Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Wir sollten mit unserer heutigen Debatte nicht beginnen, ohne uns ein Ereignis zu vergegenwärtigen, das
dieses Datum noch auf lange Sicht prägen wird. Am heutigen Tage jähren sich die Terroranschläge vom
11. September 2001 zum zweiten Mal. Alle hier im
Raum werden sich noch daran erinnern, wie fassungslos
wir waren, als wir von den schrecklichen Ereignissen in
New York und Washington erfuhren. Wir denken heute
an die über 3 000 Menschen, die Opfer dieser verbrecherischen Taten wurden. Unser besonderes Mitgefühl gilt
den Angehörigen und Überlebenden, die noch viele Jahre
brauchen werden, um das Unfassbare zu verarbeiten.
Der 11. September erinnert uns daran, welche Folgen
gewalttätiger Fanatismus haben kann. Er verpflichtet uns
weiter zur Bekämpfung des politischen Terrorismus und
zur Verteidigung unserer freien Gesellschaften, wie der
Bundestag mehrfach unterstrichen hat. Unser Ziel muss
dabei auch sein, solchen Bewegungen weltweit den
Nährboden zu entziehen und die Versöhnung zwischen
Völkern, Volksgruppen und Religionen zu befördern.
Nun kommen wir zum Alltagsgeschehen. Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Dr. Peter Struck
als stellvertretendes Mitglied aus dem Stiftungsrat der
Kulturstiftung des Bundes ausscheidet. Als Nachfolger
wird der Kollege Eckhardt Barthel ({0}) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Barthel als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungsrat der
Kulturstiftung entsandt.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Tagesordnung bei der Beratung des Einzelplanes 09
- Wirtschaft und Arbeit - um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden:
ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Sicherung der Existenzgrundlagen ({1})
- Drucksache 15/1523 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({3})
- Drucksache 15/1527 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
zu einem beschäftigungsfördernden kommunalen Sozialgeld zusammenführen
- Drucksache 15/1531 Redetext
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu Reformen
am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1204 überwiesen:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Der in der 58. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
- Drucksache 15/1514 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkt 1 - fort:
1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2004
({3})
- Drucksache 15/1500 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007
- Drucksache 15/1501 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu-
tige Aussprache acht Stunden und für morgen eineinhalb
Stunden beschlossen haben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Arbeit.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a und
2 b sowie die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf:
2 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1515 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
- Drucksache 15/1516 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({5})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Präsident Wolfgang Thierse
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Sicherung der Existenzgrundlagen ({6})
- Drucksache 15/1523 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({7})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes ({8})
- Drucksache 15/1527 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({9})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr
({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem beschäftigungsfördernden kommunalen Sozialgeld zusammenführen
- Drucksache 15/1531 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({11})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bundesminister Wolfgang Clement.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich grüße Sie alle sehr herzlich. Ich denke, wir
sind uns im Wesentlichen darüber einig, was im Bereich
der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber natürlich
auch der Finanzpolitik und der Sozialpolitik zu tun ist.
Es geht darum, die Wachstumsschwäche, die unser Land
jetzt bereits im dritten Jahr belastet, zu überwinden und
am Arbeitsmarkt nach vielen Jahren endlich eine Trendwende zu bewirken. Bei allen Maßnahmen, die dafür getroffen werden, dürfen die erheblichen demographischen
Veränderungen nicht außer Acht gelassen werden.
Um unsere Ziele zu erreichen, brauchen wir neben einer weltwirtschaftlichen Erholung, die wir zurzeit in
Ansätzen feststellen können, und neben einer angemessenen Geldpolitik in Europa vor allen Dingen kräftige
Impulse zur Förderung der Erholung der Wirtschaft in
Deutschland. Wir brauchen tief greifende Strukturreformen, um die Wachstumskräfte zu stärken. Wir müssen
dies alles im Rahmen eines - jedenfalls mittelfristig konsolidierten Haushalts umsetzen, da sonst die konjunkturellen Impulse verpuffen und Reformbemühungen
ins Leere laufen würden.
Wir haben in den letzten drei Jahren eine enttäuschende Wirtschaftsentwicklung erlebt. Nach dieser Zeit
sind jetzt - sehr vorsichtig noch - die Signale für den
Beginn einer wirtschaftlichen Erholung auch in Deutschland erkennbar. Vor allem das Geschäftsklima, nach wie
vor ein zuverlässiger Frühindikator, hat sich in den letzten Monaten kräftig aufgehellt. Die Geschäftserwartungen haben sich im vierten Monat in Folge verbessert.
Die Beurteilung der Geschäftslage hat sich gefestigt. Es
gibt sogar - man glaubt es kaum - in Deutschland im
ersten Halbjahr eine ganz leichte Verbesserung der Binnennachfrage, was zur Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung berechtigt.
Für diese Einschätzung spricht auch die internationale
Entwicklung. Es spricht dafür die Entwicklung in den
USA, wo es wieder ein merkliches Wirtschaftswachstum
gibt, auch wenn der Aufschwung dort noch labil ist und
eine weitere Beschleunigung noch nicht sicher ist.
Für eine positive Erwartung mit Blick auf die Weltwirtschaft spricht auch die Entwicklung in Südostasien,
sogar in Japan. Für eine solche Bewertung spricht auch
die - allerdings zurückhängende - Entwicklung in der
Eurozone; der Bundeskanzler hat gestern darauf hingewiesen. EZB-Präsident Wim Duisenberg hat gestern gesagt, er erwarte für das zweite Halbjahr dieses Jahres
eine Konjunkturerholung, die sich im kommenden Jahr
verstärken werde.
Trotz dieser deutlichen Signale für einen Aufschwung
sind viele Unternehmen und viele Verbraucherinnen und
Verbraucher in unserem Land noch unsicher. Es ist klar,
dass dies das Risiko erhöht, dass sich die wirtschaftliche
Erholung weiter verzögern könnte. Das ist der entscheidende Grund, weshalb die Bundesregierung vorgeschlagen hat, die dritte Stufe der Steuerreform auf 2004 vorzuziehen. Es geht darum, der Binnennachfrage im
privaten Konsum und den Investitionen der Unternehmen den notwendigen Schub zu geben. Wir müssen etwas für den Aufschwung tun, und zwar auf allen Handlungsfeldern. Wir können nicht auf den Aufschwung
warten.
({0})
Deshalb ist mein Appell an die Mitglieder der Opposition und an den Bundesrat: Sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen endlich Klarheit bekommen! Ein taktisches „Ja,
aber“, wie ich es während der letzten beiden Tage wahrgenommen habe, reicht als Stellungnahme der Opposition nicht aus. Das ist kontraproduktiv.
({1})
Meine Bitte an die Opposition ist - das ist in Anbetracht der Stimmungslage zurzeit fast das Wichtigste -:
Bekennen Sie sich zu dieser Politik der Steuersenkungen! Geben Sie damit den Weg für den wirtschaftlichen
Aufschwung frei!
({2})
Die Logik der Agenda 2010 ist mehr als eine behutsame Neujustierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Darum geht es auch. Das bewegt uns in vielen
Diskussionen. Insgesamt geht es darum, durch ein Bündel von Maßnahmen, durch die Steuerreform und die
Steuersenkungen, wie dargestellt, Dynamik und Initiative freizusetzen. Es geht um die Verbesserung der kommunalen Finanzlage, damit die Kommunen wieder
investitionsfähig werden. Deshalb hat die Bundesregierung ein Konzept mit einer Entlastung der Kommunen,
einer Stärkung ihrer Einnahmesituation und einer Entlastung im Ausgabensektor von 5 Milliarden Euro ab dem
Jahr 2005 und 4,5 Milliarden Euro ab 2004, vorgelegt.
Auch deshalb brauchen wir eine Reform der sozialen
Sicherungssysteme.
Wenn wir über die Freisetzung von Dynamik und Initiative sprechen, dann geht es auch um die Liberalisierung der Gütermärkte und der Dienstleistungsökonomie.
Deshalb haben wir die Regelungen zum Ladenschluss
weiter geöffnet, was offensichtlich nicht ohne Erfolg ist.
Deshalb müssen wir Bürokratie abbauen. Deshalb haben
wir beispielsweise die Arbeitsstättenverordnung geändert. Wir gehen davon aus, dass wir im Bundesrat die
Zustimmung dafür finden, dass wir nicht mehr jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer vorschreiben, welche Türhöhe erforderlich ist, welcher Luftraum über einem Arbeitsplatz sein muss, wie groß die Duschkabine
zu sein hat oder Ähnliches. Deshalb schaffen wir Statistikgesetze und ähnliche Gesetze ab.
Wir müssen neue Kräfte - das sage ich an die Adresse
der Herren Kollegen Brüderle und Hinsken sowie an alle
anderen Kollegen von der Union und der FDP - im Bereich des Handwerks und im Bereich der berufsständischen Organisationen insgesamt freisetzen. Hier gibt es
verfestigte Strukturen, die neu geordnet werden müssen
und in die ein frischer Wind einziehen muss.
({3})
Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass es in
Deutschland eine tief greifende Debatte darüber geben
kann, einfache handwerkliche Tätigkeiten - das sind
nach der Rechtsprechung solche, die man binnen eines
Vierteljahres erlernen kann - unter bürokratische Kuratel
zu stellen. Frau Kollegin Merkel, es ist schwer vorstellbar, dass Sie dies tatsächlich wollen.
({4})
Wenn wir über Dynamik und das Anstoßen von Initiative reden, dann müssen wir auch über eine wachstumsund verbraucherfreundliche Organisation der Finanzmärkte sprechen. Die Netzökonomie im Bereich der
Post, der Telekommunikation sowie im Bereich der
Informations- und Kommunikationstechnologien muss
ebenfalls wachstumsorientiert gestaltet werden. Das gilt
nicht zuletzt für die Energiewirtschaft.
Es geht ferner um eine Stärkung der Finanzbasis der
mittelständischen Wirtschaft. Die mangelnde Finanzbasis ist eines der Hauptprobleme, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben. Im Übrigen ist dies ein Problem,
um das sich die Kreditwirtschaft in Deutschland kümmern muss und mit dem die Politik als Letzte zu tun hat.
Ich appelliere eindringlich an die Kreditwirtschaft, alles
Mögliche zu tun, um den Rückstand aufzuholen, den unsere mittelständische Wirtschaft im Bereich der Kreditvergabe und der Eigenkapitalstärkung im Vergleich zu
anderen Volkswirtschaften derzeit hat.
({5})
Es geht natürlich auch - das ist heute das Kernstück um eine wachstums- und beschäftigungsfördernde Reform des Arbeitsmarktes. Es geht um eine Stabilisierung
und eine qualitative Weiterentwicklung der dualen
Berufsausbildung sowie um eine Modernisierung des
Berufsbildungsrechts. Es geht nicht zuletzt - das wird an
anderer Stelle noch sehr viel intensiver diskutiert - um
eine wesentlich stärkere Förderung von Wissenschaft,
Forschung und Entwicklung in Deutschland und in ganz
Europa. Diese ist notwendig, wenn wir das Ziel erreichen wollen, diese Region zur wachstums- und innovationsstärksten Region der Welt zu machen.
Dass wir mit den angesprochenen Reformen, die ein
Bündel von Maßnahmen enthalten, die weit über das hinausgehen, was landläufig diskutiert wird, auf dem richBundesminister Wolfgang Clement
tigen Weg sind, zeigen nach meiner Meinung die jüngsten Prognosen. Es ist zwar richtig, dass es sich im
Wesentlichen um Stimmungsindikatoren handelt. Aber
die realwirtschaftlichen Daten werden, wenn nicht alles
täuscht, in Kürze nachziehen.
Die ersten Institute haben bereits begonnen - seit ich
im Amt bin, ist es das erste Mal -, ihre Prognosen für
2004 nach oben zu korrigieren. Das gilt beispielsweise
für das Hallenser Institut für Wirtschaftsforschung, das
die Wachstumserwartungen für das Jahr 2004 von 1,7 auf
1,8 Prozent erhöht hat. Das gilt für das Ifo-Institut, das
seine Wachstumserwartung von 1,5 auf 1,7 Prozent erhöht hat. Das gilt auch für das RWI, das im Juli ein
Wachstum von 1,8 Prozent für das nächste Jahr prognostiziert hat. Angesichts dieser Zahlen frage ich mich: Welcher Sinn soll darin liegen, die positiven Wachstumserwartungen für Deutschland - die Bundesregierung
geht im Übrigen von einem Wachstum in Höhe von
2 Prozent im nächsten Jahr aus - zu zerreden und permanent infrage zu stellen?
({6})
Was sollen eigentlich diese ständigen Versuche, mithilfe von Prognosen und anderen Kunstgriffen die Situation in Deutschland möglichst noch schwieriger zu reden, als sie tatsächlich ist? Ich jedenfalls stelle fest - für
andere scheint das fast schmerzhaft zu sein -, dass die
Prognosen für das nächste Jahr ein kräftiges wirtschaftliches Wachstum ankündigen.
({7})
- Mit Frau Kollegin Scheel würde ich gerne darüber
sprechen. Ich habe ihre Erwiderung im Bundestag nicht
verstanden. Ich würde ihr gerne klar sagen, dass ich
nicht verstehe, wie sie zu dieser Interpretation gekommen ist.
({8})
So ist eben das Leben.
({9})
- Selbstverständlich diskutiere ich mit Ihnen mit besonderem Vergnügen. Aber Ihre Äußerungen sind sehr „flächendeckend“. Sie müssen also schon erlauben, dass ich
„flächendeckend“ darauf eingehe.
({10})
Sie von der Opposition reden so. Darin liegt der Unterschied: Frau Kollegin Scheel hat versucht, ihre Äußerung zu interpretieren. Das tun Sie aber nicht. Wenn Sie
so weit wären, wären wir einen großen Schritt weiter.
({11})
Im Kern geht es bei allen Strukturreformen darum,
die innovativen Kräfte freizusetzen, die in der Eigeninitiative und im Wettbewerb stecken. Wir müssen diese
Kräfte für die Zukunft unseres Landes mobilisieren. Darum geht es letztlich auch bei den Reformen am Arbeitsmarkt. Um entscheidende Veränderungen am Arbeitsmarkt erzielen zu können, brauchen wir ein gründliches
Umdenken. Wir brauchen einen Mentalitätswandel. Diesen Wandel zu bewirken und zu fördern ist wichtiges
Anliegen der vier Gesetze für moderne Dienstleistungen
am Arbeitsmarkt, der so genannten Hartz-Gesetze, und
des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt.
Die beiden ersten Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zielen auf die Verbesserung der
Instrumente zur Vermittlung in Arbeit und die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder. Dazu muss ich allerdings ständig Kritik hören und lesen, und zwar auch von
Ihnen. Viele Maßnahmen laufen erst seit einem knappen
halben Jahr, einzelne Maßnahmen erst seit zwei oder
drei Monaten. Ich nenne nur die Ich-AG, Überbrückungsgelder, Minijobs, Leih- und Zeitarbeit und erinnere an all die anderen Instrumente wie PSA und Kapital für Arbeit. Nicht jedes dieser Instrumente wirkt sofort
und so umfassend, wie man es sich vorstellt. Das ist im
Leben so. Das kennen vermutlich alle Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes.
Wir können aber feststellen, dass sich in Deutschland
im ersten Halbjahr dieses Jahres bis zum Juli 136 000
Menschen, die bis dahin arbeitslos waren, aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit begeben haben,
gefördert durch Überbrückungsgeld oder Mittel im Rahmen der so genannten Ich-AG.
({12})
Dass Menschen den Mut haben, den Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit zu gehen - das betrachte ich als eine wesentliche Veränderung -, sollten
wir fördern.
({13})
Wir wissen, dass von den Existenzgründungen dieser
Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gehen, etwa zwei Drittel bestehen bleiben - das
ist die Erfahrung, die wir im Rahmen des Überbrückungsgeldes gemacht haben - und dass dadurch
zwei, drei oder vier Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ist
dies als eine der wichtigsten Antworten zu bezeichnen,
die wir auf die Herausforderungen geben können, die
durch die Arbeitslosigkeit entstehen. Meine Bitte ist
auch hier, nichts zu zerreden, sondern die Menschen zu
ermutigen, solche Wege zu gehen.
({14})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel von der FDP-Fraktion?
Bitte sehr, Herr Kollege Niebel.
Vielen Dank. - Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, dass das hervorragende Instrument des Überbrückungsgeldes, das es bereits gab, als ich 1990 in die
Bundesanstalt für Arbeit eingetreten bin, nicht ein Ergebnis der Hartz-Gesetzgebung ist? Würden Sie mir
weiterhin zustimmen, dass es Minijobs schon gegeben
hat, bevor Rot-Grün die Regierung übernommen hat,
und dass es in der Haltung dieser Regierung eine Veränderung im Vergleich zur Frühphase der ersten Legislaturperiode gegeben hat?
({0})
Wenn es Sie beruhigt, Herr Kollege, bestätige ich Ihnen dies, allerdings mit dem Hinweis, dass Sie, anders
als wir, die Menschen nicht ermutigt haben, den Weg in
die Selbstständigkeit zu gehen. Das haben wir mit der
Ich-AG getan.
({0})
- Herr Kollege Hinsken, ich lebe in Deutschland, mitten
in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein ziemlich starkes
Land. Ich lade Sie ein, dieses Land einmal zu besuchen.
Wir sind übrigens nicht nur bei der Ich-AG und bei
den Unternehmensgründungen erfolgreich, sondern auch
in anderen Dingen, wie zum Beispiel bei der gerne zerredeten Personal-Service-Agentur. Herr Kollege Merz
hat davon gesprochen, dass erst 600 Menschen in Arbeit
seien. Diese Zahlen sind mittlerweile überholt: Derzeit
sind über 15 000 Menschen in Personal-Service-Agenturen. Über all diese Wege sind wir auf dem Kurs nach
vorne. Natürlich würden Sie und ich es gerne sehen,
wenn es noch etwas schneller ginge. Aber wir wissen,
dass wir auf diese Weise wichtige strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt erreichen werden. Diese Wege,
die den Sektor der Dienstleistungen wie auch den Bereich der Jobs für gering Qualifizierte betreffen und auf
denen hoffentlich viele Menschen aus der Schwarzarbeit
kommen, um in den ersten Arbeitsmarkt hineinzuwachsen, sind außerordentlich erfolgsversprechend und werden von uns genutzt und gefördert.
Das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt enthält arbeitsrechtliche Vorschriften insbesondere beim Kündigungsschutz, um Beschäftigungshindernisse abzubauen.
Es begrenzt die Höchstdauer des Bezugs von Arbeitslosengeld. Dabei geht es darum, den Weg in den Vorruhestand, der bisher von den Beitragszahlerinnen und
Beitragszahlern in wesentlichem Umfang mitfinanziert
worden ist, abzuschneiden, um auf diese Weise dazu beizutragen, dass die tatsächliche Lebensarbeitszeit in
Deutschland steigt und dass wir über ein Renteneintrittsalter von jetzt etwa 60 Jahren hinauskommen.
Die Entwürfe, die das Bundeskabinett am 13. August
beschlossen hat und die wir jetzt eingebracht haben
- das sind die Entwürfe des dritten und vierten HartzGesetzes -, öffnen der Bundesanstalt für Arbeit das Tor,
um als künftige Bundesagentur für Arbeit wirkungsvoll und kundenorientiert als der moderne Dienstleister
am Arbeitsmarkt agieren zu können. Sie beseitigen - das
ist der Kern des vierten Hartz-Gesetzes - das ineffiziente
Nebeneinander von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wir
müssen in Deutschland mit den beiden Fürsorgesystemen, dem einen auf der kommunalen Ebene und dem anderen auf der staatlichen Ebene, Schluss machen. Wir
müssen auch die Widersprüche, die es zwischen diesen
beiden System gibt, beenden.
({1})
Ich will hier, weil wir über den Haushalt sprechen,
darauf aufmerksam machen, dass diese Reformvorhaben
- insbesondere Hartz IV - voraussichtlich im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen im Einzelplan 09
erforderlich machen werden. Das ist vermutlich notwendig, um die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen
für eine erfolgreiche Umsetzung der Reformen zu schaffen. Das ist eine inhaltlich wie technisch anspruchsvolle
Aufgabe. Die unterschiedlichen Verfahrensstränge folgen unterschiedlichen Zeitvorgaben und müssen sinnvoll
aufeinander abgestimmt und gesteuert werden. Ich bitte
schon jetzt von hier aus die zuständigen Haushaltsberichterstatter um Unterstützung in diesem Prozess.
Wenn es uns gelingt, das Gesamtkonzept so, wie wir
es dargelegt haben, umzusetzen, dann werden Verschiebebahnhöfe für Menschen zwischen den verschiedenen
sozialen Sicherungssystem in Deutschland beendet.
Dann gibt es, hoffe ich, keine unnötigen finanziellen
Lasten mehr. Wir werden dann vor allen Dingen
unnötige Bürokratie in diesem Sektor, der so viele
Menschen betrifft und belastet, kräftig abbauen.
({2})
Meine Damen und Herren, das Ziel der neuen Arbeitsmarktpolitik sind alle erwerbsfähigen Menschen. Es
geht um alle erwerbsfähigen Menschen, die Arbeit suchen und die arbeiten wollen, ganz unabhängig davon,
welche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes
sie beziehen - ob sie aus der bisherigen Arbeitslosenhilfe oder aus der Sozialhilfe kommen. Uns geht es darum, dass diejenigen, die arbeiten können und arbeiten
wollen, wenn es irgend geht, so schnell wie möglich in
Arbeit vermittelt werden. Für diese Menschen - wir reden über einige Millionen; allein die Zahl der erwerbsfähigen Menschen, die heute in der Sozialhilfe sind, wird
auf 900 000 geschätzt - konzentrieren wir mit diesen
beiden Gesetzentwürfen die Vermittlungsarbeit in Jobcentern, die künftig die entscheidende und die ausschließliche Anlaufstelle für alle, die in Deutschland in
Arbeit vermittelt werden wollen, sein werden. Das ist
das Kernstück. Wir wollen, dass selbstverständlich - um
diese Diskussion aufzunehmen - die Bundesanstalt für
Arbeit, also die künftige Agentur für Arbeit, die fachlich
teilweise hervorragenden Einrichtungen der Städte und
Gemeinden - die Sozialämter, die Jugendämter, die Fürsorgeämter - und auch die freien Träger in diesen Jobcentern, die teilweise in unseren Städten und Gemeinden
schon entstanden sind, sinnvoll zusammenarbeiten. Wir
wollen den Gegensatz, den es bisher gibt, dieses Laufen
von Behörde zu Behörde, das bisher den arbeitsuchenden Menschen zugemutet wird, mit dieser Bündelung
unter einem Dach - wenn es irgend geht, auch räumlich
unter einem Dach - überwinden.
({3})
- Nein, dazu braucht nicht eine einzige neue Stelle eingerichtet zu werden. Herr Kollege, es ist gut, dass Sie
dazwischenrufen: Es brauchen nicht 16 000 Stellen und
auch nicht 11 800 Stellen neu eingerichtet zu werden.
Sie sind nicht dabei gewesen, aber in der Unterkommission der Eichel-Kommission, in der alle Ihre Fachleute
dabei waren, ist eine Modellrechnung aufgemacht worden. Die Frage lautete: Was ist notwendig, damit wir
endlich ein Vermittlungsverhältnis von einem Vermittler
auf 75 Arbeitsuchende bekommen und nicht mehr, wie
früher, ein Verhältnis von einem Vermittler auf 800 Arbeitsuchende oder wie derzeit noch auf 350 Arbeitsuchende haben? Wir wollen auf ein Verhältnis von 1 : 75
kommen: ein Vermittler bzw. eine Vermittlerin auf 75 Arbeitsuchende. Das ist die wichtigste Veränderung, die
wir dort vornehmen, damit wirklich ein Mensch vermittelt werden kann und nicht mehr nur administriert und
finanziert wird.
({4})
Dazu brauchen wir aber keine zusätzlichen Einstellungen in der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Kollege. Das
kann mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschehen, die dort jetzt vor allen Dingen mit dem Administrieren beschäftigt sind. Wenn wir allein die hohe Zahl von
Programmen auf ein vernünftiges Maß reduzieren, werden nach anderen Modellrechnungen 3 000 Stellen eingespart. Selbstverständlich werden wir die kompetenten
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen und
der freien Träger einbeziehen. Das alles ist möglich. Das
alles wollen wir tun, und zwar so unbürokratisch wie irgendwie möglich.
({5})
Wir tun das übrigens schon jetzt, indem wir im Vorgriff auf die Zusammenführung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe zwei Programme aufgelegt haben: JUMP
Plus für junge Leute - vor allen Dingen die, die heute in
der Sozialhilfe sind -, in der ersten Runde für
100 000 junge Leute, und darüber hinaus ein Programm
für Langzeitarbeitslose. Diese Programme laufen bereits.
Der Schwerpunkt der beiden Programme liegt in strukturschwachen Gebieten, vornehmlich in den neuen Ländern. Wir stellen dafür, trotz der angespannten Haushaltslage, im kommenden Jahr in meinem Haushalt
insgesamt über 700 Millionen Euro zur Verfügung, die
um 100 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds ergänzt werden. Hierzu führen wir eine sehr wichtige Diskussion. Ich habe die Bitte, dass wir sie unideologisch und ganz praktisch führen.
Ich habe den Eindruck - das haben auch die Vorgespräche gezeigt -, dass wir bezüglich der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit der Union einer Meinung sind.
({6})
Wir müssen die beiden Fürsorgesysteme verschmelzen.
Wir diskutieren über die Einbeziehung der Kommunen. Ich kann nur davor warnen, daraus eine ideologische Frage zu machen. Wir sind bereit, jeden Schritt zu
gehen. Die Praktiker und wir sind hoch interessiert daran, dass es zu einer ganz engen Zusammenarbeit zwischen den Praktikern der Bundesanstalt für Arbeit, den
Praktikern in den Kommunen und den Praktikern bei den
freien Trägern kommt. Soweit wir glauben, das gesetzlich regeln zu können, ist dies in dem Gesetzentwurf
auch so vorgesehen. Vielleicht haben Sie weiter gehende
Vorschläge. Wir sind für Verbesserungsvorschläge absolut offen.
Ich halte allerdings die Vorstellung für falsch, man
sollte den Kommunen in Deutschland die Vermittlungsverantwortung für alle Langzeitarbeitslosen in Deutschland geben. Meines Erachtens gibt es diese Möglichkeit
durch die Kommunen nicht; das würde ich dann gerne
belegt haben. Ich warne davor, die Kommunen zu überfordern. Sie wissen es: Mit Ausnahme des Landkreistages, bei dem es auch um die Kompetenzen und nicht nur
um die Praktikabilität geht, sagen Ihnen alle kommunalen Spitzenverbände und -institutionen und alle Städte
und Gemeinden, dass sie dies nicht wollen und dass sie
die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit
selbstverständlich brauchen.
({7})
Das ist das eine. Wir sind zu jedem praktischen Gespräch darüber bereit.
Um eines sehr deutlich zu sagen: Ich halte den Versuch, der insbesondere von der hessischen Landesregierung unter Herrn Koch unternommen wird, für falsch. Er
versucht nach meinem Dafürhalten, daraus beinahe
schon eine programmatische Frage zu machen; das geschieht schon seit zwei Jahren. Wir müssen doch das gemeinsame Ziel haben, die Finanzierungsverantwortung
und die Trägerschaft für die künftigen Jobcenter in einer
Hand zusammenzuführen. Das zweite Ziel ist, dass wir
auch die Leistungen aus einer Hand erbringen. Das
heißt, dass wir die Doppelstrukturen, die heute vorliegen, beseitigen müssen. Beide Punkte werden in dem
Gesetzentwurf aus Hessen, den Sie, Frau Kollegin
Merkel, sich gestern in großen Teilen zu Eigen gemacht
haben, nicht eingelöst.
Nach dem Vorschlag aus Hessen soll der Bund zwei
Drittel und im Niedriglohnsektor sogar 100 Prozent der
Kosten tragen. Die Trägerschaft soll aber bei den Ländern und teilweise bei den Kommunen liegen. Neben
den bestehenden Agenturen für Arbeit soll bei den Kommunen eine zweite Vermittlungsstruktur aufgebaut werden. Beides soll durch öffentliche Mittel finanziert werden. Eine solche Doppelstruktur ist genau das, was wir
gerade überwinden wollen. Das ist der eine Grund, warum dieser Vorschlag nicht vernünftig ist.
Der zweite Grund ist, dass die in dem Entwurf vorgesehene Kostenerstattung von zwei Dritteln durch den
Bund unter Ausschluss einer Einflussmöglichkeit durch
ihn - diese soll allein bei den Ländern liegen - natürlich
einen ungehinderten Griff der Länder und Gemeinden in
die Kassen des Bundes bedeutet. Sie werden kaum erwarten können, dass dem irgendjemand auf der Bundesebene zustimmen kann.
({8})
Der dritte Grund ist, dass Sie all diese Dinge - dazu
gehört auch die Zumutbarkeit - landesrechtlichen Regelungen überlassen wollen. Sie werden mir zustimmen,
dass Sie sich damit haarscharf am Rande des verfassungsrechtlich Möglichen bewegen. Sie werden damit
den Gleichheitsgrundsatz verletzen.
Nun komme ich zum Schlimmsten: Im Bereich der
finanziellen Arbeitsanreize, die Sie schaffen wollen
- Lohnfreistellung und Lohnzuschlag lauten die
Schlagworte dazu -, würde es durch die Realisierung Ihres Vorschlags der dauerhaften Subventionierung eines
Niedriglohnsektors, den Sie dauerhaft in Deutschland
einzurichten beabsichtigen, zu immensen Mehrausgaben
kommen. Nach überschlägigen Berechnungen lägen
diese im Milliardenbereich. Dieser soll von den Ländern
verwaltet und vom Bund zu 100 Prozent finanziert werden. Wer kann einen solchen Weg allen Ernstes mitgehen wollen?
({9})
Hinzu kommt das, was Sie in dem Entwurf aus Hessen vorsehen. Es geht um die Vermögensanrechnung bei
den betroffenen Arbeitsuchenden, die sich ausschließlich
am heutigen Bundessozialhilfegesetz orientiert. Ich habe
Frau Merkel gestern so verstanden, dass sie selbst damit
noch Probleme hat. Das ist für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Blick auf eine angemessene Alterssicherung schlicht nicht akzeptabel und
fällt weit hinter das zurück, was wir zu Anfang des Jahres mit den ersten Hartz-Gesetzen gemeinsam hier beschlossen haben.
({10})
In Ihrem Gesetzentwurf vermeiden Sie jede Aussage
darüber, wie Sie die Arbeitnehmer eigentlich vermitteln
wollen. Es steht dort kein Wort über Fallmanager, kein
ernsthaftes Wort über die nötige Veränderung der Vermittlung in Arbeit und kein ernsthaftes Wort über die
Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Vermittlungsagenturen. Alles bleibt im Vagen. Der Katalog der
Eingliederungsleistungen enthält beispielsweise keine
einzige soziale Dienstleistung, die wir aber benötigen,
wenn wir etwa in der Schulden- oder Suchtberatung erfolgreich sein wollen.
Meine dringende Bitte ist, dass wir an diesem Punkt
nicht in eine Grundsatzdiskussion hineingeraten. Wichtig ist, dass wir die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit und der Vermittlungsagenturen und die Arbeit der
Kommunen in den Jobcentern zusammenführen. Lassen
Sie uns aber auch dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Prozess der Rückkehr in die Arbeit durch eine vernünftige Vermittlungstätigkeit begleitet werden können.
Ein anderes Thema, das ich heute hervorheben will
- dies liegt uns allen besonders am Herzen -, ist der
Ausbildungsmarkt. Es geht um die beruflichen Perspektiven für unsere junge Generation. Es geht um die
Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Lage
ist noch etwas schwieriger als im Vorjahr, wenngleich
sich die Daten zurzeit verbessern. Wir haben eine Ausbildungsinitiative in Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft gestartet. Wir werden unter anderem den Betrieben und insbesondere den jungen
Unternehmen den Erwerb der Ausbildungsbefugnis erleichtern.
Von hier aus geht mein Appell an die deutsche Wirtschaft, an jeden einzelnen Unternehmer und jede einzelne Unternehmerin, alle, die Verantwortung und Mitverantwortung in den Unternehmen tragen: Prüfen Sie
bitte noch einmal, ob Sie einen zusätzlichen oder überhaupt einen Ausbildungsplatz anbieten können. Wer sich
heute als Unternehmer nicht ausreichend darum kümmert, geeigneten Nachwuchs heranzubilden, der läuft
Gefahr, in wenigen Jahren ohne Fachpersonal dazustehen. Machen Sie mit und sorgen Sie für die Zukunft vor!
Damit werden Sie Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht.
({11})
Ich appelliere von dieser Stelle aus ganz besonders an
die DAX-Unternehmen in Deutschland, die etwa durch
den Aufbau von Finanzierungsfonds über ihre Ausbildungsleistung hinaus die Möglichkeit haben, Mittel zur
Verfügung zu stellen, damit junge Unternehmen, die ausbilden wollen, aber aus finanziellen Gründen noch nicht
ausbilden können, in die Lage versetzt werden auszubilden. Ich appelliere an die Verwaltungen des Bundes, der
Länder und der Kommunen: Fallen Sie in Ihrer Ausbildungsleistung nicht zurück! Ungeachtet aller Finanzprobleme kann auch in den Kommunen, in den Ländern und
auf der Bundesebene, kann in allen Behörden über Bedarf ausgebildet werden. Nach der Ausbildung können
die jungen Menschen dann in anderen Jobs ins Arbeitsleben einsteigen.
Ich appelliere an die Kammern. Ich bin sehr dankbar
und begrüße es, dass sich die Kammern bereit erklärt
haben, jeden ausbildungswilligen Jugendlichen anzusprechen, anzuschreiben oder anzurufen, um ihm einen
Ausbildungsplatz anzubieten. Wir müssen die Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland buchstäblich durchkämmen, um ein ausgewogenes und vernünftiges
Verhältnis von angebotenen Ausbildungsplätzen und
nachfragenden Jugendlichen zu erreichen. Darum geht
es. Ich bin überzeugt, dass dies möglich ist.
Meine Bitte an die Jugendlichen ist, sich durch Horrormeldungen und alle möglichen Zahlen - das ist
schwierig genug - nicht verwirren zu lassen und nicht zu
resignieren. Die Situation ist nicht schön. Es ist schwierig, Dutzende von Bewerbungsschreiben zu verfassen
- dabei muss man auch viele Absagen hinnehmen -, um
einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ich hoffe, dass
dies auch viele Unternehmer, Betriebs- und Personalräte
und Verwaltungsleute verstehen.
Aber die Situation ist nicht so dramatisch, wie sie sich
in manchen Horrorzahlen widerzuspiegeln scheint. Ich
bin für die Berichterstattung in den Medien über die
Ausbildung dankbar. Aber wenn ich zum Beispiel im
neuesten „Stern“ lese, dass 40 Prozent der Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz bekommen - das läuft unter
der Überschrift „Lehrstellenlüge“; anders geht es in
Deutschland heutzutage nicht mehr, als dass man jemanden, mit dem man nicht einer Meinung ist, der Lüge bezichtigt -, dann finde ich so etwas nicht hilfreich.
({12})
- Herr Schauerte, ich könnte Ihnen nachweisen, woher
der Begriff kommt. Der „Stern“ hat bei seiner Meldung
schlicht und ergreifend alle Abgänger allgemein bildender Schulen mit denen, die sich tatsächlich um einen
Ausbildungsplatz bemühen, verwechselt. Daraus erwächst dann eine solch gigantische Zahl von angeblich
40 Prozent der Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz.
Bitte - das sage ich insbesondere den jungen Leuten lassen Sie sich dadurch nicht irre machen. Es ist notwendig - darauf bestehen wir alle -, dass eine ausreichende
Zahl von Ausbildungsplätzen zur Verfügung gestellt
wird. Wir erwarten und müssen auch erwarten, dass dies
im Laufe dieses Jahres geschieht. Das geht, wenn alle
wollen. Das geht, wenn die Unternehmen, die ausbilden
können, tatsächlich ausbilden. Deshalb ist meine Bitte
von hier aus, dies zu tun.
({13})
Im mexikanischen Cancun hat die Welthandelskonferenz begonnen, an der auch 16 Abgeordnete dieses Hohen Hauses teilnehmen. Ich bitte um Verständnis,
wenn ich im Verlaufe dieser Debatte versuchen werde,
eine Reisemöglichkeit nach Cancun zu nutzen, um dort
dabei sein zu können, was wohl meine Pflicht ist.
({14})
In Cancun werden in den nächsten Tagen wichtige
Weichen für die weitere Entwicklung des Welthandels
und für die Entwicklungschancen weiter Teile der Welt
gestellt. Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsländer einiges
erreichen können. Deutschland spielt im Rahmen der
Verhandlungsführung der Europäischen Union eine
wichtige Rolle. Diese Rolle ist gestärkt, seit klar ist, dass
wir nicht nur in Deutschland die Reformdynamik verstärken, sondern auch in der Europäischen Union, etwa
mit dem Agrarkompromiss mit Frankreich, den der Bundeskanzler Anfang Juni auf den Weg gebracht hat.
All dies hat in Europa vorsichtige Erleichterung ausgelöst. Das ist kein Wunder, denn die deutsche Volkswirtschaft ist führend in Europa und erbringt im Euroraum
etwa 30 Prozent der Wertschöpfung. Das ist weitaus
mehr als die Wertschöpfung Frankreichs mit rund
22 Prozent oder Spaniens mit rund 10 Prozent.
1 Prozent Wachstum mehr in Deutschland bedeutet
mehr als 20 Milliarden Euro Wertschöpfung für die
Europäische Union. Die Verflechtung der Güter- und der
Finanzmärkte in der EU ist inzwischen so stark, dass ein
schwaches Wachstum in Deutschland unmittelbare Auswirkungen auf die konjunkturelle Lage der Nachbarstaaten hat. Ohne Deutschland kommt die Europäische
Union nicht voran. Die Europäische Union wartet auf
positive Signale aus Deutschland. Wir müssen und werden Deutschland wieder zum Motor der europäischen
Wirtschaft machen. Dafür tragen wir alle Verantwortung. Meine Bitte ist, dass wir die unstreitigen Reformen
auf den verschiedenen Feldern, ob das das Vorziehen der
Steuerreform ist,
({15})
- es geht um die Felder, Frau Kollegin - ob es um die
Gemeindefinanzreform geht, die Reform der sozialen
Sicherungssysteme und weitere Reformen, auf den Weg
bringen, damit wir die Chance, die sich jetzt aus der Entwicklung des Welthandels und der Erwartungen in
Deutschland ergibt, wirklich nutzen.
Wir müssen durch Strukturreformen klare Signale
für die Bewältigung der längerfristigen Zukunftsaufgaben setzen, um die Märkte zu überzeugen und damit die
Konjunkturerwartungen dauerhaft zu verbessern. Das ist
im Interesse Deutschlands und dafür bitte ich um Unterstützung.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben wird gemeldet, dass die schwedische Außenministerin Anna
Lindh ihren Verletzungen erlegen ist, die ihr von einem
Attentäter zugefügt wurden. Noch haben wir keine Informationen über Täter und Motiv. Ich kann nur unseren
Abscheu über diese Tat ausdrücken und den Angehörigen unser Mitgefühl aussprechen. Unsere Solidarität gilt
dem Volk, dem Parlament und der Regierung Schwedens.
Ich danke Ihnen.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Karl-Josef
Laumann, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben
am Anfang Ihrer Rede ein Bild der wirtschaftlichen Lage
in Deutschland gemalt, wonach sich alles bessert, und
Sie haben uns vorgeworfen, dass wir Ihnen das Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, das Sie prognostizieren, nicht gönnen. Sie sollten doch wissen, dass Christen
grundsätzlich nicht neidisch sind.
({0})
Dass wir das hinterfragen, liegt schlicht und ergreifend daran, dass bis heute keine der Prognosen, die Sie
in den Monaten, in denen Sie im Amt sind, getroffen haben, Realität wurden.
({1})
Die Wahrheit ist, dass Sie vor einem Jahr hier einen
Haushalt eingebracht haben, ihn genauso vehement wie
heute verteidigt haben und von einem Wachstum von
zweieinhalb Prozent ausgegangen sind. Dann haben Sie
im November, nach der Steuerschätzung, diese Prognose
auf 1,5 Prozent zurückgenommen. In einem dritten
Schritt haben Sie in Interviews gesagt, dass wir nur
1 Prozent erreichen.
({2})
Sicher wird sein, dass wir dieses Jahr bestenfalls ein
Wachstum von 0,75 Prozent erreichen. Angesichts solcher Vorgänge können Sie es uns doch nicht verübeln,
dass wir Ihre Prognosen hinterfragen.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Sie haben im
vorigen Jahr in einer ähnlichen Art, in der Sie heute geredet haben, einen Haushalt eingebracht, der null Euro
Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit
vorsah. Dann wurden daraus 3 Milliarden, später 5 Milliarden Euro. Am Ende dieses Jahres wird der Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit 11 Milliarden
Euro betragen.
Dass wir angesichts dieser Prognosen und der eingetretenen Entwicklungen den Haushaltsentwurf hinterfragen, ist unsere Pflicht. Im Übrigen entspricht das auch
der Meinung innerhalb der deutschen Bevölkerung.
({3})
Die Menschen haben längst begriffen, dass sich unser
Land nach fünf Jahren Rot-Grün leider Gottes in der
größten Wachstums-, Beschäftigungs- und Haushaltskrise der Nachkriegszeit befindet. Die Menschen haben
den Eindruck, dass die Regierung statt mutigem Gegensteuern und mutigen Reformen nur Flickschusterei betreibt. Zudem gibt es innerhalb der Koalitionsfraktionen
einen großen Streit über wesentliche Reformziele. Das
führt zwangsläufig zu einem Vertrauensverlust.
Die uns objektiv vorliegenden Zahlen lassen die Annahme eines Wirtschaftswachstums von 2 Prozent leider
nicht besonders solide erscheinen. Es gibt kein Forschungsinstitut, das Ihnen darin Recht gibt.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres gab es 19 200 Insolvenzen. Insgesamt werden dieses Jahr - das bestätigen
alle Fachleute - wahrscheinlich 40 000 Insolvenzen zu
verzeichnen sein. Das ist die größte Pleitewelle, die wir
je erlebt haben.
Noch schlimmer gestaltet sich die Entwicklung der
Zahl der Erwerbstätigen. Seit dem Jahre 2000 - 1999/
2000 hat die Zahl der Erwerbstätigen sogar etwas zugenommen; das sei der Ehrlichkeit halber erwähnt - gibt es
in Deutschland 660 000 Erwerbstätige weniger. Für die
Volkswirtschaft bedeutet das 1,8 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen, 6 Milliarden Euro weniger Einnahmen für die Sozialversicherungen und 6 Milliarden
Euro Mehrausgaben des Staates für Arbeitslosengeld,
Arbeitslosenhilfe oder schlimmstenfalls Sozialhilfe. Ich
glaube, dass diese Zahlen deutlich machen, dass dieser
Entwicklung eine solide Politik bzw. eine Politik der Reformen und Veränderungen entgegengestellt werden
muss.
({4})
Herr Clement, Sie sind nach der Bundestagswahl in
der Öffentlichkeit mit einem sehr großen Vertrauensvorschuss als Superminister gefeiert worden.
({5})
Sie werden verstehen, dass ich als nordrhein-westfälischer Bürger von Anfang an sehr skeptisch war,
({6})
weil wir in Nordrhein-Westfalen schon wussten, dass Sie
in den Ankündigungen gut sind, aber im Ergebnis immer
das Schlusslicht in Deutschland angeführt haben.
({7})
Ich will nur einige Beispiele für die großen Fehler, die
Sie machen, nennen. Nehmen wir das Beispiel der
Handwerksordnung, von der Sie heute auch gesprochen haben. Im Handwerk finden 520 000 junge Menschen eine Ausbildung. Im Handwerk wird ein Umsatz
von 417 Milliarden Euro erzielt. Mit seinen gut 5,3 Millionen Arbeitsplätzen ist das Handwerk - das ist unstreitig - in Deutschland eine wesentliche Jobmaschine.
Sie haben in Ihrer Rede die Verpflichtung der Unternehmen zur Ausbildung angesprochen. Diese Auffassung teilen wir völlig. Aber warum Sie sich in der Frage,
welches Gewerbe weiterhin in der Anlage A aufgeführt
wird und dem Meisterzwang unterstellt bleibt, bis zum
heutigen Tag weigern, neben dem Kriterium der Gefahrengeneigtheit auch die Ausbildungsleistung mit anzuerkennen, ist mir angesichts Ihrer Worte und Floskeln völlig schleierhaft.
({8})
Ich möchte ein zweites Beispiel anführen. Das, was
Sie machen, geschieht in einer Weise, dass man darüber
nur weinen kann. So haben Sie über Ihr Ministerium
schriftlich mitteilen lassen, dass der Baubereich der
Maurer in der Anlage A bleibt, dass aber der Steinmetz
aus der Anlage A herausfällt. Können Sie mir erklären,
welcher Unterschied hinsichtlich der Gefahrengeneigtheit zwischen einem Steinmetz und einem Maurer besteht? Das, was Sie machen, machen Sie schlecht. Da
liegt das Problem!
({9})
Ein weiteres Beispiel: Vor einem halben Jahr haben
Sie in den deutschen Medien - das haben Sie heute nur
angedeutet - eine Debatte über die Gebühren- und
Honorarordnung der freien Berufe angestoßen. Auf
unsere Kleine Anfrage, die wir daraufhin an die Bundesregierung gerichtet haben, erhielten wir die amtliche
Mitteilung, man denke noch nach und habe sich noch
keine Meinung gebildet. Auf diese Weise - Sie kündigen
etwas an, um gleich wieder zurückzurudern - zerstören
Sie Vertrauen.
({10})
Sie sollten erst nachdenken und dann handeln; das wäre
wichtig. Ansonsten sorgen Sie nur für Verunsicherung.
Noch ein Beispiel: Seit gestern hat die Debatte über
eine Ausbildungsplatzabgabe durch den Vorschlag,
eine Stiftung zu gründen, eine neue Qualität bekommen.
({11})
Aus den Reihen der Grünen gibt es sogar den Vorschlag,
bis zu 2,5 Prozent der Lohnsumme dafür einzusetzen.
Obwohl Sie genau wissen, was man alles machen muss,
um bei der Sozialversicherung nur 1 Prozent einzusparen,
reden Sie ganz locker über eine solche Größenordnung.
Wahrscheinlich erheben Sie eine solche Forderung, um
Ihre Parteifreunde in Deutschland, insbesondere in den
Bildungsträgern, in Lohn und Brot zu halten.
({12})
Ich kann Ihnen dazu nur sagen: In der Bundesrepublik
Deutschland gibt es bereits eine Ausbildungsabgabe in
einem großen Wirtschaftsbereich, nämlich in der Bauindustrie. Seit 1967 haben dort alle Betriebe eine Ausbildungsabgabe von 1,2 Prozent der Lohnsumme zu entrichten. Trotz dieses Umlageverfahrens ist die Zahl der
Ausbildungsplätze im Baugewerbe innerhalb von fünf
Jahren von ehemals 100 000 auf 44 000 zurückgegangen. Dieser Großfeldversuch in einem deutschen Industriebereich hat also dazu geführt, dass die Zahl der Ausbildungsplätze nach Einführung einer solchen Abgabe
um mehr als die Hälfte abgenommen hat.
({13})
- Sie sagen zu Recht: Aber nicht wegen der Umlage,
sondern wegen der schlechten Konjunktur im Baubereich! Das stimmt. Aber gerade deshalb werden wir das
Lehrstellenproblem nur dann nachhaltig lösen, wenn wir
uns für eine Politik entscheiden, die die Wachstumsimpulse in unserem Land stärkt. Das ist doch das Problem, das nicht angegangen wird.
({14})
Angesichts all dieser Beispiele kann ich dem niedersächsischen SPD-Landesvorsitzenden Wolfgang Jüttner
nur völlig Recht geben, der in der in dieser Woche erschienenen Ausgabe des „Spiegel“ gesagt hat:
Viele Leute glauben euch Berlinern nichts mehr,
trauen euch aber alles zu.
Das ist nicht irgendeiner, der das sagt, sondern das ist der
SPD-Landesvorsitzende in Niedersachsen! Eines der
Mitglieder dieses SPD-Landesverbandes ist Bundeskanzler Schröder. Ausgerechnet der Vorsitzende dieses
Landesverbandes sagt - ich zitiere noch einmal -:
Viele Leute glauben euch Berlinern nichts mehr,
trauen euch aber alles zu.
Herr Clement, dass dies ein SPD-Landesvorsitzender sagen muss, dazu haben Sie in den letzten Monaten einen
großen Beitrag geleistet.
({15})
Wenn man einige Minuten innehält und einmal darüber nachdenkt, was wir in Deutschland tatsächlich
brauchen,
({16})
dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir einen
Minister für Wirtschaft und Arbeit bräuchten, der so viel
Rückhalt durch den Bundeskanzler im Kabinett hat, dass
er alle politischen Entscheidungen, die in den einzelnen
Ressorts getroffen werden, so ausrichten kann, dass sie
zu mehr Arbeitsplätzen und mehr Wachstum in Deutschland führen.
({17})
Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang nur zwei
Beispiele nennen, die Hunderttausende in Deutschland
auf die Palme bringen. Ich möchte heute Morgen nicht
die ideologische Debatte darüber fortsetzen, ob das Dosenpfand richtig oder falsch ist. Wenn man aber ein solches Pfand einführt, dann darf man es nicht so dilettantisch wie Sie machen; denn dadurch sind Tausende von
Arbeitsplätzen in der Verpackungsindustrie vernichtet
worden. Zigtausend Menschen haben ihre Arbeitsplätze
wegen dieses Wahnsinns verloren! Schauen Sie sich nur
die Berichterstattung über die Firma Lekkerland an, die
viele Tankstellen in Deutschland beliefert. Aber der
Bundeswirtschaftsminister macht diesen ganzen Unfug
einfach mit.
({18})
Der Bundesverkehrsminister will nun eine LKWMaut einführen. Wir waren uns einig, dass die deutschen Speditionen eine Kompensation für die Maut
brauchen. Aber der Minister vergisst, die Kompensation
mit der EU zu besprechen!
({19})
Jetzt herrscht nur Verunsicherung bei Tausenden von Arbeitgebern und Hunderttausenden von LKW-Fahrern.
Was wird eigentlich am 2. November auf den deutschen
Straßen los sein?
Das betrifft Menschen und Arbeitsplätze. Es ist außerordentlich wichtig, dass die Menschen in Lohn und
Brot bleiben, aber wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, der nichts dazu beiträgt.
({20})
Ich muss heute einen weiteren Punkt ansprechen. In
der Sommerpause hat sich der Wirtschaftsminister damit
hervorgetan, dass er auf die Bedeutung der Energiepolitik für den Standort Deutschland hingewiesen und
Planungssicherheit für Kraftwerke gefordert hat:
Die Rahmenbedingungen sind so auszugestalten,
dass Deutschland auch künftig ein attraktiver
Standort für die Energiewirtschaft und die Industrie
bleibt und sich ein Energiemix ergibt, der den
gleichrangigen Zielen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz gerecht wird... wir
können nicht gleichzeitig aus Kernenergie und
Kohle aussteigen.
Das ist richtig, das unterstützen wir. Aber was ist in den
Tagen und Wochen nach diesen Worten in Ihrer Regierung und in Ihrer Bundestagsfraktion passiert? In diesem
Jahr werden die Ausgaben für die Förderung der regenerativen Energien die Höhe der Steinkohlesubventionen
erreichen. Das ist die Wahrheit.
Unser Anteil der staatlichen Belastung der Energiepreise liegt bei 40 Prozent, in Schweden liegt er bei
36 Prozent, in England bei 6 Prozent und in Amerika bei
5 Prozent. Günstige Energiepreise sind für die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Bereichen genauso
wichtig wie die Lohnnebenkosten.
({21})
Wieder einmal hat sich der Wirtschaftsminister nicht
durchgesetzt. Sie investieren weiterhin auch an unmöglichen Standorten in die Windenergie. Davon haben nur
die Leute etwas, die an Windenergiefonds beteiligt sind.
Ihre Energiepolitik belastet einen Haushaltsvorstand mit
einem durchschnittlichen Stromverbrauch und einer
durchschnittlichen Kilometerleistung seines Autos mit
rund 35 Euro im Monat. Würde man die 35 Euro in einer
Lebensversicherung anlegen, hätte man zumindest für
die zusätzliche Alterssicherung nach 30 Jahren über
17 000 Euro. Dort wäre das Geld besser angelegt als bei
denen, die hierzulande in Windparks investieren können.
({22})
Ihre Politik können sich nur reiche Leute leisten, kleine
Leute nicht mehr.
({23})
Herr Clement, am Schluss Ihrer Rede haben Sie die
Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe angesprochen. Ich darf Ihnen für die Union sagen:
Wir sind sehr an einer Lösung interessiert.
({24})
Wir tragen aber nur eine Lösung mit, die gewährleistet,
dass sie von der Administration her funktioniert; denn
wir reden über 4,3 Millionen Menschen. Das ist eine gewaltige Zahl und eine große Verantwortung.
Ich stelle die Reform der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der Bedeutung für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in eine Reihe mit den großen Rentenreformen, die wir in der Geschichte unseres
Landes gemacht haben. Es ist eine gewaltige Reform,
die dort angestoßen wird. Sie muss so ausgestaltet sein,
dass sie funktioniert und nicht nur Niveaus senkt. Wenn
ich als jemand, der seit über zehn Jahren Arbeitsmarktpolitik im Bundestag betreibt, eines weiß, dann ist es
Folgendes: Die Bundesanstalt für Arbeit ist dazu nicht in
der Lage.
({25})
Deshalb, glaube ich, ist es richtig, eine regionale Verankerung der Verantwortlichkeiten vorzunehmen und
gesetzestechnisch dafür zu sorgen, dass die beiden Ebenen zusammenarbeiten. Wir möchten, dass die Kommunen dabei den Hut aufhaben.
Sie sprachen den Niedriglohnbereich an. Führen wir
doch darüber eine ganz offene und ideologiefreie Diskussion! Die Hälfte der Menschen, die Arbeitslosenhilfe
oder Sozialhilfe erhalten, hat keine Berufsausbildung.
Das ist Fakt. Vielleicht werden wir durch Qualifizierung
den einen oder anderen auf das Niveau einer Berufsausbildung oder eines Gesellenbriefes heben können, wir
werden das aber nicht bei allen schaffen.
Wissen Sie, worin seit Jahren und zunehmend unser
größtes arbeitsmarktpolitisches Problem besteht? Es gibt
in Deutschland keine Arbeit mehr für Menschen, die nur
eine einfach strukturierte Tätigkeit ausüben können.
Diese Arbeitsplätze sind heute in Osteuropa.
Ich habe hier einen Wahlkreis zu vertreten, in dem die
Textilindustrie eine große Rolle spielt. Einfache Nähtätigkeiten, wie es sie in den Textilfabriken noch gab, als
ich meine Arbeit im Bundestag begonnen habe, gibt es
heute nicht mehr. Gehen Sie einmal in eine große Maschinenbaufabrik! Wo gibt es noch einfache Schweißtätigkeiten? Ich habe den Job eines Maschinenschlossers
17 Jahre lang gemacht. Da kenne ich mich ein bisschen
aus. Mittlerweile wird der allergrößte Teil dieser Arbeiten in Osteuropa geleistet. Aber die Menschen, die diese
Arbeit aufgrund ihres Anforderungsprofils noch vor
20 oder vor 15 Jahren gemacht haben, leben nach wie
vor in diesem Land und sie können auch nicht weggehen.
Diese Arbeiten werden hier für Stundenlöhne von
10, 11 oder 12 Euro nicht stattfinden, auch wenn ich das
gerne wollte. Das durch solche Arbeiten erzielbare Einkommen wird, wenn man zu Hause eine Bedarfsgemeinschaft, sprich: eine Familie, hat, nicht oberhalb der Sozialhilfe liegen. Ich finde, deswegen ist es - auch für den
Bundeswirtschaftsminister - lohnend, hier über die Förderung des Niedriglohnbereiches und über das Wiederentstehen von einfach strukturierter Arbeit in Deutschland
nachzudenken und zu streiten.
Solche Jobs gibt es nicht mit Löhnen oberhalb der Sozialhilfe, wenn die betreffenden Arbeitnehmer in einer
Bedarfsgemeinschaft leben. Deswegen glaube ich, dass
Hessen mit seinem kommunalen Ansatz und mit der Förderung des Niedriglohnbereiches richtig liegt. Dort werden die nötigen Voraussetzungen für einen funktionierenden Arbeitsmarkt geschaffen. Was wollen Sie denn
mit Ihrer ganzen Arbeitsmarktpolitik erreichen, wenn es
die entsprechenden Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt
gar nicht gibt? Einfach strukturierte Arbeit kann doch
wohl nicht nur in kommunalen Beschäftigungsgesellschaften stattfinden. Ich sage Ihnen: Deswegen müssen
wir an diesen ganzen Bereich herangehen; sonst werden
Sie dieses Problem nicht lösen.
Wenn Sie wirklich gemeinsam mit uns eine Lösung
finden wollen, dann werden wir das daran erkennen können, dass Sie - das sollten Sie bitte tun - die Hartz-IIIGesetze im Bundestag stoppen, bis man im Rahmen von
Hartz IV geregelt hat, wer die Trägerschaft übernimmt.
Solange diese Frage nicht entschieden ist, ist es verrückt,
eine Reform der Bundesanstalt für Arbeit zu beschließen, die vorsieht, dass sie demnächst die Zuständigkeit
für 4,3 Millionen Menschen mehr hat.
({26})
Lassen Sie uns deswegen erst über Hartz IV oder über
Hartz IV und Hartz III zusammen reden! Vielleicht finden wir dann eine Lösung. Das Einzige von dem, was
auf der Grundlage der bisherigen Hartz-Gesetze auf den
Weg gebracht worden ist - ich erinnere an unsere Verhandlungen im letzten Herbst mit Ihnen -, was funktioniert, ist das, was wir von der Union durchgesetzt haben:
die Minijobs. Alles andere war Schall und Rauch. Deswegen sollten Sie auch bei Hartz IV sehr auf uns hören.
Von Arbeitsmarktpolitik verstehen wir mehr, weil wir
den Arbeitsmarkt besser als Sie kennen.
({27})
Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/
Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, ich war enttäuscht.
({0})
Ich habe im Ausschuss immer wieder erlebt, dass Sie
viele fundierte, praktische Kenntnisse über den Arbeitsmarkt haben. Sie haben hier Ihre Vorstellungen auf zwei
Punkte reduziert - Sie haben zum Schluss eine Zusammenfassung vorgenommen -: Niedriglohnsektor und die
Frage „Wer hat in den Jobcentern den Hut auf?“. Das hat
mit einem Konzept, das sich mit der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt auseinander setzt nun wirklich nur entfernt zu tun.
Gleichzeitig haben Sie hier beklagt - das war der
große Auftakt Ihrer Rede -, dass der Minister Prognosen
korrigieren musste; das ist mein zweiter Hauptkritikpunkt. Dazu kann ich nur sagen: Eine Konstante der letzten zwei Jahre war, dass alle Wissenschaftler und alle
wirtschaftswissenschaftlichen Institute ihren aktuellen
Prognosen immer eine Korrektur der alten voranstellen
mussten. Das ist das Ergebnis der nicht prognostizierten
schwierigen stagnativen Phase, die wir hatten. Herr
Laumann, nach Ihrer Rede kann ich nur sagen: Wir brauchen mehr Blaumänner und weniger Laumänner, wenn
es um Arbeitsmarktpolitik geht.
({1})
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen, mit denen wir uns im Moment auseinander setzen müssen. Es ist eine bittere Situation für die Jugendlichen, immer noch unsicher darüber
zu sein, ob sie überhaupt eine Ausbildungsstelle finden.
Es ist eine bittere Situation für junge Frauen, die gut
qualifiziert sind, dass sie nicht arbeiten können, weil sie
keine Kinderbetreuung finden. Es ist eine bittere Situation, wenn Menschen in Betrieben arbeiten müssen, in
denen niemand über 50 Jahre eingestellt wird. Es ist eine
bittere Situation für alle Arbeitslosen in diesem Land,
dass wir eine durchschnittliche Dauerarbeitslosigkeit
von 32 Wochen haben, die weit über dem europäischen
Durchschnitt liegt.
({2})
Das hat sich über die letzten Jahrzehnte Jahr für Jahr so
aufgebaut.
Weil das so ist, ist es richtig, den Abbau der Arbeitslosigkeit in das Zentrum der Politik zu stellen, vor allem
den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit und den Abbau
der Schwarzarbeit.
({3})
Das ist die zentrale Frage, sozusagen das Zentrum der
Agenda 2010. Ihr Ziel ist es, die Investitionen in Arbeit
voranzubringen.
Wenn wir uns die Details dazu ansehen, dann müssen
wir erkennen, dass all die schwierigen Veränderungen
am Arbeitsmarkt, die wir eingeleitet haben - seien es
neue Instrumente wie Personal-Service-Agenturen oder
eine bessere Betreuung -, nur greifen können, wenn es
uns gelingt, aus der stagnativen Phase heraus- und in
eine Wachstumsphase hineinzukommen. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung wird es keine neuen Arbeitsplätze oder erfolgreiche neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik geben können. Wir brauchen für neue
Arbeitsplätze - das ist ganz klar - Wachstum.
Deswegen verstehe ich die ständige Polemik dazu, ob
zum Beispiel die Personal-Service-Agenturen funktionieren oder nicht, überhaupt nicht. Im Moment sind wir
gar nicht in einer Situation, in der Zeitarbeit oder irgendetwas anderes zur Integration auf dem Arbeitsmarkt boomen kann.
Wir müssen den Aufschwung in Gang bringen. Deswegen müssen wir die Steuerreform vorziehen. Herr
Laumann, Sie können darüber reden, wer in den Jobcentern den Hut aufhat, aber Sie wissen ganz genau, dass es
letztlich darum geht, die vorgezogene Steuerreform auch
zu einem konjunkturellen Erfolg zu machen, damit die
Jobcenter zukünftig auch wirklich vermitteln können. Es
geht darum, dass Sie im Bundesrat zum Beispiel den
Subventionsabbau unterstützen. Das wäre für die
Finanzierung der Steuerreform erforderlich und würde
dazu beitragen, die Neuverschuldung möglichst gering
zu halten. Da sind Sie in der Pflicht. Es ist eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe auch für Sie, die Unterstützung
dafür im Bundesrat zu organisieren.
({4})
Die Diagnose ist einfach, aber bedrückend: Über die
letzten Jahrzehnte, etwa über die letzten 30 Jahre, haben
wir von Krise zu Krise eine zunehmende Sockelarbeitslosigkeit zu verzeichnen gehabt. Aus jeder Krise sind
wir mit immer höherer Arbeitslosigkeit herausgekommen. Dieser Trend, der schon über Jahrzehnte geht, muss
durchbrochen werden.
Wir haben am Arbeitsmarkt Strukturprobleme, nicht
nur konjunkturelle Probleme. Die Reformen müssen die
Strukturprobleme angehen. Deswegen ist eine zentrale
Aufgabe der Agenda 2010: die Lohnnebenkosten senken, Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen verwirklichen. Wir müssen die Spirale von höheren
Lohnnebenkosten, mehr Arbeitslosigkeit, wieder höheren Sozialversicherungsbeiträgen usw. durchbrechen.
Wir müssen die Beschäftigungsschwelle generell
senken. Selbst ein Wachstum von 2 Prozent kann nicht
zu mehr Beschäftigung führen, wenn die Beschäftigungsschwelle weiterhin bei 2 Prozent Wachstum und in
den neuen Bundesländern sogar bei 3 Prozent Wachstum
liegt.
({5})
Also müssen wir entbürokratisieren. Also müssen wir
auch die Handwerksordnung entrümpeln. Herr
Laumann, lassen Sie mich dazu ein Wort sagen: Vor
dem Hintergrund der Jugendarbeitslosigkeit, der Schwierigkeiten der Jugendlichen, Ausbildungsplätze zu finden, und vor dem Hintergrund dessen, dass der alte
Zopf Handwerksordnung - das ist ja noch aus dem Mittelalter ({6})
dazu führt, dass neue Betriebe, die einfache Tätigkeiten
anbieten, nicht gegründet werden können, finde ich es
wirklich bemerkenswert, wie es Ihnen gelingt, beides gegeneinander auszuspielen. So sagen Sie, man dürfe die
Handwerksordnung nicht verändern, weil dann die Ausbildungsbereitschaft des Handwerks sinke.
({7})
Wir wissen, dass das Handwerk und die kleinen Betriebe viel ausbilden und die Stütze des Ausbildungsmarktes sind. Trotzdem muss mit der Verkrustung und
Verbürokratisierung des Arbeitsmarktes, die Sie gepflegt
haben - so waren zum Beispiel Existenzgründungen in
diesem Bereich nur sehr schwer möglich -, Schluss gemacht werden.
({8})
- Sie sind ideologisch verkrustet. Da haben Sie Recht.
({9})
Ich will es Ihnen mit einem anderen Beispiel belegen.
Um die Schwelle für Beschäftigung zu senken, braucht
man zum Beispiel auch mehr betriebliche Bündnisse
für Arbeit.
({10})
- Sie fragen, wer sie verhindere. Ich will Ihnen einmal
sagen, was Sie machen.
({11})
Wir brauchen betriebliche Bündnisse für Arbeit. Das
können wir zum Beispiel über mehr Öffnungsklauseln in
den Flächentarifverträgen, die wir unbedingt brauchen,
regeln. Sie aber nutzen die schwierige Arbeitsmarktsituation aus, um in Form von trojanischen Pferden den
Flächentarifvertrag auszuhebeln.
({12})
Das wollten Sie ja schon immer. So sieht Ihre Arbeitsmarktpolitik aus.
({13})
Wir müssen, um neue Beschäftigung zu schaffen, auf
allen Ebenen Reformen durchführen. Es handelt sich gerade bei den anstehenden arbeitsmarktpolitischen Reformen um eine Operation auf hoher See. Da wird es übrigens auch große Übergangsprobleme geben, aber wir
müssen das tun.
({14})
- Ich sage Ihnen, was wir tun. Aber Sie müssen bei dem,
was wir tun, mitmachen. Wir werden jetzt einen ganz
zentralen Schritt machen, den zu gehen Sie schon seit
langem fordern, aber wozu Sie nie den Mut hatten, nämlich die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe. Hierbei handelt es sich um einen Paradigmenwechsel in der Politik: weg vom Ausgrenzen, hin
zum Integrieren.
Die Arbeitslosenpolitik der vergangenen Jahrzehnte
hat dazu geführt, dass zum Beispiel arbeitslose Sozialhilfeempfänger von den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausgegrenzt wurden. Wir hatten drei
Klassen von Arbeitslosen. Die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger hatten keinen Zugang zu den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen mussten sie ihre Zeit für demütigende Gänge nutzen, zum
Beispiel wenn ihr Kind einen Schulausflug machen
wollte. Wir regeln das jetzt anders.
({15})
Wir werden durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine Hilfe aus einer Hand einführen. Wir werden die Leistungen pauschalisieren und Anlaufstellen für alle Arbeitslosen einführen, nämlich die
Jobcenter; darauf komme ich noch zu sprechen. Wir
werden hier eine Regelung schaffen, wonach alle, die
mehr als drei Stunden arbeiten können, die also nicht zu
jung, nicht zu alt und nicht zu krank sind, eine Leistung
aus einer Hand bekommen, und zwar pauschaliert nach
klaren Vorgaben.
An der Stelle muss ich noch hinzufügen: Wir wollen,
dass die klare Regelung auch bezüglich des Rentenrechts
so umgesetzt wird und nicht per Verordnungsermächtigungen andere Kriterien wie Arbeitsmarktnähe eingeführt werden können.
({16})
Es geht bei dieser Reform um unheimlich viel: um
eine neue Denke, um gleichzeitiges Fördern und Fordern. Gerade das steht insbesondere hinter dem Vorhaben der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Wie sieht Ihre Antwort darauf aus? Herr Laumann,
Sie haben ja eben noch einmal vorgetragen, was uns die
Opposition anbietet. Sie schlägt verschiedene Modelle
vor: Hessen sagt etwas, Niedersachsen sagt etwas, Baden-Württemberg sagt etwas und Stoiber meint nun,
durch Lockerungen beim Datenschutz Sozialhilfebetrüger aufspüren zu können und damit ein Mittel gegen die
Arbeitslosigkeit in der Hand zu haben. Das ist lächerlich.
Diese verschiedenen Vorschläge, die von Ihrer Seite
kommen, reduzieren sich eigentlich auf zwei Punkte:
Erster Punkt: Sie wollen das Arbeitslosengeld II für
arbeitsfähige Arbeitslose, die Arbeit suchen, generell unter das soziokulturelle Existenzminimum absenken.
({17})
Das lehnen wir ab. Wir haben einen vollständig anderen
Ansatz. Die Menschen haben einen Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum. Sie müssen Angebote
bekommen und diese Angebote müssen sie annehmen,
das ist richtig. Wenn sie diese Angebote nicht annehmen,
wird es Sperrzeiten und Sanktionen nach dem Grundsatz
„Fördern und fordern“ geben.
({18})
Ihr Vorschlag ist unsozial.
Ihr zweiter Punkt: Sie wollen einen flächendeckenden
Niedriglohnsektor einführen; dafür hat Herr Laumann
eben noch geworben. Erstens ist das nicht finanzierbar
- Hessen oder andere Bundesländer, die das vorschlagen, sagen überhaupt nichts zur Finanzierung, außer:
Der Bund soll bezahlen -; zweitens werden wir dadurch
in eine arbeitsmarktpolitische Schieflage kommen, die
auf ein „working poor“, wie wir es aus den USA kennen,
hinausläuft.
({19})
Das ist verheerend, das wollen wir nicht.
Wir haben einen ganz anderen Ansatz.
({20})
Wir bieten Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfängern eine gezielte Förderung zur Aufnahme von Arbeit, zur Integration. Wir setzen gezielt auf bessere Zuverdienstmöglichkeiten und auf ein Einstiegsgeld für
Langzeitarbeitslose, und zwar - und das ist gut an diesem Gesetz - abhängig vom Familienstatus.
Wir machen den ersten Schritt hin zu einer Kindergrundsicherung, weil Menschen nicht wegen ihrer Kinder in die soziale Abhängigkeit geraten dürfen. Mit diesem Zuschuss von bis zu 140 Euro pro Kind können und
werden wir viele Menschen dazu bringen, ihren Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten und dadurch nicht in die
Sozialhilfe abzugleiten. Auch das fördert die Aufnahme
von Arbeit.
Ich will noch anmerken, dass wir mit einem Punkt in
diesem Gesetzentwurf nicht einverstanden sind. Wir
wollen nicht, dass beim Bezug von Arbeitslosengeld II,
so wie es jetzt im Gesetz steht, eine Unterhaltspflicht
zum Beispiel von Eltern gegenüber Kindern oder umgekehrt begründet wird, weil es zu absurden Situationen
führen würde. Es kann nicht sein, dass sich ein 50-Jähriger noch einmal an seine Kinder wenden muss, ehe er
Arbeitslosengeld II beziehen kann. Die Situation ist etwas anders als bisher bei der Sozialhilfe. Das wollen wir
so nicht.
Aber die Grundrichtung, die wir in den Eckpunkten
festgelegt haben, ist richtig: Fördern zur Aufnahme von
Arbeit, unterstützen durch Einstiegsgelder - das ist der
Ansatz, der bei der Arbeitslosenhilfe notwendig ist.
({21})
Kollegin Dückert, Sie haben Ihre Redezeit schon
deutlich überschritten.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
({0})
Ich will noch eine Bemerkung zu Hartz III, zu den
Jobcentern, machen. Herr Laumann, was Sie sagen, ist
richtig. Es wäre kontraproduktiv, die Kommunen auszuschließen.
({1})
Sie müssen eingebunden werden. Aber es ist falsch zu
glauben, die notwendige Kooperation zwischen Arbeitsverwaltung und Kommunen könne dadurch hergestellt
werden, dass der Hut von der Bundesanstalt für Arbeit
zu den Kommunen wandert. Wir brauchen ein vernünftiges Kooperationsmodell, wir brauchen einen gesetzlichen Auftrag für die Kommunen, damit sie bei dem Angebot für Langzeitarbeitslose partizipieren,
({2})
zum Beispiel bei der Drogenberatung und bei der Suchthilfe.
({3})
Das müssen wir machen, das ist klar.
({4})
Aber wir brauchen keinen Hutwechsel; der hilft überhaupt nicht weiter.
Danke schön.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Clement, Sie haben Recht: Unsere Aufgabe ist es,
die überfälligen tief greifenden Reformen in Deutschland umzusetzen, sie zu debattieren. Aber Sie können
doch nicht allen Ernstes der Opposition vorwerfen, sie
würde die Lage schlechtreden, wenn wir die Ankündigungen dieser Regierung hinterfragen.
Es war der Bundeskanzler, der schon 1997 verkündet
hat, man möge ihn am Abbau der Arbeitslosigkeit messen.
({0})
Wir tun das. Die Arbeitslosigkeit ist permanent gestiegen. Sie sagen uns, der FDP, der Steuersenkungspartei,
wir sollten uns zu Steuersenkungen bekennen. Das ist
doch ein Witz.
