Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/11/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Wir sollten mit unserer heutigen Debatte nicht beginnen, ohne uns ein Ereignis zu vergegenwärtigen, das dieses Datum noch auf lange Sicht prägen wird. Am heutigen Tage jähren sich die Terroranschläge vom 11. September 2001 zum zweiten Mal. Alle hier im Raum werden sich noch daran erinnern, wie fassungslos wir waren, als wir von den schrecklichen Ereignissen in New York und Washington erfuhren. Wir denken heute an die über 3 000 Menschen, die Opfer dieser verbrecherischen Taten wurden. Unser besonderes Mitgefühl gilt den Angehörigen und Überlebenden, die noch viele Jahre brauchen werden, um das Unfassbare zu verarbeiten. Der 11. September erinnert uns daran, welche Folgen gewalttätiger Fanatismus haben kann. Er verpflichtet uns weiter zur Bekämpfung des politischen Terrorismus und zur Verteidigung unserer freien Gesellschaften, wie der Bundestag mehrfach unterstrichen hat. Unser Ziel muss dabei auch sein, solchen Bewegungen weltweit den Nährboden zu entziehen und die Versöhnung zwischen Völkern, Volksgruppen und Religionen zu befördern. Nun kommen wir zum Alltagsgeschehen. Die Fraktion der SPD teilt mit, dass der Kollege Dr. Peter Struck als stellvertretendes Mitglied aus dem Stiftungsrat der Kulturstiftung des Bundes ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Eckhardt Barthel ({0}) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist der Kollege Barthel als stellvertretendes Mitglied in den Stiftungsrat der Kulturstiftung entsandt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung bei der Beratung des Einzelplanes 09 - Wirtschaft und Arbeit - um die in einer Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte erweitert werden: ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Existenzgrundlagen ({1}) - Drucksache 15/1523 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({3}) - Drucksache 15/1527 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem beschäftigungsfördernden kommunalen Sozialgeld zusammenführen - Drucksache 15/1531 Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Außerdem mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO überwiesen werden. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu Reformen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1204 überwiesen: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Der in der 58. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO überwiesen werden. Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch - Drucksache 15/1514 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Wi- derspruch. Dann ist so beschlossen. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkt 1 - fort: 1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 ({3}) - Drucksache 15/1500 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007 - Drucksache 15/1501 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Ich erinnere daran, dass wir am Dienstag für die heu- tige Aussprache acht Stunden und für morgen eineinhalb Stunden beschlossen haben. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 2 a und 2 b sowie die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf: 2 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1515 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({4}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Drucksache 15/1516 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({5}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Präsident Wolfgang Thierse Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Existenzgrundlagen ({6}) - Drucksache 15/1523 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({7}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 8 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/ CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({8}) - Drucksache 15/1527 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({9}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Daniel Bahr ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem beschäftigungsfördernden kommunalen Sozialgeld zusammenführen - Drucksache 15/1531 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({11}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bundesminister Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich grüße Sie alle sehr herzlich. Ich denke, wir sind uns im Wesentlichen darüber einig, was im Bereich der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber natürlich auch der Finanzpolitik und der Sozialpolitik zu tun ist. Es geht darum, die Wachstumsschwäche, die unser Land jetzt bereits im dritten Jahr belastet, zu überwinden und am Arbeitsmarkt nach vielen Jahren endlich eine Trendwende zu bewirken. Bei allen Maßnahmen, die dafür getroffen werden, dürfen die erheblichen demographischen Veränderungen nicht außer Acht gelassen werden. Um unsere Ziele zu erreichen, brauchen wir neben einer weltwirtschaftlichen Erholung, die wir zurzeit in Ansätzen feststellen können, und neben einer angemessenen Geldpolitik in Europa vor allen Dingen kräftige Impulse zur Förderung der Erholung der Wirtschaft in Deutschland. Wir brauchen tief greifende Strukturreformen, um die Wachstumskräfte zu stärken. Wir müssen dies alles im Rahmen eines - jedenfalls mittelfristig konsolidierten Haushalts umsetzen, da sonst die konjunkturellen Impulse verpuffen und Reformbemühungen ins Leere laufen würden. Wir haben in den letzten drei Jahren eine enttäuschende Wirtschaftsentwicklung erlebt. Nach dieser Zeit sind jetzt - sehr vorsichtig noch - die Signale für den Beginn einer wirtschaftlichen Erholung auch in Deutschland erkennbar. Vor allem das Geschäftsklima, nach wie vor ein zuverlässiger Frühindikator, hat sich in den letzten Monaten kräftig aufgehellt. Die Geschäftserwartungen haben sich im vierten Monat in Folge verbessert. Die Beurteilung der Geschäftslage hat sich gefestigt. Es gibt sogar - man glaubt es kaum - in Deutschland im ersten Halbjahr eine ganz leichte Verbesserung der Binnennachfrage, was zur Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung berechtigt. Für diese Einschätzung spricht auch die internationale Entwicklung. Es spricht dafür die Entwicklung in den USA, wo es wieder ein merkliches Wirtschaftswachstum gibt, auch wenn der Aufschwung dort noch labil ist und eine weitere Beschleunigung noch nicht sicher ist. Für eine positive Erwartung mit Blick auf die Weltwirtschaft spricht auch die Entwicklung in Südostasien, sogar in Japan. Für eine solche Bewertung spricht auch die - allerdings zurückhängende - Entwicklung in der Eurozone; der Bundeskanzler hat gestern darauf hingewiesen. EZB-Präsident Wim Duisenberg hat gestern gesagt, er erwarte für das zweite Halbjahr dieses Jahres eine Konjunkturerholung, die sich im kommenden Jahr verstärken werde. Trotz dieser deutlichen Signale für einen Aufschwung sind viele Unternehmen und viele Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land noch unsicher. Es ist klar, dass dies das Risiko erhöht, dass sich die wirtschaftliche Erholung weiter verzögern könnte. Das ist der entscheidende Grund, weshalb die Bundesregierung vorgeschlagen hat, die dritte Stufe der Steuerreform auf 2004 vorzuziehen. Es geht darum, der Binnennachfrage im privaten Konsum und den Investitionen der Unternehmen den notwendigen Schub zu geben. Wir müssen etwas für den Aufschwung tun, und zwar auf allen Handlungsfeldern. Wir können nicht auf den Aufschwung warten. ({0}) Deshalb ist mein Appell an die Mitglieder der Opposition und an den Bundesrat: Sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen endlich Klarheit bekommen! Ein taktisches „Ja, aber“, wie ich es während der letzten beiden Tage wahrgenommen habe, reicht als Stellungnahme der Opposition nicht aus. Das ist kontraproduktiv. ({1}) Meine Bitte an die Opposition ist - das ist in Anbetracht der Stimmungslage zurzeit fast das Wichtigste -: Bekennen Sie sich zu dieser Politik der Steuersenkungen! Geben Sie damit den Weg für den wirtschaftlichen Aufschwung frei! ({2}) Die Logik der Agenda 2010 ist mehr als eine behutsame Neujustierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Darum geht es auch. Das bewegt uns in vielen Diskussionen. Insgesamt geht es darum, durch ein Bündel von Maßnahmen, durch die Steuerreform und die Steuersenkungen, wie dargestellt, Dynamik und Initiative freizusetzen. Es geht um die Verbesserung der kommunalen Finanzlage, damit die Kommunen wieder investitionsfähig werden. Deshalb hat die Bundesregierung ein Konzept mit einer Entlastung der Kommunen, einer Stärkung ihrer Einnahmesituation und einer Entlastung im Ausgabensektor von 5 Milliarden Euro ab dem Jahr 2005 und 4,5 Milliarden Euro ab 2004, vorgelegt. Auch deshalb brauchen wir eine Reform der sozialen Sicherungssysteme. Wenn wir über die Freisetzung von Dynamik und Initiative sprechen, dann geht es auch um die Liberalisierung der Gütermärkte und der Dienstleistungsökonomie. Deshalb haben wir die Regelungen zum Ladenschluss weiter geöffnet, was offensichtlich nicht ohne Erfolg ist. Deshalb müssen wir Bürokratie abbauen. Deshalb haben wir beispielsweise die Arbeitsstättenverordnung geändert. Wir gehen davon aus, dass wir im Bundesrat die Zustimmung dafür finden, dass wir nicht mehr jeder Unternehmerin und jedem Unternehmer vorschreiben, welche Türhöhe erforderlich ist, welcher Luftraum über einem Arbeitsplatz sein muss, wie groß die Duschkabine zu sein hat oder Ähnliches. Deshalb schaffen wir Statistikgesetze und ähnliche Gesetze ab. Wir müssen neue Kräfte - das sage ich an die Adresse der Herren Kollegen Brüderle und Hinsken sowie an alle anderen Kollegen von der Union und der FDP - im Bereich des Handwerks und im Bereich der berufsständischen Organisationen insgesamt freisetzen. Hier gibt es verfestigte Strukturen, die neu geordnet werden müssen und in die ein frischer Wind einziehen muss. ({3}) Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass es in Deutschland eine tief greifende Debatte darüber geben kann, einfache handwerkliche Tätigkeiten - das sind nach der Rechtsprechung solche, die man binnen eines Vierteljahres erlernen kann - unter bürokratische Kuratel zu stellen. Frau Kollegin Merkel, es ist schwer vorstellbar, dass Sie dies tatsächlich wollen. ({4}) Wenn wir über Dynamik und das Anstoßen von Initiative reden, dann müssen wir auch über eine wachstumsund verbraucherfreundliche Organisation der Finanzmärkte sprechen. Die Netzökonomie im Bereich der Post, der Telekommunikation sowie im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien muss ebenfalls wachstumsorientiert gestaltet werden. Das gilt nicht zuletzt für die Energiewirtschaft. Es geht ferner um eine Stärkung der Finanzbasis der mittelständischen Wirtschaft. Die mangelnde Finanzbasis ist eines der Hauptprobleme, mit dem wir es gegenwärtig zu tun haben. Im Übrigen ist dies ein Problem, um das sich die Kreditwirtschaft in Deutschland kümmern muss und mit dem die Politik als Letzte zu tun hat. Ich appelliere eindringlich an die Kreditwirtschaft, alles Mögliche zu tun, um den Rückstand aufzuholen, den unsere mittelständische Wirtschaft im Bereich der Kreditvergabe und der Eigenkapitalstärkung im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften derzeit hat. ({5}) Es geht natürlich auch - das ist heute das Kernstück um eine wachstums- und beschäftigungsfördernde Reform des Arbeitsmarktes. Es geht um eine Stabilisierung und eine qualitative Weiterentwicklung der dualen Berufsausbildung sowie um eine Modernisierung des Berufsbildungsrechts. Es geht nicht zuletzt - das wird an anderer Stelle noch sehr viel intensiver diskutiert - um eine wesentlich stärkere Förderung von Wissenschaft, Forschung und Entwicklung in Deutschland und in ganz Europa. Diese ist notwendig, wenn wir das Ziel erreichen wollen, diese Region zur wachstums- und innovationsstärksten Region der Welt zu machen. Dass wir mit den angesprochenen Reformen, die ein Bündel von Maßnahmen enthalten, die weit über das hinausgehen, was landläufig diskutiert wird, auf dem richBundesminister Wolfgang Clement tigen Weg sind, zeigen nach meiner Meinung die jüngsten Prognosen. Es ist zwar richtig, dass es sich im Wesentlichen um Stimmungsindikatoren handelt. Aber die realwirtschaftlichen Daten werden, wenn nicht alles täuscht, in Kürze nachziehen. Die ersten Institute haben bereits begonnen - seit ich im Amt bin, ist es das erste Mal -, ihre Prognosen für 2004 nach oben zu korrigieren. Das gilt beispielsweise für das Hallenser Institut für Wirtschaftsforschung, das die Wachstumserwartungen für das Jahr 2004 von 1,7 auf 1,8 Prozent erhöht hat. Das gilt für das Ifo-Institut, das seine Wachstumserwartung von 1,5 auf 1,7 Prozent erhöht hat. Das gilt auch für das RWI, das im Juli ein Wachstum von 1,8 Prozent für das nächste Jahr prognostiziert hat. Angesichts dieser Zahlen frage ich mich: Welcher Sinn soll darin liegen, die positiven Wachstumserwartungen für Deutschland - die Bundesregierung geht im Übrigen von einem Wachstum in Höhe von 2 Prozent im nächsten Jahr aus - zu zerreden und permanent infrage zu stellen? ({6}) Was sollen eigentlich diese ständigen Versuche, mithilfe von Prognosen und anderen Kunstgriffen die Situation in Deutschland möglichst noch schwieriger zu reden, als sie tatsächlich ist? Ich jedenfalls stelle fest - für andere scheint das fast schmerzhaft zu sein -, dass die Prognosen für das nächste Jahr ein kräftiges wirtschaftliches Wachstum ankündigen. ({7}) - Mit Frau Kollegin Scheel würde ich gerne darüber sprechen. Ich habe ihre Erwiderung im Bundestag nicht verstanden. Ich würde ihr gerne klar sagen, dass ich nicht verstehe, wie sie zu dieser Interpretation gekommen ist. ({8}) So ist eben das Leben. ({9}) - Selbstverständlich diskutiere ich mit Ihnen mit besonderem Vergnügen. Aber Ihre Äußerungen sind sehr „flächendeckend“. Sie müssen also schon erlauben, dass ich „flächendeckend“ darauf eingehe. ({10}) Sie von der Opposition reden so. Darin liegt der Unterschied: Frau Kollegin Scheel hat versucht, ihre Äußerung zu interpretieren. Das tun Sie aber nicht. Wenn Sie so weit wären, wären wir einen großen Schritt weiter. ({11}) Im Kern geht es bei allen Strukturreformen darum, die innovativen Kräfte freizusetzen, die in der Eigeninitiative und im Wettbewerb stecken. Wir müssen diese Kräfte für die Zukunft unseres Landes mobilisieren. Darum geht es letztlich auch bei den Reformen am Arbeitsmarkt. Um entscheidende Veränderungen am Arbeitsmarkt erzielen zu können, brauchen wir ein gründliches Umdenken. Wir brauchen einen Mentalitätswandel. Diesen Wandel zu bewirken und zu fördern ist wichtiges Anliegen der vier Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, der so genannten Hartz-Gesetze, und des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt. Die beiden ersten Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zielen auf die Verbesserung der Instrumente zur Vermittlung in Arbeit und die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder. Dazu muss ich allerdings ständig Kritik hören und lesen, und zwar auch von Ihnen. Viele Maßnahmen laufen erst seit einem knappen halben Jahr, einzelne Maßnahmen erst seit zwei oder drei Monaten. Ich nenne nur die Ich-AG, Überbrückungsgelder, Minijobs, Leih- und Zeitarbeit und erinnere an all die anderen Instrumente wie PSA und Kapital für Arbeit. Nicht jedes dieser Instrumente wirkt sofort und so umfassend, wie man es sich vorstellt. Das ist im Leben so. Das kennen vermutlich alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Wir können aber feststellen, dass sich in Deutschland im ersten Halbjahr dieses Jahres bis zum Juli 136 000 Menschen, die bis dahin arbeitslos waren, aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit begeben haben, gefördert durch Überbrückungsgeld oder Mittel im Rahmen der so genannten Ich-AG. ({12}) Dass Menschen den Mut haben, den Weg aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit zu gehen - das betrachte ich als eine wesentliche Veränderung -, sollten wir fördern. ({13}) Wir wissen, dass von den Existenzgründungen dieser Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit in die Selbstständigkeit gehen, etwa zwei Drittel bestehen bleiben - das ist die Erfahrung, die wir im Rahmen des Überbrückungsgeldes gemacht haben - und dass dadurch zwei, drei oder vier Arbeitsplätze entstehen. Deshalb ist dies als eine der wichtigsten Antworten zu bezeichnen, die wir auf die Herausforderungen geben können, die durch die Arbeitslosigkeit entstehen. Meine Bitte ist auch hier, nichts zu zerreden, sondern die Menschen zu ermutigen, solche Wege zu gehen. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel von der FDP-Fraktion?

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Bitte sehr, Herr Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, dass das hervorragende Instrument des Überbrückungsgeldes, das es bereits gab, als ich 1990 in die Bundesanstalt für Arbeit eingetreten bin, nicht ein Ergebnis der Hartz-Gesetzgebung ist? Würden Sie mir weiterhin zustimmen, dass es Minijobs schon gegeben hat, bevor Rot-Grün die Regierung übernommen hat, und dass es in der Haltung dieser Regierung eine Veränderung im Vergleich zur Frühphase der ersten Legislaturperiode gegeben hat? ({0})

