Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Heute feiert die Kollegin Brigitte Schulte ihren
60. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich ihr
herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
({1})
- Drucksache 15/1525 - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm,
Annette Widmann-Mauz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den
Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef
Parr, Dr. Dieter Thomae und der Fraktion der
FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen
Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung
- Drucksache 15/542 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von
Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung
- Drucksache 15/800 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von
Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung
- Drucksache 15/1071 - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems ({2})
- Drucksache 15/1170 -
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({3})
- Drucksachen 15/1584, 15/1600 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Helga Kühn-Mengel
Annette Widmann-Mauz
Dr. Dieter Thomae
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1586 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Otto Fricke
Waltraud Lehn
Dr. Michael Luther
Anja Hajduk
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung ({5})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Aufhebung der gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz
- zu dem Antrag der Abgeordneten Annette
Widmann-Mauz, Andreas Storm, Dr. Wolf
Redetext
Präsident Wolfgang Thierse
Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Für ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und
gestalten
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Mut zur Verantwortung - Für ein freiheitliches Gesundheitswesen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter
Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP
Zukunft gestalten statt Krankheit verwalten
- Drucksachen 15/652 ({6}), 15/1174, 15/1175,
15/1526, 15/1584, 15/1600 Berichterstattung:
Abgeordnete Helga Kühn-Mengel
Annette Widmann-Mauz
Dr. Dieter Thomae
Über den Gesetzentwurf zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen, wobei
die FDP neun Minuten erhalten soll.
({7})
- Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gudrun Schaich-Walch, SPD-Fraktion, das Wort.
({8})
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit gemeinsam dafür Sorge zu
tragen, dass die sozialen Sicherungssysteme auch in der
Zukunft die großen Lebensrisiken, die der Einzelne nicht
bewältigen kann, absichern. Deshalb machen wir Reformen, die auf die veränderten gesellschaftlichen und demographischen Rahmenbedingungen eingehen müssen.
Vor diesem Hintergrund bin ich sehr zufrieden, dass es
uns gelungen ist, an eine gute Tradition anzuknüpfen
und bedeutende Gesetzesvorhaben der Sozialpolitik
fraktionsübergreifend zu beschließen.
({0})
Die gesetzliche Krankenversicherung ist für unsere
Bürgerinnen und Bürger ein sehr wichtiges soziales Sicherungssystem. Sie gibt ihnen die Sicherheit, dass sie
bei Krankheit die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten, unabhängig von der Finanzkraft des Einzelnen. Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen werden
damit ihrer Verantwortung gegenüber Patienten, Versicherten, aber auch gegenüber den Beschäftigten im Gesundheitswesen gerecht.
Umso mehr bedauere ich es, dass die FDP im Laufe
des Verfahrens ausgestiegen ist. Sie zeigen damit, dass
Sie eine reine Klientelpartei sind.
({1})
Sie haben mit Ihrem Verhalten deutlich gemacht, dass
Ihnen die Gewinnmaximierung einzelner Gruppen wichtiger ist als die soziale Sicherheit der Bürgerinnen und
Bürger im Krankheitsfall.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz ist ein wichtiger Baustein der
Agenda 2010. Wir haben zwar in erster Linie die Gesundheitsversorgung, Prävention und Rehabilitation im
Blick, berücksichtigen aber auch die enorme Bedeutung
des Gesundheitswesens für den Arbeitsmarkt und die
wirtschaftliche Entwicklung.
Wir machen diese Reform, damit alle Versicherten
weiterhin die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten und am technischen Fortschritt in der Medizin
teilhaben können. Wir machen die Reform aber auch,
weil wir den Beschäftigten im Gesundheitswesen - sei
es den Angestellten, sei es denen, die als Freiberufler tätig sind - weiterhin einen verlässlichen Rahmen für ihre
Berufsausübung geben wollen.
({3})
Ich habe in den letzten Wochen immer wieder gehört,
es sei eine Reform von historischer Bedeutung, eine
Jahrhundertreform. Ich will das Ganze etwas niedriger
hängen. Ich glaube aber, dass dieses Gesetz eine entscheidende Reform bewirkt. Es wird allerdings - auch
davon bin ich überzeugt - nicht die letzte Reform sein;
denn Veränderungen in der Medizin und in der Gesellschaft werden dafür sorgen, dass wir unsere Gesundheitsversorgung diesen Veränderungen auch weiterhin
anzupassen haben.
Wir haben unser Gesundheitswesen aber nicht nur inhaltlich neuen Aufgaben anzupassen; wir haben auch auf
die finanzielle Seite zu achten. In diesen Zeiten ist das
oftmals die schwierigere Aufgabe. Durch die Beiträge in
der gesetzlichen Krankenversicherung stehen für die Gesundheitsversorgung jährlich 142 Milliarden Euro zur
Verfügung. Ich halte diese Mittel für ausreichend; ich
halte sie aber auch für notwendig, damit die Versicherten
die medizinisch notwendigen Leistungen erhalten.
Wir wissen, dass es zurzeit eine Einnahmeschwäche
in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt. Diese
ist für den Anstieg der Beitragssätze auf 14 Prozent und
14,3 Prozent mit verantwortlich. Ich bin davon überGudrun Schaich-Walch
zeugt: Wenn wir nicht handeln, dann ist nicht auszuschließen, dass der Beitragssatz zum Jahresende bei
15 Prozent liegt. - So viel zur finanziellen Seite.
Wir haben mit diesem Gesetz aber auch darauf zu reagieren, dass es nicht überall im Gesundheitswesen die
erforderliche Qualität und die notwendige Effizienz bei
der Leistungserbringung gibt. In dieser Hinsicht sind die
Leistungserbringer und die gesetzlichen Krankenkassen
in der Pflicht. Wer ein selbst verwaltetes und kein staatliches Gesundheitswesen will, der hat nicht nur die medizinische, sondern auch die wirtschaftliche Verantwortung für das Gesundheitswesen mitzutragen.
({4})
Alle sind jetzt aufgefordert, diejenigen Instrumente, die
ihnen das Gesetz bietet, dafür einzusetzen, dass im Gesundheitswesen Qualität verbessert, Effizienz gesteigert
und Wettbewerb - die FDP wollte ihn verhindern - stattfindet.
Alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung müssen - das haben wir versprochen - die notwendigen Leistungen erhalten können. Dies ist zu Zeiten
knapper Kassen ein schwieriger Anspruch; deswegen
haben wir uns auf verschiedene Lösungswege begeben.
Wir haben lange darüber diskutiert, welche die originären Aufgaben einer Krankenversicherung sind. Wir sind
dabei zu dem Schluss gekommen, dass es Leistungen im
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gibt, die nicht unbedingt dazugehören. Die Herausnahmen, zum Beispiel die des Sterbegelds, waren für uns
dennoch ein sehr schmerzlicher Prozess.
Etwas leichter getan haben wir uns mit der Tatsache,
dass unsere gesetzliche Krankenversicherung auch Leistungen erbringt, die an sich Gesellschaftsaufgaben sind,
zum Beispiel die Finanzierung des Mutterschaftsgeldes.
Künftig wird es so sein, dass die gesetzlichen Krankenkassen diese Leistungen zwar übernehmen; allerdings
werden sie aus Steuermitteln finanziert.
Zur Finanzierung aus Steuermitteln und zur Herausnahme von Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung ist als ein weiteres Instrument der Aufbau der
Selbstbeteiligung der Patienten hinzugekommen. Es ist
uns allen nicht leicht gefallen, die Zuzahlungen zu erhöhen und sie anders zu verteilen. Aber nach vielen Diskussionen und auch nach dem Studium von Umfragen
bin ich davon überzeugt, dass die Menschen eher bereit
sind, mehr zuzuzahlen, als dass sie bereit sind, auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung zu
verzichten. Darauf haben wir entsprechend reagiert.
Entgegen allen öffentlichen Behauptungen, dass die
Leistungserbringer nicht zur Finanzierung des Systems
herangezogen werden, möchte ich nochmals daran erinnern, dass wir im letzten Jahr mit der Verabschiedung
des Beitragsentlastungsgesetzes eine Belastung der
Leistungserbringer von 3,5 Milliarden Euro beschlossen
haben und dass wir sie auch mit diesem Gesetz - allein
die Pharmaindustrie wird mit 1,5 Milliarden Euro belastet - hinzugezogen haben.
Neben dieser finanziellen Diskussion - ich weiß, dass
die Zuzahlungen viele Menschen eher beschäftigen als
die strukturellen Instrumente - müssen wir aber auch
sehr deutlich darauf hinweisen, dass es uns gelungen ist,
eine Reihe von Strukturmaßnahmen zu verwirklichen.
Wir hatten uns zwar mehr vorgestellt. Wir haben aber einen Teil unserer Forderungen durchsetzen können. Ich
glaube, mittel- und langfristig werden die Möglichkeiten, die wir geschaffen haben, unsere Gesundheitsversorgung verbessern, die Qualität erhöhen und dabei helfen, das Gesundheitswesen transparenter zu machen.
({5})
Uns allen, die heute abstimmen, ist es bewusst, dass
der vorliegende Gesetzentwurf ein Kompromiss ist, der
hart erarbeitet wurde und der niemandem leicht gefallen
ist. Inhalte, die uns wichtig sind, mussten wir aufgeben.
Andere Veränderungen, wie zum Beispiel beim Zahnersatz, mussten um des Kompromisses willen aufgenommen werden. Jede Verhandlungsseite hat Zugeständnisse
gemacht. Alle haben die Bereitschaft mitgebracht, über
die eigenen Vorstellungen hinaus neue Lösungswege zu
eröffnen und damit die notwendigen Veränderungen einzuleiten. In diesem Licht ist den Vertretern der Fraktionen und der Bundesländer, wie ich meine, ein fairer
Kompromiss gelungen, der für die Versicherten im Gesundheitswesen gut ist und der zur Weiterentwicklung
unseres Gesundheitswesens beitragen wird.
Ich finde, dass das, was wir im Bereich der Finanzierung und der Strukturveränderungen im Gesundheitswesen vorgelegt haben, ermöglichen wird, dass sich unser
Gesundheitswesen den zukünftigen Veränderungen anpassen kann. Allerdings muss ich auch sagen: Vor dem
Hintergrund der demographischen und medizinischtechnischen Entwicklung halte ich es für notwendig,
eine Diskussion über die langfristige Ausgestaltung der
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu
beginnen. Dieser Diskussionsprozess sollte aber in keinem Fall darüber hinwegtäuschen, dass das, was wir an
Veränderungen im Gesetz vornehmen mussten, notwendig ist und erst die Basis für eine neue Finanzierung der
gesetzlichen Krankenversicherung schafft.
Wir haben in Zukunft als Erstes auf die Umsetzung
des Gesetze zu achten und müssen als Zweites eine solide Diskussion über weitere Veränderungen führen. Dabei sind meiner Meinung nach verschiedene Elemente zu
bedenken: Wie soll der Kreis der versicherten Personen
aussehen? Welche Einkommen sollen zur Bemessung
herangezogen werden? Wie steht es um die paritätische
Finanzierung? Egal wie die Diskussion verlaufen wird:
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Elemente der
solidarischen Krankenversicherung - Junge für Alte,
Gesunde für Kranke, Singles für Familien, höhere Einkommen für niedrige Einkommen - in keinem Fall infrage gestellt werden dürfen.
({6})
Es sind immens wichtige gesellschaftspolitische Fragen, die wir nicht in einem Schnellschuss beantworten
können, sondern die wir in einer langen, gründlichen und
ruhigen Diskussion erörtern müssen. Deshalb hoffe ich,
dass wir nach einer guten gesellschaftlichen Diskussion
zu tragfähigen Lösungen kommen werden und dass es
uns - falls es notwendig ist - wieder gelingen wird, mit
einer sehr breiten Mehrheit im Parlament die entsprechenden Veränderungen vorzunehmen.
({7})
Ich erteile das Wort Kollegen Wolfgang Zöller, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ganz gleich bei welcher Veranstaltung man
momentan auftritt, die erste Frage ist immer wieder: Warum habt ihr da eigentlich überhaupt mitgemacht? Sicherlich wäre es für die CDU/CSU-Fraktion wesentlich
einfacher und bequemer gewesen, die Konsensgespräche
abzulehnen und die politische Mitverantwortung in diesem Bereich einfach zu verweigern.
({0})
Wir standen vor der Entscheidung, aus parteifaktischen
Gründen das Gesundheitssystem gegen die Wand fahren
zu lassen oder mitzugestalten. Das Aussteigen wäre aus
unserer Sicht unverantwortlich gewesen, zumal sehr
große Teile der Reform im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig sind und wir somit überhaupt keine Gestaltungsmöglichkeiten gehabt hätten.
({1})
Ich gebe zu: Etliche Einzelregelungen sind aus unserer Sicht nicht ganz logisch.
({2})
Das ist jedoch der Preis eines Kompromisses. Vielen von
unseren Kolleginnen und Kollegen fällt ist nicht leicht,
diesem Kompromiss zuzustimmen. Es gehört aber dazu,
glauben wir, um der Zusammengehörigkeit willen den
einen oder anderen Kompromiss mitzutragen, auch
wenn er mit der eigenen Überzeugung nicht 100 Prozent
übereinstimmt.
An der Dringlichkeit und Notwendigkeit dieser Reform gibt es keine Zweifel. Die Beitragssätze sind die
höchsten seit Bestehen der Bundesrepublik und trotz dieser hohen Beitragssätze steigt die Verschuldung der gesetzlichen Krankenversicherung. Würden wir nichts tun,
würden wir zum Ende des Jahres Beitragssätze von mehr
als 15 Prozent haben.
Diese Entwicklung musste unterbunden werden. Dabei waren bestimmte Zielvorgaben zu erfüllen. Um ein
positives Signal für mehr Arbeitsplätze zu setzen, mussten die Beitragssätze gesenkt und musste der Weg aus
der Verschuldung der Kassen begonnen werden. Darüber
hinaus brauchen alle am Gesundheitswesen Beteiligten
endlich einmal wieder Planungssicherheit über mehrere
Jahre.
({3})
Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um Entscheidungen über Investitionen und über Personalplanung treffen zu können.
Die Solidarität ist in unserem System auch nach der
Reform ein ganz wesentlicher Punkt; sie wird allerdings
durch mehr Eigenverantwortung flankiert. Lassen Sie
mich auch an dieser Stelle klarstellen: Eigenverantwortung bedeutet wesentlich mehr als nur erhöhte Zuzahlungen.
({4})
Die Stellung der Patienten musste gestärkt werden. Darüber hinaus waren wir bemüht, in dieser Reform Qualitätssteigerungen, ein Mehr an Transparenz und Effizienz
zu erreichen, weil wir das als unverzichtbar ansehen;
denn auch langfristig soll allen Bürgerinnen und Bürgern
eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung zur
Verfügung stehen - unabhängig von Alter oder Einkommen.
Selbstverständlich provozieren derartige Reformen
Widerspruch und heftige Kritik. Die Diskussion darüber
wird allerdings nicht immer von rein sachlichen Überlegungen geleitet. Ich möchte einige Punkte ansprechen.
Die Kritiker sagen: Die Konsenslösung enthält zu wenig reformerische Ansätze. Gleichzeitig bekommen wir
in dieser Woche Briefe des Inhalts: Diese Reform verändert die Strukturen total. - Eines von beiden kann ja
wohl nur zutreffen. Dass zukünftig erstmals versicherungsfremde Leistungen nicht mehr beitrags-, sondern
steuerfinanziert werden, ist allein schon ein zentraler
Schritt in die richtige Richtung.
({5})
Kritiker sagen weiter: Zuzahlungen belasten Kranke
über Gebühr. - Auch dies geht an der Realität vorbei.
Das gewählte Zuzahlungssystem ist sozial ausgewogen.
Niemand wird überfordert, da wir klar definierte
Höchstbelastungsgrenzen vorsehen: 2 Prozent des Bruttoeinkommens, bei chronisch Kranken 1 Prozent des
Bruttoeinkommens. Außerdem gibt es noch die Sonderregelung für Familien mit Kindern, nämlich Freibeträge,
die besondere Rücksicht auf die Situation der Familien
nehmen.
({6})
Zuzahlungen sollen auch verhaltenssteuernd wirken und
sind die sozial verträglichere Alternative zur Leistungsausgrenzung.
Kritiker sagen des Weiteren, die Übertragung der Absicherung des Zahnersatzes in die finanzielle VerantworWolfgang Zöller
tung des Patienten sei unzumutbares Abkassieren. Auch
das trifft so nicht zu. Das Versicherungsrisiko Zahnersatz
auf neue Finanzierungsgrundlagen zu stellen war bestimmt nicht leicht. Für den Versicherten ist damit jedoch
auch mehr Wahlfreiheit verbunden. Er kann den Leistungsumfang durch sein eigenes Verhalten wesentlich
mitbestimmen. Er kann künftig selbst entscheiden, ob er
sich in der gesetzlichen oder in der privaten Kasse versichern will. Die befundorientierten Festzuschüsse ermöglichen ihm auch künftig die Teilhabe am gesamten therapeutischen Leistungsspektrum der Zahnmedizin. Das
Nebeneinander von gesetzlicher und privater Versicherung fördert auch den Wettbewerb der beiden Systeme.
Weiter wird gesagt, die Patientenrechte würden nicht
gestärkt. Auch dies ist falsch. Wir stärken die Patientenrechte wesentlich durch die Einführung qualifizierter
Mitspracherechte sowie die Einbindung von Selbsthilfeorganisationen und die Schaffung eines Patientenbeauftragten.
Die Transparenz wird gefördert durch die Einführung
der Möglichkeit einer Kostenerstattung, der Patientenquittung und nicht zuletzt einer intelligenten Chipkarte,
die dazu beiträgt, dass Missbrauch wesentlich begrenzt
wird, und gleichzeitig für den Patienten mehr Sicherheit
im Rahmen der Therapie bedeutet. Damit gehört der
Dauerbrenner unnötige Doppeluntersuchungen dann
endlich der Vergangenheit an.
Großen Wert legen wir darauf, dass trotz der strukturellen Reformen die Freiberuflichkeit, die für uns einen
Garanten für Qualität, freie Arzt- und Krankenhauswahl
sowie Therapiefreiheit darstellt, geschützt wird.
({7})
Besonders froh sind wir, dass die Leistungen für
künstliche Befruchtung nicht komplett aus dem Leistungskatalog herausgenommen wurden. Mittels dieser
Therapieform kamen im letzten Jahr in Deutschland immerhin 12 000 Kinder zur Welt. Bedauerlicherweise
konnten wir uns nicht auf eine niedrigere Arzneimittelkostenzuzahlung für künstliche Befruchtung einigen.
Das Regelungswerk, das insbesondere die Apotheker
betrifft, war einer der am schwierigsten zu verhandelnden Bereiche. Wir wollten die hochwertige und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nicht aufs Spiel setzen. Angesichts der sich
abzeichnenden Rechtsprechung des EuGH zum Versandhandel auf dem Arzneimittelsektor haben wir die Chance
genutzt, politische Rahmenbedingungen vorzugeben, die
einen ruinösen Wettbewerb verhindern und gleichzeitig
die Arzneimittelsicherheit schützen sollen. Auch die Bildung von Apothekenketten werden wir damit verhindern
können, da die Eröffnung von bis zu drei Filialapotheken
einer strikten regionalen Begrenzung unterliegt.
Darüber hinaus konnte Einigkeit über die herausragende Wertigkeit der Prävention erzielt werden. Ich
glaube, wir sind uns alle einig, dass in Deutschland zu
viel Geld für die kurative Medizin und zu wenig Geld
für die Verhinderung von Krankheiten ausgegeben wird.
({8})
Rund 30 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen
entstehen dadurch, dass wir in Deutschland uns verkehrt
ernähren und zu wenig bewegen. - Sie brauchen mich
jetzt nicht alle anzuschauen; ich weiß, dass ich zu dick
bin.
({9})
Wenn wir diese Kosten einsparen könnten, hätten wir
zum Beispiel einen größeren Spielraum für innovative
Arzneimittel und könnten die Altersproblematik in
Deutschland leichter bewältigen. Vor rund fünf Jahrzehnten waren nur halb so viele Menschen über 60 Jahre
alt wie heute. Gleichzeitig gab es doppelt so viele Menschen unter 20 Jahren wie heute. Diesem demographischen Wandel müssen wir gerecht werden. Deshalb begrüßen wir es ausdrücklich, dass in dem gemeinsamen
Entschließungsantrag, den wir heute verabschieden, der
Prävention wieder mehr Gewicht gegeben werden soll.
({10})
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass
diese Reform im Gesundheitswesen nicht die Missstände
beheben kann, die auf dem Arbeitsmarkt entstanden sind
und durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik nicht korrigiert werden. Ich möchte mir nach drei oder vier Jahren
nicht anhören müssen, dass wir, weil die Einnahmeseite
noch mehr weggebrochen ist, unser Ziel der Beitragssatzsenkung nicht erreicht hätten.
Ich möchte abschließend an alle Akteure im Gesundheitswesen den Appell richten, das jetzige Reformpaket
umzusetzen und nicht mit Debatten um weiter gehende
Reformen die Bürger und die Leistungserbringer zu verunsichern.
({11})
Auch Zukunftsmodelle, mit denen wir uns alle rechtzeitig auseinander setzen müssen, machen diese Reform
nicht überflüssig. Wenn wir jetzt die Diskussion darüber
zu sehr intensivieren, könnte es passieren, dass die Beteiligten sagen, sie bräuchten diese Reform nicht so ernst
zu nehmen, da ja bald etwas anderes komme. Wir sind
darauf angewiesen, dass erst diese Reform umgesetzt ist,
bevor wir überhaupt die Möglichkeit haben, Beitragssatzsenkungen vorzunehmen. Jetzt muss zunächst auf
der Basis dieser Reform gehandelt werden. Diskutieren
über die Zukunft entbindet niemanden davon, das in die
Tat umzusetzen, worüber wir heute zu entscheiden haben.
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort Kollegin Birgitt Bender,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den
letzten Wochen haben wir des Öfteren gehört, die Gesundheitsreform habe in der Form, wie sie jetzt auf dem
Tisch liege, eine soziale Schieflage. Versicherte und Patienten würden abgezockt, während bei Ärzten, Apothekern und der Pharmaindustrie die Sektkorken geknallt
hätten. Dazu ist zu sagen, dass die Koalitionsfraktionen
bereits im letzten Jahr mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz den Leistungserbringern einen Sparbeitrag von
3,5 Milliarden auferlegt haben. Wer glaubt, dass bei dieser Reform die Leistungserbringer einfach verschont
worden seien, den lade ich herzlich ein, einmal in mein
Büro zu kommen. Dort möge man sich durch den ziemlich hohen Stapel von Briefen der Pharmaindustrie wühlen, in denen sie einhellig beklagt, dass sie mit dem ihnen auferlegten Rabatt in den Ruin getrieben würden.
Ich teile diese Sorge nicht, denke aber, dass man daran
sehen kann: Ungeschoren kommt bei dieser Reform niemand davon. Das ist auch richtig so.
({0})
Ich will weiterhin festhalten: Die höheren Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen, die Patienten und Versicherte zu leisten haben, fließen nicht in die Kassen der
Leistungserbringer. Hier geht es nicht darum, dass frisches Geld ins System kommt, wie es sich manche
Funktionäre aufseiten der Leistungserbringer wünschten, sondern hier geht es um Beitragssenkungen. Wir
hätten, wenn wir keine gemeinsame Reform gemacht
hätten - was von unserer Reform im Vermittlungsausschuss des Bundesrates übrig geblieben wäre, das will
ich lieber nicht wissen -, am nächsten Ersten des Jahres
einen durchschnittlichen Beitragssatz von 15 Prozent.
Die Beiträge wären gestiegen; jetzt hingegen werden sie
sinken. Das ist eines der wesentlichen Ziele dieser Reform.
({1})
Wir sorgen damit auch dafür - dieses will ich ebenfalls deutlich sagen -, dass niemandem medizinische
Leistungen vorenthalten werden und dass alle Menschen
auch in Zukunft sicher sein können, die Behandlung zu
erfahren, die sie tatsächlich brauchen.
Ich sage noch eines: Akzeptanz bei den Versicherten
für höhere Eigenanteile wird letztlich nur dann entstehen und bestehen bleiben, wenn klar ist, dass höhere Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen zwar ein notwendiger Bestandteil der Reformstrategie sind, aber nicht der
einzige Bestandteil der Reformstrategie. Diejenigen, die
jetzt den Eindruck erwecken, dass hinter höheren Zuzahlungen in Wirklichkeit die Absicht steckt, einen Systemwandel herbeizuführen, der hin zu einer Privatisierung
der Krankheitsrisiken führt, werden politisch scheitern.
({2})
Gerade die jetzigen Belastungen dürfen kein Weg in
die Privatisierungsorgie sein. Sie sind nicht der Einstieg
in den Ausstieg aus dem Solidarsystem. Manchem in
diesem Hause sei gesagt, dass Diskussionen, die den
Eindruck erwecken, dies sei der Weg, in die Privatisierung des Krankheitsrisikos, die Akzeptanz des Reformkompromisses untergraben.
({3})
Zusätzliche Belastungen für Versicherte und Patienten verlangen immer ein überzeugendes Gesamtkonzept.
Sie verlangen eine Gesundheitspolitik, die die Ausgabensteuerung über die Schaffung effizienter und effektiver Strukturen betreibt. Dazu gehören Rahmenbedingungen, um die legitimen wirtschaftlichen Interessen der
Leistungsanbieter mit dem allgemeinen Interesse am effizienten und kostengünstigen Gesundheitssystem zu
verbinden. Das Instrument dazu - davon sind wir überzeugt - ist als das bestimmende Prinzip der Wettbewerb
unter den Anbietern von Gesundheitsleistungen.
Dazu leistet der Gesetzentwurf einiges: im Arzneimittelbereich mit der Einführung des Versandhandels, mit
der - wenngleich begrenzten - Aufhebung des Mehrbesitzverbotes und mit der Preisfreigabe für verschreibungsfreie Arzneimittel, im Vertragsbereich mit der
Aufwertung von Einzelverträgen in der integrierten und
der hausärztlichen Versorgung, beim Versorgungsangebot mit der Zulassung neuer Leistungsanbieter, wie etwa
Gesundheitszentren.
Trotzdem - das sage ich auch für die Grünen in aller
Deutlichkeit - bleibt der Gesetzentwurf hinter dem Koalitionsentwurf zurück. Es ist nicht gelungen, die Ablösung des Kollektivvertragssystems gegen den Widerstand der Union durchzusetzen. Leider bleiben die
Kartelle der Ärzte bestehen. Auch im Bereich des Arzneimittelhandels bleibt die gerade auf unseren Druck erzielte Öffnung hinter den Reformnotwendigkeiten zurück. Kurz und gut: Es bleibt noch etliches zu tun und
Sie können sich darauf verlassen, dass wir weiter darum
kämpfen werden.
({4})
Ein Gesamtkonzept in der Gesundheitsreform verlangt auch eine Finanzreform. Wir haben jetzt viel auf
der Ausgabenseite getan. Aber wir wissen auch, dass
der demographische Wandel, der medizinisch-technische Fortschritt und die sinkende Lohnquote eine
Schwächung der Finanzierungsbasis herbeiführen. Deswegen stellt sich die Frage, wie wir dieses System insgesamt - auch über den jetzigen Zeithorizont hinaus zukunftsfähig machen.
Wir müssen berücksichtigen, dass die Quote der Vermögenseinkünfte am Volkseinkommen in den letzten 20
Jahren zugelegt hat. Dies wird mit dem Aufbau privater
Altersvorsorge auch weiter der Fall sein. Daher ist es nur
konsequent, wenn man alle Einkunftsarten in die Beitragsbemessung des Solidarsystems einbezieht. Deswegen treten wir Grünen für die Weiterentwicklung der
gesetzlichen Krankenversicherung zur BürgerversicheBirgitt Bender
rung - eine Versicherung, in der alle Bürger und Bürgerinnen mit allen Einkommensquellen versichert sind und
in der die gleichen Spielregeln für alle gelten - ein.
({5})
Abschließend möchte ich noch sagen: Wir stehen mit
dem Gesundheitskompromiss vor einem Problem, das
für auf langfristige Wirkung angelegte Politik gar nicht
so untypisch ist. Die zusätzlichen Belastungen für die
Versicherten sind sofort spürbar, die positiven Auswirkungen auf die Strukturen hingegen sind erst mittelfristig sichtbar. Deswegen müssen die Menschen wissen,
wohin die Reise geht. Sie müssen wissen, dass es nicht
darum geht, das Solidarsystem auf einen Torso zu reduzieren, wie es die Herren von der FDP wollen.
({6})
Wir brauchen ein Reformkonzept, in dem Selbstverantwortung, solidarische Wettbewerbsordnung und gerechte Finanzierung miteinander verbunden werden.
Dann sind die Versicherten bereit, belastende Reformmaßnahmen mitzutragen.
Darin liegt unsere politische Verantwortung. Ich sage
das an die Adresse all derer gerichtet, die an dem Reformkompromiss beteiligt sind. - Herr Zöller, Sie sehen
mich an. Diese politische Verantwortung sollten wir alle
ausfüllen. Alle sollten sich überlegen, wie sie das tun.
Danke schön.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang
Gerhardt, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
wissen, dass die umlagefinanzierten Versicherungssysteme an ihre Grenze gekommen sind. Klaus von Dohnanyi
hat es präzise ausgedrückt: Sie haben sich in Deutschland
immer mehr als Barriere gegen Arbeitsplätze entwickelt
und damit haben sie genau das Gut zerstört, das wir brauchen.
({0})
Wir alle wissen, dass eine strukturelle Reform unumgänglich ist. Aber ich sage am Ende dieser Debatte:
Nicht eine Zwangsversicherung für alle als reine Geldbeschaffung durch weitere Beitragszahler wird das Gesundheitssystem retten, sondern nur ein klarer Umbau
zu einer kapitalgedeckten Versicherungsform mit
ernsthaften Wahlmöglichkeiten für die Bürgerinnen und
Bürger selbst.
({1})
In dem vorliegenden Gesetzentwurf von SPD, Grünen
und CDU/CSU wird das nicht getan. In ihm wird nach
Überzeugung der FDP noch nicht einmal ein geeigneter
Versuch unternommen. Er ist durch tiefes Misstrauen gegenüber den Gesundheitsberufen geprägt. In ihm wird
weiter reguliert. Wirtschaftlichkeitsprüfungen werden
verschärft, umfangreiche Verordnungskontrollen werden
festgelegt und Regressandrohungen sowie Fortbildungskontrollen sind vorgesehen.
({2})
Das ist kein freiheitlicher Entwurf.
({3})
Er sieht Zwangsfusionen vor und beinhaltet die Vorgabe
hauptamtlicher Vorstände. Er sieht ein Mitbestimmungsrecht der Krankenkassen bei originären Aufgaben der
ärztlichen Selbstverwaltung vor. Das führt zu mehr Staat
und zu weniger Selbstverantwortung. Das kann nicht der
richtige Weg sein.
({4})
Bei der Zahnmedizin wird ein einziger zaghafter
Versuch des Umsteuerns in kapitalgedeckte Versicherungsformen gemacht. Private Unfälle und das Krankengeld - beides hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung erwähnt - bleiben außen vor. Der
Versuch umzusteuern ist nicht gelungen. Beim Zahnersatz ist er weder für die Patienten noch für die Zahnärzte noch für die PKV, ja noch nicht einmal für die gesetzliche Krankenversicherung akzeptabel und
ordentlich gemacht.
Die kontraproduktive Erhöhung der Tabaksteuer wird
nicht zu den geplanten Einnahmen führen; das sagt Ihnen jeder. Die Herausnahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel wird mit Sicherheit zu Substitutionseffekten führen. Die Mehrkosten der elektronischen
Krankenversicherungskarte sind nicht eingerechnet,
ebenso nicht die Verlagerung der Kosten für die Behandlungspflege in Heimen von der Pflegeversicherung zur
Krankenversicherung. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs kommt hinzu.
Die Einnahmeverbesserungen, die Sie sich errechnet
haben, tragen nicht. Die Anhörung in dieser Woche hat
Sie doch davon überzeugen müssen, dass das Finanztableau noch nicht einmal auf Kante genäht ist. Ihre Vorhaben werden zu keinen Beitragssenkungen führen.
({5})
Ihr Reformkonzept wird keine deutliche Absenkung der
Beitragssätze bewirken, jedenfalls nicht für länger als
ein Jahr. Aber man unternimmt doch nicht eine solche
Anstrengung, wenn man damit die Finanzierungsbedingungen nicht länger als ein Jahr sicherstellen kann! Das
sehen eigentlich auch Sie.
({6})
Nun machen die Grünen ein neues Angebot: die
Bürgerversicherung.
({7})
Sie findet auch bei der SPD und der CDU/CSU Anhänger. Ich sage Ihnen: Sie wird unser Gesundheitswesen
nicht retten; sie ist ein reines Kartell mit Zwangskundschaft.
({8})
Sie dient schlicht der Geldbeschaffung und ist der Verzicht auf Wahlfreiheit und echte Reformen. Sie ist ein
einzigartiges Entmündigungsprogramm im Hinblick auf
Wahlmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger.
({9})
Das sagt Ihnen nicht nur ein Vertreter der Freien Demokraten, auch Hans Barbier, ein großartiger Journalist,
beschreibt es treffend in der „FAZ“. Er sagt: Wenn die
Bürger der Bundesrepublik noch Bürger sind, dann müssen sie sich gegen diese Zwangsveranstaltung mit Argumenten im intellektuellen Wettstreit der Konzepte und
mit dem Stimmzettel am Tage von Wahlen zur Wehr setzen. - Der Mann hat Recht, meine Damen und Herren.
({10})
Notwendig ist nach unserer Überzeugung ein wirklicher struktureller Umbau im Gesundheitswesen. Diesen
will ich in der Kürze der Zeit beschreiben; denn niemand
sollte hier im Unklaren darüber gelassen werden, dass es
zu diesem Gesetzentwurf ernsthafte, verantwortungsbewusste Alternativen gibt.
({11})
Jeder Umbau, der auf mehr Wahlfreiheit abzielt, setzt
zunächst einmal deutliche Steuersenkungen voraus;
denn wenn man die Menschen dazu auffordert, mehr private Verantwortung zu übernehmen, dann muss man ihnen netto mehr belassen, damit sie die Verantwortung
wahrnehmen können.
