Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/26/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Heute feiert die Kollegin Brigitte Schulte ihren 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich ihr herzlich und wünsche alles Gute. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung ({1}) - Drucksache 15/1525 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette Widmann-Mauz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung - Drucksache 15/542 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Drucksache 15/800 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Drucksache 15/1071 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems ({2}) - Drucksache 15/1170 - aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3}) - Drucksachen 15/1584, 15/1600 - Berichterstattung: Abgeordnete Helga Kühn-Mengel Annette Widmann-Mauz Dr. Dieter Thomae bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/1586 - Berichterstattung: Abgeordnete Otto Fricke Waltraud Lehn Dr. Michael Luther Anja Hajduk b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung der gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz - zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz, Andreas Storm, Dr. Wolf Redetext Präsident Wolfgang Thierse Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und gestalten - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mut zur Verantwortung - Für ein freiheitliches Gesundheitswesen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten - Drucksachen 15/652 ({6}), 15/1174, 15/1175, 15/1526, 15/1584, 15/1600 Berichterstattung: Abgeordnete Helga Kühn-Mengel Annette Widmann-Mauz Dr. Dieter Thomae Über den Gesetzentwurf zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen, wobei die FDP neun Minuten erhalten soll. ({7}) - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion, das Wort. ({8})

Gudrun Schaich-Walch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001939, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass die sozialen Sicherungssysteme auch in der Zukunft die großen Lebensrisiken, die der Einzelne nicht bewältigen kann, absichern. Deshalb machen wir Reformen, die auf die veränderten gesellschaftlichen und demographischen Rahmenbedingungen eingehen müssen. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zufrieden, dass es uns gelungen ist, an eine gute Tradition anzuknüpfen und bedeutende Gesetzesvorhaben der Sozialpolitik fraktionsübergreifend zu beschließen. ({0}) Die gesetzliche Krankenversicherung ist für unsere Bürgerinnen und Bürger ein sehr wichtiges soziales Sicherungssystem. Sie gibt ihnen die Sicherheit, dass sie bei Krankheit die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten, unabhängig von der Finanzkraft des Einzelnen. Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden damit ihrer Verantwortung gegenüber Patienten, Versicherten, aber auch gegenüber den Beschäftigten im Gesundheitswesen gerecht. Umso mehr bedauere ich es, dass die FDP im Laufe des Verfahrens ausgestiegen ist. Sie zeigen damit, dass Sie eine reine Klientelpartei sind. ({1}) Sie haben mit Ihrem Verhalten deutlich gemacht, dass Ihnen die Gewinnmaximierung einzelner Gruppen wichtiger ist als die soziale Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger im Krankheitsfall. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist ein wichtiger Baustein der Agenda 2010. Wir haben zwar in erster Linie die Gesundheitsversorgung, Prävention und Rehabilitation im Blick, berücksichtigen aber auch die enorme Bedeutung des Gesundheitswesens für den Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Entwicklung. Wir machen diese Reform, damit alle Versicherten weiterhin die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten und am technischen Fortschritt in der Medizin teilhaben können. Wir machen die Reform aber auch, weil wir den Beschäftigten im Gesundheitswesen - sei es den Angestellten, sei es denen, die als Freiberufler tätig sind - weiterhin einen verlässlichen Rahmen für ihre Berufsausübung geben wollen. ({3}) Ich habe in den letzten Wochen immer wieder gehört, es sei eine Reform von historischer Bedeutung, eine Jahrhundertreform. Ich will das Ganze etwas niedriger hängen. Ich glaube aber, dass dieses Gesetz eine entscheidende Reform bewirkt. Es wird allerdings - auch davon bin ich überzeugt - nicht die letzte Reform sein; denn Veränderungen in der Medizin und in der Gesellschaft werden dafür sorgen, dass wir unsere Gesundheitsversorgung diesen Veränderungen auch weiterhin anzupassen haben. Wir haben unser Gesundheitswesen aber nicht nur inhaltlich neuen Aufgaben anzupassen; wir haben auch auf die finanzielle Seite zu achten. In diesen Zeiten ist das oftmals die schwierigere Aufgabe. Durch die Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung stehen für die Gesundheitsversorgung jährlich 142 Milliarden Euro zur Verfügung. Ich halte diese Mittel für ausreichend; ich halte sie aber auch für notwendig, damit die Versicherten die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten. Wir wissen, dass es zurzeit eine Einnahmeschwäche in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt. Diese ist für den Anstieg der Beitragssätze auf 14 Prozent und 14,3 Prozent mit verantwortlich. Ich bin davon überGudrun Schaich-Walch zeugt: Wenn wir nicht handeln, dann ist nicht auszuschließen, dass der Beitragssatz zum Jahresende bei 15 Prozent liegt. - So viel zur finanziellen Seite. Wir haben mit diesem Gesetz aber auch darauf zu reagieren, dass es nicht überall im Gesundheitswesen die erforderliche Qualität und die notwendige Effizienz bei der Leistungserbringung gibt. In dieser Hinsicht sind die Leistungserbringer und die gesetzlichen Krankenkassen in der Pflicht. Wer ein selbst verwaltetes und kein staatliches Gesundheitswesen will, der hat nicht nur die medizinische, sondern auch die wirtschaftliche Verantwortung für das Gesundheitswesen mitzutragen. ({4}) Alle sind jetzt aufgefordert, diejenigen Instrumente, die ihnen das Gesetz bietet, dafür einzusetzen, dass im Gesundheitswesen Qualität verbessert, Effizienz gesteigert und Wettbewerb - die FDP wollte ihn verhindern - stattfindet. Alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung müssen - das haben wir versprochen - die notwendigen Leistungen erhalten können. Dies ist zu Zeiten knapper Kassen ein schwieriger Anspruch; deswegen haben wir uns auf verschiedene Lösungswege begeben. Wir haben lange darüber diskutiert, welche die originären Aufgaben einer Krankenversicherung sind. Wir sind dabei zu dem Schluss gekommen, dass es Leistungen im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gibt, die nicht unbedingt dazugehören. Die Herausnahmen, zum Beispiel die des Sterbegelds, waren für uns dennoch ein sehr schmerzlicher Prozess. Etwas leichter getan haben wir uns mit der Tatsache, dass unsere gesetzliche Krankenversicherung auch Leistungen erbringt, die an sich Gesellschaftsaufgaben sind, zum Beispiel die Finanzierung des Mutterschaftsgeldes. Künftig wird es so sein, dass die gesetzlichen Krankenkassen diese Leistungen zwar übernehmen; allerdings werden sie aus Steuermitteln finanziert. Zur Finanzierung aus Steuermitteln und zur Herausnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ist als ein weiteres Instrument der Aufbau der Selbstbeteiligung der Patienten hinzugekommen. Es ist uns allen nicht leicht gefallen, die Zuzahlungen zu erhöhen und sie anders zu verteilen. Aber nach vielen Diskussionen und auch nach dem Studium von Umfragen bin ich davon überzeugt, dass die Menschen eher bereit sind, mehr zuzuzahlen, als dass sie bereit sind, auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu verzichten. Darauf haben wir entsprechend reagiert. Entgegen allen öffentlichen Behauptungen, dass die Leistungserbringer nicht zur Finanzierung des Systems herangezogen werden, möchte ich nochmals daran erinnern, dass wir im letzten Jahr mit der Verabschiedung des Beitragsentlastungsgesetzes eine Belastung der Leistungserbringer von 3,5 Milliarden Euro beschlossen haben und dass wir sie auch mit diesem Gesetz - allein die Pharmaindustrie wird mit 1,5 Milliarden Euro belastet - hinzugezogen haben. Neben dieser finanziellen Diskussion - ich weiß, dass die Zuzahlungen viele Menschen eher beschäftigen als die strukturellen Instrumente - müssen wir aber auch sehr deutlich darauf hinweisen, dass es uns gelungen ist, eine Reihe von Strukturmaßnahmen zu verwirklichen. Wir hatten uns zwar mehr vorgestellt. Wir haben aber einen Teil unserer Forderungen durchsetzen können. Ich glaube, mittel- und langfristig werden die Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, unsere Gesundheitsversorgung verbessern, die Qualität erhöhen und dabei helfen, das Gesundheitswesen transparenter zu machen. ({5}) Uns allen, die heute abstimmen, ist es bewusst, dass der vorliegende Gesetzentwurf ein Kompromiss ist, der hart erarbeitet wurde und der niemandem leicht gefallen ist. Inhalte, die uns wichtig sind, mussten wir aufgeben. Andere Veränderungen, wie zum Beispiel beim Zahnersatz, mussten um des Kompromisses willen aufgenommen werden. Jede Verhandlungsseite hat Zugeständnisse gemacht. Alle haben die Bereitschaft mitgebracht, über die eigenen Vorstellungen hinaus neue Lösungswege zu eröffnen und damit die notwendigen Veränderungen einzuleiten. In diesem Licht ist den Vertretern der Fraktionen und der Bundesländer, wie ich meine, ein fairer Kompromiss gelungen, der für die Versicherten im Gesundheitswesen gut ist und der zur Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens beitragen wird. Ich finde, dass das, was wir im Bereich der Finanzierung und der Strukturveränderungen im Gesundheitswesen vorgelegt haben, ermöglichen wird, dass sich unser Gesundheitswesen den zukünftigen Veränderungen anpassen kann. Allerdings muss ich auch sagen: Vor dem Hintergrund der demographischen und medizinischtechnischen Entwicklung halte ich es für notwendig, eine Diskussion über die langfristige Ausgestaltung der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu beginnen. Dieser Diskussionsprozess sollte aber in keinem Fall darüber hinwegtäuschen, dass das, was wir an Veränderungen im Gesetz vornehmen mussten, notwendig ist und erst die Basis für eine neue Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung schafft. Wir haben in Zukunft als Erstes auf die Umsetzung des Gesetze zu achten und müssen als Zweites eine solide Diskussion über weitere Veränderungen führen. Dabei sind meiner Meinung nach verschiedene Elemente zu bedenken: Wie soll der Kreis der versicherten Personen aussehen? Welche Einkommen sollen zur Bemessung herangezogen werden? Wie steht es um die paritätische Finanzierung? Egal wie die Diskussion verlaufen wird: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Elemente der solidarischen Krankenversicherung - Junge für Alte, Gesunde für Kranke, Singles für Familien, höhere Einkommen für niedrige Einkommen - in keinem Fall infrage gestellt werden dürfen. ({6}) Es sind immens wichtige gesellschaftspolitische Fragen, die wir nicht in einem Schnellschuss beantworten können, sondern die wir in einer langen, gründlichen und ruhigen Diskussion erörtern müssen. Deshalb hoffe ich, dass wir nach einer guten gesellschaftlichen Diskussion zu tragfähigen Lösungen kommen werden und dass es uns - falls es notwendig ist - wieder gelingen wird, mit einer sehr breiten Mehrheit im Parlament die entsprechenden Veränderungen vorzunehmen. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Zöller, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ganz gleich bei welcher Veranstaltung man momentan auftritt, die erste Frage ist immer wieder: Warum habt ihr da eigentlich überhaupt mitgemacht? Sicherlich wäre es für die CDU/CSU-Fraktion wesentlich einfacher und bequemer gewesen, die Konsensgespräche abzulehnen und die politische Mitverantwortung in diesem Bereich einfach zu verweigern. ({0}) Wir standen vor der Entscheidung, aus parteifaktischen Gründen das Gesundheitssystem gegen die Wand fahren zu lassen oder mitzugestalten. Das Aussteigen wäre aus unserer Sicht unverantwortlich gewesen, zumal sehr große Teile der Reform im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sind und wir somit überhaupt keine Gestaltungsmöglichkeiten gehabt hätten. ({1}) Ich gebe zu: Etliche Einzelregelungen sind aus unserer Sicht nicht ganz logisch. ({2}) Das ist jedoch der Preis eines Kompromisses. Vielen von unseren Kolleginnen und Kollegen fällt ist nicht leicht, diesem Kompromiss zuzustimmen. Es gehört aber dazu, glauben wir, um der Zusammengehörigkeit willen den einen oder anderen Kompromiss mitzutragen, auch wenn er mit der eigenen Überzeugung nicht 100 Prozent übereinstimmt. An der Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser Reform gibt es keine Zweifel. Die Beitragssätze sind die höchsten seit Bestehen der Bundesrepublik und trotz dieser hohen Beitragssätze steigt die Verschuldung der gesetzlichen Krankenversicherung. Würden wir nichts tun, würden wir zum Ende des Jahres Beitragssätze von mehr als 15 Prozent haben. Diese Entwicklung musste unterbunden werden. Dabei waren bestimmte Zielvorgaben zu erfüllen. Um ein positives Signal für mehr Arbeitsplätze zu setzen, mussten die Beitragssätze gesenkt und musste der Weg aus der Verschuldung der Kassen begonnen werden. Darüber hinaus brauchen alle am Gesundheitswesen Beteiligten endlich einmal wieder Planungssicherheit über mehrere Jahre. ({3}) Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um Entscheidungen über Investitionen und über Personalplanung treffen zu können. Die Solidarität ist in unserem System auch nach der Reform ein ganz wesentlicher Punkt; sie wird allerdings durch mehr Eigenverantwortung flankiert. Lassen Sie mich auch an dieser Stelle klarstellen: Eigenverantwortung bedeutet wesentlich mehr als nur erhöhte Zuzahlungen. ({4}) Die Stellung der Patienten musste gestärkt werden. Darüber hinaus waren wir bemüht, in dieser Reform Qualitätssteigerungen, ein Mehr an Transparenz und Effizienz zu erreichen, weil wir das als unverzichtbar ansehen; denn auch langfristig soll allen Bürgerinnen und Bürgern eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zur Verfügung stehen - unabhängig von Alter oder Einkommen. Selbstverständlich provozieren derartige Reformen Widerspruch und heftige Kritik. Die Diskussion darüber wird allerdings nicht immer von rein sachlichen Überlegungen geleitet. Ich möchte einige Punkte ansprechen. Die Kritiker sagen: Die Konsenslösung enthält zu wenig reformerische Ansätze. Gleichzeitig bekommen wir in dieser Woche Briefe des Inhalts: Diese Reform verändert die Strukturen total. - Eines von beiden kann ja wohl nur zutreffen. Dass zukünftig erstmals versicherungsfremde Leistungen nicht mehr beitrags-, sondern steuerfinanziert werden, ist allein schon ein zentraler Schritt in die richtige Richtung. ({5}) Kritiker sagen weiter: Zuzahlungen belasten Kranke über Gebühr. - Auch dies geht an der Realität vorbei. Das gewählte Zuzahlungssystem ist sozial ausgewogen. Niemand wird überfordert, da wir klar definierte Höchstbelastungsgrenzen vorsehen: 2 Prozent des Bruttoeinkommens, bei chronisch Kranken 1 Prozent des Bruttoeinkommens. Außerdem gibt es noch die Sonderregelung für Familien mit Kindern, nämlich Freibeträge, die besondere Rücksicht auf die Situation der Familien nehmen. ({6}) Zuzahlungen sollen auch verhaltenssteuernd wirken und sind die sozial verträglichere Alternative zur Leistungsausgrenzung. Kritiker sagen des Weiteren, die Übertragung der Absicherung des Zahnersatzes in die finanzielle VerantworWolfgang Zöller tung des Patienten sei unzumutbares Abkassieren. Auch das trifft so nicht zu. Das Versicherungsrisiko Zahnersatz auf neue Finanzierungsgrundlagen zu stellen war bestimmt nicht leicht. Für den Versicherten ist damit jedoch auch mehr Wahlfreiheit verbunden. Er kann den Leistungsumfang durch sein eigenes Verhalten wesentlich mitbestimmen. Er kann künftig selbst entscheiden, ob er sich in der gesetzlichen oder in der privaten Kasse versichern will. Die befundorientierten Festzuschüsse ermöglichen ihm auch künftig die Teilhabe am gesamten therapeutischen Leistungsspektrum der Zahnmedizin. Das Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versicherung fördert auch den Wettbewerb der beiden Systeme. Weiter wird gesagt, die Patientenrechte würden nicht gestärkt. Auch dies ist falsch. Wir stärken die Patientenrechte wesentlich durch die Einführung qualifizierter Mitspracherechte sowie die Einbindung von Selbsthilfeorganisationen und die Schaffung eines Patientenbeauftragten. Die Transparenz wird gefördert durch die Einführung der Möglichkeit einer Kostenerstattung, der Patientenquittung und nicht zuletzt einer intelligenten Chipkarte, die dazu beiträgt, dass Missbrauch wesentlich begrenzt wird, und gleichzeitig für den Patienten mehr Sicherheit im Rahmen der Therapie bedeutet. Damit gehört der Dauerbrenner unnötige Doppeluntersuchungen dann endlich der Vergangenheit an. Großen Wert legen wir darauf, dass trotz der strukturellen Reformen die Freiberuflichkeit, die für uns einen Garanten für Qualität, freie Arzt- und Krankenhauswahl sowie Therapiefreiheit darstellt, geschützt wird. ({7}) Besonders froh sind wir, dass die Leistungen für künstliche Befruchtung nicht komplett aus dem Leistungskatalog herausgenommen wurden. Mittels dieser Therapieform kamen im letzten Jahr in Deutschland immerhin 12 000 Kinder zur Welt. Bedauerlicherweise konnten wir uns nicht auf eine niedrigere Arzneimittelkostenzuzahlung für künstliche Befruchtung einigen. Das Regelungswerk, das insbesondere die Apotheker betrifft, war einer der am schwierigsten zu verhandelnden Bereiche. Wir wollten die hochwertige und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht aufs Spiel setzen. Angesichts der sich abzeichnenden Rechtsprechung des EuGH zum Versandhandel auf dem Arzneimittelsektor haben wir die Chance genutzt, politische Rahmenbedingungen vorzugeben, die einen ruinösen Wettbewerb verhindern und gleichzeitig die Arzneimittelsicherheit schützen sollen. Auch die Bildung von Apothekenketten werden wir damit verhindern können, da die Eröffnung von bis zu drei Filialapotheken einer strikten regionalen Begrenzung unterliegt. Darüber hinaus konnte Einigkeit über die herausragende Wertigkeit der Prävention erzielt werden. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass in Deutschland zu viel Geld für die kurative Medizin und zu wenig Geld für die Verhinderung von Krankheiten ausgegeben wird. ({8}) Rund 30 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen entstehen dadurch, dass wir in Deutschland uns verkehrt ernähren und zu wenig bewegen. - Sie brauchen mich jetzt nicht alle anzuschauen; ich weiß, dass ich zu dick bin. ({9}) Wenn wir diese Kosten einsparen könnten, hätten wir zum Beispiel einen größeren Spielraum für innovative Arzneimittel und könnten die Altersproblematik in Deutschland leichter bewältigen. Vor rund fünf Jahrzehnten waren nur halb so viele Menschen über 60 Jahre alt wie heute. Gleichzeitig gab es doppelt so viele Menschen unter 20 Jahren wie heute. Diesem demographischen Wandel müssen wir gerecht werden. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass in dem gemeinsamen Entschließungsantrag, den wir heute verabschieden, der Prävention wieder mehr Gewicht gegeben werden soll. ({10}) Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass diese Reform im Gesundheitswesen nicht die Missstände beheben kann, die auf dem Arbeitsmarkt entstanden sind und durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik nicht korrigiert werden. Ich möchte mir nach drei oder vier Jahren nicht anhören müssen, dass wir, weil die Einnahmeseite noch mehr weggebrochen ist, unser Ziel der Beitragssatzsenkung nicht erreicht hätten. Ich möchte abschließend an alle Akteure im Gesundheitswesen den Appell richten, das jetzige Reformpaket umzusetzen und nicht mit Debatten um weiter gehende Reformen die Bürger und die Leistungserbringer zu verunsichern. ({11}) Auch Zukunftsmodelle, mit denen wir uns alle rechtzeitig auseinander setzen müssen, machen diese Reform nicht überflüssig. Wenn wir jetzt die Diskussion darüber zu sehr intensivieren, könnte es passieren, dass die Beteiligten sagen, sie bräuchten diese Reform nicht so ernst zu nehmen, da ja bald etwas anderes komme. Wir sind darauf angewiesen, dass erst diese Reform umgesetzt ist, bevor wir überhaupt die Möglichkeit haben, Beitragssatzsenkungen vorzunehmen. Jetzt muss zunächst auf der Basis dieser Reform gehandelt werden. Diskutieren über die Zukunft entbindet niemanden davon, das in die Tat umzusetzen, worüber wir heute zu entscheiden haben. Vielen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen haben wir des Öfteren gehört, die Gesundheitsreform habe in der Form, wie sie jetzt auf dem Tisch liege, eine soziale Schieflage. Versicherte und Patienten würden abgezockt, während bei Ärzten, Apothekern und der Pharmaindustrie die Sektkorken geknallt hätten. Dazu ist zu sagen, dass die Koalitionsfraktionen bereits im letzten Jahr mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz den Leistungserbringern einen Sparbeitrag von 3,5 Milliarden auferlegt haben. Wer glaubt, dass bei dieser Reform die Leistungserbringer einfach verschont worden seien, den lade ich herzlich ein, einmal in mein Büro zu kommen. Dort möge man sich durch den ziemlich hohen Stapel von Briefen der Pharmaindustrie wühlen, in denen sie einhellig beklagt, dass sie mit dem ihnen auferlegten Rabatt in den Ruin getrieben würden. Ich teile diese Sorge nicht, denke aber, dass man daran sehen kann: Ungeschoren kommt bei dieser Reform niemand davon. Das ist auch richtig so. ({0}) Ich will weiterhin festhalten: Die höheren Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen, die Patienten und Versicherte zu leisten haben, fließen nicht in die Kassen der Leistungserbringer. Hier geht es nicht darum, dass frisches Geld ins System kommt, wie es sich manche Funktionäre aufseiten der Leistungserbringer wünschten, sondern hier geht es um Beitragssenkungen. Wir hätten, wenn wir keine gemeinsame Reform gemacht hätten - was von unserer Reform im Vermittlungsausschuss des Bundesrates übrig geblieben wäre, das will ich lieber nicht wissen -, am nächsten Ersten des Jahres einen durchschnittlichen Beitragssatz von 15 Prozent. Die Beiträge wären gestiegen; jetzt hingegen werden sie sinken. Das ist eines der wesentlichen Ziele dieser Reform. ({1}) Wir sorgen damit auch dafür - dieses will ich ebenfalls deutlich sagen -, dass niemandem medizinische Leistungen vorenthalten werden und dass alle Menschen auch in Zukunft sicher sein können, die Behandlung zu erfahren, die sie tatsächlich brauchen. Ich sage noch eines: Akzeptanz bei den Versicherten für höhere Eigenanteile wird letztlich nur dann entstehen und bestehen bleiben, wenn klar ist, dass höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen zwar ein notwendiger Bestandteil der Reformstrategie sind, aber nicht der einzige Bestandteil der Reformstrategie. Diejenigen, die jetzt den Eindruck erwecken, dass hinter höheren Zuzahlungen in Wirklichkeit die Absicht steckt, einen Systemwandel herbeizuführen, der hin zu einer Privatisierung der Krankheitsrisiken führt, werden politisch scheitern. ({2}) Gerade die jetzigen Belastungen dürfen kein Weg in die Privatisierungsorgie sein. Sie sind nicht der Einstieg in den Ausstieg aus dem Solidarsystem. Manchem in diesem Hause sei gesagt, dass Diskussionen, die den Eindruck erwecken, dies sei der Weg, in die Privatisierung des Krankheitsrisikos, die Akzeptanz des Reformkompromisses untergraben. ({3}) Zusätzliche Belastungen für Versicherte und Patienten verlangen immer ein überzeugendes Gesamtkonzept. Sie verlangen eine Gesundheitspolitik, die die Ausgabensteuerung über die Schaffung effizienter und effektiver Strukturen betreibt. Dazu gehören Rahmenbedingungen, um die legitimen wirtschaftlichen Interessen der Leistungsanbieter mit dem allgemeinen Interesse am effizienten und kostengünstigen Gesundheitssystem zu verbinden. Das Instrument dazu - davon sind wir überzeugt - ist als das bestimmende Prinzip der Wettbewerb unter den Anbietern von Gesundheitsleistungen. Dazu leistet der Gesetzentwurf einiges: im Arzneimittelbereich mit der Einführung des Versandhandels, mit der - wenngleich begrenzten - Aufhebung des Mehrbesitzverbotes und mit der Preisfreigabe für verschreibungsfreie Arzneimittel, im Vertragsbereich mit der Aufwertung von Einzelverträgen in der integrierten und der hausärztlichen Versorgung, beim Versorgungsangebot mit der Zulassung neuer Leistungsanbieter, wie etwa Gesundheitszentren. Trotzdem - das sage ich auch für die Grünen in aller Deutlichkeit - bleibt der Gesetzentwurf hinter dem Koalitionsentwurf zurück. Es ist nicht gelungen, die Ablösung des Kollektivvertragssystems gegen den Widerstand der Union durchzusetzen. Leider bleiben die Kartelle der Ärzte bestehen. Auch im Bereich des Arzneimittelhandels bleibt die gerade auf unseren Druck erzielte Öffnung hinter den Reformnotwendigkeiten zurück. Kurz und gut: Es bleibt noch etliches zu tun und Sie können sich darauf verlassen, dass wir weiter darum kämpfen werden. ({4}) Ein Gesamtkonzept in der Gesundheitsreform verlangt auch eine Finanzreform. Wir haben jetzt viel auf der Ausgabenseite getan. Aber wir wissen auch, dass der demographische Wandel, der medizinisch-technische Fortschritt und die sinkende Lohnquote eine Schwächung der Finanzierungsbasis herbeiführen. Deswegen stellt sich die Frage, wie wir dieses System insgesamt - auch über den jetzigen Zeithorizont hinaus zukunftsfähig machen. Wir müssen berücksichtigen, dass die Quote der Vermögenseinkünfte am Volkseinkommen in den letzten 20 Jahren zugelegt hat. Dies wird mit dem Aufbau privater Altersvorsorge auch weiter der Fall sein. Daher ist es nur konsequent, wenn man alle Einkunftsarten in die Beitragsbemessung des Solidarsystems einbezieht. Deswegen treten wir Grünen für die Weiterentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung zur BürgerversicheBirgitt Bender rung - eine Versicherung, in der alle Bürger und Bürgerinnen mit allen Einkommensquellen versichert sind und in der die gleichen Spielregeln für alle gelten - ein. ({5}) Abschließend möchte ich noch sagen: Wir stehen mit dem Gesundheitskompromiss vor einem Problem, das für auf langfristige Wirkung angelegte Politik gar nicht so untypisch ist. Die zusätzlichen Belastungen für die Versicherten sind sofort spürbar, die positiven Auswirkungen auf die Strukturen hingegen sind erst mittelfristig sichtbar. Deswegen müssen die Menschen wissen, wohin die Reise geht. Sie müssen wissen, dass es nicht darum geht, das Solidarsystem auf einen Torso zu reduzieren, wie es die Herren von der FDP wollen. ({6}) Wir brauchen ein Reformkonzept, in dem Selbstverantwortung, solidarische Wettbewerbsordnung und gerechte Finanzierung miteinander verbunden werden. Dann sind die Versicherten bereit, belastende Reformmaßnahmen mitzutragen. Darin liegt unsere politische Verantwortung. Ich sage das an die Adresse all derer gerichtet, die an dem Reformkompromiss beteiligt sind. - Herr Zöller, Sie sehen mich an. Diese politische Verantwortung sollten wir alle ausfüllen. Alle sollten sich überlegen, wie sie das tun. Danke schön. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, FDP-Fraktion.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle wissen, dass die umlagefinanzierten Versicherungssysteme an ihre Grenze gekommen sind. Klaus von Dohnanyi hat es präzise ausgedrückt: Sie haben sich in Deutschland immer mehr als Barriere gegen Arbeitsplätze entwickelt und damit haben sie genau das Gut zerstört, das wir brauchen. ({0}) Wir alle wissen, dass eine strukturelle Reform unumgänglich ist. Aber ich sage am Ende dieser Debatte: Nicht eine Zwangsversicherung für alle als reine Geldbeschaffung durch weitere Beitragszahler wird das Gesundheitssystem retten, sondern nur ein klarer Umbau zu einer kapitalgedeckten Versicherungsform mit ernsthaften Wahlmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger selbst. ({1}) In dem vorliegenden Gesetzentwurf von SPD, Grünen und CDU/CSU wird das nicht getan. In ihm wird nach Überzeugung der FDP noch nicht einmal ein geeigneter Versuch unternommen. Er ist durch tiefes Misstrauen gegenüber den Gesundheitsberufen geprägt. In ihm wird weiter reguliert. Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden verschärft, umfangreiche Verordnungskontrollen werden festgelegt und Regressandrohungen sowie Fortbildungskontrollen sind vorgesehen. ({2}) Das ist kein freiheitlicher Entwurf. ({3}) Er sieht Zwangsfusionen vor und beinhaltet die Vorgabe hauptamtlicher Vorstände. Er sieht ein Mitbestimmungsrecht der Krankenkassen bei originären Aufgaben der ärztlichen Selbstverwaltung vor. Das führt zu mehr Staat und zu weniger Selbstverantwortung. Das kann nicht der richtige Weg sein. ({4}) Bei der Zahnmedizin wird ein einziger zaghafter Versuch des Umsteuerns in kapitalgedeckte Versicherungsformen gemacht. Private Unfälle und das Krankengeld - beides hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung erwähnt - bleiben außen vor. Der Versuch umzusteuern ist nicht gelungen. Beim Zahnersatz ist er weder für die Patienten noch für die Zahnärzte noch für die PKV, ja noch nicht einmal für die gesetzliche Krankenversicherung akzeptabel und ordentlich gemacht. Die kontraproduktive Erhöhung der Tabaksteuer wird nicht zu den geplanten Einnahmen führen; das sagt Ihnen jeder. Die Herausnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel wird mit Sicherheit zu Substitutionseffekten führen. Die Mehrkosten der elektronischen Krankenversicherungskarte sind nicht eingerechnet, ebenso nicht die Verlagerung der Kosten für die Behandlungspflege in Heimen von der Pflegeversicherung zur Krankenversicherung. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs kommt hinzu. Die Einnahmeverbesserungen, die Sie sich errechnet haben, tragen nicht. Die Anhörung in dieser Woche hat Sie doch davon überzeugen müssen, dass das Finanztableau noch nicht einmal auf Kante genäht ist. Ihre Vorhaben werden zu keinen Beitragssenkungen führen. ({5}) Ihr Reformkonzept wird keine deutliche Absenkung der Beitragssätze bewirken, jedenfalls nicht für länger als ein Jahr. Aber man unternimmt doch nicht eine solche Anstrengung, wenn man damit die Finanzierungsbedingungen nicht länger als ein Jahr sicherstellen kann! Das sehen eigentlich auch Sie. ({6}) Nun machen die Grünen ein neues Angebot: die Bürgerversicherung. ({7}) Sie findet auch bei der SPD und der CDU/CSU Anhänger. Ich sage Ihnen: Sie wird unser Gesundheitswesen nicht retten; sie ist ein reines Kartell mit Zwangskundschaft. ({8}) Sie dient schlicht der Geldbeschaffung und ist der Verzicht auf Wahlfreiheit und echte Reformen. Sie ist ein einzigartiges Entmündigungsprogramm im Hinblick auf Wahlmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. ({9}) Das sagt Ihnen nicht nur ein Vertreter der Freien Demokraten, auch Hans Barbier, ein großartiger Journalist, beschreibt es treffend in der „FAZ“. Er sagt: Wenn die Bürger der Bundesrepublik noch Bürger sind, dann müssen sie sich gegen diese Zwangsveranstaltung mit Argumenten im intellektuellen Wettstreit der Konzepte und mit dem Stimmzettel am Tage von Wahlen zur Wehr setzen. - Der Mann hat Recht, meine Damen und Herren. ({10}) Notwendig ist nach unserer Überzeugung ein wirklicher struktureller Umbau im Gesundheitswesen. Diesen will ich in der Kürze der Zeit beschreiben; denn niemand sollte hier im Unklaren darüber gelassen werden, dass es zu diesem Gesetzentwurf ernsthafte, verantwortungsbewusste Alternativen gibt. ({11}) Jeder Umbau, der auf mehr Wahlfreiheit abzielt, setzt zunächst einmal deutliche Steuersenkungen voraus; denn wenn man die Menschen dazu auffordert, mehr private Verantwortung zu übernehmen, dann muss man ihnen netto mehr belassen, damit sie die Verantwortung wahrnehmen können. ({12}) Damit sollte die Diskussion beginnen. Ich bin dankbar, dass heute in der Presse zu lesen ist, dass auch der frühere Bundespräsident Herzog genau das empfiehlt. Folgender Weg ist der Ehrlichkeit halber erforderlich: die klare Ausgliederung von abgrenzbaren Leistungskomplexen. Die Ausgliederung des Krankengeldes, der Zahnmedizin und der Unfallversicherung wäre ein Einstieg gewesen. ({13}) Wenn Sie die Senkung von Lohnzusatzkosten und damit mehr Arbeitsplätze für die junge Generation erreichen wollen, dann müssen Sie solch einen strukturellen Umbau vornehmen. Nur dann macht er Sinn. ({14}) Sie müssen sich der schweren Aufgabe - sie ist nicht leicht; aber was ist schon leicht? - unterziehen, einen Pflichtleistungskatalog für die gesetzliche Krankenversicherung zu entwerfen. Er muss auf klar abgrenzbare Bereiche und strukturelle Reformen abzielen. In Deutschland wird immer von Beschäftigungsdynamik geredet. Um sie zu erreichen, muss man die Lohnzusatzkosten und damit den Arbeitgeberanteil - er soll als Lohnbestandteil ausgezahlt werden - begrenzen. ({15}) Die Bürgerinnen und Bürger sind erwachsen. Sie können selbst entscheiden, bei wem sie sich versichern. Das ist echte Wahlfreiheit. Frau Kollegin Schaich-Walch, ich möchte Ihnen sagen: Hüten Sie sich vor dem Vorwurf uns gegenüber! Wer Wettbewerb auf der Seite der Ärzte will, der muss auch Wettbewerb auf der Seite der Versicherungen anbieten, sonst ist er nicht fair. ({16}) Wenn Sie Einzelverträge mit Ärzten wollen, dann hören Sie mit der dauernden Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf, wodurch Sie die gesetzlichen Krankenversicherungen fast zu Monopolanbietern machen, die dann mit dem Abschluss eines Einzelvertrages entscheiden können, ob die freiberufliche Existenz eines Arztes oder einer Ärztin überhaupt noch bestehen kann. Wettbewerb - er muss fair sein - muss auf beiden Seiten herrschen. ({17}) Wenn wirklicher Wettbewerb herrschte und die Patientinnen und Patienten - die Bürgerinnen und Bürger wirklich darüber entscheiden könnten, bei wem sie ihrer Pflicht zur Versicherung nachkommen, dann - ich wage die Prognose - wäre die Perspektive für Beitragsstabilität - für Beitragssenkungen - deutlich besser als nach dem halben Schritt, der in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist. ({18}) Eine solche Reform wäre eine klare Antwort auf das Beschäftigungsproblem in Deutschland. Nur sie böte überhaupt die Chance, die Lohnzusatzkosten zu begrenzen und der jungen Generation wieder eine Perspektive zu geben. Sie würde den Menschen wieder ihr verfassungsmäßiges Recht einräumen, frei wählen zu können. So könnte ein wirklicher Wettbewerb ausgelöst werden. ({19}) Solch eine Reform stellt eine große Anstrengung dar. Sie muss auch gegen viele durchgesetzt werden. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt aber zu Recht: Schlimm ist, wenn das Volk den Eindruck gewinnt, bei den Reformen gehe es nur um Opfer - so wie bei der Gesundheitsreform, ausgehandelt von einer SPD-Ministerin und einem CDU/CSU-Abgeordneten, die zwar für die Patienten mehr Einschnitt bringt, die aber alle Schritte zugunsten von mehr Wahlfreiheit und Effizienz erst einmal blockiert. Der Wähler muss darauf vertrauen können, dass die ganzen Opfer einen Sinn haben. Das ist des Pudels Kern. Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger - bei den Problemen, die sie erkennen - im Zusammenhang mit dem Umbau der Gesellschaft bereit sind, Anstrengungen auf sich zu nehmen; aber sie möchten bezogen auf das Konzept Licht am Ende des Tunnels sehen. Sie aber sagen nicht, warum das unternommen werden muss. Das ist der Punkt. Die Notwendigkeit struktureller Veränderungen war der Ausgangspunkt von Verhandlungen. Sie sollten eigentlich endlich einmal das Fundament dafür schaffen, dass nicht ein weiteres kleines Reparaturgesetz an zehn beschlossene Reparaturgesetze angehängt wird. Das wird nun aber wieder getan. Sie sprechen selbst schon wieder mit großer Mühe davon, dass Sie 2006 den großen Wurf machen wollen. Ich habe nicht die Hoffnung, dass Rot-Grün in dieser Frage einen großen Wurf schafft. Sie haben zu viel Angst vor der freien Entscheidung der Bürger. Sie regulieren lieber. Wenn Sie aber diese Grundhaltung beibehalten, dann kann das nichts werden. ({20}) Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Entwurf uns vorliegt, wird der unüberschaubaren Anzahl von Reparaturgesetzen ein weiteres hinzugefügt. Schade, dass eine große Chance vergeben worden ist. Dieses Gesetz verdient seinen Namen nicht. Die Bundestagsfraktion der FDP wird ihm nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Gerhardt, die Lobby klatscht. Anders kann ich es nicht nennen. Die Vorstellungen, die Sie eben vorgetragen haben, sind unerträglich. Bis zur Verabschiedung der Eckpunkte waren Sie an dieser Gesundheitsreform doch beteiligt! Sie hatten die Chance, Solidarität zu beweisen und bei dieser wirklich schwierigen Reform mitzustimmen. Das einzige aber, was Sie und Ihre Partei getan haben, war, die Menschen zu verunsichern, indem Sie immer nur davon gesprochen haben, wir wollten eine Zwangsversicherung einführen, wollten eine Einheitskasse usw. Ich glaube, Sie leiden vielmehr an Zwangsvorstellungen! ({0}) Sie wollen keinen fairen Wettbewerb. Das einzige, was Sie wollen, ist eine Förderung Ihrer Klientel, und das auf dem Rücken der sozial Schwachen in unserer Gesellschaft und auf dem Rücken der Kranken. ({1}) Ihr Finanztableau war nicht nur auf Sand gebaut - das wäre zu vorsichtig formuliert -, Ihre Wünsche waren überhaupt nicht finanzierbar. In Ihren blumigen Vorträgen haben Sie hier einen Katalog an Wünschen vorgetragen; ich nenne nur die Wendungen „Mut zur Verantwortung“, „freiheitliches Gesundheitswesen“, „Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten“. Das sind nur lauter Sprüche, ohne Inhalt und ohne solide Finanzierung. Sie wollen weiter, dass der halbe Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel abgesenkt wird - das will ich natürlich auch -, nur taucht in keiner Ihrer Vorlagen ein Vorschlag zur Gegenfinanzierung auf. Sie betreiben Verunsicherung. Das, was Sie fordern, ist unsolide. Bei den von Ihnen vorgeschlagenen Reformen sagen Sie nicht, wie Sie auch nur irgendetwas davon finanzieren wollen. Graf Lambsdorff hat einen guten Vorschlag gemacht. Hätten Sie nur auf ihn gehört! ({2}) Sie haben eine Chance vertan, im Deutschen Bundestag gemeinsam, über Parteigrenzen hinweg, einer fairen und soliden Gesundheitsreform zuzustimmen. Schade, dass Sie diese Chance vertan haben! ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Gerhardt, Sie haben das Wort.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Kollegin, man merkt an der Art Ihrer Einlassung, dass Sie der Vorwurf trifft, die Grünen würden mit der Bürgerversicherung schlichtweg ein Modell zum Geldabkassieren vertreten. Darum geht es bei dieser Auseinandersetzung. ({0}) In einer solchen Debatte muss die Öffentlichkeit den Kern der Auseinandersetzung erfassen können; er muss für sie verständlich sein. Der Kern ist: Sie, die Grünen, machen auf Trippelschritten kleine Reparaturgesetze, obwohl Sie den großen politischen Anspruch haben, Sie seien eine Reformpartei in Deutschland. ({1}) Sie verweigern den Bürgerinnen und Bürgern ganz entschieden wirkliche Selbstbestimmung und Wahlfreiheit. ({2}) Sie vergrößern auf der einen Seite die Bedeutung der gesetzlichen Krankenkassen und fordern auf der anderen Seite bei anderen den Abschluss von Einzelverträgen ein. Ihr Außenminister, Joschka Fischer, schlägt als Modell der Grünen zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen in einem freiheitlichen Staat ein Zwangskollektiv vor. Ich kann Sie nur ermuntern, diese Diskussion fortzuführen. Wir freuen uns darauf. Ich nenne Ihnen noch einmal kurz unsere Alternative. In einem freiheitlichen Staat mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollten diejenigen auf der Nachfrageseite die Entscheidung treffen. Deshalb vertritt die FDP ein Modell, das das glatte Gegenteil von Ihrem Modell ist, und stimmt deshalb Ihrem Gesetzentwurf auch nicht zu. Die Bürgerinnen und Bürger selbst müssen mit mehr Netto im Portemonnaie und einer Belohnung ihrer Leistung an die Stelle der Nachfrager gesetzt werden. Eine Diskussion darüber kann ruhig öffentlich ausgetragen werden. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Kirschner, SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass bezüglich des Entschließungsantrages Folgendes ins Protokoll aufgenommen werden muss: „angenommen mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP“. Herr Präsident, ich bitte Sie, das mit ins Protokoll aufzunehmen. Herr Kollege Dr. Gerhardt, die FDP ist aus den Konsensgesprächen ausgestiegen und jetzt reden Sie hier von mehr Wettbewerb. Ich frage mich, wo Ihre Forderungen nach mehr Wettbewerb zum Beispiel bei der Arzneimitteldistribution und nach der Freigabe des Versandhandels waren. ({0}) Wie sieht es bei Ihnen bezüglich des Wettbewerbs und des Mehrbesitzes bei den Apothekern aus? Warum sind Sie hier nicht dabei? Dabei geht es doch auch um Wettbewerb. Sie wollen einen Scheinwettbewerb zugunsten der Besitzstandswahrer und zulasten der Versicherten und Patienten. Das ist doch die Realität! Das ist doch der Punkt! Sie verstecken sich dahinter und sonst gar nichts. ({1}) Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den wir jetzt abschließend beraten - das sage ich offen -, bietet nicht allzu viel Anlass zur Euphorie. Lassen Sie mich dies aber auch sagen: Das Ergebnis ist nicht kleinzureden. ({2}) Es ist das Resultat einer Partnerschaft, die aus Vernunftgründen und aufgrund der Zustimmungspflichtigkeit geschlossen wurde; Kollege Zöller hat ebenfalls darauf hingewiesen. Die Kompromissbereitschaft der SPD - auch das will ich nicht verschweigen - wurde in den Verhandlungen zeitweise aufs Höchste strapaziert. Das ist wie bei einer Vernunftehe und der Unterschied zu einer Liebesheirat. Die Vernunftehe beendet man nach einer gewissen Zeit auch wieder. Lassen Sie mich dies aber auch sagen: Es ist ein tragbarer Kompromiss. Man darf nicht verschweigen, dass die Patienten Zuzahlungen von bis zu 2 Prozent des Bruttohaushaltseinkommens leisten müssen. Für chronisch Kranke haben wir den Anteil auf 1 Prozent halbiert. Weil der Kollege Seehofer in der ersten Runde auch der SPD einiges gesagt hat, möchte ich Folgendes deutlich anmerken: Wäre es nach der CDU/CSU gegangen, würden die zusätzlichen Zuzahlungen um fast 6 Milliarden Euro steigen. Belastungen in dieser Größenordnung waren mit uns nicht zu machen. Die beschlossenen Zuzahlungen, die sich immerhin auf 3,2 Milliarden Euro jährlich summieren, sind zu akzeptieren, weil die Beiträge ansonsten weiter steigen würden und dies zu einem weiteren Verlust von Arbeitsplätzen führen würde. Dies muss man immer vor dem Hintergrund der gesamten Diskussion sehen. Die strukturellen Reformschritte, die Inhalt dieses Gesetzes sind, werden die Qualität unseres Gesundheitssystems verbessern und die Wirtschaftlichkeit steigern. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diejenigen, die in der Selbstverwaltung Verantwortung tragen, dieser auch gerecht werden und die Blockadehaltung, die wir in der Vergangenheit zu oft erlebt haben, aufgeben. ({3}) Das gilt sowohl für die Krankenkassen als auch vor allem für Leistungserbringer. Hier seien die Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die Pharmaindustrie, die beispielsweise die Aut-idem-Regelung unterlaufen hat, die wir in einem anderen Gesetz auf den Weg gebracht haben, unumwunden genannt. Ich füge hinzu: Es kann auch nicht angehen, dass beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon jeder dritte Diabetiker in ein strukturiertes Behandlungsprogramm eingeschrieben ist, die Programme vom Bundesversicherungsamt aber immer noch nicht akkreditiert wurden. Auch das müssen wir in Ordnung bringen. ({4}) Meine Damen und Herren, die Ablösung des Honorarbudgets für die Vertragsärzte ab 2007 und die Umstellung auf Regelleistungsvolumina bei festen Preisen sind neu. Diese Preise sollen sich an der Krankheitsentwicklung der Bevölkerung orientieren. Dies bietet den Ärzten Chancen, wie sie ihnen weder ein Minister Blüm noch ein Minister Seehofer jemals geboten haben. Es ist zu hoffen, dass das Verantwortungsbewusstsein der Ärzte mit diesen Chancen Schritt hält. Die Einschätzung des Kollegen Seehofer aus der ersten Lesung, die Neuordnung der ärztlichen Vergütung führe zu einer qualitativ wesentlich verbesserten mediziKlaus Kirschner nischen Versorgung, vermag ich nicht zu teilen. Bisher sehe ich vor allem, dass mehr Geld in den ambulanten Bereich fließt; denn hier, das müssen wir wissen, lauern unterschwellig Mengenausweitungen in erheblichem Ausmaß. Ob dies tatsächlich zu mehr Qualität führen wird, werden wir als Gesetzgeber genau zu beobachten haben. In anderen Bereichen geht der Gesetzentwurf eindeutig in die richtige Richtung, nämlich hin zu mehr Wettbewerb um mehr Qualität. Herr Kollege Dr. Gerhardt, in diesem Punkt unterscheiden wir uns diametral. Wir wollen einen Wettbewerb um mehr Qualität und nichts anderes. ({5}) Meine Damen und Herren, ich möchte hier vor allem die Förderung von neuen medizinischen Versorgungszentren, in denen sowohl freiberufliche als auch angestellte Ärzte und andere Gesundheitsberufe gemeinsam tätig sein können, hervorheben. Für alle Beteiligten ist dies eine Verbesserung ihrer Berufsmöglichkeiten und für die Patienten eine Verbesserung in der Behandlung durch kurze Wege und die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen. Die medizinischen Versorgungszentren - lassen Sie mich dies auch sagen - sind ein Baustein für die Weiterentwicklung der integrierten Versorgung, die wir insgesamt mit diesem Gesetz stärken. ({6}) Durch die 1-Prozent-Regelung setzen wir sowohl bei den Krankenkassen als auch bei Ärzten bzw. Ärztenetzen und Krankenhäusern die richtigen Anreize, damit Verträge zur integrierten Versorgung endlich verstärkt abgeschlossen werden. ({7}) Zusammen mit der Ausweitung der Vertragsmöglichkeiten auch auf Managementgesellschaften wird dies den Qualitätswettbewerb nachdrücklich fördern helfen. Das trifft ebenso zu auf die Option für die Krankenkassen, ihren Versicherten für die Beteiligung an strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke Boni zu gewähren. Zusammen mit der Anbindung dieser Disease Management Programme an den Risikostrukturausgleich wird das diese strukturierten Behandlungsprogramme deutlich fördern. Hier werden entscheidende Impulse für eine deutliche Qualitäts- und Effizienzsteigerung in der Versorgung der Betroffenen gesetzt. Herr Kollege Dr. Gerhardt, Sie sollten sich auch folgende Tatsache einmal vor Augen halten: 10 Prozent der Versicherten - das gilt für die gesamte Gesellschaft sind chronisch Kranke, die 80 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung verursachen. Das ist ein Umstand, den man auch unter finanziellen Aspekten auf Dauer gar nicht hoch genug einschätzen kann. Wir werden ihn in dieser Reform berücksichtigen. Hier Kapitaldeckung als Alternative anzubieten, ist doch geradezu ein Witz. ({8}) Es ist doch geradezu absurd, so etwas als Lösung anzubieten. ({9}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als weiteren Punkt den stationären Bereich ansprechen. Hier werden richtige Anreize zur Qualitätssteigerung gesetzt. Ich erinnere an die neuen Möglichkeiten für Krankenhäuser, sich an DMP-Programmen, also strukturierten Behandlungsprogrammen für ambulante Leistungen, zu beteiligen. Dazu ist vor allem die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser für hochspezialisierte ambulante Leistungen, für die Behandlung seltener Krankheiten und bei Unterversorgung zu zählen. Das wird die Qualität und die Wirtschaftlichkeit in unserem Gesundheitswesen deutlich steigern. Meine Damen und Herren, ich sage auch deutlich: Ein Mehr an Qualitätswettbewerb wäre wünschenswert gewesen, war aber nicht durchzusetzen. Ich nenne als Beispiele die Positivliste oder die weitere Öffnung des Apothekenmarkts. Wenn dann der baden-württembergische Ministerpräsident, also der Ministerpräsident des Bundeslandes, aus dem ich komme, Herr Teufel, behauptet, das Gesetz sei wegen mangelnden Wettbewerbs zum Scheitern verurteilt, muss ich sagen: Das ist geradezu ein Treppenwitz; denn sein Sozialminister war an den Verhandlungen beteiligt. An dieser Stelle möchte ich die Kollegen von CDU/ CSU bitten, auch ihrem neuen Gesundheitsexperten Friedrich Merz das Gesetz und die Zusammenhänge näher zu erklären. Keineswegs wird - das will ich schon einmal sagen -, wie Herr Merz behauptet hat, der Staat künftig über die Tabaksteuer die GKV subventionieren. Da verwechselt Herr Merz einiges. Im Gegenteil, wir schaffen nach Jahrzehnten endlich den Umstand ab - da haben Sie auch mitgeholfen -, dass die Versicherten den Staatshaushalt subventionieren, nämlich über die Bezahlung von richtigen gesellschafts- und familienpolitischen Maßnahmen. Mithin wird die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen jetzt auf andere Füße gestellt. Das ist dringend notwendig, letzten Endes auch, um die Beitragssätze nicht nur zu stabilisieren, sondern sie auch zu senken. ({10}) - Und möglicherweise keinen richtigen Auspuff. - Leider mussten wir beim Zahnersatz mit der Ausgliederung der paritätischen Finanzierung und der Möglichkeit zur Absicherung durch die PKV oder in der GKV eine bittere Pille schlucken. Diesen Weg halte ich für falsch, aber er war Teil des Kompromisses. Ich bin mir sicher, dass ein Weg der Entsolidarisierung von den Menschen in unserem Land insgesamt abgelehnt wird. Mit den Strukturmaßnahmen in dem vorliegenden Gesetz - lassen Sie mich dies noch einmal deutlich machen - wird der richtige Weg der Reformen in unserem Gesundheitswesen beschritten, nämlich die Förderung des Qualitätswettbewerbs unter den Leistungserbringern, ein echter Wettbewerb unter den Kassen im Hinblick auf die optimierte Versorgung von Versicherten bzw. Kranken sowie die Stärkung des Gemeinwohls im Gesundheitswesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Kirschner, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich noch einen halben Satz sagen, Herr Präsident. - Die Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung auf alle Bürgerinnen und Bürger ist keine Zwangsversicherung, sondern die Zukunft. Ich bedanke mich. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben aus den Konsensverhandlungen ein Ergebnis mit schmerzhaften Kompromissen erzielt, das der akuten Notsituation im deutschen Gesundheitswesen Rechnung trägt und mehr als nur eine Notoperation ist. Nach den Worten des geschätzten Kollegen Kirschner muss ich doch noch etwas zur Historie sagen. Bei der Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition 1998 lag der Krankenkassenbeitragssatz bei durchschnittlich 13,6 Prozent. Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz wurden die Weichen zurück in die Vergangenheit gestellt: Die Zuzahlungen wurden drastisch vermindert, die Kostenerstattung eingeschränkt, die Regelleistungsvolumina für niedergelassene Ärzte abgeschafft. Zudem war zuvor mit den Zahnlücken junger Menschen im Wahlkampf Stimmung gemacht worden. Jetzt holt uns die Vergangenheit ein; denn in den fünf Jahren seit 1998 ist das Gesundheitssystem an den Rande eines Kollapses geraten. ({0}) Der hohe Versorgungsgrad und die flächendeckende Versorgung konnten mit Mühe aufrechterhalten werden, aber die Finanzierungskrise wurde immer bedrohlicher. Wenn wir die Schulden der Krankenkassen umrechnen, müsste der Krankenkassenbeitrag heute bei über 15 Prozent liegen. Die Sorge der Patienten bzw. der Versicherten um ihre Behandlung im Krankheitsfall ist nicht aus der Luft gegriffen; denn keiner bestreitet die verdeckte Rationierung durch Budgetierung in den Arztpraxen, die zunehmenden Finanzprobleme in den Krankenhäusern und die Notwendigkeit, den Menschen angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung die brennende Sorge zu nehmen, dass am Ende ihres Lebens Geldmangel Einfluss auf das therapeutische Vorgehen haben könnte. In dieser Situation hat die Bundesregierung im März dieses Jahres den ersten Arbeitsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems auf den Weg gebracht, der uns mit dem Kontrollzentrum für Qualität in der Medizin als eine unverdauliche Mischung von Staatsmedizin auf der einen Seite und wildem Wettbewerb auf der anderen Seite erschien. Ich nenne als Beispiel, dass 350 Krankenkassen mit 50 000 Fachärzten Einzelverträge schließen sollten. Die bedauerliche Erkenntnis, dass vieles auch ohne den Bundesrat durchgesetzt werden könnte und dass das dann zu erwartende Patchworkgesetz das Gesundheitswesen noch weiter in Bedrängnis bringen würde, dazu weiter rapide steigende Krankenkassenbeiträge und die erkennbare Bereitschaft der Koalitionsfraktionen, altbewährte Seehofer-Instrumente wieder hervorzuholen, mussten die Union bewegen, in Konsensverhandlungen einzutreten. Der gefundene Kompromiss darf nicht kleingeredet werden. Im Vordergrund der Diskussion stehen zurzeit zu Recht die Belastungen vorrangig für Versicherte und Patienten durch Zuzahlungen, Aufhebung der paritätischen Finanzierung beim Krankengeld und die alleinige Verantwortung für die Versicherung des Zahnersatzes. Aber alle verantwortungsvollen Gesundheitspolitiker sind sich darin einig, dass diese Belastungen genauso wie die Belastungen der niedergelassenen Ärzte in Zeiten von Nullrunden, Ausgleichszahlungen Ost-West und weiteren Honorarkürzungen für die Anschubfinanzierung ebenso wie die Belastungen für die Krankenhäuser - von den gravierenden Veränderungen im Apothekenund Pharmabereich ganz zu schweigen - nur dann zu rechtfertigen sind, wenn der Beitragssatz im nächsten Jahr tatsächlich auf 13,6 und in den Folgejahren Richtung 12 Prozent sinkt. Dies alles und die Frage, ob es richtig ist, dass Kopfschmerztabletten und Nasentropfen selbst zu bezahlen sind, ist vielfach bewegt und jetzt entschieden worden. In diesem Bereich liegen die Notwendigkeiten, aber nicht die Stärken dieses Gesetzes. Die Stärken dieses Gesetzes - diese Stärken wirken weit über die Zeitgrenze hinaus, die jetzt besorgte Geister für erneute Korrekturen inklusive umwälzender Änderungen von Versicherungsformen prophezeien - liegen da, wo aus dem Mix von Staatsmedizin und Wildwestwettbewerb eine solide Konstruktion geworden ist, die als tragende Teile die Krankenkassen, die Patienten und ihre Organisationen und die Leistungserbringer enthält. Ich möchte Ihnen dazu drei Beispiele nennen: Erstens. Die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung besetzen einen gemeinsamen Bundesausschuss, dem ein unabhängiges Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zuarbeitet. Hier gilt bis hin zur Finanzierung das Prinzip: Selbstverwaltung vor staatlicher Abhängigkeit. Zweitens. Ablösung der Ärztebudgets durch Regelleistungsvolumina. Endlich erhält der einzelne Arzt feste Preise in Euro und Cent für Diagnose und Therapie. In die Arztpraxen zieht endlich wieder Planungssicherheit ein. Was ebenso wichtig ist: Finanzielle Auswirkungen von Veränderungen oder Häufigkeitsverteilungen gehen nicht mehr zulasten der Ärzte. Drittens. Die Patientensouveränität, die Patienteninformation werden entscheidend gestärkt. Die Patienten haben die Möglichkeit, sich am gemeinsamen Bundesausschuss zu beteiligen. Sie haben vermehrte Wahlmöglichkeiten über Kostenerstattung, Bonus, Selbstbehalt und Beitragsrückgewährung. Die Vielfalt neuer Alternativen lässt sich in der Kürze der Zeit nicht aufzählen, aber die Begeisterung, mit der die Versicherten schon jetzt innovative Angebote wie beispielsweise die der Techniker-Krankenkasse nachfragen, übersteigt alle Erwartungen. Der hektische Einzelwettbewerb im ursprünglichen Gesetzentwurf der Regierung ist im jetzigen Gesetz durch die große Chance eines Wettbewerbs im System ersetzt worden. Das ist deswegen eine große Chance, weil die so genannte integrierte Versorgung, jetzt befreit von ihrem bürokratischen Ballast, nach meiner festen Überzeugung eine wichtige Versorgungssäule in der Zukunft darstellen wird. Vereinfacht gesprochen: Bisher hatte sich der Verlauf einer Erkrankung gefälligst nach dem sektoral gegliederten deutschen Gesundheitssystem zu richten, mit Hausärzten, Fachärzten, Krankenhäusern und Rehaeinrichtungen, und das alles durch Kommunikations-, Rechts- und Vergütungsbarrieren getrennt. Die Erkrankung hat das aber leider selten getan. Nun haben wir bei der integrierten Versorgung ein ganz anderes System mit ganz anderen Anreizen. Hier werden der Krankheitsverlauf und die Krankheitsbehandlung als ein Prozess gesehen, der fließend die bisherigen Sektorengrenzen überwindet und alle Beteiligten, ob Hausärzte, Fachärzte, Krankenhausärzte, Physiotherapeuten, Pflegedienste und Apotheker, zu einem großen Team zusammenbringt. Der jeweils Richtige kümmert sich im richtigen Moment am richtigen Ort um den Patienten und seine Erkrankung. Dann ist auch folgerichtig, dass die Vergütung sektorenübergreifend angelegt sein muss und diese ebenso wie der Qualitätsstandard mit den Krankenkassen ausgehandelt wird. Wir werden ja sehen, wie sich dieses innovative System im Wettbewerb mit dem bisherigen Regelversorgungssystem bewährt. Hier geht es nicht um die Zerschlagung der Machtkartelle der Kassenärztlichen Vereinigungen, wie immer wieder gesagt wird, sondern um die Bereitschaft aller, die Chancen zu nutzen, die in den neuen Instrumenten bestehen. Die Instrumente, die angeboten werden, sind vielfältig: sich für ambulante Leistungen öffnende Krankenhäuser, fachübergreifende Versorgungszentren mit niedergelassenen und angestellten Ärzten mit Einbindung von Apothekern und Physiotherapeuten, Netzsysteme mit Ärzten gleicher Fachrichtung oder Netzsysteme mit Hausärzten, Fachärzten, Krankenhäusern und Rehaeinrichtungen. Das sind Möglichkeiten, die schnell genutzt werden können. Gespräche mit Leistungserbringern zeigen, dass diese die Chancen erkennen. All dies dient in erster Linie dem Patienten, der in Zukunft unter Nutzung von Leitlinien und strukturierten Behandlungsformen effizienter therapiert werden kann. Wenn ich nicht Gesundheitspolitiker, sondern Lehrer wäre, dann würde ich meine Zensur für das Ergebnis der Konsensgespräche in zwei Noten aufteilen. Die erste Note gäbe ich für die Kostendämpfungsmaßnahmen und die Elemente wie Ausgliederung, Zuzahlung, Versicherungsanteile, Beitragsrückgewährung und Selbstbehalt, für all das, was aufgrund der katastrophalen Einnahmeschwäche, bedingt durch mangelndes Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit, nicht zu vermeiden war. Hier würde ich eine Note zwischen „befriedigend“ und „ausreichend“ geben, weil die rot-grüne Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik ungenügend ist. Dafür würde ich eine Sechs geben. ({1}) Die zweite Note, die ich angesprochen habe, bezieht sich auf die zukunftsweisenden strukturellen Elemente des sanften Umsteuerns im System. Hier, glaube ich, liegen die entscheidenden Stärken des Gesetzes; dies hat eine Zwei plus verdient. Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich der Konsens im Interesse der kranken Menschen in Deutschland gelohnt. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Gästen möchte ich sagen: Ich bin Abgeordnete der PDS. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur empfehlen, die Konferenzen des Bundesverbands der Deutschen Industrie zu besuchen. Da wird Klartext gesprochen, wie in dieser Woche in Berlin. Das Motto der Veranstaltung „Freiheit wagen - Fesseln sprengen“ hat schon etwas Umstürzlerisches. Ich bin mir nicht sicher, ob sich all das, was dort besprochen wurde, wirklich noch auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt. Was hier im Bundestag etwas verklausuliert gesagt und beschlossen wird, kann man beim Bundesverband der Deutschen Industrie vorab im Klartext hören. So war unter anderem das Forum „Vitalität durch Forschung, Prävention und neue Regeln der Gesundheitsvorsorge“ sehr aufschlussreich. Dort wurde von einem Vorstand der Bayer Health-Care AG beklagt, dass Deutschland nicht mehr die „Apotheke der Welt“ sei und sich unter den zehn größten Pharmakonzernen der Welt kein deutscher mehr befinde. Ehrlich gesagt, ich möchte nicht in der größten „Apotheke der Welt“ leben. Mir wäre es lieber, in einem Land zu leben, in dem ein solidarisches System der Gesundheitsversorgung dauerhaft gesichert ist, in dem sich die Menschen wohl fühlen und möglichst selten einen Grund haben, in die Apotheke zu gehen. ({0}) Viele Menschen fürchten doch, dass sie eines Tages nicht mehr das Geld haben werden, um ihre Medizin oder den Aufenthalt im Krankenhaus bezahlen zu können. In Kanada gibt es Studien, die belegen, dass die Einführung des Eintrittsgeldes beim Arzt dort zu einem gravierenden Rückgang der Zahl der Arztbesuche durch arme Menschen geführt hat. Es ist klar: Arme Menschen gehen dann seltener zum Arzt, weil sie die Gebühr nicht zahlen wollen und können. Sie gehen erst dann zum Arzt, wenn es gar nicht mehr geht. - Wir alle können uns doch ausrechnen, dass eine verspätete Behandlung letztlich teurer ist als eine rechtzeitige. Sie wissen das, meine Damen und Herren. Sie kennen schließlich auch die Studien und informieren sich. Trotzdem wollen Sie mit diesem Gesetz das Eintrittsgeld für den Arztbesuch einführen, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich möchte noch einmal auf die Forumsdiskussion beim Bundesverband der Deutschen Industrie zurückkommen. Ein Wissenschaftler beruhigte den Herrn von der Bayer AG mit dem Hinweis, dass sie in Zukunft, wie in den USA, ihr Geld nicht mehr mit der einen oder anderen Krankheit verdienen werden, sondern mit neuen Krankheiten, mit den „diseases of the rich“, mit den Krankheiten der Reichen. Das hat sich wohl schon unter einigen Ärzten in unserem Land herumgesprochen. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem „Spiegel“, der Ausgabe Nr. 39 dieses Jahres: Der Leiter der Transplantationschirurgie am Münchner Klinikum Großhadern, Walter Land, ließ seine einheimischen Patienten Patienten sein und fehlte 16 Tage unentschuldigt, um in Abu Dhabi für einen reichen Patienten zum Skalpell zu greifen. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, meine Damen und Herren insbesondere von der FDP: Ich habe nichts gegen den „weißen Tourismus“. Im Gegenteil, für viele Kliniken ist das eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle. Doch es entsteht schon ein fader Nachgeschmack, wenn für Patienten mit viel Geld ein Kopfstand gemacht wird und beim einfachen Kassenpatienten der materielle Anreiz fehlt, mehr als das Nötige zu tun. Noch ein Wort zur Pharmabranche. Ich will nicht alle Unternehmen dieser Branche über einen Kamm scheren. Aber es gibt viele kleine und mittelständische Unternehmen, gerade in den neuen Bundesländern, die unter dem heute zu beschließenden Gesetz leiden werden, die nicht die Kraft und das Geld haben, sich mit ihrer Produktion auf die „diseases of the rich“, auf die Krankheiten der Reichen, zu spezialisieren. Ich komme ein letztes Mal auf den Kongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie zurück. Dort wurde über dieses Gesetz, um das innerhalb der beteiligten Fraktionen hart gerungen wurde und das heute beschlossen werden soll, gar nicht mehr gesprochen. Es lag bereits ein neues Konzept für das Gesundheitssystem bereit: Pauschalprämie in der Krankenversicherung. Wir als PDS werden die Regierung unterstützen, wenn sie sich für eine wirkliche Bürgerversicherung einsetzen sollte. Das wurde heute von einigen Fraktionen angekündigt. Ich hoffe, es ist ernst gemeint. Gegen die unsoziale Kopfpauschale werden wir uns wehren. Der Trend, der mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf verfolgt wird, ist klar: Für einige ist die „Apotheke der Welt“ das Leitbild, für andere sind es die „deseases of the rich“, die Krankheiten der Reichen. Für uns als PDS ist eine solidarische Gesellschaft das Leitbild. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Caspers-Merk das Wort. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere sozialen Sicherungssysteme stehen vor großen Herausforderungen. Nur wer bereit ist, diese Herausforderungen anzunehmen, Kollegin Lötzsch, kann den Sozialstaat in seinem Kern bewahren. Nur wer die Solidarität neu definiert, kann das Ja der Menschen zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Nur wer bereit ist, die Eigenverantwortung zu stärken, kann die Beiträge bezahlbar halten. ({0}) Aus diesem Grund machen wir diese Reform. Wir wollen die Akzeptanz der solidarischen Sicherungssysteme erhöhen und die Qualität verbessern. Es geht uns auch darum, etwas mehr Eigenverantwortung zu organisieren. Wir haben Verkrustungen aufgebrochen, was nicht immer einfach ist. Nur wer sich zutraut, die Verkrustungen im System anzugehen, kann Bewegung ins System bringen. Das bestehende System braucht nämlich Bewegung; es braucht keine Besitzstandswahrer, Herr Gerhardt, wie Sie es in Ihrer Rede zum Ausdruck gebracht haben. ({1}) Die Kolleginnen und Kollegen der Union wissen das auch. Wir wären unsererseits zu mehr Wettbewerb - gerade auch durch Einzelverträge - und mehr Qualität bereit gewesen. Sie hat aber auf halbem Weg der Mut verlassen. Denn es war klar, dass unser ursprünglicher Gesetzentwurf deutlich stärkere Akzente gesetzt hätte. ({2}) Die FDP hingegen hat der Mut nicht auf halbem Wege verlassen, sondern sie hat erst gar keinen Mut aufgebracht. ({3}) Sie haben sich in einer beispiellosen Aktion an den Verhandlungstisch gedrängt und 14 Tage mitverhandelt. ({4}) Außer zur Kostenerstattung und Eigenverantwortung war von Ihnen nicht viel zu hören. Sie haben sogar noch die Eckpunkte mitgetragen. Ihre Fraktionsmitarbeiterin hat auch den Gesetzentwurf mitformuliert. Dann kam eine Order von oben: Da Sie sich als Besitzstandswahrer für die freien Berufe verstehen und die Reformvorhaben auch für die Leistungserbringer im Gesundheitssystem Belastungen mit sich bringen würden, sollten Sie sich lieber aus dem Staub machen. ({5}) Das ist die FDP-Politik: eine Klientel- und Lobbypolitik. Diese Politik bringt nicht den Mut auf, die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren. ({6}) Wir haben mehr gewollt. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen, die noch einmal die von uns gesetzten Akzente aufgezeigt haben, dankbar. Wir haben viel erreicht. Ich finde, zur Wahrheit gehört es auch, die wichtigen Fortschritte zu nennen, die erreicht worden sind. Es ist zwar nicht alles erreicht worden, was wir uns vorgenommen haben, aber in einem verkrusteten System wurde eine Tür geöffnet. Diesen Spalt gilt es nun zu erweitern. Ein chinesisches Sprichwort lautet: Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Diesen strategisch wichtigen ersten Schritt gehen wir mit diesem Gesetz. ({7}) Wir haben in diesem Gesetzentwurf bessere Versorgungsformen vorgesehen. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang fünf Beispiele nennen. Erstens. Wir fördern die integrierte Versorgung. Die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung werden erstmals aufgebrochen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Erika Lotz von der SPD-Fraktion?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Ja.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, wie bekannt ist, hätten wir von der SPD uns gewünscht, dass die Einsparungen stärker zulasten der Pharmaindustrie gehen. Sie wissen, dass die Positivliste eines der Herzstücke unserer Forderungen war. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die Pharmaindustrie werde überhaupt nicht belastet. Können Sie mir die Frage beantworten, inwieweit die Pharmaindustrie doch einen Beitrag zu den Einsparungen leistet?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Lotz, der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck ist falsch. Wir belasten auch die Leistungserbringer. Mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz haben wir das für dieses Jahr bereits getan. Wir haben darüber hinaus zusätzliche Belastungen vereinbart, weil wir glauben, dass sie notwendig sind. Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben ein Einnahmeproblem. Es gibt aber auch ein Ausgabenproblem, insbesondere bei den Arzneimitteln. Deswegen haben wir Einsparungen vereinbart. Ich nenne drei: Erstens. Es wird auch für patentgeschützte Arzneimittel Festbeträge geben. Das heißt, es wird nicht mehr jeder Preis bezahlt. Zusätzliche Innovationen erfordern zwar zusätzliches Geld; aber Scheininnovationen müssen nicht auch noch teuer bezahlt werden. Zweitens. Es gibt bis zur Geltung der Festbeträge einen deutlichen Abschlag von 16 Prozent des Preises. Wir haben zusätzlich die Distribution auf dem Arzneimittelmarkt liberalisiert. Wir werden eine vierte Hürde schaffen, nämlich eine Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln. Drittens. Wir heben die Preisbindung von OTC-Produkten auf. Auch dies wird zu deutlichen Einsparungen für die Patientinnen und Patienten führen; denn diese Produkte werden billiger als bisher sein. Diese drei Maßnahmen erhöhen die Belastungen der Pharmaindustrie. Diese Belastungen liegen nach unserer Schätzung in einer Größenordnung von 1 Milliarde Euro bis 1,5 Milliarden Euro. ({0}) Ich möchte fünf Beispiele dafür nennen, dass wir die Strukturen aufgebrochen haben: Erstens. Wir fördern die integrierte Versorgung. Starre Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung werden aufgebrochen. Was bedeutet der Fachbegriff „integrierte Versorgung“ überhaupt? Wir wollen, dass die Versorgung aus einer Hand in Zukunft Standard ist. Wir wollen, dass im Interesse der Patientinnen und Patienten mehr zusammengearbeitet wird. Zum Beispiel sorgen wir dafür, dass die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung von krebskranken Menschen geöffnet werden. Bislang ist es so, dass nur der Privatpatient weiter ambulant behandelt werden kann; der gesetzlich Versicherte muss nach einer Therapie im Krankenhaus zum ambulant tätigen Facharzt überwiesen werden. Das ist doch eine Verbesserung für die Patienten, und zwar aufgrund dieses Gesetzes. ({1}) Zweitens. Wir ermöglichen medizinische Versorgungszentren bundesweit. Die Menschen finden Ärzte dort in einem Haus, also unter einem Dach. Ärzte beraten dort gemeinsam komplexe Krankheitsbilder. Der Patient hat kurze Wege und gute Qualität. Dies ist ein Transfer ostdeutscher Traditionen in die ganze Bundesrepublik. Es ist doch eine gute Sache, dass der Transfer einmal in diese Richtung verläuft. ({2}) Drittens. Die Krankenkassen werden verpflichtet, Hausarztmodelle anzubieten. Auf diesem Gebiet kommt es zu einer deutlichen Veränderung. Damit wird den Patientinnen und Patienten eine Vertrauensperson an die Seite gestellt, nämlich ein Hausarzt, der die Familie und die Arbeitssituation kennt. Er ist ein Lotse durch das System. Das führt auch dazu, dass das Ärztehopping etwas zurückgedrängt wird - zum Wohle einer vernünftigen und guten Versorgung kranker Menschen. Die Honorarstrukturen werden sich künftig verbessern. Derzeit ist es so, dass die floatenden Punktwerte allen Beteiligten Probleme bereiten. Wir haben die Honorierung eindeutig reformiert. Was die Hausarztmodelle angeht, verspreche ich mir mehr Bewegung im System. Schon jetzt reagieren Krankenkassen - ich denke an die AOK Baden-Württemberg -, indem sie zum Beispiel gute Hausarzttarife entwickeln. Wenn diese positiven Entwicklungen nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft stattfinden sollen, müssen wir dieses Gesetz verabschieden. Das ist wichtig. ({3}) Viertens. Diese Gesundheitsreform steht zugleich für ein Mehr an Mitsprache der Versicherten. Da dieser Aspekt in der heutigen Debatte deutlich zu kurz kam, weise ich darauf hin, dass zum ersten Mal Patientenrechte Punkt für Punkt gesetzlich verankert werden. ({4}) Patientinnen und Patienten werden so zur dritten Kraft. Sie bekommen eine dritte Bank im System. Es wird nicht mehr über sie, sondern es muss mit ihnen geredet werden. ({5}) Es wird - dieser Wunsch ist oft geäußert worden - auch einen Patientenbeauftragten auf Bundesebene geben; denn die Belange der Patientinnen und Patienten sind bislang im Kartell der Leistungserbringer zu kurz gekommen. Wenn man diesen Missstand beseitigen will, dann kann man nicht gegen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen; denn nur mit ihm ist das möglich. Fünftens. Wir wollen mit der Patientenquittung, die sofort eingeführt werden soll, und mit der Gesundheitskarte ab 2006 die Leistungen für die Patienten nachvollziehbarer machen. Es ist doch nicht in Ordnung, dass die Patienten bislang gar nicht wissen, was abgerechnet wird, dass es Doppeluntersuchungen gibt und dass mehrere Medikamente verabreicht werden, die dann zu problematischen Wechselwirkungen führen. Wenn wir hier mehr Sicherheit für die Patienten insbesondere mit dem elektronischen Notfalldatensatz schaffen, dann ist dies ein Fortschritt für die Versicherten. Auch deshalb brauchen wir das Gesetz. ({6}) Ich möchte darauf hinweisen, dass die Patientenmitspracherechte für uns ein wesentlicher Grund sind, warum wir den vorliegenden Gesetzentwurf mitgestaltet haben und mittragen. Auf der einen Seite - das ist der positive Aspekt - haben wir natürlich unsere Mitverantwortung wahrgenommen. Auf der anderen Seite fordern wir auch mehr Eigenbeteiligung. Das ist der Wermutstropfen. Aber es ist richtig, dass wir von den Menschen mehr Zuzahlungen fordern. Wir haben sie sozial gerecht gestaltet. Wir haben Klauseln gegen Überforderung und eine Familienkomponente eingeführt. So müssen chronisch Kranke nur maximal 1 Prozent ihres Jahreseinkommens für Zuzahlungen aufwenden, während die anderen Versicherten 2 Prozent zahlen müssen. Das Ganze ist sozial ausgewogen. Ohne uns - darüber ist schon geredet worden - wäre es zu einer Zuzahlungsorgie gekommen, die einen Umfang von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro gehabt hätte. Auch hier haben wir für mehr soziale Verantwortung gesorgt. ({7}) Wir fordern auch, dass sich die Leistungserbringer bewegen. Zum Beispiel haben wir den Versandhandel - die Kollegin Bender hat schon darauf hingewiesen zugelassen. Es ist interessant, festzustellen, dass die Apotheker, die noch während des Wahlkampfes 7 Millionen Unterschriften gegen dieses Vorhaben gesammelt haben, jetzt, da die entsprechende Regelung noch gar keine Gesetzeskraft hat, ein eigenes Internetportal einführen, über das man Arzneimittel bestellen kann, die dann sogar bis an das Krankenbett geliefert werden. Diese Praxis tolerieren wir gerne; denn wir wollen für die Patientinnen und Patienten eine bessere Versorgung. ({8}) Das zeigt, dass wir für Bewegung im System sorgen können. Wir müssen uns nur trauen. Ähnliches erleben wir auch bei den Krankenkassen. Sie jammern, dass sich die Menschen jetzt noch schnell neue Brillen und neuen Zahnersatz machen lassen. Ich kann dazu nur sagen: Liebe Vertreter der Krankenkassen, in Zukunft wird Klartext über die Höhe der Verwaltungskosten geredet. Es wird für jeden nachvollziehbar sein, wie hoch die Bezüge derjenigen sind, die bei den Krankenkassen Verantwortung tragen. Tut bitte etwas für euer Geld! Das, was medizinisch notwendig ist, muss weiterhin bezahlt werden. Aber man kann schon jetzt bei den Kosten darauf achten, was notwendig ist und was nicht. Gestalten statt jammern! Wir erwarten von den Krankenkassen deutlich mehr Bewegung. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Caspers-Merk, Sie müssen zum Ende kommen. Die Redezeit ist überschritten.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Präsident, gestatten Sie mir ein abschließendes Zitat. - Es gibt viele Kritiker des ausgehandelten Kompromisses. Wenn aber der streitbare ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer Ellis Huber von einer „stillen Revolution“ spricht, die das Gesetz auslösen werde, dann wissen wir, dass mehr Strukturveränderungen möglich sind, als viele hier glauben. Ich bin zuversichtlich, dass das Gesetz Reformen auslösen wird und dass wir mit dem Gesetz die solidarische Krankenversicherung erhalten können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Maria Michalk, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen Minuten werden wir über den Entwurf des GKV-Modernisierungsgesetzes abstimmen. Ich merke schon, Sie sind unruhig; Sie wollen es gleich tun. Ich will jedoch noch ein paar Argumente rüberbringen. Es war eine schwere Geburt mit zum Teil starken Wehen. Ob das Kind ein starkes wird oder schwächeln wird, wird von allen Beteiligten abhängen. So oft ich mit den Menschen in meinem Wahlkreis in der Lausitz gesprochen habe: Die Arbeitslosigkeit ist das größte Thema. Es ist Allgemeingut geworden, dass man die Lohnnebenkosten senken muss, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Deshalb müssen wir Reformen anpacken und sie müssen in die richtige Richtung gehen. Derzeit befürchten viele die Unbezahlbarkeit der medizinischen Versorgung. Unsere Reformschritte sind vornehmlich darauf ausgerichtet, auch in Zukunft für alle die notwendige medizinische Versorgung zu sichern. Deshalb ist eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Wochen, alle Menschen über die konkreten Inhalte dieser Reform zu informieren, aber bitte schön nicht in fachmedizinischer Sprache, sondern so, dass es alle verstehen. Klar war, dass sowohl Versicherte und Patienten als auch Leistungserbringer in die Einsparbemühungen einzubeziehen sind. Deutlich ist festzustellen, dass es ohne grundsätzliche Eigenbeteiligung nicht mehr geht. Eine gute Botschaft für Patienten, vor allem in einkommensschwachen Regionen, ist - das wurde heute schon erwähnt - die einkommensabhängige Zuzahlung mit der Familienkomponente. Es muss aber ehrlich gesagt werden, dass in Zukunft Fahrtkosten, Brillen, Zahnersatz und Weiteres bei der Belastungsgrenze von 2 bzw. 1 Prozent des Einkommens nicht berücksichtigt werden. Es ist notwendig, dass wir alle persönlich mehr für unsere Gesundheit tun. Lassen Sie mich an einem Beispiel die besondere Belastung der Ärzte in den neuen Bundesländern ansprechen. Die Fallzahl je Vertragsarzt in den neuen Ländern liegt bei rund 5 400, in den alten Ländern bei rund 4 200. Das bedeutet eine Mehrarbeit von 28 bis 30 Prozent. Eine Ursache für die Mehrarbeit ist die höhere Morbidität. Hinzu kommt vor allem in strukturell schwachen Regionen der neuen Länder ein erheblicher Ärztemangel. Ich beklage, dass man diesen Fakt hier in Berlin bisher nicht so recht bzw. nicht ausreichend wahrhaben will. ({0}) So sind in Sachsen zum Beispiel 30 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre. Auch bei Fachärzten sieht es nicht anders aus. Sie gehen früher in den Ruhestand. Der Schnitt liegt nicht, wie bundesweit, bei 67 Jahren, sondern bei 62 Jahren. Als Gründe dafür höre ich immer wieder drei Dinge: erstens die erheblichen Belastungen der Ärzte beim Notdienst in ländlichen Räumen, wenn sie zum Beispiel bei zwei Notfällen in einer Nacht auch noch 300 Kilometer fahren müssen, zweitens den hohen Verwaltungsaufwand, der auf niedergelassenen Ärzten lastet, und drittens den abgesenkten Verdienst. Was das Letztere angeht, gibt es im GMG einen ersten Schritt - dafür sind wir dankbar -, allerdings ohne Einbeziehung der Mehrarbeit. Aber die Anpassung der Gesamtvergütung um 3,8 Prozent bis 2006 ist ein richtiger Schritt. ({1}) Die Botschaft, dass der Verwaltungsaufwand gravierend reduziert wird, können wir heute wohl noch nicht ganz glaubwürdig rüberbringen. Daran müssen wir arbeiten. Das bleibt eine große Aufgabe. Genauso groß muss aber auch unsere Anstrengung sein, junge Mediziner für die praktische Freiberuflichkeit zu gewinnen, insbesondere in strukturell benachteiligten Regionen, damit der Versorgungsauftrag auch in Zukunft erfüllt werden kann. Zu glauben, dass der Mangel speziell in strukturschwachen Regionen durch integrierte Versorgung behoben werden kann, ist ein Irrtum. Auch in unseren Krankenhäusern fehlen bereits Ärzte. Mit einer vernetzten Struktur zwischen den verschiedenen Fachrichtungen und der Kompetenz aus einer Hand haben wir in Ostdeutschland bereits Erfahrungen. Die bestehenden Ärztehäuser sind ja vielfach nichts anderes. Es bleibt hier bei einem Zusammenschluss von Freiberuflern, neben denen auch angestellte Ärzte tätig sein können. Ich bin froh, dass es keine Neuauflage von Polikliniken gibt. Mir sind nicht nur positive Erfahrungen mit sehr engagierten Ärzten und Schwestern, sondern auch lange Wartezeiten, Menschenschlangen vor den Türen und eine Auswahlmedizin in Erinnerung geblieben. Wer erinnert sich beispielsweise noch daran, dass Dialysepatienten nur bis zum 30. Lebensjahr angenommen werden durften? Noch ein Wort zu den Apotheken. Auch sie tragen durch die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung und die Herausnahme der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV - außer für Kinder - einen Teil der Kosten der Reform. Im Osten ist der Versorgungsbereich der Apotheken zwar größer, sie erzielen aber mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten wesentlich geringere Umsätze, weil die Leute schlichtweg wenig Geld in der Tasche haben. Ein Wort auch zu den landwirtschaftlichen Krankenkassen. Ich empfehle Frau Künast, einen Teil ihres Werbeetats zur Verfügung zu stellen, damit die diesen Krankenkassen drohende Beitragssteigerung nicht Wirklichkeit wird. ({2}) Wir dürfen nicht das Ziel aus den Augen verlieren: Das Gesundheitswesen soll und wird sich weiterentwickeln. Es soll nicht nur kranke Menschen gesund machen, sondern weiterhin vielen Menschen neben Brot und Arbeit auch Lebenserfüllung geben. Wir wissen, dass das Gesundheitswesen ein starker Wirtschaftsfaktor ist und bleibt. Ganze Regionen bauen darauf. Deshalb ist der gefundene Kompromiss ein richtiger Schritt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Menschen sind in diese Welt nicht für ein bequemes Leben geboren, sondern für Anstrengung. Strengen wir uns jetzt an und stimmen wir diesem Kompromissgesetz, diesem Schritt in die richtige Richtung zu. Ich danke Ihnen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich weise darauf hin, dass zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache 15/1584, die Gegenstand der nun folgenden Abstimmungen sein wird, inzwischen der Bericht des Ausschusses auf Drucksache 15/1600 vorliegt. Tagesordnungspunkt 17 a: Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksache 15/1525. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSUFraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und einzelne Stimmen aus der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. ({0}) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Ist alles zur Abstimmung bereit? Sind die Schriftführer da? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? Ich frage noch einmal, ob alle Kolleginnen und Kolle- gen abgestimmt haben. - Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich teile zugleich mit, dass zu dieser Abstimmung zahlreiche schriftliche Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung abgege- ben worden sind.2) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, damit wir die Abstimmungen fortsetzen können. Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitrags- sätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung, Drucksache 15/542. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge- schäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertrags- 1) Seite 5475 D 2) Anlagen 2 bis 9 Präsident Wolfgang Thierse ärztlichen Versorgung, Drucksache 15/800. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung, Drucksache 15/1071. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems, Drucksache 15/1170. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache 15/1584 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der CDU/ CSU auf Drucksache 15/652 ({1}) zur Aufhebung der gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss weiter, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1174 mit dem Titel „Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und gestalten“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1175 mit dem Titel „Mut zur Verantwortung - Für ein freiheitliches Gesundheitswesen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der FDP angenommen. Ebenfalls unter Ziffer II empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1526 mit dem Titel „Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen. Unter Ziffer IV seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584 empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit wie soeben angenommen. Bis zur Verkündigung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung für einige Minuten. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und teile das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-Modernisierungsgesetz, der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen mit. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben gestimmt 517, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen 3. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 574; davon ja: 517 nein: 54 enthalten: 3 Ja SPD Dr. Lale Akgün Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({3}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Präsident Wolfgang Thierse Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({4}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({5}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Karl-Hermann Haack ({6}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({7}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({8}) Walter Hoffmann ({9}) Iris Hoffmann ({10}) Frank Hofmann ({11}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus-Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler ({12}) Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({13}) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({14}) Christian Müller ({15}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({16}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({17}) Michael Roth ({18}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({19}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({20}) Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Ulla Schmidt ({21}) Silvia Schmidt ({22}) Dagmar Schmidt ({23}) Wilhelm Schmidt ({24}) Heinz Schmitt ({25}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Wilfried Schreck Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({26}) Reinhard Schultz ({27}) Swen Schulz ({28}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({29}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Reinhard Weis ({30}) Petra Weis Gunter Weißgerber Matthias Weisheit Prof. Gert Weisskirchen ({31}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({32}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({33}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({34}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({35}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Prof. Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Prof. Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({36}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({37}) Cajus Caesar Manfred Carstens ({38}) Peter H. Carstensen ({39}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Albert Deß Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({40}) Georg Fahrenschon Ilse Falk Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({41}) Dirk Fischer ({42}) Axel E. Fischer ({43}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({44}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Präsident Wolfgang Thierse Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Tanja Gönner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Holger-Heinrich Haibach Gerda Hasselfeldt Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Dr. Peter Jahr Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({45}) Volker Kauder Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler ({46}) Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({47}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Barbara Lanzinger Vera Lengsfeld Walter Link ({48}) Dr. Klaus W. Lippold ({49}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({50}) Stephan Mayer ({51}) Conny Mayer ({52}) Dr. Martin Mayer ({53}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({54}) Doris Meyer ({55}) Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Stefan Müller ({56}) Bernward Müller ({57}) Hildegard Müller Michaela Noll Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Melanie Oßwald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({58}) Katherina Reiche Klaus Riegert Prof. Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz-Xaver Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({59}) Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Andreas Scheuer Georg Schirmbeck Andreas Schmidt ({60}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Jens Spahn Erika Steinbach Christian von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({61}) Magdalene Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß ({62}) Gerald Weiß ({63}) Ingo Wellenreuther Annette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({64}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zeitlmann Willi Zylajew BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({65}) Volker Beck ({66}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({67}) Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({68}) Markus Kurth Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({69}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({70}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({71}) Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({72}) Nein SPD Klaus Barthel ({73}) Horst Schmidbauer ({74}) Fritz Schösser Ottmar Schreiner Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Rüdiger Veit CDU/CSU Susanne Jaffke Prof. Dr. Egon Jüttner Irmgard Karwatzki FDP Daniel Bahr ({75}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Helga Daub Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Horst Friedrich ({76}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({77}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Christoph Hartmann ({78}) Klaus Haupt Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Präsident Wolfgang Thierse Jürgen Koppelin Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({79}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Prof. Dr. Andreas Pinkwart Dr. Günter Rexrodt Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Fraktionslose Abgeordnete Petra Pau Enthalten CDU/CSU Anita Schäfer ({80}) Norbert Schindler BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Werner Schulz ({81}) ({82}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b sowie Zusatz- punkt 6 auf: 19. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1204 ({83}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1509 ({84}) - Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Arbeitsrechts ({85}) - Drucksache 15/1182 ({86}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit - Drucksache 15/1225 ({87}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({88}) - Drucksache 15/1587 - Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Reinhard Göhner bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({89}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/1588 - Berichterstattung: Abgeordnete Volker Kröning Hans-Joachim Fuchtel Anja Hajduk Otto Fricke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({90}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen - Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Arbeitsmarkt schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl, Hartmut Schauerte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern - Drucksachen 15/430, 15/590, 15/739, 15/1587 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Reinhard Göhner ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit - Drucksache 15/1576 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({91}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Präsident Wolfgang Thierse Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat in seine Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1587 den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/739 mit dem Titel „Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern“ einbezogen. Über diesen Antrag soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Über den Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Bundesminister Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten, ist Teil eines tief greifenden Reformprojekts auf dem Arbeitsmarkt, das wir uns vorgenommen haben. Beim ersten Teil ging es um die Verbesserung der Arbeitsvermittlungen, um die Personal-Service-Agenturen und um neue Beschäftigungsmöglichkeiten, also um die Schaffung von legalen Miniund Midijobs, um die Zeit- und Leiharbeit sowie um die Schaffung der Möglichkeit, sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig zu machen. All diese Maßnahmen tun inzwischen ihre Wirkung. In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben sich beispielsweise etwa 160 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht. Wir wissen aus Erfahrung mit dem so genannten Überbrückungsgeld, dass die meisten der Unternehmen, die sie gegründet haben, etwa zwei Drittel, beständig bleiben und nach einiger Zeit zwei bis vier Beschäftigte haben. Wir haben inzwischen in den Personal-Service-Agenturen, die ja viel kritisiert worden sind, etwa 38 000 Plätze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die so in Arbeitsverhältnisse vermittelt werden können. Dieser Prozess hat begonnen. Ich weiß von etlichen Erfolgen, die dabei erzielt werden. Einige 10 000 Menschen haben inzwischen - vermutlich nach früherer Schwarzarbeit; genaue Daten darüber gibt es natürlich nicht - legale Minijobs bekommen. Die Maßnahmen tun ihre Wirkung. Jetzt geht es in der zweiten Runde darum, das Arbeitsrecht beweglicher zu machen, um den Weg aus der Arbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu öffnen und gleichzeitig den Beginn einer Neuausrichtung der Arbeitslosenversicherung zu vollziehen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen wegkommen von der dauerhaften Finanzierung von Arbeitslosigkeit und hinkommen zur Vermittlung in Arbeit. ({0}) Die dritte Runde auf diesem Feld der Erneuerung des Arbeitsmarktes steht unmittelbar bevor. Es geht bei Hartz III und Hartz IV - die Schlagworte sind bekannt um den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in eine Bundesagentur für Arbeit und um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Aber zurück zum aktuellen Gesetzentwurf, und zwar zunächst zum Kündigungsschutz: Wir wollen mit unserem Vorschlag auf der einen Seite niemandem, der heute Kündigungsschutz genießt, den Kündigungsschutz nehmen. Das ist der eine Gesichtspunkt. Dieser Kündigungsschutz hat einen hohen Wert für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, trägt aber auch dazu bei, dass die Unternehmen in ihre Beschäftigten investieren und so ein Verhältnis des Vertrauens zu ihren Beschäftigten aufbauen, so wie das in vielen Zehntausenden und Hunderttausenden Unternehmen der Fall ist. Auf der anderen Seite ist nicht zu bestreiten, dass ein gut ausgebauter Kündigungsschutz in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vor allen Dingen denen hilft, die einen Arbeitsplatz haben, und nicht denjenigen, die in den Arbeitsmarkt hinein wollen. Viele Betriebe stellen offensichtlich zurzeit nur zurückhaltend ein, weil sie befürchten, die Personalkosten nicht mehr tragen zu können, wenn die Auftragsbücher leerer werden. Deshalb schlagen wir vor, dass Kleinstbetriebe mit bis zu fünf Beschäftigten, deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurzeit keinen Kündigungsschutz genießen, darüber hinaus fünf befristete Arbeitsverhältnisse eingehen können, ohne dass sich dabei die Kündigungsschutzlage in ihrem Betrieb ändert. Das ist ein sehr vorsichtiger Schritt, um das Arbeitsrecht und hier insbesondere das Kündigungsschutzrecht an dieser Stelle gelenkiger zu machen, ohne in irgendeiner Weise den heute gegebenen Kündigungsschutz für irgendeinen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zu reduzieren. Ich hoffe, dass dies als ein Signal insbesondere an Handwerksunternehmen und kleine Gewerbetreibende zu mehr Einstellungen verstanden wird, ohne dass dabei auch nur ein Arbeitnehmer den bestehenden Kündigungsschutz verliert. Ich hoffe auf die Wirkung dieser Maßnahme. Ob es um den Kündigungsschutz geht oder um das Arbeitslosengeld: So wünschenswert, klar, überzeugend und verständlich aus der Sicht des Einzelnen ein hoher sozialer Schutz gerade bei steigendem Lebensalter ist, so dürfen wir nicht hinnehmen, dass in seinem Gefolge die Altersarbeitslosigkeit - gemeint ist schon ein Alter ab 50 Jahren - ansteigt. Es ist offenkundig, dass hier ein Zusammenhang besteht. Wir dürfen uns an diesem Punkt nichts vormachen und machen das auch nicht: Die lange Bezugsdauer von Arbeitslosengeld in Deutschland für 57-Jährige und Ältere hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Vorruhestand geschickt haben und schicken. Das geschieht auf Kosten der Sozialkassen und der Beitragszahler. Das geschieht in einer Zeit, in der wir von den Unternehmen gleichzeitig aufgefordert werden, die so genannten Lohnnebenkosten zu senken. Diesen Widerspruch müssen wir auflösen. Solche Fehlentwicklungen müssen wir beenden. ({1}) 32 Monate Arbeitslosengeld zu zahlen und Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt in großem Stil zu honorieren ist in Wahrheit keine soziale Wohltat. Praktiken, die die Erwerbslosigkeit und Ausgliederung von älteren Menschen verfestigen, dürfen keine Zukunft mehr haben, erst recht nicht, wenn wir wissen, dass etwa ab dem Jahre 2006 der Nachwuchs von Fachkräften, von Fachleuten auf allen Feldern reduziert werden wird, weil wir mit einer deutlich abnehmenden Zahl von Schulabgängerinnen und -abgängern zu rechnen haben. Wir brauchen dann nicht zuletzt die Älteren mit ihrer Erfahrung, mit ihrer Expertise und ihrem Können und wollen darauf nicht verzichten. ({2}) Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, damit möglichst viele Menschen im Arbeitsprozess bleiben, auch wenn sie schon etwas älter sind. In Deutschland liegt die Altersgrenze, über die diskutiert wird, ja bereits bei 40 Jahren und das sollten wir uns nicht leisten. ({3}) Das gilt für alle, ja sogar für manche über 60. Die Rückführung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf oder 18 Monate - das sage ich, um Sorgen entgegenzuwirken, die viele Menschen haben, wie wir wissen - für über 55-Jährige beginnt erst nach einer Übergangszeit von etwas mehr als zwei Jahren, nach genau 25 Monaten, also etwa zu Beginn des Jahres 2006. Um dies klar zu sagen: Bis dahin müssen wir am Arbeitsmarkt so weit sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer generell nicht mehr in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen, also nicht länger als ein Jahr arbeitslos bleiben. Wir müssen einiges tun, um dafür zu sorgen, dass die über 50-Jährigen im Job bleiben. Dazu geben wir eine Unterstützung an Unternehmen und an Arbeitnehmer. Wir zahlen beispielsweise an kleine und mittelständische Betriebe, wenn sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von über 50 Jahren weiterbilden, einen Zuschuss. Wir geben einen Beitragsnachlass für Betriebe, wenn sie ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen, die ansonsten arbeitslos wären. Wir fördern die Aufstellung von Sozialplänen, die verhindern, dass ganze Jahrgänge aus den Betrieben schlicht herausgekehrt werden. Wir fördern ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie einen Arbeitsplatz annehmen, der schlechter dotiert ist als der, den sie verlassen mussten. Zugleich verschärfen wir die Erstattungspflicht für Arbeitgeber, um Frühverrentungen weitestgehend zu vermeiden. ({4}) Wir sind an weiteren Anregungen und Vorschlägen interessiert, wie wir dafür sorgen können, dass die Unternehmen nicht auf die Mitarbeit ihrer älteren Arbeitnehmer verzichten. Dafür sind wir absolut offen. Bei den Frühverrentungen darf es so nicht weitergehen, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer früher aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit den Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg bringen wollen, dazu beitragen, die Situation bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu stabilisieren. Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn über das Arbeitsrecht diskutiert wird, diskutiert man gleichzeitig auch über das Tarifrecht allgemein, über betriebliche Öffnungen und die flexible Ausgestaltung des Tarifrechts. Ich denke, wir sind uns in dem Punkt alle einig, dass die Tarifvertragsparteien eine große beschäftigungspolitische Verantwortung tragen. Wer über die Arbeitsbedingungen bestimmt, der hat großen Einfluss auf die Arbeitskosten und damit auf die Beschäftigung. Ich gehe davon aus, dass dies allen Beteiligten klar ist. ({5}) Ich halte es darüber hinaus für unstreitig, übrigens auch zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften, dass die Notwendigkeit besteht, Tarifverträge für Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene zu öffnen. Für viele Tarifverträge gilt das schon heute, schließlich ist es seit den 90er-Jahren gängige Praxis. Insbesondere gilt das - darauf wurde schon oft hingewiesen - im Bereich der IGBCE, der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Tarifverträge eröffnen den Betriebsparteien in vielen Fragen eigenständige Regelungsspielräume. Solche Freiräume sollten, wie die Bundesregierung meint, in allen Branchen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland vereinbart werden. Das liegt im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wenn die Flexibilisierung des Tarifvertrages in ihren Händen bleibt. Das entspricht auch dem Geist der Verfassung, die diese Aufgabe im Zuge der Koalitionsfreiheit den Tarifvertragsparteien übertragen hat. Sie sind am besten in der Lage, das Verhältnis zwischen Regelungen auf tarifvertraglicher Ebene und auf Betriebsebene auszutarieren. Die Bundesregierung erwartet von den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften - das hat der Bundeskanzler mehrfach deutlich gemacht -, dass sie hier ihrer Gestaltungsverantwortung aktiv und konstruktiv nachkommen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der Europäische Gerichtshof am 9. September entschieden hat, dass der Bereitschaftsdienst, zum Beispiel von Ärzten, auch im deutschen Recht als Arbeitszeit im Sinne der EG-Arbeitszeitrichtlinie anzusehen ist. Von diesem Urteil sind vor allen Dingen die Krankenhäuser betroffen, darüber hinaus aber auch viele andere Bereiche wie Rettungsdienste, die Feuerwehr, der Wachdienst oder andere. Obgleich der Europäische Gerichtshof klar entschieden hat, gibt es noch viele offene Fragen. Beispielsweise sind öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, dieses Urteil sofort anzuwenden und umzusetzen. Für private ArbeitBundesminister Wolfgang Clement geber hingegen gilt dies nicht. Deshalb müssen wir, damit keine Ungleichbehandlung entsteht, sofort dafür sorgen, dass der Gesetzgeber die europäische Richtlinie in nationales Recht umsetzt. Der Gesetzgeber sollte den Spielraum für sachgerechte Lösungen schaffen. Dabei kann es nicht um eine grundsätzliche Diskussion des Arbeitszeitrechtes gehen. Wir sollten vielmehr die erforderlichen Gesetzesänderungen rasch auf den Weg bringen. Dazu ist eine Neuregelung vorgeschlagen worden, die die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes umsetzt und genug Spielräume für eine praxisgerechte Arbeitszeitgestaltung der Bereitschaftsdienste bietet. Die Verantwortung für die personelle und finanzielle Ausgestaltung liegt dafür jetzt bei den Betrieben, bei den Verantwortlichen in den Krankenhäusern. Ich bitte, davon verantwortungsbewusst Gebrauch zu machen. ({6}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat ihr Versprechen gehalten. Mit dem Gesetz, das wir Ihnen jetzt als Entwurf vorgelegt haben, und mit weiteren Maßnahmen wollen wir den Arbeitsmarkt für die Menschen öffnen, die außen vor stehen. Über 4 Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet. Darüber hinaus verharren viele Menschen in Arbeitslosigkeit, die nicht registriert sind. Insgesamt müssen wir etwa 6 Millionen Menschen in den Arbeitsmarkt hineinbringen. Dafür müssen wir den Arbeitsmarkt auf allen Ebenen öffnen. Das tun wir. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf ist nur ein Teil. Es sind schon Bemühungen zur Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten vorausgegangen. Wir haben uns ferner den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe vorgenommen. All dies dient diesem Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir die notwendige Bewegung erzeugen können. Deshalb bitte ich herzlich um Ihre Unterstützung und gleichzeitig um Verständnis, dass ich von hier aus in den Bundesrat gehe und die Ministerpräsidenten der Länder ebenfalls noch zu überzeugen versuche, dass der von uns eingeschlagene Weg richtig ist. Da braucht das etwas länger, aber ich schaffe das. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Göhner von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein gewisser Paradigmenwechsel ist schon festzustellen, wenn man die Bundesregierung - in diesem Falle Herrn Minister Clement - jetzt hört. Nachdem wir hier bis Ende 2002 vier Jahre lang ständig weitere Regulierungen, Bürokratisierungen und Verdichtungen des Arbeitsmarkts und insbesondere des Arbeitsrechts mit den monatlich bekannt gegebenen Folgen auf dem Arbeitsmarkt erlebt haben, ist jetzt auch bei Ihnen die Rede von einer Lockerung des Kündigungsschutzes, vom Abbau der Beschäftigungshemmnisse im Arbeitsrecht und von einer Schwellenproblematik. Einiges in Ihrem Gesetzentwurf ist durchaus vernünftig. Was die Regierung Schröder 1998 im Kündigungsschutz verschärfte, wird jetzt wenigstens teilweise wieder zurückgenommen. Das ist auch dringend notwendig. Herr Minister Clement, der Mut zur Modernisierung des Arbeitsrechts hat Sie aber ganz schnell wieder verlassen. ({0}) Nach großen Ankündigungen folgten schon im Gesetzentwurf nur ein paar Minischritte. Diese hat Ihre Fraktion jetzt auch noch mindestens zur Hälfte wieder ins Gegenteil verkehrt. ({1}) Beim Kündigungsschutz gingen Sie zwei Schritte vor und zwei Schritte zurück. Erst wollten Sie Kleinbetrieben ab fünf Beschäftigten den Kündigungsschutz bei Neueinstellungen gänzlich ersparen, dann sollte das nur für befristete Beschäftigungsverhältnisse - zahlenmäßig jedoch unbegrenzt - gelten. ({2}) Jetzt sind Sie bei fünf Beschäftigten mit einem vollen Kündigungsschutz nach Fristablauf geblieben. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie damit wirksam etwas gegen die von Ihnen selbst diagnostizierten Beschäftigungshemmnisse im Arbeitsrecht leisten. ({3}) Zunächst wollten Sie auch, so der Gesetzentwurf, die Kriterien der Sozialauswahl auf drei beschränken, jetzt erweitern Sie sie wieder. Das ist übrigens gut gemeint. Der Bestandsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer, die ein Arbeitsverhältnis haben, wird erhöht. Die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt erhöhen Sie dadurch aber eben auch. Die EU-Kommission, die Bundesbank, die OECD und der Sachverständigenrat der Bundesregierung - alle attestieren Deutschland ein zu starres Arbeits- und Tarifrecht. Alle internationalen Institutionen kommen zu dem Ergebnis: Je strikter der Schutz für die bestehenden Arbeitsverhältnisse, desto höher ist die Eintrittsschwelle für diejenigen, die Arbeit suchen, und desto höher ist die sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. ({4}) Die OECD benennt Deutschland als Paradebeispiel für diese Entwicklung. James Heckman, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, sagte - ich zitiere -: Die starren Regulierungen in Deutschland erstaunen mich immer wieder. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt … Wenn Deutschland sich von seinen Regulierungen befreien würde, könnte es riesige Beschäftigungszuwächse erzielen. ({5}) Wenn Sie schon dem Nobelpreisträger nicht folgen wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf Ihren Sachverständigenrat und auf Ihre Leute im Präsidium der Bundesbank. Sie alle empfehlen Ihnen flexible Öffnungsklauseln im Tarifvertragsgesetz zur Ausweitung des Günstigkeitsprinzips und um betriebliche Bündnisse für Arbeit zu legalisieren. Wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsrat im eigenen Betrieb zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze übereinstimmend vom Tarifvertrag abweichen wollen - zum Beispiel 38 statt 35 Stunden arbeiten wollen -, dann muss das möglich sein. Das ist unsere Grundposition. ({6}) Bei solchen betrieblichen Bündnissen geht es fast immer um die Frage der Verlängerung der Arbeitszeit. Die Betriebsparteien - Betriebsrat, Arbeitnehmer und Arbeitgeber - brauchen in dieser Frage keine Vormundschaft, auch nicht durch die Tarifparteien. ({7}) Geben Sie den Betriebsparteien die Chance, solche betrieblichen Abweichungen vom Tarifvertrag selbst zu regeln, wenn sie es denn übereinstimmend - das sage ich noch einmal - zur Sicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wollen. Das würde die Tarifautonomie, die wir wollen, stärken. Heute befindet sich die Tarifautonomie unter den geltenden gesetzlichen Bedingungen in einer starken Erosion. Die Tarifbindung in unserem Land nimmt rapide ab. Wir halten das für eine schlechte Entwicklung, die wir ändern wollen. Aber was sollen denn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte machen, wenn sie nicht ohne Zustimmung der Gewerkschaften länger arbeiten dürfen, das aber zur Sicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze wollen und für notwendig halten? Ihnen bleibt nur die Tarifflucht und dahin treiben Sie die Betriebe, wenn Sie an Ihrem starren Tarifrecht festhalten. Tarifautonomie lässt nicht durch Tarifzwang zukunftsfähig machen. Herr Clement hat auf die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes hingewiesen, um das EuGH-Urteil umzusetzen. Auch hier geht es um die Frage: Wer soll denn Abweichungen von der gesetzlichen Arbeitszeit vereinbaren können? Nur die Tarifparteien per Tarifvertrag? Oder dürfen das auch die Betriebsparteien durch Vereinbarungen im eigenen Betrieb? Wir haben einen Vorschlag vorgelegt zur Umsetzung der EU-Richtlinie mit der Grundlage Wochenarbeitszeit, wonach Abweichungen unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen möglich sind. Die Unterschiede: Nach dem Koalitionsentwurf ist eine Abweichung bei der Arbeitszeit nur aufgrund eines Tarifvertrages möglich. Ohne Tarifvertrag keine Abweichungsmöglichkeit! Wir sagen dagegen: Ja, auch per Tarifvertrag muss man unter bestimmten Bedingungen abweichen können, zum Beispiel für Bereitschaftsdienste bei Betriebsfeuerwehren und anderen. Aber es muss auch neben dem Tarifvertrag möglich sein, durch Betriebsvereinbarungen abweichen zu können, wenn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat das einvernehmlich wollen, um Bereitschaftszeiten zu regeln. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen uns. Bei der Leiharbeit verlangen Sie zwingend Tarifverträge. Gibt es keinen Tarifvertrag beim Verleiher, gelten die Arbeitsbedingungen des Kunden. Klassischer Tarifzwang! Beim Arbeitszeitgesetz verlangen Sie bei Abweichung vom Gesetz Tarifverträge. Ohne Tarifverträge keine Abweichung: klassischer Tarifzwang! Bei betrieblichen Bündnissen verweigern Sie den Bündnispartnern eine Abweichung vom Tarifvertrag, es sei denn, der Tarifvertrag erlaubt es. Klassischer Tarifzwang! Wir sagen dagegen: Lasst nicht nur die Tarifpartner die Sache regeln, sondern gebt auch den Betriebsparteien die Option. ({8}) Betriebsrat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer können gerade Vereinbarungen zur Arbeitszeit vielleicht sogar besser und betriebsnäher gestalten. ({9}) Trauen Sie den Betriebsräten mehr zu! Sie haben in der letzten Legislaturperiode das Betriebsverfassungsgesetz novelliert und damit die Betriebsverfassung aufgebläht und bürokratisiert und vor allem größere sowie mehr freigestellte, bezahlte Betriebsräte zulasten des Mittelstandes geschaffen. Diese kostentreibende Novellierung wollen wir mit unserem Gesetz ab der nächsten Betriebsratswahl rückgängig machen. Wir wollen nicht größere Gremien, sondern wir wollen größere Kompetenzen für die Betriebsräte und weniger Bevormundung durch Gesetz oder Kollektivregelungen. Das ist der Unterschied. ({10}) Meine Damen und Herren, die Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP trauen den Menschen in diesen Punkten mehr zu: mehr Eigenverantwortung, mehr eigene Entscheidungen, weniger Bevormundung, weniger Fremdbestimmung. Das ist das gesellschaftspolitische Modell für mehr Beschäftigung, für mehr Freiheit in Verantwortung, nicht für mehr Staat und mehr gesetzliche und kollektive Regelungen, sondern für mehr verantwortete Freiheit eben auch in den Betrieben, mit den Betriebspartnern. Die moderne Arbeitswelt mit einer technologisch hoch entwickelten höchst arbeitsteiligen globalisierten Wirtschaft verlangt eine moderne Arbeitsverfassung, die Sicherheit und Flexibilität verbindet, die subsidiäre und schnelle Entscheidungsstrukturen stärkt und nicht nur denen, die Arbeit haben, Schutz gewährleistet, sondern vor allem denen, die Arbeit suchen, Chancen eröffnet. Meine Damen und Herren, wir haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt mit Veränderungen im Arbeitsrecht, in dem der ganze Bestandsschutz für diejenigen, die heute in Arbeitsverhältnissen sind, gewahrt bleibt, in dem wir aber die Hürden potenziellen neuen Bestandsschutzes bei Neueinstellungen verringern und dadurch mehr Neueinstellungen ermöglichen. Schade, dass die Bundesregierung von dem Ansatz, den Clement am Anfang verfolgte, abgerückt ist! Schade, dass Sie zwei Schritte vor und zwei zurück machen! Schade, dass Sie diese Chance zur Modernisierung unserer Arbeitsverfassung vertun! Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen heute eine Reihe von Gesetzentwürfen zu Fragen des Kündigungsschutzes und der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zur Abstimmung vor, die wesentliche Unterschiede zwischen den Vorstellungen aus dem Lager der Union und der FDP auf der einen Seite und denen der Regierungsfraktionen auf der anderen Seite enthalten. Ich will mich in meiner Rede auf diese Unterschiede konzentrieren. Wir schaffen mit den Vorlagen, über die heute entschieden wird, eine flexiblere und kalkulierbarere Handhabung des Kündigungsschutzes. Tatsächliche und psychologische Barrieren - bei der Frage von Neueinstellungen geht es um beides - werden abgebaut, ohne dass das soziale Grundrecht auf Schutz vor willkürlicher Kündigung geschliffen wird. ({0}) Das ist ein entscheidender Punkt. Die Regelung, dass fünf befristete Stellen nicht zu der Grenze von fünf Beschäftigten gerechnet werden, führt in der Praxis vor allem dazu, dass junge Unternehmen auch in einer Situation neu einstellen können, in der sie sich nicht sicher sind, wie sich ihr Geschäftsfeld und ihre Tätigkeit entwickeln werden. Wir schaffen Sonderregelungen für Existenzgründer - auch dies ist wichtig -, damit Existenzgründungen erleichtert werden. Wir klären Kriterien für die Sozialauswahl, weil eine der bisherigen Schwächen die Unklarheiten im Kündigungsschutz waren. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer mussten einen Arbeitsgerichtsprozess deswegen fürchten, weil Verlauf und Ausgang nicht vernünftig zu kalkulieren waren. Auch die Festlegung eines Abfindungsanspruchs, wie sie im Gesetz vorgesehen ist, ist ein Fortschritt, der so manches Prozessrisiko minimieren kann. Ich glaube, dass dieses Gesetz das Klima innerhalb der sozialen Marktwirtschaft verbessert und Neueinstellungen erleichtert. Ich habe bei manchem, was ich vor allem von der FDP, modifiziert auch von der CDU gehört habe - aber die FDP ist da die ideologische Speerspitze -, den Eindruck, ({1}) dass Sie die Kündigungsschutzgesetzgebung insgesamt Stück für Stück schleifen wollen. ({2}) Ich kann nur sagen: Dies ist mit Rot-Grün nicht zu machen. Wir sind der Meinung, dass Menschen, die vor willkürlicher Kündigung sicher sind, besser arbeiten und zufriedener sind. Das ist der Sinn sozialer Gesetzgebung. Davon darf man nicht abgehen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kuhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, er ist schließlich der nächste Redner. Dann kann er sich austoben. Ich will auch etwas zu der Frage der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes sagen. Mir ist klar, dass es vielen in meiner Fraktion - ich unterstelle, auch vielen in der SPD-Fraktion - schwer fällt, die Entscheidung zu treffen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf bzw. 18 Monate zu reduzieren. Aber wenn man sich die Geschichte des Arbeitslosengeldes in der Bundesrepublik anschaut, stellt man fest: Diese Maßnahme ist notwendig. 1985 hat die Union die Verlängerung der Bezugsdauer eingeführt. Sie hat damit in der Summe zusammen mit allen Vorruhestandsmodellen von Herrn Blüm älteren Beschäftigten in der Bundesrepublik ernsthaft geschadet. Die ganze Politik - darüber müssen wir heute reden -, die Sie über 15 Jahre gemacht haben, hat dazu geführt, dass in so gut wie keinem Betrieb mehr die Beschäftigten älter als 55 oder 57 Jahre waren. Die Unternehmer haben sich ohne Mühe und auf bequeme Weise auf Kosten der Sozialversicherungskassen und der Staatskassen sanieren können. Sie sahen damals keinerlei Notwendigkeit, eine Kultur der Altersarbeit aufzubauen. Diese Entwicklung haben Sie leichtfertig in Kauf genommen. Ich habe mich 1985 gefragt, was die CDU/CSU-Regierung damals erreichen wollte. Da der Bund für die Arbeitslosenhilfe zuständig ist, wollte sie Arbeitslosenhilfe dadurch einsparen, dass sie die Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld verlängert und damit die Kosten vom Bundeshaushalt auf die Sozialversicherungskassen verlagert hat. Damit hat die Regierung aber Schiffbruch erlitten. Ich wiederhole: Sie haben damit den älteren Beschäftigten in Deutschland ernsthaft geschadet. Diesen Fehler korrigieren wir heute. Das ist notwendig und sinnvoll, wenn wir wieder mehr Beschäftigung für ältere Menschen möglich machen und generieren wollen. Ich will Ihnen, weil Sie den Kopf geschüttelt haben, einmal eine Zahl nennen. 1985 haben Sie es verlängert, 1986 bis 1987 ist die Arbeitslosigkeit - hören Sie zu und lassen Sie den Dampf woanders ab - der über 54-Jährigen sprunghaft von 2,5 Prozent auf 12,9 Prozent gestiegen. Das belegt, dass der Schritt, den Sie gemacht haben, falsch war. ({0}) Weil wir eine großzügige Übergangsregelung bis März 2006 haben, müssen wir die Betriebe auffordern, Konzepte für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entwickeln. Ich will ganz deutlich sagen: Schon aus demographischen Gründen ist es notwendig, in Deutschland für die gesellschaftliche Akzeptanz der Einsicht zu werben, dass wir die Qualifikation älterer Beschäftigter brauchen und Arbeitnehmer weiterbilden müssen. Denn ab 2010 werden viele, die qualifiziert sind, in den Ruhestand gehen und wir werden weniger junge Leute haben, die qualifizierte Jobs haben. Wir dürfen nicht versuchen, prinzipiell Menschen, die 55 Jahre alt sind, aus den Betrieben zu drängen. Das ist ein Kerngebot der sozialen Marktwirtschaft. Daran will ich Sie von der Union erinnern. ({1}) Ihr Vorschlag, das Arbeitslosengeld nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu staffeln, ist meines Erachtens ungerecht. Dadurch werden zum Beispiel diejenigen benachteiligt, die in strukturschwachen Regionen leben und deswegen ein höheres Risiko haben, arbeitslos zu werden. Der Vorschlag verändert den Charakter der Arbeitslosenversicherung vollständig, die ja eine Versicherung ist, um kurzfristige Risiken zu mindern. Sie machen aus der Arbeitslosenversicherung eine Ansparversicherung. Sie verkehren also den Sinn der Arbeitslosenversicherung in Deutschland. Obendrein ist Ihr Vorschlag schlicht und einfach frauenfeindlich; das ist logisch. Denn Frauen haben es doch viel schwerer, eine kontinuierliche Erwerbsarbeitsbiographie zu erreichen, wenn sie Kinder bekommen. Durch Ihren Vorschlag werden sie beim Arbeitslosengeld diskriminiert. Das ist ein frauenfeindlicher Vorschlag der Union und der FDP. ({2}) - Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Sie verfolgen eine bestimmte Linie. Sie haben auch etwas gegen die Teilzeitarbeit. Sie haben in Ihren Gesetzentwürfen Vorschläge gemacht, die Teilzeitarbeit nur noch bei denjenigen gesetzlich zu ermöglichen, die Kinder haben. Auch dies führt zu nichts anderem, als dass Arbeitgeber sich genau anschauen, bei wem das der Fall sein kann und bei wem nicht. Somit führen Sie auch in diesem Fall eine positive Diskriminierung ein. ({3}) - Es ist interessant, dass Sie so aufschreien. Sie schreien immer dann, wenn es weh tut und wenn es wahr ist. ({4}) - Ich kenne Sie, Herr Schauerte. Sonst würden Sie gar nicht schreien. ({5}) Sie spüren aufgrund des Ihnen eigenen politischen Feingefühls, wenn etwas stimmt. Dann schreien Sie und machen Zwischenrufe. ({6}) Der Vorschlag von Ihnen ist einfach frauenfeindlich. Nehmen Sie das einmal mit nach Hause nach NordrheinWestfalen und fragen Sie dort Leute, die etwas davon verstehen. Ich komme zum dritten und letzten Punkt, den ich ansprechen möchte. ({7}) Es geht um die Bündnisse für Arbeit. Wir sagen klipp und klar: Wir wollen mehr Bündnisse für Arbeit, weil so dezentral gute und qualifizierte Entscheidungen zur Bewahrung von Jobs getroffen werden können. ({8}) Wir glauben aber, dass es Aufgabe der Tarifpartner ist, dieses Thema voranzutreiben. Ich will auch sagen, warum. Nur durch die gemeinsame Verantwortung der Tarifpartner können mehr Bündnisse für Arbeit möglich werden. Deswegen glauben wir, dass es richtig ist, jetzt die Betroffenen aufzufordern, sich darum zu kümmern, dass die bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft und zusätzliche Möglichkeiten in Tarifverträgen eröffnet werden. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Achten Sie bitte auf Ihre Redezeit, Herr Kuhn.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich wollte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ach so. Ich komme gleich zum Schluss. Vorschläge von der FDP, die jetzt auf dem Tisch liegen, haben ein ganz anderes Ziel. Sie wollen durch Aufweichung des Betriebsverfassungsgesetzes und anderer Gesetze erreichen, dass die Tarifpartner insgesamt, insbesondere die Gewerkschaften

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kuhn, beginnen Sie kein neues Thema. Sie sind weit über die Zeit. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

geschwächt werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich möchte Sie nicht ärgern. Kurzum, die Gesetze, die heute auf dem Tisch liegen, bringen unterschiedliche Auffassungen zur Sozialpolitik und zur Arbeitsmarktpolitik zum Ausdruck. ({0}) Sie werden sehen, wie die Abstimmung ausgeht. Die besseren Auffassungen werden heute gewinnen. Vielen Dank, Herr Kauder. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel von der FDPFraktion. ({0})

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Bundeskanzler hier am 14. März seine Agenda 2010 vorgetragen hat, konnte man vermuten, dass es jetzt Bewegung am Arbeitsmarkt gibt, dass sich die Regierung besonnen hat und versucht, Fehler rückgängig zu machen und Versäumtes nachzuholen. Angesichts der entsprechenden Vorlagen stellen wir fest: Sie sind weit hinter dem, was der Kanzler angekündigt hat, und vor allem weit hinter den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes zurückgeblieben. Herr Kuhn, es war nicht ganz unbegründet, dass ich Ihnen, als Sie das Wort ergriffen haben, zugerufen habe: Ehrlich bleiben! Eines muss man nämlich ganz deutlich sagen: Willkürliche Kündigungen sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch auch ohne besonderes Kündigungsschutzgesetz verboten. All die, die in den 1,46 Millionen Betrieben mit weniger als fünf Arbeitnehmern in Deutschland beschäftigt sind, wären sonst auch nach Ihrem Gesetz rechtlos und nicht unter Schutz gestellt. Sie sind also unredlich und unehrlich, Sie haben hier die Unwahrheit gesagt. ({0}) Dieser Faden zieht sich durch die gesamte rot-grüne Politik. Herr Kuhn, Sie sind zwar selten in Ihrem Wahlkreis, müssten aber wissen, dass der größte Arbeitgeber in Heidelberg die Universität ist, das heißt das Land Baden-Württemberg. Sie legen hier eine Regelung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen vor, nach der man im Verlauf seines Lebens bis zum 52. Lebensjahr nur einmal beim gleichen Arbeitgeber ohne Sachgrund befristet beschäftigt werden kann. Informieren Sie sich doch einmal, was das bedeutet! Das bedeutet, dass ein Hiwi, der an der Uni einen Aushilfsjob bekommen hat und danach vielleicht eine halbe befristete Stelle, nicht mehr die Chance hat, noch einmal beim Land BadenWürttemberg sachgrundlos befristet beschäftigt zu werden. Durch diese Gesetzgebung verhindern Sie Beschäftigungsmöglichkeiten in unserem Land. ({1}) Sie haben gesagt, dass wir mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit brauchen. Das ist richtig. Aber Sie gängeln die Leute und entmündigen die Betriebsräte durch die Möglichkeit des Vetos der Verbände und Gewerkschaftsfunktionäre. Lassen Sie den Menschen mehr Freiheit im Betrieb! Wenn sich 75 Prozent der Belegschaft in freier und geheimer Wahl für eine andere Regelung als die des Kartells entscheiden, dann muss ihnen auch die Umsetzung dieser Entscheidung ermöglicht werden. Immer mehr Menschen in diesem Land wissen, dass wir unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht durch immer kürzere Arbeitszeiten, immer mehr Urlaub und immer höhere Löhne behalten können. Wer glaubt, unter diesen Voraussetzungen wettbewerbsfähig bleiben zu können, Herr Kuhn, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten können. ({2}) Wir müssen einfach unsere „Sattheit“ ablegen. Nur so können wir im Wettbewerb mit den hungrigen mittelund osteuropäischen Staaten mithalten und müssen keine gravierenden Wohlstandsverluste hinnehmen. Ihre Gesetzgebung führt uns auf diesem Weg keinen Schritt weiter. Der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland ist schlichtweg „verriestert“ und verriegelt. Es ändert sich daran auch nichts, wenn Sie hinsichtlich der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes endlich eine neue Justierung vornehmen wollen, wofür wir im Übrigen immer beschimpft worden sind. ({3}) Der Bezug des Arbeitslosengeldes von bis zu 32 Monaten hat den Sinn der Arbeitslosenversicherung verkehrt. Früher einmal war diese Versicherung eine Ausfallbürgschaft zur Sicherung des Lebensstandards für einen klar definierbaren Zeitraum der Arbeitssuche. Sie hat sich über die Jahre wegen politischer Fehlentscheidungen zu einer Daueralimentierung entwickelt. Wer weiß, dass der durchschnittliche Arbeitslosengeldbezug im Jahr 2002 bei 21 Wochen lag - das sind fünf Monate -, der weiß, dass Sie mit Übergangsfristen für neue Arbeitslose bis zum Jahr 2006 und für Bestandsarbeitslose bis zum Jahr 2008 zwei Dinge nicht schaffen werden: eine durchschlagende Reform und vor allem eine schnelle Reform, also eine schnelle Veränderung am Arbeitsmarkt. Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen eine liberale Alternative zur Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit vor. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als der Bundeskanzler vor anderthalb Jahren, als Herr Gerster inthronisiert wurde, in einer Pressekonferenz gesagt hat: Ich schicke meinen besten Mann auf meine wichtigste Baustelle. - Diesen besten Mann hat er dann auch gleich eingemauert, zwischen dem Hauptpersonalrat, der Selbstverwaltung mit Frau Engelen-Kefer, der SPD-Bundestagsfraktion und jeder Menge Regelungen und Vorschriften. Die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer jetzigen Form ist schlicht nicht reformierbar. ({4}) Deswegen beantragt die FDP-Bundestagsfraktion heute in erster Lesung - wir werden das im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren zu Hartz III und IV diskutieren -, dass die Bundesanstalt in ihrer jetzigen Form aufgelöst und in einer Versicherungs- und einer Arbeitsmarktagentur neu geordnet wird. Die kommunalen Jobcenter werden sich um den Ausgleich am Arbeitsmarkt bemühen. Wir schaffen damit Strukturen, die es den Menschen nicht nur ermöglichen, endlich wieder mitzuwirken, sondern die auch dafür sorgen, dass wir zukunftsfähig bleiben. Denn eines haben Sie bisher mit Ihren Gesetzesvorlagen noch nicht geschafft: Wir haben noch keine Gesetzesvorlage bekommen, durch deren Umsetzung Arbeitsplätze geschaffen würden. Ihre Gesetzentwürfe würden allenfalls bewirken, dass die Arbeitslosigkeit schneller beendet wird und dass vorhandene Arbeitsplätze schneller und qualitativ hochwertiger besetzt würden. Was Sie uns noch vorlegen müssen, ist der Entwurf einer durchgreifenden Steuerreform, durch die den Menschen und den Betrieben netto mehr Geld in der Tasche bleibt, sodass durch Investitionen und Konsum wieder neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können. Sie aber trauen sich seit Beginn Ihrer Regierungszeit nicht, sich vom Fleck zu rühren. Die FDP wird Sie auch in diesem Punkt weiterhin sehr konstruktiv begleiten. Ich bin gespannt, wie Sie mit unseren Vorschlägen umgehen, wenn Sie sich an dem Maßstab messen lassen wollen, den der Kanzler definiert hat. Er wollte sich jederzeit am Maßstab des Abbaus der Arbeitslosigkeit messen lassen. Selbst wenn das mancher von Ihnen bereits vergessen hat, werden wir das weiterhin tun. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von der SPD-Fraktion.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt verabschieden wir nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz den zweiten Meilenstein zur Umsetzung der Agenda 2010. Wir verfolgen dabei das Ziel, den Arbeitsmarkt beweglicher zu machen, ohne den sozialen Schutz zu vernachlässigen. Der Schutzgedanke zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen darf nicht verloren gehen. Das Recht des Stärkeren darf sich nicht behaupten. Wir brauchen vielmehr eine soziale Balance. Sie hat unseren Staat groß und wichtig gemacht. Dafür stehen die Sozialdemokraten auch weiterhin ein. ({0}) Im Übrigen würde eine Verschiebung dieser Prinzipien auch nicht zu mehr Beschäftigung führen. Sie würde allenfalls eine größere Verunsicherung bewirken, die dem Standort Deutschland nur schaden würde. Verunsicherung ist das Letzte, das wir zurzeit brauchen können. ({1}) Während der Geschäftsklimaindex nun zum fünften Mal hintereinander positive Daten für Wirtschaft und Beschäftigung aufzeigt, erweisen die von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, angezettelten Debatten einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung einen Bärendienst. ({2}) Unterstützen Sie deshalb den sachlich-konkreten Kurs, den die Sozialdemokraten zusammen mit ihrem Koalitionspartner, den Grünen, fahren! Neue Arbeitsplätze entstehen überwiegend in Kleinbetrieben und durch Existenzgründungen. Die Zahl der Existenzgründungen durch Arbeitslose ist bekanntlich enorm gestiegen, und zwar auf voraussichtlich mehr als 200 000 im Jahr 2003. Das ist ein Erfolg unserer Politik, die den Menschen Mut gemacht hat, wieder selbst Verantwortung zu übernehmen und die Eigendynamik zu stärken. Auch deshalb brauchen wir kein Klima der Verunsicherung; vielmehr brauchen wir ein Klima, das den von uns verfolgten Kurs unterstützt. ({3}) Wir wollen darüber hinaus die Einstellung weiterer Mitarbeiter in Kleinbetrieben unterstützen. Kleinbetriebe bis fünf Beschäftigte sollen zusätzlich fünf befristet Beschäftigte einstellen können, ohne dass das Kündigungsschutzgesetz greift. Überstunden sollen möglichst in Beschäftigung umgewandelt werden. Für den Fall, dass bei einer gegebenen Auftragslage ein Zweifel besteht, ob eine Einstellung mit einem arbeitsrechtlichen Risiko verbunden wäre, haben wir eine entsprechende soziale Bandbreite vorgesehen. Mit unserem Änderungsvorschlag haben wir im Übrigen auf die Expertenanhörung reagiert und Rechtssicherheit im Interesse der kleineren Betriebe bzw. der Arbeitgeber organisiert. Eine Bandbreite von fünf plus fünf ist verfassungsrechtlich geboten. Insofern wäre auch Herr Göhner gut beraten, diese Rechtssicherheit mit zu unterstützen und die BDA aufzufordern, das als positives Signal an die Kleinbetriebe weiterzugeben. ({4}) Existenzgründer können darüber hinaus bis zu vier Jahre befristet neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen, ohne dass das Kündigungsschutzgesetz greift. Das ist ein weiteres Signal dafür, den Mutigen im Lande Unterstützung zukommen zu lassen. Vor allem der Rechtssicherheit und der Vereinfachung der Verfahren dienen die Änderungen bei der Sozialauswahl und die Neuregelung, wonach die Arbeitgeber bei einer Kündigung gleich eine Abfindung anbieten können. Wenn der oder die Gekündigte sie annimmt, herrscht sofort Rechtssicherheit. Es war und ist ein wesentliches Ziel unserer Reform, Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Arbeitnehmer zu schaffen. Das wird mit diesem Gesetzentwurf Wirklichkeit. Ein weiterer Punkt ist, dass wir mehr Beweglichkeit am Arbeitsmarkt brauchen. Die Rahmenbedingungen dafür werden nicht nur durch rechtliche Faktoren gesetzt werden. Psychologische Faktoren spielen dabei, wie wir wissen, eine wesentliche Rolle. Wir wollen, dass insbesondere ältere Arbeitnehmer mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Gegenüber den skandinavischen Ländern oder gegenüber Großbritannien haben wir einen ganz erheblichen Rückstand bei der Beschäftigung Älterer. Sie werden vom Arbeitsleben oft genug ausgeschlossen. Ich halte das für einen Skandal. Das sollte man auch so deutlich formulieren. Arbeitslosigkeit ist ein Skandal in unserem Land. Diese Stigmatisierung aufzuheben müsste ein gemeinsames Anliegen von Regierung und Opposition sein. ({5}) Die lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes hat ohne Frage mit dazu geführt, dass ein falscher Anreiz gesetzt worden ist. Wir werden dieser Entwicklung nicht mehr Vorschub leisten, sondern wir sorgen dafür, dass wichtige Schrittmacherdienste stattfinden, zum Beispiel dadurch, dass Förderinstrumente organisiert werden, damit ältere Arbeitnehmer - ökonomisch gestützt - im Arbeitsprozess bleiben können. Genau dieses Ziel haben wir mit den ersten beiden Hartz-Gesetzen verfolgt. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt werden. Ganz entscheidend ist dabei, dass wir den Fehlanreiz streichen und auf der anderen Seite einsehen, dass die Stigmatisierung in der Gesellschaft durch verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen nicht einfach aufgehoben ist. Gerade aus diesem Grund ist eine gemeinsame Aktion sozialpolitisch zweckmäßig und geboten. Wir haben dazu eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel das Langzeitarbeitslosenprogramm. Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Arbeitslose ab dem 50. Lebensjahr, die eine geringer bezahlte Beschäftigung annehmen, für eine befristete Zeit die Lohndifferenz ausgeglichen bekommen. Zusätzlich werden ihre Rentenversicherungsbeiträge aufgestockt. Eine weitere Maßnahme ist, dass Arbeitgeber, die Arbeitslose über 55 Jahre einstellen, keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mehr zu entrichten brauchen. Wir haben eine Flut von Maßnahmen, die genau diesen Prozess unterstützen sollen, in Gang gesetzt. Von einer solch ausgewogenen und gezielten Strategie ist die Opposition aus meinem Blickwinkel leider weit entfernt. Deshalb sage ich ganz deutlich: Lasst uns gemeinsam dafür werben, dass die Dinge, die wir als Problem erkannt haben, gemeinsam umgesetzt werden! Lassen Sie uns also gemeinsam dafür eintreten, dass mehr Beschäftigung der Älteren Wirklichkeit wird. Ich komme zum Schluss. Wir erteilen den Gesetzentwürfen der Opposition eine ganz klare Absage, was die Eingriffe in die Tarifautonomie anbelangt. ({6}) Als Biedermann fordern Sie eine gesetzliche Regelung für betriebliche Bündnisse für Arbeit; als Brandstifter wollen Sie die Gewerkschaften dauerhaft und nachhaltig schwächen. Dafür steht eindeutig die Aussage von Herrn Merz, man wolle „den Sumpf trockenlegen“. Das nenne ich eine gesellschaftliche Brandstiftung, der wir nicht einfach zusehen werden. Wir werden vielmehr zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und den Arbeitnehmern, mit den Gewerkschaften und mit den positiv gestimmten Arbeitgebern deutlich machen, welche Bedeutung die Tarifautonomie für dieses Land - nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch sozialpolitisch hat. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandner, Sie werden sich noch über all das wundern, dem Sie in den nächsten Monaten zustimmen werden. ({0}) Als vor einem Jahr die Bundestagswahlen stattfanden, haben die Menschen in Deutschland der gesamten Politik einen zentralen Auftrag gegeben: mehr Arbeitsplätze. Dieser zentrale Auftrag, in erster Linie an die Regierung gerichtet, ist nach einem Jahr nicht erfüllt. Allein im Verlauf der letzten zwölf Monate ist die Erwerbstätigkeit in Deutschland um 600 000 Beschäftigte zurückgegangen. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Frankfurts. Als Notar des eigenen Versagens hat diese Bundesregierung vor wenigen Tagen festgestellt, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr bei durchschnittlich 4,4 Millionen Menschen liegt. ({1}) Die dynamisch wachsende Arbeitslosigkeit bringt die Finanz- und die Sozialsysteme - ich sage das ohne Häme - dem Kollaps jeden Tag näher. ({2}) Darüber haben wir schon heute Vormittag im Rahmen der Debatte über die Gesundheitsreform diskutiert. ({3}) Allein die registrierte Arbeitslosigkeit hat im vergangenen Jahr gesamtwirtschaftliche Kosten in Höhe von 75 Milliarden Euro verursacht. Etwa die Hälfte entfiel auf die gestiegenen Ausgaben für das Arbeitslosengeld und die andere auf die Einnahmeausfälle, insbesondere bei den Steuern. Die Bundesregierung - das erkennen wir durchaus an - hat in zahlreichen Anstrengungen versucht, das Problem einzugrenzen. Sie haben sich in all den Jahren viel einfallen lassen: JUMP-Programm, Jobfloater, Mainzer Modell sowie Hartz-Konzepte mit aufsteigenden römischen Ziffern. Sie waren sehr erfolgreich in Sprachschöpfungen. Aber bei der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen haben Sie überhaupt nichts, null Komma null bewegt. ({4}) Jetzt - das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns -, da wir sehen, dass der Flächenbrand Arbeitslosigkeit jeden Tag mehr wütet und dass die Flammenwände hochlodern - in den ersten Monaten des kommenden Jahres droht die Flammenwand der Arbeitslosigkeit die 5-Millionen-Grenze zu erreichen -, ({5}) beginnen Sie zwar langsam, in die richtige Richtung zu steuern. Aber Sie geben der Feuerwehr nur einen Gartenschlauch mit. Das genügt nicht. Angesichts der eben skizzierten Situation müssen Sie alles einsetzen, um den Flächenbrand zu bekämpfen. Sie brauchen Löschflugzeuge, Hubschrauber und Bodenpersonal auf allen Ebenen. ({6}) Das ist der Unterschied zwischen Ihren und unseren Konzepten: Wir haben einen Gesamtansatz, der weiter, tiefer und schneller wirkt. ({7}) Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen Ihnen und uns liegt bei den betrieblichen Bündnissen für Arbeit. Wir meinen, dass Betriebsrat und Betriebsleitung schneller und leichter maßgeschneiderte Lösungen finden können. Wir wollen, dass Deutschland wieder Exportnation Nummer eins wird. Wir wollen aber nicht, dass auch in Zukunft Deutschlands Hauptexportartikel Arbeitsplätze sind. Wir wollen, dass die Arbeitsplätze bei uns bleiben. ({8}) Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat in den Punkten 10 und 11 seines Jahresgutachtens, das vor wenigen Monaten veröffentlicht wurde, unmissverständlich unsere Forderungen unterstützt, Herr Brandner. Ohne betriebliche Bündnisse werden noch mehr Betriebe aus dem Tarifvertrag flüchten. In den neuen Bundesländern - hören Sie gut zu - waren beispielsweise 1999 nur noch 21 Prozent der Betriebe in einem Flächentarifvertrag. Drei Jahre zuvor waren es noch 7 Prozentpunkte mehr. In den alten Bundesländern waren im gleichen Zeitraum nur noch 44 Prozent in einem Flächentarifvertrag. 1995 waren es noch mehr als 50 Prozent. ({9}) Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel nennen, das belegt, wie segensreich betriebliche Bündnisse wirken können. Der Tarifvertrag, den die Deutsche Post AG mit Verdi geschlossen hat, wirkt im Kern wie ein betriebliches Bündnis für Arbeit; denn aufgrund der historischen Situation ist der Betrieb Deutsche Post AG tariffähig und kann mit der Gewerkschaft einen derartigen Vertrag abschließen. Wie sieht der Inhalt aus? Die wöchentliche Arbeitszeit kann zum Beispiel flexibel auf 48 Stunden erweitert werden. Die erwünschten Wirkungen dieses letztlich wie ein betriebliches Bündnis wirkenden Tarifvertrags zeigen sich: Es gibt eine Arbeitsplatzgarantie. Die Menschen haben die Chance, ihre Arbeitszeit individuell einzuteilen. Wer jung ist, ein Haus bauen will und zusätzliches Einkommen braucht, kann bis zu 48 Stunden arbeiten. Eine junge Mutter, die etwas mehr Zeit für die Kindererziehung braucht, kann sich für eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden entscheiden. Wer älter ist und an den Ruhestand denkt, der wird die Wochenarbeitszeit nicht mehr voll ausschöpfen und erheblich weniger arbeiten. ({10}) Nur die historische Sondersituation der Post hat diesen Vertrag ermöglicht. Wir wollen aber, dass nicht nur die Post derartige Verträge abschließen kann, sondern dass jeder Betrieb Möglichkeiten hat, flexibel auf Herausforderungen zu reagieren. ({11}) - Sie wissen genau, dass die Betriebe solche Möglichkeiten heute nicht haben. Dieses Beispiel zeigt aber auch noch eine für den einen oder anderen von Ihnen unangenehme Wahrheit: Die Zeit der endlosen Arbeitszeitverkürzungen ist vorbei. Man kann nicht mehr meinen, es würde alles so weitergehen wie bisher. Die Arbeitnehmer in unserem Land sind bereit, mehr zu arbeiten, auch um den Preis des Verzichts auf einen Lohnausgleich, wenn sie dafür einen sicheren Arbeitsplatz erhalten, der auf Dauer garantiert wird. ({12}) Längere Arbeitszeiten schaffen übrigens auch mehr Wirtschaftswachstum. Das zeigt ein Beispiel: Wie der Zufall so will, werden im nächsten Kalenderjahr sechs Feiertage - anders als in diesem Jahr - auf Samstage und Sonntage fallen. Allein dieser kalendarische Zufall kreiert ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent. Das ist der Beweis dafür, dass Mehrarbeit die Wirtschaft ankurbeln wird. ({13}) - Nein. Nun sagen Sie von der Regierung zu uns als Opposition ständig, fast wöchentlich, in immer kürzeren Intervallen, wir sollten mit Ihnen kooperieren, wir sollten zusammenarbeiten, weil die Problemlage so schwierig sei. Die Problemlage ist so schwierig, wie ich sie geschildert habe. ({14}) Nur: Zusammenarbeit ist natürlich keine Einbahnstraße. Zusammenarbeit heißt, dass man aufeinander zugeht. Deshalb sage ich Ihnen heute: Ihnen liegt von uns ein umfangreiches Konzept vor, das die Arbeitslosigkeit über das Arbeitsrecht entscheidend bekämpfen kann. Unsere Angebote sind: Neuregelung des Kündigungsschutzes, Beschränkung des Anspruchs auf Teilzeitarbeit, Neuregelung befristeter Arbeitsverhältnisse, Beschränkung des Anspruchs auf Tariflohn für Leiharbeitnehmer, Beseitigung der Anreize zur Frühverrentung. Sie haben jetzt die Wahl: Entweder nehmen Sie unsere Vorschläge ernst oder machen rücksichtslos von Ihrer parlamentarischen Mehrheit hier Gebrauch. Die Menschen in Deutschland erwarten, dass Sie unsere Vorschläge nicht einfach vom Tisch wischen, sondern dass Sie sie ernst nehmen. Dazu fordere ich Sie hier auf. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über weitere Maßnahmen aus dem so genannten Hartz-Paket. Das Paket werde, so die rotgrüne Werbung, die Arbeitslosigkeit massiv senken. Ich wiederhole für die PDS im Bundestag: Das Gegenteil wird eintreten. ({0}) Heute geht es vor allem um drei Punkte: Der Kündigungsschutz soll vermindert werden. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll verkürzt werden. Das Tarifrecht soll gelockert werden. Allein diese Aufzählung zeigt, wo Sie den Hebel oder - besser - den Hobel ansetzen, nämlich bei den Arbeitnehmern und bei den Arbeitslosen. Sie wissen, dass wir das für falsch und für unsozial halten. Sie wollen die Dauer des Anrechts auf Arbeitslosengeld auf zwölf Monate begrenzen. Damit folgen Sie dem Trugbild vom faulen Arbeitslosen, der durch Entzug zur Arbeit gezwungen werden muss. Sie erzählen hier auch Märchen - so wie heute wieder geschehen -, indem Sie uns vorgaukeln, zwei Jahre nach Ablauf der ersten Übergangsfrist würde sich grundsätzlich etwas an der Situation geändert haben, es würden millionenfach Arbeitsplätze geschaffen worden sein, auf die Arbeitslose, auch solche über 50 Jahre, vermittelt werden könnten. Ich habe hier schon mehrfach vorgetragen, wie weltfremd Ihr Ansatz und wie ungerecht Ihr Vorgehen ist. Das Resultat werden nicht weniger Arbeitslose, sonder mehr Arbeitslose in Armut sein - ein zynisches Konzept. Der Kündigungsschutz soll gelockert werden. Dies entlaste in schweren Zeiten und erleichtere Einstellungen in guten Zeiten, sagen Sie. Das Argument klingt erst einmal logisch, es hat nur zwei grundsätzliche Macken: Es macht Arbeitnehmer zum ungeschützten Spielball für Unternehmer und es beschleunigt die Abwärtsspirale für abhängig Beschäftigte. Schließlich wollen Sie mit dem heute zur Diskussion stehenden Teil des Gesetzespakets das geltende Tarifrecht brechen. Bislang gelten Tarife bundesweit. Das stärkt den sozialen Frieden und den Standort. Es schützt den Wettbewerb und vor Dumping. Aus Sicht der Arbeitnehmer bedeutet das Tarifrecht: Es schützt vor Willkür und ungehemmter Ausbeutung und es folgt Werten wie sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Das alles steht heute zur rot-grünen Disposition. Nun kennen wir alle Situationen, in denen eine Ausnahme von der Regel durchaus hilfreich sein kann - aber eben als Ausnahme, nicht als Regel. Schauen Sie auf die neuen Bundesländer: Dort sind die Ausnahmen West schon längst die Regel Ost, dort sind die Löhne niedriger, dort sind die Arbeitsverhältnisse ungeschützter und dort ist die Arbeitslosigkeit höher. Deshalb hat die PDS im Juni ein Alternativprogramm für die neuen Bundesländer zur Debatte gestellt. Es ist ein Grundfehler, dieses einfach als Ostprodukt abzutun. Wenn ich durch die alten Bundesländer toure und zum Osten befragt werden, dann sage ich immer: Der Osten ist eure Zukunft. Ihr könnt wählen zwischen einem Pflegefall und einem Zukunftsprojekt. ({1}) Wer allerdings das Hartz-Konzept als Zukunftsprojekt verkaufen will, ist schlicht ein krimineller Hausierer. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Kramme von der SPD-Fraktion.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Göhner, Herr Niebel und Herr Singhammer, wenn ich Sie höre, dann denke ich mir manches Mal: Wie unüberbrückbar ist der Dissens bei den Arbeitnehmerrechten in der sozialen Marktwirtschaft geworden! Sie wollen Entrechtete und Sprachlose. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses Landes können dankbar sein, dass sie sich nicht in Ihren Händen befinden. ({0}) Die Arbeitgeber jammern und lamentieren. Sie fordern den Abbau von Arbeitnehmerrechten, denn das Arbeitsrecht sei ein Hindernis bei Einstellungen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Kündigungsschutzes sowie den vorhergehenden Gesetzen zur Leiharbeit und zur Befristung der Arbeitsverhältnisse haben wir die geforderte Flexibilität geschaffen. Vielen von uns ist das nicht leicht gefallen; viele haben gehadert und gelitten. Aber wir führen die Änderungen trotzdem durch, und zwar mit der ganz klaren Erwartungshaltung, dass in dieser Republik Arbeitsplätze geschaffen werden. Ich persönlich habe durchaus Zweifel, dass das auf diese Weise geschieht. Ich habe die Untersuchung gelesen, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums 1997 erstellt worden ist. Darin heißt es: Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die erhofften Beschäftigungswirkungen noch nicht eingetreten sind, sondern sogar Beschäftigung abgebaut wurde. … Allerdings warnen die Befragungsergebnisse vor übertriebener Hoffnung bezüglich der Beschäftigungswirksamkeit. Genau aus diesem Grunde haben wir die gesetzlichen Änderungen befristet. Wir werden eine exakte Evaluierung zum 31. Juli 2007 vornehmen. Ich garantiere Ihnen: Wir werden die Regelungen zurücknehmen, wenn die Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land nicht beweisen, dass sie das neue Recht für Einstellungen nutzen. Es ist jetzt Sache der Unternehmen, Unternehmensgeist und Tatkraft zu zeigen und ihre Verantwortung gegenüber dem Staat und der Gesellschaft einzulösen. Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu den Änderungen machen, die die Koalitionsfraktionen gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgenommen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Kramme, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kramme. - Sie haben gerade gesagt, Sie würden gegebenenfalls Regelungen zurücknehmen. Stimmen Sie mir zu, dass Sie nach Antritt der rotgrünen Bundesregierung 1998 in den ersten Korrekturgesetzen die Regelungen der alten Regierung im Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 zurückgenommen haben - das haben Sie ja auch im Wahlkampf versprochen - und dass Sie ganze Passagen von diesen Regelungen in das neue Gesetz eingefügt haben, und wird die Rücknahme, die Sie eben angekündigt haben, ähnlich aussehen? ({0})

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben Teile der Regelungen zurückgenommen; das ist richtig. Aber die Regelungen, die wir jetzt geschaffen haben, sind weitaus verträglicher. ({0}) Wir setzen die Grenze in Bezug auf den Kündigungsschutz nicht bei zehn Arbeitnehmern an, denn das würde dazu führen, dass für eine Vielzahl von Betrieben das Kündigungsschutzgesetz nicht mehr gelten würde. Stattdessen haben wir eine verträgliche Regelung für die befristeten Arbeitsverhältnisse aufgenommen. Das ist eine vernünftige Lösung, die eine sozialdemokratische Handschrift trägt. ({1}) Ich möchte jetzt auf die Änderungen eingehen, die wir am Regierungsentwurf vorgenommen haben. Erstens. Wir haben uns - wie bereits erwähnt - entschieden, den Schwellenwert bei den nicht zu berücksichtigenden befristeten Arbeitsverhältnissen auf fünf Arbeitnehmer zu begrenzen. Bei der Sachverständigenanhörung sind von verschiedenen Seiten verfassungsrechtliche Bedenken vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgetragen worden. Die Änderung ist auch politisch richtig. Es kann und darf nicht sein, dass in einem Betrieb wie zum Beispiel in einer Reinigungsfirma vier Arbeitnehmer fest und 200 Mitarbeiter befristet angestellt sind. Einen solchen Missbrauch darf es nicht geben. Die von uns geschaffene Regelung ist für Handwerker und Gewerbetreibende mit kleinen Betrieben gedacht, die nur über geringe Kenntnisse des Arbeitsrechts verfügen und deshalb weniger auf andere arbeitsrechtliche Lösungen zurückgreifen können. Zweitens. Wir haben uns außerdem entschieden, die Schwerbehinderung als zusätzliches Sozialauswahlkriterium bei betriebsbedingten Kündigungen aufzunehmen. Das Verfahren vor dem Integrationsamt nach SGB IX bietet nicht in jedem Fall hinreichend sozialen Schutz. Einerseits ist die Sozialauswahl nicht eigentliches Prüfkriterium, andererseits ist zu berücksichtigen, dass bei Massenentlassungen das Integrationsamt regelmäßig im Wege der Ermessensreduzierung gezwungen ist, der Entlassung von Schwerbehinderten zuzustimmen. Drittens. Hinsichtlich der Regelung über die Leistungsträger, die aus der Sozialauswahl herausgenommen werden können, haben wir keine Änderung für erforderlich gehalten. Das Bundesarbeitsgericht hat hier in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 hinreichende Festlegungen vorgenommen: So muss der Arbeitgeber einen nicht unerheblichen Leistungsvorteil durch den Leistungsträger für den Betrieb belegen. Darüber hinaus muss nach der Rechtsprechung des BAG eine Interessensabwägung zwischen dem Leistungsträger und dem zu kündigenden Arbeitnehmer stattfinden. Viertens. Es war auch keine ausdrückliche Änderung bei der Namensliste erforderlich. Es besteht ein Anspruch darauf, dass dem gegen seine Kündigung klagenden Arbeitnehmer die nachvollziehbaren Gründe für die Sozialauswahl bei der Erstellung einer Namensliste offen gelegt werden. Fünftens. Die Ausweitung der Erstattungsansprüche gegenüber dem Arbeitsamt nach § 147 a SGB III steht vor dem Hintergrund, dass wir nicht wollen, dass Arbeitgeber vor dem In-Kraft-Treten der anstehenden Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verstärkt Vorruhestandsregelungen zulasten der Solidargemeinschaft kreieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, mit Ihrem Arbeitsrechtsmodernisierungsgesetz haben Sie einen Griff in die Klamottenkiste getan. Gebetsmühlenartige Wiederholungen tragen nicht zu einer inhaltlichen Verbesserung Ihrer Politik bei. Sie behelligen uns mit ständig gleich bleibenden Gesetzesentwürfen. Was sich bei Ihrem Antrag insbesondere feststellen lässt: Sie wollen nicht mehr die Streitkultur der Gewerkschaften, Sie sind vom Konsens der sozialen Marktwirtschaft abgerückt. Sie wollen die Gewerkschaften zu einer Instanz der unverbindlichen Meinungsäußerung degradieren. Sie wollen mehr Entscheidungen auf die Ebene der Betriebsräte verlagern. Das hört sich gut an. Das ist es aber nicht. Jeder Betriebsrat wird vor dem Hintergrund angedrohter Kündigungen jeglichen Arbeitsbedingungen vor Ort zustimmen. Das Erpressungspotenzial ist ein anderes, wenn nicht mit den Gewerkschaften, sondern mit den Betroffenen vor Ort verhandelt wird. Auch passt es Ihnen natürlich, dass es auf betrieblicher Ebene kein Streikrecht gibt. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Klemm von Daimler-Chrysler hat zu Recht geäußert, betriebliche Bündnisse könne es nur geben, wenn es in den Betrieben auch ein Streikrecht für den Betriebsrat gibt. ({2}) In der Sachverständigenanhörung hat Professor Dieterich schön dargelegt, dass es einer gesetzlichen Regelung zu den betrieblichen Bündnissen an sich nicht bedarf. Jederzeit ist es möglich, die Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu einer Betriebsvereinbarung mit tariflichen Inhalten einzuholen. Dadurch wird nachträglich ein Tarifvertrag begründet. Sie aber wollen das nicht; vielmehr wollen Sie eine Demütigung der Gewerkschaften, indem Sie eine solche Regelung nicht zulassen. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Ihre Anträge sind gleichermaßen bodenlos und nicht zukunftsweisend. Die Stärkung der deutschen Wirtschaft ist nur mit sozial gesicherten und motivierten Arbeitnehmern möglich. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn gleich die namentliche Abstimmung folgt, bitte ich, die Gespräche - auch auf der Regierungsbank - einzustellen und dem nächsten Redner zuzuhören. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Kramme, Ihre Rede ({0}) hat den Zustand Ihrer Fraktion und Ihrer Partei sehr deutlich gemacht. Sie sagen: Ich stimme den Gesetzen zu, habe aber an dem, was wir hier tun, erhebliche Zweifel. ({1}) Da frage ich mich, Frau Kollegin Kramme: Warum stimmen Sie dann zu? Ich würde doch keinem Gesetz zustimmen, von dem ich denke, dass es falsch ist. ({2}) Ich kann schon verstehen, dass Sie große Probleme haben. Denn vieles von dem, was Sie heute beschließen, haben Sie im Wahlkampf 1998 vor sich hergetrieben: Wenn wir an die Regierung kommen, werden wir die Sozialauswahl - das ist ja alles ganz schrecklich! - ändern. - Jetzt, nach fünf vertanen Jahren, müssen Sie zusehen, dass die Gesetze, die wir gemacht haben und die Sie zurückgenommen haben, wieder ins Gesetzblatt kommen. ({3}) Am 14. März, vor 194 Tagen, hat der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung abgegeben, aus der ich ganz kurz zitieren will: Arbeitsrecht und Tarifrecht ergänzen sich in Deutschland zu einem dichten Netz geregelter Arbeitsbeziehungen. Das schafft Sicherheit. Aber es ist häufig nicht so flexibel und ausdifferenziert, wie es in einer komplexen Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb sein muss. An einer anderen Stelle der Regierungserklärung hat er vor 194 Tagen gesagt: Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien entlang dessen, was es bereits gibt - aber in weit größerem Umfang -, auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu handeln haben. Meine erste Feststellung. Heute legt die Regierung dem Deutschen Bundestag die erste in der Regierungserklärung vom 14. März in Aussicht gestellte Gesetzesinitiative zur Abstimmung vor. Dafür haben Sie 194 Tage gebraucht. ({4}) Meine zweite Feststellung. Ich habe geglaubt, dass Sie diesen Prozess zeitlich in die Länge ziehen, damit die Tarifvertragsparteien - so hat es der Bundeskanzler gesagt - verstärkt betriebliche Bündnisse eingehen können. Dafür brauchten Sie Zeit und deswegen wollten Sie die Gesetze erst später verabschieden. Ich muss allerdings feststellen: In den letzten 194 Tagen ist bei den Tarifvertragsparteien nichts geschehen und Sie greifen mit Ihrer Gesetzgebung die Probleme nicht auf. ({5}) Damit geben Sie einen der zentralen Punkte in der Rede des Bundeskanzlers in der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14. März der Lächerlichkeit preis. Wenn man die Probleme im Arbeitsrecht, die uns das Leben erschweren, lösen will, dann muss man sich acht Gesetze in Deutschland anschauen: das Tarifvertragsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz, das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Altersteilzeitgesetz, das Arbeitslosenversicherungsrecht und das Arbeitszeitgesetz. Aber was machen Sie? Zum Tarifvertragsgesetz. Von Ihnen vorgeschlagene Veränderungen? - Fehlanzeige. Wir schlagen vor, im Tarifvertragsgesetz die betrieblichen Bündnisse einzuführen, weil wir die Flexibilisierung wollen und weil wir glauben, dass das die Bindung an die Tarifverträge eher stärken als schwächen wird. ({6}) Zum Betriebsverfassungsgesetz. Im Regierungsentwurf ist keine Änderung der jetzigen Betriebsverfassung vorgesehen. Wir machen klare Vorschläge, wie wir auch in diesem Bereich zu schnelleren und effizienteren Gremien kommen können, und zwar in enger Anlehnung an das, was bis vor kurzem - vor der von Ihnen durchgeführten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in Deutschland Geltung hatte. Zum Kündigungsschutzgesetz. Sie führen das wieder ein, was Sie 1998 mit Ihrer Mehrheit mutwillig zurückgenommen haben, entscheiden sich aber für fast nichts, was darüber hinausgeht. Wir haben hierzu eine klare Antwort: ein Optionsmodell und eine Kleinbetriebsregelung mit einem Schwellenwert von 20 Beschäftigten bei Neueinstellungen, also eine klare Gliederung, um Einstellungen zu gewährleisten. Zum Teilzeit- und Befristungsgesetz. Bei Ihnen gibt es in diesem Bereich so gut wie keine Änderungen. Wir wollen Rechtsansprüche nur dort gewähren, wo sie gesellschaftspolitisch wichtig sind: wenn kleine Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu versorgen sind. Einen weiter gehenden Rechtsanspruch wollen wir nicht vorsehen, weil es in diesem Fall keine gesellschaftlichen Gründe gibt. Betriebliche Bedürfnisse müssen Vorfahrt haben. Deswegen sehen wir hier eine Einschränkung vor. Sie schlagen hierzu nichts vor. ({7}) Zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Wir alle sind uns darin einig, dass die Zeitarbeit eine zunehmende Chance für den ersten Arbeitsmarkt sein kann. Hierzu schlagen Sie nichts vor. Sie wissen, dass Sie der Zeitarbeit in Deutschland mit Equal Pay und Equal Treatment schweren Schaden zugefügt haben. ({8}) Seitdem dieses Gesetz in Kraft ist, geht die Bindungskraft der Zeitarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt erschreckenderweise zurück. Sie aber machen dazu keinen Vorschlag.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Laumann, ich habe in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Aussage des Präsidiumsmitglieds Ihrer Partei Hermann-Josef Arentz gelesen, der sinngemäß sagt, auch die Union habe kein Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung. Insbesondere das, was sie jetzt vorgelegt habe, führe nicht dazu, dass es mehr Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze gebe. Wie beurteilen Sie diese generelle Aussage Ihres Kollegen?