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Wenn es Sie beruhigt, Herr Kollege, bestätige ich Ihnen dies, allerdings mit dem Hinweis, dass Sie, anders als wir, die Menschen nicht ermutigt haben, den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Das haben wir mit der Ich-AG getan. ({0}) - Herr Kollege Hinsken, ich lebe in Deutschland, mitten in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein ziemlich starkes Land. Ich lade Sie ein, dieses Land einmal zu besuchen. Wir sind übrigens nicht nur bei der Ich-AG und bei den Unternehmensgründungen erfolgreich, sondern auch in anderen Dingen, wie zum Beispiel bei der gerne zerredeten Personal-Service-Agentur. Herr Kollege Merz hat davon gesprochen, dass erst 600 Menschen in Arbeit seien. Diese Zahlen sind mittlerweile überholt: Derzeit sind über 15 000 Menschen in Personal-Service-Agenturen. Über all diese Wege sind wir auf dem Kurs nach vorne. Natürlich würden Sie und ich es gerne sehen, wenn es noch etwas schneller ginge. Aber wir wissen, dass wir auf diese Weise wichtige strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt erreichen werden. Diese Wege, die den Sektor der Dienstleistungen wie auch den Bereich der Jobs für gering Qualifizierte betreffen und auf denen hoffentlich viele Menschen aus der Schwarzarbeit kommen, um in den ersten Arbeitsmarkt hineinzuwachsen, sind außerordentlich erfolgsversprechend und werden von uns genutzt und gefördert. Das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt enthält arbeitsrechtliche Vorschriften insbesondere beim Kündigungsschutz, um Beschäftigungshindernisse abzubauen. Es begrenzt die Höchstdauer des Bezugs von Arbeitslosengeld. Dabei geht es darum, den Weg in den Vorruhestand, der bisher von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern in wesentlichem Umfang mitfinanziert worden ist, abzuschneiden, um auf diese Weise dazu beizutragen, dass die tatsächliche Lebensarbeitszeit in Deutschland steigt und dass wir über ein Renteneintrittsalter von jetzt etwa 60 Jahren hinauskommen. Die Entwürfe, die das Bundeskabinett am 13. August beschlossen hat und die wir jetzt eingebracht haben - das sind die Entwürfe des dritten und vierten HartzGesetzes -, öffnen der Bundesanstalt für Arbeit das Tor, um als künftige Bundesagentur für Arbeit wirkungsvoll und kundenorientiert als der moderne Dienstleister am Arbeitsmarkt agieren zu können. Sie beseitigen - das ist der Kern des vierten Hartz-Gesetzes - das ineffiziente Nebeneinander von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wir müssen in Deutschland mit den beiden Fürsorgesystemen, dem einen auf der kommunalen Ebene und dem anderen auf der staatlichen Ebene, Schluss machen. Wir müssen auch die Widersprüche, die es zwischen diesen beiden System gibt, beenden. ({1}) Ich will hier, weil wir über den Haushalt sprechen, darauf aufmerksam machen, dass diese Reformvorhaben - insbesondere Hartz IV - voraussichtlich im parlamentarischen Verfahren noch Änderungen im Einzelplan 09 erforderlich machen werden. Das ist vermutlich notwendig, um die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Reformen zu schaffen. Das ist eine inhaltlich wie technisch anspruchsvolle Aufgabe. Die unterschiedlichen Verfahrensstränge folgen unterschiedlichen Zeitvorgaben und müssen sinnvoll aufeinander abgestimmt und gesteuert werden. Ich bitte schon jetzt von hier aus die zuständigen Haushaltsberichterstatter um Unterstützung in diesem Prozess. Wenn es uns gelingt, das Gesamtkonzept so, wie wir es dargelegt haben, umzusetzen, dann werden Verschiebebahnhöfe für Menschen zwischen den verschiedenen sozialen Sicherungssystem in Deutschland beendet. Dann gibt es, hoffe ich, keine unnötigen finanziellen Lasten mehr. Wir werden dann vor allen Dingen unnötige Bürokratie in diesem Sektor, der so viele Menschen betrifft und belastet, kräftig abbauen. ({2}) Meine Damen und Herren, das Ziel der neuen Arbeitsmarktpolitik sind alle erwerbsfähigen Menschen. Es geht um alle erwerbsfähigen Menschen, die Arbeit suchen und die arbeiten wollen, ganz unabhängig davon, welche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes sie beziehen - ob sie aus der bisherigen Arbeitslosenhilfe oder aus der Sozialhilfe kommen. Uns geht es darum, dass diejenigen, die arbeiten können und arbeiten wollen, wenn es irgend geht, so schnell wie möglich in Arbeit vermittelt werden. Für diese Menschen - wir reden über einige Millionen; allein die Zahl der erwerbsfähigen Menschen, die heute in der Sozialhilfe sind, wird auf 900 000 geschätzt - konzentrieren wir mit diesen beiden Gesetzentwürfen die Vermittlungsarbeit in Jobcentern, die künftig die entscheidende und die ausschließliche Anlaufstelle für alle, die in Deutschland in Arbeit vermittelt werden wollen, sein werden. Das ist das Kernstück. Wir wollen, dass selbstverständlich - um diese Diskussion aufzunehmen - die Bundesanstalt für Arbeit, also die künftige Agentur für Arbeit, die fachlich teilweise hervorragenden Einrichtungen der Städte und Gemeinden - die Sozialämter, die Jugendämter, die Fürsorgeämter - und auch die freien Träger in diesen Jobcentern, die teilweise in unseren Städten und Gemeinden schon entstanden sind, sinnvoll zusammenarbeiten. Wir wollen den Gegensatz, den es bisher gibt, dieses Laufen von Behörde zu Behörde, das bisher den arbeitsuchenden Menschen zugemutet wird, mit dieser Bündelung unter einem Dach - wenn es irgend geht, auch räumlich unter einem Dach - überwinden. ({3}) - Nein, dazu braucht nicht eine einzige neue Stelle eingerichtet zu werden. Herr Kollege, es ist gut, dass Sie dazwischenrufen: Es brauchen nicht 16 000 Stellen und auch nicht 11 800 Stellen neu eingerichtet zu werden. Sie sind nicht dabei gewesen, aber in der Unterkommission der Eichel-Kommission, in der alle Ihre Fachleute dabei waren, ist eine Modellrechnung aufgemacht worden. Die Frage lautete: Was ist notwendig, damit wir endlich ein Vermittlungsverhältnis von einem Vermittler auf 75 Arbeitsuchende bekommen und nicht mehr, wie früher, ein Verhältnis von einem Vermittler auf 800 Arbeitsuchende oder wie derzeit noch auf 350 Arbeitsuchende haben? Wir wollen auf ein Verhältnis von 1 : 75 kommen: ein Vermittler bzw. eine Vermittlerin auf 75 Arbeitsuchende. Das ist die wichtigste Veränderung, die wir dort vornehmen, damit wirklich ein Mensch vermittelt werden kann und nicht mehr nur administriert und finanziert wird. ({4}) Dazu brauchen wir aber keine zusätzlichen Einstellungen in der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Kollege. Das kann mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschehen, die dort jetzt vor allen Dingen mit dem Administrieren beschäftigt sind. Wenn wir allein die hohe Zahl von Programmen auf ein vernünftiges Maß reduzieren, werden nach anderen Modellrechnungen 3 000 Stellen eingespart. Selbstverständlich werden wir die kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen und der freien Träger einbeziehen. Das alles ist möglich. Das alles wollen wir tun, und zwar so unbürokratisch wie irgendwie möglich. ({5}) Wir tun das übrigens schon jetzt, indem wir im Vorgriff auf die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zwei Programme aufgelegt haben: JUMP Plus für junge Leute - vor allen Dingen die, die heute in der Sozialhilfe sind -, in der ersten Runde für 100 000 junge Leute, und darüber hinaus ein Programm für Langzeitarbeitslose. Diese Programme laufen bereits. Der Schwerpunkt der beiden Programme liegt in strukturschwachen Gebieten, vornehmlich in den neuen Ländern. Wir stellen dafür, trotz der angespannten Haushaltslage, im kommenden Jahr in meinem Haushalt insgesamt über 700 Millionen Euro zur Verfügung, die um 100 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds ergänzt werden. Hierzu führen wir eine sehr wichtige Diskussion. Ich habe die Bitte, dass wir sie unideologisch und ganz praktisch führen. Ich habe den Eindruck - das haben auch die Vorgespräche gezeigt -, dass wir bezüglich der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit der Union einer Meinung sind. ({6}) Wir müssen die beiden Fürsorgesysteme verschmelzen. Wir diskutieren über die Einbeziehung der Kommunen. Ich kann nur davor warnen, daraus eine ideologische Frage zu machen. Wir sind bereit, jeden Schritt zu gehen. Die Praktiker und wir sind hoch interessiert daran, dass es zu einer ganz engen Zusammenarbeit zwischen den Praktikern der Bundesanstalt für Arbeit, den Praktikern in den Kommunen und den Praktikern bei den freien Trägern kommt. Soweit wir glauben, das gesetzlich regeln zu können, ist dies in dem Gesetzentwurf auch so vorgesehen. Vielleicht haben Sie weiter gehende Vorschläge. Wir sind für Verbesserungsvorschläge absolut offen. Ich halte allerdings die Vorstellung für falsch, man sollte den Kommunen in Deutschland die Vermittlungsverantwortung für alle Langzeitarbeitslosen in Deutschland geben. Meines Erachtens gibt es diese Möglichkeit durch die Kommunen nicht; das würde ich dann gerne belegt haben. Ich warne davor, die Kommunen zu überfordern. Sie wissen es: Mit Ausnahme des Landkreistages, bei dem es auch um die Kompetenzen und nicht nur um die Praktikabilität geht, sagen Ihnen alle kommunalen Spitzenverbände und -institutionen und alle Städte und Gemeinden, dass sie dies nicht wollen und dass sie die Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit selbstverständlich brauchen. ({7}) Das ist das eine. Wir sind zu jedem praktischen Gespräch darüber bereit. Um eines sehr deutlich zu sagen: Ich halte den Versuch, der insbesondere von der hessischen Landesregierung unter Herrn Koch unternommen wird, für falsch. Er versucht nach meinem Dafürhalten, daraus beinahe schon eine programmatische Frage zu machen; das geschieht schon seit zwei Jahren. Wir müssen doch das gemeinsame Ziel haben, die Finanzierungsverantwortung und die Trägerschaft für die künftigen Jobcenter in einer Hand zusammenzuführen. Das zweite Ziel ist, dass wir auch die Leistungen aus einer Hand erbringen. Das heißt, dass wir die Doppelstrukturen, die heute vorliegen, beseitigen müssen. Beide Punkte werden in dem Gesetzentwurf aus Hessen, den Sie, Frau Kollegin Merkel, sich gestern in großen Teilen zu Eigen gemacht haben, nicht eingelöst. Nach dem Vorschlag aus Hessen soll der Bund zwei Drittel und im Niedriglohnsektor sogar 100 Prozent der Kosten tragen. Die Trägerschaft soll aber bei den Ländern und teilweise bei den Kommunen liegen. Neben den bestehenden Agenturen für Arbeit soll bei den Kommunen eine zweite Vermittlungsstruktur aufgebaut werden. Beides soll durch öffentliche Mittel finanziert werden. Eine solche Doppelstruktur ist genau das, was wir gerade überwinden wollen. Das ist der eine Grund, warum dieser Vorschlag nicht vernünftig ist. Der zweite Grund ist, dass die in dem Entwurf vorgesehene Kostenerstattung von zwei Dritteln durch den Bund unter Ausschluss einer Einflussmöglichkeit durch ihn - diese soll allein bei den Ländern liegen - natürlich einen ungehinderten Griff der Länder und Gemeinden in die Kassen des Bundes bedeutet. Sie werden kaum erwarten können, dass dem irgendjemand auf der Bundesebene zustimmen kann. ({8}) Der dritte Grund ist, dass Sie all diese Dinge - dazu gehört auch die Zumutbarkeit - landesrechtlichen Regelungen überlassen wollen. Sie werden mir zustimmen, dass Sie sich damit haarscharf am Rande des verfassungsrechtlich Möglichen bewegen. Sie werden damit den Gleichheitsgrundsatz verletzen. Nun komme ich zum Schlimmsten: Im Bereich der finanziellen Arbeitsanreize, die Sie schaffen wollen - Lohnfreistellung und Lohnzuschlag lauten die Schlagworte dazu -, würde es durch die Realisierung Ihres Vorschlags der dauerhaften Subventionierung eines Niedriglohnsektors, den Sie dauerhaft in Deutschland einzurichten beabsichtigen, zu immensen Mehrausgaben kommen. Nach überschlägigen Berechnungen lägen diese im Milliardenbereich. Dieser soll von den Ländern verwaltet und vom Bund zu 100 Prozent finanziert werden. Wer kann einen solchen Weg allen Ernstes mitgehen wollen? ({9}) Hinzu kommt das, was Sie in dem Entwurf aus Hessen vorsehen. Es geht um die Vermögensanrechnung bei den betroffenen Arbeitsuchenden, die sich ausschließlich am heutigen Bundessozialhilfegesetz orientiert. Ich habe Frau Merkel gestern so verstanden, dass sie selbst damit noch Probleme hat. Das ist für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Blick auf eine angemessene Alterssicherung schlicht nicht akzeptabel und fällt weit hinter das zurück, was wir zu Anfang des Jahres mit den ersten Hartz-Gesetzen gemeinsam hier beschlossen haben. ({10}) In Ihrem Gesetzentwurf vermeiden Sie jede Aussage darüber, wie Sie die Arbeitnehmer eigentlich vermitteln wollen. Es steht dort kein Wort über Fallmanager, kein ernsthaftes Wort über die nötige Veränderung der Vermittlung in Arbeit und kein ernsthaftes Wort über die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Vermittlungsagenturen. Alles bleibt im Vagen. Der Katalog der Eingliederungsleistungen enthält beispielsweise keine einzige soziale Dienstleistung, die wir aber benötigen, wenn wir etwa in der Schulden- oder Suchtberatung erfolgreich sein wollen. Meine dringende Bitte ist, dass wir an diesem Punkt nicht in eine Grundsatzdiskussion hineingeraten. Wichtig ist, dass wir die Aufgaben der Bundesanstalt für Arbeit und der Vermittlungsagenturen und die Arbeit der Kommunen in den Jobcentern zusammenführen. Lassen Sie uns aber auch dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Prozess der Rückkehr in die Arbeit durch eine vernünftige Vermittlungstätigkeit begleitet werden können. Ein anderes Thema, das ich heute hervorheben will - dies liegt uns allen besonders am Herzen -, ist der Ausbildungsmarkt. Es geht um die beruflichen Perspektiven für unsere junge Generation. Es geht um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Lage ist noch etwas schwieriger als im Vorjahr, wenngleich sich die Daten zurzeit verbessern. Wir haben eine Ausbildungsinitiative in Zusammenarbeit mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft gestartet. Wir werden unter anderem den Betrieben und insbesondere den jungen Unternehmen den Erwerb der Ausbildungsbefugnis erleichtern. Von hier aus geht mein Appell an die deutsche Wirtschaft, an jeden einzelnen Unternehmer und jede einzelne Unternehmerin, alle, die Verantwortung und Mitverantwortung in den Unternehmen tragen: Prüfen Sie bitte noch einmal, ob Sie einen zusätzlichen oder überhaupt einen Ausbildungsplatz anbieten können. Wer sich heute als Unternehmer nicht ausreichend darum kümmert, geeigneten Nachwuchs heranzubilden, der läuft Gefahr, in wenigen Jahren ohne Fachpersonal dazustehen. Machen Sie mit und sorgen Sie für die Zukunft vor! Damit werden Sie Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht. ({11}) Ich appelliere von dieser Stelle aus ganz besonders an die DAX-Unternehmen in Deutschland, die etwa durch den Aufbau von Finanzierungsfonds über ihre Ausbildungsleistung hinaus die Möglichkeit haben, Mittel zur Verfügung zu stellen, damit junge Unternehmen, die ausbilden wollen, aber aus finanziellen Gründen noch nicht ausbilden können, in die Lage versetzt werden auszubilden. Ich appelliere an die Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Kommunen: Fallen Sie in Ihrer Ausbildungsleistung nicht zurück! Ungeachtet aller Finanzprobleme kann auch in den Kommunen, in den Ländern und auf der Bundesebene, kann in allen Behörden über Bedarf ausgebildet werden. Nach der Ausbildung können die jungen Menschen dann in anderen Jobs ins Arbeitsleben einsteigen. Ich appelliere an die Kammern. Ich bin sehr dankbar und begrüße es, dass sich die Kammern bereit erklärt haben, jeden ausbildungswilligen Jugendlichen anzusprechen, anzuschreiben oder anzurufen, um ihm einen Ausbildungsplatz anzubieten. Wir müssen die Ausbildungsmöglichkeiten in Deutschland buchstäblich durchkämmen, um ein ausgewogenes und vernünftiges Verhältnis von angebotenen Ausbildungsplätzen und nachfragenden Jugendlichen zu erreichen. Darum geht es. Ich bin überzeugt, dass dies möglich ist. Meine Bitte an die Jugendlichen ist, sich durch Horrormeldungen und alle möglichen Zahlen - das ist schwierig genug - nicht verwirren zu lassen und nicht zu resignieren. Die Situation ist nicht schön. Es ist schwierig, Dutzende von Bewerbungsschreiben zu verfassen - dabei muss man auch viele Absagen hinnehmen -, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Ich hoffe, dass dies auch viele Unternehmer, Betriebs- und Personalräte und Verwaltungsleute verstehen. Aber die Situation ist nicht so dramatisch, wie sie sich in manchen Horrorzahlen widerzuspiegeln scheint. Ich bin für die Berichterstattung in den Medien über die Ausbildung dankbar. Aber wenn ich zum Beispiel im neuesten „Stern“ lese, dass 40 Prozent der Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz bekommen - das läuft unter der Überschrift „Lehrstellenlüge“; anders geht es in Deutschland heutzutage nicht mehr, als dass man jemanden, mit dem man nicht einer Meinung ist, der Lüge bezichtigt -, dann finde ich so etwas nicht hilfreich. ({12}) - Herr Schauerte, ich könnte Ihnen nachweisen, woher der Begriff kommt. Der „Stern“ hat bei seiner Meldung schlicht und ergreifend alle Abgänger allgemein bildender Schulen mit denen, die sich tatsächlich um einen Ausbildungsplatz bemühen, verwechselt. Daraus erwächst dann eine solch gigantische Zahl von angeblich 40 Prozent der Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz. Bitte - das sage ich insbesondere den jungen Leuten lassen Sie sich dadurch nicht irre machen. Es ist notwendig - darauf bestehen wir alle -, dass eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen zur Verfügung gestellt wird. Wir erwarten und müssen auch erwarten, dass dies im Laufe dieses Jahres geschieht. Das geht, wenn alle wollen. Das geht, wenn die Unternehmen, die ausbilden können, tatsächlich ausbilden. Deshalb ist meine Bitte von hier aus, dies zu tun. ({13}) Im mexikanischen Cancun hat die Welthandelskonferenz begonnen, an der auch 16 Abgeordnete dieses Hohen Hauses teilnehmen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich im Verlaufe dieser Debatte versuchen werde, eine Reisemöglichkeit nach Cancun zu nutzen, um dort dabei sein zu können, was wohl meine Pflicht ist. ({14}) In Cancun werden in den nächsten Tagen wichtige Weichen für die weitere Entwicklung des Welthandels und für die Entwicklungschancen weiter Teile der Welt gestellt. Ich hoffe und gehe davon aus, dass wir insbesondere mit Blick auf die Entwicklungsländer einiges erreichen können. Deutschland spielt im Rahmen der Verhandlungsführung der Europäischen Union eine wichtige Rolle. Diese Rolle ist gestärkt, seit klar ist, dass wir nicht nur in Deutschland die Reformdynamik verstärken, sondern auch in der Europäischen Union, etwa mit dem Agrarkompromiss mit Frankreich, den der Bundeskanzler Anfang Juni auf den Weg gebracht hat. All dies hat in Europa vorsichtige Erleichterung ausgelöst. Das ist kein Wunder, denn die deutsche Volkswirtschaft ist führend in Europa und erbringt im Euroraum etwa 30 Prozent der Wertschöpfung. Das ist weitaus mehr als die Wertschöpfung Frankreichs mit rund 22 Prozent oder Spaniens mit rund 10 Prozent. 1 Prozent Wachstum mehr in Deutschland bedeutet mehr als 20 Milliarden Euro Wertschöpfung für die Europäische Union. Die Verflechtung der Güter- und der Finanzmärkte in der EU ist inzwischen so stark, dass ein schwaches Wachstum in Deutschland unmittelbare Auswirkungen auf die konjunkturelle Lage der Nachbarstaaten hat. Ohne Deutschland kommt die Europäische Union nicht voran. Die Europäische Union wartet auf positive Signale aus Deutschland. Wir müssen und werden Deutschland wieder zum Motor der europäischen Wirtschaft machen. Dafür tragen wir alle Verantwortung. Meine Bitte ist, dass wir die unstreitigen Reformen auf den verschiedenen Feldern, ob das das Vorziehen der Steuerreform ist, ({15}) - es geht um die Felder, Frau Kollegin - ob es um die Gemeindefinanzreform geht, die Reform der sozialen Sicherungssysteme und weitere Reformen, auf den Weg bringen, damit wir die Chance, die sich jetzt aus der Entwicklung des Welthandels und der Erwartungen in Deutschland ergibt, wirklich nutzen. Wir müssen durch Strukturreformen klare Signale für die Bewältigung der längerfristigen Zukunftsaufgaben setzen, um die Märkte zu überzeugen und damit die Konjunkturerwartungen dauerhaft zu verbessern. Das ist im Interesse Deutschlands und dafür bitte ich um Unterstützung. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben wird gemeldet, dass die schwedische Außenministerin Anna Lindh ihren Verletzungen erlegen ist, die ihr von einem Attentäter zugefügt wurden. Noch haben wir keine Informationen über Täter und Motiv. Ich kann nur unseren Abscheu über diese Tat ausdrücken und den Angehörigen unser Mitgefühl aussprechen. Unsere Solidarität gilt dem Volk, dem Parlament und der Regierung Schwedens. Ich danke Ihnen. Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben am Anfang Ihrer Rede ein Bild der wirtschaftlichen Lage in Deutschland gemalt, wonach sich alles bessert, und Sie haben uns vorgeworfen, dass wir Ihnen das Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, das Sie prognostizieren, nicht gönnen. Sie sollten doch wissen, dass Christen grundsätzlich nicht neidisch sind. ({0}) Dass wir das hinterfragen, liegt schlicht und ergreifend daran, dass bis heute keine der Prognosen, die Sie in den Monaten, in denen Sie im Amt sind, getroffen haben, Realität wurden. ({1}) Die Wahrheit ist, dass Sie vor einem Jahr hier einen Haushalt eingebracht haben, ihn genauso vehement wie heute verteidigt haben und von einem Wachstum von zweieinhalb Prozent ausgegangen sind. Dann haben Sie im November, nach der Steuerschätzung, diese Prognose auf 1,5 Prozent zurückgenommen. In einem dritten Schritt haben Sie in Interviews gesagt, dass wir nur 1 Prozent erreichen. ({2}) Sicher wird sein, dass wir dieses Jahr bestenfalls ein Wachstum von 0,75 Prozent erreichen. Angesichts solcher Vorgänge können Sie es uns doch nicht verübeln, dass wir Ihre Prognosen hinterfragen. Ich komme zu einem weiteren Punkt. Sie haben im vorigen Jahr in einer ähnlichen Art, in der Sie heute geredet haben, einen Haushalt eingebracht, der null Euro Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit vorsah. Dann wurden daraus 3 Milliarden, später 5 Milliarden Euro. Am Ende dieses Jahres wird der Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit 11 Milliarden Euro betragen. Dass wir angesichts dieser Prognosen und der eingetretenen Entwicklungen den Haushaltsentwurf hinterfragen, ist unsere Pflicht. Im Übrigen entspricht das auch der Meinung innerhalb der deutschen Bevölkerung. ({3}) Die Menschen haben längst begriffen, dass sich unser Land nach fünf Jahren Rot-Grün leider Gottes in der größten Wachstums-, Beschäftigungs- und Haushaltskrise der Nachkriegszeit befindet. Die Menschen haben den Eindruck, dass die Regierung statt mutigem Gegensteuern und mutigen Reformen nur Flickschusterei betreibt. Zudem gibt es innerhalb der Koalitionsfraktionen einen großen Streit über wesentliche Reformziele. Das führt zwangsläufig zu einem Vertrauensverlust. Die uns objektiv vorliegenden Zahlen lassen die Annahme eines Wirtschaftswachstums von 2 Prozent leider nicht besonders solide erscheinen. Es gibt kein Forschungsinstitut, das Ihnen darin Recht gibt. Im ersten Halbjahr dieses Jahres gab es 19 200 Insolvenzen. Insgesamt werden dieses Jahr - das bestätigen alle Fachleute - wahrscheinlich 40 000 Insolvenzen zu verzeichnen sein. Das ist die größte Pleitewelle, die wir je erlebt haben. Noch schlimmer gestaltet sich die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen. Seit dem Jahre 2000 - 1999/ 2000 hat die Zahl der Erwerbstätigen sogar etwas zugenommen; das sei der Ehrlichkeit halber erwähnt - gibt es in Deutschland 660 000 Erwerbstätige weniger. Für die Volkswirtschaft bedeutet das 1,8 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen, 6 Milliarden Euro weniger Einnahmen für die Sozialversicherungen und 6 Milliarden Euro Mehrausgaben des Staates für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder schlimmstenfalls Sozialhilfe. Ich glaube, dass diese Zahlen deutlich machen, dass dieser Entwicklung eine solide Politik bzw. eine Politik der Reformen und Veränderungen entgegengestellt werden muss. ({4}) Herr Clement, Sie sind nach der Bundestagswahl in der Öffentlichkeit mit einem sehr großen Vertrauensvorschuss als Superminister gefeiert worden. ({5}) Sie werden verstehen, dass ich als nordrhein-westfälischer Bürger von Anfang an sehr skeptisch war, ({6}) weil wir in Nordrhein-Westfalen schon wussten, dass Sie in den Ankündigungen gut sind, aber im Ergebnis immer das Schlusslicht in Deutschland angeführt haben. ({7}) Ich will nur einige Beispiele für die großen Fehler, die Sie machen, nennen. Nehmen wir das Beispiel der Handwerksordnung, von der Sie heute auch gesprochen haben. Im Handwerk finden 520 000 junge Menschen eine Ausbildung. Im Handwerk wird ein Umsatz von 417 Milliarden Euro erzielt. Mit seinen gut 5,3 Millionen Arbeitsplätzen ist das Handwerk - das ist unstreitig - in Deutschland eine wesentliche Jobmaschine. Sie haben in Ihrer Rede die Verpflichtung der Unternehmen zur Ausbildung angesprochen. Diese Auffassung teilen wir völlig. Aber warum Sie sich in der Frage, welches Gewerbe weiterhin in der Anlage A aufgeführt wird und dem Meisterzwang unterstellt bleibt, bis zum heutigen Tag weigern, neben dem Kriterium der Gefahrengeneigtheit auch die Ausbildungsleistung mit anzuerkennen, ist mir angesichts Ihrer Worte und Floskeln völlig schleierhaft. ({8}) Ich möchte ein zweites Beispiel anführen. Das, was Sie machen, geschieht in einer Weise, dass man darüber nur weinen kann. So haben Sie über Ihr Ministerium schriftlich mitteilen lassen, dass der Baubereich der Maurer in der Anlage A bleibt, dass aber der Steinmetz aus der Anlage A herausfällt. Können Sie mir erklären, welcher Unterschied hinsichtlich der Gefahrengeneigtheit zwischen einem Steinmetz und einem Maurer besteht? Das, was Sie machen, machen Sie schlecht. Da liegt das Problem! ({9}) Ein weiteres Beispiel: Vor einem halben Jahr haben Sie in den deutschen Medien - das haben Sie heute nur angedeutet - eine Debatte über die Gebühren- und Honorarordnung der freien Berufe angestoßen. Auf unsere Kleine Anfrage, die wir daraufhin an die Bundesregierung gerichtet haben, erhielten wir die amtliche Mitteilung, man denke noch nach und habe sich noch keine Meinung gebildet. Auf diese Weise - Sie kündigen etwas an, um gleich wieder zurückzurudern - zerstören Sie Vertrauen. ({10}) Sie sollten erst nachdenken und dann handeln; das wäre wichtig. Ansonsten sorgen Sie nur für Verunsicherung. Noch ein Beispiel: Seit gestern hat die Debatte über eine Ausbildungsplatzabgabe durch den Vorschlag, eine Stiftung zu gründen, eine neue Qualität bekommen. ({11}) Aus den Reihen der Grünen gibt es sogar den Vorschlag, bis zu 2,5 Prozent der Lohnsumme dafür einzusetzen. Obwohl Sie genau wissen, was man alles machen muss, um bei der Sozialversicherung nur 1 Prozent einzusparen, reden Sie ganz locker über eine solche Größenordnung. Wahrscheinlich erheben Sie eine solche Forderung, um Ihre Parteifreunde in Deutschland, insbesondere in den Bildungsträgern, in Lohn und Brot zu halten. ({12}) Ich kann Ihnen dazu nur sagen: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es bereits eine Ausbildungsabgabe in einem großen Wirtschaftsbereich, nämlich in der Bauindustrie. Seit 1967 haben dort alle Betriebe eine Ausbildungsabgabe von 1,2 Prozent der Lohnsumme zu entrichten. Trotz dieses Umlageverfahrens ist die Zahl der Ausbildungsplätze im Baugewerbe innerhalb von fünf Jahren von ehemals 100 000 auf 44 000 zurückgegangen. Dieser Großfeldversuch in einem deutschen Industriebereich hat also dazu geführt, dass die Zahl der Ausbildungsplätze nach Einführung einer solchen Abgabe um mehr als die Hälfte abgenommen hat. ({13}) - Sie sagen zu Recht: Aber nicht wegen der Umlage, sondern wegen der schlechten Konjunktur im Baubereich! Das stimmt. Aber gerade deshalb werden wir das Lehrstellenproblem nur dann nachhaltig lösen, wenn wir uns für eine Politik entscheiden, die die Wachstumsimpulse in unserem Land stärkt. Das ist doch das Problem, das nicht angegangen wird. ({14}) Angesichts all dieser Beispiele kann ich dem niedersächsischen SPD-Landesvorsitzenden Wolfgang Jüttner nur völlig Recht geben, der in der in dieser Woche erschienenen Ausgabe des „Spiegel“ gesagt hat: Viele Leute glauben euch Berlinern nichts mehr, trauen euch aber alles zu. Das ist nicht irgendeiner, der das sagt, sondern das ist der SPD-Landesvorsitzende in Niedersachsen! Eines der Mitglieder dieses SPD-Landesverbandes ist Bundeskanzler Schröder. Ausgerechnet der Vorsitzende dieses Landesverbandes sagt - ich zitiere noch einmal -: Viele Leute glauben euch Berlinern nichts mehr, trauen euch aber alles zu. Herr Clement, dass dies ein SPD-Landesvorsitzender sagen muss, dazu haben Sie in den letzten Monaten einen großen Beitrag geleistet. ({15}) Wenn man einige Minuten innehält und einmal darüber nachdenkt, was wir in Deutschland tatsächlich brauchen, ({16}) dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir einen Minister für Wirtschaft und Arbeit bräuchten, der so viel Rückhalt durch den Bundeskanzler im Kabinett hat, dass er alle politischen Entscheidungen, die in den einzelnen Ressorts getroffen werden, so ausrichten kann, dass sie zu mehr Arbeitsplätzen und mehr Wachstum in Deutschland führen. ({17}) Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang nur zwei Beispiele nennen, die Hunderttausende in Deutschland auf die Palme bringen. Ich möchte heute Morgen nicht die ideologische Debatte darüber fortsetzen, ob das Dosenpfand richtig oder falsch ist. Wenn man aber ein solches Pfand einführt, dann darf man es nicht so dilettantisch wie Sie machen; denn dadurch sind Tausende von Arbeitsplätzen in der Verpackungsindustrie vernichtet worden. Zigtausend Menschen haben ihre Arbeitsplätze wegen dieses Wahnsinns verloren! Schauen Sie sich nur die Berichterstattung über die Firma Lekkerland an, die viele Tankstellen in Deutschland beliefert. Aber der Bundeswirtschaftsminister macht diesen ganzen Unfug einfach mit. ({18}) Der Bundesverkehrsminister will nun eine LKWMaut einführen. Wir waren uns einig, dass die deutschen Speditionen eine Kompensation für die Maut brauchen. Aber der Minister vergisst, die Kompensation mit der EU zu besprechen! ({19}) Jetzt herrscht nur Verunsicherung bei Tausenden von Arbeitgebern und Hunderttausenden von LKW-Fahrern. Was wird eigentlich am 2. November auf den deutschen Straßen los sein? Das betrifft Menschen und Arbeitsplätze. Es ist außerordentlich wichtig, dass die Menschen in Lohn und Brot bleiben, aber wir haben einen Bundeswirtschaftsminister, der nichts dazu beiträgt. ({20}) Ich muss heute einen weiteren Punkt ansprechen. In der Sommerpause hat sich der Wirtschaftsminister damit hervorgetan, dass er auf die Bedeutung der Energiepolitik für den Standort Deutschland hingewiesen und Planungssicherheit für Kraftwerke gefordert hat: Die Rahmenbedingungen sind so auszugestalten, dass Deutschland auch künftig ein attraktiver Standort für die Energiewirtschaft und die Industrie bleibt und sich ein Energiemix ergibt, der den gleichrangigen Zielen Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz gerecht wird... wir können nicht gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aussteigen. Das ist richtig, das unterstützen wir. Aber was ist in den Tagen und Wochen nach diesen Worten in Ihrer Regierung und in Ihrer Bundestagsfraktion passiert? In diesem Jahr werden die Ausgaben für die Förderung der regenerativen Energien die Höhe der Steinkohlesubventionen erreichen. Das ist die Wahrheit. Unser Anteil der staatlichen Belastung der Energiepreise liegt bei 40 Prozent, in Schweden liegt er bei 36 Prozent, in England bei 6 Prozent und in Amerika bei 5 Prozent. Günstige Energiepreise sind für die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Bereichen genauso wichtig wie die Lohnnebenkosten. ({21}) Wieder einmal hat sich der Wirtschaftsminister nicht durchgesetzt. Sie investieren weiterhin auch an unmöglichen Standorten in die Windenergie. Davon haben nur die Leute etwas, die an Windenergiefonds beteiligt sind. Ihre Energiepolitik belastet einen Haushaltsvorstand mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch und einer durchschnittlichen Kilometerleistung seines Autos mit rund 35 Euro im Monat. Würde man die 35 Euro in einer Lebensversicherung anlegen, hätte man zumindest für die zusätzliche Alterssicherung nach 30 Jahren über 17 000 Euro. Dort wäre das Geld besser angelegt als bei denen, die hierzulande in Windparks investieren können. ({22}) Ihre Politik können sich nur reiche Leute leisten, kleine Leute nicht mehr. ({23}) Herr Clement, am Schluss Ihrer Rede haben Sie die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe angesprochen. Ich darf Ihnen für die Union sagen: Wir sind sehr an einer Lösung interessiert. ({24}) Wir tragen aber nur eine Lösung mit, die gewährleistet, dass sie von der Administration her funktioniert; denn wir reden über 4,3 Millionen Menschen. Das ist eine gewaltige Zahl und eine große Verantwortung. Ich stelle die Reform der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der Bedeutung für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in eine Reihe mit den großen Rentenreformen, die wir in der Geschichte unseres Landes gemacht haben. Es ist eine gewaltige Reform, die dort angestoßen wird. Sie muss so ausgestaltet sein, dass sie funktioniert und nicht nur Niveaus senkt. Wenn ich als jemand, der seit über zehn Jahren Arbeitsmarktpolitik im Bundestag betreibt, eines weiß, dann ist es Folgendes: Die Bundesanstalt für Arbeit ist dazu nicht in der Lage. ({25}) Deshalb, glaube ich, ist es richtig, eine regionale Verankerung der Verantwortlichkeiten vorzunehmen und gesetzestechnisch dafür zu sorgen, dass die beiden Ebenen zusammenarbeiten. Wir möchten, dass die Kommunen dabei den Hut aufhaben. Sie sprachen den Niedriglohnbereich an. Führen wir doch darüber eine ganz offene und ideologiefreie Diskussion! Die Hälfte der Menschen, die Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe erhalten, hat keine Berufsausbildung. Das ist Fakt. Vielleicht werden wir durch Qualifizierung den einen oder anderen auf das Niveau einer Berufsausbildung oder eines Gesellenbriefes heben können, wir werden das aber nicht bei allen schaffen. Wissen Sie, worin seit Jahren und zunehmend unser größtes arbeitsmarktpolitisches Problem besteht? Es gibt in Deutschland keine Arbeit mehr für Menschen, die nur eine einfach strukturierte Tätigkeit ausüben können. Diese Arbeitsplätze sind heute in Osteuropa. Ich habe hier einen Wahlkreis zu vertreten, in dem die Textilindustrie eine große Rolle spielt. Einfache Nähtätigkeiten, wie es sie in den Textilfabriken noch gab, als ich meine Arbeit im Bundestag begonnen habe, gibt es heute nicht mehr. Gehen Sie einmal in eine große Maschinenbaufabrik! Wo gibt es noch einfache Schweißtätigkeiten? Ich habe den Job eines Maschinenschlossers 17 Jahre lang gemacht. Da kenne ich mich ein bisschen aus. Mittlerweile wird der allergrößte Teil dieser Arbeiten in Osteuropa geleistet. Aber die Menschen, die diese Arbeit aufgrund ihres Anforderungsprofils noch vor 20 oder vor 15 Jahren gemacht haben, leben nach wie vor in diesem Land und sie können auch nicht weggehen. Diese Arbeiten werden hier für Stundenlöhne von 10, 11 oder 12 Euro nicht stattfinden, auch wenn ich das gerne wollte. Das durch solche Arbeiten erzielbare Einkommen wird, wenn man zu Hause eine Bedarfsgemeinschaft, sprich: eine Familie, hat, nicht oberhalb der Sozialhilfe liegen. Ich finde, deswegen ist es - auch für den Bundeswirtschaftsminister - lohnend, hier über die Förderung des Niedriglohnbereiches und über das Wiederentstehen von einfach strukturierter Arbeit in Deutschland nachzudenken und zu streiten. Solche Jobs gibt es nicht mit Löhnen oberhalb der Sozialhilfe, wenn die betreffenden Arbeitnehmer in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Deswegen glaube ich, dass Hessen mit seinem kommunalen Ansatz und mit der Förderung des Niedriglohnbereiches richtig liegt. Dort werden die nötigen Voraussetzungen für einen funktionierenden Arbeitsmarkt geschaffen. Was wollen Sie denn mit Ihrer ganzen Arbeitsmarktpolitik erreichen, wenn es die entsprechenden Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt gar nicht gibt? Einfach strukturierte Arbeit kann doch wohl nicht nur in kommunalen Beschäftigungsgesellschaften stattfinden. Ich sage Ihnen: Deswegen müssen wir an diesen ganzen Bereich herangehen; sonst werden Sie dieses Problem nicht lösen. Wenn Sie wirklich gemeinsam mit uns eine Lösung finden wollen, dann werden wir das daran erkennen können, dass Sie - das sollten Sie bitte tun - die Hartz-IIIGesetze im Bundestag stoppen, bis man im Rahmen von Hartz IV geregelt hat, wer die Trägerschaft übernimmt. Solange diese Frage nicht entschieden ist, ist es verrückt, eine Reform der Bundesanstalt für Arbeit zu beschließen, die vorsieht, dass sie demnächst die Zuständigkeit für 4,3 Millionen Menschen mehr hat. ({26}) Lassen Sie uns deswegen erst über Hartz IV oder über Hartz IV und Hartz III zusammen reden! Vielleicht finden wir dann eine Lösung. Das Einzige von dem, was auf der Grundlage der bisherigen Hartz-Gesetze auf den Weg gebracht worden ist - ich erinnere an unsere Verhandlungen im letzten Herbst mit Ihnen -, was funktioniert, ist das, was wir von der Union durchgesetzt haben: die Minijobs. Alles andere war Schall und Rauch. Deswegen sollten Sie auch bei Hartz IV sehr auf uns hören. Von Arbeitsmarktpolitik verstehen wir mehr, weil wir den Arbeitsmarkt besser als Sie kennen. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, ich war enttäuscht. ({0}) Ich habe im Ausschuss immer wieder erlebt, dass Sie viele fundierte, praktische Kenntnisse über den Arbeitsmarkt haben. Sie haben hier Ihre Vorstellungen auf zwei Punkte reduziert - Sie haben zum Schluss eine Zusammenfassung vorgenommen -: Niedriglohnsektor und die Frage „Wer hat in den Jobcentern den Hut auf?“. Das hat mit einem Konzept, das sich mit der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt auseinander setzt nun wirklich nur entfernt zu tun. Gleichzeitig haben Sie hier beklagt - das war der große Auftakt Ihrer Rede -, dass der Minister Prognosen korrigieren musste; das ist mein zweiter Hauptkritikpunkt. Dazu kann ich nur sagen: Eine Konstante der letzten zwei Jahre war, dass alle Wissenschaftler und alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute ihren aktuellen Prognosen immer eine Korrektur der alten voranstellen mussten. Das ist das Ergebnis der nicht prognostizierten schwierigen stagnativen Phase, die wir hatten. Herr Laumann, nach Ihrer Rede kann ich nur sagen: Wir brauchen mehr Blaumänner und weniger Laumänner, wenn es um Arbeitsmarktpolitik geht. ({1}) Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist eine der zentralen Gerechtigkeitsfragen, mit denen wir uns im Moment auseinander setzen müssen. Es ist eine bittere Situation für die Jugendlichen, immer noch unsicher darüber zu sein, ob sie überhaupt eine Ausbildungsstelle finden. Es ist eine bittere Situation für junge Frauen, die gut qualifiziert sind, dass sie nicht arbeiten können, weil sie keine Kinderbetreuung finden. Es ist eine bittere Situation, wenn Menschen in Betrieben arbeiten müssen, in denen niemand über 50 Jahre eingestellt wird. Es ist eine bittere Situation für alle Arbeitslosen in diesem Land, dass wir eine durchschnittliche Dauerarbeitslosigkeit von 32 Wochen haben, die weit über dem europäischen Durchschnitt liegt. ({2}) Das hat sich über die letzten Jahrzehnte Jahr für Jahr so aufgebaut. Weil das so ist, ist es richtig, den Abbau der Arbeitslosigkeit in das Zentrum der Politik zu stellen, vor allem den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit und den Abbau der Schwarzarbeit. ({3}) Das ist die zentrale Frage, sozusagen das Zentrum der Agenda 2010. Ihr Ziel ist es, die Investitionen in Arbeit voranzubringen. Wenn wir uns die Details dazu ansehen, dann müssen wir erkennen, dass all die schwierigen Veränderungen am Arbeitsmarkt, die wir eingeleitet haben - seien es neue Instrumente wie Personal-Service-Agenturen oder eine bessere Betreuung -, nur greifen können, wenn es uns gelingt, aus der stagnativen Phase heraus- und in eine Wachstumsphase hineinzukommen. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung wird es keine neuen Arbeitsplätze oder erfolgreiche neue Instrumente in der Arbeitsmarktpolitik geben können. Wir brauchen für neue Arbeitsplätze - das ist ganz klar - Wachstum. Deswegen verstehe ich die ständige Polemik dazu, ob zum Beispiel die Personal-Service-Agenturen funktionieren oder nicht, überhaupt nicht. Im Moment sind wir gar nicht in einer Situation, in der Zeitarbeit oder irgendetwas anderes zur Integration auf dem Arbeitsmarkt boomen kann. Wir müssen den Aufschwung in Gang bringen. Deswegen müssen wir die Steuerreform vorziehen. Herr Laumann, Sie können darüber reden, wer in den Jobcentern den Hut aufhat, aber Sie wissen ganz genau, dass es letztlich darum geht, die vorgezogene Steuerreform auch zu einem konjunkturellen Erfolg zu machen, damit die Jobcenter zukünftig auch wirklich vermitteln können. Es geht darum, dass Sie im Bundesrat zum Beispiel den Subventionsabbau unterstützen. Das wäre für die Finanzierung der Steuerreform erforderlich und würde dazu beitragen, die Neuverschuldung möglichst gering zu halten. Da sind Sie in der Pflicht. Es ist eine arbeitsmarktpolitische Aufgabe auch für Sie, die Unterstützung dafür im Bundesrat zu organisieren. ({4}) Die Diagnose ist einfach, aber bedrückend: Über die letzten Jahrzehnte, etwa über die letzten 30 Jahre, haben wir von Krise zu Krise eine zunehmende Sockelarbeitslosigkeit zu verzeichnen gehabt. Aus jeder Krise sind wir mit immer höherer Arbeitslosigkeit herausgekommen. Dieser Trend, der schon über Jahrzehnte geht, muss durchbrochen werden. Wir haben am Arbeitsmarkt Strukturprobleme, nicht nur konjunkturelle Probleme. Die Reformen müssen die Strukturprobleme angehen. Deswegen ist eine zentrale Aufgabe der Agenda 2010: die Lohnnebenkosten senken, Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen verwirklichen. Wir müssen die Spirale von höheren Lohnnebenkosten, mehr Arbeitslosigkeit, wieder höheren Sozialversicherungsbeiträgen usw. durchbrechen. Wir müssen die Beschäftigungsschwelle generell senken. Selbst ein Wachstum von 2 Prozent kann nicht zu mehr Beschäftigung führen, wenn die Beschäftigungsschwelle weiterhin bei 2 Prozent Wachstum und in den neuen Bundesländern sogar bei 3 Prozent Wachstum liegt. ({5}) Also müssen wir entbürokratisieren. Also müssen wir auch die Handwerksordnung entrümpeln. Herr Laumann, lassen Sie mich dazu ein Wort sagen: Vor dem Hintergrund der Jugendarbeitslosigkeit, der Schwierigkeiten der Jugendlichen, Ausbildungsplätze zu finden, und vor dem Hintergrund dessen, dass der alte Zopf Handwerksordnung - das ist ja noch aus dem Mittelalter ({6}) dazu führt, dass neue Betriebe, die einfache Tätigkeiten anbieten, nicht gegründet werden können, finde ich es wirklich bemerkenswert, wie es Ihnen gelingt, beides gegeneinander auszuspielen. So sagen Sie, man dürfe die Handwerksordnung nicht verändern, weil dann die Ausbildungsbereitschaft des Handwerks sinke. ({7}) Wir wissen, dass das Handwerk und die kleinen Betriebe viel ausbilden und die Stütze des Ausbildungsmarktes sind. Trotzdem muss mit der Verkrustung und Verbürokratisierung des Arbeitsmarktes, die Sie gepflegt haben - so waren zum Beispiel Existenzgründungen in diesem Bereich nur sehr schwer möglich -, Schluss gemacht werden. ({8}) - Sie sind ideologisch verkrustet. Da haben Sie Recht. ({9}) Ich will es Ihnen mit einem anderen Beispiel belegen. Um die Schwelle für Beschäftigung zu senken, braucht man zum Beispiel auch mehr betriebliche Bündnisse für Arbeit. ({10}) - Sie fragen, wer sie verhindere. Ich will Ihnen einmal sagen, was Sie machen. ({11}) Wir brauchen betriebliche Bündnisse für Arbeit. Das können wir zum Beispiel über mehr Öffnungsklauseln in den Flächentarifverträgen, die wir unbedingt brauchen, regeln. Sie aber nutzen die schwierige Arbeitsmarktsituation aus, um in Form von trojanischen Pferden den Flächentarifvertrag auszuhebeln. ({12}) Das wollten Sie ja schon immer. So sieht Ihre Arbeitsmarktpolitik aus. ({13}) Wir müssen, um neue Beschäftigung zu schaffen, auf allen Ebenen Reformen durchführen. Es handelt sich gerade bei den anstehenden arbeitsmarktpolitischen Reformen um eine Operation auf hoher See. Da wird es übrigens auch große Übergangsprobleme geben, aber wir müssen das tun. ({14}) - Ich sage Ihnen, was wir tun. Aber Sie müssen bei dem, was wir tun, mitmachen. Wir werden jetzt einen ganz zentralen Schritt machen, den zu gehen Sie schon seit langem fordern, aber wozu Sie nie den Mut hatten, nämlich die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Hierbei handelt es sich um einen Paradigmenwechsel in der Politik: weg vom Ausgrenzen, hin zum Integrieren. Die Arbeitslosenpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat dazu geführt, dass zum Beispiel arbeitslose Sozialhilfeempfänger von den Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik ausgegrenzt wurden. Wir hatten drei Klassen von Arbeitslosen. Die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger hatten keinen Zugang zu den Mitteln der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Stattdessen mussten sie ihre Zeit für demütigende Gänge nutzen, zum Beispiel wenn ihr Kind einen Schulausflug machen wollte. Wir regeln das jetzt anders. ({15}) Wir werden durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine Hilfe aus einer Hand einführen. Wir werden die Leistungen pauschalisieren und Anlaufstellen für alle Arbeitslosen einführen, nämlich die Jobcenter; darauf komme ich noch zu sprechen. Wir werden hier eine Regelung schaffen, wonach alle, die mehr als drei Stunden arbeiten können, die also nicht zu jung, nicht zu alt und nicht zu krank sind, eine Leistung aus einer Hand bekommen, und zwar pauschaliert nach klaren Vorgaben. An der Stelle muss ich noch hinzufügen: Wir wollen, dass die klare Regelung auch bezüglich des Rentenrechts so umgesetzt wird und nicht per Verordnungsermächtigungen andere Kriterien wie Arbeitsmarktnähe eingeführt werden können. ({16}) Es geht bei dieser Reform um unheimlich viel: um eine neue Denke, um gleichzeitiges Fördern und Fordern. Gerade das steht insbesondere hinter dem Vorhaben der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wie sieht Ihre Antwort darauf aus? Herr Laumann, Sie haben ja eben noch einmal vorgetragen, was uns die Opposition anbietet. Sie schlägt verschiedene Modelle vor: Hessen sagt etwas, Niedersachsen sagt etwas, Baden-Württemberg sagt etwas und Stoiber meint nun, durch Lockerungen beim Datenschutz Sozialhilfebetrüger aufspüren zu können und damit ein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit in der Hand zu haben. Das ist lächerlich. Diese verschiedenen Vorschläge, die von Ihrer Seite kommen, reduzieren sich eigentlich auf zwei Punkte: Erster Punkt: Sie wollen das Arbeitslosengeld II für arbeitsfähige Arbeitslose, die Arbeit suchen, generell unter das soziokulturelle Existenzminimum absenken. ({17}) Das lehnen wir ab. Wir haben einen vollständig anderen Ansatz. Die Menschen haben einen Anspruch auf das soziokulturelle Existenzminimum. Sie müssen Angebote bekommen und diese Angebote müssen sie annehmen, das ist richtig. Wenn sie diese Angebote nicht annehmen, wird es Sperrzeiten und Sanktionen nach dem Grundsatz „Fördern und fordern“ geben. ({18}) Ihr Vorschlag ist unsozial. Ihr zweiter Punkt: Sie wollen einen flächendeckenden Niedriglohnsektor einführen; dafür hat Herr Laumann eben noch geworben. Erstens ist das nicht finanzierbar - Hessen oder andere Bundesländer, die das vorschlagen, sagen überhaupt nichts zur Finanzierung, außer: Der Bund soll bezahlen -; zweitens werden wir dadurch in eine arbeitsmarktpolitische Schieflage kommen, die auf ein „working poor“, wie wir es aus den USA kennen, hinausläuft. ({19}) Das ist verheerend, das wollen wir nicht. Wir haben einen ganz anderen Ansatz. ({20}) Wir bieten Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfängern eine gezielte Förderung zur Aufnahme von Arbeit, zur Integration. Wir setzen gezielt auf bessere Zuverdienstmöglichkeiten und auf ein Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose, und zwar - und das ist gut an diesem Gesetz - abhängig vom Familienstatus. Wir machen den ersten Schritt hin zu einer Kindergrundsicherung, weil Menschen nicht wegen ihrer Kinder in die soziale Abhängigkeit geraten dürfen. Mit diesem Zuschuss von bis zu 140 Euro pro Kind können und werden wir viele Menschen dazu bringen, ihren Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten und dadurch nicht in die Sozialhilfe abzugleiten. Auch das fördert die Aufnahme von Arbeit. Ich will noch anmerken, dass wir mit einem Punkt in diesem Gesetzentwurf nicht einverstanden sind. Wir wollen nicht, dass beim Bezug von Arbeitslosengeld II, so wie es jetzt im Gesetz steht, eine Unterhaltspflicht zum Beispiel von Eltern gegenüber Kindern oder umgekehrt begründet wird, weil es zu absurden Situationen führen würde. Es kann nicht sein, dass sich ein 50-Jähriger noch einmal an seine Kinder wenden muss, ehe er Arbeitslosengeld II beziehen kann. Die Situation ist etwas anders als bisher bei der Sozialhilfe. Das wollen wir so nicht. Aber die Grundrichtung, die wir in den Eckpunkten festgelegt haben, ist richtig: Fördern zur Aufnahme von Arbeit, unterstützen durch Einstiegsgelder - das ist der Ansatz, der bei der Arbeitslosenhilfe notwendig ist. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Dückert, Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. ({0}) Ich will noch eine Bemerkung zu Hartz III, zu den Jobcentern, machen. Herr Laumann, was Sie sagen, ist richtig. Es wäre kontraproduktiv, die Kommunen auszuschließen. ({1}) Sie müssen eingebunden werden. Aber es ist falsch zu glauben, die notwendige Kooperation zwischen Arbeitsverwaltung und Kommunen könne dadurch hergestellt werden, dass der Hut von der Bundesanstalt für Arbeit zu den Kommunen wandert. Wir brauchen ein vernünftiges Kooperationsmodell, wir brauchen einen gesetzlichen Auftrag für die Kommunen, damit sie bei dem Angebot für Langzeitarbeitslose partizipieren, ({2}) zum Beispiel bei der Drogenberatung und bei der Suchthilfe. ({3}) Das müssen wir machen, das ist klar. ({4}) Aber wir brauchen keinen Hutwechsel; der hilft überhaupt nicht weiter. Danke schön. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rainer Brüderle, FDP-Fraktion, das Wort.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Clement, Sie haben Recht: Unsere Aufgabe ist es, die überfälligen tief greifenden Reformen in Deutschland umzusetzen, sie zu debattieren. Aber Sie können doch nicht allen Ernstes der Opposition vorwerfen, sie würde die Lage schlechtreden, wenn wir die Ankündigungen dieser Regierung hinterfragen. Es war der Bundeskanzler, der schon 1997 verkündet hat, man möge ihn am Abbau der Arbeitslosigkeit messen. ({0}) Wir tun das. Die Arbeitslosigkeit ist permanent gestiegen. Sie sagen uns, der FDP, der Steuersenkungspartei, wir sollten uns zu Steuersenkungen bekennen. Das ist doch ein Witz. ({1}) Hätten Sie die Steuern rechtzeitig vernünftig gesenkt, hätten wir nicht drei Jahre Stagnation und nicht aktuell eine Rezession. ({2}) Die Verantwortung für die hohe Arbeitslosigkeit trägt doch diese Regierung, weil sie nicht richtig gehandelt, keine Steuern gesenkt, kein Vertrauen geschaffen und kein entscheidendes Signal für eine wirtschaftliche Veränderung gesetzt hat. ({3}) Der Staat sollte sich zurückziehen. Stattdessen haben wir in Deutschland einen Staatsanteil von rund 50 Prozent, genauer gesagt: von 48,6 Prozent. Das heißt im Klartext: Von jedem Euro, der in diesem Land erarbeitet wird, fließt die Hälfte in den Staatssektor. Das ist einer der Gründe, weshalb wir nicht vorankommen. Herr Solms hat es Ihnen in dieser Haushaltsdebatte vorgerechnet: Per saldo haben Sie keine steuerliche Entlastung geschaffen, sondern zusätzliche Steuern draufgeknallt. Woher soll mehr Kaufkraft kommen? Wirtschaftliches Handeln beruht immer auf Rechnen: Die Menschen wissen nicht, ob sie ihren Job morgen noch haben oder wieder einen Job finden. Der Mittelständler weiß nicht, in welcher Höhe er Steuern draufgeknallt bekommt und ob endlich die vielfach versprochenen Maßnahmen bezüglich des Bürokratieabbaus Realität werden. Ich stimme Ihnen darin zu. Tun Sie endlich etwas! Nehmen Sie dem deutschen Mittelstand die Handschellen ab, damit er Arbeitsplätze schaffen kann! Keiner hindert Sie daran. Tun Sie das doch endlich! ({4}) - Frau Dückert, ich komme jetzt zum Handwerk. Sie führen hier eine typische Ablenkungsdebatte. ({5}) Weil Sie wirtschaftspolitisch total versagt haben, zieht Grün-Rot wie immer ein neues Kaninchen aus der Tasche. Es ist ein Fehler, den deutschen Handwerkssektor zu „aldisieren“. Jawohl, es soll Reformen und Veränderungen geben, die Meisterprüfung soll erleichtert und sogar noch billiger gemacht werden und Quereinsteiger sollen hinzukommen. Aber man sollte das Handwerk nicht zerschlagen. Nur weil es Grün-Rot nicht wählt, wird es von Ihnen in die Geiselhaft Ihrer unfähigen Politik genommen. Das ist die Scheinheiligkeit Ihrer Handwerks- und Mittelstandspolitik. ({6}) Das Handwerk leidet doch nicht darunter, dass es zu wenig Meister und zu wenig Leute gibt, die die Qualifikation haben, sich selbstständig zu machen. Es leidet darunter, dass Sie zu viel abkassieren, dass Sie die Steuern erhöht haben, dass Sie dem Handwerk keinen Freiraum geben und Sie nicht die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Das ist die Ursache dafür, dass wir im Handwerk nicht das freisetzen können, was wir freisetzen wollen. Sie drehen den Spieß um und zerschlagen die Strukturen. Wollen Sie den Mittelstand in Deutschland völlig platt machen? Im letzten Jahr gab es 40 000 Konkurse, in den ersten fünf Monaten dieses Jahres schon rund 30 000. Grün-Rot aber beschimpft den Mittelstand, es gebe zu wenig Ausbildungsplätze. Hätten Sie nicht letztes Jahr 40 000 Mittelständler platt gemacht, hätten wir in Deutschland 40 000 Ausbildungsplätze mehr. Das ist die Ursache. Drehen Sie nicht einfach den Spieß um! ({7}) Man nennt es Dialektik, wenn man in alter sozialistischer Manier versucht, durch eine Gegenthese die Realität zu verzerren. ({8}) Der Haushalt, den Sie jetzt vorlegen, ist wieder ein Beleg für Verunsicherung. Sie schaffen keine Klarheit. Sie gehen von einer Wachstumsprognose von real 2 Prozent im nächsten Jahr aus. Das ist völlig irreal; das wissen auch Sie. Wichtige Risiken sind nicht erfasst. Sie haben bei den Arbeitsmarktausgaben die vorgesehene Grundsicherung nicht erfasst. Die Daten stimmen hinten und vorne nicht; das wissen auch Sie. Sie könnten diesen Haushalt eigentlich wegschmeißen. Er ist Makulatur, weil die Zahlenwerke hinten und vorne nicht stimmen. ({9}) Sie werden ihn nachbessern müssen. Sie sprechen von Verunsicherung. Wer verunsichert denn permanent die Bevölkerung? ({10}) Jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Sie blasen noch häufiger neue Luftballons, die keine Realität haben, auf, als ein hygienisch orientierter Mitteleuropäer seine Unterwäsche wechselt. Es ist unglaublich, welche Verunsicherung Sie bewirken. Die LKW-Maut ist ein Beispiel für eine erneute Verunsicherung breiter Teile der Wirtschaft. Beispiel Dosenpfand. Selbst Herr Clement hat es erkannt und würde es am liebsten zum Teufel jagen. Nur damit die Grünen ihre Ideologie durchsetzen können, wird in Deutschland zwangsweise ein Dosenpfand eingeführt - und dies in einer Art und Weise, dass man nur hoffen kann, dass Ihnen das die Europäische Union verbietet. Das ist wohl die letzte Hoffnung. ({11}) Beispiel Riester-Rente. Der Ansatz, die private Vorsorge zu stärken, ist richtig. Aber mit diesem Bürokratiemonster funktioniert das nicht. Beispiel Windkraft. Selbst das Wirtschaftsministerium merkt, dass hier eine völlig überdrehte Förderung erfolgt. Es kann doch nicht richtig sein, dass die rentabelste Finanzanlage in Deutschland der Besitz von Anteilen an Windparks ist. Mit Windrädern werden Sie in Zukunft nicht gewinnen. Bei näherem Betrachten kommt heraus, dass Sie für 1 Kilowattstunde Windkraft 1 Kilowattstunde Atomstrom oder Kohlestrom vorhalten müssen. Schröder schickt seinen Lieblingsgewerkschafter Schmoldt vor, um das richtige Klima dafür zu schaffen, dass die Kernenergie in Deutschland wieder hoffähig gemacht werden kann. Machen Sie es doch gleich richtig! Was ich völlig vermisse, ist ein durchdachtes Energiekonzept der Bundesregierung. ({12}) Dennoch werden die ganzen Inszenierungen - hier sind ja die Theaterkulissenschieber par excellence am Werk - als Jahrhundertreform verkauft: Jahrhundertreform Windkraft, Jahrhundertreform LKW-Maut, Jahrhundertreform Riester-Rente, jetzt die Jahrhundertreform Arbeitsmarkt. Diese ist für jeden Arbeitslosen in Deutschland eine ernsthafte Bedrohung. Machen Sie die Dinge doch endlich richtig! Jedes Element des Hartz-Konzeptes wird als Wunderwaffe verkauft, aber dann wird doch nichts umgesetzt. ({13}) Muss in Deutschland denn wirklich erst ein Massenblatt mit „Florida-Rolf“ und „Viagra-Karl“ Fehlentwicklungen in der deutschen Sozialgesetzgebung deutlich machen, damit auch die Frau Ministerin erkennt, dass etwas geändert werden muss? Warum machen Sie es nicht direkt richtig? Die Realität ist, dass wir uns bestimmte Dinge nicht mehr erlauben können. Sie müssen bei den Hartz-Reformen die Anreize verstärken. Wenn jemand voll arbeitsfähig ist, hat er gegenüber der Gesellschaft auch eine Bringschuld und darf nicht darauf warten, dass er von der Solidargemeinschaft unterstützt wird. Das soll natürlich geschehen, aber wenn er erwerbsfähig ist, muss er seinen Beitrag leisten. Wenn das auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht möglich ist, dann soll er bei der Stadtbibliothek die Bücher sortieren oder die öffentlichen Gärten in Ordnung halten. Jedenfalls kann sozialpolitisch nicht durchgehalten werden, dass diejenigen, die erwerbsfähig sind, nicht zur Arbeit herangezogen werden. ({14}) Zum Thema Ausbildungsplätze; ich habe es schon angesprochen. Es bedrückt uns alle, dass es hier einen Engpass gibt. Aber die Ursache liegt doch im Kern darin, dass die Wirtschaft nach drei Jahren der Stagnation und Rezession nicht in Gang kommt. Wollen Sie von Betrieben, die keine Umsätze machen, ernsthaft erwarten, dass sie auch noch über Bedarf ausbilden? Dennoch droht Herr Müntefering, ein Männerfreund von Herrn Clement, mit der Ausbildungsplatzabgabe. Das ist exakt das falsche Signal; denn damit locken Sie diejenigen, die bisher nicht ausgebildet haben, mit Prämien und die Betriebe, die bisher, vielleicht sogar über Bedarf, ausgebildet haben, sind jetzt die Dummen, weil sie auf die Regelungen des Staates vertraut haben. ({15}) Die Folge ist, dass im nächsten Jahr noch weniger Betriebe ausbilden werden, weil sie lieber warten werden, bis sie eine Prämie von Grün-Rot mitnehmen können, weil sie schließlich nicht blöd sind. ({16}) Damit verunsichern Sie die Betriebe also nur und schaffen auch keine Lösung. Wie will Herr Clement auf seiner Bustour, wie er sie in NRW unternommen hat - das ist ja lobenswert, ich finde das gut -, Betriebe überzeugen, mehr auszubilden, wenn all die Faktoren, die bei einer betrieblichen Entscheidung eine Rolle spielen, unsicher sind? Schaffen Sie doch die Klarheit, von der Sie sprechen! Machen Sie nicht das Gegenteil, indem Sie Menschen verunsichern! ({17}) Sie sprechen von einem großen Erfolg beim Thema Ladenschluss. Seit Jahrzehnten fordern wir, das Ladenschlussgesetz zu ändern. Nun haben Sie die Öffnungszeiten um vier Stunden verlängert. Warum geben Sie sie nicht richtig frei? Warum haben Sie nicht den Mut, zu erlauben, dass jeder die Öffnungszeiten an den Werktagen selbst bestimmen kann? ({18}) Nun sind es nur vier Stunden. Der Erfolg zeigt aber, dass eine Liberalisierung Fortschritte bringt. Damals wurden wir noch von der linken Seite des Hauses wegen unserer Vorschläge zum Ladenschluss beschimpft, wir würden nur „Unfug“ vorschlagen. Das Kernproblem sind die festgefahrenen Strukturen, zum Beispiel bei dem Tarifkartell. ({19}) Weshalb geben Sie den Mitarbeitern in den Betrieben nicht mehr Entscheidungsrechte? Wenn 75 Prozent der Mitarbeiter die Regelungen selbst in die Hand nehmen wollen, ist das mehr als eine verfassungsändernde Mehrheit. ({20}) Sie haben das Desaster bei der IG Metall erlebt, die voll an die Wand gefahren ist. Wir haben in einer Aktuellen Stunde im Bundestag genau das vorhergesagt, was dann im Osten auch eingetreten ist. Wir haben gesagt, dass ein Streik genau das Falsche ist. Ein einziger Sozialdemokrat, nämlich Dr. Wend, hatte damals den Mut, Zweifel auszusprechen. Alle anderen haben die Peters’ und Bsirskes, diese Stalinisten der Wirtschaftspolitik, die die Realität noch nicht erkannt haben, ({21}) hier mit bebender Stimme verteidigt. Die Gewerkschaften können es einfach nicht und die Menschen laufen ihnen davon; jährlich treten 500 000 Mitglieder aus den DGB-Gewerkschaften aus, weil sie merken, dass diese die Realitäten nicht erkannt haben. ({22}) Die IG Metall hat sich bis auf die Knochen blamiert. Was muss denn noch passieren, bis es dort zur Erleuchtung kommt? Gebt doch den betroffenen Mitarbeitern ein Stück Freiheit! Lasst sie doch wenigstens selbst entscheiden! Wenn 75 Prozent der Belegschaft in geheimer Abstimmung eigene Regelungen schaffen wollen, dann müssen sie das Recht dazu haben. Sie wissen genauso gut wie ich, dass im Osten Deutschlands zwei Drittel aller Arbeitsplätze außerhalb des geltenden Tarifvertragsrechts existieren. Genau genommen sind die alle rechtswidrig, aber keine Gewerkschaft und auch kein Sozialdemokrat greift dies an, weil es politisch unsinnig ist; denn sie wissen genau: Wer an diesen rechtswidrigen Zustand in Ostdeutschland herangeht, verdoppelt oder verdreifacht die Arbeitslosigkeit. ({23}) Seien Sie doch endlich bereit zu lernen! Wenn die Betriebe nur so zurande kommen, dann geben Sie den Betrieben doch den Spielraum. Sie kennen die Fälle von Viessmann und VW, wo alles verkrampft ist und man nicht zu Änderungen bereit ist, obwohl die Betriebsräte dort einstimmig dafür sind und auch die Unternehmensleitung mitmacht. Da hat die IG Metall blockiert. Das kann so nicht weitergehen. Darin liegen die Ursachen der Zementierung in Deutschland. Jetzt den deutschen Handwerksmeister an den Pranger zu stellen, obwohl Sie unfähig sind, eine berechenbare, überschaubare Politik zu machen und die Arbeitslosigkeit abzubauen, das ist scheinheilig. Sie sollten dankbar dafür sein, dass in diesem Sektor noch ein Stück Stabilität vorhanden ist. ({24}) Ich möchte nicht, dass wir am Schluss nur noch Großkonzerne in Deutschland haben, wie Eon/Ruhrgas, die einen Marktanteil von 85 Prozent haben. Herr Müller, der Vorgänger von Herrn Clement, hat im Rahmen der Steinkohlesubventionierung jahrelang Milliarden dorthin getragen. Anschließend ist er dann mit Sondergenehmigung und gegen das Kartellamt und die Monopolkommission Vorstandsvorsitzender in dem Unternehmen geworden, und die Subvention auf europäischer Ebene wird verlängert. Das ist die Kumpelschaft zwischen den Kohlekumpels. Herr Clement steht bei Herrn Müller noch mit 1,4 Milliarden Euro in der Kreide; denn sie gewähren der Bundesregierung Kredite, weil sie die Subvention nicht zahlen kann. Das ist die Verfilzung in Deutschland. Hören Sie doch mit dem Quatsch auf! ({25}) Lenken Sie nicht mit Verweisen auf das Handwerk und den Mittelstand ab! Tun Sie nicht so, als ob dort die Problemlösung läge; sie liegt darin, dass sich der Staat endlich zurückzieht, dass endlich wirklich Steuern gesenkt werden, dass wirklich Bürokratie abgebaut wird und wirklich Sozialreformen umgesetzt werden. Hören Sie mit der Theaterinszenierung auf! Alle Umfragen zeigen, dass heute niemand glaubt, dass es ihm durch Ihre Steuerreform besser gehen wird Kaum jemand glaubt, dass es Berechenbarkeit gibt. 90 Prozent sind verunsichert. Es nimmt eine staatspolitische Dimension an, wenn heute 60 Prozent sagen, sie trauten allen Parteien nichts mehr zu. Die Ursache dafür ist das Nichthandeln und dass sie keine seriöse Politik machen. Sie aber stellen sich hierhin und sagen, die Opposition sei schuld daran, dass die Lage schlecht ist, weil sie Fragen stellt, und fordern uns auf, dass wir uns zur Steuersenkung bekennen. Dabei sind Sie doch die Steuersenkungsverweigerer. Sie weigern sich, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie tun das, was in Deutschland notwendig ist, genau nicht. ({26}) Der Bundeskanzler hat noch bei der Bundestagswahl 1998 den demographischen Faktor als soziale Sauerei bezeichnet. Gestern hatte er den Mut, zu bekennen, dass die Abschaffung des demographischen Faktors ein Fehler war. Herr Bundeskanzler, haben Sie den Mut, auch die anderen zahlreichen Fehler einzugestehen! Eine Stunde der Wahrheit ist der Ausgangspunkt für eine neue, bessere Politik. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch das schon traditionelle Gezeter von Herrn Brüderle haben wir jetzt zur Kenntnis genommen, dass er darunter leidet, dass die Serie der FDP-Wirtschaftsminister in Deutschland vergessen ist und weniger zur Entwicklung des Landes beigetragen hat als Wolfgang Clement in seinem ersten Amtsjahr. ({0}) Das ist die Situation. Das waren doch die Wirtschaftsminister, die zu der Frage Anlass gaben: Wann kommt denn endlich einmal ein Fachmann? - Da sitzt er. Das ist die Situation. Herr Brüderle und auch Herr Laumann, wir haben heute 500 000 Erwerbstätige mehr als am Ende der Ära Kohl, Rexrodt und wie sie alle geheißen haben. Nehmen Sie auch das bitte zur Kenntnis. ({1}) Sie leben nach wie vor von der Unkerei. Sie suhlen sich bei Ihren Reden im Morast. Ich sage Ihnen: Sie werden als Moorleiche enden. ({2}) Sie werden wirklich konserviert in die Geschichte eingehen. Schauen Sie, vor einem Jahr haben Sie den Weltuntergang gepredigt. Aber die Leute wollten die Hoffnung wählen. Sie haben uns gewählt. ({3}) - Schauen Sie sich doch an, wie Sie noch vor einem Jahr dagestanden haben. Dann waren Sie so klein mit Hut. In Wahrheit haben Sie bis heute nicht verwunden, dass die Menschen nicht Ihnen, sondern uns und Gerhard Schröder vertraut haben. ({4}) Das ist doch die blanke Wahrheit. So machen Sie weiter und weiter und predigen den Untergang. Ich sage Ihnen aber: Die Zukunft gehört den Hoffenden und nicht den Verzweifelten. ({5}) Gestern hat sogar Herr Hundt, der weiß Gott kein Förderer der rot-grünen Koalition ist, gesagt: Die Zeichen des Aufschwungs mehren sich. - Er hat Sie, seine schwarzen Brüder und Schwestern, aufgefordert, den Aufschwung nicht zu zerreden, sondern aus den Zeichen des Aufschwungs wirklich einen Aufschwung zu machen. Unsere Aufgabe ist es, den Menschen Hoffnung zu geben. Wir sollten der Europäischen Zentralbank mit ihren positiven Prognosen folgen, die steigenden Produktionszahlen beachten, die nach oben korrigierten Vorhersagen der Institute ernst nehmen und dafür sorgen, dass Konsum und Investitionen steigen. Wir müssen außerdem zur Kenntnis nehmen, dass die Bullen an der Börse aus dem Stall sind und die Bären vertreiben. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, auch wenn Sie sich lieber in Weltuntergangsstimmung suhlen wollen. ({6}) Unsere Aufgabe ist es, die Hoffnung zu verstärken. Keiner von uns hat das Recht, schon heute das Jahr 2004 abzuschreiben, nach dem Motto: Diese faule Bande sagt, es wird ja doch nichts; also bleiben wir im Bett liegen. Ich sage: Raus aus den Federn und ran an die Arbeit, damit das Wachstum kommt! Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. ({7}) - Sie auf jeden Fall. Jeder Tag, an dem Sie aufstehen, ist ein verlorener Tag. ({8}) Diese Hoffnung ist auch makroökonomisch begründet. Die Zinsen sind historisch niedrig. Die Investitionsvoraussetzungen sind also besser denn je, auch wenn die Banken wegen ihrer eigenen Krise die Zinssenkungen nur zögerlich weitergeben. Ich muss schon fragen: Wer hat denn die Börsenblase, eine der größten Belastungen unserer Wirtschaft, zu verantworten? War das die rotgrüne Koalition? ({9}) Es waren Ihre Freunde in den Großbanken und die berühmten Investmentbanker, die Ihre Lieblinge waren und die Sie angebetet haben. Sie waren für die Börsenblase verantwortlich und wollen nun uns die Schuld in die Schuhe schieben. Sie sollten sich anstrengen und ihren Saustall selber ausmisten. ({10}) Wie gesagt: Wir haben historisch niedrige Zinsen. Wir ermuntern die Europäische Zentralbank, diesen Weg weiterzugehen. Wir haben einen Investitionshaushalt wie schon lange nicht mehr. Er ist höher als zu Ihrer Zeit. ({11}) Der Verkehrsetat ist größer als in früheren Zeiten. ({12}) Ihre Häme angesichts der großen Schwierigkeiten zweier großer deutscher Unternehmen in Sachen LKWMaut ist doch absurd. Lasst uns den Unternehmen helfen, der gestellten Aufgabe gerecht zu werden, statt diese tolle Investition, die ein Welterfolg werden soll, kaputtzureden, nur weil ein paar Stolpersteine aufgetaucht sind! Wir müssen dieses Projekt zu einem Erfolg führen und dürfen nicht unken, schreien oder jammern. ({13}) Brüderle und andere haben von der Steuerpolitik geredet. Es ist wirklich unglaublich: Während der KohlZeit haben Sie für einen Spitzensteuersatz für Investoren in Höhe von 53 Prozent gesorgt, aber nun regen Sie sich über den von uns beschlossenen Satz in Höhe von 42 Prozent auf. Angesichts Ihrer Gedächtnislücke muss ich sagen: Schämen Sie sich, Herr Brüderle! ({14}) Wenn Sie es geschafft hätten, die Gewerbesteuer mit der Einkommensteuer verrechenbar zu machen, dann hätten Sie Feste gefeiert. Im Vergleich dazu wäre der Tanz ums Goldene Kalb im Alten Testament nur ein kleiner Event gewesen. ({15}) Aber das wird verdrängt. Wir haben mit unserer Steuerpolitik mehr getan als Sie in den 16 Jahren von SchwarzLiberal. Wir brauchen uns nicht zu verstecken; denn wir haben Reformen auf den Weg gebracht. ({16}) Wir haben auch eine Antwort auf die Wachstumsschwäche, eines der zentralen Probleme. ({17}) Wer mit Mittelständlern redet, weiß, Herr Schauerte, dass sie zurzeit enorme Probleme haben, von den Banken die gewünschten Kredite zu bekommen. ({18}) Das wissen wir alle. Die Bilanzen der mittelständischen Unternehmen sind von ihren Steuerberatern zwar steuerlich optimal gestaltet worden. Aber die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen ist sträflich vernachlässigt worden. Darum haben sie heute ein Rating, das Gott erbarme. Da müssen wir ansetzen. Wir müssen die Eigenkapitalausstattung der Mittelständler mit unserer Steuerpolitik - 25 Prozent Körperschaftsteuer, Rücklagen auch für Personengesellschaften und für Investitionen - wieder verbessern. ({19}) Sie haben früher die Haltung gefördert, dass derjenige ein Held ist, der den Staat um Steuern bescheißt und deshalb kein Eigenkapital ausweist. Wir unterstützen diejenigen, die als ordentliche Kaufleute ihr Unternehmen mit Eigenkapital ausstatten und der Gemeinde und dem Staat das geben, was ihres ist. Man betrügt einen stillen Gesellschafter wie den Staat, der die Infrastruktur vorhält, nicht. Solch ein Vorgehen haben Sie lange Zeit gefördert und geduldet. Sie haben die Leute ja sogar ermuntert, ihr Geld ins Ausland zu geben. Diese barmen und bitten jetzt, dass ihnen Hans Eichel den Weg zurück in die Steuerehrlichkeit weist, was wir gnädigerweise tun, weil wir einen Vorteil davon haben. ({20}) Meine Damen und Herren, Sie jammern über die Kreditfinanzierung. Jeder Euro Kredit ist mit 8 Cent an Eigenkapital zu unterlegen. Stellen Sie sich angesichts dieser Tatsache einmal vor, wie Meister Stoiber durch seine Kirch-Kredite die Eigenkapitalausstattung der Hypo-Vereinsbank und der Bayerischen Landesbank ruiniert hat. Das war mehr, als an die mittelständischen Betriebe gegeben worden ist. Die Hypo-Vereinsbank hat auch ein Problem beim Mittelstand, aber das Kirch-Problem lastet mehr auf der Bilanz und der Eigenkapitalausstattung als alles andere. Das ist die Staatskunst von Herrn Stoiber, der auf Kosten anderer seine Medienlieblinge gefördert hat. ({21}) Wir adressieren das Problem. Durch verbriefte Sicherheiten haben wir dafür gesorgt, dass die Banken in Zusammenarbeit mit der KfW ihre Bilanzen wieder so strukturieren können, dass sie ausleihfähig werden. Das war eine gewaltige Aufgabe, für deren Lösung ich Hans Eichel ganz herzlich danke. Es geht nicht um Bad Loans, sondern um ganz normale Kredite. Ich lade gerade auch die kleinen Genossenschaftsbanken und die Sparkassen ein, daran mitzuwirken. Ich danke der KfW-Mittelstandsbank für ihre gewaltige Anstrengung bei der Förderung des Mittelstandes. Auf sie ist wirklich Verlass, sie ist auf vielen Feldern aktiv. Mit der Zusammenführung von KfW und DtA zur KfW-Mittelstandsbank steht uns ein Instrument zur Verfügung, um Kapital und Kredite für Unternehmer bereitzustellen. Meine Damen und Herren, Sie haben über Nachrangkapital immer nur gelästert. In den ersten acht Monaten dieses Jahres sind 690 Millionen Euro an Nachrangkapital vergeben worden. Das ist also alles andere als ein Flop. Von den anderen Programmen für die Bauwirtschaft und die Kommunen brauche ich gar nicht zu reden. In diesem Rahmen werden 35 Milliarden Euro mobilisiert. Das entspricht 275 000 Arbeitsplätzen. Sie haben immer gesagt, das bringe nichts, aber von Mitte April bis Ende August gab es 31 700 Zusagen, die ein Volumen von rund 3 Milliarden Euro umfassen. Das ist konkrete Politik für den Mittelstand und kein Untergangsgerede. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Stiegler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist wohl unvermeidlich.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für diese Frage bin ich sogar aufgestanden. ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das schreibt die Geschäftsordnung vor, Herr Kollege Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich hatte vorhin den Zwischenruf gemacht, dass es in manchen Fällen gut wäre, wenn jemand im Bett geblieben wäre. Das will ich jetzt aber nicht vertiefen. Meine Frage. Sie haben gerade die Fusion der KfW mit der DtA zur KfW-Mittelstandsbank erwähnt. Können Sie mir ein einziges Beispiel dafür nennen, dass sich seit dieser Fusion hinsichtlich der Finanzierung des Mittelstandes etwas verbessert hat? ({0})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, das kann ich. Sie müssen sich nur einmal die Mühe machen, mit der KfW zu reden. Die Programme sind gestrafft worden. Es gibt jetzt Beteiligungskapital. ({0}) Es gibt jetzt nachrangiges Beteiligungskapital auf breiter Ebene. Es gibt Mikrodarlehen, die für Existenzgründer von kleinen Unternehmen eingeführt worden sind. ({1}) Ich empfehle einen Besuch, sie befindet sich in der Nähe. Lassen Sie sich das alles dort einmal vorstellen. Ich kann Ihnen auch gerne die Papiere schicken, aber ich kann meine Redezeit nicht zum Thema KfW aufbrauchen. ({2}) - Ich sage Ihnen: Bei mir sind täglich Mittelständler, die mich um Hilfe bitten, damit sie zum Beispiel die Beratungskapazitäten der KfW in Anspruch nehmen können, weil die Banken und Sparkassen sehr zögerlich die KfWKredite weiterleiten, da deren Mitarbeiter oft nicht wissen, wie es funktioniert. ({3}) Deswegen helfen wir mit, dass wir mit ausgefeilten Business-Plänen vorankommen. Herr Schauerte, wenn Sie schon aufstehen, wird es sich lohnen, den ersten Weg zur KfW zu machen; ich glaube, das würde selbst Ihnen noch etwas bringen. ({4}) Meine Damen und Herren, wir fördern den Mut zur Selbstständigkeit. Gerade die KfW bereitet von den Kleinstunternehmen bis zu den Wachstumsbereichen etwas vor. Wir haben jetzt auch den so genannten mezzaninen Bereich adressiert, also den Bereich zwischen 1 Million und 5 Millionen Euro, in dem es unglaublich schwer ist, Beteiligungen zu gewinnen. ({5}) - Sie müssen stehen bleiben, Herr Kollege Schauerte, sonst geht das alles von meiner Redezeit ab. Ich beantworte immer noch Ihre Frage. ({6}) Es ist ja unfair, mir Fragen zu stellen, um mir Redezeit zu stehlen. ({7}) Das ist nicht okay. Herr Präsident, er steht virtuell. ({8}) Ich beantworte immer noch die Frage von Herrn Schauerte. ({9}) Die KfW hilft gerade in diesem mittleren Bereich. Wir starten jetzt zum Beispiel Beteiligungsgesellschaften, an denen sich die KfW beteiligt, damit die Unternehmen an Eigenkapital kommen. ({10}) Wir werden die ganze Mentalität der Unternehmensfinanzierung zu ändern haben, damit wir die kleinen und mittleren Unternehmen in der Übergangszeit so mit Nachrangkapital versorgen, dass sie, wenn sie dank unserer Steuerpolitik Eigenkapital gebildet haben, in eine gute Zukunft gehen. Jetzt können Sie sich setzen. ({11}) Wir sichern mit unserer Steuerpolitik die Rendite nach Steuern und haben dadurch ganz andere Standortvoraussetzungen als früher. Wir sichern mit der Reformpolitik den EBIT, weil die Explosion der Lohnnebenkosten gestoppt und der Lastenesel Arbeit von zusätzlichen Abgaben befreit wird. Dies wird Klaus Brandner nachher noch beschreiben. Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, auf die Bundesanstalt einzudreschen! Sie war in einem Zustand, den 20 Jahre CDU-Herrschaft verursacht haben. Wir haben sie mithilfe der Mitarbeiter in einem Jahr in Bewegung gebracht. Lassen Sie uns den Mitarbeitern helfen, sich auf die neue Zeit einzustellen, statt sie zu diffamieren. ({12}) Meine Damen und Herren, wir übernehmen Verantwortung für dieses Land und fordern auch die so genannten Spitzenkräfte der Wirtschaft dazu auf. Das Thema Ausbildung wurde angesprochen. Für mich haben die Wirtschaftsverbände und die Kammern einen Sicherstellungsauftrag für die Ausbildung. Es geht nicht darum, sie jetzt zu bedrohen, sondern darum, sie daran zu erinnern, dass sie einen Sicherstellungsauftrag haben. Wir haben noch fünf geburtenstarke Jahrgänge vor uns. Diese dürfen uns nicht „verderben“, weil wir sie in Zukunft dringend brauchen. Darum steht außer Frage, dass jedes Unternehmen, das kann, auszubilden hat. Wenn fast 70 Prozent der Unternehmen überhaupt nicht mehr ausbilden, dann stimmt etwas nicht. Deshalb muss man handeln. ({13}) Herr Hundt hat sich gestern Abend dazu bekannt. Wir müssen gelegentlich den Knüppel zeigen, weil sonst nichts in Bewegung kommt. Die Unternehmen müssen wirklich wissen: Wir meinen es ernst. Keiner von uns hat Spaß daran, eine Umlagefinanzierung - oder was auch immer - einzuführen. Wolfgang Clement hat Recht, wenn er die Unternehmen auffordert: Zahlt jetzt in einen solchen Fonds oder bei euren Kammern ein; es darf kein Bub und kein Mädchen ohne Stellenangebot bleiben. Wir tun als Bund mit dem Programm für die Jugendlichen unglaublich viel. Die Kultusminister bescheren uns jedes Jahr 10 bis 15 Prozent nicht ausbildungsfähige Jugendliche. Eigentlich müssten die Kultusminister Hans Eichel Geld erstatten, weil Jugendliche die Hauptschulen ohne Berufsreife verlassen. Das ist doch die wahre Situation, und zwar in allen Ländern. Da übernimmt der Bund ohnehin sehr viele Aufgaben. Meine Damen und Herren, wir haben eine zweite Aufgabe: der Rationalisierung eine neue Richtung zu geben. Wir erleben es zurzeit, dass die Automobilindustrie, aber auch die Maschinenbauindustrie mit ihren Preisvorgaben die Zulieferer geradezu zwingen, ferne Standorte aufzusuchen. Wir erwarten von den Profis der Nation, dass andere Effizienzpfade begangen werden sei es nun der Energiepfad, die Materialwirtschaft oder Ähnliches. Man kann auch in andere Richtungen gehen und muss nicht alles auf den Faktor Arbeit abladen. Wir verringern die Lohnnebenkosten. Wir erwarten im Gegenzug von der Wirtschaft, dass neue Pfade der Effizienzrevolution gegangen werden und dass wir das miteinander anpacken. Dazu gehört auch die Energiepolitik. Wir sind für Versorgungssicherheit. Zustände wie in Amerika wird es bei uns nicht geben. Hauptfaktoren sind die Umweltverträglichkeit, die Wirtschaftlichkeit und die Innovationsfähigkeit. Die Steigerung der Effizienz steht dabei im Mittelpunkt. Dazu, dass es zwischen Wolfgang Clement und Hermann Scheer gelegentlich Diskussionen gibt, sage ich: Ja, mein Gott! Hermann Scheer ist der Stellvertreter der Sonne auf Erden, er denkt in Äonen und Jahrmillionen. ({14}) Wolfgang Clement sichert in den nächsten zehn Jahren die wirtschaftliche Entwicklung. Die Strecke von Jahrmillionen besteht aus einer beinahe unendlichen Aneinanderreihung von Zehnjahreszeiträumen. Wir sind hier auf einem guten Weg. ({15}) Ich schaue mir die Situation bei der CDU/CSU an. Dass Herr Merz Frau Merkel gestern die erste Auseinandersetzung mit dem Bundeskanzler abgenommen hat, damit sie hinterher über Kirschkuchen reden konnte, zeigt mir, wie es bei Ihnen aussieht. Bei Ihnen ist das Glück des einen die Hölle des anderen. Wir sind demgegenüber miteinander auf die Zukunft ausgerichtet. Das ist das Entscheidende, was wir hier zu tun haben. ({16}) Wir als Sozialdemokraten wagen die Veränderung. ({17}) Es wäre gelogen, zu sagen, dass uns das leicht fällt. Zu Ihrem Herrn Laumann sage ich: Wie immer darf einer von Ihnen den Sozialausschüssler, den Rächer der Enterbten, mimen, während die anderen Drahtzieher die Schweinereien machen und das Tarifvertragssystem brechen dürfen. ({18}) Herr Laumann tut mir Leid. Er muss hier immer scheinheilig sein und eine Wand, einen Paravent, vor Ihren Hintergedanken aufbauen. Er ist ein armer und netter Kerl. Deshalb sollte er sich für so etwas nicht zur Verfügung stellen. ({19}) Wir orientieren die Menschen um. Sie müssen ein Bewusstsein für die veränderte Lage der Weltwirtschaft, die veränderten Wachstumserwartungen und die Probleme, die mit dem demographischen Wandel verbunden sind, entwickeln. Dass uns das vor allem dann, wenn Sie sagen, dass die Welt gleich untergeht, nicht immer Zustimmung bringt, ist klar. Wir stellen uns aber dieser Aufgabe, und zwar ausgewogen. Dafür bekommen wir keine Vorschusslorbeeren. Ich sage unseren Freunden von den Gewerkschaften: Wer uns wegen Kleinigkeiten kritisiert, der sollte bitte im Auge behalten, was Sie vorhaben, nämlich die Zerstörung der Tarifautonomie. Das wäre eine konservative Revolution in diesem Lande, ({20}) die rückwärts gerichtet wäre. Das werden auch unsere Freunde in den Gewerkschaften begreifen. ({21}) Wir gehen also auch durch tiefe Täler, ({22}) aber wir nehmen unsere Verantwortung dabei wahr. Wir gehen an vielen Menschen mit fragenden Blicken vorbei, aber wir stehen fest zu unserer Zielsetzung eines nachhaltig wachsenden Wohlstandes im Frieden mit der Natur. Es muss zu einer Kultur der Selbstständigkeit kommen, in der jeder, der für sich und andere einen Arbeitsplatz schafft, unsere Unterstützung und Förderung erhält. Die Solidarität der Generationen bei Rente und Pflege ist wichtig. Es darf nicht dazu kommen, was der JU-Vorsitzende gefordert hat, nämlich: Krücke ab 75. Das, was jemand medizinisch braucht, muss er unabhängig von Alter und Einkommen auch erhalten. Das ist unser Weg der Erneuerung. Franz Müntefering hat die Themen „Sicherheit im Wandel“ und „Sicherheit durch Wandel“ vor Jahren hier zur Diskussion gestellt. Genau das ist unser Programm. Es geht um Sicherheit durch Wandel und Wohlstand auf hohem Niveau. Jammern auf einem erbärmlichen Niveau, wie es die Opposition tut, hilft nicht weiter. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Kurt Rossmanith, CDU/CSUFraktion, das Wort. ({0})

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Dies war an sich eine typische Rede der heutigen Sozialdemokratie nach dem Motto: Haltet den Dieb! Beschimpfungen und Angriffe, aber inhaltlich schlicht und einfach nichts. ({0}) Das, lieber Herr Kollege Stiegler, haben wir von Ihnen und übrigens auch vom Bundesminister für Wirtschaft, zu dem ich gleich noch kommen werde, erwartet; denn Sie haben schon mit Ihrem Einstieg völlig falsch gelegen: Die Zukunft gehört nicht dem Hoffenden, sondern sie gehört dem Handelnden. Handeln - das verlangen wir von der Regierung. Das hätte sie seit fünf Jahren machen müssen, aber sie hat es bis heute sträflich vernachlässigt. ({1}) Sie haben sich im Endeffekt genauso wie der Bundeskanzler verhalten, der nur in Phrasen spricht und nie konkret wird. Er erklärt Themen zur Chefsache, von denen hinterher - das sieht man - überhaupt nichts übrig bleibt. Von ihm kommen immer nur Phrasen und Überschriften. ({2}) Ich gestehe: Würden wir uns in der Tat mit dem beschäftigen, was auf der Tagesordnung steht, nämlich der Haushalt 2004, dann wäre das eine völlige Zeitverschwendung. Der Kollege Schöler könnte sich ansonsten anderen wichtigen Aufgaben widmen. Deshalb hat Herr Bundesminister Clement über den Haushalt gar nichts gesagt. Sein Ministerium hat zu diesem Haushalt Folgendes erklärt - ich zitiere -: Der vom Bundeskabinett im Juli beschlossene Regierungsentwurf zum Haushalt 2004 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit bedarf im parlamentarischen Verfahren in wesentlichen Punkten einer Überprüfung und Überarbeitung. Das sagt alles. Wenn wir hier permanent angegriffen werden, dann müssen wir einfach sagen, dass dieser Haushaltsentwurf von Haus aus in den Papierkorb gehört hätte. Schon bei der Erarbeitung dieses Haushaltes wurden überhaupt keinerlei Fakten berücksichtigt. Selbst der Begriff „geschönt“ ist hier noch weit untertrieben. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kröning, SPD-Fraktion?