({12})
Damit sollte die Diskussion beginnen. Ich bin dankbar,
dass heute in der Presse zu lesen ist, dass auch der frühere Bundespräsident Herzog genau das empfiehlt.
Folgender Weg ist der Ehrlichkeit halber erforderlich:
die klare Ausgliederung von abgrenzbaren Leistungskomplexen. Die Ausgliederung des Krankengeldes, der
Zahnmedizin und der Unfallversicherung wäre ein Einstieg gewesen.
({13})
Wenn Sie die Senkung von Lohnzusatzkosten und damit
mehr Arbeitsplätze für die junge Generation erreichen
wollen, dann müssen Sie solch einen strukturellen Umbau vornehmen. Nur dann macht er Sinn.
({14})
Sie müssen sich der schweren Aufgabe - sie ist nicht
leicht; aber was ist schon leicht? - unterziehen, einen
Pflichtleistungskatalog für die gesetzliche Krankenversicherung zu entwerfen. Er muss auf klar abgrenzbare
Bereiche und strukturelle Reformen abzielen. In
Deutschland wird immer von Beschäftigungsdynamik
geredet. Um sie zu erreichen, muss man die Lohnzusatzkosten und damit den Arbeitgeberanteil - er soll als
Lohnbestandteil ausgezahlt werden - begrenzen.
({15})
Die Bürgerinnen und Bürger sind erwachsen. Sie können
selbst entscheiden, bei wem sie sich versichern. Das ist
echte Wahlfreiheit.
Frau Kollegin Schaich-Walch, ich möchte Ihnen sagen: Hüten Sie sich vor dem Vorwurf uns gegenüber!
Wer Wettbewerb auf der Seite der Ärzte will, der muss
auch Wettbewerb auf der Seite der Versicherungen anbieten, sonst ist er nicht fair.
({16})
Wenn Sie Einzelverträge mit Ärzten wollen, dann hören
Sie mit der dauernden Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf, wodurch Sie die gesetzlichen Krankenversicherungen fast zu Monopolanbietern machen, die
dann mit dem Abschluss eines Einzelvertrages entscheiden können, ob die freiberufliche Existenz eines Arztes
oder einer Ärztin überhaupt noch bestehen kann. Wettbewerb - er muss fair sein - muss auf beiden Seiten herrschen.
({17})
Wenn wirklicher Wettbewerb herrschte und die Patientinnen und Patienten - die Bürgerinnen und Bürger wirklich darüber entscheiden könnten, bei wem sie ihrer
Pflicht zur Versicherung nachkommen, dann - ich wage
die Prognose - wäre die Perspektive für Beitragsstabilität - für Beitragssenkungen - deutlich besser als nach
dem halben Schritt, der in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist.
({18})
Eine solche Reform wäre eine klare Antwort auf das
Beschäftigungsproblem in Deutschland. Nur sie böte
überhaupt die Chance, die Lohnzusatzkosten zu begrenzen und der jungen Generation wieder eine Perspektive zu geben. Sie würde den Menschen wieder ihr verfassungsmäßiges Recht einräumen, frei wählen zu
können. So könnte ein wirklicher Wettbewerb ausgelöst
werden.
({19})
Solch eine Reform stellt eine große Anstrengung dar. Sie
muss auch gegen viele durchgesetzt werden. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt aber zu Recht:
Schlimm ist, wenn das Volk den Eindruck gewinnt,
bei den Reformen gehe es nur um Opfer - so wie
bei der Gesundheitsreform, ausgehandelt von einer
SPD-Ministerin und einem CDU/CSU-Abgeordneten, die zwar für die Patienten mehr Einschnitt
bringt, die aber alle Schritte zugunsten von mehr
Wahlfreiheit und Effizienz erst einmal blockiert.
Der Wähler muss darauf vertrauen können, dass die
ganzen Opfer einen Sinn haben.
Das ist des Pudels Kern.
Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger - bei
den Problemen, die sie erkennen - im Zusammenhang
mit dem Umbau der Gesellschaft bereit sind, Anstrengungen auf sich zu nehmen; aber sie möchten bezogen
auf das Konzept Licht am Ende des Tunnels sehen. Sie
aber sagen nicht, warum das unternommen werden
muss. Das ist der Punkt.
Die Notwendigkeit struktureller Veränderungen war
der Ausgangspunkt von Verhandlungen. Sie sollten eigentlich endlich einmal das Fundament dafür schaffen,
dass nicht ein weiteres kleines Reparaturgesetz an zehn
beschlossene Reparaturgesetze angehängt wird. Das
wird nun aber wieder getan.
Sie sprechen selbst schon wieder mit großer Mühe davon, dass Sie 2006 den großen Wurf machen wollen. Ich
habe nicht die Hoffnung, dass Rot-Grün in dieser Frage
einen großen Wurf schafft. Sie haben zu viel Angst vor
der freien Entscheidung der Bürger. Sie regulieren lieber.
Wenn Sie aber diese Grundhaltung beibehalten, dann
kann das nichts werden.
({20})
Mit dem Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung, dessen Entwurf uns vorliegt, wird
der unüberschaubaren Anzahl von Reparaturgesetzen ein
weiteres hinzugefügt. Schade, dass eine große Chance
vergeben worden ist. Dieses Gesetz verdient seinen Namen nicht. Die Bundestagsfraktion der FDP wird ihm
nicht zustimmen.
Herzlichen Dank.
({21})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Petra Selg, Bündnis 90/Die Grünen.
Lieber Herr Gerhardt, die Lobby klatscht. Anders
kann ich es nicht nennen. Die Vorstellungen, die Sie
eben vorgetragen haben, sind unerträglich. Bis zur Verabschiedung der Eckpunkte waren Sie an dieser Gesundheitsreform doch beteiligt! Sie hatten die Chance, Solidarität zu beweisen und bei dieser wirklich schwierigen
Reform mitzustimmen. Das einzige aber, was Sie und
Ihre Partei getan haben, war, die Menschen zu verunsichern, indem Sie immer nur davon gesprochen haben,
wir wollten eine Zwangsversicherung einführen, wollten
eine Einheitskasse usw. Ich glaube, Sie leiden vielmehr
an Zwangsvorstellungen!
({0})
Sie wollen keinen fairen Wettbewerb. Das einzige, was
Sie wollen, ist eine Förderung Ihrer Klientel, und das auf
dem Rücken der sozial Schwachen in unserer Gesellschaft und auf dem Rücken der Kranken.
({1})
Ihr Finanztableau war nicht nur auf Sand gebaut - das
wäre zu vorsichtig formuliert -, Ihre Wünsche waren
überhaupt nicht finanzierbar. In Ihren blumigen Vorträgen haben Sie hier einen Katalog an Wünschen vorgetragen; ich nenne nur die Wendungen „Mut zur Verantwortung“, „freiheitliches Gesundheitswesen“, „Zukunft
gestalten statt Krankheit verwalten“. Das sind nur lauter
Sprüche, ohne Inhalt und ohne solide Finanzierung. Sie
wollen weiter, dass der halbe Mehrwertsteuersatz auf
Arzneimittel abgesenkt wird - das will ich natürlich
auch -, nur taucht in keiner Ihrer Vorlagen ein Vorschlag
zur Gegenfinanzierung auf. Sie betreiben Verunsicherung. Das, was Sie fordern, ist unsolide. Bei den von Ihnen vorgeschlagenen Reformen sagen Sie nicht, wie Sie
auch nur irgendetwas davon finanzieren wollen. Graf
Lambsdorff hat einen guten Vorschlag gemacht. Hätten
Sie nur auf ihn gehört!
({2})
Sie haben eine Chance vertan, im Deutschen Bundestag gemeinsam, über Parteigrenzen hinweg, einer fairen
und soliden Gesundheitsreform zuzustimmen. Schade,
dass Sie diese Chance vertan haben!
({3})
Kollege Gerhardt, Sie haben das Wort.
Verehrte Kollegin, man merkt an der Art Ihrer Einlassung, dass Sie der Vorwurf trifft, die Grünen würden mit
der Bürgerversicherung schlichtweg ein Modell zum
Geldabkassieren vertreten. Darum geht es bei dieser
Auseinandersetzung.
({0})
In einer solchen Debatte muss die Öffentlichkeit den
Kern der Auseinandersetzung erfassen können; er muss
für sie verständlich sein. Der Kern ist: Sie, die Grünen,
machen auf Trippelschritten kleine Reparaturgesetze,
obwohl Sie den großen politischen Anspruch haben, Sie
seien eine Reformpartei in Deutschland.
({1})
Sie verweigern den Bürgerinnen und Bürgern ganz
entschieden wirkliche Selbstbestimmung und Wahlfreiheit.
({2})
Sie vergrößern auf der einen Seite die Bedeutung der gesetzlichen Krankenkassen und fordern auf der anderen
Seite bei anderen den Abschluss von Einzelverträgen
ein. Ihr Außenminister, Joschka Fischer, schlägt als Modell der Grünen zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen in einem freiheitlichen Staat ein Zwangskollektiv vor. Ich kann Sie nur ermuntern, diese Diskussion
fortzuführen. Wir freuen uns darauf.
Ich nenne Ihnen noch einmal kurz unsere Alternative.
In einem freiheitlichen Staat mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung sollten diejenigen auf der Nachfrageseite
die Entscheidung treffen. Deshalb vertritt die FDP ein
Modell, das das glatte Gegenteil von Ihrem Modell ist,
und stimmt deshalb Ihrem Gesetzentwurf auch nicht zu.
Die Bürgerinnen und Bürger selbst müssen mit mehr
Netto im Portemonnaie und einer Belohnung ihrer Leistung an die Stelle der Nachfrager gesetzt werden. Eine
Diskussion darüber kann ruhig öffentlich ausgetragen
werden.
({3})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Kirschner,
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
möchte ich darauf hinweisen, dass bezüglich des Entschließungsantrages Folgendes ins Protokoll aufgenommen werden muss: „angenommen mit den Stimmen der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses
90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion der
FDP“. Herr Präsident, ich bitte Sie, das mit ins Protokoll
aufzunehmen.
Herr Kollege Dr. Gerhardt, die FDP ist aus den Konsensgesprächen ausgestiegen und jetzt reden Sie hier von
mehr Wettbewerb. Ich frage mich, wo Ihre Forderungen
nach mehr Wettbewerb zum Beispiel bei der Arzneimitteldistribution und nach der Freigabe des Versandhandels waren.
({0})
Wie sieht es bei Ihnen bezüglich des Wettbewerbs und
des Mehrbesitzes bei den Apothekern aus? Warum sind
Sie hier nicht dabei? Dabei geht es doch auch um Wettbewerb. Sie wollen einen Scheinwettbewerb zugunsten
der Besitzstandswahrer und zulasten der Versicherten
und Patienten. Das ist doch die Realität! Das ist doch der
Punkt! Sie verstecken sich dahinter und sonst gar nichts.
({1})
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den
wir jetzt abschließend beraten - das sage ich offen -,
bietet nicht allzu viel Anlass zur Euphorie. Lassen Sie
mich dies aber auch sagen: Das Ergebnis ist nicht kleinzureden.
({2})
Es ist das Resultat einer Partnerschaft, die aus Vernunftgründen und aufgrund der Zustimmungspflichtigkeit geschlossen wurde; Kollege Zöller hat ebenfalls darauf
hingewiesen. Die Kompromissbereitschaft der SPD
- auch das will ich nicht verschweigen - wurde in den
Verhandlungen zeitweise aufs Höchste strapaziert. Das
ist wie bei einer Vernunftehe und der Unterschied zu einer Liebesheirat. Die Vernunftehe beendet man nach einer gewissen Zeit auch wieder. Lassen Sie mich dies
aber auch sagen: Es ist ein tragbarer Kompromiss.
Man darf nicht verschweigen, dass die Patienten Zuzahlungen von bis zu 2 Prozent des Bruttohaushaltseinkommens leisten müssen. Für chronisch Kranke haben wir
den Anteil auf 1 Prozent halbiert.
Weil der Kollege Seehofer in der ersten Runde auch
der SPD einiges gesagt hat, möchte ich Folgendes deutlich anmerken: Wäre es nach der CDU/CSU gegangen,
würden die zusätzlichen Zuzahlungen um fast 6 Milliarden Euro steigen. Belastungen in dieser Größenordnung
waren mit uns nicht zu machen. Die beschlossenen Zuzahlungen, die sich immerhin auf 3,2 Milliarden Euro
jährlich summieren, sind zu akzeptieren, weil die Beiträge ansonsten weiter steigen würden und dies zu einem
weiteren Verlust von Arbeitsplätzen führen würde. Dies
muss man immer vor dem Hintergrund der gesamten
Diskussion sehen.
Die strukturellen Reformschritte, die Inhalt dieses
Gesetzes sind, werden die Qualität unseres Gesundheitssystems verbessern und die Wirtschaftlichkeit steigern.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diejenigen, die in
der Selbstverwaltung Verantwortung tragen, dieser auch
gerecht werden und die Blockadehaltung, die wir in der
Vergangenheit zu oft erlebt haben, aufgeben.
({3})
Das gilt sowohl für die Krankenkassen als auch vor allem für Leistungserbringer. Hier seien die Kassenärztlichen Vereinigungen bzw. die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und die Pharmaindustrie, die beispielsweise
die Aut-idem-Regelung unterlaufen hat, die wir in einem
anderen Gesetz auf den Weg gebracht haben, unumwunden genannt. Ich füge hinzu: Es kann auch nicht angehen, dass beispielsweise in Nordrhein-Westfalen schon
jeder dritte Diabetiker in ein strukturiertes Behandlungsprogramm eingeschrieben ist, die Programme vom Bundesversicherungsamt aber immer noch nicht akkreditiert
wurden. Auch das müssen wir in Ordnung bringen.
({4})
Meine Damen und Herren, die Ablösung des Honorarbudgets für die Vertragsärzte ab 2007 und die Umstellung auf Regelleistungsvolumina bei festen Preisen sind
neu. Diese Preise sollen sich an der Krankheitsentwicklung der Bevölkerung orientieren. Dies bietet den Ärzten
Chancen, wie sie ihnen weder ein Minister Blüm noch
ein Minister Seehofer jemals geboten haben. Es ist zu
hoffen, dass das Verantwortungsbewusstsein der Ärzte
mit diesen Chancen Schritt hält.
Die Einschätzung des Kollegen Seehofer aus der ersten Lesung, die Neuordnung der ärztlichen Vergütung
führe zu einer qualitativ wesentlich verbesserten mediziKlaus Kirschner
nischen Versorgung, vermag ich nicht zu teilen. Bisher
sehe ich vor allem, dass mehr Geld in den ambulanten
Bereich fließt; denn hier, das müssen wir wissen, lauern
unterschwellig Mengenausweitungen in erheblichem
Ausmaß. Ob dies tatsächlich zu mehr Qualität führen
wird, werden wir als Gesetzgeber genau zu beobachten
haben.
In anderen Bereichen geht der Gesetzentwurf eindeutig in die richtige Richtung, nämlich hin zu mehr Wettbewerb um mehr Qualität. Herr Kollege Dr. Gerhardt, in
diesem Punkt unterscheiden wir uns diametral. Wir wollen einen Wettbewerb um mehr Qualität und nichts anderes.
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier vor allem
die Förderung von neuen medizinischen Versorgungszentren, in denen sowohl freiberufliche als auch angestellte Ärzte und andere Gesundheitsberufe gemeinsam
tätig sein können, hervorheben. Für alle Beteiligten ist
dies eine Verbesserung ihrer Berufsmöglichkeiten und
für die Patienten eine Verbesserung in der Behandlung
durch kurze Wege und die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen. Die medizinischen Versorgungszentren - lassen Sie mich dies auch sagen - sind ein
Baustein für die Weiterentwicklung der integrierten Versorgung, die wir insgesamt mit diesem Gesetz stärken.
({6})
Durch die 1-Prozent-Regelung setzen wir sowohl bei
den Krankenkassen als auch bei Ärzten bzw. Ärztenetzen und Krankenhäusern die richtigen Anreize, damit
Verträge zur integrierten Versorgung endlich verstärkt
abgeschlossen werden.
({7})
Zusammen mit der Ausweitung der Vertragsmöglichkeiten auch auf Managementgesellschaften wird dies den
Qualitätswettbewerb nachdrücklich fördern helfen.
Das trifft ebenso zu auf die Option für die Krankenkassen, ihren Versicherten für die Beteiligung an strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke
Boni zu gewähren. Zusammen mit der Anbindung dieser
Disease Management Programme an den Risikostrukturausgleich wird das diese strukturierten Behandlungsprogramme deutlich fördern. Hier werden entscheidende
Impulse für eine deutliche Qualitäts- und Effizienzsteigerung in der Versorgung der Betroffenen gesetzt.
Herr Kollege Dr. Gerhardt, Sie sollten sich auch folgende Tatsache einmal vor Augen halten: 10 Prozent der
Versicherten - das gilt für die gesamte Gesellschaft sind chronisch Kranke, die 80 Prozent der Ausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung verursachen. Das ist
ein Umstand, den man auch unter finanziellen Aspekten
auf Dauer gar nicht hoch genug einschätzen kann. Wir
werden ihn in dieser Reform berücksichtigen. Hier Kapitaldeckung als Alternative anzubieten, ist doch geradezu ein Witz.
({8})
Es ist doch geradezu absurd, so etwas als Lösung anzubieten.
({9})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als weiteren Punkt den stationären Bereich ansprechen. Hier werden richtige Anreize zur Qualitätssteigerung gesetzt. Ich
erinnere an die neuen Möglichkeiten für Krankenhäuser,
sich an DMP-Programmen, also strukturierten Behandlungsprogrammen für ambulante Leistungen, zu beteiligen. Dazu ist vor allem die institutionelle Öffnung der
Krankenhäuser für hochspezialisierte ambulante Leistungen, für die Behandlung seltener Krankheiten und bei
Unterversorgung zu zählen. Das wird die Qualität und
die Wirtschaftlichkeit in unserem Gesundheitswesen
deutlich steigern.
Meine Damen und Herren, ich sage auch deutlich: Ein
Mehr an Qualitätswettbewerb wäre wünschenswert gewesen, war aber nicht durchzusetzen. Ich nenne als Beispiele die Positivliste oder die weitere Öffnung des Apothekenmarkts. Wenn dann der baden-württembergische
Ministerpräsident, also der Ministerpräsident des Bundeslandes, aus dem ich komme, Herr Teufel, behauptet,
das Gesetz sei wegen mangelnden Wettbewerbs zum
Scheitern verurteilt, muss ich sagen: Das ist geradezu ein
Treppenwitz; denn sein Sozialminister war an den Verhandlungen beteiligt.
An dieser Stelle möchte ich die Kollegen von CDU/
CSU bitten, auch ihrem neuen Gesundheitsexperten
Friedrich Merz das Gesetz und die Zusammenhänge näher zu erklären. Keineswegs wird - das will ich schon
einmal sagen -, wie Herr Merz behauptet hat, der Staat
künftig über die Tabaksteuer die GKV subventionieren.
Da verwechselt Herr Merz einiges. Im Gegenteil, wir
schaffen nach Jahrzehnten endlich den Umstand ab - da
haben Sie auch mitgeholfen -, dass die Versicherten den
Staatshaushalt subventionieren, nämlich über die Bezahlung von richtigen gesellschafts- und familienpolitischen
Maßnahmen. Mithin wird die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen jetzt auf andere Füße gestellt. Das ist dringend notwendig, letzten Endes auch,
um die Beitragssätze nicht nur zu stabilisieren, sondern
sie auch zu senken.
({10})
- Und möglicherweise keinen richtigen Auspuff. - Leider mussten wir beim Zahnersatz mit der Ausgliederung
der paritätischen Finanzierung und der Möglichkeit zur
Absicherung durch die PKV oder in der GKV eine bittere Pille schlucken.
Diesen Weg halte ich für falsch, aber er war Teil des
Kompromisses. Ich bin mir sicher, dass ein Weg der Entsolidarisierung von den Menschen in unserem Land insgesamt abgelehnt wird.
Mit den Strukturmaßnahmen in dem vorliegenden
Gesetz - lassen Sie mich dies noch einmal deutlich
machen - wird der richtige Weg der Reformen in unserem Gesundheitswesen beschritten, nämlich die Förderung des Qualitätswettbewerbs unter den Leistungserbringern, ein echter Wettbewerb unter den Kassen im
Hinblick auf die optimierte Versorgung von Versicherten
bzw. Kranken sowie die Stärkung des Gemeinwohls im
Gesundheitswesen.
Kollege Kirschner, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.
Lassen Sie mich noch einen halben Satz sagen, Herr
Präsident. - Die Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung auf alle Bürgerinnen und Bürger ist keine
Zwangsversicherung, sondern die Zukunft.
Ich bedanke mich.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Hans Georg Faust,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben aus den Konsensverhandlungen ein Ergebnis mit
schmerzhaften Kompromissen erzielt, das der akuten
Notsituation im deutschen Gesundheitswesen Rechnung
trägt und mehr als nur eine Notoperation ist. Nach den
Worten des geschätzten Kollegen Kirschner muss ich
doch noch etwas zur Historie sagen.
Bei der Regierungsübernahme der rot-grünen Koalition 1998 lag der Krankenkassenbeitragssatz bei durchschnittlich 13,6 Prozent. Mit dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz wurden die Weichen zurück in die
Vergangenheit gestellt: Die Zuzahlungen wurden drastisch vermindert, die Kostenerstattung eingeschränkt, die
Regelleistungsvolumina für niedergelassene Ärzte abgeschafft. Zudem war zuvor mit den Zahnlücken junger
Menschen im Wahlkampf Stimmung gemacht worden.
Jetzt holt uns die Vergangenheit ein; denn in den fünf
Jahren seit 1998 ist das Gesundheitssystem an den
Rande eines Kollapses geraten.
({0})
Der hohe Versorgungsgrad und die flächendeckende
Versorgung konnten mit Mühe aufrechterhalten werden,
aber die Finanzierungskrise wurde immer bedrohlicher.
Wenn wir die Schulden der Krankenkassen umrechnen,
müsste der Krankenkassenbeitrag heute bei über
15 Prozent liegen. Die Sorge der Patienten bzw. der Versicherten um ihre Behandlung im Krankheitsfall ist
nicht aus der Luft gegriffen; denn keiner bestreitet die
verdeckte Rationierung durch Budgetierung in den Arztpraxen, die zunehmenden Finanzprobleme in den Krankenhäusern und die Notwendigkeit, den Menschen angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung die
brennende Sorge zu nehmen, dass am Ende ihres Lebens
Geldmangel Einfluss auf das therapeutische Vorgehen
haben könnte.
In dieser Situation hat die Bundesregierung im März
dieses Jahres den ersten Arbeitsentwurf eines Gesetzes
zur Modernisierung des Gesundheitssystems auf den
Weg gebracht, der uns mit dem Kontrollzentrum für
Qualität in der Medizin als eine unverdauliche Mischung
von Staatsmedizin auf der einen Seite und wildem Wettbewerb auf der anderen Seite erschien. Ich nenne als
Beispiel, dass 350 Krankenkassen mit 50 000 Fachärzten Einzelverträge schließen sollten.
Die bedauerliche Erkenntnis, dass vieles auch ohne
den Bundesrat durchgesetzt werden könnte und dass das
dann zu erwartende Patchworkgesetz das Gesundheitswesen noch weiter in Bedrängnis bringen würde, dazu
weiter rapide steigende Krankenkassenbeiträge und die
erkennbare Bereitschaft der Koalitionsfraktionen, altbewährte Seehofer-Instrumente wieder hervorzuholen,
mussten die Union bewegen, in Konsensverhandlungen
einzutreten.
Der gefundene Kompromiss darf nicht kleingeredet
werden. Im Vordergrund der Diskussion stehen zurzeit
zu Recht die Belastungen vorrangig für Versicherte und
Patienten durch Zuzahlungen, Aufhebung der paritätischen Finanzierung beim Krankengeld und die alleinige
Verantwortung für die Versicherung des Zahnersatzes.
Aber alle verantwortungsvollen Gesundheitspolitiker
sind sich darin einig, dass diese Belastungen genauso
wie die Belastungen der niedergelassenen Ärzte in Zeiten von Nullrunden, Ausgleichszahlungen Ost-West und
weiteren Honorarkürzungen für die Anschubfinanzierung ebenso wie die Belastungen für die Krankenhäuser
- von den gravierenden Veränderungen im Apothekenund Pharmabereich ganz zu schweigen - nur dann zu
rechtfertigen sind, wenn der Beitragssatz im nächsten
Jahr tatsächlich auf 13,6 und in den Folgejahren Richtung 12 Prozent sinkt.
Dies alles und die Frage, ob es richtig ist, dass Kopfschmerztabletten und Nasentropfen selbst zu bezahlen
sind, ist vielfach bewegt und jetzt entschieden worden.
In diesem Bereich liegen die Notwendigkeiten, aber
nicht die Stärken dieses Gesetzes. Die Stärken dieses
Gesetzes - diese Stärken wirken weit über die Zeitgrenze hinaus, die jetzt besorgte Geister für erneute Korrekturen inklusive umwälzender Änderungen von Versicherungsformen prophezeien - liegen da, wo aus dem
Mix von Staatsmedizin und Wildwestwettbewerb eine
solide Konstruktion geworden ist, die als tragende Teile
die Krankenkassen, die Patienten und ihre Organisationen und die Leistungserbringer enthält.
Ich möchte Ihnen dazu drei Beispiele nennen:
Erstens. Die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung besetzen einen gemeinsamen Bundesausschuss,
dem ein unabhängiges Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zuarbeitet. Hier gilt
bis hin zur Finanzierung das Prinzip: Selbstverwaltung
vor staatlicher Abhängigkeit.
Zweitens. Ablösung der Ärztebudgets durch Regelleistungsvolumina. Endlich erhält der einzelne Arzt
feste Preise in Euro und Cent für Diagnose und
Therapie. In die Arztpraxen zieht endlich wieder Planungssicherheit ein. Was ebenso wichtig ist: Finanzielle
Auswirkungen von Veränderungen oder Häufigkeitsverteilungen gehen nicht mehr zulasten der Ärzte.
Drittens. Die Patientensouveränität, die Patienteninformation werden entscheidend gestärkt. Die Patienten
haben die Möglichkeit, sich am gemeinsamen Bundesausschuss zu beteiligen. Sie haben vermehrte Wahlmöglichkeiten über Kostenerstattung, Bonus, Selbstbehalt
und Beitragsrückgewährung.
Die Vielfalt neuer Alternativen lässt sich in der Kürze
der Zeit nicht aufzählen, aber die Begeisterung, mit der
die Versicherten schon jetzt innovative Angebote wie
beispielsweise die der Techniker-Krankenkasse nachfragen, übersteigt alle Erwartungen.
Der hektische Einzelwettbewerb im ursprünglichen
Gesetzentwurf der Regierung ist im jetzigen Gesetz
durch die große Chance eines Wettbewerbs im System
ersetzt worden. Das ist deswegen eine große Chance,
weil die so genannte integrierte Versorgung, jetzt befreit von ihrem bürokratischen Ballast, nach meiner festen Überzeugung eine wichtige Versorgungssäule in der
Zukunft darstellen wird. Vereinfacht gesprochen: Bisher
hatte sich der Verlauf einer Erkrankung gefälligst nach
dem sektoral gegliederten deutschen Gesundheitssystem
zu richten, mit Hausärzten, Fachärzten, Krankenhäusern
und Rehaeinrichtungen, und das alles durch Kommunikations-, Rechts- und Vergütungsbarrieren getrennt. Die
Erkrankung hat das aber leider selten getan.
Nun haben wir bei der integrierten Versorgung ein
ganz anderes System mit ganz anderen Anreizen. Hier
werden der Krankheitsverlauf und die Krankheitsbehandlung als ein Prozess gesehen, der fließend die bisherigen Sektorengrenzen überwindet und alle Beteiligten,
ob Hausärzte, Fachärzte, Krankenhausärzte, Physiotherapeuten, Pflegedienste und Apotheker, zu einem großen
Team zusammenbringt. Der jeweils Richtige kümmert
sich im richtigen Moment am richtigen Ort um den Patienten und seine Erkrankung. Dann ist auch folgerichtig, dass die Vergütung sektorenübergreifend angelegt
sein muss und diese ebenso wie der Qualitätsstandard
mit den Krankenkassen ausgehandelt wird. Wir werden
ja sehen, wie sich dieses innovative System im Wettbewerb mit dem bisherigen Regelversorgungssystem bewährt.
Hier geht es nicht um die Zerschlagung der Machtkartelle der Kassenärztlichen Vereinigungen, wie immer
wieder gesagt wird, sondern um die Bereitschaft aller,
die Chancen zu nutzen, die in den neuen Instrumenten
bestehen. Die Instrumente, die angeboten werden, sind
vielfältig: sich für ambulante Leistungen öffnende Krankenhäuser, fachübergreifende Versorgungszentren mit
niedergelassenen und angestellten Ärzten mit Einbindung von Apothekern und Physiotherapeuten, Netzsysteme mit Ärzten gleicher Fachrichtung oder Netzsysteme mit Hausärzten, Fachärzten, Krankenhäusern und
Rehaeinrichtungen. Das sind Möglichkeiten, die schnell
genutzt werden können. Gespräche mit Leistungserbringern zeigen, dass diese die Chancen erkennen.
All dies dient in erster Linie dem Patienten, der in Zukunft unter Nutzung von Leitlinien und strukturierten
Behandlungsformen effizienter therapiert werden kann.
Wenn ich nicht Gesundheitspolitiker, sondern Lehrer
wäre, dann würde ich meine Zensur für das Ergebnis der
Konsensgespräche in zwei Noten aufteilen. Die erste
Note gäbe ich für die Kostendämpfungsmaßnahmen und
die Elemente wie Ausgliederung, Zuzahlung, Versicherungsanteile, Beitragsrückgewährung und Selbstbehalt,
für all das, was aufgrund der katastrophalen Einnahmeschwäche, bedingt durch mangelndes Wachstum und
hohe Arbeitslosigkeit, nicht zu vermeiden war. Hier
würde ich eine Note zwischen „befriedigend“ und „ausreichend“ geben, weil die rot-grüne Wirtschafts-,
Finanz-, Haushalts- und Steuerpolitik ungenügend ist.
Dafür würde ich eine Sechs geben.
({1})
Die zweite Note, die ich angesprochen habe, bezieht
sich auf die zukunftsweisenden strukturellen Elemente
des sanften Umsteuerns im System. Hier, glaube ich, liegen die entscheidenden Stärken des Gesetzes; dies hat
eine Zwei plus verdient.
Alles in allem, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat
sich der Konsens im Interesse der kranken Menschen in
Deutschland gelohnt.
({2})
Ich erteile das Wort Kollegin Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Gästen möchte ich sagen: Ich bin Abgeordnete
der PDS.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur empfehlen, die Konferenzen des Bundesverbands der
Deutschen Industrie zu besuchen. Da wird Klartext gesprochen, wie in dieser Woche in Berlin. Das Motto der
Veranstaltung „Freiheit wagen - Fesseln sprengen“ hat
schon etwas Umstürzlerisches. Ich bin mir nicht sicher,
ob sich all das, was dort besprochen wurde, wirklich
noch auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt.
Was hier im Bundestag etwas verklausuliert gesagt
und beschlossen wird, kann man beim Bundesverband
der Deutschen Industrie vorab im Klartext hören. So war
unter anderem das Forum „Vitalität durch Forschung,
Prävention und neue Regeln der Gesundheitsvorsorge“
sehr aufschlussreich. Dort wurde von einem Vorstand
der Bayer Health-Care AG beklagt, dass Deutschland
nicht mehr die „Apotheke der Welt“ sei und sich unter
den zehn größten Pharmakonzernen der Welt kein deutscher mehr befinde. Ehrlich gesagt, ich möchte nicht in
der größten „Apotheke der Welt“ leben. Mir wäre es lieber, in einem Land zu leben, in dem ein solidarisches
System der Gesundheitsversorgung dauerhaft gesichert
ist, in dem sich die Menschen wohl fühlen und möglichst
selten einen Grund haben, in die Apotheke zu gehen.
({0})
Viele Menschen fürchten doch, dass sie eines Tages
nicht mehr das Geld haben werden, um ihre Medizin
oder den Aufenthalt im Krankenhaus bezahlen zu können. In Kanada gibt es Studien, die belegen, dass die
Einführung des Eintrittsgeldes beim Arzt dort zu einem gravierenden Rückgang der Zahl der Arztbesuche
durch arme Menschen geführt hat. Es ist klar: Arme
Menschen gehen dann seltener zum Arzt, weil sie die
Gebühr nicht zahlen wollen und können. Sie gehen erst
dann zum Arzt, wenn es gar nicht mehr geht. - Wir alle
können uns doch ausrechnen, dass eine verspätete Behandlung letztlich teurer ist als eine rechtzeitige. Sie
wissen das, meine Damen und Herren. Sie kennen
schließlich auch die Studien und informieren sich. Trotzdem wollen Sie mit diesem Gesetz das Eintrittsgeld für
den Arztbesuch einführen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Ich möchte noch einmal auf die Forumsdiskussion
beim Bundesverband der Deutschen Industrie zurückkommen. Ein Wissenschaftler beruhigte den Herrn von
der Bayer AG mit dem Hinweis, dass sie in Zukunft, wie
in den USA, ihr Geld nicht mehr mit der einen oder anderen Krankheit verdienen werden, sondern mit neuen
Krankheiten, mit den „diseases of the rich“, mit den
Krankheiten der Reichen.
Das hat sich wohl schon unter einigen Ärzten in unserem Land herumgesprochen. Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich aus dem „Spiegel“, der Ausgabe Nr. 39
dieses Jahres: Der Leiter der Transplantationschirurgie
am Münchner Klinikum Großhadern, Walter Land, ließ
seine einheimischen Patienten Patienten sein und fehlte
16 Tage unentschuldigt, um in Abu Dhabi für einen reichen Patienten zum Skalpell zu greifen.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen, meine Damen
und Herren insbesondere von der FDP: Ich habe nichts
gegen den „weißen Tourismus“. Im Gegenteil, für viele
Kliniken ist das eine wichtige zusätzliche Einnahmequelle. Doch es entsteht schon ein fader Nachgeschmack, wenn für Patienten mit viel Geld ein Kopfstand gemacht wird und beim einfachen Kassenpatienten
der materielle Anreiz fehlt, mehr als das Nötige zu tun.