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da muss ein großer Irrtum bei dieser Zeitung vorliegen. Denn der Kollege Arentz weiß genauso wie ich sehr wohl, dass die Union in letzter Zeit umfangreiche Konzepte zu diesem Thema vorgelegt hat. ({0}) Das Einzige, was in Deutschland wirklich etwas gebracht hat, sind die Minijobs und die kommen von uns; um Ihnen nur ein Beispiel zu nennen. ({1}) 1 Million Leute erhalten dadurch ein zusätzliches Einkommen und beim Einzelhandel fällt zusätzliche Kaufkraft an. Kollege Brander, viele Leute wissen, dass wir uns weiterentwickelt und wir unser Wahlprogramm erneuert haben. Wir als Union haben einen Weg gefunden, bei dem wir auf der einen Seite die notwendige Sicherheit und auf der anderen Seite die dazu gehörende Flexibilität miteinander verknüpft haben. Das ist der rote Faden, der durch unsere Gesetzentwürfe geht. ({2}) Beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sind wir der Meinung, dass nicht vom ersten Tag an die gleiche Bezahlung erfolgen sollte wie in dem Betrieb, in den jemand entliehen worden ist, sondern erst nach einer bestimmten Frist. Denn das steigert den Einstieg gerade in diese Bereiche. Zum Altersteilzeitgesetz. Auch hierzu schlagen Sie nichts vor. Der Kollege Kuhn hat sich heute über zu viele Frühverrentungen in Deutschland aufgeregt. Gleichzeitig bringen Sie aber in den Deutschen Bundestag das Hartz-III-Gesetz ein, mit dem Sie die Altersteilzeit ausweiten wollen. Sie sollten sich einmal entscheiden, was Sie wollen: mehr Altersteilzeit oder länger arbeiten? Eine Debatte in Ihren Fraktionen über ein Renteneintrittsalter von 67 halte ich für ziemlich verrückt angesichts der Tatsache, dass Sie die Möglichkeit der Altersteilzeit unter 63 Jahren ausbauen wollen. ({3}) Was die Arbeitslosenversicherung und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes angeht, treffen zwei unterschiedliche Philosophien aufeinander. Sie wollen das Arbeitslosengeld zwölf Monate gewähren - für die Älteren sind 18 Monate vorgesehen -, egal wie lange jemand Beiträge gezahlt hat. Wir haben eine andere Philosophie. Wir meinen, dass man auch die Beitragszeit, die Anzahl der Jahre, die jemand gearbeitet hat, berücksichtigen muss. ({4}) Wenn Ihre Vorstellungen zu Hartz IV umgesetzt würden, werden die Menschen viel eher aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen und in ein System der Abhängigkeit von der Bedürftigkeit durchgereicht werden als heute im Rahmen der Arbeitslosenhilfe, nämlich in der Regel nach zwölf bzw. - bei den Älteren - nach 18 Monaten. Aber soll man einen Menschen, der 40 Jahre Steuern und Beiträge gezahlt hat, auf das Existenzssicherungsniveau bringen und einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, was die Konsequenz Ihrer Politik ist? Wir sind der Meinung, dass sie in der Arbeitslosenversicherung einen etwas längeren Schutz erhalten sollten. Da haben wir in der Tat eine andere Philosophie. ({5}) Deswegen möchte ich Sie ermuntern, bei der Abstimmung, die gleich folgt, den Anträgen der Union zuzustimmen. Auf der einen Seite bewegen sie etwas auf dem Arbeitsmarkt, lassen auf der anderen Seite aber die notwendige Sicherheit für die Beschäftigten in unserem Land nicht nur erkennen, sondern schreiben sie in den Gesetzen fest. Das ist die bessere Alternative, das sind Anträge mit Augenmaß. Denen können Sie beruhigt zustimmen. Schönen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen bekannt, dass ich Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge- schäftsordnung von einer größeren Zahl von Abgeordne- ten der SPD zu Protokoll nehme.1) Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so- wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt, Druck- sachen 15/1204 und 15/1509. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1587, die genannten Gesetzentwürfe als Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt in der Ausschuss- fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlangen eine namentliche Abstimmung. Sind die Schriftführer bereits an ihren Plätzen? - Das ist wohl der Fall; dann eröffne ich die Abstimmung. Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar- ten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege- ben. Da wir nun zu weiteren Abstimmungen kommen, bitte ich Sie, Ihre Plätze einzunehmen. - Dies gilt auch für die Kolleginnen und Kollegen, die sich in den Gän- gen aufhalten. Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung des Arbeitsrechts auf Drucksache 15/1182. Der Aus- schuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 15/1587, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP- Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ab- gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein- gebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit auf Drucksache 15/1225. Der Aus- schuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 15/1587, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte 1) Anlage 10 diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSUFraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Tagesordnungspunkt 19 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit auf Drucksache 15/1587. - Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/430 mit dem Titel „Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/590 mit dem Titel „Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Arbeitsmarkt schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/739 mit dem Titel „Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/ CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen. Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung und damit die Entschließung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Zusatzpunkt 6: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1576 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Auf Wunsch der SPD-Fraktion wird die Sitzung jetzt bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbrochen. Anschließend wird die Sitzung voraussichtlich noch einmal für eine halbe Stunde unterbrochen, weil die SPD-Fraktion eine Fraktionssitzung durchführen möchte. Ich unterbreche die Sitzung zunächst bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder. Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/1204, 15/1509 und 15/1587, bekannt. Abgegebene Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein haben gestimmt 250, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 554; davon ja: 305 nein: 249 enthalten: 0 Ja SPD Dr. Lale Akgün Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Sabine Bätzing Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Karl-Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Anke Hartnagel Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Iris Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus-Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Hans-Peter Kemper Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler ({14}) Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({15}) Christine Lehder Waltraud Lehn Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Evelyne Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({16}) Christian Müller ({17}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Volker Neumann ({18}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({19}) Michael Roth ({20}) Gerhard Rübenkönig Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({21}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({22}) Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Horst Schmidbauer ({23}) Ulla Schmidt ({24}) Silvia Schmidt ({25}) Dagmar Schmidt ({26}) Wilhelm Schmidt ({27}) Heinz Schmitt ({28}) Carsten Schneider Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Brigitte Schulte ({29}) Reinhard Schultz ({30}) Swen Schulz ({31}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({32}) Dr. Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Reinhard Weis ({33}) Petra Weis Gunter Weißgerber Matthias Weisheit Prof. Gert Weisskirchen ({34}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({35}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({36}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Waltraud Wolff ({37}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({38}) Volker Beck ({39}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Jutta Dümpe-Krüger Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Joseph Fischer ({40}) Katrin Göring-Eckardt Anja Hajduk Winfried Hermann Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Thilo Hoppe Fritz Kuhn Renate Künast Undine Kurth ({41}) Markus Kurth Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({42}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Friedrich Ostendorff Simone Probst Claudia Roth ({43}) Krista Sager Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({44}) Werner Schulz ({45}) Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({46}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({47}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Prof. Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Antje Blumenthal Prof. Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({48}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Helge Braun Monika Brüning Georg Brunnhuber Verena Butalikakis Hartmut Büttner ({49}) Cajus Caesar Manfred Carstens ({50}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Albert Deß Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({51}) Georg Fahrenschon Ilse Falk Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({52}) Dirk Fischer ({53}) Axel E. Fischer ({54}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({55}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Michael Glos Ralf Göbel Tanja Gönner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Olav Gutting Holger-Heinrich Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Martin Hohmann Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Peter Jahr Prof. Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({56}) Volker Kauder Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Kristina Köhler ({57}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Thomas Kossendey Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({58}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Barbara Lanzinger Vera Lengsfeld Walter Link ({59}) Patricia Lips Dr. Michael Luther Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({60}) Stephan Mayer ({61}) Conny Mayer ({62}) Dr. Martin Mayer ({63}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({64}) Doris Meyer ({65}) Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Stefan Müller ({66}) Bernward Müller ({67}) Hildegard Müller Michaela Noll Claudia Nolte Günter Nooke Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Melanie Oßwald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Christa Reichard ({68}) Katherina Reiche Klaus Riegert Prof. Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Franz-Xaver Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Kurt J. Rossmanith Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({69}) Anita Schäfer ({70}) Dr. Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Christian von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({71}) Magdalene Strothmann Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß ({72}) Gerald Weiß ({73}) Annette Widmann-Mauz Willy Wimmer ({74}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Wolfgang Zeitlmann Willi Zylajew FDP Daniel Bahr ({75}) Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Helga Daub Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich ({76}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({77}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Christoph Hartmann ({78}) Klaus Haupt Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Markus Löning Günther Friedrich Nolting Detlef Parr Prof. Dr. Andreas Pinkwart Marita Sehn Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Fraktionslose Abgeordnete Petra Pau ({79}) Für eine Sitzung der SPD-Fraktion unterbreche ich die Sitzung jetzt für eine halbe Stunde. ({80})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Peter Paziorek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Energiepolitik ist Standortpolitik - Drucksache 15/1349 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Zukunftsprogramm Energie vorlegen - Drucksache 15/367 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, dass neben den sozialen Sicherungssystemen und den Themen Gesundheit, Arbeitsmarkt, Rente zur Zukunftsfähigkeit unseres Standorts Deutschland auch die Energiepolitik als ein zentraler Punkt von Wirtschaftspolitik, aber auch - das füge ich hinzu - von Umweltpolitik gehört. ({0}) Im Kontext der jetzigen Diskussion sind wir dringend aufgerufen, die Energiefrage als integralen Bestandteil von Wirtschaftspolitik in die Diskussion einzubeziehen, weil da, wo Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden sollen, die Energieversorgung und die Energiepreise eine wichtige Rolle spielen. Wir haben alle Veranlassung, denke ich, nach fünf Jahren rot-grüner Energiepolitik Grundsätzliches zu hinterfragen und auch zu fordern. Hinterfragen müssen wir, inwieweit Investitionsentscheidungen in Deutschland negativ ausfallen - das wird in unserer täglichen Arbeit deutlich -, weil die Energiepreise bei uns vor dem Hintergrund der staatlichen Verteuerung von Energie eine solche Höhe erreicht haben, dass sie sich negativ auf die Arbeitsplätze in Deutschland auswirken. Ganz aktuell ist das am Standort Wilhelmshaven, wo ein großer Chemieinvestor schlicht und einfach vor dem Hintergrund dessen, was in Deutschland bis jetzt Stand der Dinge ist, bei einer Investition von 1,3 Milliarden Euro, die in dieser Zeit weiß Gott nicht selbstverständlich ist, allein für die Energiekosten 2,5 Milliarden Euro mehr ausgeben muss als an vergleichbaren Standorten in Europa; das erreicht fast die Hälfte der Personalkosten. An dieser Frage hängt die Investitionsentscheidung für Tausende von Arbeitsplätzen. Ich will damit nur auf Folgendes hinweisen: Für die CDU/CSU-Fraktion besteht zwischen Energiepolitik, Energiepreisen und Energieversorgungssicherheit auf der einen Seite und Wachstum und Beschäftigung auf der anderen Seite ein unmittelbarer Zusammenhang. ({1}) Wenn wir über die Beseitigung von Arbeitslosigkeit, über Innovationen, Innovationsschwächen und Innovationsstärken, über die soziale Sicherung und über die Gefährdung der Stabilität reden, dann müssen wir nicht zuletzt auch die Frage stellen, wo die Energiepolitik ihren Beitrag leisten muss; denn unsere Unternehmen stehen im Gegensatz zu unserem Haushalt im internationalen Wettbewerb. Über die Energiepreise bestimmt sich auch ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt. Wenn wir einmal betrachten, was die Energiepreise in Deutschland bestimmt, und uns die Zahlen vergegenwärtigen, dann wird deutlich, dass die Liberalisierungserfolge, die sich mit dem Gesetz von 1998 in Deutschland eingestellt haben, durch die staatlich gewollte Verteuerung der Energie durch die rot-grüne Energiepolitik wegbesteuert worden sind. Stromsteuer, Kraft-WärmeKopplung und EEG haben dafür gesorgt, dass staatliche Abgaben - Konzessionsabgaben und Mehrwertsteuer eingeschlossen - zu einer Energieverteuerung bei den Haushalten um über 40 Prozent und im produzierenden Gewerbe um 33 Prozent geführt haben. Die jährliche Belastung durch die Strompreise ist in Deutschland seit 1998 von 2 Milliarden Euro auf über 12 Milliarden Euro gestiegen. Das zeigt, dass die Kaufkraft und die Binnenkonjunktur auch von dieser Seite negativ beeinflusst worden sind. Es geht bei diesen Zahlen aber nicht nur um die Fragen der Besteuerung, der Wettbewerbsfähigkeit und der Kaufkraft, sondern auch um eine Reihe von anderen Fragen, die eine strategische Bedeutung für die Zukunft der Energieversorgung und des Energieproduktionsstandortes Deutschland haben. Leider gibt es nur eine unzureichende Diskussion über die Frage der Zukunft etwa der Energieforschung in Deutschland. ({2}) Energieforschung, sagt man, sei die strategische Variante der Energiepolitik. Wenn Sie sich einmal die Bilanz Ihrer Energieforschungspolitik anschauen, dann stellen Sie sehr schnell fest, dass hier seit 1998 nichts Zukunftsorientiertes mehr in Angriff genommen worden ist. ({3}) Ich sage das vor zwei Hintergründen. Erstens. Die Regierung, insbesondere der Bundeskanzler, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass wir, gerade im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, Kohlekraftwerke auf der Basis von Braunkohle und Steinkohle bauen müssen. Es ist aber überhaupt kein Geheimnis, dass wir in diesem Lande über keinen zukunftsfähigen Kohlekraftwerktyp verfügen, dessen Energieeffizienz oberhalb von 50 Prozent anzusiedeln wäre. Es ist, auch in Nordrhein-Westfalen, unbestritten, dass wir ein solches Kohlekraftwerk - ich nenne es einmal: Fadenrisskohlekraftwerk - bauen müssten. Wenn Sie sich jedoch den Forschungshaushalt der Bundesregierung anschauen, stellen Sie fest, dass für Kohleforschung und Forschung an fossilen Energieträgern, deren Effizienzsteigerung aus Klimaschutzgründen elementar notwendig ist, gerade einmal 10 Millionen Euro veranschlagt worden sind. Wie Sie damit die Zukunft der Kohle - Clean Coal Technology - in Deutschland, aber auch global gestalten wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Wir können hier jedenfalls keine Zukunftsfähigkeit erkennen. ({4}) Zweitens. In Bezug auf die Entwicklung der Solartechnologie, auch außerhalb Deutschlands, etwa im europäischen, im Mittelmeerraum, herrscht ebenfalls Ebbe in der Kasse. Eine weitere Frage betrifft die Kosteneffizienz der erneuerbaren Energien. Das ist eine elementare Frage in dieser Diskussion. Man kann nicht nur ein Kraftwerk nach dem anderen errichten. Sie haben uns in der Zeit von 1994 bis 1998 permanent vorgehalten, man könnte bis 2010 in Deutschland 30 Prozent Heizenergie und 30 Prozent Strom einsparen, wenn man nur wollte. ({5}) Nun bauen Sie jedoch eine Stromerzeugungsanlage nach der anderen, ohne wirklich Energie einzusparen. Die KfW stellt zwar Mittel zur Erhöhung der Energieeffizienz bereit. Aber das Geld fließt nicht ab, weil solche Maßnahmen zu teuer sind und die Banken entsprechendes Geld nicht vorschießen. Deshalb können Sie keine höhere Energieeffizienz im Gebäudebestand nachweisen. Meine Damen und Herren, seitens der Opposition muss ja auch die Frage gestattet sein, wie die Klimapolitik ökonomisch effizienter werden kann. Hierbei müsste man berücksichtigen, dass in einem modernen Kohlekraftwerk 30 Euro CO2-Kosten pro Tonne anfallen, bei Windkraftanlagen 80 bis 110 Euro und bei der Photovoltaik 250 bis 600 Euro. Deswegen glaube ich, dass wir neben den Fragen der Versorgung und des Aufbaus neuer Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien auch eine Effizienzstrategie für den Gebäudebereich entwickeln müssen. Es ist nachgewiesen, dass für Beschäftigung vor Ort gesorgt wird, wenn die Leute Handwerker beauftragen müssen, um für Energieeinsparung im Altbaubestand zu sorgen. Dies wäre auch ein probates Mittel, um Schwarzarbeit einzudämmen. ({6}) - Sie können hier viel lamentieren. Ich sage Ihnen nur: Die Wärmeschutzverordnung und die Energieeinsparverordnung, die Sie beschlossen haben, sind noch unter Klaus Töpfer konzipiert worden. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. ({7}) Sie haben bis heute kein vernünftiges Programm für Einsparungen im Gebäudebestand vorgelegt. ({8}) Das steht überhaupt nicht infrage. Sie brauchen nur mit den Leuten draußen zu reden. Bezüglich der CO2-Bilanz sage ich Ihnen - das hat auch die „taz“ in der Überschrift „Schröder bricht Kohls Wort“ festgestellt -, dass Sie ein Minus von 25 Prozent bis 2005 sowieso nicht erreichen. Wenn wir seit Ihrem Amtsantritt ein solches Wachstum in Deutschland hätten, wie Sie es sich wünschten, damit mehr Beschäftigung entsteht und die sozialen Sicherungssysteme konsolidiert werden, dann würde Ihre CO2-Bilanz sogar negativ aussehen. Sie profitieren in der Klimapolitik im Augenblick vom mangelnden Wachstum der Wirtschaft, was sich in den fehlenden Arbeitsplätzen in Deutschland widerspiegelt. ({9}) In diesem Zusammenhang ist unsere Forderung, endlich ein Energiekonzept für die Zukunft vorzulegen, die wir heute an die Bundesregierung richten, zu sehen. ({10}) Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Müller hat von diesem Pult aus immer behauptet, es gebe ein Energiekonzept. Neulich hat er auf einem parlamentarischen Abend, allerdings nicht mehr als Bundeswirtschaftsminister, sondern als Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle, gesagt: Sie hatten Recht, wir hatten nie eins. ({11}) - Da waren viele dabei. - Deswegen denke ich, dass es das gute Recht der Opposition in diesem Hause ist, nach fünf Jahren von der Bundesregierung ein Konzept einzufordern, aus dem die Rahmenbedingungen deutlich werden, unter denen die Energiepolitik in Deutschland in den nächsten zehn bis 20 Jahren gestaltet werden soll, ({12}) von Ihnen Auskunft darüber zu verlangen, wie denn Ihre Planungen für den Ersatz von 40 000 Megawatt, die ab 2010 zu ersetzen sind, aussehen, und endlich einmal von Ihnen zu hören, wie der Ausstieg aus der Kernenergie klimaneutral bewältigt werden kann. Stimmt es denn noch, dass hierfür 500 Milliarden DM bzw. 250 Milliarden Euro an Kosten anfallen, wie Bundeswirtschaftsminister Müller damals ausgerechnet hat? Wie wollen Sie durch den Zubau von Kohlekraftwerken und den Ausstieg aus der Kernenergie denn Ihre klimapolitischen Ziele verwirklichen? Auf diese Fragen haben Sie bis heute in diesem Hause und auch in der Öffentlichkeit keine Antwort gegeben. ({13}) Ich denke, dass wir ein Recht darauf haben, von Ihnen zu erfahren, wie die bestehenden Gesetze effizienter gestaltet werden können. Niemand anders als der Kollege Loske, Frau Hustedt, hat vor der Sommerpause gesagt: Das KWK-Gesetz ist ein Flop. ({14}) - Er hat Recht. - Wir möchten also gerne wissen, wie Sie das KWK-Gesetz so ändern wollen, dass es nicht weiter floppt, sondern für CO2-Einsparung und effiziente Energienutzung sorgt, wie Sie versprochen haben. Wir wollen gerne wissen, wie denn die Energieforschung strukturell aufgerüstet werden kann, um den Ansprüchen der Zukunft in Form von Brennstoffzelle, Solarenergie und Clean Coal Technology überhaupt gerecht zu werden. Deswegen sage ich am Schluss, meine Damen und Herren: Wenn Sie angesichts der Probleme auf dem Arbeitsmarkt und der Probleme der sozialen Sicherungssysteme an diesem Standort Zukunftsperspektiven für Wachstum und Beschäftigung schaffen wollen, dann wird es Zeit, dass wir über die Energiepolitik, über Energiepreise und über zukunftsfähige Konzepte sprechen. Unsere Arbeitsplätze und unser Wirtschaftswachstum sind abhängig von diesen Konzepten. Wir erwarten von der Bundesregierung entsprechende Vorschläge, die sie bisher aber noch nicht gemacht hat. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion. ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wird die Opposition vielleicht überraschen: Ich begrüße Ihre Anträge, ({0}) weil sie uns Gelegenheit geben, über die gesetzgeberische Tagespolitik hinaus einen Blick auf die größeren Zusammenhänge zu werfen und über Bilanzen und Ausblicke zu streiten. Möglicherweise verständigen wir uns an der einen oder anderen Stelle. Die Titel der beiden Anträge sprechen wichtige Punkte an. In der Tat ist Energiepolitik auch Standortpolitik. Die Forderung nach einem Zukunftsprogramm „Energie“, wie es von der FDP gefordert wird, ist legitim. Schade, dass sich offenbar nur zwei FDP-Abgeordnete für dieses Thema interessieren. ({1}) Wir stehen in der Energiepolitik vor der großen Herausforderung, den langfristig unverzichtbaren Strukturwandel ohne volkswirtschaftliche Brüche zu gestalten. Der sich rasch entwickelnde Wettbewerb fordert die Politik. Europäische Erweiterung und Vertiefung der Union, Internationalisierung der deutschen Energiewirtschaft und Globalisierung der Beteiligungs- und Finanzstrukturen verlangen neue und vertiefte Analysen und Antworten auf die Frage, wie wir langfristig Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltund Klimaschutz im Einklang miteinander gestalten wollen. Es war in den 70er-Jahren sicherlich sehr viel einfacher, ein Energieprogramm vorzulegen. Es war auch Anfang der 90er-Jahre erheblich einfacher, programmatische Aussagen zur Energiepolitik zu formulieren. Energiepolitik ist integraler Bestandteil unserer Politik der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung und Modernisierung. Deshalb muss und wird unsere Energiepolitik einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit unseres Landes leisten, Arbeitsplätze sichern, effiziente Strukturen im Wettbewerb fördern sowie Anreize für Innovationen und Investitionen geben. Das alles geschieht in einem politischen und ökonomischen Umfeld, das ungleich anspruchsvoller und komplexer ist, als es in den Zeiten der jahrzehntelangen Gebietsmonopole war. Ich will daher ganz offen sagen, dass Ihre - wie gesagt: legitime - Forderung nach Planungs- und Investitionssicherheit zum Beispiel für Kraftwerke heute natürlich in einem Spannungsverhältnis zu den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs steht. Deswegen gibt es Grenzen von Programmen und von Planung. Es ist ein Zusammenspiel mit den Gesetzen des Marktes zu organisieren. Wir leben eben nicht in Zeiten, in denen man Programme schreiben kann, die 20 Jahre unverändert Geltung haben können. Wir müssen vielmehr Aussagen treffen, wie wir geeignete Voraussetzungen für Investitionen, die sich in Zeiträumen von Jahrzehnten rechnen müssen, schaffen können. Gleichzeitig müssen wir dafür einen Rahmen setzen, dass nicht Strukturerhalt, sondern Strukturwandel möglich ist. Wir müssen neue und moderne Strukturen schaffen, die neben dem Aspekt der Versorgungssicherheit und der niedrigen Preise auch dem Ziel einer besseren Umweltverträglichkeit folgen. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. ({2}) Ich will in diesem Zusammenhang deutlich machen, wie wir die nächsten gesetzgeberischen Vorhaben angehen wollen. Da die Gemengelage so komplex ist, wie ich sie gerade beschrieben habe, spricht manches dafür, dass man auch als Programmpartei nicht immer nur über Programme spricht, sondern dass man vor allen Dingen handelt. Das trifft nicht nur, aber auch für die Energiepolitik zu. Deshalb möchte ich auf drei Gesetzesvorhaben kurz zu sprechen kommen. Erstens: die EEG-Novelle. Es ist eben schon kurz angerissen worden: Wir entwickeln hier ein Instrument weiter, das in den letzten drei Jahren enorme Erfolge vorzuweisen hatte. Das EEG leistet einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz und trägt zum Aufbau einer zukunftsweisenden und innovativen Industrie bei, die inzwischen viele Tausend Menschen beschäftigt. Die ersten Erfahrungen mit dem EEG liegen seit dem letzten Jahr in Form eines Erfahrungsberichts des Bundeswirtschaftsministers auf dem Tisch. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Effizienz dieses Instruments zu stärken und künftig zielgenauer zu fördern. Genau das werden wir mit der Novelle erreichen. Nur so können wir, wie eben angedeutet, gleichzeitig umweltpolitische und industriepolitische Impulse kostengünstig setzen. Klar, wir befinden uns im Augenblick im Dialog. Der BMU-Entwurf ist sicherlich auch in dieser Hinsicht noch verbesserungsfähig. Zweitens: die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes. Die Bundesregierung hat einen Monitoringbericht zum Stand des Wettbewerbs bei den leitungsgebundenen Energien vorgelegt, der die Komplexität auch dieses Themas sehr deutlich macht. Ziel der Novelle muss es sein, die Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft so zu formulieren, dass ein fairer und chancengleicher Wettbewerb ermöglicht wird, der Verbraucherschutz - Stichwort: Preise - gestärkt wird und gleichzeitig Investitionen in immer anspruchsvoller werdende Netze attraktiv gehalten werden. Wir wollen keine Verhältnisse wie in den USA, in Kanada oder zuletzt auch in Skandinavien. Wir brauchen für die Zukunft sehr moderne und leistungsfähige Netze. Daher muss es auch unter der Aufsicht einer Regulierungsbehörde möglich sein, mit dem Erhalt und Ausbau dem von Netzen Geld zu verdienen. Drittens: der Emissionshandel. Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie müssen wir kostengünstige CO2-Minderungsstrategien mit industrie- und strukturpolitischen Wertschöpfungsaspekten verbinden. Dabei müssen wir darauf achten, dass wir dieses umweltpolitische Instrument so einsetzen, dass gleichzeitig auch standortpolitische Aspekte berücksichtigt werden. Unser Leitziel ist also eine sichere, hochwertige und umweltverträgliche Energieversorgung. Wir werden dazu in der Tagespolitik den roten Faden erkennbar machen ({3}) und ein Konzept erarbeiten und Ihnen vorlegen, das Ihnen deutlich machen wird, dass wir auf einem Weg sind, auf dem Sie uns unterstützen sollten. Ich bin sicher - wenn ich am Schluss Ihre Forderungen zur Energieforschung noch aufgreifen darf -, dass wir, wenn Sie von Umschichtungen im Forschungshaushalt sprechen und damit ein bisschen weniger für die Kernenergie und ein bisschen mehr für Effizienzstrategien, zum Beispiel bei den fossilen Brennstoffen, meinen sollten, einen gemeinsamen Weg gehen können. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp, FDP-Fraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Lieber Herr Hempelmann, Sie haben uns eben mit verschiedenen Ankündigungen in Ihrem Redebeitrag vorgeführt, wie wichtig es ist, dass wir die SPD und die Grünen hier im Deutschen Bundestag dazu treiben, endlich ein Energieprogramm vorzulegen. Wir wissen um die Schwierigkeiten; wir kennen die Marktsituation. Wir kennen auch die Wirtschaftslage. Umso nötiger ist es, dass Sie es bei all dem, was Sie eben beschrieben haben, nicht bei Worten belassen, sondern endlich konkrete Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft gestalten, damit sich Investitionen überhaupt lohnen und die Wirtschaft weiß, was in den nächsten Jahren auf sie zukommt. ({0}) Deswegen haben wir in unserem vorliegenden Antrag gefordert: Wir brauchen ein Energiekonzept, das die Rahmenbedingungen für die nächsten zehn bzw. zwanzig Jahre setzt. Das ist zwar ein langer Zeitraum, aber wir brauchen einen Entwicklungsspielraum. Wir müssen wissen, wohin Sie wollen. Ich kann mir zwar vorstellen, dass Sie nicht mehr so lange regieren werden, ({1}) aber dennoch stellt sich die Frage: Wie stehen Sie eigentlich zum derzeit noch existierenden Energiemix, den wir als FDP-Bundestagsfraktion nach wie vor für wichtig und richtig halten, zu einem Energiemix aus fossilen Brennstoffen, erneuerbaren Energien, die auch wir fördern wollen - allerdings mit marktwirtschaftlichen Strukturen und nicht dadurch, dass die Stromkunden fleißig draufzahlen -, und der Kernenergie? Anders ist das Klimaschutzziel kaum zu erreichen. Wir sind sehr gespannt, welche Antworten Sie geben werden. 