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Rossmanith, ich nehme an, dass Sie an der Debatte von Anfang an teilgenommen haben und dass Sie auch in den letzten Tagen in Ihrem Büro waren. Erstens. Können Sie bitte einmal bestätigen, dass der Bundeswirtschaftsminister vorhin davon gesprochen hat, dass die Arbeitsmarktreformen Hartz III und IV, die von der Bundesregierung am 13. August eingeleitet worden sind und in den Haushaltsentwurf vom 2. Juli noch nicht eingearbeitet werden konnten, auf Vorschlag seines Ministeriums, abgestimmt mit dem Bundesministerium der Finanzen, eingearbeitet werden müssen? Das hat er angekündigt. Zweitens. Ist Ihnen bekannt, dass zwischen unseren Büros für den 30. Oktober bereits ein zweiter Berichterstattertermin zu diesem Thema einvernehmlich verabredet worden ist? Was Sie hier machen, ist Volksverdummung.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Kröning, ({0}) den letzten Begriff weise ich mit Abscheu und Empörung zurück. ({1}) Ansonsten bestätige ich Ihnen sehr gern - das ist selbstverständlich -, dass ich in den letzten Tagen nicht nur hier im Büro, sondern sogar hier im Plenum war, wie es sich für einen Haushälter gehört. ({2}) - Herr Kollege Kröning, ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig, bitte bleiben Sie stehen. Ansonsten geht es mir wie dem Kollegen Stiegler, dem Redezeit gestrichen wurde, die aber der Beantwortung der Frage diente. ({3}) Selbstverständlich war ich heute bei dieser Debatte von Anbeginn anwesend und habe dem Herrn Bundeswirtschaftsminister sehr interessiert zugehört. Deshalb werde ich auf einiges aus seiner Rede eingehen. Faktum ist aber, dass bestimmte Änderungen - ich meine nicht die Reformen zu Hartz III und IV; darin sind wir uns einig - in den Entwurf schon hätten eingearbeitet oder zumindest genannt werden können. Es ist überhaupt einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass ein Haushalt beraten wird, in dem Gesetzentwürfe teilweise berücksichtigt werden, die noch nicht einmal in erster Lesung im Parlament behandelt worden sind. Diese Gesetzentwürfe bringen Sie erst heute in die Beratungen ein und sie müssen jetzt schon wieder korrigiert werden. ({4}) - Ich bin noch nicht fertig, Volker Kröning. ({5}) Ein wesentlicher Punkt ist das angebliche Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Kein einziges wirtschaftswissenschaftliches Institut hat auch nur annähernd eine solche Zahl genannt. ({6}) - Das gehört alles noch zu der Frage, die Sie gestellt haben. - Selbst die Kollegin Scheel - meines Wissens sind die Grünen mit Ihnen in einer Koalition - hat gesagt, dass diese Zahl niemals erreicht werde und ein Wirtschaftswachstum in dieser Höhe illusorisch sei. ({7}) Jetzt bin ich fertig mit der Beantwortung Ihrer Frage. Ich bin ja anständig und will nicht Redezeit schinden. Ich möchte ein Wort zur Kollegin Dückert sagen. Ich bin geradezu dankbar, dass die Grünen in der Zwischenzeit einen Begriff kennen und nennen, bei dem sie früher eine pawlowsche Reaktion der übelsten Art gezeigt haKurt J. Rossmanith ben, nämlich Wirtschaftswachstum. Das war früher für Sie immer das Übelste, was es überhaupt gibt. In der Zwischenzeit sagen Sie selbst, dass wir Wirtschaftswachstum brauchen, um die äußerst schwierige Situation in der Bundesrepublik Deutschland bewältigen zu können. Wir brauchen keine Worte und Luftblasen, sondern konkretes Handeln. Sie verweisen auf die Steuerschätzung. Auch der Bundesminister der Finanzen hat das diese Woche wieder getan und gesagt, dass die Steuerschätzung im November abgewartet werden müsse, um dann neue Überlegungen anzustellen. Im November wollen wir den Hauhalt 2004 in zweiter und dritter Lesung bereits beschlossen haben. Der Bundesrat will dann auch darüber beschließen. Sie kennen doch schon jetzt die Zahlen. Sie stehen doch nicht wie das Kaninchen vor der Schlange und wissen nicht, was die Steuerschätzung im November ergeben wird. Im vergangenen Jahr war es genauso. Wir konnten den Bundeshaushalt 2003 wegen der Bundestagswahl erst in diesem Jahr beschließen. Dennoch haben Sie im Frühjahr gesagt, wir müssten erst die Steuerschätzung im Mai abwarten. Wir haben in diesem Land - Gott sei es geklagt - die niedrigste Investitionsquote, die es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gab. ({8}) Herr Stiegler sagt noch, dass wir den Leuten Hoffnung geben sollen. ({9}) Hoffnungslos war die Sozialdemokratie, weil sie jeden Kredit verspielt hat. Sie konnte noch nie Hoffnung geben, aber die Leute haben das zu spät bemerkt und haben sich im vergangenen Jahr noch einmal blenden lassen. Es waren zwar nur etwas mehr als 7 000, die sich mehr als die anderen haben blenden lassen, aber dennoch. ({10}) Lieber Kollege Stiegler, ich sehe noch heute die Vorstellung des Hartz-Konzeptes kurz vor der Bundestagswahl bildlich vor mir, die wie eine kultische Weihehandlung im Französischen Dom am Gendarmenmarkt zelebriert wurde. ({11}) Schröder sagte: Das Hartz-Konzept wird eins zu eins umgesetzt. Ich werde das machen. Basta! - Was ist daraus geworden? Gar nichts. ({12}) Lieber Herr Bundesminister Clement, ich schätze Sie persönlich sehr, muss Ihnen aber sagen, dass mit den Hartz-Reformen und den Ich-AGs die Schwarzarbeit mehr oder weniger legalisiert wurde. Die Ich-AGs werden doch von denjenigen gegründet, die jetzt auf legalem Wege aus der Schattenwirtschaft heraus wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden und in diesem ersten Wirtschaftssegment arbeiten dürfen. ({13}) Das ist doch der Witz daran. Aber es ist leider Gottes so. ({14}) Deshalb ist es auch richtig, dass Sie nicht nur Steuern senken, sondern auch Subventionen zurückfahren wollen. Aber auch dabei ist nicht zu erkennen, dass Sie diese Absicht umsetzen. Denn die Sparbemühungen dieser Bundesregierung ergeben ein völlig anderes Bild. In der gestrigen Ausgabe der „Financial Times Deutschland“ ist mit Recht festgestellt worden: Das Einzige, woran diese Bundesregierung spart, ist die Wahrheit. Dem kann man nur zustimmen. Genau dies ist Fakt. Ich frage mich, wie Sie die 5 Millionen Arbeitslosen in den Griff bekommen wollen. ({15}) - Mit Geschrei und Ihren Sprechblasen, Herr Stiegler, wird das sicherlich nicht gelingen. ({16}) Wir brauchen vielmehr eine Rückführung der Reglementierungen. Sie haben uns das doch in den vergangenen fünf Jahren eingebrockt. Das sind die Fesseln - wie der Kollege Brüderle mit Recht festgestellt hat -, die Sie der Wirtschaft angelegt haben. Sie werden es mit Ihren Maßnahmen nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit abzubauen - im Gegenteil. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende Ihrer Fraktion, Ottmar Schreiner, wurde in der gestrigen Ausgabe der „Welt“ wie folgt zitiert: Wenn wir im Winter 5 Millionen Arbeitslose haben, fängt die Richtungsdebatte von vorn an. Das heißt, er rechnet schon mit 5 Millionen Arbeitslosen. ({17}) Vonseiten anderer Kollegen aus Ihrer Fraktion ist - ich zitiere wieder aus der „Welt“ - von einem „extrem autoritären Selbstverständnis des Kanzlers“, ({18}) von „mangelnder strategischer Weitsicht“ und „fehlendem Respekt vor dem Parlament“ die Rede. Der Kanzler gebe „seiner Fraktion keine Orientierung“. Das sind Aussagen von Sozialdemokraten. ({19}) Wir brauchen zwar in der Tat eine Erneuerung, aber nicht in der Form, wie Sie sie zu Papier bringen, die sich aber im Endeffekt wieder nur an dem Alten orientiert. Von einer wirklichen Erneuerung ist in diesem Haushalt nichts zu finden. ({20}) Ich will kurz auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu sprechen kommen. Für die neuen Bundesländer wird sie massiv zurückgeführt, für die alten Bundesländer völlig gestrichen. Aber die Förderung kann sich doch nicht nach den Grenzen der Bundesländer richten. Sie muss sich vielmehr an strukturschwachen Gebieten orientieren, denen geholfen werden muss. Diesen Ansatz müssen wir verfolgen. ({21}) Ich möchte auch noch etwas zu den Werften sagen. Herr Bundesminister Clement, Sie fahren heute nach Mexiko zur WTO. Vielleicht können Sie bei dieser Gelegenheit das Thema vorbringen. Wir können doch nicht einfach hinnehmen, dass bei HDW 800 und bei der Meyer Werft 750 Arbeitsplätze mir nichts, dir nichts abgebaut werden. Wir liegen nach wie vor in Fesseln, weil sich andere Staaten, in denen es auch eine Werftindustrie gibt - zum Beispiel Korea -, nicht nach dem richten, was international vereinbart wurde. ({22}) In dieser Konkurrenzsituation muss doch für Gleichheit gesorgt werden. Wir verfügen auch auf diesem Gebiet über Spitzentechnologie und müssen uns vor niemandem verstecken. ({23}) Das Gleiche gilt für die Luftfahrtforschung. Ich möchte positiv hervorheben, dass es das Luftfahrtforschungsprogramm III gibt, wenn auch mit zurückgeführten Daten. Aber angesichts der derzeitigen Situation will ich mich dazu nicht negativ äußern. Ich will aber den Grünen Folgendes ins Stammbuch schreiben: Die Luftfahrtforschung ist notwendig. Die Menschen haben nun einmal eine hohe Mobilität, die sie auch beibehalten wollen. Die Luftfahrtforschungsprogramme verfolgen aber nicht das Ziel, die Umwelt zu zerstören; vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Mit diesen Programmen werden Maßstäbe im Verbrauch gesetzt, der dadurch zurückgeführt werden kann. Außerdem kommen sie der Lärmminderung zugute. Sie sollten sich nicht ständig dagegen wehren. Zum Steinkohlebergbau möchte ich noch Folgendes sagen: 2,2 Milliarden Euro, die nach wie vor in eine mehr oder weniger auslaufende Industrie gepumpt werden, sind eine ganze Menge. Darüber müssen wir noch einmal diskutieren; denn angeblich sollen 800 Millionen Euro - wohlgemerkt Euro, nicht italienische Lire - mangels Bedarf gar nicht ausgegeben werden können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Lieber Herr Kollege, ich muss versuchen, Sie zu stoppen, weil Sie schon zwei Minuten über der Zeit sind.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Ich bin am Ende ({0}) meiner Ausführungen. - Ich sehe an der großen Freude der Sozialdemokraten, ({1}) dass das, was ich gesagt habe, sie sehr getroffen hat. Das wollte ich erreichen. Ich hoffe aber auch, dass ich Sie mit meiner Rede zum Umdenken gebracht habe. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anja Hajduk.

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wirtschaftsminister hat am Anfang der Debatte gesagt - er musste jetzt leider gehen -, dass wir im Wesentlichen über die Herausforderungen im Bereich der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes einig seien. Ich glaube, das kann man bestätigen. Ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges gehört. Wir müssen die Beschäftigung fördern, um Wachstum zu ermöglichen. Das ist wahrscheinlich die richtige Reihenfolge. Hierbei ist ein Hauptprojekt die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Wenn ich Herrn Laumann richtig verstanden habe, dann scheint eine Einigung möglich zu sein. Der Minister hat die sehr mutige Aussage gemacht, dass es deswegen nicht zu einer immensen Personalaufstockung bei der Bundesanstalt für Arbeit kommen dürfe. In Richtung Opposition möchte ich Folgendes sagen: Wenn man zustimmt, dass die Herausforderungen von uns allen richtig erkannt worden sind, dann macht es keinen Sinn - das betone ich besonders im Hinblick auf die Reden von Herrn Laumann und Herrn Brüderle -, in erster Linie Schuldzuweisungen vorzunehmen und Vorwürfe zu machen nach dem Motto: Hätten Sie das anders gemacht, dann wäre vieles besser geworden. Außerdem sei das Wachstum viel geringer als unsere Prognosen. Der Vorwurf, dass wir keine optimalen Ergebnisse mit unserer Politik erzielt hätten, ist durchaus berechtigt. Aber die Menschen haben die Nase voll von einer billigen Schuldzuweisungspolitik. Im Klartext: Das geht den Menschen auf den Wecker, und zwar zu Recht. ({0}) Gefragt sind stattdessen Lösungsalternativen. ({1}) Ich war regelrecht geschockt, dass Herr Laumann, als er über Reformen gesprochen hat - Herr Brüderle hat seine Aussagen ganz aufgeregt bestätigt -, als Erstes die Liberalisierung des Handwerks in einen unvereinbaren Gegensatz zu der - zugegeben - großen Leistung des Handwerks in der Ausbildung gebracht hat. ({2}) Es hat mich richtig erschüttert, dass Sie unsere Politik zur Liberalisierung des Handwerks nicht positiv begleiten können. ({3}) Sie, meine Damen und Herren von der FDP, reden in diesem Zusammenhang sogar von Zerschlagung und verweigern sich. Ich frage mich, wo die Freiheitsliebe der FDP geblieben ist. ({4}) - Sie sollten nicht vom Thema ablenken. - Der Auftritt, den Sie sich hier geleistet haben, war für einen Liberalen peinlich. ({5}) Ich möchte nun auf ein Thema zu sprechen kommen, das die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Angela Merkel, gestern zu Recht angesprochen hat, nämlich die Herausforderung an die Politik, in Krisenzeiten eine klare Linie zu beschreiben.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte diesen Gedankengang gerne zu Ende führen. Dann erlaube ich gerne eine Zwischenfrage. Ich war gestern zusammen mit Herrn Schauerte auf einer Veranstaltung, auf der es um Ordnungspolitik ging. Dort sind die Opposition und die Regierung kritisiert worden, auch zu Recht; denn auch wir machen nicht alles richtig. Wir müssen eine klare Linie verfolgen. Wenn wir eine stärkere Liberalisierung wollen - dafür braucht man Mut; Frau Merkel hat gestern von „fair ändern“ gesprochen -, dann können wir der Bevölkerung doch nicht im Ernst vorschlagen: Ihr müsst einen Mentalitätswandel durchmachen, aber einige Gruppen nehmen wir davon aus. ({0}) Das ist nicht akzeptabel und ich verstehe es auch nicht. Die große Schwäche der Opposition besteht darin, dass Sie mit Blick auf das Handwerk und das Gesundheitswesen - das ist ein wachsender Markt und Sie haben Angst vor dem Wettbewerb der Anbieter - Lobbyisten schützen. Damit werden Sie scheitern, damit werden Sie keinen klaren Zukunftsentwurf entwickeln können. Das muss man in dieser Debatte deutlich feststellen. ({1})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Hajduk, Sie haben vom Zerschlagen des Handwerks gesprochen. Ich möchte den Vorwurf erheben, dass das der Fall sein wird, wenn wir so vorgehen, wie die Koalition es vorlegt. Wir haben nichts dagegen, ({0}) dass ein modernes, dynamisches, flexibles ({1}) und europataugliches Handwerk in Zukunft maßgeblich sein soll. ({2}) - Wir werden unseren Beitrag dazu leisten. Ich bitte Sie, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: ({3}) Wir sind dagegen, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der Meisterbrief über Bord geworfen wird. ({4}) Das erwartet das Handwerk auch von uns. Ich möchte daran erinnern, ({5}) was Herr Minister Clement - er ist jetzt nach Cancun abgeflogen und ich habe es ihm eben noch gesagt - als Festredner beim Deutschen Handwerkstag am 29. November 2002, also vor wenigen Monaten, gesagt hat: ({6}) Ich gehöre zu den Anhängern des Großen Befähigungsnachweises. ({7}) Ich gehöre zu denen, die die Handwerksordnung, die das Handwerk mit seinem Kammerwesen, mit seinem Innungswesen für unverzichtbar halten. ({8}) Er sagt weiter: Es wird durch diese Bundesregierung, jedenfalls durch mich, keine Maßnahmen geben, die gewissermaßen von oben herab Veränderungen im Handwerk erzwingen wollen. ({9}) Das, was wir tun, was wir tun können, im Verhältnis zum Handwerk, ({10}) was die Rechtsordnung angeht, die Handwerksordnung angeht, das wird nur so gestaltet werden, dass Sie - gemeint ist das Handwerk mitgehen. Wir werden das mit Ihnen tun -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt übersteigt das Maß des Vorlesens aber den Umfang einer Frage. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen; ({0}) denn die Grünen sind der Koalitionspartner der SPD. Deshalb richte ich meine Frage an Sie: ({1}) Wenn Clement solche Versprechungen macht, meinen Sie dann nicht, dass Sie sie der Glaubwürdigkeit wegen auch halten müssen, oder meinen Sie, man kann so vorgehen, wie Sie es jetzt beabsichtigen? ({2})

Anja Hajduk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003547, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Hinsken, ich bin dankbar, dass Sie diesen Punkt angesprochen haben, weil ich glaube, dass gerade Sie - aber auch wir - wegen Ihrer Eingebundenheit im Handwerk eine besondere Verantwortung tragen. ({0}) - Auch Kompetenz. Wir können auch über die eine oder andere grundsätzliche Sache unterschiedlicher Meinung sein, aber dass der Kollege Brüderle und andere davon reden, es ginge uns um die Zerschlagung des Handwerks, ({1}) ist ausgemachter Quatsch. ({2}) Ich habe mit der Handwerkskammer in Hamburg gesprochen. Dort wurde deutlich gesagt: Wir wissen, auch wir müssen uns bewegen, aber bitte nehmen Sie uns dabei mit. Vielleicht gehen wir in der Politik manchmal stärker voran, als die Kammer das für ihren eigenen Bereich wünscht. Vertreter wie Sie, die in diesem Hause sitzen, haben die besondere Verantwortung, das Vorangehen zu fördern. ({3}) Wenn wir in einer ganz bestimmten Weise dem Anspruch gerecht werden wollen - ich habe auf Frau Merkel verwiesen -, wenn wir den Leuten etwas zumuten und dabei faire Änderungen in Gang setzen wollen, können wir nicht bei dem kleinsten gemeinsamen Nenner anfangen und nur Füßchen vor Füßchen setzen. Wenn Sie in diesem Hause sitzen, haben Sie nicht nur die Verantwortung nicht nur für das Handwerk, sondern für die gesamte Gesellschaft. Deswegen sage ich: Wir wollen den Meisterbrief nicht abschaffen und wir schaffen ihn auch nicht ab. ({4}) Wir wissen, dass wir eine hohe Qualität im Handwerk und eine beispielhafte Ausbildung dort haben. ({5}) Wir wissen aber auch, dass im Handwerk nicht alles so bleiben kann, wie es ist. ({6}) Das muss man hier deutlich sagen dürfen. Wir müssen über Schritte der Veränderung reden und das ist auch für die Zukunft des Handwerks mit Blick auf den gesamten europäischen Markt notwendig. Wir dürfen nicht immer nur den Blick zurückwerfen. Das wissen Sie doch auch, Herr Hinsken. Also machen Sie mit. Haben Sie ein bisschen mehr Mut. Von mir aus können wir in einigen Details ein wenig auseinander bleiben. Aber wir brauchen keine Polemik. ({7}) Ich möchte mit einem Punkt schließen, der hiermit im Zusammenhang steht: Wenn wir den Wettbewerb und die Änderungsbereitschaft predigen, dann müssen wir aufpassen, dass uns beim Subventionsabbau nicht der Mut verlässt. Sie wissen, dass wir es gerade bei diesem Haushalt - auch beim Haushalt für Wirtschaft und Arbeit, aber nicht nur dabei - mit Subventionen zu tun haben. Das ist ein sensibles Thema, weil es mit Arbeitsplätzen zusammenhängt. Wenn wir auf den Wettbewerb setzen, dann müssen wir wissen: Subventionsabbau ist nicht nur ein fiskalisches Problem - das ist es wegen des großen Ausmaßes und der hohen Summen mit Sicherheit auch -, sondern auch ein ökonomisches Problem. Deswegen wünsche ich mir, dass wir mit der Innovationsbremse - Subventionen sind eine Innovationsbremse - wirklich mutiger umgehen und mehr Entschlossenheit beim Subventionsabbau zeigen. Das ist für die Modernisierung unserer Wirtschaft mit Blick auf Innovationen notwendig, um mehr Beschäftigung zu erreichen; denn von alleine wird sie nicht kommen. Wir brauchen dafür sehr viele Veränderungen. Wir brauchen mehr Beschäftigung für die Förderung eines qualifizierten und guten Wachstums; Sie haben darauf hingewiesen. Da drücken wir Grünen nicht auf die Bremse. Wir akzeptieren, dass Wachstum in einem sinnvollen Ausmaß geschaffen werden muss. Danke. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Monat für Monat können wir Arbeitslosenzahlen in den Medien verfolgen, die in aller Regel um mehrere Hunderttausend höher liegen als im Vorjahresmonat. Wir debattieren hier den Haushalt für Wirtschaft und Arbeit zusammen mit anderen Gesetzen. Dieser Haushalt ist genau wie im letzten Jahr ein Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubvention. In diesem Haushalt sind keine Innovationen, aber enorme Haushaltsrisiken - sie werden uns im Laufe des Jahres noch begegnen - zu finden. Wir haben das schon beim letzten Haushalt für dieses Jahr erkannt, in den kein Bundeszuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit eingestellt wurde. Dieses Mal haben Sie wenigstens 5,2 Milliarden Euro als Zuschuss eingestellt; aber Ende Juni dieses Jahres betrug das Defizit schon 5,6 Milliarden Euro. Das heißt, es ist absehbar, dass dieser Haushalt bei einer schlechteren Arbeitsmarktentwicklung, von der im Moment alle ausgehen müssen, schlichtweg Makulatur sein wird. Sie sollten ihn überarbeiten, und zwar nicht erst, wenn Hartz III und IV beschlossen sind, sondern sofort. ({0}) Wir debattieren unter anderem Hartz III und IV. Ich habe einmal das Sitzungsprotokoll der 243. Sitzung vom 14. Juni 2002 mitgebracht. Ich drohe ausdrücklich an, daraus zu zitieren, wenn Sie mich dazu zwingen sollten; denn damals haben Sie unseren Antrag auf Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe abgelehnt. ({1}) Ich kann hier vorlesen, wie Sie uns dafür beschimpft haben. Ich freue mich, dass das Bundeswirtschaftsministerium jetzt weiß, dass es sinnvoll ist, diese beiden steuerfinanzierten Leistungen zusammenzulegen. Wir bieten unsere Zusammenarbeit, auch im Bundesrat - dort sind wir stärker geworden -, an, um zu einem vernünftigen Konzept zu kommen. Ihr momentaner Vorschlag sieht allerdings die Schaffung eines Bundessozialamts vor. Wir alle wissen, dass die Bundesanstalt für Arbeit dieses umfassende Dienstleistungsangebot - das ist kein Vorwurf; sie hat schlichtweg keine Kompetenz dafür - nicht erbringen kann. Deswegen brauchen wir eine Kommunalisierung des Sozialgeldes, das sich aus der Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Leistungen ergibt, auch weil die Kommunen - sie leisten im Bereich der Integration besonders Hilfsbedürftiger hervorragende Arbeit - nach Ihrem Modell sonst schlichtweg nicht mehr für die Arbeitsfähigen zuständig sind. Sie sagen: Die Träger sollten möglichst miteinander kooperieren. Ich frage mich: Welchen Anreiz haben die Kommunen? Wenn sie nicht mehr zuständig sind, dann besteht für sie nicht mehr die Notwendigkeit, ihre Tätigkeiten aufrechtzuerhalten. Nach den Erkenntnissen, die man bei „MoZArT“ gesammelt hat, glauben Sie doch nicht allen Ernstes, dass die Kommunen dies tatsächlich im Auftrag der Bundesanstalt tun werden. Die Bundesanstalt mit ihrem neuen Vorstandsvorsitzenden, Herrn Gerster, hat Strukturreformen angekündigt. Die einzige strukturelle Veränderung, die wir erkennen können, wurde bei der Gehaltsstruktur der Führungsmannschaft vorgenommen. Die Bundesanstalt ist in ihrer jetzigen Form schlichtweg nicht reformfähig. Daher sollten Sie sie nicht auch noch mit dieser zusätzlichen Arbeit belasten. Kehren Sie um! Gehen Sie einen vernünftigen Weg! Stärken Sie die Kompetenzen der Kommunen, der Landkreise und der Städte! Dann brauche ich zur nächsten Sitzung, zur zweiten und dritten Lesung, das Protokoll vielleicht nicht mitzunehmen, um Ihnen nachzuweisen, wie kläglich Sie in der letzten Legislaturperiode versagt haben. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns eigentlich noch in der Haushaltsdebatte. Deswegen möchte ich zunächst ganz konkret etwas zu diesem Haushalt sagen. Es steht für jeden Fachmann außer Frage, dass in dem Haushalt, den der Wirtschafts- und Arbeitsminister vorgelegt hat, eine Zeitbombe tickt - anders kann man das gar nicht bezeichnen -; denn von diesem Haushalt gehen Unsicherheiten auf den Gesamthaushalt über. Daher ist das gesamte Haushaltswerk auch so brüchig und stellt sich so unkomplett dar. ({0}) Was wir jetzt erleben, haben wir in vielen Jahren noch nie erlebt. Mit der Bekanntgabe der nächsten Eckwerte wird sich zeigen, dass das ganze Gesundbeten, wie es der Wirtschaftsminister hier immer wieder macht, nicht hilft und dass die Illusion bezüglich der Kostenentwicklung wie eine Seifenblase zerplatzen wird. Es wird sich zeigen, dass man damit keine Politik machen kann. ({1}) Heute Morgen hat er wieder gesagt: Wir werden Deutschland zum Motor machen. Ja, wenn die anderen noch schwächer werden, dann werden wir vielleicht wieder zum Motor in Europa. Ich erinnere daran, dass die Regierung Kohl mit einem Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent geendet hat. Wo sind wir heute? Bei vielleicht 0,75 Prozent. ({2}) Welche Diskrepanz! Die Leute wären froh, wenn wir solche Wirtschaftsdaten hätten, wie wir sie damals, als wir die Regierung beendet haben, gehabt haben. ({3}) Meine Damen und Herren, haben Sie vom Minister auch nur irgendetwas über die galoppierenden Kosten und über seinen Haushalt insgesamt gehört? Der Mann erliegt einer Illusion. Er denkt, man könne, wenn es notwendig sei, wieder einen großen Schluck aus der Schuldenpulle nehmen und dann sei alles wieder vergessen. Aber die nächste Generation muss alle diese Schlücke bezahlen. ({4}) Aus diesem Grund müssen wir bei der Aufstellung des Haushalts mehr Seriosität einklagen. Sie ist leider nicht gegeben. ({5}) Im März hat sich der Wirtschaftsminister an dieser Stelle darauf versteift, dass er keinen Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit braucht. Sein Genosse Gerster bei der Bundesanstalt für Arbeit ist ihm beigetreten. Er hat in der Sachverständigenanhörung damals gesagt: Wenn die Politik es möchte, dass die Bundesanstalt ohne Zuschuss auskommt, dann wird sie auch ohne Zuschuss auskommen. - Das war im März. Jetzt, sechs Monate später, zeigen die nackten Zahlen, dass wir bereits bei einem Defizit von 5,2 Milliarden Euro sind, ({6}) und das Jahr ist noch lange nicht zu Ende. Wir prognostizieren, dass der Bundeszuschuss am Ende des Jahres 11 Milliarden Euro betragen wird. Hier zeichnet sich ein nicht hinzunehmender Skandal ab. ({7}) Man braucht nicht einmal einen Untersuchungsausschuss zum Thema Lügen. Hier wird jemand auf frischer Tat ertappt. Hier wird sichtbar, dass man den Grundsatz der Haushaltswahrheit nicht verletzen darf. Er wird hier aber permanent verletzt. Das werfen wir der Regierung ausdrücklich vor. Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, werfen wir vor, dass nicht wenigstens Sie die Stellung halten. ({8}) Damit verspielt man natürlich auch jeden Vertrauenskredit. Das geht bis hinein in die Berichterstattergespräche und in den Haushaltsausschuss. Mit einer solchen Haushalts- und Finanzpolitik können Sie nicht damit rechnen, dass man Ihnen einen Vertrauenskredit gewährt, weder hier im Parlament noch in der Öffentlichkeit. Darum - das ist das Schlimme - gibt es auch keine Hoffnung in der Wirtschaft. Alle Leute warten ab. Wenn sich wieder einmal Vertrauen einstellen würde, dann hätten wir schon ein wichtiges Mosaiksteinchen. Aber das schaffen Sie mit diesem Bundeshaushalt ganz gewiss nicht. ({9}) Ich habe bis jetzt nur über den Bundeszuschuss gesprochen. Bei der Arbeitslosenhilfe zeigt sich das gleiche Bild. Auch hierzu werden mit treuem Augenaufschlag Zahlen präsentiert. Tatsächlich werden wir bis zum Jahresende 4 Milliarden Euro mehr brauchen. Die Summe, die zur Verfügung steht, ist bereits zu zwei Dritteln ausgeschöpft. Das ist die Wahrheit. Dieser Haushalt trägt wesentlich dazu bei, dass die Maastricht-Kriterien verletzt werden. Weil Sie es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen, müssen zweistellige Milliardenbeträge als konsumtive Ausgaben im Bundeshaushalt eingestellt werden. Das ist das eigentlich Schlimme in der Finanzplanung. Wir brauchen zweistellige Milliardenbeträge im investiven Bereich und nicht so hohe im konsumtiven Bereich. Deshalb wird dies nicht zum Erfolg führen. ({10}) Eines möchte ich noch ganz kurz anmerken: Die Fachwelt hat eigentlich erwartet, dass von der Zusammenführung der Ministerien für Arbeit und Wirtschaft eine Dynamik ausgeht. Wenn man aber fast ein Jahr braucht, bis dieses Ministerium endlich einmal Gesetze vorlegt, dann kann man doch wirklich nicht von Dynamik sprechen. Man muss sich schon wundern: Eine Aussage darüber zu treffen, ob man ab 2006 weiter gemeinsam regieren will, schaffen die Damen und Herren an einem Tag. Bis sie aber endlich einmal in die Gänge kommen, um in wichtigen Fragen für unser Volk Gesetze vorzulegen, dauert es ein Jahr. ({11}) Meine Damen und Herren, ich möchte als Nächstes noch etwas zu dem Thema der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sagen. Wir sind uns in dem Ziel einig. Ich behaupte, diese Thematik ist genauso wichtig wie die Weichenstellungen, die auf Drängen der Union in den 70er-Jahren im Zusammenhang mit der neuen sozialen Frage vorgenommen wurden, die im Ergebnis zur Einführung von Erziehungsgeld und sonstigen Leistungen für die Frauen führten. Aber wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, dieses Gesetz zusammen mit der Union beschließen und es bald beschließen wollen, dann müssen Sie auch ein wenig auf die Vorstellungen eingehen, die die Union hat. Da dürfen Sie den hessischen Gesetzentwurf nicht so einfach beiseite wischen. Er hat nämlich sehr viele Vorteile. Der wichtigste ist der ordnungspolitische Vorteil. Wir haben es ja bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe mit einer Transfermasse von 28,9 Milliarden Euro zu tun. Da ist schon die Frage, wer künftig die Verantwortung für dieses viele Geld in die Hände bekommt. ({12}) Da geht es, wenn man es jetzt einmal unter ordnungspolitischem Gesichtspunkt betrachtet, darum, ob wir mehr kommunale Demokratie oder einen Verbändestaat wollen. Bei einer so wichtigen Angelegenheit wie der Daseinssicherung ist es doch gar keine Frage, dass der kommunalen Ebene der Vorrang eingeräumt werden muss, weil sie näher an den Menschen ist und von daher besser organisieren kann, was notwendig ist. ({13}) Von daher sollten Sie sich darauf einstellen, dass wir darum kämpfen werden, dass der hessische Gesetzentwurf den Gesamtberatungen zugrunde gelegt wird. ({14}) Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich hier noch einmal festhalten, was nach fünf Jahren Rot-Grün auch einmal gesagt werden muss: Die Politik von RotGrün macht arm und arbeitslos. So sieht das Ergebnis Ihrer Politik aus. ({15}) Wir können Ihnen nur dort die Hand reichen, wo es um Gesetze geht, die aus dieser Misere herausführen, aber nicht zu solchen, die uns noch tiefer in die Misere führen. Vielen Dank. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über die Hartz-Reformen, ({0}) heute über die Teile III und IV. Weil zu viele Zahlen allzu schnell verwirren, möchte ich noch einmal daran erinnern, worum es angeblich geht: Die Arbeitslosenzahl soll binnen zwei bis drei Jahren auf weit unter 3 Millionen gedrückt werden. So lautete zumindest die Verheißung vor einem Jahr. Die aktuelle Tendenz ist eine andere. Die Zahl der Arbeitslosen nähert sich wieder bedrohlich der Fünfmillionenmarke. Ich sage bewusst „wieder“, denn als die CDU/CSU und die FDP regierten, da war es schon einmal so weit. Die Opposition zur Rechten verschweigt das gerne. Deshalb erinnert die Opposition zur Linken gerade auch heute daran. ({1}) Unbestritten sollte hier im Hause sein: Die Massenarbeitslosigkeit betrifft Millionen, trifft die Gesellschaft und untergräbt alle Solidarsysteme. Deshalb muss alles versucht werden, was Arbeitslosigkeit mindern könnte. Das betrifft auch das Hartz-Konzept. Deshalb: Wenn es gelingt, die Arbeitsämter besser zu organisieren - wir sind dafür. Wenn es gelingt, die Bürokratie abzubauen nur zu. Wenn es gelingt, freie Stellen schneller zu besetzen - umso besser. Aber all das sind allenfalls die positiven Nebenwirkungen einer insgesamt negativen Medizin. Hartz ist kein Allheilmittel und hat auf der politischen Positivliste nichts verloren. ({2}) Die Hartz-Vorschläge haben zwei Kardinalfehler: Sie sind nicht alltagstauglich und sie treffen die Falschen. Das ist auch bei Hartz III und IV so. Konkret: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollen zu einem Neuen, dem Arbeitslosengeld II, vereinigt werden. Das kann sinnvoll sein, wenn damit Bürokratie abgebaut wird. Wesentlicher aber ist, dass den Empfängern von Arbeitslosenhilfe das genommen wird, was ihnen bislang zustand. Dadurch wird massenhaft Armut geschaffen, ja erzwungen. Nehmen wir die neuen Bundesländer. Zwei Drittel aller Arbeitslosen im Osten leben inzwischen von Arbeitslosenhilfe. Sie erhalten zurzeit im Schnitt 470 Euro im Monat, meist plus Kleidergeld und andere Hilfen. Kommt das Arbeitslosengeld II, bleiben ihnen noch 331 Euro im Monat. Ihnen wird also ein Viertel vom Fast-Nichts genommen. Das ist die einfache Rechnung, weshalb übrigens auch die PDS-Arbeitsminister in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern schlicht sagen: So nicht! ({3}) Die Betroffenen wären dreimal gekniffen: Sie sind arm dran, weil sie arbeitslos sind. Sie sind ärmer dran, weil sie lange arbeitslos sind. Und sie wären dann noch ärmer dran, weil Rot-Grün das so will. Laut Juni-Statistik betrifft dies allein in den neuen Bundesländern knapp 1 Million Menschen. Ich könnte aber dieselbe Rechnung auch für Regionen in Franken, im Saarland oder in Bremerhaven aufmachen. Diese Rechnung wird dadurch nicht besser, sie bleibt unter dem Strich unsozial. Nun haben die Arbeitsminister Ost, übrigens quer über alle Parteigrenzen hinweg, eine weitere Rechnung aufgemacht: Sollte das Arbeitslosengeld II kommen wie von Rot-Grün geplant, bedeutet das für die neuen Bundesländer einen Kaufkraftverlust von 1,6 Milliarden Euro. Teure Genossinnen und Genossen von der SPD, dass Ihr soziales Herz erkaltet ist, wusste ich schon. Aber was ist eigentlich aus Ihrem kühlen Verstand geworden? ({4}) 1,6 Milliarden Euro weniger Kaufkraft vernichtet noch mehr Arbeitsplätze und schafft noch mehr Arbeitslose. Sie beschleunigen also einen Teufelskreis, anstatt ihn nun endlich zu durchbrechen. Im normalen Leben nennt man so etwas Schwachsinn im Quadrat. Das beginnt bei den einfachen Grundrechenarten. Nehmen wir einmal eine simple Textaufgabe aus der 5. Klasse. Hier in Berlin kommen auf einen freien Arbeitsplatz über 50 Bewerberinnen und Bewerber. Von den 50 Bewerbern wird einer erfolgreich vermittelt. Wie viele Arbeitslose bleiben übrig? Sie brauchen dafür nicht den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu bemühen. Nach Adam Riese bleiben 49 übrig, also 98 Prozent. Diesen 49 wird mit Hartz die Zwinge angesetzt. Sie sollen künftig jede Arbeit leisten, egal, wie erniedrigend oder fernab sie auch sei. Diese Rechnung hören Sie ungern. Stattdessen machen Sie eine andere Rechnung auf. Sie durchforsten die 49 Enttäuschten und finden mit Sicherheit darunter ein schwarzes Schaf, einen, der den Sozialstaat betrügt oder ganz legal seine Sozialhilfe unter Palmen verprasst. Ich wette aber auch: Unter 49 Unternehmen finden sich mindestens neun, die betrügen oder ganz legal keine Steuern zahlen. Aber das ist wohl ein anderes Thema; es kommt jedenfalls hier nicht zur Sprache. ({5}) Ich würde mit Ihnen heute lieber über die Steuergeschenke reden, die Sie großen Unternehmen gemacht haben, und über die Verluste, die Sie den Kommunen und Ländern mit Ihren so genannten Reformen zumuten. Aber das hören Sie natürlich auch nicht gern. Also bleiben wir bei Hartz III und IV und rechnen weiter. 50 Menschen bewerben sich auf eine freie Stelle. Einer hat Glück und ein zweiter gilt als Sozialhilfeempfänger und Missbrauchsböser. Es bleiben nach Adam Riese 48 Arbeitsuchende, als 96 Prozent, übrig. Das bleibt Ihr eigentliches Problem. Sie haben es nicht gelöst. Sie kommen aus dieser Negativbilanz nicht heraus. Deshalb möchte ich Sie zum Schluss an den Fehler Ihres Antritts von 1998 erinnern: Sie haben damals gesagt, Sie wollten nicht alles anders, aber vieles besser machen. Besser haben Sie bisher nichts gemacht. ({6}) Sie sollten endlich einmal etwas anders machen als vorher die CDU/CSU und die FDP. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Max Straubinger. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geschätzte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute vom Bundesminister die Einführung zu seinem Haushalt gehört. Mir persönlich hat dabei gefehlt: Er hat keine Bilanz seines ersten Jahres als Bundeswirtschaftsminister gezogen. Dies ist verständlich. Angesichts von 300 000 Arbeitslosen mehr in unserem Land in dem Jahr, in dem er als Superminister im Einsatz ist, ist seine Bilanz natürlich beschämend und vor allen Dingen für die Menschen im Lande frustrierend. Bei ein bisschen Selbstkritik hätte auch dies heute angesprochen werden müssen. Darüber hinaus wäre es notwendig gewesen, einmal aufzuzeigen, wie die in Deutschland grassierende Arbeitslosigkeit bekämpft werden soll. ({0}) Interessant ist auch - Kollege Stiegler hat darauf hingewiesen -, dass es eine große Spannbreite zwischen den Ansichten des Bundeswirtschaftsministers über die Energiepolitik und denen des Kollegen Scheer gibt. Dabei steht nach Aussage des Kollegen Stiegler der Kollege Scheer für In-Sonnenjahren-Rechnungen, während der Bundeswirtschaftsminister nur für die nächsten zehn Jahre eine Vorstellung der Energiepolitik entwickelt. Wir brauchen aber eine dauerhafte Versorgung mit Energie, und zwar im Rahmen einer nationalen Produktion und vor allen Dingen auf einer verlässlichen Produktionsbasis. Angesichts dessen, dass 30 Prozent des Stromes aus Kernenergie erzeugt werden, ist es unannehmbar, dass SPD und Grüne ständig den Ausstieg aus der Kernenergie propagieren. ({1}) Die Windräder werden diese Energie nicht ersetzen und keine Versorgungssicherheit in Deutschland schaffen können. ({2}) Bundesminister Clement hat die verschiedensten Instrumente der Hartz-Kommission dargestellt, auch manche, die bereits beschlossen wurden. Er hat dabei vergessen, zu erwähnen, dass in der ursprünglichen Fassung des Hartz-Konzeptes stand - dies wurde damals der Öffentlichkeit bzw. den Bürgerinnen und Bürgern so dargestellt -, dass die Arbeitslosigkeit innerhalb von zwei Jahren halbiert bzw. um 2 Millionen abgebaut werden soll. Im ersten Jahr Ihrer Amtszeit kam es zu einem Plus von 300 000. Angesichts der aktuellen Zahlen ist unsere Befürchtung, dass es im Winter 5 Millionen Arbeitslose sein werden. Wir können die Arbeitslosigkeit garantiert nicht mit noch so vielen Ich-AGs bekämpfen. Wir schränken damit nur den Handlungsspielraum der Handwerker und Selbstständigen in unserem Land ein. Vor dem Hintergrund der langen Ausbildungsphasen in den Berufen des Handwerks ist es eine Diffamierung, wenn man sagt, dass sich in Ich-AGs nur solche Berufe wiederfinden, die man in drei Monaten erlernen kann. Das ist eine Falschdarstellung; denn das gibt es nicht. Nur mit einem fundierten Beruf kann man eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Die erfolgreichsten Selbstständigen in unserem Land haben eine fundierte Ausbildung und eine lange Arbeitserfahrung und haben sich dann selbstständig gemacht. Ich glaube, das ist der bessere Weg zu mehr Selbstständigkeit, als jemanden zuerst in die Arbeitslosigkeit zu verdammen. ({3}) Ich war über die Auslassungen des Kollegen Stiegler überrascht. Er hat uns dafür verantwortlich gemacht, dass in unserem Land der Spitzensteuersatz nicht abgesenkt werden kann. ({4}) Herr Kollege Stiegler, ich kann mich noch an Ihre Reden im Bundestagswahlkampf 1998 erinnern. ({5}) Damals haben Sie etwas völlig anderes gesagt. Sie haben von Steuergeschenken für Großverdiener gesprochen und diese vehement abgelehnt. ({6}) Vielleicht gilt das nicht für Sie persönlich - das mag durchaus sein -, aber auf alle Fälle haben Sie damals eine völlig andere Politik betrieben: 1996 und 1998 haben Sie die Steuerreform von CDU/CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundesfinanzminister Waigel ständig blockiert. Der Inhalt dieser Reform war doch, die steuerlichen Belastungen der Bürgerinnen und Bürger in vielen Teilbereichen abzubauen. ({7}) Verehrte Damen und Herren, uns wird auch immer unterstellt, wir würden alles madig machen. ({8}) - Nein, wir machen nichts madig. ({9}) Wir halten uns nur an die Gegebenheiten. Die Bundesregierung und auch die sie tragenden Fraktionen verkünden jedes Jahr einen großartigen Wirtschaftsaufschwung für das jeweils folgende Jahr. Das wurde heute schon vom Kollegen Laumann dargestellt. Heute gibt es eine Tickermeldung von der Kollegin Christa Randzio-Plath, SPD, in der sie zitiert wird, die für 2004 prognostizierten 2 Prozent Wachstum seien nicht zu erreichen. Sie können doch nicht die Opposition beschimpfen, wenn schon Ihre eigenen Leute nicht mehr an die Prognosen der Wirtschaftsentwicklung in unserem Land glauben. Entscheidend ist aber auch, im Haushalt des Bundesministeriums Impulse zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und zur Sicherung von bestehenden Arbeitsplätzen zu geben. Das Bundesministerium hat im März dieses Jahres einen Bericht bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe West „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ veröffentlicht. Darin steht, dass mit Unterstützung des Bundes in Höhe von rund 310 Millionen Euro in den vergangenen drei Jahren Investitionen im Umfang von 5,4 Milliarden Euro angestoßen wurden. Mit diesen 5,4 Milliarden Euro wurden nach Aussage der Bundesregierung fast 50 000 Arbeitsplätze gesichert und 26 600 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung nun trotz der von ihr selbst dargestellten guten Erfolge dieses Instrumentes aus der Förderung im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ aussteigen will. Das verstehen auch die Bundesländer nicht. Ich bin besonders verwundert, dass selbst Herr Kollege Stiegler nicht darauf eingegangen ist, der sich hier sonst immer als Verfechter der Rechte der Oberpfalz geriert. ({10}) Am 18. Dezember 2000 hat der Bundeskanzler nach dem EU-Gipfel von Nizza in Weiden ausgeführt, dass es erfolgreiche Verhandlungen gegeben habe, dass die EUOsterweiterung unter Dach und Fach sei und zum 1. Mai 2004 Wirklichkeit werde. ({11}) In dieser Rede hat er auch verkündet, es müssten Förderinstrumente geschaffen werden, um die Entwicklung in den Grenzregionen zu unterstützen. ({12}) Ich zitiere: Das gehört zusammen: ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen, aber auch die Chance, dass wir mit unseren regionalen und nationalen Förderinstrumenten, ohne dass dies als Beihilfe aus Brüssel begriffen wird, Strukturpolitik nicht nur bereden, sondern wirklich machen können. Aber was macht die Bundesregierung denn nun? ({13}) Eigentlich müsste es dem Kollegen Stiegler angesichts dieser Aussage des Bundeskanzlers und des jetzt vom Bundeskanzler und der Bundesregierung gebrochenen Versprechens nicht nur den roten Pullover, sondern alles ausziehen, sodass er ganz nackt dastünde. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aber das entspräche nicht der Kleiderordnung des Hauses. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gott sei Dank, Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren, es ist unbedingt notwendig, die Gemeinschaftsaufgabe West „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ fortzuführen. Das fordern wir nicht nur als Bayern; das fordert nicht nur Ministerpräsident Edmund Stoiber. Ich zitiere einmal aus einem Brief des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein. Wahrscheinlich hat dies kein CDU-Mitglied, sondern noch ein SPD-Mitglied verfasst; das wird sich im übernächsten Jahr ändern. Darin wird ausgeführt, auf Schleswig-Holstein würden bis zum Jahre 2006 rund 42 Millionen Euro Bundesmittel entfallen und infolgedessen könnte die Wirtschaft im Rahmen des Regionalprogramms nicht die entsprechende Unterstützung erhalten. Sie kündigen bereits an, zusammen mit anderen Bundesländern für den Erhalt dieser GA West zu streiten. Für Bayern, Herr Kollege Stiegler, bedeutet das einen Verlust von 30 Millionen Euro bzw. von jährlich 10 Millionen Euro. Der Erhalt dieser GA West ist für die Unterstützung der regionalen Betriebe und angesichts der Osterweiterung, die am 1. Mai 2004 Wirklichkeit wird, unbedingt notwendig. Deshalb muss sie weitergeführt werden. ({0}) Ich möchte noch ein zweites Thema ansprechen. Wir sind uns in diesem Hause alle darin einig, dass unbedingt Bürokratie abgebaut werden muss. Der Bundesminister hat sich dazu heute ebenfalls bekannt. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Programm aufgelegt, das angeblich 54 Punkte umfasst. Ich verstehe nicht, dass die gleiche Bundesregierung nun das Baugesetzbuch in der Weise novellieren möchte, dass es den Gemeinden künftig ermöglicht wird, Anträge für Investitionen aus der Landwirtschaft oder aus anderen Bereichen, die ein bisschen Geruchsbelästigungen oder Immissionen zur Folge haben, im Rahmen der Bauleitplanung sieben Jahre auf Eis zu legen. Es ist auch nicht einzusehen, dass die geltende TA Luft so gestaltet ist, dass es für landwirtschaftliche Betriebe leichter ist, Stallbauten in Dörfern als draußen in der freien Natur zu errichten, weil in der freien Natur Waldbäume gefährdet werden könnten. Hier müssen Änderungen vorgenommen werden. Sie sind gefordert, in dem Bereich etwas zu tun. ({1}) Ein Blick in die Praxis lehrt ja immer am meisten. Jüngst hat mich ein Fahrlehrer angegangen. Er hatte eine neue Zweigstelle eröffnet. Dann kam ein Beamter aus der Oberpfalz, weil die Regierung der Oberpfalz für die Überprüfung der Fahrlehrer zuständig ist. Er hat dann festgestellt, dass der Raum zwei Zentimeter zu niedrig ist. ({2}) - Das entspricht einer Bestimmung des Bundesgesetzes, Kollege Stiegler. Wir sind nicht für die Bemessung von Raumhöhen bzw. von Quadratmetern zuständig. Das sollte meines Erachtens geändert werden. Das wissen die Fahrlehrer selbst besser. ({3}) Ich glaube, dass es in diesem Bereich noch sehr viel zu tun gibt. Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung Regelungen schafft, die zu einer Vermehrung der Bürokratie führen. Ich erinnere nur an Folgendes: So notwendig eine Gemeindefinanzreform ist, so falsch ist es, die Freiberufler in die Gewerbesteuer mit einzubeziehen, die sie - nach Ihren Aussagen, was wohl aber nicht ganz stimmt - hinterher bei der Einkommensteuer wieder abziehen können. So etwas kann nur Sankt Bürokratissimus erfinden. Das ist Sozialismus pur. ({4}) Was die Bürokratie angeht, so müssen wir dafür sorgen, dass nicht alles von großartigen Ministerialbürokraten vorgegeben wird. Wir sollten wirklich den Mut haben, Zuständigkeiten auf die niedrigeren Ebenen zu verlagern. Wenn auf der unteren Ebene etwas falsch gemacht wird, dann wird es einmal falsch gemacht. Wenn von der Ministerialbürokratie etwas falsch gemacht wird, dann wird es im gesamten Land falsch gemacht. Deshalb sollte mehr Mut an den Tag gelegt werden und es sollten mehr Zuständigkeiten nach unten verlagert werden. ({5}) Es ist auch einmal wert, das Gebaren der Bundesanstalt für Arbeit zu beleuchten. Ich war erstaunt, als mich ein Unternehmer aus meinem Wahlkreis angerufen und mich gefragt hat, ob wir alle verrückt seien. ({6}) Auf meine Frage „Warum?“ antwortete er: Weil die Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen des Weiterbildungsprogramms einen - wohlgemerkt - in ungekündigter Stellung stehenden Arbeitnehmer, der als Busfahrer seit eineinhalb Jahren in einem Unternehmen beschäftigt ist, eine Umschulungsmaßnahme zum Kfz-Mechaniker genehmigt hat. Er konnte nämlich in jungen Jahren leider Gottes keine entsprechende Berufsausbildung absolvieren. Wie kann es sein, dass auf der einen Seite um jede Lehrstelle gekämpft wird, dass aber auf der anderen Seite die Bundesanstalt für Arbeit die Ausbildung von jemandem, der schon einen Beruf ausübt, mit hohen Zuschüssen fördert? Dies ist aufgrund der Gesetzeslage zwar möglich. Aber es ist den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und auch den Betrieben - um deren Beiträge handelt es sich ja - nicht mehr zumutbar, wenn die Bundesanstalt für Arbeit solche Ausbildungen - das kann umgekehrt auch der Busführerschein sein - finanziert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Ihre Redezeit.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Das zeigt sehr deutlich: Hier ist viel Arbeit zu tun. Belasten wir die Bundesanstalt für Arbeit nicht mit zusätzlicher Arbeit, sondern reformieren wir sie dahin gehend, dass sie mit den Beiträgen effektiv umgeht! Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Haushaltsdebatte ist immer eine gute Gelegenheit, über die grundlegenden Linien der Politik zu sprechen. Sie ist auch eine gute Gelegenheit, grundlegende Unterschiede zwischen den Parteien offen zu legen. Wir haben mit der Agenda 2010 ein Reformtempo eingeschlagen, das Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, in den Jahren Ihrer Regierungszeit nicht annähernd erreicht haben. Neben einigen Gemeinsamkeiten gibt es auch grundlegende Unterschiede in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Sie wollen die Gewerkschaften nachhaltig schwächen und die soziale Gerechtigkeit am liebsten beiseite schieben. Da hilft, wie wir es heute wieder erlebt haben, auch das populistische Krähen vom Kollegen Laumann als angeblichem Anwalt der kleinen Leute nicht. ({0}) Von sozialer Gerechtigkeit versteht Rot-Grün mehr. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. ({1}) Wir haben ein ausgewogenes Konzept, mit dem wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen werden. Die Perspektiven sind gut. Aber die Opposition malt wie üblich alles in düsteren Farben. Ich nenne nur ein paar Fakten, die eine andere Sprache sprechen: Die Industrieproduktion und auch der Ifo-Geschäftsklimaindex - dieser bereits zum vierten Mal hintereinander - sind gestiegen. ({2}) Die weiteren Fakten sind: über 1 Million Minijobs und über 150 000 Existenzgründer, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, ein Exportanstieg im Juli gegenüber dem Vormonat um 2,2 Prozent - gegenüber dem Vorjahr sogar um 5,4 Prozent -, und das bei einem Dollarkurs von über 1,10 Euro. ({3}) Wir wollen die Menschen in Deutschland nicht weiter verunsichern. Wir können ihnen Hoffnung machen, auch wenn die Lage noch nicht so rosig ist, wie wir sie uns vorstellen können. Aber mit Vernebeln helfen wir den Menschen in diesem Lande überhaupt nicht weiter. ({4}) Zuversicht macht stark. Deutschland braucht Politiker, die die Lage nicht schlechtreden, sondern die den Menschen Hoffnung machen und die Zuversicht in das Machbare vermitteln. Nur so kommen wir aus der wirtschaftlichen Krise heraus. ({5}) Der Reformprozess ist in vollem Gange. Der Bundeskanzler hat mit der Agenda 2010 einen Reformprozess angestoßen, der schon jetzt für eine positive Dynamik in unserem Land sorgt. Es geht um grundsätzliche Weichenstellungen und weit reichende Umstrukturierungen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit sowie in der sozialen Sicherung. Am Ende werden wir zu einer neuen Balance zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem Zusammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch kommen. Es geht um die Modernisierung unserer Wirtschaft, ohne dass das Gebot der sozialen Gerechtigkeit preisgegeben wird. Es geht um das Wechselspiel von Strukturpolitik und Wachstumspolitik. Bei dem Bundeshaushalt, den wir heute diskutieren, geht es letztlich auch um die Frage nach Wachstum und Beschäftigung einerseits und nach Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme andererseits. Von Ihnen, meine Damen und Herren in der Opposition, hängt in den nächsten Monaten vieles ab. Wir stehen vor entscheidenden Weichenstellungen: Werden wir einen Reformherbst oder einen Blockadeherbst haben? Haben wir zukünftig Manchester-Kapitalismus pur oder bewahren wir die soziale Balance? ({6}) Machen wir reine Klientelpolitik, wie Sie sie bei der Handwerksordnung betreiben, oder Strukturreformen mit Augenmaß? Das sind die Fragen, denen besonders Sie aus der Opposition sich stellen müssen. Sie müssen endlich Ihre internen Streitigkeiten aufgeben. Die Wirtschaft hat sich längst entschieden. Auf Ihre populistischen Reden hat sie nicht gehört; es geht nämlich wieder bergauf. Alle Indikatoren zeigen nach oben. Auch die Entwicklung an der deutschen Börse reflektiert die positive Erwartung der Marktteilnehmer. Fakten, die Sie hier vortragen, müssen Sie auch belegen können. Ich habe mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen, dass Kollege Fuchtel gesagt hat, Rot-Grün bedeute arm und arbeitslos, ({7}) und den Vergleich zur Kohl-Regierung zieht. Herr Fuchtel, haben Sie übersehen, dass die Realeinkommen, die Nettoverdienste während der Regierungszeit von Schröder und Fischer deutlich gestiegen sind? Von relativer Armut ist keine Spur. ({8}) Haben Sie verdrängt, dass wir die höchsten Arbeitslosenzahlen zur Regierungszeit Kohl hatten? ({9}) Wenn Herr Fuchtel sagt, er würde sich freuen, wenn wir wirtschaftliche Daten wie zu Kohls Regierungszeit hätten, dann möchte ich daran erinnern: Den Stand der Arbeitslosigkeit, den wir zu Kohls Regierungszeit hatten, haben wir noch nicht erreicht. Wir haben die Steuersätze gesenkt und nicht angehoben. Wir haben die Schulden abgebaut und die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt. Das sind die harten Fakten, die Sie nicht einfach kleinreden können. ({10}) Sie haben die Zahl der Erwerbstätigen angesprochen. Es ist richtig und nicht zu bestreiten, dass die Zahl der Erwerbstätigen im letzten Jahr zurückgegangen ist, und zwar von 38,73 Millionen Erwerbstätigen im Juni 2002 auf 38,10 Millionen im Juni 2003. ({11}) Es ist aber auch richtig, dass im Juni 1998, also zu Ihrer Regierungszeit, die Erwerbstätigenzahl bei 37,46 Millionen lag. ({12}) Das heißt, dass wir heute 640 000 Erwerbstätige mehr haben als zu Ihrer Regierungszeit. Das können Sie nicht einfach wegreden. ({13}) - Sie wissen so gut wie ich, dass die Minijobs damals wie heute in diesen Daten eingerechnet sind. Vernebeln Sie nicht schon wieder! Stellen Sie sich einmal der Wahrheit und der Wirklichkeit! Sie haben heute in der Debatte angemahnt, dass es einer christlichen Partei gebührt, die Wahrheit zu sagen und nicht zu vernebeln. ({14}) Beschäftigung hängt - das wissen wir - vom Arbeitsmarkt und von einer Vielzahl von Faktoren ab, zum Beispiel von der Konjunktur, der Außenwirtschaft, der privaten Nachfrage, privaten und öffentlichen Investitionen, der Arbeitszeitgestaltung und nicht zuletzt der Arbeitsmarktverfassung, das heißt dem System aus Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsrecht und Lohnersatzleistungen. Das möchte ich anhand eines Vergleiches mit einem Auto erläutern. Wenn die Konjunktur dem Motor entspricht, ist die Arbeitsmarktverfassung mit dem Antrieb zu vergleichen. Solange der Motor noch stottert, kann auch der neue Antrieb nicht richtig zum Zuge kommen. ({15}) Wenn der Motor aber richtig rund läuft, wird das Fahrzeug bei gleicher Leistung schneller und verbraucht weniger Energie. Übertragen auf die Arbeitsmarktpolitik heißt das: Als notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit brauchen wir Wirtschaftswachstum. Mit unseren Reformgesetzen sorgen wir dafür, dass das Wirtschaftswachstum beschäftigungsintensiver wird. In Deutschland sind bisher fast 2 Prozent Wirtschaftswachstum notwendig, um die Höhe der Beschäftigung zu halten. Unser Ziel ist es, diese „Beschäftigungsschwelle“ auf etwa 1 Prozent zu senken. Das ist realistisch, wenn man einen Vergleich mit anderen europäischen Ländern heranzieht. Würde ein Wachstum von 2 Prozent erreicht werden, was wir prognostizieren, würde das die Zahl der Beschäftigten um immerhin 200 000 bis 400 000 anziehen lassen. Gerade weil wir Wachstum nur begrenzt generieren können, ist eine solche Strategie besonders wichtig. Das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform sorgt dafür, dass es 2004 einen richtigen Push beim Wachstum geben wird. Was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, über ein Jahr lang gefordert haben, kann doch heute nicht schlecht oder nachteilig sein. ({16}) Deshalb kann ich Sie auch von dieser Stelle aus nur noch einmal auffordern, den Steuerentlastungen zuzustimmen und dafür zu sorgen, dass das Wachstum in diesem Land nicht gebremst, sondern positiv befördert wird. ({17}) Eigeninitiative ist natürlich notwendig, weil die Bereitschaft zu Existenzgründungen bei Arbeitslosen mit dafür sorgen kann, dass der Arbeitsmarkt deutlich entlastet wird. Die Arbeitslosen verhalten sich nicht passiv, sondern ergreifen Eigeninitiative. Das ist auch genau das Richtige. Die Opposition aber spricht plötzlich, wie wir auch heute wieder gehört haben, von Kümmerexistenzen. Sie widerspricht sich selbst aus lauter Angst, einen Erfolg bei den Existenzgründungen zugeben zu müssen. Wie bereits gesagt, haben sich allein in diesem Jahr bereits über 150 000 Arbeitslose aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig gemacht. Herr Niebel, man muss deutlich sagen: Die Ich-AG hat nicht zur Verdrängung des Überbrückungsgeldes geführt; vielmehr ergänzen sich beide Leistungen. Sie haben die Anzahl der Existenzgründungen deutlich in die Höhe getrieben. Beim Überbrückungsgeld haben wir bisher schon 106 000 Bewilligungen; damit wurde der Vorjahreswert um ein Drittel überschritten. Das heißt auch, dass mehr Menschen Vertrauen in die Zukunft und in die Politik dieser Regierung bekommen haben. Der Mut, sich selbstständig zu machen, ist positiv zu bewerten. Wir können den Menschen von dieser Stelle aus nur zurufen: Das ist der richtige Weg, um mehr Dynamik in diesem Land zu erzeugen. ({18}) Schon in der nächsten Sitzungswoche haben wir die Gelegenheit, die kleine Novelle zur Handwerksordnung endgültig zu verabschieden und damit Unsicherheiten bei Existenzgründern zu beseitigen. Einfache Tätigkeiten, die sich in drei Monaten erlernen lassen, sind doch eindeutig kein Handwerk. Deshalb, meine Damen und Herren, tun Sie gut daran, mit dafür zu sorgen, dass dieser Teil der Gesetzesnovelle bald Rechtskraft erlangt, damit mehr Menschen die Chance haben, durch Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen. ({19}) Lassen Sie mich zum Stichwort Bürokratieabbau kurz das Thema Novellierung der Handwerksordnung ansprechen. Die seit 50 Jahren bestehende Handwerksordnung behindert den Zugang zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig in diesem Land. Diese Einschränkung der Gewerbefreiheit ist in der EU nahezu einmalig. Mehr noch, all unsere europäischen Nachbarn können ihre Dienste in Deutschland anbieten, wenn sie in ihrem Heimatland fünf bis sechs Jahre in dem betreffenden Beruf tätig waren. Wir jedoch verweigern unseren deutschen Gesellen den Zugang zur Selbstständigkeit, den wir unseren europäischen Nachbarn ermöglichen. Allein deshalb müssen wir das System europatauglich machen. Wir werden mit der Novellierung der Handwerksordnung Existenzgründungen erleichtern und die Schwarzarbeit nachhaltig bekämpfen. Tüchtige Gesellen sollen sich schneller und unbürokratischer selbstständig machen können. ({20}) Wir werden dem Handwerk einen zukunftsfähigen Rechtsrahmen geben. Dazu sind wir zu konstruktiven Gesprächen mit dem Handwerk bereit. Wir sagen auch Ja zum Meisterbrief. Sie tun in Ihrer polemischen Kampagne ja so, als wollten wir den Meisterbrief abwürgen und abschaffen. ({21}) Wir sagen Ja zu neuen Existenzen. Was Herr Kollege Laumann heute an falschen Behauptungen verbreitet hat, muss richtig gestellt werden; denn das Handwerk ist zurzeit leider kein Jobmotor in unserem Land. ({22}) Ein RWI-Gutachten aus diesem Jahr stellt ausdrücklich fest: 1995 gab es 6 085 000 Beschäftigte im Handwerk, 2002 gab es noch 4 515 000 Beschäftigte im Handwerk. ({23}) - Können Sie die Wahrheit nicht hören? - Das ist ein Beschäftigungsabbau von 25,8 Prozent. Im gleichen Zeitraum sind die Beschäftigtenzahlen in der Gesamtwirtschaft leicht gestiegen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich gestatte jetzt keine Zwischenfrage. Diesen Gedankengang will ich zu Ende bringen. ({0}) Diese Situation macht deutlich, dass hier dringender Reformbedarf gegeben ist. ({1}) Diese Daten gelten auch hinsichtliche der Frage der Ausbildungsplätze - leider, sage ich. 1997 hatten wir 630 000 Ausbildungsplätze im Handwerk; 2001 waren es nur noch 564 000. Das ist eine rückläufige Zahl, die wir bedauern. Wir würden uns wünschen, wir hätten bei der Ausbildung bessere Zahlen. Im Bereich der IHK hat sich die Zahl der Ausbildungsplätze im gleichen Zeitraum von 736 000 auf 876 000 erhöht. Insofern will ich deutlich sagen: Hier sind Reformen nicht gegen, sondern mit dem Handwerk angesagt. Für das Handwerk wäre es gut, wenn Sie keine Frontalopposition betreiben würden, sondern diesen Reformprozess konstruktiv begleiten würden. ({2}) Lassen Sie mich, bevor ich zum Schluss komme, noch einige Dinge zur Arbeitsmarktreform sagen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Herr Kollege, das geht nicht mehr. Sie können noch einen letzten Satz sagen, aber nicht einen neuen Gedanken beginnen.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte dem Ministerium - Staatssekretär Andres ist noch anwesend - für die umfangreiche Arbeitsmarktreform danken. Es wurde sehr viel Arbeit, eine Herkulesarbeit, in großer Eile, mit großem Fleiß und Sachverstand sowie unter Einbeziehung wichtiger Experten geleistet, um ein solches Reformpaket auf den Weg zu bringen. ({0}) Wir alle können nur hoffen, dass Hartz III und Hartz IV recht bald in Gesetzesform gegossen werden. ({1}) Wir gehen dabei keinen einfachen Weg. Wir wissen aber auch: Nur wer gegen den Strom schwimmt, kommt zur Quelle. Wir brauchen dabei viel Kraft. Wir wollen zur Quelle, damit in diesem Land mehr Wachstum und Beschäftigung sprudeln können. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Hartmut Schauerte das Wort. ({0})