Noch ein Wort zur Pharmabranche. Ich will nicht
alle Unternehmen dieser Branche über einen Kamm
scheren. Aber es gibt viele kleine und mittelständische
Unternehmen, gerade in den neuen Bundesländern, die
unter dem heute zu beschließenden Gesetz leiden werden, die nicht die Kraft und das Geld haben, sich mit ihrer Produktion auf die „diseases of the rich“, auf die
Krankheiten der Reichen, zu spezialisieren.
Ich komme ein letztes Mal auf den Kongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie zurück. Dort wurde
über dieses Gesetz, um das innerhalb der beteiligten
Fraktionen hart gerungen wurde und das heute beschlossen werden soll, gar nicht mehr gesprochen. Es lag bereits ein neues Konzept für das Gesundheitssystem bereit: Pauschalprämie in der Krankenversicherung. Wir
als PDS werden die Regierung unterstützen, wenn sie
sich für eine wirkliche Bürgerversicherung einsetzen
sollte. Das wurde heute von einigen Fraktionen angekündigt. Ich hoffe, es ist ernst gemeint. Gegen die unsoziale Kopfpauschale werden wir uns wehren.
Der Trend, der mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf verfolgt wird, ist klar: Für einige ist die
„Apotheke der Welt“ das Leitbild, für andere sind es die
„deseases of the rich“, die Krankheiten der Reichen.
Für uns als PDS ist eine solidarische Gesellschaft das
Leitbild. Deshalb werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.
({1})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin
Caspers-Merk das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere sozialen Sicherungssysteme stehen vor großen Herausforderungen. Nur wer bereit ist, diese Herausforderungen anzunehmen, Kollegin Lötzsch, kann den
Sozialstaat in seinem Kern bewahren. Nur wer die Solidarität neu definiert, kann das Ja der Menschen zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Nur wer bereit
ist, die Eigenverantwortung zu stärken, kann die Beiträge bezahlbar halten.
({0})
Aus diesem Grund machen wir diese Reform. Wir
wollen die Akzeptanz der solidarischen Sicherungssysteme erhöhen und die Qualität verbessern. Es geht uns
auch darum, etwas mehr Eigenverantwortung zu organisieren. Wir haben Verkrustungen aufgebrochen, was
nicht immer einfach ist. Nur wer sich zutraut, die Verkrustungen im System anzugehen, kann Bewegung ins
System bringen. Das bestehende System braucht nämlich Bewegung; es braucht keine Besitzstandswahrer,
Herr Gerhardt, wie Sie es in Ihrer Rede zum Ausdruck
gebracht haben.
({1})
Die Kolleginnen und Kollegen der Union wissen das
auch. Wir wären unsererseits zu mehr Wettbewerb - gerade auch durch Einzelverträge - und mehr Qualität bereit gewesen. Sie hat aber auf halbem Weg der Mut verlassen. Denn es war klar, dass unser ursprünglicher
Gesetzentwurf deutlich stärkere Akzente gesetzt hätte.
({2})
Die FDP hingegen hat der Mut nicht auf halbem
Wege verlassen, sondern sie hat erst gar keinen Mut aufgebracht.
({3})
Sie haben sich in einer beispiellosen Aktion an den Verhandlungstisch gedrängt und 14 Tage mitverhandelt.
({4})
Außer zur Kostenerstattung und Eigenverantwortung
war von Ihnen nicht viel zu hören. Sie haben sogar noch
die Eckpunkte mitgetragen. Ihre Fraktionsmitarbeiterin
hat auch den Gesetzentwurf mitformuliert. Dann kam
eine Order von oben: Da Sie sich als Besitzstandswahrer
für die freien Berufe verstehen und die Reformvorhaben
auch für die Leistungserbringer im Gesundheitssystem
Belastungen mit sich bringen würden, sollten Sie sich
lieber aus dem Staub machen.
({5})
Das ist die FDP-Politik: eine Klientel- und Lobbypolitik.
Diese Politik bringt nicht den Mut auf, die sozialen Sicherungssysteme zu reformieren.
({6})
Wir haben mehr gewollt. Ich bin den Kolleginnen und
Kollegen, die noch einmal die von uns gesetzten Akzente aufgezeigt haben, dankbar. Wir haben viel erreicht.
Ich finde, zur Wahrheit gehört es auch, die wichtigen
Fortschritte zu nennen, die erreicht worden sind. Es ist
zwar nicht alles erreicht worden, was wir uns vorgenommen haben, aber in einem verkrusteten System wurde
eine Tür geöffnet. Diesen Spalt gilt es nun zu erweitern.
Ein chinesisches Sprichwort lautet: Auch die längste
Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Diesen strategisch
wichtigen ersten Schritt gehen wir mit diesem Gesetz.
({7})
Wir haben in diesem Gesetzentwurf bessere Versorgungsformen vorgesehen. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang fünf Beispiele nennen.
Erstens. Wir fördern die integrierte Versorgung. Die
starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung werden erstmals aufgebrochen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Erika
Lotz von der SPD-Fraktion?
Ja.
Frau Staatssekretärin, wie bekannt ist, hätten wir von
der SPD uns gewünscht, dass die Einsparungen stärker
zulasten der Pharmaindustrie gehen. Sie wissen, dass
die Positivliste eines der Herzstücke unserer Forderungen war. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die Pharmaindustrie werde überhaupt nicht belastet.
Können Sie mir die Frage beantworten, inwieweit die
Pharmaindustrie doch einen Beitrag zu den Einsparungen leistet?
Frau Kollegin Lotz, der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck ist falsch. Wir belasten auch die Leistungserbringer. Mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz
haben wir das für dieses Jahr bereits getan. Wir haben
darüber hinaus zusätzliche Belastungen vereinbart, weil
wir glauben, dass sie notwendig sind. Die gesetzlichen
Krankenversicherungen haben ein Einnahmeproblem.
Es gibt aber auch ein Ausgabenproblem, insbesondere
bei den Arzneimitteln. Deswegen haben wir Einsparungen vereinbart. Ich nenne drei:
Erstens. Es wird auch für patentgeschützte Arzneimittel Festbeträge geben. Das heißt, es wird nicht mehr jeder Preis bezahlt. Zusätzliche Innovationen erfordern
zwar zusätzliches Geld; aber Scheininnovationen müssen nicht auch noch teuer bezahlt werden.
Zweitens. Es gibt bis zur Geltung der Festbeträge einen deutlichen Abschlag von 16 Prozent des Preises.
Wir haben zusätzlich die Distribution auf dem Arzneimittelmarkt liberalisiert. Wir werden eine vierte Hürde
schaffen, nämlich eine Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln.
Drittens. Wir heben die Preisbindung von OTC-Produkten auf. Auch dies wird zu deutlichen Einsparungen
für die Patientinnen und Patienten führen; denn diese
Produkte werden billiger als bisher sein.
Diese drei Maßnahmen erhöhen die Belastungen der
Pharmaindustrie. Diese Belastungen liegen nach unserer
Schätzung in einer Größenordnung von 1 Milliarde Euro
bis 1,5 Milliarden Euro.
({0})
Ich möchte fünf Beispiele dafür nennen, dass wir die
Strukturen aufgebrochen haben:
Erstens. Wir fördern die integrierte Versorgung.
Starre Grenzen zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung werden aufgebrochen. Was bedeutet der
Fachbegriff „integrierte Versorgung“ überhaupt? Wir
wollen, dass die Versorgung aus einer Hand in Zukunft
Standard ist. Wir wollen, dass im Interesse der Patientinnen und Patienten mehr zusammengearbeitet wird. Zum
Beispiel sorgen wir dafür, dass die Krankenhäuser für
die ambulante Versorgung von krebskranken Menschen
geöffnet werden. Bislang ist es so, dass nur der Privatpatient weiter ambulant behandelt werden kann; der gesetzlich Versicherte muss nach einer Therapie im
Krankenhaus zum ambulant tätigen Facharzt überwiesen
werden. Das ist doch eine Verbesserung für die Patienten, und zwar aufgrund dieses Gesetzes.
({1})
Zweitens. Wir ermöglichen medizinische Versorgungszentren bundesweit. Die Menschen finden Ärzte
dort in einem Haus, also unter einem Dach. Ärzte beraten
dort gemeinsam komplexe Krankheitsbilder. Der Patient
hat kurze Wege und gute Qualität. Dies ist ein Transfer
ostdeutscher Traditionen in die ganze Bundesrepublik.
Es ist doch eine gute Sache, dass der Transfer einmal in
diese Richtung verläuft.
({2})
Drittens. Die Krankenkassen werden verpflichtet,
Hausarztmodelle anzubieten. Auf diesem Gebiet
kommt es zu einer deutlichen Veränderung. Damit wird
den Patientinnen und Patienten eine Vertrauensperson an
die Seite gestellt, nämlich ein Hausarzt, der die Familie
und die Arbeitssituation kennt. Er ist ein Lotse durch das
System. Das führt auch dazu, dass das Ärztehopping etwas zurückgedrängt wird - zum Wohle einer vernünftigen und guten Versorgung kranker Menschen. Die Honorarstrukturen werden sich künftig verbessern. Derzeit
ist es so, dass die floatenden Punktwerte allen Beteiligten Probleme bereiten. Wir haben die Honorierung eindeutig reformiert.
Was die Hausarztmodelle angeht, verspreche ich mir
mehr Bewegung im System. Schon jetzt reagieren Krankenkassen - ich denke an die AOK Baden-Württemberg -, indem sie zum Beispiel gute Hausarzttarife entwickeln. Wenn diese positiven Entwicklungen nicht nur
jetzt, sondern auch in der Zukunft stattfinden sollen,
müssen wir dieses Gesetz verabschieden. Das ist wichtig.
({3})
Viertens. Diese Gesundheitsreform steht zugleich für
ein Mehr an Mitsprache der Versicherten. Da dieser
Aspekt in der heutigen Debatte deutlich zu kurz kam,
weise ich darauf hin, dass zum ersten Mal Patientenrechte Punkt für Punkt gesetzlich verankert werden.
({4})
Patientinnen und Patienten werden so zur dritten Kraft.
Sie bekommen eine dritte Bank im System. Es wird
nicht mehr über sie, sondern es muss mit ihnen geredet
werden.
({5})
Es wird - dieser Wunsch ist oft geäußert worden - auch
einen Patientenbeauftragten auf Bundesebene geben;
denn die Belange der Patientinnen und Patienten sind
bislang im Kartell der Leistungserbringer zu kurz gekommen. Wenn man diesen Missstand beseitigen will,
dann kann man nicht gegen den vorliegenden Gesetzentwurf stimmen; denn nur mit ihm ist das möglich.
Fünftens. Wir wollen mit der Patientenquittung, die
sofort eingeführt werden soll, und mit der Gesundheitskarte ab 2006 die Leistungen für die Patienten nachvollziehbarer machen. Es ist doch nicht in Ordnung, dass die
Patienten bislang gar nicht wissen, was abgerechnet
wird, dass es Doppeluntersuchungen gibt und dass mehrere Medikamente verabreicht werden, die dann zu problematischen Wechselwirkungen führen. Wenn wir hier
mehr Sicherheit für die Patienten insbesondere mit dem
elektronischen Notfalldatensatz schaffen, dann ist dies
ein Fortschritt für die Versicherten. Auch deshalb brauchen wir das Gesetz.
({6})
Ich möchte darauf hinweisen, dass die Patientenmitspracherechte für uns ein wesentlicher Grund sind, warum wir den vorliegenden Gesetzentwurf mitgestaltet
haben und mittragen. Auf der einen Seite - das ist der
positive Aspekt - haben wir natürlich unsere Mitverantwortung wahrgenommen. Auf der anderen Seite fordern
wir auch mehr Eigenbeteiligung. Das ist der Wermutstropfen. Aber es ist richtig, dass wir von den Menschen
mehr Zuzahlungen fordern. Wir haben sie sozial gerecht
gestaltet. Wir haben Klauseln gegen Überforderung und
eine Familienkomponente eingeführt. So müssen chronisch Kranke nur maximal 1 Prozent ihres Jahreseinkommens für Zuzahlungen aufwenden, während die anderen Versicherten 2 Prozent zahlen müssen. Das Ganze
ist sozial ausgewogen. Ohne uns - darüber ist schon geredet worden - wäre es zu einer Zuzahlungsorgie gekommen, die einen Umfang von 6 Milliarden bis 7 Milliarden Euro gehabt hätte. Auch hier haben wir für mehr
soziale Verantwortung gesorgt.
({7})
Wir fordern auch, dass sich die Leistungserbringer
bewegen. Zum Beispiel haben wir den Versandhandel
- die Kollegin Bender hat schon darauf hingewiesen zugelassen. Es ist interessant, festzustellen, dass die
Apotheker, die noch während des Wahlkampfes
7 Millionen Unterschriften gegen dieses Vorhaben gesammelt haben, jetzt, da die entsprechende Regelung
noch gar keine Gesetzeskraft hat, ein eigenes Internetportal einführen, über das man Arzneimittel bestellen
kann, die dann sogar bis an das Krankenbett geliefert
werden. Diese Praxis tolerieren wir gerne; denn wir wollen für die Patientinnen und Patienten eine bessere Versorgung.
({8})
Das zeigt, dass wir für Bewegung im System sorgen
können. Wir müssen uns nur trauen. Ähnliches erleben
wir auch bei den Krankenkassen. Sie jammern, dass
sich die Menschen jetzt noch schnell neue Brillen und
neuen Zahnersatz machen lassen. Ich kann dazu nur sagen: Liebe Vertreter der Krankenkassen, in Zukunft wird
Klartext über die Höhe der Verwaltungskosten geredet.
Es wird für jeden nachvollziehbar sein, wie hoch die Bezüge derjenigen sind, die bei den Krankenkassen Verantwortung tragen. Tut bitte etwas für euer Geld! Das, was
medizinisch notwendig ist, muss weiterhin bezahlt werden. Aber man kann schon jetzt bei den Kosten darauf
achten, was notwendig ist und was nicht. Gestalten statt
jammern! Wir erwarten von den Krankenkassen deutlich
mehr Bewegung.
({9})
Kollegin Caspers-Merk, Sie müssen zum Ende kommen. Die Redezeit ist überschritten.
Herr Präsident, gestatten Sie mir ein abschließendes
Zitat. - Es gibt viele Kritiker des ausgehandelten Kompromisses. Wenn aber der streitbare ehemalige Präsident
der Berliner Ärztekammer Ellis Huber von einer „stillen
Revolution“ spricht, die das Gesetz auslösen werde,
dann wissen wir, dass mehr Strukturveränderungen möglich sind, als viele hier glauben. Ich bin zuversichtlich,
dass das Gesetz Reformen auslösen wird und dass wir
mit dem Gesetz die solidarische Krankenversicherung
erhalten können.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegin Maria Michalk, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In wenigen Minuten werden wir über den Entwurf des GKV-Modernisierungsgesetzes abstimmen. Ich
merke schon, Sie sind unruhig; Sie wollen es gleich tun.
Ich will jedoch noch ein paar Argumente rüberbringen.
Es war eine schwere Geburt mit zum Teil starken Wehen. Ob das Kind ein starkes wird oder schwächeln wird,
wird von allen Beteiligten abhängen.
So oft ich mit den Menschen in meinem Wahlkreis in
der Lausitz gesprochen habe: Die Arbeitslosigkeit ist
das größte Thema. Es ist Allgemeingut geworden, dass
man die Lohnnebenkosten senken muss, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Deshalb müssen wir
Reformen anpacken und sie müssen in die richtige Richtung gehen.
Derzeit befürchten viele die Unbezahlbarkeit der medizinischen Versorgung. Unsere Reformschritte sind vornehmlich darauf ausgerichtet, auch in Zukunft für alle
die notwendige medizinische Versorgung zu sichern.
Deshalb ist eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten
Wochen, alle Menschen über die konkreten Inhalte dieser Reform zu informieren, aber bitte schön nicht in
fachmedizinischer Sprache, sondern so, dass es alle verstehen.
Klar war, dass sowohl Versicherte und Patienten als
auch Leistungserbringer in die Einsparbemühungen einzubeziehen sind. Deutlich ist festzustellen, dass es ohne
grundsätzliche Eigenbeteiligung nicht mehr geht. Eine
gute Botschaft für Patienten, vor allem in einkommensschwachen Regionen, ist - das wurde heute schon erwähnt - die einkommensabhängige Zuzahlung mit der
Familienkomponente. Es muss aber ehrlich gesagt werden, dass in Zukunft Fahrtkosten, Brillen, Zahnersatz
und Weiteres bei der Belastungsgrenze von 2 bzw.
1 Prozent des Einkommens nicht berücksichtigt werden.
Es ist notwendig, dass wir alle persönlich mehr für unsere Gesundheit tun.
Lassen Sie mich an einem Beispiel die besondere Belastung der Ärzte in den neuen Bundesländern ansprechen. Die Fallzahl je Vertragsarzt in den neuen Ländern
liegt bei rund 5 400, in den alten Ländern bei rund 4 200.
Das bedeutet eine Mehrarbeit von 28 bis 30 Prozent.
Eine Ursache für die Mehrarbeit ist die höhere Morbidität. Hinzu kommt vor allem in strukturell schwachen Regionen der neuen Länder ein erheblicher Ärztemangel.
Ich beklage, dass man diesen Fakt hier in Berlin bisher
nicht so recht bzw. nicht ausreichend wahrhaben will.
({0})
So sind in Sachsen zum Beispiel 30 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre. Auch bei Fachärzten sieht es
nicht anders aus. Sie gehen früher in den Ruhestand. Der
Schnitt liegt nicht, wie bundesweit, bei 67 Jahren, sondern bei 62 Jahren. Als Gründe dafür höre ich immer
wieder drei Dinge: erstens die erheblichen Belastungen
der Ärzte beim Notdienst in ländlichen Räumen, wenn
sie zum Beispiel bei zwei Notfällen in einer Nacht auch
noch 300 Kilometer fahren müssen, zweitens den hohen
Verwaltungsaufwand, der auf niedergelassenen Ärzten
lastet, und drittens den abgesenkten Verdienst. Was das
Letztere angeht, gibt es im GMG einen ersten Schritt
- dafür sind wir dankbar -, allerdings ohne Einbeziehung der Mehrarbeit. Aber die Anpassung der Gesamtvergütung um 3,8 Prozent bis 2006 ist ein richtiger
Schritt.
({1})
Die Botschaft, dass der Verwaltungsaufwand gravierend reduziert wird, können wir heute wohl noch
nicht ganz glaubwürdig rüberbringen. Daran müssen wir
arbeiten. Das bleibt eine große Aufgabe.
Genauso groß muss aber auch unsere Anstrengung
sein, junge Mediziner für die praktische Freiberuflichkeit zu gewinnen, insbesondere in strukturell benachteiligten Regionen, damit der Versorgungsauftrag auch in
Zukunft erfüllt werden kann. Zu glauben, dass der Mangel speziell in strukturschwachen Regionen durch integrierte Versorgung behoben werden kann, ist ein Irrtum.
Auch in unseren Krankenhäusern fehlen bereits Ärzte.
Mit einer vernetzten Struktur zwischen den verschiedenen Fachrichtungen und der Kompetenz aus einer Hand
haben wir in Ostdeutschland bereits Erfahrungen. Die
bestehenden Ärztehäuser sind ja vielfach nichts anderes.
Es bleibt hier bei einem Zusammenschluss von Freiberuflern, neben denen auch angestellte Ärzte tätig sein
können. Ich bin froh, dass es keine Neuauflage von Polikliniken gibt. Mir sind nicht nur positive Erfahrungen
mit sehr engagierten Ärzten und Schwestern, sondern
auch lange Wartezeiten, Menschenschlangen vor den
Türen und eine Auswahlmedizin in Erinnerung geblieben. Wer erinnert sich beispielsweise noch daran, dass
Dialysepatienten nur bis zum 30. Lebensjahr angenommen werden durften?
Noch ein Wort zu den Apotheken. Auch sie tragen
durch die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung
und die Herausnahme der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV
- außer für Kinder - einen Teil der Kosten der Reform.
Im Osten ist der Versorgungsbereich der Apotheken
zwar größer, sie erzielen aber mit nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten wesentlich geringere Umsätze, weil die Leute schlichtweg wenig Geld in der Tasche haben.
Ein Wort auch zu den landwirtschaftlichen Krankenkassen. Ich empfehle Frau Künast, einen Teil ihres
Werbeetats zur Verfügung zu stellen, damit die diesen
Krankenkassen drohende Beitragssteigerung nicht Wirklichkeit wird.
({2})
Wir dürfen nicht das Ziel aus den Augen verlieren:
Das Gesundheitswesen soll und wird sich weiterentwickeln. Es soll nicht nur kranke Menschen gesund machen, sondern weiterhin vielen Menschen neben Brot
und Arbeit auch Lebenserfüllung geben. Wir wissen,
dass das Gesundheitswesen ein starker Wirtschaftsfaktor ist und bleibt. Ganze Regionen bauen darauf. Deshalb ist der gefundene Kompromiss ein richtiger Schritt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Menschen sind in diese Welt nicht für ein bequemes Leben
geboren, sondern für Anstrengung. Strengen wir uns
jetzt an und stimmen wir diesem Kompromissgesetz,
diesem Schritt in die richtige Richtung zu.
Ich danke Ihnen.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich weise darauf
hin, dass zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache
15/1584, die Gegenstand der nun folgenden Abstimmungen sein wird, inzwischen der Bericht des Ausschusses
auf Drucksache 15/1600 vorliegt.
Tagesordnungspunkt 17 a: Abstimmung über den von
den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, Drucksache 15/1525. Der Ausschuss für
Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter
Ziffer I seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
15/1584, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der CDU/CSUFraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion und einzelne Stimmen aus der SPD-Fraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen angenommen.
({0})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche
Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
- Ist alles zur Abstimmung bereit? Sind die Schriftführer
da? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat?
Ich frage noch einmal, ob alle Kolleginnen und Kolle-
gen abgestimmt haben. - Das ist offensichtlich der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Ich teile zugleich
mit, dass zu dieser Abstimmung zahlreiche schriftliche
Erklärungen gemäß § 31 der Geschäftsordnung abgege-
ben worden sind.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz
zu nehmen, damit wir die Abstimmungen fortsetzen
können.
Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitrags-
sätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der
gesetzlichen Rentenversicherung, Drucksache 15/542.
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
empfiehlt unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/1584, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera-
tung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die
Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertrags-
1) Seite 5475 D
2) Anlagen 2 bis 9
Präsident Wolfgang Thierse
ärztlichen Versorgung, Drucksache 15/800. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung, Drucksache
15/1071. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem
von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung des Gesundheitssystems, Drucksache
15/1170. Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1584, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Wir setzen die Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung auf Drucksache 15/1584 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der CDU/
CSU auf Drucksache 15/652 ({1}) zur Aufhebung der
gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz für erledigt zu erklären. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Ziffer III seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss weiter, den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 15/1174 mit dem Titel „Für
ein freiheitliches, humanes Gesundheitswesen - Gesundheitspolitik neu denken und gestalten“ für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung?
- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Unter Ziffer II seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/1584 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf Drucksache
15/1175 mit dem Titel „Mut zur Verantwortung - Für ein
freiheitliches Gesundheitswesen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der FDP angenommen.
Ebenfalls unter Ziffer II empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrages der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/1526 mit dem Titel „Zukunft gestalten
statt Krankheit verwalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Unter Ziffer IV seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/1584 empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit der gleichen Mehrheit
wie soeben angenommen.
Bis zur Verkündigung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung für einige
Minuten.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder und teile das von den
Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis
der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, GKV-Modernisierungsgesetz, der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des Bündnisses 90/Die
Grünen mit. Abgegebene Stimmen 574. Mit Ja haben
gestimmt 517, mit Nein haben gestimmt 54, Enthaltungen 3. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 574;
davon
ja: 517
nein: 54
enthalten: 3
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({3})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Präsident Wolfgang Thierse
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({4})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({5})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Karl-Hermann Haack
({6})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({7})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({8})
Walter Hoffmann
({9})
Iris Hoffmann ({10})
Frank Hofmann ({11})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler ({12})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({13})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({14})
Christian Müller ({15})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({16})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({17})
Michael Roth ({18})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({19})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({20})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Ulla Schmidt ({21})
Silvia Schmidt ({22})
Dagmar Schmidt ({23})
Wilhelm Schmidt ({24})
Heinz Schmitt ({25})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Wilfried Schreck
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({26})
Reinhard Schultz
({27})
Swen Schulz ({28})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({29})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({30})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Matthias Weisheit
Prof. Gert Weisskirchen
({31})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({32})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({33})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({34})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({35})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Prof. Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Prof. Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({36})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({37})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({38})
Peter H. Carstensen
({39})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({40})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({41})
Dirk Fischer ({42})
Axel E. Fischer ({43})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({44})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Präsident Wolfgang Thierse
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Tanja Gönner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Dr. Peter Jahr
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({45})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({46})
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({47})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Vera Lengsfeld
Walter Link ({48})
Dr. Klaus W. Lippold
({49})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({50})
Stephan Mayer ({51})
Conny Mayer ({52})
Dr. Martin Mayer
({53})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({54})
Doris Meyer ({55})
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({56})
Bernward Müller ({57})
Hildegard Müller
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({58})
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Prof. Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({59})
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Andreas Scheuer
Georg Schirmbeck
Andreas Schmidt ({60})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Jens Spahn
Erika Steinbach
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({61})
Magdalene Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({62})
Gerald Weiß ({63})
Ingo Wellenreuther
Annette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({64})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
BÜNDNIS 90 / DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({65})
Volker Beck ({66})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({67})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({68})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({69})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({70})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({71})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({72})
Nein
SPD
Klaus Barthel ({73})
Horst Schmidbauer
({74})
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Rüdiger Veit
CDU/CSU
Susanne Jaffke
Prof. Dr. Egon Jüttner
Irmgard Karwatzki
FDP
Daniel Bahr ({75})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich ({76})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({77})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann
({78})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Präsident Wolfgang Thierse
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({79})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Günter Rexrodt
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
Enthalten
CDU/CSU
Anita Schäfer ({80})
Norbert Schindler
BÜNDNIS 90 / DIE
GRÜNEN
Werner Schulz ({81})
({82})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nunmehr
die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b sowie Zusatz-
punkt 6 auf:
19. a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1204 ({83})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1509 ({84})
- Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Modernisierung des
Arbeitsrechts ({85})
- Drucksache 15/1182 ({86})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Brüderle, Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung betrieblicher Bündnisse für Arbeit
- Drucksache 15/1225 ({87})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({88})
- Drucksache 15/1587 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Reinhard Göhner
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({89}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1588 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Volker Kröning
Hans-Joachim Fuchtel
Anja Hajduk
Otto Fricke
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
({90})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Dr. Heinrich L. Kolb, Rainer Brüderle, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur
Schaffung von mehr Arbeitsplätzen - Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel,
Rainer Brüderle, Dr. Heinrich L. Kolb, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Arbeitsmarkt schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Karl-Josef
Laumann, Dagmar Wöhrl, Hartmut Schauerte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern
- Drucksachen 15/430, 15/590, 15/739, 15/1587 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Reinhard Göhner
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit
- Drucksache 15/1576 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({91})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Präsident Wolfgang Thierse
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit hat in seine
Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1587 den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/739
mit dem Titel „Ausbildungsbereitschaft der Betriebe
stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern“ einbezogen. Über diesen Antrag soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. - Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Über den Entwurf eines Gesetzes zu Reformen am
Arbeitsmarkt werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Wolfgang Clement.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten, ist Teil eines tief greifenden Reformprojekts auf dem Arbeitsmarkt, das wir
uns vorgenommen haben. Beim ersten Teil ging es um
die Verbesserung der Arbeitsvermittlungen, um die Personal-Service-Agenturen und um neue Beschäftigungsmöglichkeiten, also um die Schaffung von legalen Miniund Midijobs, um die Zeit- und Leiharbeit sowie um die
Schaffung der Möglichkeit, sich aus der Arbeitslosigkeit
heraus selbstständig zu machen. All diese Maßnahmen
tun inzwischen ihre Wirkung.
In den ersten acht Monaten dieses Jahres haben sich
beispielsweise etwa 160 000 Menschen aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht. Wir wissen aus
Erfahrung mit dem so genannten Überbrückungsgeld,
dass die meisten der Unternehmen, die sie gegründet haben, etwa zwei Drittel, beständig bleiben und nach einiger Zeit zwei bis vier Beschäftigte haben.
Wir haben inzwischen in den Personal-Service-Agenturen, die ja viel kritisiert worden sind, etwa
38 000 Plätze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die so in Arbeitsverhältnisse vermittelt werden können.
Dieser Prozess hat begonnen. Ich weiß von etlichen Erfolgen, die dabei erzielt werden.
Einige 10 000 Menschen haben inzwischen - vermutlich nach früherer Schwarzarbeit; genaue Daten darüber
gibt es natürlich nicht - legale Minijobs bekommen.
Die Maßnahmen tun ihre Wirkung. Jetzt geht es in der
zweiten Runde darum, das Arbeitsrecht beweglicher zu
machen, um den Weg aus der Arbeitslosigkeit in den Arbeitsmarkt zu öffnen und gleichzeitig den Beginn einer
Neuausrichtung der Arbeitslosenversicherung zu vollziehen. Unser Ziel ist klar: Wir wollen wegkommen von
der dauerhaften Finanzierung von Arbeitslosigkeit und
hinkommen zur Vermittlung in Arbeit.
({0})
Die dritte Runde auf diesem Feld der Erneuerung des
Arbeitsmarktes steht unmittelbar bevor. Es geht bei
Hartz III und Hartz IV - die Schlagworte sind bekannt um den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit in eine
Bundesagentur für Arbeit und um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.
Aber zurück zum aktuellen Gesetzentwurf, und zwar
zunächst zum Kündigungsschutz: Wir wollen mit unserem Vorschlag auf der einen Seite niemandem, der heute
Kündigungsschutz genießt, den Kündigungsschutz nehmen. Das ist der eine Gesichtspunkt. Dieser Kündigungsschutz hat einen hohen Wert für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, trägt aber auch dazu bei, dass
die Unternehmen in ihre Beschäftigten investieren und
so ein Verhältnis des Vertrauens zu ihren Beschäftigten
aufbauen, so wie das in vielen Zehntausenden und Hunderttausenden Unternehmen der Fall ist.
Auf der anderen Seite ist nicht zu bestreiten, dass ein
gut ausgebauter Kündigungsschutz in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vor allen Dingen denen hilft, die einen Arbeitsplatz haben, und nicht denjenigen, die in den Arbeitsmarkt hinein wollen. Viele Betriebe stellen
offensichtlich zurzeit nur zurückhaltend ein, weil sie befürchten, die Personalkosten nicht mehr tragen zu können, wenn die Auftragsbücher leerer werden.
Deshalb schlagen wir vor, dass Kleinstbetriebe mit
bis zu fünf Beschäftigten, deren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zurzeit keinen Kündigungsschutz genießen, darüber hinaus fünf befristete Arbeitsverhältnisse
eingehen können, ohne dass sich dabei die Kündigungsschutzlage in ihrem Betrieb ändert. Das ist ein sehr vorsichtiger Schritt, um das Arbeitsrecht und hier insbesondere das Kündigungsschutzrecht an dieser Stelle
gelenkiger zu machen, ohne in irgendeiner Weise den
heute gegebenen Kündigungsschutz für irgendeinen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zu reduzieren.
Ich hoffe, dass dies als ein Signal insbesondere an
Handwerksunternehmen und kleine Gewerbetreibende
zu mehr Einstellungen verstanden wird, ohne dass dabei
auch nur ein Arbeitnehmer den bestehenden Kündigungsschutz verliert. Ich hoffe auf die Wirkung dieser
Maßnahme.
Ob es um den Kündigungsschutz geht oder um das
Arbeitslosengeld: So wünschenswert, klar, überzeugend
und verständlich aus der Sicht des Einzelnen ein hoher
sozialer Schutz gerade bei steigendem Lebensalter ist, so
dürfen wir nicht hinnehmen, dass in seinem Gefolge die
Altersarbeitslosigkeit - gemeint ist schon ein Alter ab
50 Jahren - ansteigt. Es ist offenkundig, dass hier ein
Zusammenhang besteht.
Wir dürfen uns an diesem Punkt nichts vormachen
und machen das auch nicht: Die lange Bezugsdauer von
Arbeitslosengeld in Deutschland für 57-Jährige und Ältere hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Vorruhestand geschickt haben und schicken. Das geschieht auf
Kosten der Sozialkassen und der Beitragszahler. Das geschieht in einer Zeit, in der wir von den Unternehmen
gleichzeitig aufgefordert werden, die so genannten
Lohnnebenkosten zu senken. Diesen Widerspruch müssen wir auflösen. Solche Fehlentwicklungen müssen wir
beenden.
({1})
32 Monate Arbeitslosengeld zu zahlen und Ausgliederung aus dem Arbeitsmarkt in großem Stil zu honorieren ist in Wahrheit keine soziale Wohltat. Praktiken, die
die Erwerbslosigkeit und Ausgliederung von älteren
Menschen verfestigen, dürfen keine Zukunft mehr haben, erst recht nicht, wenn wir wissen, dass etwa ab dem
Jahre 2006 der Nachwuchs von Fachkräften, von Fachleuten auf allen Feldern reduziert werden wird, weil wir
mit einer deutlich abnehmenden Zahl von Schulabgängerinnen und -abgängern zu rechnen haben. Wir brauchen dann nicht zuletzt die Älteren mit ihrer Erfahrung,
mit ihrer Expertise und ihrem Können und wollen darauf
nicht verzichten.
({2})
Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, damit möglichst viele Menschen im Arbeitsprozess bleiben, auch wenn sie schon etwas älter sind. In Deutschland liegt die Altersgrenze, über die diskutiert wird, ja
bereits bei 40 Jahren und das sollten wir uns nicht leisten.
({3})
Das gilt für alle, ja sogar für manche über 60.
Die Rückführung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf oder 18 Monate - das sage ich, um Sorgen entgegenzuwirken, die viele Menschen haben, wie
wir wissen - für über 55-Jährige beginnt erst nach einer
Übergangszeit von etwas mehr als zwei Jahren, nach genau 25 Monaten, also etwa zu Beginn des Jahres 2006.
Um dies klar zu sagen: Bis dahin müssen wir am Arbeitsmarkt so weit sein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer generell nicht mehr in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen, also nicht länger als ein Jahr
arbeitslos bleiben.
Wir müssen einiges tun, um dafür zu sorgen, dass die
über 50-Jährigen im Job bleiben. Dazu geben wir eine
Unterstützung an Unternehmen und an Arbeitnehmer.
