Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort.
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2004
({0})
- Drucksache 15/1500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007
- Drucksache 15/1501 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heutige Aussprache eine Dauer von eineinhalb Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zur Schlussrunde. Als erstem Redner erteile ich dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel,
das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sind in der Tat in einer äußerst schwierigen
Lage. Ich habe das bei der Einbringung des Haushalts
deutlich gemacht. Wir werden heute in der Schlussdebatte der ersten Lesung Revue passieren lassen, welche
Beiträge in dieser Debatte zur Lösung unserer Probleme
geleistet worden sind.
({0})
Ich will zunächst darauf hinweisen - das ist spannend
für die Art der Debatte -,
({1})
dass der Bundeskanzler an einer bestimmten Stelle gesagt hat, dass wir einen Fehler gemacht haben.
({2})
Ich frage Sie, wie eigentlich Ihre Reaktion darauf war.
Sie haben so getan, als hätten Sie mit dem Umstand,
dass wir in einer schwierigen Lage sind, überhaupt
nichts zu tun.
({3})
Es wurde sogar so getan, als ob 1998 ein Glücksjahr gewesen wäre. Das erinnert an Falschmünzerei. 1998 war
der Bundeshaushalt in seiner Gesamtheit schlechter als
2002.
({4})
- Genauso ist es. Ich rede vom Bundeshaushalt, sehr
verehrter Herr Kollege Austermann. - Dafür hatten Sie
die Verantwortung. Herr Solms hat es wirklich fertig gebracht zu sagen, wir hätten die Steuern stärker erhöht als
gesenkt. Es macht keinen Sinn, auf einer solchen Basis
eine Debatte zu führen.
({5})
Ich will auf Folgendes hinweisen: So schwierig unsere Situation auch ist, die höchste Arbeitslosigkeit
nach der Wiedervereinigung gab es in Ihrer Regierungszeit. Das haben Sie völlig ausgeblendet.
({6})
Redetext
Der riesige Zuwachs an Schulden - ich will das gar nicht
mehr kritisieren; aber Sie können so nicht argumentieren - fällt in Ihre Regierungszeit.
({7})
Von den Schulden in Höhe von 1 500 Milliarden DM
oder 750 Milliarden Euro, die wir von Ihnen übernommen haben, stammen 600 Milliarden Euro aus Ihrer Regierungszeit. Für diese 600 Milliarden Euro müssen wir
jedes Jahr 28 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Das ist eine
Belastung für den Haushalt, die Sie zu verantworten haben.
({8})
Ich sage das nicht, weil ich großen Spaß daran habe,
über die Vergangenheit zu reden.
Dasselbe betrifft übrigens auch das Thema
Reformstau. Man kann uns ja vorwerfen, wir hätten in
der vorigen Wahlperiode mehr machen müssen. In Ordnung.
({9})
Aber wir haben ordentlich angefangen.
({10})
Deswegen seien Sie, Herr Koppelin, ein bisschen vorsichtig! Was ist denn in den 16 Jahren passiert?
({11})
Warum hat denn Deutschland weltweit unter dem Makel
gelitten, es sei ein Land mit einem riesigen Reformstau,
in dem sich nichts bewegt? Das war doch während Ihrer
Regierungszeit. Jetzt bewegt sich das Land.
({12})
Damit will ich die Vergangenheit abschließen, weil ich
gar keine Lust habe - die Menschen auch nicht -, dauernd darüber zu reden. Sie können aber nicht so tun, als
ob Sie mit den Problemen dieses Landes nichts zu schaffen hätten und als ob es die 16 Jahre Ihrer Regierungszeit nicht gegeben hätte.
({13})
Es wäre schon gut gewesen, wenn Sie auf die Ausführungen des Bundeskanzlers etwas anders reagiert hätten ({14})
das ist eine Frage der politischen Kultur - und sich zu
Ihrer eigenen Verantwortung für die derzeit in diesem
Land vorhandenen Probleme bekannt hätten, zumal Sie
im Bundesrat nun einmal die Mehrheit haben. Wir sind
auch bereit - möglicherweise mit anderen Konzepten darauf zu reagieren.
Ich bin übrigens nicht unzufrieden mit dem Verlauf
der Beratungen im Finanzausschuss des Bundesrates.
Zehn Tage vor der Landtagswahl in Bayern ist immerhin
erkennbar geworden, dass es vielleicht doch sachliche
Debatten über eine Reihe unserer Vorschläge geben
könnte. Das finde ich vernünftig und das ist auch in Ordnung.
Das war ein erster Punkt, den ich ansprechen wollte.
Ich glaube, wir sollten den intensiven Versuch unternehmen, zu einer etwas anderen politischen Kultur zu kommen.
({15})
Streit über verschiedene Positionen ist zulässig. Lassen
wir einmal die Vergangenheit beiseite. Es ist schließlich
unsere gemeinsame Vergangenheit. Infolgedessen haben
Sie Verantwortung, so wie auch wir Verantwortung haben.
({16})
Sie haben die Mehrheit im Bundesrat; wir haben die
Mehrheit im Bundestag. Insofern sind wir nach der Verfassung zum Zusammenwirken verpflichtet.
({17})
Ich komme zu einem zweiten Punkt. Den Medien war
zu entnehmen, der Haushalt sei auf Sand gebaut. Ich
fange mit der Wachstumsprognose an.
({18})
Als wir den Haushalt aufgestellt haben, lagen wir mit der
Prognose eines Wirtschaftswachstums von 2 Prozent in
der Mitte des Prognosespektrums,
({19})
das zu dieser Zeit von 1,7 bis 2,3 Prozent reichte. Zurzeit
liegen wir in der Tat gemeinsam mit einem anderen Institut am oberen Rand. Aber das gesamte Prognosespektrum bewegt sich zwischen 1,5 bis 2 Prozent. Das Gemälde, das Sie an die Wand malen, wird dadurch nicht
gerechtfertigt, zumal zurzeit erstmals seit drei Jahren die
Institute in Deutschland insgesamt ankündigen, dass sie
in diesem Herbst ihre Prognosen - wenn auch vielleicht
nur mit minimalen Margen - nach oben korrigieren werden. Das haben wir seit drei Jahren nicht mehr erlebt. In
den vergangenen drei Jahren sind nämlich alle Prognosen nach unten korrigiert worden.
({20})
Das Institut für Wirtschaftsforschung in München,
das für das nächste Jahr eine Prognose von 1,5 Prozent
gestellt hat, korrigiert nun auch aufgrund unserer Politik
des Dreiklangs von Strukturreformen, Haushaltskonsolidierung und Vorziehen der Steuerreform als Wachstumsimpuls seine Prognose auf 1,7 Prozent, also nach oben.
Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat gerade
seine Prognose - wenn auch minimal - von 1,7 auf
1,8 Prozent nach oben korrigiert.
({21})
Das sind keine Abweichungen, die es rechtfertigen, in
dieser Weise über den Haushalt zu reden.
({22})
Ein weiterer Punkt: Im Haushalt sind viele Positionen
veranschlagt, die noch nicht den Bundesrat passiert haben. Das ist richtig; aber das ist nicht neu. Auch Sie haben Haushalte mit Begleitgesetzen eingebracht. Der
Haushalt ist schließlich ein Arbeits- und Gestaltungsauftrag an uns alle. Mir wäre es lieber - ich habe meine Erfahrungen gemacht -, ich könnte wie 1999 ein Haushaltskonzept vorlegen, das ausschließlich auf den Bund
setzt und sonst niemanden braucht. Das entspricht aber
nicht der Wirklichkeit in Deutschland. Die Wirklichkeit
ist, dass die Kommunen, die Länder, der Bund und die
sozialen Sicherungssysteme nach dreijähriger Stagnation
in größten Schwierigkeiten sind. Wenn einer darangeht,
die Probleme zu lösen - das ist die Aufgabe im Bundesstaat -, so ist das nur gemeinsam für Bund, Länder, Gemeinden und die sozialen Sicherungssysteme möglich.
Daran fehlt es Ihrem Ansatz überwiegend, während wir
genau an dieser Stelle ansetzen.
Wir haben in der Tat seit 1999 beträchtliche Einsparungen vorgenommen. Das ist aus allen Positionen des
Haushalts ersichtlich. Übrigens habe ich von Ihnen
nichts über Sparbeiträge gehört. Wenn ich Ihren Ausführungen folge, Herr Kollege Meister, komme ich zu dem
Ergebnis, für Sie gilt immer noch das Motto „Allen wohl
und niemand weh“. Das wird nicht möglich sein. Sie
werden endlich selber Antworten geben müssen. In einzelnen Ländern geben Sie bereits - auch sehr schmerzhafte - Antworten. Sie kommen aber auch hier um diese
Antworten nicht mehr herum.
({23})
Wir geben Antworten für den Gesamtstaat. Das ist
unsere Aufgabe, allerdings auch die Aufgabe des Bundesrates.
Wir sind in unserer Situation keineswegs das Schlusslicht in Europa. Es gibt eine Reihe von Ländern, die so
große Aufgaben wie wir nicht zu schultern haben. Das
sage ich im Hinblick auf die Debatte über die Belastungen, die durch die Wiedervereinigung entstanden sind.
Es ist ja richtig, dass in Mittelosteuropa Wachstumsregionen liegen. Aber es ist ein großer ökonomischer
Unterschied, Herr Kollege Merz - ich möchte an diesem
Punkt gar keinen Streit provozieren -, ob man eine
Schockanpassung vornimmt, wie wir das nach der Wiedervereinigung gemacht haben - früher hat man dem Internationalen Währungsfonds vorgeworfen, dass eine
solche Strategie falsch sei -, oder ob man den Ländern
Mittelosteuropas 15 Jahre Zeit gibt, um mit unserer Unterstützung eine funktionsfähige Marktwirtschaft und
wettbewerbsfähige Betriebe aufzubauen.
Genau an diesem Punkt müssen wir mit unserer Arbeit ansetzen und genau das ist auch unser Problem. Insgesamt haben wir das bisher gut hinbekommen. Darauf
dürfen wir ruhig ein bisschen stolz sein und dürfen anderen sagen: An diesem Punkt ist eure Kritik verfehlt; leistet erst einmal das, was wir geleistet haben! Das wäre
vielleicht eine Position, auf die wir uns hier im Bundestag verständigen könnten.
({24})
Unsere Antwort auf die Herausforderungen lautet:
Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen
und auf dem Arbeitsmarkt sowie auf den Güter- und
Dienstleistungsmärkten, mehr Liberalisierung - ich betone das ausdrücklich; es ist spannend, was die Liberalen
zu diesem Thema sagen -, beinharte Haushaltskonsolidierung sowie das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform. Letzteres ist notwendig, weil man in einer Situation, die durch Stagnation geprägt ist, nicht einfach
23 Milliarden Euro bzw. - wenn ich die Kosten der Gesundheitsreform noch einrechne - rund 35 Milliarden
Euro herausnehmen kann und erwarten darf, dass dies
unsere Stagnationsphase nicht verlängern wird. Genau
das darf nicht geschehen. Das will auch niemand.
Übrigens, wenn Sie den Monatsbericht der Europäischen Zentralbank lesen, dann stellen Sie fest, dass sie
gegenüber unserem Reformkonzept außerordentlich positiv eingestellt ist. Das sollten Sie bei Gelegenheit vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen. Das Gleiche gilt
auch für die Europäische Kommission.
({25})
Wir haben Ihnen gleichzeitig mit unserem Konzept,
wissend, dass Sie die Entscheidungen mitzutragen haben,
weil Sie die Mehrheit im Bundesrat stellen, Gesprächsangebote gemacht. Es ist aber verwunderlich, dass Sie im
Finanzplanungsrat, also in einem offiziellen Gremium
dieser Republik, nicht in der Lage waren, auf unser Angebot zu reagieren, das wie folgt lautete: Lasst uns eine
gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern unter
Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände bilden,
({26})
um dort nicht etwa über die Fragen zu diskutieren, die
in der Arbeitsgruppe Koch/Steinbrück behandelt werden,
sondern darüber, welche Belastungen Bundesgesetze und
eine Reihe von Rahmenregelungen für Bund, Länder und
Gemeinden bringen und wie sie entlastet werden können,
übrigens eine Forderung, die Sie an anderer Stelle immer
wieder stellen. Sie haben auf dieses Angebot betreffend
den Gesamtstaat, wie gesagt, überhaupt nicht reagiert,
weil Sie zuerst Ihre Parteivorsitzenden fragen mussten
und weil Sie vor der anstehenden bayerischen Landtagswahl zu jeder Art von sachlicher Arbeit offenkundig
nicht in der Lage sind. Das muss man wohl zur Kenntnis
nehmen. Aber das kann nicht so weitergehen.
({27})
Wir haben jedenfalls unser Konzept auf den Tisch gelegt. Das müssen Sie nicht mögen. Aber Sie müssen angesichts der Verantwortung, die Sie haben, wenigstens
Antworten geben.
Ich komme nun zu dem, was diese Debatte gebracht
hat. Frau Merkel hat drei konkrete Konzepte vorgeschlagen. Das finde ich in Ordnung. Aber, Frau Merkel, das,
was Sie zur Reform der Gemeindefinanzen vorgeschlagen haben, ist etwas anderes, als die Finanzminister
und die Innenminister der B-Länder in der Gemeindefinanzreformkommission beschlossen haben. Sie haben
nämlich kein Sofortprogramm, sondern eine durchgreifende Reform mit Wirkung vom 1. Januar 2004 beschlossen. Alle, auch Herr Faltlhauser, Herr Stratthaus,
Herr Dr. Metz, Herr Peiner, haben sich dafür ausgesprochen, dass die Gemeindefinanzreform auf einer modernisierten Gewerbesteuer aufbauen soll. Man konnte
schon damals erkennen, dass einige in Ihren Reihen Probleme mit der Einbeziehung ertragsunabhängiger Elemente in die Gewerbesteuer haben. Aber wir haben das
nicht vorgeschlagen. Das ist vielmehr ein Streitpunkt in
Ihren Reihen. Darum braucht man gar nicht herumzureden.
Niemand von Ihnen hat in der Kommission jedoch
gesagt, dass er die Freiberufler nicht in die Gewerbesteuer einbeziehen möchte. Wenn Sie das vorgeschlagen
hätten, dann hätten Sie etwas von den kommunalen Spitzenverbänden zu hören bekommen. Hinterher - das
finde ich außerordentlich spannend - klang das im bayerischen Wahlkampf ganz anders. Aber wie gesagt, in der
Kommission hat man darüber kein einziges Wort verloren.
Mit unserem Vorschlag - unabhängig davon, ob er in
allen Einzelheiten geteilt wird - haben wir den Versuch
unternommen, auf der einen Seite alle unlauteren Gestaltungsmöglichkeiten auszuschließen und auf der anderen
Seite das Entstehen ökonomischer Probleme, die sich
vielleicht aus der Einbeziehung ertragsunabhängiger
Elemente ergeben könnten, möglichst zu vermeiden. Voraussetzung dafür sollte aber eine reformierte Gewerbesteuer sein. Diese Plattform haben alle Mitglieder der
Kommission - abseits der drei großen Wirtschaftsverbände - gemeinsam entwickelt.
Die Forderung, ein Sofortprogramm aufzulegen und
alles andere erst einmal zu vergessen, ist entweder ein
Zeichen der Hilflosigkeit - es zeigt, dass Sie kein eigenes Konzept haben - oder, anders formuliert, sie bringt
zum Ausdruck, dass Sie nicht in der Lage sind, sich auf
ein einheitliches Konzept zu einigen. Zwischen Herrn
Merz‘ Forderung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, und
Herrn Kochs Position, die Gewerbesteuer solle mit einem Unmaß an ertragsunabhängigen Elementen versehen werden, klafft eine Riesenlücke. Es gibt keine gemeinsame Position der CDU und CSU. Deswegen sind
Sie in diesem Bereich zurzeit nicht verhandlungsfähig.