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vertrauen kann nur wachsen, wenn sich alle Beteiligten um Redlichkeit bemühen. Sehr geehrter Herr Kollege Brandner, es ist doch auch mit noch so vielen Worten einfach nicht wegzudiskutieren, dass das Arbeitsvolumen in Deutschland immer noch sinkt ({0}) und dass wir nach Aussage der Bundesanstalt für Arbeit heute 770 000 Beschäftigte in Deutschland weniger haben als im letzten Jahr. ({1}) Bei dem Ernst der Lage will ich eine solch blöde Auseinandersetzung gar nicht führen. Warum strengen Sie sich denn so an? Sie tun das, weil auch Sie wissen, dass Ihnen alles weggebrochen ist. Niemand stellt doch in Abrede, dass Sie sich anstrengen. Bleiben Sie bei dem logischen Vorgang und sagen Sie, dass die Lage dramatisch ist und dass wir jetzt alle etwas tun müssen, damit wir das in den Griff bekommen und damit wir neues Wachstum und Zukunftsfähigkeit erhalten. ({2}) Da hilft kein Schönreden. Um den Druck zu erhöhen, damit die Veränderungsbereitschaft wächst und die Menschen das einsehen, hilft nur Realitätsnähe. ({3}) Was sollen die Menschen denn glauben, wenn Sie sagen, dass alles gut ist? Dann fragen sie, warum man denn überhaupt etwas ändern muss. Wir müssen doch etwas ändern. ({4}) Ich möchte noch einmal auf den Begriff Vertrauen zurückkommen. Warum wächst das Vertrauen nicht? Sicher liegt das auch daran, dass in der Vergangenheit so viele Enttäuschungen bereitet worden sind, sodass die Bevölkerung - zum Teil auch uns gegenüber - skeptisch sein muss. Das ist doch wahr. Vertrauen kann nur wachsen, wenn wir versuchen, eine ehrliche Analyse vorzunehmen. Das will ich in meinen Schlussbemerkungen in der Kürze der Zeit versuchen. Warum ist die Bevölkerung noch unsicher? Sie kennt weder das Ziel noch das Ausmaß noch die Wirkung der Maßnahmen genau. Niemand zeigt ihr, was insgesamt dabei herauskommt und ob bei all den Anstrengungen und Zumutungen am Ende tatsächlich eine Besserung eintritt. Darüber reden wir zu wenig. ({5}) Lassen Sie uns hier eine Zwischenbilanz ziehen. Wir befinden uns noch in der Diskussion des Haushalts. Vielleicht können wir das eine oder andere ja noch korrigieren. Ich rechne alles zusammen. Wenn wir all das tun, was Sie in Ihrer Agenda 2010 vorhaben, dann kommt es zu folgenden Verbesserungen der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft: Bei den Gesundheitskosten geht es um einen Wert von plus/minus 1 Prozent und bei den Kosten für die Arbeitslosigkeit um plus/minus 1,5 Prozent. Bei den Beiträgen zur Rentenversicherung wird eine Erhöhung vermieden, das Niveau also gehalten. Das heißt: Mit all den Anstrengungen, die Sie bisher unternommen haben, erreichen Sie bei den Lohnzusatzkosten eine Verbesserung von maximal 2,5 Prozent. Das ist ein Tropfen auf einen verdammt heißen Stein. Die Bevölkerung sieht das und fragt sich: Hilft das oder werden diese Maßnahmen wieder einmal nicht zu Ende geführt? ({6}) Wir können uns hier darüber streiten - ich finde diesen Streit ziemlich nutzlos -, ob die Prognose richtig ist. Von der Richtigkeit der Prognose hängt ab, ob der Haushalt seriös aufgestellt ist; das ist klar. Aber selbst wenn die Prognose der Bundesregierung stimmt, dürfte das kein Signal dafür sein, auf Veränderungen und Reformen zu verzichten. Das haben wir immer wieder erlebt: Die Konjunktur zieht leicht an, alle lehnen sich erholt zurück und das nächste Mal trifft es uns mit doppelter Wucht. Wir müssen diesen Prozess der Veränderung lebendig halten. ({7}) Ein Teil Ihrer Reden ist deshalb pädagogisch falsch, weil Sie den Menschen die Illusion geben, wir wären über den Berg. Ich will ein neues Fass aufmachen und einen anderen kritischen Bereich ansprechen, der meiner Meinung nach die Debatten der nächsten Monate entscheidend prägen muss. Wir werden mit dieser Absenkung der Lohnnebenkosten um 2,5 Prozent - und das auch noch auf einer nicht feststellbaren Zeitschiene - keine wirkliche Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in Deutschland erreichen. Wir werden den Abwanderungsprozess von Unternehmen aus Deutschland - welcher Art auch immer -, der täglich stattfindet, nicht stoppen. Wir werden auch nicht erreichen, dass irgendein Unternehmen zurückkommt. Genau das muss aber unser Ziel sein. Also müssen wir die Dosis der Veränderung und Verbesserung des Wettbewerbs erhöhen. Wir sind noch keineswegs am Ende. Wir brauchen mit Schuldzuweisungen gar nicht anzufangen. Ich will Ihnen ein Feld nennen, das mir wichtig erscheint und auf dem Veränderungen nichts kosten. Im Moment läuft unsere Reformpolitik darauf hinaus, dass wir den Menschen ans Geld gehen oder Leistungen kürzen. Das ist unvermeidbar. Dadurch werden zum Teil absurde Situationen herbeigeführt: Die Menschen müssen höhere Beiträge zahlen und bekommen hinterher weniger Leistungen. Das ist schon ein sehr kompliziertes System, was man den Menschen nicht so einfach klar machen kann. Das, was die Menschen zu wenig haben, ist Nettolohn. Das, was die Unternehmen zu viel kostet, ist Bruttolohn. Wovon die Menschen aber genug haben, ist Zeit. Bevor wir den Menschen weiter ans Geld gehen, sollten wir darüber nachdenken, ob wir in Deutschland nicht länger arbeiten müssen. Das ist die entscheidende Frage. ({8}) Wenn ich heute Menschen in den Betrieben frage, ob sie eher bereit sind, 20 Minuten am Tag ohne Bezahlung länger zu arbeiten oder weitere finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen, dann entscheiden 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Betrieben: Wir wollen lieber länger arbeiten, besonders wenn dadurch unser Arbeitsplatz gesichert ist. - Warum reden wir nicht darüber? Warum verweigern Sie sich dieser Diskussion? Herr Clement hat es ganz vorsichtig angefangen; ich darf es auf den Punkt bringen: In Deutschland treten die jungen Menschen im Vergleich zu allen Industrieländern am spätesten ins Berufsleben ein und die Älteren scheiden mit etwa 60 Jahren am frühesten aus dem Berufsleben aus. Ein deutscher Akademiker arbeitet durchschnittlich 32 Jahre, ein deutscher Arbeitnehmer durchschnittlich 38 Jahre. Wir haben also die kürzeste Lebensarbeitszeit unter allen Industrienationen. Wir haben darüber hinaus die kürzeste Tagesarbeitszeit, die kürzeste Wochenarbeitszeit und die kürzeste Jahresarbeitszeit unter allen Industrienationen. In welcher Hybris leben wir eigentlich, dass wir meinen, mit so wenig Arbeit wohlhabender sein zu können als andere, die deutlich mehr arbeiten? Was bilden wir uns eigentlich ein? ({9}) Warum diskutieren wir darüber nicht? An dieser Stelle lohnt es, neu nachzudenken. Dieses Programm, zu dem wir in Kürze einen Antrag in den Bundestag einbringen werden, müssen wir anpacken. Zur Arbeitsmarktpolitik haben wir eine ganze Menge konkreter Vorschläge vorgelegt. Also ohne Alternativen - das können Sie sich hinter die Ohren schreiben - sind wir nicht. Wir gehen sogar weiter als Sie. Eine solche Opposition hätte ich mir seinerzeit gewünscht. Ich hätte es gerne erlebt, wenn die SPD in den letzten 20 Jahren unter der CDU/ CSU-Regierung einmal mehr Reformen als wir gefordert hätte. Das wäre traumhaft gewesen. Aber Sie haben vor allem auf der Bremse gestanden. Schön, dass Sie jetzt erkennen, dass es ein bisschen anders werden muss. Aber Ihr Mut reicht noch nicht. Kommen wir noch einmal zurück. Packen Sie das Thema der längeren Arbeitszeit an. Warum verkürzen wir unsere Ausbildungszeiten nicht um ein Jahr? Im Saarland wird das Abitur nach zwölf Schuljahren gemacht. Der Ministerpräsident dieses Landes ist gerade zum Ministerpräsidenten des Jahres gewählt worden, weil er in den letzten zwei Jahren die größten positiven Veränderungseffekte unter allen Bundesländern bewirkt hat. Fangen wir doch in diesem Bereich an! Warum erhöhen wir denn das durchschnittliche Renteneintrittsalter nicht auf 63 Jahre, statt Phantomdiskussionen über 67 oder noch mehr Jahre zu führen? Wir müssen beim Eintrittsalter von 60 Jahren weg und hin zu 63 Jahren kommen. Dann ist Bewegung im Spiel und wir hätten etwas erreicht. Dann könnte die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze in Deutschland wachsen. Diese Probleme müssen wir anpacken. Die Menschen in diesem Lande sind dazu bereit. Ich lade Sie herzlich ein, auch über diesen Teil des Veränderungsprofils mit uns zu diskutieren. Das würde sich lohnen; denn dann hätte diese Debatte möglicherweise doch noch einen weitergehenden Sinn. Ich behaupte: Die Kombinationswirkung aus dem, was wir finanziell tun, und dem, was wir auf dem Arbeitsmarkt in Form von Flexibilisierung, mit betrieblichen Bündnissen sowie der Organisation von Wochenund Lebensarbeitszeiten tun, könnte zu einem nachhaltigen Vorwärtsschub führen. Dieser würde uns dann über eine geraume Zeit in sicheres Fahrwasser bringen. Dann könnten wir all die Dinge finanzieren, die wir für die Zukunftssicherung unserer jungen Leute, unserer Arbeitsplätze und unserer sozialen Sicherungssysteme brauchen. Wenn wir auf halbem Wege stehen bleiben - das ist unser Dilemma -, dann werden wir wieder scheitern. Dann haben wir den Menschen wahrscheinlich mehr Sorgen als tatsächliche Belastung zugemutet und das Ergebnis ist unter null. Eine letzte Bemerkung zum Handwerk.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Herr Kollege, das war ein so schönes Schlusswort. Ich glaube, dabei sollten wir es belassen. ({0})

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte meinen letzten Satz noch sagen dürfen, verehrte Frau Präsidentin. Ich lade die Sozialdemokraten herzlich ein, in einen konstruktiven Dialog mit der Union über die Frage der Arbeitszeit und der Arbeitsmenge in Deutschland einzutreten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1515, 15/1516, 15/1523, 15/1527 und 15/1531 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage auf Drucksache 15/1515 zusätzlich an den Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, jedoch nicht an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überwiesen werden. Außerdem sollen die Vorlagen auf Drucksache 15/1515 bzw. 15/1516 an den Haushaltsausschuss ausschließlich gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Das Wort hat zunächst Frau Bundesministerin Edelgard

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der vorliegende Haushaltsentwurf enthält eine klare Botschaft. Diese Botschaft lautet: Die Bundesregierung setzt auf Bildung und Forschung. ({0}) Wir halten damit an einem Kurs fest, den wir seit 1998 eingeschlagen haben. ({1}) Wir erneuern unser Bildungssystem und wir investieren in Bildung und Forschung. Qualifizierte Menschen, neue Produkte, Dienstleistungen und Verfahren sind die wichtigsten Schwungräder für wirtschaftliches Wachstum und für Wohlstand in Deutschland. Mit Innovationen schaffen wir zukünftige Arbeitsplätze. Wir setzen diesen Kurs, der für die Entwicklung unseres Landes die höchste Bedeutung hat, auch unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen konsequent fort. ({2}) Insgesamt stehen über 9,6 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung. Der Etat des BMBF umfasst 8,2 Milliarden Euro, für das Ganztagsschulprogramm steht zusätzlich 1 Milliarde Euro zur Verfügung. ({3}) Für den Kredit für den Darlehensanteil beim BAföG stehen noch einmal 445 Millionen Euro zur Verfügung. Mit dieser Politik haben wir auch in einem schwierigen konjunkturellen Umfeld in der Wirtschaft die notwendigen Kräfte freigesetzt. Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Hatte Mitte der 90er-Jahre nur jede vierte Firma ein neues Produkt im Angebot, das auf neuen Forschungsergebnissen beruhte, drängt heute schon ein Drittel der Unternehmen mit einer Neuentwicklung auf den Markt. Seit 1999 hält Deutschland in Europa den Spitzenplatz bei der Anzahl der Biotechnologieunternehmen, also bei Unternehmen, deren Kerngeschäft Biotechnologie ist. Deutschland verfügt inzwischen über die höchste Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Rund 275 Milliarden Euro - das waren im Jahr 2002 rund 14 Prozent des Bruttoinlandproduktes - gehen auf das Konto des Exports von forschungsintensiven Technologiegütern. Diese Tendenz wird sich weiter fortsetzen. ({4}) Das Fundament unserer Innovationsfähigkeit wird in unseren Schulen, Ausbildungseinrichtungen und Hochschulen gelegt. Spätestens seit Anfang der 90erJahre wissen wir, dass es zu viele schlecht oder gering ausgebildete und zu wenig hoch qualifizierte Menschen Bundesministerin Edelgard Bulmahn in unserem Land gibt. Unser Land lebt vom Know-how und der Kreativität der Menschen. Bildung und Forschung dürfen deshalb nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es die Opposition leider zu häufig macht. ({5}) Vielmehr sind beide Bereiche für unser Land von existenzieller Bedeutung. Jedes Kind in unserem Land muss die Chance bekommen, alle seine Begabungen zu entfalten. Deutschlands Schulen sollen besser werden und zu den besten gehören. ({6}) Das gilt für alle Schulen und alle Bundesländer. Gute Bildung braucht mehr Zeit, und zwar für individuelle Förderung, für die Entwicklung von Kreativität, für eine höhere Qualität des Unterrichts und für das gemeinsame Lernen. Dieses Ziel verfolgen wir mit unserem Ganztagsschulprogramm, dem größten bundesweiten Schulentwicklungsprogramm, das es in Deutschland je gegeben hat. ({7}) Hierfür stellen wir bis 2007 4 Milliarden Euro zur Verfügung. Eine Ganztagsschule darf nicht einfach eine Verlängerung der üblichen Schule von fünf auf acht Stunden bedeuten. Individuelle Förderung erfordert nicht nur einen anderen Zeitrahmen, sondern auch eine andere Organisation und eine bessere Qualität des Unterrichts. ({8}) Wir brauchen keine Einrichtungen, in denen Kinder „verwahrt“ werden, sondern Schulen, in denen Kinder mit Freude und Neugier lernen, in denen ihr Wissensdurst geweckt und am Leben gehalten wird. Die Zeit ist reif für diesen Paradigmenwechsel. ({9}) Ich bin froh darüber, dass dies nach einigem Zögern alle Länder eingesehen haben. Unser Bildungssystem zu modernisieren ist eine gewaltige Aufgabe und Herausforderung für uns alle, der wir uns stellen müssen. ({10}) Dazu gehören im Übrigen die Einführung von bundesweiten Bildungsstandards, die für alle Jahrgänge und Schulformen gelten müssen, die Einrichtung einer bundesweiten unabhängigen Evaluationsagentur, ({11}) der Aufbau einer nationalen Bildungsberichterstattung, die gezielte Förderung von Basiskompetenzen und nicht zuletzt die verbesserte Bildung und Integration von Migrantenkindern. Der Wille und die Bereitschaft, diese Herausforderungen nicht zögerlich, sondern mutig anzugehen, müssen unser Handeln bestimmen, und zwar nicht nur in den Ländern, sondern auch beim Bund, in den Städten und Gemeinden, bei den Eltern und in den Schulen. ({12}) Die aktuelle Situation auf dem Ausbildungsmarkt bietet Anlass zu größter Sorge. ({13}) Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen ist weit mehr als ein arithmetisches Zahlenspiel. ({14}) - Herr Rachel, es geht um junge Menschen, um ihren Berufsstart, ihre Lebenschancen und ihre Perspektive für die Zukunft. ({15}) Deshalb geht es auch um die Zukunft unseres Landes. Wenn wir verhindern wollen, Herr Rachel, dass durch den Mangel an qualifiziertem Nachwuchs Lebenschancen zerstört werden, wie es Mitte der 90er-Jahre der Fall war - 1998 hatten wir fast die gleiche Situation wie in diesem Jahr -, und dass sich dies schon in wenigen Jahren zu einem gravierenden Innovationshemmnis für unsere Wirtschaft erweisen wird, dann müssen wir heute mit aller Kraft gegensteuern. ({16}) Ausbildungschancen dürfen nicht von Konjunkturlagen abhängig sein. ({17}) Für die Stabilität und auch für den Erfolg der beruflichen Bildung ist es unverzichtbar, dass auch in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten allen Jugendlichen, die ausgebildet werden wollen und können, ein Ausbildungsangebot gemacht wird. ({18}) Bundesministerin Edelgard Bulmahn Wir setzen alles daran, dass dieses Ziel auch in diesem Jahr erreicht wird. Wir beteiligen uns zum Beispiel mit 95 Millionen Euro an der Finanzierung von 14 000 betriebsnahen Ausbildungsplätzen in Ostdeutschland. Wir fördern des Weiteren Jugendliche mit schlechten schulischen Voraussetzungen, damit sie den Sprung in die Ausbildung schaffen. Wir fördern außerdem die Gründung zusätzlicher Ausbildungsverbünde. Wir haben bereits die Ausbilder-Eignungsverordnung außer Kraft gesetzt und damit vielen Betrieben, die bereit und in der Lage sind, auszubilden, den Zugang zur Ausbildung erleichtert. Ich möchte allerdings eines klarstellen: Wir können nicht auf Dauer seitens des Staates und der Bundesregierung der Wirtschaft die Ausbildungsverantwortung abnehmen. ({19}) Wir können nicht ausbilden. Wir brauchen die Wirtschaft und die Betriebe. Die berufliche Ausbildung liegt in der ureigenen Verantwortung der Wirtschaft und der Betriebe. Es gibt rund 500 000 Betriebe, die ausbilden dürften und könnten, die es aber nicht tun. Wenn nur die Hälfte dieser Betriebe eine Lehrstelle anbieten würde, dann gäbe es in Deutschland ein mehr als ausreichendes Ausbildungsangebot. ({20}) Ich werde mich angesichts solcher Zahlen nicht mit 35 000 oder mehr unversorgten Jugendlichen abfinden. Anfang Oktober werden wir zu einem Ausbildungsgipfel einladen. Ich erwarte, dass die Wirtschaft dann einen überzeugenden Vorschlag vorlegt, aus dem hervorgeht, wie sie die Lehrstellenlücke bis zum Ende des Jahres schließen will. ({21}) Ich halte nichts davon - um auch das klar zu sagen -, jetzt über Instrumente zu diskutieren. Das Ziel soll vielmehr erreicht werden. Dieses lautet: Jeder Jugendliche soll ein Ausbildungsangebot erhalten. Die Bundesregierung schafft dafür die strukturellen Voraussetzungen. Wir setzen auf moderne, zukunftsfähige Berufe. Wir haben inzwischen über die Hälfte der gängigen Berufe modernisiert. Wir setzen auf neue Qualifikationen und Flexibilität. Die zweijährige berufliche Ausbildung sowie die Einführung von Qualifizierungsbausteinen, die auf eine vollwertige Berufsausbildung angerechnet werden können, sind zwei wichtige, von der Wirtschaft selbst immer wieder geforderte Instrumente. Sie müssen allerdings in den Betrieben auch genutzt werden. Wir brauchen insgesamt mehr hoch qualifizierte Menschen in unserem Land. In den vergangenen Jahren haben wir hier spürbare Fortschritte erreicht. Die Zahl der Studienanfänger gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern und insbesondere in der Elektrotechnik ist deutlich gestiegen. Trotzdem liegt Deutschland noch immer deutlich hinter den wichtigsten Industrieländern; denn wir haben den massiven Einbruch in der ersten Hälfte der 90er-Jahre bei weitem noch nicht kompensiert. Deshalb gilt es, die Anstrengungen fortzusetzen. Die finanzpolitischen Spielräume für weitere Steigerungen im Hochschulbau sind in diesem Jahr nicht gegeben. Wir werden im Jahre 2004 hierfür 925 Millionen Euro ausgeben. Das sind übrigens noch immer 5 Millionen Euro mehr als 1998. ({22}) Es gibt an unseren Hochschulen aber vor allem Probleme, die nicht baulicher Natur sind. Unser Pakt für Hochschulen setzt bei diesen Problemen an. Die Hochschulentwicklung ist das Kernstück. Die Studienbedingungen zu verbessern sowie die erfolgreich begonnene Internationalisierung, die Nachwuchswissenschaftlerförderung und die Forschung an den Hochschulen zu stärken sind die Herausforderungen. ({23}) Die Förderung der Forschung an den Hochschulen durch den Bund ist nach den Daten des Statistischen Bundesamtes allein in meinem Haus von 1998 bis heute um 72 Prozent gestiegen. ({24}) Die Bundesförderung der Hochschulen einschließlich des Hochschulbaus ist - ohne BAföG - um 23 Prozent gestiegen. ({25}) Übrigens, in Bayern stieg die Hochschulförderung um ganze 2,9 Prozent. Die Förderung der Hochschulen hat für die Bundesregierung einen hohen Stellenwert und wird es auch in Zukunft haben. ({26}) - Frau Flach, angesichts von Steigerungen in Höhe von 23 bzw. 72 Prozent können Sie nicht allen Ernstes sagen: auf niedrigem Niveau! ({27}) Das, was wir hier erreicht haben, ist ein deutlicher Schritt nach vorn. Wir werden aber, das sage ich ausdrücklich, nicht stehen bleiben, sondern unsere Anstrengungen weiter fortsetzen, weil wir an dem Ziel festhalten und nicht daran rütteln lassen, dass jeder Mensch in unserem Land beste Bildungschancen haben muss. Das ist unser Grundsatz, eines der Herzstücke der sozialdemokratischen Politik. ({28}) Bundesministerin Edelgard Bulmahn Exzellente Forschung - das ist die zweite Säule - ist die Voraussetzung für jedes neue Produkt und jedes neue Verfahren. Vorsprung durch Innovation erreicht man nicht durch Hinterherrennen, ({29}) sondern durch Überholen auf neuen Wegen. Deshalb haben wir die Forschung seit 1998 neu ausgerichtet und systematisch gestärkt. Wie vom Bundeskanzler in der Agenda 2010 angekündigt, werden wir die Etats aller großen Forschungsorganisationen im kommenden Jahr wieder um 3 Prozent erhöhen. Die institutionell geförderten Forschungseinrichtungen stehen damit so gut da wie noch nie. Allein für die DFG bedeutet das seit 1998 eine Steigerung um 33 Prozent. ({30}) Eine weitere wichtige Weichenstellung: Erstmals wird der größte Teil der Forschungsförderungsmittel im Wettbewerb vergeben; die Leistung zählt. Insgesamt beträgt die Summe der so vergebenen Fördermittel rund 4,4 Milliarden Euro. Das sind über 53 Prozent der Mittel im Einzelplan 30. Mir ist das so wichtig, weil Wettbewerb für mehr Qualität und mehr Effizienz sorgt. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir über Forschungsförderung auch wirklich Qualitätsverbesserungen und Innovationen in Gang setzen. ({31}) Im Vergleich zum Vorjahr sinkt die Projektförderung - leider -, das ist eine Folge des Auslaufens der Mittel aus den UMTS-Verkaufserlösen. Bevor Sie aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition - ich höre schon wieder Herrn Rachel -, die Backen aufblasen, sei Ihnen Folgendes gesagt: Wir liegen mit den Mitteln für die Projektförderung auch im Jahr 2004 gut eine halbe Milliarde über dem Etatansatz, den Sie uns 1998 übergeben haben. ({32}) Ich finde, das kann sich sehen lassen, das ist nämlich eine Steigerung um rund 32 Prozent. Wir haben die Mittel für die Projektförderung, für die themenorientierte Forschungsförderung neu gebündelt, um noch stärker interdisziplinär und in enger Verbindung von Forschung und Anwendung agieren zu können. Informations- und Kommunikationstechnik, Nanotechnologie und die Mikrosystemtechnik, optische Technologie und die Biotechnologie bilden die Schwerpunkte. ({33}) Die Förderung der Genomforschung wird verstetigt. Die ostdeutschen Länder werden durch gezielte Innovationsförderung weiter gestärkt. Hier haben wir im Übrigen spürbare Erfolge erreicht. Ich will nur das Beispiel Dresden nennen. Dort ist heute eine der modernsten Technologieregionen in Europa. Durch unsere Förderung ist die Schaffung von 11 000 Arbeitsplätzen in Gang gesetzt worden. ({34}) Zu einer Politik, die konsequent auf Wissen und Innovation setzt, gibt es in Deutschland keine Alternative. Eine solche Politik gibt es seit 1999 und das wird unter dieser Bundesregierung auch so bleiben. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({35})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Maria Böhmer. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben ein ganz besonderes Talent, ({0}) Sie können unangenehme Wahrheiten einfach ausblenden. ({1}) Das, was wir hier erlebt haben, ist eine geschönte Bilanz. Ihre Zahlentricksereien werden wir Ihnen heute und auch in den anstehenden Haushaltsberatungen nicht durchgehen lassen. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie die Bundesregierung mit den Versprechungen, die sie einmal gemacht hat, umgeht. Sie haben heute erneut vorgegaukelt - das hat der Bundesfinanzminister in der Haushaltsdebatte am Dienstag ebenfalls getan -, dass Sie mehr Mittel zur Verfügung haben, als Ihr Haushalt aufweist. In den Zeitungen ist immer wieder zu lesen, die Steigerung Ihres Haushaltes betrage insgesamt 6,3 Prozent. Aber die Ausgaben für das Bauprogramm für Ganztagsschulen gehören definitiv nicht in Ihren Haushalt, sondern in einen anderen Bereich. Das ist die Wahrheit. ({3}) Es ist eine bittere Wahrheit, dass die Mittel für Ihren Haushalt nicht steigen, nicht stagnieren, sondern im zweiten Jahr hintereinander zurückgehen. Sie können noch so lange an die Vergangenheit erinnern, Tatsache ist - schauen Sie sich an, was für heute und was für die Zukunft gilt -: Ihr Haushalt befindet sich in einer Abwärtsspirale. ({4}) Als ich diesen Haushaltsentwurf gelesen habe, hat mich auch gewundert, dass Sie bei der Projektförderung besonders drastisch kürzen; die Mittel für diesen Bereich sinken um immerhin 8,2 Prozent. Für den Hochschulbau stehen 12,7 Prozent weniger zur Verfügung. Sie kürzen in zwei Kernbereichen. Das kann man nicht machen. ({5}) Mit diesem Streichkonzert nehmen Sie eine völlig falsche Weichenstellung vor. Sie haben mit Recht gesagt, dass Innovationen und Forschung wichtig sind, und zwar nicht nur für diese Bereiche selbst, sondern auch für die Zukunft unseres Landes, für Wachstum und für Arbeitsplätze. Ohne Innovationen wird es kein Wachstum geben. Aber in genau diesen Bereichen treten Sie auf die Bremse und damit verhindern Sie, dass es in unserem Land wieder mehr Wachstum und Beschäftigung gibt. ({6}) Frau Bulmahn, junge Menschen sind die Leidtragenden Ihrer Politik. ({7}) Das ist die katastrophale Botschaft, mit der wir derzeit landauf, landab konfrontiert sind. Mehr als 160 000 Jugendliche suchten Ende August noch einen Ausbildungsplatz. Die Situation ist schlimmer als im Jahr zuvor. Das ist ein Skandal und den werden wir auch so benennen. ({8}) Es fehlen Zehntausende Ausbildungsplätze und Sie reagieren hilflos. Am 18. März dieses Jahres haben Sie hier Folgendes gesagt: Jeder Jugendliche, der ausbildungswillig und ausbildungsfähig ist, soll eine Lehrstelle bekommen. ({9}) So lautete Ihr Versprechen. Das war eine wichtige Aussage. Die Jugendlichen haben gedacht, sie könnten sich darauf verlassen. ({10}) Ihr Kollege Clement hat vor kurzem erfahren, wie Jugendliche mittlerweile reagieren. Nachzulesen ist das in einem Artikel des „Stern“, der mit „Die Lehrstellenlüge“ überschrieben ist. Sie wissen genau, was diese Schlagzeile beinhaltet. Jugendliche haben Herrn Clement bei einer Veranstaltung in Rostock auf sein Versprechen angesprochen. Sie haben gesagt, dass sie „diese Heucheleien der Politik“ nicht mehr hinnehmen wollen. Fast die Hälfte der Jugendlichen wird sich am Ende dieses Jahres nicht in einer Lehrstelle wiederfinden, sondern in einem Grundlehrgang, in einem Berufsgrundschuljahr, in einem Berufsvorbereitungsjahr, in einer Hauptschule oder in einer Berufsfachschule, oft ohne Aussicht auf einen Berufsabschluss. 40 Prozent der Jugendlichen in unserem Land haben das Schicksal zu erleiden, in Warteschleifen geparkt zu werden. ({11}) Ich zitiere die Äußerung einer jungen Frau im „Stern“: Wir wollen keine bescheuerten Warteschleifen oder Praktika, wir wollen echte Lehrstellen. ({12}) Diese Jugendliche hat Recht. Mit der Lehrstellenlüge muss Schluss sein. Weiße Salbe ist auch ihr JUMP-Programm: Nur jeder dritte Jugendliche, der in diesem Programm war, hat sechs Monate nach Förderende einen Arbeitsplatz. Wir wissen, dass in weiten Bereichen der neuen Bundesländer eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht und dass es dort viele Jugendliche gibt, die händeringend einen Ausbildungsplatz suchen. Durch JUMP sind 30 000 Jugendliche in Sachsen-Anhalt gefördert worden. Was ist das Ergebnis? - Nach Auslaufen der Förderung fielen ganze 22 000 zurück in die Arbeitslosigkeit. ({13}) Angesichts dessen nenne ich das JUMP-Programm nicht eine Hilfe, sondern eine Katastrophe. Sie sollten es sein lassen. ({14}) Man muss einmal bedenken: Was sind die wahren Ursachen für diese Situation? - Es ist die trübe Auftragslage der Betriebe. Es ist die hohe Zahl von Insolvenzen, 40 000 pro Jahr. Woher sollen denn noch die Ausbildungsplätze kommen? Werfen Sie doch einmal einen Blick in den Bereich der Bundesregierung! ({15}) Da merkt man, wie Sie es mit Ausbildungsversprechen halten. Herr Clement bietet in diesem Jahr 20 Ausbildungsplätze weniger an. Im Bundeskanzleramt gab es im vergangenen Jahr fünf Ausbildungsplätze. In diesem Jahr ist es nur noch ein Ausbildungsplatz. ({16}) Ich habe mir noch angesehen, was die Gewerkschaft Verdi anbietet. Da beträgt die Ausbildungsquote ganze 0,3 Prozent. Das ist nicht nur blamabel, sondern entlarvend. ({17}) Am Montag hat der Bundeskanzler im Verbund mit den Gewerkschaften erneut mit einer Ausbildungsplatzabgabe gedroht. Dazu muss ich Ihnen sagen: Eine solche Ausbildungsplatzabgabe, eine solche Zwangsabgabe ist Gift - Gift für die Betriebe, aber auch Gift für alle diejenigen, die einen Ausbildungsplatz suchen. ({18}) Lassen Sie die Finger davon und bieten Sie den Jugendlichen einen echten Ausbildungsplatz an! Den Anfang sollte der Bundeskanzler machen, indem er die Ausbildungsquote erfüllt und 20 Ausbildungsplätze anbietet. ({19}) An dieser Stelle möchte ich all denjenigen im Land einen herzlichen Dank sagen, die trotz angespannter wirtschaftlicher Situation einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen: den Handwerkern, den Unternehmen und den Freiberuflern. All denjenigen, die jungen Menschen eine Chance geben, gilt unsere Anerkennung; wir sagen Danke. ({20}) Frau Bulmahn, ich will auch noch eine andere Seite des Problems ansprechen. Viele, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, bringen überhaupt nicht die Voraussetzungen dafür mit. Mir hat ein Malermeister gesagt: Die Bewerber können oftmals noch nicht einmal den Umfang eines Rechtecks berechnen. ({21}) Das muss man sich einmal vorstellen! Sie sagen einfach: Wir machen jetzt das Programm „Zukunft, Bildung und Betreuung“. - Die SPD-Fraktion verteilt eine entsprechende Broschüre mit dem Titel „Lernen macht groß & stark“. ({22}) Diese kostet übrigens 115 000 Euro. In meinen Augen ist es unerhört, für eine derart dürre Broschüre Steuergelder zu verschleudern. ({23}) Wahrscheinlich haben Sie die Broschüre schon in den bayerischen Landtagswahlkampf geschickt. Aber die bayerischen Eltern werden zu lesen wissen und sich auf solch eine Mär nicht einlassen. ({24}) Wenn Sie Ganztagsschulen heute als Alleskönner propagieren, dann müssen wir schon einmal fragen: Was können diese Schulen eigentlich leisten? Sie empfehlen sie uns - das haben Sie auch am Montag wieder getan als Mittel gegen Analphabetismus, zur Überwindung eines sozial ungerechten Schulsystems, für eine bessere individuelle Förderung, für mehr Kreativität und für eine höhere Qualität des Unterrichts. ({25}) Sie behaupten das alles gegen besseres Wissen. Schauen Sie sich einmal an, was Ihr Programm in der Realität bewirkt! Es ist kein Schulprogramm, sondern ein Bauprogramm. ({26}) - Herr Tauss, welche Situation trifft man denn in Ganztagsschulen an, die mit diesen Mitteln gefördert werden? Nach dem Unterricht wird ein Mittagessen angeboten. Dann gibt es Hausaufgabenbetreuung und Lockerungsübungen. Es kommt jemand vom Musikverein oder von den Landfrauen, um mit den Schülern kochen zu üben. Und Sie wollen uns erklären, das sei Unterricht! ({27}) Das ist nicht Unterricht, sondern Betreuung. ({28}) Betreuung am Nachmittag halte ich für vernünftig; denn wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber die Ganztagsschule, die Sie hier propagieren, ist kein Weg zu besserer Bildung. Diese Aussage ist von vielen Wissenschaftlern bestätigt worden. ({29})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Böhmer, ist Ihnen entgangen, dass dieses Ganztagsprogramm die Forderung an die Länder beinhaltet, ein pädagogisches Konzept zu erstellen? ({0}) Insofern ist das Ganze natürlich wesentlich mehr als einfach ein Schulbauprogramm. Das wissen Sie auch, es sei denn, Sie hätten in den letzten Wochen und Monaten permanent geschlafen. ({1})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe die Broschüre gelesen. Ich will Ihnen gerne etwas daraus vorlesen. Da steht: Ziel ist es, die Ganztagsbetreuung an Schulen zu verbessern. Dann sagen Sie, dass durch die Betreuung die Qualität des Unterrichts erhöht werden soll. Im nächsten Punkt steht dann, was mit diesen Mitteln gemacht werden soll - darauf spielen Sie ja an -: Mit den Bundesmitteln können sowohl Aus- und Umbaumaßnahmen als auch Ausstattungsinvestitionen und Dienstleistungen, ({0}) die mit den Investitionen verbunden sind …, finanziert werden. ({1}) Warum soll denn die Qualität des Unterrichts allein durch Baumaßnahmen steigen? In den neuen Bundesländern hat man genügend Räume, um die Schüler zu betreuen. ({2}) - Sie wollen noch eine weitere Frage stellen? - Ja, bitte.

