beteiligung fassen könnte.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, das Kabinett hat heute Morgen
im Hinblick auf die demnächst zu erwartende Zustimmung des Deutschen Bundestages für die Kunduz-Mission wohl beschlossen, trotz der Tatsache, dass bereits
im laufenden und im kommenden Haushalt Mittel für
den Stabilitätspakt Afghanistan eingestellt sind, zusätzliche Mittel sowohl für den militärischen Teil als auch für
die Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Wiederaufbauarbeit in Afghanistan, die nicht zulasten der
bestehenden Etats gehen sollen, zur Verfügung zu stellen. Würde für den Fall, dass wir beschließen, uns am
Wiederaufbauprogramm für den Irak zu beteiligen, die
Bundesregierung einen ähnlichen Beschluss fassen und
zusätzliche Mittel einstellen, die nicht zulasten der bestehenden Etats gehen?
Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortbar. Ich sage noch einmal: Wir befinden uns in der
Prüfphase und sichten die Grundlagen. Die Geberkonferenz wird stattfinden; die Bundesregierung wird daran
teilnehmen und sich mit den Partnern abstimmen. Es ist
aber objektiv nicht möglich, diese Frage in der jetzigen
Phase zu beantworten.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Peter Weiß
({0}):
Für welche Projekte im Rahmen der Wiederaufbauprogramme im Irak sollen gegebenenfalls deutsche Finanzhilfen
bereitgestellt werden?
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung leistet bereits jetzt, und zwar sowohl bilateral als
auch im Rahmen der EU, humanitäre Hilfe und wird dies
auch weiterhin tun. So befinden sich beispielsweise seit
Ende September 2003 Experten des Technischen Hilfswerkes im Irak, um zum Wiederaufbau der Wasserwerke
beizutragen. Schließlich ist die Bundesregierung bereit,
zur Ausbildung irakischer Polizeikräfte beizutragen. Sie
hat anlässlich einer Reise des Bundeskanzlers am
6. Oktober 2003 eine entsprechende Absichtserklärung
mit den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichnet.
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, den Wiederaufbauprozess im Irak weiter zu unterstützen.
Herr Kollege Weiß.
Frau Staatsministerin, da die von Ihnen bereits erwähnten Aktivitäten der Bundesregierung im Bereich
der humanitären Hilfe aus den dafür zur Verfügung
stehenden Etatansätzen des Auswärtigen Amtes und des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert werden, möchte ich
gerne wissen, ob für die Unterstützung der Ausbildung
von Sicherheitskräften Mittel bereitgestellt worden sind
oder ob es zumindest eine entsprechende Planung gibt,
um die Zusage des Bundeskanzlers einzulösen.
Wir werden sicherlich Mittel zur Verfügung stellen,
um die Zusage des Bundeskanzlers umzusetzen; davon
können Sie ausgehen. Nähere Einzelheiten stehen zum
jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest.
Ich kann Ihnen hierzu sagen, dass die Zusage des
Bundeskanzlers bei allen Partnern auf große Zustimmung stößt. Vor allem die amerikanische Seite hat es
sehr begrüßt, dass wir uns an der Ausbildung einer irakischen Polizei beteiligen wollen. Denn dies ist perspektivisch ein ganz wichtiger Punkt zur Herstellung von
Sicherheit und Stabilität im Irak. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung für den Wiederaufbau.
Der jetzige Stand ist: Es gibt eine gemeinsame Absichtserklärung über eine Zusammenarbeit. Die Einzelheiten zur Umsetzung dieser Erklärung werden auf
Expertenebene geprüft und ausgearbeitet. Wir wollen
natürlich, dass diese Programme eine möglichst breite
Wirkung entfalten. Gehen Sie davon aus, dass wir diese
Zusage umsetzen werden!
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, der eigentlichen Geberkonferenz wird am 22. Oktober 2003 eine Vorkonferenz mit
Nichtregierungsorganisationen und Vertretern des Privatsektors vorausgehen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Ist bereits, was die Teilnahme deutscher Vertreter
der Nichtregierungsorganisationen und des Privatsektors, vor allem Vertreter der Industrie, anbelangt, eine
Koordinierung mit der Bundesregierung erfolgt und hat
die Bundesregierung für diese Vorkonferenz gegenüber
den Nichtregierungsorganisationen und Vertretern des
Privatsektors Zusagen hinsichtlich einer finanziellen und
technischen Unterstützung ihrer Aktivitäten gemacht?
Ich vermute einmal, dass dies nicht der Fall ist. Aber
es gibt in der Tat diese Veranstaltung für den Privatsektor. Der BDI hat sich bereit erklärt, die deutsche Wirtschaft entsprechend zu informieren. Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem 23. und 24. Oktober 2003. Wir
werden natürlich entsprechende Unterstützung leisten,
sofern dies in unsere Zuständigkeit fällt und das im Rahmen unserer Möglichkeiten liegt.
Herr Kollege Fischer, bitte.
Frau Staatsministerin, können Sie uns eventuell sagen, ob uns Ihre Kollegin Eid dazu Auskunft geben
könnte?
Nein.
({0})
- Ich kann Ihnen das nicht sagen. Ich vermute einmal,
dass sie es nicht kann. Aber zu diesem Thema stehe ja
ich zur Verfügung.
({1})
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Präsidentenwahl in
Tschetschenien vom 5. Oktober 2003 und hat Bundeskanzler
Gerhard Schröder sein letztes Zusammentreffen mit Präsident
Wladimir Putin genutzt, um über die Situation in Tschetschenien zu sprechen?
Die Position der Bundesregierung kommt in den beiden Erklärungen der Europäischen Union zu den Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien vom 26. September und vom 8. Oktober 2003 zum Ausdruck. In diesem
Sinne wurde das Thema Tschetschenien auch im Rahmen der deutsch-russischen Regierungskonsultationen
besprochen, die am 8. und 9. Oktober 2003 in Jekaterinenburg unter Leitung von Bundeskanzler Schröder und
Präsident Putin und unter Teilnahme des Außenministers
stattfanden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, an der Präsidentenwahl in
Tschetschenien haben bekanntermaßen auch russische
Besatzungssoldaten teilgenommen. Wie bewertet die
Bundesregierung die Teilnahme von Besatzungssoldaten
an der Wahl und entspricht dies ihrem Verständnis von
demokratischen Wahlen?
Wir stehen zu den entsprechenden EU-Erklärungen,
die ich hier gern noch einmal darstellen möchte. In den
Erklärungen haben wir gemeinsam mit den Partnern kritisiert, dass es einen Mangel an echten Alternativkandidaten für das Präsidentenamt gab. Wir haben ferner das
Fehlen unabhängiger Medien kritisiert und die Notwendigkeit unterstrichen, dass die tschetschenische Bevölkerung die Rechtmäßigkeit der Wahl anerkennt. Das betrifft insbesondere den Punkt, den Sie gerade erwähnt
haben.
Darüber hinaus haben wir in den EU-Erklärungen unsere Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass in Tschetschenien Menschenrechte geachtet und Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden und die
Förderung eines politischen Prozesses zur Konfliktlösung angegangen wird. Wir haben ferner die russische
Regierung aufgerufen, ihre Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, insbesondere mit der OSZE, zu
intensivieren. Ich denke, wir haben unsere Sorgen bezüglich der Wahl klar formuliert.
Sie können noch eine weitere Zusatzfrage stellen.
Frau Staatsministerin, Sie haben in Beantwortung der
Ausgangsfrage dargestellt, dass der Bundeskanzler diese
Fragen gegenüber Präsident Putin angesprochen hat.
Wie war die Reaktion der russischen Seite?
Es waren Vier-Augen-Gespräche, von daher kann ich
Ihnen die Reaktionen nicht beschreiben. Das tut mir
Leid. Ich kann Ihnen nur zur Sache sagen, dass sowohl
der Kanzler als auch der Außenminister auf der Linie der
EU-Erklärungen die Frage der Wahl in Tschetschenien
klar angesprochen haben.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Markus Löning auf:
Wie steht die Bundesregierung dazu, dass viele der großen
humanitären Hilfsorganisationen einen Bundeswehreinsatz in
Kunduz ablehnen?
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Viele der in Afghanistan tätigen staatlichen und
nicht staatlichen Hilfsorganisationen fordern eine Ausweitung der ISAF-Präsenz über den Raum Kabul hinaus.
So haben im Juni 2003 über 80 Nichtregierungsorganisationen in einem offenen Brief die internationale Gemeinschaft aufgefordert, das ISAF-Mandat über Kabul
hinaus zu erweitern und so Sicherheit für die Arbeit von
staatlichen und nicht staatlichen Hilfsorganisationen zu
schaffen. Zu den Unterzeichnern gehören so bedeutende
Organisationen wie CARE International, Caritas Internationalis, Human Rights Watch und Oxfam International.
Die Bundesregierung hat bei der Planung des Einsatzes in Kunduz die von einigen deutschen Hilfsorganisationen geäußerten Sorgen zur Gestaltung des Verhältnisses von zivilen und militärischen Komponenten in
Rechnung gestellt. Erfahrungen mit bereits aktiven PRTs
zeigen, dass einschlägige Befürchtungen von NROs in
relativ kurzer Zeit abgebaut werden konnten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, Sie haben die beiden Kritikpunkte bereits angesprochen. Ein Kritikpunkt der Nichtregierungsorganisationen bezieht sich darauf, dass bei
der Präsenz eines größeren Soldatenkontingents, das zur
Zielscheibe terroristischer oder sonstiger Angriffe werden könnte, nicht mehr zwischen den Soldaten und den
Helfern, die in einer gewissen räumlichen Nähe untergebracht sind, unterschieden werden kann. Selbst die Entwicklungshilfeministerin hat das vor einigen Monaten
noch sehr kritisch gesehen.
Was hat die Bundesregierung jetzt konkret beschlossen, um zu verhindern, dass zivile Helfer in das Fadenkreuz von Terroristen geraten könnten?
Eine solche Gefahr ergibt sich meines Erachtens zumindest nicht deshalb, weil es dort in einigen Regionen
eine militärische Schutzkomponente geben wird. Die Erfahrungen sind andere. Sie kennen die internationale und
die nationale Diskussion. Die positiven Erfahrungen bisheriger PRTs zeigen, dass selbst eine militärische Präsenz kleinen Ausmaßes stabilisierend in der gesamten
Region wirkt. Insofern haben wir uns für das Konzept
der ISAF-Inseln entschieden.
Ein entsprechender Beschluss der Bundesregierung
ist heute im Kabinett gefasst worden. Er sieht ein erweitertes ziviles und militärisches Engagement in der Region Kunduz und eine zivile Präsenz in Herat vor. Im
Kern geht es ganz klar um Schutz - das heißt, wir werden generell nur assistierend tätig.
Ihre zweite Frage, bitte.
Als zweiten Kritikpunkt bringen die Nichtregierungsorganisationen an, Kunduz sei eine relativ stabile Region
und bedürfe eigentlich keiner Stabilisierung. Es ist jetzt
relativ stabil. Wir haben heute Morgen wieder die Auskunft bekommen, dass keine Gefahr für die zivilen Aufbauhelfer in der Region Kunduz besteht.
Wie stehen Sie zu den Vorwürfen, dass die Regierung
hier versucht, einen Ausweg zu finden, um gegenüber
den Amerikanern das Gesicht zu wahren, und die Bundeswehr eben nicht dorthin schickt, wo sie wirklich stabilisierend wirken könnte, nämlich in Gegenden, in denen zum Teil noch gekämpft wird und in denen es noch
Unruhen gibt?
Ich teile die Behauptung, die in Ihrer Frage impliziert
ist, überhaupt nicht. Auch die Region Kunduz hat ganz
klar Bedarf an Stabilisierung. Wir haben uns nach sehr
umsichtiger Prüfung der Lage vor Ort - nach mehreren
Reisen und Gesprächen - für diesen Ort entschieden. Sie
wissen, dass wir uns mit den Amerikanern und einigen
anderen die Zuständigkeit für die jeweiligen PRTs in den
verschiedenen Regionen teilen. Dort besteht ganz klar
Bedarf. Wir werden die amerikanische PRT ablösen, das
zurzeit dort eingesetzt ist.
Ich teile diese Ansicht nicht. Vielmehr besteht dort
die Notwendigkeit einer Stabilisierung. Wir machen das
ausschließlich aus dem Grund, um zur weiteren Stabilisierung Afghanistans beizutragen. Ziel ist die Umsetzung der Petersberger Beschlüsse, denen wir uns als
Bundesregierung - nicht zuletzt aufgrund der entsprechenden Beschlüsse des Deutschen Bundestages - verpflichtet sehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Frau Staatsministerin, Sie haben eben von ISAF-Inseln gesprochen und gesagt, Kunduz sei eine solche
ISAF-Insel. Welches sind die weiteren Inseln und von
welchen Ländern werden sie betreut? Sind es wirklich
ISAF-Inseln oder muss man nicht eher von EnduringFreedom-Inseln sprechen?
ISAF-Inseln ist der Begriff, den wir verwenden und
der sich auch in den Beschlüssen des Kabinetts wiederfindet. Weitere PRTs, befinden sich, wie Sie wissen, in
Gardes, in Bamian, in Masar-i-Scharif, in Jalalabad,
Kandahar und Herat. Wie die einzelnen Länder den Einsatz gestalten, bleibt ihnen überlassen. Die Resolution
der Vereinten Nationen sieht lediglich vor, dass eine
Ausweitung der ISAF-Präsenz in Kabul auf andere Regionen möglich ist.
({0})
Sie dürfen leider keine zweite Zusatzfrage stellen.
Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen Markus
Löning:
Wie will die Bundesregierung verhindern, dass im Falle
eines Bundeswehreinsatzes unter den Augen der deutschen
Soldaten Drogen angebaut und gehandelt werden und damit
der Eindruck entstehen könnte, dies würde unter dem Schutz,
zumindest aber mit Duldung der Bundeswehr geschehen?
Herr Löning, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der
Anbau von und der Handel mit Drogen ist unbestritten
ein zentrales Problem Afghanistans. Der Kampf gegen
die Drogen ist eine polizeiliche Aufgabe. Er zählt nicht
zu den Aufgaben der Bundeswehr. Die Bundesregierung
unterstützt Afghanistan beim Polizeiaufbau einschließlich des Aufbaus spezieller Antidrogeneinheiten und der
Grenzpolizei. Ziel der deutschen Unterstützung ist es,
die afghanische Zentralregierung in die Lage zu versetzen, selbst den Kampf gegen den Anbau und Handel von
Drogen erfolgreich aufzunehmen. Dazu gehört auch,
dass die Bundesregierung gezielt Alternativanbaumöglichkeiten für die Landbevölkerung fordern will, was
sich in der Planung befindet.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, wenn es erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, den Ausbau der Zentralgewalt in
Afghanistan zu unterstützen, frage ich Sie, welche Gespräche Sie mit dem afghanischen Verteidigungsminister, Herrn Fahim, führen, der als Machthaber in der Region um Kunduz gilt, und warum die Bundesregierung
nicht darauf hingewirkt hat, dass die neuen afghanischen
Polizeikräfte und die neue afghanische Armee, die sich
im Aufbau befinden - schon 6 000 bis 7 000 fertig ausgebildete Soldaten stehen unter dem Kommando von
Herrn Fahim -, die Verantwortung in Kunduz selbst
übernehmen?
Meinen Sie das mit Blick auf die ISAF-Inseln?
({0})
Den Einsatz über Kabul hinaus auszuweiten ist auf
den ausdrücklichen Wunsch der afghanischen Regierung
zurückzuführen. Für den Ort Kunduz haben wir uns entschieden, und zwar nach langer umsichtiger Prüfung und
in Abstimmung mit den Partnern.
Ich möchte hier noch einmal deutlich machen: Bei
unserem gesamten Engagement geht es um Unterstützung, um Assistance; es geht darum, die entsprechenden
Kräfte, seien es afghanische oder internationale, beim
Aufbau zu unterstützen. Dazu zählt auch der Kampf
gegen Drogen. Wir unterstützen zum Beispiel Großbritannien, das die Zuständigkeit übernommen hat, sich
speziell um Antidrogenprogramme zu kümmern, was
zugleich eine Unterstützung für die afghanische Regierung ist. Wir könnten natürlich viele Konzepte entwickeln, haben aber grundsätzlich die Haltung - diese ist in
den Petersberger Beschlüssen festgehalten -, dass es ein
afghanisches Ownership über den Prozess geben muss.
Wir sagen nicht bevormundend, was die Menschen in
Afghanistan machen müssen, sondern leisten Assistance,
wollen Fortschritte ermöglichen, wollen unterstützen
und leisten Monitoring. Das ist der Kern unserer Aktivitäten. Das ist wichtig, gerade auch im Hinblick auf den
Kampf gegen den Drogenanbau.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatsministerin, sieht die Bundesregierung nach
dem, was Sie gerade ausgeführt haben, keinen Widerspruch darin, dass Sie die Zentralregierung in Kunduz,
was zum Einflussbereich von Herrn Fahim gehört, aus
der Verantwortung entlässt? Sie leisten durch die Anwesenheit der Bundeswehr gerade keine Assistance, sondern entlassen die afghanische Zentralregierung aus der
Verantwortung, wenn einer ihrer Minister, der zugleich
Machthaber in der Region von Kunduz ist, sein lokales
Machtgebiet unter die Autorität der Zentralregierung
stellt, und zwar auch beim Thema Drogenanbau.
Ich sehe darin keinen Widerspruch. Noch einmal: Die
Ortswahl hat in enger Abstimmung mit der afghanischen
Regierung, mit den internationalen Partnern und dem
Sonderbeauftragten der VN stattgefunden. Vonseiten der
afghanischen Regierung wird klar die Notwendigkeit gesehen. Ziele sind, Schutz und Assistance zu gewähren
und die Zentralregierung insgesamt zu stärken, eben
auch in den Regionen. Wenn der Wille nicht bestanden
hätte, dann hätten wir das auch nicht gemacht.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des
Auswärtigen Amtes. Ich danke Ihnen, Frau Staatsministerin, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren. Die Beantwortung der Fragen
übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Körper.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Roland
Gewalt auf:
Ist die Kritik des Bundesrechnungshofes zutreffend, dass
die Übernahme der Reiterstaffel der Berliner Polizei durch
den Bundesgrenzschutz, BGS, erfolgte, obwohl der BGS, im
Gegensatz zu den Länderpolizeien, noch wenige Jahre zuvor
die Einsatzmöglichkeiten von Dienstpferden für nicht ausreichend hielt?