({1})
Hätten Sie die Steuern rechtzeitig vernünftig gesenkt,
hätten wir nicht drei Jahre Stagnation und nicht aktuell
eine Rezession.
({2})
Die Verantwortung für die hohe Arbeitslosigkeit trägt
doch diese Regierung, weil sie nicht richtig gehandelt,
keine Steuern gesenkt, kein Vertrauen geschaffen und
kein entscheidendes Signal für eine wirtschaftliche Veränderung gesetzt hat.
({3})
Der Staat sollte sich zurückziehen. Stattdessen haben
wir in Deutschland einen Staatsanteil von rund
50 Prozent, genauer gesagt: von 48,6 Prozent. Das heißt
im Klartext: Von jedem Euro, der in diesem Land erarbeitet wird, fließt die Hälfte in den Staatssektor. Das ist
einer der Gründe, weshalb wir nicht vorankommen.
Herr Solms hat es Ihnen in dieser Haushaltsdebatte
vorgerechnet: Per saldo haben Sie keine steuerliche Entlastung geschaffen, sondern zusätzliche Steuern draufgeknallt. Woher soll mehr Kaufkraft kommen? Wirtschaftliches Handeln beruht immer auf Rechnen: Die
Menschen wissen nicht, ob sie ihren Job morgen noch
haben oder wieder einen Job finden. Der Mittelständler
weiß nicht, in welcher Höhe er Steuern draufgeknallt bekommt und ob endlich die vielfach versprochenen Maßnahmen bezüglich des Bürokratieabbaus Realität werden. Ich stimme Ihnen darin zu. Tun Sie endlich etwas!
Nehmen Sie dem deutschen Mittelstand die Handschellen ab, damit er Arbeitsplätze schaffen kann! Keiner hindert Sie daran. Tun Sie das doch endlich!
({4})
- Frau Dückert, ich komme jetzt zum Handwerk.
Sie führen hier eine typische Ablenkungsdebatte.
({5})
Weil Sie wirtschaftspolitisch total versagt haben, zieht
Grün-Rot wie immer ein neues Kaninchen aus der Tasche. Es ist ein Fehler, den deutschen Handwerkssektor
zu „aldisieren“. Jawohl, es soll Reformen und Veränderungen geben, die Meisterprüfung soll erleichtert und sogar noch billiger gemacht werden und Quereinsteiger
sollen hinzukommen. Aber man sollte das Handwerk
nicht zerschlagen. Nur weil es Grün-Rot nicht wählt,
wird es von Ihnen in die Geiselhaft Ihrer unfähigen Politik genommen. Das ist die Scheinheiligkeit Ihrer Handwerks- und Mittelstandspolitik.
({6})
Das Handwerk leidet doch nicht darunter, dass es zu
wenig Meister und zu wenig Leute gibt, die die Qualifikation haben, sich selbstständig zu machen. Es leidet
darunter, dass Sie zu viel abkassieren, dass Sie die Steuern erhöht haben, dass Sie dem Handwerk keinen Freiraum geben und Sie nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Das ist die Ursache dafür, dass wir
im Handwerk nicht das freisetzen können, was wir freisetzen wollen.
Sie drehen den Spieß um und zerschlagen die Strukturen. Wollen Sie den Mittelstand in Deutschland völlig
platt machen? Im letzten Jahr gab es 40 000 Konkurse,
in den ersten fünf Monaten dieses Jahres schon rund
30 000. Grün-Rot aber beschimpft den Mittelstand, es
gebe zu wenig Ausbildungsplätze. Hätten Sie nicht letztes Jahr 40 000 Mittelständler platt gemacht, hätten wir
in Deutschland 40 000 Ausbildungsplätze mehr. Das ist
die Ursache. Drehen Sie nicht einfach den Spieß um!
({7})
Man nennt es Dialektik, wenn man in alter sozialistischer Manier versucht, durch eine Gegenthese die Realität zu verzerren.
({8})
Der Haushalt, den Sie jetzt vorlegen, ist wieder ein
Beleg für Verunsicherung. Sie schaffen keine Klarheit.
Sie gehen von einer Wachstumsprognose von real
2 Prozent im nächsten Jahr aus. Das ist völlig irreal; das
wissen auch Sie. Wichtige Risiken sind nicht erfasst. Sie
haben bei den Arbeitsmarktausgaben die vorgesehene
Grundsicherung nicht erfasst. Die Daten stimmen hinten
und vorne nicht; das wissen auch Sie. Sie könnten diesen
Haushalt eigentlich wegschmeißen. Er ist Makulatur,
weil die Zahlenwerke hinten und vorne nicht stimmen.
({9})
Sie werden ihn nachbessern müssen.
Sie sprechen von Verunsicherung. Wer verunsichert
denn permanent die Bevölkerung?
({10})
Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Sie
blasen noch häufiger neue Luftballons, die keine Realität
haben, auf, als ein hygienisch orientierter Mitteleuropäer
seine Unterwäsche wechselt. Es ist unglaublich, welche
Verunsicherung Sie bewirken. Die LKW-Maut ist ein
Beispiel für eine erneute Verunsicherung breiter Teile
der Wirtschaft.
Beispiel Dosenpfand. Selbst Herr Clement hat es erkannt und würde es am liebsten zum Teufel jagen. Nur
damit die Grünen ihre Ideologie durchsetzen können,
wird in Deutschland zwangsweise ein Dosenpfand eingeführt - und dies in einer Art und Weise, dass man nur
hoffen kann, dass Ihnen das die Europäische Union verbietet. Das ist wohl die letzte Hoffnung.
({11})
Beispiel Riester-Rente. Der Ansatz, die private Vorsorge zu stärken, ist richtig. Aber mit diesem Bürokratiemonster funktioniert das nicht.
Beispiel Windkraft. Selbst das Wirtschaftsministerium merkt, dass hier eine völlig überdrehte Förderung
erfolgt. Es kann doch nicht richtig sein, dass die rentabelste Finanzanlage in Deutschland der Besitz von Anteilen an Windparks ist. Mit Windrädern werden Sie in
Zukunft nicht gewinnen. Bei näherem Betrachten
kommt heraus, dass Sie für 1 Kilowattstunde Windkraft
1 Kilowattstunde Atomstrom oder Kohlestrom vorhalten
müssen. Schröder schickt seinen Lieblingsgewerkschafter Schmoldt vor, um das richtige Klima dafür zu schaffen, dass die Kernenergie in Deutschland wieder hoffähig gemacht werden kann. Machen Sie es doch gleich
richtig! Was ich völlig vermisse, ist ein durchdachtes
Energiekonzept der Bundesregierung.
({12})
Dennoch werden die ganzen Inszenierungen - hier
sind ja die Theaterkulissenschieber par excellence am
Werk - als Jahrhundertreform verkauft: Jahrhundertreform Windkraft, Jahrhundertreform LKW-Maut, Jahrhundertreform Riester-Rente, jetzt die Jahrhundertreform Arbeitsmarkt. Diese ist für jeden Arbeitslosen in
Deutschland eine ernsthafte Bedrohung. Machen Sie die
Dinge doch endlich richtig!
Jedes Element des Hartz-Konzeptes wird als Wunderwaffe verkauft, aber dann wird doch nichts umgesetzt.
({13})
Muss in Deutschland denn wirklich erst ein Massenblatt
mit „Florida-Rolf“ und „Viagra-Karl“ Fehlentwicklungen in der deutschen Sozialgesetzgebung deutlich machen, damit auch die Frau Ministerin erkennt, dass etwas
geändert werden muss? Warum machen Sie es nicht direkt richtig? Die Realität ist, dass wir uns bestimmte
Dinge nicht mehr erlauben können.
Sie müssen bei den Hartz-Reformen die Anreize verstärken. Wenn jemand voll arbeitsfähig ist, hat er gegenüber der Gesellschaft auch eine Bringschuld und darf
nicht darauf warten, dass er von der Solidargemeinschaft
unterstützt wird. Das soll natürlich geschehen, aber
wenn er erwerbsfähig ist, muss er seinen Beitrag leisten.
Wenn das auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht möglich ist,
dann soll er bei der Stadtbibliothek die Bücher sortieren
oder die öffentlichen Gärten in Ordnung halten. Jedenfalls kann sozialpolitisch nicht durchgehalten werden,
dass diejenigen, die erwerbsfähig sind, nicht zur Arbeit
herangezogen werden.
({14})
Zum Thema Ausbildungsplätze; ich habe es schon
angesprochen. Es bedrückt uns alle, dass es hier einen
Engpass gibt. Aber die Ursache liegt doch im Kern darin, dass die Wirtschaft nach drei Jahren der Stagnation
und Rezession nicht in Gang kommt. Wollen Sie von
Betrieben, die keine Umsätze machen, ernsthaft erwarten, dass sie auch noch über Bedarf ausbilden? Dennoch
droht Herr Müntefering, ein Männerfreund von Herrn
Clement, mit der Ausbildungsplatzabgabe. Das ist exakt
das falsche Signal; denn damit locken Sie diejenigen, die
bisher nicht ausgebildet haben, mit Prämien und die Betriebe, die bisher, vielleicht sogar über Bedarf, ausgebildet haben, sind jetzt die Dummen, weil sie auf die Regelungen des Staates vertraut haben.
({15})
Die Folge ist, dass im nächsten Jahr noch weniger Betriebe ausbilden werden, weil sie lieber warten werden,
bis sie eine Prämie von Grün-Rot mitnehmen können,
weil sie schließlich nicht blöd sind.
({16})
Damit verunsichern Sie die Betriebe also nur und
schaffen auch keine Lösung. Wie will Herr Clement auf
seiner Bustour, wie er sie in NRW unternommen hat
- das ist ja lobenswert, ich finde das gut -, Betriebe
überzeugen, mehr auszubilden, wenn all die Faktoren,
die bei einer betrieblichen Entscheidung eine Rolle spielen, unsicher sind? Schaffen Sie doch die Klarheit, von
der Sie sprechen! Machen Sie nicht das Gegenteil, indem Sie Menschen verunsichern!
({17})
Sie sprechen von einem großen Erfolg beim Thema
Ladenschluss. Seit Jahrzehnten fordern wir, das Ladenschlussgesetz zu ändern. Nun haben Sie die Öffnungszeiten um vier Stunden verlängert. Warum geben Sie sie
nicht richtig frei? Warum haben Sie nicht den Mut, zu
erlauben, dass jeder die Öffnungszeiten an den Werktagen selbst bestimmen kann?
({18})
Nun sind es nur vier Stunden. Der Erfolg zeigt aber, dass
eine Liberalisierung Fortschritte bringt. Damals wurden
wir noch von der linken Seite des Hauses wegen unserer
Vorschläge zum Ladenschluss beschimpft, wir würden
nur „Unfug“ vorschlagen.
Das Kernproblem sind die festgefahrenen Strukturen,
zum Beispiel bei dem Tarifkartell.
({19})
Weshalb geben Sie den Mitarbeitern in den Betrieben
nicht mehr Entscheidungsrechte? Wenn 75 Prozent der
Mitarbeiter die Regelungen selbst in die Hand nehmen
wollen, ist das mehr als eine verfassungsändernde Mehrheit.
({20})
Sie haben das Desaster bei der IG Metall erlebt, die
voll an die Wand gefahren ist. Wir haben in einer Aktuellen Stunde im Bundestag genau das vorhergesagt,
was dann im Osten auch eingetreten ist. Wir haben gesagt, dass ein Streik genau das Falsche ist. Ein einziger
Sozialdemokrat, nämlich Dr. Wend, hatte damals den
Mut, Zweifel auszusprechen. Alle anderen haben die Peters’ und Bsirskes, diese Stalinisten der Wirtschaftspolitik, die die Realität noch nicht erkannt haben,
({21})
hier mit bebender Stimme verteidigt. Die Gewerkschaften können es einfach nicht und die Menschen laufen ihnen davon; jährlich treten 500 000 Mitglieder aus den
DGB-Gewerkschaften aus, weil sie merken, dass diese
die Realitäten nicht erkannt haben.
({22})
Die IG Metall hat sich bis auf die Knochen blamiert.
Was muss denn noch passieren, bis es dort zur Erleuchtung kommt? Gebt doch den betroffenen Mitarbeitern
ein Stück Freiheit! Lasst sie doch wenigstens selbst entscheiden! Wenn 75 Prozent der Belegschaft in geheimer
Abstimmung eigene Regelungen schaffen wollen, dann
müssen sie das Recht dazu haben. Sie wissen genauso
gut wie ich, dass im Osten Deutschlands zwei Drittel aller Arbeitsplätze außerhalb des geltenden Tarifvertragsrechts existieren. Genau genommen sind die alle rechtswidrig, aber keine Gewerkschaft und auch kein
Sozialdemokrat greift dies an, weil es politisch unsinnig
ist; denn sie wissen genau: Wer an diesen rechtswidrigen
Zustand in Ostdeutschland herangeht, verdoppelt oder
verdreifacht die Arbeitslosigkeit.
({23})
Seien Sie doch endlich bereit zu lernen! Wenn die Betriebe nur so zurande kommen, dann geben Sie den Betrieben doch den Spielraum. Sie kennen die Fälle von
Viessmann und VW, wo alles verkrampft ist und man
nicht zu Änderungen bereit ist, obwohl die Betriebsräte
dort einstimmig dafür sind und auch die Unternehmensleitung mitmacht. Da hat die IG Metall blockiert. Das
kann so nicht weitergehen. Darin liegen die Ursachen
der Zementierung in Deutschland. Jetzt den deutschen
Handwerksmeister an den Pranger zu stellen, obwohl Sie
unfähig sind, eine berechenbare, überschaubare Politik
zu machen und die Arbeitslosigkeit abzubauen, das ist
scheinheilig. Sie sollten dankbar dafür sein, dass in diesem Sektor noch ein Stück Stabilität vorhanden ist.
({24})
Ich möchte nicht, dass wir am Schluss nur noch Großkonzerne in Deutschland haben, wie Eon/Ruhrgas, die
einen Marktanteil von 85 Prozent haben. Herr Müller,
der Vorgänger von Herrn Clement, hat im Rahmen der
Steinkohlesubventionierung jahrelang Milliarden dorthin getragen. Anschließend ist er dann mit Sondergenehmigung und gegen das Kartellamt und die Monopolkommission Vorstandsvorsitzender in dem Unternehmen
geworden, und die Subvention auf europäischer Ebene
wird verlängert. Das ist die Kumpelschaft zwischen den
Kohlekumpels. Herr Clement steht bei Herrn Müller
noch mit 1,4 Milliarden Euro in der Kreide; denn sie gewähren der Bundesregierung Kredite, weil sie die Subvention nicht zahlen kann. Das ist die Verfilzung in
Deutschland. Hören Sie doch mit dem Quatsch auf!
({25})
Lenken Sie nicht mit Verweisen auf das Handwerk
und den Mittelstand ab! Tun Sie nicht so, als ob dort die
Problemlösung läge; sie liegt darin, dass sich der Staat
endlich zurückzieht, dass endlich wirklich Steuern gesenkt werden, dass wirklich Bürokratie abgebaut wird
und wirklich Sozialreformen umgesetzt werden. Hören
Sie mit der Theaterinszenierung auf!
Alle Umfragen zeigen, dass heute niemand glaubt,
dass es ihm durch Ihre Steuerreform besser gehen wird
Kaum jemand glaubt, dass es Berechenbarkeit gibt.
90 Prozent sind verunsichert. Es nimmt eine staatspolitische Dimension an, wenn heute 60 Prozent sagen, sie
trauten allen Parteien nichts mehr zu. Die Ursache dafür
ist das Nichthandeln und dass sie keine seriöse Politik
machen. Sie aber stellen sich hierhin und sagen, die Opposition sei schuld daran, dass die Lage schlecht ist, weil
sie Fragen stellt, und fordern uns auf, dass wir uns zur
Steuersenkung bekennen. Dabei sind Sie doch die Steuersenkungsverweigerer. Sie weigern sich, Arbeitsplätze
zu schaffen. Sie tun das, was in Deutschland notwendig
ist, genau nicht.
({26})
Der Bundeskanzler hat noch bei der Bundestagswahl
1998 den demographischen Faktor als soziale Sauerei
bezeichnet. Gestern hatte er den Mut, zu bekennen, dass
die Abschaffung des demographischen Faktors ein Fehler war. Herr Bundeskanzler, haben Sie den Mut, auch
die anderen zahlreichen Fehler einzugestehen! Eine
Stunde der Wahrheit ist der Ausgangspunkt für eine
neue, bessere Politik.
({27})
Ich erteile dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch das
schon traditionelle Gezeter von Herrn Brüderle haben
wir jetzt zur Kenntnis genommen, dass er darunter leidet, dass die Serie der FDP-Wirtschaftsminister in
Deutschland vergessen ist und weniger zur Entwicklung
des Landes beigetragen hat als Wolfgang Clement in seinem ersten Amtsjahr.
({0})
Das ist die Situation. Das waren doch die Wirtschaftsminister, die zu der Frage Anlass gaben: Wann kommt
denn endlich einmal ein Fachmann? - Da sitzt er. Das ist
die Situation.
Herr Brüderle und auch Herr Laumann, wir haben
heute 500 000 Erwerbstätige mehr als am Ende der Ära
Kohl, Rexrodt und wie sie alle geheißen haben. Nehmen
Sie auch das bitte zur Kenntnis.
({1})
Sie leben nach wie vor von der Unkerei. Sie suhlen
sich bei Ihren Reden im Morast. Ich sage Ihnen: Sie werden als Moorleiche enden.
({2})
Sie werden wirklich konserviert in die Geschichte eingehen. Schauen Sie, vor einem Jahr haben Sie den Weltuntergang gepredigt. Aber die Leute wollten die Hoffnung
wählen. Sie haben uns gewählt.
({3})
- Schauen Sie sich doch an, wie Sie noch vor einem Jahr
dagestanden haben. Dann waren Sie so klein mit Hut. In
Wahrheit haben Sie bis heute nicht verwunden, dass die
Menschen nicht Ihnen, sondern uns und Gerhard
Schröder vertraut haben.
({4})
Das ist doch die blanke Wahrheit. So machen Sie weiter
und weiter und predigen den Untergang. Ich sage Ihnen
aber: Die Zukunft gehört den Hoffenden und nicht den
Verzweifelten.
({5})
Gestern hat sogar Herr Hundt, der weiß Gott kein Förderer der rot-grünen Koalition ist, gesagt: Die Zeichen
des Aufschwungs mehren sich. - Er hat Sie, seine
schwarzen Brüder und Schwestern, aufgefordert, den
Aufschwung nicht zu zerreden, sondern aus den Zeichen
des Aufschwungs wirklich einen Aufschwung zu machen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen Hoffnung zu
geben. Wir sollten der Europäischen Zentralbank mit ihren positiven Prognosen folgen, die steigenden Produktionszahlen beachten, die nach oben korrigierten Vorhersagen der Institute ernst nehmen und dafür sorgen, dass
Konsum und Investitionen steigen. Wir müssen außerdem zur Kenntnis nehmen, dass die Bullen an der Börse
aus dem Stall sind und die Bären vertreiben. Das sollten
Sie bitte zur Kenntnis nehmen, auch wenn Sie sich lieber
in Weltuntergangsstimmung suhlen wollen.
({6})
Unsere Aufgabe ist es, die Hoffnung zu verstärken.
Keiner von uns hat das Recht, schon heute das Jahr 2004
abzuschreiben, nach dem Motto: Diese faule Bande sagt,
es wird ja doch nichts; also bleiben wir im Bett liegen. Ich sage: Raus aus den Federn und ran an die Arbeit,
damit das Wachstum kommt! Das ist die Aufgabe, vor
der wir stehen.
({7})
- Sie auf jeden Fall. Jeder Tag, an dem Sie aufstehen, ist
ein verlorener Tag.
({8})
Diese Hoffnung ist auch makroökonomisch begründet. Die Zinsen sind historisch niedrig. Die Investitionsvoraussetzungen sind also besser denn je, auch wenn die
Banken wegen ihrer eigenen Krise die Zinssenkungen
nur zögerlich weitergeben. Ich muss schon fragen: Wer
hat denn die Börsenblase, eine der größten Belastungen
unserer Wirtschaft, zu verantworten? War das die rotgrüne Koalition?
({9})
Es waren Ihre Freunde in den Großbanken und die berühmten Investmentbanker, die Ihre Lieblinge waren und
die Sie angebetet haben. Sie waren für die Börsenblase
verantwortlich und wollen nun uns die Schuld in die
Schuhe schieben. Sie sollten sich anstrengen und ihren
Saustall selber ausmisten.
({10})
Wie gesagt: Wir haben historisch niedrige Zinsen.
Wir ermuntern die Europäische Zentralbank, diesen Weg
weiterzugehen.
Wir haben einen Investitionshaushalt wie schon lange
nicht mehr. Er ist höher als zu Ihrer Zeit.
({11})
Der Verkehrsetat ist größer als in früheren Zeiten.
({12})
Ihre Häme angesichts der großen Schwierigkeiten
zweier großer deutscher Unternehmen in Sachen LKWMaut ist doch absurd. Lasst uns den Unternehmen helfen, der gestellten Aufgabe gerecht zu werden, statt diese
tolle Investition, die ein Welterfolg werden soll, kaputtzureden, nur weil ein paar Stolpersteine aufgetaucht
sind! Wir müssen dieses Projekt zu einem Erfolg führen
und dürfen nicht unken, schreien oder jammern.
({13})
Brüderle und andere haben von der Steuerpolitik geredet. Es ist wirklich unglaublich: Während der KohlZeit haben Sie für einen Spitzensteuersatz für Investoren
in Höhe von 53 Prozent gesorgt, aber nun regen Sie sich
über den von uns beschlossenen Satz in Höhe von 42
Prozent auf. Angesichts Ihrer Gedächtnislücke muss ich
sagen: Schämen Sie sich, Herr Brüderle!
({14})
Wenn Sie es geschafft hätten, die Gewerbesteuer mit der
Einkommensteuer verrechenbar zu machen, dann hätten
Sie Feste gefeiert. Im Vergleich dazu wäre der Tanz ums
Goldene Kalb im Alten Testament nur ein kleiner Event
gewesen.
({15})
Aber das wird verdrängt. Wir haben mit unserer Steuerpolitik mehr getan als Sie in den 16 Jahren von SchwarzLiberal. Wir brauchen uns nicht zu verstecken; denn wir
haben Reformen auf den Weg gebracht.
({16})
Wir haben auch eine Antwort auf die Wachstumsschwäche, eines der zentralen Probleme.
({17})
Wer mit Mittelständlern redet, weiß, Herr Schauerte,
dass sie zurzeit enorme Probleme haben, von den Banken die gewünschten Kredite zu bekommen.
({18})
Das wissen wir alle. Die Bilanzen der mittelständischen
Unternehmen sind von ihren Steuerberatern zwar steuerlich optimal gestaltet worden. Aber die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen ist sträflich vernachlässigt worden. Darum haben sie heute ein Rating, das Gott
erbarme. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen die Eigenkapitalausstattung der Mittelständler mit unserer
Steuerpolitik - 25 Prozent Körperschaftsteuer, Rücklagen auch für Personengesellschaften und für Investitionen - wieder verbessern.
({19})
Sie haben früher die Haltung gefördert, dass derjenige
ein Held ist, der den Staat um Steuern bescheißt und deshalb kein Eigenkapital ausweist. Wir unterstützen diejenigen, die als ordentliche Kaufleute ihr Unternehmen
mit Eigenkapital ausstatten und der Gemeinde und dem
Staat das geben, was ihres ist. Man betrügt einen stillen
Gesellschafter wie den Staat, der die Infrastruktur vorhält, nicht. Solch ein Vorgehen haben Sie lange Zeit gefördert und geduldet. Sie haben die Leute ja sogar ermuntert, ihr Geld ins Ausland zu geben. Diese barmen
und bitten jetzt, dass ihnen Hans Eichel den Weg zurück
in die Steuerehrlichkeit weist, was wir gnädigerweise
tun, weil wir einen Vorteil davon haben.
({20})
Meine Damen und Herren, Sie jammern über die
Kreditfinanzierung. Jeder Euro Kredit ist mit 8 Cent an
Eigenkapital zu unterlegen. Stellen Sie sich angesichts
dieser Tatsache einmal vor, wie Meister Stoiber durch
seine Kirch-Kredite die Eigenkapitalausstattung der
Hypo-Vereinsbank und der Bayerischen Landesbank ruiniert hat. Das war mehr, als an die mittelständischen Betriebe gegeben worden ist. Die Hypo-Vereinsbank hat
auch ein Problem beim Mittelstand, aber das Kirch-Problem lastet mehr auf der Bilanz und der Eigenkapitalausstattung als alles andere. Das ist die Staatskunst von
Herrn Stoiber, der auf Kosten anderer seine Medienlieblinge gefördert hat.
({21})
Wir adressieren das Problem. Durch verbriefte Sicherheiten haben wir dafür gesorgt, dass die Banken in
Zusammenarbeit mit der KfW ihre Bilanzen wieder so
strukturieren können, dass sie ausleihfähig werden. Das
war eine gewaltige Aufgabe, für deren Lösung ich Hans
Eichel ganz herzlich danke. Es geht nicht um Bad Loans,
sondern um ganz normale Kredite. Ich lade gerade auch
die kleinen Genossenschaftsbanken und die Sparkassen
ein, daran mitzuwirken.
Ich danke der KfW-Mittelstandsbank für ihre gewaltige Anstrengung bei der Förderung des Mittelstandes. Auf sie ist wirklich Verlass, sie ist auf vielen Feldern aktiv. Mit der Zusammenführung von KfW und
DtA zur KfW-Mittelstandsbank steht uns ein Instrument
zur Verfügung, um Kapital und Kredite für Unternehmer
bereitzustellen.
Meine Damen und Herren, Sie haben über Nachrangkapital immer nur gelästert. In den ersten acht Monaten
dieses Jahres sind 690 Millionen Euro an Nachrangkapital vergeben worden. Das ist also alles andere als ein
Flop. Von den anderen Programmen für die Bauwirtschaft und die Kommunen brauche ich gar nicht zu reden. In diesem Rahmen werden 35 Milliarden Euro mobilisiert. Das entspricht 275 000 Arbeitsplätzen. Sie
haben immer gesagt, das bringe nichts, aber von Mitte
April bis Ende August gab es 31 700 Zusagen, die ein
Volumen von rund 3 Milliarden Euro umfassen. Das ist
konkrete Politik für den Mittelstand und kein Untergangsgerede.
({22})
Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Das ist wohl unvermeidlich.
Bitte schön.
Für diese Frage bin ich sogar aufgestanden.
({0})
Das schreibt die Geschäftsordnung vor, Herr Kollege
Schauerte.
Ich hatte vorhin den Zwischenruf gemacht, dass es in
manchen Fällen gut wäre, wenn jemand im Bett geblieben wäre. Das will ich jetzt aber nicht vertiefen.
Meine Frage. Sie haben gerade die Fusion der KfW
mit der DtA zur KfW-Mittelstandsbank erwähnt. Können Sie mir ein einziges Beispiel dafür nennen, dass sich
seit dieser Fusion hinsichtlich der Finanzierung des Mittelstandes etwas verbessert hat?
({0})
Ja, das kann ich. Sie müssen sich nur einmal die
Mühe machen, mit der KfW zu reden. Die Programme
sind gestrafft worden. Es gibt jetzt Beteiligungskapital.
({0})
Es gibt jetzt nachrangiges Beteiligungskapital auf breiter
Ebene. Es gibt Mikrodarlehen, die für Existenzgründer
von kleinen Unternehmen eingeführt worden sind.
({1})
Ich empfehle einen Besuch, sie befindet sich in der
Nähe. Lassen Sie sich das alles dort einmal vorstellen.
Ich kann Ihnen auch gerne die Papiere schicken, aber ich
kann meine Redezeit nicht zum Thema KfW aufbrauchen.
({2})
- Ich sage Ihnen: Bei mir sind täglich Mittelständler, die
mich um Hilfe bitten, damit sie zum Beispiel die Beratungskapazitäten der KfW in Anspruch nehmen können,
weil die Banken und Sparkassen sehr zögerlich die KfWKredite weiterleiten, da deren Mitarbeiter oft nicht wissen, wie es funktioniert.
({3})
Deswegen helfen wir mit, dass wir mit ausgefeilten
Business-Plänen vorankommen. Herr Schauerte, wenn
Sie schon aufstehen, wird es sich lohnen, den ersten Weg
zur KfW zu machen; ich glaube, das würde selbst Ihnen
noch etwas bringen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir fördern den Mut zur
Selbstständigkeit. Gerade die KfW bereitet von den
Kleinstunternehmen bis zu den Wachstumsbereichen etwas vor. Wir haben jetzt auch den so genannten mezzaninen Bereich adressiert, also den Bereich zwischen
1 Million und 5 Millionen Euro, in dem es unglaublich
schwer ist, Beteiligungen zu gewinnen.
({5})
- Sie müssen stehen bleiben, Herr Kollege Schauerte,
sonst geht das alles von meiner Redezeit ab. Ich beantworte immer noch Ihre Frage.
({6})
Es ist ja unfair, mir Fragen zu stellen, um mir Redezeit
zu stehlen.
({7})
Das ist nicht okay. Herr Präsident, er steht virtuell.
({8})
Ich beantworte immer noch die Frage von Herrn
Schauerte.
({9})
Die KfW hilft gerade in diesem mittleren Bereich.
Wir starten jetzt zum Beispiel Beteiligungsgesellschaften, an denen sich die KfW beteiligt, damit die Unternehmen an Eigenkapital kommen.
({10})
Wir werden die ganze Mentalität der Unternehmensfinanzierung zu ändern haben, damit wir die kleinen und
mittleren Unternehmen in der Übergangszeit so mit
Nachrangkapital versorgen, dass sie, wenn sie dank unserer Steuerpolitik Eigenkapital gebildet haben, in eine
gute Zukunft gehen.
Jetzt können Sie sich setzen.
({11})
Wir sichern mit unserer Steuerpolitik die Rendite
nach Steuern und haben dadurch ganz andere Standortvoraussetzungen als früher. Wir sichern mit der Reformpolitik den EBIT, weil die Explosion der Lohnnebenkosten gestoppt und der Lastenesel Arbeit von zusätzlichen
Abgaben befreit wird. Dies wird Klaus Brandner nachher noch beschreiben.
Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, auf die Bundesanstalt
einzudreschen! Sie war in einem Zustand, den 20 Jahre
CDU-Herrschaft verursacht haben. Wir haben sie mithilfe der Mitarbeiter in einem Jahr in Bewegung gebracht. Lassen Sie uns den Mitarbeitern helfen, sich auf
die neue Zeit einzustellen, statt sie zu diffamieren.
({12})
Meine Damen und Herren, wir übernehmen Verantwortung für dieses Land und fordern auch die so genannten Spitzenkräfte der Wirtschaft dazu auf. Das Thema
Ausbildung wurde angesprochen. Für mich haben die
Wirtschaftsverbände und die Kammern einen Sicherstellungsauftrag für die Ausbildung. Es geht nicht darum,
sie jetzt zu bedrohen, sondern darum, sie daran zu erinnern, dass sie einen Sicherstellungsauftrag haben. Wir
haben noch fünf geburtenstarke Jahrgänge vor uns.
Diese dürfen uns nicht „verderben“, weil wir sie in Zukunft dringend brauchen. Darum steht außer Frage, dass
jedes Unternehmen, das kann, auszubilden hat. Wenn
fast 70 Prozent der Unternehmen überhaupt nicht mehr
ausbilden, dann stimmt etwas nicht. Deshalb muss man
handeln.
({13})
Herr Hundt hat sich gestern Abend dazu bekannt. Wir
müssen gelegentlich den Knüppel zeigen, weil sonst
nichts in Bewegung kommt. Die Unternehmen müssen
wirklich wissen: Wir meinen es ernst. Keiner von uns hat
Spaß daran, eine Umlagefinanzierung - oder was auch
immer - einzuführen. Wolfgang Clement hat Recht,
wenn er die Unternehmen auffordert: Zahlt jetzt in einen
solchen Fonds oder bei euren Kammern ein; es darf kein
Bub und kein Mädchen ohne Stellenangebot bleiben.
Wir tun als Bund mit dem Programm für die Jugendlichen unglaublich viel. Die Kultusminister bescheren
uns jedes Jahr 10 bis 15 Prozent nicht ausbildungsfähige
Jugendliche. Eigentlich müssten die Kultusminister
Hans Eichel Geld erstatten, weil Jugendliche die Hauptschulen ohne Berufsreife verlassen. Das ist doch die
wahre Situation, und zwar in allen Ländern. Da übernimmt der Bund ohnehin sehr viele Aufgaben.
Meine Damen und Herren, wir haben eine zweite
Aufgabe: der Rationalisierung eine neue Richtung zu
geben. Wir erleben es zurzeit, dass die Automobilindustrie, aber auch die Maschinenbauindustrie mit ihren
Preisvorgaben die Zulieferer geradezu zwingen, ferne
Standorte aufzusuchen. Wir erwarten von den Profis der
Nation, dass andere Effizienzpfade begangen werden sei es nun der Energiepfad, die Materialwirtschaft oder
Ähnliches. Man kann auch in andere Richtungen gehen
und muss nicht alles auf den Faktor Arbeit abladen. Wir
verringern die Lohnnebenkosten. Wir erwarten im Gegenzug von der Wirtschaft, dass neue Pfade der Effizienzrevolution gegangen werden und dass wir das miteinander anpacken.
Dazu gehört auch die Energiepolitik. Wir sind für
Versorgungssicherheit. Zustände wie in Amerika wird es
bei uns nicht geben. Hauptfaktoren sind die Umweltverträglichkeit, die Wirtschaftlichkeit und die Innovationsfähigkeit. Die Steigerung der Effizienz steht dabei im
Mittelpunkt. Dazu, dass es zwischen Wolfgang Clement
und Hermann Scheer gelegentlich Diskussionen gibt,
sage ich: Ja, mein Gott! Hermann Scheer ist der Stellvertreter der Sonne auf Erden, er denkt in Äonen und Jahrmillionen.
({14})
Wolfgang Clement sichert in den nächsten zehn Jahren
die wirtschaftliche Entwicklung. Die Strecke von Jahrmillionen besteht aus einer beinahe unendlichen Aneinanderreihung von Zehnjahreszeiträumen. Wir sind hier
auf einem guten Weg.
({15})
Ich schaue mir die Situation bei der CDU/CSU an.
Dass Herr Merz Frau Merkel gestern die erste Auseinandersetzung mit dem Bundeskanzler abgenommen hat,
damit sie hinterher über Kirschkuchen reden konnte,
zeigt mir, wie es bei Ihnen aussieht. Bei Ihnen ist das
Glück des einen die Hölle des anderen. Wir sind demgegenüber miteinander auf die Zukunft ausgerichtet. Das
ist das Entscheidende, was wir hier zu tun haben.
({16})
Wir als Sozialdemokraten wagen die Veränderung.
({17})
Es wäre gelogen, zu sagen, dass uns das leicht fällt.
Zu Ihrem Herrn Laumann sage ich: Wie immer darf
einer von Ihnen den Sozialausschüssler, den Rächer der
Enterbten, mimen, während die anderen Drahtzieher die
Schweinereien machen und das Tarifvertragssystem brechen dürfen.
({18})
Herr Laumann tut mir Leid. Er muss hier immer scheinheilig sein und eine Wand, einen Paravent, vor Ihren
Hintergedanken aufbauen. Er ist ein armer und netter
Kerl. Deshalb sollte er sich für so etwas nicht zur Verfügung stellen.
({19})
Wir orientieren die Menschen um. Sie müssen ein
Bewusstsein für die veränderte Lage der Weltwirtschaft,
die veränderten Wachstumserwartungen und die Probleme, die mit dem demographischen Wandel verbunden
sind, entwickeln. Dass uns das vor allem dann, wenn Sie
sagen, dass die Welt gleich untergeht, nicht immer Zustimmung bringt, ist klar. Wir stellen uns aber dieser
Aufgabe, und zwar ausgewogen. Dafür bekommen wir
keine Vorschusslorbeeren.
Ich sage unseren Freunden von den Gewerkschaften:
Wer uns wegen Kleinigkeiten kritisiert, der sollte bitte
im Auge behalten, was Sie vorhaben, nämlich die Zerstörung der Tarifautonomie. Das wäre eine konservative
Revolution in diesem Lande,
({20})
die rückwärts gerichtet wäre. Das werden auch unsere
Freunde in den Gewerkschaften begreifen.
({21})
Wir gehen also auch durch tiefe Täler,
({22})
aber wir nehmen unsere Verantwortung dabei wahr.
Wir gehen an vielen Menschen mit fragenden Blicken
vorbei, aber wir stehen fest zu unserer Zielsetzung eines
nachhaltig wachsenden Wohlstandes im Frieden mit der
Natur. Es muss zu einer Kultur der Selbstständigkeit
kommen, in der jeder, der für sich und andere einen Arbeitsplatz schafft, unsere Unterstützung und Förderung
erhält. Die Solidarität der Generationen bei Rente und
Pflege ist wichtig. Es darf nicht dazu kommen, was der
JU-Vorsitzende gefordert hat, nämlich: Krücke ab 75.
Das, was jemand medizinisch braucht, muss er unabhängig von Alter und Einkommen auch erhalten. Das ist unser Weg der Erneuerung.
Franz Müntefering hat die Themen „Sicherheit im
Wandel“ und „Sicherheit durch Wandel“ vor Jahren hier
zur Diskussion gestellt. Genau das ist unser Programm.
Es geht um Sicherheit durch Wandel und Wohlstand auf
hohem Niveau. Jammern auf einem erbärmlichen Niveau, wie es die Opposition tut, hilft nicht weiter.
Vielen Dank.
({23})
Ich erteile Kollegen Kurt Rossmanith, CDU/CSUFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Dies war an sich eine typische Rede
der heutigen Sozialdemokratie nach dem Motto: Haltet
den Dieb! Beschimpfungen und Angriffe, aber inhaltlich
schlicht und einfach nichts.
({0})
Das, lieber Herr Kollege Stiegler, haben wir von Ihnen und übrigens auch vom Bundesminister für Wirtschaft, zu dem ich gleich noch kommen werde, erwartet;
denn Sie haben schon mit Ihrem Einstieg völlig falsch
gelegen: Die Zukunft gehört nicht dem Hoffenden, sondern sie gehört dem Handelnden. Handeln - das verlangen wir von der Regierung. Das hätte sie seit fünf Jahren
machen müssen, aber sie hat es bis heute sträflich vernachlässigt.
({1})
Sie haben sich im Endeffekt genauso wie der Bundeskanzler verhalten, der nur in Phrasen spricht und nie
konkret wird. Er erklärt Themen zur Chefsache, von
denen hinterher - das sieht man - überhaupt nichts übrig
bleibt. Von ihm kommen immer nur Phrasen und Überschriften.
({2})
Ich gestehe: Würden wir uns in der Tat mit dem beschäftigen, was auf der Tagesordnung steht, nämlich der
Haushalt 2004, dann wäre das eine völlige Zeitverschwendung. Der Kollege Schöler könnte sich ansonsten
anderen wichtigen Aufgaben widmen. Deshalb hat Herr
Bundesminister Clement über den Haushalt gar nichts
gesagt.
Sein Ministerium hat zu diesem Haushalt Folgendes
erklärt - ich zitiere -:
Der vom Bundeskabinett im Juli beschlossene Regierungsentwurf zum Haushalt 2004 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit bedarf im
parlamentarischen Verfahren in wesentlichen Punkten einer Überprüfung und Überarbeitung.
Das sagt alles. Wenn wir hier permanent angegriffen
werden, dann müssen wir einfach sagen, dass dieser
Haushaltsentwurf von Haus aus in den Papierkorb gehört
hätte. Schon bei der Erarbeitung dieses Haushaltes wurden überhaupt keinerlei Fakten berücksichtigt. Selbst der
Begriff „geschönt“ ist hier noch weit untertrieben.
({3})
Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kröning, SPD-Fraktion?
Aber selbstverständlich.
Herr Kollege Rossmanith, ich nehme an, dass Sie an
der Debatte von Anfang an teilgenommen haben und
dass Sie auch in den letzten Tagen in Ihrem Büro waren.
Erstens. Können Sie bitte einmal bestätigen, dass der
Bundeswirtschaftsminister vorhin davon gesprochen hat,
dass die Arbeitsmarktreformen Hartz III und IV, die
von der Bundesregierung am 13. August eingeleitet worden sind und in den Haushaltsentwurf vom 2. Juli noch
nicht eingearbeitet werden konnten, auf Vorschlag seines
Ministeriums, abgestimmt mit dem Bundesministerium
der Finanzen, eingearbeitet werden müssen? Das hat er
angekündigt.
Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass zwischen unseren
Büros für den 30. Oktober bereits ein zweiter Berichterstattertermin zu diesem Thema einvernehmlich verabredet worden ist? Was Sie hier machen, ist Volksverdummung.
Lieber Kollege Kröning,
({0})
den letzten Begriff weise ich mit Abscheu und Empörung zurück.
({1})
Ansonsten bestätige ich Ihnen sehr gern - das ist
selbstverständlich -, dass ich in den letzten Tagen nicht
nur hier im Büro, sondern sogar hier im Plenum war, wie
es sich für einen Haushälter gehört.
({2})
- Herr Kollege Kröning, ich bin mit meiner Antwort
noch nicht fertig, bitte bleiben Sie stehen. Ansonsten
geht es mir wie dem Kollegen Stiegler, dem Redezeit gestrichen wurde, die aber der Beantwortung der Frage
diente.
({3})
Selbstverständlich war ich heute bei dieser Debatte
von Anbeginn anwesend und habe dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr interessiert zugehört. Deshalb
werde ich auf einiges aus seiner Rede eingehen. Faktum
ist aber, dass bestimmte Änderungen - ich meine nicht
die Reformen zu Hartz III und IV; darin sind wir uns
einig - in den Entwurf schon hätten eingearbeitet oder
zumindest genannt werden können. Es ist überhaupt einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Haushalt beraten wird, in dem Gesetzentwürfe teilweise berücksichtigt werden, die noch nicht
einmal in erster Lesung im Parlament behandelt worden
sind. Diese Gesetzentwürfe bringen Sie erst heute in die
Beratungen ein und sie müssen jetzt schon wieder korrigiert werden.
({4})
- Ich bin noch nicht fertig, Volker Kröning.
({5})
Ein wesentlicher Punkt ist das angebliche Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Kein einziges wirtschaftswissenschaftliches Institut hat auch nur annähernd eine solche Zahl genannt.
({6})
- Das gehört alles noch zu der Frage, die Sie gestellt haben. - Selbst die Kollegin Scheel - meines Wissens sind
die Grünen mit Ihnen in einer Koalition - hat gesagt,
dass diese Zahl niemals erreicht werde und ein Wirtschaftswachstum in dieser Höhe illusorisch sei.
({7})
Jetzt bin ich fertig mit der Beantwortung Ihrer Frage. Ich
bin ja anständig und will nicht Redezeit schinden.
Ich möchte ein Wort zur Kollegin Dückert sagen. Ich
bin geradezu dankbar, dass die Grünen in der Zwischenzeit einen Begriff kennen und nennen, bei dem sie früher
eine pawlowsche Reaktion der übelsten Art gezeigt haKurt J. Rossmanith
ben, nämlich Wirtschaftswachstum. Das war früher für
Sie immer das Übelste, was es überhaupt gibt. In der
Zwischenzeit sagen Sie selbst, dass wir Wirtschaftswachstum brauchen, um die äußerst schwierige Situation
in der Bundesrepublik Deutschland bewältigen zu können.
Wir brauchen keine Worte und Luftblasen, sondern
konkretes Handeln. Sie verweisen auf die Steuerschätzung. Auch der Bundesminister der Finanzen hat das
diese Woche wieder getan und gesagt, dass die Steuerschätzung im November abgewartet werden müsse, um
dann neue Überlegungen anzustellen. Im November
wollen wir den Hauhalt 2004 in zweiter und dritter Lesung bereits beschlossen haben. Der Bundesrat will dann
auch darüber beschließen. Sie kennen doch schon jetzt
die Zahlen. Sie stehen doch nicht wie das Kaninchen vor
der Schlange und wissen nicht, was die Steuerschätzung
im November ergeben wird.
Im vergangenen Jahr war es genauso. Wir konnten
den Bundeshaushalt 2003 wegen der Bundestagswahl
erst in diesem Jahr beschließen. Dennoch haben Sie im
Frühjahr gesagt, wir müssten erst die Steuerschätzung
im Mai abwarten.
Wir haben in diesem Land - Gott sei es geklagt - die
niedrigste Investitionsquote, die es seit Bestehen der
Bundesrepublik Deutschland gab.
({8})
Herr Stiegler sagt noch, dass wir den Leuten Hoffnung
geben sollen.
({9})
Hoffnungslos war die Sozialdemokratie, weil sie jeden
Kredit verspielt hat. Sie konnte noch nie Hoffnung geben, aber die Leute haben das zu spät bemerkt und haben
sich im vergangenen Jahr noch einmal blenden lassen.
Es waren zwar nur etwas mehr als 7 000, die sich mehr
als die anderen haben blenden lassen, aber dennoch.
({10})
Lieber Kollege Stiegler, ich sehe noch heute die Vorstellung des Hartz-Konzeptes kurz vor der Bundestagswahl bildlich vor mir, die wie eine kultische Weihehandlung im Französischen Dom am Gendarmenmarkt
zelebriert wurde.
({11})
Schröder sagte: Das Hartz-Konzept wird eins zu eins
umgesetzt. Ich werde das machen. Basta! - Was ist daraus geworden? Gar nichts.
({12})
Lieber Herr Bundesminister Clement, ich schätze Sie
persönlich sehr, muss Ihnen aber sagen, dass mit den
Hartz-Reformen und den Ich-AGs die Schwarzarbeit
mehr oder weniger legalisiert wurde. Die Ich-AGs werden doch von denjenigen gegründet, die jetzt auf legalem Wege aus der Schattenwirtschaft heraus wieder in
den ersten Arbeitsmarkt integriert werden und in diesem
ersten Wirtschaftssegment arbeiten dürfen.
({13})
Das ist doch der Witz daran. Aber es ist leider Gottes so.
({14})
Deshalb ist es auch richtig, dass Sie nicht nur Steuern
senken, sondern auch Subventionen zurückfahren wollen. Aber auch dabei ist nicht zu erkennen, dass Sie diese
Absicht umsetzen. Denn die Sparbemühungen dieser
Bundesregierung ergeben ein völlig anderes Bild. In der
gestrigen Ausgabe der „Financial Times Deutschland“
ist mit Recht festgestellt worden:
Das Einzige, woran diese Bundesregierung spart,
ist die Wahrheit.
Dem kann man nur zustimmen. Genau dies ist Fakt.
Ich frage mich, wie Sie die 5 Millionen Arbeitslosen
in den Griff bekommen wollen.
({15})
- Mit Geschrei und Ihren Sprechblasen, Herr Stiegler,
wird das sicherlich nicht gelingen.
({16})
Wir brauchen vielmehr eine Rückführung der Reglementierungen. Sie haben uns das doch in den vergangenen fünf Jahren eingebrockt. Das sind die Fesseln - wie
der Kollege Brüderle mit Recht festgestellt hat -, die Sie
der Wirtschaft angelegt haben. Sie werden es mit Ihren
Maßnahmen nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit abzubauen - im Gegenteil. Der ehemalige stellvertretende
Vorsitzende Ihrer Fraktion, Ottmar Schreiner, wurde in
der gestrigen Ausgabe der „Welt“ wie folgt zitiert:
Wenn wir im Winter 5 Millionen Arbeitslose haben,
fängt die Richtungsdebatte von vorn an.
Das heißt, er rechnet schon mit 5 Millionen Arbeitslosen.
({17})
Vonseiten anderer Kollegen aus Ihrer Fraktion ist
- ich zitiere wieder aus der „Welt“ - von einem „extrem
autoritären Selbstverständnis des Kanzlers“,
({18})
von „mangelnder strategischer Weitsicht“ und „fehlendem Respekt vor dem Parlament“ die Rede. Der Kanzler
gebe „seiner Fraktion keine Orientierung“. Das sind
Aussagen von Sozialdemokraten.
({19})
Wir brauchen zwar in der Tat eine Erneuerung, aber
nicht in der Form, wie Sie sie zu Papier bringen, die sich
aber im Endeffekt wieder nur an dem Alten orientiert.
Von einer wirklichen Erneuerung ist in diesem Haushalt
nichts zu finden.
({20})
Ich will kurz auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu
sprechen kommen. Für die neuen Bundesländer wird sie
massiv zurückgeführt, für die alten Bundesländer völlig
gestrichen. Aber die Förderung kann sich doch nicht
nach den Grenzen der Bundesländer richten. Sie muss
sich vielmehr an strukturschwachen Gebieten orientieren, denen geholfen werden muss. Diesen Ansatz müssen wir verfolgen.
({21})
Ich möchte auch noch etwas zu den Werften sagen.
Herr Bundesminister Clement, Sie fahren heute nach
Mexiko zur WTO. Vielleicht können Sie bei dieser Gelegenheit das Thema vorbringen. Wir können doch nicht
einfach hinnehmen, dass bei HDW 800 und bei der
Meyer Werft 750 Arbeitsplätze mir nichts, dir nichts abgebaut werden. Wir liegen nach wie vor in Fesseln, weil
sich andere Staaten, in denen es auch eine Werftindustrie
gibt - zum Beispiel Korea -, nicht nach dem richten,
was international vereinbart wurde.
({22})
In dieser Konkurrenzsituation muss doch für Gleichheit
gesorgt werden. Wir verfügen auch auf diesem Gebiet
über Spitzentechnologie und müssen uns vor niemandem
verstecken.
({23})
Das Gleiche gilt für die Luftfahrtforschung. Ich
möchte positiv hervorheben, dass es das Luftfahrtforschungsprogramm III gibt, wenn auch mit zurückgeführten Daten. Aber angesichts der derzeitigen Situation will
ich mich dazu nicht negativ äußern. Ich will aber den Grünen Folgendes ins Stammbuch schreiben: Die Luftfahrtforschung ist notwendig. Die Menschen haben nun einmal
eine hohe Mobilität, die sie auch beibehalten wollen. Die
Luftfahrtforschungsprogramme verfolgen aber nicht das
Ziel, die Umwelt zu zerstören; vielmehr ist das Gegenteil
der Fall: Mit diesen Programmen werden Maßstäbe im
Verbrauch gesetzt, der dadurch zurückgeführt werden
kann. Außerdem kommen sie der Lärmminderung zugute.
Sie sollten sich nicht ständig dagegen wehren.
Zum Steinkohlebergbau möchte ich noch Folgendes
sagen: 2,2 Milliarden Euro, die nach wie vor in eine
mehr oder weniger auslaufende Industrie gepumpt werden, sind eine ganze Menge. Darüber müssen wir noch
einmal diskutieren; denn angeblich sollen 800 Millionen
Euro - wohlgemerkt Euro, nicht italienische Lire - mangels Bedarf gar nicht ausgegeben werden können.
Lieber Herr Kollege, ich muss versuchen, Sie zu stoppen, weil Sie schon zwei Minuten über der Zeit sind.
Frau Präsidentin! Ich bin am Ende
({0})
meiner Ausführungen. - Ich sehe an der großen Freude
der Sozialdemokraten,
({1})
dass das, was ich gesagt habe, sie sehr getroffen hat. Das
wollte ich erreichen. Ich hoffe aber auch, dass ich Sie
mit meiner Rede zum Umdenken gebracht habe.
({2})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anja Hajduk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Wirtschaftsminister hat am Anfang der Debatte gesagt
- er musste jetzt leider gehen -, dass wir im Wesentlichen
über die Herausforderungen im Bereich der Wirtschaft
und des Arbeitsmarktes einig seien. Ich glaube, das kann
man bestätigen. Ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges
gehört. Wir müssen die Beschäftigung fördern, um
Wachstum zu ermöglichen. Das ist wahrscheinlich die
richtige Reihenfolge. Hierbei ist ein Hauptprojekt die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Wenn ich Herrn Laumann richtig verstanden habe, dann
scheint eine Einigung möglich zu sein. Der Minister hat
die sehr mutige Aussage gemacht, dass es deswegen
nicht zu einer immensen Personalaufstockung bei der
Bundesanstalt für Arbeit kommen dürfe.
In Richtung Opposition möchte ich Folgendes sagen:
Wenn man zustimmt, dass die Herausforderungen von
uns allen richtig erkannt worden sind, dann macht es keinen Sinn - das betone ich besonders im Hinblick auf die
Reden von Herrn Laumann und Herrn Brüderle -, in erster Linie Schuldzuweisungen vorzunehmen und Vorwürfe zu machen nach dem Motto: Hätten Sie das anders
gemacht, dann wäre vieles besser geworden. Außerdem
sei das Wachstum viel geringer als unsere Prognosen.
Der Vorwurf, dass wir keine optimalen Ergebnisse mit
unserer Politik erzielt hätten, ist durchaus berechtigt.
Aber die Menschen haben die Nase voll von einer billigen Schuldzuweisungspolitik. Im Klartext: Das geht den
Menschen auf den Wecker, und zwar zu Recht.
({0})
Gefragt sind stattdessen Lösungsalternativen.
({1})
Ich war regelrecht geschockt, dass Herr Laumann, als
er über Reformen gesprochen hat - Herr Brüderle hat
seine Aussagen ganz aufgeregt bestätigt -, als Erstes die
Liberalisierung des Handwerks in einen unvereinbaren
Gegensatz zu der - zugegeben - großen Leistung des
Handwerks in der Ausbildung gebracht hat.
({2})
Es hat mich richtig erschüttert, dass Sie unsere Politik
zur Liberalisierung des Handwerks nicht positiv begleiten können.
({3})
Sie, meine Damen und Herren von der FDP, reden in
diesem Zusammenhang sogar von Zerschlagung und
verweigern sich. Ich frage mich, wo die Freiheitsliebe
der FDP geblieben ist.
({4})
- Sie sollten nicht vom Thema ablenken. - Der Auftritt,
den Sie sich hier geleistet haben, war für einen Liberalen
peinlich.
({5})
Ich möchte nun auf ein Thema zu sprechen kommen,
das die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Angela Merkel,
gestern zu Recht angesprochen hat, nämlich die Herausforderung an die Politik, in Krisenzeiten eine klare Linie
zu beschreiben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Ich möchte diesen Gedankengang gerne zu Ende führen. Dann erlaube ich gerne eine Zwischenfrage.
Ich war gestern zusammen mit Herrn Schauerte auf
einer Veranstaltung, auf der es um Ordnungspolitik
ging. Dort sind die Opposition und die Regierung kritisiert worden, auch zu Recht; denn auch wir machen
nicht alles richtig. Wir müssen eine klare Linie verfolgen. Wenn wir eine stärkere Liberalisierung wollen - dafür braucht man Mut; Frau Merkel hat gestern von „fair
ändern“ gesprochen -, dann können wir der Bevölkerung doch nicht im Ernst vorschlagen: Ihr müsst einen
Mentalitätswandel durchmachen, aber einige Gruppen
nehmen wir davon aus.
({0})
Das ist nicht akzeptabel und ich verstehe es auch nicht.
Die große Schwäche der Opposition besteht darin, dass
Sie mit Blick auf das Handwerk und das Gesundheitswesen - das ist ein wachsender Markt und Sie haben Angst
vor dem Wettbewerb der Anbieter - Lobbyisten schützen. Damit werden Sie scheitern, damit werden Sie keinen klaren Zukunftsentwurf entwickeln können. Das
muss man in dieser Debatte deutlich feststellen.
({1})
Frau Kollegin Hajduk, Sie haben vom Zerschlagen
des Handwerks gesprochen. Ich möchte den Vorwurf erheben, dass das der Fall sein wird, wenn wir so vorgehen, wie die Koalition es vorlegt. Wir haben nichts dagegen,
({0})
dass ein modernes, dynamisches, flexibles
({1})
und europataugliches Handwerk in Zukunft maßgeblich
sein soll.
({2})
- Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.
Ich bitte Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen:
({3})
Wir sind dagegen, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der Meisterbrief über Bord geworfen wird.
({4})
Das erwartet das Handwerk auch von uns.
Ich möchte daran erinnern,
({5})
was Herr Minister Clement - er ist jetzt nach Cancun abgeflogen und ich habe es ihm eben noch gesagt - als
Festredner beim Deutschen Handwerkstag am 29. November 2002, also vor wenigen Monaten, gesagt hat:
({6})
Ich gehöre zu den Anhängern des Großen Befähigungsnachweises.
({7})
Ich gehöre zu denen, die die Handwerksordnung,
die das Handwerk mit seinem Kammerwesen, mit
seinem Innungswesen für unverzichtbar halten.
({8})
Er sagt weiter:
Es wird durch diese Bundesregierung, jedenfalls
durch mich, keine Maßnahmen geben, die gewissermaßen von oben herab Veränderungen im Handwerk erzwingen wollen.
({9})
Das, was wir tun, was wir tun können, im Verhältnis zum Handwerk,
({10})
was die Rechtsordnung angeht, die Handwerksordnung angeht, das wird nur so gestaltet werden, dass
Sie
- gemeint ist das Handwerk mitgehen. Wir werden das mit Ihnen tun -
Jetzt übersteigt das Maß des Vorlesens aber den Umfang einer Frage.
({0})
Ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen;
({0})
denn die Grünen sind der Koalitionspartner der SPD.
Deshalb richte ich meine Frage an Sie:
({1})
Wenn Clement solche Versprechungen macht, meinen
Sie dann nicht, dass Sie sie der Glaubwürdigkeit wegen
auch halten müssen, oder meinen Sie, man kann so vorgehen, wie Sie es jetzt beabsichtigen?
({2})
Herr Hinsken, ich bin dankbar, dass Sie diesen Punkt
angesprochen haben, weil ich glaube, dass gerade Sie
- aber auch wir - wegen Ihrer Eingebundenheit im
Handwerk eine besondere Verantwortung tragen.
({0})
- Auch Kompetenz.
Wir können auch über die eine oder andere grundsätzliche Sache unterschiedlicher Meinung sein, aber dass
der Kollege Brüderle und andere davon reden, es ginge
uns um die Zerschlagung des Handwerks,
({1})
ist ausgemachter Quatsch.
({2})
Ich habe mit der Handwerkskammer in Hamburg gesprochen. Dort wurde deutlich gesagt: Wir wissen, auch
wir müssen uns bewegen, aber bitte nehmen Sie uns dabei mit. Vielleicht gehen wir in der Politik manchmal
stärker voran, als die Kammer das für ihren eigenen Bereich wünscht. Vertreter wie Sie, die in diesem Hause sitzen, haben die besondere Verantwortung, das Vorangehen zu fördern.
({3})
Wenn wir in einer ganz bestimmten Weise dem Anspruch gerecht werden wollen - ich habe auf Frau
Merkel verwiesen -, wenn wir den Leuten etwas zumuten und dabei faire Änderungen in Gang setzen wollen,
können wir nicht bei dem kleinsten gemeinsamen Nenner anfangen und nur Füßchen vor Füßchen setzen.
Wenn Sie in diesem Hause sitzen, haben Sie nicht nur
die Verantwortung nicht nur für das Handwerk, sondern
für die gesamte Gesellschaft.
Deswegen sage ich: Wir wollen den Meisterbrief
nicht abschaffen und wir schaffen ihn auch nicht ab.
({4})
Wir wissen, dass wir eine hohe Qualität im Handwerk
und eine beispielhafte Ausbildung dort haben.
({5})
Wir wissen aber auch, dass im Handwerk nicht alles so
bleiben kann, wie es ist.
({6})
Das muss man hier deutlich sagen dürfen.
Wir müssen über Schritte der Veränderung reden und
das ist auch für die Zukunft des Handwerks mit Blick
auf den gesamten europäischen Markt notwendig. Wir
dürfen nicht immer nur den Blick zurückwerfen. Das
wissen Sie doch auch, Herr Hinsken. Also machen Sie
mit. Haben Sie ein bisschen mehr Mut. Von mir aus können wir in einigen Details ein wenig auseinander bleiben. Aber wir brauchen keine Polemik.
({7})
Ich möchte mit einem Punkt schließen, der hiermit im
Zusammenhang steht: Wenn wir den Wettbewerb und
die Änderungsbereitschaft predigen, dann müssen wir
aufpassen, dass uns beim Subventionsabbau nicht der
Mut verlässt. Sie wissen, dass wir es gerade bei diesem
Haushalt - auch beim Haushalt für Wirtschaft und Arbeit, aber nicht nur dabei - mit Subventionen zu tun haben. Das ist ein sensibles Thema, weil es mit Arbeitsplätzen zusammenhängt. Wenn wir auf den Wettbewerb
setzen, dann müssen wir wissen: Subventionsabbau ist
nicht nur ein fiskalisches Problem - das ist es wegen des
großen Ausmaßes und der hohen Summen mit Sicherheit
auch -, sondern auch ein ökonomisches Problem.
Deswegen wünsche ich mir, dass wir mit der Innovationsbremse - Subventionen sind eine Innovationsbremse - wirklich mutiger umgehen und mehr Entschlossenheit beim Subventionsabbau zeigen. Das ist für
die Modernisierung unserer Wirtschaft mit Blick auf Innovationen notwendig, um mehr Beschäftigung zu erreichen; denn von alleine wird sie nicht kommen. Wir brauchen dafür sehr viele Veränderungen. Wir brauchen
mehr Beschäftigung für die Förderung eines qualifizierten und guten Wachstums; Sie haben darauf hingewiesen. Da drücken wir Grünen nicht auf die Bremse. Wir
akzeptieren, dass Wachstum in einem sinnvollen Ausmaß geschaffen werden muss.
Danke.
({8})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Monat für Monat können wir Arbeitslosenzahlen in den Medien verfolgen, die in aller Regel um mehrere Hunderttausend höher liegen als im Vorjahresmonat.
Wir debattieren hier den Haushalt für Wirtschaft und Arbeit zusammen mit anderen Gesetzen. Dieser Haushalt
ist genau wie im letzten Jahr ein Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubvention.
In diesem Haushalt sind keine Innovationen, aber
enorme Haushaltsrisiken - sie werden uns im Laufe des
Jahres noch begegnen - zu finden. Wir haben das schon
beim letzten Haushalt für dieses Jahr erkannt, in den
kein Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit
eingestellt wurde. Dieses Mal haben Sie wenigstens
5,2 Milliarden Euro als Zuschuss eingestellt; aber Ende
Juni dieses Jahres betrug das Defizit schon 5,6 Milliarden Euro. Das heißt, es ist absehbar, dass dieser Haushalt
bei einer schlechteren Arbeitsmarktentwicklung, von der
im Moment alle ausgehen müssen, schlichtweg Makulatur sein wird. Sie sollten ihn überarbeiten, und zwar
nicht erst, wenn Hartz III und IV beschlossen sind, sondern sofort.
({0})
Wir debattieren unter anderem Hartz III und IV. Ich
habe einmal das Sitzungsprotokoll der 243. Sitzung vom
14. Juni 2002 mitgebracht. Ich drohe ausdrücklich an,
daraus zu zitieren, wenn Sie mich dazu zwingen sollten;
denn damals haben Sie unseren Antrag auf Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abgelehnt.
({1})
Ich kann hier vorlesen, wie Sie uns dafür beschimpft haben. Ich freue mich, dass das Bundeswirtschaftsministerium jetzt weiß, dass es sinnvoll ist, diese beiden steuerfinanzierten Leistungen zusammenzulegen.
Wir bieten unsere Zusammenarbeit, auch im Bundesrat - dort sind wir stärker geworden -, an, um zu einem
vernünftigen Konzept zu kommen. Ihr momentaner Vorschlag sieht allerdings die Schaffung eines Bundessozialamts vor. Wir alle wissen, dass die Bundesanstalt
für Arbeit dieses umfassende Dienstleistungsangebot
- das ist kein Vorwurf; sie hat schlichtweg keine Kompetenz dafür - nicht erbringen kann.
Deswegen brauchen wir eine Kommunalisierung des
Sozialgeldes, das sich aus der Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Leistungen ergibt, auch weil die
Kommunen - sie leisten im Bereich der Integration besonders Hilfsbedürftiger hervorragende Arbeit - nach
Ihrem Modell sonst schlichtweg nicht mehr für die Arbeitsfähigen zuständig sind. Sie sagen: Die Träger sollten möglichst miteinander kooperieren. Ich frage mich:
Welchen Anreiz haben die Kommunen? Wenn sie nicht
mehr zuständig sind, dann besteht für sie nicht mehr die
Notwendigkeit, ihre Tätigkeiten aufrechtzuerhalten.
Nach den Erkenntnissen, die man bei „MoZArT“ gesammelt hat, glauben Sie doch nicht allen Ernstes, dass die
Kommunen dies tatsächlich im Auftrag der Bundesanstalt tun werden.
Die Bundesanstalt mit ihrem neuen Vorstandsvorsitzenden, Herrn Gerster, hat Strukturreformen angekündigt. Die einzige strukturelle Veränderung, die wir erkennen können, wurde bei der Gehaltsstruktur der
Führungsmannschaft vorgenommen. Die Bundesanstalt
ist in ihrer jetzigen Form schlichtweg nicht reformfähig.
Daher sollten Sie sie nicht auch noch mit dieser zusätzlichen Arbeit belasten. Kehren Sie um! Gehen Sie einen
vernünftigen Weg! Stärken Sie die Kompetenzen der
Kommunen, der Landkreise und der Städte! Dann brauche ich zur nächsten Sitzung, zur zweiten und dritten Lesung, das Protokoll vielleicht nicht mitzunehmen, um Ihnen nachzuweisen, wie kläglich Sie in der letzten
Legislaturperiode versagt haben.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim
Fuchtel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns eigentlich noch in der Haushaltsdebatte. Deswegen möchte ich zunächst ganz konkret etwas zu diesem Haushalt sagen.
Es steht für jeden Fachmann außer Frage, dass in dem
Haushalt, den der Wirtschafts- und Arbeitsminister vorgelegt hat, eine Zeitbombe tickt - anders kann man das
gar nicht bezeichnen -; denn von diesem Haushalt gehen
Unsicherheiten auf den Gesamthaushalt über. Daher ist
das gesamte Haushaltswerk auch so brüchig und stellt
sich so unkomplett dar.
({0})
Was wir jetzt erleben, haben wir in vielen Jahren noch
nie erlebt.
Mit der Bekanntgabe der nächsten Eckwerte wird sich
zeigen, dass das ganze Gesundbeten, wie es der Wirtschaftsminister hier immer wieder macht, nicht hilft und
dass die Illusion bezüglich der Kostenentwicklung wie
eine Seifenblase zerplatzen wird. Es wird sich zeigen,
dass man damit keine Politik machen kann.
({1})
Heute Morgen hat er wieder gesagt: Wir werden
Deutschland zum Motor machen. Ja, wenn die anderen
noch schwächer werden, dann werden wir vielleicht wieder zum Motor in Europa.
Ich erinnere daran, dass die Regierung Kohl mit einem Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent geendet
hat. Wo sind wir heute? Bei vielleicht 0,75 Prozent.
({2})
Welche Diskrepanz! Die Leute wären froh, wenn wir
solche Wirtschaftsdaten hätten, wie wir sie damals, als
wir die Regierung beendet haben, gehabt haben.
({3})
Meine Damen und Herren, haben Sie vom Minister
auch nur irgendetwas über die galoppierenden Kosten
und über seinen Haushalt insgesamt gehört? Der Mann
erliegt einer Illusion. Er denkt, man könne, wenn es notwendig sei, wieder einen großen Schluck aus der Schuldenpulle nehmen und dann sei alles wieder vergessen.
Aber die nächste Generation muss alle diese Schlücke
bezahlen.
({4})
Aus diesem Grund müssen wir bei der Aufstellung des
Haushalts mehr Seriosität einklagen. Sie ist leider nicht
gegeben.
({5})
Im März hat sich der Wirtschaftsminister an dieser
Stelle darauf versteift, dass er keinen Zuschuss für die
Bundesanstalt für Arbeit braucht. Sein Genosse Gerster
bei der Bundesanstalt für Arbeit ist ihm beigetreten. Er
hat in der Sachverständigenanhörung damals gesagt:
Wenn die Politik es möchte, dass die Bundesanstalt ohne
Zuschuss auskommt, dann wird sie auch ohne Zuschuss
auskommen. - Das war im März. Jetzt, sechs Monate
später, zeigen die nackten Zahlen, dass wir bereits bei einem Defizit von 5,2 Milliarden Euro sind,
({6})
und das Jahr ist noch lange nicht zu Ende. Wir prognostizieren, dass der Bundeszuschuss am Ende des Jahres
11 Milliarden Euro betragen wird. Hier zeichnet sich ein
nicht hinzunehmender Skandal ab.
({7})
Man braucht nicht einmal einen Untersuchungsausschuss zum Thema Lügen. Hier wird jemand auf frischer
Tat ertappt. Hier wird sichtbar, dass man den Grundsatz
der Haushaltswahrheit nicht verletzen darf. Er wird hier
aber permanent verletzt. Das werfen wir der Regierung
ausdrücklich vor. Ihnen, Herr Bundesfinanzminister,
werfen wir vor, dass nicht wenigstens Sie die Stellung
halten.
({8})
Damit verspielt man natürlich auch jeden Vertrauenskredit. Das geht bis hinein in die Berichterstattergespräche und in den Haushaltsausschuss. Mit einer solchen
Haushalts- und Finanzpolitik können Sie nicht damit
rechnen, dass man Ihnen einen Vertrauenskredit gewährt, weder hier im Parlament noch in der Öffentlichkeit. Darum - das ist das Schlimme - gibt es auch keine
Hoffnung in der Wirtschaft. Alle Leute warten ab. Wenn
sich wieder einmal Vertrauen einstellen würde, dann
hätten wir schon ein wichtiges Mosaiksteinchen. Aber
das schaffen Sie mit diesem Bundeshaushalt ganz gewiss
nicht.
({9})
Ich habe bis jetzt nur über den Bundeszuschuss gesprochen. Bei der Arbeitslosenhilfe zeigt sich das gleiche Bild. Auch hierzu werden mit treuem Augenaufschlag Zahlen präsentiert. Tatsächlich werden wir bis
zum Jahresende 4 Milliarden Euro mehr brauchen. Die
Summe, die zur Verfügung steht, ist bereits zu zwei Dritteln ausgeschöpft. Das ist die Wahrheit. Dieser Haushalt
trägt wesentlich dazu bei, dass die Maastricht-Kriterien
verletzt werden.
Weil Sie es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, müssen zweistellige Milliardenbeträge als konsumtive Ausgaben im Bundeshaushalt eingestellt werden. Das ist das eigentlich Schlimme in der
Finanzplanung. Wir brauchen zweistellige Milliardenbeträge im investiven Bereich und nicht so hohe im konsumtiven Bereich. Deshalb wird dies nicht zum Erfolg
führen.
({10})
Eines möchte ich noch ganz kurz anmerken: Die
Fachwelt hat eigentlich erwartet, dass von der Zusammenführung der Ministerien für Arbeit und Wirtschaft
eine Dynamik ausgeht. Wenn man aber fast ein Jahr
braucht, bis dieses Ministerium endlich einmal Gesetze
vorlegt, dann kann man doch wirklich nicht von Dynamik sprechen. Man muss sich schon wundern: Eine Aussage darüber zu treffen, ob man ab 2006 weiter gemeinsam regieren will, schaffen die Damen und Herren an
einem Tag. Bis sie aber endlich einmal in die Gänge
kommen, um in wichtigen Fragen für unser Volk Gesetze vorzulegen, dauert es ein Jahr.
({11})
Meine Damen und Herren, ich möchte als Nächstes
noch etwas zu dem Thema der Zusammenführung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe sagen. Wir sind uns in
dem Ziel einig. Ich behaupte, diese Thematik ist genauso
wichtig wie die Weichenstellungen, die auf Drängen der
Union in den 70er-Jahren im Zusammenhang mit der
neuen sozialen Frage vorgenommen wurden, die im Ergebnis zur Einführung von Erziehungsgeld und sonstigen Leistungen für die Frauen führten. Aber wenn Sie,
meine Damen und Herren von Rot-Grün, dieses Gesetz
zusammen mit der Union beschließen und es bald beschließen wollen, dann müssen Sie auch ein wenig auf
die Vorstellungen eingehen, die die Union hat. Da dürfen
Sie den hessischen Gesetzentwurf nicht so einfach beiseite wischen. Er hat nämlich sehr viele Vorteile. Der
wichtigste ist der ordnungspolitische Vorteil.
Wir haben es ja bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe
mit einer Transfermasse von 28,9 Milliarden Euro zu
tun. Da ist schon die Frage, wer künftig die Verantwortung für dieses viele Geld in die Hände bekommt.
({12})
Da geht es, wenn man es jetzt einmal unter ordnungspolitischem Gesichtspunkt betrachtet, darum, ob wir mehr
kommunale Demokratie oder einen Verbändestaat wollen. Bei einer so wichtigen Angelegenheit wie der Daseinssicherung ist es doch gar keine Frage, dass der
kommunalen Ebene der Vorrang eingeräumt werden
muss, weil sie näher an den Menschen ist und von daher
besser organisieren kann, was notwendig ist.
({13})
Von daher sollten Sie sich darauf einstellen, dass wir darum kämpfen werden, dass der hessische Gesetzentwurf
den Gesamtberatungen zugrunde gelegt wird.