Ute Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003504, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich stelle die Frage noch einmal, da Sie nicht geantwortet haben: Wissen Sie, dass hinter jeder Ganztagsschule ein pädagogisches Konzept stehen muss? Selbst wenn das in der Broschüre nicht erwähnt wäre, ({0}) müssten Sie das wenigstens aus der Arbeit im Bundestag wissen. Ich halte es für fahrlässig, das einfach zu unterschlagen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich richte meinen Blick jetzt einmal auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen; das ist Ihnen sicherlich sympathischer, als wenn ich jetzt auf Hessen oder Bayern einginge. Wir wissen ja, dass dieses Programm in Nordrhein-Westfalen genutzt wird ({0}) und dass dort jetzt auch Nachmittagsangebote bzw. - in Ihrer Ausdrucksweise - Ganztagsschulen eingeführt werden. Wie geschieht das denn? Dort sind pro Gruppe von 25 Kindern 0,1 Lehrerstellen vorgesehen. Wie wollen Sie mit einer Zehntellehrerstelle ein pädagogisches Konzept am Nachmittag gewährleisten? ({1}) - Sie können ja gleich gerne noch einmal fragen. ({2}) - Ich bin noch nicht fertig. Sie dürfen ruhig noch ein wenig Geduld aufwenden. - Es müssen also auch andere Kräfte eingesetzt werden, zum Beispiel ehrenamtliche Kräfte, die in der Regel für die Betreuung von Kindern und Jugendlichen nicht qualifiziert sind. Es macht einen Unterschied, ob ich abends in einem Sportverein mit Erwachsenen einen Trainingskurs abhalte oder am Nachmittag im Rahmen von schulischen Freizeitangeboten - - ({3}) - Ich bin aber noch nicht fertig, Frau Präsidentin. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es gibt keinen Grund zur Sorge. Ich habe die ganze Zeit die Uhr angehalten. Inzwischen haben Sie schon sehr viel Zeit für die Antwort benötigt. Sie sollten jetzt auch wieder Ihre Rede fortsetzen. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieses vorgebliche pädagogische Konzept beinhaltet also nichts anderes, als dass am Nachmittag Hausaufgabenbetreuung gewährleistet wird und außerunterrichtliche Angebote gemacht werden. Das ist noch lange kein Unterricht. Damit kann man nicht von einer Qualitätssteigerung des Unterrichts sprechen. Jetzt möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen, was Nordrhein-Westfalen macht: In Nordrhein-Westfalen müssen die Eltern für die Betreuung der Kinder am Nachmittag in Ganztagsschulen 100 Euro zahlen. Es ist das erste Mal, dass in Deutschland für ein schulisches Angebot am Nachmittag Schulgeld zu bezahlen ist. Das finde ich unsozial. ({0}) So sieht also das aus, was die SPD realisiert. So kann man kein Ganztagsschulangebot machen. ({1}) Jetzt möchte ich Ihnen noch eines sagen, weil Sie es uns ja sonst nicht glauben. Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main sagt: Ganztagsschulen als solche beeinflussen das Leistungsniveau der Schulen in der Regel nicht. Vielmehr kann es - das ist der entscheidende Punkt - sogar zu einer „Nivellierung im Leistungsbereich“ kommen. Die Schwächeren können vielleicht etwas davon profitieren, aber die Stärkeren werden die Verlierer sein. Deshalb sage ich: Hören Sie auf mit diesem Etikettenschwindel! Sagen Sie ehrlich, was Sie mit Ihrem ProDr. Maria Böhmer gramm machen, nämlich Betreuung am Nachmittag. Das wäre in Ordnung. Es handelt sich jedenfalls nicht um ein Programm zur Steigerung der Bildungsqualität. ({2}) - Das machen Sie mit Ihrem Programm. Im Mittelpunkt dessen, was ich bisher gesagt habe, stand die Ausbildung. ({3}) - Herr Tauss, würden Sie sich bitte mäßigen!? ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Tauss, den Begriff „Hetze“ wollen wir in diesem Parlament in der Regel vermeiden und dazu rufe ich Sie zur Ordnung. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich glaube nicht, dass wir uns in einer für unser Land so wesentlichen Frage, nämlich wie es um die Bildung von Kindern bestellt ist - und das hängt wahrlich nicht vom Faktor Zeit ab, Herr Tauss, sondern von der Qualität von Bildung -, auf einem solchen Niveau hier unterhalten können. ({0}) Weil ich mich wegen der Diskussion zum Thema Ganztagsschulen nun nicht mehr ausführlich dem Thema Forschungsförderung zuwenden kann, will ich dazu nur eines sagen: Frau Ministerin, das, was Sie uns heute in punkto Forschungsförderung aufgezeigt haben, wird völlig konterkariert von dem, was Sie tatsächlich machen. Sie haben im laufenden Haushalt völlig überraschend die Fördermittel für die großen Forschungseinrichtungen in Deutschland gekürzt. Das war ein Nackenschlag für die Forschung in unserem Land. Für das nächste Jahr stellen Sie nun 3 Prozent mehr zur Verfügung. Damit werden Sie die Delle nicht ausgleichen können. ({1}) Was Sie machen, ist im Grunde genommen ein Nullsummenspiel; denn Sie nehmen die Mittel von der Projektförderung weg, um sie den Forschungseinrichtungen zu geben. Unter dem Strich bedeutet das keine Verbesserung, sondern das heißt: Wissenschaft finanziert Wissenschaft. Das ist kein Weg in die Zukunft. Mit Ihrem Programm kürzen Sie bei den Zukunftsfeldern. Wir haben minus 5 Prozent bei der Informationstechnologie, wir haben minus 5 Prozent -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit! Ihre Redezeit ist schon weit überschritten. Wir müssen ein bisschen mehr darauf achten, dass nicht jeder Redner seine Redezeit um zwei Minuten oder sogar mehr überzieht. Dann kommen wir in dieser langen Debatte nicht zum Schluss. Darum möchte ich Sie herzlich bitten.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern, Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss. - Bei der Nanoelektronik kürzen Sie um 5 Prozent, obwohl gerade dieser Bereich für die Zukunft unseres Landes so wichtig ist. Wir haben Vorschläge für neue Strategien vorgelegt. Mit Lavieren und Schönreden ist es hier nicht getan. Wir brauchen eine Politik, die Forschung, Wissenschaft und Bildung wieder voranbringt. Wir werden einem Haushalt der gebrochenen Versprechen, einem Haushalt, der in weiten Bereichen innovationsfeindlich ist, nicht zustimmen. Danke. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat der Abgeordnete Reinhard Loske. ({0})

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Böhmer, bevor ich zu meiner Rede komme, ein paar kurze Repliken: Erstens. Für die Ganztagsschulen sind 1 Milliarde Euro in den Einzelplan 60 eingestellt. Ich frage mich, was Sie für ein Investitionsverständnis haben. Wenn wir eine bessere Infrastruktur in den Schulen schaffen, wenn wir mehr Zeit für Bildung aufwenden, wenn wir mehr Chancengleichheit bieten, ist das natürlich eine Investition in Bildung und muss auch als solche gerechnet werden. Das ist doch vollkommen klar. ({0}) Zweitens. Natürlich ist die Ganztagsschule nicht eine Lösung für alles. Das liegt doch auf der Hand. ({1}) Aber Sie malen hier ein Schreckensbild an die Wand. Offensichtlich haben Sie ein Problem damit, wenn man Mitarbeiter aus Jugendzentren, Vertreter von Sportvereinen, Handwerker und Landfrauen an den Nachmittagen in die Schulen holt. Wir betrachten das als eine Chance, weil so die Kinder realitätstüchtig gemacht werden. Sie haben wirklich ein sehr eigentümliches Verständnis. ({2}) Drittens. Natürlich sind Forschung, Bildung und Innovation für uns und für diese Regierung eine übergeordnete Aufgabenstellung. Die Mittel dafür finden sich nicht nur im Einzelplan der Bildungsministerin Bulmahn, sondern auch in den Einzelplänen vieler anderer Ministerien. Es handelt sich eben um eine Querschnittsaufgabe, die - das haben Sie in den letzten Tagen vielleicht den Medien entnommen - auch vom Kanzler ernst genommen wird. Das unterscheidet diese Regierung in der Tat von ihrer Vor-Vorgängerin, gar keine Frage. Eine letzte Vorbemerkung. Man wird doch wohl noch sagen dürfen - eigentlich will ich nicht Zahlen rauf- und runterbuchstabieren -, dass zwischen 1994 und 1998 das Haushaltsvolumen des damaligen BMFT unter Zukunftsminister Rüttgers deutlich gesunken ist und dass das Haushaltsvolumen des BMBF zwischen 1998 und 2002 um 20 Prozent gestiegen ist, wenn wir die Mittel für das BAföG und die Einrichtung von Ganztagsschulen hinzurechnen, sogar um 30 Prozent. Das sind die Fakten. Zwischen 1998 und 2003 kam es also zu einem deutlichen Aufwuchs um fast ein Drittel und vorher zu einer deutlichen Kürzung. Das sollte man der Öffentlichkeit schon einmal sagen. ({3}) In diesen Tagen wird viel von der Agenda 2010 gesprochen. Das Ziel der Agenda 2010 ist, unsere sozialen Sicherungssysteme bezahlbar zu halten und mehr Menschen Zutritt zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Das ist sicherlich eine schmerzhafte Operation, aber bei allen Unterschieden im Detail eine notwendige. Einigkeit sollte aber darin bestehen, dass das bei weitem nicht hinreichend ist. Denn für die Frage, ob wir es schaffen, eine lebendige, gesunde und nachhaltige Wirtschaft, eine Gesellschaft mit mehr Chancen für alle hinzubekommen, ist etwas anderes genauso entscheidend - vielleicht sogar viel entscheidender -: die Schlüsselstellung von Bildung, Forschung, Innovationen und Qualitätsproduktion. Das macht den Standort Deutschland aus. Die Phrase „Wir brauchen mehr Investitionen in die Köpfe“ - das ist unser einziger Rohstoff - hat mittlerweile jeder im Mund. Ich will dies nicht wiederholen; aber es ist Realität. Es ist doch klar: Wenn wir zu Hause, auf den Heimatmärkten, zeigen, wie Innovationen funktionieren, dann werden wir damit auch auf den Weltmärkten der Zukunft eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen. Die Innovationsforscher nennen das First Mover Advantage, Entwicklung von Lead-Märkten, ({4}) also von Märkten, auf denen wir zeigen, dass unsere Innovationen funktionieren. Es ist doch vollkommen klar: Bei der Herstellung von industriellen und standardisierten Massenprodukten haben wir in Deutschland keine spezifischen Wettbewerbsvorteile. Unser Wettbewerbsvorteil liegt in der Innovation, in modernen Dienstleistungen, in der Qualitätsproduktion. Darauf zielt unsere Politik ab. ({5}) Zum Haushalt habe ich bereits einiges gesagt. ({6}) Zwischen 1994 und 1998 kam es zu einem Rückgang der Mittelansätze, zwischen 1998 und 2002 zu einem Aufwuchs um 20 Prozent. Es stimmt allerdings: In den Jahren 2003 und 2004 hat es, geschuldet dem allgemeinen Budgetdruck, eine Stagnation gegeben. Das ist zutreffend und das ist durchaus kritisch zu hinterfragen. Trotzdem ist es in diesem Kontext gelungen, einige wichtige Akzente zu setzen. Ich nenne das Inno-RegioProgramm in den neuen Bundesländern, die Fortsetzung des internationalen Austausches von Wissenschaftlern und Studierenden - das ist ganz zentral für uns - und auch den Aufwuchs bei der institutionellen Förderung der Forschungseinrichtungen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gesellschaft. Ich will aber hinzufügen: Wir erwarten von der Industrie, dass sie mehr für die Forschung tut. Denn Forschung ist nicht nur eine Aufgabe des Staates. Ich halte beispielsweise die im Rahmen des Gesundheitskonsenses - an dem auch die Grünen wahrlich Kritik anbringen können - von der Pharmaindustrie ausgesprochene Drohung, abzuwandern bzw. Forschungsaktivitäten einzustellen, für vollkommen unakzeptabel. ({7}) Was das Geld betrifft, so muss man sagen: Wir haben das Ziel, dass der Anteil der Mittel für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt bis 2010 3 Prozent betragen soll. Wir liegen jetzt bei 2,4 bzw. 2,5 Prozent. Wir müssen also besser werden. Dieses Ziel haben wir auf EU-Ebene und im Rahmen unserer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Wenn wir dies ernst nehmen, dann müssen wir in den nächsten Jahren über die Gesamtgesellschaft einen jährlichen Zuwachs von 5 bis 6 Prozent im Bereich von Forschung und Entwicklung erreichen. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, woher neben den öffentlichen Haushalten zusätzliches Geld kommt. Für uns Grüne ist die Idee des Stiftungskapitals sehr wichtig. In den nächsten Jahren werden gigantische Vermögen transferiert. Es ist zu fragen, ob man nicht einen Teil dieses Transfers für Bildung und Forschung nutzbar machen kann. Entsprechende Rahmenbedingungen dafür zu setzen hätte einen sehr guten Zweck. ({8}) Eine zweite Maßnahme wäre: An den Staat fallende Erbschaften - auch diese Diskussion wird geführt - sollten für Bildung und Forschung zweckgebunden werden. Ich füge hinzu: Es wird in Zukunft eine höhere Eigenbeteiligung notwendig werden; das ist überhaupt keine Frage. Die Konsumbudgets bzw. der Warenkorb der Zukunft werden sich ändern. Es wird weniger Geld für kurzlebige Konsumgüter ausgegeben werden können und mehr Geld für hochwertige Güter wie Bildung, WeiDr. Reinhard Loske terbildung und Qualifizierung ausgegeben werden müssen. ({9}) Das ist für uns ein sehr zentraler Punkt. Frau Präsidentin, ich sehe, die Lampe blinkt; meine Redezeit läuft ab. Deswegen mein letzter Gedanke. Zu den inhaltlichen Aspekten, die uns wichtig sind, zur Energieforschung, Mobilitätsforschung und Umweltforschung, habe ich jetzt nichts gesagt. Bezüglich der Energieforschung gibt es unsererseits durchaus einige Kritikpunkte. ({10}) Aber ein Aspekt ist mir noch sehr wichtig, und zwar die Strukturfrage. Es nützt nichts, mehr Geld in die bisherigen Strukturen zu pumpen. Da ist es ähnlich wie bei der Sozialstaatsdebatte: Wir brauchen beides, mehr Geld und Strukturreformen. Wir sehen die Notwendigkeit, endlich einen Wissenschaftstarifvertrag einzuführen; denn das öffentliche Dienstrecht und der BAT haben sich in diesem Bereich als Korsett erwiesen, wodurch der Bereich wenig dynamisch und flexibel ist. ({11}) Als endgültig letzten Punkt - dann bin ich fertig, Frau Präsidentin - spreche ich die Internationalisierung unserer Hochschulen an. Sie können nicht - das richte ich an die Adresse der Union - einerseits fordern, dass unsere Hochschulen internationaler werden, ihnen aber andererseits gleichzeitig über das Aufenthaltsrecht und das Arbeitsrecht einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine werfen. Das passt einfach nicht zusammen. ({12}) Ich kann nur sagen: Machen Sie den Weg frei für ein modernes Einwanderungsrecht; dann verbessert sich auch die Situation an unseren Hochschulen. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDPFraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben wirklich ein gutes Timing; das muss man Ihnen lassen. Passend zur Landtagswahl in Bayern haben Sie nun Ihr Viermilliardenprogramm „Bildung und Betreuung“ auf den Weg gebracht, das Sie selbst das „größte bundesweite Investitionsprogramm für Schulen“ nennen. ({0}) Lassen Sie mich für die Liberalen dazu sagen: Größe ist nun wirklich nicht gleichbedeutend mit Qualität. ({1}) Dieses Programm ist groß, aber vor allen Dingen im Hinblick auf seine Unzulänglichkeit. Ihr Ganztagsschulprogramm ist - da stimme ich Frau Böhmer zu, auf deren Seite ich selten stehe, wie die Fachleute hier wissen - nicht mehr als ein Schulbauprogramm. ({2}) Die Konzepte, von denen Sie so gerne sprechen - sei es das individuelle Lernen, sei es die Förderung von Lernschwachen und Hochbegabten, sei es mehr Kreativität -, ({3}) liegen doch in den Schubladen. Schauen Sie sich die Situation im Saarland an, aus dem der Kollege Hartmann stammt: Da wird erst gar kein Kind gefunden, das in eine solche Schule gehen möchte. Allein die 100 Euro - übrigens in einem CDU-geführten Land, Frau Böhmer schrecken die Leute ab. Dieses Konzept wird verpuffen, weil die Länder wieder einmal nicht so reagieren, wie wir uns das vorstellen. ({4}) Wenn ich nach links schaue und sehe, wie viele Ländervertreter dieser zentralen Bildungs- und Forschungsdebatte beiwohnen, bin ich wieder einmal entsetzt, wie wenig Bund und Länder zusammenarbeiten. Liebe Frau Bulmahn, ich sage Ihnen ganz offen: Wir glauben, Sie werden als oberste Kinderbetreuungsministerin der Nation in die Historie eingehen. ({5}) Ihrer eigentlichen Funktion, als Innovationsmotor diesem Land Anstöße für Kraftanstrengungen bei Forschung und Entwicklung zu geben, werden Sie nur unzureichend gerecht. ({6}) Sie loben sich ob der Zuwächse seit 1998 in Ihrem Etat. Sie wissen, dass ich Ihre Einschätzung des Kollegen Rüttgers teile. Aber ohne die 1 Milliarde Euro für die Ganztagsschule liegt Ihr Haushalt natürlich unter dem des Vorjahres. Da hat Frau Böhmer völlig Recht. Dem erklärten Ziel, 2010 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben, sind Sie mit den 2,5 Prozent im Haushalt 2004 noch nicht einmal einen Trippelschritt näher gekommen. Meine Befürchtung ist - das sage ich einmal ganz flapsig -, dass Sie sich diesen 3 Prozent aufgrund der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung wahrscheinlich von unten nähern werden. Ansonsten sehe ich bei Ihrem Etat keine Chance, dieses Ziel zu erreichen. Sie haben im Haushalt eine Reihe von Veränderungen vorgenommen, die aber nichts Kraftvolles oder Innovatives enthalten. Ich mache das einmal in einem Bild deutlich: Sie ordnen wie eine besorgte Hausfrau die Geldscheine in Ihrem Portemonnaie; aber Sie bündeln sie nicht für die wirklich wichtigen Aufgaben Ihres Amtes. Gegenüber den großen Forschungsorganisationen haben Sie zwar - Gott sei Dank! - Ihren Fehler vom letzten Jahr, als Sie eine Nullrunde verordnet haben, nicht wiederholt. Allerdings fragen sich die Wissenschaftler in diesen Organisationen nun schon seit Monaten: Wo stehen Sie, Frau Bulmahn, eigentlich in dem Prozess, der uns alle, die wir in dieser Wissenschaftslandschaft tätig sind, seit langem umtreibt? ({7}) Wo sind Sie eigentlich in der Föderalismusdebatte? Wo ist da die höchst gestellte und wichtigste Wissenschaftspolitikerin dieses Landes? ({8}) Das ist ein Ruf, der nun wirklich verpflichtet. Wo ist sie bei dieser für uns essenziellen Frage: Wie ordnen wir Wissenschaft und Wissenschaftsförderung in den nächsten Jahren? Während Sie sich - diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen - dem ermüdenden und, ich glaube, inzwischen auch völlig erfolglosen Kampf mit den Ländern über Schule und Co. hingeben, sind Sie auf Ihrem ureigenen Gebiet für uns Liberale und für dieses Land viel zu wenig sichtbar. ({9}) Wo ist Ihre Position bei der Neugestaltung der deutschen Forschungslandschaft? Seit Mai haben wir den Vorschlag des Wissenschaftsrates zur strategischen Forschungsförderung auf dem Tisch. Transparenter soll es werden, effizienter und schlagkräftiger. Nichts haben wir dazu von Ihnen gehört. Der Wissenschaftsrat weist zu Recht darauf hin, dass von der Gestaltung der Forschungsförderung abhängig ist, ob die Wissenschaft in Deutschland in der Lage ist, in Teilbereichen der Forschung eine internationale Spitzenstellung zu erringen und zu behaupten. Recht hat er damit, dass es an Möglichkeiten fehlt, Förderinitiativen zu koordinieren, dass es keine Verfahren gibt, um Lücken im Förderangebot aufzuspüren, oder dass Doppelungen von Initiativen gang und gäbe sind. Frau Bulmahn, ich sage Ihnen auch als Vorsitzende des zuständigen Ausschusses: Hier erwarte ich Ihre Initiative, Ihre Gestaltungskraft, und zwar gerade zu Zeiten knapper Kassen. ({10}) Was aber machen Sie? Sie schweigen nicht nur in dieser für die Wissenschaft geradezu lebenswichtigen Strukturdebatte, sondern Sie geben in Ihrem Haushalt auch keine Innovationsschübe. Sie senken - Sie können darum herumreden, soviel Sie wollen - gerade die Förderung in den innovativen Technologiebereichen systematisch ab: Biotechnologie: minus 3,9 Prozent, Technologie- und Innovationsförderung: minus 6,3 Prozent, Projektförderung: minus 16,3 Prozent, Nanotechnologie: natürlich ein Minus - ich wage gar nicht, nach links zu Frau Reimann zu schauen, nachdem wir gemeinsam in den USA waren und gesehen haben, was die Amerikaner dort machen -, Informationstechnik: ein Minus, Multimedia: ein Minus, Forschung für Mobilität und Verkehr: minus 12,8 Prozent. ({11}) Insgesamt sind Sie bei der Förderung aller neuen Technologien heruntergegangen und haben nicht das getan, was wir eigentlich alle von Ihnen erwartet haben. ({12}) Sie haben nämlich nicht das getan, was zum Beispiel Großbritannien in der gleichen Zeit getan hat. Die Engländer haben ihre Mittel für die Forschung verdoppelt, Frau Bulmahn. Das ist ein hoher Anspruch von Ihnen gewesen, den Sie bis zum heutigen Tag leider nicht erfüllt haben. In Richtung USA zu schauen, wage ich als deutsche Forschungspolitikerin schon gar nicht mehr. Die Amerikaner haben die Mittel für die Nanotechnologie seit 2001 um 84 Prozent erhöht. Angesichts dessen sehen wir wirklich alt aus. Im Jahre 2003 gibt es erneut ein Plus von 17 Prozent. Die Mittel sind auf inzwischen 679 Millionen Dollar erhöht worden. Innerhalb der nächsten drei Jahre ist der Einsatz von 2,3 Milliarden Dollar für Forschungsprojekte in der Nanotechnologie geplant. Liebe Frau Bulmahn, mir ist klar, dass wir, was die absoluten Zahlen angeht, natürlich nicht mit den USA konkurrieren können. Das werden wir nur im europäischen Rahmen schaffen können. Aber mir und den Liberalen geht es um die Richtung, die wir hierbei einschlagen. Frau Ministerin, ich vermisse in dieser Regierung die große und breit angelegte Innovations- und Technologiekampagne, die in anderen Ländern inzwischen gang und gäbe ist. Eine solche erwarten wir von Ihnen. ({13}) Sie konzentrieren sich stattdessen auf die - wie Frau Böhmer es immer liebevoll bezeichnet - Schulküchen. ({14}) Wir hätten es gerne gehabt - auch das will ich an dieser Stelle sehr deutlich sagen -, wenn Sie noch einmal einen Blick auf die Hochschullandschaft geworfen hätten. Was hätten wir mit diesen Milliarden eigentlich alles tun können, wenn wir sie in den Hochschulbau gesteckt hätten, Frau Bulmahn? ({15}) Was wäre da möglich gewesen? Da hätten wir doppelt so viele Mittel für den Hochschulbau eingesetzt. Stattdessen werden sie - das habe ich eben schon in einem Zuruf deutlich gemacht - bis 2007 von 1,1 Milliarden Euro auf 760 Millionen Euro heruntergefahren. Ihr „Pakt für die Hochschulen“ - ein schöner Name, wie es bei dieser Regierung üblich ist - beinhaltet nur Mittel in Höhe von 32 Millionen Euro, Frau Bulmahn. Das ist doch überhaupt nichts. ({16}) Wir brauchen Geld für die Hochschulen dieses Landes. Ich kann vieles nachempfinden; denn in der Föderalismusdebatte ist manches unerträglich. ({17}) Aber ich bitte Sie inständig, Frau Bulmahn: Steigen Sie als Bund nicht aus der Hochschulbauförderung aus! ({18}) Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu einem Problem sagen, das uns alle berührt und für das Frau Böhmer vorhin sehr viel Zeit verwandte. Es geht um das Thema Lehrstellen. Ich kann auch hier vieles nachempfinden, weil ich weiß, wie schwierig es für eine Regierung ist, dafür zu sorgen, dass alle unsere Jugendlichen eine Lehrstelle bekommen. Aber Sie müssen in Ihrem Etat schon entsprechende Akzente setzen. Stattdessen fahren Sie ihn herunter. Sie haben die Mittel sowohl für das Programm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern als auch die Mittel für die überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsstätten zurückgefahren. Außerdem streichen Sie dem Institut, das in diesem Bereich forscht, 12 Prozent der Gelder. Wir Liberalen haben immer zu wenig Redezeit, um die guten Rezepte, die wir für dieses Land haben, vorzustellen. Lassen Sie mich zum Schluss aber noch Folgendes sagen: Eines steht fest, liebe Frau Bulmahn: Je länger Sie im Amt sind, desto ähnlicher werden Sie leider Ihrem Vorgänger, Herrn Rüttgers, ({19}) nicht optisch, aber in Ihrer Unbeweglichkeit. Wir wollen von Ihnen Reformen, Frau Bulmahn. Dafür sind Sie gewählt worden. Wir wollen keinen Haushalt, in dem einfach nur verwaltet wird. Wir wollen, dass sich dieses Land bewegt. Wir sind die Ersten, die an Ihrer Seite stehen, wenn Sie etwas Gutes auf den Weg bringen. Herzlichen Dank. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Carsten Schneider, SPD-Fraktion.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Flach, im Namen meiner Fraktion muss ich den Vergleich mit Herrn Rüttgers ganz scharf zurückweisen, ({0}) nicht nur was das Aussehen, sondern vor allen Dingen was den Inhalt betrifft. Dazu gehören auch die Punkte, die Sie zum Schluss aufgeführt haben. Der Etat 2004 ist ein Spar- und Reformetat. Machen Sie sich das bewusst: Als der Haushalt für 2004 aufgestellt wurde, gab es durch die Wachstumsschwäche der vergangenen Jahre Steuermindereinnahmen, die zu einem Konsolidierungsvolumen von 15 Milliarden Euro geführt haben. Diese 15 Milliarden Euro müssen eingespart werden, um einen verfassungsgemäßen Haushalt für 2004 vorlegen zu können. ({1}) - Ich komme gleich noch darauf zu sprechen. Die Einsparungen und damit die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts sind die Voraussetzung dafür, die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen zu können. Als Haushälter sage ich - die Haushälter sind dafür bekannt, eher konservativ zu sein -: An dieser Stelle ist es vertretbar, mithilfe einer höheren Neuverschuldung - wir versuchen, sie so niedrig wie möglich zu halten; wir stehen ja erst am Beginn des Verfahrens - die Steuerreform vorzuziehen, um der Wirtschaft den Schub zu geben, den sie meines Erachtens braucht, und um den Verbrauchern, die im nächsten Jahr 15 Milliarden Euro mehr in den Taschen haben, Vertrauen zu geben. Die Generaldebatte gestern sollte eigentlich ein Schlagabtausch sein. Ich hatte erwartet, auch im Rahmen der Forschungsdebatte einiges von Ihnen zu hören. ({2}) Aber ich muss sagen: Die gestrige Debatte war wirklich jämmerlich. Nehmen Sie es mir nicht übel: Es war ein Qualitätsunterschied wie zwischen Bundesliga und Regionalliga. ({3}) Sie haben kein Konzept. Ich hoffe für dieses Land, dass Sie sich nach der Bayernwahl endlich durchringen, Entscheidungen mit zu treffen. ({4}) Was Sie gestern und leider auch heute hier geliefert haben, ist einer Opposition eigentlich nicht würdig. Wir befinden uns in der ersten Lesung des Haushalts für Bildung und Forschung. Wir werden in den nächsten Wochen Ihre Vorschläge entgegennehmen - vielleicht sagt Herr Willsch gleich schon etwas dazu -, was Einzelposten des Etats betrifft. Einige Punkte, die schon angesprochen wurden und die die Besonderheit dieses Haushalts darstellen, möchte ich jetzt herausgreifen. Es ist richtig, dass Umschichtungen vorgenommen wurden. Frau Böhmer, Sie haben schon den Punkt Ganztagsschulprogramm angesprochen. Was anderes als Bildungsausgaben sollen diese Ausgaben sonst sein? Wenn ich mich recht entsinne, heißt das betreffende Ministerium Ministerium für Bildung und Forschung. Daher ist es doch egal, ob die Ausgaben im Einzelplan 60 oder im Einzelplan 30 eingestellt werden. ({5}) Es tut mir wirklich Leid, dieses Argument verstehe ich nicht. Das trifft im Übrigen - das darf ich mit Verlaub sagen - auf die ganze Debatte zu, die Sie heute hier geführt haben. Diese habe ich insgesamt nicht verstanden. ({6}) Was Sie über die Qualität der Leistungen gesagt haben, fand ich sehr diffamierend. Aber sei’s drum. Es sind Ihre ideologischen Auffassungen, in denen Sie sich verfangen haben. Ich hoffe für dieses Land insgesamt und für die Länder, in denen Sie mitregieren, dass Sie wenigstens dort so viel Sachverstand zeigen, damit die wirklich ordentlichen Konzepte, die wir an dieses Geld geknüpft haben, auch umgesetzt werden. Ihre Kollegin Reiche, die ich heute hier vermisse, ({7}) hat im Jahr 2003 in der letzten Debatte zum Etat gesagt - das habe ich mir extra aufgeschrieben -, dass wir gerade für Sechs- bis Zwölfjährige mehr Betreuungsangebote am Nachmittag brauchen. Dafür haben wir im Jahr 2003 mit 300 Millionen Euro die Grundlage gelegt; im Jahr 2004 sind es 1 Milliarde Euro. Die Länder haben nach der Verfassung die Verantwortung für die inhaltliche Ausgestaltung. Ob das richtig ist und so sein sollte, ist eine andere Frage. Aber das fordert die Verfassung derzeit in unserem Land. ({8}) Ihre Kommentare machen deutlich: Ihnen fehlen die grundlegendsten haushaltspolitischen Grundverständnisse. ({9}) Denn es ist doch klar, dass wir jeden Euro im Haushalt nur einmal ausgeben können. Wir haben zum Beispiel im Bereich Ganztagsschulen einen Schwerpunkt gesetzt. Das haben wir bereits im Wahlkampf getan. Hierzu stand im Wahlprogramm eine der ganz wenigen Aussagen hinsichtlich der finanziellen Mittel. Das wird auch erfüllt. Schließlich sind wir gewählt worden und haben den Auftrag dazu bekommen. Dass wir auch andere Prioritäten setzen müssen, ist doch logisch. Man kann nicht immer nur eingefahrene Wege einschlagen, sondern muss in einigen Bereichen auch Änderungen vornehmen. Als Beispiel möchte ich die Eigenheimzulage nennen. Ich komme damit wieder auf den Gesamthaushalt zu sprechen. Man muss überprüfen, ob man diese Subvention, gegen deren Abschaffung Sie sich wehren, nicht neu konstruieren muss. Die Eigenheimzulage war in den 90er-Jahren sicherlich sinnvoll; heute ist sie es nicht mehr. Deswegen muss sie überprüft und verändert werden. Ich hoffe, dass Sie im Bundesrat entsprechend Einsicht zeigen werden. ({10}) Frau Böhmer hat den Punkt Ausbildungsplätze angesprochen. Sie wissen sicherlich, dass wir im Rahmen des Haushalts 2003 gerade in den neuen Bundesländern die Zahl der Stellen aus dem Ausbildungsplatzprogramm von 12 000 auf 14 000 erhöht haben. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass es notwendig und richtig war, dass wir diese Entscheidung getroffen haben. Sie haben auch die Verantwortung des Bundes und der öffentlichen Hand als Arbeitgeber angesprochen. Dazu möchte ich Ihnen konkrete Zahlen nennen. Beim Bund ist die Zahl der Ausbildungsplätze von 5 148 im Jahr 2002 auf 5 349 im Jahr 2003 gestiegen. Der Bund ist seiner Verantwortung damit nachgekommen. ({11}) Wir im Haushaltsausschuss haben gerade für das Ministerium für Bildung und Forschung und die nachgeordneten Einrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft und die Max-Planck-Gesellschaft festgelegt, dass sie diese Zahl von Ausbildungsplätzen bereitstellen sollen. Im Haus von Frau Bulmahn sind 55 Stellen hinzugekommen. ({12}) Ich wünschte mir, dass auch die Privatwirtschaft ihrer Verantwortung in dem Maße nachkommen würde, wie es im Moment der Bund tut. Zum Abschluss eine kurze Einordnung in den Gesamthaushalt. Es ist richtig, dass bei der Projektförderung die Mittel gesenkt wurden; da gebe ich Ihnen völlig Recht. Es ist aber auch richtig, dass wir gleichzeitig das Versprechen eingelöst haben, das der Bundeskanzler gegeben hat, und die institutionelle Förderung bei der Max-Planck-Gesellschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft um 3 Prozent erhöhen. Ich glaube, dass das ein sehr wichtiges Signal ist. Sehen Sie sich einmal die Entwicklung bei den Mitteln insgesamt an. Sie wissen, dass der Forschungsetat im Jahr 2003 noch mit 300 Millionen Euro aus UMTSMitteln gespeist worden ist. Im Jahr 2004 sind durch das Auslaufen der UMTS-Gelder bzw. des Zinsvorteils - das war die Absprache, die wir in der Koalition getroffen haben - diese Mittel zurückgegangen. Trotzdem steigt der Etat für den Einzelplan 30 um 150 Millionen Euro. Es sind also über 150 Millionen Euro hinzugekommen. Ich freue mich, dass dieser Bereich trotz der Einsparanstrengungen in anderen Haushalten - ich denke an das Auswärtige Amt oder das Verbraucherschutzministerium; das sind grüne Ressorts; es sind aber auch SPD-Ressorts betroffen -, die signifikante Senkungen aufweisen, mit insgesamt über 6 Prozent Steigerung heraussticht. Abschließend möchte ich sagen, dass ich gespannt auf die Haushaltsberatungen im Ausschuss und darauf bin, welche Vorschläge Sie dazu vorlegen, wo Sie einsparen wollen. Darüber hinaus freue ich mich natürlich auf die zweite und dritte Lesung, die wir hier mit Sicherheit erfolgreich bestreiten werden. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen: Das Land muss sich anstrengen. Wir haben große Defizite, bei der technologischen Innovation, bei Bildung und Qualifizierung. Wir bilden viel zu wenig Naturwissenschaftler… aus. Uns fehlen schon heute 70 000 Ingenieure… Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig. So SPD-Fraktionschef Franz Müntefering am 6. September in der „Berliner Zeitung“. Eine richtige Erkenntnis nur, die Verantwortung dafür trägt Rot-Grün. ({0}) Was läuft tatsächlich? Zentralismus und Gängelung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bildungs- und Forschungspolitik von Rot-Grün. 2004 kommt keine Initialzündung, sodass der Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland im Wettbewerb auch nicht gewinnen kann. Erwin Staudt, IBM-Aufsichtsratsvorsitzender, stellte in den VDI-Nachrichten vom 15. August fest: Die erste Runde im Rennen um Innovationen ist verloren. Wegweisende Trends kommen aus anderen Ländern. Auch der Haushaltsentwurf 2004 bringt nicht den entscheidenden Impuls. Die Ausgaben für Bildung und Forschung sinken im Einzelplan 30 um 155 Millionen Euro, also um 1,8 Prozent. Nach den Berechnungen von Frau Bulmahn führt dieses Minus aber zu einem Plus von 6,3 Prozent. Was wie ein Fall für PISA aus SPD-Zeiten in Niedersachsen aussieht, nämlich wie mangelnde mathematische Kenntnisse, ist in Wirklichkeit eine rotgrüne Showeinlage, politische Hochstapelei. ({1}) Die Zahlen aus dem Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - werden einfach dem Bildungs- und Forschungshaushalt hinzuaddiert. ({2}) Da kann man gleich nachschauen, ob wir nicht auch in anderen Einzelplänen, zum Beispiel dem Einzelplan 33 zum Thema Versorgung, etwas Dienliches zum Aufpeppen der eigenen Bilanz finden können. Das ist schon eine recht dreiste Art der Politik. So, wie Sie den Haushalt aufgebaut haben, greifen Sie der anstehenden Föderalismusreform vor. Der Bund baut Ansätze aus, in denen er eigentlich kaum inhaltliche Zuständigkeit hat - wie zum Beispiel in der Bildungsplanung - und verweigert seine heutige Verantwortung dort, wo er künftig den Ländern die Finanzierung in die Schuhe schieben möchte. So erfährt allein der Hochschulbau mit einer Kürzung von 135 Millionen Euro - minus 12,7 Prozent - einen richtigen Kahlschlag. Das wird man an den Hochschulen in Deutschland spüren. Dank Ihrer Politik, Frau Bulmahn, wird es im nächsten Jahr keine neuen Hochschulbauprojekte mehr geben. Da ist es schon ein Hohn, wenn diese rot-grüne Bundesregierung in ihrer Agenda 2010 ankündigt, den Anteil der Erstsemesterstudenten an den Abiturienten von 35 auf 40 Prozent steigern zu wollen, und gleichzeitig die Mittel für den Hochschulbau reduziert. Das ist einfach eine Frechheit. ({3}) Die Studierenden sollen sich offensichtlich mit den chronisch unterfinanzierten und schlecht ausgestatteten Hochschulen abfinden. Das ist gegenüber den Studierenden schon verdammt unehrlich. ({4}) Mit 2,7 Millionen Euro für Hochglanzbroschüren und andere Werbemaßnahmen verkauft Frau Bulmahn das Ganztagsschulprogramm als Allheilmittel gegen die PISA-Defizite. Was hier stattfindet, ist teure Selbstbeweihräucherung auf Kosten der Steuerzahler. ({5}) Worum geht es bei den Ganztagsschulen? Sie sind ein wichtiger Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie und müssen deshalb auch bedarfsorientiert ausgebaut werden. Sie sind aber eben keine bildungspolitische Antwort. Das ist das Missverständnis, dem Sie unterliegen. ({6}) Für Schüler verbessert sich nichts, wenn ein schlechter Unterricht am Vormittag auf den Nachmittag ausgedehnt wird. ({7}) Es geht vielmehr darum, eine Qualitätssteigerung aller schulischen Angebote hinzubekommen. Das muss das Ziel sein. ({8}) Ihr Ganztagsschulprogramm ist in Wirklichkeit ein reines Bauprogramm für zusätzliche Räume. ({9}) Aus den Mitteln dürfen keine neuen Lehrer und Erzieher finanziert werden. Räume ohne Lehrer - das ist Ihr schulpolitisches Angebot. ({10}) Die Länder müssen ein Zehntel der Baukosten selbst aufbringen und die gesamten Kosten für die Lehrer oder die Betreuung tragen. In drei Jahren läuft Ihr Programm aus. Die Kommunen und die Länder bleiben aber auf diesen Kosten sitzen. Das ist die bittere Realität Ihrer Politik. Wir unterstützen das Vorhaben, Ganztagsschulangebote auszubauen. Dieses rot-grüne Programm ist aber eine Eintagsfliege. Wir - das tun auch unsere Länder schlagen deshalb vor, dass die Länder und Kommunen eine Erhöhung ihres Umsatzsteueranteils im gleichen Volumen erhalten, damit sie Lehrerstellen finanzieren können. Das würde die Selbstverantwortung der Kommunen und der Länder stärken. ({11}) Ihr Strohfeuer wird in den Kommunen viel Frust erzeugen; denn diese wollen dauerhafte Angebote haben. Frau Bulmahn, in Ihrer Politik ist keine Stringenz feststellbar. Bildungs- und Forschungspolitik werden gegeneinander ausgespielt. Das Kerngeschäft Forschung wird vernachlässigt. Frau Bulmahn hat sich in die Schulpolitik geflüchtet, obwohl sie dort im Prinzip gar nichts zu suchen hat. ({12}) Taugt Deutschland zum Standort für Spitzentechnologie? Das fragt IBM-Chef Erwin Staudt. Er gibt auch gleich die Antwort - Zitat -: „derzeit nicht“. Derzeit regieren Sie, Frau Bulmahn. Es gibt im nächsten Jahr zwar Erhöhungen für die Wissenschaftsorganisationen. Aber das ist ein Jahr zu spät. Daneben gehen sie voll zulasten der Projektforschung. Gerade diese Projektforschung dient dazu, Kostenkontrolle zu gewährleisten und Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzuführen. Das Institut der deutschen Wirtschaft befürchtet, dass der Forschungsstandort Deutschland in die Zweitklassigkeit abrutscht. Vom Erreichen des Ziels, das Sie in der EU und auch im Koalitionsvertrag unterschrieben haben, nämlich bis zum Jahre 2010 Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Höhe von 3 Prozent des Bruttosozialprodukts zu realisieren, sind Sie mit Ihrem aktuellen Haushalt meilenweit entfernt. Wir brauchen ein forschungsfreundliches Klima. Frau Bulmahn, dazu haben Sie in Ihren jetzt fünf Amtsjahren kaum etwas beigetragen. Im Gegenteil: Sie haben dem Forschungsstandort Deutschland Fesseln angelegt. Ich denke nur an die Biotechnologiepolitik. Auf dem Gipfel in Barcelona wurden alle Regierungen aufgefordert, eine nationale Strategie für die Biotechnologie vorzulegen. ({13}) Bislang ist hier Fehlanzeige zu verzeichnen. In der Biotechnologie ist es zur Stagnation gekommen, Firmen brechen weg. Die grüne Gentechnik wird von Ihnen aus ideologischen Gründen ausgebremst. Das De-facto-Moratorium lähmt das Wachstum in dieser wichtigen Branche. ({14}) Die Haushaltsmittel für das nationale Genomforschungsnetz - ein wichtiges Projekt - werden um 17 Millionen Euro, das sind 25 Prozent, gekürzt. Damit werden die Chancen deutscher Forschung geschwächt; Spitzenforscher wandern ab. Beim nationalen Weltraumprogramm betragen die Kürzungen 3,5 Millionen Euro. Auch bei den Nanotechnologien wird gekürzt, nämlich um 6 Millionen Euro. Das ist Ihre forschungspolitische Visitenkarte, Frau Bulmahn. Von den Großprojekten mit strategischer Bedeutung in der Grundlagenforschung - ich nenne nur ITER und die Europäische Spallationsanlage - haben Sie sich, Frau Bulmahn, längst verabschiedet. Auch in diesen Forschungsfeldern, in denen wir in Deutschland noch Vorsprung haben, geht die wissenschaftliche Führungsrolle an die USA und Japan verloren; dafür sind Sie verantwortlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch bei den Lehrstellen kann die rot-grüne Bundesregierung ihr Versprechen nicht halten. ({15}) 167 000 Jugendliche sind noch nicht versorgt und suchen bis zum 30. September noch eine Lehrstelle. Das ist ein trauriger Nachkriegsrekord. In einer solchen Situation legen Sie einen Haushalt auf den Tisch dieses Hauses, in dem die Zuwendungen für die überbetrieblichen beruflichen Ausbildungsstätten um 5 Millionen Euro und das Programm für Ausbildungsentwickler im Osten Deutschlands um 1,5 Millionen Euro gekürzt werden. Das ist angesichts der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, vor der wir gemeinsam stehen, grotesk. ({16}) Die Ausbildungsplatzabgabe ist der falsche Weg. Das hat auch die Bauindustrie gezeigt, in der es eine solche Umlage gibt. Alle Betriebe zahlen seit 1987 in einen Fonds. Aus diesem Fonds wird ein Teil der Ausbildungsvergütung für die Azubis erstattet. Trotz dieser Umlage ist die Zahl der Lehrstellen innerhalb von fünf Jahren von 100 000 auf 40 000 zurückgegangen. ({17}) Das zeigt: Eine Ausbildungsplatzabgabe schafft mehr Bürokratie, aber keine zusätzlichen Ausbildungsplätze. ({18}) Sie wollen die Abgabe in Unternehmen erheben, bei denen weniger als 6 Prozent der Beschäftigten Auszubildende sind. Fangen Sie gleich im Bundeskanzleramt an; denn dieses wäre zahlungspflichtig: Es hat zu wenig Auszubildende. ({19}) So weit klaffen Anspruch und Realität Ihrer eigenen Politik während Ihrer Regierungsverantwortung auseinander. ({20})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss: Rot-Grün - das spüren wir alle - hat kein Profil und schon gar keine Visionen. Es gibt durch diesen Haushalt keine Initialzündung und keine Aufbruchstimmung. Lassen Sie mich mit einem Zitat Ihres Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering enden: Wenn wir so weitermachen, ist Deutschland nicht zukunftsfähig. - Recht hat er. Aber die Konsequenzen wollen Sie bislang nicht ziehen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU verschließt mal wieder die Augen vor der Realität. Fakt ist: Die rot-grüne Bundesregierung plant, im Jahr 2004 insgesamt 9,6 Milliarden Euro für Bildung und Forschung auszugeben. Das sind - das können auch Sie nicht ignorieren - wieder 300 Millionen Euro mehr als in diesem Jahr und 2,3 Milliarden Euro mehr als 1998, dem letzten Jahr der schwarz-gelben Regierung unter Helmut Kohl. Wir schultern dies trotz knapper Kassen; denn eines ist zumindest Rot-Grün klar: Die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und das Wohlergehen unserer Kinder hängen entscheidend von Chancengerechtigkeit und der Qualität unseres Bildungswesens ab. Von diesen 9,6 Milliarden Euro kommt im nächsten Jahr allein 1 Milliarde Euro dem Ausbau von Ganztagsschulen zugute. Gute Ganztagsschulen sind für uns Grüne ganz klar ein unerlässlicher Beitrag, um den Schulerfolg eines Kindes von seiner sozialen Herkunft, von Einkommen und Bildung der Eltern endlich abzukoppeln. Andere Staaten - auch das sollte die CDU/CSU nicht ignorieren - sind uns hier weit voraus. ({0}) Wir fordern die unionsgeführten Landesregierungen auf, unsere Anstrengungen auf diesem Gebiet nicht durch eine rückwärts gerichtete Schulpolitik zu unterlaufen. In Niedersachsen und Hamburg droht uns derzeit bildungspolitisch ein Rückfall ins 19. Jahrhundert. Wir appellieren an Sie: Ignorieren Sie nicht länger die internationalen Erfahrungen. Auch in anderen Bildungsbereichen investieren wir kräftig. Wir geben abermals mehr Geld für das BAföG aus. Die Erfolge, die wir schon in den letzten Jahren mit der BAföG-Reform erzielt haben, wollen wir sichern und weiter ausbauen. ({1}) Um unsere Unis für die Zukunft fit zu machen, benötigen wir grundlegend neue Wege der Hochschulfinanzierung. Unsere Hochschulen brauchen mehr als nur eine Politik des Stopfens von Finanzlöchern. Wir müssen die Ausgaben für Forschung und Bildung auch in den Ländern - das ignoriert die CDU/CSU in dieser Debatte wieder völlig - endlich als die entscheidende Investition in unsere Zukunft begreifen. Studiengebühren sind für die Haushaltskonsolidierung im Bildungsbereich jedoch keine Lösung. Die Erfahrung zeigt, dass sie in den defizitären Länderhaushalten versickern. So kommt es mit Sicherheit nicht zu einer substanziellen Verbesserung für Hochschulen und Studierende. ({2}) Wir müssen den Zugang zu Bildung für alle Menschen verbessern. Eine private Beteiligung an den Ausbildungskosten ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie uns hilft, den Teufelskreis von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu durchbrechen. Die Hochschulfinanzierung ist aber nur eines der Probleme, mit denen wir uns bei der Erneuerung des Föderalismus im Bildungsbereich beschäftigen müssen. Insbesondere auch die berufliche Bildung ist von der allzu großen Verflechtung von Bundes- und Länderkompetenzen betroffen. Ich hoffe, dass wir in den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über die Reform des Föderalismus zu tragfähigen Ergebnissen für den Bildungsbereich kommen. Ein von Machtpolitik bestimmtes sachfremdes Geschachere können wir uns hier wirklich nicht weiter leisten. ({3}) Bildungspolitische Kompetenz darf nicht einfach bloß als Verhandlungsmasse dienen, wie Sie es, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit Ihrem Ausstieg aus der gemeinsamen Bildungsplanung beabsichtigen. Wir riskieren sonst, uns zulasten der jungen Menschen und der Zukunftsfähigkeit bei allen wichtigen bildungspolitischen Weichenstellungen von der Schule bis zur Weiterbildung selbst zu blockieren. Das kann und darf kein verantwortungsbewusster Politiker zulassen. Ich appelliere an Sie, die Blockaden endlich aufzugeben. Leider war heute in dieser Debatte wieder kein Zeichen dafür erkennbar. Das bedauere ich ausdrücklich. Ich fordere Sie auf, mit der Bundesregierung in den Ländern gemeinsam zum Wohle unserer Kinder an grundlegenden, notwendigen Reformen für unser Bildungssystem mitzuarbeiten. Ich hoffe, dass Sie in den nachfolgenden Debatten dazu bekehrt werden. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Marion Seib, CDU/CSUFraktion. ({0})

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für das Verständnis des Einzelplanes 30 benötigt man vor allem zwei Fähigkeiten: erstens Einbildungskraft und zweitens Forscherdrang. Das ist sehr passend für den Haushalt der Bundesministerin Frau Bulmahn. Einbildungskraft - das heißt auch Fantasie, was bekanntlich aus dem Griechischen kommt - braucht man, um den Versprechungen der Bundesregierung auf dem Gebiet der Bildung und Forschung Glauben schenken zu können. Landauf, landab wird verkündet, 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes sollten in Bildung und Forschung investiert werden und in zehn Jahren wollten wir an der Spitze der Bildungsnationen stehen. Aber übrig geblieben sind ganz dürre Zahlen. Forscherdrang ist erforderlich, damit man nach allen Verschiebungen im Haushaltsplan versteht, was überhaupt noch wie finanziert wird. So sinken die Ausgaben für die allgemeine Projektförderung um circa 16 Prozent. Gleichzeitig steigen aber die Ausgaben des Ministeriums ganz erheblich an. Dies allein ist schon eine Signalwirkung, die völlig falsch ist. Werte Frau Ministerin, Sie stellen sich nicht nur der Föderalismusdebatte nicht, mit Ihrem Verhalten und diesem Haushalt wird eines deutlich: Bildung soll zu einem Schlachtplatz der Föderalismusdebatte werden. Mit Ihrem Vorgehen versuchen Sie, die Bildungspolitik - das ist die eigentliche Katastrophe - zentralstaatlich einzuebnen. Sie haben am Montag verkündet, mit dem Ganztagsschulprogramm werde das größte bundesweite Schulprogramm aller Zeiten gestartet. Das ist ziemlich leicht, sind doch bisher die Länder dafür zuständig. Man kann hier nur von einer verlogenen Politik aus falscher Gnad und Barmherzigkeit sprechen. Die Bundesregierung wirft den Bundesländern für ihre ureigensten Aufgaben Brosamen hin, verweigert aber eine anständige Finanzausstattung der Länder und Kommunen, und zwar auch über das Jahr 2007 hinaus. ({0}) An den Ganztagsschulen hängt nicht das Seelenheil der Republik. Halbtagsschulen in Bayern haben in der PISA-Studie besser abgeschnitten als viele Ganztagsschulen in anderen Ländern, ({1}) vielleicht auch deshalb, weil der Bund bislang dort nicht hineinschwätzen konnte. ({2}) Es wurde vielfach auf die Bildungsstandards hingewiesen. Mit aller Macht will Frau Bulmahn hier die Kompetenz der Länder in Sachen Bildungspolitik umgehen. Selbst nach der Entscheidung der KMK über Bildungsstandards verkündete Frau Bulmahn unverdrossen die Erstellung eigener Bildungsstandards, wahrscheinlich möglichst minimaler. Ich denke, die Kultusministerkonferenz ist hier auf dem richtigen Weg. Warten wir doch einmal das Ergebnis im Dezember ab. Sehr geehrte Frau Ministerin, bevor Sie also weiter im Länderrevier wildern, konzentrieren Sie sich auf Ihre eigentlichen Aufgabenfelder. Da haben Sie verdammt viel zu tun. ({3}) Bereits in der nächsten Woche findet die BolognaNachfolgekonferenz zur Schaffung eines europäischen Hochschulraumes in Berlin statt. Im Rahmen des Bologna-Prozesses haben sich die über 30 europäischen Unterzeichnerstaaten zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2010 einen gesamteuropäischen Hochschulraum zu verwirklichen. So begrüßenswert dieses Projekt ist, so schwierig ist es sicher. Momentan steht für den BolognaProzess kein ständiges Büro zur Verfügung. Die Organisation der Konferenzen wird immer von den jeweiligen Gastgebern übernommen. Es fragt sich, ob angesichts von mittlerweile 33 Unterzeichnerstaaten nicht dauerhafte Strukturen erforderlich sind, um den Bologna-Prozess zeitgemäß umzusetzen. ({4}) Hier wäre die Bundesministerin gefragt. Welche Strukturziele verfolgen Sie? Ein schwieriger Punkt ist auch die Qualitätssicherung der einzelnen Bildungsangebote im Rahmen des Bologna-Prozesses. Unterschiedliche Bildungssysteme aus der Türkei, Ungarn oder Deutschland gilt es unter einen Hut zu bringen. Sogar Russland und die Ukraine haben ihr Interesse an der Mitgliedschaft bekundet. Der Bologna-Prozess steht auch als Synonym für einen flächendeckenden Umstieg auf Bachelor- und Masterabschlüsse. Wenn die Idee von Bologna Bestand haben soll, muss es baldmöglichst einen Qualitätskonsens über diese Studiengänge geben. Hierbei sind die Tatkraft und das Engagement der Bundesministerin gefragt. ({5}) In dieser Woche hat auch die neue WTO-Runde im mexikanischen Cancun begonnen, bei der es wieder um GATS - also um die Einbindung von Dienstleistungen in den Welthandel - gehen wird. Für Bildungs- und Kultureinrichtungen können sich aus den geplanten GATS-Vereinbarungen zahlreiche Gefahren ergeben. Darauf haben wir in diesem Haus bereits hingewiesen. Zwar werden die Verhandlungen von der Europäischen Kommission geführt, aber eine kritische Beobachtung und Berichterstattung - auch und gerade durch die Bundesministerin für Bildung und Forschung - ist dabei dringend erforderlich. ({6}) Frau Bundesministerin, auch im Bereich der beruflichen Bildung ist Ihr Einsatz dringend gefragt: Die dramatischen Zahlen bei den fehlenden Ausbildungsstellen zeigen, dass in diesem Bereich Reformbedarf herrscht. Die Ausbildungsplatzabgabe ist jedoch - das müsste Ihnen auch bekannt sein - ein völlig falsches Mittel. Das müssten Sie doch Ihren Kabinettskollegen nahe bringen können. Nutzen Sie die schon lange versprochene Reform des Berufsbildungsgesetzes, um die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe zu fördern und die Berufsausbildung stärker an den innerbetrieblichen Arbeitsprozessen zu orientieren! Denn nur mit Freiwilligkeit und einer vernünftigen Steuer- und Wirtschaftspolitik können wir die Krise im Ausbildungssektor meistern. Verpulvern Sie vor allem nicht Millionen für erfolglose JUMP-Programme! Stecken Sie das Geld lieber in die direkte Förderung betrieblicher Ausbildungsplätze! ({7}) Beschäftigen Sie, sehr geehrter Kollege Schneider, sich vor allem einmal mit unserem Antrag vom 1. Juli 2003, der klar formulierte Forderungen enthält! Lassen Sie mich noch etwas zur Nachhaltigkeit anmerken. Angesichts der Fülle von Projekten, die sich laut Haushaltsplan per se mit Nachhaltigkeit beschäftigen, ist es wünschenswert, dass einmal konkret angeschobene Projekte weiter gefördert werden. Unter dem Stichwort „Zukunftsinitiative Hochschule“ stellte der Bund für das Haushaltsjahr 2003 19 Millionen Euro aus den UMTS-Erlösen für eine so genannte Verwertungsoffensive zur Verfügung. Im Haushaltsplan 2004 ist aber von einer Verwertungsoffensive nicht mehr die Rede. Das Patentwesen ist mit mehreren anderen Punkten zusammengefasst und es ist sehr schwer nachzuvollziehen, wie die Mittel im Haushalt eingeplant werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich sehe das Blinken. Ich hoffe, dass im Patentwesen keine Beerdigung zweiter Klasse stattfindet. Ich hoffe auch, dass wir bei der Erstattung von Darlehensausfällen im Rahmen der BAföG-Leistungen nicht mehr mit über 40-prozentigen Ausfällen rechnen müssen. Vielleicht sind Sie bereit, eine Änderung der Fragebögen für die betroffenen Studenten zu befürworten. Das wäre eine dankenswerte Aufgabe Ihres Hauses. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss, SPDFraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir werden in der nächsten Woche eine umfassende Lehrstellendebatte führen. Ich will mich deshalb jetzt nicht allzu ausführlich dazu äußern. Aber eines möchte ich deutlich machen: Die Art und Weise, wie Frau Böhmer und Sie mit den Sorgen junger Menschen umgehen, ist geradezu unglaublich. Ich glaube, das ist nicht akzeptabel. ({0}) Bei all Ihren Schuldzuweisungen müssen Sie sich überlegen, wem Sie eigentlich die Schuld zuschieben wollen. Einerseits war die Regierung schuld, die bekanntlich an allem schuld ist, wahrscheinlich auch daran, dass es draußen regnet. Andererseits aber meinen Sie, die Jugendlichen seien nicht geeignet, die Ausbildungsplätze auszufüllen. In dieser Form mit den Jugendlichen umzugehen ist meines Erachtens nicht anständig. Ich kann Sie nur auffordern, das zurückzunehmen. ({1}) Ich weise im Übrigen darauf hin, dass - das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt - berufliche Bildung in den Betrieben stattzufinden hat. Nicht die Regierung oder sonst irgendjemand, sondern die Wirtschaft hat die Verpflichtung, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. ({2}) Die Wirtschaft will diese Aufgabe wahrnehmen und wir wollen das duale System. Die Wirtschaft hat - wie es der Kanzler und unser Fraktionsvorsitzender gestern mit Recht deutlich gemacht haben - die Verpflichtung, 10 000 unversorgte Jugendliche endlich mit einem Ausbildungsplatz zu versorgen. Dann müssen wir uns auch nicht über gesetzliche Maßnahmen unterhalten. So einfach, wie Sie es sich machen, ist es nicht. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Von Frau Pieper habe ich schon lange nichts mehr gehört. Bitte schön. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Tauss, ich wußte, dass Sie sich über meine Zwischenfrage freuen werden. Wie erklären Sie sich eigentlich, dass die Zahl der fehlenden Lehrstellen in Deutschland in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist und dass es das Phänomen gibt, dass die Jugendarbeitslosigkeit - auch in den alten Bundesländern - dreimal so stark gestiegen ist wie die gesamte Arbeitslosigkeit in Deutschland? Meinen Sie nicht, dass hier ein Zusammenhang mit den für die kleinen und mittelständischen Unternehmen gestiegenen Kosten für Arbeitsplätze und Lehrstellen besteht? ({0}) Sie haben doch diesen Anstieg mit Ihrer Politik der Steuererhöhungen und der hohen Sozialabgaben verursacht. ({1})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Pieper, Ihre Zwischenfrage gibt mir Gelegenheit, einige Missverständnisse auszuräumen, die es - das hat auch die heutige Rede von Herrn Brüderle deutlich gemacht - in Ihrer Fraktion gibt. Erstens. Es gab Entlastungen im steuerlichen Bereich. Es wird weitere geben. ({0}) Zweitens zu den Ausbildungsplätzen: Ein neues Gutachten beweist, dass Betriebe durchaus von Ausbildung profitieren, und zwar nicht nur im Sinne der Nachwuchssicherung, sondern auch in finanzieller Hinsicht. ({1}) - Sie hat behauptet, dass die Kosten für Arbeitsplätze und Lehrstellen gestiegen seien. Wir werben doch für Ausbildung und machen die Betriebe auf die positiven Wirkungen aufmerksam. Noch eines, Frau Pieper: Wir wenden inzwischen 6 Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln auf, um unversorgte Jugendliche in öffentlichen Einrichtungen unterzubringen. So kann es nicht weitergehen. Natürlich haben wir im Moment ein Problem. Das ist nicht verwunderlich; denn die Zahl der Ausbildungsplätze ist bisher in jeder schwierigen konjunkturellen Situation zurückgegangen. Gerade deswegen sagen wir an die Adresse der Betriebe: Denkt an die Zukunft und arbeitet zukunftsgerichtet. Es ist doch Unfug, in einer schwierigen konjunkturellen Situation auf die Ausbildung junger Menschen zu verzichten; denn in ein paar Jahren wird man sie händeringend suchen. Bildet also jetzt aus! ({2}) Ich betone noch einmal: Die Wirtschaft profitiert von Ausbildung, und zwar auch im betrieblichen Alltag. Liebe Frau Pieper, es liegt also nicht an dem, was Sie angesprochen haben, sondern daran, dass ein Teil der Wirtschaft - nur von diesem rede ich - seinen Aufgaben nicht nachkommt. Dieser Teil lässt den Tag einen guten Herrn sein und schmarotzt; denn er wartet darauf, dass er diejenigen bekommt, die von anderen ausgebildet worden sind. Den Betrieben, die so verfahren, sagen wir in aller Deutlichkeit: So geht es nicht! Auch ihr habt eure Verpflichtungen zu erfüllen! Darum geht es. Alle, die ausbilden, loben wir dagegen von morgens bis abends. ({3}) Liebe Frau Kollegin Böhmer, Sie haben die Ausbildungsplätze im öffentlichen Bereich angesprochen. Ich kann mich nicht in allen Bereichen auskennen. Aber ich sage Ihnen eines - Sie telefonieren wahrscheinlich gerade mit einer Lokalzeitung; Sie sollten mir lieber zuhören -: Die SPD-Bundestagsfraktion bildet seit zwei Jahrzehnten aus. In diesem Jahr haben wir 20 Auszubildende. Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem, was meine Fraktion leistet. Sorgen auch Sie dafür, dass junge Menschen in diesem Hause einen Ausbildungsplatz bekommen. Wenn Sie das tun, leisten Sie einen wichtigen Beitrag. ({4}) Frau Präsidentin, um mir eine Rüge zu ersparen, werde ich nicht das Wort „Hetze“ gebrauchen, sondern von Ausfällen reden. Frau Böhmer, ich weise Ihre Ausfälle gegen die Ganztagsschule zurück. Aber am meisten haben mich Ihre Ausfälle gegen die Musikvereine geärgert. Es war über die Maßen unanständig, wie Sie mit den Musik- und Kulturvereinen in diesem Land umgegangen sind. Ich fordere Sie deshalb auf, sich noch heute - möglichst in dieser Debatte - dafür zu entschuldigen. Es wäre verdienstvoll, wenn Sie das täten. ({5}) Denn wir haben nicht zu viel Musikunterricht, sondern zu wenig künstlerischen Unterricht an unseren Schulen. Ich bin für jede Musikerin und jeden Musiker sowie jeden Dirigenten dankbar, der an eine deutsche Schule geht, um den Kindern Unterricht zu erteilen, selbst dann, wenn er nicht ein Studium von zehn Semestern hinter sich gebracht hat; Hauptsache, er beherrscht sein Instrument und kann Kindern etwas beibringen. Liebe Frau Böhmer, ich weiß ganz genau, warum Sie so sehr gegen die Ganztagsschulen sind. Sie haben mit diesem Thema nämlich die Wahl in Rheinland-Pfalz verloren, weil Sie an den Interessen der Eltern vorbeiargumentiert haben. Diese haben uns gewählt, weil sie gesehen haben, dass man mit dem überkommenen böhmerschen Bildungsmodell - das haben Sie auch heute wieder skizziert - keine Zukunft gestalten kann, dass dieses Modell den Kindern schadet. Wir hingegen wollen etwas für die Kinder tun. ({6}) Frau Böhmer, darüber habe ich mich erregt und jetzt errege ich mich fast schon wieder. Ich werfe Ihnen als CDU-Frau nicht vor, dass Sie Zitate und Studien verfälschen - das sind wir gewohnt -, aber Ihnen als deutscher Professorin werfe ich es vor, wenn Sie so etwas tun. ({7}) Das schreibe ich Ihnen nun in aller Klarheit ins Stammbuch. ({8}) - Herr Rachel, verhalten Sie sich ein bisschen ruhiger. Wenn Sie wissen wollen, was ich kritisiere, dann stellen Sie eine Frage. Frau Schmoll von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die hier zitiert worden ist, hat einen Artikel geschrieben, auf den sich Ihre stellvertretende Fraktionsvorsitzende bezogen hat. Sie hat uns aus diesem Artikel vorgetragen. Ich sage Ihnen jetzt, was Professor Dr. Eckhard Klieme zu dem gesagt hat, was die „FAZ“ geschrieben hat: Frau Schmoll greift einzelne Befunde - zum Beispiel 30 Jahre alte Daten zur „Nivellierung“ von Schülerleistungen - heraus und kommt zu einer Kritik an Ganztagsschulen, die durch unsere Studie keineswegs gedeckt ist. So weit möchte ich aus der Studie vortragen. ({9}) Ich kann dazu, dass Sie sich auf die „FAZ“ und nicht auf die Studie beziehen, nur sagen: Das ist einer deutschen Professorin, ({10}) die wissenschaftlich gearbeitet haben will, unwürdig. ({11}) Jetzt haben wir dieses Problem gelöst und können wieder auf den Haushalt zu sprechen kommen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, Frau Kollegin Böhmer würde gern eine Zwischenfrage stellen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielleicht entschuldigt Sie sich dann gleich auch bei den Musikvereinen; das wäre gut.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie würde gern eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diese zu?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lasse sie selbstverständlich zu.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Bitte schön, Frau Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Tauss, ist Ihnen bekannt, dass in der „Frankfurter Rundschau“ und nicht in der „FAZ“ der Artikel erschienen ist, auf den ich mich beziehe? Dort wurde am 10. September unter der Überschrift „Ganztagsschule ist stark und schwach“ geschrieben: Hingegen fällt die elterliche Unterstützung von Kindern aus sozial höher gestellten Familien weg. „Beides zusammen kann eine Nivellierung im Leistungsbereich bewirken.“ Ich frage Sie, ob Sie weitergelesen haben; dort heißt es: So ließen etwa Lehrerbefragungen den Schluss zu, dass integrierte Gesamtschulen „im sozialen Bereich eher ermutigende, im Leistungsbereich eher kritische“ Ergebnisse erzielten. Das generelle Fazit der Forscher: „Aus empirischer Sicht muss die Wirkung ganztägiger Schulorganisation auf die Entwicklung der Schüler als weitgehend ungeklärt angesehen werden.“ Wenn Sie hier behaupten, damit wäre eine Verbesserung der Bildung verbunden, dann irren Sie, Herr Tauss. ({0}) Das wird auch durch Ihre Ausfälle hier nicht besser. ({1}) Sie haben bewusst das falsch interpretiert, was ich zu Musik- und Sportvereinen und zu den Landfrauen gesagt habe. Dazu sage ich Ihnen: Sie arbeiten mit Unterstellungen und dieses Verhalten weise ich klar zurück. ({2})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zunächst einmal bitte ich Sie, mir für die Beantwortung der Frage freundlicherweise zur Verfügung zu stehen. ({0}) Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie sich fehlinterpretiert fühlen, aber ich kann nur noch einmal sagen, dass ich nur das interpretieren kann, was Sie hier gesagt haben. Ich glaube, das ist im ganzen Haus gehört worden. Ich entschuldige mich ausdrücklich bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. ({1}) Die „FAZ“ kam mir so in den Sinn. Ich habe mir in der Tat gar nichts anderes vorstellen können. ({2}) Sie haben völlig Recht, der Artikel ist in der anderen Frankfurter Zeitung erschienen; das macht ihn aber nicht besser. Ich kann noch ein wenig aus der Studie zitieren und dabei auf Ihre Frage zurückkommen. Rheinland-Pfalz ist mit 81 neuen Ganztagsschulen … gestartet. ({3}) - Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Böhmer, der Kollege Tauss beantwortet immer noch Ihre Frage. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