Das ist bedenklich. Das muss man sagen.
({28})
Sie haben außerdem die Zusammenlegung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe angesprochen. Richtig ist doch - Herr Kollege Clement hat das gestern ganz
deutlich gemacht -: Man kann die damit verbundenen
Probleme nur durch ein ganz enges Zusammenwirken
von Kommunen und der Bundesanstalt für Arbeit lösen.
Mit dem Drehtüreffekt - da ich 15 Jahre lang Oberbürgermeister war, weiß ich sehr genau, wie das läuft muss Schluss sein. Drehtüreffekt bedeutet, dass man Arbeitnehmer nur einstellt, damit sie unter die Finanzverantwortung eines anderen fallen. Das wird in dieser Republik seit Jahrzehnten in großem Maße praktiziert.
Es geht darum, durchzugreifen. Die Finanzverantwortung und die Verantwortung für die Vermittlung müssen
in eine Hand, damit wir eine Chance haben, dieses Hin
und Her zu vermeiden, für eine bessere Vermittlung
- dabei sind die Kommunen in der Tat gefragt - zu sorgen und Arbeitslosigkeit nicht bloß zu verwalten. Darüber darf kein Streit bestehen.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Vorschlag,
die entsprechende Verantwortung bei den Kommunen
anzusiedeln, von zwei der drei kommunalen Spitzenverbände ganz und gar abgelehnt wird. Wir haben Ihren
Vorschlag in der Kommission diskutiert. Nur der Deutsche Landkreistag war bereit, Ihrem Vorschlag zu folgen. Dafür hat er übrigens die Bedingung aufgestellt,
dass die Landkreise an Gemeinschaftssteuern direkt beteiligt werden, was bis jetzt nicht der Fall ist. Alle anderen kommunalen Spitzenverbände lehnen das ab.
Ihr zweites Konzept, sehr geehrte Frau Merkel, wird
jedenfalls von zwei der drei kommunalen Spitzenverbände abgelehnt. Das sollte uns nicht daran hindern, in
den Verhandlungen in diesem Herbst zu einem Ergebnis
zu kommen. Klar ist nämlich, wie gesagt: Sowohl die
Bundesanstalt für Arbeit als auch die Kommunen werden gebraucht. Eines geht allerdings nicht: Der Bund allein macht zwar Zahlemann und Söhne, hat bei dieser
ganzen Veranstaltung aber überhaupt nichts zu sagen.
Das kann nicht sein. Sie wissen genau, wohin das führt.
Finanzverantwortung und Verwaltungsverantwortung
gehören in eine Hand. Wenn dies nicht der Fall sein
wird, dann entsteht eine neues riesiges Fass ohne Boden.
Das kann niemand wirklich wollen.
({29})
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel - dieser Punkt ist komplizierter -, Sie fordern, was die Reformen am Arbeitsmarkt angeht, die Lockerung des Kündigungsschutzes
und die Abschaffung des Flächentarifs. Dazu werden
wir Ihnen nicht die Hand reichen. Es gilt, was der Bundeskanzler und was der Kollege Clement hier gesagt haben: Bei allem, was in diesem Lande an Flexibilisierung
notwendig ist, wollen wir, dass sich Arbeitnehmer und
Arbeitgeber auch in Zukunft auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen.
({30})
Das war eine Grundlage der guten Entwicklung
Deutschlands in den vergangene 50 Jahren und das muss
es auch bleiben.
Wir haben unendlich viel mehr Probleme zu lösen.
Folgende Sätze waren verräterisch:
Wenn Sie Kirschkuchen brauchen, backen Sie ihn
selbst! Wir essen dann gerne mit, Herr Bundeskanzler.
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel, wenn ich mir ein wenig
Spott erlauben darf: Das war für mich der schönste Satz
dieser Debatte.
({31})
So ginge es, wenn Sie nur die Oppositionsrolle hätten;
da Sie aber die Mehrheit in der Länderkammer haben,
geht es genau so eben nicht. Lassen Sie die Landesregierungen ihre verfassungsmäßige Aufgabe erfüllen!
Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Laden in Bundes- und in
Landespolitiker auseinander fällt - das kann ich verstehen -, dann übernehmen Sie die Verantwortung und
dann haben Sie den Mut, auch hier, an diesem Pult, mehr
als das, was Sie am Mittwoch geboten haben, zu sagen!
({32})
Ich möchte nun auf den Haushalt zu sprechen kommen.
Man muss wissen, was wirklich Ihre Konsolidierungskonzepte sind. Auf der einen Seite sagen Sie: Man darf die
Steuerreform nicht vorziehen, wenn keine komplette Gegenfinanzierung vorhanden ist. Auf der anderen Seite
schnüffeln Sie an unserem Riesenpaket mit Vorschlägen,
das wir zuvor im Rahmen der Haushaltskonsolidierung
geschnürt haben, herum und sagen, das alles passe Ihnen
nicht. Das ist ein klarer Widerspruch. So geht das nicht.
Was ist denn nun Ihr Konzept für die Konsolidierung des
Haushaltes? Unser Konzept liegt auf dem Tisch
({33})
Es war übrigens auch spannend bei der Opposition.
Der große Spruch war ja: Privatisierung und Subventionsabbau.
Erster Punkt: Privatisierung. Dazu habe ich einmal
ein Telefongespräch mit Herrn Westerwelle - er ist jetzt
nicht hier - geführt - ich habe nicht geahnt, dass mein
Anruf nachher in der Zeitung seinen Niederschlag finden
würde -, weil ich ihn auf eines hinweisen wollte: Es gibt
überhaupt kein Problem, was die Zielrichtung betrifft.
Wir wollen aus den Unternehmen raus; wir sehen gar
nicht ein, dass der Bund darin sein muss.
({34})
- Nix „aber“! - Das meiste sind wir auch los. Zu beachten ist einzig und allein, dass wir das nicht unter einem Druck tun, der uns nachher zwingt, zu Preisen zu
verkaufen, dass man von Verschleuderung sprechen
muss. Das kommt nicht in Betracht.
({35})
Es wird nur so privatisiert, wie es auch der Kurspflege
der vielen Kleinaktionäre dient, und keinen Deut anders.
Nachdem das klar ist, gibt es noch zwei Unternehmen, bei denen wir eine Menge machen können - aber
das braucht eben die entsprechende Kursentwicklung,
die sich andeutet - nämlich Telekom und Post. Ein anderes Unternehmen, bei dem das noch nicht so weit ist,
ist die Deutsche Bahn. Es gibt andere, die noch mehr tun
können; aber der Bund ist voll auf dieser Linie. Es gibt
an dieser Ecke überhaupt keinen Streit. Der Glaube jedoch, dass wir mit Privatisierungserlösen kurzfristig die
Haushaltsprobleme lösen können, ist ein völliger Irrglaube.
Zweiter Punkt: Subventionsabbau. Ich habe das gern
gehört. Da muss ich mich einmal an Herrn Thiele wenden; er ist auch hier. Ich habe einmal hinübergerufen:
Also stimmen Sie bei der Eigenheimzulage zu? - Darauf
hat er mir geantwortet - ich hoffe, ich sage jetzt nichts
Falsches, Herr Thiele -: Nein, nein; wir sind für die Vermögensbildung.
Wenn das so läuft, meine Damen und Herren, dann
haben wir gar keine Chance. In Ihrem Wahlprogramm
steht sogar, dass die Einkommensgrenze für die Eigenheimzulage abgeschafft werden soll. Also, egal wie teuer
das Haus und wie hoch das Einkommen ist, das Häuschen soll vom Steuerzahler mitfinanziert werden. - Ich
dachte, wir wären uns einig darüber, dass wir uns mit unseren staatlichen Unterstützungen auf die konzentrieren
müssen, die es nötig haben, und nicht die einbeziehen
sollten, die es nicht nötig haben.
({36})
So werden wir nicht weiterkommen.
Wir verzeichnen ein Anwachsen der Subventionen
insgesamt. Umso mehr muss die Eigenheimzulage abgeschafft werden. Sie ist es nämlich, die uns zurzeit die
Subventionen hoch treibt. Das ist eine direkte Unterstützung des Kurses, den ich gefahren habe. Sie kommen um
konkrete Antworten nicht herum, meine Damen und
Herren.
Bei jedem Subventionsabbau - auf dem Feld der Eigenheimzulage -, den Sie verweigern, müssen Sie sich
klar machen: 42,5 Prozent davon verweigern Sie den
Ländern und 15 Prozent verweigern Sie den Kommunen.
({37})
Das haben Sie im Frühjahr gemacht. Solch einen Eindruck erwecken Sie gegenwärtig wieder. Das wird so
nicht gehen.
Nach dieser Debatte ist klar: Sie sind bei diesem
Thema nicht aufgestellt. Es wird aber Zeit, dass Sie sich
dazu aufstellen;
({38})
denn in diesem Herbst muss das entschieden werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Thiele?
Bitte.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie sprachen die Eigenheimzulage an.
Ja.
Die Eigenheimzulage ist 1995 mit den Stimmen auch
der SPD im Bundestag verabschiedet worden.
Richtig.
Wir beklagen, dass Deutschland eine der niedrigsten
Wohneigentumsquoten in Europa hat. Die Eigentumsquote ist von 1993 bis 2003 um 3,8 Prozent gestiegen.
Das sind 10 Prozent gesamtstaatlich. In den neuen Bundesländern ist sie um 30 Prozent gestiegen - 30 Prozent
mehr Eigentum als damals!
Die Frage geht dahin, warum Sie für die Abschaffung
der Eigenheimzulage sind. Wir haben es in diesem Zeitraum doch geschafft, dass zusätzlich etwa 1,4 Millionen
Haushalte in Eigentumsobjekten und nicht zur Miete
wohnen. Das sind mehr als 3 Millionen Menschen. Auf
der einen Seite wird Kapitalbildung und Altersvorsorge
gefordert - das Riester-Programm soll mit 20 Milliarden
DM gefördert werden - und auf der anderen Seite soll
hier etwas gestrichen werden, was zudem Beschäftigung
fördert. Es gibt die unsägliche Aussage des Bundeskanzlers vom Dezember letzten Jahres: Es ist unsere Aufgabe, die Arbeitsplätze in der überbesetzten Bauwirtschaft abzubauen.
Wenn ich mir dann vor Augen führe, wie mit der Eigenheimzulage Arbeitsplätze geschaffen werden,
({0})
wie Eigentum gebildet wird, wie gegen den demographischen Wandel gewirkt wird, dann frage ich mich,
({1})
wie Sie erklären können, dass die Eigenheimzulage von
Ihnen abgeschafft werden soll.
({2})
Sehr verehrter Herr Kollege Thiele, die Frage, die Sie
sich stellen, kann ich Ihnen nicht beantworten.
({0})
Ich kann Ihnen nur die Frage beantworten, die Sie mir
gestellt haben. Die Antwort habe ich gegeben.
Übrigens: Ich frage mich doch
({1})
- ja, ich mich! -, wie es bei Ihnen immer noch passieren
kann, dass Sie als Liberale, die mit der Überschrift antreten: „Wir sanieren den Staat durch Subventionsabbau“,
zwar vom Subventionsabbau reden, aber es fertig bringen, eine Subvention, die an der Spitze der Liste steht,
die die höchste überhaupt ist, von der die Bundesbank,
alle Ökonomen, alle wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute, der Sachverständigenrat sagen: „Die
muss weg“, nicht anzupacken.
({2})
Was sind denn in der Regel das Wesen und die Wirkung von Subventionen, Herr Kollege Thiele? Ich will
Ihnen darauf das Gleiche sagen, was auch liberale Politiker schon gesagt haben - ich könnte unzählige Zitate
heraussuchen -: Sie treten zwischen den Produzenten
und den Konsumenten und verteuern in aller Regel die
Leistung.
({3})
Es gibt eine Reihe von Ländern - ich habe mir das ja genau angesehen -, die in der Tat weitaus höhere Eigentumsquoten haben als wir. Wenn Sie aber glauben, dass
dort annähernd so hohe Subventionen für diesen Bereich
wie bei uns gezahlt werden, täuschen Sie sich. Zunächst
einmal gibt es dort niedrigere Baupreise. Wir erhöhen
also mit Subventionen zuallererst das Preisniveau. Muss
ich Ihnen als Liberalem das wirklich erzählen? Das ist
wirklich erstaunlich. So werden wir nicht vorankommen.
({4})
Wenn Sie wie eine Monstranz Steinkohle- und
Windkraftsubventionen - letztere finden übrigens keinen Niederschlag im Haushalt ({5})
vor sich her tragen und sagen, mit deren Abschaffung
könne man einen spürbaren Beitrag zur Sanierung der
öffentlichen Haushalte, in denen 70 bis 80 Milliarden
fehlen, leisten, kann ich Ihnen darauf nur antworten: Das
reicht bei weitem nicht aus; das ist ungenügend. Sie
müssen schon an ganz andere Dinge heran, um die Zukunftsfähigkeit dieses Landes zu sichern.
Die entscheidende Frage, um die es zuletzt geht, lautet doch, ob wir denn für die Felder, auf denen sich die
Zukunft unseres Landes entscheidet - das beginnt bei
der Kinderbetreuung, damit die Frauen, die Kinderwunsch und Erwerbstätigkeit vereinbaren wollen, das
auch können, und reicht bis hin zu den Hochschulen, zu
Forschung, Entwicklung und Innovation -, mehr Geld
bereitstellen und dafür sorgen können, dass mehr Initiativen entwickelt werden. Darauf kommt es an; aber das
haben Sie in Ihrer Regierungszeit sträflich vernachlässigt. Wir haben es dann schon etwas anders gemacht;
aber auch das reichte noch nicht aus. Weil wir die Haushaltspolitik nun darauf ganz besonders ausrichten, müssen wir vieles andere lassen. Ansonsten gewinnt man
nämlich die Zukunft nicht.
({6})
Wenn Sie sich vernünftig verhalten, dann können wir
hoffen, dass wir wenigstens nach der Bayernwahl in
zehn Tagen von Ihnen Antworten bekommen. Vorher
wollen Sie den Wählern ja nicht sagen, wo Sie stehen.
Natürlich brauchen wir die parlamentarischen Verfahren;
das ist überhaupt nicht strittig. Aber glauben Sie wirklich, dass es vernünftig ist, bis Mitte Dezember zu warten? Sollen erst dann die Menschen wissen, ob die Strukturreformen und die dritte Stufe der Steuerreform mit
ihren Entlastungen kommen und die Konsolidierung eingeleitet wird? Wir sind uns übrigens, wenn ich Ihre
Sprüche richtig interpretiere, darin einig, dass die Steuerreform nicht vorgezogen werden kann, ohne dass es
zugleich einen ganz intensiven Subventionsabbau gibt.
Ansonsten könnte man das nämlich gar nicht verantworten. Aber äußern Sie sich doch endlich bitte zu dem, was
auf dem Tisch liegt!
({7})
Ein vernünftiges Vorgehen setzt natürlich voraus, sehr
geehrte Frau Dr. Merkel, dass Sie selber wissen, was Sie
wollen, und sich darüber einigen. Nach der Bayernwahl
wünsche ich mir eine Erklärung, in der steht, was wir gemeinsam wollen. Die Streitpunkte, die es dann noch
gibt, kann man im Gesetzgebungsverfahren lösen. Wenn
wir so verfahren, wissen die Menschen und die Unternehmen in unserem Lande, wo es lang geht. Das zarte
Pflänzchen Aufschwung, das ganz vorsichtig herauskommt, braucht ordentliche Düngung. Ohne richtiges
Wachstum schaffen wir nämlich keine Konsolidierung.