Wir zahlen beispielsweise an kleine und mittelständische
Betriebe, wenn sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von über 50 Jahren weiterbilden, einen Zuschuss.
Wir geben einen Beitragsnachlass für Betriebe, wenn sie
ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einstellen,
die ansonsten arbeitslos wären. Wir fördern die Aufstellung von Sozialplänen, die verhindern, dass ganze Jahrgänge aus den Betrieben schlicht herausgekehrt werden.
Wir fördern ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie einen Arbeitsplatz annehmen, der schlechter dotiert ist als der, den sie verlassen mussten. Zugleich
verschärfen wir die Erstattungspflicht für Arbeitgeber,
um Frühverrentungen weitestgehend zu vermeiden.
({4})
Wir sind an weiteren Anregungen und Vorschlägen
interessiert, wie wir dafür sorgen können, dass die Unternehmen nicht auf die Mitarbeit ihrer älteren Arbeitnehmer verzichten. Dafür sind wir absolut offen. Bei den
Frühverrentungen darf es so nicht weitergehen, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer
früher aus dem Arbeitsleben ausgeschlossen werden.
Wir sind davon überzeugt, dass wir mit den Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg bringen wollen, dazu beitragen, die Situation bei der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu stabilisieren.
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. Wenn
über das Arbeitsrecht diskutiert wird, diskutiert man
gleichzeitig auch über das Tarifrecht allgemein, über
betriebliche Öffnungen und die flexible Ausgestaltung
des Tarifrechts. Ich denke, wir sind uns in dem Punkt
alle einig, dass die Tarifvertragsparteien eine große beschäftigungspolitische Verantwortung tragen. Wer über
die Arbeitsbedingungen bestimmt, der hat großen Einfluss auf die Arbeitskosten und damit auf die Beschäftigung. Ich gehe davon aus, dass dies allen Beteiligten klar
ist.
({5})
Ich halte es darüber hinaus für unstreitig, übrigens
auch zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften, dass die Notwendigkeit besteht, Tarifverträge für Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene zu
öffnen. Für viele Tarifverträge gilt das schon heute,
schließlich ist es seit den 90er-Jahren gängige Praxis.
Insbesondere gilt das - darauf wurde schon oft hingewiesen - im Bereich der IGBCE, der Gewerkschaft
Bergbau, Chemie, Energie.
Tarifverträge eröffnen den Betriebsparteien in vielen
Fragen eigenständige Regelungsspielräume. Solche
Freiräume sollten, wie die Bundesregierung meint, in allen Branchen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland
vereinbart werden. Das liegt im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, wenn die Flexibilisierung des
Tarifvertrages in ihren Händen bleibt. Das entspricht
auch dem Geist der Verfassung, die diese Aufgabe im
Zuge der Koalitionsfreiheit den Tarifvertragsparteien
übertragen hat. Sie sind am besten in der Lage, das Verhältnis zwischen Regelungen auf tarifvertraglicher
Ebene und auf Betriebsebene auszutarieren. Die Bundesregierung erwartet von den Arbeitgeberverbänden und
den Gewerkschaften - das hat der Bundeskanzler mehrfach deutlich gemacht -, dass sie hier ihrer Gestaltungsverantwortung aktiv und konstruktiv nachkommen.
Ich möchte noch darauf hinweisen, dass der Europäische Gerichtshof am 9. September entschieden hat, dass
der Bereitschaftsdienst, zum Beispiel von Ärzten, auch
im deutschen Recht als Arbeitszeit im Sinne der EG-Arbeitszeitrichtlinie anzusehen ist. Von diesem Urteil sind
vor allen Dingen die Krankenhäuser betroffen, darüber
hinaus aber auch viele andere Bereiche wie Rettungsdienste, die Feuerwehr, der Wachdienst oder andere.
Obgleich der Europäische Gerichtshof klar entschieden hat, gibt es noch viele offene Fragen. Beispielsweise
sind öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, dieses Urteil
sofort anzuwenden und umzusetzen. Für private ArbeitBundesminister Wolfgang Clement
geber hingegen gilt dies nicht. Deshalb müssen wir, damit keine Ungleichbehandlung entsteht, sofort dafür sorgen, dass der Gesetzgeber die europäische Richtlinie in
nationales Recht umsetzt.
Der Gesetzgeber sollte den Spielraum für sachgerechte Lösungen schaffen. Dabei kann es nicht um eine
grundsätzliche Diskussion des Arbeitszeitrechtes gehen.
Wir sollten vielmehr die erforderlichen Gesetzesänderungen rasch auf den Weg bringen. Dazu ist eine Neuregelung vorgeschlagen worden, die die Vorgaben des
Europäischen Gerichtshofes umsetzt und genug Spielräume für eine praxisgerechte Arbeitszeitgestaltung der
Bereitschaftsdienste bietet. Die Verantwortung für die
personelle und finanzielle Ausgestaltung liegt dafür jetzt
bei den Betrieben, bei den Verantwortlichen in den
Krankenhäusern. Ich bitte, davon verantwortungsbewusst Gebrauch zu machen.
({6})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat
ihr Versprechen gehalten. Mit dem Gesetz, das wir Ihnen
jetzt als Entwurf vorgelegt haben, und mit weiteren
Maßnahmen wollen wir den Arbeitsmarkt für die Menschen öffnen, die außen vor stehen. Über 4 Millionen
Menschen sind arbeitslos gemeldet. Darüber hinaus verharren viele Menschen in Arbeitslosigkeit, die nicht registriert sind. Insgesamt müssen wir etwa 6 Millionen
Menschen in den Arbeitsmarkt hineinbringen. Dafür
müssen wir den Arbeitsmarkt auf allen Ebenen öffnen.
Das tun wir. Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf ist nur
ein Teil. Es sind schon Bemühungen zur Schaffung
neuer Beschäftigungsmöglichkeiten vorausgegangen.
Wir haben uns ferner den Umbau der Bundesanstalt für
Arbeit und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe vorgenommen. All dies dient diesem Ziel.
Ich bin davon überzeugt, dass wir die notwendige Bewegung erzeugen können. Deshalb bitte ich herzlich um
Ihre Unterstützung und gleichzeitig um Verständnis,
dass ich von hier aus in den Bundesrat gehe und die Ministerpräsidenten der Länder ebenfalls noch zu überzeugen versuche, dass der von uns eingeschlagene Weg
richtig ist. Da braucht das etwas länger, aber ich schaffe
das.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Göhner
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein gewisser Paradigmenwechsel ist schon festzustellen, wenn
man die Bundesregierung - in diesem Falle Herrn Minister Clement - jetzt hört. Nachdem wir hier bis
Ende 2002 vier Jahre lang ständig weitere Regulierungen, Bürokratisierungen und Verdichtungen des Arbeitsmarkts und insbesondere des Arbeitsrechts mit den monatlich bekannt gegebenen Folgen auf dem Arbeitsmarkt
erlebt haben, ist jetzt auch bei Ihnen die Rede von einer
Lockerung des Kündigungsschutzes, vom Abbau der
Beschäftigungshemmnisse im Arbeitsrecht und von einer Schwellenproblematik. Einiges in Ihrem Gesetzentwurf ist durchaus vernünftig. Was die Regierung
Schröder 1998 im Kündigungsschutz verschärfte, wird
jetzt wenigstens teilweise wieder zurückgenommen. Das
ist auch dringend notwendig.
Herr Minister Clement, der Mut zur Modernisierung
des Arbeitsrechts hat Sie aber ganz schnell wieder verlassen.
({0})
Nach großen Ankündigungen folgten schon im Gesetzentwurf nur ein paar Minischritte. Diese hat Ihre Fraktion jetzt auch noch mindestens zur Hälfte wieder ins
Gegenteil verkehrt.
({1})
Beim Kündigungsschutz gingen Sie zwei Schritte vor
und zwei Schritte zurück. Erst wollten Sie Kleinbetrieben ab fünf Beschäftigten den Kündigungsschutz bei
Neueinstellungen gänzlich ersparen, dann sollte das nur
für befristete Beschäftigungsverhältnisse - zahlenmäßig
jedoch unbegrenzt - gelten.
({2})
Jetzt sind Sie bei fünf Beschäftigten mit einem vollen
Kündigungsschutz nach Fristablauf geblieben. Sie glauben doch selbst nicht, dass Sie damit wirksam etwas gegen die von Ihnen selbst diagnostizierten Beschäftigungshemmnisse im Arbeitsrecht leisten.
({3})
Zunächst wollten Sie auch, so der Gesetzentwurf, die
Kriterien der Sozialauswahl auf drei beschränken, jetzt
erweitern Sie sie wieder. Das ist übrigens gut gemeint.
Der Bestandsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer,
die ein Arbeitsverhältnis haben, wird erhöht. Die Eintrittsschwelle in den Arbeitsmarkt erhöhen Sie dadurch aber eben auch.
Die EU-Kommission, die Bundesbank, die OECD
und der Sachverständigenrat der Bundesregierung - alle
attestieren Deutschland ein zu starres Arbeits- und Tarifrecht. Alle internationalen Institutionen kommen zu
dem Ergebnis: Je strikter der Schutz für die bestehenden
Arbeitsverhältnisse, desto höher ist die Eintrittsschwelle
für diejenigen, die Arbeit suchen, und desto höher ist die
sich verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit.
({4})
Die OECD benennt Deutschland als Paradebeispiel für
diese Entwicklung.
James Heckman, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, sagte - ich zitiere -:
Die starren Regulierungen in Deutschland erstaunen
mich immer wieder. Vor allem auf dem Arbeitsmarkt … Wenn Deutschland sich von seinen Regulierungen befreien würde, könnte es riesige Beschäftigungszuwächse erzielen.
({5})
Wenn Sie schon dem Nobelpreisträger nicht folgen wollen, dann hören Sie doch wenigstens auf Ihren Sachverständigenrat und auf Ihre Leute im Präsidium der Bundesbank. Sie alle empfehlen Ihnen flexible Öffnungsklauseln
im Tarifvertragsgesetz zur Ausweitung des Günstigkeitsprinzips und um betriebliche Bündnisse für Arbeit zu legalisieren.
Wenn Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Betriebsrat im
eigenen Betrieb zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze oder
zur Schaffung neuer Arbeitsplätze übereinstimmend
vom Tarifvertrag abweichen wollen - zum Beispiel 38
statt 35 Stunden arbeiten wollen -, dann muss das möglich sein. Das ist unsere Grundposition.
({6})
Bei solchen betrieblichen Bündnissen geht es fast immer um die Frage der Verlängerung der Arbeitszeit. Die
Betriebsparteien - Betriebsrat, Arbeitnehmer und Arbeitgeber - brauchen in dieser Frage keine Vormundschaft, auch nicht durch die Tarifparteien.
({7})
Geben Sie den Betriebsparteien die Chance, solche betrieblichen Abweichungen vom Tarifvertrag selbst zu regeln, wenn sie es denn übereinstimmend - das sage ich
noch einmal - zur Sicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze
oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze wollen. Das
würde die Tarifautonomie, die wir wollen, stärken.
Heute befindet sich die Tarifautonomie unter den
geltenden gesetzlichen Bedingungen in einer starken
Erosion. Die Tarifbindung in unserem Land nimmt rapide ab. Wir halten das für eine schlechte Entwicklung,
die wir ändern wollen. Aber was sollen denn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsräte machen, wenn sie
nicht ohne Zustimmung der Gewerkschaften länger arbeiten dürfen, das aber zur Sicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze wollen und für notwendig halten? Ihnen
bleibt nur die Tarifflucht und dahin treiben Sie die Betriebe, wenn Sie an Ihrem starren Tarifrecht festhalten.
Tarifautonomie lässt nicht durch Tarifzwang zukunftsfähig machen.
Herr Clement hat auf die Novellierung des Arbeitszeitgesetzes hingewiesen, um das EuGH-Urteil umzusetzen. Auch hier geht es um die Frage: Wer soll denn
Abweichungen von der gesetzlichen Arbeitszeit vereinbaren können? Nur die Tarifparteien per Tarifvertrag?
Oder dürfen das auch die Betriebsparteien durch Vereinbarungen im eigenen Betrieb?
Wir haben einen Vorschlag vorgelegt zur Umsetzung
der EU-Richtlinie mit der Grundlage Wochenarbeitszeit,
wonach Abweichungen unter bestimmten festgelegten
Voraussetzungen möglich sind. Die Unterschiede: Nach
dem Koalitionsentwurf ist eine Abweichung bei der Arbeitszeit nur aufgrund eines Tarifvertrages möglich.
Ohne Tarifvertrag keine Abweichungsmöglichkeit! Wir
sagen dagegen: Ja, auch per Tarifvertrag muss man unter
bestimmten Bedingungen abweichen können, zum Beispiel für Bereitschaftsdienste bei Betriebsfeuerwehren
und anderen. Aber es muss auch neben dem Tarifvertrag
möglich sein, durch Betriebsvereinbarungen abweichen
zu können, wenn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Betriebsrat das einvernehmlich wollen, um Bereitschaftszeiten zu regeln. Das ist der grundlegende Unterschied
zwischen uns.
Bei der Leiharbeit verlangen Sie zwingend Tarifverträge. Gibt es keinen Tarifvertrag beim Verleiher, gelten
die Arbeitsbedingungen des Kunden. Klassischer Tarifzwang! Beim Arbeitszeitgesetz verlangen Sie bei Abweichung vom Gesetz Tarifverträge. Ohne Tarifverträge
keine Abweichung: klassischer Tarifzwang! Bei betrieblichen Bündnissen verweigern Sie den Bündnispartnern
eine Abweichung vom Tarifvertrag, es sei denn, der Tarifvertrag erlaubt es. Klassischer Tarifzwang!
Wir sagen dagegen: Lasst nicht nur die Tarifpartner
die Sache regeln, sondern gebt auch den Betriebsparteien die Option.
({8})
Betriebsrat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer können gerade Vereinbarungen zur Arbeitszeit vielleicht sogar besser und betriebsnäher gestalten.
({9})
Trauen Sie den Betriebsräten mehr zu!
Sie haben in der letzten Legislaturperiode das Betriebsverfassungsgesetz novelliert und damit die Betriebsverfassung aufgebläht und bürokratisiert und vor
allem größere sowie mehr freigestellte, bezahlte Betriebsräte zulasten des Mittelstandes geschaffen. Diese
kostentreibende Novellierung wollen wir mit unserem
Gesetz ab der nächsten Betriebsratswahl rückgängig machen. Wir wollen nicht größere Gremien, sondern wir
wollen größere Kompetenzen für die Betriebsräte und
weniger Bevormundung durch Gesetz oder Kollektivregelungen. Das ist der Unterschied.
({10})
Meine Damen und Herren, die Gesetzentwürfe von
CDU/CSU und FDP trauen den Menschen in diesen
Punkten mehr zu: mehr Eigenverantwortung, mehr eigene Entscheidungen, weniger Bevormundung, weniger
Fremdbestimmung. Das ist das gesellschaftspolitische
Modell für mehr Beschäftigung, für mehr Freiheit in
Verantwortung, nicht für mehr Staat und mehr gesetzliche und kollektive Regelungen, sondern für mehr verantwortete Freiheit eben auch in den Betrieben, mit den
Betriebspartnern.
Die moderne Arbeitswelt mit einer technologisch
hoch entwickelten höchst arbeitsteiligen globalisierten
Wirtschaft verlangt eine moderne Arbeitsverfassung,
die Sicherheit und Flexibilität verbindet, die subsidiäre
und schnelle Entscheidungsstrukturen stärkt und nicht
nur denen, die Arbeit haben, Schutz gewährleistet, sondern vor allem denen, die Arbeit suchen, Chancen eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt mit Veränderungen im Arbeitsrecht, in dem der ganze Bestandsschutz für diejenigen,
die heute in Arbeitsverhältnissen sind, gewahrt bleibt, in
dem wir aber die Hürden potenziellen neuen Bestandsschutzes bei Neueinstellungen verringern und dadurch
mehr Neueinstellungen ermöglichen.
Schade, dass die Bundesregierung von dem Ansatz,
den Clement am Anfang verfolgte, abgerückt ist!
Schade, dass Sie zwei Schritte vor und zwei zurück machen! Schade, dass Sie diese Chance zur Modernisierung
unserer Arbeitsverfassung vertun!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Fritz Kuhn von Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Uns liegen heute eine Reihe von Gesetzentwürfen zu
Fragen des Kündigungsschutzes und der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes zur Abstimmung vor, die wesentliche Unterschiede zwischen den Vorstellungen aus dem
Lager der Union und der FDP auf der einen Seite und
denen der Regierungsfraktionen auf der anderen Seite
enthalten. Ich will mich in meiner Rede auf diese Unterschiede konzentrieren.
Wir schaffen mit den Vorlagen, über die heute entschieden wird, eine flexiblere und kalkulierbarere Handhabung des Kündigungsschutzes. Tatsächliche und
psychologische Barrieren - bei der Frage von Neueinstellungen geht es um beides - werden abgebaut, ohne
dass das soziale Grundrecht auf Schutz vor willkürlicher
Kündigung geschliffen wird.
({0})
Das ist ein entscheidender Punkt. Die Regelung, dass
fünf befristete Stellen nicht zu der Grenze von fünf Beschäftigten gerechnet werden, führt in der Praxis vor allem dazu, dass junge Unternehmen auch in einer Situation neu einstellen können, in der sie sich nicht sicher
sind, wie sich ihr Geschäftsfeld und ihre Tätigkeit entwickeln werden.
Wir schaffen Sonderregelungen für Existenzgründer - auch dies ist wichtig -, damit Existenzgründungen
erleichtert werden. Wir klären Kriterien für die Sozialauswahl, weil eine der bisherigen Schwächen die
Unklarheiten im Kündigungsschutz waren. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer mussten einen Arbeitsgerichtsprozess deswegen fürchten, weil Verlauf und
Ausgang nicht vernünftig zu kalkulieren waren. Auch
die Festlegung eines Abfindungsanspruchs, wie sie im
Gesetz vorgesehen ist, ist ein Fortschritt, der so manches
Prozessrisiko minimieren kann. Ich glaube, dass dieses
Gesetz das Klima innerhalb der sozialen Marktwirtschaft
verbessert und Neueinstellungen erleichtert.
Ich habe bei manchem, was ich vor allem von der
FDP, modifiziert auch von der CDU gehört habe - aber
die FDP ist da die ideologische Speerspitze -, den Eindruck,
({1})
dass Sie die Kündigungsschutzgesetzgebung insgesamt
Stück für Stück schleifen wollen.
({2})
Ich kann nur sagen: Dies ist mit Rot-Grün nicht zu machen. Wir sind der Meinung, dass Menschen, die vor
willkürlicher Kündigung sicher sind, besser arbeiten und
zufriedener sind. Das ist der Sinn sozialer Gesetzgebung.
Davon darf man nicht abgehen.
({3})
Herr Kollege Kuhn, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Niebel?
Nein, er ist schließlich der nächste Redner. Dann kann
er sich austoben.
Ich will auch etwas zu der Frage der Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes sagen. Mir ist klar, dass es vielen in meiner Fraktion - ich unterstelle, auch vielen in
der SPD-Fraktion - schwer fällt, die Entscheidung zu
treffen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf
zwölf bzw. 18 Monate zu reduzieren. Aber wenn man
sich die Geschichte des Arbeitslosengeldes in der Bundesrepublik anschaut, stellt man fest: Diese Maßnahme
ist notwendig.
1985 hat die Union die Verlängerung der Bezugsdauer
eingeführt. Sie hat damit in der Summe zusammen mit
allen Vorruhestandsmodellen von Herrn Blüm älteren
Beschäftigten in der Bundesrepublik ernsthaft geschadet.
Die ganze Politik - darüber müssen wir heute reden -,
die Sie über 15 Jahre gemacht haben, hat dazu geführt,
dass in so gut wie keinem Betrieb mehr die Beschäftigten
älter als 55 oder 57 Jahre waren. Die Unternehmer haben
sich ohne Mühe und auf bequeme Weise auf Kosten der
Sozialversicherungskassen und der Staatskassen sanieren
können. Sie sahen damals keinerlei Notwendigkeit, eine
Kultur der Altersarbeit aufzubauen. Diese Entwicklung
haben Sie leichtfertig in Kauf genommen.
Ich habe mich 1985 gefragt, was die CDU/CSU-Regierung damals erreichen wollte. Da der Bund für die
Arbeitslosenhilfe zuständig ist, wollte sie Arbeitslosenhilfe dadurch einsparen, dass sie die Bezugsdauer beim
Arbeitslosengeld verlängert und damit die Kosten vom
Bundeshaushalt auf die Sozialversicherungskassen verlagert hat. Damit hat die Regierung aber Schiffbruch erlitten. Ich wiederhole: Sie haben damit den älteren Beschäftigten in Deutschland ernsthaft geschadet. Diesen
Fehler korrigieren wir heute. Das ist notwendig und
sinnvoll, wenn wir wieder mehr Beschäftigung für ältere
Menschen möglich machen und generieren wollen.
Ich will Ihnen, weil Sie den Kopf geschüttelt haben,
einmal eine Zahl nennen. 1985 haben Sie es verlängert,
1986 bis 1987 ist die Arbeitslosigkeit - hören Sie zu und
lassen Sie den Dampf woanders ab - der über 54-Jährigen sprunghaft von 2,5 Prozent auf 12,9 Prozent gestiegen. Das belegt, dass der Schritt, den Sie gemacht haben,
falsch war.
({0})
Weil wir eine großzügige Übergangsregelung bis
März 2006 haben, müssen wir die Betriebe auffordern,
Konzepte für die Beschäftigung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entwickeln. Ich will ganz
deutlich sagen: Schon aus demographischen Gründen ist
es notwendig, in Deutschland für die gesellschaftliche
Akzeptanz der Einsicht zu werben, dass wir die Qualifikation älterer Beschäftigter brauchen und Arbeitnehmer
weiterbilden müssen. Denn ab 2010 werden viele, die
qualifiziert sind, in den Ruhestand gehen und wir werden weniger junge Leute haben, die qualifizierte Jobs
haben. Wir dürfen nicht versuchen, prinzipiell Menschen, die 55 Jahre alt sind, aus den Betrieben zu drängen. Das ist ein Kerngebot der sozialen Marktwirtschaft.
Daran will ich Sie von der Union erinnern.
({1})
Ihr Vorschlag, das Arbeitslosengeld nach der Dauer
der Betriebszugehörigkeit zu staffeln, ist meines Erachtens ungerecht. Dadurch werden zum Beispiel diejenigen
benachteiligt, die in strukturschwachen Regionen leben
und deswegen ein höheres Risiko haben, arbeitslos zu
werden. Der Vorschlag verändert den Charakter der Arbeitslosenversicherung vollständig, die ja eine Versicherung ist, um kurzfristige Risiken zu mindern. Sie machen
aus der Arbeitslosenversicherung eine Ansparversicherung. Sie verkehren also den Sinn der Arbeitslosenversicherung in Deutschland.
Obendrein ist Ihr Vorschlag schlicht und einfach frauenfeindlich; das ist logisch. Denn Frauen haben es doch
viel schwerer, eine kontinuierliche Erwerbsarbeitsbiographie zu erreichen, wenn sie Kinder bekommen.
Durch Ihren Vorschlag werden sie beim Arbeitslosengeld diskriminiert. Das ist ein frauenfeindlicher Vorschlag der Union und der FDP.
({2})
- Da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Sie verfolgen eine bestimmte Linie. Sie haben auch etwas gegen die Teilzeitarbeit. Sie haben in Ihren Gesetzentwürfen Vorschläge gemacht, die Teilzeitarbeit nur noch bei
denjenigen gesetzlich zu ermöglichen, die Kinder haben.
Auch dies führt zu nichts anderem, als dass Arbeitgeber
sich genau anschauen, bei wem das der Fall sein kann
und bei wem nicht. Somit führen Sie auch in diesem Fall
eine positive Diskriminierung ein.
({3})
- Es ist interessant, dass Sie so aufschreien. Sie schreien
immer dann, wenn es weh tut und wenn es wahr ist.
({4})
- Ich kenne Sie, Herr Schauerte. Sonst würden Sie gar
nicht schreien.
({5})
Sie spüren aufgrund des Ihnen eigenen politischen Feingefühls, wenn etwas stimmt. Dann schreien Sie und machen Zwischenrufe.
({6})
Der Vorschlag von Ihnen ist einfach frauenfeindlich.
Nehmen Sie das einmal mit nach Hause nach NordrheinWestfalen und fragen Sie dort Leute, die etwas davon
verstehen.
Ich komme zum dritten und letzten Punkt, den ich ansprechen möchte.
({7})
Es geht um die Bündnisse für Arbeit. Wir sagen klipp
und klar: Wir wollen mehr Bündnisse für Arbeit, weil so
dezentral gute und qualifizierte Entscheidungen zur Bewahrung von Jobs getroffen werden können.
({8})
Wir glauben aber, dass es Aufgabe der Tarifpartner ist,
dieses Thema voranzutreiben. Ich will auch sagen, warum. Nur durch die gemeinsame Verantwortung der Tarifpartner können mehr Bündnisse für Arbeit möglich
werden. Deswegen glauben wir, dass es richtig ist, jetzt
die Betroffenen aufzufordern, sich darum zu kümmern,
dass die bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft und
zusätzliche Möglichkeiten in Tarifverträgen eröffnet
werden.
({9})
Achten Sie bitte auf Ihre Redezeit, Herr Kuhn.
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu.
Ich wollte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit
abgelaufen ist.
({0})
Ach so. Ich komme gleich zum Schluss.
Vorschläge von der FDP, die jetzt auf dem Tisch liegen, haben ein ganz anderes Ziel. Sie wollen durch Aufweichung des Betriebsverfassungsgesetzes und anderer
Gesetze erreichen, dass die Tarifpartner insgesamt, insbesondere die Gewerkschaften
Herr Kuhn, beginnen Sie kein neues Thema. Sie sind
weit über die Zeit.
({0})
geschwächt werden.
Bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ich möchte
Sie nicht ärgern.
Kurzum, die Gesetze, die heute auf dem Tisch liegen,
bringen unterschiedliche Auffassungen zur Sozialpolitik
und zur Arbeitsmarktpolitik zum Ausdruck.
({0})
Sie werden sehen, wie die Abstimmung ausgeht. Die
besseren Auffassungen werden heute gewinnen.
Vielen Dank, Herr Kauder.
({1})
Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als der Bundeskanzler hier am 14. März seine
Agenda 2010 vorgetragen hat, konnte man vermuten,
dass es jetzt Bewegung am Arbeitsmarkt gibt, dass sich
die Regierung besonnen hat und versucht, Fehler rückgängig zu machen und Versäumtes nachzuholen. Angesichts der entsprechenden Vorlagen stellen wir fest: Sie
sind weit hinter dem, was der Kanzler angekündigt hat,
und vor allem weit hinter den Notwendigkeiten des Arbeitsmarktes zurückgeblieben.
Herr Kuhn, es war nicht ganz unbegründet, dass ich
Ihnen, als Sie das Wort ergriffen haben, zugerufen habe:
Ehrlich bleiben! Eines muss man nämlich ganz deutlich
sagen: Willkürliche Kündigungen sind nach dem
Bürgerlichen Gesetzbuch auch ohne besonderes Kündigungsschutzgesetz verboten. All die, die in den
1,46 Millionen Betrieben mit weniger als fünf Arbeitnehmern in Deutschland beschäftigt sind, wären sonst
auch nach Ihrem Gesetz rechtlos und nicht unter Schutz
gestellt. Sie sind also unredlich und unehrlich, Sie haben
hier die Unwahrheit gesagt.
({0})
Dieser Faden zieht sich durch die gesamte rot-grüne
Politik. Herr Kuhn, Sie sind zwar selten in Ihrem Wahlkreis, müssten aber wissen, dass der größte Arbeitgeber
in Heidelberg die Universität ist, das heißt das Land Baden-Württemberg. Sie legen hier eine Regelung zu befristeten Beschäftigungsverhältnissen vor, nach der
man im Verlauf seines Lebens bis zum 52. Lebensjahr
nur einmal beim gleichen Arbeitgeber ohne Sachgrund
befristet beschäftigt werden kann. Informieren Sie sich
doch einmal, was das bedeutet! Das bedeutet, dass ein
Hiwi, der an der Uni einen Aushilfsjob bekommen hat
und danach vielleicht eine halbe befristete Stelle, nicht
mehr die Chance hat, noch einmal beim Land BadenWürttemberg sachgrundlos befristet beschäftigt zu werden. Durch diese Gesetzgebung verhindern Sie Beschäftigungsmöglichkeiten in unserem Land.
({1})
Sie haben gesagt, dass wir mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit brauchen. Das ist richtig. Aber Sie gängeln die Leute und entmündigen die Betriebsräte durch
die Möglichkeit des Vetos der Verbände und Gewerkschaftsfunktionäre. Lassen Sie den Menschen mehr Freiheit im Betrieb! Wenn sich 75 Prozent der Belegschaft in
freier und geheimer Wahl für eine andere Regelung als
die des Kartells entscheiden, dann muss ihnen auch die
Umsetzung dieser Entscheidung ermöglicht werden. Immer mehr Menschen in diesem Land wissen, dass wir
unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit
nicht durch immer kürzere Arbeitszeiten, immer mehr
Urlaub und immer höhere Löhne behalten können. Wer
glaubt, unter diesen Voraussetzungen wettbewerbsfähig
bleiben zu können, Herr Kuhn, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten können.
({2})
Wir müssen einfach unsere „Sattheit“ ablegen. Nur so
können wir im Wettbewerb mit den hungrigen mittelund osteuropäischen Staaten mithalten und müssen keine
gravierenden Wohlstandsverluste hinnehmen. Ihre Gesetzgebung führt uns auf diesem Weg keinen Schritt weiter. Der Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland
ist schlichtweg „verriestert“ und verriegelt. Es ändert
sich daran auch nichts, wenn Sie hinsichtlich der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes endlich eine neue Justierung vornehmen wollen, wofür wir im Übrigen immer
beschimpft worden sind.
({3})
Der Bezug des Arbeitslosengeldes von bis zu
32 Monaten hat den Sinn der Arbeitslosenversicherung
verkehrt. Früher einmal war diese Versicherung eine
Ausfallbürgschaft zur Sicherung des Lebensstandards
für einen klar definierbaren Zeitraum der Arbeitssuche.
Sie hat sich über die Jahre wegen politischer Fehlentscheidungen zu einer Daueralimentierung entwickelt.
Wer weiß, dass der durchschnittliche Arbeitslosengeldbezug im Jahr 2002 bei 21 Wochen lag - das sind fünf
Monate -, der weiß, dass Sie mit Übergangsfristen für
neue Arbeitslose bis zum Jahr 2006 und für Bestandsarbeitslose bis zum Jahr 2008 zwei Dinge nicht schaffen
werden: eine durchschlagende Reform und vor allem
eine schnelle Reform, also eine schnelle Veränderung
am Arbeitsmarkt.
Die FDP-Bundestagsfraktion legt Ihnen eine liberale
Alternative zur Neuordnung der Bundesanstalt für
Arbeit vor. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als
der Bundeskanzler vor anderthalb Jahren, als Herr
Gerster inthronisiert wurde, in einer Pressekonferenz gesagt hat: Ich schicke meinen besten Mann auf meine
wichtigste Baustelle. - Diesen besten Mann hat er dann
auch gleich eingemauert, zwischen dem Hauptpersonalrat, der Selbstverwaltung mit Frau Engelen-Kefer, der
SPD-Bundestagsfraktion und jeder Menge Regelungen
und Vorschriften. Die Bundesanstalt für Arbeit in ihrer
jetzigen Form ist schlicht nicht reformierbar.
({4})
Deswegen beantragt die FDP-Bundestagsfraktion heute
in erster Lesung - wir werden das im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren zu Hartz III und IV diskutieren -, dass
die Bundesanstalt in ihrer jetzigen Form aufgelöst und in
einer Versicherungs- und einer Arbeitsmarktagentur neu
geordnet wird.
Die kommunalen Jobcenter werden sich um den Ausgleich am Arbeitsmarkt bemühen. Wir schaffen damit
Strukturen, die es den Menschen nicht nur ermöglichen,
endlich wieder mitzuwirken, sondern die auch dafür sorgen, dass wir zukunftsfähig bleiben.
Denn eines haben Sie bisher mit Ihren Gesetzesvorlagen noch nicht geschafft: Wir haben noch keine Gesetzesvorlage bekommen, durch deren Umsetzung Arbeitsplätze geschaffen würden. Ihre Gesetzentwürfe würden
allenfalls bewirken, dass die Arbeitslosigkeit schneller
beendet wird und dass vorhandene Arbeitsplätze schneller und qualitativ hochwertiger besetzt würden.
Was Sie uns noch vorlegen müssen, ist der Entwurf
einer durchgreifenden Steuerreform, durch die den Menschen und den Betrieben netto mehr Geld in der Tasche
bleibt, sodass durch Investitionen und Konsum wieder
neue Arbeitsplätze in Deutschland entstehen können. Sie
aber trauen sich seit Beginn Ihrer Regierungszeit nicht,
sich vom Fleck zu rühren.
Die FDP wird Sie auch in diesem Punkt weiterhin
sehr konstruktiv begleiten. Ich bin gespannt, wie Sie mit
unseren Vorschlägen umgehen, wenn Sie sich an dem
Maßstab messen lassen wollen, den der Kanzler definiert
hat. Er wollte sich jederzeit am Maßstab des Abbaus der
Arbeitslosigkeit messen lassen. Selbst wenn das mancher von Ihnen bereits vergessen hat, werden wir das
weiterhin tun.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Brandner von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zu
Reformen am Arbeitsmarkt verabschieden wir nach dem
Gesundheitsmodernisierungsgesetz den zweiten Meilenstein zur Umsetzung der Agenda 2010.
Wir verfolgen dabei das Ziel, den Arbeitsmarkt beweglicher zu machen, ohne den sozialen Schutz zu vernachlässigen. Der Schutzgedanke zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen darf nicht verloren
gehen. Das Recht des Stärkeren darf sich nicht behaupten. Wir brauchen vielmehr eine soziale Balance. Sie hat
unseren Staat groß und wichtig gemacht. Dafür stehen
die Sozialdemokraten auch weiterhin ein.
({0})
Im Übrigen würde eine Verschiebung dieser Prinzipien auch nicht zu mehr Beschäftigung führen. Sie
würde allenfalls eine größere Verunsicherung bewirken,
die dem Standort Deutschland nur schaden würde. Verunsicherung ist das Letzte, das wir zurzeit brauchen können.