In Rheinland-Pfalz - das ist das Bundesland, aus dem Sie kommen - hat die Zahl der angemeldeten Schüler um ein Drittel zugenommen. Von „keinem Interesse“ kann also nicht die Rede sein. ({0}) In der Studie von Klieme steht ausdrücklich - ich zitiere, dann haben wir die Frage geklärt -: Es lohnt sich also, Ganztagsschulen gründlich zu erproben und zu untersuchen. Dazu bietet das neue Bund-Länder-Programm - es wurde von der Bundesministerin angestoßen eine gute Basis. Jetzt ist Ihre Frage beantwortet. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Böhmer?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Frau Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt, dass das rheinland-pfälzische Konzept für Ganztagsschulen ausschließlich bei der Betreuung ansetzt? Ist Ihnen bekannt, dass dieses Konzept die Gestaltung der Zeit nach dem Mittagessen und die Einbindung von Vereinen umfasst? Ist Ihnen bekannt, dass dieses Konzept eine Nachmittagsbetreuung nur bis Donnerstag vorsieht, weswegen man am Freitag nicht mehr von einer Ganztagsschule sprechen kann? Ist Ihnen weiter bekannt, dass die KMK eine Unterscheidung zwischen offenen und gebundenen Ganztagsschulen trifft? Ist Ihnen bekannt, dass wir es dort, wo es um Unterricht geht, mit gebundenen Ganztagsschulen zu tun haben? An diesen Schulen haben wir selbstverständlich Möglichkeiten, zu besserer Bildung zu kommen. Alles, was wir hier diskutieren, zielt aber auf offene Ganztagsschulen, also auf mehr Betreuung, hin. Darin liegt der große Unterschied. Ich will Sie auch fragen: Ist Ihnen deutlich geworden -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Böhmer, Sie wollten eine Zusatzfrage stellen.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann soll Herr Tauss doch bitte einmal antworten.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Böhmer, ich bin auch für diese Frage außerordentlich dankbar. Erstens. Die Bundesländer sind - ich kann darauf nur nochmals verweisen - für die Ganztagsschulen verantwortlich. Ich finde es gut, dass in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Konzepte verfolgt werden. Kollegin Burchardt hat ein paar positive Beispiele aus NRW genannt. Ich kenne die Situation dort nicht ganz so gut, weil ich leichter in die Pfalz komme. ({0}) - Ich schaue mir das in Dortmund gern einmal an. Ich sage aber überall, wohin ich komme, ausdrücklich: Es muss selbstverständlich überall ein pädagogisches Konzept geben. In Rheinland-Pfalz gibt es - ich habe mir das tatsächlich angeschaut; vielleicht schauen wir uns einmal gemeinsam Ihren Bereich an - unterrichtsbezogene Ergänzungen, themenbezogene Projekte, Angebote für eine unterstützende Förderung und eine Freizeitgestaltung unter pädagogischer Anleitung. ({1}) Das sind die vier Säulen des rheinland-pfälzischen Konzepts. Ich wäre froh, wenn sie überall so realisiert würden. ({2}) Kommen wir zurück zum Haushalt. Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik haben auch in Zukunft einen zentralen Platz in der Politik der SPD-geführten Bundesregierung. Bei allen Haushaltsproblemen, die wir haben: Wir scheuen den Vergleich mit Ihrer 16-jährigen Regierungszeit in diesem Zusammenhang weiß Gott nicht. ({3}) Keine Rednerin und kein Redner von Ihnen hat zum Thema Vergleichbares gesagt, auch Frau Merkel nicht, wie gewohnt. Für sie ist das ein Randthema. Sie hat sich Zeit dafür genommen, um auf die Frage einzugehen, wie eine im Springer-Verlag erscheinende Berliner Zeitung möglicherweise zu behandeln ist. Das ist aber ein Thema für sich. Der Kanzler hat deutlich gemacht - ich zitiere ihn an dieser Stelle gerne -, dass über die Zukunft „bessere Betreuung unserer Kinder, mehr Investitionen in Bildung, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung“ entscheiden. Der Kanzler hat mit seiner Schlussfolgerung Recht, dass jetzt darüber zu entscheiden ist, ob Deutschland in fünf, zehn oder 20 Jahren noch ein Land ist, in dem es soziale Gerechtigkeit gibt, und ob der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland - das hat unmittelbar etwas mit dem Wirtschaftsstandort zu tun in dieser Form fortbesteht. Das sind die Herausforderungen, die diese Regierung angenommen hat. ({4}) Ich will auf Ihr Gemäkel gerne eingehen. Auch in der letzten Haushaltsberatung haben Sie uns hart kritisiert. Damals haben Sie uns vorgeworfen, keine Anträge vorgelegt zu haben. Wir, die Ausschussmitglieder, haben bei den letzten Haushaltsberatungen beispielsweise dafür gesorgt, dass die Mittel für die DFG kräftig erhöht werden. Diese Leistung haben wir Bildungs- und Forschungspolitiker gemeinsam mit unseren Haushältern erbracht. Wir lassen uns also auch an diesem Punkt nichts vorwerfen. Ich werfe natürlich einen freundlichen Blick in Richtung Finanzministerium. Staatssekretär Diller lächelt. Er weiß, dass wir darüber oft diskutieren. Er ist in einer beklagenswerten Situation: Ihre Mehrheit im Bundesrat verhindert, dass sein Ministerium das Geld bekommt, das es braucht. Auch die Situation im Bereich Bildung und Forschung wird besser, wenn diese Blockaden aufhören. Egal wie lange wir über 2006 hinaus regieren: Im Jahr 2007 oder 2008 wird hier kein sozialdemokratischer deutscher Kanzler Fehler in der Wissenschafts- und Forschungspolitik einräumen müssen. Wir werden mit absoluter Sicherheit dafür sorgen, dass dieser Fall nicht eintritt, auch über die mittelfristige Finanzplanung. ({5}) Selbstverständlich gibt es darüber noch Diskussionen mit dem Finanzminister. Das ist doch völlig klar. Eines ist auch klar: Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie bei Herrn Waigel noch nicht einmal beim Pförtner vorbeigekommen sind, können wir mit denen diskutieren. Wir haben etwas getan. Sonst wären wir zu den Aufwüchsen, die es heute gibt, nicht gekommen. Als Fachpolitiker würden wir gern mehr tun - das ist keine Frage -, aber die Unterstützung des Finanzministeriums hatten wir in der Vergangenheit. Ich bitte darum, Herr Staatssekretär, dass wir sie auch in Zukunft haben. Reformen im Bildungsbereich sind angesprochen worden. Sie haben gesagt, die Ministerin habe nichts getan. Frau Flach, bitte! Gucken Sie doch gelegentlich einmal öffentlich-rechtliches oder auch privates Fernsehen! Wer allein die Nachrichtensendungen verfolgt, weiß, dass dieser Vorwurf gegenüber der Bildungsministerin nicht aufrechtzuerhalten ist. Das ist nicht nur nicht fair; es ist auch nicht korrekt. Die Ministerin hat gemeinsam mit den Ländern das Forum Bildung auf den Weg gebracht, in dem wir bildungspolitische Zielsetzungen verabredet haben, von denen sich ein Teil der Länder - auch solche, in denen Sie Regierungsverantwortung tragen - heute leider verabschiedet. Ich hoffe, dass wir es bei der Föderalismusdebatte schaffen, den Bildungsbereich im Mittelpunkt zu halten. Sie können dabei mithelfen. Jetzt will ich noch etwas zur Forschung sagen. Schade, dass Herr Glos nicht da ist. Ihr Müllermeister meinte gestern, auch etwas zum Thema „Absolventenzahlen in den Naturwissenschaften“ sagen zu müssen. Ich werfe Herrn Glos, dem Müllermeister, nicht vor, dass er nicht alles weiß, aber sein Referent hätte es wissen müssen. Was er da nämlich gesagt hat, war - wie sagt Herr Westerwelle immer? - gaga; das ist nicht von mir, sondern von Westerwelle. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir haben zu wenig Absolventen im Bereich der Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften, der Physik und anderer Fächer. Nur: Das sind die, die 1998 und davor, also unter Ihrer Regierung, mit dem Studium angefangen haben. Wenn es damals wenige Studienanfänger waren, können es heute nicht mehr Absolventen sein. Das ist ein einfacher, logischer und auch ohne PISA erkennbarer Zusammenhang. ({6}) Jetzt sage ich Ihnen mal was! 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung, hatten wir 40 000 Studienanfänger in den Naturwissenschaften. Im letzten Jahr hatten wir 62 000! ({7}) Von 40 000 auf 62 000 in den Naturwissenschaften unter dieser technikfeindlichen Regierung, die dieses Land ins Elend führt! Ich kann es Ihnen auch für den ingenieurwissenschaftlichen Bereich sagen. Bei den Ingenieurwissenschaften waren es zu Ihrer Zeit 47 000 Studienanfängerinnen und -anfänger; übrigens kaum Studienanfängerinnen. Auch das haben wir gesteigert. Wir haben etwas für die Frauen in dem Bereich getan. Wir haben sie gefördert. Statt 47 000 haben wir heute 57 000 Studienanfängerinnen und -anfänger in den Ingenieurwissenschaften. So viel zu dem Elend, das Sie beschrieben haben. ({8}) Wenn Sie hier schon so reden, dann möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Machen Sie in Bayern einmal Ihre Hausaufgaben bezüglich der Ingenieurwissenschaften! An der Münchner Universität, einer der renommiertesten Technischen Universitäten, die wir neben Aachen und Karlsruhe im Land haben, wurde einer der renommiertesten Lehrstühle im Bereich Maschinenbau nicht wiederbesetzt. Man hat gesagt: Das ist alte Technik; das wollen wir nicht mehr. In München streichen Sie Lehrstühle in den Ingenieurwissenschaften und uns werfen Sie vor, nicht genügend für die Ingenieurwissenschaften zu tun! Es ist unglaublich, mit welcher Frechheit Sie hier im Deutschen Bundestag Reden halten! ({9}) Lieber Herr Fischer, bleiben wir mal in Karlsruhe, der Nachbaruniversität, weil Sie sich sonst noch den ganzen Tag aufregen. ({10}) Dort hat die Landesregierung die Mittel im Bereich Ingenieurwissenschaften um 50 Prozent reduziert. 50 Prozent weniger für den Maschinenbau an einer der besten deutschen Maschinenbauhochschulen mit der ältesten Tradition in Deutschland! Landesregierung BadenWürttemberg, schwarz-gelb! Kommen Sie nicht damit, da wären auch wir schuld! Wahrscheinlich meinen Sie, wir hätten in Baden-Württemberg irgendwie den Herrn Teufel verhext oder so etwas. Nein, nein! Das Problem dieser Debatte ist: Sie gehen in diese Debatte hinein ohne eine Mindestmaß an Seriosität, was die Zahlen angeht. Das müssen Sie sich vorwerfen lassen. ({11}) - Was ist mit dem Tauss? Wenn Sie etwas wissen wollen, dann kommen Sie doch einfach einmal zu mir. Dann hat Frau Merkel viel Zeit gebraucht, um einiges zurechtzurücken. Sie hat gesagt - das ist auch eine ausgesprochene Unverschämtheit -, wir hätten ein HRG, ein Hochschulrahmengesetz, gemacht, mit dem wir die Langzeitstudierenden fördern. Entschuldigung, aber im HRG steht ausdrücklich, dass von Langzeitstudierenden, die ihren Hintern nicht mehr aus der Universität kriegen, Gebühren erhoben werden können. Was ist eigentlich in der Folge unseres HRG-Entwurfs geschehen? - Von Ihnen regierte Länder klagen dagegen! Sie klagen dagegen, dass wir die Frage der Studiengebühren inklusive der für Langzeitstudierende regeln. Sagen Sie das bitte auch Frau Merkel, da sie heute ja anscheinend keine Zeit hat. Dann haben wir noch das Thema Zuwanderung. Sie jammern immer darüber, dass uns die besten Köpfe verließen. In den USA ist es inzwischen so, dass 55 Prozent der Forschungsleistungen durch Ausländer erbracht werden. Ich will das hier nicht, das sage ich, damit kein Missverständnis entsteht. Sie aber lehnen im Bundesrat alle sachlichen Vorschläge zur Zuwanderung von unserer Seite ab und hetzen in den Bierzelten gegen die Ausländer. Ein solches Verhalten ist nicht korrekt. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich danke Ihnen herzlich für diesen Hinweis. Damit habe ich jetzt also keine Gelegenheit mehr, zu BAföG, zu Inno-Regio, zum Pakt für Hochschulen, zur Bedeutung der Wissenschaft in -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Tauss, Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen habe ich das jetzt in einem Satz zusammengefasst. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Tauss, Sie sind ja hinlänglich dafür bekannt, dass Sie die Schwäche Ihrer Argumente durch die Lautstärke Ihres Vortrages zu übertönen versuchen. ({0}) Heute hat das nun solche Ausmaße angenommen, dass ich wirklich versucht war, die Parlamentsärztin anzurufen. Ich dachte nämlich, Ihr Zustand würde kritisch. Was Sie hier ansonsten an Beschimpfungen und Schmähungen gerade auch gegenüber Damen meiner Fraktion vorgetragen haben, ({1}) lässt mich an Ihrer guten Schule zweifeln. Sie sollten das Unterrichtsfach für gutes Benehmen, sobald es irgendwo gelehrt wird - über die Einführung eines Benimmunterrichts wird ja in einigen Ländern diskutiert -, einige Semester belegen. Das kann Ihnen nur gut tun. ({2}) Ich möchte jetzt aber zur Haushaltsdebatte zurückkommen, meine Damen und Herren, ({3}) auch wenn das schwer ist. Denn was uns hier vorgelegt worden ist, ist ja eigentlich nicht beratungsfähig. Uns liegen Zahlen vor, die nicht annähernd der Realität entsprechen. Das betrifft den ganzen Haushalt wie auch den Einzelplan 30. Noch einmal zur Erinnerung - Herr Diller ist ja da -: Es werden 2 Prozent Wachstum unterstellt; das glaubt aber kein Mensch mehr, nicht einmal mehr das Finanzministerium - das haben wir jetzt auch von Ihnen selbst gehört, aber auch vorher gab es schon entsprechende Verlautbarungen aus dem Ministerium. Ich würde das als hartnäckige Realitätswahrnehmungsstörung bezeichnen, wenn ich es höflich formuliere; wenn man etwas härter zulangen wollte, könnte man sagen: bei Rot-Grün wieder nichts als Lug und Trug. ({4}) Die Prognosen der Jahre zuvor haben sich alle nicht erfüllt, die Wirtschaftsinstitute sehen für das kommende Jahr durch die Bank Wachstumsaussichten in Höhe von unter 1 Prozent. Sie wissen sehr genau, dass Sie Ihren Haushalt auf völlig unrealistischen Grundlagen planen. Ich könnte als Belege Aussagen von Welteke, der ja nicht im Verdacht steht, uns nahe zu stehen, die „Frankfurter Rundschau“ oder was auch immer zitieren. Ich fordere die Bundesregierung auf: Stampfen Sie Ihr Märchenbuch ein und legen Sie einen auf realistischen Annahmen basierenden Haushalt vor. ({5}) Weil aber die verantwortungslose Politik bei RotGrün System hat und uns eine illusionsfreie Lagebewertung wahrscheinlich nicht vorgelegt, sondern weiter verweigert werden wird, ({6}) will ich quasi hilfsweise, um auch dem Kollegen Schneider einen Gefallen zu tun, ein wenig auf die Einzelheiten des Einzelplans 30 eingehen. Auch hier machen Sie, Frau Minister, das Täuschen und Tarnen mit. Sie haben das auch in Ihrem heutigen Beitrag gemacht. Sie täuschen ein Anwachsen des Haushaltsansatzes vor, indem Sie auf der einen Seite die Mittel für Ganztagsangebote hineinrechnen. Auf der anderen Seite rechnen Sie aber die UMTS-Mittel heraus, weil das sonst angeblich alles verzerren würde. So stellen Sie keine Vergleichbarkeit her. Die Argumentation ist schief. Man kann nicht auf der einen Seite so und auf der anderen Seite anders verfahren. Man müsste Sie Ministerin für Schönfärberei nennen, wenn man diesen Titel nicht für alle Fälle für den Regierungschef aufheben müsste. Ich wünschte mir vor allem, dass Sie sich nicht nur als Ministerin für Bildung sehen würden, sondern auch das weitere Substantiv in Ihrer Amtsbezeichnung berücksichtigen würden. Sie sind nämlich auch Ministerin für Forschung. Davon merken wir überhaupt nichts in diesem Land. ({7}) Die Mittel für Projektförderung werden nach Ihren Vorgaben real um 8,2 Prozent gekürzt; die institutionelle Förderung wird dieses Mal angehoben, weil der Kanzler nicht zweimal nacheinander die Leute anlügen wollte; insofern hält er diesmal sein Versprechen. Aber den Zustand, dass die Schere zwischen institutioneller Förderung und Projektförderung weiter aufgeht, haben doch auch Sie immer beklagt. Insofern gehen wir in eine falsche Richtung. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Herr Tauss, Sie müssen jetzt einmal zuhören und meine Gedanken im Zusammenhang aufnehmen. Sie müssen versuchen, die Zellen im Kopf ein bisschen zu bewegen. Dann verstehen Sie es vielleicht auch. ({0}) - Herr Tauss, setzen Sie sich hin. Ich möchte jetzt keine Zwischenfrage von Ihnen. Es wird weiter an der Projektförderung geknabbert werden. Es wird durch die mit 145 Millionen Euro zu hohe, völlig unrealistisch festgesetzte globale Minderausgabe massiv in den Haushaltsvollzug eingegriffen werden. Wo sollen die erwirtschaftet werden? Sie werden sie erwirtschaften, indem weitere Projekte über die Wupper gehen. ({1}) Es wird weiter an der Projektförderung geknabbert werden, weil auch die Zahl der BAföG-Empfänger steigen wird und die Ansätze dafür nicht ausreichen werden. Auch das wird wiederum zulasten der Projektförderung gehen. Ihr Haushalt ist Makulatur, er ist getürkt von vorne bis hinten. ({2}) Jetzt wollen wir uns das Thema BAföG noch einmal ansehen. Im letzten Jahr waren Sie erfreut darüber, dass die BAföG-Reform funktioniert hat und Sie mehr Mittel ausgeben können. Dann müssen Sie die Mittel aber auch im Haushalt bereitstellen und nicht, wie in diesem Haushalt, mit Wunschzahlen operieren. Wahrscheinlich wird die Zahl der BAföG-Bezieher sogar noch weiter steigen. Wenn nämlich Schüler wegen Ihrer miesen Politik in diesem Land ({3}) keinen Ausbildungsplatz bekommen, gehen sie entweder noch ein Jahr in die Schule und drehen dort eine weitere Runde oder sie studieren. Je nach Einkommenssituation der Eltern bekommen sie dann BAföG. Wenn zusätzlich Vater oder Mutter wegen Ihrer miesen Politik keinen Arbeitsplatz mehr haben, erhöht auch das wieder tendenziell den Anspruch auf BAföG. Das alles werden Sie in Ihrem Einzelplan zu verkraften haben. Wir wollen mal sehen, ob Herr Diller oder Herr Eichel oder wer auch immer Ihnen den Plafond erhöht. Ich glaube das nicht. Reden Sie sich die Situation nicht schön mit Geld, das sie nicht haben. Es ist heute schon erkennbar, dass die Mittel für Projektförderung so, wie Sie es darstellen, nicht zur Verfügung stehen werden. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Willsch, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. - Und hören Sie auf, beim Thema Ausbildung mit dem Finger auf andere zu zeigen. Unternehmen investieren und stellen Lehrlinge ein, wenn sie Aussicht auf Gewinn haben, wenn der Laden brummt. Aber wenn sie nicht wissen, ob sie morgen ihre Gesellen noch beschäftigen können, fällt es ihnen eben schwer, neue Auszubildende einzustellen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Willsch, Ihre Redezeit ist deutlich abgelaufen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das muss ich noch beenden. - Dafür, dass die Lage im Land so desperat ist, tragen Sie die Verantwortung und deshalb müssen Sie weg. ({0}) Mein Appell an Sie alle auf der Bank: Machen Sie Platz für Leute, die es können. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Geschäftsbereich nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Das Wort hat der Bundesminister Manfred Stolpe.

Manfred Stolpe (Minister:in)