Sie tragen zwar nicht als Opposition, aber aufgrund Ihrer
Mehrheit im Bundesrat die gleiche Verantwortung wie
wir. Nehmen Sie sie endlich wahr, damit unser Land vorankommt!
({8})
Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention Kollegin Angela Merkel.
({0})
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, wie konstruktiv Mehrheiten im Bundesrat genutzt wurden, ist
uns allen ja noch gut aus den Zeiten in Erinnerung, als
Sie, Herr Schröder und Herr Lafontaine Ministerpräsidenten waren. Sie haben sich da wirklich zum Wohle des
deutschen Volkes verhalten. Die Folgen spüren wir noch
heute.
({0})
Aber lassen Sie uns in die Zukunft blicken:
Erstens. Was Sie als Arbeitsmarktreformgesetz vorgelegt haben - Ihr Kollege Wirtschaftsminister ist heute
nicht da -, ist angesichts dessen, dass es sich genau dabei um den zentralen Bereich für die Erneuerung
Deutschlands handelt, viel zu wenig. Weder beim Kündigungsschutz noch bei den betrieblichen Bündnissen
für Arbeit wagen Sie einen Schritt, der Deutschland
wirklich in das 21. Jahrhundert bringt.
({1})
Herr Bundeskanzler und Herr Bundesfinanzminister, wir
können Kürzungen vornehmen und auch die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammenlegen. Das alles müssen wir machen. Wenn wir aber die Befreiungsschläge
auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht hinbekommen, wenn
wir insgesamt zu kurz springen, dann wird es mit Sicherheit nicht zu den Ergebnissen kommen, die wir brauchen. Wir haben Ihnen dazu Vorschläge gemacht. Wenn
Sie sich aber hier hinstellen und sagen, dass Sie das nicht
mitmachen, dann ist das ein Einstieg in Verhandlungen,
der alles andere ist als konstruktiv. Das werden wir Ihnen immer und immer wieder aufs Butterbrot schmieren.
({2})
Zweiter Punkt: Zusammenlegung von Arbeitslosenund Sozialhilfe. In dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf steht, dass im Laufe der Verhandlungen - wir
sind bereit, auch hier im Bundestag mit Ihnen darüber zu
sprechen - die Verzahnung mit der Bundesanstalt für Arbeit noch weiter zu entwickeln ist. Sie werfen uns vor,
wir wollten, dass der Bund alles bezahlen solle. Glauben
Sie aber wirklich allen Ernstes, dass die Länder bereit
sind, Ihnen 7 Prozent ihres Anteils an der Umsatzsteuer
zu geben, und anschließend sagen: „Prima, wir lassen
das den Bund machen“, obwohl der in Gestalt der Bundesanstalt für Arbeit seinen Aufgaben erwiesenermaßen
schon heute nicht ausreichend gerecht wird?
({3})
Auch hier geht es also um die Bereitschaft zu konstruktiven Verhandlungen.
Dritter Punkt: Subventionsabbau. Sie wissen - ich
wundere mich darüber, dass Sie es nicht sagen -,
({4})
dass die Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück in der
nächsten oder übernächsten Woche Vorschläge machen
werden, und zwar im Zusammenhang mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz. Es ist infam, dass Sie immer
und immer wieder behaupten, die Union beteilige sich
nicht am Subventionsabbau. Die beiden Herren machen
im Auftrag aller Ministerpräsidenten nichts anderes, als
sich mit dem Subventionsabbau zu beschäftigen. Genau
da werden wir unserer Verantwortung gerecht werden.
({5})
Herr Eichel, Sie glauben, die Streichung der Eigenheimzulage, die die Eigentumsbildung befördert, sei ein
Weg, der Deutschland in die Zukunft führt.
({6})
Die Eigenheimzulage wurde zur steuerlichen Gleichstellung eingeführt; denn dadurch wird derjenige, der für
sich selbst Eigentum erwirbt, mit demjenigen, der Wohnungen vermietet und der abschreiben darf, gleichgestellt. Wenn Sie einen Vorschlag zur intelligenten Weiterentwicklung dieses Instruments gemacht hätten,
({7})
dann könnte man sich dem vielleicht noch öffnen. Wenn
Sie die Eigenheimzulage aber einfach streichen wollen,
dann dürfen Sie sich nicht wundern, dass wir Ihren Vorschlag ablehnen.
({8})
Letzter Punkt - nur dieser hat etwas mit dem von Ihnen angesprochenen Kirschkuchen zu tun, Herr Eichel -:
Ihr Bundeskanzler hat vorgeschlagen, die letzte Stufe der
Steuerreform vorzuziehen. Sie haben einen Haushalt
vorgelegt, der schon ohne diese Maßnahme kaum verfassungsgemäß war. Wir hören heute, dass außer Bayern
und Baden-Württemberg wahrscheinlich kein einziges
Bundesland in diesem Jahr einen verfassungsgemäßen
Haushalt wird haben können. Wie erklären Sie dann,
dass auf Pump - nichts weiter ist das, was Sie vorgeschlagen haben ({9})
ein Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform zu
verantworten ist? Ich weiß nicht, wie Sie das in Brüssel
erklären. Sie haben es uns hier nicht erklärt. Wir sagen:
Wer eine solche Idee hat, muss auch sagen, wie das
finanziert werden soll. Davon haben wir nichts gehört.
So, wie Sie es machen wollen, ist es nicht verantwortlich.
({10})
Frau Kollegin Merkel, ich bin dankbar für Ihre Intervention, weil sie mir Gelegenheit gibt, den Dialog noch
ein bisschen weiter zu führen.
Erstens. Ich habe nicht gesagt, dass Ihre Vorschläge
zur Reform des Arbeitsmarktes für uns nicht in
Betracht kommen, sondern habe einen Wertmaßstab genannt. Der Wertmaßstab ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe, gleichberechtigt einander gegenüberstehen und nicht der eine ein größeres
Gewicht hat als der andere.
({0})
Daran wird alles zu messen sein, meine sehr verehrten
Damen und Herren.
({1})
Dem scheint das, was Sie dazu auf den Tisch gelegt haben, nicht zu entsprechen. Das ist so und darüber muss
man dann auch reden.
Zweiter Punkt. Ihre Darstellung, sehr geehrte Frau
Kollegin Merkel, bezüglich der Umsatzsteuer war nicht
ganz richtig. Wenn wir als Bund von den Kommunen
eine sehr kostenträchtige Aufgabe übernehmen und nicht
einmal verlangen - das ist unsere ausdrückliche Position -, dass das gesamte Geld, das von den Kommunen
bisher dafür aufgewandt wurde, auf den Bund übergeht,
sondern 2,5 Milliarden Euro ab 2005 den Kommunen
lassen, dann ist das doch weiß Gott kein Angebot, über
das man nicht vernünftig miteinander reden könnte.
Schließlich entlastet der Bund die Kommunalhaushalte
um 2,5 Milliarden Euro, obwohl das nicht seine Sache,
sondern Sache der Länder ist.
Das Problem mit der Umsatzsteuer ist ein ganz anderes. Das Problem ist, dass unsere Verfassung - die
Kommunen gehören finanzverfassungsrechtlich zu den
Ländern - eigentlich nur den Weg über die Umsatzsteuerverteilung kennt. Ich verstehe - schließlich war ich
lange genug Ministerpräsident -, dass die Länder Angst
haben, dass sie, wenn sie das Geld an den Bund abtreten,
es ihrerseits nicht schaffen, sich in diesem Umfang über
den kommunalen Finanzausgleich zu refinanzieren. Darüber muss man in diesem Herbst sorgfältig reden, weil
dieses Problem gelöst werden muss; daran kann kein
Zweifel bestehen.
Ich halte fest, dass die Zusage des Bundes an die
Kommunen, sie ab 2005 nachhaltig um 2,5 Milliarden
Euro bzw. 2004 um 1,9 Milliarden Euro zu entlasten, ein
vernünftiges Angebot ist, besonders in der aktuell
schwierigen Situation der Haushalte, unter denen der
Bundeshaushalt es am schwersten hat.
Bei der Eigenheimzulage haben wir doch nicht die
ersatzlose Streichung vorgeschlagen. Im Gegenteil, wir
haben vorgeschlagen, 25 Prozent des Subventionsvolumens der Eigenheimzulage zu erhalten - die Länder und
Kommunen sollten das Gleiche tun - und damit ein ganz
modernes Instrument der Städtebauförderung zu schaffen. Die Ausgestaltung wird zurzeit besprochen. Darin
liegt zum ersten Mal die Chance, sehr verehrte Frau
Dr. Merkel, auf die äußerst unterschiedliche Situation
der Wohnungsmärkte in Ostdeutschland und beispielsweise in den westlichen Großräumen München, Stuttgart
und Frankfurt einzugehen. Ihre Ministerpräsidenten sind
es doch, die sich über die Neubauförderung in Ostdeutschland ärgern, weil sie die Innenstädte zerstöre.
Das will doch auch auf Ihrer Seite niemand. Lesen Sie,
was Herr Milbradt und andere dazu sagen.
({2})
Angesichts dieser Chance, zum ersten Mal ein differenziertes Instrument zu haben, lassen Sie uns darüber
reden, wenn das Ihre Bedingung ist. Wir haben es angeboten.
Der nächste Punkt. Wir haben mit dem Gesetz zum
Abbau von Steuervergünstigungen auch Einschränkungen bei der Abschreibung im Mietwohnungsbau angeboten. Das haben Sie jedoch nicht mitgemacht. Nachdem Sie das damals selbst abgelehnt haben, können Sie
doch jetzt nicht sagen, Sie wollten die Kürzungen bei der
Eigenheimzulage nicht mittragen, weil beim Mietwohnungsbau nichts geschehe.
({3})
Letzter Punkt: Steuerreform. Inzwischen liegt - unter Einbeziehung des Gesundheitsreformgesetzes - ein
Gesamtpaket von 35 Milliarden Euro auf dem Tisch. Wir
können natürlich noch weiter konsolidieren; ich weiß allerdings nicht, ob das in der momentanen Stagnationsphase der richtige Weg ist. Deswegen haben wir, nachdem das Gesamtpaket auf dem Tisch lag, gesagt:
Erstens. Die Zinsbelastung durch das Vorziehen der
Steuerreform finanzieren wir langfristig durch Subventionsabbau. Zweitens. Wir privatisieren. Drittens. Wir
werden unsere Finanzhilfen weiterhin Jahr für Jahr um
mindestens 5 Prozent abbauen. Viertens. Wir bieten dem
Bundesrat eine verbindliche Vereinbarung über den weiteren steuerlichen Subventionsabbau an. Was sollen wir
denn noch tun, sehr verehrte Frau Kollegin Merkel, um
hier zum Ziel zu kommen?
({4})
Nunmehr erteile ich dem Kollegen Peter Götz, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Finanzminister, Sie haben einen großen Teil
Ihrer Rede den Kommunen gewidmet. Es ist etwas ganz
Neues, dass das vonseiten der Regierungsbank geschieht. Die Kommunen stehen am Rand des finanziellen Ruins. Das ist nicht die Schuld der Bürgermeister
und Oberbürgermeister, nicht die Schuld der vielen ehrenamtlichen Stadt- und Gemeinderäte, sondern das ist
das Ergebnis Ihrer falschen Politik.
({0})
Vor zwei Jahren lag das kommunale Haushaltsdefizit
bei 3,95 Milliarden Euro. Ende dieses Jahres werden in
den Kassen deutscher Städte, Gemeinden und Landkreise 10 Milliarden Euro fehlen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht erkennbar.
Die Gewerbesteuer ist nach den Einbrüchen in den
Vorjahren im vergangenen Jahr erneut um 9,1 Prozent
eingebrochen. Gleichzeitig haben Sie die Gewerbesteuerumlage der Gemeinden von 20 auf 30 Prozent erhöht.
Auf der anderen Seite steigen die Ausgaben der Kommunen im sozialen Bereich von Jahr zu Jahr überproportional, auch hervorgerufen durch Aufgaben, die Sie den
Kommunen ständig neu aufs Auge gedrückt haben. Die
Schere von Einnahmen und Ausgaben geht immer weiter
auseinander. Das bedeutet für viele Kommunen schon
heute das Ende der kommunalen Selbstverwaltung.
Dem müssen wir gemeinsam - dazu stehe ich - entgegensteuern. CDU und CSU wollen keine schwachen,
sondern starke Städte und Gemeinden in einem starken
Land. Was aber machen Sie? Bei Ihnen herrscht totales
Chaos. Sie legen uns in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur Reform der Gewerbesteuer vor, der selbst in der
SPD-Fraktion abgelehnt worden ist. Er ist als so schlecht
bezeichnet worden, dass Sie eine Arbeitsgruppe einsetzen wollen, die den Pfusch verbessern soll.
({1})
Zur Steigerung der Verwirrung schlägt der Fraktionsvorsitzende der SPD vor, zur Sanierung der Gemeinden
noch höhere Schulden zu machen. Einen Tag später widerspricht der Finanzminister diesem Vorschlag seines
Fraktionschefs.
Der SPD-Generalsekretär Scholz rudert bei der Gewerbesteuerdiskussion kräftig zurück und begründet dies
mit den Worten: Wie es genau gehen soll, weiß im Augenblick niemand. - Herr Finanzminister, mich würde
interessieren, ob Sie sich bei einem solchen Widerstand
in der eigenen Fraktion nicht selbst fragen, ob Sie hier
noch auf dem richtigen Stuhl sitzen.
({2})
Sie haben in Ihrer Rede die kommunalen Spitzenverbände angesprochen. Am 1. September dieses Jahres erklärten Vertreter aller drei kommunalen Spitzenverbände - der Deutsche Städtetag, der Landkreistag sowie der
Städte- und Gemeindebund - übereinstimmend vor der
Presse - ich zitiere wörtlich -:
Die ohnehin beschädigte Glaubwürdigkeit der Bundesregierung gegenüber den Kommunen wird
durch unseriöse Zahlen zur künftigen Entwicklung
der Gewerbesteuer weiter erschüttert. Eine seriöse
Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium scheint zurzeit unmöglich zu sein.
Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich über
diese Entwicklung nicht zu wundern. Zwischen Ankündigungen und gesetzgeberischem Handeln ist bei Ihnen
ein himmelweiter Unterschied. Jahrelang haben Sie die
Gemeindefinanzreform verdrängt und verschoben. Ich
erinnere mich noch gut daran, dass der Bundeskanzler
beim Deutschen Städtetag in Leipzig davon sprach, er
sei jetzt bei „reichen Verwandten“.
Immer mehr Bürgermeister, auch aus Ihrer eigenen
Partei, stehen gegen Sie auf. Schon im vergangenen
Jahr haben Ihre eigenen Kommunalpolitiker Sie auf
die falsche Politik hingewiesen. „So habe ich mir sozialdemokratische Steuerpolitik nicht vorgestellt“, hat
der Kämmerer und Ex-SPD-Chef von Hannover im
„Handelsblatt“ erklärt. Sein Oberbürgermeister
Schmalstieg, ebenfalls von der SPD, warnt im „Spiegel“ vor dem Ende der kommunalen Selbstverwaltung.
Oberbürgermeister Ude wirft Ihnen unter anderem vor,
Sie schlössen sittenwidrige Verträge auf dem Rücken
der Kommunen.