Herr Kollege Gewalt, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die polizeiliche Lage hat sich - insbesondere in
Berlin - seit Mitte der 90er-Jahre grundlegend gewandelt. Mit dem Umzug der Verfassungsorgane, der Landesvertretungen, der Botschaften usw. hat sich die Anzahl von gefährdeten Personen, von Staatsbesuchen und
von Arbeitsbesuchen von der und durch die Bundesregierung sowie der Versammlungs- und Veranstaltungslagen ständig erhöht. So hat sich die Zahl der Versammlungen in Berlin zwischen 1998 und 2002 vervierfacht.
Zusätzlich erfuhren durch die Ereignisse des 11. September 2001 unter anderem Verfassungsorgane, Flughäfen und Einrichtungen des öffentlichen Personen- und
Güterverkehrs eine Vielzahl zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen; das war im Übrigen von uns allen so gewollt. Gleiches gilt für Reisen gefährdeter Personen und
Staatsbesuche.
Diese grundlegende Änderung der polizeilichen Lage
bestimmt die heutige Beurteilung des Einsatzes von
Dienstpferden beim BGS. Dienstpferde werden aktuell
in fast allen Aufgabenbereichen des Bundesgrenzschutzes eingesetzt. Im Vordergrund stehen dabei berittene
Streifen zum Schutz von Bundesorganen - Bundesministerien und Verfassungsorgane seien als Beispiele genannt - und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit des
Luftverkehrs.
Darüber hinaus haben sich berittene Streifen auch bei
der Überwachung der Grenzen und bei der Abwehr von
Gefahren für die Sicherheit des Bahnverkehrs bewährt.
Zudem ist der Neuaufbau einer Reiterstaffel, worüber
Mitte der 90er-Jahre zu entscheiden war, nicht mit der
Übernahme einer funktionsfähigen Reiterstaffel zu vergleichen, da die hierbei anfallenden Kosten wesentlich
geringer sind.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, ich hatte Sie nicht ohne Grund
nach der Kritik des Bundesrechnungshofes gefragt. Deshalb muss ich mich wiederholen: Ist die Kritik des Bundesrechnungshofes zutreffend, wonach der BGS selbst
den Einsatz von Dienstpferden für nicht erforderlich gehalten hat, bevor die Reiterstaffel in den BGS übergegangen ist, und dass es beim Bundesministerium des Innern und beim BGS überhaupt keine Planung für den
Einsatz von Dienstpferden gab, bevor sich der Innensenator von Berlin an Herrn Bundesinnenminister Schily
gewandt hat?
Entscheidend sind der polizeitaktische Einsatz, sind
die Einsatzmöglichkeiten dieser Reiterstaffel. Ich habe
meine Antwort ganz bewusst so gewählt, um Ihnen deutlich zu machen, bei welchen Gegebenheiten diese Reiterstaffel der Polizei zum Einsatz kommt.
Ich weiß, dass Sie aus Berlin und aus diesem Bereich
kommen.
({0})
Sie kennen die polizeiliche Lage und Sie werden mir mit
Sicherheit nicht widersprechen, wenn ich sage, dass dies
ein sinnvolles Instrument für unsere innere Sicherheit
ist. Ich bin mir sicher, dass ich damit nicht im Widerspruch zu Ihnen stehe.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da Sie davon überzeugt sind,
frage ich Sie: Kann die Bundesregierung hier und heute
erklären, dass die Übernahme der Reiterstaffel der Berliner Polizei nicht nur eine Verlegenheitslösung war, sondern dass der Einsatz beim BGS langfristig - das betone
ich - gesichert ist? Das wollen sicher auch die Kollegen
beim BGS wissen.
Herr Kollege Gewalt, Sie wissen, dass die Übernahme dieser Reiterstaffel in Berlin eine hohe Akzeptanz in der Öffentlichkeit hatte. Man sollte daran nicht
weiter herummäkeln;
({0})
denn ihr Einsatz ist aufgrund der Einsatzmöglichkeiten
sinnvoll.
Dass wir diese Reiterstaffel inklusive dem zuständigen Personal übernommen haben, war eine kluge und
wichtige Entscheidung von uns. Die dortigen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten verrichten einen hervorragenden Dienst; wir sind zufrieden. Ich denke, das sieht
der Bundesrechnungshof auch zukünftig so.
({1})
Eine Zusatzfrage des Kollegen Fischer.
Ich darf feststellen, dass Sie die Frage nicht beantwortet haben. Die Frage lautete, ob Sie eine langfristige
Perspektive bieten können. Ich stelle die Frage für den
Kollegen jetzt einfach noch einmal und bitte Sie, hier zu
verkünden, ob Sie diese langfristige Perspektive anbieten können.
Herr Kollege Fischer, Sie haben bei meiner Antwort
wohl nicht richtig zugehört.
Ich habe gesagt, dass die polizeifachliche Lage in
Berlin einen sinnvollen Einsatz dieser Reiterstaffel möglich macht. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die polizeiliche Lage mittel- und langfristig so ändern wird, dass
man diesen Einsatz infrage stellen wird. Das haben Sie
aus meiner Antwort vielleicht nicht herausgehört. Deswegen bedanke ich mich ausdrücklich dafür, dass ich das
noch einmal unterstreichen durfte.
({0})
Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Roland
Gewalt auf:
Hat es zwischen der Bundesregierung und dem Berliner
Senat Verhandlungen über die Überlassung von Hubschraubern des BGS zur Erfüllung von Polizeiaufgaben in der
Hauptstadt gegeben und, wenn ja, zu welchem Ergebnis haben sie geführt?
Herr Kollege Gewalt, einer Nachfrage des Landes
Berlin aus dem Jahre 2000 zur dauerhaften Überlassung
von Polizeihubschraubern des Bundesgrenzschutzes
zwecks Erfüllung von Polizeiaufgaben des Landes
Berlin konnte seitens des Bundesministeriums des Innern nicht entsprochen werden.
Jedoch kann es sinnvoll sein, im Wege einer Kooperation mit gleichen Rechten und Pflichten einen gemeinsamen Polizeihubschrauber zu betreiben, mittels dessen
Polizeiaufgaben beider Seiten in der Bundeshauptstadt
erfüllt werden können. Eine entsprechende Prüfung findet derzeit statt.
Herr Kollege Gewalt, Sie haben das Wort.
Herr Staatssekretär, ist Ihre Antwort so zu verstehen,
dass dem Land Berlin bzw. der Berliner Polizei - gemeinsam mit dem BGS - in Zukunft ständig ein Hubschrauber zur Verfügung steht, der durch den BGS bereitgestellt wird?
Meine Antwort ist so nicht zu verstehen. Ich habe Ihnen gesagt, dass zu diesem Themenkomplex derzeit eine
Prüfung stattfindet. Darüber hinaus ist zum jetzigen
Zeitpunkt inhaltlich nichts festzuhalten. Ich kann mir gut
vorstellen, dass Sie stets denken: Alles für Berlin! Das
ist aus Ihrer Sicht verständlich. Aber auch das, was ich
dazu gesagt habe, ist nachvollziehbar. Lassen Sie uns
darüber reden! Der Prüfungsvorgang ist, wie gesagt, im
Gange.
Ihre zweite Frage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie wissen sicherlich auch, dass
es 2004 aufgrund von Einsparbeschlüssen des Berliner
Senats keine Berliner Polizeihubschrauber mehr geben
wird. Halten Sie es denn nicht für erforderlich, dass
Hubschrauber - ob nun vom BGS oder von der Berliner
Polizei - für den Polizeieinsatz in Berlin ständig zur Verfügung stehen: zur Sicherung des Regierungsviertels, bei
Großlagen etc.?
Herr Kollege Gewalt, § 11 des Bundesgrenzschutzgesetzes regelt die Verwendung zur Unterstützung eines
Landes ganz klar. Dort ist von der Unterstützung eines
Landes durch den Bundesgrenzschutz die Rede; es geht
nicht speziell nur um das Land Berlin. Dies ist die geltende Rechtslage.
Meine Antwort, dass wir derzeit prüfen, besagt im
Übrigen noch lange nicht, dass es für das Jahr 2004
keine entsprechende Entscheidung gibt.
Die Frage 13 des Kollegen Jens Spahn wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 14 der Kollegin Petra
Pau:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im zweiten
Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Frau Kollegin Pau, im zweiten Quartal 2003 wurden
insgesamt 245 antisemitische Straftaten, die dem so genannten Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität - rechts“ zugeordnet wurden, gemeldet, darunter
sind 43 Propagandadelikte und neun Gewaltdelikte. Bei
Letzteren handelt es sich um sieben Körperverletzungen,
einen Landfriedensbruch sowie einen gefährlichen Eingriff in den Bahn-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr.
Im zweiten Quartal 2003 wurden acht Personen verletzt.
Todesfälle waren nicht zu verzeichnen.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, ich hatte ausdrücklich nach antisemitischen Straftaten gefragt. Ich gehe davon aus, dass
sich die von Ihnen genannten Zahlen auf diesen Komplex beziehen. Ich möchte mich nur vergewissern, weil
Sie von Rechtsextremismus sprachen. Ich gehe weiterhin davon aus, dass Sie gut vorbereitet sind und mir die
Streuung dieser Straftaten auf die einzelnen Bundesländer mitteilen können.
Frau Kollegin Pau, diese Streuung kann ich Ihnen
derzeit nicht mitteilen. Sie wissen, dass es sich um vorläufige Zahlen handelt.
Ich kann Ihnen dafür aber - ich bin immer gut vorbereitet - einen anderen Service anbieten: Im Jahr 2002
- die Zahlen für diesen Zeitraum stehen fest - wurden in
diesem Bereich 1 334 Straftaten verübt. Im Vergleich zu
der vorläufigen Zahl von 2003 ergibt sich also, das kann
man mit allem Vorbehalt sagen, erfreulicherweise eine
rückläufige Tendenz. Aber Sie kennen die Problematik
der Zählung, insbesondere was den Zeitpunkt der Zählung und die Nachmeldungen angeht. Das muss man berücksichtigen. Aber im Vergleich zeigt der Trend eine
positive Entwicklung im Jahre 2003.
Im Übrigen waren die Straftaten im Jahre 2002 regional weit gestreut, sodass es sehr schwer gefallen wäre,
regional einen Schwerpunkt herauszugreifen. Das
könnte man gegebenenfalls gesondert auflisten. Das Ergebnis dürfte jedoch so sein, wie ich es im Kopf habe.
Sie haben eine weitere Frage.
Herr Staatssekretär, mit Blick auf eine Debatte, die
wir heute Vormittag im Innenausschuss geführt haben:
Liegen Ihnen Erkenntnisse vor, dass außer im rechtsextremistischen Bereich in anderen Spektren - ich möchte
es einmal so vorsichtig formulieren - ein Zuwachs von
antisemitischen Straftaten zu verzeichnen ist?
Frau Kollegin Pau, mit Blick auf das Gespräch heute
Vormittag im Innenausschuss kann ich diese Frage, insbesondere für diesen Deliktbereich, nicht bejahen. Dass
die eine oder andere Entwicklung stattgefunden hat, ist
auch heute Vormittag deutlich geworden. Dass wir dies
aufmerksam verfolgen müssen, ist auch in Ihrer Beurteilung zum Ausdruck gekommen.
Die Fragen 15 und 16 des Kollegen Hartmut Koschyk
werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Herr Staatssekretär Körper, ich bedanke mich sehr herzlich für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Austermann und die Frage 19 des Kollegen
Rupprecht werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo
Schlauch zur Verfügung.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Ina Lenke auf:
Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem Wirtschaftsmarkt China und den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik
China bei und hält die Bundesregierung es für sinnvoll, jungen chinesischen Nachwuchskräften in Deutschland eine
Fachschulausbildung nach deutschem oder internationalem
Standard - zur Erlangung der deutschen Hochschulreife - zu
ermöglichen - wie es schon bei EU-Bürgern praktiziert
wird -, damit diese nach ihrer Ausbildung und der Rückkehr
in ihre Heimat durch die in Deutschland erworbenen Kenntnisse dazu beitragen können, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten zu fördern und auszuweiten?
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, ich beantworte die
Frage 20 etwas ausführlicher, weil Sie sowohl nach dem
Stellenwert der wirtschaftlichen Beziehungen als auch
nach Möglichkeiten für die Ausbildung von jungen Chinesinnen und Chinesen gefragt haben.
Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen
sind seit Jahren durch eine außerordentliche Dynamik
gekennzeichnet. Im Jahre 2002 erzielte Deutschland im
Handel mit China ein Volumen von 35,6 Milliarden Euro
und verdrängte damit erstmals Japan vom ersten Platz im
asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum.
Besonderen Anteil an dieser Entwicklung hat der
deutsche Export, der seit 1998 jährlich mit zweistelligen
Raten zunahm. Das Ausfuhrvolumen im Jahre 2002 betrug 14,5 Milliarden Euro. Dieser Trend hat sich auch im
ersten Halbjahr 2003 - Ausfuhr: 8,5 Milliarden Euro mit plus 29,9 Prozent fortgesetzt.
Der besondere Stellenwert des chinesischen Marktes
wird auch durch zahlreiche hochrangige deutsche Staatsbesuche unterstrichen. Der überaus positive Trend ist unter anderem auch auf die ungebrochene Investitionstätigkeit deutscher Unternehmen in China zurückzuführen.
Daraus resultiert ein Bedarf an hoch qualifizierten Fachkräften, die in China für deutsche Unternehmen tätig
werden können. Chinesische Mitarbeiter deutscher, in
China angesiedelter Unternehmensteile haben deshalb
die Möglichkeit, zu betriebsbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen nach Deutschland einzureisen.
Im Einklang mit den Grundlinien der Entwicklungspolitik können jetzige und zukünftige Fach- und Führungskräfte, somit Fachkräfte, die über eine abgeschlossene Grundausbildung und nach Möglichkeit
über mehrjährige Berufserfahrung verfügen, in
Deutschland eine Aus- und Fortbildung erhalten. Den
späteren Führungskräften wird die Möglichkeit der
Fortbildung in Deutschland eröffnet, da darin ein sinnvoller Beitrag im Rahmen der deutsch-chinesischen
Wirtschaftsbeziehungen gesehen werden kann. Im Übrigen ist hinsichtlich der Zulassung zur Schulausbildung nach allgemein bildenden Schulen, die zur allgemeinen Hochschulreife führen, und Fachschulen zur
beruflichen Erstausbildung, die neben dem Erwerb eines Berufsabschlusses einen Fachhochschulzugang eröffnen, zu differenzieren.
Eine berufliche Grundausbildung in Deutschland
wird nicht mit deutschen Steuergeldern gefördert, da
diese in vielen Staaten in den relevanten Fachgebieten
kostengünstiger und näher an den Problemen des Landes
orientiert möglich ist. Dazu hat Deutschland mit dem
Ziel, einheimische Bildungsstrukturen aufzubauen und
zu stärken, durch Unterstützung von Projekten zur Förderung der Grundbildung in diesen Ländern beigetragen.
Dies schließt allerdings eigenfinanzierte Ausbildungen in Deutschland nicht per se aus. Eine aus wirtschaftspolitischer Sicht sinnvolle Möglichkeit kann die
vollzeitschulische Erstausbildung bei privaten Schulen
oder Bildungsträgern sein, wobei die Teilnehmer die entstehenden Kosten selbst aufbringen. Entsprechend kann
Ausländern die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung
erteilt werden, wenn es sich bei der Schule um eine besondere Schule mit internationaler Ausrichtung handelt
oder wenn es sich um eine staatlich anerkannte Schule
handelt, die ganz oder überwiegend aus von den Eltern
zu entrichtenden Schulgeldern finanziert wird. Bestrebungen, die darauf ausgerichtet sind, ganze Schulen oder
komplette Klassenzüge ausschließlich für chinesische
Staatsangehörige einzurichten, widersprechen der deutschen Rechts- und Interessenlage.
Ich rufe jetzt die Zusatzfrage der Kollegin Lenke auf.
Das Letzte, was Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben, kann ich überhaupt nicht verstehen, nämlich dass es
nicht im Interesse von Deutschland sein kann, dass junge
Chinesinnen und Chinesen hier Deutschkenntnisse erwerben und die allgemeine Hochschulreife erlangen.
Vielleicht können Sie mir das erklären.
Aber ich habe noch eine andere Frage. Aus welchem
Grund wurden die deutschen Auslandsvertretungen in
China durch das Auswärtige Amt in Abstimmung mit
dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und dem Bundesinnenministerium sowie den Landesministerien angewiesen, jungen
Chinesen und Chinesinnen, die einen ausschließlich privat finanzierten Aufenthalt - davon haben Sie auch gesprochen - zum Zwecke des Besuchs einer privaten
Schule beabsichtigten, keine Visa zu erteilen?
Ich bitte Sie - wenn wir schon bei diesem Thema
sind -, mir eine positive Antwort zu erteilen und diese
auch an Ihr Ministerium weiterzugeben, damit wir vielleicht gemeinsam eine Änderung bewirken können.
Ich würde Ihnen selbstverständlich gerne positiv antworten, wenn ich das könnte. Mir ist die von Ihnen erwähnte Vorgabe nicht bekannt. Sie würde im Übrigen
auch den allgemeinen Aussagen und Vorgaben, die ich
gerade zitiert habe, nicht entsprechen. Ich bitte Sie um
Verständnis dafür, dass ich Ihre Zusatzfrage nach dem
Erhalt einer entsprechenden Auskunft im Hause schriftlich beantworte.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Ich finde Ihre Bereitschaft sehr positiv und sympathisch und bitte Sie, doch einmal die ablehnende Begründung zu prüfen, dass es nicht im entwicklungspolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liege.
Ich begrüße es auch sehr, dass diese Fragen nicht seitens
des Entwicklungsministeriums, sondern von Ihnen als
Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums beantwortet
werden.
Mir ist diese Begründung nicht bekannt; ich kenne
vielmehr Gegenbeispiele. Zum Beispiel hält die Steinbeis-Stiftung ausdrücklich und in hohem Maße Studiengänge für chinesische Absolventinnen und Absolventen
vor, die auch entsprechend in Anspruch genommen werden. Obwohl ich in letzter Zeit mit der Stiftung in Kontakt gestanden und die Absolventinnen und Absolventen
getroffen habe, habe ich nichts von Schwierigkeiten bei
der Visaerteilung gehört. Ich bin aber gerne bereit, dieser
Frage nachzugehen.
Der Kollege Grindel hat eine Zusatzfrage.