({1})
Während der Geschäftsklimaindex nun zum fünften
Mal hintereinander positive Daten für Wirtschaft und
Beschäftigung aufzeigt, erweisen die von Ihnen, meine
Damen und Herren von der Opposition, angezettelten
Debatten einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung
einen Bärendienst.
({2})
Unterstützen Sie deshalb den sachlich-konkreten Kurs,
den die Sozialdemokraten zusammen mit ihrem Koalitionspartner, den Grünen, fahren!
Neue Arbeitsplätze entstehen überwiegend in Kleinbetrieben und durch Existenzgründungen. Die Zahl der
Existenzgründungen durch Arbeitslose ist bekanntlich
enorm gestiegen, und zwar auf voraussichtlich mehr als
200 000 im Jahr 2003. Das ist ein Erfolg unserer Politik,
die den Menschen Mut gemacht hat, wieder selbst Verantwortung zu übernehmen und die Eigendynamik zu
stärken. Auch deshalb brauchen wir kein Klima der Verunsicherung; vielmehr brauchen wir ein Klima, das den
von uns verfolgten Kurs unterstützt.
({3})
Wir wollen darüber hinaus die Einstellung weiterer
Mitarbeiter in Kleinbetrieben unterstützen. Kleinbetriebe bis fünf Beschäftigte sollen zusätzlich fünf befristet Beschäftigte einstellen können, ohne dass das Kündigungsschutzgesetz greift. Überstunden sollen möglichst
in Beschäftigung umgewandelt werden. Für den Fall,
dass bei einer gegebenen Auftragslage ein Zweifel besteht, ob eine Einstellung mit einem arbeitsrechtlichen
Risiko verbunden wäre, haben wir eine entsprechende
soziale Bandbreite vorgesehen.
Mit unserem Änderungsvorschlag haben wir im Übrigen auf die Expertenanhörung reagiert und Rechtssicherheit im Interesse der kleineren Betriebe bzw. der Arbeitgeber organisiert. Eine Bandbreite von fünf plus fünf ist
verfassungsrechtlich geboten. Insofern wäre auch Herr
Göhner gut beraten, diese Rechtssicherheit mit zu unterstützen und die BDA aufzufordern, das als positives Signal an die Kleinbetriebe weiterzugeben.
({4})
Existenzgründer können darüber hinaus bis zu vier
Jahre befristet neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
einstellen, ohne dass das Kündigungsschutzgesetz greift.
Das ist ein weiteres Signal dafür, den Mutigen im Lande
Unterstützung zukommen zu lassen.
Vor allem der Rechtssicherheit und der Vereinfachung der Verfahren dienen die Änderungen bei der Sozialauswahl und die Neuregelung, wonach die Arbeitgeber bei einer Kündigung gleich eine Abfindung anbieten
können. Wenn der oder die Gekündigte sie annimmt,
herrscht sofort Rechtssicherheit. Es war und ist ein wesentliches Ziel unserer Reform, Rechtssicherheit für die
Unternehmen und die Arbeitnehmer zu schaffen. Das
wird mit diesem Gesetzentwurf Wirklichkeit.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir mehr Beweglichkeit
am Arbeitsmarkt brauchen. Die Rahmenbedingungen
dafür werden nicht nur durch rechtliche Faktoren gesetzt
werden. Psychologische Faktoren spielen dabei, wie wir
wissen, eine wesentliche Rolle. Wir wollen, dass insbesondere ältere Arbeitnehmer mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Gegenüber den skandinavischen Ländern oder gegenüber Großbritannien haben wir einen
ganz erheblichen Rückstand bei der Beschäftigung Älterer. Sie werden vom Arbeitsleben oft genug ausgeschlossen. Ich halte das für einen Skandal. Das sollte man auch
so deutlich formulieren.
Arbeitslosigkeit ist ein Skandal in unserem Land.
Diese Stigmatisierung aufzuheben müsste ein gemeinsames Anliegen von Regierung und Opposition sein.
({5})
Die lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes hat
ohne Frage mit dazu geführt, dass ein falscher Anreiz
gesetzt worden ist. Wir werden dieser Entwicklung nicht
mehr Vorschub leisten, sondern wir sorgen dafür, dass
wichtige Schrittmacherdienste stattfinden, zum Beispiel
dadurch, dass Förderinstrumente organisiert werden, damit ältere Arbeitnehmer - ökonomisch gestützt - im Arbeitsprozess bleiben können. Genau dieses Ziel haben
wir mit den ersten beiden Hartz-Gesetzen verfolgt. Dieser Ansatz muss weiterentwickelt werden.
Ganz entscheidend ist dabei, dass wir den Fehlanreiz
streichen und auf der anderen Seite einsehen, dass die
Stigmatisierung in der Gesellschaft durch verbesserte
rechtliche Rahmenbedingungen nicht einfach aufgehoben ist. Gerade aus diesem Grund ist eine gemeinsame
Aktion sozialpolitisch zweckmäßig und geboten.
Wir haben dazu eine Reihe von Maßnahmen auf den
Weg gebracht, zum Beispiel das Langzeitarbeitslosenprogramm. Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen,
dass Arbeitslose ab dem 50. Lebensjahr, die eine geringer bezahlte Beschäftigung annehmen, für eine befristete
Zeit die Lohndifferenz ausgeglichen bekommen. Zusätzlich werden ihre Rentenversicherungsbeiträge aufgestockt. Eine weitere Maßnahme ist, dass Arbeitgeber, die
Arbeitslose über 55 Jahre einstellen, keine Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung mehr zu entrichten brauchen.
Wir haben eine Flut von Maßnahmen, die genau diesen
Prozess unterstützen sollen, in Gang gesetzt.
Von einer solch ausgewogenen und gezielten Strategie ist die Opposition aus meinem Blickwinkel leider
weit entfernt. Deshalb sage ich ganz deutlich: Lasst uns
gemeinsam dafür werben, dass die Dinge, die wir als
Problem erkannt haben, gemeinsam umgesetzt werden!
Lassen Sie uns also gemeinsam dafür eintreten, dass
mehr Beschäftigung der Älteren Wirklichkeit wird.
Ich komme zum Schluss. Wir erteilen den Gesetzentwürfen der Opposition eine ganz klare Absage, was die
Eingriffe in die Tarifautonomie anbelangt.
({6})
Als Biedermann fordern Sie eine gesetzliche Regelung
für betriebliche Bündnisse für Arbeit; als Brandstifter
wollen Sie die Gewerkschaften dauerhaft und nachhaltig
schwächen. Dafür steht eindeutig die Aussage von Herrn
Merz, man wolle „den Sumpf trockenlegen“. Das nenne
ich eine gesellschaftliche Brandstiftung, der wir nicht
einfach zusehen werden. Wir werden vielmehr zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und den Arbeitnehmern, mit den Gewerkschaften und mit den positiv gestimmten Arbeitgebern deutlich machen, welche
Bedeutung die Tarifautonomie für dieses Land - nicht
nur verfassungsrechtlich, sondern auch sozialpolitisch hat.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brandner, Sie werden sich noch über
all das wundern, dem Sie in den nächsten Monaten zustimmen werden.
({0})
Als vor einem Jahr die Bundestagswahlen stattfanden,
haben die Menschen in Deutschland der gesamten Politik einen zentralen Auftrag gegeben: mehr Arbeitsplätze.
Dieser zentrale Auftrag, in erster Linie an die Regierung
gerichtet, ist nach einem Jahr nicht erfüllt. Allein im Verlauf der letzten zwölf Monate ist die Erwerbstätigkeit in
Deutschland um 600 000 Beschäftigte zurückgegangen.
Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Frankfurts.
Als Notar des eigenen Versagens hat diese Bundesregierung vor wenigen Tagen festgestellt, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr bei durchschnittlich 4,4 Millionen
Menschen liegt.
({1})
Die dynamisch wachsende Arbeitslosigkeit bringt die
Finanz- und die Sozialsysteme - ich sage das ohne
Häme - dem Kollaps jeden Tag näher.
({2})
Darüber haben wir schon heute Vormittag im Rahmen
der Debatte über die Gesundheitsreform diskutiert.
({3})
Allein die registrierte Arbeitslosigkeit hat im vergangenen Jahr gesamtwirtschaftliche Kosten in Höhe von
75 Milliarden Euro verursacht. Etwa die Hälfte entfiel
auf die gestiegenen Ausgaben für das Arbeitslosengeld
und die andere auf die Einnahmeausfälle, insbesondere
bei den Steuern.
Die Bundesregierung - das erkennen wir durchaus
an - hat in zahlreichen Anstrengungen versucht, das Problem einzugrenzen. Sie haben sich in all den Jahren viel
einfallen lassen: JUMP-Programm, Jobfloater, Mainzer
Modell sowie Hartz-Konzepte mit aufsteigenden römischen Ziffern. Sie waren sehr erfolgreich in Sprachschöpfungen. Aber bei der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen haben Sie überhaupt nichts, null Komma
null bewegt.
({4})
Jetzt - das ist der Unterschied zwischen Ihnen und
uns -, da wir sehen, dass der Flächenbrand Arbeitslosigkeit jeden Tag mehr wütet und dass die Flammenwände
hochlodern - in den ersten Monaten des kommenden
Jahres droht die Flammenwand der Arbeitslosigkeit die
5-Millionen-Grenze zu erreichen -,
({5})
beginnen Sie zwar langsam, in die richtige Richtung zu
steuern. Aber Sie geben der Feuerwehr nur einen Gartenschlauch mit. Das genügt nicht. Angesichts der eben
skizzierten Situation müssen Sie alles einsetzen, um den
Flächenbrand zu bekämpfen. Sie brauchen Löschflugzeuge, Hubschrauber und Bodenpersonal auf allen Ebenen.
({6})
Das ist der Unterschied zwischen Ihren und unseren
Konzepten: Wir haben einen Gesamtansatz, der weiter,
tiefer und schneller wirkt.
({7})
Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen Ihnen und uns liegt bei den betrieblichen Bündnissen für
Arbeit. Wir meinen, dass Betriebsrat und Betriebsleitung schneller und leichter maßgeschneiderte Lösungen
finden können. Wir wollen, dass Deutschland wieder
Exportnation Nummer eins wird. Wir wollen aber nicht,
dass auch in Zukunft Deutschlands Hauptexportartikel
Arbeitsplätze sind. Wir wollen, dass die Arbeitsplätze
bei uns bleiben.
({8})
Der Sachverständigenrat der Bundesregierung hat in
den Punkten 10 und 11 seines Jahresgutachtens, das vor
wenigen Monaten veröffentlicht wurde, unmissverständlich unsere Forderungen unterstützt, Herr Brandner.
Ohne betriebliche Bündnisse werden noch mehr Betriebe aus dem Tarifvertrag flüchten. In den neuen Bundesländern - hören Sie gut zu - waren beispielsweise
1999 nur noch 21 Prozent der Betriebe in einem Flächentarifvertrag. Drei Jahre zuvor waren es noch
7 Prozentpunkte mehr. In den alten Bundesländern waren im gleichen Zeitraum nur noch 44 Prozent in einem
Flächentarifvertrag. 1995 waren es noch mehr als
50 Prozent.
({9})
Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel nennen, das belegt, wie segensreich betriebliche Bündnisse wirken
können. Der Tarifvertrag, den die Deutsche Post AG
mit Verdi geschlossen hat, wirkt im Kern wie ein betriebliches Bündnis für Arbeit; denn aufgrund der historischen Situation ist der Betrieb Deutsche Post AG tariffähig und kann mit der Gewerkschaft einen derartigen
Vertrag abschließen. Wie sieht der Inhalt aus? Die wöchentliche Arbeitszeit kann zum Beispiel flexibel auf
48 Stunden erweitert werden. Die erwünschten Wirkungen dieses letztlich wie ein betriebliches Bündnis wirkenden Tarifvertrags zeigen sich: Es gibt eine Arbeitsplatzgarantie. Die Menschen haben die Chance, ihre
Arbeitszeit individuell einzuteilen. Wer jung ist, ein
Haus bauen will und zusätzliches Einkommen braucht,
kann bis zu 48 Stunden arbeiten. Eine junge Mutter, die
etwas mehr Zeit für die Kindererziehung braucht, kann
sich für eine Wochenarbeitszeit von 30 Stunden entscheiden. Wer älter ist und an den Ruhestand denkt, der
wird die Wochenarbeitszeit nicht mehr voll ausschöpfen
und erheblich weniger arbeiten.
({10})
Nur die historische Sondersituation der Post hat diesen Vertrag ermöglicht. Wir wollen aber, dass nicht nur
die Post derartige Verträge abschließen kann, sondern
dass jeder Betrieb Möglichkeiten hat, flexibel auf Herausforderungen zu reagieren.
({11})
- Sie wissen genau, dass die Betriebe solche Möglichkeiten heute nicht haben.
Dieses Beispiel zeigt aber auch noch eine für den einen oder anderen von Ihnen unangenehme Wahrheit: Die
Zeit der endlosen Arbeitszeitverkürzungen ist vorbei.
Man kann nicht mehr meinen, es würde alles so weitergehen wie bisher. Die Arbeitnehmer in unserem Land
sind bereit, mehr zu arbeiten, auch um den Preis des Verzichts auf einen Lohnausgleich, wenn sie dafür einen sicheren Arbeitsplatz erhalten, der auf Dauer garantiert
wird.
({12})
Längere Arbeitszeiten schaffen übrigens auch mehr
Wirtschaftswachstum. Das zeigt ein Beispiel: Wie der
Zufall so will, werden im nächsten Kalenderjahr sechs
Feiertage - anders als in diesem Jahr - auf Samstage und
Sonntage fallen. Allein dieser kalendarische Zufall kreiert ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent. Das ist
der Beweis dafür, dass Mehrarbeit die Wirtschaft ankurbeln wird.
({13})
- Nein.
Nun sagen Sie von der Regierung zu uns als Opposition ständig, fast wöchentlich, in immer kürzeren Intervallen, wir sollten mit Ihnen kooperieren, wir sollten zusammenarbeiten, weil die Problemlage so schwierig sei.
Die Problemlage ist so schwierig, wie ich sie geschildert
habe.
({14})
Nur: Zusammenarbeit ist natürlich keine Einbahnstraße.
Zusammenarbeit heißt, dass man aufeinander zugeht.
Deshalb sage ich Ihnen heute: Ihnen liegt von uns ein
umfangreiches Konzept vor, das die Arbeitslosigkeit
über das Arbeitsrecht entscheidend bekämpfen kann.
Unsere Angebote sind: Neuregelung des Kündigungsschutzes, Beschränkung des Anspruchs auf Teilzeitarbeit, Neuregelung befristeter Arbeitsverhältnisse, Beschränkung des Anspruchs auf Tariflohn für
Leiharbeitnehmer, Beseitigung der Anreize zur Frühverrentung. Sie haben jetzt die Wahl: Entweder nehmen Sie
unsere Vorschläge ernst oder machen rücksichtslos von
Ihrer parlamentarischen Mehrheit hier Gebrauch. Die
Menschen in Deutschland erwarten, dass Sie unsere Vorschläge nicht einfach vom Tisch wischen, sondern dass
Sie sie ernst nehmen. Dazu fordere ich Sie hier auf.
({15})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute über weitere Maßnahmen aus dem so
genannten Hartz-Paket. Das Paket werde, so die rotgrüne Werbung, die Arbeitslosigkeit massiv senken. Ich
wiederhole für die PDS im Bundestag: Das Gegenteil
wird eintreten.
({0})
Heute geht es vor allem um drei Punkte: Der Kündigungsschutz soll vermindert werden. Die Bezugsdauer
des Arbeitslosengeldes soll verkürzt werden. Das Tarifrecht soll gelockert werden. Allein diese Aufzählung
zeigt, wo Sie den Hebel oder - besser - den Hobel ansetzen, nämlich bei den Arbeitnehmern und bei den Arbeitslosen. Sie wissen, dass wir das für falsch und für
unsozial halten.
Sie wollen die Dauer des Anrechts auf Arbeitslosengeld auf zwölf Monate begrenzen. Damit folgen Sie dem
Trugbild vom faulen Arbeitslosen, der durch Entzug zur
Arbeit gezwungen werden muss. Sie erzählen hier auch
Märchen - so wie heute wieder geschehen -, indem Sie
uns vorgaukeln, zwei Jahre nach Ablauf der ersten Übergangsfrist würde sich grundsätzlich etwas an der Situation geändert haben, es würden millionenfach Arbeitsplätze geschaffen worden sein, auf die Arbeitslose, auch
solche über 50 Jahre, vermittelt werden könnten. Ich
habe hier schon mehrfach vorgetragen, wie weltfremd
Ihr Ansatz und wie ungerecht Ihr Vorgehen ist. Das Resultat werden nicht weniger Arbeitslose, sonder mehr
Arbeitslose in Armut sein - ein zynisches Konzept.
Der Kündigungsschutz soll gelockert werden. Dies
entlaste in schweren Zeiten und erleichtere Einstellungen in guten Zeiten, sagen Sie. Das Argument klingt erst
einmal logisch, es hat nur zwei grundsätzliche Macken:
Es macht Arbeitnehmer zum ungeschützten Spielball für
Unternehmer und es beschleunigt die Abwärtsspirale für
abhängig Beschäftigte.
Schließlich wollen Sie mit dem heute zur Diskussion
stehenden Teil des Gesetzespakets das geltende Tarifrecht brechen. Bislang gelten Tarife bundesweit. Das
stärkt den sozialen Frieden und den Standort. Es schützt
den Wettbewerb und vor Dumping. Aus Sicht der Arbeitnehmer bedeutet das Tarifrecht: Es schützt vor Willkür und ungehemmter Ausbeutung und es folgt Werten
wie sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Das alles
steht heute zur rot-grünen Disposition.
Nun kennen wir alle Situationen, in denen eine Ausnahme von der Regel durchaus hilfreich sein kann - aber
eben als Ausnahme, nicht als Regel. Schauen Sie auf die
neuen Bundesländer: Dort sind die Ausnahmen West
schon längst die Regel Ost, dort sind die Löhne niedriger, dort sind die Arbeitsverhältnisse ungeschützter und
dort ist die Arbeitslosigkeit höher.
Deshalb hat die PDS im Juni ein Alternativprogramm
für die neuen Bundesländer zur Debatte gestellt. Es ist
ein Grundfehler, dieses einfach als Ostprodukt abzutun.
Wenn ich durch die alten Bundesländer toure und zum
Osten befragt werden, dann sage ich immer: Der Osten
ist eure Zukunft. Ihr könnt wählen zwischen einem Pflegefall und einem Zukunftsprojekt.
({1})
Wer allerdings das Hartz-Konzept als Zukunftsprojekt
verkaufen will, ist schlicht ein krimineller Hausierer.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Anette Kramme von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Göhner, Herr Niebel und
Herr Singhammer, wenn ich Sie höre, dann denke ich
mir manches Mal: Wie unüberbrückbar ist der Dissens
bei den Arbeitnehmerrechten in der sozialen Marktwirtschaft geworden! Sie wollen Entrechtete und Sprachlose. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses
Landes können dankbar sein, dass sie sich nicht in Ihren
Händen befinden.
({0})
Die Arbeitgeber jammern und lamentieren. Sie fordern den Abbau von Arbeitnehmerrechten, denn das Arbeitsrecht sei ein Hindernis bei Einstellungen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung
des Kündigungsschutzes sowie den vorhergehenden Gesetzen zur Leiharbeit und zur Befristung der Arbeitsverhältnisse haben wir die geforderte Flexibilität geschaffen. Vielen von uns ist das nicht leicht gefallen; viele
haben gehadert und gelitten. Aber wir führen die Änderungen trotzdem durch, und zwar mit der ganz klaren Erwartungshaltung, dass in dieser Republik Arbeitsplätze
geschaffen werden.
Ich persönlich habe durchaus Zweifel, dass das auf
diese Weise geschieht. Ich habe die Untersuchung gelesen, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums
1997 erstellt worden ist. Darin heißt es:
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die erhofften Beschäftigungswirkungen noch nicht eingetreten sind,
sondern sogar Beschäftigung abgebaut wurde. …
Allerdings warnen die Befragungsergebnisse vor
übertriebener Hoffnung bezüglich der Beschäftigungswirksamkeit.
Genau aus diesem Grunde haben wir die gesetzlichen
Änderungen befristet. Wir werden eine exakte Evaluierung zum 31. Juli 2007 vornehmen. Ich garantiere Ihnen: Wir werden die Regelungen zurücknehmen, wenn
die Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land
nicht beweisen, dass sie das neue Recht für Einstellungen nutzen. Es ist jetzt Sache der Unternehmen, Unternehmensgeist und Tatkraft zu zeigen und ihre Verantwortung gegenüber dem Staat und der Gesellschaft
einzulösen.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu den Änderungen machen, die die Koalitionsfraktionen gegenüber
dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgenommen
haben.
Frau Kollegin Kramme, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?
Ja.
Bitte schön, Herr Niebel.
Vielen Dank, Frau Kramme. - Sie haben gerade gesagt, Sie würden gegebenenfalls Regelungen zurücknehmen. Stimmen Sie mir zu, dass Sie nach Antritt der rotgrünen Bundesregierung 1998 in den ersten Korrekturgesetzen die Regelungen der alten Regierung im Beschäftigungsförderungsgesetz von 1996 zurückgenommen haben - das haben Sie ja auch im Wahlkampf
versprochen - und dass Sie ganze Passagen von diesen
Regelungen in das neue Gesetz eingefügt haben, und
wird die Rücknahme, die Sie eben angekündigt haben,
ähnlich aussehen?
({0})
Wir haben Teile der Regelungen zurückgenommen;
das ist richtig. Aber die Regelungen, die wir jetzt geschaffen haben, sind weitaus verträglicher.
({0})
Wir setzen die Grenze in Bezug auf den Kündigungsschutz nicht bei zehn Arbeitnehmern an, denn das würde
dazu führen, dass für eine Vielzahl von Betrieben das
Kündigungsschutzgesetz nicht mehr gelten würde. Stattdessen haben wir eine verträgliche Regelung für die befristeten Arbeitsverhältnisse aufgenommen. Das ist eine
vernünftige Lösung, die eine sozialdemokratische Handschrift trägt.
({1})
Ich möchte jetzt auf die Änderungen eingehen, die
wir am Regierungsentwurf vorgenommen haben.
Erstens. Wir haben uns - wie bereits erwähnt - entschieden, den Schwellenwert bei den nicht zu berücksichtigenden befristeten Arbeitsverhältnissen auf fünf
Arbeitnehmer zu begrenzen. Bei der Sachverständigenanhörung sind von verschiedenen Seiten verfassungsrechtliche Bedenken vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgetragen
worden. Die Änderung ist auch politisch richtig. Es kann
und darf nicht sein, dass in einem Betrieb wie zum Beispiel in einer Reinigungsfirma vier Arbeitnehmer fest
und 200 Mitarbeiter befristet angestellt sind. Einen solchen Missbrauch darf es nicht geben. Die von uns geschaffene Regelung ist für Handwerker und Gewerbetreibende mit kleinen Betrieben gedacht, die nur über
geringe Kenntnisse des Arbeitsrechts verfügen und deshalb weniger auf andere arbeitsrechtliche Lösungen zurückgreifen können.
Zweitens. Wir haben uns außerdem entschieden, die
Schwerbehinderung als zusätzliches Sozialauswahlkriterium bei betriebsbedingten Kündigungen aufzunehmen. Das Verfahren vor dem Integrationsamt nach
SGB IX bietet nicht in jedem Fall hinreichend sozialen
Schutz. Einerseits ist die Sozialauswahl nicht eigentliches Prüfkriterium, andererseits ist zu berücksichtigen,
dass bei Massenentlassungen das Integrationsamt regelmäßig im Wege der Ermessensreduzierung gezwungen
ist, der Entlassung von Schwerbehinderten zuzustimmen.
Drittens. Hinsichtlich der Regelung über die Leistungsträger, die aus der Sozialauswahl herausgenommen werden können, haben wir keine Änderung für erforderlich gehalten. Das Bundesarbeitsgericht hat hier in
seiner Entscheidung aus dem Jahr 2002 hinreichende
Festlegungen vorgenommen: So muss der Arbeitgeber
einen nicht unerheblichen Leistungsvorteil durch den
Leistungsträger für den Betrieb belegen. Darüber hinaus
muss nach der Rechtsprechung des BAG eine Interessensabwägung zwischen dem Leistungsträger und dem
zu kündigenden Arbeitnehmer stattfinden.
Viertens. Es war auch keine ausdrückliche Änderung
bei der Namensliste erforderlich. Es besteht ein Anspruch darauf, dass dem gegen seine Kündigung klagenden Arbeitnehmer die nachvollziehbaren Gründe für die
Sozialauswahl bei der Erstellung einer Namensliste offen gelegt werden.
Fünftens. Die Ausweitung der Erstattungsansprüche
gegenüber dem Arbeitsamt nach § 147 a SGB III steht
vor dem Hintergrund, dass wir nicht wollen, dass Arbeitgeber vor dem In-Kraft-Treten der anstehenden Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verstärkt
Vorruhestandsregelungen zulasten der Solidargemeinschaft kreieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
mit Ihrem Arbeitsrechtsmodernisierungsgesetz haben
Sie einen Griff in die Klamottenkiste getan. Gebetsmühlenartige Wiederholungen tragen nicht zu einer inhaltlichen Verbesserung Ihrer Politik bei. Sie behelligen uns
mit ständig gleich bleibenden Gesetzesentwürfen.
Was sich bei Ihrem Antrag insbesondere feststellen
lässt: Sie wollen nicht mehr die Streitkultur der Gewerkschaften, Sie sind vom Konsens der sozialen Marktwirtschaft abgerückt. Sie wollen die Gewerkschaften zu einer Instanz der unverbindlichen Meinungsäußerung
degradieren. Sie wollen mehr Entscheidungen auf die
Ebene der Betriebsräte verlagern. Das hört sich gut an.
Das ist es aber nicht. Jeder Betriebsrat wird vor dem
Hintergrund angedrohter Kündigungen jeglichen Arbeitsbedingungen vor Ort zustimmen. Das Erpressungspotenzial ist ein anderes, wenn nicht mit den Gewerkschaften, sondern mit den Betroffenen vor Ort
verhandelt wird.
Auch passt es Ihnen natürlich, dass es auf betrieblicher Ebene kein Streikrecht gibt. Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Klemm von Daimler-Chrysler hat zu
Recht geäußert, betriebliche Bündnisse könne es nur geben, wenn es in den Betrieben auch ein Streikrecht für
den Betriebsrat gibt.
({2})
In der Sachverständigenanhörung hat Professor
Dieterich schön dargelegt, dass es einer gesetzlichen Regelung zu den betrieblichen Bündnissen an sich nicht bedarf. Jederzeit ist es möglich, die Zustimmung der Tarifvertragsparteien zu einer Betriebsvereinbarung mit
tariflichen Inhalten einzuholen. Dadurch wird nachträglich ein Tarifvertrag begründet. Sie aber wollen das
nicht; vielmehr wollen Sie eine Demütigung der Gewerkschaften, indem Sie eine solche Regelung nicht zulassen.
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, Ihre Anträge sind gleichermaßen bodenlos und
nicht zukunftsweisend. Die Stärkung der deutschen
Wirtschaft ist nur mit sozial gesicherten und motivierten
Arbeitnehmern möglich.
Ich bedanke mich.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn gleich
die namentliche Abstimmung folgt, bitte ich, die Gespräche - auch auf der Regierungsbank - einzustellen und
dem nächsten Redner zuzuhören.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Karl-Josef Laumann von der CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kollegin Kramme, Ihre Rede
({0})
hat den Zustand Ihrer Fraktion und Ihrer Partei sehr
deutlich gemacht. Sie sagen: Ich stimme den Gesetzen
zu, habe aber an dem, was wir hier tun, erhebliche Zweifel.
({1})
Da frage ich mich, Frau Kollegin Kramme: Warum stimmen Sie dann zu? Ich würde doch keinem Gesetz zustimmen, von dem ich denke, dass es falsch ist.
({2})
Ich kann schon verstehen, dass Sie große Probleme haben. Denn vieles von dem, was Sie heute beschließen, haben Sie im Wahlkampf 1998 vor sich hergetrieben: Wenn
wir an die Regierung kommen, werden wir die Sozialauswahl - das ist ja alles ganz schrecklich! - ändern. - Jetzt,
nach fünf vertanen Jahren, müssen Sie zusehen, dass die
Gesetze, die wir gemacht haben und die Sie zurückgenommen haben, wieder ins Gesetzblatt kommen.
({3})
Am 14. März, vor 194 Tagen, hat der Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland in der 32. Sitzung des
Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung abgegeben, aus der ich ganz kurz zitieren will:
Arbeitsrecht und Tarifrecht ergänzen sich in
Deutschland zu einem dichten Netz geregelter Arbeitsbeziehungen. Das schafft Sicherheit. Aber es
ist häufig nicht so flexibel und ausdifferenziert, wie
es in einer komplexen Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb sein muss.
An einer anderen Stelle der Regierungserklärung hat
er vor 194 Tagen gesagt:
Ich erwarte also, dass sich die Tarifvertragsparteien
entlang dessen, was es bereits gibt - aber in weit
größerem Umfang -, auf betriebliche Bündnisse einigen, wie das in vielen Branchen bereits der Fall
ist. Geschieht das nicht, wird der Gesetzgeber zu
handeln haben.
Meine erste Feststellung. Heute legt die Regierung
dem Deutschen Bundestag die erste in der Regierungserklärung vom 14. März in Aussicht gestellte Gesetzesinitiative zur Abstimmung vor. Dafür haben Sie 194 Tage
gebraucht.
({4})
Meine zweite Feststellung. Ich habe geglaubt, dass
Sie diesen Prozess zeitlich in die Länge ziehen, damit
die Tarifvertragsparteien - so hat es der Bundeskanzler
gesagt - verstärkt betriebliche Bündnisse eingehen
können. Dafür brauchten Sie Zeit und deswegen wollten
Sie die Gesetze erst später verabschieden. Ich muss allerdings feststellen: In den letzten 194 Tagen ist bei den
Tarifvertragsparteien nichts geschehen und Sie greifen
mit Ihrer Gesetzgebung die Probleme nicht auf.
({5})
Damit geben Sie einen der zentralen Punkte in der Rede
des Bundeskanzlers in der 32. Sitzung des Deutschen
Bundestages vom 14. März der Lächerlichkeit preis.
Wenn man die Probleme im Arbeitsrecht, die uns das
Leben erschweren, lösen will, dann muss man sich acht
Gesetze in Deutschland anschauen: das Tarifvertragsgesetz, das Betriebsverfassungsgesetz, das Kündigungsschutzgesetz, das Teilzeit- und Befristungsgesetz, das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Altersteilzeitgesetz, das Arbeitslosenversicherungsrecht und das Arbeitszeitgesetz. Aber was machen Sie?
Zum Tarifvertragsgesetz. Von Ihnen vorgeschlagene Veränderungen? - Fehlanzeige. Wir schlagen vor,
im Tarifvertragsgesetz die betrieblichen Bündnisse einzuführen, weil wir die Flexibilisierung wollen und weil
wir glauben, dass das die Bindung an die Tarifverträge
eher stärken als schwächen wird.
({6})
Zum Betriebsverfassungsgesetz. Im Regierungsentwurf ist keine Änderung der jetzigen Betriebsverfassung
vorgesehen. Wir machen klare Vorschläge, wie wir auch
in diesem Bereich zu schnelleren und effizienteren Gremien kommen können, und zwar in enger Anlehnung an
das, was bis vor kurzem - vor der von Ihnen durchgeführten Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in Deutschland Geltung hatte.
Zum Kündigungsschutzgesetz. Sie führen das wieder ein, was Sie 1998 mit Ihrer Mehrheit mutwillig zurückgenommen haben, entscheiden sich aber für fast
nichts, was darüber hinausgeht. Wir haben hierzu eine
klare Antwort: ein Optionsmodell und eine Kleinbetriebsregelung mit einem Schwellenwert von 20 Beschäftigten bei Neueinstellungen, also eine klare Gliederung, um Einstellungen zu gewährleisten.
Zum Teilzeit- und Befristungsgesetz. Bei Ihnen gibt
es in diesem Bereich so gut wie keine Änderungen. Wir
wollen Rechtsansprüche nur dort gewähren, wo sie gesellschaftspolitisch wichtig sind: wenn kleine Kinder
oder pflegebedürftige Angehörige zu versorgen sind. Einen weiter gehenden Rechtsanspruch wollen wir nicht
vorsehen, weil es in diesem Fall keine gesellschaftlichen
Gründe gibt. Betriebliche Bedürfnisse müssen Vorfahrt
haben. Deswegen sehen wir hier eine Einschränkung
vor. Sie schlagen hierzu nichts vor.
({7})
Zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Wir alle
sind uns darin einig, dass die Zeitarbeit eine zunehmende Chance für den ersten Arbeitsmarkt sein kann.
Hierzu schlagen Sie nichts vor. Sie wissen, dass Sie der
Zeitarbeit in Deutschland mit Equal Pay und Equal
Treatment schweren Schaden zugefügt haben.
({8})
Seitdem dieses Gesetz in Kraft ist, geht die Bindungskraft der Zeitarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt erschreckenderweise zurück. Sie aber machen dazu keinen Vorschlag.
Herr Kollege Laumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brandner?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Brandner.
Herr Kollege Laumann, ich habe in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ die Aussage des Präsidiumsmitglieds Ihrer Partei Hermann-Josef Arentz gelesen, der sinngemäß sagt, auch die Union habe kein
Konzept für mehr Wachstum und Beschäftigung. Insbesondere das, was sie jetzt vorgelegt habe, führe nicht
dazu, dass es mehr Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze gebe. Wie beurteilen Sie diese generelle Aussage
Ihres Kollegen?
Da muss ein großer Irrtum bei dieser Zeitung vorliegen. Denn der Kollege Arentz weiß genauso wie ich sehr
wohl, dass die Union in letzter Zeit umfangreiche Konzepte zu diesem Thema vorgelegt hat.
({0})
Das Einzige, was in Deutschland wirklich etwas gebracht hat, sind die Minijobs und die kommen von uns;
um Ihnen nur ein Beispiel zu nennen.