Aber es geht munter weiter. In diesen Tagen bringt
Frau Simonis aus Schleswig-Holstein einen eigenen Gesetzentwurf zur Gewerbesteuer in den Bundesrat ein, der
eine Besteuerung der Substanz der Betriebe vorsieht.
Wenige Tage zuvor hat der Bundeskanzler erklärt, mit
ihm sei das nicht zu machen.
({3})
Heute tritt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Poß
erneut eine Diskussion um eine höhere Besteuerung von
Vermögen und Erbschaften los. Steuererhöhungen,
nichts als Steuererhöhungen, das sind Ihre Antworten
auf die Herausforderungen dieser Zeit.
({4})
Sie treiben allein mit solchen Ankündigungen noch
mehr Kapital aus dem Land und wundern sich anschließend, dass niemand in Deutschland investiert. Ich muss
schon sagen, Herr Bundesfinanzminister, Sie tun einem
richtig Leid.
Meine Damen und Herren, es muss Schluss sein mit
dem Verschiebebahnhof zulasten kommunaler Haushalte. Wir wollen mit der Übertragung der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf die
kommunale Ebene gleichzeitig eine verfassungsrechtliche Verankerung im Grundgesetz, damit der Aufgabe
auch das Geld folgt. Anders ausgedrückt: Es muss
Schluss damit sein, dass der Bundeskanzler im Land
Wohltaten verkündet und anschließend andere, wie die
Kommunen, diese Wohltaten bezahlen lässt. In Deutschland muss endlich wieder der Grundsatz gelten: Wer bestellt, bezahlt.
({5})
Wenn Sie es wirklich ehrlich mit den Kommunen meinen, dann stimmen Sie der entsprechenden Grundgesetzänderung zu. Es wäre ein wichtiger Beitrag auch
für die Kultur in diesem Lande, wenn die Hin- und Herschieberei endlich aufhörte.
({6})
Es gibt aber auch erfreuliche Signale von der Regierungskoalition. Die Grünen schwenken zunehmend auf
unseren Vorschlag ein, die von ihnen seinerzeit auf den
Weg gebrachte falsche Entscheidung der Erhöhung der
Gewerbesteuerumlage wieder zurückzunehmen - ich
erinnere an Diskussionsbeiträge der Kolleginnen Scheel
und Andreae - und den Anteil der Kommunen an den
Umsatzsteuereinnahmen auf 3 Prozent zu erhöhen.
Wenn ich die öffentlichen Verlautbarungen meines Kollegen Scheelen aus der SPD-Fraktion richtig verstanden
habe, gibt es auch dort vergleichbare positive Signale.
Die Kommunen, liebe Kolleginnen und Kollegen, stehen mit dem Rücken an der Wand. Stimmen Sie deshalb
unserem Vorschlag zu einem Sofortprogramm zu. Die
erste Lesung dazu war bereits. Wir können gemeinsam
den Gemeinden mit einigen Milliarden Euro pro Jahr
kurzfristig helfen. Das ist nicht Geld, das wir den Gemeinden zur Verfügung stellen, sondern das ist Geld, das
den Gemeinden gehört, das ihnen weggenommen worden ist. Um mehr geht es letzten Endes nicht.
({7})
Herr Bundesfinanzminister, das entbindet uns alle
nicht von der Aufgabe, eine umfassende Reform der
Gemeindefinanzen, die den Namen auch verdient, und
zwar im Zusammenhang mit einer Einkommen- und
Körperschaftsteuerreform, auf den Weg zu bringen. Wir
können die Debatte über die Reform der Gemeindefinanzen nicht losgelöst von diesen Themen führen; sie muss
eingebettet werden in diesen ganzen Themenkomplex.
Wir wollen, dass kommunale Selbstverwaltung in
Deutschland wieder stattfindet. Wir wollen, dass Städte,
Gemeinden und Landkreise ihre Schulen, Schwimmbäder, Turnhallen und Straßen endlich wieder reparieren
können. Wir wollen, dass kommunale Investitionen
wieder einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftsaufschwung, der in unserem Land dringend notwendig ist,
leisten können. Wir wollen, dass es in unserem Land
wieder aufwärts geht und dass unser Land endlich wieder die Lokomotive in Europa wird.
({8})
Das geht nur mit den Kommunen und nicht gegen die
Kommunen.
Deutschland braucht dringend und schnell verlässliche Perspektiven. Dieser Haushalt ist dafür in der vorgelegten Form völlig ungeeignet. Er löst keine Probleme,
er schafft neue.
({9})
Die Union hat viele gute Vorschläge gemacht. Zögern
Sie nicht zu lange mit Ihrer Zustimmung. Wir möchten
nicht in einigen Jahren wieder hören: Da haben wir uns
getäuscht, das war falsch; wir hätten es doch früher richtig machen sollen. Nutzen Sie die Zeit jetzt, denn es ist
bereits fünf nach zwölf. Die Zeit ist reif für einen Politikwechsel. Die Menschen in unserem Land verdienen
eine bessere Politik. Wir wollen als CDU/CSU im Rahmen der Verantwortung, die wir haben, unseren Beitrag
dazu leisten.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Alex Bonde,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
junger Abgeordneter habe ich mir nun die Haushaltsberatungen mehrere Tage lang angehört. Wenn man sich
nicht seit Jahrzehnten in wechselnden Rollen an diesen
Ritualen beteiligt, dann stellt sich einem die eine oder
andere Frage. Es stellt sich beispielsweise die Frage, wie
die großen Haushaltsreden der Opposition mit dem Benennen der Verschuldung denn eigentlich mit den Beiträgen ihrer Fachpolitiker in den Einzelplandebatten unter
einen Hut zu bringen sind.
({0})
In der aktuellen Situation hätten wir viele Kernpunkte
zu diskutieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der
Opposition, ich hätte erwartet, dass wir hier über unsere,
aber auch über Ihre Konzepte zur Lösung der Probleme
unseres Landes debattieren. Aber auch nach dieser Woche bleibt völlig offen, was Ihr Konzept zur Steuerreform und Ihre Position zu den Kommunalfinanzen ist.
Was bringt es, wenn Sie immer nur Nein sagen? Ihre
Blockade schafft keinen einzigen Arbeitsplatz, reduziert
die Staatsverschuldung um keinen einzigen Euro und
löst damit kein einziges der Probleme, über deren Lösung wir eigentlich diskutieren müssten. Nach dieser
Performance müssen wir uns ernsthaft fragen: Wie gut
muss es diesem Land eigentlich gehen, dass wir uns dieses Oppositionstheater noch leisten können?
Im Ernst: Wir haben eine sehr schwierige Haushaltslage. Trotz großer Konsolidierungsanstrengungen in den
letzten Jahren gibt es erhebliche Risiken in diesem
Haushalt. Niedrige Wachstumsraten, steigende Erwerbslosenzahlen, die Struktur unserer Sozialversicherungssysteme und Steuermindereinnahmen haben massive
Auswirkungen auf unsere finanzielle Handlungsfähigkeit. Der Bundeshaushalt ist nur noch mit Strukturreformen und Subventionsabbau konsolidierbar. Die
klassischen Einsparmöglichkeiten sind praktisch ausgereizt, vollkommen unabhängig von der Farbe des Parteibuchs des Finanzministers.
Die Koalition hat die Konzepte auf den Tisch gelegt.
Sie sind oft schmerzhaft, aber mit Blick nach vorne dringend notwendig. Sie wissen, es war und ist nicht immer
einfach. Gefragt sind politischer Mut, Ehrlichkeit, wenn
es darum geht, den Menschen die unbequeme Wahrheit
zu sagen, und viel Verantwortungsbewusstsein. Die
große Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass praktisch für jedes Vorhaben eine Mehrheit im Bundesrat
notwendig ist.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine grundsätzliche
Anmerkung. Wir müssen einmal ganz ernsthaft darüber
reden, ob nicht inzwischen die Verfassungsrealität und
die Blockadementalität im Bundesrat massiv das Königsrecht des Parlaments, nämlich das Haushaltsrecht,
unterminiert.
({1})
Man lässt uns als demokratisch gewählte Abgeordnete
und als demokratisch gewählte Mehrheit in diesem
Hause de facto nicht mehr über dieses Recht verfügen,
wohlgemerkt: über das erste und wichtigste Recht in der
Geschichte der parlamentarischen Demokratie.
({2})
Besonders besorgniserregend ist: In den letzten Tagen
hören wir dauernd Aufrufe aus diesem Parlament, genau
dieses Parlamentsrecht durch eine Blockade im Bundesrat zu verweigern. Nun ist es Ihr gutes Recht als Opposition, Ihre Position für inhaltliche Auseinandersetzungen
und für den Versuch, sachliche Veränderungen herbeizuführen, zu nutzen. Aber genau das tun Sie nicht. Sie sind
immer dagegen: kein Konzept, keine alternativen Konsolidierungsvorschläge.
({3})
Was wollen Sie eigentlich?
Jawohl, dieser Haushalt hat Risiken. Das haben Sie
schon ausführlich zu Protokoll gegeben. Wo aber ist jetzt
Ihr Part, dabei mitzuhelfen, diese Risiken zu vermindern
oder ihnen abzuhelfen? Wenn Ihnen unsere Strukturreformen und Vorschläge zum Subventionsabbau nicht
passen: Das ist in Ordnung. Aber wo ist Ihre Alternative? Bringen Sie Vorschläge im gleichen Volumen und
hören Sie auf, Ihr Eigeninteresse über das Allgemeinwohl zu stellen!
({4})
Bei Ihrer Parteitaktiererei erinnern Sie mich langsam
sehr an Florida-Rolf bei Maischberger: Ich darf das alles. Das steht mir zu. Das ist doch nicht mein Problem.
Es ist nicht verboten, also darf ich das. - Alles auf Kosten der Gesellschaft. Obwohl Frau Merkel im Moment
nicht anwesend ist,
({5})
möchte ich ihr sagen: Hören Sie auf, sich auf Kosten der
Zukunft in der bequemen Blockiererrolle zu sonnen! Legen Sie praktikable Konzepte auf den Tisch! Nach Ihren
bisherigen Auftritten in der Elefantenrunde und Ihrer
Kurzintervention wissen wir nur eines: Nach FloridaRolf kommt Kirschkuchen-Angela: keine Rezepte, aber
mitessen wollen.
({6})
Die Aufgabe von uns Parlamentariern ist es, Politik
zu gestalten, konjunkturelle und strukturelle Änderungen zu bewirken. Wir haben an einem Reformpaket zur
Gesundheit gearbeitet. Daran haben Sie mitgewirkt; dadurch ist es allerdings - wenn ich das einmal so sagen
darf - nicht unbedingt besser geworden.
({7})
Hartz III und IV befindet sich auf dem Weg. Die Steuerreform wird auf 2004 vorgezogen und damit werden die
Bürger steuerlich entlastet.
Mit der Gemeindefinanzreform schaffen wir eine
Entlastung der Kommunen, auch wenn wir dabei - das
muss ich zugeben - den Entwurf der Regierung noch
deutlich werden nachbessern müssen. Aber, Herr Götz,
angesichts dessen, dass Sie hier das Hohelied der Kommunalfinanzen singen, muss ich Ihnen sagen, dass Sie
beim Subventionsabbau bereits die Chance gehabt haben, die Kommunen und Länder ganz substanziell zu
entlasten. Wo war da Ihr großes Engagement für die
Kommunen?
({8})
Ich bin gerne bereit, einzugestehen, dass auch unsere
Konzepte keine Allheilmittel sind. Aber wir als Koalition haben uns wenigstens für einen Weg entschieden.
Auf Ihren Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, warten wir noch, und es sieht so aus, als
müssten wir noch sehr lange warten. Unser Weg, wie wir
mit den Erfordernissen des Haushalts umgehen, ist klar:
Wir setzen auf Strukturreformen, Konsolidierung und
Wachstumsimpulse zusammen. Die Strukturreformen
werden in die Wege geleitet. Durch die vorgezogene
Steuerreform wollen wir die Kaufkraft stärken, Wachstumsimpulse setzen und so der stagnierenden Wirtschaft auf die Beine helfen. Mit einem sehr ambitionierten Konsolidierungspaket in Höhe von 14 Milliarden
Euro, unter anderem im Subventionsabbau, werden wir
die Lasten, die zu erbringen sind, gerecht auf viele
Schultern verteilen.
({9})
- Herr Kollege Fromme, da ich Sie die ganze Zeit höre,
fühle ich mich langsam in die Position von Rudi Völler
versetzt. Sie sind schon fast der Gerhard Delling des
Bundestages: Noch nie eine verwertbare Flanke geschlagen, aber an der rechten Seitenlinie herumstehen und
kritisieren!
({10})
Darüber hinaus haben wir die Investitionen in die
Zukunft nicht vernachlässigt. Einen deutlichen Schwerpunkt setzen wir bei den Ausgaben für Betreuung, Bildung und Forschung. Das Investitionsprogramm für
Ganztagsschulen wurde für 2004 auf 1 Milliarde Euro
erhöht. Mit diesem Beitrag steigen die Ausgaben für Bildung und Forschung gegenüber 2003 überproportional
um 6,3 Prozent an. Den Verweis auf die Zahlen Ihrer Regierungszeit erspare ich Ihnen an dieser Stelle.
Bundesminister Eichel hat in seiner Einbringungsrede
zu Recht die Belastung aus der demographischen Entwicklung mit in den Vordergrund gestellt; denn diese
Entwicklung wird in der vor uns liegenden Zeit eines der
schwierigsten Probleme darstellen. Wir steuern bei den
vergangenheitsbezogenen Ausgaben auf eine Höhe von
fast 60 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes zu. Zu
dieser Entwicklung haben in diesem Haus viele, Regierung wie Opposition, maßgeblich beigetragen. Ihr ehemaliger Arbeitsminister Blüm hatte die Rente als sicher
bezeichnet und glaubt das - das kann ich sagen, da ich
vor wenigen Tagen das Vergnügen mit ihm hatte - auch
heute noch.
Dabei besteht heute dringender Handlungsbedarf. Wir
versuchen, die Risiken, die der demographische Wandel
mit sich bringt, durch Strukturreformen zu entschärfen,
und wagen damit den größten Umbau der Sozialversicherungssysteme in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Dabei verfolgen wir das Ziel, unseren Sozialstaat dauerhaft, also gerade für die nächsten Generationen, zu erhalten. Sie hingegen verweigern sich jeglichen Reformvorschlägen.
Wir haben hier viel diskutiert. Hätten Sie in Ihrer
16-jährigen Regierungszeit aber ein paar Nägel mit Köpfen gemacht, dann hätte sich vieles, was wir diskutieren
müssen, sehr viel einfacher gestaltet. Zur Rücknahme Ihres demographischen Faktors bei der Rente hat sich der
Kanzler erklärt; das ist geschenkt. Aber auch Sie wissen,
wenn man ehrlich ist und die Zahlen auf den Tisch legt,
dass der demographische Faktor allein nicht annähernd
ausgereicht hätte, um die Probleme in diesem Bereich zu
bewältigen.
Ihre Art, Politik zu betreiben, ist ein Beispiel dafür,
wie Sie durch Ihre Oppositionstaktik die Bevölkerung
verunsichern. Sie sind herzlich eingeladen, Vorschläge
zu machen, wie es besser geht. Aber machen Sie einen
Vorschlag richtig, anstatt 30 Vorschläge vorzulegen, die
diametral auseinander gehen und nirgends zusammenpassen.