Auch mich hat es in der Tat gewundert, Herr Staatssekretär, weshalb das Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit die Fragen beantwortet. Denn die aktuellen
Vorfälle, die auch den Fragen von Frau Lenke zugrunde
liegen, gehen vor allen Dingen auf das Auswärtige Amt
und das Innenministerium zurück. Vielleicht können Sie
mich bei der schriftlichen Beantwortung einbeziehen,
wenn Ihnen die Antwort auch auf meine Nachfrage nicht
geläufig ist.
In der Tat gibt es zahlreiche Visaverfahren von chinesischen Auszubildenden oder Schülern, zum Beispiel
auch im Zusammenhang mit den von Ihnen angesprochenen Projekten. Diese Vorhaben werden verhindert.
Ich würde gerne von Ihnen wissen - vielleicht ist Ihnen
das von der Steinbeis-Stiftung bekannt -, ob es in irgendeinem Fall aufenthaltsrechtliche Probleme gegeben
hat, indem vordergründig ein privater Schulbesuch angestrebt worden ist, aber dann tatsächlich ein Asylantrag
gestellt worden oder jemand untergetaucht ist. Das
könnte schließlich dahinter stehen, wenn eine solche
restriktive Visapolitik betrieben wird.
Mir persönlich ist aus meinem Erfahrungsbereich, der
in dieser Beziehung allerdings begrenzt ist, kein solcher
Fall bekannt. Ich bin aber gerne bereit, auch dieser Frage
nachzugehen und sie im Zuge der zugesagten schriftlichen Beantwortung zu beantworten.
Ich rufe die Frage 21 der Kollegin Ina Lenke auf:
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, den Kommunen,
die von Bundeswehrstandortschließungen betroffen sind, dadurch zu helfen, dass durch den Abbau von gesetzlichen Hürden bzw. durch großzügigere Ermessensentscheidungen solventen Investoren besondere Anreize geschaffen werden, an
stillgelegten ehemaligen Bundeswehrstandorten zu investieren, um so die in den von den Standortschließungen betroffenen Regionen oft starken wirtschaftlichen Verluste abzufedern
bzw. aufzufangen, und erachtet die Bundesregierung beispielsweise die Einrichtung einer privaten Fachschule für
junge Chinesen, die später einmal in ihrem Heimatland Führungspositionen einnehmen wollen, an einem solchen Standort für in diesem Sinne förderungswürdig?
Frau Kollegin Lenke, eine spezielle Förderung im Zusammenhang mit Konversionsmaßnahmen findet, wie
Sie wahrscheinlich wissen, nicht mehr statt. Daher kann
nicht von einer Förderung von Privatschulen an ehemaligen Bundeswehrstandorten ausgegangen werden.
Die Einrichtung von privaten Fachschulen für die
ausschließliche Ausbildung chinesischer Nachwuchsführungskräfte wird von unserem Haus als nicht sinnvoll
angesehen. Chinesische Absolventen deutscher Bildungseinrichtungen können eine enge Bindung an den
deutschen Bildungs- und Wirtschaftsraum entwickeln
und so nach ihrer Rückkehr den deutsch-chinesischen
Wirtschaftsbeziehungen langfristig förderlich sein.
Das ist in etwa das Ziel der Ausbildung durch die
Steinbeis-Stiftung, die ich skizziert habe. Dies erfordert
im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten eine Integration der Interessenten in bestehende private Bildungseinrichtungen, um gute Chancen zum Erlernen der deutschen Sprache und zum Kennenlernen der deutschen
Kultur von Anbeginn zu eröffnen. Dies kann nur in Zusammenarbeit und im Zusammenleben mit deutschen
Mitschülern optimal gelingen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Ich glaube eher, dass ich mich falsch ausgedrückt
habe, als dass Sie mich missverstanden haben. Hier geht
es auf keinen Fall um eine staatliche Förderung des Umbaus von Kasernen. Wenn Sie wüssten, welche Schwierigkeiten die Kommunen haben, um die Kasernen nachnutzen zu können! Der Inhalt meiner Frage - das sage
ich als Kommunalpolitikerin - zielte auf eine mögliche
Nachnutzung der stadtnah liegenden Kasernen durch die
Kommunen ab. Es geht nicht um Kasernen, die weit weg
vom Stadtkern liegen. Hier gibt es offenbar keine staatliche Förderung.
Meine Zusatzfrage: Hält es die Bundesregierung vor
diesem Hintergrund für möglich, dass die Anwendung
der Verwaltungsvorschrift in der Praxis - sie heißt „Verwaltungsverordnung zum Ausländergesetz“ und ist nach
meiner Meinung sehr restriktiv - in Bezug auf junge
Chinesen, die sich ausschließlich auf privatfinanzierter
Basis zum Zweck des Besuchs einer privaten Schule in
Deutschland aufhalten, gelockert wird und dass die deutschen Auslandsvertretungen in China angewiesen werden, den Antragstellern und Antragstellerinnen ein Visum für diesen Zweck zu erteilen?
Erstens. Zu Ihrer Bemerkung „Wenn Sie wüssten …“
möchte ich Ihnen sagen: Auch ich bin in einer Kommune
verhaftet, die Nachnutzungen durchgeführt hat.
({0})
Ich weiß, dass diese Vorhaben zwar unglaublich langwierig und schwierig waren, dass sie aber erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Ich kenne also die diesbezüglichen Schwierigkeiten.
Zweitens. Auf Ihre Frage möchte ich ganz spontan
und möglicherweise auch etwas ungeschützt antworten:
Ich halte dieses Anliegen für schlüssig, wenn dadurch
die deutschen Interessen betreffend etwa die Finanzierung nicht berührt sind. Ich möchte gern im Zuge der
schriftlichen Beantwortung eine großzügigere Anwendung der angesprochenen Verwaltungsvorschrift anregen. Haben Sie aber bitte Verständnis, dass ich das zuerst
mit meinem Haus und auch mit dem Auswärtigen Amt,
das hier zuständig ist, absprechen möchte.
Herr Kollege Grindel, bitte.
Sie haben in Ihrer Anwort auf die Frage 20 der Kollegin Lenke darauf hingewiesen - das ist vielleicht auch
für die weiteren Beratungen in dieser Frage wichtig -,
dass große Unternehmen wie etwa VW eine Fortbildung
für später in China arbeitende chinesische Mitarbeiter
durchführen. Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen,
ob die angesprochenen Berufsfachschulen für Chinesen
nicht auch für die mittelständischen Unternehmen, die
sich so etwas nicht leisten können, Möglichkeiten bieten,
sich ein Potenzial an Mitarbeitern, die sich über den Besuch einer Berufsfachschule für Chinesen qualifiziert haben, für ihre Niederlassungen in China zu erschließen.
Schließlich bauen auch mittelständische Unternehmen
dort in zunehmendem Maße Betriebe auf.
Herr Kollege, selbstverständlich bin auch ich der Auffassung, dass solche Berufsfachschulen Möglichkeiten
für den Mittelstand bieten. Mit dem Projekt der Steinbeis-Stiftung, das ich Ihnen schon skizziert habe, hat
man genau das im Auge. Wie Sie vielleicht wissen, werden die Absolventen des Steinbeis-Studienganges - das
ist gewissermaßen ein duales System - in der Praxis mittelständischen Firmen zugewiesen und erhalten von der
Steinbeis-Stiftung parallel bzw. nachgeschaltet eine
theoretische Ausbildungsbegleitung. Dieses Projekt
habe ich mir sehr genau angeschaut. Ich versuche gerade, diese Initiative über andere Länderbeteiligungen
- die Steinbeis-Stiftung hat ihren Ausgangspunkt in Baden-Württemberg; sie ist aber auch in Nordrhein-Westfalen aktiv - und vielleicht auch auf der Ebene des Bundes weiter zu fördern.
Ich bin gerade dabei, zu prüfen, inwieweit dies nötig
ist. Das scheint mir eine sehr vernünftige Sache zu sein,
und zwar deshalb, weil diesem Projekt ein duales Prinzip
zu Grunde liegt und weil diejenigen, die diesen Studiengang besuchen, nicht von ihrem deutschen Umfeld abgeschlossen sind und wie in dem VW-Beispiel auch praktische Kenntnisse erwerben.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Klaus Rose
auf:
Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass ein Gericht die Praxis eines Unternehmens bestätigt hat - vergleiche „Passauer Neue Presse“
vom 7. Oktober 2003 -, deutsche Beschäftigte durch kostengünstigere ungarische Werkvertragsarbeitnehmer zu ersetzen?
Lieber Herr Kollege Rose, ich beantworte die Frage
wie folgt: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass
gemäß der noch bis zum EU-Beitritt Ungarns am 1. Mai
2004 geltenden Rechtslage, die im vorliegenden Zusammenhang vom deutschen Arbeitsgenehmigungsrecht und
der bilateralen deutsch-ungarischen Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung bestimmt wird, die in der Fragestellung angesprochene Praxis nicht zulässig ist. Nach
dieser Vereinbarung verbieten Arbeitsmarktschutzaspekte, dass deutsche Beschäftigte durch ungarische
Werkvertragsarbeitnehmer ersetzt werden.
Zum einen wird deshalb im vorliegenden Fall, den Sie
in Ihrer Fragestellung angesprochen haben, die Bundesanstalt für Arbeit, die die Arbeitsgenehmigungen für
ausländische Werkvertragsarbeitnehmer zu erteilen hat,
im gerichtlichen Verfahren eine weitere Klärung zur
Auslegung der einschlägigen deutsch-ungarischen
Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung herbeiführen.
Bundesanstalt und Bundesregierung vertreten dabei
- im bisherigen Einvernehmen mit den Vertragspartnern
wie Ungarn - anders als das Sozialgericht in Nürnberg
die Auffassung, dass die deutsch-ungarische Vereinbarung - wie sie übrigens auch mit anderen Staaten besteht eine Zulassung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer nicht vorsieht, wenn diese an die Stelle entlassener
inländischer Arbeitnehmer treten würden. Die rechtliche
Argumentation hierzu hat die Bundesregierung in der
schriftlichen Antwort auf die Fragen des Kollegen
Straubinger zur gleichen Angelegenheit näher erläutert.
Zum anderen werden Bundesregierung und Bundesanstalt für Arbeit zusammen mit Ungarn wie auch anderen Vertragspartnern die Frage prüfen, ob die jeweiligen
Vereinbarungen einer textlichen Präzisierung bedürfen.
Mit in Betracht zu ziehen ist dabei, dass mit dem Beitritt
Ungarns - auch weiterer Vertragsstaaten - zur Europäischen Union die Werkvertragsarbeitnehmer-Vereinbarung nur noch in bestimmten Wirtschaftszweigen - insbesondere in der wichtigen Branche Baugewerbe Anwendung finden wird.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Nach Ihrer Aussage, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung richtig gehandelt und vorher schon verhandelt und nur das Sozialgericht hat das missverstanden.
Gibt es denn auch weitere Beispiele oder nur das Beispiel dieses einen Betriebes, der angeblich so gehandelt
hat, dass alles missverständlich war?
Mir ist keines geläufig. Ich bin aber gern bereit, nachzufragen, um Ihnen darauf eine schriftliche Antwort zu
geben.
Weitere Zusatzfrage.
Bis wann wird denn die Bundesregierung bzw. die
Bundesanstalt für Arbeit dieses gerichtliche Gegenverfahren eingeleitet haben oder bis wann kann man erwarten, dass auch etwas dabei herauskommt? Bekanntermaßen ist die EU-Erweiterung im nächsten Jahr. Es wäre
ein bisschen schade, wenn es sich so lange hinziehen
würde und praktisch nichts erreicht wird.
Da ihre Auffassung so klar und deutlich ist, wie ich
sie auch formuliert habe, setzt die Bundesregierung alles
daran, dieses Verfahren zu beschleunigen. Ich gehe davon aus - ohne dass ich es genau weiß -, dass natürlich
im Rechtsmittelverfahren erst einmal versucht wird, dieses erste, „falsche“ Urteil zu korrigieren.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereiches des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Herr
Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung der
Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung.
Die Frage 23 des Kollegen Jens Spahn, die Frage 24
des Kollegen Ernst Hinsken, die Fragen 25 und 26 des
Kollegen Hartwig Fischer ({0}) und die Frage 27
der Kollegin Petra Pau werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Manfred Grund
auf:
Trifft es zu, dass der Abschnitt zwischen Breitenworbis
und Bleicherode in Thüringen im Zuge des Neubaus der Bundesautobahn A 38, Göttingen-Halle - VKE 561-4 -, erst 2007
und nicht wie bislang geplant 2005 fertig gestellt wird - vergleiche „Thüringer Allgemeine“ vom 17. September 2003 -,
und, wenn ja, warum?
Herr Kollege Grund, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der Bau der Bundesautobahn A 38 erfolgt - wie
bei allen Bauvorhaben dieser Größenordnung - in verkehrswirksamen Abschnitten. Ziel der Bundesregierung
ist es nach wie vor, das Gesamtvorhaben bis zum
Jahr 2005 weitestgehend fertig zu stellen, wobei die Inbetriebnahme der restlichen Abschnitte in den Jahren
2006 und 2007 erfolgen wird.
Die zeitliche Realisierung der einzelnen Streckenabschnitte ist zum einen von deren verkehrlicher Wirkung
und zum anderen von der Dauer der hierfür jeweils notwendigen Planungen abhängig. So waren für den Planungsabschnitt zwischen Breitenworbis und Bleicherode
aufgrund der problematischen geologischen Situation
- Bergsenkung, Erdfälle, Kaliberge - und der sensiblen
ökologischen Verhältnisse umfangreiche und zeitaufwendige Zusatzuntersuchungen erforderlich.
Weiterhin mussten infolge der trassennahen Wohnund Gewerbebebauung mehrere alternative Linienführungen untersucht werden, die bereits im Vorfeld des
Planfeststellungsverfahrens mit den betroffenen Gemeinden und Anliegern ausführlich erörtert wurden.
Das Planfeststellungsverfahren ist eingeleitet. Die
Auslegung der Pläne erfolgt im November dieses Jahres.
Der Baubeginn dieses Streckenabschnitts kann erfolgen,
wenn der Freistaat Thüringen hierfür das Baurecht geschaffen hat. Auf der Grundlage dieses Planungsstandes
ist davon auszugehen, dass die Fertigstellung im vorgenannten zeitlichen Rahmen des Gesamtprojektes erfolgt.
Herr Kollege Grund, bitte.
Herzlichen Dank für die Beantwortung dieser Frage.
Ich danke auch dafür, dass man in der Vorbereitung in
diesem wirklich schwierigen Abschnitt auf die Kommunen zugegangen ist.
Frau Staatssekretärin, können wir angesichts dessen,
was Sie hier vorgetragen haben, davon ausgehen, dass in
2004 alle Bauabschnitte, also auch dieser schwierige
Bauabschnitt, in Bau sein werden, oder rechnen Sie aus
irgendwelchen Gründen mit anderweitigen Verzögerungen?
Das Planfeststellungsverfahren muss abgeschlossen
sein. Bevor Baurecht vorliegt, wird man schwerlich
bauen können.
Es gibt kein finanzielles Problem - da sind wir uns einig -; das Problem besteht darin, angesichts der geologischen Gegebenheiten das Recht zum Bauen zu erlangen.
Es gab eine Verzögerung. Wir müssen abwarten. Es geht
jetzt voran. Ich gehe davon aus, dass ab November,
wenn die Pläne ausliegen, sehr zügig gearbeitet wird.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Schließen Sie aus, dass irgendetwas anderes als die
von Ihnen genannten Schwierigkeiten - Probleme geologischer Art, Probleme mit der Wohnbebauung - dazu
beigetragen hat, dass es zu Verzögerungen gekommen
ist, die auch für die betroffenen Anlieger sehr ärgerlich
sind?
Ich habe keinerlei Hinweise darauf, dass die Straßenbauverwaltung Thüringen, die letztlich den Auftrag von
uns bekommen hat, die DEGES oder das entsprechende
Ministerium in Thüringen in irgendeiner Weise nicht ordentlich gearbeitet haben. Ich glaube, dass sie alle ihren
Beitrag geleistet haben. In problematischen Bereichen
wie diesem passiert so etwas einfach manchmal. Es handelt sich um ein ehemaliges Abbaugebiet, wo die Arbeit
wegen des Untergrunds besonders schwierig ist.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Manfred Grund
auf:
Was wird die Bundesregierung veranlassen, um für die
Dauer der Bauverzögerung die Ortsdurchfahrten der Bundesstraße B 80 vom Fahrzeugaufkommen zu entlasten?
Eine Entlastung der Ortsdurchfahrten im Zuge der
Bundesstraße B 80 vom Durchgangsverkehr bis zur Fertigstellung der Bundesautobahn A 38 durch temporäre
Maßnahmen ist nicht vorgesehen und wäre auch nicht
möglich.
Die für die Bundesautobahn A 38 zwischen Göttingen
und Halle prognostizierte Verkehrsstärke wird sich erst
nach der Gesamtfertigstellung der neuen Autobahn einstellen. Da neben dem Bauabschnitt Breitenworbis-Bleicherode auch die Fertigstellung weiterer Teilstücke des
Verkehrsprojekts „Deutsche Einheit“ Nr. 13 nach dem
Jahr 2005 erfolgt, werden die Bundesautobahn A 38 und
die für den weiträumigen Verkehr noch benötigten Abschnitte der vorhandenen Bundesstraße B 80 im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 eine erheblich geringere
Verkehrsstärke aufweisen. Die Bundesstraße B 80 mit
circa 10 000 Kfz innerhalb von 24 Stunden ist im bundesweiten Vergleich für eine Bundesstraße nicht überdurchschnittlich hoch belastet. Die völlige Entlastung
vom überregionalen Verkehr ist zeitlich absehbar.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Sie sprechen von 10 000 Fahrzeugen pro Tag. Ich
kenne noch andere Zählungen. Auch nach Zählungen,
die vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben
worden sind, sind es 18 000 Fahrzeuge, davon ein Drittel
Schwerlasttransporte. Bei einer Verzögerung der Fertigstellung der Ortsdurchfahrten - es handelt sich um fast
reine Ortsdurchfahrten - machen insbesondere diese
Schwerlasttransporte den Anwohnern natürlich schwer
zu schaffen. Die Anwohner sorgen sich darum, was in
dieser Zeit geschieht, sowohl was die Lärmbelästigung
als auch was die anderen Folgen insbesondere der
Schwerlasttransporte angeht. Sie sehen also keine Möglichkeit, Frau Staatssekretärin - ich darf einmal nachfragen -, im Hinblick auf die Verzögerung der Fertigstellung irgendetwas zu tun, um die Anlieger von den zu
erwartenden Belastungen, die jedes Jahr steigen, ein wenig zu entlasten?