({14})
Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich hier
noch einmal festhalten, was nach fünf Jahren Rot-Grün
auch einmal gesagt werden muss: Die Politik von RotGrün macht arm und arbeitslos. So sieht das Ergebnis Ihrer Politik aus.
({15})
Wir können Ihnen nur dort die Hand reichen, wo es um
Gesetze geht, die aus dieser Misere herausführen, aber
nicht zu solchen, die uns noch tiefer in die Misere führen.
Vielen Dank.
({16})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden über die Hartz-Reformen,
({0})
heute über die Teile III und IV. Weil zu viele Zahlen
allzu schnell verwirren, möchte ich noch einmal daran
erinnern, worum es angeblich geht: Die Arbeitslosenzahl soll binnen zwei bis drei Jahren auf weit unter
3 Millionen gedrückt werden. So lautete zumindest die
Verheißung vor einem Jahr. Die aktuelle Tendenz ist eine
andere. Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich wieder bedrohlich der Fünfmillionenmarke. Ich sage bewusst „wieder“, denn als die CDU/CSU und die FDP regierten, da
war es schon einmal so weit. Die Opposition zur Rechten
verschweigt das gerne. Deshalb erinnert die Opposition
zur Linken gerade auch heute daran.
({1})
Unbestritten sollte hier im Hause sein: Die Massenarbeitslosigkeit betrifft Millionen, trifft die Gesellschaft
und untergräbt alle Solidarsysteme. Deshalb muss alles
versucht werden, was Arbeitslosigkeit mindern könnte.
Das betrifft auch das Hartz-Konzept. Deshalb: Wenn es
gelingt, die Arbeitsämter besser zu organisieren - wir
sind dafür. Wenn es gelingt, die Bürokratie abzubauen nur zu. Wenn es gelingt, freie Stellen schneller zu besetzen - umso besser.
Aber all das sind allenfalls die positiven Nebenwirkungen einer insgesamt negativen Medizin. Hartz ist
kein Allheilmittel und hat auf der politischen Positivliste
nichts verloren.
({2})
Die Hartz-Vorschläge haben zwei Kardinalfehler: Sie
sind nicht alltagstauglich und sie treffen die Falschen.
Das ist auch bei Hartz III und IV so. Konkret: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen zu einem Neuen, dem
Arbeitslosengeld II, vereinigt werden. Das kann sinnvoll sein, wenn damit Bürokratie abgebaut wird. Wesentlicher aber ist, dass den Empfängern von Arbeitslosenhilfe das genommen wird, was ihnen bislang zustand.
Dadurch wird massenhaft Armut geschaffen, ja erzwungen.
Nehmen wir die neuen Bundesländer. Zwei Drittel aller Arbeitslosen im Osten leben inzwischen von Arbeitslosenhilfe. Sie erhalten zurzeit im Schnitt 470 Euro im
Monat, meist plus Kleidergeld und andere Hilfen.
Kommt das Arbeitslosengeld II, bleiben ihnen noch
331 Euro im Monat. Ihnen wird also ein Viertel vom
Fast-Nichts genommen. Das ist die einfache Rechnung,
weshalb übrigens auch die PDS-Arbeitsminister in Berlin
und Mecklenburg-Vorpommern schlicht sagen: So nicht!
({3})
Die Betroffenen wären dreimal gekniffen: Sie sind
arm dran, weil sie arbeitslos sind. Sie sind ärmer dran,
weil sie lange arbeitslos sind. Und sie wären dann noch
ärmer dran, weil Rot-Grün das so will.
Laut Juni-Statistik betrifft dies allein in den neuen
Bundesländern knapp 1 Million Menschen. Ich könnte
aber dieselbe Rechnung auch für Regionen in Franken,
im Saarland oder in Bremerhaven aufmachen. Diese
Rechnung wird dadurch nicht besser, sie bleibt unter
dem Strich unsozial.
Nun haben die Arbeitsminister Ost, übrigens quer
über alle Parteigrenzen hinweg, eine weitere Rechnung
aufgemacht: Sollte das Arbeitslosengeld II kommen wie
von Rot-Grün geplant, bedeutet das für die neuen Bundesländer einen Kaufkraftverlust von 1,6 Milliarden
Euro. Teure Genossinnen und Genossen von der SPD,
dass Ihr soziales Herz erkaltet ist, wusste ich schon.
Aber was ist eigentlich aus Ihrem kühlen Verstand geworden?
({4})
1,6 Milliarden Euro weniger Kaufkraft vernichtet noch
mehr Arbeitsplätze und schafft noch mehr Arbeitslose.
Sie beschleunigen also einen Teufelskreis, anstatt ihn
nun endlich zu durchbrechen. Im normalen Leben nennt
man so etwas Schwachsinn im Quadrat.
Das beginnt bei den einfachen Grundrechenarten.
Nehmen wir einmal eine simple Textaufgabe aus der
5. Klasse. Hier in Berlin kommen auf einen freien Arbeitsplatz über 50 Bewerberinnen und Bewerber. Von
den 50 Bewerbern wird einer erfolgreich vermittelt. Wie
viele Arbeitslose bleiben übrig? Sie brauchen dafür
nicht den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu
bemühen. Nach Adam Riese bleiben 49 übrig, also
98 Prozent. Diesen 49 wird mit Hartz die Zwinge angesetzt. Sie sollen künftig jede Arbeit leisten, egal, wie erniedrigend oder fernab sie auch sei.
Diese Rechnung hören Sie ungern. Stattdessen machen Sie eine andere Rechnung auf. Sie durchforsten die
49 Enttäuschten und finden mit Sicherheit darunter ein
schwarzes Schaf, einen, der den Sozialstaat betrügt oder
ganz legal seine Sozialhilfe unter Palmen verprasst. Ich
wette aber auch: Unter 49 Unternehmen finden sich mindestens neun, die betrügen oder ganz legal keine Steuern
zahlen. Aber das ist wohl ein anderes Thema; es kommt
jedenfalls hier nicht zur Sprache.
({5})
Ich würde mit Ihnen heute lieber über die Steuergeschenke reden, die Sie großen Unternehmen gemacht
haben, und über die Verluste, die Sie den Kommunen
und Ländern mit Ihren so genannten Reformen zumuten.
Aber das hören Sie natürlich auch nicht gern. Also bleiben wir bei Hartz III und IV und rechnen weiter.
50 Menschen bewerben sich auf eine freie Stelle. Einer hat Glück und ein zweiter gilt als Sozialhilfeempfänger und Missbrauchsböser. Es bleiben nach Adam Riese
48 Arbeitsuchende, als 96 Prozent, übrig.
Das bleibt Ihr eigentliches Problem. Sie haben es
nicht gelöst. Sie kommen aus dieser Negativbilanz nicht
heraus.
Deshalb möchte ich Sie zum Schluss an den Fehler
Ihres Antritts von 1998 erinnern: Sie haben damals gesagt, Sie wollten nicht alles anders, aber vieles besser
machen. Besser haben Sie bisher nichts gemacht.
({6})
Sie sollten endlich einmal etwas anders machen als vorher die CDU/CSU und die FDP.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Straubinger.
({0})
Geschätzte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute vom Bundesminister die Einführung zu seinem Haushalt gehört. Mir persönlich hat dabei gefehlt: Er hat keine Bilanz seines ersten Jahres als
Bundeswirtschaftsminister gezogen. Dies ist verständlich. Angesichts von 300 000 Arbeitslosen mehr in unserem Land in dem Jahr, in dem er als Superminister im
Einsatz ist, ist seine Bilanz natürlich beschämend und
vor allen Dingen für die Menschen im Lande frustrierend. Bei ein bisschen Selbstkritik hätte auch dies heute
angesprochen werden müssen. Darüber hinaus wäre es
notwendig gewesen, einmal aufzuzeigen, wie die in
Deutschland grassierende Arbeitslosigkeit bekämpft
werden soll.
({0})
Interessant ist auch - Kollege Stiegler hat darauf hingewiesen -, dass es eine große Spannbreite zwischen
den Ansichten des Bundeswirtschaftsministers über die
Energiepolitik und denen des Kollegen Scheer gibt. Dabei steht nach Aussage des Kollegen Stiegler der Kollege Scheer für In-Sonnenjahren-Rechnungen, während
der Bundeswirtschaftsminister nur für die nächsten zehn
Jahre eine Vorstellung der Energiepolitik entwickelt. Wir
brauchen aber eine dauerhafte Versorgung mit Energie,
und zwar im Rahmen einer nationalen Produktion und
vor allen Dingen auf einer verlässlichen Produktionsbasis. Angesichts dessen, dass 30 Prozent des Stromes aus
Kernenergie erzeugt werden, ist es unannehmbar, dass
SPD und Grüne ständig den Ausstieg aus der Kernenergie propagieren.
({1})
Die Windräder werden diese Energie nicht ersetzen und
keine Versorgungssicherheit in Deutschland schaffen
können.
({2})
Bundesminister Clement hat die verschiedensten Instrumente der Hartz-Kommission dargestellt, auch manche, die bereits beschlossen wurden. Er hat dabei vergessen, zu erwähnen, dass in der ursprünglichen Fassung
des Hartz-Konzeptes stand - dies wurde damals der Öffentlichkeit bzw. den Bürgerinnen und Bürgern so dargestellt -, dass die Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren halbiert bzw. um 2 Millionen abgebaut werden soll.
Im ersten Jahr Ihrer Amtszeit kam es zu einem Plus von
300 000. Angesichts der aktuellen Zahlen ist unsere Befürchtung, dass es im Winter 5 Millionen Arbeitslose
sein werden.
Wir können die Arbeitslosigkeit garantiert nicht mit
noch so vielen Ich-AGs bekämpfen. Wir schränken damit nur den Handlungsspielraum der Handwerker und
Selbstständigen in unserem Land ein. Vor dem Hintergrund der langen Ausbildungsphasen in den Berufen des
Handwerks ist es eine Diffamierung, wenn man sagt,
dass sich in Ich-AGs nur solche Berufe wiederfinden,
die man in drei Monaten erlernen kann. Das ist eine
Falschdarstellung; denn das gibt es nicht. Nur mit einem
fundierten Beruf kann man eine selbstständige Tätigkeit
ausüben. Die erfolgreichsten Selbstständigen in unserem
Land haben eine fundierte Ausbildung und eine lange
Arbeitserfahrung und haben sich dann selbstständig gemacht. Ich glaube, das ist der bessere Weg zu mehr
Selbstständigkeit, als jemanden zuerst in die Arbeitslosigkeit zu verdammen.
({3})
Ich war über die Auslassungen des Kollegen Stiegler
überrascht. Er hat uns dafür verantwortlich gemacht,
dass in unserem Land der Spitzensteuersatz nicht abgesenkt werden kann.
({4})
Herr Kollege Stiegler, ich kann mich noch an Ihre Reden im Bundestagswahlkampf 1998 erinnern.
({5})
Damals haben Sie etwas völlig anderes gesagt. Sie haben
von Steuergeschenken für Großverdiener gesprochen
und diese vehement abgelehnt.
({6})
Vielleicht gilt das nicht für Sie persönlich - das mag
durchaus sein -, aber auf alle Fälle haben Sie damals
eine völlig andere Politik betrieben: 1996 und 1998 haben Sie die Steuerreform von CDU/CSU und FDP unter
Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesfinanzminister
Waigel ständig blockiert. Der Inhalt dieser Reform war
doch, die steuerlichen Belastungen der Bürgerinnen und
Bürger in vielen Teilbereichen abzubauen.
({7})
Verehrte Damen und Herren, uns wird auch immer
unterstellt, wir würden alles madig machen.
({8})
- Nein, wir machen nichts madig.
({9})
Wir halten uns nur an die Gegebenheiten.
Die Bundesregierung und auch die sie tragenden
Fraktionen verkünden jedes Jahr einen großartigen Wirtschaftsaufschwung für das jeweils folgende Jahr. Das
wurde heute schon vom Kollegen Laumann dargestellt.
Heute gibt es eine Tickermeldung von der Kollegin
Christa Randzio-Plath, SPD, in der sie zitiert wird, die
für 2004 prognostizierten 2 Prozent Wachstum seien
nicht zu erreichen. Sie können doch nicht die Opposition
beschimpfen, wenn schon Ihre eigenen Leute nicht mehr
an die Prognosen der Wirtschaftsentwicklung in unserem Land glauben.
Entscheidend ist aber auch, im Haushalt des Bundesministeriums Impulse zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und zur Sicherung von bestehenden Arbeitsplätzen zu geben. Das Bundesministerium hat im März
dieses Jahres einen Bericht bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe West „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ veröffentlicht. Darin steht, dass
mit Unterstützung des Bundes in Höhe von rund
310 Millionen Euro in den vergangenen drei Jahren Investitionen im Umfang von 5,4 Milliarden Euro angestoßen wurden. Mit diesen 5,4 Milliarden Euro wurden
nach Aussage der Bundesregierung fast 50 000 Arbeitsplätze gesichert und 26 600 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung nun trotz der von ihr selbst dargestellten guten
Erfolge dieses Instrumentes aus der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ aussteigen will. Das verstehen auch die Bundesländer nicht.
Ich bin besonders verwundert, dass selbst Herr Kollege Stiegler nicht darauf eingegangen ist, der sich hier
sonst immer als Verfechter der Rechte der Oberpfalz geriert.
({10})
Am 18. Dezember 2000 hat der Bundeskanzler nach
dem EU-Gipfel von Nizza in Weiden ausgeführt, dass es
erfolgreiche Verhandlungen gegeben habe, dass die EUOsterweiterung unter Dach und Fach sei und zum
1. Mai 2004 Wirklichkeit werde.
({11})
In dieser Rede hat er auch verkündet, es müssten Förderinstrumente geschaffen werden, um die Entwicklung in
den Grenzregionen zu unterstützen.
({12})
Ich zitiere:
Das gehört zusammen: ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der
Grenzregionen, aber auch die Chance, dass wir mit
unseren regionalen und nationalen Förderinstrumenten, ohne dass dies als Beihilfe aus Brüssel begriffen wird, Strukturpolitik nicht nur bereden, sondern wirklich machen können.
Aber was macht die Bundesregierung denn nun?
({13})
Eigentlich müsste es dem Kollegen Stiegler angesichts dieser Aussage des Bundeskanzlers und des jetzt
vom Bundeskanzler und der Bundesregierung gebrochenen Versprechens nicht nur den roten Pullover, sondern
alles ausziehen, sodass er ganz nackt dastünde.
({14})
Aber das entspräche nicht der Kleiderordnung des
Hauses.
({0})
Gott sei Dank, Frau Präsidentin!
Verehrte Damen und Herren, es ist unbedingt notwendig, die Gemeinschaftsaufgabe West „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ fortzuführen. Das fordern wir nicht nur als Bayern; das fordert nicht nur Ministerpräsident Edmund Stoiber.
Ich zitiere einmal aus einem Brief des Ministeriums
für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein. Wahrscheinlich hat dies kein CDU-Mitglied, sondern noch ein SPD-Mitglied verfasst; das wird
sich im übernächsten Jahr ändern. Darin wird ausgeführt, auf Schleswig-Holstein würden bis zum Jahre
2006 rund 42 Millionen Euro Bundesmittel entfallen und
infolgedessen könnte die Wirtschaft im Rahmen des Regionalprogramms nicht die entsprechende Unterstützung
erhalten. Sie kündigen bereits an, zusammen mit anderen
Bundesländern für den Erhalt dieser GA West zu streiten.
Für Bayern, Herr Kollege Stiegler, bedeutet das einen
Verlust von 30 Millionen Euro bzw. von jährlich 10 Millionen Euro. Der Erhalt dieser GA West ist für die Unterstützung der regionalen Betriebe und angesichts der Osterweiterung, die am 1. Mai 2004 Wirklichkeit wird,
unbedingt notwendig. Deshalb muss sie weitergeführt
werden.
({0})
Ich möchte noch ein zweites Thema ansprechen. Wir
sind uns in diesem Hause alle darin einig, dass unbedingt
Bürokratie abgebaut werden muss. Der Bundesminister
hat sich dazu heute ebenfalls bekannt. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Programm aufgelegt, das
angeblich 54 Punkte umfasst.
Ich verstehe nicht, dass die gleiche Bundesregierung
nun das Baugesetzbuch in der Weise novellieren möchte,
dass es den Gemeinden künftig ermöglicht wird, Anträge für Investitionen aus der Landwirtschaft oder aus
anderen Bereichen, die ein bisschen Geruchsbelästigungen oder Immissionen zur Folge haben, im Rahmen der
Bauleitplanung sieben Jahre auf Eis zu legen.
Es ist auch nicht einzusehen, dass die geltende TA
Luft so gestaltet ist, dass es für landwirtschaftliche Betriebe leichter ist, Stallbauten in Dörfern als draußen in
der freien Natur zu errichten, weil in der freien Natur
Waldbäume gefährdet werden könnten. Hier müssen Änderungen vorgenommen werden. Sie sind gefordert, in
dem Bereich etwas zu tun.
({1})
Ein Blick in die Praxis lehrt ja immer am meisten.
Jüngst hat mich ein Fahrlehrer angegangen. Er hatte eine
neue Zweigstelle eröffnet. Dann kam ein Beamter aus
der Oberpfalz, weil die Regierung der Oberpfalz für die
Überprüfung der Fahrlehrer zuständig ist. Er hat dann
festgestellt, dass der Raum zwei Zentimeter zu niedrig
ist.
({2})
- Das entspricht einer Bestimmung des Bundesgesetzes,
Kollege Stiegler. Wir sind nicht für die Bemessung von
Raumhöhen bzw. von Quadratmetern zuständig. Das
sollte meines Erachtens geändert werden. Das wissen die
Fahrlehrer selbst besser.
({3})
Ich glaube, dass es in diesem Bereich noch sehr viel
zu tun gibt. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung
Regelungen schafft, die zu einer Vermehrung der Bürokratie führen. Ich erinnere nur an Folgendes: So notwendig eine Gemeindefinanzreform ist, so falsch ist es, die
Freiberufler in die Gewerbesteuer mit einzubeziehen, die
sie - nach Ihren Aussagen, was wohl aber nicht ganz
stimmt - hinterher bei der Einkommensteuer wieder abziehen können. So etwas kann nur Sankt Bürokratissimus erfinden. Das ist Sozialismus pur.
({4})
Was die Bürokratie angeht, so müssen wir dafür sorgen, dass nicht alles von großartigen Ministerialbürokraten vorgegeben wird. Wir sollten wirklich den Mut haben, Zuständigkeiten auf die niedrigeren Ebenen zu
verlagern. Wenn auf der unteren Ebene etwas falsch gemacht wird, dann wird es einmal falsch gemacht. Wenn
von der Ministerialbürokratie etwas falsch gemacht wird,
dann wird es im gesamten Land falsch gemacht. Deshalb
sollte mehr Mut an den Tag gelegt werden und es sollten
mehr Zuständigkeiten nach unten verlagert werden.
({5})
Es ist auch einmal wert, das Gebaren der Bundesanstalt für Arbeit zu beleuchten. Ich war erstaunt, als
mich ein Unternehmer aus meinem Wahlkreis angerufen
und mich gefragt hat, ob wir alle verrückt seien.
({6})
Auf meine Frage „Warum?“ antwortete er: Weil die Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen des Weiterbildungsprogramms einen - wohlgemerkt - in ungekündigter Stellung stehenden Arbeitnehmer, der als Busfahrer seit
eineinhalb Jahren in einem Unternehmen beschäftigt ist,
eine Umschulungsmaßnahme zum Kfz-Mechaniker genehmigt hat. Er konnte nämlich in jungen Jahren leider
Gottes keine entsprechende Berufsausbildung absolvieren.
Wie kann es sein, dass auf der einen Seite um jede
Lehrstelle gekämpft wird, dass aber auf der anderen
Seite die Bundesanstalt für Arbeit die Ausbildung von
jemandem, der schon einen Beruf ausübt, mit hohen Zuschüssen fördert? Dies ist aufgrund der Gesetzeslage
zwar möglich. Aber es ist den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern und auch den Betrieben - um deren Beiträge handelt es sich ja - nicht mehr zumutbar, wenn die
Bundesanstalt für Arbeit solche Ausbildungen - das
kann umgekehrt auch der Busführerschein sein - finanziert.
Herr Kollege, Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.
Das zeigt sehr deutlich: Hier ist viel Arbeit zu tun.
Belasten wir die Bundesanstalt für Arbeit nicht mit zusätzlicher Arbeit, sondern reformieren wir sie dahin gehend, dass sie mit den Beiträgen effektiv umgeht!
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte ist immer eine
gute Gelegenheit, über die grundlegenden Linien der Politik zu sprechen. Sie ist auch eine gute Gelegenheit,
grundlegende Unterschiede zwischen den Parteien offen
zu legen. Wir haben mit der Agenda 2010 ein Reformtempo eingeschlagen, das Sie, meine Damen und Herren
von der Opposition, in den Jahren Ihrer Regierungszeit
nicht annähernd erreicht haben.
Neben einigen Gemeinsamkeiten gibt es auch grundlegende Unterschiede in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Sie wollen die Gewerkschaften nachhaltig schwächen und die soziale Gerechtigkeit am liebsten beiseite
schieben. Da hilft, wie wir es heute wieder erlebt haben,
auch das populistische Krähen vom Kollegen Laumann
als angeblichem Anwalt der kleinen Leute nicht.
({0})
Von sozialer Gerechtigkeit versteht Rot-Grün mehr. Das
müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({1})
Wir haben ein ausgewogenes Konzept, mit dem wir den
Herausforderungen unserer Zeit begegnen werden.
Die Perspektiven sind gut. Aber die Opposition malt
wie üblich alles in düsteren Farben. Ich nenne nur ein
paar Fakten, die eine andere Sprache sprechen: Die Industrieproduktion und auch der Ifo-Geschäftsklimaindex
- dieser bereits zum vierten Mal hintereinander - sind
gestiegen.
({2})
Die weiteren Fakten sind: über 1 Million Minijobs und
über 150 000 Existenzgründer, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, ein Exportanstieg im Juli gegenüber dem
Vormonat um 2,2 Prozent - gegenüber dem Vorjahr sogar um 5,4 Prozent -, und das bei einem Dollarkurs von
über 1,10 Euro.
({3})
Wir wollen die Menschen in Deutschland nicht weiter
verunsichern. Wir können ihnen Hoffnung machen, auch
wenn die Lage noch nicht so rosig ist, wie wir sie uns
vorstellen können. Aber mit Vernebeln helfen wir den
Menschen in diesem Lande überhaupt nicht weiter.
({4})
Zuversicht macht stark. Deutschland braucht Politiker,
die die Lage nicht schlechtreden, sondern die den Menschen Hoffnung machen und die Zuversicht in das
Machbare vermitteln. Nur so kommen wir aus der wirtschaftlichen Krise heraus.
({5})
Der Reformprozess ist in vollem Gange. Der Bundeskanzler hat mit der Agenda 2010 einen Reformprozess angestoßen, der schon jetzt für eine positive Dynamik in unserem Land sorgt. Es geht um grundsätzliche
Weichenstellungen und weit reichende Umstrukturierungen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit
sowie in der sozialen Sicherung. Am Ende werden wir
zu einer neuen Balance zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch kommen.
Es geht um die Modernisierung unserer Wirtschaft, ohne dass das Gebot der sozialen Gerechtigkeit
preisgegeben wird. Es geht um das Wechselspiel von
Strukturpolitik und Wachstumspolitik. Bei dem Bundeshaushalt, den wir heute diskutieren, geht es letztlich auch
um die Frage nach Wachstum und Beschäftigung einerseits und nach Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme andererseits.
Von Ihnen, meine Damen und Herren in der Opposition, hängt in den nächsten Monaten vieles ab. Wir stehen vor entscheidenden Weichenstellungen: Werden wir
einen Reformherbst oder einen Blockadeherbst haben?
Haben wir zukünftig Manchester-Kapitalismus pur oder
bewahren wir die soziale Balance?
({6})
Machen wir reine Klientelpolitik, wie Sie sie bei der
Handwerksordnung betreiben, oder Strukturreformen
mit Augenmaß? Das sind die Fragen, denen besonders
Sie aus der Opposition sich stellen müssen. Sie müssen
endlich Ihre internen Streitigkeiten aufgeben.
Die Wirtschaft hat sich längst entschieden. Auf Ihre
populistischen Reden hat sie nicht gehört; es geht nämlich wieder bergauf. Alle Indikatoren zeigen nach oben.
Auch die Entwicklung an der deutschen Börse reflektiert
die positive Erwartung der Marktteilnehmer.
Fakten, die Sie hier vortragen, müssen Sie auch belegen können. Ich habe mit großer Verwunderung zur
Kenntnis genommen, dass Kollege Fuchtel gesagt hat,
Rot-Grün bedeute arm und arbeitslos,
({7})
und den Vergleich zur Kohl-Regierung zieht. Herr
Fuchtel, haben Sie übersehen, dass die Realeinkommen,
die Nettoverdienste während der Regierungszeit von
Schröder und Fischer deutlich gestiegen sind? Von relativer Armut ist keine Spur.
({8})
Haben Sie verdrängt, dass wir die höchsten Arbeitslosenzahlen zur Regierungszeit Kohl hatten?
({9})
Wenn Herr Fuchtel sagt, er würde sich freuen, wenn
wir wirtschaftliche Daten wie zu Kohls Regierungszeit
hätten, dann möchte ich daran erinnern: Den Stand der
Arbeitslosigkeit, den wir zu Kohls Regierungszeit hatten, haben wir noch nicht erreicht. Wir haben die Steuersätze gesenkt und nicht angehoben. Wir haben die Schulden abgebaut und die Sozialversicherungsbeiträge
gesenkt. Das sind die harten Fakten, die Sie nicht einfach
kleinreden können.
({10})
Sie haben die Zahl der Erwerbstätigen angesprochen. Es ist richtig und nicht zu bestreiten, dass die
Zahl der Erwerbstätigen im letzten Jahr zurückgegangen ist, und zwar von 38,73 Millionen Erwerbstätigen
im Juni 2002 auf 38,10 Millionen im Juni 2003.
({11})
Es ist aber auch richtig, dass im Juni 1998, also zu Ihrer
Regierungszeit, die Erwerbstätigenzahl bei 37,46 Millionen lag.
({12})
Das heißt, dass wir heute 640 000 Erwerbstätige mehr
haben als zu Ihrer Regierungszeit. Das können Sie nicht
einfach wegreden.
({13})
- Sie wissen so gut wie ich, dass die Minijobs damals
wie heute in diesen Daten eingerechnet sind. Vernebeln
Sie nicht schon wieder! Stellen Sie sich einmal der
Wahrheit und der Wirklichkeit! Sie haben heute in der
Debatte angemahnt, dass es einer christlichen Partei gebührt, die Wahrheit zu sagen und nicht zu vernebeln.
({14})
Beschäftigung hängt - das wissen wir - vom Arbeitsmarkt und von einer Vielzahl von Faktoren ab, zum Beispiel von der Konjunktur, der Außenwirtschaft, der privaten Nachfrage, privaten und öffentlichen Investitionen,
der Arbeitszeitgestaltung und nicht zuletzt der Arbeitsmarktverfassung, das heißt dem System aus Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsrecht und Lohnersatzleistungen.
Das möchte ich anhand eines Vergleiches mit einem
Auto erläutern. Wenn die Konjunktur dem Motor entspricht, ist die Arbeitsmarktverfassung mit dem Antrieb
zu vergleichen. Solange der Motor noch stottert, kann
auch der neue Antrieb nicht richtig zum Zuge kommen.
({15})
Wenn der Motor aber richtig rund läuft, wird das Fahrzeug bei gleicher Leistung schneller und verbraucht weniger Energie. Übertragen auf die Arbeitsmarktpolitik
heißt das: Als notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit brauchen wir Wirtschaftswachstum.
Mit unseren Reformgesetzen sorgen wir dafür, dass
das Wirtschaftswachstum beschäftigungsintensiver wird.
In Deutschland sind bisher fast 2 Prozent Wirtschaftswachstum notwendig, um die Höhe der Beschäftigung
zu halten. Unser Ziel ist es, diese „Beschäftigungsschwelle“ auf etwa 1 Prozent zu senken. Das ist realistisch, wenn man einen Vergleich mit anderen europäischen Ländern heranzieht. Würde ein Wachstum von
2 Prozent erreicht werden, was wir prognostizieren,
würde das die Zahl der Beschäftigten um immerhin
200 000 bis 400 000 anziehen lassen. Gerade weil wir
Wachstum nur begrenzt generieren können, ist eine solche Strategie besonders wichtig. Das Vorziehen der
nächsten Stufe der Steuerreform sorgt dafür, dass es
2004 einen richtigen Push beim Wachstum geben wird.
Was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
über ein Jahr lang gefordert haben, kann doch heute
nicht schlecht oder nachteilig sein.
({16})
Deshalb kann ich Sie auch von dieser Stelle aus nur noch
einmal auffordern, den Steuerentlastungen zuzustimmen
und dafür zu sorgen, dass das Wachstum in diesem Land
nicht gebremst, sondern positiv befördert wird.
({17})
Eigeninitiative ist natürlich notwendig, weil die Bereitschaft zu Existenzgründungen bei Arbeitslosen mit
dafür sorgen kann, dass der Arbeitsmarkt deutlich entlastet wird. Die Arbeitslosen verhalten sich nicht passiv,
sondern ergreifen Eigeninitiative. Das ist auch genau das
Richtige. Die Opposition aber spricht plötzlich, wie wir
auch heute wieder gehört haben, von Kümmerexistenzen. Sie widerspricht sich selbst aus lauter Angst, einen
Erfolg bei den Existenzgründungen zugeben zu müssen.
Wie bereits gesagt, haben sich allein in diesem Jahr
bereits über 150 000 Arbeitslose aus der Arbeitslosigkeit
heraus selbstständig gemacht. Herr Niebel, man muss
deutlich sagen: Die Ich-AG hat nicht zur Verdrängung
des Überbrückungsgeldes geführt; vielmehr ergänzen
sich beide Leistungen. Sie haben die Anzahl der Existenzgründungen deutlich in die Höhe getrieben. Beim
Überbrückungsgeld haben wir bisher schon 106 000 Bewilligungen; damit wurde der Vorjahreswert um ein
Drittel überschritten. Das heißt auch, dass mehr Menschen Vertrauen in die Zukunft und in die Politik dieser
Regierung bekommen haben. Der Mut, sich selbstständig zu machen, ist positiv zu bewerten. Wir können den
Menschen von dieser Stelle aus nur zurufen: Das ist der
richtige Weg, um mehr Dynamik in diesem Land zu erzeugen.
({18})
Schon in der nächsten Sitzungswoche haben wir die
Gelegenheit, die kleine Novelle zur Handwerksordnung endgültig zu verabschieden und damit Unsicherheiten bei Existenzgründern zu beseitigen. Einfache Tätigkeiten, die sich in drei Monaten erlernen lassen, sind
doch eindeutig kein Handwerk. Deshalb, meine Damen
und Herren, tun Sie gut daran, mit dafür zu sorgen, dass
dieser Teil der Gesetzesnovelle bald Rechtskraft erlangt,
damit mehr Menschen die Chance haben, durch Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen.
({19})
Lassen Sie mich zum Stichwort Bürokratieabbau kurz
das Thema Novellierung der Handwerksordnung ansprechen. Die seit 50 Jahren bestehende Handwerksordnung
behindert den Zugang zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig in diesem Land. Diese Einschränkung der
Gewerbefreiheit ist in der EU nahezu einmalig. Mehr
noch, all unsere europäischen Nachbarn können ihre
Dienste in Deutschland anbieten, wenn sie in ihrem Heimatland fünf bis sechs Jahre in dem betreffenden Beruf
tätig waren. Wir jedoch verweigern unseren deutschen
Gesellen den Zugang zur Selbstständigkeit, den wir unseren europäischen Nachbarn ermöglichen. Allein deshalb müssen wir das System europatauglich machen.
Wir werden mit der Novellierung der Handwerksordnung Existenzgründungen erleichtern und die Schwarzarbeit nachhaltig bekämpfen. Tüchtige Gesellen sollen
sich schneller und unbürokratischer selbstständig machen können.
({20})
Wir werden dem Handwerk einen zukunftsfähigen
Rechtsrahmen geben. Dazu sind wir zu konstruktiven
Gesprächen mit dem Handwerk bereit. Wir sagen auch
Ja zum Meisterbrief. Sie tun in Ihrer polemischen Kampagne ja so, als wollten wir den Meisterbrief abwürgen
und abschaffen.
({21})
Wir sagen Ja zu neuen Existenzen. Was Herr Kollege
Laumann heute an falschen Behauptungen verbreitet hat,
muss richtig gestellt werden; denn das Handwerk ist zurzeit leider kein Jobmotor in unserem Land.
({22})
Ein RWI-Gutachten aus diesem Jahr stellt ausdrücklich
fest: 1995 gab es 6 085 000 Beschäftigte im Handwerk,
2002 gab es noch 4 515 000 Beschäftigte im Handwerk.
({23})
- Können Sie die Wahrheit nicht hören? - Das ist ein Beschäftigungsabbau von 25,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum sind die Beschäftigtenzahlen in der Gesamtwirtschaft leicht gestiegen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. Diesen
Gedankengang will ich zu Ende bringen.
({0})
Diese Situation macht deutlich, dass hier dringender
Reformbedarf gegeben ist.
({1})
Diese Daten gelten auch hinsichtliche der Frage der
Ausbildungsplätze - leider, sage ich. 1997 hatten wir
630 000 Ausbildungsplätze im Handwerk; 2001 waren es
nur noch 564 000. Das ist eine rückläufige Zahl, die wir
bedauern. Wir würden uns wünschen, wir hätten bei der
Ausbildung bessere Zahlen. Im Bereich der IHK hat sich
die Zahl der Ausbildungsplätze im gleichen Zeitraum von
736 000 auf 876 000 erhöht. Insofern will ich deutlich sagen: Hier sind Reformen nicht gegen, sondern mit dem
Handwerk angesagt. Für das Handwerk wäre es gut, wenn
Sie keine Frontalopposition betreiben würden, sondern
diesen Reformprozess konstruktiv begleiten würden.
({2})
Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme,
noch einige Dinge zur Arbeitsmarktreform sagen.
Nein, Herr Kollege, das geht nicht mehr. Sie können
noch einen letzten Satz sagen, aber nicht einen neuen
Gedanken beginnen.
Ich möchte dem Ministerium - Staatssekretär Andres
ist noch anwesend - für die umfangreiche Arbeitsmarktreform danken. Es wurde sehr viel Arbeit, eine
Herkulesarbeit, in großer Eile, mit großem Fleiß und
Sachverstand sowie unter Einbeziehung wichtiger Experten geleistet, um ein solches Reformpaket auf den
Weg zu bringen.
({0})
Wir alle können nur hoffen, dass Hartz III und
Hartz IV recht bald in Gesetzesform gegossen werden.
({1})
Wir gehen dabei keinen einfachen Weg. Wir wissen aber
auch: Nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur
Quelle. Wir brauchen dabei viel Kraft. Wir wollen zur
Quelle, damit in diesem Land mehr Wachstum und Beschäftigung sprudeln können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Jetzt hat der Abgeordnete Hartmut Schauerte das
Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Vertrauen kann nur wachsen, wenn sich alle Beteiligten um Redlichkeit bemühen. Sehr geehrter Herr
Kollege Brandner, es ist doch auch mit noch so vielen
Worten einfach nicht wegzudiskutieren, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland immer noch sinkt
({0})
und dass wir nach Aussage der Bundesanstalt für Arbeit
heute 770 000 Beschäftigte in Deutschland weniger haben als im letzten Jahr.
({1})
Bei dem Ernst der Lage will ich eine solch blöde Auseinandersetzung gar nicht führen. Warum strengen Sie
sich denn so an? Sie tun das, weil auch Sie wissen, dass
Ihnen alles weggebrochen ist. Niemand stellt doch in
Abrede, dass Sie sich anstrengen. Bleiben Sie bei dem
logischen Vorgang und sagen Sie, dass die Lage dramatisch ist und dass wir jetzt alle etwas tun müssen, damit
wir das in den Griff bekommen und damit wir neues
Wachstum und Zukunftsfähigkeit erhalten.
({2})
Da hilft kein Schönreden. Um den Druck zu erhöhen,
damit die Veränderungsbereitschaft wächst und die Menschen das einsehen, hilft nur Realitätsnähe.
({3})
Was sollen die Menschen denn glauben, wenn Sie sagen,
dass alles gut ist? Dann fragen sie, warum man denn
überhaupt etwas ändern muss. Wir müssen doch etwas
ändern.
({4})
Ich möchte noch einmal auf den Begriff Vertrauen
zurückkommen. Warum wächst das Vertrauen nicht?
Sicher liegt das auch daran, dass in der Vergangenheit so
viele Enttäuschungen bereitet worden sind, sodass die
Bevölkerung - zum Teil auch uns gegenüber - skeptisch
sein muss. Das ist doch wahr. Vertrauen kann nur wachsen, wenn wir versuchen, eine ehrliche Analyse vorzunehmen. Das will ich in meinen Schlussbemerkungen in
der Kürze der Zeit versuchen.
Warum ist die Bevölkerung noch unsicher? Sie kennt
weder das Ziel noch das Ausmaß noch die Wirkung der
Maßnahmen genau. Niemand zeigt ihr, was insgesamt
dabei herauskommt und ob bei all den Anstrengungen
und Zumutungen am Ende tatsächlich eine Besserung
eintritt. Darüber reden wir zu wenig.
({5})
Lassen Sie uns hier eine Zwischenbilanz ziehen. Wir befinden uns noch in der Diskussion des Haushalts. Vielleicht können wir das eine oder andere ja noch korrigieren.
Ich rechne alles zusammen. Wenn wir all das tun, was
Sie in Ihrer Agenda 2010 vorhaben, dann kommt es zu
folgenden Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Volkswirtschaft: Bei den Gesundheitskosten
geht es um einen Wert von plus/minus 1 Prozent und bei
den Kosten für die Arbeitslosigkeit um plus/minus
1,5 Prozent. Bei den Beiträgen zur Rentenversicherung
wird eine Erhöhung vermieden, das Niveau also gehalten. Das heißt: Mit all den Anstrengungen, die Sie bisher
unternommen haben, erreichen Sie bei den Lohnzusatzkosten eine Verbesserung von maximal 2,5 Prozent. Das
ist ein Tropfen auf einen verdammt heißen Stein. Die
Bevölkerung sieht das und fragt sich: Hilft das oder werden diese Maßnahmen wieder einmal nicht zu Ende geführt?
({6})
Wir können uns hier darüber streiten - ich finde diesen Streit ziemlich nutzlos -, ob die Prognose richtig ist.
Von der Richtigkeit der Prognose hängt ab, ob der Haushalt seriös aufgestellt ist; das ist klar. Aber selbst wenn
die Prognose der Bundesregierung stimmt, dürfte das
kein Signal dafür sein, auf Veränderungen und Reformen
zu verzichten. Das haben wir immer wieder erlebt: Die
Konjunktur zieht leicht an, alle lehnen sich erholt zurück
und das nächste Mal trifft es uns mit doppelter Wucht.
Wir müssen diesen Prozess der Veränderung lebendig
halten.
({7})
Ein Teil Ihrer Reden ist deshalb pädagogisch falsch, weil
Sie den Menschen die Illusion geben, wir wären über
den Berg.
Ich will ein neues Fass aufmachen und einen anderen
kritischen Bereich ansprechen, der meiner Meinung
nach die Debatten der nächsten Monate entscheidend
prägen muss. Wir werden mit dieser Absenkung der
Lohnnebenkosten um 2,5 Prozent - und das auch noch
auf einer nicht feststellbaren Zeitschiene - keine wirkliche Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in
Deutschland erreichen. Wir werden den Abwanderungsprozess von Unternehmen aus Deutschland - welcher
Art auch immer -, der täglich stattfindet, nicht stoppen.
Wir werden auch nicht erreichen, dass irgendein Unternehmen zurückkommt. Genau das muss aber unser Ziel
sein. Also müssen wir die Dosis der Veränderung und
Verbesserung des Wettbewerbs erhöhen. Wir sind noch
keineswegs am Ende. Wir brauchen mit Schuldzuweisungen gar nicht anzufangen.
Ich will Ihnen ein Feld nennen, das mir wichtig erscheint und auf dem Veränderungen nichts kosten. Im
Moment läuft unsere Reformpolitik darauf hinaus, dass
wir den Menschen ans Geld gehen oder Leistungen kürzen. Das ist unvermeidbar. Dadurch werden zum Teil absurde Situationen herbeigeführt: Die Menschen müssen
höhere Beiträge zahlen und bekommen hinterher weniger
Leistungen. Das ist schon ein sehr kompliziertes System,
was man den Menschen nicht so einfach klar machen
kann. Das, was die Menschen zu wenig haben, ist Nettolohn. Das, was die Unternehmen zu viel kostet, ist Bruttolohn. Wovon die Menschen aber genug haben, ist Zeit.
Bevor wir den Menschen weiter ans Geld gehen, sollten
wir darüber nachdenken, ob wir in Deutschland nicht länger arbeiten müssen. Das ist die entscheidende Frage.
({8})
Wenn ich heute Menschen in den Betrieben frage, ob
sie eher bereit sind, 20 Minuten am Tag ohne Bezahlung
länger zu arbeiten oder weitere finanzielle Einbußen in
Kauf zu nehmen, dann entscheiden 80 bis 90 Prozent der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben: Wir
wollen lieber länger arbeiten, besonders wenn dadurch
unser Arbeitsplatz gesichert ist. - Warum reden wir nicht
darüber? Warum verweigern Sie sich dieser Diskussion?
Herr Clement hat es ganz vorsichtig angefangen; ich
darf es auf den Punkt bringen: In Deutschland treten die
jungen Menschen im Vergleich zu allen Industrieländern
am spätesten ins Berufsleben ein und die Älteren scheiden mit etwa 60 Jahren am frühesten aus dem Berufsleben aus. Ein deutscher Akademiker arbeitet durchschnittlich 32 Jahre, ein deutscher Arbeitnehmer
durchschnittlich 38 Jahre. Wir haben also die kürzeste
Lebensarbeitszeit unter allen Industrienationen. Wir haben darüber hinaus die kürzeste Tagesarbeitszeit, die
kürzeste Wochenarbeitszeit und die kürzeste Jahresarbeitszeit unter allen Industrienationen. In welcher Hybris leben wir eigentlich, dass wir meinen, mit so wenig
Arbeit wohlhabender sein zu können als andere, die
deutlich mehr arbeiten? Was bilden wir uns eigentlich
ein?
({9})
Warum diskutieren wir darüber nicht? An dieser
Stelle lohnt es, neu nachzudenken. Dieses Programm, zu
dem wir in Kürze einen Antrag in den Bundestag einbringen werden, müssen wir anpacken. Zur Arbeitsmarktpolitik haben wir eine ganze Menge konkreter Vorschläge vorgelegt. Also ohne Alternativen - das können
Sie sich hinter die Ohren schreiben - sind wir nicht. Wir
gehen sogar weiter als Sie. Eine solche Opposition hätte
ich mir seinerzeit gewünscht. Ich hätte es gerne erlebt,
wenn die SPD in den letzten 20 Jahren unter der CDU/
CSU-Regierung einmal mehr Reformen als wir gefordert
hätte. Das wäre traumhaft gewesen. Aber Sie haben vor
allem auf der Bremse gestanden. Schön, dass Sie jetzt erkennen, dass es ein bisschen anders werden muss. Aber
Ihr Mut reicht noch nicht.
Kommen wir noch einmal zurück. Packen Sie das
Thema der längeren Arbeitszeit an. Warum verkürzen
wir unsere Ausbildungszeiten nicht um ein Jahr? Im
Saarland wird das Abitur nach zwölf Schuljahren gemacht. Der Ministerpräsident dieses Landes ist gerade
zum Ministerpräsidenten des Jahres gewählt worden,
weil er in den letzten zwei Jahren die größten positiven
Veränderungseffekte unter allen Bundesländern bewirkt
hat. Fangen wir doch in diesem Bereich an! Warum erhöhen wir denn das durchschnittliche Renteneintrittsalter nicht auf 63 Jahre, statt Phantomdiskussionen über
67 oder noch mehr Jahre zu führen? Wir müssen beim
Eintrittsalter von 60 Jahren weg und hin zu 63 Jahren
kommen. Dann ist Bewegung im Spiel und wir hätten etwas erreicht. Dann könnte die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze in Deutschland wachsen.
Diese Probleme müssen wir anpacken. Die Menschen
in diesem Lande sind dazu bereit. Ich lade Sie herzlich
ein, auch über diesen Teil des Veränderungsprofils mit
uns zu diskutieren. Das würde sich lohnen; denn dann
hätte diese Debatte möglicherweise doch noch einen
weitergehenden Sinn.
Ich behaupte: Die Kombinationswirkung aus dem,
was wir finanziell tun, und dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt in Form von Flexibilisierung, mit betrieblichen Bündnissen sowie der Organisation von Wochenund Lebensarbeitszeiten tun, könnte zu einem nachhaltigen Vorwärtsschub führen. Dieser würde uns dann über
eine geraume Zeit in sicheres Fahrwasser bringen. Dann
könnten wir all die Dinge finanzieren, die wir für die Zukunftssicherung unserer jungen Leute, unserer Arbeitsplätze und unserer sozialen Sicherungssysteme brauchen.
Wenn wir auf halbem Wege stehen bleiben - das ist
unser Dilemma -, dann werden wir wieder scheitern.
Dann haben wir den Menschen wahrscheinlich mehr
Sorgen als tatsächliche Belastung zugemutet und das Ergebnis ist unter null.
Eine letzte Bemerkung zum Handwerk.
Nein, Herr Kollege, das war ein so schönes Schlusswort. Ich glaube, dabei sollten wir es belassen.
({0})
Ich möchte meinen letzten Satz noch sagen dürfen,
verehrte Frau Präsidentin. Ich lade die Sozialdemokraten
herzlich ein, in einen konstruktiven Dialog mit der
Union über die Frage der Arbeitszeit und der Arbeitsmenge in Deutschland einzutreten.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1515, 15/1516, 15/1523, 15/1527 und 15/1531
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll
die Vorlage auf Drucksache 15/1515 zusätzlich an den
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, jedoch nicht an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden.
Außerdem sollen die Vorlagen auf Drucksache 15/1515
bzw. 15/1516 an den Haushaltsausschuss ausschließlich
gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Das
Wort hat zunächst Frau Bundesministerin Edelgard
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Herren und Damen! Der vorliegende Haushaltsentwurf
enthält eine klare Botschaft. Diese Botschaft lautet: Die
Bundesregierung setzt auf Bildung und Forschung.
({0})
Wir halten damit an einem Kurs fest, den wir seit 1998
eingeschlagen haben.
({1})
Wir erneuern unser Bildungssystem und wir investieren
in Bildung und Forschung. Qualifizierte Menschen, neue
Produkte, Dienstleistungen und Verfahren sind die wichtigsten Schwungräder für wirtschaftliches Wachstum
und für Wohlstand in Deutschland. Mit Innovationen
schaffen wir zukünftige Arbeitsplätze. Wir setzen diesen
Kurs, der für die Entwicklung unseres Landes die
höchste Bedeutung hat, auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen konsequent fort.
({2})
Insgesamt stehen über 9,6 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung. Der Etat des BMBF
umfasst 8,2 Milliarden Euro, für das Ganztagsschulprogramm steht zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung.
({3})
Für den Kredit für den Darlehensanteil beim BAföG stehen noch einmal 445 Millionen Euro zur Verfügung.
Mit dieser Politik haben wir auch in einem schwierigen konjunkturellen Umfeld in der Wirtschaft die notwendigen Kräfte freigesetzt. Deutschland ist inzwischen
der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Hatte
Mitte der 90er-Jahre nur jede vierte Firma ein neues Produkt im Angebot, das auf neuen Forschungsergebnissen
beruhte, drängt heute schon ein Drittel der Unternehmen
mit einer Neuentwicklung auf den Markt.
Seit 1999 hält Deutschland in Europa den Spitzenplatz bei der Anzahl der Biotechnologieunternehmen,
also bei Unternehmen, deren Kerngeschäft Biotechnologie ist. Deutschland verfügt inzwischen über die höchste
Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Rund
275 Milliarden Euro - das waren im Jahr 2002 rund
14 Prozent des Bruttoinlandproduktes - gehen auf das
Konto des Exports von forschungsintensiven Technologiegütern. Diese Tendenz wird sich weiter fortsetzen.
({4})
Das Fundament unserer Innovationsfähigkeit wird
in unseren Schulen, Ausbildungseinrichtungen und
Hochschulen gelegt. Spätestens seit Anfang der 90erJahre wissen wir, dass es zu viele schlecht oder gering
ausgebildete und zu wenig hoch qualifizierte Menschen
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
in unserem Land gibt. Unser Land lebt vom Know-how
und der Kreativität der Menschen. Bildung und Forschung dürfen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt
werden, wie es die Opposition leider zu häufig macht.
({5})
Vielmehr sind beide Bereiche für unser Land von existenzieller Bedeutung.
Jedes Kind in unserem Land muss die Chance bekommen, alle seine Begabungen zu entfalten. Deutschlands
Schulen sollen besser werden und zu den besten gehören.
({6})
Das gilt für alle Schulen und alle Bundesländer. Gute
Bildung braucht mehr Zeit, und zwar für individuelle
Förderung, für die Entwicklung von Kreativität, für eine
höhere Qualität des Unterrichts und für das gemeinsame
Lernen. Dieses Ziel verfolgen wir mit unserem Ganztagsschulprogramm, dem größten bundesweiten Schulentwicklungsprogramm, das es in Deutschland je gegeben hat.
({7})
Hierfür stellen wir bis 2007 4 Milliarden Euro zur Verfügung.
Eine Ganztagsschule darf nicht einfach eine Verlängerung der üblichen Schule von fünf auf acht Stunden
bedeuten. Individuelle Förderung erfordert nicht nur einen anderen Zeitrahmen, sondern auch eine andere Organisation und eine bessere Qualität des Unterrichts.
({8})
Wir brauchen keine Einrichtungen, in denen Kinder
„verwahrt“ werden, sondern Schulen, in denen Kinder
mit Freude und Neugier lernen, in denen ihr Wissensdurst geweckt und am Leben gehalten wird.
Die Zeit ist reif für diesen Paradigmenwechsel.
({9})
Ich bin froh darüber, dass dies nach einigem Zögern alle
Länder eingesehen haben.
Unser Bildungssystem zu modernisieren ist eine gewaltige Aufgabe und Herausforderung für uns alle, der
wir uns stellen müssen.
({10})
Dazu gehören im Übrigen die Einführung von bundesweiten Bildungsstandards, die für alle Jahrgänge und
Schulformen gelten müssen, die Einrichtung einer bundesweiten unabhängigen Evaluationsagentur,
({11})
der Aufbau einer nationalen Bildungsberichterstattung,
die gezielte Förderung von Basiskompetenzen und nicht
zuletzt die verbesserte Bildung und Integration von Migrantenkindern.
Der Wille und die Bereitschaft, diese Herausforderungen nicht zögerlich, sondern mutig anzugehen, müssen
unser Handeln bestimmen, und zwar nicht nur in den
Ländern, sondern auch beim Bund, in den Städten und
Gemeinden, bei den Eltern und in den Schulen.
({12})
Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt bietet Anlass zu größter Sorge.
({13})
Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen ist weit mehr als ein arithmetisches Zahlenspiel.
({14})
- Herr Rachel, es geht um junge Menschen, um ihren
Berufsstart, ihre Lebenschancen und ihre Perspektive für
die Zukunft.
({15})
Deshalb geht es auch um die Zukunft unseres Landes.
Wenn wir verhindern wollen, Herr Rachel, dass durch
den Mangel an qualifiziertem Nachwuchs Lebenschancen zerstört werden, wie es Mitte der 90er-Jahre der Fall
war - 1998 hatten wir fast die gleiche Situation wie in
diesem Jahr -, und dass sich dies schon in wenigen Jahren zu einem gravierenden Innovationshemmnis für unsere Wirtschaft erweisen wird, dann müssen wir heute
mit aller Kraft gegensteuern.
({16})
Ausbildungschancen dürfen nicht von Konjunkturlagen abhängig sein.
({17})
Für die Stabilität und auch für den Erfolg der beruflichen
Bildung ist es unverzichtbar, dass auch in wirtschaftlich
schwierigeren Zeiten allen Jugendlichen, die ausgebildet
werden wollen und können, ein Ausbildungsangebot gemacht wird.
({18})
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Wir setzen alles daran, dass dieses Ziel auch in diesem
Jahr erreicht wird. Wir beteiligen uns zum Beispiel mit
95 Millionen Euro an der Finanzierung von 14 000 betriebsnahen Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland. Wir
fördern des Weiteren Jugendliche mit schlechten schulischen Voraussetzungen, damit sie den Sprung in die
Ausbildung schaffen. Wir fördern außerdem die Gründung zusätzlicher Ausbildungsverbünde. Wir haben bereits die Ausbilder-Eignungsverordnung außer Kraft gesetzt und damit vielen Betrieben, die bereit und in der
Lage sind, auszubilden, den Zugang zur Ausbildung erleichtert. Ich möchte allerdings eines klarstellen: Wir
können nicht auf Dauer seitens des Staates und der Bundesregierung der Wirtschaft die Ausbildungsverantwortung abnehmen.
({19})
Wir können nicht ausbilden. Wir brauchen die Wirtschaft und die Betriebe. Die berufliche Ausbildung liegt
in der ureigenen Verantwortung der Wirtschaft und der
Betriebe. Es gibt rund 500 000 Betriebe, die ausbilden
dürften und könnten, die es aber nicht tun. Wenn nur die
Hälfte dieser Betriebe eine Lehrstelle anbieten würde,
dann gäbe es in Deutschland ein mehr als ausreichendes
Ausbildungsangebot.
({20})
Ich werde mich angesichts solcher Zahlen nicht mit
35 000 oder mehr unversorgten Jugendlichen abfinden.
Anfang Oktober werden wir zu einem Ausbildungsgipfel
einladen. Ich erwarte, dass die Wirtschaft dann einen
überzeugenden Vorschlag vorlegt, aus dem hervorgeht,
wie sie die Lehrstellenlücke bis zum Ende des Jahres
schließen will.
({21})
Ich halte nichts davon - um auch das klar zu sagen -,
jetzt über Instrumente zu diskutieren. Das Ziel soll vielmehr erreicht werden. Dieses lautet: Jeder Jugendliche
soll ein Ausbildungsangebot erhalten. Die Bundesregierung schafft dafür die strukturellen Voraussetzungen.
Wir setzen auf moderne, zukunftsfähige Berufe. Wir haben inzwischen über die Hälfte der gängigen Berufe modernisiert. Wir setzen auf neue Qualifikationen und Flexibilität. Die zweijährige berufliche Ausbildung sowie
die Einführung von Qualifizierungsbausteinen, die auf
eine vollwertige Berufsausbildung angerechnet werden
können, sind zwei wichtige, von der Wirtschaft selbst
immer wieder geforderte Instrumente. Sie müssen allerdings in den Betrieben auch genutzt werden.
Wir brauchen insgesamt mehr hoch qualifizierte Menschen in unserem Land. In den vergangenen Jahren haben wir hier spürbare Fortschritte erreicht. Die Zahl der
Studienanfänger gerade in den naturwissenschaftlichen
Fächern und insbesondere in der Elektrotechnik ist deutlich gestiegen. Trotzdem liegt Deutschland noch immer
deutlich hinter den wichtigsten Industrieländern; denn
wir haben den massiven Einbruch in der ersten Hälfte
der 90er-Jahre bei weitem noch nicht kompensiert. Deshalb gilt es, die Anstrengungen fortzusetzen.
Die finanzpolitischen Spielräume für weitere Steigerungen im Hochschulbau sind in diesem Jahr nicht gegeben. Wir werden im Jahre 2004 hierfür 925 Millionen
Euro ausgeben. Das sind übrigens noch immer 5 Millionen Euro mehr als 1998.
({22})
Es gibt an unseren Hochschulen aber vor allem Probleme, die nicht baulicher Natur sind. Unser Pakt für
Hochschulen setzt bei diesen Problemen an. Die Hochschulentwicklung ist das Kernstück. Die Studienbedingungen zu verbessern sowie die erfolgreich begonnene
Internationalisierung, die Nachwuchswissenschaftlerförderung und die Forschung an den Hochschulen zu stärken sind die Herausforderungen.
({23})
Die Förderung der Forschung an den Hochschulen durch
den Bund ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes allein in meinem Haus von 1998 bis heute um
72 Prozent gestiegen.
({24})
Die Bundesförderung der Hochschulen einschließlich
des Hochschulbaus ist - ohne BAföG - um 23 Prozent
gestiegen.
({25})
Übrigens, in Bayern stieg die Hochschulförderung um
ganze 2,9 Prozent. Die Förderung der Hochschulen hat
für die Bundesregierung einen hohen Stellenwert und
wird es auch in Zukunft haben.
({26})
- Frau Flach, angesichts von Steigerungen in Höhe von
23 bzw. 72 Prozent können Sie nicht allen Ernstes sagen:
auf niedrigem Niveau!
({27})
Das, was wir hier erreicht haben, ist ein deutlicher
Schritt nach vorn. Wir werden aber, das sage ich ausdrücklich, nicht stehen bleiben, sondern unsere Anstrengungen weiter fortsetzen, weil wir an dem Ziel festhalten
und nicht daran rütteln lassen, dass jeder Mensch in unserem Land beste Bildungschancen haben muss. Das ist
unser Grundsatz, eines der Herzstücke der sozialdemokratischen Politik.
({28})
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
Exzellente Forschung - das ist die zweite Säule - ist
die Voraussetzung für jedes neue Produkt und jedes neue
Verfahren. Vorsprung durch Innovation erreicht man
nicht durch Hinterherrennen,
({29})
sondern durch Überholen auf neuen Wegen. Deshalb haben wir die Forschung seit 1998 neu ausgerichtet und
systematisch gestärkt. Wie vom Bundeskanzler in der
Agenda 2010 angekündigt, werden wir die Etats aller
großen Forschungsorganisationen im kommenden Jahr
wieder um 3 Prozent erhöhen. Die institutionell geförderten Forschungseinrichtungen stehen damit so gut da
wie noch nie. Allein für die DFG bedeutet das seit 1998
eine Steigerung um 33 Prozent.
({30})
Eine weitere wichtige Weichenstellung: Erstmals
wird der größte Teil der Forschungsförderungsmittel
im Wettbewerb vergeben; die Leistung zählt. Insgesamt
beträgt die Summe der so vergebenen Fördermittel rund
4,4 Milliarden Euro. Das sind über 53 Prozent der Mittel
im Einzelplan 30. Mir ist das so wichtig, weil Wettbewerb für mehr Qualität und mehr Effizienz sorgt. Das ist
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir über Forschungsförderung auch wirklich Qualitätsverbesserungen und Innovationen in Gang setzen.
({31})
Im Vergleich zum Vorjahr sinkt die Projektförderung
- leider -, das ist eine Folge des Auslaufens der Mittel
aus den UMTS-Verkaufserlösen. Bevor Sie aber, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition - ich höre
schon wieder Herrn Rachel -, die Backen aufblasen, sei
Ihnen Folgendes gesagt: Wir liegen mit den Mitteln für
die Projektförderung auch im Jahr 2004 gut eine halbe
Milliarde über dem Etatansatz, den Sie uns 1998 übergeben haben.
({32})
Ich finde, das kann sich sehen lassen, das ist nämlich
eine Steigerung um rund 32 Prozent.
Wir haben die Mittel für die Projektförderung, für
die themenorientierte Forschungsförderung neu gebündelt, um noch stärker interdisziplinär und in enger Verbindung von Forschung und Anwendung agieren zu können.
Informations- und Kommunikationstechnik, Nanotechnologie und die Mikrosystemtechnik, optische Technologie und die Biotechnologie bilden die Schwerpunkte.
({33})
Die Förderung der Genomforschung wird verstetigt.
Die ostdeutschen Länder werden durch gezielte Innovationsförderung weiter gestärkt. Hier haben wir im Übrigen spürbare Erfolge erreicht. Ich will nur das Beispiel
Dresden nennen. Dort ist heute eine der modernsten
Technologieregionen in Europa. Durch unsere Förderung ist die Schaffung von 11 000 Arbeitsplätzen in
Gang gesetzt worden.
({34})
Zu einer Politik, die konsequent auf Wissen und Innovation setzt, gibt es in Deutschland keine Alternative.
Eine solche Politik gibt es seit 1999 und das wird unter
dieser Bundesregierung auch so bleiben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({35})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Böhmer.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben ein ganz besonderes
Talent,
({0})
Sie können unangenehme Wahrheiten einfach ausblenden.
({1})
Das, was wir hier erlebt haben, ist eine geschönte Bilanz. Ihre Zahlentricksereien werden wir Ihnen heute
und auch in den anstehenden Haushaltsberatungen nicht
durchgehen lassen.
({2})
Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf,
zu erfahren, wie die Bundesregierung mit den Versprechungen, die sie einmal gemacht hat, umgeht. Sie haben
heute erneut vorgegaukelt - das hat der Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte am Dienstag ebenfalls getan -, dass Sie mehr Mittel zur Verfügung haben, als Ihr
Haushalt aufweist. In den Zeitungen ist immer wieder zu
lesen, die Steigerung Ihres Haushaltes betrage insgesamt
6,3 Prozent. Aber die Ausgaben für das Bauprogramm
für Ganztagsschulen gehören definitiv nicht in Ihren
Haushalt, sondern in einen anderen Bereich. Das ist die
Wahrheit.
({3})
Es ist eine bittere Wahrheit, dass die Mittel für Ihren
Haushalt nicht steigen, nicht stagnieren, sondern im
zweiten Jahr hintereinander zurückgehen. Sie können
noch so lange an die Vergangenheit erinnern, Tatsache
ist - schauen Sie sich an, was für heute und was für die
Zukunft gilt -: Ihr Haushalt befindet sich in einer
Abwärtsspirale.
({4})
Als ich diesen Haushaltsentwurf gelesen habe, hat
mich auch gewundert, dass Sie bei der Projektförderung
besonders drastisch kürzen; die Mittel für diesen Bereich
sinken um immerhin 8,2 Prozent. Für den Hochschulbau
stehen 12,7 Prozent weniger zur Verfügung. Sie kürzen
in zwei Kernbereichen. Das kann man nicht machen.
({5})
Mit diesem Streichkonzert nehmen Sie eine völlig falsche Weichenstellung vor. Sie haben mit Recht gesagt,
dass Innovationen und Forschung wichtig sind, und zwar
nicht nur für diese Bereiche selbst, sondern auch für die
Zukunft unseres Landes, für Wachstum und für Arbeitsplätze. Ohne Innovationen wird es kein Wachstum geben. Aber in genau diesen Bereichen treten Sie auf die
Bremse und damit verhindern Sie, dass es in unserem
Land wieder mehr Wachstum und Beschäftigung gibt.
({6})
Frau Bulmahn, junge Menschen sind die Leidtragenden Ihrer Politik.
({7})
Das ist die katastrophale Botschaft, mit der wir derzeit
landauf, landab konfrontiert sind. Mehr als 160 000 Jugendliche suchten Ende August noch einen Ausbildungsplatz. Die Situation ist schlimmer als im Jahr zuvor. Das ist ein Skandal und den werden wir auch so
benennen.
({8})
Es fehlen Zehntausende Ausbildungsplätze und Sie reagieren hilflos.
Am 18. März dieses Jahres haben Sie hier Folgendes
gesagt:
Jeder Jugendliche, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist, soll eine Lehrstelle bekommen.
({9})
So lautete Ihr Versprechen. Das war eine wichtige Aussage. Die Jugendlichen haben gedacht, sie könnten sich
darauf verlassen.
({10})
Ihr Kollege Clement hat vor kurzem erfahren, wie Jugendliche mittlerweile reagieren. Nachzulesen ist das in
einem Artikel des „Stern“, der mit „Die Lehrstellenlüge“
überschrieben ist. Sie wissen genau, was diese Schlagzeile beinhaltet. Jugendliche haben Herrn Clement bei
einer Veranstaltung in Rostock auf sein Versprechen angesprochen. Sie haben gesagt, dass sie „diese Heucheleien der Politik“ nicht mehr hinnehmen wollen. Fast die
Hälfte der Jugendlichen wird sich am Ende dieses Jahres
nicht in einer Lehrstelle wiederfinden, sondern in einem
Grundlehrgang, in einem Berufsgrundschuljahr, in einem Berufsvorbereitungsjahr, in einer Hauptschule oder
in einer Berufsfachschule, oft ohne Aussicht auf einen
Berufsabschluss. 40 Prozent der Jugendlichen in unserem Land haben das Schicksal zu erleiden, in Warteschleifen geparkt zu werden.
({11})
Ich zitiere die Äußerung einer jungen Frau im „Stern“:
Wir wollen keine bescheuerten Warteschleifen oder
Praktika, wir wollen echte Lehrstellen.
({12})
Diese Jugendliche hat Recht. Mit der Lehrstellenlüge
muss Schluss sein.
Weiße Salbe ist auch ihr JUMP-Programm: Nur jeder dritte Jugendliche, der in diesem Programm war, hat
sechs Monate nach Förderende einen Arbeitsplatz. Wir
wissen, dass in weiten Bereichen der neuen Bundesländer eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht und dass es dort
viele Jugendliche gibt, die händeringend einen Ausbildungsplatz suchen. Durch JUMP sind 30 000 Jugendliche in Sachsen-Anhalt gefördert worden. Was ist das Ergebnis? - Nach Auslaufen der Förderung fielen ganze
22 000 zurück in die Arbeitslosigkeit.
({13})
Angesichts dessen nenne ich das JUMP-Programm nicht
eine Hilfe, sondern eine Katastrophe. Sie sollten es sein
lassen.
({14})
Man muss einmal bedenken: Was sind die wahren Ursachen für diese Situation? - Es ist die trübe Auftragslage der Betriebe. Es ist die hohe Zahl von Insolvenzen,
40 000 pro Jahr. Woher sollen denn noch die Ausbildungsplätze kommen?
Werfen Sie doch einmal einen Blick in den Bereich
der Bundesregierung!
({15})
Da merkt man, wie Sie es mit Ausbildungsversprechen
halten. Herr Clement bietet in diesem Jahr 20 Ausbildungsplätze weniger an. Im Bundeskanzleramt gab es im
vergangenen Jahr fünf Ausbildungsplätze. In diesem
Jahr ist es nur noch ein Ausbildungsplatz.
({16})
Ich habe mir noch angesehen, was die Gewerkschaft
Verdi anbietet. Da beträgt die Ausbildungsquote ganze
0,3 Prozent. Das ist nicht nur blamabel, sondern entlarvend.
({17})
Am Montag hat der Bundeskanzler im Verbund mit
den Gewerkschaften erneut mit einer Ausbildungsplatzabgabe gedroht. Dazu muss ich Ihnen sagen: Eine solche Ausbildungsplatzabgabe, eine solche Zwangsabgabe
ist Gift - Gift für die Betriebe, aber auch Gift für alle
diejenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen.
({18})
Lassen Sie die Finger davon und bieten Sie den Jugendlichen einen echten Ausbildungsplatz an! Den Anfang
sollte der Bundeskanzler machen, indem er die Ausbildungsquote erfüllt und 20 Ausbildungsplätze anbietet.
({19})
An dieser Stelle möchte ich all denjenigen im Land
einen herzlichen Dank sagen, die trotz angespannter
wirtschaftlicher Situation einen Ausbildungsplatz zur
Verfügung stellen: den Handwerkern, den Unternehmen
und den Freiberuflern. All denjenigen, die jungen Menschen eine Chance geben, gilt unsere Anerkennung; wir
sagen Danke.
({20})
Frau Bulmahn, ich will auch noch eine andere Seite
des Problems ansprechen. Viele, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, bringen überhaupt nicht die Voraussetzungen dafür mit. Mir hat ein Malermeister gesagt: Die Bewerber können oftmals noch nicht einmal
den Umfang eines Rechtecks berechnen.
({21})
Das muss man sich einmal vorstellen! Sie sagen einfach:
Wir machen jetzt das Programm „Zukunft, Bildung und
Betreuung“. - Die SPD-Fraktion verteilt eine entsprechende Broschüre mit dem Titel „Lernen macht groß &
stark“.
({22})
Diese kostet übrigens 115 000 Euro. In meinen Augen
ist es unerhört, für eine derart dürre Broschüre Steuergelder zu verschleudern.
({23})
Wahrscheinlich haben Sie die Broschüre schon in den
bayerischen Landtagswahlkampf geschickt. Aber die
bayerischen Eltern werden zu lesen wissen und sich auf
solch eine Mär nicht einlassen.
({24})
Wenn Sie Ganztagsschulen heute als Alleskönner
propagieren, dann müssen wir schon einmal fragen: Was
können diese Schulen eigentlich leisten? Sie empfehlen
sie uns - das haben Sie auch am Montag wieder getan als Mittel gegen Analphabetismus, zur Überwindung
eines sozial ungerechten Schulsystems, für eine bessere
individuelle Förderung, für mehr Kreativität und für eine
höhere Qualität des Unterrichts.
({25})
Sie behaupten das alles gegen besseres Wissen. Schauen
Sie sich einmal an, was Ihr Programm in der Realität bewirkt! Es ist kein Schulprogramm, sondern ein Bauprogramm.
({26})
- Herr Tauss, welche Situation trifft man denn in Ganztagsschulen an, die mit diesen Mitteln gefördert werden?
Nach dem Unterricht wird ein Mittagessen angeboten.
Dann gibt es Hausaufgabenbetreuung und Lockerungsübungen. Es kommt jemand vom Musikverein oder von
den Landfrauen, um mit den Schülern kochen zu üben.
Und Sie wollen uns erklären, das sei Unterricht!
({27})
Das ist nicht Unterricht, sondern Betreuung.
({28})
Betreuung am Nachmittag halte ich für vernünftig;
denn wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber die Ganztagsschule, die Sie hier propagieren, ist kein Weg zu besserer Bildung. Diese Aussage ist von vielen Wissenschaftlern bestätigt worden.
({29})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Bitte.
Frau Böhmer, ist Ihnen entgangen, dass dieses Ganztagsprogramm die Forderung an die Länder beinhaltet,
ein pädagogisches Konzept zu erstellen?
({0})
Insofern ist das Ganze natürlich wesentlich mehr als einfach ein Schulbauprogramm. Das wissen Sie auch, es sei
denn, Sie hätten in den letzten Wochen und Monaten
permanent geschlafen.
({1})
Ich habe die Broschüre gelesen. Ich will Ihnen gerne
etwas daraus vorlesen. Da steht:
Ziel ist es, die Ganztagsbetreuung an Schulen zu
verbessern.
Dann sagen Sie, dass durch die Betreuung die Qualität
des Unterrichts erhöht werden soll. Im nächsten Punkt
steht dann, was mit diesen Mitteln gemacht werden soll
- darauf spielen Sie ja an -:
Mit den Bundesmitteln können sowohl Aus- und
Umbaumaßnahmen als auch Ausstattungsinvestitionen und Dienstleistungen,
({0})
die mit den Investitionen verbunden sind …, finanziert werden.
({1})
Warum soll denn die Qualität des Unterrichts allein
durch Baumaßnahmen steigen? In den neuen Bundesländern hat man genügend Räume, um die Schüler zu betreuen.
({2})
- Sie wollen noch eine weitere Frage stellen? - Ja, bitte.
Ich stelle die Frage noch einmal, da Sie nicht geantwortet haben: Wissen Sie, dass hinter jeder Ganztagsschule ein pädagogisches Konzept stehen muss? Selbst
wenn das in der Broschüre nicht erwähnt wäre,
({0})
müssten Sie das wenigstens aus der Arbeit im Bundestag
wissen. Ich halte es für fahrlässig, das einfach zu unterschlagen.
Ich richte meinen Blick jetzt einmal auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen; das ist Ihnen sicherlich sympathischer, als wenn ich jetzt auf Hessen oder Bayern
einginge. Wir wissen ja, dass dieses Programm in Nordrhein-Westfalen genutzt wird
({0})
und dass dort jetzt auch Nachmittagsangebote bzw. - in
Ihrer Ausdrucksweise - Ganztagsschulen eingeführt
werden. Wie geschieht das denn? Dort sind pro Gruppe
von 25 Kindern 0,1 Lehrerstellen vorgesehen. Wie wollen Sie mit einer Zehntellehrerstelle ein pädagogisches
Konzept am Nachmittag gewährleisten?
({1})
- Sie können ja gleich gerne noch einmal fragen.
({2})
- Ich bin noch nicht fertig. Sie dürfen ruhig noch ein
wenig Geduld aufwenden. - Es müssen also auch andere Kräfte eingesetzt werden, zum Beispiel ehrenamtliche Kräfte, die in der Regel für die Betreuung von
Kindern und Jugendlichen nicht qualifiziert sind. Es
macht einen Unterschied, ob ich abends in einem Sportverein mit Erwachsenen einen Trainingskurs abhalte
oder am Nachmittag im Rahmen von schulischen Freizeitangeboten - -
({3})
- Ich bin aber noch nicht fertig, Frau Präsidentin.
({4})
Es gibt keinen Grund zur Sorge. Ich habe die ganze
Zeit die Uhr angehalten. Inzwischen haben Sie schon
sehr viel Zeit für die Antwort benötigt. Sie sollten jetzt
auch wieder Ihre Rede fortsetzen.