Frau Merkel, machen Sie dem Blockadespuk ein
Ende. Das ist übrigens auch in Ihrem ganz eigenen Interesse. Es gibt in der deutschen Nachkriegsgeschichte
zwei Vorbilder für Ihren Blockadekurs: zum einen Franz
Josef Strauß mit seiner Sonthofen-Rede
({11})
- er wurde nie Kanzler, die CDU hat dazu beigetragen und zum anderen Oskar Lafontaine. Auch er wurde nie
Kanzler, auch dazu hat die eigene Partei entscheidend
beigetragen. Tun Sie, Frau Merkel, also das Richtige für
unser Land und beenden Sie Ihre Dauerblockade!
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir müssen verhindern, dass künftige Generationen
für die Schulden arbeiten und Steuern zahlen müssen, die die jetzige Generation aufhäuft.
({0})
Sparen ist ... kein Selbstzweck, Sparen ist Mittel
zum Zweck,
({1})
nämlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen, für
nachhaltiges Wachstum ..., für die Förderung von
Bildung und Innovation; vor allem aber sorgt Sparen für einen aktiven Staat ...
({2})
Wir müssen den Marsch in die Staatsüberschuldung
stoppen.
Mit dem Zurückfahren der Neuverschuldung gewinnt die öffentliche Hand nach und nach ihre
Handlungsfähigkeit zurück und kann endlich wieder Impulse geben.
({3})
Wer heute nicht bereit ist zu sparen, steht morgen
vor gänzlich unlösbaren Problemen. Ein handlungsunfähiger Staat ist ... das Schlimmste, was diesem
Lande passieren kann.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin ganz erstaunt, dass es vonseiten der Koalitionsfraktionen, aber
vor allem von der SPD zu diesen Ausführungen keinen
lang anhaltenden Beifall gibt. Denn das ist Originalton
einer Rede von Hans Eichel 1999.
({5})
Damals gab es lang anhaltenden Beifall aus den Reihen
der Koalition, natürlich vor allem von der SPD.
Heute sieht die Haushaltspolitik von Hans Eichel
ganz anders aus. Genau das Gegenteil macht er. Er hat es
diese Woche verkündet. Nun raten Sie einmal: lang anhaltender Beifall bei den Koalitionsfraktionen.
Wir haben damals dem Bundesfinanzminister Unterstützung beim Sparkurs zugesagt. Das können Sie
nachlesen. Wir sind auch weiter der Auffassung, dass
dieser Sparkurs eingehalten werden muss. Nur: Sie haben sich von diesem Sparkurs verabschiedet.
({6})
Diese Woche haben wir lang anhaltenden Beifall für
den Bundesfinanzminister erlebt. Wissen Sie eigentlich,
was Sie da beklatscht haben? Sie beklatschen hohe Neuverschuldung. Sie beklatschen Luftbuchungen. Sie beklatschen Tricksereien. Sie beklatschen unrealistische
Annahmen von Einnahmen.
({7})
Der Sparkurs ist beerdigt - die Koalition beklatscht das.
Der Bundesfinanzminister ist total gescheitert - er bekommt lang anhaltenden Beifall aus der Koalition.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wenn Hans Eichel in dieser Woche bei der Haushaltsdebatte seitenweise Karl Marx vorgelesen hätte, hätte er
auch lang anhaltenden Beifall bekommen.
({9})
Mit diesem Bundeshaushalt 2004 setzen Sie fort, was
Sie schon in den letzten beiden Haushalten gemacht haben: Sie verlassen den Konsolidierungskurs und gehen
zusammen mit Hans Eichel den Weg in den Schuldenstaat. In der mittelfristigen Finanzplanung waren für den
Bundeshaushalt 2004 nur 10,2 Milliarden Euro Neuverschuldung vorgesehen. Jetzt sind es bereits 30,8 Milliarden Euro. Hans Eichel hat in seiner Amtszeit 123 Milliarden Euro neuer Schulden aufgehäuft. Wenn der
Nachtragshaushalt 2003 und der Bundeshaushalt 2004 dazugerechnet werden, so beträgt die Neuverschuldung unter Hans Eichel 170 Milliarden Euro. Das ist Tatbestand.
({10})
Der Bundesfinanzminister legt zum dritten Mal einen
verfassungswidrigen Haushalt vor. Auch das ist Tatsache.
({11})
Noch nicht mitgerechnet sind die Risiken in Milliardenhöhe, die der Bundeshaushalt 2004 aufweist. Die veranschlagten Mittel für den Arbeitsmarkt sind viel zu niedrig. Die dritte Stufe der Steuerreform muss noch solide
finanziert werden; ich habe die Befürchtung, dass das
nicht geschehen wird. Sie arbeiten mit globalen Minderausgaben. Für eine Steueramnestie haben Sie Einnahmen
von 2,1 Milliarden Euro vorgesehen, wobei Sie genau
wissen, dass auch das eine Luftbuchung ist. Auch die
Verletzung der Maastricht-Kriterien nehmen Sie inzwischen wie selbstverständlich in Kauf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Entwurf eines Bundeshaushaltes 2004 ist unzulänglich und
inakzeptabel.
({12})
Wenn es Ihnen um Ehrlichkeit in der Haushaltspolitik
gegangen wäre,
({13})
dann hätte der Bundesfinanzminister mit dem Entwurf
des Haushaltsplanes 2004 auch einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2003 vorlegen müssen.
({14})
Vielleicht wäre dann allen Kolleginnen und Kollegen
aus den Koalitionsfraktionen deutlich geworden, welche
Risiken der Bundeshaushalt 2004 in sich birgt. Ich lese
jetzt mit großem Interesse Agenturmeldungen, wonach
auch die Landesfinanzminister, die der SPD angehören,
sich bereits jetzt gegen den Haushalt von Hans Eichel
äußern.
Dieser Bundeshaushalt 2004 schafft keine positive
Stimmung für unsere Wirtschaft. Konsum- und Investitionsneigung werden eher zurückgehen und zurückhaltend
sein.
({15})
Konjunkturelle Effekte gibt es durch diesen Bundeshaushalt nicht.
({16})
Rot-Grün hatte sich in der Haushaltspolitik viel vorgenommen. Die von mir zitierte Rede von Hans Eichel
zeigt das. Angesichts des Haushaltsentwurfs 2004 des
Bundesfinanzministers bleibt mir nur die Feststellung:
Rot-Grün kann es nicht.
({17})
Das Allerschlimmste ist jedoch, dass Sie in den vergangenen Jahren die Menschen in unserem Lande über
die wahre Lage getäuscht und damit die Glaubwürdigkeit der Politik beeinträchtigt haben.
Herr Bundesfinanzminister, Sie stellen sich hier hin
und sagen, von dieser Koalition sei so vieles toll in Angriff genommen worden und Sie hätten tolle Reformen
eingeleitet. Ich greife nur einen Punkt heraus: Nehmen
Sie nur einmal das, was Sie im Bereich der Scheinselbstständigkeit getan haben. Sie haben Gesetze eingeführt, durch die sie abgeschafft werden sollte. Dies
wurde von der Koalition bejubelt. Dann musste der Herr
Hartz kommen. Was tun Sie jetzt? Jetzt nennen Sie das
Ganze „Ich-AG“ und bejubeln es auch wieder. So haben
Sie in der Politik jeden Tag in den fünf Jahren, in denen
Sie regieren, Hü und Hott gemacht. Sie haben in Ihrer
Politik keine konkrete Linie. Das ist Ihr Problem.
({18})
Man könnte noch andere Beispiele dafür nennen, wie Sie
in Deutschland Arbeitsplätze vernichtet und unsere Bürgerinnen und Bürger mit neuen Steuern drangsaliert haben und dass - das ist das Schlimmste - Deutschland
durch Ihre Politik seine Wettbewerbsfähigkeit verloren
hat.
({19})
Die Koalition muss Antworten darauf geben, warum
sie den Sparkurs, den wir, die FDP, wollen, nicht mehr
unterstützt. Kollege Poß, ich muss Ihnen einmal sagen:
Das, was Sie in diesen Tagen vorschlagen, kann man
nicht als Sparkurs bezeichnen. Ihnen fällt nämlich nichts
anderes als eine Erhöhung von Steuern ein; diesmal ist
wieder die Erbschaftsteuer an der Reihe. Wenn Ihnen
zu diesem Haushalt und zu den Finanzen des Bundes
nichts anderes einfällt, dann muss ich sagen: einpacken
und nach Hause gehen.
({20})
Unser Sparkurs lautet: 20-prozentiger Abbau der
Subventionen bei Bund, Ländern und Gemeinden. Das
allein würde 11 Milliarden Euro bringen. Herr Bundesfinanzminister, dabei sollten Sie sich nicht auf die Eigenheimzulage konzentrieren. Das gilt für alle Subventionen. Picken Sie sich bitte nicht einzelne Punkte heraus,
zu denen Sie sagen, dass wir hier und dort nicht mitmachen. Setzen wir uns einmal zusammen und kürzen alle
Subventionen um 20 Prozent! Dann stimmt auch die
Richtung.
({21})
Allein ein 20-prozentiger Abbau der Zuwendungen
des Bundes würde im Bundeshaushalt Einsparungen von
4 Milliarden Euro erbringen. Auch die Privatisierungsoffensive würde Bund, Ländern und Gemeinden erhebliche Mehreinnahmen bringen. Zur Wahrheit, die wir den
Bürgern sagen müssen, gehört auch, dass allein eine
Stunde Mehrarbeit in der Woche ohne Lohnausgleich zu
einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von
22 Milliarden Euro führen würde.
({22})
Die Steuereinnahmen würden um 4,5 Milliarden Euro
steigen. Auch das gehört zur Wahrheit.
({23})
Man konnte einer Agenturmeldung entnehmen, dass
die SPD-Bundestagsfraktion den Haushaltsentwurf von
Bundesfinanzminister Eichel in einer Fraktionssitzung
im August einstimmig gebilligt hat. Deutlicher kann eine
Fraktion nicht dokumentieren, dass jeder Mut sie verlassen hat. Wie können Sie in Ihrer Fraktionssitzung diesem
Haushalt bloß einstimmig zustimmen, obwohl Sie doch
genau wissen, welche Risiken er beinhaltet und dass das
ein Märchenbuch ist? Die Fraktion der SPD hat anscheinend jeder Mut verlassen. Das ist auch nicht überraschend; denn der Haushaltsentwurf steht allein unter
dem Motto der drei Probleme von Rot-Grün. Sie lauten:
kein Geld, keine Ahnung, kein Konzept.
({24})
Die Haushaltsdebatte und auch die Rede von Finanzminister Eichel haben deutlich gemacht, dass Sie sich
jetzt mit einem kräftigen Schluck aus der Schuldenpulle
betäuben. Diese rot-grüne Koalition ist inzwischen richtig schuldensüchtig geworden.
({25})
Das Erwachen und der Kater werden nur schlimmer,
wenn Sie weiterhin den finanzpolitischen Märchen des
Bundesfinanzministers glauben.
Die Fraktion der FDP hat noch den Mut zu Reformen
und macht auch Vorschläge. Ich habe Ihnen hier einige
genannt. Wir wollen weiterhin einen Sparkurs einhalten.
Dieser Kurs muss aber die Bezeichnung „Sparkurs“ auch
wirklich verdienen. Sie werden bei den Haushaltsberatungen erleben: Wir werden den Mut haben, Möglichkeiten für Streichungen auch öffentlich zu benennen. Ich
freue mich auf die Diskussionen in den Ausschüssen.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({26})
Ich erteile das Wort Kollegen Walter Schöler, SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Koppelin macht den gleichen Fehler, den auch
Frau Merkel vor einigen Tagen gemacht hat.
({0})
Sie hat zwar klugerweise gesagt: Geld kann man sich
pumpen, Vertrauen nicht. Ich weiß aber nicht, warum Sie
diese Erkenntnis erst jetzt und nicht schon während Ihrer
16-jährigen Regierungszeit gehabt haben.
({1})
Sie waren die Weltmeister im Schuldenmachen. Die
Schuldensucht würde ich deshalb auf einer ganz anderen
Seite dieses Hauses und nicht bei der Koalition suchen.
Wenn ich mir die Haushaltsdebatte der letzten Tage in
Erinnerung rufe, dann werden für mich zwei Dinge ganz
besonders deutlich:
Der erste Punkt ist: Die Regierung handelt entschlossen. Die schwierige Haushaltssituation erfordert auch
ein entschlossenes Handeln. Deshalb ergreifen wir allein
auf der Seite des Bundes Konsolidierungsmaßnahmen
im Umfang von 14 Milliarden Euro. Die öffentlichen
Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden sowie die
Haushalte der Sozialversicherungen können nur durch
tief greifende Strukturreformen saniert und in Ordnung
gebracht werden.
({2})
Dazu ist von Ihnen so gut wie gar nichts in der Debatte
gekommen.
({3})
Wir setzen nicht nur auf Konsolidierung; denn wir
können uns nach drei Jahren Stagnation aus dieser Situation nicht allein heraussparen. Aus der wirtschaftlich
schwierigen Situation müssen wir vor allem herauswachsen. Das stützen wir durch das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform. Damit geben wir die notwendigen konjunkturellen Impulse zum schnellen
Anspringen des Wachstums.
({4})
Dazu gehört auch ein nachhaltiges Stützen der Finanzhaushalte der Kommunen. Ein Strohfeuer durch ein
Sofortprogramm bringt niemanden weiter.
({5})
Außer Ihnen will das auch keiner.
({6})
Die zweite Erkenntnis aus dieser Debatte: Die Opposition verweigert sich.
({7})
Sie haben sich heute Morgen in Ihren Beiträgen nur auf
Schwarzmalerei und das Werfen von Nebelkerzen konzentriert. Das war alles, Kollege Koppelin. Hinter diesem Nebel versteckt die CDU/CSU ihre internen Machtkämpfe, ihre Streitereien und ihre Konzeptlosigkeit.
({8})
Weder ich noch meine Kolleginnen und Kollegen haben
von Ihnen ernsthafte Konsolidierungsvorschläge gehört.
Noch schlimmer ist, dass ich bei Ihnen auch keine
ernsthafte Bereitschaft zur Mitarbeit feststellen kann.
({9})
Gerade bei den anstehenden Strukturreformen brauchen
wir aufgrund Ihrer Bundesratsmehrheit Ihre Mitarbeit.
({10})
Wenn Sie hier schon keine eigenen Rezepte vorlegen
und nicht den Mut haben, eigene Konsolidierungsvorschläge einzubringen, dann müssen Sie wenigstens in
ernsthafte Verhandlungen über die Reformvorschläge
der Koalition einsteigen.
({11})
Ich habe in dieser Debatte mehrfach gehört, dieser
Haushalt sei Makulatur. Das können Sie noch 20-mal
wiederholen, aber Sie werden bei den Berichterstattergesprächen und bei den Beratungen im Haushaltsausschuss
in den nächsten zehn Wochen und bei der zweiten und
dritten Lesung das Gegenteil erleben.
({12})
Für die Öffentlichkeit will ich einmal feststellen: Dieser Haushalt besteht aus rund 10 000 Haushaltstiteln.
Wir werden einmal abwarten, wie viele Änderungsanträge Sie dazu stellen und wie vielen Titeln Sie insgesamt zustimmen werden.
({13})
Wir wissen auch, dass es eine Reihe von qualitativen und
auch quantitativen Stellschrauben gibt, an denen wir uns
zu orientieren haben. Dazu gehören die Themen Arbeitsmarkt, Renten, Steuern und schließlich auch die Nettoneuverschuldung. Hier muss das Ziel der Stabilisierung
in der mittelfristigen Finanzplanung gelten. Dies zeigt:
Wir haben das Ziel nicht aufgegeben, diese Stabilisierung weiterhin zu verfolgen und noch in diesem Jahrzehnt zu erzielen.