Politiker ID: 11005306

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesverkehrsminister muss an einem 11. September zuerst an den Flugzeugterrorangriff vor zwei Jahren in den USA denken. Das hat uns alle getroffen, aber - darauf will ich aufmerksam machen - es hat in ganz besonderer Weise den Verkehrssektor getroffen. Die weltweite Mobilität, die ja eine der großen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts ist, wurde an ihrer Achillesferse, der Sicherheit, getroffen. Insbesondere die Luftverkehrsbranche hat sich von den Ereignissen des 11. September 2001 noch lange nicht wieder erholt. Vielmehr wurde sie durch den Beginn des Irakkrieges, aber auch durch die Krankheit SARS zusätzlich belastet. Wenn auch andere Länder weit mehr betroffen erscheinen als Deutschland, kann uns dieser Zustand nicht zufrieden stellen. Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir deshalb, auch die heutige Debatte des Bundestages dafür zu nutzen, erneut der deutschen Luftverkehrswirtschaft die Unterstützung der Bundesregierung zuzusagen. Ich unterstütze die von der Luftverkehrswirtschaft ins Leben gerufene Initiative „Luftverkehr für Deutschland“ und habe mich gern bereit erklärt, hier moderierend mitzuwirken. ({0}) Wir brauchen neue Impulse für diese Branche. Ich bin mir sicher, dass wir sie gemeinsam geben können. Die Lufthansa hat übrigens - ich will das hier sagen, ohne werben zu wollen; was wahr ist, muss gesagt werden - im Unterschied zu fast allen anderen großen Airlines auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten können. Das ist eine großartige Leistung des Unternehmens, aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. ({1}) Unser Ziel ist es, die Luftverkehrswirtschaft wieder zu einem Jobmotor zu machen. Meine Damen und Herren, Sie aber wollen heute mit Recht von mir wissen, wie es um den Einzelplan 12 steht, ob und wann die Maut kommt und wie wir der Aufgabe des Stadtumbaus in Ost und West gerecht werden. Auch über die Deutsche Bahn, die Sorgen der deutschen Binnenschiffer und der Bauwirtschaft oder über den Transrapid sollte ich eigentlich sprechen. Doch ehe ich das alles ansprechen kann, wird mir die Präsidentin das Wort entziehen. Die Sicherung und Verstärkung der Verkehrsinfrastruktur sind nach meiner Überzeugung eine Hauptaufgabe der Politik. Dies umfasst eine verlässliche langfristige Planung, die Befreiung von Wachstumsregionen aus der Staubehinderung, die Unterstützung benachteiligter Gebiete durch bessere Erreichbarkeit und die Nutzung der Potenziale aller Verkehrsträger und deren Verknotung. Im Bundesverkehrswegeplan wollen wir das gemeinsam bis zum Jahre 2015 sichern. Das alles braucht das Land. Das ist eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Aufschwung. Dies sichert 4,5 Millionen Arbeitsplätze, betrifft also 15 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Im Übrigen verschafft jede Milliarde, die wir für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur ausgeben, 24 000 Menschen Arbeit. Das alles braucht Geld, mindestens 11 Milliarden Euro in jedem Jahr. Bekanntlich muss der Bundeshaushalt die Ausführung noch einiger anderer wichtiger Aufgaben sicherstellen. Alle Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte haben deshalb über zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten nachgedacht und Schritte in diese Richtung eingeleitet. Auch die Schröder-Regierung stand 1998 vor dieser Notwendigkeit. Sie beauftragte Wilhelm Pällmann und andere Experten, eine Analyse zu machen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Das Ergebnis war sehr eindeutig: Es muss mehr investiert werden, als es der Haushalt hergibt. Eine Nutzergebühr für Schwerlasttransporter auf Autobahnen ist nötig. Diese Einnahmen sollen zusätzlich für Verkehrsinvestitionen eingesetzt werden. Aber damals war auch klar, dass die Einführung einer Maut nicht vor 2003 zu erreichen ist. Gleichzeitig war deutlich: Die Erhöhung der Verkehrsinvestitionen muss früher erfolgen. Es ging im Interesse der Wirtschaft und der Mobilität darum, den Zeitraum bis zum Jahre 2003 zu überbrücken. Es ist dann aufgrund von Zinsersparnissen im Rahmen der Einnahmen aus der Vergabe der UMTS-Lizenzen gelungen, ein befristetes Programm zu gestalten: das Zukunftsinvestitionsprogramm, das diese Überbrückung von 2001 bis Ende 2003 leisten konnte. ({2}) So konnte die Investitionssumme von 11,5 Milliarden Euro erreicht werden. Ab 2004, wenn diese UMTS-Zinsersparnisse nicht mehr zur Verfügung stehen, werden wir die Einnahmen aus der Maut zusätzlich zu den Haushaltsmitteln den Verkehrsinvestitionen zuführen können. Ich will es rundheraus sagen: Das reicht noch nicht. Wir müssen über das Instrument der Maut private Investoren für den Verkehrswegebau gewinnen. Die rechtlichen Möglichkeiten sind jetzt mit dem Mautgesetz und dem Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz gegeben. Ausbau, Betrieb und Finanzierung bereits bestehender Strecken können an Private übertragen werden. Die Länder haben bereits grünes Licht für zwölf solcher Projekte gegeben. Dabei geht es um ein Investitionsvolumen von etwa 3,5 Milliarden Euro. Die ersten drei sind voraussichtlich - ich hoffe, dass sie bald in Gang kommen können - der Ausbau der A 5 zwischen BadenBaden und Offenburg, der Ausbau der A 10 bzw. A 24 vom Dreieck Schwanebeck über das Dreieck Havelland bis nach Neuruppin und der Ausbau der A 1 vom Autobahndreieck Buchholz bis zum Bremer Kreuz. Außerdem können der Bau, der Betrieb und die Finanzierung von Neubauten bei Brücken, Tunneln und Gebirgspässen an Private übertragen werden. Im Gegenzug erhalten die Betreiber das Recht zur Mauterhebung. Diese Möglichkeit gilt auch für den Neubau von Bundesstraßen. Bereits morgen wird die Warnowquerung eröffnet. Sie ist unmittelbar Realisierung der neuen Gesetzgebung gebaut worden. Den Hochmoselübergang bei Wittlich und den Albaufstieg von Stuttgart nach Ulm wollen wir ebenfalls bald anpacken. Auch im öffentlichen Hochbau wollen wir den vermehrten Einsatz von PPP-Projekten anstoßen. Ein Gutachten dazu ist jetzt erstellt worden. Es lässt mich hoffen, dass die Sache angeschoben wird. Wir wollen es am 19. September dieses Jahres vorstellen. Die Maut ist der Einstieg in eine neue Finanzierungsart, die die Chance eröffnet, unsere Pflicht bezüglich der Gewährleistung von Mobilität zu erfüllen. So verstehe ich auch den gemeinsamen Beschluss des Bundestages und des Bundesrates vom 23. Mai dieses Jahres. Dabei haben wir auch die berechtigten Sorgen deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen berücksichtigt und beschlossen - ich darf das in Erinnerung rufen -, dass aufgrund der Wettbewerbsbedingungen im europäischen Güterkraftverkehr ein Harmonisierungsvolumen in Höhe von 600 Millionen Euro erreicht wird und verschiedene Maßnahmen - Mautermäßigungsverfahren, Änderung des Kfz-Steuergesetzes, Innovationsprogramm sowie weitere geeignete Harmonisierungsmaßnahmen einschließlich der Änderung der Emissionsklassenzuordnung - eingeleitet werden. Ebenfalls ist beschlossen worden, dass das Mautermäßigungsverfahren prioritär zu verfolgen ist, um die angestrebte Harmonisierung umfassend und zeitnah zu erreichen. Das alles wird vorbereitet. Weiterhin wurde beschlossen - auch das muss in Erinnerung gerufen werden -, dass zur Erreichung dieses Ziels die Mauthöhe zunächst mit einem Eingangssatz von durchschnittlich 12,4 Cent pro Kilometer festgesetzt wird. Je nach Wirksamwerden und Umfang der Maßnahmen, die ich eben aufgeführt habe und die teilweise der vorherigen Zustimmung durch die EU-Kommission bedürfen, wird der Mautsatz auf das ursprünglich angepeilte Niveau von 15 Cent pro Kilometer festgelegt. Ich erwähne das hier deshalb so ausführlich, weil ich aufgrund verschiedener Debatten, auch in der Öffentlichkeit, den Eindruck habe, dass dieser gemeinsame Beschluss von Bundestag und Bundesrat ein wenig aus dem Auge verloren wurde. Meine Damen und Herren, die Europäische Kommission hat ihre Bedenken gegen eine Maut in Deutschland inzwischen zurückgestellt. Sie prüft nun das von uns notifizierte und - entgegen manchen Gerüchten, die verbreitet worden sind - niemals zurückgezogene Mautermäßigungsverfahren. Wir werden in Brüssel in Kürze weitere, intensive Gespräche darüber führen. Wir werden, was die Harmonisierung angeht, den Unternehmen gegenüber Wort halten. Das sei hier noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt. Dazu stehen wir. ({3}) Die Harmonisierung muss erfolgen. Kommt die Maut? Das ist die Frage, die viele, auch in der Öffentlichkeit, bewegt. Deshalb sage ich in aller Klarheit: Die Maut kommt. Daran habe ich gar keinen Zweifel. ({4}) Unsere Partner - Daimler-Chrysler-Services, Deutsche Telekom und Cofiroute, Frankreich - streben als Einführungstermin den 2. November dieses Jahres an, obwohl noch viele Fragen zu klären sind. In dieser Stunde, in der wir hier beisammen sind, sitzen Mitarbeiter unseres Hauses, des Bundesamtes für Güterverkehr und vom TÜV mit Experten der genannten Firmen zusammen, ({5}) um zu prüfen, ob Mitte September eine Probephase starten kann. Sie wollen sicher wissen, meine Damen und Herren, was geschieht, wenn der Termin wieder nicht eingehalten wird. ({6}) Parallel zur Technik verhandeln wir auch über die Folgen der Nichteinhaltung des Starttermins 31. August 2003, der im Vertrag festgelegt ist. Jeder weiß, dass der 31. August schon eine Weile vorbei ist. Es muss also darüber gesprochen werden, welche Auswirkungen die Verzögerung für die vertragliche Regelung hat. Es muss ebenfalls darüber gesprochen werden, dass inzwischen klar geworden ist, dass die benötigte Zahl der automatischen Erfassungsgeräte, der so genannten On-BoardUnits, die ursprünglich auf 150 000 veranschlagt war, deutlich höher liegt: Es werden 450 000 Geräte gebraucht, damit die Erfassung überhaupt in Gang kommen kann. ({7}) Darüber muss klar verhandelt werden. Wir haben bereits eine Checkliste aufgestellt, so genannte Eckpunkte, anhand derer zu prüfen ist, welche Folgerungen sich daraus ergeben. Es muss auch über die Frage gesprochen werden, ob sich aus der Tatsache, dass 450 000 statt 150 000 Geräte benötigt werden, Auswirkungen auf die Befreiung von einer Vertragsstrafe bei Störungen - nicht bei Ausfall des Systems, sondern bei Störungen - ergeben. Darüber werden wir zu sprechen haben. Natürlich werden wir in diesen Verhandlungen auch darüber zu reden haben, was denn nun mit den Einnahmeausfällen ist, zu deren Verursachung die Bundesregierung und alle, die die Beschlüsse mitgetragen haben, ja gar nicht beigetragen haben. Ich habe dem Vorsitzenden des Ausschusses und den Obleuten angeboten, sie über das Vertragswerk, die Absichtserklärung - genannt Eckpunkte - für einen Ergänzungsvertrag umfassend zu informieren. Ich werde mich dabei natürlich an die Modalitäten des Hauses halten. Ich werde also nicht Erwartungen aussprechen, die das Gespräch unmöglich machen. Ich denke da an einen Satz, in dem von Schriftform oder Ähnlichem die Rede ist. Wenn das hier im Hause nicht erforderlich ist und die Vertraulichkeit gegenüber den Partnern, zu der ich natürlich stehen muss, dennoch gewährleistet ist, werden wir uns sicherlich verständigen können. Mir liegt einfach daran, dass wir in ein intensives Gespräch kommen und Sie die Chance haben, das, was vorliegt, auch beurteilen zu können. Nach meiner Überzeugung ist es ein sehr ausgewogener Vertrag. Bitte bedenken Sie dabei, dass es der erste große Vertrag in Deutschland ist, bei dem Public Private Partnership versucht worden ist. Das kann hoffentlich bald zu einem vernünftigen Ergebnis geführt werden. ({8}) Wichtig ist mir noch, an dieser Stelle darüber zu informieren, dass wir mit dem Bundesfinanzministerium vereinbaren konnten, dass mögliche Einnahmeverluste - ich sagte ja, dass wir darüber noch verhandeln - nicht zulasten von Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen gehen werden. Trotz der Verzögerung bei der Einführung der LKW-Maut werden wir die jetzt anstehenden dringlichen Maßnahmen durchführen können. Das ist übereinstimmende Auffassung. Nur vorsorglich will ich darauf hinweisen, dass die LKW-Maut kein Grund für deutliche Preiserhöhungen bei Endprodukten sein darf. ({9}) Es kann sich hierbei höchstens um Promille handeln. Die Maut darf nicht als Argument für Preiserhöhungen missbraucht werden, wie wir das ja beim Euro erlebt haben. Die Maut gibt das nicht her. Wir können das widerlegen. Wir können das berechnen. Ich kann Sie nur herzlich bitten: Werden auch Sie mit tätig, wenn Sie den Eindruck haben, dass die Maut für Preiserhöhungen benutzt wird. ({10}) Die Menschen sind nicht nur Käufer oder Transporteure, sondern sie wollen sich in ihren Dörfern und Städten auch wohl fühlen. Für die Städte fühle ich mich mit verantwortlich. Deshalb möchte ich noch etwas zur Stadtentwicklung sagen. Wir werden 2004 für die Förderung des Städtebaus, für das Stadtumbauprogramm Ost und die Fortsetzung des Programms „Soziale Stadt“ insgesamt 458 Millionen Euro zur Verfügung haben. Wir streben an, die Mittel für die Städtebauförderung aufzustocken, insbesondere um die immer stärker werdenden Probleme in den alten Ländern in den Griff zu bekommen. Teil unseres Konzepts ist auch der umfassende Umbau der Wohnungsbauförderung. Einen Teil der bisherigen Eigenheimzulage wollen wir zur Erhöhung der Städtebauförderung für die alten Länder und für das Programm „Soziale Stadt“ verwenden. Zusätzlich soll ein neues Programm „Stadtumbau West“ aufgelegt werden, für das Bundesfinanzhilfen in Höhe von 85,9 Millionen Euro vorgesehen sind. Ich bin zuversichtlich, dass es auch in der Städtebauförderung gelingen wird, Haushaltskonsolidierung mit einer Konzentration der Investitionen auf besondere Problemsituationen zu verbinden. ({11}) Meine Damen und Herren, damit muss es für heute genug sein. Ich habe meine Redezeit bereits ein bisschen überschritten. Ich brauche - ich bitte Sie darum - Ihre kritisch-konstruktive Mitarbeit. Dies ist ein Platz, auf dem gelegentlich auch die Polemik zu Hause ist. Das gehört dazu. Das belebt in der Nachmittagsstunde auch das Geschäft. Aber am Ende müssen wir eng zusammenarbeiten. Ich bin bereit, mich diesbezüglich voll und ganz einzubringen. Ich bin davon überzeugt, dass Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Aufgabenfelder sind, auf denen wir alle dafür sorgen müssen, dass wir dort vorankommen. Wir brauchen zumindest 11 Milliarden Euro für Verkehrsinvestitionen. Helfen Sie da ein bisschen mit! Schönen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Klaus Lippold, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Stolpe, lassen Sie mich ganz kurz vorweg bilanzieren, was ich aus dieser Woche mitnehme. Der Bundeskanzler hat Fehler bei der Rente und Herr Eichel hat erhebliche Risiken beim Haushalt eingeräumt. Seine Fraktionskollegen haben ihm dabei assistiert und gesagt, seine Annahmen seien unrealistisch. Herr Clement hat heute Morgen die Konjunkturentwicklung beschönigt. Er hat die 25. Wachstumsprognose in Aussicht gestellt, obgleich es für ein Wachstum keine Anhaltspunkte gibt. Bislang haben keine seiner Prognosen zugetroffen. Sie, Herr Minister, haben im Ausschuss wenigstens Pannen eingeräumt. Heute haben Sie hier allerdings Ihre Hoffnung verstärkt zum Ausdruck gebracht, dass dieses und jenes klappt. Herr Stolpe, ich habe ein wenig das Gefühl, Sie kommen ins Stolpern. Ich habe Ihnen schon seinerzeit gesagt: Wir werden Sie unterstützen; es gibt bei uns keine Blockade. Aber Sie müssen effizient handeln und auch durchgreifen. - Nach einem Jahr muss ich ganz offen sagen, dass ich das vermisse. Wir haben fünf Jahre lang beim Thema Maut mit der Regierung konstruktiv zusammengearbeitet. Ich kann kein Anzeichen irgendeiner Blockade erkennen. Das sage ich an die Adresse derjenigen, die immer glauben, mit solchen Schlagwörtern die Diskussion bestreiten zu können. Wir haben uns konstruktiv verhalten. Trotzdem waren Sie nicht in der Lage, die Einführung der Maut in dem vorgegebenen Zeitrahmen zu realisieren. ({0}) Ich füge noch einen Punkt hinzu. Wir wollten aus den technischen Einrichtungen zur Erfassung der Maut nicht nur einen europäischen, sondern sogar einen weltweiten Exportschlager machen. Sie haben daraus leider eine Lachnummer gemacht. Herr Kollege Stiegler hat heute Morgen davon gesprochen, dass die Maut jetzt nicht zerredet werden darf, weil die Technologie ein Exportschlager werden soll. Wir wollen die Maut nicht zerreden; das Ganze soll ein Exportschlager werden. Trotzdem können wir nicht alle Pannen unter den Teppich kehren, die bei der Einführung von Ihnen gemacht worden sind. ({1}) Pannen, Pannen, Pannen. Das Ganze endet in einer Pleite. Wenn wir Fehlentwicklungen, die diese Regierung zu verantworten hat, nicht mehr analysieren dürften, dann hätten wir im Bundestag überhaupt nichts mehr zu diskutieren. Es läuft doch alles schief. Erst wird ein Termin festgelegt. Dann gibt es ein Hin und Her, ob daran festgehalten werden kann. Bei Ihrem Auftritt mit Vertretern der Industrie erlebten wir Ähnliches. Erst sagten Sie, dass der 2. November als Einführungstermin garantiert wird. Dann sagte die Industrie, dass sie diesen Termin nicht garantieren kann. Im Ausschuss sprachen Sie davon, auch Sie hätten den 1. Januar lieber gehabt. Freunde, so kann man doch nicht vorgehen! Das ist nicht die straffe Führung, die benötigt wird. ({2}) Man kann natürlich sagen, das Ganze sei nicht Ihre Schuld. Ich gebe zu, Herr Bodewig hat einiges falsch gemacht. Wir haben damals Herrn Bodewig vor dem Dr. Klaus W. Lippold ({3}) überhasteten Vertragsabschluss gewarnt. Aber er wollte daraus einen Wahlkampfschlager machen. Vor diesem Hintergrund war ihm eine weniger solide Arbeit recht. Für ihn war nur entscheidend, den Vertrag noch vor der Wahl zu präsentieren. Das war falsch. Wenn damals sauber gearbeitet worden wäre, dann hätten wir diese Probleme nicht. ({4}) Herr Minister, Sie hätten zu Beginn ein vernünftiges Projektmanagement und ein effizientes Kontrollmanagement einrichten können. Aber das haben Sie nicht getan. Sie haben jetzt angekündigt, uns eine Liste vorzulegen, in der die Vorgänge enthalten sind und die aufzeigt, wie was gelaufen ist. Wir werden diese Liste sorgfältig prüfen und dann zu einer Bewertung kommen. Was mich gewundert hat: Jeder, der mit der Automobilindustrie Verträge abschließt, weiß, dass darin Vertragsstrafen enthalten sind. Aber hier wurden, wenn ich das richtig sehe, für Terminüberschreitungen und für Einnahmeausfälle weder Konventional- noch Vertragsstrafen vereinbart. Das kann doch nicht sein! Das ist eine stümperhafte Arbeit. ({5}) Nachdem wir bislang keine Einsicht in die Verträge hatten, wollen wir jetzt wissen, was dort festgelegt ist. Das muss in einer ganz vernünftigen Art und Weise geschehen. Es darf nicht sozusagen ein Schweigen im Walde herrschen. Wenn das der Fall ist, müssen wir uns andere Maßnahmen einfallen lassen. Wir könnten den Rechnungsprüfungsausschuss oder das Prüfungsamt des Bundes einschalten. Das wollen wir aber nicht, weil wir mit Ihnen, Herr Stolpe, kooperieren wollen. Dazu müssen wir aber wissen, dass die Verträge offen gelegt werden. Im Übrigen muss ich feststellen, dass die Verantwortlichen bei der Verschiebung des Termins, was für uns angesichts mangelnder Vertragsstrafen usw. mit einem weiteren, ganz eminenten Einnahmeausfall verbunden ist, für einen weiteren Monat freigestellt werden. Das bedeutet, dass sie für die Schlamperei bei der abgelieferten Arbeit auch noch belohnt werden. Was ist das eigentlich für ein Prinzip? ({6}) Derjenige, der schlampig arbeitet, müsste eigentlich abgestraft werden, bei Ihnen jedoch wird er belohnt. Dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit einer solchen Politik nicht auf die Beine kommen, ist doch ganz klar. So kann es wirklich nicht gehen. Sie haben das Thema Harmonisierung angesprochen. Herr Minister, die Harmonisierung im Bereich Verkehrsgewerbe hat für uns Priorität. Alles andere bringt für das Verkehrsgewerbe nicht den Vorteil, den wir brauchen. ({7}) Ich unterstelle Ihnen, Herr Minister, noch nicht einmal, dass Sie mit Unwollen an die Sache herangehen. Ich sage Ihnen aber ganz offen: Wenn Ihr Kanzler bei einem Glas Rotwein dem italienischen Ministerpräsidenten sagt: „Wenn es mit der Einigung mit de Palacio nicht klappt, dann klappe es eben nicht“, dann zeigt das nach meinem Dafürhalten, dass Sie nicht die Rückenstärkung haben, die Sie brauchen, wenn Sie in Brüssel erfolgreich arbeiten wollen. Das kann es doch nicht sein. ({8}) Nach dem, was man gelesen hat, soll es ein wunderschönes Konzert in Verona gewesen sein. Das ist klasse, es erinnert mich an die Toskana-Fraktion. Aber es geht doch nicht darum, ein schönes Konzert zu besuchen und Rotwein zu trinken, sondern darum, die Interessen des deutschen Verkehrsgewerbes mit hinreichender Schärfe und Stärke zu vertreten. Das hat Ihr Kanzler nicht gemacht, was Ihre Position schwächt. Sie dürfen sich aber nicht nur hinterher damit auseinander setzen, sondern hätten sich etwas früher dafür einsetzen können und hätten es auf der Beamtenebene nicht laufen lassen dürfen. Dadurch ist übrigens auch die Public-private-Partnership-Idee geschädigt worden, die Sie noch einmal eingebracht haben. Ich kann Ihnen natürlich auch nicht nachsehen, dass Sie sich gegenüber dem zunehmend geschwächten Finanzminister als nahezu einziger Minister nicht durchsetzen konnten, was den Haushalt angeht. ({9}) Die Maut sollte zusätzlich zur Finanzierung dienen. Jetzt erleben wir, dass nach Abzug der Bruttokosten erhebliche Beträge doch nicht zusätzlich ausgegeben werden sollen. Im Gegenteil: Trotz der erwarteten Einnahmen aus der Maut sinken die Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. Das ist eine völlig falsche Entwicklung. ({10}) Herr Stolpe, Ihr Bundeskanzler hat am Mittwoch hier gesagt, er wolle keine prozyklischen Entwicklungen. Wenn Sie jetzt die Bürger zusätzlich belasten - das ist keine minimale Belastung -, dann muss es am Ende Investitionen geben. Bei Ihnen kommt es bei einer zusätzlichen Belastung der Bürger nicht zu mehr Investitionen, sondern zu weniger Investitionen. Das ist falsch, Herr Minister. Das geht so nicht. ({11}) In diesem Punkt hätten Sie sich durchsetzen müssen. Das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. ({12}) Ich sage ganz deutlich: Ich hoffe, dass jetzt an Programmen gearbeitet wird für den Fall, dass Sie die Harmonisierung nicht durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass Sie von der CDU/CSU-Fraktion mehr Unterstützung bei der Harmonisierung bekommen als von Ihrem Kanzler. Wenn Sie das aber nicht schaffen, wollen wir ein Ausgleichsprogramm haben. Ich hoffe, dass daran gearbeiDr. Klaus W. Lippold ({13}) tet wird und dass später nicht gesagt wird, dass man noch nicht so weit sei. Meine Fraktion will die Maut nicht zur Frachtverlagerung von der Straße auf die Schiene missbrauchen. Das kann ich für meine Fraktion ausschließen. Die Schiene muss durch Schnelligkeit, Flexibilität und Leistung überzeugen, aber nicht dadurch, dass wir andere Verkehrsträger belasten. Das ist der völlig falsche Weg. Das kann so nicht gehen. Das werden wir nicht mitmachen. ({14}) In diesem Punkt vermisse ich, Herr Minister, dass Sie sich, da Sie im Aufsichtsrat des Unternehmens Bahn, auch wenn es unternehmerisch geführt wird, sehr stark sind, nachdrücklich darum kümmern, wenn die Bahn Investitionen vermindert, wie ich Mitteilungen entnehme. Sie vermindert ihre Investitionen, um Windowdressing für den nächsten Abschluss zu machen, den sie der Öffentlichkeit präsentieren will. Ihr Kanzler hat sich für mehr Investitionen ausgesprochen. Die Bahn vermindert die Investitionen, nur um nach außen ihre Bilanz zu verbessern. Das kann es doch nun wirklich nicht sein. Wir brauchen bei der Bahn Investitionen, und zwar Investitionen in der Fläche - wo sie sich doch schon aus der Fläche zurückzieht. Auch da erwarte ich, Herr Minister, in Zukunft Ihren Einsatz. Es kann nicht angehen, dass sich die Bahn aus der Verantwortung für den Verkehr in der Fläche entzieht und trotz aller Sprüche, die sie macht, keinen hinreichenden Wettbewerb zulässt. Der Wettbewerb muss nach wie vor verstärkt werden. Darauf sollten Sie etwas stärker den Daumen halten. ({15}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. Beim Wohnungsbau und der Eigenheimzulage erwarten wir kein prozyklisches Verhalten. Es kann nicht angehen, dass jetzt in diesen Bereichen durch Kahlschlag ein Einbruch erfolgt. Wir halten immer noch daran fest, dass die Quote junger Menschen, die Immobilienbesitzer sind, in der Bundesrepublik relativ niedrig ist. Ich glaube, dass gerade Immobilienbesitz in Anbetracht des Sachverhalts, dass Ihre Rentenpolitik zunehmend in die Sackgasse gerät, ein ganz wichtiger Faktor ist. ({16}) Deshalb soll durch die Änderungen bei der Eigenheimzulage diese Position nicht beeinträchtigt werden. Das kann es nicht sein, Herr Minister. Wenn wir das damit verbinden, dass der Altstadtbereich etwas stärker einbezogen wird, dann kommt mir das unter Umweltschutzaspekten entgegen. Darüber wird man diskutieren und nachdenken können. Herr Minister, ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich stärker als in der Vergangenheit der europäischen Ebene zuwenden. Das gilt zum Beispiel für die Mautfrage, über die ich gerade gesprochen habe und bei der ich meine, dass das unabweisbar notwendig ist. Es gilt aber auch für die Frage der transeuropäischen Netze, die Sie intensiver angehen und intensiver vorbereiten müssten. Ich sage das deshalb - für die Bürger sind zwei Jahre sehr lang, aber im politischen Geschäft sind zwei Jahre nicht sehr viel -, weil die Vorbereitungen in der Infrastruktur Straße und in der Infrastruktur Bahn für die EU-Osterweiterung einfach nicht vorhanden sind. Das muss sich ändern; ansonsten werden wir zwar die EU-Osterweiterung haben, aber keine entsprechende Infrastruktur. ({17}) Das ist insbesondere zum Schaden der neuen Bundesländer. Auch das kann nicht sein. Ihre investive Zurückhaltung führt dazu, dass die neuen Bundesländer nicht die Ausstattung bekommen, die sie brauchen. Vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung ist dies noch wesentlich wichtiger, als es je der Fall gewesen ist. Das heißt, hier muss ein Stück mehr Vision, muss ein Stück direkter Kontakt mit Brüssel, muss ein Stück mehr Umsetzung hinein, damit wir der Verantwortung, vor der wir stehen, gerecht werden. Ich sage es noch einmal, Herr Minister: Wir werden Sie dabei nicht blockieren, auch nicht im Bundesrat. Wir werden aber schon sehr deutlich einfordern, dass die Dinge laufen. Ansonsten - ich denke, das sehen Sie genau so wie ich - kann der 2. November für Sie zu einem Schicksalstag werden, wenn die Einführung der LKWMaut dann wiederum in eine ungewisse Zukunft verschoben wird. Lassen Sie uns daran arbeiten, dass im Sinne der Bundesrepublik Deutschland, im Sinne der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes eine erneute Verschiebung nicht notwendig ist und dass die Infrastrukturinvestitionen für die Arbeitsplätze und für den Aufschwung getätigt werden. Wir werden Ihnen dabei die Hand reichen, werden aber auch dafür sorgen, dass, wenn Sie das nicht leisten, die entsprechende Kritik hier im Deutschen Bundestag geäußert wird. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt in der Verkehrspolitik Autos, LKWs, Züge und Flieger - und es gibt Überflieger in der Verkehrspolitik. Der Überflieger in der deutschen Verkehrspolitik heißt Klaus Lippold. ({0}) Albert Schmidt ({1}) Es fällt mir unheimlich schwer, auf Ihre Ausführungen einzugehen; denn Überflieger sehen die Dinge immer von ganz weit oben und erkennen gar nicht, um was es wirklich geht. Ich spare mir das also einfach. Ich möchte Ihnen einfach nur empfehlen, Herr Kollege: Kommen Sie doch einmal in den Verkehrsausschuss und machen Sie sich einfach einmal kundig. Es kostet nichts, wir haben noch Platz und Sie verstünden dann das, was Sie hier sagen. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die eigentliche Herausforderung für den Verkehrshaushalt 2004, den wir heute in erster Lesung beraten, besteht darin, das Rekordniveau an Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, das unter Rot-Grün erreicht worden ist, zu halten und fortzuschreiben, obwohl das Sonderinvestitionsprogramm - das so genannte Zukunftsinvestitionsprogramm -, das aus UMTS-Zinsen gespeist wird, plangemäß zum Ende dieses Jahres ausläuft. Da geht es um richtig viel Geld. Mit dem Ende des ZIP entfallen allein für den Verkehrsträger Schiene 875 Millionen Euro an Investitionen. Für die Straße sind es immerhin rund 450 Millionen Euro. Dies auszugleichen wäre ohne die Einnahmen aus der LKW-Maut nicht möglich. ({3}) Dennoch, für beide Verkehrsträger zusammen wird im Haushalt 2004 das Investitionsvolumen nicht nur gehalten, sondern sogar von derzeit 9,3 auf dann 9,8 Milliarden Euro gesteigert. Das funktioniert aber nur mit der LKW-Maut. Deshalb ist es in der Tat in höchstem Maße ärgerlich, dass sich das reale Volumen der Investitionen noch in diesem Jahr - allein im September und Oktober - faktisch um über 300 Millionen Euro reduziert, weil das Betreiberkonsortium für die LKW-Maut nicht in der Lage ist, die vertraglich zugesagten Fristen für die Bereitstellung des Inkassosystems auch wirklich einzuhalten. ({4}) Herr Kollege Lippold, ich verstehe jeden, den das auf die Palme bringt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, die Selbstgerechtigkeit, die ich dabei manchmal heraushöre, verstehe ich allerdings nicht. ({5}) Ich kann mich noch ganz gut daran erinnern: Der letzte Verkehrsminister der Union - Matthias Wissmann heißt er - hat jahrelang von der Einführung einer LKW-Maut geträumt. ({6}) Durchgesetzt hat er davon nichts. Es war derselbe Verkehrsminister, der auch von einer Verdreifachung der Gebühren für die EU-Vignette gesprochen hat, die er durchsetzen wollte. Wissen Sie, was er davon durchgesetzt hat? Nichts. ({7}) - Lieber Herr Kollege, bei manchen von Ihnen habe ich heute das Gefühl, dass bei der Kritik ein Stück Schadenfreude mitklingt, weil Sie die LKW-Maut in Wahrheit gar nicht mit Nachdruck wollen und Sie froh sind, dass es aus technischen Gründen noch eine Zeit lang dauern wird. ({8}) Es war dieser Minister, ({9}) der es entgegen der erklärten Fundamentalopposition der Kommissarin durch eine, so finde ich, beharrliche und konsequente Strategie gegenüber der EU in Brüssel durchgesetzt hat, dass die Vorbehalte aufgegeben wurden, sodass wir die LKW-Maut einführen können. Sie von der Opposition haben es uns im Mai dieses Jahres - ich selbst war bei den Verhandlungen dabei mit Ihrer Bundesratsmehrheit aufgenötigt, dem deutschen Gewerbe zu versprechen, die so genannte Mautermäßigung von 300 auf 600 Millionen Euro aufzustocken. Als Wink mit dem Zaunpfahl an die Kommissarin wurde das dann aufgeschrieben, damit auch der Letzte begreift, dass es möglicherweise eine unzulässige Beihilfe ist. Dieselben Herrschaften vergießen jetzt Krokodilstränen, weil genau dieser Punkt Schwierigkeiten macht. ({10}) Sie von der Opposition tun heute so, als hätten Sie von Anfang an gewusst, dass die beiden führenden deutschen Technologiekonzerne, nämlich Telekom und Daimler-Chrysler, nicht in der Lage sein würden, ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, sodass man genau diese Unfähigkeit von vornherein zur Grundlage aller Planungen hätte machen müssen. Sollen wir jetzt einen Minister dafür tadeln, dass On-Board-Units ohne Spannungsregler ausgeliefert werden? Ist der Minister daran schuld, meine Herrschaften? Lassen wir die Verantwortlichkeiten doch einmal da, wo sie wirklich liegen. ({11}) - Wie Sie vielleicht wissen, haben wir die Geräte nicht ausgesucht, sondern wir haben eine europaweite Ausschreibung durchgeführt; dies geschah in einem nachvollziehbaren Verfahren. Albert Schmidt ({12}) Sie erleben hier nicht nur die granatenmäßige Blamage eines Konsortiums großer Konzerne, die sich als Marktführer verstehen. Diese vergeigen damit Exportchancen von morgen. Das ist ärgerlich und für den Bund unerträglich; denn es kann nicht hingenommen werden, dass die Konzerne vertraglich Versprechungen machen und diese dann - womöglich wiederholt - nicht einhalten können, sodass der Bund das Nachsehen hat. ({13}) - Der Kollege Kalb nickt sogar. - Wissen Sie, wem die Rechnung am Ende präsentiert wird? Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern wird sie vorgelegt, weil die Mindereinnahmen natürlich zulasten der Bundeskasse gehen. Mit allem Ernst: Hier muss die Haftungsfrage gestellt und beantwortet werden. ({14}) - Kollege Fischer, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen. Ich habe immer die Wahrheit und das, was ich denke, gesagt. Im Vergleich zu anderen kann ich damit sehr zufrieden sein. ({15}) Diese Frage muss, wie gesagt, mit allem Ernst gestellt werden. Vertrag hin oder her: Wenn die Leistungen nicht fristgerecht, nämlich überhaupt nicht, geliefert werden, dann greift - so viel verstehe ich mit meinem juristischen Hausverstand - das Bürgerliche Gesetzbuch, in dem für diesen Fall die volle Schadensersatzpflicht vorgesehen ist. Herr Minister, ich fordere Sie auf, die Schadensersatzpflicht in den anstehenden Verhandlungen im Bedarfsfalle auch gegenüber den Konsorten mit allem Nachdruck deutlich zu machen. Dieses Thema gehört auf den Tisch; ({16}) denn es kann nicht sein, dass die Industrie versagt und die Steuerzahler am Ende die Angeschmierten sind. ({17}) Lassen Sie mich zum Schluss noch wenigstens einige Sätze zur Bahn sagen. Wir erleben seit Wochen eine Gespensterdebatte über einen bevorstehenden Börsengang der Bahn. Es ist wie Weihnachten: Der Weihnachtsmann kommt auf jeden Fall. Die Frage ist nur, wann. Kommt er vielleicht erst ein Jahr später oder doch überhaupt nicht? Ich will Ihnen eines in aller Deutlichkeit sagen: Es ist nicht Aufgabe des obersten Angestellten der Deutschen Bahn AG, dem Eigentümer und denjenigen, die den Eigentümer vertreten - das sind unter anderem wir -, Zeitpläne für derartige strategische Entscheidungen mitzuteilen und sie in die Welt zu posaunen. ({18}) Hier findet eine Rollenverwechslung statt. Die Aufgabe, darüber zu entscheiden, liegt beim Eigentümer und nicht beim Chiefmanager. Daran sollte man sich endlich halten. ({19}) Unsere Aufgabe ist es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen und die Investitionen dauerhaft zu gewährleisten. Das tun wir wieder mit 4 Milliarden Euro, die wir in diesem Haushaltsplan 2004 veranschlagen. Hinzu kommt 1 Milliarde Euro aus anderen Haushaltstöpfen, die auch bei der Schiene landen. Es geht hier meines Erachtens nur um die Kapitalmarktfähigkeit, nicht um einen Börsengang. Würden Sie derzeit eine DB-Aktie kaufen, Herr Kalb? ({20}) - Sehen Sie, ich auch nicht. - Ich hoffe dringend, dass in dieser Frage endlich Realismus und eine klare Einsicht über die Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse, die dort hingehören, wo sie sind, einkehren. Ich freue mich, wenn sich die Bahn um das kümmert, was ihr Job ist, nämlich mithilfe der wieder eingeführten Bahncard 50 und der CitiTickets die vergraulten Kunden zurückzuholen. Die Nachricht von den CitiTickets - sie sind eine große Errungenschaft - gibt es seit gestern. Erfreulicherweise bleibt auch der Speisewagen. Das ist der richtige Weg für Innovation. Dafür sind wir gerne zu jeder Unterstützung bereit. Ich danke Ihnen. ({21})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Horst Friedrich, FDP-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister! Eigentlich wollte ich dem Kollegen Schmidt heute ein bisschen Ruhe gönnen, da er gerade erst von einer Krankheit genesen ist. Aber nach dem jetzigen Vortrag kann ich es ihm nicht ersparen, ihm ein paar Antworten zu geben. Herr Minister, ich will allerdings mit einem Gedanken anfangen, den Sie richtigerweise gebracht haben, nämlich mit den Auswirkungen des 11. September auf die Luftfahrt. Völlig zu Recht hat die Bundesregierung damals erklärt: Die Lufthansa muss im Hinblick auf die Gebühren so gestellt werden, dass sie keine Nachteile hat. Allerdings muss dann beachtet werden, dass in Deutschland an der Luftfahrt nicht nur die Lufthansa und andere Fluggesellschaften, sondern auch die Flugsicherung Horst Friedrich ({0}) beteiligt ist. Eine Flugsicherung, die bestimmte gesetzliche Vorgaben und eine entsprechende Kapitalausstattung erhält und der dann, wenn ihr Vollkostendeckung vorgeschrieben wird, politisch untersagt wird, genau diese Vollkostendeckung umzusetzen, muss dann ebenfalls die entsprechende Rückendeckung des Ministers und der Regierung erhalten. Da sehe ich bisher noch Defizite. Sie wissen, ich bin gerne bereit, über dieses Thema zu diskutieren, aber dann bitte richtig und mit allen am Flugverkehr Beteiligten. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Sehr verehrter Herr Minister, Sie haben heute hinsichtlich der Maut und dem Glauben an die Zusagen wie die Gebrüder Grimm angefangen. Um in der Diktion weiterzufahren, könnte man sagen: Es war einmal ein wunderschönes Märchen, ein Mautkompromiss von Bundestag und Bundesrat, ({1}) in dem es hieß, dass die Einnahmen aus der geplanten LKW-Maut dem Verkehrshaushalt zusätzlich zugeführt und in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur verwendet werden sollen. ({2}) - Überwiegend für den Straßenbau. Das kommt noch hinzu. Richtig, Herr Kollege Kalb. Diese frohe Kunde hat zunächst dafür gesorgt, dass das ganze Land begeistert jubelte. Doch mitten in diesen Jubel hinein trat der Finanzminister Hans der Glücklose. Er begann, in diesem Jubel zu zaubern. Er zauberte die Einnahmen aus der LKW-Maut aus seinem neuen Haushalt und seinem neuen Finanzplan so gründlich weg, dass hinterher für Verkehrsinvestitionen sogar noch weniger Geld als vorher in seinen alten Finanzplänen zur Verfügung stand. ({3}) So viel zum Märchen. ({4}) Jetzt fragen Sie, Herr Minister: Wer trägt denn dafür die Verantwortung, dass das alles nicht funktioniert? ({5}) - Ach, Herr Kollege Schmidt, Ihre Zwischenrufe sind auch nicht besser geworden. ({6}) Sie waren genauso wie ich bei den Mautverhandlungen dabei. Genau die von mir genannten Vereinbarungen haben wir in den Text aufgenommen. Der Unterschied zwischen uns ist nur, dass ich es damals schon nicht geglaubt habe. Deswegen haben wir nicht zugestimmt. ({7}) Kommen wir wieder zur Verantwortung des Ministers. Er ist der Ansicht, dass er den ersten Vertrag nicht unterschrieben hat. Das ist richtig. Wenn er allerdings den Vertrag übernimmt - wenigstens dazu steht er -, sollte man erwarten, dass er auch die Bedingungen liest. In dem Vertrag steht unter anderem, dass ab 16. Juni dieses Jahres ein zweimonatiger Probebetrieb hätte beginnen sollen. Er hat aber nicht stattgefunden. Er konnte nicht stattfinden, weil all die anderen Bedingungen, die dafür notwendig sind, noch nicht erfüllt waren. ({8}) Im Juli sagt dieser Minister noch immer, dass die Maut am 31. August eingeführt wird, und das wider besseres Wissen, weil er bereits Ende Juni vom Bundesamt für Güterverkehr schriftlich informiert wurde, das die Maut nie und nimmer zum 31. August eingeführt werden kann. Der Minister schreibt in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage von uns, zum 31. August seien vom Konsortium 150 000 so genannte On-Board-Units vertraglich fest zugesichert worden. Hervorragend! Aber wie kommen Sie, Herr Minister, zu der Annahme, dass es am 2. November mehr als die jetzt eingebauten sein sollen und dass am 2. November überhaupt 150 000 eingebaut sein werden? Nach dem heutigen Stand sind knapp 80 000 eingebaut. ({9}) Davon funktioniert, wenn man gutwillig ist, bestenfalls die Hälfte. Das ist eine sehr optimistische Annahme. Ich kenne Fälle aus der Praxis, wonach es noch viel schlimmer aussieht. Da sind Ausfallraten von 80, 90 und teilweise fast 100 Prozent zu verzeichnen. Das ist die Situation! Gleichzeitig sagt das Konsortium aber: Wenn die OnBoard-Units zu dem genannten Zeitpunkt nicht vorhanden sind, sorgen wir dafür, dass die Terminals installiert sind. Fehlanzeige, kann ich nur sagen. Keine Zusage des Konsortiums über eine bestimmte Zahl ist eingehalten worden. ({10}) Deswegen ist ein „Exportschlager“ zu einem Schlag ins Kontor geworden, bevor er überhaupt in den Export gehen konnte. Dann aber noch immer blauäugig zu glauben - das ist die politische Verantwortung, Herr Kollege Schmidt -, ({11}) Horst Friedrich ({12}) es würde irgendwann eine Zusage eingehalten, ist nicht hinnehmbar. Man glaubt, man könne dem Konsortium und der deutschen Industrie - das sind ja nicht irgendwelche Unternehmen, sondern dazu gehören DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom - nicht öffentlich sagen, dass sie das nicht hinbekommen. Dabei geht es im Übrigen auch um Aktienkurse und Aktienpflege. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Unternehmen können sich selbstverständlich alleine blamieren. Das wird sich in den Aktienkursen niederschlagen. Das Problem ist aber, dass wir politisch von dieser Zusage abhängig sind. Sie haben es aufgezeigt. ({13}) Am Jahresende werden die UMTS-Mittel wegfallen. Kein Mensch in diesem Haus glaubt hoffentlich, dass diese Mittel aus einem anderen Topf ersetzt werden können, wenn man sich die Haushaltszahlen insgesamt ansieht. Man geht schon von einer Neuverschuldung von 30,8 Milliarden Euro aus. Das ist deutlich mehr als die Investitionssumme. Und diese Zahl spiegelt noch Ihre positive Sicht der Dinge wider. Am Jahresende wird die Verschuldung noch höher sein. ({14}) Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage, wie die Verschiebung der Maut finanzpolitisch zu bewerten ist, ist bezeichnend. Es heißt, dass die Bundesregierung durch die Verschiebung für den Bundeshaushalt 2003 Einnahmeausfälle in Höhe von 163 Millionen Euro pro Monat erwarte. Wenn das am 2. November nicht funktioniert, dann beläuft sich am Jahresende die Summe der geplanten Einnahmen, die aber nicht erzielt wurden, auf rund 700 Millionen Euro. Dazu heißt es ganz lapidar: Dieser Einnahmeausfall wird durch Minderausgaben in den Jahren 2003 bis 2005 im Einzelplan 12 erwirtschaftet. Es ist nicht geplant, Infrastrukturvorhaben zu verschieben, Mittel aus dem Schienenbereich in den Straßenbereich umzuschichten oder die Kreditaufnahme zu erhöhen. So viel Blauäugigkeit, Herr Minister, ist schon fast strafbar. ({15}) Das kann doch nicht die Realität sein. Sie können doch nicht glauben, dass das in irgendeiner Form auf die Reihe zu bringen ist, es sei denn, Sie glauben tatsächlich daran, dass die von Ihnen gesetzte Prämisse für den Bundesverkehrswegeplan, dass die Bahn bis 2015 eine Steigerung im Güterverkehr um 100 Prozent erzielen könnte, eintritt. Das reicht erkennbar nicht aus, aber das scheint der einzige Strohhalm zu sein, an dem Sie sich festhalten. Sie glauben, dass ein Verkehrsträger, der bereits jetzt im Verhältnis zur Verkehrsleistung zehnmal höher gefördert wird als der Straßenverkehr, die Lösung der Probleme von Mitteln ist, die Sie durch die dilettantische Handhabung der ganzen Angelegenheit im Straßenbau nicht einnehmen und damit auch nicht ausgeben können. Deswegen finde ich es geradezu grotesk, wenn Sie bereits jetzt auf das so genannte A-Modell hinweisen. Sie haben angeblich große Verträge in Vorbereitung. Diese leben aber ausschließlich davon, dass die Maut eingeführt wird und die Einnahmen fließen. Sie treiben doch genau das gleiche Possenspiel wie Ihr Vorgänger Bodewig. Er hat bereits im Jahr 2000 den Beginn des Anti-Stau-Programms als unmittelbar bevorstehend verkündet, obwohl er genau wusste, dass er dafür die Mauteinnahmen braucht und die Zeitpläne, die er damals aufgestellt hat, nicht stimmten. In seiner Abschiedserklärung vom Juni 2002 hat er den 1. Januar 2003 genannt. Das war vollkommen illusorisch. Damals haben Sie noch an den Beginn zum 1. Juli 2003 geglaubt. Nun sind wir am Jahresende und ich sage Ihnen voraus, Herr Minister: Der 1. Januar 2004 ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland hoffe ich, dass Sie dieses Ziel erreichen. ({16}) Ich will mit einem Zitat von Ihnen schließen. Sie haben am Montag im Ausschuss gesagt, Sie seien gegenüber bestimmten Argumenten argwöhnisch wie eine alte Katze. Ich hoffe nur, dass Sie auch so viel Erfahrung wie eine alte Katze haben und erkennen, wann die Industrie Sie im Zusammenhang mit der Maut auf den Arm nimmt und wann Ihnen Herr Mehdorn als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn hinsichtlich seiner Börsen- oder Kapitalmarktfähigkeit Schalmeienklänge vorspielt, denen seine Leistungen erkennbar nicht gerecht werden. Ganz zu schweigen davon - das wird eine interessante Diskussion -, dass in der mittelfristigen Planung der Bahn jährlich 5 Milliarden Euro für verlorene Zuschüsse für den Investitionsausbau eingesetzt worden sind. Diese Zahl ist durch Ihren Haushalt erkennbar nicht gedeckt. Ich frage mich in diesem Zusammenhang, wer diese Mittel zugesagt hat und wie Sie die Differenz erklären wollen. Den aktuellen Zahlen Ihres Haushalts kann man nur entnehmen: Dieser Haushalt ist nicht zustimmungsfähig, weil er kein einziges Problem löst, aber jede Menge neue Probleme schafft. Danke sehr. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette Faße von der SPD-Fraktion.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Den Herren von CDU/CSU und FDP rate ich, die Kirche im Dorf zu lassen. Die LKW-Maut wirft im Einzelplan 12 zwar Schwierigkeiten auf, aber es liegt keine haushaltspolitische Katastrophe vor. ({0}) Vielmehr handelt es sich eindeutig um eine industriepolitische Blamage erster Ordnung. ({1}) Ich habe zwar ein bisschen Verständnis dafür, dass es für Opposition und Presse ein gefundenes Fressen ist, jede nicht funktionierende On Board Unit aufzugreifen und dem Minister die Schuld zu geben, wenn wieder etwas nicht geklappt hat, aber ich möchte Sie dennoch bitten, sich zunächst einmal auf die Fakten des Einzelplans 12 zu besinnen und die Verantwortung für die Mautmisere dort zu belassen, wo sie hingehört, nämlich bei der Industrie. ({2}) Zunächst zu den Fakten: Der Einzelplan 12 ist besser, als er hier dargestellt wird. ({3}) Mit knapp 26,5 Milliarden Euro ist er der drittgrößte Einzeletat. In diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es wichtig zu betonen, dass dieser Einzelplan der mit Abstand größte Investitionshaushalt des Bundes ist. Investitionen im Verkehrs- und Baubereich machen mehr als die Hälfte der gesamten Investitionsausgaben aus. Jeder weiß, welche Bedeutung die Verkehrsinvestitionen für den Standort Deutschland haben. 11,5 Milliarden Euro stehen dafür zur Verfügung. Ich möchte daran erinnern, dass es 1998 nur 9,5 Milliarden Euro waren. Das machte 25 Prozent der Gesamtinvestitionen aus. Heute sind wir bei einer Quote von 50 Prozent. Nicht vergessen werden darf, dass wir die niedrigeren Zahlen von Ihnen übernommen und daran gearbeitet haben, sie zu erhöhen. Wir werden im kommenden Jahr über einen neuen Bundesverkehrswegeplan und Ausbaugesetze für Straße und Schiene zu beschließen haben. Uns liegt ein glänzender Entwurf vor, der die Handschrift des Parlamentarischen Staatssekretärs Großmann trägt. Hut ab vor dieser schwierigen Arbeit und Dank an Achim Großmann! ({4}) Ich möchte nicht versäumen, Ihnen kundzutun, dass der Verkehrsausschuss des Bundesrates nicht eine Änderung mit Mehrheit beschlossen hat. Es muss also ein hervorragender Entwurf sein. ({5}) Jeder weiß um die Bedeutung eines jeden Projekts in seinem Wahlkreis und die Menschen vor Ort warten darauf, dass wir hier zukunftsweisende Entscheidungen fällen. Mit dem Haushalt 2004 und der mittelfristigen Finanzplanung schaffen wir Sicherheit. Die gewünschten Investitionen werden realisiert. Alle Wünsche und Träume können aber nicht erfüllt werden. Das wissen Sie ebenso gut wie wir. ({6}) Ein Ziel der rot-grünen Koalition ist erreicht, nämlich das Ziel, Investitionsmittel in gleicher Höhe für Schiene und Straße einzustellen. Die Investitionsmittel im Rahmen des GVFG und des Regionalisierungsgesetzes können in diesem Zusammenhang durchaus addiert werden. Es war klar, dass die heutige Diskussion hauptsächlich von der Debatte über die LKW-Maut geprägt wird. Ich sage dazu ganz deutlich: Die Industrie hat seit über einem Jahr die Regierung und auch uns in Sicherheit gewogen. ({7}) Es kamen aber immer mehr Proteste aus den Wahlkreisen. Die Speditionen haben uns schließlich darauf hingewiesen, dass sie den geplanten Start des Mautsystems am 31. August nicht für möglich halten. Ich erinnere mich noch gut daran, dass uns die Vertreter von Toll Collect in der Ausschusssitzung vom 7. Mai das Gegenteil versichert haben. Wir, aber auch Sie haben diese Aussage von Toll Collect ernst genommen. ({8}) Wir hätten vielleicht an dem einen oder anderen Punkt stutzig werden können, als die Sprache auf die technischen Voraussetzungen kam. Aber unser Vertrauen - das sage ich ganz bewusst - in unsere Weltkonzerne Daimler-Chrysler und Telekom war damals noch nicht so ramponiert wie heute. ({9}) - Lieber Herr Kalb, auch die Opposition hat sich ähnlich verhalten. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung hat gesagt, auch die CDU/CSU habe sich von der Industrie blenden lassen. Auch Sie haben in öffentlichen Erklärungen an der pünktlichen Mauteinführung festgehalten. Deswegen kann ich es überhaupt nicht ernst nehmen, wenn Sie heute so tun, als ob Sie schlauer gewesen wären. Ich finde es richtig, dass nach den Meldungen, die uns, aber auch das Ministerium zum Handeln gezwungen haben, die Reißleine gezogen worden ist. Es ist richtig gewesen, den ursprünglich am 31. August geplanten Start zu verschieben. Um es aber noch einmal ganz klar und deutlich zu sagen: Es war die Industrie, die uns getäuscht hat, nicht der Minister. ({10}) Wir werden im Laufe der Haushaltsberatungen zu überprüfen haben, welche Auswirkungen die Verschiebung der Mauteinführung haben wird. Wir wissen, dass sich die Einnahmeausfälle in diesem Jahr auf schätzungsweise 380 Millionen Euro summieren werden. Wir, die Koalitionsfraktionen, bestehen trotzdem darauf, dass die Projekte aus dem Anti-Stau-Programm ungeschmälert realisiert werden. Es wird nicht einfach sein, das durch die Einnahmeausfälle verursachte Minus, wie vereinbart, über drei Jahre auszugleichen. ({11}) Meine Herren Vorredner, es ist schon ein starkes Stück, dass Sie davon ausgegangen sind, dass die Regelungen betreffend die UMTS-Mittel weiter laufen würden. Sie haben sich offensichtlich nicht informiert und nicht zur Kenntnis genommen, dass damit 2003 Schluss sein wird. Es ist daher unglaublich, wenn Sie heute behaupten, es sei vereinbart worden, die fehlenden Mittel durch eine höhere Maut auszugleichen. Davon war nie die Rede. Sie werden mir nicht das Gegenteil beweisen können. Hier ist auch die Glaubwürdigkeit der Opposition gefragt. Lassen Sie mich noch einige Ausführungen zum Harmonisierungsbeitrag des deutschen Transportgewerbes machen. Wir wollten von Anfang an einen Mautsatz von 15 Cent pro Kilometer. Aus den Mauteinnahmen wollten wir das gesamte Harmonisierungspaket im Umfang von zunächst 300 Millionen Euro - später 600 Millionen Euro - finanzieren. Im Bundesrat haben Sie dafür gesorgt, dass es nun eine andere Regelung gibt. Der anfängliche Mautsatz liegt nun bei 12,4 Cent pro Kilometer und wird - je nachdem welche Fortschritte die Harmonisierung macht - auf 15 Cent angehoben. Jede einzelne Maßnahme ist aber abhängig von dem Votum der EU. Ich sage deshalb ganz deutlich: Sie glauben doch wohl nicht, dass wir automatisch eine Erhöhung der Maut auf 15 Cent auf der EU-Ebene durchsetzen können, wenn wir in Deutschland die LKW-Kfz-Steuer auf das europäische Minimum senken. Man kann diese Entwicklung heute betrauern. Aber das allein reicht nicht aus. Frau de Palacio ist Ihre Parteifreundin, meine Damen und Herren. ({12}) Also reden Sie mit ihr, gehen Sie in die Offensive und nutzen Sie Ihre Kontakte innerhalb der Partei, damit sie uns nicht weiter Steine in den Weg legt. ({13}) Wir verfolgen mit der Einführung der Maut ein europäisches Ziel und Deutschland soll weiter eine Vorreiterrolle spielen. Wir werden uns im Ausschuss auch noch darüber zu unterhalten haben, wie wir mit weiteren Themen umgehen. Ich führe das jetzt nur noch schlagwortartig aus. Wir werden sicherlich über die Frage der Finanzierung des Metrorapids zu diskutieren haben. ({14}) Ich freue mich, dass wir das Versprechen beim maritimen Bündnis gehalten und ein eindeutiges Zeichen für die Seeschifffahrt in Deutschland gesetzt haben. Meine Damen und Herren, Sie unterstellen heute einen Vertragsinhalt, den wir alle im Detail nicht kennen, Sie nicht und wir nicht. ({15}) Ich halte es auch nach der Diskussion von heute Morgen für sehr gut, dass der Minister angeboten hat, eine Offenlegung im gesetzlich möglichen Rahmen für uns und die Opposition zu ermöglichen. Das ist der richtige Weg. Hier gibt es nichts zu verdecken und nichts zu verstecken. Es gibt keinen regulierungsfreien Zeitraum und es geht eindeutig um Vertragsstrafen und um Schadensersatz. ({16}) Ein Tohuwabohu hat es weder auf den Straßen gegeben, noch gibt es das im Ministerium. Danke schön. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Eduard Oswald von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Optimismus, den die rot-grüne Koalition zu verbreiten versucht, steht im Gegensatz ({0}) zu den Sorgen, die die Menschen in unserem Land umtreiben. ({1}) Die katastrophale Lage in der Bauwirtschaft, die Schwierigkeiten im Wohnungswesen und die Probleme in nahezu allen Verkehrsbereichen machen deutlich, wohin uns fünf Jahre Rot-Grün in Deutschland gebracht haben. ({2}) Ihr Arbeitsmotto lautet: Statt gestalten allenfalls verwalten. ({3}) Gestalten wollten Sie bei der LKW-Maut, sie sollte Ihre große Erfolgsstory werden. Zwei Tage vor der Bundestagswahl wurde noch schnell der Vertrag unterschrieben: erst hopp, hopp!, jetzt flopp, flopp! ({4}) Das, was Sie hier darstellen, mag allenfalls zu Ihrer inneren Beruhigung beitragen, aber es löst die drängenden Probleme in Deutschland nicht. Die Schwachpunkte Ihrer Politik im Bau- und Wohnungswesen und im Verkehrsbereich sind unübersehbar. Abermals ist die Investitionsquote im Bundeshaushalt insgesamt weiter abgerutscht. ({5}) 1998 waren es noch 12,5 Prozent, jetzt liegt sie unter 10 Prozent. ({6}) Die Bauindustrie befindet sich in ihrer schwersten Krise. Die Anzahl der Insolvenzen nimmt zu, mit der Folge weiter steigender Arbeitslosigkeit. Die deutsche Bauindustrie sieht die deutsche Bauwirtschaft im schwärzesten Jahr der Nachkriegsgeschichte. ({7}) Der Wohnungsbau bricht als tragende Säule der Bauwirtschaft weg. Schuld daran sind die Investitionshemmnisse, die vor allem den Mietwohnungsbau zum Erliegen bringen. Die Angebotsverknappung in weiten Teilen unseres Landes führt zu steigenden Mietkosten; Leidtragende sind die Familien mit Kindern, die preiswerten Wohnraum brauchen, ihn aber immer weniger bekommen. ({8}) - Wer solche Zwischenrufe macht, kennt sich in Deutschland nicht aus. ({9}) Mit dem Verwirrspiel um die Wohnungsbauprämie und die Eigenheimzulage verunsichern Sie die Immobilienbranche und die Bauwilligen. Wer die Eigenheimzulage infrage stellt, verschärft den negativen Trend in der Baubranche und gefährdet Arbeitsplätze. ({10}) Nicht nur der Wohnungsbau, sondern auch der Neuund Ausbau der Bundesverkehrswege geraten durch Ihre Politik immer mehr ins Stocken. Die Einnahmen aus der LKW-Maut - dazu ist heute schon viel gesagt worden -, die für die Verkehrsinfrastruktur zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollten, haben Sie im Haushalt regelrecht untergegraben. 2004 - wir gehen davon aus, dass die Mauterhebung dann wirklich beginnt - wird mit Mauteinnahmen in Höhe von 2,8 Milliarden Euro gerechnet. Nach Abzug der Systemkosten von 700 Millionen Euro - es soll auch einmal gesagt werden, was das System kostet - stehen 2,1 Milliarden Euro zweckgebunden für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung. Dies war im Übrigen eine der Bedingungen der Bundesländer, der LKW-Maut zuzustimmen. Es fließen zwar 1,06 Milliarden Euro in den Bundesfernstraßenbau; jedoch hat die Bundesregierung im Gegenzug - auch dies muss einmal dargestellt werden den allgemeinen Haushaltsansatz für die Bundesfernstraßen um 724 Millionen Euro gegenüber dem Soll 2003 gekürzt. ({11}) Das halte ich für unseriös. Sie wissen ganz genau, dass die Zustimmung zu dem ganzen Mautpaket von der verbindlichen Zusage, die Mauteinnahmen abzüglich der System- und Kontrollkosten für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zusätzlich zur Verfügung zu stellen, abhängig gemacht worden ist. Ihre verbindlichen Aussagen jetzt für unverbindlich zu erklären, ist eigentlich nicht hinnehmbar. ({12}) Wir alle wissen: Der Autofahrer in unserem Lande bezahlt beim Tanken 71 Cent Steuern je Euro. Alles in allem fließen von den Abgaben der Autofahrer jährlich 51 Milliarden Euro in die verschiedenen Staatshaushalte und nur ein Drittel dieser Summe, rund 16 Milliarden Euro, wird Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zugeleitet. ({13}) Diese Zahl muss ebenfalls einmal - auch draußen - diskutiert werden. ({14}) Statt die Verkehrsinfrastruktur - auch mithilfe zusätzlicher Mauteinnahmen - auszubauen, gehen Sie einen anderen Weg. Die Tatsache, dass die Ausgabenquote für den Erhalt der bestehenden Infrastruktur im Bundesfernstraßenhaushalt über jener für den reinen Neubau liegt, ist doch eigentlich bedenklich. Ein Viertel des Autobahnnetzes in Deutschland gilt schon heute als Engpass. Über 200 Streckenkilometer sind so stark belastet, dass es täglich zu großen Staus kommt. Täglich verursachen Staus in Deutschland 30 Millionen Liter mehr Verbrauch an Kraftstoff und entsprechend zusätzliche Emissionen. Wenn Engpässe durch Investitionen beseitigt werden, dann bedeutet dies einen ökologischen Nutzen. Deswegen brauchen wir Investitionen in Deutschland. ({15}) Der heute bereits bestehende Fehlbedarf an Investitionsmitteln von mindestens 2 Milliarden Euro pro Jahr wird von Ihnen fortgeschrieben. Wenn sich an diesen Finanzierungsansätzen nichts ändert, bleibt der Stau in Deutschland vorprogrammiert. Sie verwalten, statt zu gestalten. Der LKW - das kann nicht oft genug gesagt werden ist für das Wirtschaftsleben unverzichtbar, um Warenströme flexibel und bedarfsgerecht flächendeckend zu verteilen. Gerade deshalb wäre es notwendig gewesen, dass Sie für das deutsche mittelständische Transportgewerbe faire Bedingungen in Europa erstreiten. Ich sage Ihnen: Auf Deutschlands Straßen wird immer gefahren; aber ich möchte, dass eine Chance auch für das deutsche Transportgewerbe - damit für die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland - im europäischen Wettbewerb besteht. ({16}) Wenn ich Ihnen sage, dass schon heute nur noch 25 Prozent der Transporte von oder nach Deutschland von deutschen Spediteuren gefahren werden, dann sollte uns das allen zu denken geben. Die Deutsche Bahn hat Umsatzeinbußen und einen Rückgang im Personenfernverkehr präsentiert. Hoffen wir, dass das korrigierte Preissystem für die Bahn wieder Akzeptanz schafft! ({17}) Ich sage aber eines: So wie das Image der Bahn nicht von den Werbeagenturen, sondern ausschließlich von der Zufriedenheit ihrer Kunden geprägt wird, so ist die Bundesregierung für die politischen Rahmenbedingungen für die Bahn verantwortlich. ({18}) Nun stelle ich die Frage: Wo bleibt Ihr Schienenverkehrskonzept? Wir wollen, dass die Bahnreform von 1994 ein Erfolg wird. Dazu bedarf es einer ehrlichen und offenen Bestandsaufnahme. Nicht nur der Bahnchef muss eine solche vorlegen, ({19}) sondern auch die Bundesregierung muss ihre Vorstellungen zur Zukunft der Bahn äußern. ({20}) Deshalb brauchen wir aus Anlass von zehn Jahren Bahnreform eine ausführliche Debatte hier im Bundestag. ({21}) Die Situation im Baugewerbe ist erschütternd. Für mich ist bedrückend, wie wenig Betroffenheit die Lage am Bau in Ihren Reihen auslöst. ({22}) Es geht um Betroffenheit nicht nur über den Zustand einer Branche, sondern auch über den Zustand eines Landes, in dem das Wegbrechen von Bauinvestitionen offensichtlich Ursache eines spürbar sinkenden Lebensstandards ist. Ohne Bau gibt es kein Wachstum. ({23}) Das muss man begreifen. Dabei geht es nicht um Subventionen. Ziel muss eine Politik sein, die Deutschland als Investitionsstandort begreift. ({24}) Ohne eine nachhaltige Wende in der Investitionspolitik kommen wir aus dieser Situation nicht heraus. Wir alle miteinander müssen begreifen: Investitionen sind wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Initialzündungen. Jeder Euro, der in Investitionen fließt, zahlt sich mehrfach aus. Bauinvestitionen finanzieren sich zu zwei Dritteln selbst: über Steuermehreinnahmen, höhere Sozialversicherungsbeiträge und sinkende Arbeitslosenunterstützung. Diese Zusammenhänge muss man begreifen. ({25}) Ganz bestimmt sind wir uns darüber einig, dass die Qualität des Standorts Deutschland entscheidend von der Qualität seiner Verkehrsinfrastruktur abhängt. Dabei kommt dem Austausch mit den Mitgliedstaaten der EU besondere Bedeutung zu. Hier liegen die mit Abstand bedeutendsten Absatzmärkte der deutschen Exportwirtschaft. Hinzu kommt jetzt die Verkehrsanbindung der Beitrittsstaaten. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, dass die bestmöglichen Verbindungen, Straße und Schiene, zu den Beitrittsländern zustande kommen. Da müssen wir alle miteinander nachbessern. Helfen Sie mit! Hier muss etwas getan werden. Sonst stehen wir dort in Zukunft im Stau. ({26}) Wir brauchen jeden unserer Verkehrsträger. Dabei muss die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger - ob es um die Anbindung von Straße und Schiene an die Flughäfen oder an die Wasserstraßen und Häfen geht - einer der Schwerpunkte sein. Ich bedauere sehr, dass auch in diesem Jahr noch kein Wasserstraßenausbaugesetz vorgelegt worden ist. In einem weiteren Bereich müssen Sie nacharbeiten. Sie müssen auch Verantwortung für die bundesweite Rahmenplanung im Bereich der Flughäfen übernehmen. Wir brauchen eine klare Aussage zur Kapazitätsentwicklung der deutschen Flughäfen. Bei den Maßnahmen zum bedarfsgerechten Ausbau der Luftverkehrsinfrastruktur müssen Sie Farbe bekennen. ({27}) Die Diskussion um den zukünftigen Flughafen der Bundeshauptstadt Berlin ist bezeichnend. Was sich hier in Berlin abspielt, zeugt nicht gerade davon, dass man eine Vision für den Standort Deutschland hat. ({28}) Herr Bundesminister, zumindest den Transrapid zwischen dem Münchner Flughafen und Hauptbahnhof in München könnten wir realisieren. Ich begrüße nachdrücklich Ihre Bereitschaft, Herr Minister Stolpe, den Bundeszuschuss für den Transrapid zu erhöhen. Dabei würden endlich die Benachteiligung Bayerns bei der Förderung des Transrapid ausgeglichen und die Voraussetzungen für ein stimmiges Finanzierungskonzept geschaffen. ({29}) Herr Bundesminister Stolpe, wenn Sie in Bayern Probleme mit Landes- und oder Kommunalpolitikern von Rot-Grün haben, kann ich Ihnen einen guten Rat geben: Halten Sie sich an die CSU! Da liegen Sie goldrichtig. ({30}) Die Bahn braucht verlässliche Perspektiven und faire Wettbewerbsbedingungen. Wir brauchen Planungssicherheit für die Bundesschienenwege, damit das bestehende Netz auf ein leistungsfähiges Niveau gebracht werden kann und mehr Kapazität auf der Schiene erreicht werden kann. Sie müssen aber auch dafür sorgen, dass die deutschen Bahnen im europäischen Wettbewerb nicht weiter benachteiligt werden. Keine andere Bahn in Europa wird mit dem vollen Mineralölsteuersatz belastet. Einzig und allein der deutsche Schienentransport zahlt eine so hohe Mineralölsteuer wie die LKWs. Hinzu kommt die Belastung der deutschen Eisenbahn durch die Ökosteuer in Höhe von 400 Millionen Euro jährlich. Allein die fiskalische Mehrbelastung der DB AG gegenüber der europäischen Konkurrenz liegt bereits bei deutlich über 1 Milliarde Euro. Also: Gestalten und nicht verwalten! ({31}) Schaffen Sie im Haushaltsausschuss - Sie haben jetzt Zeit, auch wir werden uns in unserem Ausschuss intensiv damit beschäftigen - die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen, damit im Bereich Verkehr und Bau Zukunftschancen eröffnet werden. Geben Sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland - um nichts anderes geht es bei Verkehr, Bau und Wohnungswesen - die notwendigen Impulse, blockieren Sie nicht weiter die Investitionen, die wir für unser Land dringend brauchen. Wir werden, wenn die Richtung stimmt, ganz konstruktiv mitarbeiten, denn es geht um die Infrastruktur, die wir alle gemeinsam in unserem Land brauchen. Vielen Dank. ({32})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes doch ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen Oswald. ({0}) Ich hatte Frau Merkel, Herrn Merz, Herrn Austermann und viele andere in der Haushaltsdebatte bisher so verstanden, dass sie die Bundesregierung und die Koalition aufgefordert haben, mehr Geld einzusparen. ({1}) Von Ihnen und von Herrn Lippold habe ich wieder die Forderung nach mehr Geld gehört. Spätestens nach dem 21. September müssen Sie sich endlich entscheiden, ob Sie mehr Geld ausgeben oder mehr Sparleistungen erbringen wollen. ({2}) Ich behaupte, nur mit mehr Sparleistungen werden wir der Zukunft gerecht. Erst dann, wenn Bund, Länder und Kommunen wieder handlungsfähig sind, also nicht mehr an ihren Schulden ersticken, werden wir wieder eine starke Wirtschaft und Wachstum haben. Ich glaube, dass da ein innerer Zusammenhang besteht. Ich will mich jetzt aber mit einem anderen Thema beschäftigen und auch nicht auf die Mautdebatte eingehen. Ich wende mich der Eigenheimzulage zu. Es geht ja hier um das Ressort für Verkehr, Bau und Wohnungswesen. Zunächst stelle ich fest: Die Eigenheimzulage bedeutet 10,3 Milliarden weniger Steuereinnahmen; das betrifft Bund, Länder und Kommunen gemeinsam, davon entfallen nämlich 4,4 Milliarden auf den Bund, 4,4 Milliarden auf die Länder und 1,5 Milliarden auf die Kommunen. Auf allen drei Ebenen sind Einsparungen dringend nötig. Wenn man über die Gemeindefinanzen redet, ist nicht nur die Gestaltung der Gewerbesteuer ein Thema, sondern es muss dann auch darum gehen, wie wir mit dieser Zulage, diesen Subventionen umgehen. ({3}) In Zeiten, wo wir den Arbeitslosen so deutlich in die Tasche greifen, wo die Versicherten für Zahnersatz und andere Gesundheitskosten extra bezahlen müssen, wo die Maastricht-Kriterien wanken, können wir nicht ständig so tun, als könnten wir Subventionen, die der privaten Vermögens- und Eigentumsbildung dienen, so wie bisher aufrechterhalten. ({4}) Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber all denen, denen zurzeit sehr schmerzliche Kürzungen zugemutet werden und für die die Frage der Eigentumsbildung nicht jetzt und erst recht nicht in Zukunft ein Thema sein wird. ({5}) Insofern halte ich das Konzept, was sich die Regierung, nachdem Sie das Steuervergünstigungsabbaugesetz und die darin enthaltene Reform der Eigenheimzulage abgelehnt haben - bis heute haben Sie es ja nicht für nötig gehalten, Alternativvorschläge zu unterbreiten -, nun ausgedacht hat, angesichts der Haushaltslage und auch angesichts unserer städtebaulichen und sozialen Situation in den Städten und Regionen für sehr sinnvoll. So soll die Eigenheimzulage vollständig auslaufen und 25 Prozent der eingesparten Gelder sollen einer aktiven Förderung der Innenstädte und der Eigentumsbildung von Familien in den Innenstädten zugute kommen. Ich will Ihnen ein paar Begründungen dafür nennen, die sich nicht in dem Argument des Geldbedarfs erschöpfen: Erstens. Die Eigenheimzulage fördert am Bedarf vorbei. ({6}) Es handelt sich um eine Gießkannenförderung, die nicht mehr zeitgemäß ist. Sie ist auch im Bestand nicht mehr zeitgemäß. Es handelt sich überwiegend um reinen Kauferwerb; dadurch werden die Preise hochgetrieben, es werden keine Investitionen gefördert. Hinzu kommt, dass angesichts des demographischen Wandels die Häuser, die wir heute fördern, in 20 bis 30 Jahren an vielen Stellen nicht mehr veräußerbar sein werden. Auch darüber muss man nachdenken. Zweitens. Die Eigenheimförderung ist eine Zersiedlungszulage, die zulasten der Kernstädte und Innenbereiche unserer Städte geht. Das kostet die Kommunen Infrastrukturmaßnahmen in enormen Maße. Das ist etwas, was wir uns angesichts der kommunalen Finanzen nicht mehr leisten können. Drittens. Die Eigenheimzulage ist sozial unausgewogen. Es ist nachgerechnet worden, dass über 50 Prozent der Haushalte, die die Eigenheimzulage in Anspruch nehmen, zu den 20 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen gehören und dass kaum Schwellenhaushalte dabei sind, weil die sich das überhaupt nicht leisten können. ({7}) Letzter Punkt: Die Eigenheimzulage löst eine Reihe von Mitnahmeeffekten aus. Bei all diesen inhaltlichen Argumenten geht es nicht gegen die Bauwirtschaft. Wir haben sehr viel für die Bauwirtschaft getan: Energieeinsparmaßnahmen, Förderung von Wohnungsmodernisierung für Selbstnutzer ebenso wie im Mietwohnungsbau. Das sind die richtigen Maßnahmen. Sie sind inhaltlich treffsicher und kosten eine knappe, schlanke Förderung. Zudem ist die öffentliche Hand auch praktisch in der Lage, das zu steuern. Das ist richtig; das nützt der Bauwirtschaft und gleichzeitig der Umwelt. ({8}) Insofern möchte ich ganz konkret dafür werben, beim Thema Eigenheimzulage nicht länger eine ideologische Debatte zu führen. Die gehört in eine alte Bundesrepublik, in der man sich das Verteilen von Geld noch leisten konnte. Heute sind wir in einer anderen Situation. Werfen Sie Ihre Ideologie über die Schulter und machen Sie mit! Unterstützen Sie die Städtebauförderung, den Stadtumbau Ost wie West und die Stärkung der Innenstadtquartiere, wie wir sie auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen mit der 25-Prozent-Regelung planen. Es wäre wirklich toll, wenn wir uns darauf in diesem Winter einigen würden. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Königshofen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Am 5. Dezember haben Sie, Herr Minister Dr. Stolpe, bei der Beratung des Haushalts 2003 eine zukunftsorientierte Investitionspolitik im Verkehr, Bau- und Wohnungswesen angekündigt. Heute, neun Monate später, kommen uns Ihre Ankündigungen wie Worte aus einer fernen Epoche vor. Heute kann von einer zukunftsorientierten Investitionspolitik kaum noch die Rede sein. So sind die Ansätze für Investitionen in die Wasser-, Straßen- und Schienenwegeinfrastruktur, die aus den klassischen Finanzmitteln, nämlich letztlich aus Steuern finanziert werden, von rund 9,6 Milliarden Euro auf rund 7,4 Milliarden Euro, also um 2,2 Milliarden Euro, gekürzt worden. ({0}) Das ist eine Kürzung um 22,9 Prozent, also um mehr als ein Fünftel. Mit den Einnahmen aus der Maut versuchen Sie, Herr Minister, diese Kürzung zu kaschieren. Aber selbst wenn man die Mittel aus der Maut hinzurechnet, Herr Schmidt, werden die Investitionen für 2004 sinken, und zwar um genau 111 Millionen Euro. Sie, Herr Minister, und ich wissen wie wir alle, dass die Einnahmen aus der Maut nicht dazu gedacht sind, die Kürzungen bei den steuerfinanzierten Verkehrsinfrastrukturinvestitionen zu kompensieren. Die Einnahmen aus der Maut sollen nach dem Mautgesetz, das ja geändert worden ist, zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur mobilisieren. So ist es im Vermittlungsausschuss am 21. Mai 2003 gemeinsam beschlossen worden. Sie tun nun zweierlei, Herr Minister: Zum einen kürzen Sie radikal bei den steuerfinanzierten Verkehrsinvestitionen und zum anderen brechen Sie die Vereinbarung, die im Vermittlungsausschuss getroffen wurde. ({1}) Weniger Investitionen, gebrochene Vereinbarungen. ({2}) Herr Minister, das ist keine tragfähige Grundlage für eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik. Wenn ich vorher den Betrag kürze, kann ich natürlich die kompletten Mauteinnahmen einsetzen. ({3}) - Ja, sicher. Wir haben gesagt: Die gesamten Mauteinnahmen sollen hinzukommen. Aber der Ansatz darf vorher nicht gekürzt werden. Sie kürzen zunächst, tun dann die Maut dazu und sagen: Wir haben ja alles erfüllt. Dabei haben Sie nur das eine durch das andere ersetzt. Das war nicht unsere Absicht. Das war auch nicht gemäß der Vereinbarung, die getroffen worden ist. Die Mauteinführung hatte ja insgesamt zum Ziel, zusätzliche Gelder zu mobilisieren. Das setzen Sie nicht um. ({4}) - Richtig, das steht in § 11 des Mautgesetzes. Dieses Verhalten wird Langzeitwirkung haben. Es schadet nämlich weiteren Reformvorhaben. Der sicherlich vernünftige Schritt hin zu einer Nutzerfinanzierung wird dadurch diskreditiert. Die Autofahrer zahlen jährlich über Sonderabgaben - Herr Oswald hat darauf hingewiesen - rund 51 Milliarden Euro, von denen bisher nur ein Bruchteil für den Bau und den Unterhalt von Straßen ausgegeben wird. Wenn diese Mittel, weil mit der Maut eine neue Finanzierungsquelle erschlossen wurde, sogar gekürzt werden, dann verlieren die Bürger das Vertrauen in die Politik. Das deutsche Güterkraftgewerbe - immerhin Arbeitgeber von 400 000 Menschen - hat sein Vertrauen in die Verkehrspolitik der rot-grünen Bundesregierung ohnehin schon lange verloren. Als Ausgleich für internationale Wettbewerbsverzerrungen sind dem deutschen Güterkraftgewerbe unter dem Stichwort „Harmonisierung“ 600 Millionen Euro pro Jahr - so der Beschluss des Vermittlungsausschusses - zugesagt worden. Sie haben Recht, Sie wollten nur 300 Millionen Euro. Wir wollten 600 Millionen. ({5}) Aber die Intention war auf beiden Seiten gleich: Kompensation für die Wettbewerbsverzerrungen, die wir in Europa vorfinden. Dann kamen Sie, Herr Minister, aus Brüssel zurück und verkündeten, dass die Kommissarin de Palacio diese Harmonisierung verbietet. ({6}) - Sie wollten 300 Millionen. Die haben Sie nicht bekommen. Ob Sie 600 Millionen oder 300 Millionen nicht bekommen, Herr Schmidt, ist doch egal. ({7}) Entscheidend ist, dass wir eine Kompensation zugesagt haben, die dem Gewerbe jetzt nicht gegeben wird. ({8}) Wir müssen fragen, wie sorgfältig diese Entscheidung vorbereitet worden ist und wie sehr man sich um eine europäische Zustimmung zu dieser Kompensation gekümmert hat. Wir befürchten, dass Sie sich zu spät darum gekümmert haben. Auch wenn wir jetzt die Maut auf 12,4 Cent pro Autobahnkilometer gekürzt haben, haben ja auch die ausländischen Wettbewerber etwas davon. Das ist kein Vorteil für das deutsche Gewerbe. ({9}) Das deutsche Gewerbe hat nur dann einen Vorteil, wenn es in Deutschland besser gestellt wird als die ausländischen LKW-Fahrer, die seit geraumer Zeit von ihren naNorbert Königshofen tionalen Parlamenten besser gestellt worden sind. Das kann uns nicht gleichgültig sein. ({10}) Was sagt der Bundeskanzler dazu? Herr Schröder lässt sich im „Tagesspiegel“ vom 25. August dieses Jahres wie folgt zitieren: „Und wenn sie“ - er meint die Kommissarin de Palacio - „negativ votiert, gibt es gar nichts.“ Gemeint ist hier das Güterkraftgewerbe. ({11}) Offensichtlich sind 100 000 bedrohte Arbeitsplätze für den Bundeskanzler eine zu vernachlässigende Größe. Herr Minister, bis vor kurzem war auch der Metrorapid Teil Ihrer zukunftsorientierten Investitionspolitik. Jetzt ist er im Bermudadreieck rot-grüner Schachereien verschwunden. ({12}) Natürlich war der Metrorapid im Ruhrgebiet von vornherein eine Fehlplanung; denn er wäre dort verkehrspolitisch unsinnig gewesen. Aber deswegen haben Sie ihn nicht fallen gelassen. Sie haben ihn fallen gelassen, weil er dem Koalitionsfrieden in Düsseldorf im Wege stand. ({13}) Zu Ihrer Auffassung von einer zukunftsorientierten Investitionspolitik passt auch, dass Sie die Mittel für die praktische Erprobung der Magnetschwebebahntechnik radikal gekürzt haben, und zwar im Vergleich zu 2003 um sage und schreibe 43,1 Prozent. Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie in Deutschland wirklich eine Referenzstrecke haben wollen, dann dürfen Sie das Geld für die praktische Erprobung nicht radikal zusammenstreichen. Bei der Diskussion um die Anwendung der Magnetschwebebahntechnik hat Herr Mehdorn, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, wieder einmal wie bei der Strecke Hamburg-Berlin eine unrühmliche Rolle gespielt. Dabei hätte Herr Mehdorn guten Grund, sich auf das ihm anvertraute Unternehmen zu konzentrieren. Im letzten Jahr machte die Deutsche Bahn AG 493 Millionen Euro Verlust. Das Güterverkehrsaufkommen sank um 3 Prozent, während das Personenverkehrsaufkommen sogar um 6,2 Prozent schrumpfte. Die Preisreform entpuppte sich als Megaflop. Die Schulden des Konzerns stiegen zwischen Ende 1994 und Ende 2002 von 6,1 Milliarden Euro auf 24,5 Milliarden Euro. Seit der Bahnreform vor zehn Jahren hat der Bund bereits 94 Milliarden Euro in den Konzern gesteckt. Im Klartext: Die Deutsche Bahn AG ist ein Sanierungsfall. Wer glaubt, die Deutsche Bahn AG könne 2005 börsenreif sein, verwechselt Wunschdenken mit Realität. Das hat unser Sprecher, Dirk Fischer, am 7. August dieses Jahres in der „Financial Times Deutschland“ bereits überzeugend nachgewiesen. ({14}) - Ja, Sie würden sich freuen, wenn Sie da einmal zitiert würden, Herr Kollege, und sei es auch nur als Fußnote. Deshalb ist auch die im Vorgriff auf den Börsengang eingerichtete Abteilung „Investor Relations“ überflüssig; der Bund wird nämlich auf absehbare Zeit Alleineigentümer und damit auch alleiniger Investor bleiben. Will man einen echten Wettbewerb auf der Schiene erreichen, muss das Großkombinat Deutsche Bahn aufgespalten werden. Nur durch eine konsequente Trennung von Netz und Betrieb lässt sich echter Wettbewerb auf der Schiene zwischen verschiedenen Gesellschaften herstellen. ({15}) Ich bin fest davon überzeugt, dass uns nur ein personeller Wechsel an der Spitze der DB AG weiterhilft. Sonst wird uns die Bahn weiterhin Ärger und Sorge bereiten. Aber anstatt Herrn Mehdorn zu feuern, lassen Sie die Sache treiben. Das ist nicht die Politik, die wir uns für die Bahn AG wünschen. Wie sieht die zukunftsorientierte Politik der Bundesregierung im Wohnungswesen und im Städtebau aus? Laut Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes will RotGrün die Eigenheimzulage abschaffen. Das hätte gravierende Folgen für den Arbeitsmarkt, wie vorhin schon angesprochen wurde. Noch mehr Arbeitsplätze würden verloren gehen, als ohnehin schon verloren gegangen sind, und das, obwohl wir bereits unter Massenarbeitslosigkeit leiden. Darüber hinaus würde die Abschaffung der Eigenheimzulage dazu führen, dass sich normal verdienende Familien kein Eigenheim mehr leisten könnten. Dabei waren wir uns doch einig, dass gerade dieser Bevölkerungsgruppe geholfen werden müsse, Wohneigentum zu erwerben. ({16}) In Deutschland haben 41,5 Prozent der Bevölkerung Wohneigentum, in Frankreich 56,2 Prozent, in Großbritannien 69,7 Prozent, in Spanien sogar 86 Prozent. Selbst das 40 Jahre kommunistisch regierte Polen kommt auf eine Wohneigentumsrate von 74,9 Prozent. ({17}) Über Änderungen des Gesetzes lassen wir mit uns reden, aber einem generellen Kahlschlag bei der Eigenheimzulage werden wir im Bundesrat nicht zustimmen. ({18}) Herr Minister, Sie haben während der Beratungen eine zukunftsorientierte Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik angekündigt. Wir stellen fest, dass Ihren Worten leider keine Taten folgen. Wer zukunftsorientierte Politik betreiben will, darf die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur nicht kürzen, darf die Maut nicht anstatt, sondern muss sie zusätzlich zu den bisherigen Finanzmitteln einplanen. Wer zukunftsorientierte Politik betreiben will, muss seine Hausaufgaben machen, bevor er - wie Sie in Brüssel vorstellig wird; anderenfalls fällt er dort auf die Nase. ({19}) Wir halten Ihre Politik nicht für zukunftsorientiert. Die Einschränkungen im Haushalt schaden dem Standort Deutschland. Bei Ihrer Politik haben die Menschen in Deutschland nach unserer Auffassung keine Aussicht auf eine bessere Zukunft. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich hat nun der Kollege Wolfgang Spanier von der SPD-Fraktion das Wort.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen, die ich an Sie richten möchte, Herr Oswald. Ich schätze Sie als Ausschussvorsitzenden sehr. ({0}) Aber als Redner hier im Bundestag werfen Sie uns Optimismus vor. Glauben Sie denn allen Ernstes, dass wir unser Land voranbringen, wenn wir uns - wie Sie und viele andere Redner der Opposition in Pessimismus und Schwarzmalerei geradezu suhlen? Glauben Sie, dass uns das voranbringt? ({1}) Es ist hochinteressant, von Ihnen als langjährigem Wohnungspolitiker zu hören, die Krise der Bauwirtschaft, die ernst und schlimm genug ist, sei im Wesentlichen durch Investitionshemmnisse im Mietwohnungsbau verursacht. Mein lieber Herr Oswald, das sagen Sie in einer Stadt, in der 140 000 Wohnungen leer stehen. Wir können gern Hand in Hand durch die Städte in diesem Land gehen, um die Wirklichkeit wahrzunehmen. Wir werden überall das Gleiche feststellen, nämlich wachsende Leerstände. - Angesichts dessen zu sagen, Investitionshemmnisse beim Mietwohnungsbau seien die wesentliche Ursache für die Krise der Bauwirtschaft, ist nun völlig daneben. ({2}) Es ist richtig: Bei diesem Haushalt und auch beim Einzelplan 12 haben wir ganz besondere Unwägbarkeiten. Aber die wesentliche Ursache für diese Unwägbarkeiten ist Ihre Unberechenbarkeit, weil Sie wesentliche politische Entscheidungen offensichtlich verschleppen. ({3}) - Wer regiert? Sie regieren über den Bundesrat mit, wenn es um Steuerfragen geht. Sie regieren über den Bundesrat mit, wenn es um die Eigenheimzulage geht. Aber dazu sagen Sie hier kein Wort. ({4}) Im Gegenteil, Sie geben Ihre Mitverantwortung an die Herren Stoiber und Koch ab, so als hätten Sie als Unionsbundestagsfraktion hier überhaupt nicht mehr mitzureden. Ich habe von Ihnen zum Beispiel kein konkretes Wort zum Thema Eigenheimzulage gehört. Das überlassen Sie offensichtlich Herrn Stoiber und Herrn Koch. Das ist ein Stück weit eigene Entmündigung von politischem Handeln. ({5}) Wir müssen gerade über den Einzelplan 12 einen Beitrag leisten, um aus der schon zu lange anhaltenden Situation mangelnden Wirtschaftswachstums ein Stück weit herauszukommen. Wir tun das trotz schwierigster Finanzlage, die auf allen Ebenen festzustellen ist, indem wir die Verkehrsinvestitionen auf Rekordniveau halten, indem wir darüber hinaus in diesem Jahr verstärkt und im nächsten Jahr genauso zusätzliche kräftige Investitionsanreize über die Programme zur Wohnraummodernisierung geben. Dies hat einen doppelten Effekt. Es führt nämlich zu einer CO2-Minderung und zu einer Wertsteigerung im Wohnungsbestand. Unsere erfolgreichen Programme „Städtebauförderung“, „Soziale Stadt“ und, ganz besonders wichtig, „Stadtumbau Ost“ laufen und sie werden erfolgreich weiterlaufen. Es ist nicht einfach, in dieser Zeit dieses hohe finanzielle Niveau zu halten. Wir wissen, dass noch manches zu verbessern ist, dass wir noch effizienter werden können. Ich will ein Beispiel nennen: Es ist schon eine Krux, dass wir Verwaltungsvereinbarungen nur für ein Jahr - das ist Tradition - treffen. Es wäre hilfreich, wenn wir sie für längere Zeiträume vereinbaren könnten. Natürlich kann man die verschiedenen Förderinstrumente auch noch besser miteinander verzahnen. Lassen Sie mich schwerpunktmäßig noch etwas zur Eigenheimzulage sagen. Es ist richtig, dass - alle drei Ebenen zusammengenommen - fast 11 Milliarden Euro hierfür ausgegeben werden. Die Bundesregierung hat hierzu einen Vorschlag gemacht, ein in sich schlüssiges Konzept vorgelegt. Die Argumente, die dafür sprechen, hat meine Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig hier vorgetragen. Wie ist die Haltung der Opposition dazu? Bisher haben Sie sich massiv gegen jede Veränderung, gegen jede Kürzung gewandt. Herr Lippold hat noch vor einem halben Jahr festgestellt - ich bitte Sie, es im Protokoll nachzulesen; ich habe es vorsichtshalber getan, lieber Herr Lippold -, jegliche Veränderung, jegliche Kürzung gehe gesellschaftspolitisch in die völlig falsche Richtung. Herr Minkel hat von einem Betrug an jungen Familien gesprochen. ({6}) Herr Oswald hat vorgeschlagen, finanziell noch draufzusatteln.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte diese Ausführungen noch zu Ende bringen. Dann beantworte ich gerne eine Zwischenfrage. ({0}) - Darüber reden wir nachher. Ich gehe einmal davon aus, dass sich in Ihren Reihen mittlerweile etwas bewegt hat. Die von mir zitierten Aussagen, die in den Protokollen des Deutschen Bundestages nachzulesen sind, spiegeln Ihre Position vor einem halben Jahr wider, als wir hier über das Steuervergünstigungsabbaugesetz diskutiert haben. Ich weiß allerdings nicht, wie Sie sich letztendlich verhalten werden. Das entscheiden offenbar nicht Sie, sondern Herr Stoiber und Herr Koch. ({1}) Wenn Sie an der Eigenheimzulage festhalten wollen, dann muss es zumindest folgende Veränderungen geben: die Gleichstellung von Neubau- und Bestandserwerbsförderung sowie ein Absenken der Fördersätze und der Einkommensgrenzen. Sinnvoll wäre zudem eine Zulage für den Erwerb im innerörtlichen Bereich. Man kann natürlich auch über eine Befristung nachdenken. Jetzt habe ich eigentlich mit zumindest verhaltenem Jubel in Ihren Reihen gerechnet. Was ich hier vorgetragen habe, entspricht nämlich nahezu wortgleich dem Antrag des Landes Thüringen im Bundesrat. ({2}) Das gibt zur Hoffnung Anlass, dass Sie die Steinzeitposition, die Sie hier immer vertreten haben, möglicherweise doch noch korrigieren. ({3}) Nun, Herr Fischer, zu Ihrem Lügenvorwurf. Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Fischer, bitte schön.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen bewusst, dass Sie eben die Position meiner Fraktion falsch dargestellt haben? Meine Fraktion hat sich gegen eine völlige Abschaffung der Eigenheimzulage gewehrt. Sie wissen genauso wie die Kollegin Eichstädt-Bohlig - in den Gesprächen in Bad Zwischenahn haben wir das immer wiederholt -, dass wir eine Strukturreform mit regionaler Differenzierung, mit besserer Ausgewogenheit zwischen Neubauund Bestandserwerb und mit der Beseitigung von Mitnahmeeffekten ausdrücklich für sinnvoll halten und unsere Zusammenarbeit angeboten haben. Wir haben die Bundesregierung in Person von Herrn Staatssekretär Großmann aufgefordert, alsbald eine Novelle vorzulegen. Wir würden sie, wenn sie Kosteneinsparungen zur Folge hat, sehr gerne unterstützen. Ich frage Sie also: Sind Sie sich darüber im Klaren, dass Sie eben die Position meiner Fraktion falsch dargestellt haben?