({0})
Dieses vorgebliche pädagogische Konzept beinhaltet
also nichts anderes, als dass am Nachmittag Hausaufgabenbetreuung gewährleistet wird und außerunterrichtliche Angebote gemacht werden. Das ist noch lange kein
Unterricht. Damit kann man nicht von einer Qualitätssteigerung des Unterrichts sprechen.
Jetzt möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen,
was Nordrhein-Westfalen macht: In Nordrhein-Westfalen müssen die Eltern für die Betreuung der Kinder am
Nachmittag in Ganztagsschulen 100 Euro zahlen. Es ist
das erste Mal, dass in Deutschland für ein schulisches
Angebot am Nachmittag Schulgeld zu bezahlen ist. Das
finde ich unsozial.
({0})
So sieht also das aus, was die SPD realisiert. So kann
man kein Ganztagsschulangebot machen.
({1})
Jetzt möchte ich Ihnen noch eines sagen, weil Sie es
uns ja sonst nicht glauben. Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am
Main sagt: Ganztagsschulen als solche beeinflussen das
Leistungsniveau der Schulen in der Regel nicht. Vielmehr kann es - das ist der entscheidende Punkt - sogar
zu einer „Nivellierung im Leistungsbereich“ kommen.
Die Schwächeren können vielleicht etwas davon profitieren, aber die Stärkeren werden die Verlierer sein.
Deshalb sage ich: Hören Sie auf mit diesem Etikettenschwindel! Sagen Sie ehrlich, was Sie mit Ihrem ProDr. Maria Böhmer
gramm machen, nämlich Betreuung am Nachmittag. Das
wäre in Ordnung. Es handelt sich jedenfalls nicht um ein
Programm zur Steigerung der Bildungsqualität.
({2})
- Das machen Sie mit Ihrem Programm.
Im Mittelpunkt dessen, was ich bisher gesagt habe,
stand die Ausbildung.
({3})
- Herr Tauss, würden Sie sich bitte mäßigen!?
({4})
Herr Kollege Tauss, den Begriff „Hetze“ wollen wir
in diesem Parlament in der Regel vermeiden und dazu
rufe ich Sie zur Ordnung.
({0})
Ich glaube nicht, dass wir uns in einer für unser Land
so wesentlichen Frage, nämlich wie es um die Bildung
von Kindern bestellt ist - und das hängt wahrlich nicht
vom Faktor Zeit ab, Herr Tauss, sondern von der Qualität von Bildung -, auf einem solchen Niveau hier unterhalten können.
({0})
Weil ich mich wegen der Diskussion zum Thema
Ganztagsschulen nun nicht mehr ausführlich dem Thema
Forschungsförderung zuwenden kann, will ich dazu nur
eines sagen: Frau Ministerin, das, was Sie uns heute in
punkto Forschungsförderung aufgezeigt haben, wird
völlig konterkariert von dem, was Sie tatsächlich machen. Sie haben im laufenden Haushalt völlig überraschend die Fördermittel für die großen Forschungseinrichtungen in Deutschland gekürzt. Das war ein
Nackenschlag für die Forschung in unserem Land. Für
das nächste Jahr stellen Sie nun 3 Prozent mehr zur Verfügung. Damit werden Sie die Delle nicht ausgleichen
können.
({1})
Was Sie machen, ist im Grunde genommen ein Nullsummenspiel; denn Sie nehmen die Mittel von der Projektförderung weg, um sie den Forschungseinrichtungen zu
geben. Unter dem Strich bedeutet das keine Verbesserung, sondern das heißt: Wissenschaft finanziert Wissenschaft. Das ist kein Weg in die Zukunft.
Mit Ihrem Programm kürzen Sie bei den Zukunftsfeldern. Wir haben minus 5 Prozent bei der Informationstechnologie, wir haben minus 5 Prozent -
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit! Ihre Redezeit ist schon weit überschritten. Wir müssen ein bisschen mehr darauf achten, dass nicht jeder Redner seine
Redezeit um zwei Minuten oder sogar mehr überzieht.
Dann kommen wir in dieser langen Debatte nicht zum
Schluss. Darum möchte ich Sie herzlich bitten.
Gern, Frau Präsidentin, ich komme gleich zum
Schluss. - Bei der Nanoelektronik kürzen Sie um 5 Prozent, obwohl gerade dieser Bereich für die Zukunft unseres Landes so wichtig ist.
Wir haben Vorschläge für neue Strategien vorgelegt.
Mit Lavieren und Schönreden ist es hier nicht getan. Wir
brauchen eine Politik, die Forschung, Wissenschaft und
Bildung wieder voranbringt. Wir werden einem Haushalt
der gebrochenen Versprechen, einem Haushalt, der in weiten Bereichen innovationsfeindlich ist, nicht zustimmen.
Danke.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Reinhard Loske.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Böhmer, bevor ich zu meiner Rede komme,
ein paar kurze Repliken:
Erstens. Für die Ganztagsschulen sind 1 Milliarde
Euro in den Einzelplan 60 eingestellt. Ich frage mich,
was Sie für ein Investitionsverständnis haben. Wenn wir
eine bessere Infrastruktur in den Schulen schaffen, wenn
wir mehr Zeit für Bildung aufwenden, wenn wir mehr
Chancengleichheit bieten, ist das natürlich eine Investition in Bildung und muss auch als solche gerechnet werden. Das ist doch vollkommen klar.
({0})
Zweitens. Natürlich ist die Ganztagsschule nicht eine
Lösung für alles. Das liegt doch auf der Hand.
({1})
Aber Sie malen hier ein Schreckensbild an die Wand.
Offensichtlich haben Sie ein Problem damit, wenn man
Mitarbeiter aus Jugendzentren, Vertreter von Sportvereinen, Handwerker und Landfrauen an den Nachmittagen
in die Schulen holt. Wir betrachten das als eine Chance,
weil so die Kinder realitätstüchtig gemacht werden. Sie
haben wirklich ein sehr eigentümliches Verständnis.
({2})
Drittens. Natürlich sind Forschung, Bildung und
Innovation für uns und für diese Regierung eine übergeordnete Aufgabenstellung. Die Mittel dafür finden sich
nicht nur im Einzelplan der Bildungsministerin Bulmahn,
sondern auch in den Einzelplänen vieler anderer Ministerien. Es handelt sich eben um eine Querschnittsaufgabe,
die - das haben Sie in den letzten Tagen vielleicht den
Medien entnommen - auch vom Kanzler ernst genommen wird. Das unterscheidet diese Regierung in der Tat
von ihrer Vor-Vorgängerin, gar keine Frage.
Eine letzte Vorbemerkung. Man wird doch wohl noch
sagen dürfen - eigentlich will ich nicht Zahlen rauf- und
runterbuchstabieren -, dass zwischen 1994 und 1998 das
Haushaltsvolumen des damaligen BMFT unter Zukunftsminister Rüttgers deutlich gesunken ist und dass
das Haushaltsvolumen des BMBF zwischen 1998 und
2002 um 20 Prozent gestiegen ist, wenn wir die Mittel
für das BAföG und die Einrichtung von Ganztagsschulen hinzurechnen, sogar um 30 Prozent. Das sind die
Fakten. Zwischen 1998 und 2003 kam es also zu einem
deutlichen Aufwuchs um fast ein Drittel und vorher zu
einer deutlichen Kürzung. Das sollte man der Öffentlichkeit schon einmal sagen.
({3})
In diesen Tagen wird viel von der Agenda 2010 gesprochen. Das Ziel der Agenda 2010 ist, unsere sozialen
Sicherungssysteme bezahlbar zu halten und mehr Menschen Zutritt zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Das ist
sicherlich eine schmerzhafte Operation, aber bei allen
Unterschieden im Detail eine notwendige.
Einigkeit sollte aber darin bestehen, dass das bei weitem nicht hinreichend ist. Denn für die Frage, ob wir es
schaffen, eine lebendige, gesunde und nachhaltige Wirtschaft, eine Gesellschaft mit mehr Chancen für alle hinzubekommen, ist etwas anderes genauso entscheidend
- vielleicht sogar viel entscheidender -: die Schlüsselstellung von Bildung, Forschung, Innovationen und
Qualitätsproduktion. Das macht den Standort Deutschland aus. Die Phrase „Wir brauchen mehr Investitionen
in die Köpfe“ - das ist unser einziger Rohstoff - hat mittlerweile jeder im Mund. Ich will dies nicht wiederholen;
aber es ist Realität.
Es ist doch klar: Wenn wir zu Hause, auf den Heimatmärkten, zeigen, wie Innovationen funktionieren, dann
werden wir damit auch auf den Weltmärkten der Zukunft
eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen. Die Innovationsforscher nennen das First Mover Advantage, Entwicklung von Lead-Märkten,
({4})
also von Märkten, auf denen wir zeigen, dass unsere Innovationen funktionieren.
Es ist doch vollkommen klar: Bei der Herstellung von
industriellen und standardisierten Massenprodukten
haben wir in Deutschland keine spezifischen Wettbewerbsvorteile. Unser Wettbewerbsvorteil liegt in der
Innovation, in modernen Dienstleistungen, in der Qualitätsproduktion. Darauf zielt unsere Politik ab.
({5})
Zum Haushalt habe ich bereits einiges gesagt.
({6})
Zwischen 1994 und 1998 kam es zu einem Rückgang der
Mittelansätze, zwischen 1998 und 2002 zu einem Aufwuchs um 20 Prozent. Es stimmt allerdings: In den Jahren 2003 und 2004 hat es, geschuldet dem allgemeinen
Budgetdruck, eine Stagnation gegeben. Das ist zutreffend und das ist durchaus kritisch zu hinterfragen.
Trotzdem ist es in diesem Kontext gelungen, einige
wichtige Akzente zu setzen. Ich nenne das Inno-RegioProgramm in den neuen Bundesländern, die Fortsetzung
des internationalen Austausches von Wissenschaftlern
und Studierenden - das ist ganz zentral für uns - und
auch den Aufwuchs bei der institutionellen Förderung
der Forschungseinrichtungen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der
Helmholtz-Gesellschaft.
Ich will aber hinzufügen: Wir erwarten von der Industrie, dass sie mehr für die Forschung tut. Denn Forschung ist nicht nur eine Aufgabe des Staates. Ich halte
beispielsweise die im Rahmen des Gesundheitskonsenses - an dem auch die Grünen wahrlich Kritik anbringen
können - von der Pharmaindustrie ausgesprochene Drohung, abzuwandern bzw. Forschungsaktivitäten einzustellen, für vollkommen unakzeptabel.
({7})
Was das Geld betrifft, so muss man sagen: Wir haben
das Ziel, dass der Anteil der Mittel für Forschung und
Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2010
3 Prozent betragen soll. Wir liegen jetzt bei 2,4 bzw.
2,5 Prozent. Wir müssen also besser werden. Dieses Ziel
haben wir auf EU-Ebene und im Rahmen unserer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Wenn wir
dies ernst nehmen, dann müssen wir in den nächsten Jahren über die Gesamtgesellschaft einen jährlichen Zuwachs von 5 bis 6 Prozent im Bereich von Forschung
und Entwicklung erreichen.
Wir müssen uns Gedanken darüber machen, woher
neben den öffentlichen Haushalten zusätzliches Geld
kommt. Für uns Grüne ist die Idee des Stiftungskapitals
sehr wichtig. In den nächsten Jahren werden gigantische
Vermögen transferiert. Es ist zu fragen, ob man nicht einen Teil dieses Transfers für Bildung und Forschung
nutzbar machen kann. Entsprechende Rahmenbedingungen dafür zu setzen hätte einen sehr guten Zweck.
({8})
Eine zweite Maßnahme wäre: An den Staat fallende
Erbschaften - auch diese Diskussion wird geführt - sollten für Bildung und Forschung zweckgebunden werden.
Ich füge hinzu: Es wird in Zukunft eine höhere Eigenbeteiligung notwendig werden; das ist überhaupt keine
Frage. Die Konsumbudgets bzw. der Warenkorb der Zukunft werden sich ändern. Es wird weniger Geld für
kurzlebige Konsumgüter ausgegeben werden können
und mehr Geld für hochwertige Güter wie Bildung, WeiDr. Reinhard Loske
terbildung und Qualifizierung ausgegeben werden müssen.
({9})
Das ist für uns ein sehr zentraler Punkt.
Frau Präsidentin, ich sehe, die Lampe blinkt; meine
Redezeit läuft ab. Deswegen mein letzter Gedanke.
Zu den inhaltlichen Aspekten, die uns wichtig sind,
zur Energieforschung, Mobilitätsforschung und Umweltforschung, habe ich jetzt nichts gesagt. Bezüglich der
Energieforschung gibt es unsererseits durchaus einige
Kritikpunkte.
({10})
Aber ein Aspekt ist mir noch sehr wichtig, und zwar
die Strukturfrage. Es nützt nichts, mehr Geld in die bisherigen Strukturen zu pumpen. Da ist es ähnlich wie bei
der Sozialstaatsdebatte: Wir brauchen beides, mehr Geld
und Strukturreformen. Wir sehen die Notwendigkeit,
endlich einen Wissenschaftstarifvertrag einzuführen;
denn das öffentliche Dienstrecht und der BAT haben sich
in diesem Bereich als Korsett erwiesen, wodurch der Bereich wenig dynamisch und flexibel ist.
({11})
Als endgültig letzten Punkt - dann bin ich fertig,
Frau Präsidentin - spreche ich die Internationalisierung unserer Hochschulen an. Sie können nicht - das
richte ich an die Adresse der Union - einerseits fordern,
dass unsere Hochschulen internationaler werden, ihnen
aber andererseits gleichzeitig über das Aufenthaltsrecht
und das Arbeitsrecht einen Knüppel nach dem anderen
zwischen die Beine werfen. Das passt einfach nicht zusammen.
({12})
Ich kann nur sagen: Machen Sie den Weg frei für ein
modernes Einwanderungsrecht; dann verbessert sich
auch die Situation an unseren Hochschulen.
Danke schön.
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, Sie haben wirklich ein gutes Timing; das
muss man Ihnen lassen. Passend zur Landtagswahl in
Bayern haben Sie nun Ihr Viermilliardenprogramm „Bildung und Betreuung“ auf den Weg gebracht, das Sie
selbst das „größte bundesweite Investitionsprogramm
für Schulen“ nennen.
({0})
Lassen Sie mich für die Liberalen dazu sagen: Größe
ist nun wirklich nicht gleichbedeutend mit Qualität.
({1})
Dieses Programm ist groß, aber vor allen Dingen im
Hinblick auf seine Unzulänglichkeit.
Ihr Ganztagsschulprogramm ist - da stimme ich
Frau Böhmer zu, auf deren Seite ich selten stehe, wie die
Fachleute hier wissen - nicht mehr als ein Schulbauprogramm.
({2})
Die Konzepte, von denen Sie so gerne sprechen - sei es
das individuelle Lernen, sei es die Förderung von Lernschwachen und Hochbegabten, sei es mehr Kreativität -,
({3})
liegen doch in den Schubladen. Schauen Sie sich die Situation im Saarland an, aus dem der Kollege Hartmann
stammt: Da wird erst gar kein Kind gefunden, das in eine
solche Schule gehen möchte. Allein die 100 Euro - übrigens in einem CDU-geführten Land, Frau Böhmer schrecken die Leute ab. Dieses Konzept wird verpuffen,
weil die Länder wieder einmal nicht so reagieren, wie
wir uns das vorstellen.
({4})
Wenn ich nach links schaue und sehe, wie viele Ländervertreter dieser zentralen Bildungs- und Forschungsdebatte beiwohnen, bin ich wieder einmal entsetzt, wie wenig Bund und Länder zusammenarbeiten.
Liebe Frau Bulmahn, ich sage Ihnen ganz offen: Wir
glauben, Sie werden als oberste Kinderbetreuungsministerin der Nation in die Historie eingehen.
({5})
Ihrer eigentlichen Funktion, als Innovationsmotor diesem Land Anstöße für Kraftanstrengungen bei Forschung und Entwicklung zu geben, werden Sie nur unzureichend gerecht.
({6})
Sie loben sich ob der Zuwächse seit 1998 in Ihrem Etat.
Sie wissen, dass ich Ihre Einschätzung des Kollegen
Rüttgers teile. Aber ohne die 1 Milliarde Euro für die
Ganztagsschule liegt Ihr Haushalt natürlich unter dem
des Vorjahres. Da hat Frau Böhmer völlig Recht. Dem
erklärten Ziel, 2010 3 Prozent des BIP für Forschung
und Entwicklung auszugeben, sind Sie mit den
2,5 Prozent im Haushalt 2004 noch nicht einmal einen
Trippelschritt näher gekommen.
Meine Befürchtung ist - das sage ich einmal ganz
flapsig -, dass Sie sich diesen 3 Prozent aufgrund der
verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung wahrscheinlich von unten nähern werden. Ansonsten sehe ich bei Ihrem Etat keine Chance, dieses
Ziel zu erreichen.
Sie haben im Haushalt eine Reihe von Veränderungen
vorgenommen, die aber nichts Kraftvolles oder Innovatives enthalten. Ich mache das einmal in einem Bild deutlich: Sie ordnen wie eine besorgte Hausfrau die Geldscheine in Ihrem Portemonnaie; aber Sie bündeln sie
nicht für die wirklich wichtigen Aufgaben Ihres Amtes.
Gegenüber den großen Forschungsorganisationen
haben Sie zwar - Gott sei Dank! - Ihren Fehler vom
letzten Jahr, als Sie eine Nullrunde verordnet haben,
nicht wiederholt. Allerdings fragen sich die Wissenschaftler in diesen Organisationen nun schon seit Monaten: Wo stehen Sie, Frau Bulmahn, eigentlich in dem
Prozess, der uns alle, die wir in dieser Wissenschaftslandschaft tätig sind, seit langem umtreibt?
({7})
Wo sind Sie eigentlich in der Föderalismusdebatte? Wo
ist da die höchst gestellte und wichtigste Wissenschaftspolitikerin dieses Landes?
({8})
Das ist ein Ruf, der nun wirklich verpflichtet. Wo ist sie
bei dieser für uns essenziellen Frage: Wie ordnen wir
Wissenschaft und Wissenschaftsförderung in den nächsten Jahren? Während Sie sich - diesen Vorwurf muss ich
Ihnen machen - dem ermüdenden und, ich glaube, inzwischen auch völlig erfolglosen Kampf mit den Ländern über Schule und Co. hingeben, sind Sie auf Ihrem
ureigenen Gebiet für uns Liberale und für dieses Land
viel zu wenig sichtbar.
({9})
Wo ist Ihre Position bei der Neugestaltung der deutschen Forschungslandschaft? Seit Mai haben wir den
Vorschlag des Wissenschaftsrates zur strategischen Forschungsförderung auf dem Tisch. Transparenter soll es
werden, effizienter und schlagkräftiger. Nichts haben wir
dazu von Ihnen gehört. Der Wissenschaftsrat weist zu
Recht darauf hin, dass von der Gestaltung der Forschungsförderung abhängig ist, ob die Wissenschaft in
Deutschland in der Lage ist, in Teilbereichen der Forschung eine internationale Spitzenstellung zu erringen
und zu behaupten.
Recht hat er damit, dass es an Möglichkeiten fehlt,
Förderinitiativen zu koordinieren, dass es keine Verfahren gibt, um Lücken im Förderangebot aufzuspüren,
oder dass Doppelungen von Initiativen gang und gäbe
sind. Frau Bulmahn, ich sage Ihnen auch als Vorsitzende
des zuständigen Ausschusses: Hier erwarte ich Ihre Initiative, Ihre Gestaltungskraft, und zwar gerade zu Zeiten
knapper Kassen.
({10})
Was aber machen Sie? Sie schweigen nicht nur in dieser für die Wissenschaft geradezu lebenswichtigen
Strukturdebatte, sondern Sie geben in Ihrem Haushalt
auch keine Innovationsschübe. Sie senken - Sie können
darum herumreden, soviel Sie wollen - gerade die Förderung in den innovativen Technologiebereichen systematisch ab: Biotechnologie: minus 3,9 Prozent, Technologie- und Innovationsförderung: minus 6,3 Prozent,
Projektförderung: minus 16,3 Prozent, Nanotechnologie:
natürlich ein Minus - ich wage gar nicht, nach links zu
Frau Reimann zu schauen, nachdem wir gemeinsam in
den USA waren und gesehen haben, was die Amerikaner
dort machen -, Informationstechnik: ein Minus, Multimedia: ein Minus, Forschung für Mobilität und Verkehr:
minus 12,8 Prozent.
({11})
Insgesamt sind Sie bei der Förderung aller neuen Technologien heruntergegangen und haben nicht das getan,
was wir eigentlich alle von Ihnen erwartet haben.
({12})
Sie haben nämlich nicht das getan, was zum Beispiel
Großbritannien in der gleichen Zeit getan hat. Die Engländer haben ihre Mittel für die Forschung verdoppelt,
Frau Bulmahn. Das ist ein hoher Anspruch von Ihnen
gewesen, den Sie bis zum heutigen Tag leider nicht erfüllt haben.
In Richtung USA zu schauen, wage ich als deutsche
Forschungspolitikerin schon gar nicht mehr. Die Amerikaner haben die Mittel für die Nanotechnologie seit 2001
um 84 Prozent erhöht. Angesichts dessen sehen wir
wirklich alt aus. Im Jahre 2003 gibt es erneut ein Plus
von 17 Prozent. Die Mittel sind auf inzwischen
679 Millionen Dollar erhöht worden. Innerhalb der
nächsten drei Jahre ist der Einsatz von 2,3 Milliarden
Dollar für Forschungsprojekte in der Nanotechnologie
geplant.
Liebe Frau Bulmahn, mir ist klar, dass wir, was die
absoluten Zahlen angeht, natürlich nicht mit den USA
konkurrieren können. Das werden wir nur im europäischen Rahmen schaffen können. Aber mir und den Liberalen geht es um die Richtung, die wir hierbei einschlagen. Frau Ministerin, ich vermisse in dieser Regierung
die große und breit angelegte Innovations- und Technologiekampagne, die in anderen Ländern inzwischen gang
und gäbe ist. Eine solche erwarten wir von Ihnen.
({13})
Sie konzentrieren sich stattdessen auf die - wie Frau
Böhmer es immer liebevoll bezeichnet - Schulküchen.
({14})
Wir hätten es gerne gehabt - auch das will ich an dieser
Stelle sehr deutlich sagen -, wenn Sie noch einmal einen
Blick auf die Hochschullandschaft geworfen hätten. Was
hätten wir mit diesen Milliarden eigentlich alles tun können, wenn wir sie in den Hochschulbau gesteckt hätten,
Frau Bulmahn?
({15})
Was wäre da möglich gewesen? Da hätten wir doppelt so
viele Mittel für den Hochschulbau eingesetzt. Stattdessen werden sie - das habe ich eben schon in einem Zuruf
deutlich gemacht - bis 2007 von 1,1 Milliarden Euro auf
760 Millionen Euro heruntergefahren. Ihr „Pakt für die
Hochschulen“ - ein schöner Name, wie es bei dieser Regierung üblich ist - beinhaltet nur Mittel in Höhe von
32 Millionen Euro, Frau Bulmahn. Das ist doch überhaupt nichts.
({16})
Wir brauchen Geld für die Hochschulen dieses Landes. Ich kann vieles nachempfinden; denn in der Föderalismusdebatte ist manches unerträglich.
({17})
Aber ich bitte Sie inständig, Frau Bulmahn: Steigen Sie
als Bund nicht aus der Hochschulbauförderung aus!
({18})
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einem
Problem sagen, das uns alle berührt und für das Frau
Böhmer vorhin sehr viel Zeit verwandte. Es geht um das
Thema Lehrstellen. Ich kann auch hier vieles nachempfinden, weil ich weiß, wie schwierig es für eine Regierung ist, dafür zu sorgen, dass alle unsere Jugendlichen
eine Lehrstelle bekommen. Aber Sie müssen in Ihrem
Etat schon entsprechende Akzente setzen. Stattdessen
fahren Sie ihn herunter. Sie haben die Mittel sowohl für
das Programm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern als auch die Mittel für die
überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsstätten zurückgefahren. Außerdem streichen Sie dem Institut, das
in diesem Bereich forscht, 12 Prozent der Gelder.
Wir Liberalen haben immer zu wenig Redezeit, um
die guten Rezepte, die wir für dieses Land haben, vorzustellen. Lassen Sie mich zum Schluss aber noch Folgendes sagen: Eines steht fest, liebe Frau Bulmahn: Je länger Sie im Amt sind, desto ähnlicher werden Sie leider
Ihrem Vorgänger, Herrn Rüttgers,
({19})
nicht optisch, aber in Ihrer Unbeweglichkeit. Wir wollen
von Ihnen Reformen, Frau Bulmahn. Dafür sind Sie gewählt worden. Wir wollen keinen Haushalt, in dem einfach nur verwaltet wird. Wir wollen, dass sich dieses
Land bewegt. Wir sind die Ersten, die an Ihrer Seite stehen, wenn Sie etwas Gutes auf den Weg bringen.
Herzlichen Dank.
({20})
Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Flach, im Namen meiner Fraktion muss ich den Vergleich mit Herrn Rüttgers ganz scharf zurückweisen,
({0})
nicht nur was das Aussehen, sondern vor allen Dingen
was den Inhalt betrifft. Dazu gehören auch die Punkte,
die Sie zum Schluss aufgeführt haben.
Der Etat 2004 ist ein Spar- und Reformetat. Machen
Sie sich das bewusst: Als der Haushalt für 2004 aufgestellt wurde, gab es durch die Wachstumsschwäche der
vergangenen Jahre Steuermindereinnahmen, die zu einem Konsolidierungsvolumen von 15 Milliarden Euro
geführt haben. Diese 15 Milliarden Euro müssen eingespart werden, um einen verfassungsgemäßen Haushalt
für 2004 vorlegen zu können.
({1})
- Ich komme gleich noch darauf zu sprechen.
Die Einsparungen und damit die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts sind die Voraussetzung dafür, die
dritte Stufe der Steuerreform vorziehen zu können.
Als Haushälter sage ich - die Haushälter sind dafür bekannt, eher konservativ zu sein -: An dieser Stelle ist es
vertretbar, mithilfe einer höheren Neuverschuldung - wir
versuchen, sie so niedrig wie möglich zu halten; wir stehen ja erst am Beginn des Verfahrens - die Steuerreform
vorzuziehen, um der Wirtschaft den Schub zu geben, den
sie meines Erachtens braucht, und um den Verbrauchern,
die im nächsten Jahr 15 Milliarden Euro mehr in den Taschen haben, Vertrauen zu geben.
Die Generaldebatte gestern sollte eigentlich ein
Schlagabtausch sein. Ich hatte erwartet, auch im Rahmen
der Forschungsdebatte einiges von Ihnen zu hören.
({2})
Aber ich muss sagen: Die gestrige Debatte war wirklich
jämmerlich. Nehmen Sie es mir nicht übel: Es war ein
Qualitätsunterschied wie zwischen Bundesliga und Regionalliga.
({3})
Sie haben kein Konzept. Ich hoffe für dieses Land, dass
Sie sich nach der Bayernwahl endlich durchringen, Entscheidungen mit zu treffen.
({4})
Was Sie gestern und leider auch heute hier geliefert haben, ist einer Opposition eigentlich nicht würdig.
Wir befinden uns in der ersten Lesung des Haushalts
für Bildung und Forschung. Wir werden in den nächsten
Wochen Ihre Vorschläge entgegennehmen - vielleicht
sagt Herr Willsch gleich schon etwas dazu -, was Einzelposten des Etats betrifft. Einige Punkte, die schon angesprochen wurden und die die Besonderheit dieses Haushalts darstellen, möchte ich jetzt herausgreifen.
Es ist richtig, dass Umschichtungen vorgenommen
wurden. Frau Böhmer, Sie haben schon den Punkt Ganztagsschulprogramm angesprochen. Was anderes als Bildungsausgaben sollen diese Ausgaben sonst sein? Wenn
ich mich recht entsinne, heißt das betreffende Ministerium Ministerium für Bildung und Forschung. Daher ist
es doch egal, ob die Ausgaben im Einzelplan 60 oder im
Einzelplan 30 eingestellt werden.
({5})
Es tut mir wirklich Leid, dieses Argument verstehe ich
nicht. Das trifft im Übrigen - das darf ich mit Verlaub
sagen - auf die ganze Debatte zu, die Sie heute hier geführt haben. Diese habe ich insgesamt nicht verstanden.
({6})
Was Sie über die Qualität der Leistungen gesagt haben, fand ich sehr diffamierend. Aber sei’s drum. Es sind
Ihre ideologischen Auffassungen, in denen Sie sich verfangen haben. Ich hoffe für dieses Land insgesamt und
für die Länder, in denen Sie mitregieren, dass Sie wenigstens dort so viel Sachverstand zeigen, damit die
wirklich ordentlichen Konzepte, die wir an dieses Geld
geknüpft haben, auch umgesetzt werden.
Ihre Kollegin Reiche, die ich heute hier vermisse,
({7})
hat im Jahr 2003 in der letzten Debatte zum Etat gesagt
- das habe ich mir extra aufgeschrieben -, dass wir gerade für Sechs- bis Zwölfjährige mehr Betreuungsangebote am Nachmittag brauchen. Dafür haben wir im Jahr
2003 mit 300 Millionen Euro die Grundlage gelegt; im
Jahr 2004 sind es 1 Milliarde Euro. Die Länder haben
nach der Verfassung die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung. Ob das richtig ist und so sein sollte,
ist eine andere Frage. Aber das fordert die Verfassung
derzeit in unserem Land.
({8})
Ihre Kommentare machen deutlich: Ihnen fehlen die
grundlegendsten haushaltspolitischen Grundverständnisse.
({9})
Denn es ist doch klar, dass wir jeden Euro im Haushalt
nur einmal ausgeben können.
Wir haben zum Beispiel im Bereich Ganztagsschulen
einen Schwerpunkt gesetzt. Das haben wir bereits im
Wahlkampf getan. Hierzu stand im Wahlprogramm eine
der ganz wenigen Aussagen hinsichtlich der finanziellen
Mittel. Das wird auch erfüllt. Schließlich sind wir gewählt worden und haben den Auftrag dazu bekommen.
Dass wir auch andere Prioritäten setzen müssen, ist
doch logisch. Man kann nicht immer nur eingefahrene
Wege einschlagen, sondern muss in einigen Bereichen
auch Änderungen vornehmen. Als Beispiel möchte ich
die Eigenheimzulage nennen. Ich komme damit wieder
auf den Gesamthaushalt zu sprechen. Man muss überprüfen, ob man diese Subvention, gegen deren Abschaffung Sie sich wehren, nicht neu konstruieren muss. Die
Eigenheimzulage war in den 90er-Jahren sicherlich sinnvoll; heute ist sie es nicht mehr. Deswegen muss sie
überprüft und verändert werden. Ich hoffe, dass Sie im
Bundesrat entsprechend Einsicht zeigen werden.
({10})
Frau Böhmer hat den Punkt Ausbildungsplätze angesprochen. Sie wissen sicherlich, dass wir im Rahmen des
Haushalts 2003 gerade in den neuen Bundesländern die
Zahl der Stellen aus dem Ausbildungsplatzprogramm
von 12 000 auf 14 000 erhöht haben. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass es notwendig und richtig war, dass wir
diese Entscheidung getroffen haben.
Sie haben auch die Verantwortung des Bundes und
der öffentlichen Hand als Arbeitgeber angesprochen.
Dazu möchte ich Ihnen konkrete Zahlen nennen. Beim
Bund ist die Zahl der Ausbildungsplätze von 5 148 im
Jahr 2002 auf 5 349 im Jahr 2003 gestiegen. Der Bund
ist seiner Verantwortung damit nachgekommen.
({11})
Wir im Haushaltsausschuss haben gerade für das Ministerium für Bildung und Forschung und die nachgeordneten Einrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft und
die Max-Planck-Gesellschaft festgelegt, dass sie diese
Zahl von Ausbildungsplätzen bereitstellen sollen. Im
Haus von Frau Bulmahn sind 55 Stellen hinzugekommen.
({12})
Ich wünschte mir, dass auch die Privatwirtschaft ihrer
Verantwortung in dem Maße nachkommen würde, wie
es im Moment der Bund tut.
Zum Abschluss eine kurze Einordnung in den Gesamthaushalt. Es ist richtig, dass bei der Projektförderung die Mittel gesenkt wurden; da gebe ich Ihnen völlig
Recht. Es ist aber auch richtig, dass wir gleichzeitig das
Versprechen eingelöst haben, das der Bundeskanzler gegeben hat, und die institutionelle Förderung bei der
Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft um 3 Prozent erhöhen. Ich glaube, dass das ein
sehr wichtiges Signal ist.
Sehen Sie sich einmal die Entwicklung bei den Mitteln insgesamt an. Sie wissen, dass der Forschungsetat
im Jahr 2003 noch mit 300 Millionen Euro aus UMTSMitteln gespeist worden ist. Im Jahr 2004 sind durch das
Auslaufen der UMTS-Gelder bzw. des Zinsvorteils - das
war die Absprache, die wir in der Koalition getroffen haben - diese Mittel zurückgegangen. Trotzdem steigt der
Etat für den Einzelplan 30 um 150 Millionen Euro. Es
sind also über 150 Millionen Euro hinzugekommen. Ich
freue mich, dass dieser Bereich trotz der Einsparanstrengungen in anderen Haushalten - ich denke an das Auswärtige Amt oder das Verbraucherschutzministerium;
das sind grüne Ressorts; es sind aber auch SPD-Ressorts
betroffen -, die signifikante Senkungen aufweisen, mit
insgesamt über 6 Prozent Steigerung heraussticht.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich gespannt auf
die Haushaltsberatungen im Ausschuss und darauf bin,
welche Vorschläge Sie dazu vorlegen, wo Sie einsparen
wollen. Darüber hinaus freue ich mich natürlich auf die
zweite und dritte Lesung, die wir hier mit Sicherheit erfolgreich bestreiten werden.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen:
Das Land muss sich anstrengen. Wir haben große
Defizite, bei der technologischen Innovation, bei
Bildung und Qualifizierung. Wir bilden viel zu wenig Naturwissenschaftler… aus. Uns fehlen schon
heute 70 000 Ingenieure… Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig.
So SPD-Fraktionschef Franz Müntefering am 6. September in der „Berliner Zeitung“. Eine richtige Erkenntnis nur, die Verantwortung dafür trägt Rot-Grün.
({0})
Was läuft tatsächlich? Zentralismus und Gängelung
ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bildungs- und
Forschungspolitik von Rot-Grün. 2004 kommt keine Initialzündung, sodass der Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland im Wettbewerb auch nicht
gewinnen kann. Erwin Staudt, IBM-Aufsichtsratsvorsitzender, stellte in den VDI-Nachrichten vom 15. August
fest:
Die erste Runde im Rennen um Innovationen ist
verloren. Wegweisende Trends kommen aus anderen Ländern.
Auch der Haushaltsentwurf 2004 bringt nicht den entscheidenden Impuls. Die Ausgaben für Bildung und Forschung sinken im Einzelplan 30 um 155 Millionen Euro,
also um 1,8 Prozent. Nach den Berechnungen von Frau
Bulmahn führt dieses Minus aber zu einem Plus von
6,3 Prozent. Was wie ein Fall für PISA aus SPD-Zeiten
in Niedersachsen aussieht, nämlich wie mangelnde mathematische Kenntnisse, ist in Wirklichkeit eine rotgrüne Showeinlage, politische Hochstapelei.
({1})
Die Zahlen aus dem Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - werden einfach dem Bildungs- und Forschungshaushalt hinzuaddiert.
({2})
Da kann man gleich nachschauen, ob wir nicht auch in
anderen Einzelplänen, zum Beispiel dem Einzelplan 33
zum Thema Versorgung, etwas Dienliches zum Aufpeppen der eigenen Bilanz finden können. Das ist schon
eine recht dreiste Art der Politik.
So, wie Sie den Haushalt aufgebaut haben, greifen Sie
der anstehenden Föderalismusreform vor. Der Bund baut
Ansätze aus, in denen er eigentlich kaum inhaltliche Zuständigkeit hat - wie zum Beispiel in der Bildungsplanung
- und verweigert seine heutige Verantwortung dort, wo er
künftig den Ländern die Finanzierung in die Schuhe
schieben möchte. So erfährt allein der Hochschulbau mit
einer Kürzung von 135 Millionen Euro - minus 12,7 Prozent - einen richtigen Kahlschlag. Das wird man an den
Hochschulen in Deutschland spüren. Dank Ihrer Politik,
Frau Bulmahn, wird es im nächsten Jahr keine neuen
Hochschulbauprojekte mehr geben. Da ist es schon ein
Hohn, wenn diese rot-grüne Bundesregierung in ihrer
Agenda 2010 ankündigt, den Anteil der Erstsemesterstudenten an den Abiturienten von 35 auf 40 Prozent steigern
zu wollen, und gleichzeitig die Mittel für den Hochschulbau reduziert. Das ist einfach eine Frechheit.
({3})
Die Studierenden sollen sich offensichtlich mit den chronisch unterfinanzierten und schlecht ausgestatteten
Hochschulen abfinden. Das ist gegenüber den Studierenden schon verdammt unehrlich.
({4})
Mit 2,7 Millionen Euro für Hochglanzbroschüren und
andere Werbemaßnahmen verkauft Frau Bulmahn das
Ganztagsschulprogramm als Allheilmittel gegen die
PISA-Defizite. Was hier stattfindet, ist teure Selbstbeweihräucherung auf Kosten der Steuerzahler.
({5})
Worum geht es bei den Ganztagsschulen? Sie sind ein
wichtiger Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und müssen deshalb auch bedarfsorientiert ausgebaut
werden. Sie sind aber eben keine bildungspolitische Antwort. Das ist das Missverständnis, dem Sie unterliegen.
({6})
Für Schüler verbessert sich nichts, wenn ein schlechter
Unterricht am Vormittag auf den Nachmittag ausgedehnt
wird.
({7})
Es geht vielmehr darum, eine Qualitätssteigerung aller
schulischen Angebote hinzubekommen. Das muss das
Ziel sein.
({8})
Ihr Ganztagsschulprogramm ist in Wirklichkeit ein
reines Bauprogramm für zusätzliche Räume.
({9})
Aus den Mitteln dürfen keine neuen Lehrer und Erzieher
finanziert werden. Räume ohne Lehrer - das ist Ihr
schulpolitisches Angebot.
({10})
Die Länder müssen ein Zehntel der Baukosten selbst
aufbringen und die gesamten Kosten für die Lehrer oder
die Betreuung tragen. In drei Jahren läuft Ihr Programm
aus. Die Kommunen und die Länder bleiben aber auf
diesen Kosten sitzen. Das ist die bittere Realität Ihrer
Politik.
Wir unterstützen das Vorhaben, Ganztagsschulangebote auszubauen. Dieses rot-grüne Programm ist aber
eine Eintagsfliege. Wir - das tun auch unsere Länder schlagen deshalb vor, dass die Länder und Kommunen
eine Erhöhung ihres Umsatzsteueranteils im gleichen
Volumen erhalten, damit sie Lehrerstellen finanzieren
können. Das würde die Selbstverantwortung der Kommunen und der Länder stärken.
({11})
Ihr Strohfeuer wird in den Kommunen viel Frust erzeugen; denn diese wollen dauerhafte Angebote haben.
Frau Bulmahn, in Ihrer Politik ist keine Stringenz
feststellbar. Bildungs- und Forschungspolitik werden gegeneinander ausgespielt. Das Kerngeschäft Forschung
wird vernachlässigt. Frau Bulmahn hat sich in die Schulpolitik geflüchtet, obwohl sie dort im Prinzip gar nichts
zu suchen hat.
({12})
Taugt Deutschland zum Standort für Spitzentechnologie? Das fragt IBM-Chef Erwin Staudt. Er gibt auch
gleich die Antwort - Zitat -: „derzeit nicht“. Derzeit regieren Sie, Frau Bulmahn. Es gibt im nächsten Jahr zwar
Erhöhungen für die Wissenschaftsorganisationen. Aber
das ist ein Jahr zu spät. Daneben gehen sie voll zulasten
der Projektforschung. Gerade diese Projektforschung
dient dazu, Kostenkontrolle zu gewährleisten und Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzuführen.
Das Institut der deutschen Wirtschaft befürchtet, dass
der Forschungsstandort Deutschland in die Zweitklassigkeit abrutscht. Vom Erreichen des Ziels, das Sie in der
EU und auch im Koalitionsvertrag unterschrieben haben,
nämlich bis zum Jahre 2010 Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Höhe von 3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu realisieren, sind Sie mit Ihrem aktuellen
Haushalt meilenweit entfernt.
Wir brauchen ein forschungsfreundliches Klima. Frau
Bulmahn, dazu haben Sie in Ihren jetzt fünf Amtsjahren
kaum etwas beigetragen. Im Gegenteil: Sie haben dem
Forschungsstandort Deutschland Fesseln angelegt. Ich
denke nur an die Biotechnologiepolitik. Auf dem Gipfel
in Barcelona wurden alle Regierungen aufgefordert, eine
nationale Strategie für die Biotechnologie vorzulegen.
({13})
Bislang ist hier Fehlanzeige zu verzeichnen. In der Biotechnologie ist es zur Stagnation gekommen, Firmen
brechen weg. Die grüne Gentechnik wird von Ihnen aus
ideologischen Gründen ausgebremst. Das De-facto-Moratorium lähmt das Wachstum in dieser wichtigen Branche.
({14})
Die Haushaltsmittel für das nationale Genomforschungsnetz - ein wichtiges Projekt - werden um
17 Millionen Euro, das sind 25 Prozent, gekürzt. Damit
werden die Chancen deutscher Forschung geschwächt;
Spitzenforscher wandern ab. Beim nationalen Weltraumprogramm betragen die Kürzungen 3,5 Millionen Euro.
Auch bei den Nanotechnologien wird gekürzt, nämlich
um 6 Millionen Euro. Das ist Ihre forschungspolitische
Visitenkarte, Frau Bulmahn.
Von den Großprojekten mit strategischer Bedeutung
in der Grundlagenforschung - ich nenne nur ITER und
die Europäische Spallationsanlage - haben Sie sich, Frau
Bulmahn, längst verabschiedet. Auch in diesen Forschungsfeldern, in denen wir in Deutschland noch Vorsprung haben, geht die wissenschaftliche Führungsrolle
an die USA und Japan verloren; dafür sind Sie verantwortlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei den Lehrstellen kann die rot-grüne Bundesregierung ihr Versprechen nicht halten.
({15})
167 000 Jugendliche sind noch nicht versorgt und suchen bis zum 30. September noch eine Lehrstelle. Das
ist ein trauriger Nachkriegsrekord. In einer solchen Situation legen Sie einen Haushalt auf den Tisch dieses Hauses, in dem die Zuwendungen für die überbetrieblichen
beruflichen Ausbildungsstätten um 5 Millionen Euro
und das Programm für Ausbildungsentwickler im Osten
Deutschlands um 1,5 Millionen Euro gekürzt werden.
Das ist angesichts der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, vor der wir gemeinsam stehen, grotesk.
({16})
Die Ausbildungsplatzabgabe ist der falsche Weg.
Das hat auch die Bauindustrie gezeigt, in der es eine solche Umlage gibt. Alle Betriebe zahlen seit 1987 in einen
Fonds. Aus diesem Fonds wird ein Teil der Ausbildungsvergütung für die Azubis erstattet. Trotz dieser Umlage
ist die Zahl der Lehrstellen innerhalb von fünf Jahren
von 100 000 auf 40 000 zurückgegangen.
({17})
Das zeigt: Eine Ausbildungsplatzabgabe schafft mehr
Bürokratie, aber keine zusätzlichen Ausbildungsplätze.
({18})
Sie wollen die Abgabe in Unternehmen erheben, bei
denen weniger als 6 Prozent der Beschäftigten Auszubildende sind. Fangen Sie gleich im Bundeskanzleramt an;
denn dieses wäre zahlungspflichtig: Es hat zu wenig
Auszubildende.
({19})
So weit klaffen Anspruch und Realität Ihrer eigenen
Politik während Ihrer Regierungsverantwortung auseinander.
({20})
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss: Rot-Grün - das spüren wir
alle - hat kein Profil und schon gar keine Visionen. Es
gibt durch diesen Haushalt keine Initialzündung und
keine Aufbruchstimmung.
Lassen Sie mich mit einem Zitat Ihres Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering enden: Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig. - Recht hat
er. Aber die Konsequenzen wollen Sie bislang nicht ziehen.
Herzlichen Dank.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU verschließt mal wieder die Augen
vor der Realität. Fakt ist: Die rot-grüne Bundesregierung
plant, im Jahr 2004 insgesamt 9,6 Milliarden Euro für
Bildung und Forschung auszugeben. Das sind - das können auch Sie nicht ignorieren - wieder 300 Millionen
Euro mehr als in diesem Jahr und 2,3 Milliarden Euro
mehr als 1998, dem letzten Jahr der schwarz-gelben Regierung unter Helmut Kohl. Wir schultern dies trotz
knapper Kassen; denn eines ist zumindest Rot-Grün klar:
Die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands
und das Wohlergehen unserer Kinder hängen entscheidend von Chancengerechtigkeit und der Qualität unseres
Bildungswesens ab.
Von diesen 9,6 Milliarden Euro kommt im nächsten
Jahr allein 1 Milliarde Euro dem Ausbau von Ganztagsschulen zugute. Gute Ganztagsschulen sind für uns
Grüne ganz klar ein unerlässlicher Beitrag, um den
Schulerfolg eines Kindes von seiner sozialen Herkunft,
von Einkommen und Bildung der Eltern endlich abzukoppeln. Andere Staaten - auch das sollte die CDU/CSU
nicht ignorieren - sind uns hier weit voraus.
({0})
Wir fordern die unionsgeführten Landesregierungen
auf, unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet nicht
durch eine rückwärts gerichtete Schulpolitik zu unterlaufen. In Niedersachsen und Hamburg droht uns derzeit
bildungspolitisch ein Rückfall ins 19. Jahrhundert. Wir
appellieren an Sie: Ignorieren Sie nicht länger die internationalen Erfahrungen.
Auch in anderen Bildungsbereichen investieren wir
kräftig. Wir geben abermals mehr Geld für das BAföG
aus. Die Erfolge, die wir schon in den letzten Jahren mit
der BAföG-Reform erzielt haben, wollen wir sichern
und weiter ausbauen.
({1})
Um unsere Unis für die Zukunft fit zu machen, benötigen wir grundlegend neue Wege der Hochschulfinanzierung. Unsere Hochschulen brauchen mehr als nur
eine Politik des Stopfens von Finanzlöchern. Wir müssen die Ausgaben für Forschung und Bildung auch in
den Ländern - das ignoriert die CDU/CSU in dieser Debatte wieder völlig - endlich als die entscheidende Investition in unsere Zukunft begreifen. Studiengebühren
sind für die Haushaltskonsolidierung im Bildungsbereich jedoch keine Lösung. Die Erfahrung zeigt, dass sie
in den defizitären Länderhaushalten versickern. So
kommt es mit Sicherheit nicht zu einer substanziellen
Verbesserung für Hochschulen und Studierende.
({2})
Wir müssen den Zugang zu Bildung für alle Menschen verbessern. Eine private Beteiligung an den Ausbildungskosten ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie uns
hilft, den Teufelskreis von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu durchbrechen. Die Hochschulfinanzierung ist aber nur eines der Probleme, mit denen wir uns
bei der Erneuerung des Föderalismus im Bildungsbereich beschäftigen müssen. Insbesondere auch die berufliche Bildung ist von der allzu großen Verflechtung von
Bundes- und Länderkompetenzen betroffen. Ich hoffe,
dass wir in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Reform des Föderalismus zu tragfähigen
Ergebnissen für den Bildungsbereich kommen. Ein von
Machtpolitik bestimmtes sachfremdes Geschachere können wir uns hier wirklich nicht weiter leisten.
({3})
Bildungspolitische Kompetenz darf nicht einfach
bloß als Verhandlungsmasse dienen, wie Sie es, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit Ihrem
Ausstieg aus der gemeinsamen Bildungsplanung beabsichtigen. Wir riskieren sonst, uns zulasten der jungen
Menschen und der Zukunftsfähigkeit bei allen wichtigen
bildungspolitischen Weichenstellungen von der Schule
bis zur Weiterbildung selbst zu blockieren. Das kann und
darf kein verantwortungsbewusster Politiker zulassen.
Ich appelliere an Sie, die Blockaden endlich aufzugeben.
Leider war heute in dieser Debatte wieder kein Zeichen
dafür erkennbar. Das bedauere ich ausdrücklich.
Ich fordere Sie auf, mit der Bundesregierung in den
Ländern gemeinsam zum Wohle unserer Kinder an
grundlegenden, notwendigen Reformen für unser Bildungssystem mitzuarbeiten. Ich hoffe, dass Sie in den
nachfolgenden Debatten dazu bekehrt werden.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSUFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Für das Verständnis des Einzelplanes 30 benötigt man
vor allem zwei Fähigkeiten: erstens Einbildungskraft
und zweitens Forscherdrang. Das ist sehr passend für
den Haushalt der Bundesministerin Frau Bulmahn.
Einbildungskraft - das heißt auch Fantasie, was bekanntlich aus dem Griechischen kommt - braucht man,
um den Versprechungen der Bundesregierung auf dem
Gebiet der Bildung und Forschung Glauben schenken zu
können. Landauf, landab wird verkündet, 3 Prozent des
Bruttoinlandproduktes sollten in Bildung und Forschung
investiert werden und in zehn Jahren wollten wir an der
Spitze der Bildungsnationen stehen. Aber übrig geblieben sind ganz dürre Zahlen.
Forscherdrang ist erforderlich, damit man nach allen
Verschiebungen im Haushaltsplan versteht, was überhaupt noch wie finanziert wird. So sinken die Ausgaben
für die allgemeine Projektförderung um circa 16 Prozent. Gleichzeitig steigen aber die Ausgaben des Ministeriums ganz erheblich an. Dies allein ist schon eine
Signalwirkung, die völlig falsch ist.
Werte Frau Ministerin, Sie stellen sich nicht nur der
Föderalismusdebatte nicht, mit Ihrem Verhalten und diesem Haushalt wird eines deutlich: Bildung soll zu einem
Schlachtplatz der Föderalismusdebatte werden. Mit Ihrem Vorgehen versuchen Sie, die Bildungspolitik - das
ist die eigentliche Katastrophe - zentralstaatlich einzuebnen.
Sie haben am Montag verkündet, mit dem Ganztagsschulprogramm werde das größte bundesweite Schulprogramm aller Zeiten gestartet. Das ist ziemlich leicht,
sind doch bisher die Länder dafür zuständig. Man kann
hier nur von einer verlogenen Politik aus falscher Gnad
und Barmherzigkeit sprechen. Die Bundesregierung
wirft den Bundesländern für ihre ureigensten Aufgaben
Brosamen hin, verweigert aber eine anständige Finanzausstattung der Länder und Kommunen, und zwar auch
über das Jahr 2007 hinaus.
({0})
An den Ganztagsschulen hängt nicht das Seelenheil
der Republik. Halbtagsschulen in Bayern haben in der
PISA-Studie besser abgeschnitten als viele Ganztagsschulen in anderen Ländern,
({1})
vielleicht auch deshalb, weil der Bund bislang dort nicht
hineinschwätzen konnte.
({2})
Es wurde vielfach auf die Bildungsstandards hingewiesen. Mit aller Macht will Frau Bulmahn hier die Kompetenz der Länder in Sachen Bildungspolitik umgehen.
Selbst nach der Entscheidung der KMK über Bildungsstandards verkündete Frau Bulmahn unverdrossen die
Erstellung eigener Bildungsstandards, wahrscheinlich
möglichst minimaler. Ich denke, die Kultusministerkonferenz ist hier auf dem richtigen Weg. Warten wir doch
einmal das Ergebnis im Dezember ab. Sehr geehrte Frau
Ministerin, bevor Sie also weiter im Länderrevier wildern, konzentrieren Sie sich auf Ihre eigentlichen Aufgabenfelder. Da haben Sie verdammt viel zu tun.
({3})
Bereits in der nächsten Woche findet die BolognaNachfolgekonferenz zur Schaffung eines europäischen Hochschulraumes in Berlin statt. Im Rahmen des
Bologna-Prozesses haben sich die über 30 europäischen
Unterzeichnerstaaten zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr
2010 einen gesamteuropäischen Hochschulraum zu verwirklichen. So begrüßenswert dieses Projekt ist, so
schwierig ist es sicher. Momentan steht für den BolognaProzess kein ständiges Büro zur Verfügung. Die Organisation der Konferenzen wird immer von den jeweiligen
Gastgebern übernommen. Es fragt sich, ob angesichts
von mittlerweile 33 Unterzeichnerstaaten nicht dauerhafte Strukturen erforderlich sind, um den Bologna-Prozess zeitgemäß umzusetzen.
({4})
Hier wäre die Bundesministerin gefragt. Welche Strukturziele verfolgen Sie? Ein schwieriger Punkt ist auch
die Qualitätssicherung der einzelnen Bildungsangebote
im Rahmen des Bologna-Prozesses. Unterschiedliche
Bildungssysteme aus der Türkei, Ungarn oder Deutschland gilt es unter einen Hut zu bringen. Sogar Russland
und die Ukraine haben ihr Interesse an der Mitgliedschaft bekundet.
Der Bologna-Prozess steht auch als Synonym für
einen flächendeckenden Umstieg auf Bachelor- und
Masterabschlüsse. Wenn die Idee von Bologna Bestand
haben soll, muss es baldmöglichst einen Qualitätskonsens über diese Studiengänge geben. Hierbei sind die
Tatkraft und das Engagement der Bundesministerin gefragt.
({5})
In dieser Woche hat auch die neue WTO-Runde im
mexikanischen Cancun begonnen, bei der es wieder um
GATS - also um die Einbindung von Dienstleistungen
in den Welthandel - gehen wird.
Für Bildungs- und Kultureinrichtungen können sich
aus den geplanten GATS-Vereinbarungen zahlreiche Gefahren ergeben. Darauf haben wir in diesem Haus bereits
hingewiesen. Zwar werden die Verhandlungen von der
Europäischen Kommission geführt, aber eine kritische
Beobachtung und Berichterstattung - auch und gerade
durch die Bundesministerin für Bildung und Forschung - ist dabei dringend erforderlich.
({6})
Frau Bundesministerin, auch im Bereich der beruflichen Bildung ist Ihr Einsatz dringend gefragt: Die dramatischen Zahlen bei den fehlenden Ausbildungsstellen
zeigen, dass in diesem Bereich Reformbedarf herrscht.
Die Ausbildungsplatzabgabe ist jedoch - das müsste Ihnen auch bekannt sein - ein völlig falsches Mittel. Das
müssten Sie doch Ihren Kabinettskollegen nahe bringen
können. Nutzen Sie die schon lange versprochene Reform des Berufsbildungsgesetzes, um die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu fördern und die Berufsausbildung stärker an den innerbetrieblichen Arbeitsprozessen
zu orientieren! Denn nur mit Freiwilligkeit und einer vernünftigen Steuer- und Wirtschaftspolitik können wir die
Krise im Ausbildungssektor meistern. Verpulvern Sie vor
allem nicht Millionen für erfolglose JUMP-Programme!
Stecken Sie das Geld lieber in die direkte Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze!
({7})
Beschäftigen Sie, sehr geehrter Kollege Schneider, sich
vor allem einmal mit unserem Antrag vom 1. Juli 2003,
der klar formulierte Forderungen enthält!
Lassen Sie mich noch etwas zur Nachhaltigkeit anmerken. Angesichts der Fülle von Projekten, die sich
laut Haushaltsplan per se mit Nachhaltigkeit beschäftigen, ist es wünschenswert, dass einmal konkret angeschobene Projekte weiter gefördert werden.
Unter dem Stichwort „Zukunftsinitiative Hochschule“
stellte der Bund für das Haushaltsjahr 2003 19 Millionen Euro aus den UMTS-Erlösen für eine so genannte
Verwertungsoffensive zur Verfügung. Im Haushaltsplan
2004 ist aber von einer Verwertungsoffensive nicht mehr
die Rede. Das Patentwesen ist mit mehreren anderen
Punkten zusammengefasst und es ist sehr schwer nachzuvollziehen, wie die Mittel im Haushalt eingeplant werden.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Frau Präsidentin, ich sehe das Blinken.
Ich hoffe, dass im Patentwesen keine Beerdigung
zweiter Klasse stattfindet. Ich hoffe auch, dass wir bei
der Erstattung von Darlehensausfällen im Rahmen der
BAföG-Leistungen nicht mehr mit über 40-prozentigen
Ausfällen rechnen müssen. Vielleicht sind Sie bereit,
eine Änderung der Fragebögen für die betroffenen Studenten zu befürworten. Das wäre eine dankenswerte
Aufgabe Ihres Hauses.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wir werden in der nächsten Woche eine umfassende
Lehrstellendebatte führen. Ich will mich deshalb jetzt
nicht allzu ausführlich dazu äußern. Aber eines möchte
ich deutlich machen: Die Art und Weise, wie Frau
Böhmer und Sie mit den Sorgen junger Menschen umgehen, ist geradezu unglaublich. Ich glaube, das ist nicht
akzeptabel.
({0})
Bei all Ihren Schuldzuweisungen müssen Sie sich
überlegen, wem Sie eigentlich die Schuld zuschieben
wollen. Einerseits war die Regierung schuld, die bekanntlich an allem schuld ist, wahrscheinlich auch daran,
dass es draußen regnet. Andererseits aber meinen Sie,
die Jugendlichen seien nicht geeignet, die Ausbildungsplätze auszufüllen. In dieser Form mit den Jugendlichen
umzugehen ist meines Erachtens nicht anständig. Ich
kann Sie nur auffordern, das zurückzunehmen.
({1})
Ich weise im Übrigen darauf hin, dass - das hat das
Bundesverfassungsgericht bestätigt - berufliche Bildung in den Betrieben stattzufinden hat. Nicht die Regierung oder sonst irgendjemand, sondern die Wirtschaft
hat die Verpflichtung, Ausbildungsplätze zur Verfügung
zu stellen.
({2})
Die Wirtschaft will diese Aufgabe wahrnehmen und wir
wollen das duale System. Die Wirtschaft hat - wie es der
Kanzler und unser Fraktionsvorsitzender gestern mit
Recht deutlich gemacht haben - die Verpflichtung,
10 000 unversorgte Jugendliche endlich mit einem Ausbildungsplatz zu versorgen. Dann müssen wir uns auch
nicht über gesetzliche Maßnahmen unterhalten. So einfach, wie Sie es sich machen, ist es nicht.
({3})
Herr Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Pieper?
Von Frau Pieper habe ich schon lange nichts mehr gehört. Bitte schön.
({0})
Herr Tauss, ich wußte, dass Sie sich über meine Zwischenfrage freuen werden.
Wie erklären Sie sich eigentlich, dass die Zahl der
fehlenden Lehrstellen in Deutschland in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist und dass es das Phänomen
gibt, dass die Jugendarbeitslosigkeit - auch in den alten
Bundesländern - dreimal so stark gestiegen ist wie die
gesamte Arbeitslosigkeit in Deutschland? Meinen Sie
nicht, dass hier ein Zusammenhang mit den für die kleinen und mittelständischen Unternehmen gestiegenen
Kosten für Arbeitsplätze und Lehrstellen besteht?
({0})
Sie haben doch diesen Anstieg mit Ihrer Politik der
Steuererhöhungen und der hohen Sozialabgaben verursacht.
({1})
Liebe Frau Kollegin Pieper, Ihre Zwischenfrage gibt
mir Gelegenheit, einige Missverständnisse auszuräumen,
die es - das hat auch die heutige Rede von Herrn
Brüderle deutlich gemacht - in Ihrer Fraktion gibt. Erstens. Es gab Entlastungen im steuerlichen Bereich. Es
wird weitere geben.
({0})
Zweitens zu den Ausbildungsplätzen: Ein neues
Gutachten beweist, dass Betriebe durchaus von Ausbildung profitieren, und zwar nicht nur im Sinne der Nachwuchssicherung, sondern auch in finanzieller Hinsicht.
({1})
- Sie hat behauptet, dass die Kosten für Arbeitsplätze
und Lehrstellen gestiegen seien.
Wir werben doch für Ausbildung und machen die Betriebe auf die positiven Wirkungen aufmerksam.
Noch eines, Frau Pieper: Wir wenden inzwischen
6 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln auf, um unversorgte Jugendliche in öffentlichen Einrichtungen unterzubringen. So kann es nicht weitergehen. Natürlich
haben wir im Moment ein Problem. Das ist nicht verwunderlich; denn die Zahl der Ausbildungsplätze ist bisher in jeder schwierigen konjunkturellen Situation zurückgegangen. Gerade deswegen sagen wir an die
Adresse der Betriebe: Denkt an die Zukunft und arbeitet
zukunftsgerichtet. Es ist doch Unfug, in einer schwierigen konjunkturellen Situation auf die Ausbildung junger
Menschen zu verzichten; denn in ein paar Jahren wird
man sie händeringend suchen. Bildet also jetzt aus!
({2})
Ich betone noch einmal: Die Wirtschaft profitiert von
Ausbildung, und zwar auch im betrieblichen Alltag.
Liebe Frau Pieper, es liegt also nicht an dem, was Sie
angesprochen haben, sondern daran, dass ein Teil der
Wirtschaft - nur von diesem rede ich - seinen Aufgaben
nicht nachkommt. Dieser Teil lässt den Tag einen guten
Herrn sein und schmarotzt; denn er wartet darauf, dass er
diejenigen bekommt, die von anderen ausgebildet worden sind. Den Betrieben, die so verfahren, sagen wir in
aller Deutlichkeit: So geht es nicht! Auch ihr habt eure
Verpflichtungen zu erfüllen! Darum geht es. Alle, die
ausbilden, loben wir dagegen von morgens bis abends.
({3})
Liebe Frau Kollegin Böhmer, Sie haben die Ausbildungsplätze im öffentlichen Bereich angesprochen. Ich
kann mich nicht in allen Bereichen auskennen. Aber ich
sage Ihnen eines - Sie telefonieren wahrscheinlich gerade mit einer Lokalzeitung; Sie sollten mir lieber zuhören -: Die SPD-Bundestagsfraktion bildet seit zwei Jahrzehnten aus. In diesem Jahr haben wir 20 Auszubildende.
Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem, was meine Fraktion leistet. Sorgen auch Sie dafür, dass junge Menschen
in diesem Hause einen Ausbildungsplatz bekommen.
Wenn Sie das tun, leisten Sie einen wichtigen Beitrag.
({4})
Frau Präsidentin, um mir eine Rüge zu ersparen,
werde ich nicht das Wort „Hetze“ gebrauchen, sondern
von Ausfällen reden. Frau Böhmer, ich weise Ihre Ausfälle gegen die Ganztagsschule zurück. Aber am meisten haben mich Ihre Ausfälle gegen die Musikvereine
geärgert. Es war über die Maßen unanständig, wie Sie
mit den Musik- und Kulturvereinen in diesem Land umgegangen sind. Ich fordere Sie deshalb auf, sich noch
heute - möglichst in dieser Debatte - dafür zu entschuldigen. Es wäre verdienstvoll, wenn Sie das täten.
({5})
Denn wir haben nicht zu viel Musikunterricht, sondern
zu wenig künstlerischen Unterricht an unseren Schulen.
Ich bin für jede Musikerin und jeden Musiker sowie jeden Dirigenten dankbar, der an eine deutsche Schule
geht, um den Kindern Unterricht zu erteilen, selbst dann,
wenn er nicht ein Studium von zehn Semestern hinter
sich gebracht hat; Hauptsache, er beherrscht sein Instrument und kann Kindern etwas beibringen.
Liebe Frau Böhmer, ich weiß ganz genau, warum Sie
so sehr gegen die Ganztagsschulen sind. Sie haben mit
diesem Thema nämlich die Wahl in Rheinland-Pfalz
verloren, weil Sie an den Interessen der Eltern vorbeiargumentiert haben. Diese haben uns gewählt, weil sie
gesehen haben, dass man mit dem überkommenen böhmerschen Bildungsmodell - das haben Sie auch heute
wieder skizziert - keine Zukunft gestalten kann, dass
dieses Modell den Kindern schadet. Wir hingegen wollen etwas für die Kinder tun.
({6})
Frau Böhmer, darüber habe ich mich erregt und jetzt
errege ich mich fast schon wieder. Ich werfe Ihnen als
CDU-Frau nicht vor, dass Sie Zitate und Studien verfälschen - das sind wir gewohnt -, aber Ihnen als deutscher
Professorin werfe ich es vor, wenn Sie so etwas tun.
({7})
Das schreibe ich Ihnen nun in aller Klarheit ins Stammbuch.
({8})
- Herr Rachel, verhalten Sie sich ein bisschen ruhiger.
Wenn Sie wissen wollen, was ich kritisiere, dann stellen
Sie eine Frage.
Frau Schmoll von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die hier zitiert worden ist, hat einen Artikel geschrieben, auf den sich Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende bezogen hat. Sie hat uns aus diesem Artikel
vorgetragen. Ich sage Ihnen jetzt, was Professor
Dr. Eckhard Klieme zu dem gesagt hat, was die „FAZ“
geschrieben hat:
Frau Schmoll greift einzelne Befunde - zum Beispiel 30 Jahre alte Daten zur „Nivellierung“ von
Schülerleistungen - heraus und kommt zu einer
Kritik an Ganztagsschulen, die durch unsere Studie
keineswegs gedeckt ist.
So weit möchte ich aus der Studie vortragen.
({9})
Ich kann dazu, dass Sie sich auf die „FAZ“ und nicht
auf die Studie beziehen, nur sagen: Das ist einer deutschen Professorin,
({10})
die wissenschaftlich gearbeitet haben will, unwürdig.
({11})
Jetzt haben wir dieses Problem gelöst und können
wieder auf den Haushalt zu sprechen kommen.
Herr Kollege Tauss, Frau Kollegin Böhmer würde
gern eine Zwischenfrage stellen.
Vielleicht entschuldigt Sie sich dann gleich auch bei
den Musikvereinen; das wäre gut.
Sie würde gern eine Zwischenfrage stellen. Lassen
Sie diese zu?
Ich lasse sie selbstverständlich zu.
Bitte schön, Frau Böhmer.
Herr Tauss, ist Ihnen bekannt, dass in der „Frankfurter Rundschau“ und nicht in der „FAZ“ der Artikel erschienen ist, auf den ich mich beziehe? Dort wurde am
10. September unter der Überschrift „Ganztagsschule ist
stark und schwach“ geschrieben:
Hingegen fällt die elterliche Unterstützung von
Kindern aus sozial höher gestellten Familien weg.
„Beides zusammen kann eine Nivellierung im Leistungsbereich bewirken.“
Ich frage Sie, ob Sie weitergelesen haben; dort heißt es:
So ließen etwa Lehrerbefragungen den Schluss zu,
dass integrierte Gesamtschulen „im sozialen Bereich eher ermutigende, im Leistungsbereich eher
kritische“ Ergebnisse erzielten.
Das generelle Fazit der Forscher: „Aus empirischer
Sicht muss die Wirkung ganztägiger Schulorganisation auf die Entwicklung der Schüler als weitgehend ungeklärt angesehen werden.“
Wenn Sie hier behaupten, damit wäre eine Verbesserung der Bildung verbunden, dann irren Sie, Herr Tauss.
({0})
Das wird auch durch Ihre Ausfälle hier nicht besser.
({1})
Sie haben bewusst das falsch interpretiert, was ich zu
Musik- und Sportvereinen und zu den Landfrauen gesagt
habe. Dazu sage ich Ihnen: Sie arbeiten mit Unterstellungen und dieses Verhalten weise ich klar zurück.
({2})
Zunächst einmal bitte ich Sie, mir für die Beantwortung
der Frage freundlicherweise zur Verfügung zu stehen.
({0})
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie sich fehlinterpretiert
fühlen, aber ich kann nur noch einmal sagen, dass ich
nur das interpretieren kann, was Sie hier gesagt haben.
Ich glaube, das ist im ganzen Haus gehört worden.
Ich entschuldige mich ausdrücklich bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
({1})
Die „FAZ“ kam mir so in den Sinn. Ich habe mir in der
Tat gar nichts anderes vorstellen können.
({2})
Sie haben völlig Recht, der Artikel ist in der anderen
Frankfurter Zeitung erschienen; das macht ihn aber nicht
besser.
Ich kann noch ein wenig aus der Studie zitieren und
dabei auf Ihre Frage zurückkommen.
Rheinland-Pfalz ist mit 81 neuen Ganztagsschulen … gestartet.
({3})
- Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage.
({4})
Frau Kollegin Böhmer, der Kollege Tauss beantwortet
immer noch Ihre Frage.
({0})
In Rheinland-Pfalz - das ist das Bundesland, aus dem
Sie kommen - hat die Zahl der angemeldeten Schüler
um ein Drittel zugenommen. Von „keinem Interesse“
kann also nicht die Rede sein.
({0})
In der Studie von Klieme steht ausdrücklich - ich
zitiere, dann haben wir die Frage geklärt -:
Es lohnt sich also, Ganztagsschulen gründlich zu
erproben und zu untersuchen. Dazu bietet das neue
Bund-Länder-Programm
- es wurde von der Bundesministerin angestoßen eine gute Basis.
Jetzt ist Ihre Frage beantwortet.
({1})
Herr Kollege Tauss, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Böhmer?
Bitte schön, Frau Böhmer.
Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt, dass das rheinland-pfälzische Konzept für Ganztagsschulen ausschließlich bei der Betreuung ansetzt? Ist Ihnen bekannt,
dass dieses Konzept die Gestaltung der Zeit nach dem
Mittagessen und die Einbindung von Vereinen umfasst?
Ist Ihnen bekannt, dass dieses Konzept eine Nachmittagsbetreuung nur bis Donnerstag vorsieht, weswegen
man am Freitag nicht mehr von einer Ganztagsschule
sprechen kann? Ist Ihnen weiter bekannt, dass die KMK
eine Unterscheidung zwischen offenen und gebundenen
Ganztagsschulen trifft? Ist Ihnen bekannt, dass wir es
dort, wo es um Unterricht geht, mit gebundenen Ganztagsschulen zu tun haben? An diesen Schulen haben wir
selbstverständlich Möglichkeiten, zu besserer Bildung
zu kommen. Alles, was wir hier diskutieren, zielt aber
auf offene Ganztagsschulen, also auf mehr Betreuung,
hin. Darin liegt der große Unterschied.
Ich will Sie auch fragen: Ist Ihnen deutlich geworden -
Frau Kollegin Böhmer, Sie wollten eine Zusatzfrage
stellen.
Dann soll Herr Tauss doch bitte einmal antworten.
Liebe Frau Kollegin Böhmer, ich bin auch für diese
Frage außerordentlich dankbar.
Erstens. Die Bundesländer sind - ich kann darauf nur
nochmals verweisen - für die Ganztagsschulen verantwortlich. Ich finde es gut, dass in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Konzepte verfolgt werden. Kollegin Burchardt hat ein paar positive Beispiele aus NRW
genannt. Ich kenne die Situation dort nicht ganz so gut,
weil ich leichter in die Pfalz komme.
({0})
- Ich schaue mir das in Dortmund gern einmal an.
Ich sage aber überall, wohin ich komme, ausdrücklich: Es muss selbstverständlich überall ein pädagogisches Konzept geben. In Rheinland-Pfalz gibt es - ich
habe mir das tatsächlich angeschaut; vielleicht schauen
wir uns einmal gemeinsam Ihren Bereich an - unterrichtsbezogene Ergänzungen, themenbezogene Projekte,
Angebote für eine unterstützende Förderung und eine
Freizeitgestaltung unter pädagogischer Anleitung.
({1})
Das sind die vier Säulen des rheinland-pfälzischen Konzepts. Ich wäre froh, wenn sie überall so realisiert würden.
({2})
Kommen wir zurück zum Haushalt. Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik haben auch in Zukunft
einen zentralen Platz in der Politik der SPD-geführten
Bundesregierung. Bei allen Haushaltsproblemen, die wir
haben: Wir scheuen den Vergleich mit Ihrer 16-jährigen
Regierungszeit in diesem Zusammenhang weiß Gott
nicht.
({3})
Keine Rednerin und kein Redner von Ihnen hat zum
Thema Vergleichbares gesagt, auch Frau Merkel nicht,
wie gewohnt. Für sie ist das ein Randthema. Sie hat sich
Zeit dafür genommen, um auf die Frage einzugehen, wie
eine im Springer-Verlag erscheinende Berliner Zeitung
möglicherweise zu behandeln ist. Das ist aber ein Thema
für sich.
Der Kanzler hat deutlich gemacht - ich zitiere ihn an
dieser Stelle gerne -, dass über die Zukunft „bessere Betreuung unserer Kinder, mehr Investitionen in Bildung,
mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung“ entscheiden. Der Kanzler hat mit seiner Schlussfolgerung
Recht, dass jetzt darüber zu entscheiden ist, ob Deutschland in fünf, zehn oder 20 Jahren noch ein Land ist, in
dem es soziale Gerechtigkeit gibt, und ob der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland - das hat
unmittelbar etwas mit dem Wirtschaftsstandort zu tun in dieser Form fortbesteht. Das sind die Herausforderungen, die diese Regierung angenommen hat.
({4})
Ich will auf Ihr Gemäkel gerne eingehen. Auch in der
letzten Haushaltsberatung haben Sie uns hart kritisiert.