Ich will gar nicht leugnen, dass das eine schwierige
Aufgabe wird. Aber trotz aller Konsolidierungsanstrengungen enthält der Haushalt Risiken, die der Finanzminister heute Morgen noch einmal eingehend dargestellt
hat.
({14})
Er verschweigt also überhaupt nicht, dass der Haushalt
mit Risiken behaftet ist. Aber er hat ebenso deutlich gemacht, dass wir auch die Hoffnung haben können,
({15})
dass die Konjunktur in den nächsten Monaten anzieht
und dass sich die Situation in Deutschland verbessert.
({16})
Die Schwarzmalerei, die Sie auch heute Morgen wieder betrieben haben, ist völlig überzogen. Sie schadet
unserem Land.
({17})
Die Debatte heute Morgen wie in den letzten drei Tagen
hat wieder gezeigt: Die Opposition ist nach wie vor das
größte Risiko für den Haushalt 2004.
({18})
- Herr Fromme, Sie können gleich noch reden. Ich habe
gesehen, dass auf einen Schöler drei CDU-Abgeordnete
kommen. Einer Ihrer Redner, Herr Ramsauer, ist auf der
Liste irrtümlicherweise der CDU zugeordnet worden.
Vielleicht sollte sich der Ältestenrat damit befassen, dass
Sie noch der CSU angehören, Herr Raumsauer.
Die Wachstumsschwäche, die wir zweifelsohne erleben, hat durch Steuerausfälle und hohe Mehrausgaben
für den Arbeitsmarkt zu immensen Belastungen des
Bundeshaushalts geführt. Ohne die neuen gesetzlichen
Maßnahmen würden sich konjunkturbedingte Steuermindereinnahmen gegenüber der letzten Mittelfristschätzung in 2004 noch einmal um rund 15,7 Milliarden Euro
erhöhen. Gerade deshalb werden wir weit reichende und
sicherlich auch sehr unpopuläre Einschnitte vornehmen
müssen, die uns wehtun. Nur so konnte die Neuverschuldung ohne Berücksichtigung des Vorziehens der
dritten Stufe der Steuerreform auf 23,8 Milliarden Euro
({19})
und damit unter die Summe der Investitionsausgaben abgesenkt werden. Erst durch das Vorziehen der dritten
Steuerreformstufe - das werden wir machen und Sie
werden zustimmen; Sie werden schon sehen - wird die
Neuverschuldung die Investitionsausgaben übersteigen.
Das ist keineswegs verfassungswidrig, wie einige Vertreter der Opposition wider besseres Wissen behauptet
haben.
Sie haben zwar in dieser Debatte oft und breit über
Art. 115 des Grundgesetzes gesprochen; aber anscheinend haben einige der Redner diesen Artikel nicht einmal gelesen. Ich will deshalb noch einmal klarstellen
- damit Sie das endlich begreifen; Kollege Spiller hat
das in dieser Debatte bereits sehr eindrucksvoll getan -,
dass zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts die Überschreitung der Kreditaufnahme über die Investitionenausgaben, die in Art. 115
des Grundgesetzes geregelt ist, zulässig ist.
({20})
Sie ist damit verfassungsgemäß. Das trifft geradezu in
klassischer Weise für die Maßnahmen zu, die wir ergreifen, um die dritte Stufe der Steuerreform vorzuziehen.
Dabei geht es um Nachfrageimpulse
({21})
und um die dadurch erzeugte Stimulierung der Investitionsbereitschaft der Wirtschaft. Damit dient diese Maßnahme der Abwehr der ansonsten auch für 2004 drohenden Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
({22})
Es gibt also in jedem Fall einen verfassungsgemäßen
Haushalt.
Nach den Auslegungen des Bundesverfassungsgerichts - Herr Kollege Kampeter, die sollten Sie einmal
lesen - kann die Ausnahmeregelung in Art. 115 des
Grundgesetzes auch für präventive Maßnahmen in Anspruch genommen werden und nicht erst dann, wenn das
Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Unser Vorhaben
ist also kein Verfassungsverstoß. Die Darstellung der
Opposition in dieser Frage ist genauso falsch wie ihre
völlig überzogenen Risikoprognosen.
({23})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, während die Bundesregierung ein umfassendes Konsolidierungskonzept
vorgelegt hat,
({24})
bleibt die Opposition Einsparvorschläge schuldig. Herr
Kollege Austermann, Sie wollten doch aus der Deckung
kommen. Wo ist denn das Paket mit „knallharten Sparvorschlägen“, mit dem Sie die Bundesregierung vorführen wollten? Was ist davon geblieben? - Nichts außer
heißer Luft!
({25})
Herr Kollege Austermann, die von Ihnen hier vorgetragenen Maßnahmen enthüllen nur Ihre Ratlosigkeit. Einen praktischen Nutzen haben Ihre Vorschläge nicht.
Deshalb möchte ich nur zwei Beispiele der Vorschläge,
die Sie gemacht haben, herausgreifen.
Sie fordern die Bekämpfung des Steuerbetrugs. Dies
ist bereits Gegenstand des Konsolidierungskonzepts der
Bundesregierung. In Kürze wird Bundesfinanzminister
Eichel den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der
Steuerhinterziehung und der Schwarzarbeit vorlegen.
Dann wird sich zeigen, wie weit die Bereitschaft der Opposition reicht, den Steuerhinterziehern das Handwerk
zu legen. Bisher haben Sie sich eher als Schutzpatron der
Steuerhinterzieher erwiesen. In den weiteren Beratungen
können Sie Ihre Haltung dazu ändern.
Ein weiteres Beispiel ist die von Ihnen vorgeschlagene Reduzierung der Ausgaben für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Ihr Vorschlag greift schlichtweg zu kurz.
Es kommt auf eine Effektivierung der Arbeitsmarktvermittlung und auf einen zielgerichteten Einsatz der Fördermittel an. Wir tun das. Ihre Vorschläge enthalten
diese Ziele nicht.
Im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II
- das will ich hinzufügen - wollen Sie die von uns vorgesehenen Zuschläge zur Grundversorgung streichen.
Das ist typisch für die soziale Kälte und die Politik auf
der rechten Seite dieses Hauses.
({26})
Wir federn den für die Betroffenen notwendigen - sicherlich bitteren - Übergang in erträglichen Schritten ab.
({27})
Was wollen Sie? Sie dagegen wollen die Arbeitslosenhilfebezieher sofort in freiem Fall auf den harten Boden
der Sozialhilfe durchsacken lassen. Das werden wir
nicht mitmachen.
Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform um
ein Jahr ist das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der
Probleme, die wir jetzt haben, und zur Beschleunigung
der Wirtschaftsentwicklung. Durch die Stufen II und III
werden die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen um insgesamt 21,8 Milliarden Euro entlastet. Wir
haben den Grundfreibetrag von 6 322 Euro in 1998
- zu dieser Zeit regierten Sie - auf 7 664 Euro erhöht.
Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt. 1998, zu Ihrer Regierungszeit, lag er bei 53 Prozent.
({28})
Jetzt wird er auf 42 Prozent gesenkt. Wir werden den
Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent in 1998 - das war
Ihre Zahl - auf demnächst 15 Prozent senken.
({29})
Damit liegt der Eingangssteuersatz auf einem historisch
niedrigen Niveau. Davon profitieren Bezieher kleinerer
Einkommen. Davon profitieren breite Schichten der Bevölkerung. Davon profitieren Mittelständler und Unternehmen in Deutschland.
({30})
Die Entlastung sorgt für den dringend notwendigen zusätzlichen Wachstumsimpuls. Die Bürger bekommen
sehr schnell mehr Geld für Konsum, der Mittelstand
Raum für mehr Investitionen. Herr Kollege Koppelin,
wir sind die Steuersenkungspartei.
({31})
Wir haben die Steuern in einer Weise gesenkt, wie Sie es
nie getan haben. Das missfällt Ihnen jetzt. Das kann ich
verstehen.
({32})
Aus rein parteitaktischen Erwägungen wollen Sie den
Bürgerinnen und Bürgern jetzt die von uns in Aussicht
gestellte schnellere Entlastung durch das Vorziehen der
Steuerreform um ein Jahr vorenthalten. Sagen Sie das
bitte den Bürgerinnen und Bürgern vor der Bayernwahl.
Sagen Sie, dass Sie die geplanten Steuerentlastungen
verhindern wollen, dass Sie nicht mehr Geld in den Taschen der Menschen sehen wollen und dass Sie mit Ihrer
Sonthofen-Strategie das Abwürgen der Konjunktur in
Kauf nehmen wollen. Das ist verantwortungslose Politik.
Kollege Schöler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Nur zu.
Kollege Schöler, Sie haben eben gesagt, Sie seien die
Steuersenkungspartei. Können Sie uns sagen, wie viele
Steuern Sie in der Regierungszeit von Rot-Grün angehoben haben?
Sie wollen schon wieder Milch von gestern verschütten.
({0})
Ich kann Ihnen sagen, wie oft Sie Steuern in den
16 Jahren, in denen Sie regiert haben, erhöht haben.
({1})
Wir haben diesen Trend umgekehrt. Wir haben die Steuern gesenkt. Ich habe das gerade deutlich dargestellt. Ich
sage noch einmal: Das missfällt Ihnen. Unsere Steuerpolitik, die von Hans Eichel und der Bundesregierung,
ist die Politik, die die Bürger wirklich und wahrhaft entlastet. Dabei bleibt es.
({2})
Ich will im Rahmen der Redezeit, die ich noch habe,
noch auf einen anderen Punkt eingehen.
({3})
Kollege Schöler, der Kollege Koppelin will noch
keine Ruhe geben. Gestatten Sie ihm noch eine Frage?
Ja, er verlängert damit meine Redezeit.
Kollege Schöler, können Sie mir und den Bürgern erklären, warum die Bürger weniger Geld in der Tasche
haben, wenn Sie angeblich so viele Steuern gesenkt haben? Sie haben doch Steuern erhöht.
Das ist schon wieder eine Behauptung von Ihnen, die
überhaupt nicht zutreffend ist. Die Bürgerinnen und Bürger haben mehr in der Tasche. Ich rate den Bürgern im
Gespräch, einmal die Gehaltsabrechnung des
Jahres 1998 mit der des Jahres 2003 und demnächst des
Jahres 2004 zu vergleichen.
({0})
Dann werden sie nämlich feststellen, auch unter Berücksichtigung der tariflichen Erhöhungen,
({1})
dass sie durch uns bedeutend mehr Netto zur Verfügung
haben, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass
höhere Ökosteuern zu zahlen waren.
({2})
Im Übrigen haben wir auch die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt.
({3})
Das haben Sie offensichtlich auch vergessen. Das gehört
ebenso zur Einkommenssituation der Bürger.
({4})
In der Debatte am Mittwoch
({5})
hat der Kollege Michael Gloss von der CSU
({6})
- Herr Glos - Folgendes geäußert:
Herr Bundeskanzler, weil wir gerade beim Thema
Fußball sind, möchte ich feststellen: Sie haben
manches mit Rudi Völler gemeinsam. Sie sind Chef
einer erfolglosen Mannschaft.
Was die Gemeinsamkeit des Bundeskanzlers mit
Rudi Völler betrifft, mögen Sie vielleicht in dem einen
oder anderen Punkt Recht haben. Ich will das nicht weiter beleuchten. Anders verhält es sich mit dem zweiten
Satz, er sei der Chef einer erfolglosen Mannschaft. Mit
solchen Prognosen hat sich Ihr großer Parteivorsitzender
in München vor gut einem Jahr befassen müssen, als er
gelernt hat, dass man den Tag nicht vor dem Abend und
vor allen Dingen den Abend nicht vor Mitternacht loben
soll. Damals ging es um den Ausgang der letzten Bundestagswahl.
Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Die deutsche
Mannschaft mit Rudi Völler ist seit Mittwoch Tabellenführer. Ihre Prognose war falsch.
({7})
Die Debatte hier zeigt: Tabellenführer in der Bundestagsdebatte in dieser Woche sind die Koalitionsfraktionen. Die Opposition hat absolut versagt.
({8})
Das Ergebnis habe ich schon am Dienstag vorgetragen.
Es lautet schlicht und ergreifend: 14 zu 4. Konsolidierungsmaßnahmen in Höhe von 14 Milliarden Euro durch
die Koalition stehen 4 Milliarden Euro durch die Opposition gegenüber, und die sind noch unsolide finanziert
und unsozial ausgerichtet.
Die Beratungen haben uns also gezeigt: Sie wollen
überhaupt keine brauchbaren Vorschläge einbringen,
weil Sie keine haben. Sie sind und bleiben die Blockierer. Die Beratungen haben auch gezeigt, wer die Interessen der Menschen vertritt: SPD und Bündnis 90/Die
Grünen sind diejenigen, die handeln.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Peter Ramsauer, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Am Ende dieser einwöchigen Haushaltsdebatte muss leider festgestellt werden,
dass diese Debatte in verheerender Weise das Dilemma
unseres Landes offenbart hat. Dieses Dilemma heißt
Rot-Grün.
({0})
Die in dieser Debatte vom Vorsitzenden der CSULandesgruppe, Michael Glos, angesprochene Plakataktion der Bundesregierung, die unter dem Titel
„Deutschland bewegt sich“ in den vergangenen
14 Tagen gelaufen ist, sehen wir mit einem lachenden
und einem weinenden Auge. Wir sehen sie mit einem
weinenden Auge, weil damit unter Verschleuderung von
Steuergeldern in Höhe von 2,3 Millionen Euro versucht
worden ist, noch in den bayerischen Landtagswahlkampf
einzugreifen. Das nützt aber nicht viel, weil ein so miserables Produkt auch mit der besten Werbekampagne
nicht erfolgreich angepriesen werden kann.
({1})
Was das lachende Auge angeht, könnten wir in Bayern eigentlich froh darüber sein, wenn die Wählerinnen
und Wähler möglichst viel über rot-grüne Politik erfahren. Denn das verschreckt die Wähler. Diese Plakataktion ist insofern nichts anderes als ein Erfolg versprechendes Programm, damit die SPD in Bayern endlich ihr
„Projekt 18“ verwirklichen kann.
({2})
Meine Damen und Herren, in dieser Woche ist vieles
sehr abstrakt diskutiert worden. Man sollte aber am Ende
dieser Debatte auch mit einigen konkreten Beispielen
darlegen, wohin die rot-grüne Politik in der Praxis führt.
Ich möchte dazu ein Beispiel für die Wirkung der Ökosteuer nennen.
Die Ökosteuer hat in grenznahen Bereichen zu einem
Tanktourismus geführt. Ein Tankstellensterben im breiten Grenzgürtel im Westen unseres Landes und entlang
Österreich sowie an der tschechischen und der polnischen Grenze ist die Folge. Preisunterschiede zwischen
20 und 25 Cent beim Liter Sprit haben zu der grotesken
Entwicklung geführt, dass Tankstellen auf deutscher
Seite schließen müssen, um 100 Meter weiter zum Beispiel in Österreich wieder eröffnet zu werden. Das ist
das Ergebnis einer ideologisierten fundamentalistischen
Politik, die keinerlei Rücksicht darauf nimmt, wie sie
sich in der Praxis auswirkt.
Was soll Ihr Gerede über die Mittelstandsfreundlichkeit der rot-grünen Politik angesichts Ihres Mittelstandsbeauftragten Rezzo Schlauch, der tatsächlich ein mittelstandspolitisches Schreckgespenst ist?