40 veraltete Großkraftwerke sind in den nächsten Jahren zu ersetzen. Das entspricht einer Leistung von etwa 50 000 bis 60 000 KW. Das ist eine Herausforderung und eine Aufgabe, die wir schnellstens zu erfüllen haben. Sie wissen selber, dass es keine Investitionen gibt, wenn die Wirtschaft nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Weil mir nur sehr wenig Zeit zur Verfügung steht, möchte ich nur einige wenige weitere Punkte ansprechen. Wir stehen vor der Frage einer notwendigen Regulierung des Strom- und Gasmarktes. Wir müssen hier Wettbewerbsstrukturen weiter aufbauen; denn dort hat sich einiges verschlechtert. Die Regulierung muss so stattfinden, wie wir es möchten: wenig bürokratisch und hoch effizient. Wir können nur hoffen, dass das, was aus den Zeitungen zu erfahren war, nämlich dass die Tendenz dahin geht, dass der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post auch die Regulierung der Strom- und Gasmärkte übertragen werden soll - sie würde dadurch eine Mammutbehörde -, nicht eintritt. Unser Modell sieht vor, dass das Bundeskartellamt, das derzeit hoch effizient arbeitet, diese Aufgabe erledigen soll. Dieses bräuchte dazu jedoch mehr Personal. Wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, diese Aufgabe der RegTP zu übertragen, die ihre Aufgabe eigentlich am Tag X verlieren sollte. ({2}) Diese Mammutbehörde würde durch die zusätzliche Aufgabe der Regulierung der Strom- und Gasmärkte sogar eine Bestandsgarantie erhalten. Das ist jedoch nicht der richtige Weg. Die Preistransparenz - das hat der Kollege Grill bereits angesprochen - halten wir für sehr wichtig. Verbraucher und Wirtschaft müssen anhand aufgeschlüsselter Strompreise auf den Stromrechnungen erkennen können, was die Re-Regulierung des Energiemarktes durch Ihre Gesetze - ich nenne hier Ökosteuer, das EEG, KWK6 - eigentlich gebracht hat, nämlich einen Staatsanteil an den Strompreisen von circa 40 Prozent mit steigender Tendenz. Hier müssen Sie dringend umkehren. ({3}) Ein weiteres Problem, bei dem Sie überhaupt keine klare Linie erkennen lassen, betrifft die Steinkohlesubventionen. Wir wissen, dass Sie sich diesbezüglich mit den Grünen nicht einig sind. Hier scheint sich auch keine vernünftige Lösung abzuzeichnen. Die Steinkohlesubventionen, also die Subventionen für diese rückwärtsgewandte Industrie, werden in diesem Jahr etwa 3 Milliarden Euro betragen. ({4}) Der Vertrag läuft im Jahre 2005 aus. Sie haben jedoch einen Kabinettsentscheid zustande gebracht, der eine - wenn auch degressive - Fortführung der Steinkohlesubventionen bis zum Jahre 2012 vorsieht. Die vorgesehene Geschwindigkeit beim Abbau der Subventionen stellt sogar noch eine Verlangsamung dar. Das sind politische Zugeständnisse und hat mit stringenter Energiepolitik nichts zu tun. Im Übrigen bin ich gespannt, wann Sie endlich die Entscheidung, die das Kabinett getroffen hat, zur Beratung in die Ausschüsse geben. Wir wollen wissen, wie dieser von Ihnen erarbeitete Vorschlag im Einzelnen aussieht. Wir finden das inakzeptabel. Energiepolitik darf nicht von Dauersubventionen leben. Wir haben ganz klar gesagt: Ab dem Jahre 2005 muss mit den Steinkohlesubventionen Schluss sein. ({5}) Zum Thema Windkraft möchte ich Ihnen sagen, wie viel die Stromkunden pro Arbeitsplatz zu bezahlen haben. Sie führen immer das Argument an, dass viele Arbeitsplätze dadurch geschaffen wurden. Die Kosten belaufen sich auf 35 000 Euro pro Arbeitsplatz. ({6}) Rechnet man die Steinkohlesubventionen um, kommt man auf mindestens 60 000 Euro pro Arbeitsplatz. ({7}) - Sie werden gleich vielleicht die richtigen Zahlen nennen. Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen diese Zahlen unangenehm sind. ({8}) Trotzdem müssen Sie sich diese gefallen lassen. Zum Thema Energieforschung - das ist auch schon angesprochen worden - möchte ich hier ausdrücklich sagen: Wir sind dabei, am Standort Deutschland nicht nur in der allgemeinen Wirtschaftspolitik rasant zu verlieren, sondern insbesondere als Standort für Wissenschaft und Forschung. Wir müssen in die Köpfe investieren, weil wir wenig Bodenschätze haben. Das wird aber sträflich vernachlässigt. Wir brauchen dringend einen Forschungsbereich für innovative Energiespeicher. Wir müssten auf dem Gebiet dringend voranschreiten. Darüber hinaus muss unser Blick auf die übrige Forschung völlig ideologiefrei sein, zum Beispiel bei der Wiedereinführung des Studienganges Radiochemie.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen kein Denkverbot. Vielmehr müssen wir unseren Wissenschaftlern ermöglichen, weiterhin in internationalen Gremien mitarbeiten zu können. Bei der Forschung zur Kernsicherheit zum Beispiel besteht zurzeit sogar ein Mitarbeitsund Mitspracheverbot. Ich finde, das ist völlig inakzeptabel.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit nun wirklich deutlich überschritten.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es muss ein Energieprogramm vorgelegt werden, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und wir nicht noch mehr Wettbewerbsnachteile für den Standort Deutschland zu erleiden haben. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaele Hustedt, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Tat: Es werden, wie hier schon viele Redner gesagt haben, in der nächsten Zeit 40 000 bis 50 000 Megawatt - das ist die Hälfte des Kraftwerkparks - ersetzt werden müssen. Das ist eine große Chance auch für eine Erneuerung und für eine umweltverträglichere Energieversorgung. Dabei ist es notwendig - ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause alle einig -, der Industrie in dieser Hinsicht Planungssicherheit zu geben. Es ist nicht Aufgabe der Politik, einzelne Anlagen zu planen und abzusprechen; schließlich besteht bei uns Wettbewerb. Die Politik hat vielmehr die Aufgabe - das ist völlig richtig -, die Rahmenbedingungen festzuschreiben, in denen gehandelt wird. Diese müssen relativ stabil sein, sodass sich die Unternehmen bei ihren Investitionen darauf verlassen können. Dabei sind wir schon relativ weit. Die Eckpfeiler stehen. Über ihren Inhalt sind wir uns einig. Sie schimmern immer wieder durch, wie zum Beispiel eben in der Rede von Herrn Hempelmann deutlich geworden ist. Sie umfassen folgende Punkte: In den nächsten 20 Jahren - das ist der Zeitraum, den ich im Folgenden betrachte - werden wir aus der Atomkraft aussteigen. Zu dieser Zeit wird ungefähr das letzte AKW in Deutschland vom Netz gehen. Wir wollen dynamisch den Anteil der erneuerbaren Energien erhöhen; darin sind wir uns einig. Unser Ziel ist es, dass bis zum Jahr 2020 der Anteil erneuerbarer Energien mindestens 20 Prozent beträgt. Wir werden die Energieeinsparung noch verstärken. Dafür haben wir schon einiges getan, wir werden die Bemühungen aber noch weiter intensivieren müssen. Ziel ist aus meiner Sicht eine Quote von ungefähr 10 Prozent. Das heißt, mit einem Anteil von 20 Prozent an erneuerbaren Energien und einer Energieeinsparung in Höhe von 10 Prozent kann die Atomkraft völlig CO2-neutral ersetzt werden. ({0}) Darüber hinaus werden wir auf deutliche Effizienzsteigerungen setzen, wenn neu investiert wird und fossile Kraftwerke durch neue ersetzt werden. Wenn ein altes Kohlekraftwerk durch ein neues Kohlekraftwerk ersetzt wird, betragen die CO2-Einsparungen 30 Prozent. Wenn ein altes Kohlekraftwerk durch ein Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung ersetzt wird, betragen die CO2Einsparungen schon 50 Prozent. Ersetzen wir es gar durch ein Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung, sind wir bei 80 Prozent CO2-Einsparung. ({1}) Wenn wir die Hälfte des Kraftwerkparkes ersetzen würden, dann wäre durch Effizienzsteigerung und durch einen völlig CO2-neutralen Ersatz durch erneuerbare EnerMichaele Hustedt gie eine weitere Reduktion um 20 Prozent CO2 möglich; das machen die Zahlen doch deutlich. ({2}) Die Industrie fordert Planungssicherheit. Ich sage der Industrie aber ganz klar: Wer Planungssicherheit fordert, muss auch damit einverstanden sein, dass neue Klimaschutzziele festgelegt werden. Denn ohne neue Klimaschutzziele für die Jahre nach 2005 und 2012 kann es keine Planungssicherheit geben. Das Klimaschutzproblem ist schließlich keine grüne Ideologie, sondern stellt ein objektives Problem dar. Wenn man nicht vorausschauend plant, wird die Politik spontan, hektisch und vom Hölzchen aufs Stöckchen kommend auf die kommenden Naturkatastrophen reagieren. Das ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Man muss sich in der Gesellschaft untereinander verständigen, welche Ziele nach 2005 bzw. 2012 folgen. Nur dann wird man im Rahmen des Emissionshandels der Industrie Planungssicherheit geben können, wohin der Weg führt. Ich gehe davon aus - das habe ich schon gesagt -, dass eine Steigerung um 20 Prozent ab sofort durchaus realistisch ist, sodass bis 2020 40 Prozent an CO2-Einsparungen im Vergleich zum Basisjahr 1990 möglich sind. Es ist ganz wichtig, dass wir im Herbst, wenn die Eckpfeiler stehen, an die Details herangehen. Die Rahmenbedingungen werden Schritt für Schritt geregelt. Herr Hempelmann hat es schon angesprochen: Eine zentrale Säule ist dabei die Novellierung des EEG. Es gibt zwar eine Kampagne einer Minderheit der Gesellschaft gegen die erneuerbaren Energien, aber die Mehrheit der Gesellschaft verspricht sich einen Benefit. Es gibt ein Aktionsbündnis, das aus den größten Gewerkschaften; dem Bauernverband, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer - der größte Unternehmensverband Deutschlands ist also dabei - und den Umweltverbänden besteht. Alle sagen, dass sie einen Benefit erwarten, wenn die erneuerbaren Energien weiterentwickelt werden, weil dadurch Arbeitsplätze und Entwicklungsmöglichkeiten für strukturschwache Regionen geschaffen werden und innovative Technologien - hier sehen wir einen großen Exportmarkt - in den Markt gebracht werden. ({3}) Wir haben also eine Mehrheit hinter uns, wenn wir uns dafür aussprechen, die erneuerbaren Energien zügig weiterzuentwickeln. ({4}) Sie bringen immer das Kostenargument. Schauen Sie sich bitte einmal die aktuellen Zahlen an. Im Sommer mussten Atomkraftwerke heruntergefahren werden, weil sie nicht in der Lage waren, bei der Hitze weiter zu produzieren. Das hatte zur Folge, dass zum Beispiel der Großhandelsstrompreis von 2,1 Cent auf 3,2 Cent angestiegen ist. Das bedeutet, dass sich die Differenzkosten, also die Differenz zwischen den Kosten für die erneuerbaren Energien und jenen für die fossilen Energieträger, verkleinert haben. ({5}) Dieser Prozess wird sich in der nächsten Zeit weiter fortsetzen. Wenn neue Kraftwerke gebaut werden, wird auch die Produktion von Strom, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wurde, wesentlich teurer werden. Das heißt: Uns liegt ein innovatives Instrument vor, wodurch ein starker Anreiz zur Kostenreduktion gesetzt wird. Die Kosten für die Windkraft sind in der letzten Zeit um 60 Prozent gesunken. In welcher Branche können wir eine solche Zahl sonst noch vorweisen? Bei der Photovoltaik sind die Zahlen ähnlich beeindruckend. Gleichzeitig werden die fossilen Energieträger teurer werden. Das heißt, wir werden immer mehr Kilowattstunden fördern und es wird uns immer weniger kosten. ({6}) Jetzt kostet es jeden Haushalt in Deutschland einen Euro pro Monat. Ich frage Sie: Können wir diesen Betrag für die Zukunft nicht ausgeben? Sollten wir uns das für die Zukunft nicht leisten? ({7}) Wir müssen für unsere Kinder vorsorgen, damit sie eine lebenswerte Welt vorfinden. Ich sage: Uns ist es das wert. Wenn es Ihnen das nicht wert ist, dann tut es mir Leid. ({8}) Wir sagen sehr deutlich: In uns hat die Branche einen verlässlichen Partner und wir werden dafür sorgen, dass es zu keinem Fadenriss kommt und dass es eine dynamische Entwicklung gibt. ({9}) Ich komme zum zweiten Punkt, zur Effizienz. Es wird zu Effizienzsteigerungen kommen, wenn wir erneuerbare Energieträger einsetzen. Das ist auch notwendig; denn ich habe deutlich gemacht, welche CO2-Einsparungen möglich sind. Das KWK-Gesetz hat Schatten-, aber auch positive Seiten. Wir werden ungefähr die Hälfte der CO2-Einsparungen, die wir uns vorgenommen haben, nicht erreichen, und zwar hauptsächlich deswegen nicht, weil die Industrie ihre Zusagen - diese habt sie in einer Selbstverpflichtung ohne gesetzlichen Zwang eigenständig gegeben - nicht einhält. Das ist der Grund, weshalb dieses Gesetz nicht wirkt. Jetzt sage ich Ihnen Folgendes: Das richtige Instrument, um Druck auszuüben, ist der Emissionshandel. Mit dem Emissionshandel werden wir den gesunden Mix erreichen, dass durch den Ersatz von Kraftwerken fossiler Energieträger ein deutlicher Impuls für die Steigerung der Effizienz gegeben wird. Dieser Impuls muss dazu führen, dass wir einen guten Mix erreichen und die billigste Möglichkeit zur Effizienzsteigerung nutzen. Es geht um ein marktwirtschaftliches Instrument. Ich denke, dass in nächster Zeit, in der wir dieses Gesetz ausarbeiten und den Allokationsplan vorlegen werden, sehr deutlich werden wird, wie wirkungsvoll dieses Gesetz sein wird. Der Einsatz erneuerbarer Energien führt also zu Effizienzsteigerungen. Die dritte Säule ist die Energieeinsparung; das ist völlig richtig. Herr Grill, wir haben die Mittel für die Altbausanierung verzehnfacht. ({10}) Das, was Herr Töpfer als Ankündigungsminister vorgedacht und Frau Merkel liegen gelassen hat, entwickeln wir zu einer Energieeinsparverordnung weiter und wir verabschieden sie auch. ({11}) - Gegen die Stimmen von ihnen, natürlich, absolut. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, was Sie uns vorwerfen. Ich persönlich glaube, dass in diesem Bereich noch mehr zu tun ist. Die Ökosteuer hat übrigens sehr viel gebracht. Im Verkehrsbereich sind die CO2-Emissionen nämlich erstmalig gesunken. Ich glaube, da ist noch einiges zu tun. Besonders wichtig wäre mir zum Beispiel Ihre Unterstützung, wenn wir uns auf europäischer Ebene für Normen bei Haushaltsgeräten - etwa für Normen zur Abschaffung des Stand-by-Betriebes - einsetzen. Hier liegen noch Energieeinsparpotenziale in einer Größenordnung von zwei bis drei Atomkraftwerken. Die deutsche Haushaltsgeräteindustrie wäre damit eher gut bedient; denn sie bringt meist die effizienten Kühlschränke und Waschmaschinen auf den Markt. Hier kann man noch einiges tun. Ich wehre mich allerdings gegen die Behauptung, wir hätten zu wenig getan. Wir haben hier schon sehr viel getan, mehr, als Sie jemals zustande gebracht haben. Als letzten Punkt - ich habe nur noch wenig Zeit -, möchte ich natürlich noch die Einführung einer Wettbewerbsbehörde ansprechen. Wir haben zurzeit die Situation, dass die Umsatzrendite der Netzbetreiber - also das, was sie im Vergleich zum Umsatz an Gewinn ausschütten - teilweise bei 50 Prozent liegt. Angesichts dessen muss man sagen: Der selbst verhandelte Netzzugang funktioniert nicht. Renditen von 50 Prozent sind zwar Ausreißer, aber viele Netzbetreiber haben Renditen von 20 bis 30 Prozent. Wenn wir es schaffen, die Netzdurchleitungsgebühren auch nur vorsichtig abzusenken - durch den Staat als starken Schiedsrichter -, dann können wir 2 bis 3 Milliarden Euro einsparen. Das ist mehr, als uns das EEG insgesamt kostet. Damit will ich sagen: Wer sich tatsächlich für Senkungen der Energiekosten auch in der Industrie ausspricht, der muss sich in erster Linie für die Wettbewerbsintensivierung einsetzen. Das ist die dringlichste Aufgabe. Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist das dritte große Gesetzvorhaben, das wir angehen. ({12}) Zusammenfassend: Die Eckpfeiler stehen und sind bekannt. Wir werden uns im Herbst und im Frühjahr an die konkreten Details machen. Danach gibt es dann die Planungssicherheit, die die Industrie fordert. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Grotthaus, SPD-Fraktion.

Wolfgang Grotthaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, vorab zwei Anmerkungen zu machen. Einmal zu Ihnen, Frau Hustedt: Der Berechnung, die Sie im Zusammenhang mit der KWK aufgemacht haben, kann ich nicht ganz folgen. Sie haben dabei, zumindest aus meiner Sicht, unberücksichtigt gelassen, wie Sie mit der Wärme dort umzugehen haben, wo es keine Wärmeabnehmer gibt. Ich gehe davon aus, dass wir dies zwischen Ihrer Fraktion und unserer Fraktion im Detail noch des Öfteren diskutieren werden. ({0}) Ich gehe auch davon aus, dass wir uns da noch annähern werden. Frau Kopp, ich möchte Sie ganz herzlich in meinen Wahlkreis einladen, in dem zurzeit eine Zeche geschlossen wird und 3 000 Menschen in ihrer Existenz gefährdet sind. Ich würde Sie dann mit der Meinung der FDP in diesem Wahlkreis und gleichzeitig mit der Meinung der FDP zu einer Zeche, die in einem Nachbarwahlkreis nicht zur Schließung ansteht, konfrontieren wollen. ({1}) Ich kann Ihnen dazu sagen: Das, was Sie hier dargestellt haben, kam mir - zumindest für die FDP - so vor wie ein Chamäleon, das abhängig vom Standort und von den äußeren Einwirkungen die Farbe wechselt; denn das, was Sie gesagt haben, widerspricht zum größten Teil dem, was Ihre FDP vor Ort sagt, wenn sie dem Druck der Menschen, die in ihrem beruflichen Werdegang gefährdet sind, unterliegt. ({2}) Fakt ist: Für Milliardeninvestitionen in die Kraftwerkserneuerung ist dringend Planungssicherheit erforderlich. ({3}) 40 000 Megawatt stehen bis 2020 zur Revitalisierung bzw. zur Erneuerung an. Hierfür sind geeignete Rahmenbedingungen, die insbesondere die Wirtschaftspolitik betreffen, von Wichtigkeit. Der Energiesektor ist dabei eine unverzichtbare Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklungen und für das Wachstum in unserer Republik. Die Entscheidung darüber, in was und wo investiert wird, ist mit großer Verantwortung verbunden. Deshalb lohnt es sich auch, um die Konzepte zu streiten. Wir mögen uns über den richtigen Weg streiten, ich glaube aber, trotz der unterschiedlichen Ausführungen, die hier gemacht worden sind, sind die Ziele dieselben. Ich will sie aus meiner Sicht wie folgt definieren: Erstens. Wir wollen einen attraktiven Standort Deutschland mit Investitionen und Arbeitsplätzen. Zweitens: Wir wollen eine sichere Energieversorgung. Deshalb müssen wir als Energiepolitiker die Risiken streuen. Dabei darf es aus meiner Sicht kein Ausspielen von Energieträgern und Strategien gegeneinander - wie zum Beispiel fossile Brennstoffe gegen erneuerbare Energien - geben. Einseitige Abhängigkeiten, zum Beispiel beim Erdgas, bei dem wir in Zukunft mit größeren Preisrisiken rechnen müssen, können wir nur durch einen ausgewogenen Energiemix vermeiden. Das ist für mich der entscheidende Punkt. Dieser Energiemix - er muss zuerst definiert werden - wird einen Kraftwerksmix nach sich ziehen. Dabei werden die Steinkohle und die Braunkohle aus meiner Sicht einen Stellenwert haben wie die Windenergie, die Solarenergie, die Geothermie oder weitere energetische Umwandlungsprozesse. ({4}) Richtgröße für eine vernünftige Energiepolitik ist somit ein wohl austariertes Sowohl-als-auch, bei dem die energiepolitischen Ziele - sie sind zum Teil angeklungen, aber ich will sie ein bisschen erweitern - wie Wirtschaftlichkeit, Effizienzsteigerung, Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Ressourcenfreundlichkeit in ihrer Gleichrangigkeit beachtet werden müssen. Drittens. Wir alle wollen einen engagierten Klimaschutz. Die Eckpunkte unserer Energiepolitik stehen fest. Hiermit meine ich insbesondere die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und den Emissionshandel, aber auch die Regulierung der Strom- und Gasmärkte. Unsere Basis für die Förderung der erneuerbaren Energien ist das Verdopplungsziel der Bundesregierung, zu dem sich im Übrigen auch alle EU-Mitgliedstaaten in Brüssel bekannt haben. Gleichzeitig wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien im europäischen Binnenmarkt erreichen. Die Bilanz unserer Förderung durch das EEG kann sich sehen lassen. Der Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung ist im letzten Jahr auf rund 8 Prozent gestiegen. Wir werden unser selbst gestecktes Ziel bis zum Jahr 2010 einhalten. Deutsche Anbieter haben heute weltweit eine Spitzenstellung bei Technologien zur Nutzung der erneuerbaren Energien erreicht. Dies bedeutet einen Zuwachs an Arbeitsplätzen. Mit der Novelle werden wir nun die Weichen dafür stellen, die Entwicklung der erneuerbaren Energien hin zu Wettbewerbsfähigkeit unumkehrbar einzuleiten. Dabei - auch das sage ich deutlich - darf die Verdopplung des Anteils nicht zur Verdopplung der Kosten führen. Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung eine degressive Anpassung der Förderhöhe vereinbart. Neben dem EEG haben wir auch mit dem künftigen CO2-Emissionshandel ein sensibles Instrument, das nicht nur auf das Klima wirkt, sondern die Weichen für die künftige Energieversorgungs- und Industriestruktur stellt. Dabei ist darauf zu achten, dass der Emissionshandel in Deutschland nicht zur Wachstumsbremse wird. Für eine vernünftige und zukunftsweisende Energiepolitik stehen deshalb meines Erachtens folgende Punkte im Zentrum: Erstens. Wir wollen Energiewirtschaft und Industrie nicht zusätzliche Belastungen aufbürden, die die Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Zweitens. Der Emissionshandel darf Wachstum und Investitionen nicht beeinträchtigen. Bei der Umsetzung werden wir für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen. Drittens. Es soll Vorsorge für den Energieersatz getroffen werden, und zwar nicht zulasten von Energiewirtschaft und Industrie. Viertens. Mit Blick auf das anstehende Kraftwerkserneuerungsprogramm soll der Emissionshandel Planungssicherheit gewährleisten. Es soll weiterhin ein ausgewogener Energiemix ermöglicht werden, der uns auch in Zukunft eine bezahlbare Versorgungssicherheit als Standortfaktor erhält. - Auf diese Kernpunkte hat man sich im Spitzengespräch beim Bundeskanzler grundsätzlich verständigt. Ich fasse zusammen: Energiepolitik muss mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschland erzielen. Aus diesem Grund ist Energiepolitik Standortpolitik. Investitionen in den deutschen Kraftwerkspark nutzen der Versorgungssicherheit und dem Klima. Dabei ist ein breit gefächerter Energiemix sowohl mit Kohle als auch erneuerbaren Energien zu erhalten. Dementsprechend muss auch der Emissionshandel ausgestaltet werden. Wir müssen die Fördereffizienz bei erneuerbaren Energien verbessern. Die EEG-Novelle wird hierzu die Weichen stellen. Mit unserer Vorreiterrolle im Klimaschutz haben wir in Europa die Messlatte sehr hoch gelegt. Jetzt sind unsere europäischen Partner an der Reihe, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Durch eine intelligente Regulierung fördern wir den Wettbewerb und sichern langfristig unsere Strom- und Gasversorgung. Die Balance zwischen diesen Zielen herzustellen ist die große energiepolitische Herausforderung. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Georg Girisch, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Georg Girisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003131, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich vorweg eine Feststellung dazu treffen, was ich von einer modernen Energie- und Umweltpolitik erwarte. Eine moderne Umweltschutzpolitik ist eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete, in sich schlüssige, grenzüberschreitende Politik. Dabei sollte sie auf den Einklang von Umwelt und Wirtschaft ausgerichtet sein. Sie setzt auf Überzeugung durch Dialog, auf eindeutige Strategien und auf Wettbewerb zum Erhalt einer artenreichen, lebenswerten Umwelt. ({0}) Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Bürgern, Unternehmen und Verbänden, dass dieser Ansatz in Deutschland eine große Akzeptanz findet. Überprüfen wir doch einmal an Beispielen der Energiepolitik, ob die Politik der Bundesregierung diesem Anspruch gerecht wird. Fragen wir uns zunächst: Was ist eine nachhaltige Energiepolitik? Eine nachhaltige Energiepolitik achtet auf den Dreiklang von drei Faktoren: Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Gerade in den letzten Wochen hat es Stromausfälle in anderen Ländern, in dieser Woche sogar in Schweden und Dänemark, gegeben, was die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit belegt. Aber neu ist diese Erkenntnis eigentlich nicht, zumindest für diejenigen, die die Energiekrisen in den 70er- und 80er-Jahren bewusst erlebt haben. Eine moderne, leistungsfähige, gesicherte und bezahlbare Energieversorgung ist ein wichtiger Faktor im heutigen globalen Standortwettbewerb. Wer das nicht begreift, der gefährdet und zerstört Arbeitsplätze in Deutschland. Dies betrifft weit mehr als die 320 000 Beschäftigten in der Energiewirtschaft in unserem Lande. Energiepolitik braucht klare Prioritäten und eine schlüssige Strategie. Doch bei dieser Bundesregierung ist kein stringentes Handeln erkennbar. Ich will Ihnen dies an vier Kriterien erläutern. Versorgungssicherheit. Leider setzen Sie weiterhin auf die Förderung von Windkraftanlagen an ungeeigneten Standorten. Diese Gelder könnten stattdessen die wesentlich stetigeren erneuerbaren Energieträger wie Biomasse und Wasserkraft stärken. Nachhaltigkeit. Niemand kann heute sagen, was morgen in den Kungelrunden zwischen dem Bundeswirtschaftsminister, dem Umweltminister und dem Kanzler gemauschelt wird. ({1}) Wer sich heute bewusst macht, dass sich konventionelle Kraftwerke erst über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren rechnen, weiß, wie wichtig Planungssicherheit wäre. Ähnliches gilt für die Gaswirtschaft und den Aufbau von Versorgungsnetzen. Klimaschutz. „Kohle statt Kernkraft“ lautet die Parole von Rot-Grün in den letzten Jahren. Mit dieser Politik von Clement werden wir die notwendige massive Reduktion des Ausstoßes von Kohlendioxid sicher nicht erreichen. Für mich wird die Kernenergie weltweit eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Der rot-grüne Atomausstieg wird dazu führen, dass sich die hohen deutschen Sicherheitsstandards weltweit nicht durchsetzen können und sie nicht weiterentwickelt werden. ({2}) Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen. Das ist eine glatte Fehlanzeige. Ökosteuer, EEG-Einspeisevergütung, KWK, um nur drei Beispiele zu nennen, haben eines gemeinsam: Sie verteuern die Energie in Deutschland. Tausende Jobs in energieintensiven Betrieben werden von Ihnen geschaffen, aber nicht bei uns, sondern im Ausland. Ausnahmeregelungen von der Ausnahme machen es darüber hinaus zum Glücksspiel, ob Unternehmen besonders stark abgezockt werden oder nicht. Ich möchte nicht länger auf das Versagen der Bundesregierung in der Energiepolitik eingehen. Was ich Ihnen aber nicht ersparen kann, ist, Ihnen einen wohl einzigartigen Kompetenzwirrwarr zwischen den einzelnen Ministerien zu testieren. Kaum ein Bürger weiß, wer für dieses Versagen die politische Verantwortung trägt. Ist es Minister Clement? Ist es Minister Trittin? Ist es der Kanzler? Oder sind es alle drei? Nichts Genaues weiß man nicht, da sich einmal dieser, einmal jener teilweise widersprüchlich äußert. Bei diesem Kompetenzgerangel und diesen Kungelrunden in wechselnder Zusammensetzung kann jedenfalls nichts Vernünftiges herauskommen. Dabei wäre es wichtig, dass endlich Schluss mit diesem Chaos ist. Dies wird eigentlich nur noch durch die Blamage bei der Mauteinführung, wie es in den letzten Tagen deutlich geworden ist, übertroffen. Schaffen wir endlich Klarheit und Berechenbarkeit in einem wichtigen Politikfeld! Wir brauchen nach 1973 und 1991 ein schlüssiges Konzept, wie wir in den kommenden Jahren eine effiziente, nachhaltige und umweltgerechte Energieversorgung sichern können; denn die Herausforderungen sind groß. Wir brauchen Planungssicherheit für Neuinvestitionen in Milliardenhöhe in den dringend zu erneuernden Kraftwerkpark in Deutschland. Wir müssen endlich realistisch aufzeigen, wie der Energiemix der Zukunft aussehen soll, wie er finanziert wird und wie das Ziel des Abbaus der Kohlendioxidemissionen Schritt für Schritt erreicht werden kann. Wir brauchen eine Verknüpfung von Umwelt- und Wirtschaftspolitik. Deshalb muss jede staatliche energiepolitische Maßnahme auf ihre wirtschaftliche Verträglichkeit geprüft werden. Wir brauchen eine Novelle des EEG, in der meines Erachtens insbesondere auf die Biomasse gesetzt werden sollte. Wir brauchen mehr Energieforschung und die Bündelung der Zuständigkeiten für energiewirtschaftliche Fragen in einer Hand. Wir brauchen einen Emissionshandel; dessen Regeln müssen baldmöglichst auf den Tisch gelegt werden, wie es im letzten Obleutegespräch zugesagt wurde. Bei der Erarbeitung dieses Konzepts müssen die Beteiligten besser eingebunden werden. Es muss unbürokratisch, ideologiefrei, EU-konform und vor allem einfach nachvollziehbar sein. - Dies sind nur einige der Punkte, die wir durch unseren Antrag geklärt sehen wollen. Die Landtagswahlen bei mir zu Hause haben gezeigt, dass die Menschen von diesem rot-grünen Zickzackkurs genug haben. Sie wollen endlich konkrete Konzepte, realistische Pläne und ein stringentes Handeln. Die Union steht bereit, um die Herausforderung der Zukunft im Bereich der Energiepolitik anzunehmen. Jetzt liegt es an Ihnen, mit der Zustimmung zu unserem Antrag die Basis dafür zu schaffen, dass Bürger und Betriebe auf eine umweltverträgliche, wirtschaftliche, nachhaltige und versorgungssichere Energiepolitik für die nächsten 20 bis 30 Jahre hoffen können. Beweisen Sie, dass Sie über diese Legislaturperiode hinaus denken! Beweisen Sie, dass Sie nicht, wie so oft, wider besseres Wissen falsche, ideologisch verblendete Weichenstellungen vornehmen! ({3}) Wir können uns den damit verbundenen großen Schaden und den enormen Aufwand zur Korrektur nicht mehr länger leisten. Wenn Sie zu einer solchen nachhaltigen Energiepolitik bereit sind, arbeiten wir gerne mit Ihnen zusammen. Lassen Sie uns dies bei der Novelle des EEG tun! Suchen wir gemeinsam nach einem vernünftigen Konsens bei den Förderkriterien! Zeigen Sie gemeinsam mit uns, dass Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz kein Widerspruch sind! Lassen Sie uns gemeinsam einen Beitrag zu einer Energiepolitik mit Zukunft leisten! Herzlichen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als klimapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion freue ich mich natürlich über jede energiepolitische Debatte im Deutschen Bundestag; denn Energieerzeugung, -umwandlung, -verteilung und -nutzung sind Schlüsselfaktoren für den Klimaschutz. Ich freue mich über eine solche Debatte sogar dann, wenn sie die Folge von formalistischen Anträgen der Opposition ist, wie wir es heute erleben müssen. Ich bezeichne die Anträge deswegen als formalistisch, weil die Opposition versucht, sich vor der inhaltlichen Debatte über Energiepolitik zu drücken, indem sie über genaue Formulierungen im Grundsätzlichen spricht. ({0}) Vielleicht können Sie das nachvollziehen. Der Kollege Grill, der uns bereits verlassen hat, hat zu Beginn 14 Minuten lang gesprochen. 