({1})
1 Million Leute erhalten dadurch ein zusätzliches Einkommen und beim Einzelhandel fällt zusätzliche Kaufkraft an.
Kollege Brander, viele Leute wissen, dass wir uns
weiterentwickelt und wir unser Wahlprogramm erneuert
haben. Wir als Union haben einen Weg gefunden, bei
dem wir auf der einen Seite die notwendige Sicherheit
und auf der anderen Seite die dazu gehörende Flexibilität
miteinander verknüpft haben. Das ist der rote Faden, der
durch unsere Gesetzentwürfe geht.
({2})
Beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sind wir der
Meinung, dass nicht vom ersten Tag an die gleiche Bezahlung erfolgen sollte wie in dem Betrieb, in den jemand entliehen worden ist, sondern erst nach einer bestimmten Frist. Denn das steigert den Einstieg gerade in
diese Bereiche.
Zum Altersteilzeitgesetz. Auch hierzu schlagen Sie
nichts vor. Der Kollege Kuhn hat sich heute über zu
viele Frühverrentungen in Deutschland aufgeregt.
Gleichzeitig bringen Sie aber in den Deutschen Bundestag das Hartz-III-Gesetz ein, mit dem Sie die Altersteilzeit ausweiten wollen. Sie sollten sich einmal entscheiden, was Sie wollen: mehr Altersteilzeit oder länger
arbeiten? Eine Debatte in Ihren Fraktionen über ein Renteneintrittsalter von 67 halte ich für ziemlich verrückt
angesichts der Tatsache, dass Sie die Möglichkeit der
Altersteilzeit unter 63 Jahren ausbauen wollen.
({3})
Was die Arbeitslosenversicherung und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes angeht, treffen zwei unterschiedliche Philosophien aufeinander. Sie wollen das
Arbeitslosengeld zwölf Monate gewähren - für die Älteren sind 18 Monate vorgesehen -, egal wie lange jemand
Beiträge gezahlt hat. Wir haben eine andere Philosophie.
Wir meinen, dass man auch die Beitragszeit, die Anzahl
der Jahre, die jemand gearbeitet hat, berücksichtigen
muss.
({4})
Wenn Ihre Vorstellungen zu Hartz IV umgesetzt würden, werden die Menschen viel eher aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen und in ein System der Abhängigkeit von der Bedürftigkeit durchgereicht werden
als heute im Rahmen der Arbeitslosenhilfe, nämlich in
der Regel nach zwölf bzw. - bei den Älteren - nach
18 Monaten. Aber soll man einen Menschen, der
40 Jahre Steuern und Beiträge gezahlt hat, auf das Existenzssicherungsniveau bringen und einer Bedürftigkeitsprüfung unterziehen, was die Konsequenz Ihrer Politik
ist? Wir sind der Meinung, dass sie in der Arbeitslosenversicherung einen etwas längeren Schutz erhalten sollten. Da haben wir in der Tat eine andere Philosophie.
({5})
Deswegen möchte ich Sie ermuntern, bei der Abstimmung, die gleich folgt, den Anträgen der Union zuzustimmen. Auf der einen Seite bewegen sie etwas auf dem
Arbeitsmarkt, lassen auf der anderen Seite aber die notwendige Sicherheit für die Beschäftigten in unserem
Land nicht nur erkennen, sondern schreiben sie in den
Gesetzen fest. Das ist die bessere Alternative, das sind
Anträge mit Augenmaß. Denen können Sie beruhigt zustimmen.
Schönen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen
bekannt, dass ich Erklärungen gemäß § 31 unserer Ge-
schäftsordnung von einer größeren Zahl von Abgeordne-
ten der SPD zu Protokoll nehme.1)
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen so-
wie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt, Druck-
sachen 15/1204 und 15/1509.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 15/1587, die genannten Gesetzentwürfe als
Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung.
Die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen
verlangen eine namentliche Abstimmung. Sind die
Schriftführer bereits an ihren Plätzen? - Das ist wohl der
Fall; dann eröffne ich die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkar-
ten abgegeben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die
Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
ben.
Da wir nun zu weiteren Abstimmungen kommen,
bitte ich Sie, Ihre Plätze einzunehmen. - Dies gilt auch
für die Kolleginnen und Kollegen, die sich in den Gän-
gen aufhalten.
Abstimmung über den von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Gesetzentwurf zur Modernisierung
des Arbeitsrechts auf Drucksache 15/1182. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/1587, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-
Fraktion gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion ab-
gelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.
Abstimmung über den von der Fraktion der FDP ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Sicherung betrieblicher
Bündnisse für Arbeit auf Drucksache 15/1225. Der Aus-
schuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 15/1587, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte
1) Anlage 10
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSUFraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Tagesordnungspunkt 19 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
auf Drucksache 15/1587. - Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/430 mit dem Titel „Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung
der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe e seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der FDP auf Drucksache 15/590 mit dem Titel
„Rahmenbedingungen für einen funktionsfähigen Arbeitsmarkt schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der CDU/CSU-Fraktion
gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe f seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/739 mit dem Titel
„Ausbildungsbereitschaft der Betriebe stärken - Verteuerung der Ausbildung verhindern“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Buchstabe g seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung und damit die Entschließung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von CDU/CSU und FDP angenommen.
Zusatzpunkt 6: Interfraktionell wird Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 15/1576 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Auf Wunsch der SPD-Fraktion wird die Sitzung jetzt
bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbrochen. Anschließend wird die Sitzung voraussichtlich noch einmal für eine halbe Stunde
unterbrochen, weil die SPD-Fraktion eine Fraktionssitzung durchführen möchte.
Ich unterbreche die Sitzung zunächst bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses.
({0})
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu Reformen
am Arbeitsmarkt, Drucksachen 15/1204, 15/1509 und
15/1587, bekannt. Abgegebene Stimmen 555. Mit Ja haben gestimmt 305, mit Nein haben gestimmt 250, keine
Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 554;
davon
ja: 305
nein: 249
enthalten: 0
Ja
SPD
Dr. Lale Akgün
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr ({0})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Kurt Bodewig
Gerd Friedrich Bollmann
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Marga Elser
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({7})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Karl-Hermann Haack
({8})
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({9})
Anke Hartnagel
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Monika Heubaum
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({10})
Walter Hoffmann
({11})
Iris Hoffmann ({12})
Frank Hofmann ({13})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Klaus-Werner Jonas
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h.c. Susanne Kastner
Hans-Peter Kemper
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Heinz Köhler ({14})
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({15})
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
Gabriele Lösekrug-Möller
Dr. Christine Lucyga
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Caren Marks
Christoph Matschie
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Petra-Evelyne Merkel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Ursula Mogg
Michael Müller ({16})
Christian Müller ({17})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Volker Neumann ({18})
Dietmar Nietan
Dr. Erika Ober
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Karin Rehbock-Zureich
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Reinhold Robbe
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({19})
Michael Roth ({20})
Gerhard Rübenkönig
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({21})
Thomas Sauer
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({22})
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Horst Schmidbauer
({23})
Ulla Schmidt ({24})
Silvia Schmidt ({25})
Dagmar Schmidt ({26})
Wilhelm Schmidt ({27})
Heinz Schmitt ({28})
Carsten Schneider
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Wilfried Schreck
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Brigitte Schulte ({29})
Reinhard Schultz
({30})
Swen Schulz ({31})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Rita Streb-Hesse
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Franz Thönnes
Hans-Jürgen Uhl
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Ute Vogt ({32})
Dr. Marlies Volkmer
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Reinhard Weis ({33})
Petra Weis
Gunter Weißgerber
Matthias Weisheit
Prof. Gert Weisskirchen
({34})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Jürgen Wieczorek ({35})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({36})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Waltraud Wolff
({37})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Helmut Zöllmer
Dr. Christoph Zöpel
BÜNDNIS 90 / DIE
GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({38})
Volker Beck ({39})
Cornelia Behm
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Jutta Dümpe-Krüger
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Hans-Josef Fell
Joseph Fischer ({40})
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Peter Hettlich
Ulrike Höfken
Thilo Hoppe
Fritz Kuhn
Renate Künast
Undine Kurth ({41})
Markus Kurth
Dr. Reinhard Loske
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({42})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Friedrich Ostendorff
Simone Probst
Claudia Roth ({43})
Krista Sager
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({44})
Werner Schulz ({45})
Ursula Sowa
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Marianne Tritz
Hubert Ulrich
Dr. Antje Vogel-Sperl
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Josef Philip Winkler
Margareta Wolf ({46})
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({47})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Prof. Dr. Rolf Bietmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Prof. Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({48})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Helge Braun
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hartmut Büttner
({49})
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({50})
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({51})
Georg Fahrenschon
Ilse Falk
Albrecht Feibel
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({52})
Dirk Fischer ({53})
Axel E. Fischer ({54})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({55})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Roland Gewalt
Eberhard Gienger
Michael Glos
Ralf Göbel
Tanja Gönner
Josef Göppel
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Olav Gutting
Holger-Heinrich Haibach
Gerda Hasselfeldt
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Siegfried Helias
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Dr. Peter Jahr
Prof. Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({56})
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Kristina Köhler ({57})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Günther Krichbaum
Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Werner Kuhn ({58})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Barbara Lanzinger
Vera Lengsfeld
Walter Link ({59})
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski
({60})
Stephan Mayer ({61})
Conny Mayer ({62})
Dr. Martin Mayer
({63})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({64})
Doris Meyer ({65})
Hans Michelbach
Klaus Minkel
Marlene Mortler
Stefan Müller ({66})
Bernward Müller ({67})
Hildegard Müller
Michaela Noll
Claudia Nolte
Günter Nooke
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Melanie Oßwald
Rita Pawelski
Dr. Peter Paziorek
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Christa Reichard ({68})
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Prof. Dr. Heinz Riesenhuber
Hannelore Roedel
Franz-Xaver Romer
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Kurt J. Rossmanith
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({69})
Anita Schäfer ({70})
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Matthias Sehling
Marion Seib
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Christian von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({71})
Magdalene Strothmann
Michael Stübgen
Antje Tillmann
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marko Wanderwitz
Peter Weiß ({72})
Gerald Weiß ({73})
Annette Widmann-Mauz
Willy Wimmer ({74})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zeitlmann
Willi Zylajew
FDP
Daniel Bahr ({75})
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({76})
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({77})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann
({78})
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Prof. Dr. Andreas Pinkwart
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Fraktionslose Abgeordnete
Petra Pau
({79})
Für eine Sitzung der SPD-Fraktion unterbreche ich
die Sitzung jetzt für eine halbe Stunde.
({80})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar
Wöhrl, Karl-Josef Laumann, Dr. Peter Paziorek,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Energiepolitik ist Standortpolitik
- Drucksache 15/1349 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Zukunftsprogramm Energie vorlegen
- Drucksache 15/367 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Kurt-Dieter Grill, CDU/CSU-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung,
dass neben den sozialen Sicherungssystemen und den
Themen Gesundheit, Arbeitsmarkt, Rente zur Zukunftsfähigkeit unseres Standorts Deutschland auch die Energiepolitik als ein zentraler Punkt von Wirtschaftspolitik,
aber auch - das füge ich hinzu - von Umweltpolitik gehört.
({0})
Im Kontext der jetzigen Diskussion sind wir dringend
aufgerufen, die Energiefrage als integralen Bestandteil
von Wirtschaftspolitik in die Diskussion einzubeziehen,
weil da, wo Wachstum und Beschäftigung geschaffen
werden sollen, die Energieversorgung und die Energiepreise eine wichtige Rolle spielen.
Wir haben alle Veranlassung, denke ich, nach fünf
Jahren rot-grüner Energiepolitik Grundsätzliches zu hinterfragen und auch zu fordern. Hinterfragen müssen wir,
inwieweit Investitionsentscheidungen in Deutschland
negativ ausfallen - das wird in unserer täglichen Arbeit
deutlich -, weil die Energiepreise bei uns vor dem Hintergrund der staatlichen Verteuerung von Energie eine
solche Höhe erreicht haben, dass sie sich negativ auf die
Arbeitsplätze in Deutschland auswirken.
Ganz aktuell ist das am Standort Wilhelmshaven, wo
ein großer Chemieinvestor schlicht und einfach vor dem
Hintergrund dessen, was in Deutschland bis jetzt Stand
der Dinge ist, bei einer Investition von 1,3 Milliarden
Euro, die in dieser Zeit weiß Gott nicht selbstverständlich ist, allein für die Energiekosten 2,5 Milliarden Euro
mehr ausgeben muss als an vergleichbaren Standorten in
Europa; das erreicht fast die Hälfte der Personalkosten.
An dieser Frage hängt die Investitionsentscheidung für
Tausende von Arbeitsplätzen.
Ich will damit nur auf Folgendes hinweisen: Für die
CDU/CSU-Fraktion besteht zwischen Energiepolitik,
Energiepreisen und Energieversorgungssicherheit auf
der einen Seite und Wachstum und Beschäftigung auf
der anderen Seite ein unmittelbarer Zusammenhang.
({1})
Wenn wir über die Beseitigung von Arbeitslosigkeit,
über Innovationen, Innovationsschwächen und Innovationsstärken, über die soziale Sicherung und über die Gefährdung der Stabilität reden, dann müssen wir nicht zuletzt auch die Frage stellen, wo die Energiepolitik ihren
Beitrag leisten muss; denn unsere Unternehmen stehen im
Gegensatz zu unserem Haushalt im internationalen Wettbewerb. Über die Energiepreise bestimmt sich auch ihre
Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt.
Wenn wir einmal betrachten, was die Energiepreise in
Deutschland bestimmt, und uns die Zahlen vergegenwärtigen, dann wird deutlich, dass die Liberalisierungserfolge, die sich mit dem Gesetz von 1998 in Deutschland
eingestellt haben, durch die staatlich gewollte Verteuerung der Energie durch die rot-grüne Energiepolitik
wegbesteuert worden sind. Stromsteuer, Kraft-WärmeKopplung und EEG haben dafür gesorgt, dass staatliche
Abgaben - Konzessionsabgaben und Mehrwertsteuer
eingeschlossen - zu einer Energieverteuerung bei den
Haushalten um über 40 Prozent und im produzierenden
Gewerbe um 33 Prozent geführt haben.
Die jährliche Belastung durch die Strompreise ist in
Deutschland seit 1998 von 2 Milliarden Euro auf über
12 Milliarden Euro gestiegen. Das zeigt, dass die Kaufkraft und die Binnenkonjunktur auch von dieser Seite
negativ beeinflusst worden sind.
Es geht bei diesen Zahlen aber nicht nur um die Fragen der Besteuerung, der Wettbewerbsfähigkeit und der
Kaufkraft, sondern auch um eine Reihe von anderen Fragen, die eine strategische Bedeutung für die Zukunft der
Energieversorgung und des Energieproduktionsstandortes Deutschland haben.
Leider gibt es nur eine unzureichende Diskussion
über die Frage der Zukunft etwa der Energieforschung
in Deutschland.
({2})
Energieforschung, sagt man, sei die strategische Variante
der Energiepolitik. Wenn Sie sich einmal die Bilanz Ihrer Energieforschungspolitik anschauen, dann stellen Sie
sehr schnell fest, dass hier seit 1998 nichts Zukunftsorientiertes mehr in Angriff genommen worden ist.
({3})
Ich sage das vor zwei Hintergründen. Erstens. Die Regierung, insbesondere der Bundeskanzler, hat immer
wieder darauf hingewiesen, dass wir, gerade im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, Kohlekraftwerke auf der Basis von Braunkohle und Steinkohle
bauen müssen. Es ist aber überhaupt kein Geheimnis,
dass wir in diesem Lande über keinen zukunftsfähigen
Kohlekraftwerktyp verfügen, dessen Energieeffizienz
oberhalb von 50 Prozent anzusiedeln wäre. Es ist, auch
in Nordrhein-Westfalen, unbestritten, dass wir ein solches Kohlekraftwerk - ich nenne es einmal: Fadenrisskohlekraftwerk - bauen müssten. Wenn Sie sich jedoch
den Forschungshaushalt der Bundesregierung anschauen, stellen Sie fest, dass für Kohleforschung und
Forschung an fossilen Energieträgern, deren Effizienzsteigerung aus Klimaschutzgründen elementar notwendig ist, gerade einmal 10 Millionen Euro veranschlagt
worden sind. Wie Sie damit die Zukunft der Kohle
- Clean Coal Technology - in Deutschland, aber auch
global gestalten wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Wir können hier jedenfalls keine Zukunftsfähigkeit erkennen.
({4})
Zweitens. In Bezug auf die Entwicklung der Solartechnologie, auch außerhalb Deutschlands, etwa im
europäischen, im Mittelmeerraum, herrscht ebenfalls
Ebbe in der Kasse.
Eine weitere Frage betrifft die Kosteneffizienz der erneuerbaren Energien. Das ist eine elementare Frage in
dieser Diskussion. Man kann nicht nur ein Kraftwerk
nach dem anderen errichten. Sie haben uns in der Zeit
von 1994 bis 1998 permanent vorgehalten, man könnte
bis 2010 in Deutschland 30 Prozent Heizenergie und
30 Prozent Strom einsparen, wenn man nur wollte.
({5})
Nun bauen Sie jedoch eine Stromerzeugungsanlage nach
der anderen, ohne wirklich Energie einzusparen. Die
KfW stellt zwar Mittel zur Erhöhung der Energieeffizienz bereit. Aber das Geld fließt nicht ab, weil solche
Maßnahmen zu teuer sind und die Banken entsprechendes Geld nicht vorschießen. Deshalb können Sie keine
höhere Energieeffizienz im Gebäudebestand nachweisen.
Meine Damen und Herren, seitens der Opposition
muss ja auch die Frage gestattet sein, wie die Klimapolitik ökonomisch effizienter werden kann. Hierbei müsste
man berücksichtigen, dass in einem modernen Kohlekraftwerk 30 Euro CO2-Kosten pro Tonne anfallen, bei
Windkraftanlagen 80 bis 110 Euro und bei der Photovoltaik 250 bis 600 Euro. Deswegen glaube ich, dass wir
neben den Fragen der Versorgung und des Aufbaus
neuer Technologien im Bereich der erneuerbaren Energien auch eine Effizienzstrategie für den Gebäudebereich entwickeln müssen. Es ist nachgewiesen, dass für
Beschäftigung vor Ort gesorgt wird, wenn die Leute
Handwerker beauftragen müssen, um für Energieeinsparung im Altbaubestand zu sorgen. Dies wäre auch
ein probates Mittel, um Schwarzarbeit einzudämmen.
({6})
- Sie können hier viel lamentieren. Ich sage Ihnen nur:
Die Wärmeschutzverordnung und die Energieeinsparverordnung, die Sie beschlossen haben, sind noch unter
Klaus Töpfer konzipiert worden. Darüber brauchen wir
gar nicht zu reden.
({7})
Sie haben bis heute kein vernünftiges Programm für
Einsparungen im Gebäudebestand vorgelegt.
({8})
Das steht überhaupt nicht infrage. Sie brauchen nur mit
den Leuten draußen zu reden.
Bezüglich der CO2-Bilanz sage ich Ihnen - das hat
auch die „taz“ in der Überschrift „Schröder bricht Kohls
Wort“ festgestellt -, dass Sie ein Minus von 25 Prozent
bis 2005 sowieso nicht erreichen. Wenn wir seit Ihrem
Amtsantritt ein solches Wachstum in Deutschland hätten, wie Sie es sich wünschten, damit mehr Beschäftigung entsteht und die sozialen Sicherungssysteme konsolidiert werden, dann würde Ihre CO2-Bilanz sogar
negativ aussehen. Sie profitieren in der Klimapolitik im
Augenblick vom mangelnden Wachstum der Wirtschaft,
was sich in den fehlenden Arbeitsplätzen in Deutschland
widerspiegelt.
({9})
In diesem Zusammenhang ist unsere Forderung, endlich ein Energiekonzept für die Zukunft vorzulegen, die
wir heute an die Bundesregierung richten, zu sehen.
({10})
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Müller hat
von diesem Pult aus immer behauptet, es gebe ein Energiekonzept. Neulich hat er auf einem parlamentarischen
Abend, allerdings nicht mehr als Bundeswirtschaftsminister, sondern als Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle, gesagt: Sie hatten Recht, wir hatten nie eins.
({11})
- Da waren viele dabei. - Deswegen denke ich, dass es
das gute Recht der Opposition in diesem Hause ist, nach
fünf Jahren von der Bundesregierung ein Konzept einzufordern, aus dem die Rahmenbedingungen deutlich werden, unter denen die Energiepolitik in Deutschland in
den nächsten zehn bis 20 Jahren gestaltet werden soll,
({12})
von Ihnen Auskunft darüber zu verlangen, wie denn Ihre
Planungen für den Ersatz von 40 000 Megawatt, die ab
2010 zu ersetzen sind, aussehen, und endlich einmal von
Ihnen zu hören, wie der Ausstieg aus der Kernenergie
klimaneutral bewältigt werden kann. Stimmt es denn
noch, dass hierfür 500 Milliarden DM bzw. 250 Milliarden Euro an Kosten anfallen, wie Bundeswirtschaftsminister Müller damals ausgerechnet hat? Wie wollen
Sie durch den Zubau von Kohlekraftwerken und den
Ausstieg aus der Kernenergie denn Ihre klimapolitischen
Ziele verwirklichen? Auf diese Fragen haben Sie bis
heute in diesem Hause und auch in der Öffentlichkeit
keine Antwort gegeben.
({13})
Ich denke, dass wir ein Recht darauf haben, von Ihnen
zu erfahren, wie die bestehenden Gesetze effizienter gestaltet werden können. Niemand anders als der Kollege
Loske, Frau Hustedt, hat vor der Sommerpause gesagt:
Das KWK-Gesetz ist ein Flop.
({14})
- Er hat Recht. - Wir möchten also gerne wissen, wie
Sie das KWK-Gesetz so ändern wollen, dass es nicht
weiter floppt, sondern für CO2-Einsparung und effiziente
Energienutzung sorgt, wie Sie versprochen haben. Wir
wollen gerne wissen, wie denn die Energieforschung
strukturell aufgerüstet werden kann, um den Ansprüchen
der Zukunft in Form von Brennstoffzelle, Solarenergie
und Clean Coal Technology überhaupt gerecht zu werden.
Deswegen sage ich am Schluss, meine Damen und
Herren: Wenn Sie angesichts der Probleme auf dem Arbeitsmarkt und der Probleme der sozialen Sicherungssysteme an diesem Standort Zukunftsperspektiven für
Wachstum und Beschäftigung schaffen wollen, dann
wird es Zeit, dass wir über die Energiepolitik, über Energiepreise und über zukunftsfähige Konzepte sprechen.
Unsere Arbeitsplätze und unser Wirtschaftswachstum
sind abhängig von diesen Konzepten. Wir erwarten von
der Bundesregierung entsprechende Vorschläge, die sie
bisher aber noch nicht gemacht hat.
({15})
Nächster Redner ist der Kollege Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es wird die Opposition vielleicht überraschen: Ich
begrüße Ihre Anträge,
({0})
weil sie uns Gelegenheit geben, über die gesetzgeberische Tagespolitik hinaus einen Blick auf die größeren
Zusammenhänge zu werfen und über Bilanzen und Ausblicke zu streiten. Möglicherweise verständigen wir uns
an der einen oder anderen Stelle.
Die Titel der beiden Anträge sprechen wichtige
Punkte an. In der Tat ist Energiepolitik auch Standortpolitik. Die Forderung nach einem Zukunftsprogramm
„Energie“, wie es von der FDP gefordert wird, ist
legitim. Schade, dass sich offenbar nur zwei FDP-Abgeordnete für dieses Thema interessieren.
({1})
Wir stehen in der Energiepolitik vor der großen Herausforderung, den langfristig unverzichtbaren Strukturwandel ohne volkswirtschaftliche Brüche zu gestalten.
Der sich rasch entwickelnde Wettbewerb fordert die
Politik. Europäische Erweiterung und Vertiefung der
Union, Internationalisierung der deutschen Energiewirtschaft und Globalisierung der Beteiligungs- und Finanzstrukturen verlangen neue und vertiefte Analysen und
Antworten auf die Frage, wie wir langfristig Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Umweltund Klimaschutz im Einklang miteinander gestalten
wollen. Es war in den 70er-Jahren sicherlich sehr viel
einfacher, ein Energieprogramm vorzulegen. Es war
auch Anfang der 90er-Jahre erheblich einfacher, programmatische Aussagen zur Energiepolitik zu formulieren.
Energiepolitik ist integraler Bestandteil unserer Politik der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung und Modernisierung. Deshalb muss und wird unsere Energiepolitik einen wesentlichen Beitrag zur
Zukunftsfähigkeit unseres Landes leisten, Arbeitsplätze
sichern, effiziente Strukturen im Wettbewerb fördern sowie Anreize für Innovationen und Investitionen geben.
Das alles geschieht in einem politischen und ökonomischen Umfeld, das ungleich anspruchsvoller und komplexer ist, als es in den Zeiten der jahrzehntelangen Gebietsmonopole war.
Ich will daher ganz offen sagen, dass Ihre - wie
gesagt: legitime - Forderung nach Planungs- und Investitionssicherheit zum Beispiel für Kraftwerke heute natürlich in einem Spannungsverhältnis zu den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs steht. Deswegen gibt es
Grenzen von Programmen und von Planung. Es ist ein
Zusammenspiel mit den Gesetzen des Marktes zu organisieren.
Wir leben eben nicht in Zeiten, in denen man Programme schreiben kann, die 20 Jahre unverändert
Geltung haben können. Wir müssen vielmehr Aussagen
treffen, wie wir geeignete Voraussetzungen für Investitionen, die sich in Zeiträumen von Jahrzehnten rechnen
müssen, schaffen können. Gleichzeitig müssen wir dafür
einen Rahmen setzen, dass nicht Strukturerhalt, sondern
Strukturwandel möglich ist. Wir müssen neue und moderne Strukturen schaffen, die neben dem Aspekt der
Versorgungssicherheit und der niedrigen Preise auch
dem Ziel einer besseren Umweltverträglichkeit folgen.
Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe.
({2})
Ich will in diesem Zusammenhang deutlich machen,
wie wir die nächsten gesetzgeberischen Vorhaben angehen wollen. Da die Gemengelage so komplex ist, wie ich
sie gerade beschrieben habe, spricht manches dafür, dass
man auch als Programmpartei nicht immer nur über Programme spricht, sondern dass man vor allen Dingen handelt. Das trifft nicht nur, aber auch für die Energiepolitik
zu. Deshalb möchte ich auf drei Gesetzesvorhaben kurz
zu sprechen kommen.
Erstens: die EEG-Novelle. Es ist eben schon kurz angerissen worden: Wir entwickeln hier ein Instrument
weiter, das in den letzten drei Jahren enorme Erfolge
vorzuweisen hatte. Das EEG leistet einen substanziellen
Beitrag zum Klimaschutz und trägt zum Aufbau einer
zukunftsweisenden und innovativen Industrie bei, die inzwischen viele Tausend Menschen beschäftigt. Die ersten Erfahrungen mit dem EEG liegen seit dem letzten
Jahr in Form eines Erfahrungsberichts des Bundeswirtschaftsministers auf dem Tisch.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Effizienz
dieses Instruments zu stärken und künftig zielgenauer zu
fördern. Genau das werden wir mit der Novelle erreichen. Nur so können wir, wie eben angedeutet, gleichzeitig umweltpolitische und industriepolitische Impulse
kostengünstig setzen. Klar, wir befinden uns im Augenblick im Dialog. Der BMU-Entwurf ist sicherlich auch
in dieser Hinsicht noch verbesserungsfähig.
Zweitens: die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes. Die Bundesregierung hat einen Monitoringbericht
zum Stand des Wettbewerbs bei den leitungsgebundenen
Energien vorgelegt, der die Komplexität auch dieses Themas sehr deutlich macht. Ziel der Novelle muss es sein,
die Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft so zu
formulieren, dass ein fairer und chancengleicher Wettbewerb ermöglicht wird, der Verbraucherschutz - Stichwort: Preise - gestärkt wird und gleichzeitig Investitionen in immer anspruchsvoller werdende Netze attraktiv
gehalten werden. Wir wollen keine Verhältnisse wie in
den USA, in Kanada oder zuletzt auch in Skandinavien.
Wir brauchen für die Zukunft sehr moderne und leistungsfähige Netze. Daher muss es auch unter der Aufsicht einer Regulierungsbehörde möglich sein, mit dem
Erhalt und Ausbau dem von Netzen Geld zu verdienen.
Drittens: der Emissionshandel. Bei der Umsetzung
der EU-Richtlinie müssen wir kostengünstige CO2-Minderungsstrategien mit industrie- und strukturpolitischen
Wertschöpfungsaspekten verbinden. Dabei müssen wir
darauf achten, dass wir dieses umweltpolitische Instrument so einsetzen, dass gleichzeitig auch standortpolitische Aspekte berücksichtigt werden.
Unser Leitziel ist also eine sichere, hochwertige und
umweltverträgliche Energieversorgung. Wir werden
dazu in der Tagespolitik den roten Faden erkennbar machen
({3})
und ein Konzept erarbeiten und Ihnen vorlegen, das Ihnen deutlich machen wird, dass wir auf einem Weg sind,
auf dem Sie uns unterstützen sollten.
Ich bin sicher - wenn ich am Schluss Ihre Forderungen zur Energieforschung noch aufgreifen darf -, dass
wir, wenn Sie von Umschichtungen im Forschungshaushalt sprechen und damit ein bisschen weniger für die
Kernenergie und ein bisschen mehr für Effizienzstrategien, zum Beispiel bei den fossilen Brennstoffen, meinen sollten, einen gemeinsamen Weg gehen können.
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Lieber Herr Hempelmann, Sie haben uns eben mit verschiedenen Ankündigungen in Ihrem Redebeitrag vorgeführt, wie wichtig es ist, dass wir die SPD und die Grünen hier im Deutschen Bundestag dazu treiben, endlich
ein Energieprogramm vorzulegen. Wir wissen um die
Schwierigkeiten; wir kennen die Marktsituation. Wir
kennen auch die Wirtschaftslage. Umso nötiger ist es,
dass Sie es bei all dem, was Sie eben beschrieben haben,
nicht bei Worten belassen, sondern endlich konkrete
Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft gestalten, damit sich Investitionen überhaupt lohnen und die Wirtschaft weiß, was in den nächsten Jahren
auf sie zukommt.
({0})
Deswegen haben wir in unserem vorliegenden Antrag
gefordert: Wir brauchen ein Energiekonzept, das die
Rahmenbedingungen für die nächsten zehn bzw. zwanzig Jahre setzt. Das ist zwar ein langer Zeitraum, aber
wir brauchen einen Entwicklungsspielraum. Wir müssen
wissen, wohin Sie wollen.
Ich kann mir zwar vorstellen, dass Sie nicht mehr so
lange regieren werden,
({1})
aber dennoch stellt sich die Frage: Wie stehen Sie eigentlich zum derzeit noch existierenden Energiemix,
den wir als FDP-Bundestagsfraktion nach wie vor für
wichtig und richtig halten, zu einem Energiemix aus fossilen Brennstoffen, erneuerbaren Energien, die auch wir
fördern wollen - allerdings mit marktwirtschaftlichen
Strukturen und nicht dadurch, dass die Stromkunden
fleißig draufzahlen -, und der Kernenergie? Anders ist
das Klimaschutzziel kaum zu erreichen. Wir sind sehr
gespannt, welche Antworten Sie geben werden.
40 veraltete Großkraftwerke sind in den nächsten Jahren zu ersetzen. Das entspricht einer Leistung von etwa
50 000 bis 60 000 KW. Das ist eine Herausforderung
und eine Aufgabe, die wir schnellstens zu erfüllen haben. Sie wissen selber, dass es keine Investitionen gibt,
wenn die Wirtschaft nicht weiß, wohin die Reise gehen
soll.
Weil mir nur sehr wenig Zeit zur Verfügung steht,
möchte ich nur einige wenige weitere Punkte ansprechen. Wir stehen vor der Frage einer notwendigen Regulierung des Strom- und Gasmarktes. Wir müssen hier
Wettbewerbsstrukturen weiter aufbauen; denn dort hat
sich einiges verschlechtert. Die Regulierung muss so
stattfinden, wie wir es möchten: wenig bürokratisch und
hoch effizient. Wir können nur hoffen, dass das, was aus
den Zeitungen zu erfahren war, nämlich dass die Tendenz dahin geht, dass der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post auch die Regulierung der
Strom- und Gasmärkte übertragen werden soll - sie
würde dadurch eine Mammutbehörde -, nicht eintritt.
Unser Modell sieht vor, dass das Bundeskartellamt,
das derzeit hoch effizient arbeitet, diese Aufgabe erledigen soll. Dieses bräuchte dazu jedoch mehr Personal.
Wir glauben, dass es nicht sinnvoll ist, diese Aufgabe
der RegTP zu übertragen, die ihre Aufgabe eigentlich
am Tag X verlieren sollte.
({2})
Diese Mammutbehörde würde durch die zusätzliche
Aufgabe der Regulierung der Strom- und Gasmärkte sogar eine Bestandsgarantie erhalten. Das ist jedoch nicht
der richtige Weg.
Die Preistransparenz - das hat der Kollege Grill bereits angesprochen - halten wir für sehr wichtig. Verbraucher und Wirtschaft müssen anhand aufgeschlüsselter Strompreise auf den Stromrechnungen erkennen
können, was die Re-Regulierung des Energiemarktes
durch Ihre Gesetze - ich nenne hier Ökosteuer, das EEG,
KWK6 - eigentlich gebracht hat, nämlich einen Staatsanteil an den Strompreisen von circa 40 Prozent mit steigender Tendenz. Hier müssen Sie dringend umkehren.
({3})
Ein weiteres Problem, bei dem Sie überhaupt keine
klare Linie erkennen lassen, betrifft die Steinkohlesubventionen. Wir wissen, dass Sie sich diesbezüglich mit
den Grünen nicht einig sind. Hier scheint sich auch keine
vernünftige Lösung abzuzeichnen. Die Steinkohlesubventionen, also die Subventionen für diese rückwärtsgewandte Industrie, werden in diesem Jahr etwa
3 Milliarden Euro betragen.
({4})
Der Vertrag läuft im Jahre 2005 aus. Sie haben jedoch
einen Kabinettsentscheid zustande gebracht, der eine
- wenn auch degressive - Fortführung der Steinkohlesubventionen bis zum Jahre 2012 vorsieht. Die vorgesehene Geschwindigkeit beim Abbau der Subventionen
stellt sogar noch eine Verlangsamung dar. Das sind politische Zugeständnisse und hat mit stringenter Energiepolitik nichts zu tun.