({3})
Wir haben in den vergangenen ein bis zwei Jahren alle
Mittel, die sich einer parlamentarischen Opposition bieten, ausgeschöpft, um dem Tankstellensterben und der dahinter stehenden verheerenden Politik entgegenzuwirken.
Das Groteske daran ist - das habe ich in meinen 13 Jahren
im Parlament noch nicht erlebt -, dass die Bundesregierung sogar alles zugegeben hat. Auf sämtliche unserer
Anfragen und Initiativen hat die Bundesregierung zugegeben, dass ihr sehr wohl bewusst ist, dass sie Existenzen
und Arbeitsplätze vernichtet, dass Investitionen ins Ausland abwandern, dass Steuerausfälle die Folge sind und
dass das Nebengeschäft der Tankstellen - die Tankshops
tragen inzwischen mehr als 50 Prozent zum Tankstellenumsatz bei - darunter leidet, dass sie aber all das billigend
in Kauf nimmt. Denn sie will mit der Ökosteuer eine fundamentalistische Ideologie umsetzen.
({4})
Das ist eine verantwortungslose Politik.
Ich möchte aus einem Brief zitieren, den mir ein kleiner mittelständischer Tankstellenbetreiber aus meinem
Wahlkreis geschickt hat:
Es ist Ihnen ja bekannt, dass die Grenztankstellen … schwer zu kämpfen haben. Wir haben nur
eine kleine Tankstelle, haben aber seit der letzten
Ökosteuerstufe 80 Prozent an Kunden verloren. Vor
Jahren hatten wir noch einen Umsatz von 8 000 bis
10 000 Liter pro Tag. Heute dürfen wir froh sein,
wenn wir 1 000 Liter am Tag verkaufen. Das
Finanzministerium
- Herr Bundesfinanzminister, hier sind Sie direkt angesprochen; denn Sie tragen neben Trittin die Hauptschuld
an dieser Politik; hören Sie also gut zu hat scheinbar keine Ahnung, was an Steuergeldern
ins Ausland wandert. Die Österreicher lachen sich
kaputt.
Auch über Sie, Herr Bundesfinanzminister!
Gibt es überhaupt eine Lösung aus dieser Lage? Ich
hoffe, dass Sie den Grenztankstellen helfen können;
denn es ist längst schon fünf nach zwölf! Bitte helfen Sie uns!
Das ist ein Notruf, ein Hilfeschrei aus der Wirtschaft
bzw. aus dem Mittelstand, den Sie mit Ihrer Politik mit
Füßen treten.
({5})
Ich klage Sie an, dass Sie sich der Vernichtung von Existenzen und Arbeitsplätzen sowie der Verhinderung von
Investitionen und der Abwanderung von Investivkapital
mit verheerenden Folgen schuldig machen. Ich appelliere an Sie: Machen Sie Schluss mit Ihrer unsinnigen
Ökosteuerpolitik, damit auch solche Existenzen nicht
länger mit Füßen getreten werden.
({6})
Übrigens, die roten und grünen Funktionsträger in
meinem Wahlkreis - wenn es nicht so traurig wäre, wäre
es zum Lachen; darum sollten Sie sich einmal kümmern,
meine Damen und Herren von Rot-Grün - fahren selber
scharenweise nach Österreich zum Tanken. Offenbar
wollen auch sie sich nicht dem Preisdiktat Ihres Umweltministers und Ihres Finanzministers im eigenen Land
beugen.
({7})
Ich möchte noch - das gehört zur Schlussrunde einer
Haushaltsdebatte dazu - auf das fast bejubelte Eingeständnis des Bundeskanzlers zu sprechen kommen, seine
Regierung habe mit der Rücknahme unserer Rentenreform einen Fehler gemacht. Wo sind wir eigentlich?
Wenn es sich um einen reuigen Sünder handeln würde,
der aus gutem Glauben gehandelt hat, dann könnte man
daran denken, ob man Entschuldigung gewährt. Aber
hier liegt der Fall ganz anders. Die rot-grüne Regierung
- das gilt auch für den Bundeskanzler und den damaligen Sozialminister - hat vorsätzlich die Unwahrheit in
der Rentenpolitik gesagt. Sie haben vor der Wahl 1998
fast in politisch-krimineller Manier Versprechen und Ankündigungen in der Rentenpolitik gemacht, um Ihre
Wahlchancen zu verbessern. Sie haben den Fehler also
vorsätzlich gemacht. Wir können es dem Bundeskanzler
deshalb nicht durchgehen lassen, sich auf elegante Weise
dieser politischen Schuld zu entledigen.
({8})
Die Union hat schon 1998 darauf hingewiesen, dass es
ein verheerender Fehler ist, unsere Rentenreform rückgängig zu machen. Der Bundeskanzler täuscht sich,
wenn er jetzt glaubt, dass wir den Steigbügel halten, um
das, was rückgängig gemacht worden ist und was wir
immer für richtig gehalten haben, sozusagen in den vorherigen Stand zu versetzen. So einfach, meine Damen
und Herren in der Regierung, werden wir es Ihnen nicht
machen.
({9})
Ich fasse die Ergebnisse der Haushaltsdebatte wie
folgt zusammen: völlig aus der Luft gegriffene Wachstumserwartungen; eine Überschuldung, die die Stabilität
unserer Währung infrage stellt - ausgerechnet Deutschland, das mit Theo Waigel der geistige Vater des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist, gibt damit ein miserables
Beispiel für die kleineren Länder in der Europäischen
Union -, und ein aussichtsloser Haushalt, in dem groteskerweise schon die finanzwirtschaftlichen Auswirkungen von Gesetzen berücksichtigt sind, die es noch
gar nicht gibt. Das ist eine vollkommen unglaubwürdige
Politik. Sie ziehen mit diesem Haushalt einen ungedeckten Wechsel auf die Zukunft. Schlimmer noch: Das ist
Wechselreiterei. Diese steht in unserem Land unter
Strafe. Eigentlich müsste der Haushalt 2004 auch unter
Strafe gestellt werden.
({10})
Dieser Haushalt ist ein Offenbarungseid rot-grüner Politik. Deswegen wünsche ich mir, dass dieser Haushalt unserem Land erspart bleibt.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich erteile dem Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe diese Debatte über lange Strecken sehr
aufmerksam verfolgt. Ich hatte doch die Hoffnung, die
Bundesregierung könne sich der Wirklichkeit mehr nähern, die Realitäten zur Kenntnis nehmen und hier vielleicht sogar Änderungsvorschläge vortragen. Leider ist
das nicht in Erfüllung gegangen. Ich hatte diese Hoffnung zumindest zu dem Zeitpunkt, als der Finanzminister selbst von den größten Risiken, die in diesem Haushalt stecken, gesprochen hat. Leider hatte das keine
Folgen; dabei ist es dann geblieben.
Herr Finanzminister, Sie hätten hier sagen müssen:
Angesichts dieser Situation müssen wir den Haushaltsentwurf gründlich überarbeiten und an den neuen Eckdaten ausrichten; erst wenn das geschehen ist, sollte der
Bundestag erneut zu Beratungen darüber zusammentreten. Sie hätten die Mitglieder dieses Hauses um Zustimmung zu einem geänderten Zeitplan bitten müssen. Ich
darf Ihnen sagen: Wir hätten dem geänderten Zeitplan
zugestimmt.
({0})
Das hätten Sie auch heute noch tun können. Sie haben es
nicht getan. Stattdessen halten Sie am alten Entwurf fest.
Sie haben - ich zitiere die „Financial Times Deutschland“ - „an der Wahrheit gespart“.
Wenn Sie selbst von größten Risiken sprechen, wenn
die Koalitionssprecher von Risiken in einem Umfang
von mindestens 10 Milliarden Euro sprechen, wenn wir
- Kollege Austermann hat es begründet - von Risiken in
Höhe von 20 Milliarden Euro und mehr sprechen müssen, dann kann keine seriöse Haushaltsberatung stattfinden. Etwas anderes können Sie nicht im Ernst behaupten. Das ist keine seriöse und keine geeignete
Beratungsgrundlage.
({1})
Alle Annahmen und Eckdaten für diesen Haushaltsentwurf sind von der Wirklichkeit meilenweit entfernt.
So muss man sich nicht wundern, wenn Ernst Fuchs,
Kommentator in der „Passauer Neuen Presse“, schreibt:
Wenn es stimmt, dass der Bundeshaushalt das
Schicksalsbuch der Nation ist, dann gute Nacht,
Deutschland.
Sie arbeiten doch mit Annahmen, deren Eintreten mit an
Sicherheit grenzender Unwahrscheinlichkeit erwartet
werden kann.
Ich gehöre dem Haushaltsausschuss des Deutschen
Bundestages seit 1988 an. Mir ist kein einziges Jahr bekannt, in dem der Haushaltsentwurf mit der Wirklichkeit
so wenig wie dieser zu tun gehabt hat.
({2})
Selbst im Umbruchjahr 1990 haben wir, hat Theo Waigel
zeitnah Nachtragshaushalte vorgelegt, um das Budgetrecht des Parlaments zu achten.
({3})
Herr Finanzminister, Sie sind nicht einmal bereit,
schon jetzt einen Nachtragshaushalt für das laufende
Jahr vorzulegen, obwohl Sie seit Monaten wissen, dass
Sie nicht mit einer Neuverschuldung in Höhe von
18,9 Milliarden Euro auskommen, sondern mit rund
40 Milliarden Euro rechnen müssen.
Heute früh musste Ihr Staatssekretär in der Sondersitzung des Haushaltsausschusses bestätigen, dass Sie bereits eine Nettoneuverschuldung von 25,6 Milliarden
Euro erreicht haben. Er konnte oder wollte über die Inanspruchnahme der Kassenkredite keine Auskunft geben, und das, obwohl der Haushalt nicht in grauer Vorzeit beschlossen worden ist; wir haben den Haushalt
2003 erst im März dieses Jahres verabschiedet.
({4})
Sie mussten diese Entwicklung bereits damals kennen. Sie haben sie ignoriert. Sie regieren nicht, Sie ignorieren! Sie haben damals an der Annahme eines hohen
Wachstums festgehalten. Sie haben keine Zuschüsse an
die Bundesanstalt für Arbeit vorgesehen, obwohl Sie
wussten, dass wir gleichzeitig einen Höchststand bei der
Arbeitslosigkeit zu verzeichnen haben. Wer soll Ihnen da
noch Glauben schenken? Wer soll sich da noch verlassen
können?
Wer sich auf Sie verlässt, der ist verlassen.
({5})
Regierungshandeln muss berechenbar sein. Sie aber
zerstören jedes Vertrauen und es ist nichts, aber auch gar
nichts berechenbar. Auch durch den Bundeskanzler persönlich wird Vertrauen zerstört. Vor etwa drei Jahren hat
er beispielsweise in Weiden erklärt, er wolle ein Sonderprogramm für die Grenzregionen schaffen, damit sich
diese auf den EU-Beitritt der Nachbarländer einstellen
könnten. Jetzt wird mit einem einzigen Satz in den
Erläuterungen genau das Gegenteil getan. Bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ heißt es: Ab 2004 stehen keine Verpflichtungsermächtigungen für Neubewilligungen zur
Verfügung. - Genau das Gegenteil dessen, was versprochen worden war! So einfach ist das.
Unsere Grenzregionen werden in einer Situation
sein, wie sie ein Manager beschrieben hat. Sie werden
nämlich als Höchstlohnland mit Niedrigstförderung einem Niedriglohnland mit Höchstförderung gegenüberstehen.
({6})
Bei der Landwirtschaft ist es genau das Gleiche. Die
Landwirtschaft hat in diesem Jahr wegen der Dürre das
schwierigste Jahr seit Menschengedenken zu verkraften.
Das hindert Sie nicht, an den Sonderbelastungen festzuhalten. Das hindert Sie nicht, Kürzungen vorzunehmen.
Auch bei der landwirtschaftlichen Sozialversicherung
kürzen Sie und schreiben ganz einfach: weniger wegen
Auswirkungen des Gesetzes zur Modernisierung des Gesundheitssystems. - Diese Begründung, Herr Bundesfinanzminister, ist objektiv falsch.
({7})
Über das Thema Eigenheimzulage ist schon gesprochen worden; ich will das jetzt nicht weiter ausdehnen.
Gleichzeitig wollen Sie einen neuen Titel einführen
- Sie haben es gerade begründet -: Zur Förderung von
städtischen Quartieren durch genossenschaftliches Wohnen. Finanziert werden soll das aus den Einsparungen
bei der Eigenheimzulage. So wäre noch vieles andere
mehr zu nennen. Ihnen geht es in Wirklichkeit nicht darum, Subventionen abzubauen, sondern darum - das ist
doch bei Ihnen das Problem -, eine andere Richtung vorzugeben: weniger Eigentum, weniger Eigenverantwortung, weniger Eigenvorsorge.
({8})
Wir wollen nicht mehr Staat, sondern weniger Staat,
nicht mehr Reglementierung, sondern weniger Bürokratie. Wir wollen mehr Freiheit für Eigenverantwortung.
({9})
Das größte Problem für die Bürger, für die Wirtschaft
und für die Investoren ist, dass niemand weiß, woran er
ist. Niemand weiß, wohin die Reise geht. Diese Unberechenbarkeit ist wirklich das allergrößte Problem.
({10})
Das hindert selbst die Menschen, die Geld haben, es für
den Konsum oder Investitionen auszugeben.
Ich habe mir von meiner Referentin gestern eine Aufstellung geben lassen über die Zahl der Steuergesetze
und der das Steuerrecht ändernden Gesetze, die uns seit
dem Dezember 1998 erreicht haben. 72 das Steuerrecht
ändernde Gesetze sind in dieses Haus eingebracht worden. Im Schnitt alle drei Wochen irgendein Gesetz zur
Steuerrechtsänderung! Wer soll sich da noch auskennen?
Wer soll sich da noch auf etwas verlassen können? Wer
soll da noch mit festen Vorgaben rechnen können?
({11})
Das führt zu einer totalen Verkomplizierung. Damit wird
aus dem Steuerrecht Steuerunrecht. Deswegen treten wir
für eine sehr viel weiter gehende und grundlegende Steuerreform ein. Unsere Fraktion hat ja bereits angekündigt,
grundlegende Reformvorschläge einzubringen.
({12})
Wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages,
hätten uns in den letzten fünf Jahren mindestens die
Hälfte, wenn nicht mehr Beratungszeit sparen können,
wenn Sie nicht - darauf ist vorhin hingewiesen worden zu Beginn so viele Fehler gemacht hätten, wenn Sie
Reformen, die bereits beschlossen waren, nicht zurückgenommen hätten und wenn Sie das, was Sie gemacht
haben, nicht auch noch falsch gemacht hätten.
({13})
Wir hatten eine Steuerreform, die zukunftsweisend
war.
({14})
Die haben Sie im Bundesrat verhindert. Wir hatten eine
Rentenreform, die den modernen Herausforderungen gerecht geworden wäre. Sie haben sie zurückgenommen.
Der Kanzler hat das jetzt als Fehler bezeichnet; diese Erkenntnis kommt fünf Jahre zu spät. Wir hatten eine Gesundheitsreform. Jetzt müssen wir uns erst wieder langsam und mühsam auf eine neue verständigen. Wir hatten
eine Reform des Arbeitsmarkts. Sie haben viele Elemente zurückgenommen. Sie mussten dann erst wieder
Vorschläge von uns aufgreifen, um zum Beispiel für die
Geringverdiener eine vernünftige Regelung zu finden.
Wir waren doch vor fünf Jahren sehr viel weiter als
jetzt.