Ich kann die Anwohner sehr gut verstehen; ich wohne
an einer Straße, auf der 60 000 Kfz am Tag fahren. Aber
Sie müssen Folgendes sehen: Bei der Zählung mit dem
Ergebnis „10 000 Kfz“ handelt es sich um eine normierte Zählung. Dass man an bestimmten Tagen auf andere Mengen kommt, ist völlig klar. 10 000 Kfz pro Tag
sind im bundesweiten Vergleich sehr wenig. Vor allem
im Westen gibt es Bundesstraßen, auf denen pro Tag
mehr als 20 000 Kfz gezählt werden. Auch für die neuen
Bundesländer liegt die Zahl von 10 000 eher im Durchschnitt. Es besteht überhaupt keine gesetzliche Grundlage, um für die wahrscheinlich zwei Jahre der Verzögerung eine Erleichterung zu schaffen. Eine solche
Erleichterung - wenn Sie ganz ehrlich sind, werden Sie
mir darin auch zustimmen - wäre auch etwas, was gegenüber anderen nicht gerechtfertigt werden könnte.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, am Freitag dieser Woche wird
in Sollstedt von einer Bürgerinitiative, die bei der Planung bisher sehr konstruktiv mitgewirkt hat, eine Bürgerversammlung durchgeführt. Sind Sie oder ist jemand
anderes aus dem Ministerium, der auch ein bisschen in
der politischen Verantwortung steht, bereit, dort das, was
hier schlüssig dargelegt worden ist, noch einmal vorzutragen?
Ja. Wir werden den Leiter des zuständigen Gebietsreferates dorthin schicken. Er wird die gesamte Zeit dort
sein, die Position des Ministeriums noch einmal vertreten und für die Beantwortung aller Fragen zur Verfügung
stehen.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Hans-Joachim
Otto ({0}), die Frage 32 des Kollegen Michael
Kretschmer und die Frage 33 des Kollegen Albert
Rupprecht ({1}) werden schriftlich beantwortet.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Frau Staatssekretärin Mertens, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind damit auch am Schluss der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Aktuellen Stunde um 15.30 Uhr.
({2})
({3})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zum Eingeständnis des Bundesfinanzministers, dass er
2003 für den Bund mit über 40 Milliarden
Euro die höchsten Schulden in der Geschichte
der Bundesrepublik aufnehmen wird
Zur Geschäftsordnung erteile ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund.
Herr Präsident! Wir können die Bundesregierung gar
nicht zu ihrer Haltung befragen, weil sie nicht anwesend
ist. Ich frage jetzt den Präsidenten, wie wir verfahren
wollen.
({0})
Angesichts der Leere in den Bänken der Bundesregierung und der Rednerreihenfolge, die uns hier vorliegt,
stelle ich fest, dass der Finanzminister einmal mehr das
Parlament und damit auch die Öffentlichkeit scheut
({1})
und nicht Stellung zu dem von ihm verursachten Finanzdesaster nehmen will, über das jetzt hier im deutschen
Parlament und damit vor der deutschen Öffentlichkeit
diskutiert werden soll.
Ich beantrage daher im Namen meiner Fraktion die
Herbeizitierung des Bundesfinanzministers.
({2})
Soweit die Frage an den Präsidenten, wie man verfahren soll, nicht rhetorisch gemeint war - das hat sich ja
durch den im Anschluss daran gestellten Antrag eigentlich erledigt -, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, dass
eine Aktuelle Stunde nicht mit einer Befragung der Bundesregierung gleichzusetzen ist und das Parlament
selbstverständlich in Anwesenheit und auch in Abwesenheit von tatsächlich oder vermeintlich Betroffenen
diskutieren kann.
Es gibt jetzt aber einen förmlichen Antrag der CDU/
CSU-Fraktion auf Herbeizitierung des Bundesfinanzministers. Über diesen Antrag können wir nichtsdestoweniger abstimmen.
Zuvor zur Geschäftsordnung Frau Kollegin Hauer.
Ich beantrage, die Sitzung für eine außerordentlich
einzuberufende Sitzung des Ältestenrates zu unterbrechen.
({0})
Auch zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Koppelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bin etwas überrascht, dass die Koalitionsfraktionen es
angesichts eines Antrages, einen Bundesminister herbeizurufen, für notwendig halten, den Ältestenrat einzuberufen. Ich muss schon sagen, das ist etwas ungewöhnlich. Sie wollen doch nur Zeit schinden, um Ihre Leute
zusammenzurufen!
({0})
Anscheinend haben Sie kein Interesse, über dieses
Thema zu diskutieren.
Herr Präsident, wir unterstützen den Antrag der
Union. Es ist doch eine Zumutung für ein Parlament und
ziemlich ungewöhnlich, wenn ein Bundesfinanzminister
am Rande eines Parteitages der hessischen Sozialdemokraten so wichtige Entscheidungen wie die Erhöhung der
Neuverschuldung bekannt gibt, aber nicht bereit ist, hier
im Parlament Rede und Antwort zu stehen. Das geht
nicht.
({1})
Wir haben bereits vor Monaten darauf hingewiesen,
welche Risiken der Haushalt 2003 birgt. Die Fraktion
der FDP hat bereits im Februar den Minister aufgefordert, den Haushalt zurückzuziehen und neu zu bearbeiten, weil bereits damals die Risiken abzusehen waren.
Die Koalition hat das durch ihre Redner mit Vehemenz
bestritten. Der Bundesfinanzminister war damals nicht
bereit, Rede und Antwort zu stehen. Heute muss er Rede
und Antwort stehen. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Union auf Herbeirufung von Minister Eichel.
({2})
Weitere Wortmeldungen zur Geschäftsordnung liegen
nicht vor. Der Antrag ist gestellt. Gleichzeitig liegt der
Antrag einer Fraktion zur Unterbrechung der Sitzung
zwecks Einberufung des Ältestenrates vor.
Ich empfehle Folgendes: Erstens besteht kein Zweifel, dass über den Antrag abzustimmen ist. Zweitens haben wir die ständige Praxis, dass wir dem Wunsch auf
Unterbrechung der Sitzung, wenn er von Fraktionen geäußert wird, Rechnung tragen. Für eine Einberufung des
Ältestenrates kann ich selbst bei großzügigster Auslegung der Geschäftsordnung keinerlei Bedarf erkennen.
({0})
Um dem nachvollziehbaren Anliegen der antragstellenden Fraktion entgegenzukommen, empfehle ich, die Sitzung für 15 Minuten zu unterbrechen, anschließend über
den Geschäftsordnungsantrag abzustimmen, den die
CDU/CSU-Fraktion gestellt hat, und dann in die Aktuelle Stunde einzutreten.
({1})
Die Sitzung ist bis 15.50 Uhr unterbrochen.
({2})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der CDU/CSU zur Aktuellen Stunde, den
Bundesminister der Finanzen herbeizurufen. Wer diesem
Geschäftsordnungsantrag zustimmen möchte, den bitte
ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Wer enthält
sich der Stimme? - Damit ist der Antrag abgelehnt.
({0})
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Aktuelle
Stunde dennoch stattfindet. Es wäre schön, wenn die anwesenden Kolleginnen und Kollegen klären könnten,
wer an dieser Debatte teilnehmen will und wer wegen
Ausschusssitzungen zurück in die damit verbundenen
Beratungen muss.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
diese Debatte beantragt, weil wir der Auffassung sind,
dass das deutsche Volk schonungslos über die Situation
der Staatsfinanzen unseres Landes aufgeklärt werden
muss.
({0})
Wir hatten gefordert, diese Aufklärung in Anwesenheit
eines der Hauptverantwortlichen, nämlich in Anwesenheit des Bundesfinanzministers, durchzuführen. Viele
sind herbeigeeilt - gewissermaßen hergelaufen -, die
verhindern wollten, dass der Finanzminister selber
kommt. Offensichtlich versteckt er sich hinter Bataillonen leerer Sparschweine in seinem Büro.
({1})
Ich finde dieses Verhalten ausgesprochen unparlamentarisch, um es nicht schlimmer, nämlich peinlich
und feige, zu nennen. Wir erwarten, dass der Finanzminister die volle Verantwortung für das übernimmt, was er
in den letzten viereinhalb Jahren angerichtet hat.
Deutschland befindet sich in einer desaströsen Finanzsituation, in einer Finanzkrise.
Der Bundesfinanzminister ist der Architekt dieses
finanziellen Lügengebäudes beim Generalunternehmer
Gerhard Schröder. Ich meine, man muss deutlich sagen,
dass er als Schuldenmeister die Verantwortung für die
Situation, in der wir uns in diesem Jahr befinden - die
Höhe der Verschuldung ist absoluter Nachkriegsrekord -, trägt. Die Situation ist deshalb so dramatisch,
weil sie zu einer dauerhaften Belastung der nachfolgenden Generationen führt.
({2})
Damit ist offensichtlich auch der zweite rot-grüne
Finanzminister gescheitert.
({3})
Man kann jetzt darüber diskutieren, ob der Bundesfinanzminister das, was an Wahrheiten jeden Tag neu herauskommt, wusste oder nicht. Er hat vor kurzem gesagt,
das hätte jeder seit zwei Monaten wissen können. Solche
Erklärungen gibt er in Talkshows ab oder am Rande von
Veranstaltungen seines Ortsvereins, aber nicht hier im
Parlament. Bei seinen parlamentarischen Vorlagen, beim
Haushaltsentwurf für das kommende Jahr, beim Verweigern des Nachtragshaushalts für dieses Jahr gaukelt er
den Menschen nach wie vor vor, dass wir die MaastrichtKriterien einhalten und uns auf der Ebene eines verfassungsgemäßen Haushalts befinden. Nein, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Haushaltswahrheit, Haushaltsklarheit und Haushaltsvollständigkeit sind im rot-grünen
Haushaltssumpf untergegangen.
({4})
Diese haushaltspolitische Geisterfahrt muss beendet
werden.
Was ist denn in den vergangenen fünf Jahren tatsächlich
eingetreten? Wir hatten eine ständige Abwärtsbewegung
beim wirtschaftlichen Wachstum. Wir hatten eine Aufwärtsbewegung bei den Arbeitslosenzahlen und eine entsprechende Aufwärtsbewegung bei den Schulden. Das
tatsächliche gesamtstaatliche Defizit tendiert in diesem
Jahr gegen 100 Milliarden Euro. Sie kennen alle die Richterskala für Erdbeben. Ich würde sagen: Auf der nach
oben offenen Eichel-Skala haben wir durchaus noch Luft,
um diesen Wert im nächsten Jahr zu toppen. Wenn Ihre
Politik so weiter betrieben wird, wird Eichel im nächsten
Jahr - wenn er dann noch im Amt ist, was ich beklagen
würde - diese Marge noch übertreffen, weil die Zahlen
dieses Jahres die Basis für die weitere Entwicklung sind.
({5})
Das werden die Steuerschätzung Anfang November und
die Erörterung der einen oder anderen Vorlage im Vermittlungsausschuss bestätigen.
Unsere Meinung dazu ist seit Monaten klar:
({6})
Ich könnte Ihnen die Presseerklärungen vom Januar, vom
März und vom Mai dieses Jahres vorlegen, in denen unsere Haushälter jeweils deutlich gemacht haben, dass die
Schulden dieses Jahres, Frau Kollegin Lehn, mindestens
doppelt so hoch sein werden wie von der Bundesregierung im Haushaltsaufstellungsverfahren angenommen.
({7})
Dabei wird ein wesentlicher Teil der Daten, die Sie alle
kennen müssten, von Ihnen immer noch verschleiert. Jeden Tag geht das Wirrwarr weiter. Ich will nur einen einzigen Punkt erwähnen: Gestern und vorgestern haben wir in
der Zeitung gelesen, dass möglicherweise Versicherungsunternehmen in Abweichung von dem geltenden, im
Jahre 2000 beschlossenen Recht um 5 bis 10 Milliarden
Euro entlastet werden sollen, weil das Halbeinkünfteverfahren, das wir von Anfang an für eine Missgeburt gehalten haben, bei ihnen nicht mehr angewendet werden soll.
Jetzt soll Gesetzgebung auf Zuruf von Interessenverbänden gemacht werden. Daran können Sie erkennen, wieweit
es mit der Achtung der Regierung vor dem Parlament hinsichtlich der Gesetzgebungsverfahren gekommen ist.
({8})
Alles das, was Sie an Basis für den Haushalt des kommenden Jahres am Freitag vorlegen werden, ist lückenhaft, ist nicht einmal ein Torso, ist in Teilbereichen eine
gewaltige Belastung für Bürger und Betriebe, und zwar
selbst unter Einbeziehung des Vorziehens der Steuerreform. Angesichts der desaströsen Lage der Rentenversicherung - es ist ja nicht so, dass Sie nur die Finanzen
des Bundes durcheinander gebracht haben; Sie haben
auch dazu beigetragen, dass die Rentner auf absehbare
Zeit nicht mehr mit Zuwächsen rechnen können - haben
wir immer gesagt: Es müssen folgende Entscheidungen
getroffen werden: Haushaltssperre, Nachtragshaushalt,
sofortiger Kassensturz, wirkliche Sparmaßnahmen. Dies
alles haben Sie immer verweigert.
Deswegen gilt: Sie haben zwar den Architekten dieses
Lügengebäudes, aber Sie tragen mit dem Generalunternehmer und den Fraktionen der Koalition die Verantwortung.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesministerium der Finanzen, Karl Diller.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Dem Haushalt 2003 liegt die Annahme eines
realen wirtschaftlichen Wachstums von 1 Prozent zugrunde. Diese Annahme lag zu der damaligen Zeit
({0})
ziemlich dicht an der Prognose des Ifo-Instituts vom
März, welches damals ein wirtschaftliches Wachstum
von 0,9 Prozent unterstellte.
Die Nachwirkungen des Irakkrieges ergaben ein
schwächeres Wirtschaftswachstum, sodass die gegenwärtigen Prognosen bei 0 bis 0,2 Prozent liegen.
({1})
Bezüglich der Folgen muss man wissen: Der Bundeshaushalt ist im Unterschied zu allen Länderhaushalten
und allen Kommunalhaushalten von der konjunkturellen
Entwicklung im Positiven wie im Negativen jeweils
doppelt betroffen, weil wir die konjunkturelle Entwicklung sowohl auf der Einnahmeseite als auch auf der Ausgabenseite ganz drastisch in einer Milliardengrößenordnung spüren. Auf der Einnahmeseite bedeutet schlechtes
wirtschaftliches Wachstum, dass uns die Steuereinnahmen wegbrechen. Auf der Ausgabenseite bedeutet
schlechtes wirtschaftliches Wachstum Mehrausgaben
beim Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit und
Mehrausgaben bei der Arbeitslosenhilfe, die zu 100 Prozent aus dem Bundeshaushalt bezahlt wird.
({2})
Wie sahen die Maßnahmen aus, über die wir im Rahmen des Haushalts 2003 beraten haben? Es waren die
Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss, die in den
Beratungen dankenswerterweise die Aufgabe übernommen haben, CDU/CSU-Anträge auf Mehrausgaben in
der Größenordnung von 3 Milliarden Euro, die nicht gedeckt bzw. kreativ gedeckt waren,
({3})
abzulehnen.
({4})
Die Koalition blieb seriös, während Sie unseriös waren
und Wünsche für Mehrausgaben für Bundeswehr, Beamte, Landwirtschaft und für alle möglichen Gruppen
Ihrer Wählerinnen und Wähler meinten anmelden zu
müssen.
({5})
Diese Koalition hat all ihre Wünsche mit entsprechenden Mehrausgaben auch finanziert. Ich erinnere nur
an die Mehrausgaben für das Programm zur Beschäftigung jugendlicher Arbeitsloser, JUMP plus, und für das
Programm zur Beschäftigung von 100 000 Langzeitarbeitslosen in der Größenordnung von 165 Millionen
Euro.
({6})
Diese Koalition hat die Mehrausgaben an anderer Stelle
eingespart. Das ist solide Haushaltspolitik.
({7})
Der Nachtragshaushalt für das Jahr 2003 wird derzeit
aufgestellt; Herr Kollege Austermann, was Sie angesprochen haben, darüber haben wir vorhin im Haushaltsausschuss diskutiert.
({8})
Die Regierung hat Ihnen im August den Finanzplan vorgelegt. Im Finanzplan ist deutlich zu lesen, dass sich die
Verschuldung entgegen der Annahme aus dem Haushaltsplan verdoppeln wird. Der Grund ist die Wachstumsschwäche. Wir werden in der nächsten Woche eine
neue Wachstumsschätzung vorliegen haben und werden
daraus Folgerungen für die Einnahme- und Ausgabeseite
des Haushaltes ziehen müssen. Deswegen ist es wahrscheinlich - aber noch nicht belastbar -, dass die Nettokreditaufnahme bei bzw. über 40 Milliarden Euro liegen
wird.
({9})
Nun hat Kollege Austermann gemeint - im Antrag
kommt das auch zum Ausdruck -, einen Vergleich mit
dem Jahr 1996 ziehen zu können, als Sie die bis heute
größte Nettokreditaufnahme zu verantworten hatten.
({10})
Damals lag sie bei 40,02 Milliarden Euro, trotz eines
Wirtschaftswachstums von real 1,4 Prozent.
({11})
Heute haben wir Stagnation und deswegen eine ähnlich
hohe Nettokreditaufnahme.
({12})
Nun hat der Kollege Austermann auch noch gemeint,
einen längeren Zeitraum ins Auge fassen zu können. Sie
haben eben darauf hingewiesen, dass wir im fünften Jahr
Verantwortung tragen.
({13})
Wenn wir einen vergleichbar langen Zeitraum Ihrer Regierungszeit nehmen und die letzten fünf Jahre Ihrer Regierungszeit betrachten - das sind die Jahre 1994 bis
1998 -, dann müssen wir feststellen, dass Sie in diesen
Jahren insgesamt 152,7 Milliarden neue Schulden gemacht haben.
({14})
Wenn wir diese Zahl toppen wollten, müsste die Neuverschuldung in diesem Jahr bei über 48 Milliarden Euro
liegen. Sie wird darunter liegen, und zwar deutlich.
({15})
Sie müssen noch folgenden Punkt berücksichtigen:
Zum Schließen des Haushaltsloches kann man nicht nur
neue Schulden machen, sondern man kann auch Vermögensanteile verkaufen.