Im Übrigen bin ich gespannt, wann Sie endlich die
Entscheidung, die das Kabinett getroffen hat, zur Beratung in die Ausschüsse geben. Wir wollen wissen, wie
dieser von Ihnen erarbeitete Vorschlag im Einzelnen aussieht. Wir finden das inakzeptabel. Energiepolitik darf
nicht von Dauersubventionen leben. Wir haben ganz klar
gesagt: Ab dem Jahre 2005 muss mit den Steinkohlesubventionen Schluss sein.
({5})
Zum Thema Windkraft möchte ich Ihnen sagen, wie
viel die Stromkunden pro Arbeitsplatz zu bezahlen haben. Sie führen immer das Argument an, dass viele Arbeitsplätze dadurch geschaffen wurden. Die Kosten belaufen sich auf 35 000 Euro pro Arbeitsplatz.
({6})
Rechnet man die Steinkohlesubventionen um, kommt
man auf mindestens 60 000 Euro pro Arbeitsplatz.
({7})
- Sie werden gleich vielleicht die richtigen Zahlen nennen. Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen diese Zahlen unangenehm sind.
({8})
Trotzdem müssen Sie sich diese gefallen lassen.
Zum Thema Energieforschung - das ist auch schon
angesprochen worden - möchte ich hier ausdrücklich sagen: Wir sind dabei, am Standort Deutschland nicht nur
in der allgemeinen Wirtschaftspolitik rasant zu verlieren,
sondern insbesondere als Standort für Wissenschaft und
Forschung. Wir müssen in die Köpfe investieren, weil
wir wenig Bodenschätze haben. Das wird aber sträflich
vernachlässigt. Wir brauchen dringend einen Forschungsbereich für innovative Energiespeicher. Wir
müssten auf dem Gebiet dringend voranschreiten. Darüber hinaus muss unser Blick auf die übrige Forschung
völlig ideologiefrei sein, zum Beispiel bei der Wiedereinführung des Studienganges Radiochemie.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluss. - Wir brauchen kein Denkverbot. Vielmehr müssen wir unseren Wissenschaftlern
ermöglichen, weiterhin in internationalen Gremien mitarbeiten zu können. Bei der Forschung zur Kernsicherheit zum Beispiel besteht zurzeit sogar ein Mitarbeitsund Mitspracheverbot. Ich finde, das ist völlig inakzeptabel.
Frau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit nun wirklich
deutlich überschritten.
Es muss ein Energieprogramm vorgelegt werden, damit nicht noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und
wir nicht noch mehr Wettbewerbsnachteile für den
Standort Deutschland zu erleiden haben.
Vielen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaele Hustedt,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der
Tat: Es werden, wie hier schon viele Redner gesagt haben, in der nächsten Zeit 40 000 bis 50 000 Megawatt
- das ist die Hälfte des Kraftwerkparks - ersetzt werden
müssen. Das ist eine große Chance auch für eine Erneuerung und für eine umweltverträglichere Energieversorgung.
Dabei ist es notwendig - ich glaube, darüber sind wir
uns in diesem Hause alle einig -, der Industrie in dieser
Hinsicht Planungssicherheit zu geben. Es ist nicht Aufgabe der Politik, einzelne Anlagen zu planen und abzusprechen; schließlich besteht bei uns Wettbewerb. Die
Politik hat vielmehr die Aufgabe - das ist völlig richtig -,
die Rahmenbedingungen festzuschreiben, in denen gehandelt wird. Diese müssen relativ stabil sein, sodass sich
die Unternehmen bei ihren Investitionen darauf verlassen
können.
Dabei sind wir schon relativ weit. Die Eckpfeiler stehen. Über ihren Inhalt sind wir uns einig. Sie schimmern
immer wieder durch, wie zum Beispiel eben in der Rede
von Herrn Hempelmann deutlich geworden ist. Sie umfassen folgende Punkte:
In den nächsten 20 Jahren - das ist der Zeitraum, den
ich im Folgenden betrachte - werden wir aus der Atomkraft aussteigen. Zu dieser Zeit wird ungefähr das letzte
AKW in Deutschland vom Netz gehen.
Wir wollen dynamisch den Anteil der erneuerbaren
Energien erhöhen; darin sind wir uns einig. Unser Ziel
ist es, dass bis zum Jahr 2020 der Anteil erneuerbarer
Energien mindestens 20 Prozent beträgt.
Wir werden die Energieeinsparung noch verstärken.
Dafür haben wir schon einiges getan, wir werden die Bemühungen aber noch weiter intensivieren müssen. Ziel
ist aus meiner Sicht eine Quote von ungefähr 10 Prozent.
Das heißt, mit einem Anteil von 20 Prozent an erneuerbaren Energien und einer Energieeinsparung in Höhe
von 10 Prozent kann die Atomkraft völlig CO2-neutral
ersetzt werden.
({0})
Darüber hinaus werden wir auf deutliche Effizienzsteigerungen setzen, wenn neu investiert wird und fossile Kraftwerke durch neue ersetzt werden. Wenn ein altes Kohlekraftwerk durch ein neues Kohlekraftwerk
ersetzt wird, betragen die CO2-Einsparungen 30 Prozent.
Wenn ein altes Kohlekraftwerk durch ein Kraftwerk mit
Kraft-Wärme-Kopplung ersetzt wird, betragen die CO2Einsparungen schon 50 Prozent. Ersetzen wir es gar
durch ein Gaskraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung,
sind wir bei 80 Prozent CO2-Einsparung.
({1})
Wenn wir die Hälfte des Kraftwerkparkes ersetzen würden, dann wäre durch Effizienzsteigerung und durch einen völlig CO2-neutralen Ersatz durch erneuerbare EnerMichaele Hustedt
gie eine weitere Reduktion um 20 Prozent CO2 möglich;
das machen die Zahlen doch deutlich.
({2})
Die Industrie fordert Planungssicherheit. Ich sage der
Industrie aber ganz klar: Wer Planungssicherheit fordert,
muss auch damit einverstanden sein, dass neue Klimaschutzziele festgelegt werden. Denn ohne neue Klimaschutzziele für die Jahre nach 2005 und 2012 kann es
keine Planungssicherheit geben. Das Klimaschutzproblem ist schließlich keine grüne Ideologie, sondern stellt
ein objektives Problem dar. Wenn man nicht vorausschauend plant, wird die Politik spontan, hektisch und
vom Hölzchen aufs Stöckchen kommend auf die kommenden Naturkatastrophen reagieren. Das ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Man muss sich in der Gesellschaft untereinander verständigen, welche Ziele nach
2005 bzw. 2012 folgen. Nur dann wird man im Rahmen
des Emissionshandels der Industrie Planungssicherheit
geben können, wohin der Weg führt.
Ich gehe davon aus - das habe ich schon gesagt -,
dass eine Steigerung um 20 Prozent ab sofort durchaus
realistisch ist, sodass bis 2020 40 Prozent an CO2-Einsparungen im Vergleich zum Basisjahr 1990 möglich
sind.
Es ist ganz wichtig, dass wir im Herbst, wenn die
Eckpfeiler stehen, an die Details herangehen. Die Rahmenbedingungen werden Schritt für Schritt geregelt.
Herr Hempelmann hat es schon angesprochen: Eine zentrale Säule ist dabei die Novellierung des EEG. Es gibt
zwar eine Kampagne einer Minderheit der Gesellschaft
gegen die erneuerbaren Energien, aber die Mehrheit der
Gesellschaft verspricht sich einen Benefit.
Es gibt ein Aktionsbündnis, das aus den größten Gewerkschaften; dem Bauernverband, dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer - der größte Unternehmensverband Deutschlands ist also dabei - und den
Umweltverbänden besteht. Alle sagen, dass sie einen
Benefit erwarten, wenn die erneuerbaren Energien weiterentwickelt werden, weil dadurch Arbeitsplätze und
Entwicklungsmöglichkeiten für strukturschwache Regionen geschaffen werden und innovative Technologien
- hier sehen wir einen großen Exportmarkt - in den
Markt gebracht werden.
({3})
Wir haben also eine Mehrheit hinter uns, wenn wir
uns dafür aussprechen, die erneuerbaren Energien zügig
weiterzuentwickeln.
({4})
Sie bringen immer das Kostenargument. Schauen Sie
sich bitte einmal die aktuellen Zahlen an. Im Sommer
mussten Atomkraftwerke heruntergefahren werden, weil
sie nicht in der Lage waren, bei der Hitze weiter zu produzieren. Das hatte zur Folge, dass zum Beispiel der
Großhandelsstrompreis von 2,1 Cent auf 3,2 Cent angestiegen ist. Das bedeutet, dass sich die Differenzkosten,
also die Differenz zwischen den Kosten für die erneuerbaren Energien und jenen für die fossilen Energieträger,
verkleinert haben.
({5})
Dieser Prozess wird sich in der nächsten Zeit weiter
fortsetzen. Wenn neue Kraftwerke gebaut werden, wird
auch die Produktion von Strom, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wurde, wesentlich teurer werden. Das
heißt: Uns liegt ein innovatives Instrument vor, wodurch ein starker Anreiz zur Kostenreduktion gesetzt
wird. Die Kosten für die Windkraft sind in der letzten
Zeit um 60 Prozent gesunken. In welcher Branche können wir eine solche Zahl sonst noch vorweisen? Bei der
Photovoltaik sind die Zahlen ähnlich beeindruckend.
Gleichzeitig werden die fossilen Energieträger teurer
werden. Das heißt, wir werden immer mehr Kilowattstunden fördern und es wird uns immer weniger kosten.
({6})
Jetzt kostet es jeden Haushalt in Deutschland einen
Euro pro Monat. Ich frage Sie: Können wir diesen Betrag für die Zukunft nicht ausgeben? Sollten wir uns das
für die Zukunft nicht leisten?
({7})
Wir müssen für unsere Kinder vorsorgen, damit sie eine
lebenswerte Welt vorfinden. Ich sage: Uns ist es das
wert. Wenn es Ihnen das nicht wert ist, dann tut es mir
Leid.
({8})
Wir sagen sehr deutlich: In uns hat die Branche einen
verlässlichen Partner und wir werden dafür sorgen, dass
es zu keinem Fadenriss kommt und dass es eine dynamische Entwicklung gibt.
({9})
Ich komme zum zweiten Punkt, zur Effizienz. Es wird
zu Effizienzsteigerungen kommen, wenn wir erneuerbare Energieträger einsetzen. Das ist auch notwendig;
denn ich habe deutlich gemacht, welche CO2-Einsparungen möglich sind.
Das KWK-Gesetz hat Schatten-, aber auch positive
Seiten. Wir werden ungefähr die Hälfte der CO2-Einsparungen, die wir uns vorgenommen haben, nicht erreichen, und zwar hauptsächlich deswegen nicht, weil
die Industrie ihre Zusagen - diese habt sie in einer
Selbstverpflichtung ohne gesetzlichen Zwang eigenständig gegeben - nicht einhält. Das ist der Grund, weshalb
dieses Gesetz nicht wirkt.
Jetzt sage ich Ihnen Folgendes: Das richtige Instrument, um Druck auszuüben, ist der Emissionshandel. Mit
dem Emissionshandel werden wir den gesunden Mix erreichen, dass durch den Ersatz von Kraftwerken fossiler
Energieträger ein deutlicher Impuls für die Steigerung
der Effizienz gegeben wird. Dieser Impuls muss dazu
führen, dass wir einen guten Mix erreichen und die billigste Möglichkeit zur Effizienzsteigerung nutzen. Es
geht um ein marktwirtschaftliches Instrument.
Ich denke, dass in nächster Zeit, in der wir dieses Gesetz ausarbeiten und den Allokationsplan vorlegen werden, sehr deutlich werden wird, wie wirkungsvoll dieses
Gesetz sein wird. Der Einsatz erneuerbarer Energien
führt also zu Effizienzsteigerungen.
Die dritte Säule ist die Energieeinsparung; das ist
völlig richtig. Herr Grill, wir haben die Mittel für die
Altbausanierung verzehnfacht.
({10})
Das, was Herr Töpfer als Ankündigungsminister vorgedacht und Frau Merkel liegen gelassen hat, entwickeln
wir zu einer Energieeinsparverordnung weiter und wir
verabschieden sie auch.
({11})
- Gegen die Stimmen von ihnen, natürlich, absolut. Ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, was Sie uns vorwerfen.
Ich persönlich glaube, dass in diesem Bereich noch mehr
zu tun ist.
Die Ökosteuer hat übrigens sehr viel gebracht. Im
Verkehrsbereich sind die CO2-Emissionen nämlich erstmalig gesunken.
Ich glaube, da ist noch einiges zu tun. Besonders
wichtig wäre mir zum Beispiel Ihre Unterstützung, wenn
wir uns auf europäischer Ebene für Normen bei Haushaltsgeräten - etwa für Normen zur Abschaffung des
Stand-by-Betriebes - einsetzen. Hier liegen noch Energieeinsparpotenziale in einer Größenordnung von zwei
bis drei Atomkraftwerken. Die deutsche Haushaltsgeräteindustrie wäre damit eher gut bedient; denn sie bringt
meist die effizienten Kühlschränke und Waschmaschinen auf den Markt. Hier kann man noch einiges tun. Ich
wehre mich allerdings gegen die Behauptung, wir hätten
zu wenig getan. Wir haben hier schon sehr viel getan,
mehr, als Sie jemals zustande gebracht haben.
Als letzten Punkt - ich habe nur noch wenig Zeit -,
möchte ich natürlich noch die Einführung einer Wettbewerbsbehörde ansprechen. Wir haben zurzeit die Situation, dass die Umsatzrendite der Netzbetreiber - also
das, was sie im Vergleich zum Umsatz an Gewinn ausschütten - teilweise bei 50 Prozent liegt. Angesichts dessen muss man sagen: Der selbst verhandelte Netzzugang
funktioniert nicht. Renditen von 50 Prozent sind zwar
Ausreißer, aber viele Netzbetreiber haben Renditen von
20 bis 30 Prozent. Wenn wir es schaffen, die Netzdurchleitungsgebühren auch nur vorsichtig abzusenken - durch
den Staat als starken Schiedsrichter -, dann können wir
2 bis 3 Milliarden Euro einsparen. Das ist mehr, als uns
das EEG insgesamt kostet. Damit will ich sagen: Wer sich
tatsächlich für Senkungen der Energiekosten auch in der
Industrie ausspricht, der muss sich in erster Linie für die
Wettbewerbsintensivierung einsetzen. Das ist die dringlichste Aufgabe. Die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist das dritte große Gesetzvorhaben, das
wir angehen.
({12})
Zusammenfassend: Die Eckpfeiler stehen und sind
bekannt. Wir werden uns im Herbst und im Frühjahr an
die konkreten Details machen. Danach gibt es dann die
Planungssicherheit, die die Industrie fordert.
Danke schön.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Grotthaus,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Gestatten Sie mir, vorab zwei Anmerkungen zu
machen. Einmal zu Ihnen, Frau Hustedt: Der Berechnung, die Sie im Zusammenhang mit der KWK aufgemacht haben, kann ich nicht ganz folgen. Sie haben dabei, zumindest aus meiner Sicht, unberücksichtigt
gelassen, wie Sie mit der Wärme dort umzugehen haben,
wo es keine Wärmeabnehmer gibt. Ich gehe davon aus,
dass wir dies zwischen Ihrer Fraktion und unserer Fraktion im Detail noch des Öfteren diskutieren werden.
({0})
Ich gehe auch davon aus, dass wir uns da noch annähern
werden.
Frau Kopp, ich möchte Sie ganz herzlich in meinen
Wahlkreis einladen, in dem zurzeit eine Zeche geschlossen wird und 3 000 Menschen in ihrer Existenz gefährdet sind. Ich würde Sie dann mit der Meinung der FDP
in diesem Wahlkreis und gleichzeitig mit der Meinung
der FDP zu einer Zeche, die in einem Nachbarwahlkreis
nicht zur Schließung ansteht, konfrontieren wollen.
({1})
Ich kann Ihnen dazu sagen: Das, was Sie hier dargestellt
haben, kam mir - zumindest für die FDP - so vor wie ein
Chamäleon, das abhängig vom Standort und von den äußeren Einwirkungen die Farbe wechselt; denn das, was
Sie gesagt haben, widerspricht zum größten Teil dem,
was Ihre FDP vor Ort sagt, wenn sie dem Druck der
Menschen, die in ihrem beruflichen Werdegang gefährdet sind, unterliegt.
({2})
Fakt ist: Für Milliardeninvestitionen in die Kraftwerkserneuerung ist dringend Planungssicherheit erforderlich.
({3})
40 000 Megawatt stehen bis 2020 zur Revitalisierung
bzw. zur Erneuerung an. Hierfür sind geeignete Rahmenbedingungen, die insbesondere die Wirtschaftspolitik betreffen, von Wichtigkeit. Der Energiesektor ist dabei
eine unverzichtbare Triebfeder für wirtschaftliche Entwicklungen und für das Wachstum in unserer Republik.
Die Entscheidung darüber, in was und wo investiert
wird, ist mit großer Verantwortung verbunden. Deshalb
lohnt es sich auch, um die Konzepte zu streiten. Wir mögen uns über den richtigen Weg streiten, ich glaube aber,
trotz der unterschiedlichen Ausführungen, die hier gemacht worden sind, sind die Ziele dieselben. Ich will sie
aus meiner Sicht wie folgt definieren:
Erstens. Wir wollen einen attraktiven Standort
Deutschland mit Investitionen und Arbeitsplätzen.
Zweitens: Wir wollen eine sichere Energieversorgung.
Deshalb müssen wir als Energiepolitiker die Risiken
streuen. Dabei darf es aus meiner Sicht kein Ausspielen
von Energieträgern und Strategien gegeneinander - wie
zum Beispiel fossile Brennstoffe gegen erneuerbare
Energien - geben. Einseitige Abhängigkeiten, zum Beispiel beim Erdgas, bei dem wir in Zukunft mit größeren
Preisrisiken rechnen müssen, können wir nur durch einen
ausgewogenen Energiemix vermeiden.
Das ist für mich der entscheidende Punkt. Dieser
Energiemix - er muss zuerst definiert werden - wird einen Kraftwerksmix nach sich ziehen. Dabei werden die
Steinkohle und die Braunkohle aus meiner Sicht einen
Stellenwert haben wie die Windenergie, die Solarenergie, die Geothermie oder weitere energetische Umwandlungsprozesse.
({4})
Richtgröße für eine vernünftige Energiepolitik ist
somit ein wohl austariertes Sowohl-als-auch, bei dem die
energiepolitischen Ziele - sie sind zum Teil angeklungen,
aber ich will sie ein bisschen erweitern - wie Wirtschaftlichkeit, Effizienzsteigerung, Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Ressourcenfreundlichkeit in ihrer
Gleichrangigkeit beachtet werden müssen.
Drittens. Wir alle wollen einen engagierten Klimaschutz. Die Eckpunkte unserer Energiepolitik stehen
fest. Hiermit meine ich insbesondere die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und den Emissionshandel,
aber auch die Regulierung der Strom- und Gasmärkte.
Unsere Basis für die Förderung der erneuerbaren
Energien ist das Verdopplungsziel der Bundesregierung,
zu dem sich im Übrigen auch alle EU-Mitgliedstaaten in
Brüssel bekannt haben. Gleichzeitig wollen wir die
Wettbewerbsfähigkeit der erneuerbaren Energien im
europäischen Binnenmarkt erreichen. Die Bilanz unserer
Förderung durch das EEG kann sich sehen lassen. Der
Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung ist im letzten Jahr auf rund 8 Prozent gestiegen.
Wir werden unser selbst gestecktes Ziel bis zum
Jahr 2010 einhalten. Deutsche Anbieter haben heute
weltweit eine Spitzenstellung bei Technologien zur Nutzung der erneuerbaren Energien erreicht. Dies bedeutet
einen Zuwachs an Arbeitsplätzen.
Mit der Novelle werden wir nun die Weichen dafür
stellen, die Entwicklung der erneuerbaren Energien hin
zu Wettbewerbsfähigkeit unumkehrbar einzuleiten. Dabei - auch das sage ich deutlich - darf die Verdopplung
des Anteils nicht zur Verdopplung der Kosten führen.
Deshalb haben wir in der Koalitionsvereinbarung eine
degressive Anpassung der Förderhöhe vereinbart.
Neben dem EEG haben wir auch mit dem künftigen
CO2-Emissionshandel ein sensibles Instrument, das
nicht nur auf das Klima wirkt, sondern die Weichen für
die künftige Energieversorgungs- und Industriestruktur
stellt. Dabei ist darauf zu achten, dass der Emissionshandel in Deutschland nicht zur Wachstumsbremse wird.
Für eine vernünftige und zukunftsweisende Energiepolitik stehen deshalb meines Erachtens folgende
Punkte im Zentrum:
Erstens. Wir wollen Energiewirtschaft und Industrie
nicht zusätzliche Belastungen aufbürden, die die Wettbewerbsfähigkeit gefährden.
Zweitens. Der Emissionshandel darf Wachstum und
Investitionen nicht beeinträchtigen. Bei der Umsetzung
werden wir für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen.
Drittens. Es soll Vorsorge für den Energieersatz getroffen werden, und zwar nicht zulasten von Energiewirtschaft und Industrie.
Viertens. Mit Blick auf das anstehende Kraftwerkserneuerungsprogramm soll der Emissionshandel Planungssicherheit gewährleisten. Es soll weiterhin ein ausgewogener Energiemix ermöglicht werden, der uns auch in
Zukunft eine bezahlbare Versorgungssicherheit als
Standortfaktor erhält. - Auf diese Kernpunkte hat man
sich im Spitzengespräch beim Bundeskanzler grundsätzlich verständigt.
Ich fasse zusammen: Energiepolitik muss mehr
Wachstum und Beschäftigung in Deutschland erzielen.
Aus diesem Grund ist Energiepolitik Standortpolitik.
Investitionen in den deutschen Kraftwerkspark nutzen
der Versorgungssicherheit und dem Klima. Dabei ist ein
breit gefächerter Energiemix sowohl mit Kohle als auch
erneuerbaren Energien zu erhalten. Dementsprechend
muss auch der Emissionshandel ausgestaltet werden.
Wir müssen die Fördereffizienz bei erneuerbaren Energien verbessern. Die EEG-Novelle wird hierzu die Weichen stellen.
Mit unserer Vorreiterrolle im Klimaschutz haben wir
in Europa die Messlatte sehr hoch gelegt. Jetzt sind unsere europäischen Partner an der Reihe, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Durch eine intelligente Regulierung fördern wir den Wettbewerb und sichern langfristig
unsere Strom- und Gasversorgung. Die Balance zwischen diesen Zielen herzustellen ist die große energiepolitische Herausforderung.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Georg Girisch, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich vorweg eine Feststellung dazu treffen, was ich von
einer modernen Energie- und Umweltpolitik erwarte.
Eine moderne Umweltschutzpolitik ist eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete, in sich schlüssige, grenzüberschreitende Politik. Dabei sollte sie auf den Einklang
von Umwelt und Wirtschaft ausgerichtet sein. Sie setzt
auf Überzeugung durch Dialog, auf eindeutige Strategien und auf Wettbewerb zum Erhalt einer artenreichen,
lebenswerten Umwelt.
({0})
Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Bürgern, Unternehmen und Verbänden, dass dieser Ansatz in Deutschland eine große Akzeptanz findet. Überprüfen wir doch
einmal an Beispielen der Energiepolitik, ob die Politik
der Bundesregierung diesem Anspruch gerecht wird.
Fragen wir uns zunächst: Was ist eine nachhaltige Energiepolitik? Eine nachhaltige Energiepolitik achtet auf
den Dreiklang von drei Faktoren: Umweltverträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit. Gerade in den letzten Wochen hat es Stromausfälle in anderen Ländern, in dieser Woche sogar in Schweden und
Dänemark, gegeben, was die Wichtigkeit der Versorgungssicherheit belegt. Aber neu ist diese Erkenntnis eigentlich nicht, zumindest für diejenigen, die die Energiekrisen in den 70er- und 80er-Jahren bewusst erlebt
haben.
Eine moderne, leistungsfähige, gesicherte und bezahlbare Energieversorgung ist ein wichtiger Faktor im heutigen globalen Standortwettbewerb. Wer das nicht begreift, der gefährdet und zerstört Arbeitsplätze in
Deutschland. Dies betrifft weit mehr als die
320 000 Beschäftigten in der Energiewirtschaft in unserem Lande.
Energiepolitik braucht klare Prioritäten und eine
schlüssige Strategie. Doch bei dieser Bundesregierung
ist kein stringentes Handeln erkennbar. Ich will Ihnen
dies an vier Kriterien erläutern.
Versorgungssicherheit. Leider setzen Sie weiterhin
auf die Förderung von Windkraftanlagen an ungeeigneten Standorten. Diese Gelder könnten stattdessen die wesentlich stetigeren erneuerbaren Energieträger wie Biomasse und Wasserkraft stärken.
Nachhaltigkeit. Niemand kann heute sagen, was
morgen in den Kungelrunden zwischen dem Bundeswirtschaftsminister, dem Umweltminister und dem
Kanzler gemauschelt wird.
({1})
Wer sich heute bewusst macht, dass sich konventionelle
Kraftwerke erst über einen Zeitraum von 20 bis
30 Jahren rechnen, weiß, wie wichtig Planungssicherheit
wäre. Ähnliches gilt für die Gaswirtschaft und den Aufbau von Versorgungsnetzen.
Klimaschutz. „Kohle statt Kernkraft“ lautet die Parole von Rot-Grün in den letzten Jahren. Mit dieser Politik von Clement werden wir die notwendige massive Reduktion des Ausstoßes von Kohlendioxid sicher nicht
erreichen. Für mich wird die Kernenergie weltweit eine
zunehmend wichtigere Rolle spielen. Der rot-grüne
Atomausstieg wird dazu führen, dass sich die hohen
deutschen Sicherheitsstandards weltweit nicht durchsetzen können und sie nicht weiterentwickelt werden.
({2})
Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen.
Das ist eine glatte Fehlanzeige. Ökosteuer, EEG-Einspeisevergütung, KWK, um nur drei Beispiele zu nennen, haben eines gemeinsam: Sie verteuern die Energie
in Deutschland. Tausende Jobs in energieintensiven Betrieben werden von Ihnen geschaffen, aber nicht bei uns,
sondern im Ausland. Ausnahmeregelungen von der Ausnahme machen es darüber hinaus zum Glücksspiel, ob
Unternehmen besonders stark abgezockt werden oder
nicht.
Ich möchte nicht länger auf das Versagen der Bundesregierung in der Energiepolitik eingehen. Was ich Ihnen
aber nicht ersparen kann, ist, Ihnen einen wohl einzigartigen Kompetenzwirrwarr zwischen den einzelnen Ministerien zu testieren. Kaum ein Bürger weiß, wer für
dieses Versagen die politische Verantwortung trägt. Ist es
Minister Clement? Ist es Minister Trittin? Ist es der
Kanzler? Oder sind es alle drei? Nichts Genaues weiß
man nicht, da sich einmal dieser, einmal jener teilweise
widersprüchlich äußert. Bei diesem Kompetenzgerangel
und diesen Kungelrunden in wechselnder Zusammensetzung kann jedenfalls nichts Vernünftiges herauskommen.
Dabei wäre es wichtig, dass endlich Schluss mit diesem Chaos ist. Dies wird eigentlich nur noch durch die
Blamage bei der Mauteinführung, wie es in den letzten
Tagen deutlich geworden ist, übertroffen.
Schaffen wir endlich Klarheit und Berechenbarkeit in
einem wichtigen Politikfeld! Wir brauchen nach 1973
und 1991 ein schlüssiges Konzept, wie wir in den kommenden Jahren eine effiziente, nachhaltige und umweltgerechte Energieversorgung sichern können; denn die
Herausforderungen sind groß.
Wir brauchen Planungssicherheit für Neuinvestitionen in Milliardenhöhe in den dringend zu erneuernden
Kraftwerkpark in Deutschland. Wir müssen endlich realistisch aufzeigen, wie der Energiemix der Zukunft aussehen soll, wie er finanziert wird und wie das Ziel des
Abbaus der Kohlendioxidemissionen Schritt für Schritt
erreicht werden kann. Wir brauchen eine Verknüpfung
von Umwelt- und Wirtschaftspolitik. Deshalb muss jede
staatliche energiepolitische Maßnahme auf ihre wirtschaftliche Verträglichkeit geprüft werden. Wir brauchen
eine Novelle des EEG, in der meines Erachtens insbesondere auf die Biomasse gesetzt werden sollte. Wir
brauchen mehr Energieforschung und die Bündelung der
Zuständigkeiten für energiewirtschaftliche Fragen in einer Hand. Wir brauchen einen Emissionshandel; dessen
Regeln müssen baldmöglichst auf den Tisch gelegt werden, wie es im letzten Obleutegespräch zugesagt wurde.
Bei der Erarbeitung dieses Konzepts müssen die Beteiligten besser eingebunden werden. Es muss unbürokratisch, ideologiefrei, EU-konform und vor allem einfach
nachvollziehbar sein. - Dies sind nur einige der Punkte,
die wir durch unseren Antrag geklärt sehen wollen.
Die Landtagswahlen bei mir zu Hause haben gezeigt,
dass die Menschen von diesem rot-grünen Zickzackkurs
genug haben. Sie wollen endlich konkrete Konzepte, realistische Pläne und ein stringentes Handeln. Die Union
steht bereit, um die Herausforderung der Zukunft im Bereich der Energiepolitik anzunehmen. Jetzt liegt es an Ihnen, mit der Zustimmung zu unserem Antrag die Basis
dafür zu schaffen, dass Bürger und Betriebe auf eine umweltverträgliche, wirtschaftliche, nachhaltige und versorgungssichere Energiepolitik für die nächsten 20 bis
30 Jahre hoffen können.
Beweisen Sie, dass Sie über diese Legislaturperiode
hinaus denken! Beweisen Sie, dass Sie nicht, wie so oft,
wider besseres Wissen falsche, ideologisch verblendete
Weichenstellungen vornehmen!
({3})
Wir können uns den damit verbundenen großen Schaden
und den enormen Aufwand zur Korrektur nicht mehr
länger leisten. Wenn Sie zu einer solchen nachhaltigen
Energiepolitik bereit sind, arbeiten wir gerne mit Ihnen
zusammen.
Lassen Sie uns dies bei der Novelle des EEG tun! Suchen wir gemeinsam nach einem vernünftigen Konsens
bei den Förderkriterien! Zeigen Sie gemeinsam mit uns,
dass Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz kein Widerspruch sind! Lassen Sie uns gemeinsam einen Beitrag zu
einer Energiepolitik mit Zukunft leisten!
Herzlichen Dank.
({4})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Als klimapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
freue ich mich natürlich über jede energiepolitische Debatte im Deutschen Bundestag; denn Energieerzeugung,
-umwandlung, -verteilung und -nutzung sind Schlüsselfaktoren für den Klimaschutz.
Ich freue mich über eine solche Debatte sogar dann,
wenn sie die Folge von formalistischen Anträgen der
Opposition ist, wie wir es heute erleben müssen. Ich bezeichne die Anträge deswegen als formalistisch, weil die
Opposition versucht, sich vor der inhaltlichen Debatte
über Energiepolitik zu drücken, indem sie über genaue
Formulierungen im Grundsätzlichen spricht.
({0})
Vielleicht können Sie das nachvollziehen. Der Kollege
Grill, der uns bereits verlassen hat, hat zu Beginn 14 Minuten lang gesprochen. 14 Minuten haben wir vergeblich
auf einen einzigen konkreten Vorschlag gewartet.
({1})
Die Kollegin Kopp von der FDP hat lange über die
Regulierungsbehörde als eigentlich überflüssige Mammutbehörde gesprochen. Dabei hat sie aber vergessen,
zu erwähnen, dass die FDP, als in der vergangenen Woche in dieser Behörde das Pöstchen der Vizepräsidentin
zu vergeben war, gefordert hat, dass jemand mit ihrem
Parteibuch den Posten besetzt.
({2})
Ein solches Verhalten macht keinen Sinn und bringt ein
Land nicht vorwärts.
({3})
Wer sich mit Energiepolitik nicht formalistisch, sondern inhaltlich beschäftigt, kommt um vier Fragen nicht
herum. Erstens. Wie können wir die volkswirtschaftlichen Kosten der Energieversorgung optimieren? Zweitens. Wie können wir die Energieeffizienz auf der Erzeuger- und der Verbraucherseite erhöhen? Drittens. Wie
reduzieren wir die deutsche Importabhängigkeit im
Energiebereich, die derzeit noch zunimmt? Viertens.
Wie beschleunigen wir die Umstellung auf erneuerbare
Energien noch stärker als bisher?
Die Steigerung der Energieeffizienz ist der Dreh- und
Angelpunkt für die Energiepolitik und den Klimaschutz
der Zukunft. Man kann die höhere Energieeffizienz - wir
arbeiten gerne mit solchen feststehenden Begriffen auch verständlicher ausdrücken: Wie erzielen wir mehr
Wohlstand aus weniger Energie? Mit einer höheren
Energieeffizienz wird übrigens auch deswegen ein größerer Wohlstand erreicht, weil die Ausgaben für Energiekosten sinken und das dadurch gesparte Geld in neue
Jobs, Dienstleistungen und Produkte - auch für den
Weltmarkt - investiert werden kann.
Seit den 70er-Jahren haben wir es gemeinsam - das
gilt für die Regierung und die Opposition - geschafft,
das Wachstum der Wirtschaft von dem des Energieverbrauchs zu entkoppeln. Das war ein wichtiger umweltpolitischer Fortschritt.
Jetzt müssen wir es als nächsten Schritt schaffen,
durch die Senkung des Energieverbrauchs das Wirtschaftswachstum zu erhöhen, indem die Energiekosten
für die Volkswirtschaft gesenkt werden und die Nachfrage nach neuen Produkten und Dienstleistungen erhöht
wird. Damit werden Energie- und Innovationspotenziale
erschlossen.
({4})
Ich will ein paar Beispiele für das große Potenzial
von Energieeffizienz auf der Verbraucherseite nennen.
Der durchschnittliche Verbrauch von Strom für den Betrieb von Aufzugsanlagen könnte um 85 Prozent gesenkt
werden. Obwohl bereits entsprechende Anlagen auf dem
Markt sind, werden immer noch alte Anlagen eingesetzt.
Der durchschnittliche Stromverbrauch von Haushaltsgeräten könnte halbiert werden. Auch in diesem Bereich
sind bereits entsprechende Geräte auf dem Markt. Aber
leider sind auch noch alte Geräte mit einem hohen
Stromverbrauch im Handel.