({15})
Die letzten fünf Jahre waren verlorene Jahre für
Deutschland. Wir mühen und quälen uns jetzt, um langsam endlich wieder dahin zu kommen, wo wir 1998
standen. Damals hatten wir einen Aufschwung, den der
Herr Schröder schon vor der Wahl für sich reklamierte.
Die Steuereinnahmen stiegen. Die Arbeitslosigkeit sank.
Die Zahl der Arbeitsplätze stieg. Schließlich hatten wir
seinerzeit weniger Ausgaben für den Arbeitsmarkt. Sie
konnten diese Erfolge nur mit Mühe verkraften, weil Sie
meinten, hierdurch könne kurzfristig doch noch Ihr
Wahlerfolg gefährdet werden.
Es ist leider Gottes so, dass unser Land schwer an diesen Fehlern, die Sie gemacht haben, zu tragen hat. Das
ist bitter. Wir müssen nämlich jetzt mühsam versuchen,
wieder dahin zu kommen, wo wir vor fünf Jahren schon
längst waren.
Danke schön.
({16})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Jochen-Konrad
Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Ja, schwarz ist gut. Deswegen dreimal schwarz. Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das
Haushaltsgebäude, Herr Finanzminister, wird über Ihnen
zusammenkrachen, und zwar deshalb, weil das Fundament völlig falsch gelegt ist. Das fängt damit an, dass
auf dem Haushalt 2003 aufgebaut wird, der völlig aus
den Fugen geraten ist. Das geht weiter mit den Wachstumsprognosen, die völlig falsch sind. Wir würden uns ja
freuen, wenn es aufwärts ginge. Aber Sie müssten doch
wissen, dass das Zwischenhoch, das uns in Form von
Exportaufträgen aus Amerika winken wird, auf einem
staatlichen Defizit in Amerika von 600 Milliarden Dollar beruht. Deshalb wird es bei einem Zwischenhoch
bleiben. Spätestens nach den dortigen Wahlen sind wir
auf eigene Kräfte angewiesen. Mit Ihrer Politik wird es
uns aber nicht gelingen, aus eigener Kraft einen selbst
tragenden Aufschwung zustande zu bringen. Sie schwächen nämlich die Konsumkraft mehr, als dass Sie sie
stärken.
({0})
Sie haben Gesetze eingebracht, die, wie Sie heute
schon wissen, nicht in Kraft treten werden. Ich nenne die
Abschaffung der Entfernungspauschale, die Gemeindefinanzreform, Hartz IV, die Änderung der Verteilung der
Mehrwertsteuer.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben Luftbuchungen
eingeplant. Zum wiederholten Male sollen durch ein Gesetz zur Herstellung von Steuerehrlichkeit Einnahmen in
Milliardenhöhe erzielt werden. Spätestens die Ankündigung von Herrn Poß von heute Morgen, dass die Erbschaftsteuer erhöht werden soll, war der Genickschlag
für dieses Vorhaben. Schon vor einem Jahr ist ebenso
wenig das eingetreten, was Sie mit einem solchen Gesetz
bezwecken wollten.
Ihr Haushalt besteht aus Luftbuchungen und ist
Schönfärberei. Von daher wird er Ihnen über Ihrem Kopf
zusammenbrechen.
({2})
Sie verhalten sich so widersprüchlich, wie man es nur
kann. Sie nehmen auf der einen Seite 2 Prozent Wachstum an, auf der anderen Seite sagen Sie aber, dass es ein
derartiges konjunkturelles Ungleichgewicht gebe, dass
die Kreditaufnahme über den vorgegebenen Rahmen hinaus erhöht werden müsse. Was ist denn nun richtig?
Nur eines kann richtig sein. Auf jeden Fall steht fest: Der
Haushalt baut auf beiden Annahmen auf und ist von daher falsch.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Haushaltsberatungen war von Rudi Völler mehr die Rede als von
dem Haushalt an sich.
({3})
Ich kann das ja verstehen, weil Ihnen dieser Haushalt
peinlich ist. Er ist so schlecht, dass man nicht gerne darüber redet.
Herr Minister, Sie haben aus den Fehlern des Haushalts 2003 nichts gelernt. Dieser Haushalt ist spätestens
seit April, seitdem wir wissen, wie es bei der Bundesanstalt aussieht, ein Trümmerhaufen. Trotzdem haben Sie
wieder Gesetze dem Haushalt zugrunde gelegt, die, wie
Sie wissen, nicht in Kraft treten werden. Somit haben Sie
auf Sand gebaut. Sie leiden an Realitätsverlust und agieren am Parlament vorbei. Das ist die größte Sauerei,
wenn ich das einmal so bezeichnen darf.
Sie legen einen geschönten Haushalt vor und verweigern dann einen Nachtragshaushalt, obwohl er notwendig ist.
({4})
Das bedeutet, dass durch solche Fakten und nicht durch
das Parlament die politischen Schwerpunkte in diesem
Land gesetzt werden. Ich frage die Koalitionsfraktionen,
wie lange sie sich dies eigentlich noch gefallen lassen
wollen. Sie könnten doch nach Hause gehen. Sie machen
hier doch nichts.
({5})
Sie wissen doch, Herr Schöler,
({6})
dass Sie wieder einen Nachtragshaushalt brauchen.
Wenn schon Anfang September elf Kreditraten verbraucht sind und der ausgabenstärkste Monat noch bevorsteht, dann ist für jeden erkennbar, dass man einen
Nachtragshaushalt braucht. Ich frage mich, warum Sie
ihn nicht vorlegen.
Sie werden die Kreditermächtigung wieder irgendwann
im Dezember vorlegen, weil Sie sie brauchen, und dies
mit der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts begründen. Das ist natürlich falsch. Sie dürfen die
Kreditaufnahme nämlich nur dann erhöhen, wenn Sie
diese Mittel zweckgerichtet für die Bekämpfung des gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichts einsetzen.
({7})
Was Sie machen, Herr Eichel, ist nichts weiter als ein
buchhalterisches Nachvollziehen, und das ist natürlich
verfassungswidrig.
Herr Minister, Sie haben die Grundsätze eines jeden
Kämmerers verletzt. Sie haben gesagt, dies sei ein Haushalt mit großen Risiken. Deshalb muss man bei der Veranschlagung der Mittel besonders vorsichtig sein. Die
Einnahmen müssen besonders niedrig angesetzt werden,
sodass sie sicher sind, und die Ausgaben besonders
großzügig, damit man auf der sicheren Seite ist. Sie haben sich aber genau umgekehrt verhalten. Ich kann Ihnen nur sagen: Als Schatzmeister eines Vereins oder als
Kämmerer einer Gemeinde mit 5 000 Einwohnern wären
Sie längst wegen handwerklicher Unfähigkeit zum Teufel gejagt worden.
({8})
Der Finanzminister ist als der große Sanierer gekommen. Heute ist er ein willenloses Werkzeug von Fraktion
und Bundeskanzler. Man kann sagen: Er ist als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet.
({9})
Man kann aber auch sagen: Er ist als Sanierer gekommen und als Buchhalter gescheitert. Das ist wahr und
entspricht vielleicht etwas eher seinem Temperament.
({10})
Ich kann ja verstehen, dass Sie sich mit den Reformen
schwer tun; denn Sie müssen da anfangen, wo Kohl aufgehört hat. Fünf Jahre lang haben Sie alles in die falsche
Richtung gelenkt. Das sagen Ihnen auch die Mitglieder
des Sachverständigenrats, die dieser Minister bestellt
hat; das sind nicht etwa unsere Sachverständigen.
Sie fragen nach den Alternativen. Wir haben Vorschläge zu Hartz IV und zur Arbeitsmarktreform vorgelegt und im Bundesrat ungefähr 50 konkrete Vorschläge
gemacht. Meine Damen und Herren, Sie können doch
nicht sagen, wir verweigerten uns. Sie haben wohl noch
Ihre Strategie der Jahre 1994 bis 1998 im Kopf. Wir jedenfalls verhalten uns anders.
Sie sagen, Sie seien diejenigen, die Subventionen abbauen. Was machen Sie denn? Sie führen die Ökosteuer
ein, die völlig falsch ist, und als Ausgleich erhalten die
Menschen eine Entfernungspauschale. In der nächsten
Runde aber nehmen Sie ihnen die Entfernungspauschale
wieder weg. Das ist nur ein Beispiel für Ihre Politik der
sozialen Ausgewogenheit. Zudem haben Sie die Körperschaftsteuersätze gesenkt. Wenn wir das gemacht hätten,
hätten Sie uns beschimpft, wir wollten die Reichen beschenken.
({11})
Gleichzeitig greifen Sie dem kleinen Mann mit dem
Wegfall der Entfernungspauschale in die Tasche. Das ist
doch Ihre Politik.
({12})
Sie haben die Konsumkraft der Menschen derart geschwächt, dass die Binnenkonjunktur lahmt und nicht
der Export; der Kollege Solms hat dies deutlich gemacht. Deswegen kommt unsere Wirtschaft nicht auf die
Beine. Mit Subventionsabbau und Einsparungen kommt
man gar nicht gegen das an, was Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik kaputtmachen. Reden Sie doch nicht davon, dass Sie die Menschen entlasten! Sie haben ständig
die Steuern erhöht. Unter Ihrer Regierung sind die Krankenkassenbeiträge gestiegen;
({13})
die Menschen haben weniger Geld in der Tasche. Sie
versprechen ihnen, dass Sie die Einnahmen der Ökosteuer einsetzen, um die Rentenversicherungsbeiträge zu
senken. In Wahrheit machen Sie das Gegenteil: Sie haben zusätzlich kassiert. Genauso ist es bei der Maut. Sie
reduzieren die Ansätze im Verkehrshaushalt, sodass der
Etat in der Summe niedriger ausfällt, und behaupten
noch, Sie würden die Menschen besser stellen. Das ist
eine völlig falsche Politik.
({14})
Nun werfen Sie uns vor, wir hätten kein Konzept zur
Gemeindefinanzreform.
({15})
Der Bundeskanzler hat am 14. März das Kommunalmodell favorisiert
({16})
und den Finanzminister damit in die Verhandlungen geschickt; im Prinzip ist in der Kommission gar nichts anderes zugelassen worden. Dann aber haben Sie einen
Gesetzentwurf eingebracht, der mit den Beratungen in
der Kommission überhaupt nichts zu tun hat, und sagen
uns, wir hätten die Frage der Freiberufler nicht angesprochen. Sie haben einen Entwurf vorgelegt, zu dem es
keine Berechnungen gibt. Das ist politischer Blindflug,
aber keine saubere handwerkliche Arbeit. Selbst Ihre eigene Fraktion sagt, dass sie ihn nicht mittragen wird.
Auch die Länder tragen ihn nicht mit; Frau Simonis hat
einen eigenen Entwurf vorgelegt. Was wollen Sie eigentlich? Werfen Sie uns doch nicht vor, wir würden nicht
auf Ihre Vorschläge reagieren! Wir müssen sie doch erst
einmal sehen. Es ist doch wie bei der Rente. Alle vier
Wochen ist etwas anderes in der Diskussion. Aber von
uns verlangen Sie, dass wir sagen, wie es weitergeht.
({17})
Meine Damen und Herren, wir haben einen Haushalt
vorliegen, der nicht die Realität widerspiegelt. Wenn es
nur halbwegs solide zugehen soll, dann müssen Sie die
Haushaltsberatungen aussetzen, bis Sie einen Nachtragshaushalt als richtige Basis vorlegen können und die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss abgeschlossen
sind, damit wir wissen, was aus den Haushaltsbegleitgesetzen wird. Dann können wir beginnen, den Trümmerhaufen zu ordnen. Alles andere ist unsolide und Makulatur. In der Presse wird Ihr Haushalt schon gar nicht mehr
ernst genommen. In allen Zeitungen steht, dass er unrealistisch ist.
({18})
Meine Damen und Herren, wenn der Finanzminister
noch einen Funken Ehre im Leib hat, wenn er deutlich
machen will, dass er sein Handwerk beherrscht und nicht
nur ein Strohhalm im Wind des Bundeskanzlers ist, dann
müsste er so verfahren oder zurücktreten. Das wäre im
Übrigen das beste Konjunkturprogramm für Deutschland.
({19})
Als letztem Redner erteile ich dem Kollegen Joachim
Poß, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem
vorangegangenen Beitrag des Kollegen Fromme muss
ich hier Folgendes klarstellen:
Erstens. Diese Koalition will eine umfassende Gemeindefinanzreform zum 1. Januar 2004. Die Union
dagegen weiß nicht, was sie will. Die Spitze der Union
will die Gewerbesteuer abschaffen. Wir wollen die Gewerbesteuer beibehalten und setzen uns mit der Bundesregierung über die Ausgestaltung auseinander. Wir wollen eine umfassende Gemeindefinanzreform, damit die
Kommunen endlich eine Perspektive erhalten, um stärker investieren zu können. Das ist unsere Position.
({0})
Ihre Position ist die Gewährung einer Soforthilfe, befristet auf ein Jahr, weil Sie über Ihre Strategie gespaltener Meinung sind.
({1})
Das sind die Möglichkeiten, zwischen denen die Menschen wählen können, auch in Bayern.
Zweitens. Wir stehen vor der gemeinsamen Aufgabe,
den gesellschaftlichen Wandel sozialverträglich, in sozialer Balance zu gestalten. In diesem Zusammenhang diskutieren wir in der SPD und in der ganzen Gesellschaft
über die Frage, ob das sozial gerecht genug geschieht.
Darüber werden wir demnächst auch auf unserem Bundesparteitag sprechen. In der Vorlage für diesen Bundesparteitag wird ganz undramatisch beschrieben, dass sich
das Bundesverfassungsgericht demnächst erneut mit der
Frage der ungleichen Bewertung von Kapitalvermögen
auf der einen Seite und Immobilienvermögen auf der anderen Seite wird auseinander setzen müssen und wir,
wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vorliegt, das Bewertungsgesetz, das sowieso zeitlich befrisJoachim Poß
tet ist bis Ende 2005, werden neu regeln müssen. Um
diesen Punkt geht es.
Dabei haben wir bestimmte Grundsätze. Wir wollen
keine stärkere Belastung normaler Erbschaften; das ist
ganz deutlich festzuhalten. Wir wollen keine stärkere
Belastung des Mittelstandes bei Betriebsübergaben im
Rahmen des Generationenüberganges. Auch das ist einer
unserer Grundsätze. Das heißt, wir werden diese Neuregelung sozial ausgewogen gestalten. Aber wir können
uns vorstellen, dass große Vermögen stärker herangezogen werden. Auch das gehört zur sozialen Gerechtigkeit
in dieser Gesellschaft.
({2})
Die Menschen konnten in dieser Woche, auch heute
Morgen, wieder eklatante Unterschiede zwischen den
Formationen hier feststellen.
({3})
Die Opposition hat die Lippen gespitzt, aber nicht konkret gesagt, was sie sich vorstellt, abgesehen von Kürzungen bei der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Der Bundesfinanzminister hat heute Morgen noch
einmal die Grundzüge unseres Konzeptes deutlich gemacht. Wir können dieses Konzept aber nur durchsetzen,
wenn Sie sich konstruktiv verhalten, wenn Sie Ihre Obstruktionsrolle aufgeben. Sie dürfen sich nicht länger verweigern, meine Damen und Herren.
({4})
Sie stehen in einer staatspolitischen Verantwortung, und
zwar in Ländern wie in Kommunen - leider in zu vielen
Ländern und zu vielen Kommunen; das muss man hinzufügen.
Herr Kollege Poß, Sie müssen zum Ende kommen.
({0})
Sie müssen Ihrer Verantwortung endlich gerecht werden.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1500 und 15/1501 an den Haushaltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. September 2003, 13 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.