({16})
Die damals regierende Koalition hat im Zeitraum 1994
bis 1998 neben der Aufnahme dieser gigantischen Schulden zur Schließung von Haushaltslöchern weitere
14,76 Milliarden, im Wesentlichen Telekom-Aktien,
verkauft.
({17})
Bei uns sind das nur 8 Milliarden und damit 6 Milliarden
weniger. Deswegen sehen wir auch in diesem Vergleich
deutlich besser aus.
({18})
Lassen Sie mich noch einmal den Grund nennen: Der
Grund, dass wir trotz der schwierigen Entwicklung in
diesem Jahr sowohl auf das Jahr als auch auf einen längeren Zeitraum bezogen besser aussehen, als Sie damals
aussahen,
({19})
liegt darin, dass diese Koalition im Jahre 1999, dem ersten Jahr ihrer Regierungszeit, die Kraft hatte, gegen Ihre
Stimmen ein Konsolidierungsprogramm zu beschließen,
({20})
durch das im ersten Jahr 15 Milliarden Euro eingespart
werden konnten. Dieses wirkt noch bis heute fort.
({21})
Die Umsetzung dieses Programms erbrachte Einsparungen bzw. Mehreinnahmen von bisher 25 Milliarden Euro
jährlich.
({22})
Diese Konsolidierung zugunsten des Bundeshaushaltes
setzt sich weiter fort.
Unsere Folgerungen sind: Wir befinden uns unbestritten in einer wirtschaftlich und damit haushälterisch
schwierigen Situation.
({23})
Unsere Vorschläge zur Lösung dieser Situation liegen
auf dem Tisch.
({24})
Ich nenne die Strukturreformen.
({25})
Wir werden im Haushaltsausschuss sehen, wie Sie abstimmen. Daneben nenne ich die Konsolidierungsmaßnahmen. Wir werden schauen, wie Sie abstimmen.
({26})
Schließlich setzen wir Impulse für mehr Wachstum.
Auch hier sind wir gespannt, wie Sie abstimmen.
({27})
Sie stehen mit in der Verantwortung. Dieser Verantwortung können Sie sich nicht entziehen. Spätestens im
Vermittlungsausschuss müssen Sie Farbe bekennen.
({28})
Nächster Redner ist Dr. Günter Rexrodt für die FDPFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr
Bundesfinanzminister ist wahrscheinlich schon wieder
irgendwo unterwegs, um den Leuten zu erzählen, dass
die exorbitante, astronomische Neuverschuldung auf die
insgesamt schlechte Wirtschaftslage in unserer Welt zurückzuführen ist. Herr Diller betet das hier für ihn nach.
Es ist im Kern wahr, dass die Wirtschaftslage schlecht
ist, wodurch sich Auswirkungen auf den Haushalt ergeben und die Arbeitslosigkeit hoch ist. Herr Diller, die
schlechte Wirtschaftslage ist aber doch nicht von Gott
gegeben. Das ist eine hausgemachte Angelegenheit. Dies
haben Sie zu verantworten.
({0})
Sie tragen in dieser Republik seit fünf Jahren Verantwortung. Nun sagen Sie, dass die Weltwirtschaft
schlecht ist, was Auswirkungen auf die Verschuldung
hat.
({1})
Wissen Sie, dass von der Weltwirtschaft - so schlecht sie
im Vergleich zu den Vorjahren auch sein mag - expandierende Impulse auf die deutsche Wirtschaft ausgehen?
Jeweils bezogen auf den Vergleichszeitraum sind die
Exporte zwischen 1999 und 2002 gestiegen, und zwar
zunächst um 5,1 Milliarden Euro bis schließlich um
6,9 Milliarden Euro; bei den Exporten geht es um Billionen. Im Jahre 2003 werden sie, bezogen auf den Vergleichszeitraum, noch einmal um 7 Milliarden Euro steigen. Die Exporte wachsen, die Weltwirtschaft beflügelt
die deutsche Wirtschaft. Ursache für die katastrophale
Entwicklung der Nettoneuverschuldung und des Haushalts ist die Tatsache, dass Sie eine strukturelle Sanierung der Haushalte nie konsequent angepackt haben.
({2})
Herr Diller, Sie beschwören hier die alten Zeiten.
1999 und 2000 haben Sie im Wesentlichen von Privatisierungserlösen gelebt, die Sie durch Privatisierungen,
die von uns gegen Ihre Stimme durchgesetzt wurden, erzielt haben. Diese haben Sie in die Lage versetzt, die
Nettoneuverschuldung ein Stück zurückzuführen.
({3})
Ihre Politik in den ersten Jahren war sehr fehlerhaft;
das ist ja sogar vom Bundeskanzler zugegeben worden.
Sie haben das, was - zögerlich; ich bin da ganz fair - wir
in Gang gebracht hatten, wieder aufgehoben. Ich nenne
die Veränderungen bei der Lohnfortzahlung, die Abschaffung der demographischen Komponente in der
Rentenversicherung - das waren Ihre Entscheidungen -,
den Feldzug gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit, die Pflicht zum Angebot von Teilzeitarbeit und vieles andere mehr.
Das Wesentliche hat aber der Bundesfinanzminister
verschuldet: Der Spitzensatz bei der Körperschaftsteuer
wurde zwar auf 25 plus 13, also auf 38 Prozent, gesenkt
- so weit, so gut -, aber die Belastung für die mittelständischen Unternehmen wurde bei 48,5 Prozent belassen.
Diese Spreizung, Herr Diller, ist die Ursache dafür, dass
die mittelständische Wirtschaft verdrossen ist und dass
das Vertrauen in die Politik dieser Bundesregierung völlig verloren gegangen ist.
({4})
Nun wollen Sie das mit dem Vorziehen der dritten
Stufe der Steuerreform wieder gutmachen. Mittlerweile
versteht kein Mensch mehr - darüber werden wir am
Freitag sprechen -, was Sie überhaupt wollen. Die Verstimmung ist groß und der Verdruss nimmt zu. Eines
haben Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, noch nicht registriert: Das ständige
Wiederaufflackern der Diskussion um die Erhöhung der
Erbschaftsteuer und um die Wiederbelebung der Vermögensteuer ist die Hauptursache dafür, dass der Mittelstand niemanden mehr einstellt. Diese Verdrossenheit
und dieser Ärger sind ursächlich für den Rückgang der
Beschäftigtenzahlen.
({5})
Wer so Politik macht, braucht sich nicht zu wundern,
dass die Wirtschaft in Deutschland lahmt, die Steuereinnahmen wegbrechen, die Arbeitslosigkeit ein historisches
Hoch erreicht hat, die Neuverschuldung exorbitante Ausmaße annimmt, der Haushalt verfassungswidrig ist und
sich diese Bundesregierung zum dritten Mal anschickt,
völkerrechtlich verbindliche Verträge über die Verschuldung eines Landes ganz bewusst zu brechen. Das ist das
Ergebnis Ihrer Politik. Das müssen Sie sich und niemand
anderes vorhalten lassen.
({6})
Ich erteile das Wort der Kollegin Anja Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Beim Haushalt 2003 wird es wohl auf eine Höchstverschuldung hinauslaufen. Das ist
({0})
in den letzten Tagen noch deutlicher geworden. Da die
Opposition kritisch einen Nachtragshaushalt angemahnt
hat, haben wir darüber schon länger gesprochen.
({1})
- Ich sage gleich etwas zum Handeln. Das ist ein wichtiger Punkt.
Diese Situation mit ihren Risiken und diese negative
Entwicklung haben wir nicht verleugnet. Sie haben uns
immer vorgehalten, wir müssten die Höhe des Nachtragshaushaltes rechtzeitig darlegen. Wir haben immer
darauf verwiesen - das möchte ich zu dem Vorwurf sagen, der Haushalt laufe aus dem Ruder -, dass wir in vielen Bereichen konsolidiert haben. In zwei Bereichen
- sie sind für diese riesige Neuverschuldung, mit der wir
in 2003 rechnen müssen, ausschlaggebend - können wir
aufgrund der konjunkturellen Situation nicht mehr einsparen. Vom Kollegen Rexrodt ist in einer anderen Debatte befürwortet worden, dass man in einer stagnativen
Entwicklung nicht übermäßig sparen darf.
Es ist nun einmal so: Die Steuereinnahmen lassen
sich nicht weiter erhöhen und bei der Bundesanstalt für
Arbeit ist aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit ein großes
finanzielles Loch entstanden, das sich dramatisch vergrößert. Dafür muss sich die Regierung verantworten. In
diesem Bereich akzeptiere ich auch Ihre heftige Kritik.
Diese Bereiche, der hohe Zuschuss für die Bundesanstalt
für Arbeit aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und die
fehlenden Steuereinnahmen, sind der Grund für die hohe
Neuverschuldung.
({2})
- Das hat mit der hohen Arbeitslosigkeit zu tun.
Ich habe diese Punkte angeführt, weil ich der Öffentlichkeit klar machen will, dass dieser Haushalt nicht an
allen Ecken und Enden auseinander klafft, sondern nur
an wenigen, aber dafür entscheidenden Stellen aus dem
Ruder läuft. Die Frage ist: Wie gehen wir damit um?
Ich möchte zu Ihrem Verhalten ein paar Worte sagen.
Nach drei Jahren Stagnation müssen wir bei der Neuverschuldung in der Tat einen traurigen Rekord verantworten. Sie machen uns den Vorwurf, die Probleme seien
hausgemacht.
({3})
Dieser Vorwurf wird von der Bevölkerung durchaus geteilt.
({4})
Ich möchte Sie jetzt für einen gewissen Realismus und
die Einsicht gewinnen, dass sich das „Hausgemachte“
der Probleme nicht nur auf die Regierungszeit von RotGrün bezieht, sondern sich auf eine Politik der Regierungen bezieht, die über einen Zeitraum von mindestens
15 Jahren Verantwortung getragen haben.
({5})
Die Bevölkerung ist unter schwierigen Bedingungen
und mit widerstreitenden Gefühlen bereit, Strukturveränderungen mitzumachen. Sie weiß, dass wir viele
grundsätzliche, strukturelle Probleme haben. Das betrifft Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, bei der
Rentenversicherung und der Krankenversicherung. Mit
der Behauptung, diese Probleme seien hausgemacht und
auf die Regierungszeit von Rot-Grün zurückzuführen,
locken Sie keine Wähler hinter dem Ofen hervor. Das
fällt auf uns alle zurück. Wir sind noch nicht da, wohin
wir müssen. Diese Ehrlichkeit dürfen die Bürgerinnen
und Bürger von uns, aber auch von Ihnen erwarten.
({6})
- Sie sind immer so polemisch und geben uns die
Schuld. Das kommt nicht mehr an.
({7})
Ich möchte noch eines mit Blick auf den Einwurf, der
aus Ihren Reihen kam - wie man denn das Problem lösen solle -, sagen. Um den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten, müssen wir in den Bereichen, die ich aufgezählt
habe, in allen Bereichen, die unsere sozialen Sicherungssysteme betreffen, Veränderungen vornehmen.
({8})
Wir tun das.
Jetzt möchte ich etwas zu dem Vorwurf des Zickzackkurses sagen.
({9})
- Das mache ich gerne, weil das erst recht auf Sie, Herr
Kampeter, zurückfällt.
Wer in Bezug auf die Reformen und die Richtung, in
die es gehen muss, einen sagenhaften Zickzackkurs hinlegt, das ist die CDU/CSU. Extremer geht es gar nicht,
wie Sie in die Ecken segeln und keine Linie haben.
({10})
Das ist nicht so schlimm, weil Sie im Moment bei Gesetzesinitiativen nicht in die Vorlage treten müssen. Aber
Sie lehnen sich wohlgefällig zurück, obwohl wir eine
schwierige Situation haben.
Ein Letztes zum Wort Zickzackkurs im engeren Blick
auf diesen Haushalt. Es ist notwendig, dass wir eine
Konsolidierung hinkriegen. Es ist auch notwendig, dass
wir parallel dazu Steuerreformvorhaben voranbringen.
Wenn man aber ein einfacheres Steuersystem mit niedrigen Tarifen haben will, dann darf man keinen Zickzackkurs einschlagen und beim Subventionsabbau zurückrudern, wie es die Opposition immer wieder tut, und das
falsche Argument von „linke Tasche, rechte Tasche“
bringen. Ich bitte Sie, da keinen Zickzackkurs zu fahren.
Wenn Sie ein einfaches Steuersystem und eine Konsolidierung haben wollen, dann machen Sie beim Subventionsabbau mit.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
Das würde etwas mehr Perspektive für die Zukunft
schaffen. Wir haben noch einen langen, schweren Weg
vor uns.
({0})
Danke schön.
({1})
Nun hat das Wort der Kollege Steffen Kampeter,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Redebeitrag meiner Vorrednerin war schon
erstaunlich. Als ob die CDU/CSU in den vergangenen
Jahren nicht in jeder Haushaltsdebatte, in jeder wirtschaftspolitischen Debatte auf die Risiken der verfehlten
rot-grünen Politik hingewiesen hätte.
({0})
Eines will ich Ihnen sagen: Unterstützt wurden wir
dabei von Ihrem Amtsvorgänger Metzger, der in der Regel immer unseren Argumenten zugestimmt hat. Er hat
anders gehandelt, weil sich die Grünen nie entscheiden
können, ob sie Regierung oder Opposition sind. Aber so
zu tun, als ob Sie in den letzten 14 Tagen als Erste in
Deutschland die Risiken für Haushalt, Wirtschaft und
Zukunftsentwicklung entdeckt hätten, ist schlichtweg
eine Unverschämtheit, die ich zurückweisen möchte.
({1})
Mit diesem Wechsel der Grünen zwischen Regierung
und Opposition bei jeder Debatte wird vielleicht eine
Aussage bald Wahrheit, die gestern im „Handelsblatt“ zu
lesen war. Mit „Eichel ist Vergangenheit“ war ein Artikel überschrieben. Hoffentlich wird es bald so weit kommen.
({2})
Denn dann wäre Vergangenheit, dass wir in Deutschland
keinen Buchhalter mehr und endlich einen Finanzminister haben, der Konsolidierung so begreift, wie man sie
begreifen müsste, nämlich als wirtschaftspolitische Aufgabe und nicht als buchhalterischen Steuerungstrick, der
mit dem Nachkriegsrekord der Neuverschuldung von
knapp 42 Milliarden Euro zum gegenwärtigen Zeitpunkt
gescheitert ist.
({3})
Früher konnte man als deutscher Finanzminister noch
den anderen europäischen Staaten Ratschläge geben.
Heute dagegen werden wir europaweit milde belächelt.
Ein wichtiges Argument bei der schwedischen Abstimmung gegen den Euro war, dass Länder wie Deutschland
den Euro schwächen. In der Verantwortung des Herrn
Eichel ist der deutsche Beitrag zur Stabilität des Euro so
reduziert worden, dass er als Argument gegen die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung in
dem Industrieland Schweden angeführt wird. Das ist die
Wahrheit über die Bilanz Ihrer Politik, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({4})
Wenn die Regierung nicht mehr aufzubieten hat als
den Staatssekretär Diller, der das personifizierte Leiden
ist, ist das schon Selbstanklage genug. Aber ich halte es
für eine Missachtung des Parlaments, dass zum selben
Zeitpunkt, zu dem wir angesichts des Nachkriegsrekords
in der Verschuldung um die besseren Wege für die Zukunft ringen,
({5})
der Bundesfinanzminister vor einem Lobbyverband eine
von „Phoenix“ übertragene Rede hält. Dass er segnend
durch das Land zieht, während wir uns hier in den parlamentarischen Pflichten ergehen, ist eine Missachtung
des Parlaments, die wir empört zurückweisen müssen.
({6})
Der Kollege Austermann hat schon relativ frühzeitig
einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr 2003 gefordert. Wenn ein Nachtragshaushalt etwas bewirken
und zu einer Umsteuerung führen soll, dann muss er
möglichst früh eingebracht werden. Es geht nicht darum,
am Jahresende sozusagen notariell zu bestätigen, dass
man gescheitert ist. Ein Nachtragshaushalt ist vielmehr
die gesetzgeberische Möglichkeit, Haushaltspolitik mit
der Wirtschaftspolitik gleichzusetzen und während des
laufenden Haushaltsjahres Einsparungen vorzunehmen.
All diese Chancen hat der Bundesfinanzminister verpasst. Er tritt wie ein Notar und ein Buchhalter auf und
ist ein Schaden für die Haushaltspolitik dieses Landes.
({7})
Man kann kaum noch von Haushaltslöchern sprechen; es
sind vielmehr riesige Haushaltskrater, die von Tag zu
Tag größer werden.
Allein diese Woche beraten wir im Finanz- und Haushaltsausschuss ein knappes Dutzend finanz- und steuerpolitische Gesetzentwürfe. Ihnen allen ist gemein, dass
der Bundesfinanzminister in der Auseinandersetzung mit
seiner Regierung unterlegen ist. Ich nenne als Beispiele
die Tabaksteuer, bei der er balbiert worden ist, und das
Hin und Her bei der Rentenversicherung, zu dem es jeden Tag eine andere Meldung gab. Mal hatte Eichel
2 Milliarden, mal fehlten sie ihm.
({8})
Ein Finanzminister, der im Kabinett den Stellenwert eines Hausmeisters hat, ist ein Schaden für ein Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland.
({9})
Deswegen ist unsere Auffassung, dass der Bundeskanzler, der der Generalunternehmer dieses Chaosunternehmens ist, endlich handeln sollte. Er sollte seinen Finanzminister entlassen. Er sollte Deutschland von dieser
finanzpolitischen Plage befreien und endlich auf die Vorschläge der Union eingehen, die wir beispielsweise in
dieser Woche unter dem Stichwort „Herzog-Kommission“ offensiv diskutieren.
({10})
Er sollte darauf eingehen, dass endlich die Angebotsseite unserer Volkswirtschaft auf dem Arbeitsmarkt - wir
diskutieren in diesem Zusammenhang über das HartzKonzept - reformiert werden sollte. Er sollte von seiner
Buchhaltermentalität Abstand nehmen und offen zeigen,
dass Steuerpolitik aus etwas anderem bestehen kann, als
Steuererhöhungen vorzunehmen, abzukassieren und die
Leute so zu quälen, dass sie keine Lust mehr haben, in
diesem Land zu arbeiten.
({11})
Ich will mit einer Überschrift aus der „Süddeutschen
Zeitung“ schließen, die über die Haushaltspolitik von
Rot-Grün schreibt: „Plünderer am Werk“.