14 Minuten haben wir vergeblich auf einen einzigen konkreten Vorschlag gewartet. ({1}) Die Kollegin Kopp von der FDP hat lange über die Regulierungsbehörde als eigentlich überflüssige Mammutbehörde gesprochen. Dabei hat sie aber vergessen, zu erwähnen, dass die FDP, als in der vergangenen Woche in dieser Behörde das Pöstchen der Vizepräsidentin zu vergeben war, gefordert hat, dass jemand mit ihrem Parteibuch den Posten besetzt. ({2}) Ein solches Verhalten macht keinen Sinn und bringt ein Land nicht vorwärts. ({3}) Wer sich mit Energiepolitik nicht formalistisch, sondern inhaltlich beschäftigt, kommt um vier Fragen nicht herum. Erstens. Wie können wir die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung optimieren? Zweitens. Wie können wir die Energieeffizienz auf der Erzeuger- und der Verbraucherseite erhöhen? Drittens. Wie reduzieren wir die deutsche Importabhängigkeit im Energiebereich, die derzeit noch zunimmt? Viertens. Wie beschleunigen wir die Umstellung auf erneuerbare Energien noch stärker als bisher? Die Steigerung der Energieeffizienz ist der Dreh- und Angelpunkt für die Energiepolitik und den Klimaschutz der Zukunft. Man kann die höhere Energieeffizienz - wir arbeiten gerne mit solchen feststehenden Begriffen auch verständlicher ausdrücken: Wie erzielen wir mehr Wohlstand aus weniger Energie? Mit einer höheren Energieeffizienz wird übrigens auch deswegen ein größerer Wohlstand erreicht, weil die Ausgaben für Energiekosten sinken und das dadurch gesparte Geld in neue Jobs, Dienstleistungen und Produkte - auch für den Weltmarkt - investiert werden kann. Seit den 70er-Jahren haben wir es gemeinsam - das gilt für die Regierung und die Opposition - geschafft, das Wachstum der Wirtschaft von dem des Energieverbrauchs zu entkoppeln. Das war ein wichtiger umweltpolitischer Fortschritt. Jetzt müssen wir es als nächsten Schritt schaffen, durch die Senkung des Energieverbrauchs das Wirtschaftswachstum zu erhöhen, indem die Energiekosten für die Volkswirtschaft gesenkt werden und die Nachfrage nach neuen Produkten und Dienstleistungen erhöht wird. Damit werden Energie- und Innovationspotenziale erschlossen. ({4}) Ich will ein paar Beispiele für das große Potenzial von Energieeffizienz auf der Verbraucherseite nennen. Der durchschnittliche Verbrauch von Strom für den Betrieb von Aufzugsanlagen könnte um 85 Prozent gesenkt werden. Obwohl bereits entsprechende Anlagen auf dem Markt sind, werden immer noch alte Anlagen eingesetzt. Der durchschnittliche Stromverbrauch von Haushaltsgeräten könnte halbiert werden. Auch in diesem Bereich sind bereits entsprechende Geräte auf dem Markt. Aber leider sind auch noch alte Geräte mit einem hohen Stromverbrauch im Handel. Der durchschnittliche Heizbedarf für Wohngebäude könnte um 80 Prozent gesenkt werden. Erste erfolgreiche Sanierungen sind bereits erfolgt. Als jemand, der mit Handwerkern im Gespräch ist, kann ich Ihnen versichern, dass die Programme der KfW zur Energiesanierung mit Zinssätzen von 2,2 Prozent oder weniger zurzeit sehr gut abgerufen werden. Sprechen Sie einmal mit dem deutschen Handwerk darüber! Es ist ein Skandal - um ein letztes Beispiel zu nennen -, dass viele Computer, Drucker, Fernsehgeräte und Hi-FiAnlagen selbst dann, wenn sie ausgeschaltet werden - also nicht mehr im Stand-by-Betrieb sind -, noch Strom aus der Steckdose ziehen, weil manche Firmen auf den Einbau eines Teiles im Wert von 25 Cent verzichten. An dieser Stelle werden die Verbraucher durch die mangelnde Energieeffizienz abgezockt. ({5}) Mit der Energieeinsparverordnung, der Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung, der ökologischen Steuerreform und anderen Maßnahmen hat die Koalition bereits erste deutliche Erfolge bei der Erhöhung der Energieeffizienz erreichen können. Diese Erfolge werden weltweit - zum Beispiel vom WWF, um an dieser Stelle noch einen Kronzeugen anzuführen - als vorbildlich angesehen. Nur eine Gruppe im Deutschen Bundestag tritt nicht für die Erhöhung der Energieeffizienz ein, nämlich die Opposition. Jeder Gesetzentwurf zur Erhöhung der Energieeffizienz wurde von der FDP abgelehnt. Die CDU/CSU hat insofern der FDP gegenüber einen kleinen Vorsprung: Sie hat fast alle Vorhaben - zum Beispiel die Energieeinsparverordnung - abgelehnt. Wir müssen aber gemeinsam weitere Anstrengungen unternehmen. Derzeit steigt die Energieeffizienz um 1,5 Prozent pro Jahr. Wir brauchen jedoch eine andere Zielmarke. Die Energieeffizienz sollte eine Steigerungsrate von 2,5 bis 3 Prozent nicht unterschreiten. ({6}) Ich hatte vorhin die Reduktion der Importabhängigkeit und die Reduktion der volkswirtschaftlichen Kosten der Energieerzeugung als Ziele für eine fortschrittliche Energiepolitik genannt. Bei der Importabhängigkeit ist das deutlich erkennbar: Je weniger importiert werden muss, umso sicherer ist die Basis der eigenen Wirtschaft, weil damit ein größerer Schutz vor Preissprüngen bei den Importen und internationalen Risiken einhergeht. Auf diesem Hintergrund ist es natürlich gut, dass wir bereits mit den erneuerbaren Energien einen zusätzlichen Beitrag zur Energieeffizienz leisten und dass wir in den letzten Jahren die Weltmarktführerschaft bei den Technologien zur Nutzung der erneuerbaren Energien übernommen haben. Wenn man sich in der Szene ein bisschen auskennt, dann weiß man: Das ist der Grund, warum andere Staaten unser Fördergesetz, das EEG, übernehmen; denn sie wollen den Anschluss im Technologiebereich nicht verlieren. Wir wären natürlich gut beraten, wenn wir mit breiter Mehrheit und nicht nur mit den Stimmen der Koalition die Fortschreibung des EEG beschließen, um unsere Weltmarktführerschaft auszubauen und sie nicht zu verlieren. ({7}) Es geht dabei längst nicht nur um Windenergie; Solarthermik, Photovoltaik und Biomasse sind längst salonfähig. Biotreibstoffe und Geothermie versprechen in den nächsten Jahren einen neuen Boom, wenn wir die erfolgreiche Förderung fortsetzen. Durch engagierte Energieforschung macht Deutschland zunehmend Fortschritte bei Brennstoffzellen, bei der dezentralen Speicherung von elektrischer Energie und auch von Wärme. Diese Anstrengung dürfen wir auch aus industriepolitischen Gründen nicht vernachlässigen. Wir sind, gerade was die Effizienz erneuerbarer Energien angeht, längst von einer Spielwiese in einen Bereich übergegangen, der industriepolitisch wichtig ist. Über 130 000 Arbeitsplätze sind entstanden. Das ist ein Jobknüller, gerade in Handwerksbetrieben, in kleinen und mittleren Unternehmen. Ich halte die Zahl von einer halben Million Jobs in diesem Bereich für realistisch, wenn wir an unseren Ausbauzielen festhalten. ({8}) Nach der - man konnte es in den letzten Wochen deutlich merken - gesteuerten Kampagne gegen erneuerbare Energien, vor allem gegen die Windenergie, verwundert die Feststellung: Der Ausbau der erneuerbaren Energien hilft bereits heute dabei, die volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland zu reduzieren. Als Beleg führe ich nicht eine Behauptung der rotgrünen Koalition, sondern eine Studie der Europäischen Union an, die ich mitgebracht habe. Sie hat die externen Kosten der Energieversorgung ermittelt. Man hat nur diejenigen Kosten, die man sehr genau ermitteln kann - Umweltzerstörung, gesundheitliche Schäden und Ähnliches, also Kosten, die nie auf einer Stromrechnung auftauchen, aber natürlich von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, das heißt von der Volkswirtschaft, aufgebracht werden müssen -, herangezogen. Während zum Beispiel für die Stromproduktion durch Windenergie externe Kosten von nur 0,05 Cent ermittelt wurden, waren es bei Gas und Kohle bis zu 6 Cent, bei Öl sogar bis zu 8 Cent. Volkswirtschaftlich gesehen sind bereits heute mehrere erneuerbare Energien günstiger als der alte nukleare und fossile Mix. Jeder von uns vorgenommene Ausbau bringt uns vorwärts. Jedes Jahr, in dem wir die degressive Förderung fortsetzen - wenige wissen, dass das Gesetz bereits heute für jedes Jahr eine Senkung der Vergütung vorsieht -, wirkt sich dies für Deutschland volkswirtschaftlich immer günstiger aus. Deswegen sind mit der Energiepolitik, die wir eingeschlagen haben und fortsetzen wollen, mehr Jobs, weniger Kosten und mehr Umweltschutz verbunden. Das nenne ich Energiepolitik mit Zukunft. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 15/1349 und 15/367 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 15/1562 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO b) Beratung der Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes Bericht nach § 99 BHO über die Steuerausfälle bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und Steuervermeidung - Vorschläge an den Gesetzgeber - Drucksache 15/1495 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Lydia Westrich, SPD-Fraktion.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist wieder einmal so eine typische Freitagnachmittagsdebatte vor kleinem Publikum. Die Themen sind - nach der aufregenden Vormittagsdebatte - meistens trocken. Aber wir wissen ja, dass ihre Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger oft sehr vielfältig sind. Deswegen stehen wir auch diese Debatte wacker durch. Mit dem vorliegenden Entwurf eines Steueränderungsgesetzes werden 15 weitere Gesetze berührt. Obwohl es ein alljährlich wiederkehrendes Gesetzesvorhaben ist - quasi ein Lumpensammler aller im Jahr aufgelaufenen redaktionellen Berichtigungen von Berichtigungen, die aufgrund der von BFH, EuGH und Bundesverfassungsgericht ergangenen Gerichtsentscheide und der Umsetzung immer eilbedürftiger EURichtlinien notwendig sind -, ist es uns, den Koalitionsfraktionen, gelungen, das Steueränderungsgesetz zu einer relativ großen Trittplatte auf dem Weg zu einem vereinfachten und vor allem modernisierten Steuersystem zu machen. Als fortschrittlicher Gesetzgeber achten wir Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen sehr wohl darauf, dem erklärten Leitbild unserer Steuerpolitik - Modernisierung und Vereinfachung - auch in vielen notwendigen Detailfragen zu entsprechen. Das ist bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fall. Wir haben in den Ausschussdebatten ja gelernt, meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie zwar - wie beispielsweise im arbeitsreichen Ausschuss ständig mit großen Worten um sich werfen, dass Sie aber kneifen, wenn es an das Eingemachte geht. Sie bringen zum Beispiel im Ausschuss - wortgleich - Eingaben von Verbänden als Anträge ein und versuchen, quasi in der Kleinarbeit zu verhindern, dass Steuersubventionen tatsächlich abgebaut werden können, und das, obwohl Sie wissen, dass nur so, wie wir arbeiten, eine einfache und transparente Steuergesetzgebung entstehen kann. Sie klatschen Professor Kirchhof öffentlich Beifall und kommen hier mit 1 000 Ausnahmen an. So wird das nie etwas. Natürlich gibt es auch bei uns heftige Diskussionen über den richtigen Weg. Aber es ist Ihre mangelnde Konzeptionsfähigkeit, die die Schaffung von Finanzierungssicherheit für Bund, Länder und Kommunen verhindert. Das wird für Deutschland auf Dauer gesehen eine sehr schwere Hypothek. Jedem wohl und niemand weh - das ist für mich schon immer eine verantwortungslose, dem Wohl der Gemeinschaft gegenüber sehr gleichgültige Politik gewesen, die unser Land nicht verträgt. Sie können natürlich fragen, was das alles ausgerechnet mit dem vorliegenden Gesetzentwurf voller Detailfragen zu tun hat. Ich möchte es Ihnen erklären: Die Opposition hat die Chance, Ja zu der Kärrnerarbeit zu sagen, die hinter solchen Gesetzesvorhaben steckt. Wir bauen Zug um Zug Elemente der Vereinfachung in das Steuersystem ein und schaffen Transparenz und Klarheit. Der vorliegende Gesetzentwurf ist geradezu prädestiniert, das zu verdeutlichen. 36 Millionen Lohnsteuerkarten, fast ebenso viele Lohnsteuerbescheinigungen, 2,5 Millionen Freistellungsaufträge und 10 Millionen Lohnsteueranmeldungen erhöhen alljährlich den Papierberg sehr. Mitarbeiter in Tausenden Lohnbuchhaltungen kleben die Bescheinigungen wieder auf Lohnsteuerkarten und so weiter und so fort. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen für die elektronische Lohnsteuerbescheinigung, die uns in Kürze all diesen Wirbel ersparen kann. Ab 2004 werden die Finanzverwaltungen in der Lage sein, die Daten vom Arbeitgeber - natürlich verschlüsselt - via Internet anzunehmen. Die Arbeitgeber können den entsprechenden Ausdruck, den natürlich auch sie erhalten, in einfachen Fällen sogar als Antrag auf einen Steuerbescheid und gegebenenfalls auf Steuererstattung nutzen. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer einfach auszufüllenden und für jeden verständlichen Steuererklärung. Wir haben für einfache Fälle die Steuererklärung auf Postkarte als Ziel. Vielleicht kommen wir einmal dorthin. Viele Lohnbuchhaltungen werden jedenfalls durch das, was jetzt geplant ist, nachhaltig entlastet. In einer weiteren wichtigen Sache müssen wir eine Rechtsgrundlage schaffen, damit die Steuerverwaltung die waschkörbeweise eingehenden Einsprüche und Massenanträge zum Familienlastenausgleich früherer Jahre endlich abwickeln kann. Die allermeisten Einsprüche und Anträge, die vorsorglich an die Finanzämter geleitet werden, haben keine Aussicht auf Erfolg und können daher summa summarum erledigt werden. Das erleichtert der Verwaltung auf vielfache Weise die Arbeit. Allerdings verlängern wir gleichzeitig Rechtsbehelfs- und Klagefristen, damit jeder zu seinem Recht kommen kann, wie das unserem Rechtsstaat auch angemessen ist. Die Finanzämter müssen ihre entsprechende Informationspflicht erfüllen. Es ist unsere Aufgabe, darauf zu achten, dass das vor Ort auch jeweils geschieht. Eine dritte wichtige Erleichterung schaffen wir für die Steuerpflichtigen mit umfänglichen Einkünften aus Kapitalvermögen. Wer schon einmal selber an seiner Steuererklärung gesessen hat, weiß, wie hilflos man in solchen Fällen bisweilen davor sitzt. Wir verpflichten die Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute zu einer umfassenden Jahresbescheinigung für ihre Kunden, die diese dann der Steuererklärung beilegen können. Sie müssen nicht mehr, wie bisher, Anlage K, Anlage AUS oder Anlage SO ausfüllen. Dieser Service für die Kunden wird von vielen Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten bereits angeboten. Die Verpflichtung für alle im Gesetz trägt zu einer wirklichen Steuervereinfachung und auch zu dem Ruf unserer Finanzwelt bei, servicefreundlich zu sein. Was die anschaffungsnahen Herstellungskosten angeht, schaffen wir durch die gesetzliche Verankerung bereits vorhandener Verwaltungspraxis für Steuerzahler Rechts- und Planungssicherheit. Typisierungen statt Einzelfallermittlungen sind immer Bestandteile von möglichen Vereinfachungen. Typisierungen haben es natürlich an sich, dass sie für den einen positiver und für den anderen negativer wirken, aber sie sparen natürlich Zeit und sie geben Sicherheit. Wir passen das Umsatzsteuerrecht und das Investitionszulagengesetz 1999 an die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts an. Damit bekommen die Menschen aus den ostdeutschen Ländern wieder Rechtssicherheit für Investitionsvorhaben. Im Umsatzsteuerrecht gelten endlich klare, gemeinschaftsweit gleiche Vorschriften für die Rechnungsstellung. Wenn Sie beanstanden, dass Unternehmen verpflichtet werden, sich die Rechnungen, die sie erhalten und für die sie die Vorsteuer haben wollen, genauer anzuschauen, dann rate ich Ihnen, sich in dem eben aufgerufenen Bericht des Bundesrechnungshofs einmal die Ausführungen zur Umsatzsteuerkriminalität anzusehen. Wir alle, Politik, aber auch Wirtschaft, sind gehalten, diesem kriminellen Unwesen die Stirn zu bieten. Dem Ausfall von zweistelligen Milliardenbeträgen bei der Umsatzsteuer durch verbrecherische Maßnahmen kann eigentlich niemand ruhig zusehen, die Wirtschaft nicht und erst recht nicht die Politik. Die seit Jahren diskutierte und heiß umkämpfte EUZinsrichtlinie muss noch in diesem Jahr in nationales Recht umgesetzt werden. Wir selbst haben kaum Spielraum in der Ausgestaltung. Da genügt es, wenn wir die Bundesregierung ermächtigen, eine entsprechende Rechtsverordnung zu erlassen. In dem Gesetz - das ist erfreulich für viele mobile Arbeitnehmer - wird das Verfassungsgerichtsurteil bezüglich der doppelten Haushaltsführung prompt umgesetzt. Die Kosten sind jetzt wieder zeitlich unbegrenzt abzugsfähig. Das wird auch manchen Mitarbeiter hier interessieren. Wenn Eltern behinderter Kinder einen Pflegepauschbetrag in Anspruch nehmen, verzichten wir auf den Nachweis der treuhänderischen Verwaltung des Pflegegeldes. Sie haben es auch ohne zusätzliche Bürokratie, denke ich, schwer genug. Neben kleineren redaktionellen Änderungen greifen wir auch den Fehlpass von Fußballvereinen auf und begrenzen die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit auf den Personenkreis, für den sie eigentlich gedacht ist. Über die Ausgestaltung müssen wir gemeinsam noch reden. Wir werden, denke ich, eine gute Regelung finden, weil das in unser aller Interesse liegt. Insgesamt sind die finanziellen Auswirkungen dieses Gesetzes für die Steuerbürgerinnen und -bürger positiv. Über die eine oder andere Vorschrift können wir sicherlich noch gemeinsam reden. Wir haben die Anhörung vor uns. Da werden ebenfalls noch Aspekte in die Gesetzesberatung einfließen. Das Steueränderungsgesetz ist von dem Willen zu einem massiven Abbau von bürokratischen Hemmnissen durchdrungen. Es bringt einen großen Schritt hin zu einer modernen Steuerverwaltung und bringt Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanzielle, materielle Entlastung. Ich hoffe, dass wir eine zügige Beratung haben werden und das Gesetz bereits in wenigen Wochen in Kraft setzen können. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Peter Rzepka, CDU/ CSU-Fraktion.

Peter Rzepka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Westrich, ich glaube, wir leben in unterschiedlichen Welten. Wir haben in dieser Woche im Finanzausschuss drei Anhörungen zu verschiedenen Gesetzesvorhaben der Regierung hinter uns gebracht. In jeder dieser Anhörungen wurden von den Experten viele handwerkliche Fehler gerügt. Auch hinsichtlich des prognostizierten Steueraufkommens haben die Experten erheblich abweichende Einschätzungen vorgetragen. Deshalb frage ich mich, wie Sie dazu kommen, hier die Opposition anzugreifen, die sich bemüht, aus dem Chaos Ihrer Gesetzgebung noch etwas halbwegs Vernünftiges zu machen. ({0}) „‚Modernisierung und Vereinfachung‘ sind erklärte Leitbilder der Steuerpolitik“, heißt es in der Begründung zu dem hier heute in erster Lesung zu beratenden Steueränderungsgesetz 2003. Wer sich allerdings mit dem Gesetzestext auseinander setzt und ihn genauer analysiert, erkennt, dass vor dem Hintergrund desaströser Steuerausfälle und dramatisch steigender Staatsverschuldung eine Reihe von Steuererhöhungen geplant sind und zahlreiche Vorschriften die betroffenen Steuerzahler mit hohem bürokratischem Aufwand und den daraus folgenden Kosten belasten. Im Einzelnen: Im Einkommensteuergesetz soll durch eine Regelung zum so genannten anschaffungsnahen Aufwand bei der Modernisierung von Gebäuden eine für die Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kassiert werden. Die nunmehr wieder vorgesehene Begrenzung der sofort steuerlich absetzbaren Aufwendungen auf 15 Prozent der Anschaffungskosten in einem Zeitraum von drei Jahren nach der Anschaffung wird die Modernisierung des Altbaubestandes zeitlich verzögert oder sogar gänzlich verhindert. Ein weiterer Kritikpunkt: Wie groß muss die Not des Finanzministers sein, dass er unter Bruch internationaler Verträge auf den Arbeitslohn zugreifen will, den deutsche Arbeitnehmer bei vorübergehender Tätigkeit im Ausland erzielen? Nach vielen Doppelbesteuerungsabkommen ist das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat zugeordnet, unabhängig davon, ob dieser von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch macht. Die praktischen Probleme bei der Durchführung der nun in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderung stehen in keinem Verhältnis zu dem möglichen Ertrag für den deutschen Fiskus. Nehmen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, Abstand von einer solchen Regelung, die wegen des Bruchs völkerrechtlicher Verträge auch dem Ansehen Deutschlands Schaden zufügen könnte! In dem Gesetzentwurf ist des Weiteren die Einführung einer Jahresbescheinigung durch Kreditinstitute und andere Finanzdienstleister für Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne mit allen für die Besteuerung der Kapitalerträge erheblichen Angaben enthalten. Auch Sie haben darauf hingewiesen, Frau Kollegin Westrich. Warum fordern Sie aber eine solche Bescheinigung, wenn Sie gleichzeitig eine Abgeltungsteuer ankündigen, die eine solche Bescheinigung überflüssig machen würde? Das sollten Sie uns erklären, meine Damen und Herren von der Koalition: Wollen Sie nun eine Abgeltungsteuer oder nicht? Niemand im Bundesfinanzministerium und in den Koalitionsfraktionen scheint sich darüber Gedanken zu machen, welcher bürokratische Aufwand entsteht und welche Kosten damit verbunden sind, wenn Jahresbescheinigungen für annähernd 400 Millionen Konten und Depots anfallen. Auch an anderer Stelle des Gesetzentwurfs zeigt sich ein mangelndes Gespür bei der Behandlung von Massenvorgängen: Bei den so genannten Zahlungsschonfristen im Besteuerungsverfahren soll eine Verkürzung von fünf auf drei Tage herbeigeführt werden. Eine bewährte und für Steuerpflichtige und ihre Berater vertraute Regelung soll damit ohne Not verändert werden. Auch die Bezugnahme auf das Zivilrecht kann meines Erachtens die mit jeder Rechtsänderung verbundene Verunsicherung der Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen. Ich will allerdings nicht verschweigen, dass in dem Gesetzentwurf auch Punkte enthalten sind, die wir begrüßen. Die vorgesehene Einführung der elektronischen Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung an die Finanzämter ist eine Regelung, die bürokratischen Aufwand vermindert und deshalb in die richtige Richtung zielt. Die Zurücknahme der von der Regierungskoalition eingeführten Beschränkungen des Vorsteuerabzugs bei Reisekosten und Kfz-Kosten führt zu Umsatzsteuerentlastungen im Unternehmensbereich und wird von uns ebenfalls mitgetragen. Allerdings sind diese Gesetzesänderungen notwendig, weil die von dieser Bundesregierung in der Vergangenheit eingeführten Beschränkungen des Vorsteuerabzugs mit dem EU-Recht unvereinbar sind. Die Union hatte bereits bei der Einführung darauf hingewiesen und hat wieder einmal Recht behalten. Der Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Der Bundesrechnungshof hat seit Jahren zu diesem Thema detailliert Stellung genommen und mögliche Lösungsansätze bzw. -wege vorgeschlagen. Die Entwicklung und die Ausmaße des Umsatzsteuerbetrugs sind im höchsten Maße besorgniserregend. Das „Handelsblatt“ meldete am 21. Juli 2003 unter der Überschrift „Leichtes Spiel für Steuersünder“: Nach einer Studie des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo machen die Einnahmeausfälle allein durch den Umsatzsteuerbetrug mittlerweile rund 14 Mrd. Euro im Jahr aus. In den Bemerkungen 2000 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes führt der Bundesrechnungshof aus: Der Bundesrechnungshof kann eine exakte Zahl der jährlichen Steuerausfälle nicht benennen, hält aber einen zweistelligen Milliardenbetrag für wahrscheinlich. Eine unzureichende Verfolgung dieser Spielart der organisierten Kriminalität führt auch zu einem außersteuerlichen Schaden für die Privatwirtschaft und zur Gefährdung von Arbeitsplätzen. Vorrangiges Ziel einiger Täter war es, - wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat eine den Markt beherrschende Stellung zu erlangen, um die Konkurrenz auszuschalten. Um die Probleme in den Griff zu bekommen, werden unter Beteiligung der Finanzbehörden des Bundes und der Länder verschiedene Modelle diskutiert, zum einen das Modell des Finanzministers Mittler aus RheinlandPfalz, der vorschlägt, für Umsätze in der Unternehmerkette eine Steuerbefreiung einzuführen und dadurch den betrugsanfälligen Vorsteuerabzug gegenstandslos zu machen. Andere Modelle sehen vor, Steuerschuldnerschaft oder Steuerhaftung für die Umsatzsteuer auf den Lieferungs- bzw. Leistungsempfänger zu verlagern. Allen Modellen ist gemeinsam, dass sie ganz oder teilweise dem Gemeinschaftsrecht widersprechen und darüber hinaus neue Missbrauchsmöglichkeiten und damit auch Probleme hinsichtlich des Steueraufkommens aufwerfen. Das Bundesfinanzministerium präferiert bisher die Modelle zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bzw. der Haftung auf den Empfänger der Lieferung oder Leistung. Mit dem Gesetz vom 20. Dezember 2001 wurde mit Wirkung ab 2002 bereits die umgekehrte Umsatzsteuerschuldnerschaft für Leistungen von im Ausland ansässigen Unternehmen eingeführt. Dieser Ansatz wird nun im Steueränderungsgesetz 2003 mit neuen Haftungstatbeständen für die Umsatzsteuer in Fällen der Globalzession sowie bei Leasing und Mietkauf fortgesetzt. Zukünftig soll nach dem Gesetzentwurf der Vorsteuerabzug erst dann gerechtfertigt sein, wenn die formalen Voraussetzungen des Umsatzsteuerrechts hinsichtlich der erhaltenen Rechnung erfüllt und die Rechnungsangaben vollständig und richtig sind. Darüber hinaus sieht der Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004 die umgekehrte Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen, Reinigung von Gebäuden und Gebäudeteilen und bei Umsätzen vor, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen. Die beabsichtigten Regelungen, die auch die Masse der steuerehrlichen Unternehmer treffen, begegnen durchgreifenden Bedenken. Die Rechnungsprüfung, die in den meisten Unternehmen ein Massengeschäft ist, würde mit enormer Bürokratie und den daraus folgenden Kosten belastet werden. Schließlich kann die Rechnungsprüfung auch zu Verzögerungen bei den Zahlungen führen, die angesichts der erheblichen Liquiditätsprobleme in der mittelständischen Wirtschaft weitere Insolvenzen auslösen können. Aufgrund der Neuregelungen des Haushaltsbegleitgesetzes befürchten viele Handwerker zusätzlichen Bürokratieaufwand, Umsatzeinbußen und die Zunahme der Schwarzarbeit. Die Baubranche befürchtet, dass die komplizierten Regelungen für die Bauabzugsteuer, die nunmehr auch zur Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger führen sollen, nicht mehr vollziehbar sein werden. Schließlich braucht selbst die Finanzverwaltung 34 Seiten, um die zahlreichen Abgrenzungsprobleme bei der Bauabzugsteuer zu regeln, die nunmehr auch für die Umsatzsteuer und den Vorsteuerabzug maßgebend werden sollen. Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist es der falsche Weg, die Unternehmen durch Verschärfung von Formvorschriften mit erheblichen Bürokratiekosten und risikoreichen Sanktionen zu belasten. Trotz jahrelangen Drängens des Bundesrechnungshofes und der Öffentlichkeit sind vom Bundesfinanzministerium die bestehenden Möglichkeiten zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges im bestehenden System offensichtlich nicht ausreichend genutzt worden. Laut einer Studie des Münchner Ifo-Instituts sollte aber besser versucht werden, das vorhandene System betrugssicher zu machen. Wenn die erforderliche finanzielle, personelle und technische Ausstattung erst gar nicht in das bestehende System gesteckt wird - so schreiben die Forscher -, ist es kein Wunder, dass die Steuereinnahmen wegbrechen, wie wir es in jedem Bericht des Bundesfinanzministeriums über die Steuereingänge erkennen können. Zum Beispiel wurde erst 2001 beim Bundesamt für Finanzen die „zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen“ ins Leben gerufen. Dort werden nun Daten über konkrete Umsatzsteuerbetrugsfälle und Scheinfirmen gespeichert. Die Deutsche Steuergewerkschaft schlägt eine im Bund angesiedelte Ermittlertruppe von 100 Fahndern vor, weil die Länderfahnder überfordert seien, wenn sie es mit international operierenden Banden zu tun bekämen. Andere Experten schlagen vor, über die Ausweitung der Ist-Besteuerung sowohl für den Leistenden als auch den Leistungsempfänger nachzudenken. Es gibt also andere Lösungsansätze als den weiteren Weg in den Überwachungsstaat und als neue komplizierte Vorschriften, die die weit überwiegende Zahl der steuerehrlichen und unbescholtenen Unternehmer treffen und diese unter den Generalverdacht des Steuerbetruges stellen. Wenn das Bundesfinanzministerium diesen Weg der besseren personellen und technischen Ausstattung der Finanzbehörden zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges geht, wird die Unionsfraktion dabei Mitarbeit, Hilfe und Unterstützung bieten. Es ist in unser aller Interesse, den milliardenschweren Umsatzsteuerbetrug zu unterbinden. Nicht zuletzt werden damit auch SpielPeter Rzepka räume zur Senkung von Steuern und zur Vermeidung von Steuererhöhungen geschaffen. Statt aber den Umsatzsteuerbetrug wirksam zu bekämpfen, schlägt dieser erfolglose Finanzminister dem Haus ständig neue Steuererhöhungen vor. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Kollegin Christine Scheel hat ihre Rede zu Proto- koll gegeben.1) Nächster Redner ist der Kollege Professor Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Westrich, es klang eben schon an: Es handelt sich um eines von acht umfangreichen Gesetzen, das wir bis zum 17. Oktober - auch in mehreren Anhörungen des Finanzausschusses - zu beraten haben. Wir haben als Opposition wiederholt deutlich gemacht, dass ein solches Arbeitspensum seriös kaum zu bewältigen ist. Folge einer solch hektischen Beratung ist, dass sich sehr viele Fehler in die Gesetze einschleichen. Die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDPBundestagsfraktion hat gezeigt, dass in der letzten Legislaturperiode allein 110 Vorschriften des Einkommensteuergesetzes nicht nur einmal, sondern mehrfach geändert werden mussten und dass es sich in vielen Fällen um fehlerhaftes Handeln sowohl der Regierung als auch der Mehrheitsfraktionen gehandelt hat. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mein Bedauern zum Ausdruck bringen, dass es die Bundesregierung und insbesondere das Finanzministerium nicht für nötig halten, an der Beratung dieses 112 Seiten starken Lumpensammlers, den Sie hier vorlegen, teilzunehmen. ({0}) Im vorliegenden Gesetzentwurf sind beispielsweise Regelungen enthalten, um die Finanzverwaltung von Masseneinsprüchen zu entlasten, die dort in den letzten Jahren - das haben wir heute morgen im Finanzaus- schuss erfahren - in Waschkörben gesammelt worden sind, weil die Finanzverwaltung aufgrund der Regelun- gen, die Sie hier vorgeben, mit der Bearbeitung nicht hinterherkommt. Gesetzgeber und Rechtsprechung über- lasten Steuerzahler und Steuerverwaltung. Ergebnis ist Steuerwiderstand und Steuerfrustration der Menschen in diesem Lande. Uns liegt heute ein Bericht vor, der besorgniserregend ist und der die Anwesenheit eines Vertreters des Finanz- ministeriums zwingend notwendig machen würde. Hier geht es - Kollege Rzepka hat es deutlich gemacht - um zweistellige Milliardenbeträge, die jedes Jahr aufgrund von Karussellgeschäften bei der Umsatzsteuer am Fis- 1) Anlage 11 kus vorbeigehen. In einer Anhörung des Finanzausschusses über die Anhebung der Tabaksteuer haben die Sachverständigen zu Protokoll gegeben, dass eine solche Erhöhung, wie Sie sie vorsehen, nicht zu Mehreinnahmen, sondern zu mehr Kriminalität in diesem Lande führen wird. Bei der Umsatzsteuer hätten Sie die Möglichkeit, tatsächlich Mehreinnahmen zu erreichen, wenn Sie entsprechend konsequent handeln würden. Zwei Vorschläge dazu sind von der Opposition bereits gemacht worden. ({1}) Schließlich brauchen wir - das ist bereits angeklungen - mehr Steuervereinfachungen, also ein einfaches Steuerrecht mit niedrigen Steuersätzen. Es ist natürlich schön, wenn Herr Kirchhof nunmehr auch in der SPD Unterstützung mit seinen auf Vorschlägen der FDP beruhenden Ansätzen zu finden scheint. Das haben wir gestern, medial inszeniert, auch von Herrn Steinbrück gehört, der sich für Steuervereinfachungen ausgesprochen hat. Interessant ist, zu sehen, dass sich ein Ministerpräsident mit seiner rot-grünen Regierung, wenn es darum geht, Steuern etwa durch das Vorziehen einer Steuerreform zu senken, massiv gegen ein solches Vorziehen ausspricht und derselbe Ministerpräsident, der jetzt das Kirchhof-Modell propagiert, mit seiner rot-grünen Landesregierung massiv für eine Ausweitung der Gewerbesteuer eintritt, deren Abschaffung aber von Herrn Kirchhof zur Voraussetzung gemacht wird, um überhaupt zu der Steuervereinfachung zu gelangen, die in seinem Modell vorgesehen ist. ({2}) Deshalb rufen wir Ihnen zu: Etwas mehr Stringenz im Handeln! Etwas mehr Glaubwürdigkeit! Nehmen Sie sich die notwendige Zeit, damit im Parlament auch Gesetze vorgelegt werden, die wir nicht permanent nachbessern müssen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1562 und 15/1495 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2003 auf Drucksache 15/1562 soll zusätzlich an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Bürsch, Ludwig Stiegler, Klaus Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Werner Schulz ({1}), Katrin

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Öffentlich-private Partnerschaften - Drucksache 15/1400 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Die Redner Dr. Michael Bürsch, Dr. Michael Fuchs, Werner Schulz ({1}) und Otto Fricke haben ihre Re- den zu Protokoll gegeben. 1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1400 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überwei- sungen so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann 1) Anlage 12 ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ressortforschungseinrichtungen des Bundes regelmäßig im Hinblick auf internationale Qualitätsanforderungen an das deutsche Forschungssystem evaluieren - Drucksache 15/222 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Redner Dr. Carola Reimann, Helge Braun, HansJosef Fell und Christoph Hartmann ({4}) haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/222 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich wünsche den Besuchern sowie allen Kolleginnen und Kollegen ein schönes Wochenende und berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2003, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.