Damals haben Sie uns vorgeworfen, keine Anträge vorgelegt zu haben. Wir, die Ausschussmitglieder, haben
bei den letzten Haushaltsberatungen beispielsweise dafür gesorgt, dass die Mittel für die DFG kräftig erhöht
werden. Diese Leistung haben wir Bildungs- und Forschungspolitiker gemeinsam mit unseren Haushältern erbracht. Wir lassen uns also auch an diesem Punkt nichts
vorwerfen.
Ich werfe natürlich einen freundlichen Blick in Richtung Finanzministerium. Staatssekretär Diller lächelt. Er
weiß, dass wir darüber oft diskutieren. Er ist in einer beklagenswerten Situation: Ihre Mehrheit im Bundesrat
verhindert, dass sein Ministerium das Geld bekommt,
das es braucht. Auch die Situation im Bereich Bildung
und Forschung wird besser, wenn diese Blockaden aufhören.
Egal wie lange wir über 2006 hinaus regieren: Im Jahr
2007 oder 2008 wird hier kein sozialdemokratischer
deutscher Kanzler Fehler in der Wissenschafts- und Forschungspolitik einräumen müssen. Wir werden mit absoluter Sicherheit dafür sorgen, dass dieser Fall nicht eintritt, auch über die mittelfristige Finanzplanung.
({5})
Selbstverständlich gibt es darüber noch Diskussionen
mit dem Finanzminister. Das ist doch völlig klar. Eines
ist auch klar: Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie bei Herrn
Waigel noch nicht einmal beim Pförtner vorbeigekommen sind, können wir mit denen diskutieren. Wir haben
etwas getan. Sonst wären wir zu den Aufwüchsen, die es
heute gibt, nicht gekommen. Als Fachpolitiker würden
wir gern mehr tun - das ist keine Frage -, aber die Unterstützung des Finanzministeriums hatten wir in der Vergangenheit. Ich bitte darum, Herr Staatssekretär, dass
wir sie auch in Zukunft haben.
Reformen im Bildungsbereich sind angesprochen
worden. Sie haben gesagt, die Ministerin habe nichts getan. Frau Flach, bitte! Gucken Sie doch gelegentlich einmal öffentlich-rechtliches oder auch privates Fernsehen!
Wer allein die Nachrichtensendungen verfolgt, weiß,
dass dieser Vorwurf gegenüber der Bildungsministerin
nicht aufrechtzuerhalten ist. Das ist nicht nur nicht fair;
es ist auch nicht korrekt.
Die Ministerin hat gemeinsam mit den Ländern das
Forum Bildung auf den Weg gebracht, in dem wir bildungspolitische Zielsetzungen verabredet haben, von denen sich ein Teil der Länder - auch solche, in denen Sie
Regierungsverantwortung tragen - heute leider verabschiedet. Ich hoffe, dass wir es bei der Föderalismusdebatte schaffen, den Bildungsbereich im Mittelpunkt zu
halten. Sie können dabei mithelfen.
Jetzt will ich noch etwas zur Forschung sagen.
Schade, dass Herr Glos nicht da ist. Ihr Müllermeister
meinte gestern, auch etwas zum Thema „Absolventenzahlen in den Naturwissenschaften“ sagen zu müssen.
Ich werfe Herrn Glos, dem Müllermeister, nicht vor, dass
er nicht alles weiß, aber sein Referent hätte es wissen
müssen. Was er da nämlich gesagt hat, war - wie sagt
Herr Westerwelle immer? - gaga; das ist nicht von mir,
sondern von Westerwelle.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
wir haben zu wenig Absolventen im Bereich der
Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften, der
Physik und anderer Fächer. Nur: Das sind die, die 1998
und davor, also unter Ihrer Regierung, mit dem Studium
angefangen haben. Wenn es damals wenige Studienanfänger waren, können es heute nicht mehr Absolventen
sein. Das ist ein einfacher, logischer und auch ohne
PISA erkennbarer Zusammenhang.
({6})
Jetzt sage ich Ihnen mal was! 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung, hatten wir 40 000 Studienanfänger in den Naturwissenschaften. Im letzten
Jahr hatten wir 62 000!
({7})
Von 40 000 auf 62 000 in den Naturwissenschaften unter
dieser technikfeindlichen Regierung, die dieses Land ins
Elend führt!
Ich kann es Ihnen auch für den ingenieurwissenschaftlichen Bereich sagen. Bei den Ingenieurwissenschaften
waren es zu Ihrer Zeit 47 000 Studienanfängerinnen und
-anfänger; übrigens kaum Studienanfängerinnen. Auch
das haben wir gesteigert. Wir haben etwas für die Frauen
in dem Bereich getan. Wir haben sie gefördert. Statt
47 000 haben wir heute 57 000 Studienanfängerinnen
und -anfänger in den Ingenieurwissenschaften. So viel
zu dem Elend, das Sie beschrieben haben.
({8})
Wenn Sie hier schon so reden, dann möchte ich Ihnen
Folgendes sagen: Machen Sie in Bayern einmal Ihre
Hausaufgaben bezüglich der Ingenieurwissenschaften!
An der Münchner Universität, einer der renommiertesten Technischen Universitäten, die wir neben Aachen
und Karlsruhe im Land haben, wurde einer der renommiertesten Lehrstühle im Bereich Maschinenbau nicht
wiederbesetzt. Man hat gesagt: Das ist alte Technik; das
wollen wir nicht mehr. In München streichen Sie Lehrstühle in den Ingenieurwissenschaften und uns werfen
Sie vor, nicht genügend für die Ingenieurwissenschaften
zu tun! Es ist unglaublich, mit welcher Frechheit Sie hier
im Deutschen Bundestag Reden halten!
({9})
Lieber Herr Fischer, bleiben wir mal in Karlsruhe,
der Nachbaruniversität, weil Sie sich sonst noch den
ganzen Tag aufregen.
({10})
Dort hat die Landesregierung die Mittel im Bereich Ingenieurwissenschaften um 50 Prozent reduziert. 50 Prozent weniger für den Maschinenbau an einer der besten
deutschen Maschinenbauhochschulen mit der ältesten
Tradition in Deutschland! Landesregierung BadenWürttemberg, schwarz-gelb! Kommen Sie nicht damit,
da wären auch wir schuld! Wahrscheinlich meinen Sie,
wir hätten in Baden-Württemberg irgendwie den Herrn
Teufel verhext oder so etwas. Nein, nein!
Das Problem dieser Debatte ist: Sie gehen in diese
Debatte hinein ohne eine Mindestmaß an Seriosität, was
die Zahlen angeht. Das müssen Sie sich vorwerfen lassen.
({11})
- Was ist mit dem Tauss? Wenn Sie etwas wissen wollen, dann kommen Sie doch einfach einmal zu mir.
Dann hat Frau Merkel viel Zeit gebraucht, um einiges
zurechtzurücken. Sie hat gesagt - das ist auch eine ausgesprochene Unverschämtheit -, wir hätten ein HRG, ein
Hochschulrahmengesetz, gemacht, mit dem wir die
Langzeitstudierenden fördern. Entschuldigung, aber im
HRG steht ausdrücklich, dass von Langzeitstudierenden,
die ihren Hintern nicht mehr aus der Universität kriegen,
Gebühren erhoben werden können. Was ist eigentlich in
der Folge unseres HRG-Entwurfs geschehen? - Von Ihnen regierte Länder klagen dagegen! Sie klagen dagegen,
dass wir die Frage der Studiengebühren inklusive der für
Langzeitstudierende regeln. Sagen Sie das bitte auch
Frau Merkel, da sie heute ja anscheinend keine Zeit hat.
Dann haben wir noch das Thema Zuwanderung. Sie
jammern immer darüber, dass uns die besten Köpfe verließen. In den USA ist es inzwischen so, dass 55 Prozent
der Forschungsleistungen durch Ausländer erbracht werden. Ich will das hier nicht, das sage ich, damit kein
Missverständnis entsteht. Sie aber lehnen im Bundesrat
alle sachlichen Vorschläge zur Zuwanderung von unserer Seite ab und hetzen in den Bierzelten gegen die Ausländer. Ein solches Verhalten ist nicht korrekt.
({12})
Herr Kollege Tauss, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Frau Präsidentin, ich danke Ihnen herzlich für diesen
Hinweis. Damit habe ich jetzt also keine Gelegenheit
mehr, zu BAföG, zu Inno-Regio, zum Pakt für Hochschulen, zur Bedeutung der Wissenschaft in -
Herr Kollege Tauss, Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen.
({0})
Deswegen habe ich das jetzt in einem Satz zusammengefasst.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, liebe
Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin.
({0})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Tauss, Sie
sind ja hinlänglich dafür bekannt, dass Sie die Schwäche
Ihrer Argumente durch die Lautstärke Ihres Vortrages zu
übertönen versuchen.
({0})
Heute hat das nun solche Ausmaße angenommen, dass
ich wirklich versucht war, die Parlamentsärztin anzurufen. Ich dachte nämlich, Ihr Zustand würde kritisch.
Was Sie hier ansonsten an Beschimpfungen und
Schmähungen gerade auch gegenüber Damen meiner
Fraktion vorgetragen haben,
({1})
lässt mich an Ihrer guten Schule zweifeln. Sie sollten das
Unterrichtsfach für gutes Benehmen, sobald es irgendwo
gelehrt wird - über die Einführung eines Benimmunterrichts wird ja in einigen Ländern diskutiert -, einige Semester belegen. Das kann Ihnen nur gut tun.
({2})
Ich möchte jetzt aber zur Haushaltsdebatte zurückkommen, meine Damen und Herren,
({3})
auch wenn das schwer ist. Denn was uns hier vorgelegt
worden ist, ist ja eigentlich nicht beratungsfähig. Uns
liegen Zahlen vor, die nicht annähernd der Realität entsprechen. Das betrifft den ganzen Haushalt wie auch den
Einzelplan 30. Noch einmal zur Erinnerung - Herr Diller
ist ja da -: Es werden 2 Prozent Wachstum unterstellt;
das glaubt aber kein Mensch mehr, nicht einmal mehr
das Finanzministerium - das haben wir jetzt auch von
Ihnen selbst gehört, aber auch vorher gab es schon entsprechende Verlautbarungen aus dem Ministerium. Ich
würde das als hartnäckige Realitätswahrnehmungsstörung bezeichnen, wenn ich es höflich formuliere; wenn
man etwas härter zulangen wollte, könnte man sagen:
bei Rot-Grün wieder nichts als Lug und Trug.
({4})
Die Prognosen der Jahre zuvor haben sich alle nicht
erfüllt, die Wirtschaftsinstitute sehen für das kommende
Jahr durch die Bank Wachstumsaussichten in Höhe von
unter 1 Prozent. Sie wissen sehr genau, dass Sie Ihren
Haushalt auf völlig unrealistischen Grundlagen planen.
Ich könnte als Belege Aussagen von Welteke, der ja
nicht im Verdacht steht, uns nahe zu stehen, die „Frankfurter Rundschau“ oder was auch immer zitieren. Ich
fordere die Bundesregierung auf: Stampfen Sie Ihr Märchenbuch ein und legen Sie einen auf realistischen Annahmen basierenden Haushalt vor.
({5})
Weil aber die verantwortungslose Politik bei RotGrün System hat und uns eine illusionsfreie Lagebewertung wahrscheinlich nicht vorgelegt, sondern weiter verweigert werden wird,
({6})
will ich quasi hilfsweise, um auch dem Kollegen
Schneider einen Gefallen zu tun, ein wenig auf die Einzelheiten des Einzelplans 30 eingehen. Auch hier machen Sie, Frau Minister, das Täuschen und Tarnen mit.
Sie haben das auch in Ihrem heutigen Beitrag gemacht.
Sie täuschen ein Anwachsen des Haushaltsansatzes vor,
indem Sie auf der einen Seite die Mittel für Ganztagsangebote hineinrechnen. Auf der anderen Seite rechnen Sie
aber die UMTS-Mittel heraus, weil das sonst angeblich
alles verzerren würde. So stellen Sie keine Vergleichbarkeit her. Die Argumentation ist schief. Man kann nicht
auf der einen Seite so und auf der anderen Seite anders
verfahren. Man müsste Sie Ministerin für Schönfärberei
nennen, wenn man diesen Titel nicht für alle Fälle für
den Regierungschef aufheben müsste.
Ich wünschte mir vor allem, dass Sie sich nicht nur als
Ministerin für Bildung sehen würden, sondern auch das
weitere Substantiv in Ihrer Amtsbezeichnung berücksichtigen würden. Sie sind nämlich auch Ministerin für
Forschung. Davon merken wir überhaupt nichts in diesem Land.
({7})
Die Mittel für Projektförderung werden nach Ihren
Vorgaben real um 8,2 Prozent gekürzt; die institutionelle Förderung wird dieses Mal angehoben, weil der
Kanzler nicht zweimal nacheinander die Leute anlügen
wollte; insofern hält er diesmal sein Versprechen. Aber
den Zustand, dass die Schere zwischen institutioneller
Förderung und Projektförderung weiter aufgeht, haben
doch auch Sie immer beklagt. Insofern gehen wir in eine
falsche Richtung.
({8})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Tauss?
Nein. Herr Tauss, Sie müssen jetzt einmal zuhören
und meine Gedanken im Zusammenhang aufnehmen.
Sie müssen versuchen, die Zellen im Kopf ein bisschen
zu bewegen. Dann verstehen Sie es vielleicht auch.
({0})
- Herr Tauss, setzen Sie sich hin. Ich möchte jetzt keine
Zwischenfrage von Ihnen.
Es wird weiter an der Projektförderung geknabbert
werden. Es wird durch die mit 145 Millionen Euro zu
hohe, völlig unrealistisch festgesetzte globale Minderausgabe massiv in den Haushaltsvollzug eingegriffen
werden. Wo sollen die erwirtschaftet werden? Sie werden sie erwirtschaften, indem weitere Projekte über die
Wupper gehen.
({1})
Es wird weiter an der Projektförderung geknabbert
werden, weil auch die Zahl der BAföG-Empfänger steigen wird und die Ansätze dafür nicht ausreichen werden.
Auch das wird wiederum zulasten der Projektförderung
gehen. Ihr Haushalt ist Makulatur, er ist getürkt von
vorne bis hinten.
({2})
Jetzt wollen wir uns das Thema BAföG noch einmal
ansehen. Im letzten Jahr waren Sie erfreut darüber, dass
die BAföG-Reform funktioniert hat und Sie mehr Mittel
ausgeben können. Dann müssen Sie die Mittel aber auch
im Haushalt bereitstellen und nicht, wie in diesem Haushalt, mit Wunschzahlen operieren. Wahrscheinlich wird
die Zahl der BAföG-Bezieher sogar noch weiter steigen.
Wenn nämlich Schüler wegen Ihrer miesen Politik in
diesem Land
({3})
keinen Ausbildungsplatz bekommen, gehen sie entweder
noch ein Jahr in die Schule und drehen dort eine weitere
Runde oder sie studieren. Je nach Einkommenssituation
der Eltern bekommen sie dann BAföG. Wenn zusätzlich
Vater oder Mutter wegen Ihrer miesen Politik keinen Arbeitsplatz mehr haben, erhöht auch das wieder tendenziell den Anspruch auf BAföG. Das alles werden Sie in Ihrem Einzelplan zu verkraften haben. Wir wollen mal
sehen, ob Herr Diller oder Herr Eichel oder wer auch immer Ihnen den Plafond erhöht. Ich glaube das nicht. Reden Sie sich die Situation nicht schön mit Geld, das sie
nicht haben. Es ist heute schon erkennbar, dass die Mittel für Projektförderung so, wie Sie es darstellen, nicht
zur Verfügung stehen werden.
({4})
Herr Kollege Willsch, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme sofort zum Schluss. - Und hören Sie auf,
beim Thema Ausbildung mit dem Finger auf andere zu
zeigen. Unternehmen investieren und stellen Lehrlinge
ein, wenn sie Aussicht auf Gewinn haben, wenn der Laden brummt. Aber wenn sie nicht wissen, ob sie morgen
ihre Gesellen noch beschäftigen können, fällt es ihnen
eben schwer, neue Auszubildende einzustellen.
Herr Kollege Willsch, Ihre Redezeit ist deutlich abgelaufen.
Das muss ich noch beenden. - Dafür, dass die Lage
im Land so desperat ist, tragen Sie die Verantwortung
und deshalb müssen Sie weg.
({0})
Mein Appell an Sie alle auf der Bank: Machen Sie Platz
für Leute, die es können.
Vielen Dank.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Das Wort hat der Bundesminister Manfred Stolpe.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Bundesverkehrsminister muss an einem
11. September zuerst an den Flugzeugterrorangriff vor
zwei Jahren in den USA denken. Das hat uns alle getroffen, aber - darauf will ich aufmerksam machen - es
hat in ganz besonderer Weise den Verkehrssektor getroffen.
Die weltweite Mobilität, die ja eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts ist, wurde an ihrer
Achillesferse, der Sicherheit, getroffen. Insbesondere die
Luftverkehrsbranche hat sich von den Ereignissen des
11. September 2001 noch lange nicht wieder erholt.
Vielmehr wurde sie durch den Beginn des Irakkrieges,
aber auch durch die Krankheit SARS zusätzlich belastet.
Wenn auch andere Länder weit mehr betroffen erscheinen als Deutschland, kann uns dieser Zustand nicht zufrieden stellen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir deshalb,
auch die heutige Debatte des Bundestages dafür zu nutzen, erneut der deutschen Luftverkehrswirtschaft die
Unterstützung der Bundesregierung zuzusagen. Ich unterstütze die von der Luftverkehrswirtschaft ins Leben
gerufene Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ und
habe mich gern bereit erklärt, hier moderierend mitzuwirken.
({0})
Wir brauchen neue Impulse für diese Branche. Ich bin
mir sicher, dass wir sie gemeinsam geben können.
Die Lufthansa hat übrigens - ich will das hier sagen,
ohne werben zu wollen; was wahr ist, muss gesagt werden - im Unterschied zu fast allen anderen großen Airlines auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten können. Das ist eine großartige Leistung des Unternehmens,
aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
({1})
Unser Ziel ist es, die Luftverkehrswirtschaft wieder zu
einem Jobmotor zu machen.
Meine Damen und Herren, Sie aber wollen heute mit
Recht von mir wissen, wie es um den Einzelplan 12
steht, ob und wann die Maut kommt und wie wir der
Aufgabe des Stadtumbaus in Ost und West gerecht werden. Auch über die Deutsche Bahn, die Sorgen der deutschen Binnenschiffer und der Bauwirtschaft oder über
den Transrapid sollte ich eigentlich sprechen. Doch ehe
ich das alles ansprechen kann, wird mir die Präsidentin
das Wort entziehen.
Die Sicherung und Verstärkung der Verkehrsinfrastruktur sind nach meiner Überzeugung eine Hauptaufgabe der Politik. Dies umfasst eine verlässliche langfristige Planung, die Befreiung von Wachstumsregionen aus
der Staubehinderung, die Unterstützung benachteiligter
Gebiete durch bessere Erreichbarkeit und die Nutzung
der Potenziale aller Verkehrsträger und deren Verknotung. Im Bundesverkehrswegeplan wollen wir das gemeinsam bis zum Jahre 2015 sichern.
Das alles braucht das Land. Das ist eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung. Dies sichert
4,5 Millionen Arbeitsplätze, betrifft also 15 Prozent aller
Beschäftigten in Deutschland. Im Übrigen verschafft
jede Milliarde, die wir für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ausgeben, 24 000 Menschen Arbeit. Das alles braucht Geld, mindestens 11 Milliarden Euro in jedem Jahr.
Bekanntlich muss der Bundeshaushalt die Ausführung noch einiger anderer wichtiger Aufgaben sicherstellen. Alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte
haben deshalb über zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten nachgedacht und Schritte in diese Richtung eingeleitet. Auch die Schröder-Regierung stand 1998 vor dieser Notwendigkeit. Sie beauftragte Wilhelm Pällmann
und andere Experten, eine Analyse zu machen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Das Ergebnis war sehr
eindeutig: Es muss mehr investiert werden, als es der
Haushalt hergibt. Eine Nutzergebühr für Schwerlasttransporter auf Autobahnen ist nötig. Diese Einnahmen
sollen zusätzlich für Verkehrsinvestitionen eingesetzt
werden.
Aber damals war auch klar, dass die Einführung einer
Maut nicht vor 2003 zu erreichen ist. Gleichzeitig war
deutlich: Die Erhöhung der Verkehrsinvestitionen muss
früher erfolgen. Es ging im Interesse der Wirtschaft und
der Mobilität darum, den Zeitraum bis zum Jahre 2003
zu überbrücken. Es ist dann aufgrund von Zinsersparnissen im Rahmen der Einnahmen aus der Vergabe der
UMTS-Lizenzen gelungen, ein befristetes Programm zu
gestalten: das Zukunftsinvestitionsprogramm, das
diese Überbrückung von 2001 bis Ende 2003 leisten
konnte.
({2})
So konnte die Investitionssumme von 11,5 Milliarden Euro
erreicht werden.
Ab 2004, wenn diese UMTS-Zinsersparnisse nicht
mehr zur Verfügung stehen, werden wir die Einnahmen
aus der Maut zusätzlich zu den Haushaltsmitteln den
Verkehrsinvestitionen zuführen können.
Ich will es rundheraus sagen: Das reicht noch nicht.
Wir müssen über das Instrument der Maut private Investoren für den Verkehrswegebau gewinnen. Die
rechtlichen Möglichkeiten sind jetzt mit dem Mautgesetz
und dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz gegeben. Ausbau, Betrieb und Finanzierung bereits bestehender Strecken können an Private übertragen werden.
Die Länder haben bereits grünes Licht für zwölf solcher Projekte gegeben. Dabei geht es um ein Investitionsvolumen von etwa 3,5 Milliarden Euro. Die ersten drei
sind voraussichtlich - ich hoffe, dass sie bald in Gang
kommen können - der Ausbau der A 5 zwischen BadenBaden und Offenburg, der Ausbau der A 10 bzw. A 24
vom Dreieck Schwanebeck über das Dreieck Havelland
bis nach Neuruppin und der Ausbau der A 1 vom Autobahndreieck Buchholz bis zum Bremer Kreuz.
Außerdem können der Bau, der Betrieb und die Finanzierung von Neubauten bei Brücken, Tunneln und
Gebirgspässen an Private übertragen werden. Im Gegenzug erhalten die Betreiber das Recht zur Mauterhebung.
Diese Möglichkeit gilt auch für den Neubau von Bundesstraßen.
Bereits morgen wird die Warnowquerung eröffnet.
Sie ist unmittelbar Realisierung der neuen Gesetzgebung
gebaut worden. Den Hochmoselübergang bei Wittlich
und den Albaufstieg von Stuttgart nach Ulm wollen wir
ebenfalls bald anpacken.
Auch im öffentlichen Hochbau wollen wir den vermehrten Einsatz von PPP-Projekten anstoßen. Ein Gutachten dazu ist jetzt erstellt worden. Es lässt mich hoffen, dass die Sache angeschoben wird. Wir wollen es am
19. September dieses Jahres vorstellen.
Die Maut ist der Einstieg in eine neue Finanzierungsart, die die Chance eröffnet, unsere Pflicht bezüglich der
Gewährleistung von Mobilität zu erfüllen. So verstehe
ich auch den gemeinsamen Beschluss des Bundestages
und des Bundesrates vom 23. Mai dieses Jahres. Dabei
haben wir auch die berechtigten Sorgen deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen berücksichtigt und beschlossen - ich darf das in Erinnerung rufen -, dass aufgrund
der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Güterkraftverkehr ein Harmonisierungsvolumen in Höhe
von 600 Millionen Euro erreicht wird und verschiedene
Maßnahmen - Mautermäßigungsverfahren, Änderung
des Kfz-Steuergesetzes, Innovationsprogramm sowie
weitere geeignete Harmonisierungsmaßnahmen einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung - eingeleitet werden. Ebenfalls ist beschlossen
worden, dass das Mautermäßigungsverfahren prioritär
zu verfolgen ist, um die angestrebte Harmonisierung
umfassend und zeitnah zu erreichen. Das alles wird vorbereitet.
Weiterhin wurde beschlossen - auch das muss in Erinnerung gerufen werden -, dass zur Erreichung dieses
Ziels die Mauthöhe zunächst mit einem Eingangssatz
von durchschnittlich 12,4 Cent pro Kilometer festgesetzt
wird. Je nach Wirksamwerden und Umfang der Maßnahmen, die ich eben aufgeführt habe und die teilweise der
vorherigen Zustimmung durch die EU-Kommission bedürfen, wird der Mautsatz auf das ursprünglich angepeilte Niveau von 15 Cent pro Kilometer festgelegt.
Ich erwähne das hier deshalb so ausführlich, weil ich
aufgrund verschiedener Debatten, auch in der Öffentlichkeit, den Eindruck habe, dass dieser gemeinsame Beschluss von Bundestag und Bundesrat ein wenig aus dem
Auge verloren wurde.
Meine Damen und Herren, die Europäische Kommission hat ihre Bedenken gegen eine Maut in Deutschland
inzwischen zurückgestellt. Sie prüft nun das von uns notifizierte und - entgegen manchen Gerüchten, die verbreitet worden sind - niemals zurückgezogene Mautermäßigungsverfahren. Wir werden in Brüssel in
Kürze weitere, intensive Gespräche darüber führen.
Wir werden, was die Harmonisierung angeht, den
Unternehmen gegenüber Wort halten. Das sei hier noch
einmal in aller Deutlichkeit gesagt. Dazu stehen wir.
({3})
Die Harmonisierung muss erfolgen.
Kommt die Maut? Das ist die Frage, die viele, auch
in der Öffentlichkeit, bewegt. Deshalb sage ich in aller
Klarheit: Die Maut kommt. Daran habe ich gar keinen
Zweifel.
({4})
Unsere Partner - Daimler-Chrysler-Services, Deutsche
Telekom und Cofiroute, Frankreich - streben als Einführungstermin den 2. November dieses Jahres an, obwohl
noch viele Fragen zu klären sind. In dieser Stunde, in der
wir hier beisammen sind, sitzen Mitarbeiter unseres
Hauses, des Bundesamtes für Güterverkehr und vom
TÜV mit Experten der genannten Firmen zusammen,
({5})
um zu prüfen, ob Mitte September eine Probephase starten kann.
Sie wollen sicher wissen, meine Damen und Herren,
was geschieht, wenn der Termin wieder nicht eingehalten wird.
({6})
Parallel zur Technik verhandeln wir auch über die Folgen der Nichteinhaltung des Starttermins 31. August
2003, der im Vertrag festgelegt ist. Jeder weiß, dass der
31. August schon eine Weile vorbei ist. Es muss also
darüber gesprochen werden, welche Auswirkungen die
Verzögerung für die vertragliche Regelung hat. Es muss
ebenfalls darüber gesprochen werden, dass inzwischen
klar geworden ist, dass die benötigte Zahl der automatischen Erfassungsgeräte, der so genannten On-BoardUnits, die ursprünglich auf 150 000 veranschlagt war,
deutlich höher liegt: Es werden 450 000 Geräte gebraucht, damit die Erfassung überhaupt in Gang kommen kann.
({7})
Darüber muss klar verhandelt werden. Wir haben bereits
eine Checkliste aufgestellt, so genannte Eckpunkte, anhand derer zu prüfen ist, welche Folgerungen sich daraus
ergeben.
Es muss auch über die Frage gesprochen werden, ob
sich aus der Tatsache, dass 450 000 statt 150 000 Geräte
benötigt werden, Auswirkungen auf die Befreiung von
einer Vertragsstrafe bei Störungen - nicht bei Ausfall
des Systems, sondern bei Störungen - ergeben. Darüber
werden wir zu sprechen haben.
Natürlich werden wir in diesen Verhandlungen auch
darüber zu reden haben, was denn nun mit den Einnahmeausfällen ist, zu deren Verursachung die Bundesregierung und alle, die die Beschlüsse mitgetragen haben, ja gar nicht beigetragen haben.
Ich habe dem Vorsitzenden des Ausschusses und den
Obleuten angeboten, sie über das Vertragswerk, die Absichtserklärung - genannt Eckpunkte - für einen Ergänzungsvertrag umfassend zu informieren. Ich werde mich
dabei natürlich an die Modalitäten des Hauses halten.
Ich werde also nicht Erwartungen aussprechen, die das
Gespräch unmöglich machen. Ich denke da an einen
Satz, in dem von Schriftform oder Ähnlichem die Rede
ist. Wenn das hier im Hause nicht erforderlich ist und die
Vertraulichkeit gegenüber den Partnern, zu der ich natürlich stehen muss, dennoch gewährleistet ist, werden wir
uns sicherlich verständigen können. Mir liegt einfach daran, dass wir in ein intensives Gespräch kommen und Sie
die Chance haben, das, was vorliegt, auch beurteilen zu
können. Nach meiner Überzeugung ist es ein sehr ausgewogener Vertrag. Bitte bedenken Sie dabei, dass es der
erste große Vertrag in Deutschland ist, bei dem Public
Private Partnership versucht worden ist. Das kann hoffentlich bald zu einem vernünftigen Ergebnis geführt
werden.
({8})
Wichtig ist mir noch, an dieser Stelle darüber zu informieren, dass wir mit dem Bundesfinanzministerium
vereinbaren konnten, dass mögliche Einnahmeverluste
- ich sagte ja, dass wir darüber noch verhandeln - nicht
zulasten von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen gehen
werden. Trotz der Verzögerung bei der Einführung der
LKW-Maut werden wir die jetzt anstehenden dringlichen Maßnahmen durchführen können. Das ist übereinstimmende Auffassung.
Nur vorsorglich will ich darauf hinweisen, dass die
LKW-Maut kein Grund für deutliche Preiserhöhungen
bei Endprodukten sein darf.
({9})
Es kann sich hierbei höchstens um Promille handeln. Die
Maut darf nicht als Argument für Preiserhöhungen missbraucht werden, wie wir das ja beim Euro erlebt haben.
Die Maut gibt das nicht her. Wir können das widerlegen.
Wir können das berechnen. Ich kann Sie nur herzlich bitten: Werden auch Sie mit tätig, wenn Sie den Eindruck
haben, dass die Maut für Preiserhöhungen benutzt wird.
({10})
Die Menschen sind nicht nur Käufer oder Transporteure, sondern sie wollen sich in ihren Dörfern und Städten auch wohl fühlen. Für die Städte fühle ich mich mit
verantwortlich. Deshalb möchte ich noch etwas zur
Stadtentwicklung sagen.
Wir werden 2004 für die Förderung des Städtebaus,
für das Stadtumbauprogramm Ost und die Fortsetzung
des Programms „Soziale Stadt“ insgesamt 458 Millionen
Euro zur Verfügung haben. Wir streben an, die Mittel für
die Städtebauförderung aufzustocken, insbesondere um
die immer stärker werdenden Probleme in den alten Ländern in den Griff zu bekommen.
Teil unseres Konzepts ist auch der umfassende Umbau der Wohnungsbauförderung. Einen Teil der bisherigen Eigenheimzulage wollen wir zur Erhöhung der
Städtebauförderung für die alten Länder und für das Programm „Soziale Stadt“ verwenden.
Zusätzlich soll ein neues Programm „Stadtumbau
West“ aufgelegt werden, für das Bundesfinanzhilfen in
Höhe von 85,9 Millionen Euro vorgesehen sind. Ich bin
zuversichtlich, dass es auch in der Städtebauförderung
gelingen wird, Haushaltskonsolidierung mit einer Konzentration der Investitionen auf besondere Problemsituationen zu verbinden.
({11})
Meine Damen und Herren, damit muss es für heute
genug sein. Ich habe meine Redezeit bereits ein bisschen
überschritten. Ich brauche - ich bitte Sie darum - Ihre
kritisch-konstruktive Mitarbeit. Dies ist ein Platz, auf
dem gelegentlich auch die Polemik zu Hause ist. Das gehört dazu. Das belebt in der Nachmittagsstunde auch das
Geschäft. Aber am Ende müssen wir eng zusammenarbeiten. Ich bin bereit, mich diesbezüglich voll und ganz
einzubringen.
Ich bin davon überzeugt, dass Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen Aufgabenfelder sind, auf denen wir
alle dafür sorgen müssen, dass wir dort vorankommen.
Wir brauchen zumindest 11 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen. Helfen Sie da ein bisschen mit!
Schönen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus Lippold,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Stolpe, lassen Sie mich ganz kurz
vorweg bilanzieren, was ich aus dieser Woche mitnehme. Der Bundeskanzler hat Fehler bei der Rente und
Herr Eichel hat erhebliche Risiken beim Haushalt eingeräumt. Seine Fraktionskollegen haben ihm dabei assistiert und gesagt, seine Annahmen seien unrealistisch.
Herr Clement hat heute Morgen die Konjunkturentwicklung beschönigt. Er hat die 25. Wachstumsprognose in
Aussicht gestellt, obgleich es für ein Wachstum keine
Anhaltspunkte gibt. Bislang haben keine seiner Prognosen zugetroffen.
Sie, Herr Minister, haben im Ausschuss wenigstens
Pannen eingeräumt. Heute haben Sie hier allerdings Ihre
Hoffnung verstärkt zum Ausdruck gebracht, dass dieses
und jenes klappt. Herr Stolpe, ich habe ein wenig das
Gefühl, Sie kommen ins Stolpern. Ich habe Ihnen schon
seinerzeit gesagt: Wir werden Sie unterstützen; es gibt
bei uns keine Blockade. Aber Sie müssen effizient handeln und auch durchgreifen. - Nach einem Jahr muss ich
ganz offen sagen, dass ich das vermisse.
Wir haben fünf Jahre lang beim Thema Maut mit der
Regierung konstruktiv zusammengearbeitet. Ich kann
kein Anzeichen irgendeiner Blockade erkennen. Das
sage ich an die Adresse derjenigen, die immer glauben,
mit solchen Schlagwörtern die Diskussion bestreiten zu
können. Wir haben uns konstruktiv verhalten. Trotzdem
waren Sie nicht in der Lage, die Einführung der Maut in
dem vorgegebenen Zeitrahmen zu realisieren.
({0})
Ich füge noch einen Punkt hinzu. Wir wollten aus den
technischen Einrichtungen zur Erfassung der Maut nicht
nur einen europäischen, sondern sogar einen weltweiten
Exportschlager machen. Sie haben daraus leider eine
Lachnummer gemacht. Herr Kollege Stiegler hat heute
Morgen davon gesprochen, dass die Maut jetzt nicht zerredet werden darf, weil die Technologie ein Exportschlager werden soll. Wir wollen die Maut nicht zerreden; das
Ganze soll ein Exportschlager werden. Trotzdem können
wir nicht alle Pannen unter den Teppich kehren, die bei
der Einführung von Ihnen gemacht worden sind.
({1})
Pannen, Pannen, Pannen. Das Ganze endet in einer
Pleite. Wenn wir Fehlentwicklungen, die diese Regierung zu verantworten hat, nicht mehr analysieren dürften, dann hätten wir im Bundestag überhaupt nichts
mehr zu diskutieren.
Es läuft doch alles schief. Erst wird ein Termin festgelegt. Dann gibt es ein Hin und Her, ob daran festgehalten
werden kann. Bei Ihrem Auftritt mit Vertretern der Industrie erlebten wir Ähnliches. Erst sagten Sie, dass der
2. November als Einführungstermin garantiert wird.
Dann sagte die Industrie, dass sie diesen Termin nicht
garantieren kann. Im Ausschuss sprachen Sie davon,
auch Sie hätten den 1. Januar lieber gehabt. Freunde, so
kann man doch nicht vorgehen! Das ist nicht die straffe
Führung, die benötigt wird.
({2})
Man kann natürlich sagen, das Ganze sei nicht Ihre
Schuld. Ich gebe zu, Herr Bodewig hat einiges falsch
gemacht. Wir haben damals Herrn Bodewig vor dem
Dr. Klaus W. Lippold ({3})
überhasteten Vertragsabschluss gewarnt. Aber er wollte
daraus einen Wahlkampfschlager machen. Vor diesem
Hintergrund war ihm eine weniger solide Arbeit recht.
Für ihn war nur entscheidend, den Vertrag noch vor der
Wahl zu präsentieren. Das war falsch. Wenn damals sauber gearbeitet worden wäre, dann hätten wir diese Probleme nicht.
({4})
Herr Minister, Sie hätten zu Beginn ein vernünftiges
Projektmanagement und ein effizientes Kontrollmanagement einrichten können. Aber das haben Sie nicht getan.
Sie haben jetzt angekündigt, uns eine Liste vorzulegen,
in der die Vorgänge enthalten sind und die aufzeigt, wie
was gelaufen ist. Wir werden diese Liste sorgfältig prüfen und dann zu einer Bewertung kommen.
Was mich gewundert hat: Jeder, der mit der Automobilindustrie Verträge abschließt, weiß, dass darin Vertragsstrafen enthalten sind. Aber hier wurden, wenn ich
das richtig sehe, für Terminüberschreitungen und für
Einnahmeausfälle weder Konventional- noch Vertragsstrafen vereinbart. Das kann doch nicht sein! Das ist eine
stümperhafte Arbeit.
({5})
Nachdem wir bislang keine Einsicht in die Verträge
hatten, wollen wir jetzt wissen, was dort festgelegt ist.
Das muss in einer ganz vernünftigen Art und Weise geschehen. Es darf nicht sozusagen ein Schweigen im
Walde herrschen. Wenn das der Fall ist, müssen wir uns
andere Maßnahmen einfallen lassen. Wir könnten den
Rechnungsprüfungsausschuss oder das Prüfungsamt des
Bundes einschalten.
Das wollen wir aber nicht, weil wir mit Ihnen, Herr
Stolpe, kooperieren wollen. Dazu müssen wir aber wissen, dass die Verträge offen gelegt werden.
Im Übrigen muss ich feststellen, dass die Verantwortlichen bei der Verschiebung des Termins, was für uns angesichts mangelnder Vertragsstrafen usw. mit einem
weiteren, ganz eminenten Einnahmeausfall verbunden
ist, für einen weiteren Monat freigestellt werden. Das bedeutet, dass sie für die Schlamperei bei der abgelieferten
Arbeit auch noch belohnt werden. Was ist das eigentlich
für ein Prinzip?
({6})
Derjenige, der schlampig arbeitet, müsste eigentlich abgestraft werden, bei Ihnen jedoch wird er belohnt. Dass
wir in der Bundesrepublik Deutschland mit einer solchen
Politik nicht auf die Beine kommen, ist doch ganz klar.
So kann es wirklich nicht gehen.
Sie haben das Thema Harmonisierung angesprochen. Herr Minister, die Harmonisierung im Bereich
Verkehrsgewerbe hat für uns Priorität. Alles andere
bringt für das Verkehrsgewerbe nicht den Vorteil, den
wir brauchen.
({7})
Ich unterstelle Ihnen, Herr Minister, noch nicht einmal, dass Sie mit Unwollen an die Sache herangehen.
Ich sage Ihnen aber ganz offen: Wenn Ihr Kanzler bei einem Glas Rotwein dem italienischen Ministerpräsidenten sagt: „Wenn es mit der Einigung mit de Palacio nicht
klappt, dann klappe es eben nicht“, dann zeigt das nach
meinem Dafürhalten, dass Sie nicht die Rückenstärkung
haben, die Sie brauchen, wenn Sie in Brüssel erfolgreich
arbeiten wollen. Das kann es doch nicht sein.
({8})
Nach dem, was man gelesen hat, soll es ein wunderschönes Konzert in Verona gewesen sein. Das ist klasse,
es erinnert mich an die Toskana-Fraktion. Aber es geht
doch nicht darum, ein schönes Konzert zu besuchen und
Rotwein zu trinken, sondern darum, die Interessen des
deutschen Verkehrsgewerbes mit hinreichender Schärfe
und Stärke zu vertreten. Das hat Ihr Kanzler nicht gemacht, was Ihre Position schwächt. Sie dürfen sich aber
nicht nur hinterher damit auseinander setzen, sondern
hätten sich etwas früher dafür einsetzen können und hätten es auf der Beamtenebene nicht laufen lassen dürfen.
Dadurch ist übrigens auch die Public-private-Partnership-Idee geschädigt worden, die Sie noch einmal eingebracht haben.
Ich kann Ihnen natürlich auch nicht nachsehen, dass
Sie sich gegenüber dem zunehmend geschwächten Finanzminister als nahezu einziger Minister nicht durchsetzen konnten, was den Haushalt angeht.
({9})
Die Maut sollte zusätzlich zur Finanzierung dienen. Jetzt
erleben wir, dass nach Abzug der Bruttokosten erhebliche Beträge doch nicht zusätzlich ausgegeben werden
sollen. Im Gegenteil: Trotz der erwarteten Einnahmen
aus der Maut sinken die Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine völlig falsche Entwicklung.
({10})
Herr Stolpe, Ihr Bundeskanzler hat am Mittwoch hier
gesagt, er wolle keine prozyklischen Entwicklungen.
Wenn Sie jetzt die Bürger zusätzlich belasten - das ist
keine minimale Belastung -, dann muss es am Ende Investitionen geben. Bei Ihnen kommt es bei einer zusätzlichen Belastung der Bürger nicht zu mehr Investitionen,
sondern zu weniger Investitionen. Das ist falsch, Herr
Minister. Das geht so nicht.
({11})
In diesem Punkt hätten Sie sich durchsetzen müssen.
Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen.
({12})
Ich sage ganz deutlich: Ich hoffe, dass jetzt an Programmen gearbeitet wird für den Fall, dass Sie die Harmonisierung nicht durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass
Sie von der CDU/CSU-Fraktion mehr Unterstützung bei
der Harmonisierung bekommen als von Ihrem Kanzler.
Wenn Sie das aber nicht schaffen, wollen wir ein Ausgleichsprogramm haben. Ich hoffe, dass daran gearbeiDr. Klaus W. Lippold ({13})
tet wird und dass später nicht gesagt wird, dass man
noch nicht so weit sei.
Meine Fraktion will die Maut nicht zur Frachtverlagerung von der Straße auf die Schiene missbrauchen. Das
kann ich für meine Fraktion ausschließen. Die Schiene
muss durch Schnelligkeit, Flexibilität und Leistung
überzeugen, aber nicht dadurch, dass wir andere Verkehrsträger belasten. Das ist der völlig falsche Weg. Das
kann so nicht gehen. Das werden wir nicht mitmachen.
({14})
In diesem Punkt vermisse ich, Herr Minister, dass Sie
sich, da Sie im Aufsichtsrat des Unternehmens Bahn,
auch wenn es unternehmerisch geführt wird, sehr stark
sind, nachdrücklich darum kümmern, wenn die Bahn Investitionen vermindert, wie ich Mitteilungen entnehme.
Sie vermindert ihre Investitionen, um Windowdressing
für den nächsten Abschluss zu machen, den sie der Öffentlichkeit präsentieren will. Ihr Kanzler hat sich für
mehr Investitionen ausgesprochen. Die Bahn vermindert
die Investitionen, nur um nach außen ihre Bilanz zu verbessern. Das kann es doch nun wirklich nicht sein. Wir
brauchen bei der Bahn Investitionen, und zwar Investitionen in der Fläche - wo sie sich doch schon aus der Fläche zurückzieht. Auch da erwarte ich, Herr Minister, in
Zukunft Ihren Einsatz. Es kann nicht angehen, dass sich
die Bahn aus der Verantwortung für den Verkehr in der
Fläche entzieht und trotz aller Sprüche, die sie macht,
keinen hinreichenden Wettbewerb zulässt. Der Wettbewerb muss nach wie vor verstärkt werden. Darauf sollten
Sie etwas stärker den Daumen halten.
({15})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich einen weiteren Punkt ansprechen. Beim Wohnungsbau und der Eigenheimzulage erwarten wir kein
prozyklisches Verhalten. Es kann nicht angehen, dass
jetzt in diesen Bereichen durch Kahlschlag ein Einbruch
erfolgt. Wir halten immer noch daran fest, dass die
Quote junger Menschen, die Immobilienbesitzer sind, in
der Bundesrepublik relativ niedrig ist. Ich glaube, dass
gerade Immobilienbesitz in Anbetracht des Sachverhalts, dass Ihre Rentenpolitik zunehmend in die Sackgasse gerät, ein ganz wichtiger Faktor ist.
({16})
Deshalb soll durch die Änderungen bei der Eigenheimzulage diese Position nicht beeinträchtigt werden. Das
kann es nicht sein, Herr Minister. Wenn wir das damit
verbinden, dass der Altstadtbereich etwas stärker einbezogen wird, dann kommt mir das unter Umweltschutzaspekten entgegen. Darüber wird man diskutieren und
nachdenken können.
Herr Minister, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich
stärker als in der Vergangenheit der europäischen Ebene
zuwenden. Das gilt zum Beispiel für die Mautfrage, über
die ich gerade gesprochen habe und bei der ich meine,
dass das unabweisbar notwendig ist. Es gilt aber auch für
die Frage der transeuropäischen Netze, die Sie intensiver angehen und intensiver vorbereiten müssten. Ich
sage das deshalb - für die Bürger sind zwei Jahre sehr
lang, aber im politischen Geschäft sind zwei Jahre nicht
sehr viel -, weil die Vorbereitungen in der Infrastruktur
Straße und in der Infrastruktur Bahn für die EU-Osterweiterung einfach nicht vorhanden sind. Das muss sich
ändern; ansonsten werden wir zwar die EU-Osterweiterung haben, aber keine entsprechende Infrastruktur.
({17})
Das ist insbesondere zum Schaden der neuen Bundesländer. Auch das kann nicht sein. Ihre investive Zurückhaltung führt dazu, dass die neuen Bundesländer nicht die
Ausstattung bekommen, die sie brauchen. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung ist dies noch wesentlich
wichtiger, als es je der Fall gewesen ist. Das heißt, hier
muss ein Stück mehr Vision, muss ein Stück direkter
Kontakt mit Brüssel, muss ein Stück mehr Umsetzung
hinein, damit wir der Verantwortung, vor der wir stehen,
gerecht werden.
Ich sage es noch einmal, Herr Minister: Wir werden
Sie dabei nicht blockieren, auch nicht im Bundesrat. Wir
werden aber schon sehr deutlich einfordern, dass die
Dinge laufen. Ansonsten - ich denke, das sehen Sie genau so wie ich - kann der 2. November für Sie zu einem
Schicksalstag werden, wenn die Einführung der LKWMaut dann wiederum in eine ungewisse Zukunft verschoben wird.
Lassen Sie uns daran arbeiten, dass im Sinne der Bundesrepublik Deutschland, im Sinne der Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes eine erneute Verschiebung nicht
notwendig ist und dass die Infrastrukturinvestitionen für
die Arbeitsplätze und für den Aufschwung getätigt werden. Wir werden Ihnen dabei die Hand reichen, werden
aber auch dafür sorgen, dass, wenn Sie das nicht leisten,
die entsprechende Kritik hier im Deutschen Bundestag
geäußert wird.
Herzlichen Dank.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in der Verkehrspolitik Autos, LKWs, Züge
und Flieger - und es gibt Überflieger in der Verkehrspolitik. Der Überflieger in der deutschen Verkehrspolitik
heißt Klaus Lippold.
({0})
Albert Schmidt ({1})
Es fällt mir unheimlich schwer, auf Ihre Ausführungen
einzugehen; denn Überflieger sehen die Dinge immer
von ganz weit oben und erkennen gar nicht, um was es
wirklich geht. Ich spare mir das also einfach. Ich möchte
Ihnen einfach nur empfehlen, Herr Kollege: Kommen
Sie doch einmal in den Verkehrsausschuss und machen
Sie sich einfach einmal kundig. Es kostet nichts, wir haben noch Platz und Sie verstünden dann das, was Sie
hier sagen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die eigentliche
Herausforderung für den Verkehrshaushalt 2004, den wir
heute in erster Lesung beraten, besteht darin, das Rekordniveau an Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, das unter Rot-Grün erreicht worden ist, zu halten
und fortzuschreiben, obwohl das Sonderinvestitionsprogramm - das so genannte Zukunftsinvestitionsprogramm -,
das aus UMTS-Zinsen gespeist wird, plangemäß zum
Ende dieses Jahres ausläuft. Da geht es um richtig viel
Geld. Mit dem Ende des ZIP entfallen allein für den Verkehrsträger Schiene 875 Millionen Euro an Investitionen. Für die Straße sind es immerhin rund 450 Millionen Euro. Dies auszugleichen wäre ohne die Einnahmen
aus der LKW-Maut nicht möglich.
({3})
Dennoch, für beide Verkehrsträger zusammen wird
im Haushalt 2004 das Investitionsvolumen nicht nur gehalten, sondern sogar von derzeit 9,3 auf dann 9,8 Milliarden Euro gesteigert. Das funktioniert aber nur mit der
LKW-Maut. Deshalb ist es in der Tat in höchstem Maße
ärgerlich, dass sich das reale Volumen der Investitionen
noch in diesem Jahr - allein im September und Oktober - faktisch um über 300 Millionen Euro reduziert,
weil das Betreiberkonsortium für die LKW-Maut nicht
in der Lage ist, die vertraglich zugesagten Fristen für die
Bereitstellung des Inkassosystems auch wirklich einzuhalten.
({4})
Herr Kollege Lippold, ich verstehe jeden, den das auf die
Palme bringt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
die Selbstgerechtigkeit, die ich dabei manchmal heraushöre, verstehe ich allerdings nicht.
({5})
Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern: Der letzte
Verkehrsminister der Union - Matthias Wissmann heißt
er - hat jahrelang von der Einführung einer LKW-Maut
geträumt.
({6})
Durchgesetzt hat er davon nichts. Es war derselbe Verkehrsminister, der auch von einer Verdreifachung der
Gebühren für die EU-Vignette gesprochen hat, die er
durchsetzen wollte. Wissen Sie, was er davon durchgesetzt hat? Nichts.
({7})
- Lieber Herr Kollege, bei manchen von Ihnen habe ich
heute das Gefühl, dass bei der Kritik ein Stück Schadenfreude mitklingt, weil Sie die LKW-Maut in Wahrheit
gar nicht mit Nachdruck wollen und Sie froh sind, dass
es aus technischen Gründen noch eine Zeit lang dauern
wird.
({8})
Es war dieser Minister,
({9})
der es entgegen der erklärten Fundamentalopposition der
Kommissarin durch eine, so finde ich, beharrliche und
konsequente Strategie gegenüber der EU in Brüssel
durchgesetzt hat, dass die Vorbehalte aufgegeben wurden, sodass wir die LKW-Maut einführen können.
Sie von der Opposition haben es uns im Mai dieses
Jahres - ich selbst war bei den Verhandlungen dabei mit Ihrer Bundesratsmehrheit aufgenötigt, dem deutschen Gewerbe zu versprechen, die so genannte Mautermäßigung von 300 auf 600 Millionen Euro aufzustocken. Als Wink mit dem Zaunpfahl an die Kommissarin
wurde das dann aufgeschrieben, damit auch der Letzte
begreift, dass es möglicherweise eine unzulässige Beihilfe ist. Dieselben Herrschaften vergießen jetzt Krokodilstränen, weil genau dieser Punkt Schwierigkeiten
macht.
({10})
Sie von der Opposition tun heute so, als hätten Sie
von Anfang an gewusst, dass die beiden führenden deutschen Technologiekonzerne, nämlich Telekom und
Daimler-Chrysler, nicht in der Lage sein würden, ein
solches Projekt auf die Beine zu stellen, sodass man genau diese Unfähigkeit von vornherein zur Grundlage aller Planungen hätte machen müssen. Sollen wir jetzt einen Minister dafür tadeln, dass On-Board-Units ohne
Spannungsregler ausgeliefert werden? Ist der Minister
daran schuld, meine Herrschaften? Lassen wir die Verantwortlichkeiten doch einmal da, wo sie wirklich liegen.
({11})
- Wie Sie vielleicht wissen, haben wir die Geräte nicht
ausgesucht, sondern wir haben eine europaweite Ausschreibung durchgeführt; dies geschah in einem nachvollziehbaren Verfahren.
Albert Schmidt ({12})
Sie erleben hier nicht nur die granatenmäßige Blamage eines Konsortiums großer Konzerne, die sich als
Marktführer verstehen. Diese vergeigen damit Exportchancen von morgen. Das ist ärgerlich und für den
Bund unerträglich; denn es kann nicht hingenommen
werden, dass die Konzerne vertraglich Versprechungen
machen und diese dann - womöglich wiederholt - nicht
einhalten können, sodass der Bund das Nachsehen hat.
({13})
- Der Kollege Kalb nickt sogar. - Wissen Sie, wem die
Rechnung am Ende präsentiert wird? Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern wird sie vorgelegt, weil die
Mindereinnahmen natürlich zulasten der Bundeskasse
gehen. Mit allem Ernst: Hier muss die Haftungsfrage
gestellt und beantwortet werden.
({14})
- Kollege Fischer, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen. Ich habe immer die Wahrheit und das, was ich
denke, gesagt. Im Vergleich zu anderen kann ich damit
sehr zufrieden sein.
({15})
Diese Frage muss, wie gesagt, mit allem Ernst gestellt
werden. Vertrag hin oder her: Wenn die Leistungen nicht
fristgerecht, nämlich überhaupt nicht, geliefert werden,
dann greift - so viel verstehe ich mit meinem juristischen Hausverstand - das Bürgerliche Gesetzbuch, in
dem für diesen Fall die volle Schadensersatzpflicht vorgesehen ist.
Herr Minister, ich fordere Sie auf, die Schadensersatzpflicht in den anstehenden Verhandlungen im Bedarfsfalle auch gegenüber den Konsorten mit allem
Nachdruck deutlich zu machen. Dieses Thema gehört
auf den Tisch;
({16})
denn es kann nicht sein, dass die Industrie versagt und
die Steuerzahler am Ende die Angeschmierten sind.
({17})
Lassen Sie mich zum Schluss noch wenigstens einige
Sätze zur Bahn sagen. Wir erleben seit Wochen eine Gespensterdebatte über einen bevorstehenden Börsengang
der Bahn. Es ist wie Weihnachten: Der Weihnachtsmann
kommt auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wann. Kommt
er vielleicht erst ein Jahr später oder doch überhaupt
nicht?
Ich will Ihnen eines in aller Deutlichkeit sagen: Es ist
nicht Aufgabe des obersten Angestellten der Deutschen
Bahn AG, dem Eigentümer und denjenigen, die den Eigentümer vertreten - das sind unter anderem wir -, Zeitpläne für derartige strategische Entscheidungen mitzuteilen und sie in die Welt zu posaunen.
({18})
Hier findet eine Rollenverwechslung statt. Die Aufgabe, darüber zu entscheiden, liegt beim Eigentümer und
nicht beim Chiefmanager. Daran sollte man sich endlich
halten.
({19})
Unsere Aufgabe ist es, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen und die Investitionen dauerhaft zu gewährleisten. Das tun wir wieder mit 4 Milliarden Euro, die wir
in diesem Haushaltsplan 2004 veranschlagen. Hinzu
kommt 1 Milliarde Euro aus anderen Haushaltstöpfen,
die auch bei der Schiene landen. Es geht hier meines Erachtens nur um die Kapitalmarktfähigkeit, nicht um einen Börsengang. Würden Sie derzeit eine DB-Aktie
kaufen, Herr Kalb?
({20})
- Sehen Sie, ich auch nicht. - Ich hoffe dringend, dass in
dieser Frage endlich Realismus und eine klare Einsicht
über die Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse,
die dort hingehören, wo sie sind, einkehren.
Ich freue mich, wenn sich die Bahn um das kümmert,
was ihr Job ist, nämlich mithilfe der wieder eingeführten
Bahncard 50 und der CitiTickets die vergraulten Kunden
zurückzuholen. Die Nachricht von den CitiTickets - sie
sind eine große Errungenschaft - gibt es seit gestern. Erfreulicherweise bleibt auch der Speisewagen. Das ist der
richtige Weg für Innovation. Dafür sind wir gerne zu jeder Unterstützung bereit.
Ich danke Ihnen.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich,
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Minister! Eigentlich wollte ich dem Kollegen Schmidt heute ein bisschen Ruhe gönnen, da er gerade erst von einer Krankheit genesen ist. Aber nach
dem jetzigen Vortrag kann ich es ihm nicht ersparen, ihm
ein paar Antworten zu geben.
Herr Minister, ich will allerdings mit einem Gedanken
anfangen, den Sie richtigerweise gebracht haben, nämlich mit den Auswirkungen des 11. September auf die
Luftfahrt. Völlig zu Recht hat die Bundesregierung damals erklärt: Die Lufthansa muss im Hinblick auf die Gebühren so gestellt werden, dass sie keine Nachteile hat.
Allerdings muss dann beachtet werden, dass in Deutschland an der Luftfahrt nicht nur die Lufthansa und andere
Fluggesellschaften, sondern auch die Flugsicherung
Horst Friedrich ({0})
beteiligt ist. Eine Flugsicherung, die bestimmte gesetzliche Vorgaben und eine entsprechende Kapitalausstattung
erhält und der dann, wenn ihr Vollkostendeckung vorgeschrieben wird, politisch untersagt wird, genau diese
Vollkostendeckung umzusetzen, muss dann ebenfalls die
entsprechende Rückendeckung des Ministers und der
Regierung erhalten. Da sehe ich bisher noch Defizite. Sie
wissen, ich bin gerne bereit, über dieses Thema zu diskutieren, aber dann bitte richtig und mit allen am Flugverkehr Beteiligten. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Sehr verehrter Herr Minister, Sie
haben heute hinsichtlich der Maut und dem Glauben an
die Zusagen wie die Gebrüder Grimm angefangen. Um
in der Diktion weiterzufahren, könnte man sagen: Es war
einmal ein wunderschönes Märchen, ein Mautkompromiss von Bundestag und Bundesrat,
({1})
in dem es hieß, dass die Einnahmen aus der geplanten
LKW-Maut dem Verkehrshaushalt zusätzlich zugeführt
und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden sollen.
({2})
- Überwiegend für den Straßenbau. Das kommt noch
hinzu. Richtig, Herr Kollege Kalb.
Diese frohe Kunde hat zunächst dafür gesorgt, dass
das ganze Land begeistert jubelte. Doch mitten in diesen
Jubel hinein trat der Finanzminister Hans der Glücklose.
Er begann, in diesem Jubel zu zaubern. Er zauberte die
Einnahmen aus der LKW-Maut aus seinem neuen Haushalt und seinem neuen Finanzplan so gründlich weg,
dass hinterher für Verkehrsinvestitionen sogar noch weniger Geld als vorher in seinen alten Finanzplänen zur
Verfügung stand.
({3})
So viel zum Märchen.
({4})
Jetzt fragen Sie, Herr Minister: Wer trägt denn dafür
die Verantwortung, dass das alles nicht funktioniert?
({5})
- Ach, Herr Kollege Schmidt, Ihre Zwischenrufe sind
auch nicht besser geworden.
({6})
Sie waren genauso wie ich bei den Mautverhandlungen
dabei. Genau die von mir genannten Vereinbarungen haben wir in den Text aufgenommen. Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass ich es damals schon nicht geglaubt habe. Deswegen haben wir nicht zugestimmt.
({7})
Kommen wir wieder zur Verantwortung des Ministers. Er ist der Ansicht, dass er den ersten Vertrag nicht
unterschrieben hat. Das ist richtig. Wenn er allerdings
den Vertrag übernimmt - wenigstens dazu steht er -,
sollte man erwarten, dass er auch die Bedingungen liest.
In dem Vertrag steht unter anderem, dass ab 16. Juni dieses Jahres ein zweimonatiger Probebetrieb hätte beginnen sollen. Er hat aber nicht stattgefunden. Er konnte
nicht stattfinden, weil all die anderen Bedingungen, die
dafür notwendig sind, noch nicht erfüllt waren.
({8})
Im Juli sagt dieser Minister noch immer, dass die
Maut am 31. August eingeführt wird, und das wider besseres Wissen, weil er bereits Ende Juni vom Bundesamt
für Güterverkehr schriftlich informiert wurde, das die
Maut nie und nimmer zum 31. August eingeführt werden
kann.
Der Minister schreibt in seiner Antwort auf eine
Kleine Anfrage von uns, zum 31. August seien vom
Konsortium 150 000 so genannte On-Board-Units vertraglich fest zugesichert worden. Hervorragend! Aber
wie kommen Sie, Herr Minister, zu der Annahme, dass
es am 2. November mehr als die jetzt eingebauten sein
sollen und dass am 2. November überhaupt 150 000 eingebaut sein werden? Nach dem heutigen Stand sind
knapp 80 000 eingebaut.
({9})
Davon funktioniert, wenn man gutwillig ist, bestenfalls
die Hälfte. Das ist eine sehr optimistische Annahme. Ich
kenne Fälle aus der Praxis, wonach es noch viel schlimmer aussieht. Da sind Ausfallraten von 80, 90 und teilweise fast 100 Prozent zu verzeichnen. Das ist die Situation!
Gleichzeitig sagt das Konsortium aber: Wenn die OnBoard-Units zu dem genannten Zeitpunkt nicht vorhanden sind, sorgen wir dafür, dass die Terminals installiert
sind. Fehlanzeige, kann ich nur sagen. Keine Zusage des
Konsortiums über eine bestimmte Zahl ist eingehalten
worden.
({10})
Deswegen ist ein „Exportschlager“ zu einem Schlag ins
Kontor geworden, bevor er überhaupt in den Export gehen konnte. Dann aber noch immer blauäugig zu glauben - das ist die politische Verantwortung, Herr Kollege
Schmidt -,
({11})
Horst Friedrich ({12})
es würde irgendwann eine Zusage eingehalten, ist nicht
hinnehmbar. Man glaubt, man könne dem Konsortium
und der deutschen Industrie - das sind ja nicht irgendwelche Unternehmen, sondern dazu gehören DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom - nicht öffentlich
sagen, dass sie das nicht hinbekommen. Dabei geht es im
Übrigen auch um Aktienkurse und Aktienpflege. Ein
Schelm, wer Böses dabei denkt.
Die Unternehmen können sich selbstverständlich alleine blamieren. Das wird sich in den Aktienkursen niederschlagen. Das Problem ist aber, dass wir politisch von
dieser Zusage abhängig sind. Sie haben es aufgezeigt.
({13})
Am Jahresende werden die UMTS-Mittel wegfallen.
Kein Mensch in diesem Haus glaubt hoffentlich, dass
diese Mittel aus einem anderen Topf ersetzt werden können, wenn man sich die Haushaltszahlen insgesamt ansieht. Man geht schon von einer Neuverschuldung von
30,8 Milliarden Euro aus. Das ist deutlich mehr als die
Investitionssumme. Und diese Zahl spiegelt noch Ihre
positive Sicht der Dinge wider. Am Jahresende wird die
Verschuldung noch höher sein.
({14})
Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage, wie
die Verschiebung der Maut finanzpolitisch zu bewerten
ist, ist bezeichnend. Es heißt, dass die Bundesregierung
durch die Verschiebung für den Bundeshaushalt 2003
Einnahmeausfälle in Höhe von 163 Millionen Euro pro
Monat erwarte. Wenn das am 2. November nicht funktioniert, dann beläuft sich am Jahresende die Summe der
geplanten Einnahmen, die aber nicht erzielt wurden, auf
rund 700 Millionen Euro.
Dazu heißt es ganz lapidar:
Dieser Einnahmeausfall wird durch Minderausgaben in den Jahren 2003 bis 2005 im Einzelplan 12
erwirtschaftet. Es ist nicht geplant, Infrastrukturvorhaben zu verschieben, Mittel aus dem Schienenbereich in den Straßenbereich umzuschichten oder
die Kreditaufnahme zu erhöhen.
So viel Blauäugigkeit, Herr Minister, ist schon fast
strafbar.
({15})
Das kann doch nicht die Realität sein. Sie können doch
nicht glauben, dass das in irgendeiner Form auf die
Reihe zu bringen ist, es sei denn, Sie glauben tatsächlich
daran, dass die von Ihnen gesetzte Prämisse für den Bundesverkehrswegeplan, dass die Bahn bis 2015 eine Steigerung im Güterverkehr um 100 Prozent erzielen
könnte, eintritt. Das reicht erkennbar nicht aus, aber das
scheint der einzige Strohhalm zu sein, an dem Sie sich
festhalten. Sie glauben, dass ein Verkehrsträger, der bereits jetzt im Verhältnis zur Verkehrsleistung zehnmal
höher gefördert wird als der Straßenverkehr, die Lösung
der Probleme von Mitteln ist, die Sie durch die dilettantische Handhabung der ganzen Angelegenheit im Straßenbau nicht einnehmen und damit auch nicht ausgeben
können.
Deswegen finde ich es geradezu grotesk, wenn Sie
bereits jetzt auf das so genannte A-Modell hinweisen.
Sie haben angeblich große Verträge in Vorbereitung.
Diese leben aber ausschließlich davon, dass die Maut
eingeführt wird und die Einnahmen fließen. Sie treiben
doch genau das gleiche Possenspiel wie Ihr Vorgänger
Bodewig. Er hat bereits im Jahr 2000 den Beginn des
Anti-Stau-Programms als unmittelbar bevorstehend verkündet, obwohl er genau wusste, dass er dafür die
Mauteinnahmen braucht und die Zeitpläne, die er damals
aufgestellt hat, nicht stimmten.
In seiner Abschiedserklärung vom Juni 2002 hat er
den 1. Januar 2003 genannt. Das war vollkommen illusorisch. Damals haben Sie noch an den Beginn zum 1. Juli
2003 geglaubt. Nun sind wir am Jahresende und ich sage
Ihnen voraus, Herr Minister: Der 1. Januar 2004 ist ein
sehr ehrgeiziges Ziel. Im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland hoffe ich, dass Sie dieses Ziel erreichen.
({16})
Ich will mit einem Zitat von Ihnen schließen. Sie haben am Montag im Ausschuss gesagt, Sie seien gegenüber bestimmten Argumenten argwöhnisch wie eine alte
Katze. Ich hoffe nur, dass Sie auch so viel Erfahrung wie
eine alte Katze haben und erkennen, wann die Industrie
Sie im Zusammenhang mit der Maut auf den Arm nimmt
und wann Ihnen Herr Mehdorn als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn hinsichtlich seiner Börsen- oder
Kapitalmarktfähigkeit Schalmeienklänge vorspielt, denen seine Leistungen erkennbar nicht gerecht werden.
Ganz zu schweigen davon - das wird eine interessante
Diskussion -, dass in der mittelfristigen Planung der
Bahn jährlich 5 Milliarden Euro für verlorene Zuschüsse
für den Investitionsausbau eingesetzt worden sind. Diese
Zahl ist durch Ihren Haushalt erkennbar nicht gedeckt.
Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wer diese
Mittel zugesagt hat und wie Sie die Differenz erklären
wollen.
Den aktuellen Zahlen Ihres Haushalts kann man nur
entnehmen: Dieser Haushalt ist nicht zustimmungsfähig,
weil er kein einziges Problem löst, aber jede Menge neue
Probleme schafft.
Danke sehr.
({17})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Herren von CDU/CSU und FDP rate ich, die
Kirche im Dorf zu lassen. Die LKW-Maut wirft im
Einzelplan 12 zwar Schwierigkeiten auf, aber es liegt
keine haushaltspolitische Katastrophe vor.
({0})
Vielmehr handelt es sich eindeutig um eine industriepolitische Blamage erster Ordnung.
({1})
Ich habe zwar ein bisschen Verständnis dafür, dass es
für Opposition und Presse ein gefundenes Fressen ist,
jede nicht funktionierende On Board Unit aufzugreifen
und dem Minister die Schuld zu geben, wenn wieder etwas nicht geklappt hat, aber ich möchte Sie dennoch bitten, sich zunächst einmal auf die Fakten des Einzelplans 12 zu besinnen und die Verantwortung für die
Mautmisere dort zu belassen, wo sie hingehört, nämlich
bei der Industrie.
({2})
Zunächst zu den Fakten: Der Einzelplan 12 ist besser,
als er hier dargestellt wird.
({3})
Mit knapp 26,5 Milliarden Euro ist er der drittgrößte
Einzeletat. In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten
ist es wichtig zu betonen, dass dieser Einzelplan der mit
Abstand größte Investitionshaushalt des Bundes ist. Investitionen im Verkehrs- und Baubereich machen mehr
als die Hälfte der gesamten Investitionsausgaben aus. Jeder weiß, welche Bedeutung die Verkehrsinvestitionen
für den Standort Deutschland haben. 11,5 Milliarden
Euro stehen dafür zur Verfügung. Ich möchte daran erinnern, dass es 1998 nur 9,5 Milliarden Euro waren. Das
machte 25 Prozent der Gesamtinvestitionen aus. Heute
sind wir bei einer Quote von 50 Prozent. Nicht vergessen
werden darf, dass wir die niedrigeren Zahlen von Ihnen
übernommen und daran gearbeitet haben, sie zu erhöhen.
Wir werden im kommenden Jahr über einen neuen
Bundesverkehrswegeplan und Ausbaugesetze für
Straße und Schiene zu beschließen haben. Uns liegt ein
glänzender Entwurf vor, der die Handschrift des Parlamentarischen Staatssekretärs Großmann trägt. Hut ab
vor dieser schwierigen Arbeit und Dank an Achim
Großmann!
({4})
Ich möchte nicht versäumen, Ihnen kundzutun, dass
der Verkehrsausschuss des Bundesrates nicht eine Änderung mit Mehrheit beschlossen hat. Es muss also ein hervorragender Entwurf sein.
({5})
Jeder weiß um die Bedeutung eines jeden Projekts in
seinem Wahlkreis und die Menschen vor Ort warten darauf, dass wir hier zukunftsweisende Entscheidungen
fällen. Mit dem Haushalt 2004 und der mittelfristigen Finanzplanung schaffen wir Sicherheit. Die gewünschten
Investitionen werden realisiert. Alle Wünsche und
Träume können aber nicht erfüllt werden. Das wissen
Sie ebenso gut wie wir.
({6})
Ein Ziel der rot-grünen Koalition ist erreicht, nämlich
das Ziel, Investitionsmittel in gleicher Höhe für Schiene
und Straße einzustellen. Die Investitionsmittel im Rahmen des GVFG und des Regionalisierungsgesetzes können in diesem Zusammenhang durchaus addiert werden.
Es war klar, dass die heutige Diskussion hauptsächlich von der Debatte über die LKW-Maut geprägt wird.
Ich sage dazu ganz deutlich: Die Industrie hat seit über
einem Jahr die Regierung und auch uns in Sicherheit gewogen.
({7})
Es kamen aber immer mehr Proteste aus den Wahlkreisen. Die Speditionen haben uns schließlich darauf hingewiesen, dass sie den geplanten Start des Mautsystems
am 31. August nicht für möglich halten. Ich erinnere
mich noch gut daran, dass uns die Vertreter von Toll Collect in der Ausschusssitzung vom 7. Mai das Gegenteil
versichert haben. Wir, aber auch Sie haben diese Aussage von Toll Collect ernst genommen.
({8})
Wir hätten vielleicht an dem einen oder anderen Punkt
stutzig werden können, als die Sprache auf die technischen Voraussetzungen kam. Aber unser Vertrauen - das
sage ich ganz bewusst - in unsere Weltkonzerne Daimler-Chrysler und Telekom war damals noch nicht so ramponiert wie heute.
({9})
- Lieber Herr Kalb, auch die Opposition hat sich ähnlich
verhalten.
Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und
Entsorgung hat gesagt, auch die CDU/CSU habe sich
von der Industrie blenden lassen. Auch Sie haben in öffentlichen Erklärungen an der pünktlichen Mauteinführung festgehalten. Deswegen kann ich es überhaupt nicht
ernst nehmen, wenn Sie heute so tun, als ob Sie schlauer
gewesen wären.
Ich finde es richtig, dass nach den Meldungen, die
uns, aber auch das Ministerium zum Handeln gezwungen haben, die Reißleine gezogen worden ist. Es ist richtig gewesen, den ursprünglich am 31. August geplanten
Start zu verschieben. Um es aber noch einmal ganz klar
und deutlich zu sagen: Es war die Industrie, die uns getäuscht hat, nicht der Minister.
({10})
Wir werden im Laufe der Haushaltsberatungen zu überprüfen haben, welche Auswirkungen die Verschiebung
der Mauteinführung haben wird. Wir wissen, dass sich
die Einnahmeausfälle in diesem Jahr auf schätzungsweise 380 Millionen Euro summieren werden. Wir, die
Koalitionsfraktionen, bestehen trotzdem darauf, dass die
Projekte aus dem Anti-Stau-Programm ungeschmälert
realisiert werden. Es wird nicht einfach sein, das durch
die Einnahmeausfälle verursachte Minus, wie vereinbart,
über drei Jahre auszugleichen.
({11})
Meine Herren Vorredner, es ist schon ein starkes
Stück, dass Sie davon ausgegangen sind, dass die Regelungen betreffend die UMTS-Mittel weiter laufen würden. Sie haben sich offensichtlich nicht informiert und
nicht zur Kenntnis genommen, dass damit 2003 Schluss
sein wird. Es ist daher unglaublich, wenn Sie heute behaupten, es sei vereinbart worden, die fehlenden Mittel
durch eine höhere Maut auszugleichen. Davon war nie
die Rede. Sie werden mir nicht das Gegenteil beweisen
können. Hier ist auch die Glaubwürdigkeit der Opposition gefragt.
Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zum Harmonisierungsbeitrag des deutschen Transportgewerbes
machen. Wir wollten von Anfang an einen Mautsatz von
15 Cent pro Kilometer. Aus den Mauteinnahmen wollten
wir das gesamte Harmonisierungspaket im Umfang von
zunächst 300 Millionen Euro - später 600 Millionen
Euro - finanzieren. Im Bundesrat haben Sie dafür gesorgt, dass es nun eine andere Regelung gibt. Der anfängliche Mautsatz liegt nun bei 12,4 Cent pro Kilometer und wird - je nachdem welche Fortschritte die
Harmonisierung macht - auf 15 Cent angehoben. Jede
einzelne Maßnahme ist aber abhängig von dem Votum
der EU. Ich sage deshalb ganz deutlich: Sie glauben
doch wohl nicht, dass wir automatisch eine Erhöhung
der Maut auf 15 Cent auf der EU-Ebene durchsetzen
können, wenn wir in Deutschland die LKW-Kfz-Steuer
auf das europäische Minimum senken.
Man kann diese Entwicklung heute betrauern. Aber
das allein reicht nicht aus. Frau de Palacio ist Ihre Parteifreundin, meine Damen und Herren.
({12})
Also reden Sie mit ihr, gehen Sie in die Offensive und
nutzen Sie Ihre Kontakte innerhalb der Partei, damit sie
uns nicht weiter Steine in den Weg legt.
({13})
Wir verfolgen mit der Einführung der Maut ein europäisches Ziel und Deutschland soll weiter eine Vorreiterrolle spielen.
Wir werden uns im Ausschuss auch noch darüber zu
unterhalten haben, wie wir mit weiteren Themen umgehen. Ich führe das jetzt nur noch schlagwortartig aus.
Wir werden sicherlich über die Frage der Finanzierung
des Metrorapids zu diskutieren haben.
({14})
Ich freue mich, dass wir das Versprechen beim maritimen Bündnis gehalten und ein eindeutiges Zeichen für
die Seeschifffahrt in Deutschland gesetzt haben.
Meine Damen und Herren, Sie unterstellen heute
einen Vertragsinhalt, den wir alle im Detail nicht kennen, Sie nicht und wir nicht.
({15})
Ich halte es auch nach der Diskussion von heute Morgen
für sehr gut, dass der Minister angeboten hat, eine Offenlegung im gesetzlich möglichen Rahmen für uns und die
Opposition zu ermöglichen. Das ist der richtige Weg.
Hier gibt es nichts zu verdecken und nichts zu verstecken.
Es gibt keinen regulierungsfreien Zeitraum und es
geht eindeutig um Vertragsstrafen und um Schadensersatz.
({16})
Ein Tohuwabohu hat es weder auf den Straßen gegeben,
noch gibt es das im Ministerium.
Danke schön.
({17})
Das Wort hat jetzt der Kollege Eduard Oswald von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der Optimismus, den die rot-grüne Koalition zu verbreiten versucht, steht im Gegensatz
({0})
zu den Sorgen, die die Menschen in unserem Land umtreiben.
({1})
Die katastrophale Lage in der Bauwirtschaft, die
Schwierigkeiten im Wohnungswesen und die Probleme
in nahezu allen Verkehrsbereichen machen deutlich, wohin uns fünf Jahre Rot-Grün in Deutschland gebracht haben.
({2})
Ihr Arbeitsmotto lautet: Statt gestalten allenfalls verwalten.
({3})
Gestalten wollten Sie bei der LKW-Maut, sie sollte Ihre
große Erfolgsstory werden. Zwei Tage vor der Bundestagswahl wurde noch schnell der Vertrag unterschrieben:
erst hopp, hopp!, jetzt flopp, flopp!
({4})
Das, was Sie hier darstellen, mag allenfalls zu Ihrer
inneren Beruhigung beitragen, aber es löst die drängenden Probleme in Deutschland nicht. Die Schwachpunkte
Ihrer Politik im Bau- und Wohnungswesen und im Verkehrsbereich sind unübersehbar. Abermals ist die Investitionsquote im Bundeshaushalt insgesamt weiter abgerutscht.
({5})
1998 waren es noch 12,5 Prozent, jetzt liegt sie unter
10 Prozent.
({6})
Die Bauindustrie befindet sich in ihrer schwersten
Krise. Die Anzahl der Insolvenzen nimmt zu, mit der
Folge weiter steigender Arbeitslosigkeit. Die deutsche
Bauindustrie sieht die deutsche Bauwirtschaft im
schwärzesten Jahr der Nachkriegsgeschichte.
({7})
Der Wohnungsbau bricht als tragende Säule der
Bauwirtschaft weg. Schuld daran sind die Investitionshemmnisse, die vor allem den Mietwohnungsbau zum
Erliegen bringen. Die Angebotsverknappung in weiten
Teilen unseres Landes führt zu steigenden Mietkosten;
Leidtragende sind die Familien mit Kindern, die preiswerten Wohnraum brauchen, ihn aber immer weniger
bekommen.
({8})
- Wer solche Zwischenrufe macht, kennt sich in
Deutschland nicht aus.
({9})
Mit dem Verwirrspiel um die Wohnungsbauprämie
und die Eigenheimzulage verunsichern Sie die Immobilienbranche und die Bauwilligen. Wer die Eigenheimzulage infrage stellt, verschärft den negativen Trend in der
Baubranche und gefährdet Arbeitsplätze.
({10})
Nicht nur der Wohnungsbau, sondern auch der Neuund Ausbau der Bundesverkehrswege geraten durch Ihre
Politik immer mehr ins Stocken. Die Einnahmen aus der
LKW-Maut - dazu ist heute schon viel gesagt worden -,
die für die Verkehrsinfrastruktur zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollten, haben Sie im Haushalt regelrecht untergegraben. 2004 - wir gehen davon aus,
dass die Mauterhebung dann wirklich beginnt - wird mit
Mauteinnahmen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro gerechnet. Nach Abzug der Systemkosten von 700 Millionen Euro - es soll auch einmal gesagt werden, was das
System kostet - stehen 2,1 Milliarden Euro zweckgebunden für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung.
Dies war im Übrigen eine der Bedingungen der Bundesländer, der LKW-Maut zuzustimmen.
Es fließen zwar 1,06 Milliarden Euro in den Bundesfernstraßenbau; jedoch hat die Bundesregierung im Gegenzug - auch dies muss einmal dargestellt werden den allgemeinen Haushaltsansatz für die Bundesfernstraßen um 724 Millionen Euro gegenüber dem Soll 2003
gekürzt.
({11})
Das halte ich für unseriös.
Sie wissen ganz genau, dass die Zustimmung zu dem
ganzen Mautpaket von der verbindlichen Zusage, die
Mauteinnahmen abzüglich der System- und Kontrollkosten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zusätzlich
zur Verfügung zu stellen, abhängig gemacht worden ist.
Ihre verbindlichen Aussagen jetzt für unverbindlich zu
erklären, ist eigentlich nicht hinnehmbar.
({12})
Wir alle wissen: Der Autofahrer in unserem Lande
bezahlt beim Tanken 71 Cent Steuern je Euro. Alles in
allem fließen von den Abgaben der Autofahrer jährlich
51 Milliarden Euro in die verschiedenen Staatshaushalte
und nur ein Drittel dieser Summe, rund 16 Milliarden
Euro, wird Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zugeleitet.
({13})
Diese Zahl muss ebenfalls einmal - auch draußen - diskutiert werden.
({14})
Statt die Verkehrsinfrastruktur - auch mithilfe zusätzlicher Mauteinnahmen - auszubauen, gehen Sie einen
anderen Weg. Die Tatsache, dass die Ausgabenquote für
den Erhalt der bestehenden Infrastruktur im Bundesfernstraßenhaushalt über jener für den reinen Neubau liegt,
ist doch eigentlich bedenklich. Ein Viertel des Autobahnnetzes in Deutschland gilt schon heute als Engpass.
Über 200 Streckenkilometer sind so stark belastet, dass
es täglich zu großen Staus kommt. Täglich verursachen
Staus in Deutschland 30 Millionen Liter mehr Verbrauch
an Kraftstoff und entsprechend zusätzliche Emissionen.
Wenn Engpässe durch Investitionen beseitigt werden,
dann bedeutet dies einen ökologischen Nutzen. Deswegen brauchen wir Investitionen in Deutschland.
({15})
Der heute bereits bestehende Fehlbedarf an Investitionsmitteln von mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr wird
von Ihnen fortgeschrieben. Wenn sich an diesen Finanzierungsansätzen nichts ändert, bleibt der Stau in
Deutschland vorprogrammiert. Sie verwalten, statt zu
gestalten.
Der LKW - das kann nicht oft genug gesagt werden ist für das Wirtschaftsleben unverzichtbar, um Warenströme flexibel und bedarfsgerecht flächendeckend zu
verteilen. Gerade deshalb wäre es notwendig gewesen,
dass Sie für das deutsche mittelständische Transportgewerbe faire Bedingungen in Europa erstreiten.
Ich sage Ihnen: Auf Deutschlands Straßen wird immer gefahren; aber ich möchte, dass eine Chance auch
für das deutsche Transportgewerbe - damit für die
Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland - im europäischen Wettbewerb besteht.
({16})
Wenn ich Ihnen sage, dass schon heute nur noch
25 Prozent der Transporte von oder nach Deutschland
von deutschen Spediteuren gefahren werden, dann sollte
uns das allen zu denken geben.
Die Deutsche Bahn hat Umsatzeinbußen und einen
Rückgang im Personenfernverkehr präsentiert. Hoffen
wir, dass das korrigierte Preissystem für die Bahn wieder
Akzeptanz schafft!
({17})
Ich sage aber eines: So wie das Image der Bahn nicht
von den Werbeagenturen, sondern ausschließlich von der
Zufriedenheit ihrer Kunden geprägt wird, so ist die Bundesregierung für die politischen Rahmenbedingungen
für die Bahn verantwortlich.
({18})
Nun stelle ich die Frage: Wo bleibt Ihr Schienenverkehrskonzept? Wir wollen, dass die Bahnreform von
1994 ein Erfolg wird. Dazu bedarf es einer ehrlichen und
offenen Bestandsaufnahme. Nicht nur der Bahnchef
muss eine solche vorlegen,
({19})
sondern auch die Bundesregierung muss ihre Vorstellungen zur Zukunft der Bahn äußern.
({20})
Deshalb brauchen wir aus Anlass von zehn Jahren Bahnreform eine ausführliche Debatte hier im Bundestag.
({21})
Die Situation im Baugewerbe ist erschütternd. Für
mich ist bedrückend, wie wenig Betroffenheit die Lage
am Bau in Ihren Reihen auslöst.
({22})
Es geht um Betroffenheit nicht nur über den Zustand
einer Branche, sondern auch über den Zustand eines
Landes, in dem das Wegbrechen von Bauinvestitionen
offensichtlich Ursache eines spürbar sinkenden Lebensstandards ist. Ohne Bau gibt es kein Wachstum.
({23})
Das muss man begreifen.
Dabei geht es nicht um Subventionen. Ziel muss eine
Politik sein, die Deutschland als Investitionsstandort
begreift.
({24})
Ohne eine nachhaltige Wende in der Investitionspolitik
kommen wir aus dieser Situation nicht heraus. Wir alle
miteinander müssen begreifen: Investitionen sind wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Initialzündungen. Jeder Euro, der in Investitionen fließt, zahlt sich mehrfach
aus. Bauinvestitionen finanzieren sich zu zwei Dritteln
selbst: über Steuermehreinnahmen, höhere Sozialversicherungsbeiträge und sinkende Arbeitslosenunterstützung. Diese Zusammenhänge muss man begreifen.
({25})
Ganz bestimmt sind wir uns darüber einig, dass die
Qualität des Standorts Deutschland entscheidend von der
Qualität seiner Verkehrsinfrastruktur abhängt. Dabei
kommt dem Austausch mit den Mitgliedstaaten der EU
besondere Bedeutung zu. Hier liegen die mit Abstand
bedeutendsten Absatzmärkte der deutschen Exportwirtschaft.
Hinzu kommt jetzt die Verkehrsanbindung der Beitrittsstaaten. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, dass
die bestmöglichen Verbindungen, Straße und Schiene, zu
den Beitrittsländern zustande kommen. Da müssen wir
alle miteinander nachbessern. Helfen Sie mit! Hier muss
etwas getan werden. Sonst stehen wir dort in Zukunft im
Stau.
({26})
Wir brauchen jeden unserer Verkehrsträger. Dabei
muss die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger - ob es um die Anbindung von Straße und Schiene
an die Flughäfen oder an die Wasserstraßen und Häfen
geht - einer der Schwerpunkte sein. Ich bedauere sehr,
dass auch in diesem Jahr noch kein Wasserstraßenausbaugesetz vorgelegt worden ist.
In einem weiteren Bereich müssen Sie nacharbeiten.
Sie müssen auch Verantwortung für die bundesweite
Rahmenplanung im Bereich der Flughäfen übernehmen.
Wir brauchen eine klare Aussage zur Kapazitätsentwicklung der deutschen Flughäfen. Bei den Maßnahmen zum
bedarfsgerechten Ausbau der Luftverkehrsinfrastruktur
müssen Sie Farbe bekennen.
({27})
Die Diskussion um den zukünftigen Flughafen der Bundeshauptstadt Berlin ist bezeichnend. Was sich hier in
Berlin abspielt, zeugt nicht gerade davon, dass man eine
Vision für den Standort Deutschland hat.
({28})
Herr Bundesminister, zumindest den Transrapid
zwischen dem Münchner Flughafen und Hauptbahnhof
in München könnten wir realisieren. Ich begrüße nachdrücklich Ihre Bereitschaft, Herr Minister Stolpe, den
Bundeszuschuss für den Transrapid zu erhöhen. Dabei
würden endlich die Benachteiligung Bayerns bei der
Förderung des Transrapid ausgeglichen und die Voraussetzungen für ein stimmiges Finanzierungskonzept geschaffen.
({29})
Herr Bundesminister Stolpe, wenn Sie in Bayern Probleme mit Landes- und oder Kommunalpolitikern von
Rot-Grün haben, kann ich Ihnen einen guten Rat geben:
Halten Sie sich an die CSU! Da liegen Sie goldrichtig.
({30})
Die Bahn braucht verlässliche Perspektiven und faire
Wettbewerbsbedingungen. Wir brauchen Planungssicherheit für die Bundesschienenwege, damit das bestehende Netz auf ein leistungsfähiges Niveau gebracht
werden kann und mehr Kapazität auf der Schiene erreicht werden kann.
Sie müssen aber auch dafür sorgen, dass die deutschen Bahnen im europäischen Wettbewerb nicht weiter
benachteiligt werden. Keine andere Bahn in Europa wird
mit dem vollen Mineralölsteuersatz belastet. Einzig und
allein der deutsche Schienentransport zahlt eine so hohe
Mineralölsteuer wie die LKWs. Hinzu kommt die Belastung der deutschen Eisenbahn durch die Ökosteuer in
Höhe von 400 Millionen Euro jährlich. Allein die fiskalische Mehrbelastung der DB AG gegenüber der europäischen Konkurrenz liegt bereits bei deutlich über
1 Milliarde Euro. Also: Gestalten und nicht verwalten!
({31})
Schaffen Sie im Haushaltsausschuss - Sie haben jetzt
Zeit, auch wir werden uns in unserem Ausschuss intensiv damit beschäftigen - die haushaltsrechtlichen
Voraussetzungen, damit im Bereich Verkehr und Bau
Zukunftschancen eröffnet werden. Geben Sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland - um nichts anderes geht es
bei Verkehr, Bau und Wohnungswesen - die notwendigen Impulse, blockieren Sie nicht weiter die Investitionen, die wir für unser Land dringend brauchen. Wir werden, wenn die Richtung stimmt, ganz konstruktiv
mitarbeiten, denn es geht um die Infrastruktur, die wir
alle gemeinsam in unserem Land brauchen.
Vielen Dank.
({32})
Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Erstes doch ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen
Oswald.
({0})
Ich hatte Frau Merkel, Herrn Merz, Herrn Austermann
und viele andere in der Haushaltsdebatte bisher so verstanden, dass sie die Bundesregierung und die Koalition
aufgefordert haben, mehr Geld einzusparen.
({1})
Von Ihnen und von Herrn Lippold habe ich wieder die
Forderung nach mehr Geld gehört. Spätestens nach dem
21. September müssen Sie sich endlich entscheiden, ob
Sie mehr Geld ausgeben oder mehr Sparleistungen erbringen wollen.
({2})
Ich behaupte, nur mit mehr Sparleistungen werden wir
der Zukunft gerecht. Erst dann, wenn Bund, Länder und
Kommunen wieder handlungsfähig sind, also nicht mehr
an ihren Schulden ersticken, werden wir wieder eine
starke Wirtschaft und Wachstum haben. Ich glaube, dass
da ein innerer Zusammenhang besteht.
Ich will mich jetzt aber mit einem anderen Thema beschäftigen und auch nicht auf die Mautdebatte eingehen.
Ich wende mich der Eigenheimzulage zu. Es geht ja hier
um das Ressort für Verkehr, Bau und Wohnungswesen.
Zunächst stelle ich fest: Die Eigenheimzulage bedeutet 10,3 Milliarden weniger Steuereinnahmen; das betrifft Bund, Länder und Kommunen gemeinsam, davon
entfallen nämlich 4,4 Milliarden auf den Bund,
4,4 Milliarden auf die Länder und 1,5 Milliarden auf die
Kommunen. Auf allen drei Ebenen sind Einsparungen
dringend nötig. Wenn man über die Gemeindefinanzen
redet, ist nicht nur die Gestaltung der Gewerbesteuer ein
Thema, sondern es muss dann auch darum gehen, wie
wir mit dieser Zulage, diesen Subventionen umgehen.
({3})
In Zeiten, wo wir den Arbeitslosen so deutlich in die
Tasche greifen, wo die Versicherten für Zahnersatz und
andere Gesundheitskosten extra bezahlen müssen, wo
die Maastricht-Kriterien wanken, können wir nicht ständig so tun, als könnten wir Subventionen, die der privaten Vermögens- und Eigentumsbildung dienen, so wie
bisher aufrechterhalten.
({4})
Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber all
denen, denen zurzeit sehr schmerzliche Kürzungen zugemutet werden und für die die Frage der Eigentumsbildung nicht jetzt und erst recht nicht in Zukunft ein
Thema sein wird.
({5})
Insofern halte ich das Konzept, was sich die Regierung, nachdem Sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz und die darin enthaltene Reform der Eigenheimzulage abgelehnt haben - bis heute haben Sie es ja nicht für
nötig gehalten, Alternativvorschläge zu unterbreiten -,
nun ausgedacht hat, angesichts der Haushaltslage und
auch angesichts unserer städtebaulichen und sozialen Situation in den Städten und Regionen für sehr sinnvoll.
So soll die Eigenheimzulage vollständig auslaufen und
25 Prozent der eingesparten Gelder sollen einer aktiven
Förderung der Innenstädte und der Eigentumsbildung
von Familien in den Innenstädten zugute kommen.
Ich will Ihnen ein paar Begründungen dafür nennen,
die sich nicht in dem Argument des Geldbedarfs erschöpfen:
Erstens. Die Eigenheimzulage fördert am Bedarf vorbei.
({6})
Es handelt sich um eine Gießkannenförderung, die nicht
mehr zeitgemäß ist. Sie ist auch im Bestand nicht mehr
zeitgemäß. Es handelt sich überwiegend um reinen Kauferwerb; dadurch werden die Preise hochgetrieben, es werden keine Investitionen gefördert. Hinzu kommt, dass
angesichts des demographischen Wandels die Häuser,
die wir heute fördern, in 20 bis 30 Jahren an vielen Stellen nicht mehr veräußerbar sein werden. Auch darüber
muss man nachdenken.
Zweitens. Die Eigenheimförderung ist eine Zersiedlungszulage, die zulasten der Kernstädte und Innenbereiche unserer Städte geht. Das kostet die Kommunen Infrastrukturmaßnahmen in enormen Maße. Das ist etwas,
was wir uns angesichts der kommunalen Finanzen nicht
mehr leisten können.
Drittens. Die Eigenheimzulage ist sozial unausgewogen. Es ist nachgerechnet worden, dass über 50 Prozent
der Haushalte, die die Eigenheimzulage in Anspruch
nehmen, zu den 20 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen gehören und dass kaum Schwellenhaushalte dabei sind, weil die sich das überhaupt nicht leisten
können.
({7})
Letzter Punkt: Die Eigenheimzulage löst eine Reihe
von Mitnahmeeffekten aus.
Bei all diesen inhaltlichen Argumenten geht es nicht
gegen die Bauwirtschaft. Wir haben sehr viel für die
Bauwirtschaft getan: Energieeinsparmaßnahmen, Förderung von Wohnungsmodernisierung für Selbstnutzer
ebenso wie im Mietwohnungsbau. Das sind die richtigen
Maßnahmen. Sie sind inhaltlich treffsicher und kosten
eine knappe, schlanke Förderung. Zudem ist die öffentliche Hand auch praktisch in der Lage, das zu steuern. Das
ist richtig; das nützt der Bauwirtschaft und gleichzeitig
der Umwelt.
({8})
Insofern möchte ich ganz konkret dafür werben, beim
Thema Eigenheimzulage nicht länger eine ideologische
Debatte zu führen. Die gehört in eine alte Bundesrepublik, in der man sich das Verteilen von Geld noch leisten
konnte. Heute sind wir in einer anderen Situation. Werfen Sie Ihre Ideologie über die Schulter und machen Sie
mit! Unterstützen Sie die Städtebauförderung, den Stadtumbau Ost wie West und die Stärkung der Innenstadtquartiere, wie wir sie auf der Ebene von Bund, Ländern
und Kommunen mit der 25-Prozent-Regelung planen. Es
wäre wirklich toll, wenn wir uns darauf in diesem Winter
einigen würden.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen und Kolleginnen! Am 5. Dezember haben Sie,
Herr Minister Dr. Stolpe, bei der Beratung des Haushalts
2003 eine zukunftsorientierte Investitionspolitik im Verkehr, Bau- und Wohnungswesen angekündigt. Heute,
neun Monate später, kommen uns Ihre Ankündigungen
wie Worte aus einer fernen Epoche vor. Heute kann von
einer zukunftsorientierten Investitionspolitik kaum noch
die Rede sein.
So sind die Ansätze für Investitionen in die Wasser-,
Straßen- und Schienenwegeinfrastruktur, die aus den
klassischen Finanzmitteln, nämlich letztlich aus Steuern
finanziert werden, von rund 9,6 Milliarden Euro auf
rund 7,4 Milliarden Euro, also um 2,2 Milliarden Euro,
gekürzt worden.
({0})
Das ist eine Kürzung um 22,9 Prozent, also um mehr als
ein Fünftel.
Mit den Einnahmen aus der Maut versuchen Sie,
Herr Minister, diese Kürzung zu kaschieren. Aber selbst
wenn man die Mittel aus der Maut hinzurechnet, Herr
Schmidt, werden die Investitionen für 2004 sinken, und
zwar um genau 111 Millionen Euro.
Sie, Herr Minister, und ich wissen wie wir alle, dass
die Einnahmen aus der Maut nicht dazu gedacht sind, die
Kürzungen bei den steuerfinanzierten Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zu kompensieren. Die Einnahmen
aus der Maut sollen nach dem Mautgesetz, das ja geändert worden ist, zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur mobilisieren. So ist es im Vermittlungsausschuss am 21. Mai 2003 gemeinsam beschlossen
worden.
Sie tun nun zweierlei, Herr Minister: Zum einen kürzen Sie radikal bei den steuerfinanzierten Verkehrsinvestitionen und zum anderen brechen Sie die Vereinbarung,
die im Vermittlungsausschuss getroffen wurde.
({1})
Weniger Investitionen, gebrochene Vereinbarungen.
({2})
Herr Minister, das ist keine tragfähige Grundlage für
eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik.
Wenn ich vorher den Betrag kürze, kann ich natürlich
die kompletten Mauteinnahmen einsetzen.
({3})
- Ja, sicher. Wir haben gesagt: Die gesamten Mauteinnahmen sollen hinzukommen. Aber der Ansatz darf vorher nicht gekürzt werden. Sie kürzen zunächst, tun dann
die Maut dazu und sagen: Wir haben ja alles erfüllt. Dabei haben Sie nur das eine durch das andere ersetzt. Das
war nicht unsere Absicht. Das war auch nicht gemäß der
Vereinbarung, die getroffen worden ist. Die Mauteinführung hatte ja insgesamt zum Ziel, zusätzliche Gelder zu
mobilisieren. Das setzen Sie nicht um.
({4})
- Richtig, das steht in § 11 des Mautgesetzes.
Dieses Verhalten wird Langzeitwirkung haben. Es
schadet nämlich weiteren Reformvorhaben. Der sicherlich vernünftige Schritt hin zu einer Nutzerfinanzierung
wird dadurch diskreditiert. Die Autofahrer zahlen jährlich über Sonderabgaben - Herr Oswald hat darauf hingewiesen - rund 51 Milliarden Euro, von denen bisher
nur ein Bruchteil für den Bau und den Unterhalt von
Straßen ausgegeben wird. Wenn diese Mittel, weil mit
der Maut eine neue Finanzierungsquelle erschlossen
wurde, sogar gekürzt werden, dann verlieren die Bürger
das Vertrauen in die Politik.
Das deutsche Güterkraftgewerbe - immerhin Arbeitgeber von 400 000 Menschen - hat sein Vertrauen in die
Verkehrspolitik der rot-grünen Bundesregierung ohnehin
schon lange verloren. Als Ausgleich für internationale
Wettbewerbsverzerrungen sind dem deutschen Güterkraftgewerbe unter dem Stichwort „Harmonisierung“
600 Millionen Euro pro Jahr - so der Beschluss des Vermittlungsausschusses - zugesagt worden. Sie haben
Recht, Sie wollten nur 300 Millionen Euro. Wir wollten
600 Millionen.
({5})
Aber die Intention war auf beiden Seiten gleich: Kompensation für die Wettbewerbsverzerrungen, die wir in
Europa vorfinden. Dann kamen Sie, Herr Minister, aus
Brüssel zurück und verkündeten, dass die Kommissarin
de Palacio diese Harmonisierung verbietet.
({6})
- Sie wollten 300 Millionen. Die haben Sie nicht bekommen. Ob Sie 600 Millionen oder 300 Millionen nicht bekommen, Herr Schmidt, ist doch egal.
({7})
Entscheidend ist, dass wir eine Kompensation zugesagt
haben, die dem Gewerbe jetzt nicht gegeben wird.
({8})
Wir müssen fragen, wie sorgfältig diese Entscheidung
vorbereitet worden ist und wie sehr man sich um eine europäische Zustimmung zu dieser Kompensation gekümmert hat. Wir befürchten, dass Sie sich zu spät darum gekümmert haben. Auch wenn wir jetzt die Maut auf
12,4 Cent pro Autobahnkilometer gekürzt haben, haben
ja auch die ausländischen Wettbewerber etwas davon.
Das ist kein Vorteil für das deutsche Gewerbe.
({9})
Das deutsche Gewerbe hat nur dann einen Vorteil, wenn
es in Deutschland besser gestellt wird als die ausländischen LKW-Fahrer, die seit geraumer Zeit von ihren naNorbert Königshofen
tionalen Parlamenten besser gestellt worden sind. Das
kann uns nicht gleichgültig sein.
({10})
Was sagt der Bundeskanzler dazu? Herr Schröder
lässt sich im „Tagesspiegel“ vom 25. August dieses Jahres wie folgt zitieren: „Und wenn sie“ - er meint die
Kommissarin de Palacio - „negativ votiert, gibt es gar
nichts.“ Gemeint ist hier das Güterkraftgewerbe.
({11})
Offensichtlich sind 100 000 bedrohte Arbeitsplätze für
den Bundeskanzler eine zu vernachlässigende Größe.
Herr Minister, bis vor kurzem war auch der Metrorapid Teil Ihrer zukunftsorientierten Investitionspolitik.
Jetzt ist er im Bermudadreieck rot-grüner Schachereien
verschwunden.
({12})
Natürlich war der Metrorapid im Ruhrgebiet von vornherein eine Fehlplanung; denn er wäre dort verkehrspolitisch unsinnig gewesen. Aber deswegen haben Sie ihn
nicht fallen gelassen. Sie haben ihn fallen gelassen, weil
er dem Koalitionsfrieden in Düsseldorf im Wege stand.
({13})
Zu Ihrer Auffassung von einer zukunftsorientierten
Investitionspolitik passt auch, dass Sie die Mittel für die
praktische Erprobung der Magnetschwebebahntechnik radikal gekürzt haben, und zwar im Vergleich zu
2003 um sage und schreibe 43,1 Prozent. Meine Damen
und Herren von der Koalition, wenn Sie in Deutschland
wirklich eine Referenzstrecke haben wollen, dann dürfen Sie das Geld für die praktische Erprobung nicht radikal zusammenstreichen.
Bei der Diskussion um die Anwendung der Magnetschwebebahntechnik hat Herr Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, wieder einmal wie bei der Strecke Hamburg-Berlin eine unrühmliche Rolle gespielt. Dabei hätte Herr Mehdorn guten
Grund, sich auf das ihm anvertraute Unternehmen zu
konzentrieren. Im letzten Jahr machte die Deutsche
Bahn AG 493 Millionen Euro Verlust. Das Güterverkehrsaufkommen sank um 3 Prozent, während das
Personenverkehrsaufkommen sogar um 6,2 Prozent
schrumpfte. Die Preisreform entpuppte sich als Megaflop.
Die Schulden des Konzerns stiegen zwischen Ende 1994
und Ende 2002 von 6,1 Milliarden Euro auf 24,5 Milliarden Euro. Seit der Bahnreform vor zehn Jahren hat der
Bund bereits 94 Milliarden Euro in den Konzern gesteckt. Im Klartext: Die Deutsche Bahn AG ist ein Sanierungsfall. Wer glaubt, die Deutsche Bahn AG könne
2005 börsenreif sein, verwechselt Wunschdenken mit
Realität. Das hat unser Sprecher, Dirk Fischer, am
7. August dieses Jahres in der „Financial Times
Deutschland“ bereits überzeugend nachgewiesen.
({14})
- Ja, Sie würden sich freuen, wenn Sie da einmal zitiert
würden, Herr Kollege, und sei es auch nur als Fußnote.
Deshalb ist auch die im Vorgriff auf den Börsengang
eingerichtete Abteilung „Investor Relations“ überflüssig; der Bund wird nämlich auf absehbare Zeit Alleineigentümer und damit auch alleiniger Investor bleiben.
Will man einen echten Wettbewerb auf der Schiene erreichen, muss das Großkombinat Deutsche Bahn aufgespalten werden. Nur durch eine konsequente Trennung
von Netz und Betrieb lässt sich echter Wettbewerb auf
der Schiene zwischen verschiedenen Gesellschaften herstellen.
({15})
Ich bin fest davon überzeugt, dass uns nur ein personeller Wechsel an der Spitze der DB AG weiterhilft.
Sonst wird uns die Bahn weiterhin Ärger und Sorge bereiten. Aber anstatt Herrn Mehdorn zu feuern, lassen Sie
die Sache treiben. Das ist nicht die Politik, die wir uns
für die Bahn AG wünschen.
Wie sieht die zukunftsorientierte Politik der Bundesregierung im Wohnungswesen und im Städtebau aus?
Laut Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes will RotGrün die Eigenheimzulage abschaffen. Das hätte gravierende Folgen für den Arbeitsmarkt, wie vorhin schon
angesprochen wurde. Noch mehr Arbeitsplätze würden
verloren gehen, als ohnehin schon verloren gegangen
sind, und das, obwohl wir bereits unter Massenarbeitslosigkeit leiden. Darüber hinaus würde die Abschaffung
der Eigenheimzulage dazu führen, dass sich normal verdienende Familien kein Eigenheim mehr leisten könnten. Dabei waren wir uns doch einig, dass gerade dieser
Bevölkerungsgruppe geholfen werden müsse, Wohneigentum zu erwerben.
({16})
In Deutschland haben 41,5 Prozent der Bevölkerung
Wohneigentum, in Frankreich 56,2 Prozent, in Großbritannien 69,7 Prozent, in Spanien sogar 86 Prozent.
Selbst das 40 Jahre kommunistisch regierte Polen
kommt auf eine Wohneigentumsrate von 74,9 Prozent.
({17})
Über Änderungen des Gesetzes lassen wir mit uns reden, aber einem generellen Kahlschlag bei der Eigenheimzulage werden wir im Bundesrat nicht zustimmen.
({18})
Herr Minister, Sie haben während der Beratungen
eine zukunftsorientierte Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik angekündigt. Wir stellen fest, dass Ihren Worten leider keine Taten folgen. Wer zukunftsorientierte Politik
betreiben will, darf die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur nicht kürzen, darf die Maut nicht anstatt, sondern muss sie zusätzlich zu den bisherigen Finanzmitteln
einplanen. Wer zukunftsorientierte Politik betreiben will,
muss seine Hausaufgaben machen, bevor er - wie Sie in Brüssel vorstellig wird; anderenfalls fällt er dort auf
die Nase.
({19})
Wir halten Ihre Politik nicht für zukunftsorientiert.
Die Einschränkungen im Haushalt schaden dem Standort
Deutschland. Bei Ihrer Politik haben die Menschen in
Deutschland nach unserer Auffassung keine Aussicht
auf eine bessere Zukunft.
({20})
Als letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich hat
nun der Kollege Wolfgang Spanier von der SPD-Fraktion das Wort.
Verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen!
Meine Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich
möchte zwei Vorbemerkungen machen, die ich an Sie
richten möchte, Herr Oswald.
Ich schätze Sie als Ausschussvorsitzenden sehr.
({0})
Aber als Redner hier im Bundestag werfen Sie uns Optimismus vor. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass wir
unser Land voranbringen, wenn wir uns - wie Sie und
viele andere Redner der Opposition in Pessimismus und
Schwarzmalerei geradezu suhlen? Glauben Sie, dass uns
das voranbringt?
({1})
Es ist hochinteressant, von Ihnen als langjährigem
Wohnungspolitiker zu hören, die Krise der Bauwirtschaft, die ernst und schlimm genug ist, sei im Wesentlichen durch Investitionshemmnisse im Mietwohnungsbau verursacht. Mein lieber Herr Oswald, das sagen Sie
in einer Stadt, in der 140 000 Wohnungen leer stehen.
Wir können gern Hand in Hand durch die Städte in diesem Land gehen, um die Wirklichkeit wahrzunehmen.
Wir werden überall das Gleiche feststellen, nämlich
wachsende Leerstände. - Angesichts dessen zu sagen,
Investitionshemmnisse beim Mietwohnungsbau seien
die wesentliche Ursache für die Krise der Bauwirtschaft,
ist nun völlig daneben.
({2})
Es ist richtig: Bei diesem Haushalt und auch beim
Einzelplan 12 haben wir ganz besondere Unwägbarkeiten. Aber die wesentliche Ursache für diese Unwägbarkeiten ist Ihre Unberechenbarkeit, weil Sie wesentliche
politische Entscheidungen offensichtlich verschleppen.
({3})
- Wer regiert? Sie regieren über den Bundesrat mit,
wenn es um Steuerfragen geht. Sie regieren über den
Bundesrat mit, wenn es um die Eigenheimzulage geht.
Aber dazu sagen Sie hier kein Wort.
({4})
Im Gegenteil, Sie geben Ihre Mitverantwortung an die
Herren Stoiber und Koch ab, so als hätten Sie als
Unionsbundestagsfraktion hier überhaupt nicht mehr
mitzureden. Ich habe von Ihnen zum Beispiel kein konkretes Wort zum Thema Eigenheimzulage gehört. Das
überlassen Sie offensichtlich Herrn Stoiber und Herrn
Koch. Das ist ein Stück weit eigene Entmündigung von
politischem Handeln.
({5})
Wir müssen gerade über den Einzelplan 12 einen Beitrag leisten, um aus der schon zu lange anhaltenden
Situation mangelnden Wirtschaftswachstums ein Stück
weit herauszukommen. Wir tun das trotz schwierigster
Finanzlage, die auf allen Ebenen festzustellen ist, indem
wir die Verkehrsinvestitionen auf Rekordniveau halten,
indem wir darüber hinaus in diesem Jahr verstärkt und
im nächsten Jahr genauso zusätzliche kräftige Investitionsanreize über die Programme zur Wohnraummodernisierung geben. Dies hat einen doppelten Effekt. Es
führt nämlich zu einer CO2-Minderung und zu einer
Wertsteigerung im Wohnungsbestand.
Unsere erfolgreichen Programme „Städtebauförderung“, „Soziale Stadt“ und, ganz besonders wichtig,
„Stadtumbau Ost“ laufen und sie werden erfolgreich
weiterlaufen. Es ist nicht einfach, in dieser Zeit dieses
hohe finanzielle Niveau zu halten.
Wir wissen, dass noch manches zu verbessern ist,
dass wir noch effizienter werden können. Ich will ein
Beispiel nennen: Es ist schon eine Krux, dass wir Verwaltungsvereinbarungen nur für ein Jahr - das ist Tradition - treffen. Es wäre hilfreich, wenn wir sie für längere
Zeiträume vereinbaren könnten. Natürlich kann man die
verschiedenen Förderinstrumente auch noch besser miteinander verzahnen.
Lassen Sie mich schwerpunktmäßig noch etwas zur
Eigenheimzulage sagen. Es ist richtig, dass - alle drei
Ebenen zusammengenommen - fast 11 Milliarden Euro
hierfür ausgegeben werden. Die Bundesregierung hat
hierzu einen Vorschlag gemacht, ein in sich schlüssiges
Konzept vorgelegt. Die Argumente, die dafür sprechen,
hat meine Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig hier vorgetragen.
Wie ist die Haltung der Opposition dazu? Bisher haben Sie sich massiv gegen jede Veränderung, gegen jede
Kürzung gewandt. Herr Lippold hat noch vor einem halben Jahr festgestellt - ich bitte Sie, es im Protokoll nachzulesen; ich habe es vorsichtshalber getan, lieber Herr
Lippold -, jegliche Veränderung, jegliche Kürzung gehe
gesellschaftspolitisch in die völlig falsche Richtung.
Herr Minkel hat von einem Betrug an jungen Familien
gesprochen.
({6})
Herr Oswald hat vorgeschlagen, finanziell noch draufzusatteln.
Herr Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Ich möchte diese Ausführungen noch zu Ende bringen. Dann beantworte ich gerne eine Zwischenfrage.
({0})
- Darüber reden wir nachher.
Ich gehe einmal davon aus, dass sich in Ihren Reihen
mittlerweile etwas bewegt hat. Die von mir zitierten
Aussagen, die in den Protokollen des Deutschen Bundestages nachzulesen sind, spiegeln Ihre Position vor
einem halben Jahr wider, als wir hier über das Steuervergünstigungsabbaugesetz diskutiert haben. Ich weiß
allerdings nicht, wie Sie sich letztendlich verhalten werden. Das entscheiden offenbar nicht Sie, sondern Herr
Stoiber und Herr Koch.
({1})
Wenn Sie an der Eigenheimzulage festhalten wollen,
dann muss es zumindest folgende Veränderungen geben:
die Gleichstellung von Neubau- und Bestandserwerbsförderung sowie ein Absenken der Fördersätze und der
Einkommensgrenzen. Sinnvoll wäre zudem eine Zulage
für den Erwerb im innerörtlichen Bereich. Man kann natürlich auch über eine Befristung nachdenken.
Jetzt habe ich eigentlich mit zumindest verhaltenem
Jubel in Ihren Reihen gerechnet. Was ich hier vorgetragen habe, entspricht nämlich nahezu wortgleich dem
Antrag des Landes Thüringen im Bundesrat.
({2})
Das gibt zur Hoffnung Anlass, dass Sie die Steinzeitposition, die Sie hier immer vertreten haben, möglicherweise doch noch korrigieren.
({3})
Nun, Herr Fischer, zu Ihrem Lügenvorwurf. Bitte.
Herr Fischer, bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bewusst, dass Sie eben die
Position meiner Fraktion falsch dargestellt haben?
Meine Fraktion hat sich gegen eine völlige Abschaffung
der Eigenheimzulage gewehrt. Sie wissen genauso wie
die Kollegin Eichstädt-Bohlig - in den Gesprächen in
Bad Zwischenahn haben wir das immer wiederholt -,
dass wir eine Strukturreform mit regionaler Differenzierung, mit besserer Ausgewogenheit zwischen Neubauund Bestandserwerb und mit der Beseitigung von Mitnahmeeffekten ausdrücklich für sinnvoll halten und unsere Zusammenarbeit angeboten haben.
Wir haben die Bundesregierung in Person von Herrn
Staatssekretär Großmann aufgefordert, alsbald eine Novelle vorzulegen. Wir würden sie, wenn sie Kosteneinsparungen zur Folge hat, sehr gerne unterstützen. Ich
frage Sie also: Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie
eben die Position meiner Fraktion falsch dargestellt haben?
Mein lieber Herr Fischer, ich bin es von Ihnen
gewohnt - das ist sozusagen Ihr Standardverhalten -,
dass Sie den Kolleginnen und Kollegen Lügen und das
Verbreiten der Unwahrheit unterstellen.
({0})
Ich habe vorhin wörtlich aus der Debatte in diesem
Hause zitiert. Erst zwei oder drei Monate später haben
Sie bei dieser berühmten Podiumsdiskussion in Bad
Zwischenahn von Strukturreformen gesprochen.
({1})
Aber Sie haben hier im Deutschen Bundestag, beispielsweise in der Aktuellen Stunde zur Eigenheimzulage
({2})
- entschuldigen Sie einmal! - und auch heute, kein Wort
darüber verloren. Bei der Diskussion in Bad Zwischenahn haben Sie allerdings angekündigt, dass Sie am
Montag der nächsten Woche mit Ihrer Arbeitsgruppe
einen entsprechenden Antrag vorbereiten werden.
({3})
Ich betrachte Ihre Frage hiermit als beantwortet.
({4})
Ich frage Sie, Herr Minkel: Sind die Vorschläge des
Landes Thüringen Betrug an jungen Familien? Ich frage
Sie, Herr Lippold: Ist das ein Schritt, der gesellschaftspolitisch gesehen in die völlig falsche Richtung geht?
Oder ist es nicht doch ein Hoffnungszeichen, dass wir
endlich sach- und fachgerecht auch über die Eigenheimzulage miteinander ins Gespräch kommen können? Ich
hoffe, das Letztere ist der Fall.
({5})
Wir sind hier wie auch in der Steuerpolitik auf eine
gemeinsame Entscheidung, also auf einen Kompromiss,
angewiesen.
({6})
Wenn Sie schon nicht bereit sind, dem Konzept der Bundesregierung zu folgen, dann darf aber auf gar keinen
Fall passieren, dass sich, wie es beim Steuervergünstigungsabbaugesetz der Fall war, nichts verändert. Das
wäre die denkbar schlechteste Lösung. Das habe ich Ihnen schon vor einem halben Jahr gesagt. Damals ist es
leider so eingetroffen.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 12 ist diesmal auch deshalb von besonderen Unwägbarkeiten gekennzeichnet, weil die Entscheidungen, die in diesem
Bereich zu treffen sind, eng mit Entscheidungen zusammenhängen, die in ganz anderen Bereichen getroffen
werden. Ich nenne als Beispiel das Wohngeld. Die
Frage, wie wir das Wohngeldgesetz gestalten, hängt
ganz entscheidend davon ab, wie die Zusammenlegung
von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und wie die Reform der Sozialhilfe aussehen wird. Sie sind in dieser
Frage also auch mit im Boot.
Ich kann an Sie nur appellieren, Ihrer Mitverantwortung gerecht zu werden. Das ist an dieser Stelle auch
schon von anderen, die vielleicht berufener sind als ich,
so ausgesprochen worden. Natürlich ist es Ihr gutes
Recht, die Bundesregierung und auch uns zu kritisieren.
({7})
Angesichts der Beschreibung der Situation, die Sie, Herr
Oswald, und viele weitere Redner Ihrer Fraktion hier abgegeben haben, ist es umso wichtiger, dass wir uns bemühen, uns dieser Verantwortung gemeinsam zu stellen
und die notwendigen Entscheidungen - es sind strukturelle Entscheidungen und keine Diskussionen um ein
paar Euro mehr oder weniger - zu treffen.
Weil die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und im
Bundesrat so sind, wie sie sind, sind Sie in der Mitverantwortung. Es ist zu wünschen, dass Sie sich beim
Thema Städtebau- und Wohnungspolitik endlich an der
politischen Diskussion beteiligen. Sie haben heute - das
sage ich noch einmal - inhaltlich kein einziges Wort
dazu gesagt. Es gab geradezu ein lautes, ein beredtes
Schweigen, zum Beispiel zur Eigenheimzulage.
({8})
Ich glaube, dass wir uns angesichts der ökonomischen
Situation, angesichts der Finanzkrise,
({9})
aber auch angesichts des demographischen Wandels in
der Städtebau- und Wohnungspolitik vor einem Paradigmenwechsel befinden. Wir sind mittendrin in dieser
Entwicklung. Das ist eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen können. Deswegen nutze ich heute wieder
die Gelegenheit, wie schon zwei Mal an diesem Podium,
an Sie zu appellieren, dieser Verantwortung gemeinsam
mit uns gerecht zu werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem
Bundesminister Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um den Haushalt kann man auch unter dem Gesichtspunkt zusammenfassen, wer in diesem Land reformfähig ist und wer nicht.
({0})
Während meiner Abwesenheit in den letzten Tagen
gab es wieder ein Beispiel dafür, auf welcher Seite es
Handlungsfähigkeit und Reformfähigkeit gibt und auf
welcher nicht. Ich musste nämlich zur Kenntnis nehmen,
worauf sich die Unionsmehrheit im Bundesrat sowohl
im Agrarausschuss wie auch im Wirtschaftsausschuss
und im Umweltausschuss nach all den Debatten, die im
Grunde genommen seit Anfang der 90er-Jahre geführt
wurden, nach den ausführlichen Konsultationen verständigt hat. Die Mehrheit der CDU- bzw. CSU-regierten
Länder hat sich entschlossen, die Novelle der Verpackungsverordnung nicht etwa abzulehnen, nein, sie
möchte die Entscheidung vertagen. Wenn es etwas gibt,
was ich für einen wirklichen Ausweis von Politikunfähigkeit und Reformunfähigkeit halte, dann ist es, sich
feige in die Büsche zu schlagen und zu sagen, man wisse
es nicht so genau und vertage die Entscheidung.
({1})
Es geht noch weiter. Der Bundesumweltminister hat ja
diese Novelle der Verpackungsverordnung nicht aus
eigener Motivation betrieben, sondern auf ausdrücklichen Wunsch auch und gerade von CDU-Ländern. Er
hat sogar die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende hinter
sich, die in einem großen Interview erklärt hat, die Verpackungsverordnung
({2})
sei eigentlich viel zu kompliziert. Sie wusste, wovon sie
redet; denn für die meisten Komplikationen war sie in
ihrer Amtszeit verantwortlich.
({3})
Nun kommt der Bundesumweltminister dem Wunsch
der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden nach und vereinfacht die Verpackungsverordnung. Er sorgt dafür, dass
Wein nicht bepfandet wird. Er stellt sicher, dass im
nächsten Jahr zum Beispiel Saft in Getränkekartons
nicht bepfandet wird. Was machen die Unionsländer? Sie vertagen.
Meine Damen und Herren, ich habe der Debatte von
gestern entnommen, dass sich Frau Merkel zur der Frage
des Backens von Kirschkuchen geäußert hat. Wenn ich
das Verhalten der Union im Bundesrat sehe, dann kann
ich Ihnen nur sagen: Sie sind selbst zu blöde, nach Ihrem
eigenen Rezept Kirschkuchen zu backen.
({4})
Das ist es nämlich, was Sie an dieser Stelle praktizieren.
({5})
Herr Kollege Trittin, den politischen Gegner als „zu
blöde“ zu bezeichnen, entspricht nicht dem parlamentarischen Sprachgebrauch.
Herr Präsident, ich nehme das „blöde“ mit Bedauern
zurück. - Sie sind unfähig, die nach Ihren eigenen Vorstellungen gestalteten Regelungen der Verpackungsverordnung umzusetzen.
({0})
Ich will an dieser Stelle zu einem zweiten Punkt kommen, der bei der Umweltpolitik und insbesondere auch
in Bezug auf die Zukunft des Standorts Deutschland sowie die Reformfähigkeit eine besondere Rolle spielt. Ich
glaube, wir sind uns einig, dass die größte umweltpolitische Herausforderung, die nicht nur wir uns, sondern der
ganze Globus sich vergegenwärtigen muss, der globale
Klimawandel ist.
({1})
Wir müssen alles tun, damit die Prognosen des internationalen Wissenschaftlerpanels zum Klimaschutz - diese
Prognosen zeichnen sich übrigens nicht durch Angstmache, sondern durch wissenschaftliche Seriosität aus -,
die gesagt haben, bis zum Jahre 2100 könnte sich das
globale Klima um bis zu 5,5 Prozent erwärmen, nicht
Wirklichkeit werden.
({2})
Die ökonomischen und nicht nur die ökologischen Folgen einer solchen Entwicklung will ich an dieser Stelle
nicht ausmalen. Wir müssen alles tun, damit dieses Szenario nicht Wirklichkeit wird. Wir stehen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die globale Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts den Wert von
zwei Grad nicht überschreitet. Das ist ein realistisches
Ziel. Wenn wir dieses realistische Ziel erreichen wollen,
dann können wir uns mit der erreichten Einsparung von
Treibhausgasen nicht zufrieden geben. Das ist der
Grund, warum diese Koalition gesagt hat: Bis zum
Jahre 2020 wollen wir 40 Prozent der CO2- und der
Treibhausgasemissionen insgesamt einsparen. Das ist
das Ziel.
Nun hat es in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit
gelegentlich eine Debatte darüber gegeben, was dabei
eigentlich wichtiger ist: die Förderung von erneuerbaren Energien, Energieeinsparung oder die Energieeffizienz. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen:
Diese Debatte führt völlig in die falsche Richtung. Es
gibt hier kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-alsauch. Nur wer massiv den Kurs fortsetzt, erneuerbare
Energien in den Markt zu bringen und für sie einen
wachsenden Anteil sicherzustellen, wer Energie einspart
und wer dafür sorgt, dass wir zu mehr Energieeffizienz
kommen, der wird der umweltpolitischen Herausforderung des Klimaschutzes gerecht werden.
({3})
Dafür legen wir auch in diesem Haushalt die Instrumente und die Mittel bereit.
({4})
Wir steigern noch einmal das Marktanreizprogramm
für erneuerbare Energien, weil wir der Auffassung sind,
dass bestimmte Formen der erneuerbaren Energien an
dieser Stelle - Energiepolitik wird ja leicht und leichtfertig oft auf Elektrizitätspolitik reduziert - nicht vernachlässigt werden dürfen. Ich verweise auf die Solarthermie,
bei der wir in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte
gemacht haben. Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass
sich die Fläche, auf der solarthermische Anlagen, also
Sonnenkollektoren, stehen, in Deutschland verdreifacht
hat. Dies muss fortgesetzt werden.
In den nächsten Monaten werden wir in diesem Hause
über eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
zu reden haben, durch die dieses bewährte Instrument
zielgenauer wird. Dieses Instrument hat sich immerhin
so bewährt, dass eine ganze Reihe von Ländern in
Europa auf dieses Instrument zugreift und andere Modelle, wie Ausschreibungen, in den Aktenschrank legt,
weil damit das Ziel nicht erreicht wird. Zielgenauer heißt
für mich, dass wir dort, wo wenig Wind weht und wo es
demnach nicht effizient ist, mit der Förderung heruntergehen. Dort, wo künftig die Masse des Aufwuchses zu
verzeichnen sein wird, nämlich zum Beispiel im Bereich
der Offshore-Technologie, müssen wir zu bestimmten
Verbesserungen kommen.
({5})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Folgendes begreifen Sie nicht: In der Zwischenzeit - bis die
Anlagen draußen im Meer stehen - dürfen wir eine
ganze Branche nicht zusammenbrechen lassen. An
windgünstigen Standorten benötigt sie zwar nicht mehr
die Einspeisevergütung, die bisher gezahlt wurde, aber
diese Vergütung muss der Technik angemessen sein.
Wir müssen mit dem Gerede von der Subventionierung Schluss machen. Die Einspeiseregelung stellt keine
Subventionierung dar.
({6})
Wer behauptet, dass das subventioniert wird, der muss
mir erklären, wie man mit einem Haushaltsanteil von
3 Promille - das ist der Anteil des Haushaltes des Bundesumweltministeriums am Gesamthaushalt - eine Subvention leisten soll, die angeblich über der für die Steinkohle liegt.
({7})
Lassen Sie sich hier nicht Bange machen.
Nun komme ich zu der Frage, was im Bereich der Effizienz eigentlich notwendig ist. Wir wissen: In Deutschland muss eine Kraftwerksleistung von 40 000 MW
und in ganz Europa eine von 200 000 MW ersetzt werden. Das ist also kein rein deutsches Problem. Es ist ein
Problem für uns, wenn wir nicht solche Verhältnisse wie
in den USA haben wollen. Dort können Atomkraftwerke
und ineffiziente Kohlekraftwerke sowie ein marodes
Netz Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleisten.
Deshalb müssen wir Investitionen in diesen Kraftwerkspark in Europa sicherstellen.
Heute müssen wir entscheiden, in was wir investieren
wollen. Ich sage Ihnen: Ich bin nachdrücklich dafür, dass
wir in effiziente Technik investieren, und ich bin nicht
dafür, dass wir, so wie Sie es vorschlagen, Altanlagen
möglichst lange laufen lassen. Das wäre gerade vor dem
Hintergrund der Herausforderungen für die Wirtschaft
und die Umwelt ein fataler Fehler.
({8})
Das richtige Instrument dafür ist der Emissionshandel. Durch den Emissionshandel werden Investitionen in
effiziente Techniken begünstigt, nämlich zum Beispiel
im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung und im Bereich
von Gas. Daneben werden aber gerade auch Investitionen begünstigt, die zur höheren Effizienz von Kohlekraftwerken führen. An dieser Stelle werden wir dieses
Instrument so zuschneiden müssen, dass genau dieser
Effekt erreicht wird.
Dafür haben wir eine gute Grundlage, nämlich die
Selbstverpflichtung der deutschen Industrie. Sie hat sich
selbst das Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen bis zum
Jahre 2010 um 35 Prozent zu reduzieren. Ich kann Ihnen
an dieser Stelle sagen: Diese Regierung wird beim Emissionshandel nicht draufsatteln. Die Selbstverpflichtungserklärung wird Grundlage der Allokation der Emissionsrechte sein. Wir werden keine Schlupflöcher zulassen,
weil diese dazu führen würden, dass nicht investiert
wird. Um der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes willen wollen wir, dass in effiziente Technik investiert wird.
Eines können Sie festhalten: Es ist ziemlich antiquiert, Umwelt und Arbeit gegeneinander auszuspielen.
Gerade die Energiepolitik, die erneuerbaren Energien
und die Effizienz beweisen, dass moderne Umweltpolitik mit Wachstum und Arbeitsplätzen einhergeht.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben nach dem Hinweis des
Präsidenten Ihre Worte zurückgenommen und geändert.
Aber ich muss schon sagen: Ich war sehr betroffen, dass
Sie einen aktuellen politischen Streit mit der Abqualifizierung politisch Andersdenkender verbinden. Das halte
ich nicht für gut. Das ist nicht sinnvoll, wenn wir in der
deutschen Umweltpolitik den Weg gemeinsam beschreiten wollen. Ich kann auch im Namen unserer Fraktion
sagen: So werden wir in Sachen Umweltpolitik nicht gemeinsam vorankommen. Dafür haben Sie die persönliche Verantwortung.
({0})
Man muss klar und deutlich sagen: Es wird nicht gelingen, durch solche Auftritte von der fehlenden Erfolgsbilanz rot-grüner Umweltpolitik in Deutschland abzulenken. Wir können sagen, dass diese Umweltpolitik, wie
sie sich auch im Haushaltsplan niederschlägt, weit von
einer Umweltpolitik entfernt ist, die den Problemlagen
in Deutschland tatsächlich gerecht wird.
So standen bei Ihnen in den letzten Wochen und Monaten - es war auch bezeichnend, welchen Beginn Sie
für Ihre Rede gewählt haben - zwei Themen im Mittelpunkt Ihrer umweltpolitischen Diskussion: das Dosenpfand und der Streit mit Minister Clement in Sachen erneuerbare Energien. Bei diesen Themen - deshalb kann
ich Ihre Aufregung und innere Aufwallung gut verstehen, Herr Minister - engagieren Sie sich persönlich.
Aber es stellen sich nun ganz schlicht die Fragen: Reicht
das? Sind damit die Schwerpunkte der Umweltpolitik in
Deutschland ausreichend und richtig gesetzt? Wo bleiben denn andere wichtige Bereiche, die in den letzten
Monaten nicht ausreichend bearbeitet worden sind?
So fragen wir Sie, Herr Bundesumweltminister: Warum gibt es keine Klimaschutzpolitik dieser rot-grünen
Bundesregierung, die auf einem geschlossenen Energiekonzept fußt und damit eine verlässliche Grundlage für
Verbraucher, Firmen, Unternehmen und Investoren darstellt? Diese wollen nämlich wissen, wohin die Reise
geht. Wir fragen weiter: Wo war in den letzten Wochen
und Monaten in Brüssel - ich sehe einmal von der Aktion des Kanzleramtes im März ab - der entscheidende
Einfluss dieser Bundesregierung, um eine Verordnung
im Bereich der Chemikalien zu verhindern, die eindeutig
zulasten der mittelständischen chemischen Industrie in
Deutschland geht?
({1})
Wann haben Sie endlich den Mut - auch davon haben
Sie gerade nicht gesprochen -, Ihre eigene Koalitionsvereinbarung umzusetzen und eine grundlegende Reform der Abfallwirtschaft in Deutschland auf den Weg
zu bringen?
({2})
Sie haben dazu weder den Mut noch die Kraft.
({3})
Herr Minister, warum weichen Sie immer wieder einer
endgültigen Entscheidung - Sie haben bis jetzt nur einen
Fahrplan vorgelegt - in Sachen Aufstellung eines atomaren Endlagerkonzeptes aus? Wann veröffentlichen Sie
endlich Ihre Haltung zur konkreten Ausgestaltung und
Umsetzung der wichtigen EU-Richtlinie zur Einführung
des Emissionshandels?
Ich habe gerade mit Interesse Ihre Ausführungen gehört. Das war eine volkswirtschaftlich-betriebswirtschaftliche Vorlesung zum Emissionshandel und seiner
Bedeutung. Das wissen wir seit zwei, drei Jahren. Jeder,
der die EU-Richtlinie liest, kann das nachvollziehen. Die
spannenden Fragen sind doch: Welche Rechte teilen Sie
den deutschen Firmen und Unternehmen zu? Wie setzen
Sie das um? Es wird bei Ihnen ohne Ende diskutiert, obwohl alle wissen, dass Sie den Allokationsplan bis zum
31. März des nächsten Jahres in Brüssel vorlegen müssen. Inhaltlich haben wir über die Frage der Zuteilung
und der Umsetzung des Emissionshandels weder im
Ausschuss noch in diesem Hause diskutiert. Sie aber
philosophieren hier über wunderbare Angelegenheiten,
wobei wir gar nicht wissen, welche konkreten Vorstellungen Sie haben. Ist das Grundlage einer verlässlichen
Klimaschutzpolitik?
({4})
Wann legen Sie ein Hochwasserschutzkonzept vor,
das nicht nur inhaltlich einige Probleme richtig angeht?
Dass das nicht leicht ist, will ich Ihnen konzedieren. Wir
brauchen ein Konzept, das auch die Frage klärt, welche
Entschädigungen für Grundeigentümer und Nutzungsberechtigte konkret geleistet werden, wenn diese zukünftig
durch ein Hochwasserschutzkonzept in ihrer Nutzung
beeinträchtigt werden. Warum sagen Sie nichts zu der finanziellen Entschädigung in diesem Bereich? Sie haben
gerade all das, was Sie besonders bewegt, angesprochen.
Die Bandbreite der Probleme der Umweltpolitik haben
Sie außer Acht gelassen. Das ist Ihr Problem. Das ist im
Augenblick leider auch das Problem der deutschen Umweltpolitik.
({5})
Im Übrigen kann man diese Liste noch weiter fortsetzen. Was ist mit dem Fluglärmschutzgesetz? Davon haben Sie doch in Ihren Wahlkämpfen immer groß gesprochen. Was ist mit einer Lärmschutzkonzeption? All das
wurde groß angekündigt. In der Realität der deutschen
Umweltpolitik unter Ihrer Führung finden wir von diesen Stichworten nichts. Deshalb muss ich Ihnen, Herr
Minister, nach Ihrer Einführungsrede sagen: Das ist für
die deutsche Umweltpolitik zu wenig. Sie haben die
Messlatte deutscher Umweltpolitik nicht erreicht.
({6})
Sie haben gerade wieder Ihre Haltung zu den erneuerbaren Energien angesprochen. Es ist einfach nicht
nachvollziehbar, warum Sie versuchen, bei den erneuerbaren Energien und der Klimaschutzpolitik zu polarisieren. Dass Sie in dieser Frage so einseitig Position beziehen, könnte man vielleicht noch verstehen und sagen:
Das muss der Umweltminister machen. Ich bezweifle
aber, dass der Bundesumweltminister das machen muss,
wenn es zielführend sein soll. Ich bin der Ansicht, dass
der Kurs, den Sie in Sachen erneuerbare Energien eingeschlagen haben, wenig hilfreich zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien ist.
Der Streit, den Sie zum Teil vom Zaun gebrochen haben, ist zudem überflüssig. Denn wir brauchen wirtschaftlich effiziente erneuerbare Energien und wir brauchen ökologisch und ökonomisch effiziente neue
Kraftwerke nach 2010.
({7})
Wir brauchen beides. Man muss wissen, dass es verschiedene Investitionsträger für diese Maßnahmen geben
wird. Wie will man solche wichtigen Entscheidungen, bei
denen es um Beträge in Höhe von Milliarden Euro geht,
befördern, wenn man eine konfrontative Politik betreibt?
Man muss versuchen, die verschiedenen Interessengruppen an einen Tisch zu bringen, damit man belastbar planen und bis zum Jahr 2010 auch bei den erneuerbaren
Energien ein gemeinsames Konzept entwickeln kann.
Man muss bereit sein, die interessierten Vertreter an einen
Tisch zu bringen. Das haben Sie nicht gemacht.
Dadurch drängt sich für uns und auch für mich persönlich der Eindruck auf, dass es Ihnen vor allen Dingen
um Klientelpflege geht. Es geht Ihnen darum, Ihrem eigenen Anhang und dem Anhang der Grünen zu zeigen,
dass Sie für bestimmte parteipolitische Programme stehen. Dabei wissen Sie nicht, ob Sie das auch gegen den
Widerstand der anderen durchsetzen können. Für einen
verantwortungsbewussten Umweltminister ist das der
falsche Weg. Gehen Sie weg von der Konfrontation. Gegensätze aufzubauen ist falsch. Wir brauchen in dieser
Frage keine Gegensätze. Sie müssen alles tun, damit
Brücken gebaut werden. Das tun Sie aber nicht. Sie reißen sogar Brücken ein. Das ist der konkrete Vorwurf,
den wir Ihnen machen müssen.
({8})
Dass das Geschäft mit dem Bundesfinanzminister
schwierig ist, weiß man. Ich muss zugeben - Klaus
Lippold wird das auch zugeben -, dass wir das während
unserer Regierungszeit auch erlebt haben, als es um
Maßnahmen zur Wärmedämmung ging. Man muss aber
immer wieder anfangen. Da hilft auch nicht der Einwand, dass jetzt die Mittel für das Kreditprogramm der
KfW mit etwas besseren Zinssätzen erhöht worden sind.
Wir müssen ein klares Konzept dafür haben, wie wir an
die Sanierung des Altbaubestandes in Deutschland herangehen wollen. Denn 25 Prozent des C02-Ausstoßes
werden in diesem Bereich produziert.
Es hat keinen Zweck, einerseits auf die Industrie einzuprügeln, sie andererseits - wie bei dem Teil Ihrer Rede
über die Selbstverpflichtung - indirekt zu loben. Dort,
wo wir wirklich nach vorne kommen könnten und etwas
für die mittelständischen Baufirmen tun könnten, tauchen Sie weg, weil Sie gegen den Finanzminister verloren haben. Das ist der falsche Ansatz. Bitte, machen Sie
eine realistische Klimaschutzpolitik.
Die Bundesregierung hat kein Konzept, wie sie beim
Rohstoffeinsatz und beim Energieeinsatz Effizienzsteigerungen bewirken kann. Sie streiten sich darüber. Aber
diese Frage ist entscheidend für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Von einer überzeugenden Programmatik kann bei dieser Regierung leider keine Rede
sein. Kurz zusammengefasst muss man sagen: Der Klimapolitik dieser rot-grünen Bundesregierung fehlt jede
zielführende Systematik.
({9})
Was die Abfallpolitik betrifft, so sagen auch die
Fachleute des Ministeriums, es fehle zum Beispiel eine
klare Abgrenzung der Begriffe Abfallverwertung und
Abfallbeseitigung. Alle warten auf eine Novellierung
des Abfallrechts. Aber aus Ihrem Hause wird immer
wieder gesagt, dass kein Handlungsbedarf gesehen
werde. Wenn man mit Vertretern der Kommunen und
Entsorgungsunternehmen spricht, stellt man fest, dass
händeringend darum gebeten wird, rechtliche Klarstellungen zu treffen.
Sie sagen aber auch im Ausschuss nur, dass Sie hier
und da einige Verordnungen auf den Weg bringen werden. Das ist Flickschusterei. Das ist kein geschlossenes
neues Abfallkonzept. Sie weichen diesem Konflikt aus,
weil Sie der Ansicht sind, dass es hier oder da Widerspruch geben werde. Noch einmal: Diese Widersprüche
sind manchmal zielführend. Bringen Sie die Menschen
an einen Tisch und versuchen Sie, auch im Bereich der
Abfallpolitik endlich die Antworten auch auf die neuen
europarechtlichen Fragen zu geben. Wenn Sie das tun
würden, wären wir sicherlich ein Stückchen weiter.
Die Chemikalienpolitik habe ich vorhin schon angesprochen.
Ich will noch einmal kurz auf die Endlagerung zu
sprechen kommen. Es hat inhaltlich einen Dissens zwischen uns über die Frage gegeben, ob es sich lohnt, in
dem Arbeitskreis Endlager mitzuarbeiten oder nicht. Die
Zusammenarbeit wäre beinahe zustande gekommen. Auf
unserer Seite war nicht von vornherein ein Nein da.
Eine entscheidende Frage für die Arbeit in dem Arbeitskreis Endlager ist, ob die Regierung bereit ist, naturwissenschaftlichen Kriterien, die der Sicherheit dienen,
grundsätzlich Vorrang gegenüber den sozialwissenschaftlichen Akzeptanzproblemen einzuräumen. Dazu
haben wir leider keine klare Geschäftsgrundlage aus Ihrem Hause erhalten.
Ich betone in diesem Zusammenhang: In Deutschland
ist keine erfolgreiche Endlagerpolitik möglich, wenn
beide Kriterien - die Frage der naturwissenschaftlichen
Sicherheit und damit der Schutz der nachfolgenden Generationen und sozialwissenschaftliche Akzeptanzprobleme, die beispielsweise im Zusammenhang mit der erforderlichen Zustimmung durch Gemeinderäte auftreten
können - eine gleich hohe Bedeutung zugesprochen bekommen. Es wäre in höchstem Maße unverantwortlich,
wenn vor Ort eine falsche Entscheidung getroffen
würde.
Warum haben Sie als Umweltminister nicht den Mut,
klar und deutlich zu sagen, worauf es bei der Endlagersuche ankommt, und warum versuchen Sie nicht, den
Zeitplan zu beschleunigen?
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Scheer ist in der
Presse mit folgendem Satz zitiert worden:
Wegen des hohen Zeitdrucks können wir auf die Eitelkeiten der Minister keine Rücksicht mehr nehmen.
Er bezog sich dabei auf die Auseinandersetzung zwischen Herrn Clement und Ihnen. Bezogen auf die gesamte Umwelt-, Klimaschutz- und Energiepolitik müsste
der Satz eigentlich lauten: Wegen des hohen Zeitdrucks
können wir auf die Eitelkeiten und ideologischen Festlegungen der Minister keine Rücksicht mehr nehmen. Das
wäre eine umfassende Beschreibung der derzeitigen Befindlichkeit dieser Regierung in der Umweltpolitik.
({10})
Vor dem Hintergrund, dass - wie gestern der Presse
zu entnehmen war - Ihnen der Firmenchef eines großen
Automobilunternehmens in Deutschland vorwirft, dass
Sie nach Lust und Wimpernschlag - nicht nach Lust und
Laune - seit langem vereinbarte Ziele ändern, stellt sich
die Frage, ob dieser Weg richtig ist.
Umweltziele müssen ehrgeizig sein und klare Vorgaben für die Wirtschaft beinhalten. Es darf aber nie der
Eindruck entstehen, Herr Minister, dass solche Zielvereinbarungen eventuell eines Tages einseitig aufgekündigt werden können, es sei denn, es liegen gewaltige gesundheitspolitische Probleme vor. Mit rechtlichen
Auflagen und Zwangsmaßnahmen allein werden wir das
schwierige Feld der Umweltpolitik nicht erfolgreich beackern können.
Wir brauchen einen anderen Stil, Herr Minister. Wir
brauchen einen Umweltpakt für Deutschland. Wir brauchen Zielvereinbarungen mit den wichtigen gesellschaftlichen Gruppen. Nur so werden wir in Deutschland weiterkommen. Dazu brauchen wir einerseits ehrgeizige
umweltpolitische Zielvorstellungen, andererseits auch
die Bereitschaft zum Dialog und zum Konsens. Wenn
Sie, Herr Umweltminister, es an dieser Bereitschaft fehlen lassen, dann ist zu befürchten, dass die Umweltpolitik in Deutschland knapp zehn Jahre nach Töpfer und
wenige Jahre nach Merkel durch eine verfehlte Politik
vor dem Scheitern steht. Herr Minister, für eine solche
unverantwortliche Politik können Sie die Zustimmung
der Union nicht erhalten.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Astrid Klug von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesumweltministeriums, den
wir heute beraten, ist mit seinen 791,4 Millionen Euro
ein bescheidener und kleiner Haushalt. Er macht nur
0,3 Prozent des Gesamthaushalts aus. Das Gewicht der
Umweltpolitik sowohl im Haushalt als auch in der Politik der Koalition und die Bedeutung der Umweltpolitik
für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind dagegen
um ein Vielfaches größer.
Umweltschutz beginnt nämlich im Kopf. Hierbei gilt
nicht in erster Linie die Logik: je höher die Ausgaben,
desto besser die Umweltpolitik. Zutreffend ist vielmehr:
Je besser und mutiger die Ideen und je konsequenter ihre
Umsetzung, desto besser, verantwortlicher und nachhaltiger sind die Ergebnisse der Politik. Die Ideen in der
Umweltpolitik kamen in den vergangenen Jahren nicht
von der Opposition in diesem Hause, sondern von der
Koalition.
({0})
Wir freuen uns darüber, was in den vergangenen Jahren in der Energiepolitik, im Umweltschutz, für die Luftreinhaltung, beim Wasser- und Bodenschutz und in der
internationalen Zusammenarbeit erreicht und bewegt
wurde. Herr Kollege, ich habe auch heute von Ihnen
keine einzige Idee gehört, wie Sie Umweltpolitik in diesem Lande gestalten wollen.
({1})
Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundeshaushalt
folgt dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit
heißt, die Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen zu wahren und die vorhandenen Ressourcen zu
schonen. Sie heißt auch, nicht unbegrenzt Schulden zu
machen und die nachfolgenden Generationen mit unserer Zinslast zu erdrücken. Vielmehr soll ihnen das Recht
auf eigene Entscheidungs- und Handlungsspielräume zurückgegeben werden. Nachhaltigkeit heißt ferner, heute
in die ökologische Modernisierung unseres Landes und
in umweltfreundliche Technologien zu investieren.
Nachhaltigkeit heißt schließlich, der Globalisierung eine
Richtung zu geben, Armut in der Welt zu bekämpfen,
Risiken zu begrenzen sowie in den Schutz von Umwelt,
Natur und Mensch zu investieren.
({2})
Die Koalition, insbesondere die SPD, begreift Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe. Den Anspruch,
eine ökologische Politik zu machen, finden Sie deshalb
nicht nur im Umwelthaushalt, sondern im gesamten
Haushalt, in allen Ressorts. 4,3 Milliarden Euro Umweltausgaben in allen Einzelplänen sprechen eine deutliche Sprache und zeigen, dass die Umweltpolitik kein
Schattendasein mehr führt, sondern dass sie zur Selbstverständlichkeit wird, und zwar aus Verantwortung für
diese Erde, die es nur einmal gibt, und aus Verantwortung für die Menschen, vor allem für diejenigen, die
noch nicht geboren sind.
({3})
Im Interesse der noch nicht geborenen Generationen
entzieht sich der BMU-Haushalt auch nicht der Gesamtverantwortung für die Konsolidierung der Staatsausgaben. Deshalb nimmt der Einzelplan 16 um 2,6 Millionen
Euro ab. Wir freuen uns, dass es trotz der notwendigen
Einsparungen gelungen ist, die großen Programmtitel
noch immer auf einem sehr hohen Niveau fortzuführen.