({12})
Es war einer der politischen Gassenhauer, SPD als Abkürzung für „Sie plündern Deutschland“ zu bezeichnen.
Dieser Finanzminister ist der Beweis dafür, dass dieser
Spruch zutrifft.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Carsten Schneider, SPDFraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir beraten heute zum wiederholten Male den
Bundeshaushalt und die implizierte Neuverschuldung
für 2003. Wir kommen gerade aus einer Sitzung des
Haushaltsausschusses, in der wir uns mit dem Haushaltsbegleitgesetz beschäftigt haben, mit dem für den Haushalt 2004 wichtige einschneidende und maßgebliche
Vorkehrungen und Veränderungen innerhalb der Haushaltsstruktur vorgesehen werden.
Sie weigern sich, an dieser Debatte teilzunehmen. Sie
haben sich auch verweigert, als wir den Haushalt 2003
beraten haben. Sie haben - der Kollege Diller hat es erwähnt - Forderungen zur Gegenfinanzierung in Milliardenhöhe vorgelegt. Dass Sie heute behaupten, mit all
dem nichts zu tun zu haben, ist ein Skandal.
({0})
Schließlich reißen nicht nur wir im Bundeshaushalt die
Latte bei der Nettokreditaufnahme - leider - in sehr bedenklicher Höhe. Das ist auch in den Landeshaushalten
so. Wenn Sie sich den Bericht des Bundesfinanzministeriums über die Halbjahreszahlen anschauen, dann werden Sie feststellen, dass in manchen Landeshaushalten
schon nach einem halben Jahr der eigentlich geplante
Kreditrahmen für das ganze Jahr ausgeschöpft ist.
Die Ursachen, warum die Situation im diesjährigen
Bundeshaushalt so angespannt ist, hat Kollege Diller
bereits dargestellt. Im Bundeshaushalt schlagen sich
nämlich sowohl die schwache Konjunktur in Form von
Steuermindereinnahmen als auch die gestiegenen Arbeitsmarktausgaben nieder. Dass die Situation in den
Landeshaushalten genauso angespannt ist
({1})
- Herr Fromme, Niedersachsen ist davon genauso betroffen wie Hessen -,
({2})
ist meines Erachtens ein Beweis dafür, dass dies nichts
damit zu tun hat, wer regiert, sondern mit den Entscheidungen, die wir auch im Deutschen Bundestag getroffen
haben.
({3})
Im Jahr 2003 lag der Entwurf eines Steuervergünstigungsabbaugesetzes vor. Wenn dieser angenommen
worden wäre, dann hätte das Mehreinnahmen für Bund,
Länder und Gemeinden in Milliardenhöhe bedeutet. Wir
haben den Bundeshaushalt auf der Grundlage dieses Gesetzes aufgestellt. Ich erinnere mich noch an die Debatte
vom 2. April dieses Jahres. Ich habe damals an Sie, die
Sie die Mehrheit im Bundesrat haben, appelliert, diesem
Entwurf zuzustimmen. Da Sie das aber nicht getan haben, haben Sie den Bundeshaushalt und natürlich auch
die Länderhaushalte mit vor die Wand gefahren. Auch
Sie haben ein Stück weit Verantwortung in den Ländern
und den Kommunen zu tragen.
({4})
Herr Kollege Kampeter, Sie haben von den Vorschlägen gesprochen, die die Union vorgelegt hat. Sie haben
unter anderem auch die Herzog-Pläne genannt. Das, was
Sie dazu im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt
gesagt haben, halte ich für Ihre extremste Aussage; denn
die Herzog-Pläne gehen meines Erachtens - wenn ich
nicht richtig informiert bin, können Sie mich gern korrigieren - von Mehrausgaben für den Bundeshaushalt in
Höhe von 36 Milliarden Euro im Minimum aus. Vielleicht ist es noch mehr.
({5})
Herr Kampeter, wie soll es möglich sein, zusätzlich
36 Milliarden Euro für Leistungen der sozialen Sicherungssysteme in den Bundeshaushalt einzustellen?
({6})
Wenn man das täte, würde das Defizit noch größer werden. Deshalb kann man solche Vorschläge nur ablehnen.
({7})
Wenn es darum geht, das wirtschaftliche Wachstum
zu stimulieren, dann stehen Sie von der Union immer auf
der Seite der Blockierer und der Verhinderer.
({8})
Ich möchte Ihnen als Beispiel nur die Gesundheitsreform
und das Stichwort „Meisterzwang“ nennen. Wir haben
diesbezüglich Vorschläge gemacht, um eine stärkere
wirtschaftliche Dynamik in unserem Land zu entfalten.
({9})
Aber Ihnen gelingt es nicht, sich über die Belange Ihrer
Klientel hinwegzusetzen und die Interessen unseres Landes zu berücksichtigen und zu verteidigen.
({10})
Daher gebührt Ihnen ein großer Anteil an den jetzt vorliegenden Ergebnissen.
Wenn ich Ihre Vorschläge den Subventionsabbau betreffend anschaue, dann stelle ich fest, dass Sie zum Beispiel die Einsparungen, die Sie im Bereich der Steinkohle erzielen wollen, zehnmal in anderen Bereichen
investieren wollen. Das führt letztlich nicht zu Einsparungen. Früher war für die PDS der Verteidigungshaushalt die Sparbüchse. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit einer
solch unsoliden Finanzpolitik werden Sie keinen Blumentopf gewinnen.
({11})
Zum Schluss: Herr Austermann hat der „taz“ ein sehr
interessantes Interview gegeben, das in der heutigen
Ausgabe erschienen ist und aus dem ich zitieren möchte.
Die Frage lautet:
Theo Waigel, Finanzminister der Union, hat sich
1996 den damaligen Schuldenrekord von umgerechnet 40 Milliarden Euro geleistet. War auch
Waigel voll verantwortlich?
Die Antwort von Herrn Austermann lautet:
Damals gab es eine einmalige Situation, die bedingt
war durch Weltwirtschaftskrise, Asienkrise und die
Folgewirkungen der Wiedervereinigung.
({12})
Lieber Kollege Austermann, Sie hätten auch den Irakkrieg nennen können; denn die Asienkrise begann erst
1997, hatte ihren Höhepunkt im Jahre 1999 und hatte somit keine Auswirkung auf den Bundeshaushalt 1996.
Ich erkenne an, dass Sie damals - wie wir heute beim Bundeshaushalt von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig waren. Auch wir haben Prognosen
zugrunde gelegt, die leider nicht eingetreten sind. Deshalb appelliere ich an Sie: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht! In der anschließenden Sitzung des Haushaltsausschusses haben Sie Gelegenheit dazu.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die heutige Aktuelle Stunde sollte dazu dienen,
dass wir, das heißt das Parlament, und die deutsche Öffentlichkeit die Haltung der Bundesregierung dazu hören, weshalb es zu dieser höchsten Verschuldung gekommen ist, die jemals in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland stattgefunden hat.
({0})
Herr Staatssekretär Diller, von Ihnen haben wir einen
Ausflug - zudem einen völlig falschen - in die Vergangenheit erfahren. Aber zur aktuellen Situation haben Sie
überhaupt nichts beigetragen.
({1})
Sie haben nicht gesagt, weshalb es zu dieser Verschuldung gekommen ist. Die Ignoranz der Bundesregierung
zeigt sich darin, dass der Finanzminister bei dieser Debatte - neben dem Bundeskanzler hat er das wesentlich
mitzuverantworten - nicht anwesend ist und dass der
zweite Minister, der Wirtschaftsminister, dessen Anwesenheit aufgrund unserer wirtschaftlichen Situation auch
erforderlich wäre, es auch nicht für notwendig erachtet,
im Parlament zu erscheinen. Eine Zeit lang war sein
Staatssektretär Schlauch noch hier, aber auch er hat es
vorgezogen, wieder von dannen zu gehen und seinen
leeren Schlauch einzupacken.
({2})
So kann man keine zukunftsorientierte Politik machen.
Aber, Herr Staatssekretär Diller, ich will Ihnen, weil
Sie in die Vergangenheit gegangen sind, einige Punkte
dazu sagen. Wer war denn bis 1998 der Blockierer? Das war doch die Sozialdemokratische Partei, die die
Ländermehrheit dazu missbraucht hat, die Reformen, die
wir angestoßen haben, zu verhindern. Das, was wir ohne
den Bundesrat durchführen konnten, wurde sofort im
Jahre 1999 - ich nenne hier nur den Namen Lafontaine,
den Sie nicht mehr gerne hören - mit einem Schlag wieder zurückgefahren, was allein damals eine Größenordnung von rund 40 Milliarden Euro beinhaltet hat; darunter leiden wir noch heute.
({3})
Kollege Schneider hat soeben die ganz schlimme
weltwirtschaftliche Situation genannt.
({4})
- Seine Aussagen finde ich nicht toll.
({5})
Ich stimme Ihnen zu, dass das Aussagen waren, die man
schnellstens vergessen sollte. Wir konnten im vergangenen Jahr noch ein bescheidenes Wachstum von
0,2 Prozent verzeichnen. Ein Wachstum kam aber überhaupt nur deshalb zustande, weil wir allein durch den
Export ein Wachstum von 1,4 Prozent hatten. Das heißt,
im Endeffekt gab es bereits im vergangenen Jahr ein Minus unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Dann stellen
Sie sich her und sagen, die schlimme Weltwirtschaft
habe daran Schuld.
({6})
Der Wirtschaftsminister zieht es vor, hier nicht Rede
und Antwort zu stehen, sondern erklärt heute wiederum
in der „Süddeutschen Zeitung“: Wir werden im nächsten
Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent haben. Diesen Beschluss, Herr Staatssekretär Diller, hat die
Bundesregierung genau im März, als wir über den Haushalt 2003 beraten haben, auch gefasst. Sie hat es einfach
beschlossen, genau so, wie man sagen kann, dass im
Himmel Jahrmarkt ist. Diesen Beschluss kann man auch
fassen; er hat dieselbe Qualität.
Denn Sie hatten im Haushalt 2003 - es geht hier gerade um die Verschuldung in diesem Jahr - eine absolute
Null hinsichtlich des Zuschusses zur Bundesanstalt für
Arbeit vorgesehen. Jeder konnte Ihnen sagen, dass das
eine völlig fehlgeleitete Zahl ist. Sie hätten jeden fragen
können; aber Sie haben niemanden gefragt. Sie haben es
auch selbst gewusst. Das heißt, dass der Haushalt 2003
von Hause aus auf Lügen aufgebaut ist.
Das nächste Jahr ist bereits das vierte Jahr, in dem wir
bezüglich der Maastricht-Kriterien ins Negative gehen.
Denn wir hatten den Grenzwert schon im vorvergangenen Jahr ganz knapp tangiert; da haben Sie noch auf
2,8 Prozent schöngerechnet. Schon 2002 lag die Neuverschuldung mit 3,5 Prozent deutlich zu hoch. In diesem
Jahr wird sie mehr als 4 Prozent betragen. Auch im kommenden Jahr wird die Neuverschuldung das Haushaltsdefizit weiter wachsen lassen. Wir haben heute angefangen, den Bundeshaushalt für das nächste Jahr zu beraten.
Angesichts Ihres Haushaltsplans wird die Nettoneuverschuldung eher 50 Milliarden Euro als das, wovon Sie
jetzt ausgehen, erreichen.
Ihre Ignoranz zeigt sich auch darin, wie spät sich bei
Ihnen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr bei mindestens 42 Milliarden
Euro liegen wird, nämlich erst, als das wirklich nicht
mehr zu leugnen war. Dazu bekannten Sie sich aber
nicht in der Öffentlichkeit oder vor dem Deutschen Bundestag, sondern auf einem SPD-Parteitag in Baunatal.
Das ist eine Ungehörigkeit, die schlicht und einfach widerspiegelt, wie diese Regierung mit dem Parlament und
mit der Öffentlichkeit umgeht.
({7})
Ich erteile der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
allem liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Besuchertribüne!
({0})
Wir behandeln die 1,3 Billionen Euro Schulden, die
Bund, Länder und Gemeinden derzeit haben. Es geht dabei nicht nur um ein bundespolitisches Problem, sondern
auch um ein Problem unserer gesamten Nation, um ein
Problem auf allen politischen Ebenen. Im Moment diskutieren wir über die Nettoneuverschuldung. Würden
wir endlich mit dem Schuldenabbau beginnen
({1})
- hören Sie einen Moment zu, Kollegen! -, würden
Bund, Länder und Gemeinden jährlich 13 Milliarden
Euro Schulden abbauen, brauchten wir noch immer
100 Jahre - die jungen Leute hier oben brauchten ihr
ganzes Leben -, um diesen Schuldenberg abzubauen.
({2})
- Es ist wirklich peinlich,
({3})
dass Sie meinen, dieses Problem durch permanentes Gebrüll und Geblöke wie in der ersten Schulklasse behandeln zu müssen.
({4})
Wir sollten uns diesem Problem endlich gemeinsam
ernsthaft stellen. Wir alle stehen in der Verantwortung,
diesen Schuldenberg abzutragen. Nicht diejenigen, die
hier sitzen, sondern alle Politikergenerationen der Nachkriegszeit, egal welcher Couleur, haben ihn Schritt für
Schritt angehäuft. Unser Problem ist, dass das ganze politische Handeln seit den 50er-Jahren auf Verteilung ausgerichtet war.
({5})
Historisch gesehen, haben wir jetzt das Ende dieser Verteilungspolitik erreicht.
Sie verbreiten die Illusion, wir könnten durch das
Drehen an ein paar Stellschrauben relativ schnell, womöglich schon morgen, für ein großes Wachstum sorgen
und übermorgen wieder Verteilungspolitik betreiben.
({6})
Das ist ein ganz großer Fehler. Ihre Doppelzüngigkeit
besteht darin, einerseits die Einhaltung der
Maastricht-Kriterien und andererseits viel Geld für bestimmte Zwecke zu fordern. In diesem Sinne äußern sich
in jeder Sitzung des Haushaltsausschusses Austermann,
Kampeter, Rossmanith usw.
({7})
- In letzter Zeit haben Sie keinen Antrag gestellt, weil
Sie dazu nicht mehr in der Lage sind.
Ganz konkret: Sie sind nicht bereit, unsere Pläne zur
Abschaffung der Eigenheimzulage und zur Absenkung
der Entfernungspauschale mitzutragen. Viele Elemente
der Vorschläge von Koch und Steinbrück zum Subventionsabbau haben wir in den letzten drei Jahren längst
umgesetzt. Sie hingegen haben seit Jahr und Tag kein
Konzept, mit dem man wirklich politisch verantwortungsvoll arbeiten kann.
Das zentrale Problem ist - es ist ein gemeinsames
Problem und deswegen kommen Sie nicht so billig davon -, dass Sie aufgrund Ihrer Stellung im Vermittlungsausschuss und im Bundesrat mitverantwortlich sind. Ich
behaupte, Sie tragen auch als Parlamentarier im Bundestag Mitverantwortung; denn eine Aufgabe des Parlaments als des Haushaltsgesetzgebers ist es, mit den
Steuergeldern verantwortungsvoll umzugehen. Insofern
ist es einfach zu billig, zu behaupten, es handele sich um
ein Eichel-Problem.
({8})
Kommen Sie daher endlich in die Pötte! Hören Sie
auf, hier ständig Vorwürfe zu machen! Wenn Sie nach
der Beantragung dieser Aktuellen Stunde endlich konsequent und ehrlich sein wollen, dann müssen Sie, erstens,
dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 voll und ganz zustimmen. Zweitens müssen Sie den Haushaltsvorlagen zu allen Etats - mit den Kürzungs- und Sparvorschlägen haben wir sie auf wirklich knapp kalkulierte Etats
zurückgeführt und schlank gestaltet - zustimmen.
({9})
Drittens müssen Sie Hartz III und Hartz IV - auch das
gehört dazu - zustimmen; denn das ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt des Umstrukturierens, nämlich weg
von einer Verteilungspolitik hin zu einer Politik, mit der
ein schlanker Staat solche Leistungen erbringt.
({10})
Zu den Umstrukturierungen im Bereich Gesundheit
und Rente: Im Bereich der Gesundheit hat sich zumindest die CDU/CSU mit ins Boot begeben. Die FDP hat
gemeint, sie könne sich fein heraushalten und sich praktisch hinter der Pharmaindustrie und den Apothekern
verstecken. Es ist eine ganz billige Methode, hier immer
zu sagen: „Wir sind für Subventionsabbau und für Strukturreformen“, aber dann, wenn es Ernst wird, nicht einmal mehr den Mut zu haben, auch nur die erste Reform
mitzumachen. Bei der Eigenheimzulage wird es wieder
so sein, dass Sie nicht den Mut haben, mitzuziehen.
Sie müssten also jeden Schritt mittragen, der in Richtung Einsparvolumen geht, im Steuerrecht genauso wie
beim Haushalt, statt hier ständig zu blockieren und zu
meinen, Sie könnten die Probleme lösen, indem Sie alles
offen halten. Sie müssten sogar weiter gehende Vorschläge machen. Wenn Sie das tun, dann sind wir gern
bereit, darüber zu diskutieren. Aber solange Sie hier nur
rumpöbeln und meinen, das sei Politik, ist das, finde ich,
ziemlich verantwortungslos. Sie sollten sich vor der gesamten deutschen Bevölkerung schämen!
({11})
Ich erteile dem Kollegen Georg Schirmbeck, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Staatssekretär Diller, wenn bei Ihrer Bilanz das
Wort „solide“ in den Mund genommen wird, dann fehlen
einem wirklich die Worte.
({0})
Wir haben noch gut in Erinnerung, wie Sie uns in den
Bundestagswahlkämpfen immer wieder eingehämmert
haben: Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser. - Ich frage Sie: Was?
({1})
Zurzeit sind Sie doch damit beschäftigt - das muss man
einmal zur Kenntnis nehmen -, das wegzuräumen, was
Sie in den ersten vier Jahren angerichtet haben.
({2})
Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, Sie haben hier eben
quasi um Zustimmung zu Ihren nicht vorhandenen Konzepten gebettelt.
({3})
Ich erinnere Sie einmal an die Zeit von 1994 bis 1998.
Da wurde in Deutschland blokkiert! Wir entwickeln
Konzepte: für die Gesundheitsreform, für die Rentenreform.
({4})
Wir haben auch bewiesen, dass wir sie in diesem Hause
auch mit tragen. Dafür sollten Sie dankbar sein. Unsere
Konzepte haben dazu geführt, dass sich in diesem Bereich etwas bewegt hat. Sie haben das 630-DM-Gesetz
abgeschafft, weil das in Ihren Augen Teufelswerk war.