Der durchschnittliche Heizbedarf für Wohngebäude
könnte um 80 Prozent gesenkt werden. Erste erfolgreiche Sanierungen sind bereits erfolgt. Als jemand, der mit
Handwerkern im Gespräch ist, kann ich Ihnen versichern, dass die Programme der KfW zur Energiesanierung mit Zinssätzen von 2,2 Prozent oder weniger zurzeit sehr gut abgerufen werden. Sprechen Sie einmal mit
dem deutschen Handwerk darüber!
Es ist ein Skandal - um ein letztes Beispiel zu nennen -,
dass viele Computer, Drucker, Fernsehgeräte und Hi-FiAnlagen selbst dann, wenn sie ausgeschaltet werden
- also nicht mehr im Stand-by-Betrieb sind -, noch
Strom aus der Steckdose ziehen, weil manche Firmen
auf den Einbau eines Teiles im Wert von 25 Cent verzichten. An dieser Stelle werden die Verbraucher durch
die mangelnde Energieeffizienz abgezockt.
({5})
Mit der Energieeinsparverordnung, der Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung, der ökologischen Steuerreform
und anderen Maßnahmen hat die Koalition bereits erste
deutliche Erfolge bei der Erhöhung der Energieeffizienz
erreichen können. Diese Erfolge werden weltweit - zum
Beispiel vom WWF, um an dieser Stelle noch einen
Kronzeugen anzuführen - als vorbildlich angesehen.
Nur eine Gruppe im Deutschen Bundestag tritt nicht
für die Erhöhung der Energieeffizienz ein, nämlich die
Opposition. Jeder Gesetzentwurf zur Erhöhung der
Energieeffizienz wurde von der FDP abgelehnt. Die
CDU/CSU hat insofern der FDP gegenüber einen kleinen Vorsprung: Sie hat fast alle Vorhaben - zum Beispiel
die Energieeinsparverordnung - abgelehnt. Wir müssen
aber gemeinsam weitere Anstrengungen unternehmen.
Derzeit steigt die Energieeffizienz um 1,5 Prozent pro
Jahr. Wir brauchen jedoch eine andere Zielmarke. Die
Energieeffizienz sollte eine Steigerungsrate von 2,5 bis
3 Prozent nicht unterschreiten.
({6})
Ich hatte vorhin die Reduktion der Importabhängigkeit und die Reduktion der volkswirtschaftlichen
Kosten der Energieerzeugung als Ziele für eine fortschrittliche Energiepolitik genannt. Bei der Importabhängigkeit ist das deutlich erkennbar: Je weniger importiert werden muss, umso sicherer ist die Basis der
eigenen Wirtschaft, weil damit ein größerer Schutz vor
Preissprüngen bei den Importen und internationalen Risiken einhergeht.
Auf diesem Hintergrund ist es natürlich gut, dass wir
bereits mit den erneuerbaren Energien einen zusätzlichen Beitrag zur Energieeffizienz leisten und dass wir in
den letzten Jahren die Weltmarktführerschaft bei den
Technologien zur Nutzung der erneuerbaren Energien
übernommen haben. Wenn man sich in der Szene ein
bisschen auskennt, dann weiß man: Das ist der Grund,
warum andere Staaten unser Fördergesetz, das EEG,
übernehmen; denn sie wollen den Anschluss im Technologiebereich nicht verlieren. Wir wären natürlich gut beraten, wenn wir mit breiter Mehrheit und nicht nur mit
den Stimmen der Koalition die Fortschreibung des EEG
beschließen, um unsere Weltmarktführerschaft auszubauen und sie nicht zu verlieren.
({7})
Es geht dabei längst nicht nur um Windenergie; Solarthermik, Photovoltaik und Biomasse sind längst salonfähig. Biotreibstoffe und Geothermie versprechen in den
nächsten Jahren einen neuen Boom, wenn wir die erfolgreiche Förderung fortsetzen.
Durch engagierte Energieforschung macht Deutschland zunehmend Fortschritte bei Brennstoffzellen, bei
der dezentralen Speicherung von elektrischer Energie
und auch von Wärme. Diese Anstrengung dürfen wir
auch aus industriepolitischen Gründen nicht vernachlässigen. Wir sind, gerade was die Effizienz erneuerbarer
Energien angeht, längst von einer Spielwiese in einen
Bereich übergegangen, der industriepolitisch wichtig ist.
Über 130 000 Arbeitsplätze sind entstanden. Das ist ein
Jobknüller, gerade in Handwerksbetrieben, in kleinen
und mittleren Unternehmen. Ich halte die Zahl von einer
halben Million Jobs in diesem Bereich für realistisch,
wenn wir an unseren Ausbauzielen festhalten.
({8})
Nach der - man konnte es in den letzten Wochen
deutlich merken - gesteuerten Kampagne gegen erneuerbare Energien, vor allem gegen die Windenergie, verwundert die Feststellung: Der Ausbau der erneuerbaren
Energien hilft bereits heute dabei, die volkswirtschaftlichen Kosten in Deutschland zu reduzieren.
Als Beleg führe ich nicht eine Behauptung der rotgrünen Koalition, sondern eine Studie der Europäischen
Union an, die ich mitgebracht habe. Sie hat die externen
Kosten der Energieversorgung ermittelt. Man hat nur
diejenigen Kosten, die man sehr genau ermitteln kann
- Umweltzerstörung, gesundheitliche Schäden und Ähnliches, also Kosten, die nie auf einer Stromrechnung auftauchen, aber natürlich von den Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern, das heißt von der Volkswirtschaft, aufgebracht werden müssen -, herangezogen. Während zum
Beispiel für die Stromproduktion durch Windenergie externe Kosten von nur 0,05 Cent ermittelt wurden, waren
es bei Gas und Kohle bis zu 6 Cent, bei Öl sogar bis zu
8 Cent.
Volkswirtschaftlich gesehen sind bereits heute mehrere erneuerbare Energien günstiger als der alte nukleare
und fossile Mix. Jeder von uns vorgenommene Ausbau
bringt uns vorwärts. Jedes Jahr, in dem wir die degressive Förderung fortsetzen - wenige wissen, dass das Gesetz bereits heute für jedes Jahr eine Senkung der Vergütung vorsieht -, wirkt sich dies für Deutschland
volkswirtschaftlich immer günstiger aus. Deswegen sind
mit der Energiepolitik, die wir eingeschlagen haben und
fortsetzen wollen, mehr Jobs, weniger Kosten und mehr
Umweltschutz verbunden. Das nenne ich Energiepolitik
mit Zukunft.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf Drucksachen 15/1349 und 15/367 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung steuerlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 15/1562 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
b) Beratung der Unterrichtung durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Bericht nach § 99 BHO über die Steuerausfälle
bei der Umsatzsteuer durch Steuerbetrug und
Steuervermeidung - Vorschläge an den Gesetzgeber
- Drucksache 15/1495 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Lydia Westrich, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ist
wieder einmal so eine typische Freitagnachmittagsdebatte vor kleinem Publikum. Die Themen sind - nach
der aufregenden Vormittagsdebatte - meistens trocken.
Aber wir wissen ja, dass ihre Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger oft sehr vielfältig sind. Deswegen
stehen wir auch diese Debatte wacker durch.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Steueränderungsgesetzes werden 15 weitere Gesetze berührt. Obwohl es ein alljährlich wiederkehrendes Gesetzesvorhaben ist - quasi ein Lumpensammler aller im Jahr
aufgelaufenen redaktionellen Berichtigungen von Berichtigungen, die aufgrund der von BFH, EuGH und
Bundesverfassungsgericht ergangenen Gerichtsentscheide und der Umsetzung immer eilbedürftiger EURichtlinien notwendig sind -, ist es uns, den Koalitionsfraktionen, gelungen, das Steueränderungsgesetz zu einer relativ großen Trittplatte auf dem Weg zu einem vereinfachten und vor allem modernisierten Steuersystem
zu machen. Als fortschrittlicher Gesetzgeber achten wir
Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen sehr
wohl darauf, dem erklärten Leitbild unserer Steuerpolitik
- Modernisierung und Vereinfachung - auch in vielen
notwendigen Detailfragen zu entsprechen. Das ist bei
dem vorliegenden Gesetzentwurf der Fall.
Wir haben in den Ausschussdebatten ja gelernt,
meine Damen und Herren von der Opposition, dass Sie
zwar - wie beispielsweise im arbeitsreichen Ausschuss ständig mit großen Worten um sich werfen, dass Sie aber
kneifen, wenn es an das Eingemachte geht. Sie bringen
zum Beispiel im Ausschuss - wortgleich - Eingaben von
Verbänden als Anträge ein und versuchen, quasi in der
Kleinarbeit zu verhindern, dass Steuersubventionen tatsächlich abgebaut werden können, und das, obwohl Sie
wissen, dass nur so, wie wir arbeiten, eine einfache und
transparente Steuergesetzgebung entstehen kann. Sie
klatschen Professor Kirchhof öffentlich Beifall und
kommen hier mit 1 000 Ausnahmen an. So wird das nie
etwas.
Natürlich gibt es auch bei uns heftige Diskussionen
über den richtigen Weg. Aber es ist Ihre mangelnde Konzeptionsfähigkeit, die die Schaffung von Finanzierungssicherheit für Bund, Länder und Kommunen verhindert.
Das wird für Deutschland auf Dauer gesehen eine sehr
schwere Hypothek. Jedem wohl und niemand weh - das
ist für mich schon immer eine verantwortungslose, dem
Wohl der Gemeinschaft gegenüber sehr gleichgültige
Politik gewesen, die unser Land nicht verträgt. Sie können natürlich fragen, was das alles ausgerechnet mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf voller Detailfragen zu tun
hat. Ich möchte es Ihnen erklären: Die Opposition hat
die Chance, Ja zu der Kärrnerarbeit zu sagen, die hinter
solchen Gesetzesvorhaben steckt.
Wir bauen Zug um Zug Elemente der Vereinfachung
in das Steuersystem ein und schaffen Transparenz und
Klarheit. Der vorliegende Gesetzentwurf ist geradezu
prädestiniert, das zu verdeutlichen. 36 Millionen Lohnsteuerkarten, fast ebenso viele Lohnsteuerbescheinigungen, 2,5 Millionen Freistellungsaufträge und 10 Millionen Lohnsteueranmeldungen erhöhen alljährlich den
Papierberg sehr. Mitarbeiter in Tausenden Lohnbuchhaltungen kleben die Bescheinigungen wieder auf Lohnsteuerkarten und so weiter und so fort.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir die
Voraussetzungen für die elektronische Lohnsteuerbescheinigung, die uns in Kürze all diesen Wirbel ersparen
kann. Ab 2004 werden die Finanzverwaltungen in der
Lage sein, die Daten vom Arbeitgeber - natürlich verschlüsselt - via Internet anzunehmen. Die Arbeitgeber
können den entsprechenden Ausdruck, den natürlich
auch sie erhalten, in einfachen Fällen sogar als Antrag
auf einen Steuerbescheid und gegebenenfalls auf Steuererstattung nutzen. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem
Weg zu einer einfach auszufüllenden und für jeden verständlichen Steuererklärung. Wir haben für einfache
Fälle die Steuererklärung auf Postkarte als Ziel. Vielleicht kommen wir einmal dorthin. Viele Lohnbuchhaltungen werden jedenfalls durch das, was jetzt geplant ist,
nachhaltig entlastet.
In einer weiteren wichtigen Sache müssen wir eine
Rechtsgrundlage schaffen, damit die Steuerverwaltung
die waschkörbeweise eingehenden Einsprüche und Massenanträge zum Familienlastenausgleich früherer Jahre
endlich abwickeln kann. Die allermeisten Einsprüche
und Anträge, die vorsorglich an die Finanzämter geleitet
werden, haben keine Aussicht auf Erfolg und können daher summa summarum erledigt werden. Das erleichtert
der Verwaltung auf vielfache Weise die Arbeit. Allerdings verlängern wir gleichzeitig Rechtsbehelfs- und
Klagefristen, damit jeder zu seinem Recht kommen
kann, wie das unserem Rechtsstaat auch angemessen ist.
Die Finanzämter müssen ihre entsprechende Informationspflicht erfüllen. Es ist unsere Aufgabe, darauf zu
achten, dass das vor Ort auch jeweils geschieht.
Eine dritte wichtige Erleichterung schaffen wir für die
Steuerpflichtigen mit umfänglichen Einkünften aus
Kapitalvermögen. Wer schon einmal selber an seiner
Steuererklärung gesessen hat, weiß, wie hilflos man in
solchen Fällen bisweilen davor sitzt. Wir verpflichten
die Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute zu einer
umfassenden Jahresbescheinigung für ihre Kunden, die
diese dann der Steuererklärung beilegen können. Sie
müssen nicht mehr, wie bisher, Anlage K, Anlage AUS
oder Anlage SO ausfüllen. Dieser Service für die Kunden wird von vielen Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten bereits angeboten. Die Verpflichtung für alle
im Gesetz trägt zu einer wirklichen Steuervereinfachung
und auch zu dem Ruf unserer Finanzwelt bei, servicefreundlich zu sein.
Was die anschaffungsnahen Herstellungskosten angeht, schaffen wir durch die gesetzliche Verankerung bereits vorhandener Verwaltungspraxis für Steuerzahler
Rechts- und Planungssicherheit. Typisierungen statt Einzelfallermittlungen sind immer Bestandteile von möglichen Vereinfachungen. Typisierungen haben es natürlich
an sich, dass sie für den einen positiver und für den anderen negativer wirken, aber sie sparen natürlich Zeit
und sie geben Sicherheit.
Wir passen das Umsatzsteuerrecht und das Investitionszulagengesetz 1999 an die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts an. Damit bekommen die Menschen
aus den ostdeutschen Ländern wieder Rechtssicherheit
für Investitionsvorhaben. Im Umsatzsteuerrecht gelten
endlich klare, gemeinschaftsweit gleiche Vorschriften
für die Rechnungsstellung.
Wenn Sie beanstanden, dass Unternehmen verpflichtet werden, sich die Rechnungen, die sie erhalten und für
die sie die Vorsteuer haben wollen, genauer anzuschauen, dann rate ich Ihnen, sich in dem eben aufgerufenen Bericht des Bundesrechnungshofs einmal die Ausführungen zur Umsatzsteuerkriminalität anzusehen.
Wir alle, Politik, aber auch Wirtschaft, sind gehalten,
diesem kriminellen Unwesen die Stirn zu bieten. Dem
Ausfall von zweistelligen Milliardenbeträgen bei der
Umsatzsteuer durch verbrecherische Maßnahmen kann
eigentlich niemand ruhig zusehen, die Wirtschaft nicht
und erst recht nicht die Politik.
Die seit Jahren diskutierte und heiß umkämpfte EUZinsrichtlinie muss noch in diesem Jahr in nationales
Recht umgesetzt werden. Wir selbst haben kaum Spielraum in der Ausgestaltung. Da genügt es, wenn wir die
Bundesregierung ermächtigen, eine entsprechende
Rechtsverordnung zu erlassen.
In dem Gesetz - das ist erfreulich für viele mobile Arbeitnehmer - wird das Verfassungsgerichtsurteil bezüglich der doppelten Haushaltsführung prompt umgesetzt. Die Kosten sind jetzt wieder zeitlich unbegrenzt
abzugsfähig. Das wird auch manchen Mitarbeiter hier
interessieren.
Wenn Eltern behinderter Kinder einen Pflegepauschbetrag in Anspruch nehmen, verzichten wir auf den
Nachweis der treuhänderischen Verwaltung des Pflegegeldes. Sie haben es auch ohne zusätzliche Bürokratie,
denke ich, schwer genug.
Neben kleineren redaktionellen Änderungen greifen
wir auch den Fehlpass von Fußballvereinen auf und begrenzen die Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit auf den Personenkreis,
für den sie eigentlich gedacht ist. Über die Ausgestaltung müssen wir gemeinsam noch reden. Wir werden,
denke ich, eine gute Regelung finden, weil das in unser
aller Interesse liegt.
Insgesamt sind die finanziellen Auswirkungen dieses
Gesetzes für die Steuerbürgerinnen und -bürger positiv.
Über die eine oder andere Vorschrift können wir sicherlich noch gemeinsam reden. Wir haben die Anhörung
vor uns. Da werden ebenfalls noch Aspekte in die Gesetzesberatung einfließen.
Das Steueränderungsgesetz ist von dem Willen zu einem massiven Abbau von bürokratischen Hemmnissen
durchdrungen. Es bringt einen großen Schritt hin zu einer modernen Steuerverwaltung und bringt Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanzielle, materielle Entlastung. Ich hoffe, dass wir eine zügige Beratung haben
werden und das Gesetz bereits in wenigen Wochen in
Kraft setzen können.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Peter Rzepka, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Westrich, ich glaube, wir leben in
unterschiedlichen Welten. Wir haben in dieser Woche im
Finanzausschuss drei Anhörungen zu verschiedenen Gesetzesvorhaben der Regierung hinter uns gebracht. In jeder dieser Anhörungen wurden von den Experten viele
handwerkliche Fehler gerügt. Auch hinsichtlich des prognostizierten Steueraufkommens haben die Experten
erheblich abweichende Einschätzungen vorgetragen.
Deshalb frage ich mich, wie Sie dazu kommen, hier die
Opposition anzugreifen, die sich bemüht, aus dem Chaos
Ihrer Gesetzgebung noch etwas halbwegs Vernünftiges
zu machen.
({0})
„‚Modernisierung und Vereinfachung‘ sind erklärte
Leitbilder der Steuerpolitik“, heißt es in der Begründung
zu dem hier heute in erster Lesung zu beratenden Steueränderungsgesetz 2003. Wer sich allerdings mit dem Gesetzestext auseinander setzt und ihn genauer analysiert,
erkennt, dass vor dem Hintergrund desaströser Steuerausfälle und dramatisch steigender Staatsverschuldung
eine Reihe von Steuererhöhungen geplant sind und zahlreiche Vorschriften die betroffenen Steuerzahler mit hohem bürokratischem Aufwand und den daraus folgenden
Kosten belasten.
Im Einzelnen: Im Einkommensteuergesetz soll durch
eine Regelung zum so genannten anschaffungsnahen
Aufwand bei der Modernisierung von Gebäuden eine
für die Steuerpflichtigen günstige Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs kassiert werden. Die nunmehr wieder
vorgesehene Begrenzung der sofort steuerlich absetzbaren Aufwendungen auf 15 Prozent der Anschaffungskosten in einem Zeitraum von drei Jahren nach der Anschaffung wird die Modernisierung des Altbaubestandes
zeitlich verzögert oder sogar gänzlich verhindert.
Ein weiterer Kritikpunkt: Wie groß muss die Not des
Finanzministers sein, dass er unter Bruch internationaler
Verträge auf den Arbeitslohn zugreifen will, den deutsche Arbeitnehmer bei vorübergehender Tätigkeit im
Ausland erzielen? Nach vielen Doppelbesteuerungsabkommen ist das Besteuerungsrecht dem Tätigkeitsstaat
zugeordnet, unabhängig davon, ob dieser von seinem
Besteuerungsrecht Gebrauch macht. Die praktischen
Probleme bei der Durchführung der nun in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Änderung stehen in keinem Verhältnis zu dem möglichen Ertrag für den deutschen Fiskus. Nehmen Sie, meine Damen und Herren
von der Koalition, Abstand von einer solchen Regelung,
die wegen des Bruchs völkerrechtlicher Verträge auch
dem Ansehen Deutschlands Schaden zufügen könnte!
In dem Gesetzentwurf ist des Weiteren die Einführung einer Jahresbescheinigung durch Kreditinstitute
und andere Finanzdienstleister für Kapitalerträge und
Veräußerungsgewinne mit allen für die Besteuerung
der Kapitalerträge erheblichen Angaben enthalten. Auch
Sie haben darauf hingewiesen, Frau Kollegin Westrich.
Warum fordern Sie aber eine solche Bescheinigung,
wenn Sie gleichzeitig eine Abgeltungsteuer ankündigen,
die eine solche Bescheinigung überflüssig machen
würde? Das sollten Sie uns erklären, meine Damen und
Herren von der Koalition: Wollen Sie nun eine Abgeltungsteuer oder nicht?
Niemand im Bundesfinanzministerium und in den
Koalitionsfraktionen scheint sich darüber Gedanken zu
machen, welcher bürokratische Aufwand entsteht und
welche Kosten damit verbunden sind, wenn Jahresbescheinigungen für annähernd 400 Millionen Konten und
Depots anfallen.
Auch an anderer Stelle des Gesetzentwurfs zeigt sich
ein mangelndes Gespür bei der Behandlung von Massenvorgängen: Bei den so genannten Zahlungsschonfristen
im Besteuerungsverfahren soll eine Verkürzung von fünf
auf drei Tage herbeigeführt werden. Eine bewährte und
für Steuerpflichtige und ihre Berater vertraute Regelung
soll damit ohne Not verändert werden. Auch die Bezugnahme auf das Zivilrecht kann meines Erachtens die mit
jeder Rechtsänderung verbundene Verunsicherung der
Steuerpflichtigen nicht rechtfertigen.
Ich will allerdings nicht verschweigen, dass in dem
Gesetzentwurf auch Punkte enthalten sind, die wir begrüßen. Die vorgesehene Einführung der elektronischen
Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung an die Finanzämter ist eine Regelung, die bürokratischen Aufwand vermindert und deshalb in die richtige Richtung
zielt.
Die Zurücknahme der von der Regierungskoalition
eingeführten Beschränkungen des Vorsteuerabzugs bei
Reisekosten und Kfz-Kosten führt zu Umsatzsteuerentlastungen im Unternehmensbereich und wird von uns
ebenfalls mitgetragen. Allerdings sind diese Gesetzesänderungen notwendig, weil die von dieser Bundesregierung in der Vergangenheit eingeführten Beschränkungen
des Vorsteuerabzugs mit dem EU-Recht unvereinbar
sind. Die Union hatte bereits bei der Einführung darauf
hingewiesen und hat wieder einmal Recht behalten.
Der Gesetzentwurf enthält auch Regelungen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Der Bundesrechnungshof hat seit Jahren zu diesem Thema detailliert
Stellung genommen und mögliche Lösungsansätze bzw.
-wege vorgeschlagen. Die Entwicklung und die Ausmaße des Umsatzsteuerbetrugs sind im höchsten Maße
besorgniserregend. Das „Handelsblatt“ meldete am
21. Juli 2003 unter der Überschrift „Leichtes Spiel für
Steuersünder“:
Nach einer Studie des Münchener Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo machen die Einnahmeausfälle
allein durch den Umsatzsteuerbetrug mittlerweile
rund 14 Mrd. Euro im Jahr aus.
In den Bemerkungen 2000 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes führt der Bundesrechnungshof aus:
Der Bundesrechnungshof kann eine exakte Zahl der
jährlichen Steuerausfälle nicht benennen, hält aber
einen zweistelligen Milliardenbetrag für wahrscheinlich. Eine unzureichende Verfolgung dieser
Spielart der organisierten Kriminalität führt auch zu
einem außersteuerlichen Schaden für die Privatwirtschaft und zur Gefährdung von Arbeitsplätzen.
Vorrangiges Ziel einiger Täter war es,
- wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat eine den Markt beherrschende Stellung zu erlangen,
um die Konkurrenz auszuschalten.
Um die Probleme in den Griff zu bekommen, werden
unter Beteiligung der Finanzbehörden des Bundes und
der Länder verschiedene Modelle diskutiert, zum einen
das Modell des Finanzministers Mittler aus RheinlandPfalz, der vorschlägt, für Umsätze in der Unternehmerkette eine Steuerbefreiung einzuführen und dadurch den
betrugsanfälligen Vorsteuerabzug gegenstandslos zu machen. Andere Modelle sehen vor, Steuerschuldnerschaft
oder Steuerhaftung für die Umsatzsteuer auf den Lieferungs- bzw. Leistungsempfänger zu verlagern. Allen
Modellen ist gemeinsam, dass sie ganz oder teilweise
dem Gemeinschaftsrecht widersprechen und darüber hinaus neue Missbrauchsmöglichkeiten und damit auch
Probleme hinsichtlich des Steueraufkommens aufwerfen.
Das Bundesfinanzministerium präferiert bisher die
Modelle zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft bzw.
der Haftung auf den Empfänger der Lieferung oder Leistung. Mit dem Gesetz vom 20. Dezember 2001 wurde
mit Wirkung ab 2002 bereits die umgekehrte Umsatzsteuerschuldnerschaft für Leistungen von im Ausland
ansässigen Unternehmen eingeführt. Dieser Ansatz wird
nun im Steueränderungsgesetz 2003 mit neuen Haftungstatbeständen für die Umsatzsteuer in Fällen der
Globalzession sowie bei Leasing und Mietkauf fortgesetzt.
Zukünftig soll nach dem Gesetzentwurf der Vorsteuerabzug erst dann gerechtfertigt sein, wenn die formalen
Voraussetzungen des Umsatzsteuerrechts hinsichtlich
der erhaltenen Rechnung erfüllt und die Rechnungsangaben vollständig und richtig sind. Darüber hinaus sieht
der Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004 die
umgekehrte Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen,
Reinigung von Gebäuden und Gebäudeteilen und bei
Umsätzen vor, die unter das Grunderwerbsteuergesetz
fallen.
Die beabsichtigten Regelungen, die auch die Masse
der steuerehrlichen Unternehmer treffen, begegnen
durchgreifenden Bedenken. Die Rechnungsprüfung,
die in den meisten Unternehmen ein Massengeschäft ist,
würde mit enormer Bürokratie und den daraus folgenden
Kosten belastet werden. Schließlich kann die Rechnungsprüfung auch zu Verzögerungen bei den Zahlungen führen, die angesichts der erheblichen Liquiditätsprobleme in der mittelständischen Wirtschaft weitere
Insolvenzen auslösen können. Aufgrund der Neuregelungen des Haushaltsbegleitgesetzes befürchten viele
Handwerker zusätzlichen Bürokratieaufwand, Umsatzeinbußen und die Zunahme der Schwarzarbeit. Die Baubranche befürchtet, dass die komplizierten Regelungen
für die Bauabzugsteuer, die nunmehr auch zur Verlagerung der Umsatzsteuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger führen sollen, nicht mehr vollziehbar
sein werden. Schließlich braucht selbst die Finanzverwaltung 34 Seiten, um die zahlreichen Abgrenzungsprobleme bei der Bauabzugsteuer zu regeln, die nunmehr
auch für die Umsatzsteuer und den Vorsteuerabzug maßgebend werden sollen.
Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
ist es der falsche Weg, die Unternehmen durch Verschärfung von Formvorschriften mit erheblichen Bürokratiekosten und risikoreichen Sanktionen zu belasten. Trotz
jahrelangen Drängens des Bundesrechnungshofes und
der Öffentlichkeit sind vom Bundesfinanzministerium
die bestehenden Möglichkeiten zur Bekämpfung des
Umsatzsteuerbetruges im bestehenden System offensichtlich nicht ausreichend genutzt worden.
Laut einer Studie des Münchner Ifo-Instituts sollte
aber besser versucht werden, das vorhandene System betrugssicher zu machen. Wenn die erforderliche finanzielle, personelle und technische Ausstattung erst gar nicht
in das bestehende System gesteckt wird - so schreiben
die Forscher -, ist es kein Wunder, dass die Steuereinnahmen wegbrechen, wie wir es in jedem Bericht des
Bundesfinanzministeriums über die Steuereingänge erkennen können. Zum Beispiel wurde erst 2001 beim
Bundesamt für Finanzen die „zentrale Datenbank zur
Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und Entwicklung von Risikoprofilen“ ins Leben
gerufen. Dort werden nun Daten über konkrete Umsatzsteuerbetrugsfälle und Scheinfirmen gespeichert.
Die Deutsche Steuergewerkschaft schlägt eine im
Bund angesiedelte Ermittlertruppe von 100 Fahndern
vor, weil die Länderfahnder überfordert seien, wenn sie
es mit international operierenden Banden zu tun bekämen. Andere Experten schlagen vor, über die Ausweitung der Ist-Besteuerung sowohl für den Leistenden als
auch den Leistungsempfänger nachzudenken. Es gibt
also andere Lösungsansätze als den weiteren Weg in den
Überwachungsstaat und als neue komplizierte Vorschriften, die die weit überwiegende Zahl der steuerehrlichen
und unbescholtenen Unternehmer treffen und diese unter
den Generalverdacht des Steuerbetruges stellen.
Wenn das Bundesfinanzministerium diesen Weg der
besseren personellen und technischen Ausstattung der
Finanzbehörden zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges geht, wird die Unionsfraktion dabei Mitarbeit,
Hilfe und Unterstützung bieten. Es ist in unser aller Interesse, den milliardenschweren Umsatzsteuerbetrug zu
unterbinden. Nicht zuletzt werden damit auch SpielPeter Rzepka
räume zur Senkung von Steuern und zur Vermeidung
von Steuererhöhungen geschaffen. Statt aber den Umsatzsteuerbetrug wirksam zu bekämpfen, schlägt dieser
erfolglose Finanzminister dem Haus ständig neue Steuererhöhungen vor.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Die Kollegin Christine Scheel hat ihre Rede zu Proto-
koll gegeben.1)
Nächster Redner ist der Kollege Professor
Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Westrich, es klang eben schon an: Es handelt sich um eines von acht umfangreichen Gesetzen, das
wir bis zum 17. Oktober - auch in mehreren Anhörungen des Finanzausschusses - zu beraten haben. Wir haben als Opposition wiederholt deutlich gemacht, dass ein
solches Arbeitspensum seriös kaum zu bewältigen ist.
Folge einer solch hektischen Beratung ist, dass sich sehr
viele Fehler in die Gesetze einschleichen. Die Antwort
der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDPBundestagsfraktion hat gezeigt, dass in der letzten Legislaturperiode allein 110 Vorschriften des Einkommensteuergesetzes nicht nur einmal, sondern mehrfach geändert werden mussten und dass es sich in vielen Fällen
um fehlerhaftes Handeln sowohl der Regierung als auch
der Mehrheitsfraktionen gehandelt hat.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mein Bedauern
zum Ausdruck bringen, dass es die Bundesregierung und
insbesondere das Finanzministerium nicht für nötig halten, an der Beratung dieses 112 Seiten starken Lumpensammlers, den Sie hier vorlegen, teilzunehmen.
({0})
Im vorliegenden Gesetzentwurf sind beispielsweise
Regelungen enthalten, um die Finanzverwaltung von
Masseneinsprüchen zu entlasten, die dort in den letzten
Jahren - das haben wir heute morgen im Finanzaus-
schuss erfahren - in Waschkörben gesammelt worden
sind, weil die Finanzverwaltung aufgrund der Regelun-
gen, die Sie hier vorgeben, mit der Bearbeitung nicht
hinterherkommt. Gesetzgeber und Rechtsprechung über-
lasten Steuerzahler und Steuerverwaltung. Ergebnis ist
Steuerwiderstand und Steuerfrustration der Menschen in
diesem Lande.
Uns liegt heute ein Bericht vor, der besorgniserregend
ist und der die Anwesenheit eines Vertreters des Finanz-
ministeriums zwingend notwendig machen würde. Hier
geht es - Kollege Rzepka hat es deutlich gemacht - um
zweistellige Milliardenbeträge, die jedes Jahr aufgrund
von Karussellgeschäften bei der Umsatzsteuer am Fis-
1) Anlage 11
kus vorbeigehen. In einer Anhörung des Finanzausschusses über die Anhebung der Tabaksteuer haben die
Sachverständigen zu Protokoll gegeben, dass eine solche
Erhöhung, wie Sie sie vorsehen, nicht zu Mehreinnahmen, sondern zu mehr Kriminalität in diesem Lande führen wird. Bei der Umsatzsteuer hätten Sie die Möglichkeit, tatsächlich Mehreinnahmen zu erreichen, wenn Sie
entsprechend konsequent handeln würden. Zwei Vorschläge dazu sind von der Opposition bereits gemacht
worden.
({1})
Schließlich brauchen wir - das ist bereits angeklungen - mehr Steuervereinfachungen, also ein einfaches
Steuerrecht mit niedrigen Steuersätzen. Es ist natürlich
schön, wenn Herr Kirchhof nunmehr auch in der SPD
Unterstützung mit seinen auf Vorschlägen der FDP beruhenden Ansätzen zu finden scheint. Das haben wir gestern, medial inszeniert, auch von Herrn Steinbrück gehört, der sich für Steuervereinfachungen ausgesprochen
hat. Interessant ist, zu sehen, dass sich ein Ministerpräsident mit seiner rot-grünen Regierung, wenn es darum
geht, Steuern etwa durch das Vorziehen einer Steuerreform zu senken, massiv gegen ein solches Vorziehen
ausspricht und derselbe Ministerpräsident, der jetzt das
Kirchhof-Modell propagiert, mit seiner rot-grünen Landesregierung massiv für eine Ausweitung der Gewerbesteuer eintritt, deren Abschaffung aber von Herrn
Kirchhof zur Voraussetzung gemacht wird, um überhaupt zu der Steuervereinfachung zu gelangen, die in
seinem Modell vorgesehen ist.
({2})
Deshalb rufen wir Ihnen zu: Etwas mehr Stringenz im
Handeln! Etwas mehr Glaubwürdigkeit! Nehmen Sie
sich die notwendige Zeit, damit im Parlament auch Gesetze vorgelegt werden, die wir nicht permanent nachbessern müssen!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1562 und 15/1495 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Der Entwurf eines Steueränderungsgesetzes 2003 auf
Drucksache 15/1562 soll zusätzlich an den Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
überwiesen werden. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Bürsch, Ludwig Stiegler, Klaus
Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck ({0}), Werner Schulz ({1}), Katrin
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Öffentlich-private Partnerschaften
- Drucksache 15/1400 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Die Redner Dr. Michael Bürsch, Dr. Michael Fuchs,
Werner Schulz ({1}) und Otto Fricke haben ihre Re-
den zu Protokoll gegeben. 1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1400 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Christoph Hartmann
1) Anlage 12
({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ressortforschungseinrichtungen des Bundes
regelmäßig im Hinblick auf internationale
Qualitätsanforderungen an das deutsche Forschungssystem evaluieren
- Drucksache 15/222 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Redner Dr. Carola Reimann, Helge Braun, HansJosef Fell und Christoph Hartmann ({4}) haben
ihre Reden zu Protokoll gegeben.2)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/222 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich wünsche den Besuchern sowie allen Kolleginnen
und Kollegen ein schönes Wochenende und berufe die
nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2003, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.