Über 15 Millionen Euro werden für Naturschutzgroßprojekte, über 4 Millionen Euro für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes,
über 57 Millionen Euro für die Umweltforschung und
200 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien bereitgestellt. Wir fördern außerdem
die Umwelt- und Naturschutzverbände mit über 4 Millionen Euro. Das sind über 70 Prozent mehr als zu der Zeit,
als Sie, liebe Kollegen von der Opposition, Verantwortung in diesem Land hatten. Das zeigt den hohen Stellenwert, den wir den Umweltverbänden bei der ökologischen
Erneuerung unserer Gesellschaft beimessen. Wir wissen
nämlich, dass wir dabei auf sie angewiesen sind.
({4})
Umweltrisiken machen nicht an nationalen Grenzen
Halt. Deshalb steht ebenfalls die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit im Mittelpunkt unserer Politik. Mit
dem Beratungshilfeprogramm für die Staaten Mittelund Osteuropas und mit den Pilotprojekten „Ausland“
exportieren wir deutschen Sachverstand, UmweltKnow-how und unsere Erfahrungen, die für unsere internationale Vorreiterrolle im Umweltschutz stehen. Der
Wissens- und Technologietransfer sichert deutsche und
europäische Umweltstandards vor allem im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung und verbessert außerdem die Chancen Deutschlands auf dem größer werdenden europäischen Markt.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
malen aus ideologischen Gründen immer das gleiche
Horrorszenario an die Wand: Umweltschutz vernichtet
Arbeitsplätze, Umweltschutz also als Jobkiller.
({5})
Dabei ist in unserer Republik das genaue Gegenteil die
Wahrheit. Die natürlichen Lebensgrundlagen, also die
Umwelt, sind das Fundament, auf dem die wirtschaftliche Entwicklung und unser Wohlstand aufbauen. Wer
heute am Umweltschutz spart und nicht die richtigen
Weichen stellt, verringert den Wohlstand von morgen.
({6})
Eine fortschrittliche Umweltpolitik sichert wichtige
Wachstumsmärkte der Zukunft und schafft damit neue
Arbeitsplätze. Der Markt für Umweltschutzgüter und
Umweltdienstleistungen zählt zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftsbereichen des 21. Jahrhunderts. Der
Umweltmarkt ist weltweit sehr innovativ. Deutsche Unternehmen haben dank einer vorausschauenden Umweltpolitik und dank hoher deutscher Umweltstandards einen
Technologievorsprung in diesem Bereich und haben deshalb hervorragende Ausgangsbedingungen auf dem globalen Markt. Die Zahl der Umweltschutzarbeitsplätze
liegt in Deutschland inzwischen weit über der 1-Millionen-Grenze. Deshalb ist Umweltschutz kein Jobkiller,
sondern ein wichtiger Jobmotor, den wir gerade in der
heutigen Zeit dringend brauchen.
({7})
So wird es auch bei dem Thema Rußpartikel sein,
wenn wir mit der Fortschreibung der Grenzwerte durch
die Euronorm V darauf bestehen, dass technologische
Anwendungen in Fahrzeugen, die die gesundheitsschädlichen und lungengängigen Kleinstpartikel zu über
99 Prozent aus den Dieselabgasen herausfiltern können,
zum Standard werden. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Initiative von Umweltminister Jürgen
Trittin und seiner französischen Kollegin. Wir freuen
uns darüber, dass in den letzten Wochen endlich auch die
deutschen Automobilunternehmen die Zeichen der Zeit
erkannt und den Einbau von Partikelfiltern in Fahrzeugen angekündigt haben. Hier befinden wir uns mittlerweile auf einem guten Weg. Wir freuen uns auf die entsprechende EU-Initiative.
({8})
Wie man bei der Dieseltechnologie sieht, weisen Umweltschutzmaßnahmen fast immer eine hohe gesamtwirtschaftliche Rentabilität auf. Durch die Förderung
der viel diskutierten erneuerbaren Energien entsteht für
den Durchschnittshaushalt einerseits eine Mehrbelastung
von derzeit 8 Euro pro Haushalt und Jahr. Die volkswirtschaftliche Ersparnis infolge vermiedener Umwelt- und
Gesundheitsfolgeschäden liegt andererseits bei 65 Euro
pro Haushalt und Jahr. Daran sieht man: Umweltschutz
rechnet sich und er ist eine Investition in die Zukunft.
({9})
Heute ist der 11. September. Das ist ein denkwürdiges Datum. Spätestens seit den Ereignissen vor zwei
Jahren wissen wir, dass Sicherheit ein hohes, aber auch
sehr zerbrechliches Gut ist, dass es in einer Welt, in der
das reichste Fünftel 80 Prozent der Ressourcen für sich
beansprucht, in der 90 Prozent der Menschen von endlichen fossilen Brennstoffen abhängig sind und in der jeder zwölfte Mensch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, keine Sicherheit und keinen Frieden geben
wird. Wir alle sitzen in einem Boot. Umwelt, Entwicklung und die gerechte Verteilung von Ressourcen sind
untrennbar mit Friedenspolitik verbunden. Deshalb ist
globaler Umweltschutz immer auch Armutsbekämpfung
und Friedenspolitik. Auch deshalb ist die deutsche Vorreiterrolle für die Welt und für uns in Deutschland so
wichtig.
({10})
Die Bundesregierung und das Parlament haben vor einem Jahr die nationale Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Sie ist der Fahrplan für unsere vorausschauende Politik. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir die
Ziele - es sind ehrgeizige Ziele -, die wir uns gesteckt
haben, auch erreichen. Deshalb brauchen wir im politischen Entscheidungsprozess effiziente Instrumente, die
negative ökologische und ökonomische Nebeneffekte
von Entwicklungen minimieren und dafür sorgen, dass
alle Entscheidungen, die wir in diesem Hause treffen, einem ehrlichen Nachhaltigkeitscheck unterzogen werden
und diesen durchlaufen. Zur Zielfestlegung gehört immer auch eine Zielkontrolle. Das Parlament muss aus
meiner Sicht dabei eine zunehmend aktivere Rolle übernehmen.
Sehr geehrte Damen und Herren, Umweltschutz und
Nachhaltigkeit fangen im Kopf an. Umweltschutz und
Nachhaltigkeit müssen nicht teuer sein. Sie müssen gelebt und praktiziert werden. Wir müssen heute das säen,
was wir morgen ernten wollen. Dafür setzen wir im Bundeshaushalt die notwendigen Prioritäten. Der ökologische Umbau unserer Gesellschaft ist noch ein weiter
Weg; aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man dieser Debatte folgt, dann kann man ins Grübeln kommen. Ich habe mich doch schon sehr gewundert, Herr Minister, dass Sie vorhin erklärt haben, in den
letzten Tagen habe sich wieder einmal gezeigt, wer reformfähig sei und wer nicht, und dies an der Verpackungsverordnung festmachen.
({0})
Sie tun so, als könne man an dem Zwangspfand für Einweggetränkeverpackungen die Reformfähigkeit dieses
Landes festmachen. Da gibt es doch nun wirklich ganz
andere Themen!
({1})
Sie behaupten, die Verpackungsverordnung sei auf
Wunsch der Opposition hin neu eingebracht worden. Ja,
Herr Minister Trittin, wir haben in der Tat eine komplette Novellierung der Verpackungsverordnung gefordert: weil wir neue Erkenntnisse haben, weil es neue
technologische Entwicklungen gibt, die sich in den Vorschriften widerspiegeln müssen. Der Schwachsinn, den
Sie vorgelegt haben, hat aber weder Hand noch Fuß. Sie
schaffen mehr Bürokratie, aber die Grundprobleme werden nicht beseitigt. Deswegen ist das nicht das, was wir
wollen. Wir haben Ihnen das schon tausendmal gesagt.
Es ist unsinnig, das durchziehen zu wollen.
({2})
Sie verkennen noch etwas anderes: Sie haben ein
europarechtliches Problem.
({3})
- Natürlich. Sie brauchen gar nicht mit dem Kopf zu
schütteln. Vielleicht muss ich einmal einen Rechtsanwalt
vorbeischicken, der es Ihnen erklärt. - Die EU-Kommissare Wallström und Bolkestein haben Ihnen nämlich
mitgeteilt, man erwarte aus wettbewerbsrechtlichen
Gründen ab dem 1. Oktober ein einheitliches, flächendeckendes Rücknahmesystem in Deutschland. Wo ist
denn das, bitte schön? - Nirgends, weil es überhaupt
nicht eingeführt werden kann. Da es auf europäischer
Ebene diese Rechtsunsicherheit gibt, wäre jedes Unternehmen, das jetzt investierte, irrsinnig. Ich kann Sie nur
noch einmal auffordern - Sie haben dieses Chaos zu verantworten -: Nehmen Sie den von Ihnen angeordneten
Sofortvollzug endlich zurück! Verlassen Sie diesen Irrweg und novellieren Sie die Verpackungsverordnung
nach den neuesten Erkenntnissen! Wenn Sie das tun,
dann haben Sie uns an Ihrer Seite.
({4})
Frau Kollegin Klug, ich möchte auf das zu sprechen
kommen, was Sie gesagt haben. Sie haben der Opposition in diesem Hause vorgeworfen, immer wieder zu behaupten, Umweltpolitik koste Arbeitsplätze.
({5})
In dieser Pauschalität behauptet das hier niemand. Nur,
schauen Sie sich doch die Regelungen an, die Sie durchziehen wollen: Sie haben oftmals ökologisch keinen Effekt, sind ökonomisch unsinnig und kosten unter dem
Strich - die Verpackungsverordnung und das Zwangspfand sind dafür die besten Beispiele - Arbeitsplätze.
Das kritisieren wir, und zwar, wie ich finde, zu Recht.
Wir brauchen in diesem Land nichts dringender als zusätzliche Arbeitsplätze. Die aber gibt es nur, wenn es
vernünftige umweltpolitische Regelungen gibt, die mit
dem Arbeitsmarkt verträglich sind. Dafür stehen wir ein.
({6})
Herr Minister Trittin, die fünf Jahre Ihrer rot-grünen
Umweltpolitik sind ein Synonym für fünf Jahre Ideologie und ökologischen Stillstand.
({7})
Das drückt sich auch in Ihrem Haushalt aus. Wie schon
so oft haben Sie auch heute wieder vehement über erneuerbare Energien gesprochen. Damit wir nicht wieder
Schwierigkeiten miteinander bekommen, sage ich Ihnen
sehr deutlich: Die FDP steht für die Förderung erneuerbarer Energien,
({8})
weil wir das für eine klimapolitisch sinnvolle Zukunftstechnologie halten.
({9})
Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode hier
im Deutschen Bundestag ein eigenes marktwirtschaftliches Fördermodell vorgelegt. Das haben Sie abgelehnt.
({10})
Sie können uns nicht vorwerfen, dass wir Ihren Weg
nicht mitgehen. Wir haben uns nicht darauf beschränkt,
Nein zu sagen; sondern wir haben eine Alternative vorgelegt.
({11})
Ich finde, das ist aller Ehren wert.
Auf die Dauer sind auch die erneuerbaren Energien
nicht ohne Probleme. Die Netze beispielsweise müssen
- das möchte ich an dieser Stelle schon einmal deutlich
machen - ausgebaut werden. Ganz besonders gilt das für
die Offshore-Windparks, von denen Sie, Herr Minister,
gesprochen haben. Auch regenerative Energien verursachen also zusätzliche Kosten; da können wir womöglich
ganz schnell an Grenzen stoßen. Wer für Zukunftsfähigkeit sorgen und die Potenziale erneuerbarer Energien
ausschöpfen will, der muss nach unserer Auffassung
auch in die Energiespeicherforschung investieren, beispielsweise in die Wasserstofftechnologie.
({12})
Ich möchte von Ihnen einmal eine Erklärung haben,
warum Sie in der letzten Legislaturperiode unseren Antrag dazu abgelehnt haben. - Sie sagen, Sie wollen das
ja.
({13})
Sie können sicher sein, dass wir in diesen Haushaltsberatungen einen entsprechenden Antrag einbringen werden.
Dann können Sie zeigen, ob es Ihnen damit ernst ist oder
nicht.
({14})
Wenn wir die erneuerbaren Energien zukunftsfähig
machen wollen, dann muss jetzt auch an der Schaffung
neuer Modelle gearbeitet werden. Man darf dabei nicht
auf garantierte Preise und auf die Vorgabe von Techniken setzen. Deswegen fordern wir ein marktwirtschaftliches Fördermodell. Es kann nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger durch die Garantie überhöhter Preise im
EEG die Renditen bei Investitionen in Windkraftanlagen
zahlen, die weit über dem liegen, was man bei einer Anlage am Kapitalmarkt erwirtschaften könnte. Diese Vorgehensweise ist, finde ich, unredlich und sorgt im Übrigen dafür, dass sich immer mehr Menschen gegen die
Windenergie wenden. Unser aller Ziel muss es doch aber
sein, diesen Unsinn abzustellen und die Akzeptanz erneuerbarer Energien bei den Bürgerinnen und Bürgern
durch vernünftige Maßnahmen zu erhöhen. Dazu fordern wir Sie auf.
({15})
Stattdessen, Herr Trittin, streiten Sie sich jetzt mit
Herrn Clement über die Frage: Kohle oder Windkraft?
Das ist doch beileibe nicht die Alternative! Wir brauchen
ein zukunftsfähiges Energiegesamtkonzept.
({16})
Das sind Sie immer noch schuldig geblieben. In einem
solchen Konzept haben die regenerativen Energien einen
Anteil. Man kann darüber reden, ob man bestehende
Kohlekraftwerke durch effizientere ersetzt. Im Sinne des
Klimaschutzes kann es aber nicht sein, stärker als bisher
auf fossile Energieträger zu setzen.
Schließlich und endlich muss in der langfristigen
Konzeption auch die Kernfusion eine Rolle spielen.
Deswegen fordern wir Sie auf, das ITER-Projekt europäisch zu unterstützen.
({17})
- Herr Kollege Kubatschka, es mag sein, dass wir das
nicht mehr erleben.
({18})
Ich will Ihnen eines sagen: Wer in der Energiepolitik
über Zukunftskonzepte redet, darf nicht nur über die
nächsten 10 oder 20 Jahre reden, sondern muss über die
nächsten 50 bis 100 Jahre reden.
({19})
Für diesen Zeitrahmen muss auch schon jetzt Forschung
betrieben werden. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann
zeigt das ein weiteres Mal, dass Sie sich dem verweigern, was für die Zukunft nötig ist.
({20})
Viel schlimmer ist allerdings noch, dass Sie sich hier
hinstellen und sagen, der Klimaschutz und der Emissionshandel seien wichtig. Herr Minister Trittin, warum führen Sie dann eigentlich nicht die modernen Instrumente
des Kioto-Protokolls in Deutschland ein? Warum haben
wir sie nicht schon längst? Warum verhindern Sie eigentlich, dass heute schon Maßnahmen ergriffen werden
können, um Investitionen in Windenergie- und Biogasanlagen auch in anderen Ländern zu tätigen; warum verhindern Sie Investitionen in die Solartechnik in Ländern,
die in anderen Breitengraden liegen, dort, wo die Sonne
mehr scheint als bei uns? Da könnten Sie auch einen riesigen Markt für die deutsche Industrie erschließen. Wir
haben in Deutschland nach wie vor keine Regelung dafür; kein einziger solcher Vertrag wurde abgeschlossen.
Das liegt einzig und allein daran, dass Sie sich dem
Emissionshandel verweigern, Herr Minister.
({21})
Ich will abschließend auf das Desaster im Bereich der
Endlagerung radioaktiven Abfalls zu sprechen kommen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum
Sie jetzt eigentlich noch einmal alternative Endlagerstandorte erkunden wollen. Sie haben bereits im Atomkonsens unterschrieben, dass der Salzstock Gorleben als
Endlager überhaupt keine Probleme hat, dass die Eignungshöffigkeit gegeben ist. Es gibt keine naturwissenschaftlichen oder technischen Erkenntnisse, die gegen
Gorleben sprechen. In Konrad und Gorleben sind Milliardenbeträge investiert worden. Allein für den Offenhaltungsbetrieb der beiden Anlagen sind in diesem Jahr
im Haushalt 39 Millionen Euro veranschlagt. Das ist ein
Vertrag zulasten Dritter. Das zahlen nämlich die Energieversorgungsunternehmen. Sie als zukünftige Nutzer
müssen dieses Geld aufbringen.
Hinzu kommt, dass der Planfeststellungsbeschluss für
Schacht Konrad aller Voraussicht nach bestandskräftig
ist. Wenn Rot-Grün trotzdem auf einer weiteren Suche
besteht, dann wird sie mit Steuermitteln finanziert werden müssen, Herr Minister. Mit dieser Ein-EndlagerIdeologie, der Sie anhängen, die außer Ihnen niemand
will, bringen Sie neuen Sprengstoff in den Bundeshaushalt.
({22})
Frau Kollegin Homburger, denken Sie an die Redezeit!
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Herr Minister Trittin, Sie setzen Prioritäten nicht nach
sachlichen Erwägungen, sondern - das zeigt sich auch
beim Hochwasserschutz - nach Öffentlichkeitswirksamkeit. Sie reiten ideologische Steckenpferde und vernachlässigen wichtige Bereiche. Das spiegelt sich im Haushalt wider. Sie fügen den allgemeinen Haushaltsrisiken
mit Ihrem Verhalten weitere Risiken hinzu. Deswegen
ist dieser Haushalt schon jetzt Makulatur. Deswegen
können wir Sie nur auffordern: Ziehen Sie diesen HausBirgit Homburger
halt zurück oder bitten Sie Herrn Minister Eichel, ihn zurückzuziehen, wenn Sie es nicht selbst können!
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska EichstädtBohlig vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatten über Umweltpolitik finde ich hier immer höchst
spannend. Es ist fast jedes Mal das Gleiche: Herr
Paziorek für die CDU/CSU und Frau Homburger für die
FDP haben wunderbare umweltpolitische Ideen, entfalten sie hier und haben die allerbesten Konzepte, ihr jeweiliges Führungspersonal aber will davon überhaupt
nichts wissen.
({0})
Bevor ich nun auf Aussagen von Frau Merkel eingehe, möchte ich zu Ihren Klagen, Herr Paziorek, dass
wir Altbausanierungen zu wenig unterstützen und zu
wenig Geld für CO2-Minderungsmaßnahmen ausgeben,
ganz kurz anmerken, dass es unter den Umweltministern
Töpfer und Merkel für CO2-Minderungsmaßnahmen im
Gebäudebestand zwischen 16 und 20 Millionen DM gab.
Sie haben wahrscheinlich nur den Einzelplan 16 für Umwelt, aber nicht den Einzelplan 12 gelesen, denn wir haben hierfür im Haushalt einen Verpflichtungsrahmen von
304 Millionen Euro vorgesehen.
({1})
- Das ist ein unheimliches Volumen, mit dem wir forciert Umweltschutz und Klimaschutz am Bau fördern.
Diese Größenordnung hätten Sie erst einmal vorsehen
sollen, bevor Sie solche Sätze wie vorhin wiederholen.
({2})
Mehr Sorge macht mir, dass Frau Merkel, wenn sie
drankommt, wie ich am 6. September in der Zeitung gelesen habe, das Atomausstiegsgesetz wieder zurücknehmen will.
({3})
Dazu hätte ich gerne von Ihrer Seite ein paar Sätze gehört. Gestern habe ich von anderer Seite - so etwas hört
man ja nicht nur von Frau Merkel - die Klage gehört,
dass die Windenergie vom Verbraucher mit 1,3 Milliarden Euro gefördert werde. Insofern muss ich hier doch
einmal ein wenig Aufklärung betreiben. Ich habe nämlich das Gefühl, dass die Opposition das ErneuerbareEnergien-Gesetz nach wie vor nicht begreifen will.
Das Marktanreizprogramm und das 100 000-DächerProgramm, das bis Ende dieses Jahres läuft, sind die beiden Programme, die direkt aus Steuergeldern gefördert
werden. Die Windenergie aber wird vom Verbraucher
nur mit ungefähr 1 Euro pro Haushalt und Monat mitfinanziert. Das ist der Beitrag zum Klimaschutz über den
Strompreis. Wenn Sie meinen, dass durch diesen sensationellen Verbraucherbeitrag unsere Konjunktur in die
Knie ginge - so musste man ja gestern Frau Merkel verstehen -, dann verstehe ich angesichts der wirklichen
Konjunkturprobleme unseres Land die Welt nicht mehr.
Insofern bitte ich Sie, sich das Erneuerbare-EnergienGesetz einmal genau anzuschauen.
({4})
Ich möchte schon noch ein paar Sätze zu diesem eigenartigen Streit sagen, der sich in diesem Sommer an
der Windkraft und damit indirekt auch an den erneuerbaren Energien insgesamt hier im Lande entzündet hat.
Dass Sie sich sofort darauf gestürzt haben, halte ich
wirklich für unverantwortlich. Man muss nämlich sehen,
dass atomare und fossile Energien im Gegensatz zu den
erneuerbaren Energien sehr hohe volkswirtschaftliche
Kosten nach sich ziehen. Das UBA hat ausgerechnet,
dass für Waldsterben, Flutschäden, Dürreschäden, Bergbauschäden, Gesundheitskosten, Atomtransporte usw.
mindestens 5 Euro pro Haushalt und Monat anzusetzen
sind. Dieses Geld wird beim Einsatz von erneuerbaren
Energien unmittelbar und handfest eingespart. Diese indirekten Kosten sollte man also auch einmal einkalkulieren.
({5})
Auch für etwas anderes tragen Sie, die Sie lange Jahre
regierten, direkt Verantwortung. Lange Zeit sind Kohle
und Atomenergie in ganz anderer Weise gefördert worden als heute die erneuerbaren Energien. Wir fördern sie
nämlich nicht direkt, sondern durch eine Umlage bei den
Stromkosten. Das ist genau der entscheidende Unterschied. Die Atomenergie hat nach Schätzungen in den
vergangenen Jahren über 80 Milliarden Euro an Subventionen bekommen. Von diesem Vorteil profitiert sie bis
heute. Deshalb ist man in diesem Bereich ja auch so daran interessiert, die bereits abgeschriebenen Atomanlagen so lange wie möglich laufen zu lassen. Irgendwie
scheint es da allen egal zu sein, ob wir dann vielleicht
auch irgendwann einmal solche Probleme wie in Tschernobyl bekommen.
({6})
Ich verstehe wirklich nicht, dass Ihre Partei letztlich immer wieder einem so leichtsinnigen Umgang mit der
Atomkraft das Wort redet. Das ist wirklich unverantwortlich.
Die Kohlesubventionen, die wir bis 2005 noch zahlen,
haben Sie - das sollten Sie doch wissen - bereit gestellt.
In diesem Jahr sind es noch über 3 Milliarden Euro. Ab
dem nächsten Jahr wird es stufenweise weniger. Wir
bemühen uns zumindest, sie auslaufen zu lassen, weil
wir der Meinung sind, dass in den fossilen Energieträgern nicht die Zukunft der Energieversorgung liegt.
Dass die erneuerbaren Energien zurzeit ein ganz wesentlicher Faktor zum Schaffen von Arbeitsplätzen sind,
hat meine Kollegin eben schon dargestellt. Wir haben in
den letzten vier Jahren tatsächlich mehr als 130 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen, allein in der
Windkraftindustrie 40 000. Das ist nicht wenig in Zeiten,
in denen überall Arbeitsplätze abgeschafft werden.
Ich will noch etwas sagen, was viele immer wieder
unter den Teppich kehren: Hinter dem Streit um Kohle
und Atom auf der einen Seite versus Wind, Sonne, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie auf der anderen
Seite steckt auch die Frage, ob für die Energieerzeugung
im Wesentlichen nur Großkonzerne zuständig sein sollen
oder ob nicht auch unsere Landwirte, unsere Gewerbetreibenden und unsere Hausbesitzer das Recht haben,
Energiewirte zu sein. Dann nämlich hätten wir eine
dezentrale Energieerzeugung, an der viele Akteure in
der Gesellschaft in vielen Regionen und Wirtschaftszweigen beteiligt wären. Insofern geht es auch um einen
Kampf vieler kleiner Davids gegen wenige große
Goliaths. Dazu sage ich ganz klar: Unsere Fraktion ist
auf der Seite der Davids und ich hoffe, dass wir damit
den Mittelstand und die vielen, die für den Mittelstand
eintreten, auch einmal konkret unterstützen.
({7})
Ich möchte, dass diese für unser Land wirklich schädliche Diskussion, in der Sie meinen, die erneuerbaren
Energien in ihrer Bedeutung herunterreden zu können,
beendet wird. Auch ich finde, dass man bei der Nutzung
der Windkraft auf die richtigen Standorte achten muss.
Das sollte - dafür engagiere auch ich mich - im Baugesetzbuch entsprechend geregelt werden. Länder und
Kommunen müssen dies entscheiden können und auch
die Regionen ausgucken, in denen es nicht passt. Aber es
ist unverantwortlich, gerade in diesen Zeiten die Bedeutung der regenerativen Energien abwerten zu wollen.
Das schadet den Branchen, die mit Wind- und Solarenergie zu tun haben. Insofern bitte ich Sie: Kommen Sie zurück, unterstützen Sie das, was in diesem Bereich nötig
ist. Uns ist bekannt, dass auch in Ihren Reihen einige
sehr genau wissen, wie wichtig das wäre.
Frau Eichstädt-Bohlig, auch wenn Sie Ihre Rede offenbar gerade beenden wollten: Erlauben Sie noch eine
Frage?
Ja.
Bitte schön, Herr Paziorek.
Frau Eichstädt-Bohlig, können Sie sich daran erinnern, dass zur Zeit der Verhandlungen über den letzten
Kohlekompromiss sehr viele Vertreter auch Ihrer Partei,
bis hin zu den Spitzen, die jetzt für die Außenpolitik zuständig sind, in Bonn dafür demonstrierten, dass ein solcher Kohlekompromiss zustande kommt? Und können
Sie bestätigen, dass die Landesregierung in NordrheinWestfalen - in der die grüne Fraktion in der Koalition ist seinerzeit sogar noch mehr gefordert hat?
Erstens kann ich mich erinnern, dass es diese Demonstration gegeben hat und dass auch Grüne dabei waren. Es wäre völlig falsch, das zu leugnen. Zweitens bestätige ich, dass die Auseinandersetzungen zum Thema
Kohle nicht immer nur im Sinne von Schwarz-Gelb versus Rot-Grün verlaufen.
({0})
Aber angesichts der Tatsache, dass Sie und die FDP
immer wieder mit unschuldigem Augenaufschlag behaupten, die Kohleförderung sei das Böse schlechthin,
muss ich drittens sagen: Egal, was wir und die SPD gemacht haben und was Nordrhein-Westfalen gewünscht
hat - Sie sollten sich daran erinnern, dass die Verantwortung für die Finanzierung bis 2005 bei Ihnen liegt. Insofern bin ich für Fairplay. Jeder soll zu seiner Verantwortung stehen.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Albrecht Feibel von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Zum Ersten ein Wort zu meiner Landsfrau, die hier das Thema Neuverschuldung angesprochen hat: Verehrte Kollegin Klug, Sie hätten besser
geschwiegen. In diesem Jahr haben wir eine gigantische
Neuverschuldung von über 40 Milliarden Euro. Eigentlich hätte Herr Eichel, bevor wir den Haushalt 2004 beraten, einen Nachtragshaushalt 2003 vorlegen müssen.
Erst dann hätten wir den Haushalt auf einer vernünftigen
Grundlage beraten können. Das hat er nicht gemacht.
({0})
Zum Zweiten: Wir werden auch 2004 eine gigantische Neuverschuldung erleben. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, das Thema auszulassen. Denn diese erneute Neuverschuldung in Milliardenhöhe - eigentlich
ist diese Regierung angetreten, um Schulden abzubauen
- werden nachhaltig auf die nächsten Generationen übertragen.
Ein Wort zu meiner Kollegin aus dem Haushaltsausschuss: Liebe Kollegin Eichstädt-Bohlig, ein zweites
Tschernobyl möchte niemand.
({1})
Aber gerade weil wir das verhindern wollen, müssen wir
Kernforschung betreiben. Nur so können die noch vorhandenen Atomkraftwerke sicherer gemacht werden.
({2})
- Dann machen Sie einmal die 360 Kraftwerke, die auf
der Welt bestehen, dicht, und nicht nur die besten, die es
gibt, nämlich die in Deutschland.
({3})
Nun zur Frage nach der Reformfähigkeit, die der
Minister angesprochen hat. Herr Minister Trittin, Reformfähigkeit drückt sich nicht darin aus, dass man alles
anders macht, sondern Reformfähigkeit drückt sich darin
aus, dass man es besser macht. Auch bei genauerer Betrachtung des Haushaltsentwurfs für den Einzelplan 16,
den Sie vorgelegt haben, sehe ich nicht, dass da etwas
besser geworden ist. Wer diesen Haushalt kritisch betrachtet, stellt fest, dass Schröder, Fischer und andere im
Kabinett zwar über Sparen reden, aber nicht so handeln.
Das drückt sich in vielem aus, insbesondere darin,
dass Sie mehr verwalten als gestalten. Das heißt, die Verwaltungskosten nehmen seit fünf Jahren kontinuierlich
zu und die Ausgaben für Programme im Haushalt nehmen kontinuierlich ab. Damit stellen Sie nicht gerade
Ihre Reformfähigkeit unter Beweis; damit hängen Sie
den alten Methoden grüner Politik an.
Der Anteil der Programme am Stammhaushalt des
Umweltministers beträgt heute 43 Prozent. 1998, als die
Bundesumweltministerin Merkel hieß, machte dieser
Anteil 53 Prozent aus; entsprechend kleiner war der Anteil für die Verwaltung. In absoluten Zahlen ausgedrückt
heißt das: Im Vergleich zu 1998 gibt Herr Trittin circa
50 Millionen Euro mehr für die Verwaltung aus, während der Programmhaushalt um 25 Millionen Euro zurückgefahren wurde. Es bleibt leider dabei, dass die Verwaltungskosten ständig steigen und die Aufwendungen
für die eigentlichen Umweltausgaben sinken. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass die Arbeit vom Hause
Trittin trotz dieser höheren Ausgaben qualitativ eher
schlechter denn besser geworden ist.
({4})
Für Rot-Grün ist es bequemer, neue Schulden zu machen und die Probleme auf die nächste Generation zu
verlagern, wie ich das hier mit Blick auf die Kollegin
Klug schon ausgeführt habe. Allerdings gibt es doch
noch Einsparungen im Einzelplan 16, und zwar in erster
Linie im Programmbereich, nämlich dort, wo es darum
geht, ehrenamtliche Arbeit und Verbände, die sich um
die Umwelt kümmern, finanziell zu unterstützen. Bereits
im letzten Jahr haben Sie die Förderung für den Bund
Heimat und Umwelt um 50 Prozent zurückgefahren. Das
Gleiche erfolgt in diesem Jahr wieder. Ähnlich geht es
dem Deutschen Rat für Landespflege.
Wenn man diese Mittelkürzungen genauer untersucht,
dann heißt es: Die institutionelle Förderung fahren wir
zurück, aber dafür werden wir Projekte fördern. Jetzt
durchforsten Sie einmal den Haushalt und suchen bei
den Ausgaben nach diesem Grundsatz - die institutionelle Förderung wird zurückgefahren, Projekte werden
verstärkt gefördert -: Obwohl die institutionelle Förderung bei diesen Verbänden zurückgefahren wurde, ist
hier keinerlei Programmförderung bzw. nur geringe Projektförderung erfolgt. In den Erläuterungen zum Haushalt findet sich sogar die Aussage, dass diese Kürzungen
mit den Verbänden vereinbart worden seien. Das halte
ich angesichts dessen, dass mit den Verbänden überhaupt
kein Kontakt aufgenommen und mit ihnen darüber gar
nicht gesprochen wurde, für sehr verwegen.
({5})
Dennoch ist in den Erläuterungen von der Zustimmung
der Verbände die Rede. Das ist meiner Meinung nach
nicht im Sinne von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit.
Wie schön, wenn dagegen ein Verband das Wohlwollen des Umweltministers genießt, wie etwa der Deutsche
Naturschutzring, in dessen Präsidium immerhin der
stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael
Müller sitzt. Die Institution DNR bekommt 2004 eine
Förderung von 456 000 Euro. Zudem hat dieser Verband
von 1999 bis 2002 mehr als doppelt so viele Fördergelder wie jeder andere Verband erhalten.
({6})
Auch der VCD, in dessen Verbandsspitze sich Besitzer roter und grüner Parteibücher tummeln, wird gut bedacht, obwohl er in der Zeitschrift „Öko-Test“ wegen zu
hoher Personal- und Verwaltungsausgaben eine vernichtende Kritik erfuhr. Übrigens hat er für die Jahre 2000
und 2001 keine Jahresabschlüsse vorgelegt. Dieser Verband wird zusätzlich gefördert. Ich finde, die Auswahl
der zu fördernden Verbände, die hier getroffen wird, ist
außerordentlich fragwürdig. Regierungsnah und regierungsfreundlich bedeutet zusätzliche Förderung, regierungskritisch heißt Abstrafung: kein Geld oder weniger
Geld.
In der von Minister Trittin mitbestimmten Energiepolitik scheint Geld ohnehin keine große Rolle zu spielen.
Manchmal hat man den Eindruck, es sei unendlich viel
verfügbar.
Damit komme ich auf die Endlager Gorleben und
Schacht Konrad zu sprechen. Mehr als 40 Millionen Euro
entgehen uns, weil der Minister nicht zulässt, dass in
Gorleben und im Schacht Konrad endgelagert wird. Die
Einnahmen tendieren gegen null, die Ausgaben für die
Offenhaltung liegen bei über 40 Millionen Euro pro
Jahr. Nach trittinscher Auffassung ist Gorleben ein
„verbrannter Standort“; schließlich geht es nicht so sehr
um die Sicherheit bei der Endlagerung, sondern um Ideologie. Deshalb hat der Minister den AK „End“, heute
seine Lieblingsveranstaltung, ins Leben gerufen. Obwohl er vermutlich keine andere Lösung für eine Endlagerung finden wird, wird hier zulasten der Stromkunden
ein ideologisches Spielchen weitergetrieben. Sie haben
gesagt, dabei gehe es nur um 1 Euro im Monat.
({7})
Aber es kommen ja noch die Ökosteuer und andere
Dinge hinzu, sodass sich das, was Rot-Grün den Familien zumutet, summiert.
({8})
Für die Erschließung von Gorleben wurde bereits
mehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben. Folgt das BMU
den Empfehlungen der Kommission AK „End“, einen
neuen Standort zu suchen - wenn es diese Empfehlungen denn gibt; das Ganze ist ja angeblich noch nicht
ausgewertet -, dann kommen nach Expertenschätzungen
3 bis 5 Milliarden Euro zusätzliche Kosten auf die
Stromkunden in Deutschland zu.
({9})
Herr Minister, machen Sie dem Spielchen ein Ende
und belasten Sie die Stromkunden nicht unnötig mit zusätzlichen Kosten! Gorleben ist ohnehin einer der besterkundeten und sichersten Standorte weltweit.
({10})
Es ist ein Skandal, wie verschwenderisch hier mit den
Milliarden der Steuerzahler und der Stromkunden umgegangen wird.
({11})
Diese Politik zeugt nicht von besonderer Verantwortung
für die Energieversorgung in Deutschland. Dass der
Kanzler von Ihrer persönlichen energiepolitischen Kompetenz nicht überzeugt ist, hat er bewiesen, indem er Sie
zu dem Gespräch mit den großen Energieversorgungsunternehmen gar nicht erst eingeladen hat.
Ein weiteres Thema bewegt die Bürger. Das Stichwort lautet: Über-Förderung der Windkraft. Sicher
brauchen wir erneuerbare Energien, aber: müssen es immer die teuersten sein? Muss es immer in dieser Menge
sein? Der Minister hat ja heute zugegeben, dass er die
Dinge zurückfahren will. Es ist das erste Mal gewesen,
dass er so etwas zugegeben hat. Es ist notwendig, die
Standorte sorgfältiger auszuwählen und dort, wo kein
Wind weht, nicht zu bauen, bzw. dort, wo weniger Wind
weht, auch weniger zu fördern.
({12})
Es gibt in der Bevölkerung - das haben wir hier auch
schon gehört - immer mehr Stimmung gegen die Windmühlen. Ich zitiere jetzt einmal einen Bürger, der für
viele spricht. Er sagte:
Ganze Landstriche werden zugepflastert mit diesen
Windspargeln und die Stromtarifzahler kommen für
Milliardenzuschüsse auf. Das kann auf Dauer nicht
so bleiben.
Sie kennen diesen Bürger. Das ist nämlich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück.
Er hat das am letzten Sonntag erklärt. Selbst Ministerpräsidenten der SPD haben inzwischen Sorge, wie es
denn mit der Windenergie weitergeht.
Mit 3,3 Milliarden Euro subventioniert der Bund die
Stromerzeugung aus deutscher Steinkohle. Aber die Tendenz ist sinkend.
Im Jahre 2005 wird die Vergütung allein für die
Windenergie nach Angaben der Bundesregierung
2,342 Milliarden Euro betragen. Dort ist die Tendenz
steigend.
({13})
- Nein, das ist nicht die Wasserkraft. Das sind nur die
Einspeisevergütungen für die Windenergie.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.
Ja. - Ich bin also der Meinung: Wir müssen auch daran denken, dass die Verteuerung von Energie auch einen Export von Arbeitsplätzen zur Folge hat. Durch
eine Verteuerung von Energie werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Deshalb möchte ich den Minister auffordern, dort, wo er im Energiebereich Verantwortung trägt,
für eine entsprechende Wende und dafür zu sorgen, dass
bezahlbare erneuerbare Energie produziert wird.
Zum Abschluss noch eine Empfehlung, die nicht so
ganz ernst gemeint ist, aber vielleicht trotzdem zum
Nachdenken anregt.
({0})
Was die Bioenergie angeht, so stellt sich die Frage, ob
man auch dort, wo die meiste Biomasse produziert wird,
eine Umwandlung in Strom vornimmt. Das sollte vielleicht beim Umweltministerium in Zukunft möglich
sein. Dort wird nämlich sehr viel Mist produziert.
({1})
Das Wort hat der Kollege Horst Kubatschka, SPDFraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Umweltpolitik ist für uns Sozialdemokraten
Vorsorge für die kommenden Generationen. Unsere Kinder und unsere Enkel sollen nicht für unsere Unterlassungen teuer bezahlen müssen.
({0})
Ihr Wohlstand soll nicht dadurch verzehrt werden, dass
sie zum Beispiel die Folgen des Klimawandels ausbaden müssen.
Als Umweltpolitiker steht für mich Energiepolitik unter dem Vorzeichen des Klimawandels. Die Lösung der
Energiefrage ist entscheidend für das zukünftige Klima,
aber auch für den zukünftigen Wohlstand.
({1})
Bei der Lösung der Energiefrage müssen drei Ziele
erreicht werden: erstens Umweltverträglichkeit, zweitens Versorgungssicherheit und drittens Wirtschaftlichkeit.
({2})
Dafür sind drei Ansätze entscheidend: erstens Energiesparen, zweitens Energieeffizienz und drittens erneuerbare Energien. Wir sollten darüber streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wir diese Ziele erreichen. Es
geht nicht darum, eine Energieart gegen eine andere auszuspielen. In der letzten Zeit hat es sich in den Medien
auf den Schaukampf „Kohle oder Wind“ verkürzt.
Wenn dann noch die Frage personalisiert werden
kann, geht bei uns die Diskussion richtig los. Diese Personaldiskussion ist zwar bei uns beliebt, aber sie ist kontraproduktiv. Nicht zwischen Personen, sondern über
den richtigen Weg sollte gestritten werden. Wir brauchen
sowohl effiziente Kohlekrafttechnologie als auch erneuerbare Energien. Es geht also nicht um ein EntwederOder.
Die rot-grüne Koalition hat die Energiewende eingeleitet. Wir haben in den letzten fünf Jahren die Erfolgsstory „erneuerbare Energien“ geschrieben. Die Koalition
wird diese Erfolgsstory einvernehmlich weiterschreiben.
({3})
Deswegen werden wir in nächster Zeit das ErneuerbareEnergien-Gesetz novellieren. Wir werden aus den bisherigen Erfahrungen die notwendigen Schlussfolgerungen
ziehen. Dabei werden wir die Effizienzfragen nicht aus
dem Auge verlieren.
Interessenvertreter wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass nach dem EEG eine Degression der Vergütung
sowie kein Inflationsausgleich erfolgt. Der Verband
Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. stellt dazu
fest:
Die Stromgestehungskosten aus Windenergie sind
bereits im letzten Jahrzehnt um mehr als 50 Prozent
gesunken. Die im EEG vorgeschriebene Degression
der Vergütung sowie die Inflation erfordern bei
Neuanlagen einen kontinuierlichen Innovationsschub von mehr als 3 Prozent pro Jahr, der von
kaum einer anderen Branche erreicht wird.
Das ist wahrlich vorbildlich für andere Energiearten.
({4})
Wir haben uns vorgenommen, bis zum Jahre 2010 den
Anteil der erneuerbaren Energien zu verdoppeln. Wir
sind auf einem guten Weg, dieses Ziel zu erreichen.
Langfristig hat die Energie-Enquete des Deutschen Bundestages eine anspruchsvolle Zielmarke gesetzt, nämlich: Im Jahre 2050 sollen 50 Prozent des Energiebedarfs
durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Dieses Ziel
ist realistisch und muss erreicht werden. Die notwendigen Grundlagen legen wir jetzt. Das 21. Jahrhundert
wird einen grundlegenden, allmählichen Wandel in der
Energieversorgung mit sich bringen. Wir werden wegkommen von den fossilen und hinkommen zu den erneuerbaren Energien.
Als Chemiker sei mir ein Einschub erlaubt: Öl, Gas
und Kohle sind eigentlich viel zu schade, um verbrannt
zu werden.
({5})
Wir brauchen diese Grundstoffe für hochwertige Produkte.
Einige große Ölmultis wie BP und Shell scheinen das
längst erkannt zu haben. Unsere deutschen Energieversorger hinken aber noch etwas hinterher. Sie sind in alten
Technologien und in Großstrukturen verfangen. Ihre Perspektiven scheinen der kurzfristige Ertrag und der Firmenzukauf im Ausland zu sein. Dabei haben gerade die
zentralen Strukturen in der letzten Zeit bewiesen, wie anfällig sie sind. Großkraftwerke hatten in diesem heißen
Sommer Schwierigkeiten mit dem Kühlwasser. Die Netzstörungen in den USA ließen viele im Dunklen sitzen.
Um aber keine falsche Diskussion aufkommen zu lassen: Die Amerikaner haben mit ihrem Blackout ein hausgemachtes Problem: Nirgends wird so viel Strom verbraucht, dazu kommt noch ein hoffnungslos veraltetes
und überlastetes Verteilernetz. Der ehemalige US-Energieminister Bill Richardson hat es mit dem verrotteten
Leitungsgewirr einer Dritten-Welt-Nation verglichen.
Zentrale Strukturen sind auch anfälliger für Terroranschläge. Manche ziehen aus dem 11. September immer
noch keine Konsequenzen. Deswegen wird die Zukunft
den dezentralen Strukturen gehören. Diese kleinteilige
Energieversorgung bietet dem Handwerk sowie den kleinen und mittleren Unternehmen eine Chance und bedeutet Arbeitsplätze.
({6})
Wir haben die Chance zur Erneuerung und Umstrukturierung. Bedingt durch den Ausstieg aus der Kernenergie und der Alterung des Kohlekraftwerkparkes entsteht
bis 2020 ein 50-prozentiger Ersatzbedarf. Es geht darum,
den Energiestandort zu sichern. Deutschland darf nicht
zu einem Stromhandelsland werden; denn dies würde
noch mehr Importabhängigkeit bedeuten.
Über unsere Importabhängigkeit sollten wir einmal
diskutieren. Ich weiß, dass das schwieriger ist, als über
Personen zu streiten. Die Fakten lauten: Es werden
97 Prozent des Erdöls importiert, 74 Prozent des Erdgases, 56 Prozent der Steinkohle und 100 Prozent des
Urans für Uranbrennstäbe. Uran ist also wirklich keine
einheimische Energie, obwohl es manche anders darzustellen versuchen.
Dagegen ist die erneuerbare Energie eine einheimische Energie. Wir haben die Fähigkeit, diese Chance zu
nutzen. Unser Land ist Technologieführer bei den erneuerbaren Energien, bei effizienter Kraftwerkstechnik und
bei dezentralen Energieanlagen. Diesen Vorsprung müssen wir weiter ausbauen, indem wir die Technik anwenden, aber auch, indem wir die Forschung auf diesem Gebiet intensivieren. Unser Technologievorsprung ist
ganz entscheidend, um auf dem Weltmarkt existieren zu
können. Diese Chance können wir aber auch verspielen,
wenn wir auf überholte Techniken setzen.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit gibt die Möglichkeit,
dass diese Chancen genutzt werden. Wir können diese
Zukunftsindustrien, beispielsweise bei der Windenergie,
aber auch gefährden, wenn wir die falschen Rahmenbedingungen setzen. Das Gejammer über die Subventionen
ist kurzsichtig und unehrlich. Jede neue Energieart muss
am Anfang gefördert werden, um am Markt eine Chance
zu haben. Das beste, nein, ich korrigiere, das schlechteste Beispiel ist die Kernenergie. Sie wurde mit zweistelligen Milliardenbeträgen gefördert. Die Förderung
hält noch immer an. Denken Sie zum Beispiel an die viel
zu niedrigen Versicherungssummen für Kernkraftwerke.
({7})
Zum Schluss sei mir noch eine Anmerkung zur Kernenergie erlaubt. Das Ministerium ist ja schließlich auch
für Reaktorsicherheit zuständig. Dass diejenigen, die ihr
Leben lang auf Kernenergie gesetzt haben, dieser Energie des 20. Jahrhunderts nachtrauern, ist für mich verständlich.
({8})
Dass die Kernenergie eine Zukunft hat, wie sie voraussagen, wird nicht eintreten. Die Kernenergiefreaks aus der
CDU/CSU-Fraktion und andere Einzelstimmen melden
sich immer wieder zu Wort. Auch dies war zu erwarten.
Frau Kollegin Angela Merkel hat in einem „Bild“-Interview auf die Frage, ob sie Kernkraftwerke wieder zulassen würde, geantwortet - ich bitte, das genau zu
wägen -:
Eine CDU/CSU-Regierung würde es den Betreibern ermöglichen, Kernkraftwerke so lange zu betreiben, wie sie es wollen.
({9})
- Ich halte Ihren Zwischenruf und diese Aussage für gefährlich und verantwortungslos.
({10})
Nicht das Wollen der Kernkraftbetreiber ist entscheidend, sondern die Sicherheit.
({11})
Kollegin Merkel hat sich um die Sicherheit von Kernkraftwerken anscheinend noch keine ernsthaften Gedanken gemacht;
({12})
denn sonst käme sie nicht zu solchen Aussagen, die ich
für leichtsinnig halte.
Frau Kollegin Homburger, zu Ihnen. Sie sind ein besonderer Freak der Kernfusion; davon träumen Sie.
({13})
Ihre Träume werden bloß nicht wahr werden. Ich kann
mich noch an meine Vorlesungen in Atomphysik Anfang
der 60er-Jahre erinnern.
({14})
Die Professoren haben gesagt, bis zum Jahr 1985 würden wir über die Kernfusion verfügen. Jetzt ist man der
Meinung, man wisse vielleicht im Jahr 2050, ob es überhaupt möglich ist, diese in den Griff zu bekommen. Die
Perspektive lag in den 60er-Jahren bei 25 Jahren. Wie
man sieht, haben sich die Perspektiven verschoben und
wir investieren viel Geld.
({15})
- Das ist für mich die falsche Frage. - Ich bitte Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, das noch einmal zu überdenken.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({16})
Der amtierende Präsident schließt sich mit besonderem Dank für die eingehaltene Redezeit an.
Ich erteile nun der Kollegin Doris Meyer für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Ihr Haushalt 2004, sehr geehrter Herr
Trittin, zeigt eines ganz klar: Das Umweltressort hat in
der rot-grünen Koalition eindeutig weiter an Bedeutung
verloren.
({0})
Von großen Erfolgen ist weit und breit keine Spur. Angesichts der vorgelegten Zahlen für 2004 ist mir schleierhaft, wie von der Fortsetzung einer angeblich so erfolgreichen Politik gesprochen werden kann.
(Dr. Peter Paziorek ({1}): Das ist denen
selbst schleierhaft!
Wo nichts war und ist, kann auch nichts fortgeführt werden.
({2})
Denken Sie bei Ihrem Umwelthaushalt gelegentlich
einmal an die Herkunft des Wortes „haushalten“. Es bedeutet: das Haus bewahren. Das würde aber voraussetzen, dass es etwas Gutes zu bewahren gibt. Besser wäre
meines Erachtens, Sie davor zur warnen, dem Haus weiter das Fundament zu nehmen.
Gegenüber dem Jahr 2003 steigt der Umfang des Verwaltungshaushalts. Der Programmhaushalt, der Haushaltsbereich zur Fortführung von Projekten zur Ressortforschung und für die internationale Zusammenarbeit,
sinkt. Ihr gesamter Haushalt, Herr Trittin, sinkt um
2,6 Millionen Euro gegenüber 2003, und das, obwohl
die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien vom
Wirtschaftsministerium in Ihr Haus gekommen ist.
({3})
Wo bleiben da die Impulse für den Umweltschutz und
für erneuerbare Energien, die Impulse für die Forschung,
aber auch die Impulse für die Wirtschaft? Wenn schon
keine Impulse gegeben werden, dann wollen wir uns mit
den Zielen beschäftigen. Ein konsequenter Ausbau der
erneuerbaren Energien ist notwendig und findet auch die
Unterstützung der Union.
({4})
Ich möchte mich im Folgenden auf einige wenige Aspekte insbesondere der erneuerbaren Energien konzentrieren. Im Rahmen des Programmhaushaltes sinken die
Ausgaben für die Forschungsvorhaben um 13,4 Prozent
im Vergleich zu 2003. Diese Ausgaben sind aber unverzichtbar. Warum wollen Sie nicht mit Forschungsvorhaben eine Schrittmacherfunktion übernehmen? Dies ist
vor allem bei der Photovoltaik bedauerlich. Wie schaffen
Sie es, Herr Trittin, vor diesem Hintergrund von einer erfolgreichen Fortführung Ihrer Politik zu sprechen? Erfolgreich ist ja noch nicht einmal die Zusammenarbeit
mit Ihrer eigenen Koalition, allen voran mit Superminister Clement.
Eine sichere, nachhaltige, umweltschonende und somit auch langfristig zukunftsfähige Energieversorgung
wird nur mit einem Energiemix aus herkömmlichen und
regenerativen Energien möglich sein.
({5})
Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss immer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden,
nicht nur unter ideologischen. Dabei sind Ökologie und
Ökonomie gut miteinander vereinbar. Nehmen Sie zum
Beispiel die Photovoltaik: Die Kosten für die Produktion von Photovoltaikanlagen sind gesunken - das ist
sehr erfreulich.
({6})
Deshalb möchte ich heute nicht nur kritisieren, sondern auch ausdrücklich dafür danken, wie Sie, Herr
Trittin, und Ihre Kabinettskollegen Deutschland offen
und ungeniert zeigen, wie verfahren und zerstritten die
Regierungspolitik ist. Das nennt man Ehrlichkeit der Politik.
({7})
Da kommt mir sofort wieder der Energiegipfel mit Bundeskanzler Schröder in den Sinn. Dazu waren Sie ja
nicht eingeladen. Als Reaktion darauf haben Sie kurz
vorher noch Ihre Eckpunkte zu den erneuerbaren Energien vorgelegt. Einzelne Streitereien sind dabei symptomatisch für den Gesamtzustand des Kabinetts Schröder
und zeigen deutlich die Konzeptionslosigkeit. Streiten
Sie nur ruhig weiter. Die Wählerinnen und Wähler werden es Ihnen danken,
({8})
zunächst am 21. September bei den Landtagswahlen in
Bayern und dann bei der nächsten Bundestagswahl.
({9})
Da bin ich mir ganz sicher.
({10})
Wenn Sie aber noch Zeit für die Regierungsarbeit erübrigen können, so möchte ich Ihnen hierzu einige Vorschläge machen. Nehmen wir zum Beispiel die Photovoltaik. Warum wird die Forschung auf diesem Gebiet
nicht wesentlich verstärkt? Warum wird nicht noch mehr
auf den Export unserer deutschen Technik in Länder mit
einer hohen Sonnenintensität gesetzt?
({11})
Ihr Vorschlag, auch Freiflächen in das EEG-Vergütungssystem aufzunehmen, birgt Gefahren. Vor der Versiegelung von Flächen durch Anlagen der Photovoltaik
warne ich. Anlagen an oder auf Gebäuden sind sinnvoll,
da sie weniger Fläche und Aufwand erfordern. Sie stoßen bei der Bevölkerung auf ungleich mehr Akzeptanz
und können zudem als architektonische Elemente gezielt
eingesetzt werden und eine Bereicherung darstellen.
Ich komme nun zum Thema Wasser, meinem heutigen Hauptthema. Die so genannte Große Wasserkraft
Doris Meyer ({12})
soll nach dem vorliegenden EEG-Entwurf erstmalig in
das Gesetz aufgenommen werden. Ich gebe zu bedenken, dass damit lediglich einige wenige große Energieversorgungsunternehmen unterstützt werden. Das erinnert mich sehr stark an die Härtefallregelung, die zum
Wohle einiger weniger Unternehmen in Deutschland ins
EEG eingefügt wurde. Wo blieben die anderen? Die anderen blieben auf der Strecke. Sie war ebenso wie die
geplante erstmalige Aufnahme der Großen Wasserkraft
ein Zugeständnis an einige wenige Unternehmen. Ich befürchte, dass dies zulasten der Kleinen geschieht.
Zur Kleinen Wasserkraft ist zunächst einmal anzumerken, dass die Bezeichnung als „klein“ nicht automatisch zur Diskriminierung führen darf. Es geht um eine
zumeist mittelständische Energiesparte, in der bis zu
5 Megawatt erreicht werden. Herr Trittin, Mittelstand
war aber noch nie Ihr Thema.
({13})
Durch den Entwurf zum EEG in der vorliegenden
Form wird die Kleine Wasserkraft erheblich eingeschränkt. Ein vernünftiger Grund für die restriktive und
nachteilige Behandlung ist mir nicht ersichtlich.
({14})
Die Große Wasserkraft ab 5 MW wird von diesen gesetzlichen Einschränkungen nicht betroffen. Das ist ein
weiteres Zugeständnis an große Energieversorger. Die
Technik der Anlagen der Kleinen Wasserkraft ist ausgereizt. Die Preise für diese Anlagen können nicht mehr
gesenkt werden.
In der Begründung zum Entwurf wird angeführt, es
sei nur noch zu geringen Zuwächsen gekommen, das Potenzial sei erschöpft. In dieser Begründung verschweigen Sie, dass ein wesentlicher Grund für den zögerlichen
Zubau oder die Wiederinbetriebnahme von Anlagen anderswo liegt. Der Grund dafür liegt nämlich in der restriktiven Genehmigungspraxis.
({15})
- Auch in anderen Bundesländern. - Die nationale Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie stellt für die Anlagenbetreiber ebenfalls ein Problem dar. Zahlreiche zusätzliche Vorgaben müssen beachtet werden.
({16})
Somit ist der zögerliche Zuwachs lediglich Ausfluss der
rechtlichen und tatsächlichen Hürden bei der Planung
und Genehmigung solcher Anlagen.
({17})
- Für Nordrhein-Westfalen gilt dies auch; erkundigen
Sie sich.
In der Begründung zum EEG-Entwurf wird anders argumentiert. Danach könne wegen des fehlenden Zuwachses die Vergütung eingeschränkt werden. Dies ist
aber schlicht falsch. Es widerspricht auch der Gesetzessystematik. Im Rahmen des EEG und der Zielsetzung,
die mit ihm verfolgt wird, ist es völlig unerheblich, ob
ein Potenzial erschöpft ist. Sollte kein Zuwachs mehr
möglich sein, wird auch kein neues Kraftwerk mehr gebaut werden. Solange aber gebaut werden kann, gelten
für die Anlage das EEG und die in ihm enthaltenen Vergütungssätze. Daneben kann sie am Netzzugang teilnehmen. Damit wird das Ziel, das mit dem Gesetz verfolgt
wird, erreicht.
Die Diskriminierung der Kraftwerke ab dem
31. Dezember 2005, wonach Anlagen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in den Anwendungsbereich
des EEG fallen, ist rechtlich nicht haltbar. Mit diesen
Forderungen in dem vorliegenden Entwurf übertreffen
Sie die Regelungen des Wasserhaushaltsrechts und des
Naturschutzrechts. Damit würde das Gesetz zustimmungspflichtig. Ich möchte nur zu bedenken geben, dass
die Belange und Interessen der Bundesländer vielfältig
und höchst unterschiedlich sind. Ich bitte Sie, auf diese
Einschränkungen zu verzichten.
Nach übereinstimmenden Aussagen von Sachverständigen haben die Wasserkraftanlagen ökologisch wertvolle Funktionen. Die Wasserkraftnutzung bietet und
realisiert enorme Chancen. Sie hält Wasser in der Landschaft, hilft, den Ausstoß von CO2 zu vermeiden, und
kann eine Befeuchtung der Landschaft, vor allem auch
in Trockenzeiten, vorhalten.
({18})
Auch im Sinne des Hochwasserschutzes haben die Wasserkraftanlagen eine regulierende Funktion.
Die Benachteiligung der Kleinwasserkraftanlagen ist
ungerechtfertigt und unzulässig. Die zeitliche Verzögerung durch die Zustimmungspflicht würde den Zeitplan
wohl noch weiter durcheinander bringen.
({19})
Es ist mit einer Verzögerung bis etwa Mitte Mai 2004 zu
rechnen.
({20})
Für die hohen Energiepreise wird allzu häufig das
EEG verantwortlich gemacht. Doch scheint schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein, dass der Kern des
Preisanstiegs die Ökosteuer ist. Diese Steuer hat mit Öko
aber nur so viel gemeinsam wie Herr Trittin mit Herrn
Clement.
({21})
Fehlende energiepolitische Konzepte, Streit in der Regierung, nicht eingehaltene Zeitpläne, Verunsicherung
bei den Menschen in Deutschland - nicht nur im Umweltbereich -, all dies bietet uns die Regierung Schröder.
Ich appelliere an Sie, Herr Trittin, als Vertreter der Bundesregierung: Sorgen Sie für ein auch mit Clement abgestimmtes und stimmiges Energiekonzept! Geben Sie
Doris Meyer ({22})
nicht nur uns, sondern auch der Wirtschaft mit einem
Konzept ein Stück Planungssicherheit für die Zukunft!
Geben Sie den Menschen in Deutschland eine Orientierung, wohin die Reise in der Energieversorgung gehen
soll! Sorgen Sie für einen zukunftsfähigen Haushalt!
Danke schön.
({23})
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich für politische Debatten interessiert, wird
mir in einem Punkt leicht zustimmen können: Es ist immer wieder spannend, vor allem die Rednerinnen und
Redner der CDU/CSU bei Debatten über die Umweltpolitik zu beobachten. Es wird schnell klar, dass sie nicht
dürfen, was sie wollen. Sie wollen durchaus mehr Umweltschutz, aber sie dürfen nicht.
({0})
Deswegen haben sie eine interessante Strategie entwickelt: Sie fordern von der Regierung und den Koalitionsfraktionen immer mehr Umweltschutzinitiativen,
({1})
um sie danach im Parlament ablehnen zu können. Ich
weiß nicht, wie lange sie das noch durchhalten wollen.
({2})
Dabei sollten wir uns doch im Bundestag darüber
einig sein, dass sich die Rolle von Umweltpolitik und die
Art, wie man Umweltpolitik machen muss, in den letzten
Jahren zunehmend verändert hat. Es geht nicht mehr um
den „Schadstoff der Woche“, weil man beim Filtern, Abdichten und Entsorgen seit den 70er-Jahren durchaus beachtliche Erfolge erreicht hat, und zwar zweifellos und
für jeden zu bemerken. Aber diese Art von Umweltpolitik ist hinsichtlich der Kosten und der Bürokratie an
Grenzen gestoßen. Deswegen müssen wir heute eine andere und modernere Umweltpolitik machen, indem wir
Richtlinien setzen, die Produktverantwortung erhöhen
und Innovationen gezielt fördern. Das war gerade schon
bei den erneuerbaren Energien ein Thema.
Ein gutes Beispiel für solche neuen Herausforderungen ist der Klimaschutz. Klimaveränderungen kommen
sehr langsam und unmerklich, aber eben immer schneller. Sie sind nur mit Verzögerungen aufzuhalten oder abzumildern. Natürlich lösen nationale Alleingänge das
Problem nicht. Aber das ist kein Grund, so wie die Opposition in Deutschland untätig und ideenlos zu bleiben,
weil man dieses Problem mit nationalen Alleingängen
nicht lösen kann. Für die Treibhausgase wird es in der
Praxis keine Filter geben. Produkte und Produktionsweisen müssen angepasst werden. Das Verhalten und die
Zielsetzungen müssen sich ändern.
Man muss sich einmal die Temperaturen im letzten
Monat anschauen. Die Durchschnittstemperatur im
August 2003 lag um etwa 4 Grad über dem langjährigen
Mittel. Wer den Wissenschaftlern zuhört, weiß, dass es
einen Anstieg der Durchschnittstemperaturen von bis zu
5 oder 6 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts geben kann.
4 Grad mehr haben schon zu Hitzetoten, Dürre und Teilabschaltungen von Großkraftwerken geführt. Jetzt müssen wir sogar von einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen um 5 oder 6 Grad ausgehen. Da können heiße
Jahre noch einmal verstärkend wirken. Wer an dieser
Stelle Klimaschutz zum Luxus erklären will, hat entweder keinen Verstand oder keinen Anstand.
({3})
In kaum einem anderen Politikfeld sind die Unterschiede zwischen Koalition und Opposition so groß wie
beim Klimaschutz. Auf der einen Seite ist die Koalition
- mit nachweisbar mutigen Initiativen und belegbaren
Erfolgen, die in anderen Ländern als vorbildlich dargestellt werden. - Herr Paziorek, Sie kommen doch viel in
anderen Ländern herum.
({4})
Andere Länder wollen unseren Beispielen folgen. Deren
Umweltinitiativen fordern Deutschland auf, auf der
nächsten Konferenz weitere Initiativen vorzustellen,
weil sie hoffen, dass andere Länder folgen.
({5})
Auf der anderen Seite ist die Opposition, die zwar
noch die Notwendigkeit von Klimaschutz in Sonntagsreden betont, aber weder politische noch wirtschaftliche
Anstrengungen dafür unternehmen will.
({6})
Es ist eine Opposition, die regelmäßig gegen wichtige
Initiativen für den Klimaschutz stimmt, sei es gegen das
Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Energieeinsparverordnung, die Kraft-Wärme-Kopplung, den nationalen
Klimaaktionsplan oder auch gegen die Ökosteuer. Daran
muss man immer wieder erinnern.
Die CDU/CSU hat wenigstens bei einigen Punkten
mitgestimmt. Die FDP allerdings hat gegen jede einzelne Klimaschutzinitiative der letzten fünf Jahre im
Deutschen Bundestag gestimmt.
Die Opposition präsentiert zu unseren Initiativen immer nur nutzlose Gegenmodelle. Ich nenne als Beispiel
das Ausschreibungsmodell für erneuerbare Energien.
Schauen Sie sich doch Ihr wettbewerbliches Modell an,
Frau Homburger!
({7})
Es gibt Länder, die das machen, allerdings mit einem
Bruchteil der deutschen Erfolge bei den erneuerbaren
Energien und einem Mehrfachen an Kosten. Schauen Sie
sich doch einige unserer europäischen Nachbarländer
an!
({8})
Dort ist der Vergütungspreis für Windenergie doppelt so
hoch wie in Deutschland - und das bei Anwendung eines
angeblich marktwirtschaftlichen Instrumentes. Informieren Sie sich doch einmal, was erfolgreiche Modelle sind,
und schließen Sie sich diesen an! Stellen Sie nicht immer
extra einen Antrag, um zu beweisen, dass die FDP noch
existiert!
({9})
Ich möchte eine Ausnahme bei der Kritik an der Klimapolitik der Opposition machen. Bei internationalen
Konferenzen treten wir geschlossen auf. Das ist gut so.
Umso unverständlicher finde ich es, dass wir uns auf nationaler Ebene über diese Frage so streiten.
Dabei gibt es doch in den Reihen der CDU/CSU und
der FDP längst Menschen, die diese Notwendigkeit eingesehen haben. Ich rede nicht nur von Herrn Töpfer,
sondern auch von Herrn Ramsauer und Frau Meyer von
der CDU/CSU, zumindest was die Wasserkraft betrifft.
Bei der FDP gibt es solche Menschen auch. Die bayerische FDP fordert im Landtagswahlkampf, den CO2Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Willkommen im Club! Vielleicht kommt die Bundes-FDP
auch einmal auf den Trichter.
({10})
Ein weiteres Beispiel für Unterschiede in der Umweltpolitik ist der Naturschutz. Auch das ist eigentlich
ein mögliches Feld für Gemeinsamkeiten. Schließlich
gehören viele engagierte Naturschützerinnen und Naturschützer der konservativen Klientel an. Aber die CDU/
CSU reduziert den Naturschutz auf möglichst viele zusätzliche Subventionen für die Landwirtschaft und tarnt
das als angeblichen Vertragsnaturschutz.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Vertragsnaturschutz bedeutet, Landwirte dafür zu bezahlen, dass sie zusätzliche, gesellschaftlich gewünschte
Aufgaben übernehmen, sie aber nicht dafür zu bezahlen,
dass sie sich korrekt verhalten.
({12})
Was soll das, was Sie hier fordern, noch mit Umweltschutz zu tun haben?
({13})
Im Naturschutz müssen wir uns endlich gemeinsam
um ein weiteres Hauptthema kümmern, nämlich um den
Flächenfraß, um die Versiegelung des Landes. 129 Hektar verschwinden pro Tag nach Angaben des Umweltbundesamtes unter Steinen und Asphalt.
({14})
Das heißt, betroffen ist die dreifache Fläche der Stadt
Bonn; um eine kleine Anleihe an meine Heimatstadt zu
machen. Wir müssen über neue Wege nachdenken.
({15})
Wir müssen die Zubetonierung der Heimat stoppen. Die
Verpflichtung zu den Ausgleichsmaßnahmen - auch das
muss man erkennen - hat es allein nicht gebracht. Wäre
es nicht gerechtfertigt, Effizienzvorgaben zu machen,
also als Genehmigungskriterium die Minimierung von
Flächenverbrauch einzuführen?
({16})
Kann man nicht angesichts einer in Zukunft schrumpfenden Bevölkerung bei Bauvorhaben eine Entsiegelung in
gleicher Größenordnung verlangen? Kann es nicht eine
Versiegelungsabgabe geben, die von Jahr zu Jahr steigt
und deren Ertrag dazu verwendet wird, eine Entsiegelung an anderer Stelle zu finanzieren? Das sind die Modelle, über die wir jetzt nachdenken müssen.
({17})
Als drittes Feld will ich die additive Wirkung von
Umweltbelastungen gerade auf den Menschen und
exemplarisch die Wirkung überall vorkommender kleiner
Mengen an Chemikalien nennen. Die rapide Zunahme
der Zahl an Allergien bei unseren Kindern muss doch
nachdenklich machen. Die Verdoppelung bzw. Verdreifachung der Zahlen in den fünf neuen Ländern nach der
Wiedervereinigung macht das deutlich. Dieser Anstieg
hat nichts mit der verbesserten medizinischen Beobachtung zu tun. Vielmehr ist er Ausdruck der Vielzahl neuer
Chemikalien, denen die Menschen ausgesetzt sind.
Ist es denn wirklich ein Fortschritt, wenn unsere Textilien jedes Jahr ein Dutzend neue Chemikalien enthalten?
({18})
Worin besteht der Fortschritt, wenn in Wachsmalstiften
und Kindergummistiefeln problematische Stoffe enthalten sind? Was haben diese Stoffe eigentlich darin zu suchen? Schließlich gibt es fast immer preisgünstige Alternativen.
Wir müssen einsehen, dass die herkömmliche Gesetzgebung in diesem Bereich an ihre Grenzen stößt. Wir
können nicht die Wirkung jeden Stoffes verfolgen. Ein
Parlament kann die Reaktion von Dutzenden solcher
Stoffe nicht abschätzen.
({19})
Warum ersetzen wir einen Teil der Vorschriften in diesem Bereich nicht durch ein strengeres und klareres Haftungsrecht?
({20})
Vielleicht wird dann die eine oder andere Firma bereit
sein, 10 Cent mehr für die Produktion einer Packung
Wachsmalstifte auszugeben, weil sie die hohen Kosten
im Falle einer möglichen Haftung für die Wirkung der
bisher verwendeten Inhaltsstoffe fürchtet.
({21})
Umweltschutz mag zwar heute nicht mehr das
Topthema in den Nachrichten sein, aber die Aufgaben
sind deshalb nicht weniger geworden.
({22})
Deswegen würde ich mich durchaus freuen, wenn die
Opposition mit aufs Tempo drücken würde,
({23})
statt immer wieder zu bremsen. Wir zumindest haben
uns vorgenommen, auch weiterhin in der Umweltpolitik
Gas zu geben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz.
Das Wort hat zunächst die Bundesministerin Brigitte
Zypries. - Es wäre schön, wenn unvermeidliche Platzwechsel zügig erfolgen könnten. - Bitte schön, Frau Ministerin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht erst seit dem Eintreten der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte ist immer wieder von der
knappen Ressource Recht die Rede. Die Kapazitäten der
Justiz gelten als knapp. Insbesondere für die Recht suchenden Bürgerinnen und Bürger ist das Recht ein kostbares Gut.
Unsere Gesellschaft schätzt den Rechtsfrieden, den
gute Gesetze sowie leistungsfähige Verwaltungen und
Gerichte vermitteln. Die Justiz in unserem Land hat ein
hohes Ansehen. Nicht zuletzt das besondere Ansehen
des Bundesverfassungsgerichts zeugt davon.
Zu den Kernaufgaben des Staates gehört es, die Justizgewährung zu garantieren und die richtigen Rahmenbedingungen für die Pflege und Fortentwicklung des
Rechts zu schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger haben
sogar einen verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch.
Daraus folgen zwei Verpflichtungen des Staates. Erstens muss er unabhängige und funktionierende Gerichte
zur Verfügung stellen, die Rechtsstreite in angemessener
Zeit entscheiden. Zweitens muss er allen den Zugang zu
den Gerichten ermöglichen. Die Rechtsgewährung gilt
auch für diejenigen, die nicht ohne weiteres dafür zahlen
können.
Aus dieser Verpflichtung und auch Errungenschaft
unseres Rechtsstaates erwächst für uns die Verantwortung, mit dem Justizhaushalt nicht nach der Rasenmähermethode umzugehen. Ich möchte mich bei allen
Haushaltsberichterstattern recht herzlich dafür bedanken, dass sie das bei dem vorliegenden Haushaltsentwurf
genauso gesehen haben und bei der Erstellung des Justizhaushalts entsprechend verfahren sind.
({0})
Die von mir skizzierten Rechte bedeuten aber keinen
Freibrief für die Justiz, mit den Mitteln nach eigenem
Gutdünken zu verfahren. Auch die Justiz ist gefordert,
Mittel einzusparen sowie die vorhandenen Mittel zusammenzuhalten und sie effektiver einzusetzen.
Dass das Justizministerium kostenbewusst vorgeht,
zeigt die Refinanzierungsquote des Haushalts. Der Justizhaushalt hat eine Deckungsquote von deutlich mehr
als 90 Prozent und liegt damit weit über allen anderen
Ressorts. Trotz allem werden wir auch 2004 wieder einen Einsparbeitrag von 6,7 Millionen Euro erwirtschaften. Das sind immerhin fast 2 Prozent des Volumens des
Haushalts. Das ist für einen Haushalt, mit dem überwiegend Personalkosten gedeckt werden müssen, kein Pappenstiel.
Unabhängig von der Einnahmeseite muss auch die
Ausgabeseite betrachtet werden. Wir müssen im Hinblick sowohl auf den Bundeshaushalt als auch auf die
Haushalte der Länder - mit ihnen sollten wir hier zusammenarbeiten; denn sie sind ja in einer ähnlichen Situation wie wir - die Justiz modernisieren, und zwar in drei
Stufen: Erstens. Wir müssen die Abläufe innerhalb der
Justiz vereinfachen. Zweitens. Wir müssen prüfen, welche Aufgaben innerhalb der Justiz übertragen werden
können, zum Beispiel von Richtern auf Rechtspfleger
oder auf andere Mitarbeiter des Justizdienstes. Drittens.
Wir müssen auch prüfen, inwieweit Privatisierungen von
Aufgaben möglich sind.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Vereinfachung von Abläufen kurz auf den von uns vorgelegten
Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes eingehen.