Dann haben Sie 400-Euro-Jobs eingeführt. Es war eines
unserer Konzepte, das Sie damit umgesetzt haben. Wir
mussten den Schaden erst wieder gutmachen.
({5})
Ein Sprichwort lautet: An ihren Taten wird man sie
messen.
({6})
Diese Bundesregierung und die sie tragenden Bundestagsfraktionen kann man aber auch an ihren Worten erkennen. Es heißt oft, man wolle mit neuem Geld Investitionen fördern. Was heißt das eigentlich? Will man den
Euro wieder abschaffen? Will man die Lira oder den russischen Rubel einführen? In Wirklichkeit heißt das: Man
macht Schulden, immer mehr Schulden. Finanzierungsmöglichkeiten wie Mauteinnahmen kann man offensichtlich nicht erschließen. Ich stelle fest: Sozialisten
können nicht mal mehr Geld einsammeln.
({7})
Meine Damen und Herren, Sie wollen die Nettokreditaufnahme senken. Was heißt das? - Man macht immer
noch Schulden. In Wirklichkeit hat man noch nie mehr
Schulden gemacht. Man muss sich das einmal auf der
Zunge zergehen lassen: 42 Milliarden Euro neue Schulden! Das sind mehr als 80 Milliarden DM. Ich sage das,
weil viele Bürger, die uns zuhören, immer noch in dieser
Währung denken.
({8})
Herr Eichel wird in den Medien mit den Worten zitiert, es wäre Gift für die Konjunktur, wenn man jetzt
Steuern erhöhen würde. Über was sonst als darüber, dass
er natürlich wieder eine Steuer erhöhen will, spricht Herr
Eichel eigentlich?
Er hat davon gesprochen, dass der Haushalt auf Kante
genäht ist. Eichel vor der Sommerpause im Haushaltsausschuss: Wir haben einige Probleme, haben aber
grundsätzlich natürlich alles im Griff. - Nach der Sommerpause sind es nicht mehr 18,9 Milliarden Euro neue
Schulden, sondern 42 Milliarden Euro. Das war nicht
auf Kante genäht, sondern das war eine Luftnaht, eine
Eulenspiegelei oder eine vorsätzliche Täuschung des
Parlaments.
({9})
Es wird davon gesprochen, wir hätten einen Wachstumsabschwung, ein Minuswachstum oder eine rote
Null.
({10})
Im Klartext heißt das für die Bevölkerung, die uns zuhört: Wir haben eine schrumpfende Volkswirtschaft. Das
Ergebnis davon sind Milliarden Einnahmeausfälle für
alle Sozialkassen und Milliarden Steuerausfälle auf allen
politischen Ebenen. Das Sozialsystem steht kurz vor
dem Kollaps. Die kommunale Selbstverwaltung haben
Sie damit quasi außer Kraft gesetzt.
Sie sprechen von der Agenda 2010. Was will uns das
sagen? Agenda suggeriert doch Nachhaltigkeit, zukunftsgerechtes Handeln und Ressourcenschutz.
({11})
Genau das Gegenteil machen Sie. Die Zukunftschancen der nachwachsenden Generation werden von einem
bürokratischen Schuldenstaat verspielt.
Unserer Jugend, der man angeblich so viel Gutes tun
will, lädt man ständig mehr Lasten auf. Das ist die Wirklichkeit.
Meine Damen und Herren, wozu hat diese Politik geführt? - Von 18,9 Milliarden zu 42 Milliarden jährlichen
Schulden beim Bund. Das Land Niedersachsen beispielsweise hat im letzten Jahr 2,5 Milliarden Euro neue
Schulden aufgenommen und muss auch in diesem Jahr
und im nächsten Jahr jeweils 2,5 Milliarden Euro neue
Schulden aufnehmen. Bis auf Bayern hat kein Bundesland einen verfassungsgemäßen Haushalt. Jetzt aber den
schwarzen Peter den Ländern zuzuschieben, das stellt
doch die Dinge auf den Kopf.
({12})
Die Länder haben eigentlich nur die Auswirkungen Ihrer
verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik auszubaden.
({13})
Die Länder sind nicht die Täter, die Länder sind die Opfer dieser falschen Politik.
({14})
In dem Landkreis, für den ich Verantwortung trage,
beträgt die Arbeitslosigkeit 7 Prozent; das ist eine vergleichsweise gute Situation.
({15})
In 57 Jahren haben wir 60 Millionen Euro Schulden aufgetürmt, also 120 Millionen DM. Allein in diesem Jahr
müssen wir aufgrund der Auswirkungen Ihrer verfehlten
Politik 40 Millionen DM neue Schulden machen, das
heißt, in drei Jahren müssen wir so viel Schulden machen, wie wir vorher in 57 Jahren gemacht haben. Ich
stelle fest: Wir befinden uns ungebremst auf der Fahrt
Richtung Wand.
({16})
Meine Damen und Herren, Wissenschaftler haben
letzte Woche bei der Anhörung gesagt, sie könnten es
sich nicht vorstellen, dass eine Regierung vorsätzlich
verfassungswidrige Haushalte aufstellt. Diese Bundesregierung sprengt jedes Vorstellungsvermögen von Wissenschaftlern!
Ich stelle weiter fest, dass das Land Niedersachsen
von 1990 bis 1998 achteinhalb Jahre, sogar fast neun
Jahre, mit Gerhard Schröder einen Ministerpräsidenten
hatte, der es fertig gebracht hat, die Verschuldung von
37 Milliarden DM auf 70 Milliarden DM zu erhöhen.
({17})
Wir wissen also, was ein Volk unter Gerhard Schröder
zu erwarten hat. Wenn - darin sind sich die Wissenschaftler ja einig - 50 Prozent der Wirtschafts- und Finanzpolitik von psychologischen Aspekten abhängt,
dann wäre es das Beste für unser Land und wohl auch
das einzige Mittel, das ihm helfen kann, wenn dieser
Kanzler und diese Regierung zurücktreten würden. Das
wäre das beste Signal für unsere Volkswirtschaft.
({18})
Herzlichen Dank.
({19})
Nun hat das Wort der Kollege Lothar Binding, SPDFraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich
möchte, bevor ich zu den Inhalten komme, etwas zur
Diskussionskultur und im Grunde genommen auch zur
Beliebigkeit der gewählten Argumente sagen. Es gab einen Zwischenruf von Herrn Kampeter, der lautete: Das
glaubt hier ja keiner mehr! - In einem von ihm mitformulierten Antrag findet man die Wörter Vorhersehbarkeit, Wahrheit, Klarheit, Vollständigkeit. An einem ganz
kleinen Beispiel will ich deutlich machen, was er darunter versteht: Er hat ja vorhin gesagt, Herr Eichel spreche
zurzeit in „Phoenix“ vor Lobbyisten. Einmal abgesehen
davon, ob das stimmt, halte ich es für eine starke Leistung, wenn ein Minister in der Öffentlichkeit seine Lobbygespräche führt. Das gefällt mir jedenfalls besser, als
wenn er es hinter verschlossenen Türen täte, um dann
entsprechende Anträge zu lancieren.
({0})
- Da kann man gut einen Zwischenruf machen. Ich höre
das gerne.
Die Wahrheit ist aber, dass Eichel nicht bei „Phoenix“
vor Lobbyisten spricht, sondern dass der Kanzler mit
Kolleginnen und Kollegen auf einer IG Metall-Konferenz ist, die von „Phoenix“ übertragen wird.
Lothar Binding ({1})
({2})
Sie sehen an diesem kleinen Beispiel deutlich, wie hier
mit Wahrheit umgegangen wird.
({3})
Jetzt komme ich zu dem ersten Argument, dem wichtigsten von denen, die Herr Austermann eingangs formuliert hat. Er sprach von schonungsloser Aufklärung. Sein
nächster Satz lautete: Wir haben einen absoluten Nachkriegsrekord bei der Nettokreditaufnahme.
({4})
Das könnte, oberflächlich betrachtet, wahr sein. Wenn
man aber noch einmal genauer hinschaut, stellt man fest,
dass das nicht unbedingt wahr ist. Was sagt denn eigentlich die Nettokreditaufnahme aus, wenn man sie nicht
ins Verhältnis zur Gesamtleistung des Volkes setzt?
({5})
Wir müssen also die Neuverschuldung stets im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt sehen. Sie erinnern sich
hoffentlich besser als in Bezug auf das, was „Phoenix“
überträgt, daran, dass 1996 das Verhältnis Neuverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt 2,2 Prozent betrug, 1993,
in einer absolut starken Wachstumsphase, 2 Prozent, seit
1999 übrigens 1,3 Prozent und heute wieder - man höre
und staune - bei 2 Prozent liegt,
({6})
also durchaus in einer Bandbreite, wie Sie sie vorgegeben haben.
({7})
- Ja, es gibt heute weniger Spielraum, da haben Sie
Recht: Ihre Regierung konnte in einer absoluten Wachstumsphase handeln, während wir es heute mit einer weltweiten Wachstumsschwäche zu tun haben.
({8})
Wenn Sie die Nettokreditaufnahme und die Gesamtausgaben vergleichen, werden Sie sehen, dass das Verhältnis heute deutlich besser ist als in vielen Jahren unter
Kohl.
({9})
Jetzt komme ich zu der Summe von 40 Milliarden Euro
Neuverschuldung. Damit hatten wir nicht gerechnet; denn
wir hätten nicht gedacht, dass die CDU/CSU die Finanzierung dieses Staates in einer so verantwortungslosen
Weise untergräbt.
({10})
Das lässt sich mit drei einfachen Zahlen ganz leicht belegen: Wir haben ein Steuervergünstigungs-, also Schlupflochabbaugesetz und ein Gesetz zum Subventionsabbau
vorgelegt, die Sie ziemlich rundheraus abgelehnt haben.
({11})
Das hat den Bund über 6 Milliarden Euro, die Länder
über 6 Milliarden Euro und die Kommunen fast
3 Milliarden Euro gekostet, was in den Kommunen
heute dramatische Folgeprobleme aufwirft. Deshalb
denke ich, dass es sehr viel geschickter gewesen wäre,
wenn Sie uns nicht beschimpft, sondern sich mit uns gemeinsam um die Finanzierung gekümmert hätten.
({12})
Besonders merkwürdig fand ich die Einlassung von
Herrn Austermann zum Stichwort „Versicherungen“ und
die Behauptung, dass wir sozusagen Politik auf Zuruf
der Lobbyisten machten.
({13})
Sie kennen sicher die auch von Ihnen im Vermittlungsausschuss mitgezeichnete Protokollerklärung der Bundesregierung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz
sehr gut.
({14})
Schon dort war angekündigt, dass genau dieser Komplex
noch einmal hinterfragt werden solle. Die Sache ist ganz
einfach erklärt: Bei Lebensversicherungen hat der
Kunde eine Auszahlungsgarantie von 90 Prozent der Gewinne.
({15})
Bei Krankenversicherungen liegt die Auszahlungsgarantie bei 80 Prozent. Das ist eine Mindestrendite. Das bedeutet, wenn die Aktienkurse der Versicherung steigen,
dann erhalten die Kunden eine entsprechend hohe Ausschüttung. Nach der hohen Ausschüttung, die dem Kunden zugute kommt, hat die Versicherung niedrige Steuern. Wenn aber die Börsenwerte fallen und die
Ausschüttung niedrig ist, sind die Steuern plötzlich extrem hoch.
({16})
Lothar Binding ({17})
Daran erkennt man sofort, warum es extrem wichtig ist,
die Versicherungen anders zu behandeln als eine normale Aktiengesellschaft, die über die Kumulation ihrer
Gewinne und die Höhe der Ausschüttung selbst entscheiden kann.
({18})
Ein letzter Satz: Was schlägt die CDU/CSU eigentlich
vor? Sie verlangt einen Nachtragshaushalt, schnell und
sorgfältig ausgearbeitet. Jeder weiß, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nächste Woche neu betrachtet wird. Genau das wird die Basis für den Nachtragshaushalt sein.
({19})
Es kommt aber noch schlimmer.
Noch einen letzten Satz. ({0})
Sie haben auch einen inhaltlichen Vorschlag gemacht,
nämlich eine Ausgabensperre zu verhängen. Sie wissen
genau, dass eine Ausgabensperre die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verstärken würde.
Dieser Vorschlag ist für uns nicht akzeptabel.
({1})
Deshalb fordere ich Sie auf, das Haushaltsbegleitgesetz mitzutragen; denn das ist eine vernünftige Basis für
eine solide Haushaltsführung.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist vielleicht
nahe liegend, aber nicht zwingend nötig, dass bei einer
Debatte über die bislang höchste Neuverschuldung in einem Jahr auch der Lärmpegel das bisher höchste Niveau
erreicht.
({0})
Der Verständigung untereinander dient es, wenn abwechselnd gesprochen wird, denn dann bekommt man
eher etwas von den Argumenten mit, die jeweils vorgetragen werden, seien sie nun mehr oder weniger überzeugend.
({1})
Nun erteile ich dem Kollegen Hans Michelbach für
die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({2})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Irgendwo und irgendwann hat alles ein Ende, auch
die Unwahrheit. Heute ist die Aktuelle Stunde der Wahrheit für die rot-grüne Steuer- und Haushaltspolitik. Herr
Eichel spielt weiter Versteck, er kneift. Herr Eichel ist
beim Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels, 300 Meter von hier entfernt, und hält eine unwidersprochene, flotte Rede. Aber das, was die Leute wissen wollen, nämlich wie sich der Haushalt in
Deutschland entwickelt und wie hoch die Verschuldung
ist, wird von ihm nicht deutlich gemacht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, zu Ihrem Selbstverständnis: Sie können sich doch
nicht immer mehr zu einer Abnicktruppe von Herrn
Schröder und von Herrn Eichel entwickeln. Es muss
doch Ihrem Ehrgefühl als Abgeordnete widersprechen,
wenn Sie die Verschuldung hier einfach abnicken.
({0})
Das Haushaltsfiasko hat sich bereits seit längerem abgezeichnet. Dennoch hat Herr Eichel die wahre Haushalts- und Finanzlage immer wieder verschwiegen. Herr
Eichel hat den dringlichen Handlungsbedarf zum Nachtragshaushalt und zur Haushaltssperre immer wieder
verleugnet und insbesondere die notwendigen Entscheidungen zum Schaden unseres Landes verschleppt. Damit
ist Deutschland in eine desaströse Haushaltsfalle geraten. Herr Eichel hat nicht gehandelt; er hat die Dinge
einfach treiben lassen und bis heute Versteck gespielt.
Das ist für mich ein schwer wiegender Amtsmissbrauch
und die Fortsetzung des rot-grünen Wahlbetrugs.
({1})
Erst jetzt, als die Wahrheit nicht mehr zurückzuhalten
war, wurden immer mehr „Eichel-Löcher“ eingestanden.
(Dr. Uwe Küster [SPD]: Nun ist es aber genug;
Herr Meuchelbach!
Und wie Herr Eichel diese Wahrheit eingestanden
hat! Wie eine Wurstverkäuferin sagte er: Es kann ja auch
ein bisschen mehr sein.
({2})
42 Milliarden Euro Neuverschuldung sind nicht ein bisschen mehr; das ist ein trauriger Negativrekord und ein
finanzpolitischer Supergau. Das sind die Tatsachen.
({3})
Rot-Grün versucht, alles zu relativieren und zu verniedlichen. Da wird auf Theo Waigel verwiesen und gesagt, er habe eine ähnliche Verschuldung zu verantworten. Es gibt aber wesentliche Unterschiede.
({4})
Damals, auf dem Höhepunkt der Einheitskosten, hatten
wir eine Defizitquote von 2,4 Prozent. Heute liegt die
Quote über 4,4 Prozent, Richtung 5 Prozent. Der Unterschied ist also: Heute gibt es ein Gesamtdefizit in Höhe
von 100 Milliarden Euro, während es damals nicht einmal die Hälfte war.
({5})
Das sind die fehlerhaften Entwicklungen.
Sie verweisen auf Privatisierungserlöse. Gleichzeitig
verschweigen Sie aber, dass Sie Einnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Höhe von 50 Milliarden Euro verbuchen konnten.
({6})
Aber das zeigt, wo wir wirklich stehen. Mit der Steuer-,
Schulden- und Haushaltsfalle haben wir heute die größte
Finanzkrise der öffentlichen Haushalte in der Geschichte
der Bundesrepublik. Rot-Grün hat nicht nur den Bund,
sondern inzwischen auch Länder und Kommunen mit ihrer Verschiebetaktik in die Haushaltsfalle geführt.
Deutschland verletzt Jahr für Jahr in immer größerem
Ausmaß den europäischen Stabilitätspakt. Die europäische Wirtschafts- und Währungsunion lebt aber von soliden öffentlichen Finanzen. Nur so kann die Grundlage
für Vertrauen, Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Sie haben diesen völkerrechtlichen Vertrag, wonach übermäßige Defizite zu vermeiden
sind,
({7})
geradezu ignoriert. Sie verwüsten sozusagen diesen Vertrag: Der Bundeskanzler fährt nach Paris, um Partner für
seinen Amtsmissbrauch zu finden.
({8})
- Ich schreibe Ihnen ins Stammbuch: Der vorsätzliche
Bruch eines völkerrechtlichen Vertrages ist für mich
Amtsmissbrauch, nichts anderes.
({9})
Der Stabilitätspakt darf nicht einfach außer Kraft gesetzt werden. Da ist keine Beliebigkeit und keine flexible Auslegung möglich. Unser Land verliert damit jegliche finanzpolitische Glaubwürdigkeit. Als zivilisiertes
Land kann Deutschland nicht vorsätzlich einen Vertrag
brechen
({10})
und damit die Gefahr heraufbeschwören, dass dieser
künftig auch von anderen europäischen Ländern nicht
beachtet wird.
Sie machen alles verkehrt; Ihr Handeln ist kontraproduktiv.
({11})
Eigentlich müssten Sie Freiräume schaffen, damit letzten Endes eine wirtschaftliche Dynamik entsteht. Heute
wurde im Finanzausschuss über Tabaksteuererhöhung,
Gewerbesteuererhöhung, Mindeststeuer, Beschränkung
der Verlustverechnung, Abschreibungsverschlechterungen, Streichung der Eigenheimzulage und Kürzung der
Entfernungspauschale beschlossen. Das ist eine Steuererhöhungsorgie von A bis Z an nur einem Tag. Das ist
der verkehrte Weg; damit beschreiten Sie einen Irrweg.
({12})
Zum Schluss muss ich feststellen: Deutschland
braucht einen Neustart in der Steuer- und Finanzpolitik.
Hierzu muss Herrn Eichel ins Stammbuch geschrieben
werden: Jemand, dem es an Mut zur Wahrheit mangelt
und der stets bereit ist, im Sinne der Unwahrheit Zugeständnisse zu machen, kann niemals in Deutschland ein
akzeptabler Finanzminister sein.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Hubertus Heil für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Michelbach, Sie sollten hin und wieder einmal einen
Blick in ein großes Buch der Weltgeschichte werfen, in
dem es so schön heißt: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
({0})
Sie haben nämlich eben Folgendes gemacht - das gehört
sich nicht in einem Parlament -: Sie haben anderen
Amtsmissbrauch vorgeworfen.
({1})
Das ist ein sehr niedriges Niveau, Herr Michelbach. Im
gleichen Atemzug haben Sie die Wahrheit gebeugt.
Ich will Ihnen das an einem Punkt nachweisen. Sie
haben gesagt, die während Ihrer Regierungszeit entstandenen Privatisierungserlöse seien das Normalste von der
Welt gewesen und wir hätten das Gleiche bei den
UMTS-Erlösen gemacht. Dazu will ich Ihnen sagen: Im
Gegensatz zu Ihnen haben wir die UMTS-Erlöse nicht
dafür verwendet, Haushaltslöcher zu stopfen, wie Sie
das getan haben. Wir haben vielmehr damit begonnen,
Ihre Schulden zu tilgen.
({2})
Das können Sie nicht bestreiten. Als Helmut Schmidt
1982 aus dem Amt schied, hatte der Bund
350 Milliarden DM Schulden. Als Helmut Kohl 1998
das Amt verließ, waren aus diesen 350 Milliarden
1,5 Billionen geworden. Das ist die Wahrheit.
({3})
Die Haushaltsentwicklung in diesem Jahr erfüllt uns
alle mit Sorge; das ist gar keine Frage. Zweifellos haben
die weltwirtschaftlichen und die strukturellen Probleme
in unserem Land zu massiven Steuerausfällen geführt,
({4})
aber nicht nur dazu, sondern auch zu Mehrbelastungen
durch gestiegene Ausgaben vor allen Dingen im Rahmen
der Arbeitslosigkeit. In dieser Analyse können wir uns
einig sein; das sind die Ursachen dafür,
({5})
dass wir in diesem Jahr auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene in Probleme geraten sind. Der Bund hat
vor allen Dingen durch die gestiegenen Ausgaben für die
Massenarbeitslosigkeit schwer zu tragen.
({6})
- Sind Sie evangelisch, katholisch oder ein Quäker? Sie
quäken nämlich immer dazwischen.
({7})
- Auch ich musste Ihre Rede ertragen. Von jemandem, der immer wieder fordert zu sparen, aber als Rüstungslobbyist im Haushaltsausschuss ständig Ausgabenerhöhungen fordert, lasse ich mir nicht
dazwischenbrüllen; das will ich deutlich sagen.
({8})
Die Frage, die uns zu bewegen hat, ist: Was können
und was müssen wir angesichts dieser Situation konjunkturell und strukturell tun? Ich will Ihnen deutlich sagen, dass wir dieses Problem auf beiden Ebenen, also sowohl in der Konjunktur- als auch in der Strukturpolitik,
zu beantworten haben. Konjunkturell war es in diesem
Jahr richtig und notwendig, automatische Stabilisatoren
wirken zu lassen und nicht prozyklisch in die Krise hineinzukürzen, um das schwache Wachstum, das wir in
diesem Jahr haben, nicht noch weiter abzuwürgen.
({9})
Ich sage Ihnen auch, dass Konjunktur- und Konsolidierungspolitik etwas anderes ist als kurzatmige Sparvorschläge, die in der Realität gar nicht umzusetzen sind. Man
sollte sich einmal anschauen, wie Sie mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz umgegangen sind. Bei der CDU/
CSU spielte vor allem die Melodie: mehr Geld ausgeben,
mehr sparen und gleichzeitig die Steuern senken.
({10})
Sie wollten Politik gegen Adam Riese machen und haben durch Ihre Blockade im Bundesrat eine ganze
Menge zu der jetzigen Misere beigetragen.
({11})
Jetzt kommt es darauf an, dass wir konjunkturell Impulse setzen. Sie haben die Gelegenheit, uns dabei zu
helfen, zum Beispiel beim Vorziehen der Steuerreform.
Sie haben vor allem die Möglichkeit, bei den Strukturreformen, die mit dem Begriff „Agenda 2010“ verbunden
sind, mitzuwirken. Mit den Reformen im Gesundheitsbereich - die haben wir gemeinsam hinbekommen - und
mit Reformen in den Bereichen Pflege, Rente und Arbeitsmarkt sowie in vielen anderen Bereichen gehen wir
in diesem Jahr Probleme an, die in unserem Land
30 Jahre lang liegen geblieben sind.
Frau Merkel hat vor kurzem in ihrer „großen“ Rede
vor der Konrad-Adenauer-Stiftung einen wunderbaren
Satz gesagt: „Wir müssen mehr für Deutschland tun und
jeder muss bei sich selber anfangen.“ Wir haben angefangen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die
Frage ist, was von Ihnen außer Obstruktions- und Blockadepolitik kommt.
({12})
Wir tun eine ganze Menge. Wir legen dem Parlament
in diesem Herbst eine Reihe von Gesetzesvorschlägen
vor. Wir sorgen nicht nur mit dem Vorziehen der Steuerreform in der Konjunkturpolitik dafür, dass der Aufschwung im nächsten Jahr gelingen wird, sondern wir
verändern auch die Strukturen am Arbeitsmarkt.
Ich möchte Ihnen bei allem Streit, auch bei allem niveaulosem Hin- und Hergeplänkel, das wir gerade vom
Kollegen Michelbach hinnehmen mussten, Folgendes
ernsthaft mit auf den Weg geben: Wir sollten bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe einen
ganz entscheidenden Schritt miteinander gehen. Machen
Sie das nicht kaputt! Seien Sie keine vaterlandslosen Gesellen!
({13})
Helfen Sie mit, dass wir dieses Land gemeinsam voranbringen!
({14})
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Schindler
und verbinde dies mit herzlichen Glückwünschen zu seinem heutigen Geburtstag.
({0})
Wenigstens am Anfang meiner Rede bekomme ich
den Applaus des ganzen Hauses.
Herr Staatssekretär Diller, Ihre Worte zu Beginn erinnern an die Zeit von 1982. Ihre Regierung ist am Ende,
fix und alle!
({0})
Alles läuft aus dem Ruder. Ihre Partner in der Gesellschaftspolitik verlassen Sie. Sie hangeln sich von Fall zu
Fall mit Kanzlerdrohung und knapper Kanzlermehrheit
über die nächsten Tage und Wochen. Sie hätten gern
heute dem Finanzminister das Wort überlassen. Das sehe
ich Ihrem Gesichtsausdruck an, Herr Diller.
({1})
Dass es Herr Eichel vorzieht, drei Minuten in
„Phoenix“ zu erscheinen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eichel Weltmeister ist. Er hat das Recht, ins
Guinnessbuch der Rekorde eingetragen zu werden. Er
hat geschafft, was Sie Theo Waigel so gern vorgehalten
haben, aber unter ganz anderen Voraussetzungen.
({2})
- Darauf komme ich gern noch einmal zurück. Es ist gut,
wenn Politologen einmal zuhören und sich nicht so
schulmeisterlich benehmen wie gerade bei der Rede vom
Kollegen Michelbach.
({3})
- Das war oberlehrerhaft.
({4})
Herr Diller, auf die Schulden der deutschen Einheit
sind wir alle stolz. Wir haben zusammen mit Kohl,
Waigel und der FDP die deutsche Einheit gemeistert.
({5})
Ich bin auf diese tausend Milliarden DM stolz.
({6})
Es ist kein Schuss gefallen, es gab keine harten militärischen Auseinandersetzungen. Wir haben Deutschland
wieder vereinigt. Das war es uns wert.
({7})
- Lieber Herr Kollege, was hatten Sie denn für eine Kinderstube? Oder haben Sie Blähungen und rufen deshalb
laufend dazwischen? Das könnte ich vielleicht noch
nachvollziehen.
({8})
Wir haben 700 Milliarden DM Altschulden und Auslandsschulden der Deutschen Demokratischen Republik
1998 an Sie weitergegeben. Wir haben die Schulden damals gern übernommen. Die Höchstverschuldungsrate
1996 war das Ergebnis der deutschen Wiedervereinigung. Dann bekamen Sie 14 Milliarden Sondereinnahmen durch die Telekom. Sie haben dafür gestimmt. - Als
es aber um die Privatisierung der Post ging, haben Ihre
Ministerpräsidenten Lafontaine, Eichel und Schröder
nicht mitgestimmt. Was für Tänze sind deshalb aufgeführt worden! - Auch die 50 Milliarden Euro durch den
Versteigerung der UMTS-Lizenzen haben Sie gerne genommen. Das wurde von Herrn Michelbach bereits dargestellt. Damit konnten Sie die Haushalte 1999 und 2000
einigermaßen kaschieren.
({9})
- Wieso „unwahr“? Sie haben 5 Milliarden für die Infrastrukturen verteilt.
({10})
- Wenn das falsch war, wird es ja noch schlimmer.
({11})
Das ist zwar gut gemeint, aber ein Dialog zwischen
Rednern und Anwesenden auf der Regierungsbank ist
nach unserer Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Damit
wollen wir auch gar nicht erst anfangen.
Bekomme ich noch eine halbe Minute Redezeit?
Das ist wegen des Geburtstags in Ordnung, aber nicht
wegen der Geschäftsordnung.
({0})
Herr Diller, Sie müssen noch eines zur Kenntnis nehmen: Seit Sie an der Regierung sind, ist die Staatsquote
auf 51 Prozent gestiegen. Das ist ein schlimmes Zeichen.
Wir waren 1998 wieder bei einer Staatsquote von
46 Prozent angekommen.
Was noch viel schlimmer ist, ist, dass wir mit Ihrer
Währungspolitik die von uns im Stabilitätspakt in Europa mit vorgegebene Höchstgrenze für die Neuverschuldung mit einer Quote von 4,5 oder 5 Prozent
deutlich überschreiten werden. Angesichts Ihrer zu Oppositionszeiten gegebenen Worte müssten Sie eigentlich
sofort den Hut nehmen und nach Hause nach Trier ge5580
hen. Ihr habt doch total versagt. Das gilt auch für Ihren
Finanzminister.
({0})
Welche strukturellen Veränderungen haben Sie mit
Gesetzen und der Steuerreform 2000 auf den Weg gebracht? Was haben Sie alles verhindert? Kanzler
Schröder hat sich vor einigen Wochen hier hingestellt
und gesagt: Frau Merkel, die Abschaffung des demographischen Faktors war ein Fehler. Draußen bekam man
dann sogar noch zu hören: Ach, er sieht ja ein, welch katastrophalen Fehler er mit Blick auf die Sicherung der
Rente gemacht hat. - Der demographische Faktor wurde
von uns 1997 richtungsweisend eingeführt. Wir haben
auch mit den Petersberger Beschlüssen ein Steuerreformpaket geschnürt, welches hier dreimal abgelehnt
worden ist.
Die bitteren Ergebnisse der strukturschwachen Steuerreform aus dem Jahre 2000 schlagen doch bis in die
Gemeindehaushalte durch. Wenn mein Landkreis Bad
Dürkheim in den nächsten drei Jahren - Herr
Schirmbeck aus Niedersachsen hat die gleiche Entwicklung zu verzeichnen - genauso viele Schulden macht wie
in den letzten 25 Jahren zusammen, weil uns alles wegbricht, dann sind doch im Jahre 2000 wirtschafts- und
steuerpolitisch die falschen Weichen gestellt worden,
und zwar mit Ihrer - damals gekauften - Mehrheit im
Bundesrat. Dafür müssen wir jetzt leider Gottes alle büßen.
({1})
Wer will denn angesichts der Haushaltansätze für das
kommende Jahr und der damit verbundenen Perspektive
für die Wirtschaft noch in Deutschland investieren?
Sie lenken doch nur ab. Einmal war es der 11. September 2001. Vorhin haben wir gehört, es sei der Krieg
im Irak gewesen. Am 6. Dezember verkünden Sie wahrscheinlich: Die Zahlen sind so schlecht, weil der Weihnachtsmann kommt.
({2})
Wenn man sich diese Haushaltsvorlage insbesondere
mit Blick auf den investiven Bereich unserer Wirtschaft
ansieht, bekommt man die Befürchtung, im nächsten
Jahr werde die Neuverschuldung noch höher ausfallen.
Ich prophezeie Ihnen: Spätestens im Frühjahr 2005 zur
Landtagswahl in NRW - ich wette eine gute Kiste Spätlese trocken dagegen - sitzen Sie nicht mehr auf dieser
Bank. Gehen Sie bitte heute. Es ist besser für Deutschland. Es ist besser für unsere Zukunft und auch für die
Zukunft unserer Kinder.
Danke schön.
({3})
Es wäre schön, wenn an der ausgelobten Wette ein
großer Teil der an dieser Debatte Beteiligten unabhängig
vom Ausgang derselben partizipieren könnte.
({0})
Als letzte Rednerin in der Debatte hat nun die Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion das Wort.
Meine Damen und Herren! Als ich dieser Debatte
sehr aufmerksam gefolgt bin, habe ich die ganze Zeit
überlegt, an was mich das eigentlich erinnert. Ich war
einmal Sozialdezernentin in einer mittelgroßen Stadt.
Ich habe mich daran erinnert,
({0})
wie ein altes Ehepaar, seit mehr als 50 Jahren verheiratet, bei mir saß. Dieses Ehepaar hatte seit vielen Jahren
den Lebensunterhalt dadurch sichergestellt, dass jedes
Jahr Schulden gemacht wurden. Wenn die Waschmaschine kaputt gegangen war, haben sie Schulden aufgenommen. Wenn das Auto repariert werden musste, haben sie Schulden aufgenommen.
({1})
Seit vielen Jahren wurden immer mehr Schulden gemacht.
({2})
Dieses Ehepaar war nun bei mir, weil zusätzlich zu den
Problemen, die es ohnehin gab, jetzt auch noch die Einnahmen fehlten, da der Nebenjob des Mannes plötzlich
weggefallen war. Die Frau saß nun vor mir und wollte
darüber diskutieren, was man in dieser Situation machen
könnte, um zum Beispiel die Wohnung zu halten. Der
Mann, der ebenfalls dabei war, hat die ganze Zeit darüber diskutiert, was die Frau in den letzten fünf Jahren
falsch gemacht hat.
Dieses Verhalten entspricht dem, was zurzeit abläuft:
Wir reden nicht darüber, dass wir alle - Sie in Ihrer Regierungszeit, wir in unserer Regierungszeit, die FDP nahezu immer - mitgemacht haben: jedes Jahr nicht nur
das auszugeben, was zur Verfügung steht, sondern deutlich über die Verhältnisse zu leben. In einem bestimmten
Zeitabschnitt, nämlich kurz nach der deutschen Einheit,
war diese Verhaltensweise besonders stark ausgeprägt.
Das kann man durchaus damit rechtfertigen, dass in dieser Zeit mehr getan werden musste. Aber es stellt sich
trotzdem die Frage, ob der Weg richtig gewesen ist.
Ich möchte auf das Bild zurückkommen. Ich finde, es
hilft uns allen überhaupt nicht weiter, wenn wir darüber
diskutieren, wer welchen Anteil Schuld an der Situation
hat, wie sie heute ist.
({3})
Wir müssen darüber diskutieren, welchen Beitrag jeder
für sich, die Regierung auf der einen Seite und die Opposition, die im Bundesrat nun einmal eine eigene Mehrheit hat, auf der anderen Seite, leisten kann, damit sich
die Situation in unserem Land wieder bessert.
({4})
Die haushalts- und finanzpolitische Situation ist sehr
schwierig. Die Lage ist viel zu ernst, um solche Beiträge
wie Ihre abzugeben, die ausgesprochen kleinkariert,
rückwärts gewandt und voller Schuldzuweisungen gewesen sind. Das hilft dem Land nicht weiter. Das hat
dieses Land auch nicht verdient.
({5})
Sie sind wenig glaubwürdig, wenn Sie hier in markigen
Worten die Politik von Hans Eichel geißeln, aber gleichzeitig zu keiner konstruktiven Mitarbeit bereit sind.
({6})
Wir wären in diesem Land schon wesentlich weiter,
wenn Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst wären und
danach handeln würden. Sie sind unglaubwürdig, wenn
Sie die Politik der Bundesregierung immer wieder kritisieren, aber gleichzeitig Maßnahmen, wie sie im Steuervergünstigungsabbaugesetz enthalten sind, verhindern.
Allein die Kommunen haben auf diese Art und Weise in
diesem Jahr Einnahmen in Höhe von 7 Milliarden Euro
verloren. Das haben Sie zu verantworten.
({7})
Sie werfen uns vor, wir würden die Kommunen im Stich
lassen. Sie sind der unseriöse Teil in diesem Haus. Man
braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass die folgenden Beratungen genau so ablaufen werden.
Sie müssen endlich Klarheit darüber schaffen, was
Sie mittragen wollen und was nicht. Darauf haben die
Menschen in diesem Land einen Anspruch. Bei Ihnen
herrscht das reinste Meinungschaos; das will ich Ihnen
deutlich sagen. Als Beispiel nenne ich, wie es mit dem
Steuerabbau weitergehen soll: Koch ist dagegen, Stoiber
ist dafür, Beust ist eingeschränkt dafür, Austermann ist
dagegen, Merz wiederum kann sich alles vorstellen. Wie
soll man in einer solchen Situation zu Verständigung, zu
Verabredungen, zu gemeinsamem Handeln kommen?
Ich kann Sie nur auffordern, sich mit dem, was wir
machen, konstruktiv auseinander zu setzen. Dazu zählt,
nicht nur zu sagen, was Ihnen nicht passt, sondern klar
zu machen, was Ihnen passt. Dann muss man das sortieren. Wir werden ohnehin keine andere Chance haben,
weil die meisten unser Vorhaben zustimmungspflichtig
sind und ohnehin den Bundesrat ereilen. Ich fordere Sie
auf: Beteiligen Sie sich im Interesse dieses Landes konstruktiv an der Weiterentwicklung und stellen Sie das
Meckern, das der Situation nicht angemessen ist, ein!
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Oktober 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.