Mit diesem Gesetz wollen wir weniger dem Bund als
vielmehr den Ländern die Möglichkeit geben, die Verfahren zu vereinfachen bzw. - so habe ich es bereits an
einer anderen Stelle formuliert - viele kleine Sandkörner
aus dem Getriebe der Justiz zu entfernen und stattdessen
Öl hineinzugießen. Wir wollen Vereinfachung, ohne die
Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in irgendeiner Form zu
beeinträchtigen. Derzeit müssen beispielsweise im Zivilprozess Beweise oft ein zweites Mal erhoben werden,
obwohl es in gleicher Sache bereits einen Strafprozess
gegeben hat, in dem Zeugen vernommen, Gutachten eingeholt und die Beweise eingehend gewürdigt wurden.
Wir wollen deshalb den Beweiswert eines rechtskräftigen Urteils in einem Strafprozess erhöhen: Das Zivilgericht soll in gleicher Sache an das Urteil in einem Strafprozess gebunden sein. Selbstverständlich soll der
Gegenbeweis zulässig sein. Wir meinen, dass wir damit
sowohl die Rechtsposition des Opfers stärken als auch
den Zivilprozess effizienter machen werden.
Ein weiteres Beispiel für eine Vereinfachung der Abläufe ist der elektronische Rechtsverkehr. Sie wissen,
dass hier bereits etliche Modellprojekte laufen. Ab dem
15. Oktober dieses Jahres können nun auch verfahrensrelevante Erklärungen in Verfahren des gewerblichen
Rechtsschutzes sowohl beim Bundesgerichtshof als auch
beim Bundespatentgericht und beim DPMA rechtswirksam als elektronische Dokumente eingereicht werden.
Vorschläge zur Übertragung von Aufgaben haben wir
auch in unserem Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes gemacht. Wir schlagen vor, beim Erbschein und
beim Handelsregister Aufgaben auf Rechtspfleger zu
übertragen, um insbesondere den Ländern mehr Spielraum zu geben.
Privatisierungen im Rahmen der Justiz sind schwierig. Ich bin zwar stets dafür, dass sich der Staat überall
dort zurückhält, wo gesellschaftliches Engagement zu
gleichen oder besseren Ergebnissen führt. Der moderne
Staat ist nicht dann stark, wenn er alles selbst macht. Er
ist es vor allen Dingen dann, wenn er Wirtschaft und Gesellschaft stark macht, aber eben nur dort, wo es möglich
und besser ist. Deshalb muss man mit Privatisierungen
im Justizbereich besonders vorsichtig umgehen.
({1})
Die Privatisierung des Strafvollzugs oder der Gerichtsvollzieher ist nicht das, was wir unbedingt brauchen. Insbesondere hier gilt es, der Privatisierungshysterie entgegenzutreten, die im Übrigen oft damit endet, dass die
Gewinne privatisiert werden, dass aber die Verluste bzw.
die Kosten für die Aufsicht über die privaten Unternehmen der Steuerzahler trägt. Das können wir nicht wollen.
({2})
Die Justiz braucht die staatliche Autorität, die für die
Schaffung des Rechtsfriedens erforderlich ist, und sie
braucht dort, wo sie in die Rechte der Menschen eingreift, feste rechtsstaatliche Bindungen.
Ich habe eingangs gesagt: Der verfassungsrechtlich
garantierte Justizgewährungsanspruch umfasst nicht nur
den Zugang zu den Gerichten an sich. Die Gerichte müssen vielmehr auch in der Lage sein, in angemessener
Zeit ihre Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind die
obersten Gerichte des Bundes schon seit Jahren von der
linearen Stelleneinsparung ausgenommen. Wir hatten
aber nicht alle notwendigen Mittel für die Stellen eingestellt. Ich danke Ihnen, dass Sie das in diesem Haushalt
nachgeholt haben. Dem BGH sind bereits 2003 zusätzlich 2 Millionen Euro bereitgestellt worden. 2004 erhält
er weitere 1,4 Millionen Euro für Personalausgaben.
Dem Bundesfinanzhof stehen sogar zusätzlich 1,6 Millionen Euro zur Verfügung.
Ich nehme an, dass sich die Situation beim Bundesgerichtshof, die durch zusätzliche Arbeitsbelastung gekennzeichnet ist - das hat nichts mit den Etaterhöhungen
zu tun -, in Kürze entspannen wird. Sie wissen, dass es
eine erhöhte Arbeitsbelastung durch die ZPO-Reform
vor allem in den Bereichen des Miet-, des Kosten- und
des Insolvenzrechts gibt. Wir haben aber die schöne Beobachtung zu machen, dass der BGH gerade in Mietsachen mehrere Grundsatzentscheidungen gefällt hat, die
sich sozusagen nach unten durchdeklinieren und somit
auch bei den Instanzgerichten zu Arbeitsvereinfachungen führen werden. Das ist ebenfalls ein Beitrag des
Bundes zur Justizgewährung in den Ländern, damit auch
dort die schwierige Ressource Recht gehandhabt werden
kann.
Der Zugang zu den Gerichten muss bezahlbar sein.
Außerdem muss die Rechtspflege so ausgestattet sein,
dass sie ordnungsgemäß funktioniert. Beide Gesichtspunkte haben wir bei der grundlegenden Reform des
Kostenrechts, die wir in Kürze auf den Weg bringen werden, berücksichtigt. Ich möchte mich an dieser Stelle
ganz herzlich bei der Opposition, namentlich bei Ihnen,
Herr Dr. Röttgen, für die gemeinsame Erörterung und
für die Zusage, dass der Entwurf mit Ihrer Zustimmung
durch die parlamentarischen Gremien getragen wird, bedanken.
({3})
- Ich habe das gesagt, damit das einmal im Protokoll
festgehalten wird.
Zum 1. Juli 2004 wollen wir die Regelungen für die
Gerichtskosten ebenso wie die Entschädigung für Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter neu
gestalten. Wir wollen die in Teilen über 120 Jahre alte
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung durch ein neues
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ersetzen.
({4})
Unser gemeinsames Ziel ist es, das Kosten- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter zu machen. Wir
wollen die Gerichte auch dadurch entlasten, dass wir die
Vergütung des Anwalts im vorgerichtlichen Verfahren
verbessern. Dadurch soll der Anreiz geschaffen werden,
nicht zu Gericht zu gehen.
Wir werden den Ostabschlag auf Gebühren und Entschädigungssätze in Höhe von 10 Prozent abschaffen.
Das ist ein weiterer Beitrag zur Schaffung gleichwertiger
Lebensverhältnisse in den östlichen und westlichen Bundesländern.
Ich meine, dass es gerechtfertigt ist, die seit über zehn
Jahren ausstehende Erhöhung der Anwaltsgebühren endlich anzugehen. Wir sehen vor, dass die Anwälte pro
Jahr eine Erhöhung um etwa 1,4 Prozent erhalten. Das
ist kein besonders hoher Einkommenszuwachs, wenn
man bedenkt, dass er in der gewerblichen Wirtschaft ansonsten bei jährlich durchschnittlich 2,6 Prozent lag. Wir
müssen berücksichtigen, dass Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte sehr häufig auch Arbeitgeber sind, denen
dadurch höhere Lohnkosten, höhere Mietkosten und höhere Bürokosten entstehen. Ich bin der Auffassung, dass
die Erhöhung, auf die wir uns verständigt haben, sehr
moderat ist. Ich hoffe sehr, dass die Anwaltschaft bei ihren bisherigen relativ positiven Aussagen bleibt.
Um das Ziel, die Anzahl der Verfahren bei den Gerichten zurückzuschrauben, setzen wir zum einen auf die
vorhin erwähnten vorgerichtlichen Streitentscheidungen.
Zum anderen haben wir festgestellt, dass durch die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern für
ihre Kinder im Scheidungsfall ein deutlicher Rückgang
der Zahl an familiengerichtlichen Streitigkeiten zu verzeichnen ist. Das heißt, dass man auch das materielle
Recht danach durchforsten muss, wo man Hilfestellungen geben kann.
({5})
Dazu gehört auch die Arbeit des Deutschen Patentund Markenamtes, die an dieser Stelle schon mehrfach
gewürdigt wurde. Sie wissen, dass wir das so genannte
Stauabbauprogramm auf den Weg gebracht haben, weil
die Anzahl der Prüfer bis 1997 kontinuierlich verringert
wurde und weil wir festgestellt haben, dass die enormen
Rückstände im Sinne der Interessen der deutschen Industrie und Patentanmelder dringend aufgearbeitet werden mussten.
In diesem Haushaltsgesetzentwurf ist die letztmalige
Schaffung von 60 zusätzlichen Stellen für Patentprüfer
vorgesehen. Wir sind zuversichtlich, dass wir es schaffen, innerhalb kurzer Zeit gerichtsfeste, belastbare und
vernünftige Bescheide zu erlassen, um so den notwendigen Rechtsrahmen für die Wirtschaft zu setzen.
({6})
Last, but not least ist dazu zu sagen, dass damit natürlich auch eine Steigerung des Gebührenaufkommens des
Bundes verbunden ist: Im Jahre 2004 werden wir durch
die verbesserte Erledigung beim DPMA - prognostisch - 12 Millionen Euro mehr einnehmen als in den
Jahren zuvor.
Zum Bereich der Justiz kann man am heutigen Tage
keine Rede halten, ohne an den schrecklichen Terroranschlag von vor zwei Jahren in New York zu erinnern.
Wir haben heute Morgen im Bundestag eine allgemeine
Gedenkminute dazu abgehalten. Dieses Attentat hat uns
nicht zuletzt gezeigt, dass der Justizgewährungsanspruch
nicht mehr nur national ist, sondern dass internationale
Verpflichtungen bestehen, gemeinsam gegen Terroristen
vorzugehen und die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus abzustimmen.
Wir in Deutschland haben unseren Beitrag dazu geleistet: § 129 b StGB wurde eingeführt. Mit dem Rahmenbeschluss Terrorismus und dem europäischen Haftbefehl
({7})
haben wir weitere wichtige gesetzgeberische Voraussetzungen geschaffen, um dem internationalen Terrorismus
in Zukunft besser begegnen zu können.
Wir haben in Deutschland das weltweit einzige Verfahren gegen einen Täter des 11. September - mit einer
Verurteilung - abgeschlossen. Ein weiteres Verfahren
befindet sich in der Hauptverhandlung. Ich würde mir
wünschen, dass auch andere Nationen den Weg der
rechtsstaatlichen Anklage konsequent umsetzen.
({8})
Zudem sind wir das Land - lassen Sie mich das an
dieser Stelle auch einmal erwähnen -, das das weltweit
dichteste Angebot in Sachen Rechtshilfe hat, sowohl
was die Ersuchen als auch was das Antworten bei
Rechtshilfeverfahren anbelangt. Wir haben auch insoweit mit den USA nach dem 11. September sehr gut zusammengearbeitet und ein Rechtshilfeabkommen ausgehandelt, das wir im nächsten Monat unterzeichnen
können.
Wir haben also allen Anlass, auch für den Bereich der
Justiz sagen zu können: Wir haben unseren Beitrag zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus geleistet.
Ich habe eingangs von der knappen Ressource Recht
gesprochen. Sie gilt es zu bewahren, und zwar, wie ich
meine, mit intelligenten und effizienten Mitteln. Ich
denke, dass der Haushalt, der hier heute eingebracht
wird, ein wichtiger Beitrag dazu ist.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Dr. Wolfgang Götzer, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Die Haushaltsdebatte ist immer ein Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen, in diesem Fall über knapp ein
Jahr rot-grüne Rechtspolitik. Liebe Frau Ministerin,
auch wenn ich Sie persönlich schätze und wir alle den
im Vergleich zu Ihrer Vorgängerin neuen Umgangsstil
anerkennen, kann ich Ihnen nicht ersparen, dass ich
diese Bilanz als sehr mager bezeichnen muss. Unter Ihrer Vorgängerin herrschte bisweilen hektisch aufkommender Aktionismus. Davon kann jetzt wahrlich keine
Rede sein.
Die Koalitionsvereinbarung ist bis jetzt größtenteils
nicht umgesetzt worden und wenn doch, dann sehr dürftig.
({0})
Es gibt viele Ankündigungen und wenig Taten.
Liebe Frau Zypries, wir entdecken bei Ihnen zwar einige begrüßenswerte Ansätze. Ihr Problem ist aber: Sie
können sich nicht durchsetzen, weder gegenüber der
SPD-Fraktion noch gegenüber dem Koalitionspartner.
Dazu kommt die Uneinigkeit innerhalb der Koalition.
Die Leidtragenden sind die rechtsuchenden und rechtstreuen Bürger sowie die Opfer von Straftaten.
Ich möchte ausdrücklich positiv erwähnen: Während
Ihre Vorgängerin doch deutlich von Ideologie umgetrieben war, können wir sehr sachbezogen und ideologiefrei
miteinander diskutieren.
Das kann man von den Vertretern der Koalitionsfraktionen im Rechtsausschuss nicht immer behaupten.
({1})
Wir erleben dort nach wie vor und immer wieder, dass
die Mehrheitskarte gespielt wird, wenn Argumente ausgehen, wenn eine Initiative der Union abgeblockt, verzögert bzw. abgewürgt werden soll oder wenn Sie Ihre eigenen Vorhaben durchpeitschen wollen. Immer wieder
gibt es Fälle von ideologischer Schlagseite.
Ich spreche in diesem Zusammenhang noch einmal
das traurige Beispiel des Entschädigungsfonds für Opfer
rechtsextremer Gewalt an, bei dem Sie sich ausdrücklich
geweigert haben, Entschädigungsleistungen auch für
Opfer linksextremistischer Gewalt zur Verfügung zu
stellen. Das ist an Schlagseite, an ideologischer Einseitigkeit, wirklich nicht zu überbieten.
({2})
- Herr Kollege Montag, es wundert einen nicht, wenn
man sieht, dass der Verfassungsschutz im SPD-geführten
Nordrhein-Westfalen mit Linksradikalen zusammenarbeitet.
({3})
- Ja, Sie wissen es genau. Das ist auch hier schon zur
Sprache gekommen.
Was ist seitens Rot-Grün bisher gelaufen? Was ist bisher wirklich in trockenen Tüchern? Zu nennen ist die
Novelle des Urheberrechts - mit unserer Zustimmung
verabschiedet. Das war aber erst der eigentlich weniger
problematische Teil.
({4})
Der wirklich problematische Teil kommt erst noch.
Die Novelle zum Sexualstrafrecht ist beschlossen.
Aber wie? Ein Trauerspiel! Die Kernpunkte sind bis
heute nicht umgesetzt, sind nicht Gesetz geworden.
({5})
Unsere Forderung, den Kindesmissbrauch generell vom
„Vergehen“ zum „Verbrechen“ hochzustufen, ist im Gesetz nicht verwirklicht. Das wäre aber gerade als Signal
so wichtig gewesen.
({6})
Sie haben sich dem verweigert. Stattdessen gab es eine
peinliche Panne. Kindesmissbrauch als Wiederholungstat war im Entwurf zunächst sogar zum Vergehen heruntergestuft.
({7})
- Oh! Sie wollten das? Danke, Kollege Stünker. Im Protokoll steht jetzt - das ist gut -, dass das keine Panne,
sondern Ihre Absicht war.
({8})
- Warum haben Sie es dann bei der Schlussdebatte im
Rechtsausschuss korrigiert, sozusagen gerade noch in
letzter Sekunde?
({9})
Was die DNA-Analyse angeht, haben Sie bei weitem
nicht das gemacht, was notwendig wäre. Wir erleben
doch jetzt ständig, welche großen Erfolge wir bei Fällen
verzeichnen können, die jahre- und jahrzehntelang nicht
aufgeklärt werden konnten. Dank der DNA-Analyse
können sie jetzt aufgeklärt werden. Hier wäre eine Ausweitung auf sozusagen Schwerkriminelle in spe notwendig gewesen.
({10})
Auch die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, so wie wir sie verlangt haben, ist im
Gesetz nicht verwirklicht.
({11})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, Menschenleben, Kinderleben hätten gerettet
werden können, wenn die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, so wie wir sie gefordert haben, auf Bundesebene Gesetz geworden wäre.
({12})
Was die Anzeigepflicht angeht, eines Ihrer wichtigsten Anliegen, Frau Ministerin, sind Sie total eingebrochen. Ihre Devise „Hinschauen und nicht wegschauen“
teilen wir voll, aber so konnte es nicht gehen. Deshalb ist
dieses Desaster zu Recht erfolgt.
Das war dann eigentlich auch schon die Antwort auf
die Frage, was so über die Bühne gegangen ist;
({13})
denn was zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses
zur Terrorismusbekämpfung beschlossen wurde - das
muss man gerade heute am Jahrestag des 11. September
sagen -, verdient keine besondere Erwähnung.
({14})
Nichts geschehen ist bisher zum Thema Graffiti. Seit
Jahren gibt es Vorstöße und Gesetzentwürfe der Union
im Bundestag - über den Bundesrat - und jahrelang wurden diese Vorstöße von den Alt-68ern in Ihren Reihen
blockiert.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des
({15})
- Ich weiß, es sind nicht alle Alt-68er. Es gilt nicht der
Satz: Einmal 68er, immer 68er. Der Beweis sitzt auf der
Regierungsbank. Dort sitzen welche, die mittlerweile
ganz gewichtige Vertreter des einst so bekämpften Establishments sind.
({16})
Also: Man muss das sehr differenziert sehen. Es gibt natürlich auch den Kollegen Ströbele, der da immer noch
an vorderster Front steht.
({17})
Nun habe ich gehört, Frau Zypries, dass Sie sich im
Sommer in dem Sinne geäußert haben, Sie sähen Handlungsbedarf.
({18})
Wir freuen uns sehr darüber und hoffen, dass es bald zu
einer Regelung kommt. Bei diesem Thema geht es um
200 bis 250 Millionen Euro Schaden im Jahr bundesweit, aber insbesondere hier in Berlin. Herr Ströbele, Sie
werden sich damit abfinden müssen, dass Sie bei Ihren
Veteranentreffen in Zukunft andere Geschichten erzählen müssen.
({19})
Thema Opferschutz. Nachdem die Union einen Gesetzentwurf zum Opferschutz eingebracht hat, hat jetzt
auch das BMJ einen Referentenentwurf vorgelegt; jahrelang war ja nichts geschehen. Unser Gesetzentwurf wird
im Ausschuss blockiert. Ein konkreter Anhörungstermin
wird bisher verweigert. Geht man so mit diesem Thema
um? Dabei sind wir uns doch eigentlich einig darüber,
dass Handlungsbedarf besteht, dass wir die Rechte der
Opfer stärken müssen, im Strafverfahren genauso wie im
Zivilverfahren, und dass wir eine Lücke schließen müssen. Wir brauchen nämlich eine Entschädigung für diejenigen Deutschen, die Opfer von Straftaten im Ausland
werden. Da wäre wirklich etwas zu tun.
Schutz der Privatsphäre. Es gibt einen Entwurf der
CDU/CSU-Fraktion.
({20})
Bei der Koalition: Fehlanzeige.
Jugendstrafrecht. Im Koalitionsvertrag steht meines
Wissens, dass eine Überprüfung stattfinden soll. Bis jetzt
kann ich davon nichts erkennen - und das bei steigender
Jugendkriminalität. Unserer Meinung nach muss etwas
getan werden. In Zukunft muss die Verurteilung von Heranwachsenden im Grundsatz nach Erwachsenenstrafrecht erfolgen.
({21})
Auch der Warnschussarrest für jugendliche Wiederholungstäter, den Bayern ins Gespräch gebracht hat, ist bedenkenswert. Über diese Dinge muss man reden, da auch
in dieser Frage angesichts der steigenden Kriminalitätszahlen Handlungsbedarf besteht.
({22})
Werte Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist gerade der
Referentenentwurf zum Sanktionensystem vorgestellt
worden, den wir lange gefordert haben.
({23})
- Herr Kollege Stünker, Sie haben offensichtlich die
diesbezüglichen Debatten nicht mehr im Kopf. - Wenn
man den Entwurf querliest, stellt man fest, dass er so
manche Vorschläge enthält, die die Union in der
14. Wahlperiode im Bundesrat eingebracht hat. Das soll
uns recht sein, wenn es der Sache dient. Wir sind auch in
Zukunft gerne bereit, Ihnen unsere Vorschläge zur Verfügung zu stellen und mit Ihnen da zusammenzuarbeiten,
wo es sinnvoll ist; die Frau Ministerin hat ja das RVG
und das Urheberrecht genannt.
({24})
Nicht mitmachen werden wir bei dem geplanten Antidiskriminierungsgesetz, wenn es so kommen sollte,
wie man hört und liest.
({25})
- Ach so, es kommt noch gar nicht, wie so vieles andere,
Herr Kollege Montag.
({26})
Sie müssen sich langsam einmal einigen, was kommen
soll und was nicht. In diesem Fall ist es zweifellos besser, wenn von Ihrer Seite nichts kommt.
Hier zeigt sich wieder einmal blanke Ideologie. Es
geht hierbei nämlich nicht darum, dass man das Recht
den gesellschaftlichen Verhältnissen anpasst, sondern
hier sollen mithilfe eines Gesetzes die gesellschaftlichen
Verhältnisse geändert werden. Frau Zypries, auch Sie haben das angesprochen und ganz klar so gesehen. Die
Grünen wollen nämlich nicht etwa die EU-Richtlinie
eins zu eins umsetzen - da gibt es ja nun erheblichen
Sprengstoff für Ihre Koalition -, sondern sie wollen eine
allgemeine zivilrechtliche Ausweitung der Nichtdiskriminierungskriterien über die EU-Richtlinie hinaus auf
Religion, Weltanschauung, Geschlecht, Behinderung,
sexuelle Identität und Alter - also ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz. Wir hatten ja schon in der letzten Wahlperiode befürchtet, dass so etwas kommt. Es ist
dann Gott sei Dank nicht dazu gekommen. Wollen Sie
vielleicht auch noch wieder den alten Gedanken der Beweislastumkehr aufnehmen und dann vielleicht das
Ganze auch noch mit dem Instrument der Verbandsklage
bewehren?
({27})
Frau Zypries, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, das hebele die Privatautonomie aus.
({28})
Grundrechtliche Freiheit besteht auch und gerade darin, Unterschiede machen und ungleich behandeln zu
dürfen. - Jetzt hätte ich gedacht, Sie klatschen, denn der
Satz stammt nicht von mir, sondern vom Kollegen
Hartenbach. Da sollten Sie eigentlich zustimmen. Das
Protokoll registriert also: keine Zustimmung für diesen
Satz des Parlamentarischen Staatssekretärs Hartenbach.
({29})
Wir stimmen dem zu. Ich finde, dass der Zivilrechtler
Professor Picker von der Universität Tübingen Recht
hat, wenn er sagt, dass damit der Gebrauch der Meinungsfreiheit unter Strafe gestellt wird. Er spitzt das sehr
stark zu. Aber mit dem, was hier manche planen, wird
Art. 5 des Grundgesetzes meiner Meinung nach wirklich
in unzulässiger Weise eingeschränkt.
Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum
Schluss. - Liebe Frau Zypries, setzen Sie sich bitte in
diesem Punkt gegenüber dem Koalitionspartner durch.
Wir sind der Meinung, dass es ohnehin keinen Umsetzungsbedarf für diese Richtlinie gibt, weil die §§ 134
und 138 BGB ausreichen.
({0})
Ich fasse zusammen: eine äußerst dürftige Bilanz, fast
nichts in die Tat umgesetzt, nur einige Ankündigungen,
große Uneinigkeit in der Koalition und eine Ministerin,
die sich nicht durchsetzen kann. Das bedauern wir sehr.
Weil ich Sie, Frau Zypries, aber persönlich sehr schätze,
möchte ich mit Genehmigung des Präsidiums zum
Schluss aus einem Aufsatz von Ihnen zitieren.
Wenn es ein Satz ist, lasse ich es gerade noch zu.
Wenn Sie den ganzen Artikel vorlesen wollen, kann ich
das mit Blick auf die vereinbarten Redezeiten nicht zulassen.
Natürlich nicht. - Vor wenigen Tagen ist uns ein Buch
mit einem Aufsatz von Ihnen, den ich natürlich bereits
gelesen habe, in die Hände gefallen. Ich darf Sie zitieren:
Die Bundesregierung hat den moderierenden Staat
zum Prinzip gemacht.
Dieses Zitat trifft nicht zuletzt auf den Bundeskanzler
zu; das ist leider wahr. - Ich darf Sie aber noch weiter zitieren.
Nein, das dürfen Sie nun wirklich nicht. Es wird ja alles goldrichtig sein und kann an geeigneter Fundstelle
nachgelesen werden.
Jetzt kommt aber ein Satz, der das Parlament betrifft.
Das mag ja sein, Herr Kollege.
Dieser Satz lautet, ich zitiere:
Dabei darf aber die Politik nicht zu kurz kommen.
Sehr richtig, Frau Zypries. Wir brauchen Führungskraft.
Frau Ministerin, darauf warten wir.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen im Haushalt
des Justizministeriums, Einzelplan 07, und des Bundesverfassungsgerichts, Einzelplan 19, sind schnell dargestellt. Das Bundesjustizministerium, die Bundesgerichte,
der Generalbundesanwalt, das Deutsche Patent- und
Markenamt brauchen seit Jahren konstant weniger als
15 Tausendstel des Gesamthaushalts. Sie finanzieren
sich - das wurde von der Ministerin bereits gesagt - zu
über 90 Prozent aus eigenen Einnahmen und erbringen
die geforderte globale Minderausgabe vollständig durch
Einsparungen. Das Bundesjustizministerium verdient für
diese vorbildliche Haushaltsführung auch im Haushalt
2004 keine Kritik, sondern Anerkennung und Dank des
ganzen Hauses.
({0})
Ohne andere damit hintanzustellen will ich sagen,
dass die Bundesgerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, ihre wichtigen Aufgaben der Rechtsgestaltung und Rechtsfortbildung wie auch das Wächteramt des Grundrechtschutzes hervorragend und effektiv
wahrnehmen. Die Bürgerinnen und Bürger und den Staat
kosten diese so wichtigen Leistungen der Bundesjustiz
vergleichsweise wenig, ohne dass es damit zu einem billigen Recht im Sinne minderer Qualität kommen würde.
Aber uns allen muss klar sein: Wir reden von nicht
weniger als von den Kosten des Rechtsstaates und der
Rechtsstaatlichkeit und dies muss uns in Zukunft mehr
und nicht weniger wert sein. Deshalb nicht nur Dank und
Anerkennung, nein, auch Geld und Ausstattung müssen
stimmen, wenn wir wollen, dass die Bundesjustiz die immer weiter wachsenden Anforderungen, besonders im
europäischen Vereinigungsprozess, auch meistern kann.
Rechtspolitik ist Gesellschaftspolitik und Gesellschaftspolitik braucht einen Anker und einen Kompass,
wenn sie nicht bestehenden und gemachten Stimmungen
nachjagen und sich dabei verbiegen und missbrauchen
lassen will. Unsere Politik ist dem Schutz und dem Ausbau der Grund- und Bürgerrechte der Menschen verpflichtet. Wir wollen mehr und nicht weniger Rechtsstaat, mehr und nicht weniger Freiheit und mehr und
nicht weniger bürgerschaftliches Engagement und Einmischung erreichen.
({1})
Damit haben Sie, meine Damen und Herren von der
CSU, trotz Ihrer gegenteiligen Beschwörungen nichts
am Hut. Bei Ihnen heißt es in der Rechtspolitik immer:
rauf mit den Strafen und runter mit den Rechten.
({2})
Wenn Sie Recht in die Hand nehmen, dann geriert das
immer zu einer Schlagwaffe. Den besten Beleg liefern
Sie mit Ihren Vorschlägen zum Jugendstrafrecht ab.
Pünktlich zur Wahl in Bayern kommt aus dem von Ihnen
majorisierten Bundesrat der Entwurf eines Gesetzes zur
Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz.
Sie wollen die Jugendstrafe von zehn auf 15 Jahre erhöhen. Sie wollen bereits 12-Jährige statt wie bisher 14-Jährige vor Gerichte zerren und Sie wollen das Erwachsenenstrafrecht nicht erst ab 21, sondern ausnahmslos ab
18 Jahren einführen.
Glauben Sie denn ernsthaft, meine Damen und Herren
von der Opposition, die Jugenddelinquenz würde zurückgehen, weil das Höchstmaß der Jugendstrafe auf
15 Jahre erhöht werden soll?
({3})
Wie oft wird denn das bisherige Höchstmaß von zehn
Jahren überhaupt erreicht? Wo sind die empirischen Daten, die belegen, dass dieses Höchstmaß von zehn Jahren
Jugendstrafe nicht ausreichen würde? Wenn, wie Sie es
wollen, Heranwachsende ausschließlich nach Erwachsenenrecht bestraft werden, müssen Sie sich darüber im
Klaren sein, dass Sie damit den jungen Menschen die Erziehungsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts entziehen
und die Strafrichter vielfältiger Einwirkungsmöglichkeiten auf diese jungen Menschen berauben.
({4})
Dabei ist es ja nicht so, dass Heranwachsende nicht
bereits jetzt im Einzelfall nach Erwachsenenstrafrecht
bestraft werden könnten. Die Instrumente für sachgerechte Entscheidungen sind im Gesetz vorhanden. Aber
Sie setzen vielmehr auf Signale, die die eigentlichen
Adressaten, nämlich delinquente junge Menschen, ohnehin nicht erreichen.
Die Fachwelt diskutiert seit Jahren über Möglichkeiten der Ausweitung und der Entfaltung des Jugendstrafrechts. Konkrete Vorschläge des Juristentages, der Jugendstrafrichter
({5})
und der Wissenschaft liegen auf dem Tisch. Das alles
ignorieren Sie, um billig und auf dem Rücken junger
Menschen Punkte bei Ihrer Klientel zu machen.
({6})
Was seit Jahrzehnten gebraucht wird, meine Damen
und Herren von der Opposition, ist ein Jugendstrafvollzugsgesetz. Bei uns ist das in Arbeit; bei Ihnen Fehlanzeige.
({7})
- Warten Sie einmal ab. Wir, lieber Kollege, haben von
einer vierjährigen Wahlperiode noch nicht einmal
25 Prozent hinter uns. Sie können sich gar nicht so
schnell ansehen, was wir bisher in der Rechtspolitik in
Gang gesetzt haben, wie wir neue Gesetze vorlegen.
({8})
Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Wenn es mir von meiner Redezeit nicht abgezogen
wird, dann sehr gern.
Nein, selbstverständlich nicht.
Herr Kollege Montag, ich finde es sehr toll, dass Sie
als Bayer hier sagen, dass da ein schlechter Vorschlag
gemacht wird. Aber angesichts dessen, dass Sie so groß
davon reden, was man alles im Jugendstrafvollzug tun
muss, würde ich mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort
auf die Frage geben können, wieso Sie es fünf Jahre lang
nicht geschafft haben,
({0})
obwohl das Bundesverfassungsgericht uns alle wiederholt ermahnt hat, ein Jugendstrafvollzugsgesetz mit Ihrer
Koalition auf den Weg zu bringen.
Herr Kollege, ich bin erst seit einem knappen Jahr
Mitglied dieses Hohen Hauses.
({0})
Deswegen erlauben Sie mir, dass ich Ihnen ganz persönlich auf diese Frage antworte. Ich persönlich halte ein
Jugendstrafvollzugsgesetz für absolut vordringlich. Ich
werde das, was in meiner Kraft steht, tun, damit wir ein
solches Gesetz in dieser Legislaturperiode auch tatsächlich bekommen. Aber das Problem ist ja nicht erst fünf
Jahre alt. Die Rüge ist fünf Jahre alt; das Problem ist
Jahrzehnte alt.
({1})
Es gab viele in der Regierungsverantwortung, doch keiner hat das bisher angepackt. Wenn Sie solche Fragen
stellen, dann schauen Sie dabei auch in den eigenen
Spiegel, das heißt, in den Spiegel Ihrer Partei, die
29 Jahre lang Gelegenheit dazu hatte und keine Aktivitäten in dieser Richtung unternommen hat.
({2})
Die CDU/CSU will das gesprochene und das geschriebene Wort sowie das Verhalten der Menschen immer mehr überwachen. Nach der Verschandelung der
Verfassung durch den so genannten großen Lauschangriff wollen sie jetzt nach den Wanzen auch noch Videokameras in Wohn- und Schlafzimmern installieren. Die
ausufernde Telefonüberwachung wollen sie im polizeipräventiven Bereich der Aufsicht der Staatsanwaltschaft
entreißen und gegen jeden Beliebigen richten.
Wir werden uns stattdessen daran machen, die notwendigen Ermittlungsmaßnahmen in diesem Bereich
zielgenau und unter justizieller Kontrolle auszurichten.
Telefonabhörungen in begründeten Fällen müssen sein,
aber wir wollen kein überwachtes, abgehörtes oder aufgezeichnetes Land, welches Sicherheit suggeriert und
Unfreiheit praktiziert.
({3})
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU,
wollen die Justiz nicht besser oder moderner machen,
Sie wollen sie nur schneller machen, und das mit dem
Abbau von Verfahrensrechten der Beteiligten.
({4})
Sie wollen es erschweren, sich gegen einen befangenen Richter zu wehren. Sie machen sich an den Kern der
Verteidigung heran, nämlich an das Recht, Beweisanträge zu stellen. Sie wollen Strafen ausweiten in Verfahren ohne volle Schutzgarantie für Beschuldigte. Diese
Vorschläge stehen alle in Ihrem Justizbeschleunigungsgesetz. Weiterhin wollen Sie eine sachgerechte Verteidigung durch eine Aushebelung des Akteneinsichtsrechts
unmöglich machen. Sie wollen die Hauptverhandlung zu
einer Zuschauerveranstaltung mit Liveeinspielungen von
Videos machen.
({5})
Sie wollen das Fragerecht in der Hauptverhandlung abschneiden.
Das sind alles Vorschläge aus Ihrem so genannten Gesetz zur Stärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess.
Ich könnte diese Liste spielend verlängern. Alle Punkte
belegen: Auf der nach oben offenen Repressionsskala
klettern Sie höher und höher und sagen uns und den
Menschen, das sei Rechtspolitik.
Wir lassen uns von diesem Geschrei ({6})
ich denke da an die gestrige Debatte in diesem Hohen
Hause - nicht anstecken. Wir werden die bestehenden
Probleme nüchtern und sachlich analysieren und an geeigneten Lösungen für diese Probleme arbeiten.
Zum Sexualstrafrecht wird mein Kollege von der
SPD sicherlich noch etwas sagen. Zum Urheberrecht ist
hier schon etwas gesagt worden. Auch die zweite Novelle dieses Gesetzes werden wir anpacken. Das Justizmodernisierungsgesetz ist in Arbeit. Die Umsetzung des
Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Terrorismus ist bereits abgeschlossen. Im gleichen Sinne
arbeiten wir an einem umfassenden Antidiskriminierungsgesetz sowie einer Gesamtreform der Strafprozessordnung.
({7})
Meine Damen und Herren, die Sie für die CDU/CSU
im Rechtsausschuss sitzen, wenn Sie sich auf Sacharbeit
einlassen, sind Sie eingeladen, mitzuwirken.
({8})
Herr Kollege, das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen.
Wenn nicht, Herr Kollege Dr. Röttgen, wenn Sie auch
rechtspolitisch auf Krawall gebürstet sind, so wie es Ihr
Bayern-Glos gestern vorgemacht hat, dann bleiben Sie
draußen vor der Tür, was dann weder für den Rechtsstaat
noch für die Menschen in Deutschland ein Schaden
wäre.
Danke.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen: Das war ein schöner langer
Satz, Herr Montag.
Kurze Replik zu dem, was Sie eben gesagt haben,
Herr Montag. Sicher, die FDP war 29 Jahre an der Regierung. Aber auch ich bin erst ein Jahr als Abgeordneter
in diesem Parlament. Ich finde es bemerkenswert, dass
Sie in Ihrem Fall herausstellen, dass Sie erst ein Jahr in
diesem Parlament sind, aber mir die 29 Jahre vorhalten.
({0})
Wir können hier ewig das Spielchen treiben, wer in
der Vergangenheit der Schuldige war.
({1})
Wir alle sind gemahnt worden. Ich halte es für falsch,
wenn man sich hier hinstellt und sagt, die anderen hätten
alles schlecht gemacht - meine Fraktion lehnt auch manche Vorschläge von der CDU/CSU ab -, aber dann,
wenn man selber hinterherhinkt - Herr Ströbele, Sie sind
ja schon etwas länger dabei, Sie hätten das schon machen können -, so tut, als sei alles so schwierig.
({2})
Liebe Frau Ministerin, es ist richtig: Die Haushaltsgespräche funktionieren gut, auch schon in der letzten Legislaturperiode. Der Haushalt ist nach meiner Meinung
trotz der Sparbedingungen, denen wir unterliegen, fair.
Wir müssen schauen, an welcher Stelle wir etwas tun
können und wo noch kleine Veränderungen möglich
sind. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass Sie auch diesmal angekündigt haben, bei den Berichterstattergesprächen dabei sein zu wollen; denn es ist für die Berichterstatter wichtig, zu merken, dass diese Gespräche nicht
nur auf der Ministerialebene ankommen, sondern bis
nach oben durchkommen.
Trotzdem will ich in Richtung Koalition einen Aspekt
ansprechen. Wir hatten aufgrund des Job-AQTIV-Gesetzes im Entwurf eine Sperre für das Bundesverfassungsgericht und den Bundesrechnungshof vorgesehen, die wir nach Rücksprache im Haushaltausschuss
wieder gestrichen haben. Wir müssen meiner Meinung
nach aufpassen, dass die Gewaltenteilung nicht dazu
führt, dass bei einem Haushalt, der vom Parlament aufgestellt wurde, die Exekutive, gerade im Fall eines uns
alle kontrollierenden Organs, anschließend auf der
Grundlage ihres Rechtes zum Haushaltsvollzug Kürzungen vornimmt, auf die das Parlament keinen Einfluss
nehmen kann. Ob man eine gesetzliche Regelung
braucht, um das zu verhindern, weiß ich nicht. Ich hoffe
nur, dass dieser Fall nicht wieder vorkommt.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist deswegen für mich ein so wichtiges Thema
- wir diskutieren in dieser Debatte ja nicht nur über den
Justizhaushalt -, weil wir bei all den Reformen, die nun
auf uns zukommen, mit Sicherheit damit rechnen können, dass das Bundesverfassungsgericht mit zunehmend
mehr Verfassungsbeschwerden, Organklagen und Ähnlichem befasst werden wird.
Das Thema Graffiti ist eben angesprochen worden.
Dabei handelt es sich um ein ewiges Thema. Man kann
jetzt darüber nachdenken, wer es zuerst entdeckt hat.
Aber ich finde die Richtung, die die SPD hier einschlägt,
etwas zynisch. In meiner Heimatstadt Krefeld, wo die
FDP und die SPD in der Opposition sind, wird jetzt im
Kommunalwahlkampf darauf hingearbeitet, dass das
Sprühen von Graffiti unter Strafe gestellt wird und somit
ein Ende findet.
({3})
- Jetzt hören Sie doch auf damit. Wir wissen doch alle,
worum es geht. Ihre Leute werben damit, noch einen
Straftatbestand zu schaffen, und veräppeln die Wähler,
indem sie so tun, als würden sie entsprechende Maßnahmen ergreifen, obwohl sie seit fünf Jahren sagen, dass
hier nichts unternommen werden soll. Wo der Grund dafür sitzt, wissen wir.
({4})
- Jawohl, Herr Vorsitzender Richter! Selbstverständlich,
Herr Vorsitzender Richter!
Frau Ministerin, natürlich hat der Kollege Götzer
Recht: Es ist weniger passiert. Ob es immer so schlecht
ist, wenn es in einem Rechtsstaat weniger Gesetze gibt,
weiß ich nicht; das kommt auf die Gesetze an. Aber
seien wir doch einmal ehrlich: Sie haben im Endeffekt
gesagt, besser keine Gesetze, es sei denn, die CDU/CSU
macht mit.
({5})
Die CDU/CSU macht bei entscheidenden Gesetzen
gerne mit, nicht nur bei der Gesundheitsreform, die
verfehlt ist, sondern auch bei anderen Gesetzen, die verfehlt sind. Ich würde mir schon überlegen, ob ich bei allem Möglichen mitmache, was aufseiten der Regierungskoalition gemacht wird, und mich dann nachher
mit stolz geschwellter Brust dagegen wende, wenn es
um andere Themen geht.
({6})
Frau Ministerin, die FDP erwartet von Ihnen nicht nur
ein neues Strafvollzugsgesetz, sondern Sie sind - das
wissen Sie - auch mit dem Untersuchungshaftvollzugsgesetz hinterher. Auch da sei mir ein freundlicher
Hinweis an die Grünen gestattet, in diesem Fall an Herrn
Ströbele und nicht an Herrn Montag, weil der ja erst seit
einem Jahr im Bundestag ist. Da ist fünf Jahre lang
nichts passiert. Auch da könnte man etwas tun. Die Verhinderer sitzen eher auf der Bank der SPD. Warum das
nicht klappt, wissen wir auch alle.
({7})
Zwar sitzen die Verhinderer da, aber was machen wir?
Entweder legen wir keinen Gesetzentwurf vor oder es ist
wie bei der von der FDP begrüßten, jetzt endlich stattfindenden Gebührenreform. Dass wir jetzt eine Gebührenreform bekommen werden, ist doch nicht darauf zurückzuführen, dass wir uns alle jetzt einig sind, sondern
es ist darauf zurückzuführen, dass die Länder sagen: Wir
kriegen genug Knete, deswegen darf es auch für die
freien Berufe nach zehn Jahren eine Gebührenerhöhung
geben. - So liegt doch der Fall.
({8})
- So ist das im Leben, Herr Montag. Aber dann frage ich
Sie einmal: Halten Sie es für richtig, dass die Höhe der
Einnahmen für jemanden mit einem freien Beruf, den
Sie der Gewerbesteuer unterwerfen wollen, künftig davon abhängt, dass die Länderfinanzminister sagen:
„Aber nur, wenn ich auch Geld kriege“? Wir erwarten
von einem Anwalt - anders als von einem Gewerbetreibenden -, dass er nicht nur danach schaut, wie er seinen
Gewinn maximieren kann, sondern wir erwarten von
ihm, dass er Beratunghilfe macht, dass er Pflichtverteidigungen macht und dass er Verfahren im Rahmen der
Prozesskostenhilfe übernimmt.
Wenn wir all das tun, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, aber gleichzeitig sagen, dass das ein Gewerbe
ist und der Gewerbesteuer unterfällt, dann ist das ein
Widerspruch. Wenn die Frage, wie viel Gebühren man
dafür erheben kann, auch noch davon abhängt, wie viel
zusätzliches Geld die Länder bekommen, dann beschädigen wir auf Dauer eine der wesentlichen Säulen unseres
Rechtsstaates. Das kann es nicht sein.
({9})
Ich komme zum Schluss. Wir werden bei den Haushaltsverhandlungen mit Sicherheit noch einige Einsparungen vornehmen müssen. Das ist wohl zu erkennen.
Aber wir müssen aufpassen, an welcher Stelle wir sie
vornehmen. Frau Ministerin, ich sage einmal so: Sie
werden aufseiten der FDP teilweise eine größere Unterstützung finden - das wissen Sie aus den vorhergehenden Gesprächen - als aufseiten Ihrer eigenen Koalitionäre. Ich hoffe, dass wir Sie nicht zu sehr unterstützen
müssen.
Herzlichen Dank.
({10})
Nun hat der Kollege Joachim Stünker für SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege
Götzer hat hier heute - zumindest im ersten Teil - die
Rede gehalten, die der Kollege Röttgen am 18. März dieses Jahres hier auch schon gehalten hat.
({0})
Sie haben damals gesagt, unsere Politik sei geprägt von
rechtspolitischer Lustlosigkeit, wir hätten keinen Elan
und uns würden die Rezepte fehlen. Sie haben uns Handlungsschwäche auf dem Gebiet der Rechtspolitik vorgeworfen. Ich habe Ihnen damals bereits erwidert - und tue
das auch heute -, dass blinder rechtspolitischer Aktionismus und vor allem purer rechtspolitischer Populismus
nicht unsere Politik sind. Das überlassen wir gerne Ihnen.
({1})
Ich gebe zu, dass wir mit unserem Koalitionspartner
manchmal eine etwas quälende Diskussion zu dem
Thema Graffiti haben; das will ich gar nicht in Abrede
stellen. Aber wie populistisch man das handhaben kann,
das haben Sie gestern wieder mit einer Presseerklärung
bewiesen. Ich gebe zu, sie stammt nicht von einem Ihrer
Rechtspolitiker, sondern von MdB Peter Götz. Ich
glaube er ist kommunalpolitischer Sprecher. Er hat eine
tolle Erklärung abgeben: Die Graffiti-Szene wird immer
krimineller. Rot-Grün verweigert sich einer maßvollen
Verschärfung des Strafrechts.
Das ist völliger Unsinn. Es geht darum, wie eine möglicherweise bestehende Lücke in einem Straftatbestand
geschlossen werden kann; darüber streiten wir. Aber es
geht hier nicht um schärfere Gesetze oder Ähnliches. So
verdummen Sie die Menschen mit Populismus. Dem
werden wir uns nicht anschließen.
({2})
Ich habe mein Büro gebeten, für die heutige Debatte
einmal die rechtspolitischen Initiativen herauszusuchen,
mit denen Sie uns in dieser Legislaturperiode bereits beglückt haben. Wenn man da einmal nachblättert, dann
stellt man fest, dass es sich - entgegen Ihren vollmundigen Erklärungen - nur um wenige, sehr übersichtliche
Initiativen handelt, die im Wesentlichen durch drei
Merkmale gekennzeichnet sind:
Erstens. Sie machen immer wieder Vorschläge für
eine Verschärfung der Kriminalpolitik, so auch heute
Abend.
Zweitens. Sie fordern uns auf, Reformen aus der letzten Legislaturperiode rückgängig zu machen.
Drittens. Sie versuchen wiederholt, einen Aufguss der
gescheiterten Rechtspolitik der Regierung Kohl aus den
90er-Jahren vorzunehmen. Der Hinweis auf Ihr Justizbeschleunigungsgesetz ist bereits erfolgt.
({3})
Zusammenfassend sage ich Ihnen dazu: Es handelt
sich bei Ihren rechtspolitischen Initiativen nicht einmal
um neuen Wein, sondern ausschließlich um alten Wein
in alten Schläuchen.
({4})
Hiermit werden Sie den Herausforderungen des
21. Jahrhunderts nicht gerecht werden.
Ich wiederhole: Wir werden auch weiterhin eine humane, rationale und effiziente Kriminalpolitik vorantreiben und werden uns dabei von Ihnen überhaupt nicht beirren lassen.
({5})
In Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung
der Praxis haben wir nicht die geringste Veranlassung,
Reformen aus der letzten Legislaturperiode zurückzunehmen. Die gescheiterten Justizentlastungsgesetze aus
den 90er-Jahren - Herr Funke hat es jedes Mal dankenswerterweise bestätigt; er war ja daran beteiligt - werden
durch fortwährende Wiederholung und durch vielleicht
andere Formulierungen nicht besser. Wir werden diesem
Weg nicht folgen.
Wir werden vielmehr die in der letzten Legislaturperiode begonnenen Justizreformen mit Augenmaß und
bedächtig fortsetzen.
({6})
Die Justizpolitik, die in den Jahren 1982 bis 1998 eher
träge und zögerlich war, ist durch diese Reformen tatsächlich in Fahrt gekommen. Sie sehen dies an den Diskussionen in der Fachöffentlichkeit, aber auch an Beiträgen in der Presse. Wir dürfen und werden diese
Reformen daher nicht bremsen; denn die Folgen Ihres
Versagens - das zeigt die Diskussion über das Untersuchungshaftvollzugsgesetz und den Jugendstrafvollzug tragen wir alle gemeinsam noch heute.
({7})
- Die werden wir ziehen.
({8})
Unsere Politik zeichnet sich seit 1998 durch drei
Kernbereiche aus, die bei allem, was wir tun, im Vordergrund stehen. Daran werden wir uns auch weiter messen
lassen. Die Frau Ministerin hat in ihrer Rede dankenswerterweise auf einige Punkte bereits hingewiesen.
Erstens. Wir wollen die Leistungsangebote der Justiz
auch für Schwächere optimieren. Dazu gehört unsere
ZPO-Reform mit der Stärkung der ersten Instanz. Wenn
wir mit Vertretern aus der Praxis reden, dann stellen wir
in der Tat fest, dass diese Stärkung eingetreten ist. Wir
werden dieses Gesetz wie versprochen im Jahr 2004 evaluieren. Danach reden wir darüber, was wir möglicherweise verändern und verbessern können. Aber davor
- darauf kann sich die Praxis verlassen - wird die Vernunft siegen und wir werden keine Veränderungen vornehmen, da mögen Sie Anträge stellen, so viel Sie wollen.
Zweitens. Wir wollen die Chancengleichheit der
Bürger beim Zugang zum Recht auch weiterhin sichern.
Hierzu gehören der Ausbau von Prozesskostenhilfe und
der Pflichtverteidigung ebenso wie die Mediationskostenhilfe. Zu diesen Zugangschancen gehört auch die
dringend notwendige Modernisierung des Rechtsberatungsgesetzes. Die Vorarbeiten hierzu sind angelaufen.
Ich bin überzeugt, dass wir die Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode abschließen werden.
({9})
Wir werden die Informations- und Beteiligungsrechte
der Opfer im Rahmen der anstehenden StPO-Reform
stärken und wir werden den Opferschutz ausbauen. Wir
sind fest entschlossen, künftig den Opfern einer Straftat,
wenn sie es denn wollen, den doppelten Weg über Strafund Zivilgerichte in den dafür angezeigten Fällen zu ersparen. Darauf hat die Frau Ministerin schon hingewiesen.
Die Novelle zum Kostenrecht liegt Ihnen vor. Hierzu
gehört auch der gesamte Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das ist in der Tat ein gewaltiges Reformvorhaben, das wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben. Wir können das Gestrüpp bei den
Verfahrensordnungen nicht so belassen, wie es sich
heute darstellt. Wir werden Ihnen auch hierzu rechtzeitig
in dieser Legislaturperiode eine Novelle vorlegen.
Sie sehen, die Aufgabenfelder sind im Wesentlichen
abgesteckt. Das kann man allerdings nicht alles in einem
Jahr bewältigen. Aber wir werden die Reformen in vernünftigen Schritten vorantreiben.
({10})
Gestatten Sie mir, den folgenden dritten Punkt etwas
gründlicher zu behandeln, da er mir sehr wichtig ist.
Nehmen Sie das, was ich dazu sage - ich bitte um Nachsicht -, nicht unbedingt als Verkündung von rot-grüner
Programmatik. Teilweise handelt es sich um einen Themenbereich, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und
zu dem ich Ihnen einige Gedanken mitteilen möchte.
Drittens. Wir wollen die Effizienz der Justiz durch
neue Steuerungsmodelle und auch durch Aufgabenverlagerung in der Zukunft sichern. Das ist sicherlich das
schwierigste Thema, dem wir uns zu widmen haben, und
vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden
Ressourcen, wie ich meine, auch das wichtigste Thema.
Die Justiz und hier in erster Linie die Richterinnen
und Richter müssen zukünftig in noch größerem Maße
bereit sein, sich einer Qualitätsdiskussion zu stellen, die
auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen einschließt. Es
darf unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit
nicht jedwede Qualitätsdiskussion und Überprüfung der
Tauglichkeit der neuen Steuerungsmodelle scheitern.
Ich bin davon überzeugt, dass dort noch sehr viele Ressourcen liegen, die wir nutzen sollten.
Zur Frage der Effizienz und der Wirtschaftlichkeit der
Justiz gehört aber auch, Aufgaben, die nicht unbedingt
in Richterhand sein müssen, auf andere Laufbahnen zu
übertragen. Deshalb haben wir mit der Binnenreform der
ordentlichen Gerichtsbarkeit begonnen. Ich hoffe, Sie
werden uns in diesem Punkt bei dem demnächst zu beratenden Justizmodernisierungsgesetz unterstützen. Wir
übertragen richterliche Aufgaben auf die Rechtspfleger
und setzen damit Ressourcen frei.
Kein Tabu dürfen in diesem Zusammenhang Überlegungen sein, ob bestimmte Bereiche, die nicht den Kern
hoheitlicher justizieller Aufgaben betreffen, gegebenenfalls nicht doch aus dem Bereich Justiz herausgenommen werden könnten. Die Ministerin hat dieses Thema
hier angesprochen. Für mich gehören in diesen Zusammenhang Überlegungen, ob nicht die Zusammenlegung
von Fachgerichtsbarkeiten oder die Eingliederung der
Arbeitsgerichtsbarkeit in die ordentliche Gerichtsbarkeit
ein Weg ist, durch den wir erhebliche Synergieeffekte erwirtschaften könnten und den wir deswegen gemeinsam
diskutieren sollten.
Ich weiß, dass ich mit den Überlegungen, die ich hier
vorzustellen versuche, heiße Eisen anfasse. Ich weiß
auch, dass ich mit diesen Überlegungen nicht überall auf
Gegenliebe stoßen werde. Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, jetzt einmal Spaß beiseite:
({11})
Wie sieht denn heute die Wirklichkeit aus, insbesondere
in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, aber auch in anderen
Gerichtsbarkeiten, und das bundesweit? Die Wirklichkeit ist nicht zum Lachen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sehen sich auf allen Ebenen in ihrer täglichen Arbeit immer weiter wachsenden Aufgaben bei
immer weniger Personal gegenüber.
({12})
Das demotiviert und Demotivierung wirkt nicht gerade
leistungsfördernd, wie wir wissen. Das ist die allgemeine
Stimmung in den Gerichten und in den Staatsanwaltschaften, egal in welchem Bundesland wir uns befinden.
Ich stimme daher dem neuen Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes zu, der anlässlich seiner Wahl geäußert hat, wir sollten grundsätzlich darüber nachdenken, welche Aufgaben Richter und Staatsanwälte nach
dem Grundgesetz und nach den Verfahrensordnungen erfüllen müssen. Er hat hinzugefügt, auf dieser Basis solle
man versuchen, ein neues Gebäude „Justiz“ zu entwerfen. - Darüber möchte ich mit Ihnen gerne diskutieren.
Weiter teile ich seine Schlussfolgerung, dass man bei
dieser Vorgehensweise den Veränderungsbedarf besser
erkennen kann, als wenn man das bisherige System immer nur Stückchen für Stückchen verändert. Das betrifft
Ihre Entlastungsgesetze, die gescheitert sind.
Ich teile aber ebenso die von Herrn Kollege Funke am
18. März in diesem Hohen Hause geäußerte Auffassung,
dass die Wahrung des Rechtsstaates Kernaufgabe des
Staates sei. Er hat hinzugefügt, dass im Interesse unserer
Demokratie der Haushalt des Justizministeriums nicht
den allgemeinen Sparzwängen geopfert werden dürfe.
({13})
- Genau. - Für den Bund hat die Frau Ministerin - wie
ich meine, überzeugend - darauf hingewiesen, dass wir
das nicht getan haben, und ich hoffe, sie wollen das auch
nicht tun.
Diese Warnung von Ihnen, Herr Kollege Funke - das
wissen Sie genauso gut wie ich -, müssen wir eindringlich und zunehmend an die Bundesländer weitergeben.
Ich sehe mit großer Sorge, wie dort die Justizhaushalte
von Jahr zu Jahr mehr ausgedünnt werden, und zwar unabhängig davon, wer wo regiert. Das ist keine Frage der
Farbe der Partei. Die Finanzminister dominieren die
Rechtspolitik.
({14})
Ich bin überzeugt: Dies ist im Interesse des Rechtsstaates
ein falscher, ein verhängnisvoller Weg.
({15})
Wir dürfen die Fragen nach Effizienz durch neue Steuerungsmodelle und Aufgabenverlagerungen nicht ausschließlich vor dem Hintergrund von Personalkosten diskutieren. Wir müssen uns vielmehr die Strukturen
grundlegend ansehen und zu mutigen Reformschritten
kommen.
Lassen Sie mich zur Verdeutlichung ein Beispiel nennen, das uns alle gegenwärtig in der Diskussion beschäftigt und das hier heute noch nicht angesprochen worden
ist. Ich halte das Ansinnen einiger Länder an den Bundesgesetzgeber für verfehlt, die Führung der Handelsregister in der Zukunft von den Amtsgerichten auf die
Industrie- und Handelskammern zu verlagern.
({16})
Diese hoheitliche Aufgabe im Wege der Auftragsverwaltung mit Fach- und Rechtsaufsicht erfüllen zu wollen bedeutet meines Erachtens eine Verkennung der Kernbereiche der Justiz
({17})
und schafft im Ergebnis nicht weniger, sondern, wenn
man genau hinsieht, mehr Bürokratie.
({18})
Andererseits scheint im Betreuungsrecht eine Aufgabenverlagerung von Vormundschaftsgerichten auf Betreuungsbehörden, die mit der sozialen Kompetenz einer
spezialisierten Behörde ausgestattet sind, ein gangbarer
Weg zu sein.
({19})
Im erstgenannten Falle müsste nämlich die Justiz Personal für eine neue Behörde abgeben; denn dort ist kein
Personal dafür vorhanden. Im zweiten Falle würde die
Justiz vorhandenes Personal zur Bewältigung des ständig wachsenden Aufgabenanfalles zusätzlich einsetzen
können. Das wäre meines Erachtens der richtige Weg.
Wir werden ja noch in diesem Jahr - der Schlussbericht
der Bund-Länder-Kommission zum Betreuungsrecht
liegt vor - oder Anfang des nächsten Jahres einen Entwurf in diesem Hause zu beraten haben. Vielleicht erinnern wir uns dann einmal an die Gedanken, die ich zu
formulieren versucht habe.
Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen könnte,
diese grundlegende Frage eines neuen Gebäudes der Justiz vorurteilsfrei unter uns, mit den Ländern und mit der
Fachöffentlichkeit zu diskutieren, auch wenn das
schwierig ist und sicherlich zunächst einmal Widerstände hervorruft.
Ja, Herr Präsident, noch ein Satz. - Ich bin mir ganz
sicher: Der Rechtsstaat wird es uns danken.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Stünker, ich bin Ihnen als Haushälter ausgesprochen dankbar, dass Sie Ihre Überlegungen zu
mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz so humorvoll und
lebendig vorgetragen haben.
({0})
Ich stimme Ihnen aber zu, dass bei dem Einzelplan 07,
den wir als letzten in einer langen Haushaltswoche beraten, nicht mehr viel Einsparpotenzial besteht. Ihr Etat,
Frau Ministerin, umfasst gerade einmal 1,4 Promille des
Gesamtetats; da könnte man auf die Idee kommen, er sei
unwichtig. Das ist er selbstverständlich nicht. Im Gegenteil, das Bundesjustizministerium leistet eine ganz wichtige Aufgabe zur Aufrechterhaltung unseres Rechtsstaates und zur Pflege des Rechts. Das will ich auch als
Haushälter betonen. Deshalb muss dieser Etat nicht unbedingt den allgemeinen Sparzwängen geopfert werden.
Lassen Sie mich aber noch etwas zu Ihrem Etat sagen.
Frau Ministerin, Sie haben es schon angesprochen: Für
2004 sind Ausgaben von 345 Millionen Euro vorgesehen - etwa 1 Million Euro weniger als in diesem Jahr.
Damit, denke ich, ist auch schon das Ende der Fahnenstange in diesem Bereich erreicht; denn übertriebene
Sparsamkeit könnte im Bereich des Justizetats eher zum
Eigentor werden. Den Gesamtausgaben von 345 Millionen Euro stehen Einnahmen von 312 Millionen Euro gegenüber. Das heißt - Sie haben es erwähnt -, Sie erwirtschaften 90 Prozent selber. Das muss man positiv
erwähnen und hervorheben.
Deshalb unterstützen wir als Union auch ganz ausdrücklich, dass Sie gerade den Bereich des DPMA, des
Deutschen Patent- und Markenamtes, für 2004 noch
einmal mit 80 neuen Stellen, davon 60 Patentprüfer, versehen wollen. Ich begrüße es sehr, dass sich die Hartnäckigkeit aller Berichterstatter in diesem Bereich so niederschlägt. Das wird sich sehr schnell wieder als Rendite
auszahlen. Selbstverständlich sind damit auch höhere
Verwaltungsausgaben verbunden; denn neue Arbeitskräfte brauchen auch neue Computer. Aber das muss
man so akzeptieren.
Alles in allem kann man sagen: Es liegt uns ein beratungsfähiger Entwurf - zumindest in diesem Bereich vor. Ich wünsche uns allen konstruktive Haushaltsberatungen.
Ein kleines ceterum censeo muss ich allerdings doch
noch anfügen - da geht es mir wie Cato dem Älteren -:
Das ist der bereits erwähnte Härtefonds für die Opfer
rechtsextremistischer Übergriffe. Frau Ministerin,
1 Million Euro wollen Sie diesem Fonds wieder zuführen.
({1})
Ich halte es wirklich für fehl am Platze, Opfer unterschiedlich zu behandeln, ob sie nun von rechts oder von
links oder ob sie religiös oder rassistisch motiviert angegriffen werden - dem Opfer ist das ziemlich egal. Ich
bitte Sie, diesen ideologisch verbrämten Irrweg aufzugeben; er passt nicht zu Ihnen.
({2})
Warum schaffen Sie nicht einen Titel, der einfach „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ heißt?
Dann wären alle bedacht und dann könnte allen geholfen
werden. Das wäre meine Bitte an Sie, auch für die kommenden Haushaltsberatungen.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Haushaltsberatungen generell anfügen. Es macht einem Haushälter wenig Spaß, wenn man insgesamt einen Haushaltsentwurf vorgelegt bekommt, der im Grunde genommen
nicht beratungsfähig ist. Davon wird natürlich auch ein
Stück weit der Justizetat tangiert. Die Risiken wurden
bereits angesprochen. Es ist wenig ersprießlich, wenn
die Vorlage zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem das
Ganze eigentlich schon wieder überholt ist, weshalb die
Beratungen wenig Sinn machen.
Was mich, mit Verlaub, an der rot-grünen Bundesregierung aber am meisten ärgert und anwidert, um das
Kanzlerwort zu vermeiden, ist die Tatsache, dass das
trotz alldem immer noch mit der Attitüde der Großmannssucht und der Großspurigkeit vorgetragen wird.
Das ist wirklich ärgerlich. Es werden Jahrhundertreformen en masse, eine nach der anderen, propagiert. Bis die
Reformen in Kraft treten, ist meist alles schon wieder
überholt.
({3})
Das finde ich lästig. Davon heben Sie sich aber in angenehmer Weise ab. Ich hoffe, das bleibt so. In diesem
Sinne wünsche ich uns gute Beratungen.
Vielen Dank.
({4})
Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem
Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ehemaliger Richter aus der schönen Stadt Karlsruhe, der deutschen Residenz des Rechts, freut es mich
besonders, heute zum Justizhaushalt sprechen zu können. Bevor ich mich aber zur Rechtspolitik äußere,
möchte ich auf die Justiz- und Rechtspflege im Allgemeinen und auf ihren Stellenwert in unserem Land zu
sprechen kommen. Herr Stünker und Frau Zypries, Sie
haben das auch schon getan.
Es ist gerade einmal etwas mehr als zehn Jahre her,
als es im Zuge der Wiedervereinigung offensichtlich
und bald auch allen klar wurde, dass Wirtschaftsentwicklung und Wachstum in den neuen Bundesländern
ohne gesicherte Rechte, ohne funktionierende Gerichte
und ohne ein leistungsstarkes Vollstreckungs- und
Grundbuchwesen nicht möglich sind. Das gilt auch noch
heute für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland. Deshalb ist eine gut funktionierende Infrastruktur
im Recht und in der Justiz für unser Land von elementarer Bedeutung.
Ich denke - das wurde gerade angesprochen -, die
circa 350 Millionen Euro, die in den Justizhaushalt des
Bundes eingestellt worden sind, stellen im Verhältnis zu
den circa 250 Milliarden Euro des Gesamthaushaltes ein
Minimum dar, um dieser Bedeutung gerecht zu werden.
Bei aller Notwendigkeit zum Sparen - Herr Barthle hat
es gerade angesprochen - sollte uns ein funktionierender
Rechtsstaat einen Nettobedarf von unter 0,2 Prozent des
Bundeshaushaltes wert sein. Die Justiz braucht ausreichende Mittel, um ihrer Gemeinschaftsaufgabe nicht nur
im Bund, sondern natürlich auch in den Ländern gerecht
zu werden.
Es gilt aber auch der Satz: Schnelles Recht ist gutes
Recht. Der Faktor Zeit ist gerade bei der Gewährung
und Durchsetzung von Recht ganz entscheidend. Es ist
wichtig, dass die Justiz effektiver wird und die Abläufe
beschleunigt werden. Dazu haben wir von der Union mit
dem bereits angesprochenen Entwurf eines Justizbeschleunigungsgesetzes einen konkreten Vorschlag vorgelegt.
Ich möchte kurz auf das Strafverfahren eingehen.
Nach unserer Überzeugung muss die Unterbrechungsfrist bei Hauptverhandlungen verlängert werden - hier
sind wir mit Ihnen einer Meinung -, die Möglichkeiten
im Strafbefehlsverfahren müssen erweitert werden, es
müssen - auch im Erwachsenenstrafrecht - Wahlrechtsmittel eingeführt werden und im Adhäsionsverfahren
sollte ein Wiedergutmachungsvergleich ermöglicht werden, um nur einige Punkte herauszugreifen, die den
Strafprozess betreffen. Dem sollten Sie sich nicht verschließen.
({0})
- Das werden wir sehen, Herr Ströbele.
Für das Zivilverfahren möchte ich zwei Punkte herausgreifen, die von ganz entscheidender Bedeutung
sind und die die Verfahren behindern. Das eine ist die
neu eingeführte Dokumentationspflicht für richterliche
Hinweise und das andere ist die obligatorische Güteverhandlung. Diese beiden Dinge müssen gestrichen werden. Letzteres bringt den Parteien lediglich mehr Formalismus und Aufwand.
({1})
- Herr Stünker, es ist so. Ich habe zweieinhalbtausend
Zivilprozesse geführt. Ich glaube, ich weiß, wovon ich
rede.
({2})
Die erweiterte Dokumentationspflicht hat dazu geführt, dass Protokolle länger und Gerichtstermine zeitraubender werden. Das ist sicherlich nicht im Sinne einer effizienteren Justiz. Deswegen bitte ich Sie
ausdrücklich, dass Sie nicht an Regelungen festhalten,
die sich in der Praxis tatsächlich als verfehlt herausgestellt haben. Um das zu wissen, hätte man kein Prophet
sein müssen.
({3})
- Das habe ich gerade gesagt, Herr Manzewski.
Daneben ist es dringend erforderlich, die neuen Belastungen, die auch durch die ZPO-Reform auf den Bundesgerichtshof zukommen, zu korrigieren. Lassen Sie
es mich ganz plastisch ausdrücken, Frau Zypries: Der
BGH ist bereits abgesoffen; er ertrinkt in Zulassungsrevisionen und Nichtzulassungsbeschwerden.
({4})
- Ja, eben. - Die richtige Lösung läge hier in der Einführung einer Antragsrevision. Dies würde es dem Bundesgerichtshof auch ermöglichen, seine Arbeitskapazität
wieder auf die wirklich wesentlichen und relevanten Fragen zu konzentrieren.
({5})
Eine Aufstockung der Zahl der Bundesrichter im Zivilbereich wäre nicht nur aus Kostengründen der falsche
Weg; denn dann - ich muss es ansprechen - käme die so
genannte Rutschklausel zur Anwendung. Frau Zypries,
wir haben schon darüber gesprochen. Dies hätte sowohl
für die Stadt Karlsruhe als auch für den Bundesgerichtshof nicht hinnehmbare Folgen, nämlich die Spaltung des
BGH. Ich nehme Sie beim Wort und darf Sie auffordern,
sich dafür einzusetzen, dass der BGH mit allen Strafsenaten in Karlsruhe bleibt, da gerade diese das Bild des
Gerichtshofes in der Öffentlichkeit prägen.
({6})
Im Sinne der Kosteneinsparung - wir sind ja gerade
in der Haushaltswoche - sollte sogar über eine Wiedereingliederung des 5. Strafsenates des BGH von Leipzig
nach Karlsruhe nachgedacht werden. Beim Bundesverwaltungsgericht wurden ähnliche Wege schon gegangen.
Lassen Sie mich zu weiteren Themen kommen, die
von rechtspolitischer Bedeutung sind und die der Kollege Herr Dr. Götzer noch nicht angesprochen hat. Es
sind weitere Beispiele dafür, dass es Rot-Grün an entsprechender Kompetenz fehlt.
Zunächst nenne ich das leidige Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften
zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter. Das
Gesetzesvorhaben wurde bereits in der letzten Wahlperiode vom Bundesrat eingebracht. Passiert ist nichts, weil
Rot-Grün das Verfahren verzögert hat. Auch in dieser
Wahlperiode wurde das Gesetzeswerk - inhaltlich unverändert - vom Bundesrat erneut eingebracht. Eine Verabschiedung vor der Sommerpause ist aber wieder an
plötzlichen Änderungsvorschlägen von Rot-Grün gescheitert, sodass es für die Bundesländer im Jahre 2004
noch immer keine einheitliche und vereinfachte Wahlmöglichkeit gibt, um die Tausenden von ehrenamtlichen
Richtern zu wählen.
Ein noch schlimmeres Trauerspiel - auch das wurde
gerade schon angesprochen - ist die Geschichte der Verwirklichung der Reform der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Ich möchte kurz darauf hinweisen,
dass die 120 000 Anwälte dieses Landes seit Jahren auf
eine Anpassung und Änderung der BRAGO an die allgemeinen Lebenshaltungskosten warten. Das haben Sie
verschleppt, und zwar seit sechs Jahren.
({7})
Auch dieses Gesetzgebungsverfahren ist in der letzten
Wahlperiode von Regierungsseite aus immer wieder dadurch torpediert worden, dass kurzfristig Änderungen
nachgeschoben wurden, die weder von der Anwaltschaft
noch von unserer Seite akzeptiert werden konnten. Mit
der Beteiligung der Union ist es nun endlich gelungen
- Sie haben es angesprochen -, Ende August dieses Jahres den Referentenentwurf fertig zu stellen. Somit kann
die Anwaltschaft darauf hoffen, dass die Anpassung im
nächsten Jahr tatsächlich durchgeführt wird.
({8})
- Sie sagen es, Herr Dr. Götzer, so ist es.
Der heutige Tag bietet Anlass dafür, dass noch einige
Worte zum 11. September gesprochen werden. Uns allen sind die grausamen Ereignisse und die schrecklichen
Bilder noch gut im Gedächtnis. Wir werden sie wahrscheinlich nicht vergessen können. Ich möchte dies zum
Anlass nehmen, um auf die gravierenden inhaltlichen
Unterschiede in den Bereichen Terrorismusbekämpfung
und Bekämpfung der organisierten Kriminalität zwischen der Union und Rot-Grün hinzuweisen und diese
anzusprechen. Dieser Anschlag sollte für uns alle eine
Mahnung sein, gegen den internationalen Terrorismus
entschieden vorzugehen, um die Menschen vor ähnlichen Attentaten besser zu schützen und auch zukünftig
unsere demokratischen und freiheitlichen Gesellschaftsstrukturen zu sichern. Herr Stünker, ich hoffe, Sie machen das.
({9})
Bisher waren Sie nicht in der Lage, den Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung fristgerecht umzusetzen.
({10})
Erst nach unserer Aufforderung im März haben Sie im
April einen Entwurf vorgelegt. Aber dieser ist völlig unzureichend und ungenügend, um einen weit reichenden
Schutz der Bevölkerung und unserer freiheitlichen Gesellschaft vor Terrorismus zu gewährleisten.
({11})
- Herr Ströbele, das müssen Sie so hinnehmen.
Nachbessern müssen Sie auch bei der Bekämpfung
der organisierten Kriminalität. Frau Zypries, Sie haben es trotz Ausweitung der Taten im Bereich der organisierten Kriminalität noch nicht fertig gebracht, den
Strafverfolgungsbehörden ausreichend geeignete Mittel
zur Verfügung zu stellen.
Was getan werden muss, liegt meines Erachtens auf
der Hand:
Erstens. Eine neue Kronzeugenregelung muss her.
Zweitens. Es muss eine Rechtsgrundlage für den Einsatz verdeckter Ermittler geschaffen werden, damit auch
die Beamten für ihr notwendiges Handeln Rechtssicherheit haben.
Drittens. Eine Ausweitung der Telefonüberwachung
ist notwendig.
({12})
- Herr Ströbele, auch wenn es wehtut, Sie haben richtig
gehört: eine Ausweitung.
Frau Zypries, lassen Sie die Ermittlungsbehörden
nicht länger im Stich. Tun Sie etwas, damit der Terrorismus und die organisierte Kriminalität bekämpft werden
können. Reden Sie nicht nur davon, sondern handeln Sie
endlich, vor allem ideologiefrei. Die Menschen in
Deutschland erwarten es zu Recht von Ihnen.
Danke schön.
({13})
Herr Kollege Wellenreuther, dies war Ihre erste Rede
im Plenum des Deutschen Bundestages,
({0})
zu der ich Ihnen herzlich gratuliere, verbunden mit allen
guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit. Sie haben sich in Ihrer ersten Rede eine Zeitgutschrift von 30 Sekunden erarbeitet, die ich Ihnen bei
nächster Gelegenheit, wenn Sie mich daran erinnern,
gerne verrechne.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Freitag, den 12. September 2003, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.