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein lieber Herr Fischer, ich bin es von Ihnen gewohnt - das ist sozusagen Ihr Standardverhalten -, dass Sie den Kolleginnen und Kollegen Lügen und das Verbreiten der Unwahrheit unterstellen. ({0}) Ich habe vorhin wörtlich aus der Debatte in diesem Hause zitiert. Erst zwei oder drei Monate später haben Sie bei dieser berühmten Podiumsdiskussion in Bad Zwischenahn von Strukturreformen gesprochen. ({1}) Aber Sie haben hier im Deutschen Bundestag, beispielsweise in der Aktuellen Stunde zur Eigenheimzulage ({2}) - entschuldigen Sie einmal! - und auch heute, kein Wort darüber verloren. Bei der Diskussion in Bad Zwischenahn haben Sie allerdings angekündigt, dass Sie am Montag der nächsten Woche mit Ihrer Arbeitsgruppe einen entsprechenden Antrag vorbereiten werden. ({3}) Ich betrachte Ihre Frage hiermit als beantwortet. ({4}) Ich frage Sie, Herr Minkel: Sind die Vorschläge des Landes Thüringen Betrug an jungen Familien? Ich frage Sie, Herr Lippold: Ist das ein Schritt, der gesellschaftspolitisch gesehen in die völlig falsche Richtung geht? Oder ist es nicht doch ein Hoffnungszeichen, dass wir endlich sach- und fachgerecht auch über die Eigenheimzulage miteinander ins Gespräch kommen können? Ich hoffe, das Letztere ist der Fall. ({5}) Wir sind hier wie auch in der Steuerpolitik auf eine gemeinsame Entscheidung, also auf einen Kompromiss, angewiesen. ({6}) Wenn Sie schon nicht bereit sind, dem Konzept der Bundesregierung zu folgen, dann darf aber auf gar keinen Fall passieren, dass sich, wie es beim Steuervergünstigungsabbaugesetz der Fall war, nichts verändert. Das wäre die denkbar schlechteste Lösung. Das habe ich Ihnen schon vor einem halben Jahr gesagt. Damals ist es leider so eingetroffen. Meine Damen und Herren, der Einzelplan 12 ist diesmal auch deshalb von besonderen Unwägbarkeiten gekennzeichnet, weil die Entscheidungen, die in diesem Bereich zu treffen sind, eng mit Entscheidungen zusammenhängen, die in ganz anderen Bereichen getroffen werden. Ich nenne als Beispiel das Wohngeld. Die Frage, wie wir das Wohngeldgesetz gestalten, hängt ganz entscheidend davon ab, wie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und wie die Reform der Sozialhilfe aussehen wird. Sie sind in dieser Frage also auch mit im Boot. Ich kann an Sie nur appellieren, Ihrer Mitverantwortung gerecht zu werden. Das ist an dieser Stelle auch schon von anderen, die vielleicht berufener sind als ich, so ausgesprochen worden. Natürlich ist es Ihr gutes Recht, die Bundesregierung und auch uns zu kritisieren. ({7}) Angesichts der Beschreibung der Situation, die Sie, Herr Oswald, und viele weitere Redner Ihrer Fraktion hier abgegeben haben, ist es umso wichtiger, dass wir uns bemühen, uns dieser Verantwortung gemeinsam zu stellen und die notwendigen Entscheidungen - es sind strukturelle Entscheidungen und keine Diskussionen um ein paar Euro mehr oder weniger - zu treffen. Weil die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag und im Bundesrat so sind, wie sie sind, sind Sie in der Mitverantwortung. Es ist zu wünschen, dass Sie sich beim Thema Städtebau- und Wohnungspolitik endlich an der politischen Diskussion beteiligen. Sie haben heute - das sage ich noch einmal - inhaltlich kein einziges Wort dazu gesagt. Es gab geradezu ein lautes, ein beredtes Schweigen, zum Beispiel zur Eigenheimzulage. ({8}) Ich glaube, dass wir uns angesichts der ökonomischen Situation, angesichts der Finanzkrise, ({9}) aber auch angesichts des demographischen Wandels in der Städtebau- und Wohnungspolitik vor einem Paradigmenwechsel befinden. Wir sind mittendrin in dieser Entwicklung. Das ist eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen können. Deswegen nutze ich heute wieder die Gelegenheit, wie schon zwei Mal an diesem Podium, an Sie zu appellieren, dieser Verantwortung gemeinsam mit uns gerecht zu werden. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Als erstem Redner erteile ich das Wort dem Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte um den Haushalt kann man auch unter dem Gesichtspunkt zusammenfassen, wer in diesem Land reformfähig ist und wer nicht. ({0}) Während meiner Abwesenheit in den letzten Tagen gab es wieder ein Beispiel dafür, auf welcher Seite es Handlungsfähigkeit und Reformfähigkeit gibt und auf welcher nicht. Ich musste nämlich zur Kenntnis nehmen, worauf sich die Unionsmehrheit im Bundesrat sowohl im Agrarausschuss wie auch im Wirtschaftsausschuss und im Umweltausschuss nach all den Debatten, die im Grunde genommen seit Anfang der 90er-Jahre geführt wurden, nach den ausführlichen Konsultationen verständigt hat. Die Mehrheit der CDU- bzw. CSU-regierten Länder hat sich entschlossen, die Novelle der Verpackungsverordnung nicht etwa abzulehnen, nein, sie möchte die Entscheidung vertagen. Wenn es etwas gibt, was ich für einen wirklichen Ausweis von Politikunfähigkeit und Reformunfähigkeit halte, dann ist es, sich feige in die Büsche zu schlagen und zu sagen, man wisse es nicht so genau und vertage die Entscheidung. ({1}) Es geht noch weiter. Der Bundesumweltminister hat ja diese Novelle der Verpackungsverordnung nicht aus eigener Motivation betrieben, sondern auf ausdrücklichen Wunsch auch und gerade von CDU-Ländern. Er hat sogar die CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende hinter sich, die in einem großen Interview erklärt hat, die Verpackungsverordnung ({2}) sei eigentlich viel zu kompliziert. Sie wusste, wovon sie redet; denn für die meisten Komplikationen war sie in ihrer Amtszeit verantwortlich. ({3}) Nun kommt der Bundesumweltminister dem Wunsch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden nach und vereinfacht die Verpackungsverordnung. Er sorgt dafür, dass Wein nicht bepfandet wird. Er stellt sicher, dass im nächsten Jahr zum Beispiel Saft in Getränkekartons nicht bepfandet wird. Was machen die Unionsländer? Sie vertagen. Meine Damen und Herren, ich habe der Debatte von gestern entnommen, dass sich Frau Merkel zur der Frage des Backens von Kirschkuchen geäußert hat. Wenn ich das Verhalten der Union im Bundesrat sehe, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind selbst zu blöde, nach Ihrem eigenen Rezept Kirschkuchen zu backen. ({4}) Das ist es nämlich, was Sie an dieser Stelle praktizieren. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Trittin, den politischen Gegner als „zu blöde“ zu bezeichnen, entspricht nicht dem parlamentarischen Sprachgebrauch.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Herr Präsident, ich nehme das „blöde“ mit Bedauern zurück. - Sie sind unfähig, die nach Ihren eigenen Vorstellungen gestalteten Regelungen der Verpackungsverordnung umzusetzen. ({0}) Ich will an dieser Stelle zu einem zweiten Punkt kommen, der bei der Umweltpolitik und insbesondere auch in Bezug auf die Zukunft des Standorts Deutschland sowie die Reformfähigkeit eine besondere Rolle spielt. Ich glaube, wir sind uns einig, dass die größte umweltpolitische Herausforderung, die nicht nur wir uns, sondern der ganze Globus sich vergegenwärtigen muss, der globale Klimawandel ist. ({1}) Wir müssen alles tun, damit die Prognosen des internationalen Wissenschaftlerpanels zum Klimaschutz - diese Prognosen zeichnen sich übrigens nicht durch Angstmache, sondern durch wissenschaftliche Seriosität aus -, die gesagt haben, bis zum Jahre 2100 könnte sich das globale Klima um bis zu 5,5 Prozent erwärmen, nicht Wirklichkeit werden. ({2}) Die ökonomischen und nicht nur die ökologischen Folgen einer solchen Entwicklung will ich an dieser Stelle nicht ausmalen. Wir müssen alles tun, damit dieses Szenario nicht Wirklichkeit wird. Wir stehen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die globale Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts den Wert von zwei Grad nicht überschreitet. Das ist ein realistisches Ziel. Wenn wir dieses realistische Ziel erreichen wollen, dann können wir uns mit der erreichten Einsparung von Treibhausgasen nicht zufrieden geben. Das ist der Grund, warum diese Koalition gesagt hat: Bis zum Jahre 2020 wollen wir 40 Prozent der CO2- und der Treibhausgasemissionen insgesamt einsparen. Das ist das Ziel. Nun hat es in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit gelegentlich eine Debatte darüber gegeben, was dabei eigentlich wichtiger ist: die Förderung von erneuerbaren Energien, Energieeinsparung oder die Energieeffizienz. Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Diese Debatte führt völlig in die falsche Richtung. Es gibt hier kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-alsauch. Nur wer massiv den Kurs fortsetzt, erneuerbare Energien in den Markt zu bringen und für sie einen wachsenden Anteil sicherzustellen, wer Energie einspart und wer dafür sorgt, dass wir zu mehr Energieeffizienz kommen, der wird der umweltpolitischen Herausforderung des Klimaschutzes gerecht werden. ({3}) Dafür legen wir auch in diesem Haushalt die Instrumente und die Mittel bereit. ({4}) Wir steigern noch einmal das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien, weil wir der Auffassung sind, dass bestimmte Formen der erneuerbaren Energien an dieser Stelle - Energiepolitik wird ja leicht und leichtfertig oft auf Elektrizitätspolitik reduziert - nicht vernachlässigt werden dürfen. Ich verweise auf die Solarthermie, bei der wir in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte gemacht haben. Diese Regierung hat dafür gesorgt, dass sich die Fläche, auf der solarthermische Anlagen, also Sonnenkollektoren, stehen, in Deutschland verdreifacht hat. Dies muss fortgesetzt werden. In den nächsten Monaten werden wir in diesem Hause über eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zu reden haben, durch die dieses bewährte Instrument zielgenauer wird. Dieses Instrument hat sich immerhin so bewährt, dass eine ganze Reihe von Ländern in Europa auf dieses Instrument zugreift und andere Modelle, wie Ausschreibungen, in den Aktenschrank legt, weil damit das Ziel nicht erreicht wird. Zielgenauer heißt für mich, dass wir dort, wo wenig Wind weht und wo es demnach nicht effizient ist, mit der Förderung heruntergehen. Dort, wo künftig die Masse des Aufwuchses zu verzeichnen sein wird, nämlich zum Beispiel im Bereich der Offshore-Technologie, müssen wir zu bestimmten Verbesserungen kommen. ({5}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Folgendes begreifen Sie nicht: In der Zwischenzeit - bis die Anlagen draußen im Meer stehen - dürfen wir eine ganze Branche nicht zusammenbrechen lassen. An windgünstigen Standorten benötigt sie zwar nicht mehr die Einspeisevergütung, die bisher gezahlt wurde, aber diese Vergütung muss der Technik angemessen sein. Wir müssen mit dem Gerede von der Subventionierung Schluss machen. Die Einspeiseregelung stellt keine Subventionierung dar. ({6}) Wer behauptet, dass das subventioniert wird, der muss mir erklären, wie man mit einem Haushaltsanteil von 3 Promille - das ist der Anteil des Haushaltes des Bundesumweltministeriums am Gesamthaushalt - eine Subvention leisten soll, die angeblich über der für die Steinkohle liegt. ({7}) Lassen Sie sich hier nicht Bange machen. Nun komme ich zu der Frage, was im Bereich der Effizienz eigentlich notwendig ist. Wir wissen: In Deutschland muss eine Kraftwerksleistung von 40 000 MW und in ganz Europa eine von 200 000 MW ersetzt werden. Das ist also kein rein deutsches Problem. Es ist ein Problem für uns, wenn wir nicht solche Verhältnisse wie in den USA haben wollen. Dort können Atomkraftwerke und ineffiziente Kohlekraftwerke sowie ein marodes Netz Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleisten. Deshalb müssen wir Investitionen in diesen Kraftwerkspark in Europa sicherstellen. Heute müssen wir entscheiden, in was wir investieren wollen. Ich sage Ihnen: Ich bin nachdrücklich dafür, dass wir in effiziente Technik investieren, und ich bin nicht dafür, dass wir, so wie Sie es vorschlagen, Altanlagen möglichst lange laufen lassen. Das wäre gerade vor dem Hintergrund der Herausforderungen für die Wirtschaft und die Umwelt ein fataler Fehler. ({8}) Das richtige Instrument dafür ist der Emissionshandel. Durch den Emissionshandel werden Investitionen in effiziente Techniken begünstigt, nämlich zum Beispiel im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung und im Bereich von Gas. Daneben werden aber gerade auch Investitionen begünstigt, die zur höheren Effizienz von Kohlekraftwerken führen. An dieser Stelle werden wir dieses Instrument so zuschneiden müssen, dass genau dieser Effekt erreicht wird. Dafür haben wir eine gute Grundlage, nämlich die Selbstverpflichtung der deutschen Industrie. Sie hat sich selbst das Ziel gesetzt, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2010 um 35 Prozent zu reduzieren. Ich kann Ihnen an dieser Stelle sagen: Diese Regierung wird beim Emissionshandel nicht draufsatteln. Die Selbstverpflichtungserklärung wird Grundlage der Allokation der Emissionsrechte sein. Wir werden keine Schlupflöcher zulassen, weil diese dazu führen würden, dass nicht investiert wird. Um der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes willen wollen wir, dass in effiziente Technik investiert wird. Eines können Sie festhalten: Es ist ziemlich antiquiert, Umwelt und Arbeit gegeneinander auszuspielen. Gerade die Energiepolitik, die erneuerbaren Energien und die Effizienz beweisen, dass moderne Umweltpolitik mit Wachstum und Arbeitsplätzen einhergeht. Vielen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben nach dem Hinweis des Präsidenten Ihre Worte zurückgenommen und geändert. Aber ich muss schon sagen: Ich war sehr betroffen, dass Sie einen aktuellen politischen Streit mit der Abqualifizierung politisch Andersdenkender verbinden. Das halte ich nicht für gut. Das ist nicht sinnvoll, wenn wir in der deutschen Umweltpolitik den Weg gemeinsam beschreiten wollen. Ich kann auch im Namen unserer Fraktion sagen: So werden wir in Sachen Umweltpolitik nicht gemeinsam vorankommen. Dafür haben Sie die persönliche Verantwortung. ({0}) Man muss klar und deutlich sagen: Es wird nicht gelingen, durch solche Auftritte von der fehlenden Erfolgsbilanz rot-grüner Umweltpolitik in Deutschland abzulenken. Wir können sagen, dass diese Umweltpolitik, wie sie sich auch im Haushaltsplan niederschlägt, weit von einer Umweltpolitik entfernt ist, die den Problemlagen in Deutschland tatsächlich gerecht wird. So standen bei Ihnen in den letzten Wochen und Monaten - es war auch bezeichnend, welchen Beginn Sie für Ihre Rede gewählt haben - zwei Themen im Mittelpunkt Ihrer umweltpolitischen Diskussion: das Dosenpfand und der Streit mit Minister Clement in Sachen erneuerbare Energien. Bei diesen Themen - deshalb kann ich Ihre Aufregung und innere Aufwallung gut verstehen, Herr Minister - engagieren Sie sich persönlich. Aber es stellen sich nun ganz schlicht die Fragen: Reicht das? Sind damit die Schwerpunkte der Umweltpolitik in Deutschland ausreichend und richtig gesetzt? Wo bleiben denn andere wichtige Bereiche, die in den letzten Monaten nicht ausreichend bearbeitet worden sind? So fragen wir Sie, Herr Bundesumweltminister: Warum gibt es keine Klimaschutzpolitik dieser rot-grünen Bundesregierung, die auf einem geschlossenen Energiekonzept fußt und damit eine verlässliche Grundlage für Verbraucher, Firmen, Unternehmen und Investoren darstellt? Diese wollen nämlich wissen, wohin die Reise geht. Wir fragen weiter: Wo war in den letzten Wochen und Monaten in Brüssel - ich sehe einmal von der Aktion des Kanzleramtes im März ab - der entscheidende Einfluss dieser Bundesregierung, um eine Verordnung im Bereich der Chemikalien zu verhindern, die eindeutig zulasten der mittelständischen chemischen Industrie in Deutschland geht? ({1}) Wann haben Sie endlich den Mut - auch davon haben Sie gerade nicht gesprochen -, Ihre eigene Koalitionsvereinbarung umzusetzen und eine grundlegende Reform der Abfallwirtschaft in Deutschland auf den Weg zu bringen? ({2}) Sie haben dazu weder den Mut noch die Kraft. ({3}) Herr Minister, warum weichen Sie immer wieder einer endgültigen Entscheidung - Sie haben bis jetzt nur einen Fahrplan vorgelegt - in Sachen Aufstellung eines atomaren Endlagerkonzeptes aus? Wann veröffentlichen Sie endlich Ihre Haltung zur konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der wichtigen EU-Richtlinie zur Einführung des Emissionshandels? Ich habe gerade mit Interesse Ihre Ausführungen gehört. Das war eine volkswirtschaftlich-betriebswirtschaftliche Vorlesung zum Emissionshandel und seiner Bedeutung. Das wissen wir seit zwei, drei Jahren. Jeder, der die EU-Richtlinie liest, kann das nachvollziehen. Die spannenden Fragen sind doch: Welche Rechte teilen Sie den deutschen Firmen und Unternehmen zu? Wie setzen Sie das um? Es wird bei Ihnen ohne Ende diskutiert, obwohl alle wissen, dass Sie den Allokationsplan bis zum 31. März des nächsten Jahres in Brüssel vorlegen müssen. Inhaltlich haben wir über die Frage der Zuteilung und der Umsetzung des Emissionshandels weder im Ausschuss noch in diesem Hause diskutiert. Sie aber philosophieren hier über wunderbare Angelegenheiten, wobei wir gar nicht wissen, welche konkreten Vorstellungen Sie haben. Ist das Grundlage einer verlässlichen Klimaschutzpolitik? ({4}) Wann legen Sie ein Hochwasserschutzkonzept vor, das nicht nur inhaltlich einige Probleme richtig angeht? Dass das nicht leicht ist, will ich Ihnen konzedieren. Wir brauchen ein Konzept, das auch die Frage klärt, welche Entschädigungen für Grundeigentümer und Nutzungsberechtigte konkret geleistet werden, wenn diese zukünftig durch ein Hochwasserschutzkonzept in ihrer Nutzung beeinträchtigt werden. Warum sagen Sie nichts zu der finanziellen Entschädigung in diesem Bereich? Sie haben gerade all das, was Sie besonders bewegt, angesprochen. Die Bandbreite der Probleme der Umweltpolitik haben Sie außer Acht gelassen. Das ist Ihr Problem. Das ist im Augenblick leider auch das Problem der deutschen Umweltpolitik. ({5}) Im Übrigen kann man diese Liste noch weiter fortsetzen. Was ist mit dem Fluglärmschutzgesetz? Davon haben Sie doch in Ihren Wahlkämpfen immer groß gesprochen. Was ist mit einer Lärmschutzkonzeption? All das wurde groß angekündigt. In der Realität der deutschen Umweltpolitik unter Ihrer Führung finden wir von diesen Stichworten nichts. Deshalb muss ich Ihnen, Herr Minister, nach Ihrer Einführungsrede sagen: Das ist für die deutsche Umweltpolitik zu wenig. Sie haben die Messlatte deutscher Umweltpolitik nicht erreicht. ({6}) Sie haben gerade wieder Ihre Haltung zu den erneuerbaren Energien angesprochen. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, warum Sie versuchen, bei den erneuerbaren Energien und der Klimaschutzpolitik zu polarisieren. Dass Sie in dieser Frage so einseitig Position beziehen, könnte man vielleicht noch verstehen und sagen: Das muss der Umweltminister machen. Ich bezweifle aber, dass der Bundesumweltminister das machen muss, wenn es zielführend sein soll. Ich bin der Ansicht, dass der Kurs, den Sie in Sachen erneuerbare Energien eingeschlagen haben, wenig hilfreich zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien ist. Der Streit, den Sie zum Teil vom Zaun gebrochen haben, ist zudem überflüssig. Denn wir brauchen wirtschaftlich effiziente erneuerbare Energien und wir brauchen ökologisch und ökonomisch effiziente neue Kraftwerke nach 2010. ({7}) Wir brauchen beides. Man muss wissen, dass es verschiedene Investitionsträger für diese Maßnahmen geben wird. Wie will man solche wichtigen Entscheidungen, bei denen es um Beträge in Höhe von Milliarden Euro geht, befördern, wenn man eine konfrontative Politik betreibt? Man muss versuchen, die verschiedenen Interessengruppen an einen Tisch zu bringen, damit man belastbar planen und bis zum Jahr 2010 auch bei den erneuerbaren Energien ein gemeinsames Konzept entwickeln kann. Man muss bereit sein, die interessierten Vertreter an einen Tisch zu bringen. Das haben Sie nicht gemacht. Dadurch drängt sich für uns und auch für mich persönlich der Eindruck auf, dass es Ihnen vor allen Dingen um Klientelpflege geht. Es geht Ihnen darum, Ihrem eigenen Anhang und dem Anhang der Grünen zu zeigen, dass Sie für bestimmte parteipolitische Programme stehen. Dabei wissen Sie nicht, ob Sie das auch gegen den Widerstand der anderen durchsetzen können. Für einen verantwortungsbewussten Umweltminister ist das der falsche Weg. Gehen Sie weg von der Konfrontation. Gegensätze aufzubauen ist falsch. Wir brauchen in dieser Frage keine Gegensätze. Sie müssen alles tun, damit Brücken gebaut werden. Das tun Sie aber nicht. Sie reißen sogar Brücken ein. Das ist der konkrete Vorwurf, den wir Ihnen machen müssen. ({8}) Dass das Geschäft mit dem Bundesfinanzminister schwierig ist, weiß man. Ich muss zugeben - Klaus Lippold wird das auch zugeben -, dass wir das während unserer Regierungszeit auch erlebt haben, als es um Maßnahmen zur Wärmedämmung ging. Man muss aber immer wieder anfangen. Da hilft auch nicht der Einwand, dass jetzt die Mittel für das Kreditprogramm der KfW mit etwas besseren Zinssätzen erhöht worden sind. Wir müssen ein klares Konzept dafür haben, wie wir an die Sanierung des Altbaubestandes in Deutschland herangehen wollen. Denn 25 Prozent des C02-Ausstoßes werden in diesem Bereich produziert. Es hat keinen Zweck, einerseits auf die Industrie einzuprügeln, sie andererseits - wie bei dem Teil Ihrer Rede über die Selbstverpflichtung - indirekt zu loben. Dort, wo wir wirklich nach vorne kommen könnten und etwas für die mittelständischen Baufirmen tun könnten, tauchen Sie weg, weil Sie gegen den Finanzminister verloren haben. Das ist der falsche Ansatz. Bitte, machen Sie eine realistische Klimaschutzpolitik. Die Bundesregierung hat kein Konzept, wie sie beim Rohstoffeinsatz und beim Energieeinsatz Effizienzsteigerungen bewirken kann. Sie streiten sich darüber. Aber diese Frage ist entscheidend für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. Von einer überzeugenden Programmatik kann bei dieser Regierung leider keine Rede sein. Kurz zusammengefasst muss man sagen: Der Klimapolitik dieser rot-grünen Bundesregierung fehlt jede zielführende Systematik. ({9}) Was die Abfallpolitik betrifft, so sagen auch die Fachleute des Ministeriums, es fehle zum Beispiel eine klare Abgrenzung der Begriffe Abfallverwertung und Abfallbeseitigung. Alle warten auf eine Novellierung des Abfallrechts. Aber aus Ihrem Hause wird immer wieder gesagt, dass kein Handlungsbedarf gesehen werde. Wenn man mit Vertretern der Kommunen und Entsorgungsunternehmen spricht, stellt man fest, dass händeringend darum gebeten wird, rechtliche Klarstellungen zu treffen. Sie sagen aber auch im Ausschuss nur, dass Sie hier und da einige Verordnungen auf den Weg bringen werden. Das ist Flickschusterei. Das ist kein geschlossenes neues Abfallkonzept. Sie weichen diesem Konflikt aus, weil Sie der Ansicht sind, dass es hier oder da Widerspruch geben werde. Noch einmal: Diese Widersprüche sind manchmal zielführend. Bringen Sie die Menschen an einen Tisch und versuchen Sie, auch im Bereich der Abfallpolitik endlich die Antworten auch auf die neuen europarechtlichen Fragen zu geben. Wenn Sie das tun würden, wären wir sicherlich ein Stückchen weiter. Die Chemikalienpolitik habe ich vorhin schon angesprochen. Ich will noch einmal kurz auf die Endlagerung zu sprechen kommen. Es hat inhaltlich einen Dissens zwischen uns über die Frage gegeben, ob es sich lohnt, in dem Arbeitskreis Endlager mitzuarbeiten oder nicht. Die Zusammenarbeit wäre beinahe zustande gekommen. Auf unserer Seite war nicht von vornherein ein Nein da. Eine entscheidende Frage für die Arbeit in dem Arbeitskreis Endlager ist, ob die Regierung bereit ist, naturwissenschaftlichen Kriterien, die der Sicherheit dienen, grundsätzlich Vorrang gegenüber den sozialwissenschaftlichen Akzeptanzproblemen einzuräumen. Dazu haben wir leider keine klare Geschäftsgrundlage aus Ihrem Hause erhalten. Ich betone in diesem Zusammenhang: In Deutschland ist keine erfolgreiche Endlagerpolitik möglich, wenn beide Kriterien - die Frage der naturwissenschaftlichen Sicherheit und damit der Schutz der nachfolgenden Generationen und sozialwissenschaftliche Akzeptanzprobleme, die beispielsweise im Zusammenhang mit der erforderlichen Zustimmung durch Gemeinderäte auftreten können - eine gleich hohe Bedeutung zugesprochen bekommen. Es wäre in höchstem Maße unverantwortlich, wenn vor Ort eine falsche Entscheidung getroffen würde. Warum haben Sie als Umweltminister nicht den Mut, klar und deutlich zu sagen, worauf es bei der Endlagersuche ankommt, und warum versuchen Sie nicht, den Zeitplan zu beschleunigen? Der SPD-Bundestagsabgeordnete Scheer ist in der Presse mit folgendem Satz zitiert worden: Wegen des hohen Zeitdrucks können wir auf die Eitelkeiten der Minister keine Rücksicht mehr nehmen. Er bezog sich dabei auf die Auseinandersetzung zwischen Herrn Clement und Ihnen. Bezogen auf die gesamte Umwelt-, Klimaschutz- und Energiepolitik müsste der Satz eigentlich lauten: Wegen des hohen Zeitdrucks können wir auf die Eitelkeiten und ideologischen Festlegungen der Minister keine Rücksicht mehr nehmen. Das wäre eine umfassende Beschreibung der derzeitigen Befindlichkeit dieser Regierung in der Umweltpolitik. ({10}) Vor dem Hintergrund, dass - wie gestern der Presse zu entnehmen war - Ihnen der Firmenchef eines großen Automobilunternehmens in Deutschland vorwirft, dass Sie nach Lust und Wimpernschlag - nicht nach Lust und Laune - seit langem vereinbarte Ziele ändern, stellt sich die Frage, ob dieser Weg richtig ist. Umweltziele müssen ehrgeizig sein und klare Vorgaben für die Wirtschaft beinhalten. Es darf aber nie der Eindruck entstehen, Herr Minister, dass solche Zielvereinbarungen eventuell eines Tages einseitig aufgekündigt werden können, es sei denn, es liegen gewaltige gesundheitspolitische Probleme vor. Mit rechtlichen Auflagen und Zwangsmaßnahmen allein werden wir das schwierige Feld der Umweltpolitik nicht erfolgreich beackern können. Wir brauchen einen anderen Stil, Herr Minister. Wir brauchen einen Umweltpakt für Deutschland. Wir brauchen Zielvereinbarungen mit den wichtigen gesellschaftlichen Gruppen. Nur so werden wir in Deutschland weiterkommen. Dazu brauchen wir einerseits ehrgeizige umweltpolitische Zielvorstellungen, andererseits auch die Bereitschaft zum Dialog und zum Konsens. Wenn Sie, Herr Umweltminister, es an dieser Bereitschaft fehlen lassen, dann ist zu befürchten, dass die Umweltpolitik in Deutschland knapp zehn Jahre nach Töpfer und wenige Jahre nach Merkel durch eine verfehlte Politik vor dem Scheitern steht. Herr Minister, für eine solche unverantwortliche Politik können Sie die Zustimmung der Union nicht erhalten. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Astrid Klug von der SPD-Fraktion. ({0})

Astrid Klug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003567, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesumweltministeriums, den wir heute beraten, ist mit seinen 791,4 Millionen Euro ein bescheidener und kleiner Haushalt. Er macht nur 0,3 Prozent des Gesamthaushalts aus. Das Gewicht der Umweltpolitik sowohl im Haushalt als auch in der Politik der Koalition und die Bedeutung der Umweltpolitik für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes sind dagegen um ein Vielfaches größer. Umweltschutz beginnt nämlich im Kopf. Hierbei gilt nicht in erster Linie die Logik: je höher die Ausgaben, desto besser die Umweltpolitik. Zutreffend ist vielmehr: Je besser und mutiger die Ideen und je konsequenter ihre Umsetzung, desto besser, verantwortlicher und nachhaltiger sind die Ergebnisse der Politik. Die Ideen in der Umweltpolitik kamen in den vergangenen Jahren nicht von der Opposition in diesem Hause, sondern von der Koalition. ({0}) Wir freuen uns darüber, was in den vergangenen Jahren in der Energiepolitik, im Umweltschutz, für die Luftreinhaltung, beim Wasser- und Bodenschutz und in der internationalen Zusammenarbeit erreicht und bewegt wurde. Herr Kollege, ich habe auch heute von Ihnen keine einzige Idee gehört, wie Sie Umweltpolitik in diesem Lande gestalten wollen. ({1}) Sehr geehrte Damen und Herren, der Bundeshaushalt folgt dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit heißt, die Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen zu wahren und die vorhandenen Ressourcen zu schonen. Sie heißt auch, nicht unbegrenzt Schulden zu machen und die nachfolgenden Generationen mit unserer Zinslast zu erdrücken. Vielmehr soll ihnen das Recht auf eigene Entscheidungs- und Handlungsspielräume zurückgegeben werden. Nachhaltigkeit heißt ferner, heute in die ökologische Modernisierung unseres Landes und in umweltfreundliche Technologien zu investieren. Nachhaltigkeit heißt schließlich, der Globalisierung eine Richtung zu geben, Armut in der Welt zu bekämpfen, Risiken zu begrenzen sowie in den Schutz von Umwelt, Natur und Mensch zu investieren. ({2}) Die Koalition, insbesondere die SPD, begreift Umweltpolitik als Querschnittsaufgabe. Den Anspruch, eine ökologische Politik zu machen, finden Sie deshalb nicht nur im Umwelthaushalt, sondern im gesamten Haushalt, in allen Ressorts. 4,3 Milliarden Euro Umweltausgaben in allen Einzelplänen sprechen eine deutliche Sprache und zeigen, dass die Umweltpolitik kein Schattendasein mehr führt, sondern dass sie zur Selbstverständlichkeit wird, und zwar aus Verantwortung für diese Erde, die es nur einmal gibt, und aus Verantwortung für die Menschen, vor allem für diejenigen, die noch nicht geboren sind. ({3}) Im Interesse der noch nicht geborenen Generationen entzieht sich der BMU-Haushalt auch nicht der Gesamtverantwortung für die Konsolidierung der Staatsausgaben. Deshalb nimmt der Einzelplan 16 um 2,6 Millionen Euro ab. Wir freuen uns, dass es trotz der notwendigen Einsparungen gelungen ist, die großen Programmtitel noch immer auf einem sehr hohen Niveau fortzuführen. Über 15 Millionen Euro werden für Naturschutzgroßprojekte, über 4 Millionen Euro für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben auf dem Gebiet des Naturschutzes, über 57 Millionen Euro für die Umweltforschung und 200 Millionen Euro für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien bereitgestellt. Wir fördern außerdem die Umwelt- und Naturschutzverbände mit über 4 Millionen Euro. Das sind über 70 Prozent mehr als zu der Zeit, als Sie, liebe Kollegen von der Opposition, Verantwortung in diesem Land hatten. Das zeigt den hohen Stellenwert, den wir den Umweltverbänden bei der ökologischen Erneuerung unserer Gesellschaft beimessen. Wir wissen nämlich, dass wir dabei auf sie angewiesen sind. ({4}) Umweltrisiken machen nicht an nationalen Grenzen Halt. Deshalb steht ebenfalls die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Mittelpunkt unserer Politik. Mit dem Beratungshilfeprogramm für die Staaten Mittelund Osteuropas und mit den Pilotprojekten „Ausland“ exportieren wir deutschen Sachverstand, UmweltKnow-how und unsere Erfahrungen, die für unsere internationale Vorreiterrolle im Umweltschutz stehen. Der Wissens- und Technologietransfer sichert deutsche und europäische Umweltstandards vor allem im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung und verbessert außerdem die Chancen Deutschlands auf dem größer werdenden europäischen Markt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition, malen aus ideologischen Gründen immer das gleiche Horrorszenario an die Wand: Umweltschutz vernichtet Arbeitsplätze, Umweltschutz also als Jobkiller. ({5}) Dabei ist in unserer Republik das genaue Gegenteil die Wahrheit. Die natürlichen Lebensgrundlagen, also die Umwelt, sind das Fundament, auf dem die wirtschaftliche Entwicklung und unser Wohlstand aufbauen. Wer heute am Umweltschutz spart und nicht die richtigen Weichen stellt, verringert den Wohlstand von morgen. ({6}) Eine fortschrittliche Umweltpolitik sichert wichtige Wachstumsmärkte der Zukunft und schafft damit neue Arbeitsplätze. Der Markt für Umweltschutzgüter und Umweltdienstleistungen zählt zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftsbereichen des 21. Jahrhunderts. Der Umweltmarkt ist weltweit sehr innovativ. Deutsche Unternehmen haben dank einer vorausschauenden Umweltpolitik und dank hoher deutscher Umweltstandards einen Technologievorsprung in diesem Bereich und haben deshalb hervorragende Ausgangsbedingungen auf dem globalen Markt. Die Zahl der Umweltschutzarbeitsplätze liegt in Deutschland inzwischen weit über der 1-Millionen-Grenze. Deshalb ist Umweltschutz kein Jobkiller, sondern ein wichtiger Jobmotor, den wir gerade in der heutigen Zeit dringend brauchen. ({7}) So wird es auch bei dem Thema Rußpartikel sein, wenn wir mit der Fortschreibung der Grenzwerte durch die Euronorm V darauf bestehen, dass technologische Anwendungen in Fahrzeugen, die die gesundheitsschädlichen und lungengängigen Kleinstpartikel zu über 99 Prozent aus den Dieselabgasen herausfiltern können, zum Standard werden. Wir unterstützen deshalb nachdrücklich die Initiative von Umweltminister Jürgen Trittin und seiner französischen Kollegin. Wir freuen uns darüber, dass in den letzten Wochen endlich auch die deutschen Automobilunternehmen die Zeichen der Zeit erkannt und den Einbau von Partikelfiltern in Fahrzeugen angekündigt haben. Hier befinden wir uns mittlerweile auf einem guten Weg. Wir freuen uns auf die entsprechende EU-Initiative. ({8}) Wie man bei der Dieseltechnologie sieht, weisen Umweltschutzmaßnahmen fast immer eine hohe gesamtwirtschaftliche Rentabilität auf. Durch die Förderung der viel diskutierten erneuerbaren Energien entsteht für den Durchschnittshaushalt einerseits eine Mehrbelastung von derzeit 8 Euro pro Haushalt und Jahr. Die volkswirtschaftliche Ersparnis infolge vermiedener Umwelt- und Gesundheitsfolgeschäden liegt andererseits bei 65 Euro pro Haushalt und Jahr. Daran sieht man: Umweltschutz rechnet sich und er ist eine Investition in die Zukunft. ({9}) Heute ist der 11. September. Das ist ein denkwürdiges Datum. Spätestens seit den Ereignissen vor zwei Jahren wissen wir, dass Sicherheit ein hohes, aber auch sehr zerbrechliches Gut ist, dass es in einer Welt, in der das reichste Fünftel 80 Prozent der Ressourcen für sich beansprucht, in der 90 Prozent der Menschen von endlichen fossilen Brennstoffen abhängig sind und in der jeder zwölfte Mensch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, keine Sicherheit und keinen Frieden geben wird. Wir alle sitzen in einem Boot. Umwelt, Entwicklung und die gerechte Verteilung von Ressourcen sind untrennbar mit Friedenspolitik verbunden. Deshalb ist globaler Umweltschutz immer auch Armutsbekämpfung und Friedenspolitik. Auch deshalb ist die deutsche Vorreiterrolle für die Welt und für uns in Deutschland so wichtig. ({10}) Die Bundesregierung und das Parlament haben vor einem Jahr die nationale Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Sie ist der Fahrplan für unsere vorausschauende Politik. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir die Ziele - es sind ehrgeizige Ziele -, die wir uns gesteckt haben, auch erreichen. Deshalb brauchen wir im politischen Entscheidungsprozess effiziente Instrumente, die negative ökologische und ökonomische Nebeneffekte von Entwicklungen minimieren und dafür sorgen, dass alle Entscheidungen, die wir in diesem Hause treffen, einem ehrlichen Nachhaltigkeitscheck unterzogen werden und diesen durchlaufen. Zur Zielfestlegung gehört immer auch eine Zielkontrolle. Das Parlament muss aus meiner Sicht dabei eine zunehmend aktivere Rolle übernehmen. Sehr geehrte Damen und Herren, Umweltschutz und Nachhaltigkeit fangen im Kopf an. Umweltschutz und Nachhaltigkeit müssen nicht teuer sein. Sie müssen gelebt und praktiziert werden. Wir müssen heute das säen, was wir morgen ernten wollen. Dafür setzen wir im Bundeshaushalt die notwendigen Prioritäten. Der ökologische Umbau unserer Gesellschaft ist noch ein weiter Weg; aber wir sind auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dieser Debatte folgt, dann kann man ins Grübeln kommen. Ich habe mich doch schon sehr gewundert, Herr Minister, dass Sie vorhin erklärt haben, in den letzten Tagen habe sich wieder einmal gezeigt, wer reformfähig sei und wer nicht, und dies an der Verpackungsverordnung festmachen. ({0}) Sie tun so, als könne man an dem Zwangspfand für Einweggetränkeverpackungen die Reformfähigkeit dieses Landes festmachen. Da gibt es doch nun wirklich ganz andere Themen! ({1}) Sie behaupten, die Verpackungsverordnung sei auf Wunsch der Opposition hin neu eingebracht worden. Ja, Herr Minister Trittin, wir haben in der Tat eine komplette Novellierung der Verpackungsverordnung gefordert: weil wir neue Erkenntnisse haben, weil es neue technologische Entwicklungen gibt, die sich in den Vorschriften widerspiegeln müssen. Der Schwachsinn, den Sie vorgelegt haben, hat aber weder Hand noch Fuß. Sie schaffen mehr Bürokratie, aber die Grundprobleme werden nicht beseitigt. Deswegen ist das nicht das, was wir wollen. Wir haben Ihnen das schon tausendmal gesagt. Es ist unsinnig, das durchziehen zu wollen. ({2}) Sie verkennen noch etwas anderes: Sie haben ein europarechtliches Problem. ({3}) - Natürlich. Sie brauchen gar nicht mit dem Kopf zu schütteln. Vielleicht muss ich einmal einen Rechtsanwalt vorbeischicken, der es Ihnen erklärt. - Die EU-Kommissare Wallström und Bolkestein haben Ihnen nämlich mitgeteilt, man erwarte aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ab dem 1. Oktober ein einheitliches, flächendeckendes Rücknahmesystem in Deutschland. Wo ist denn das, bitte schön? - Nirgends, weil es überhaupt nicht eingeführt werden kann. Da es auf europäischer Ebene diese Rechtsunsicherheit gibt, wäre jedes Unternehmen, das jetzt investierte, irrsinnig. Ich kann Sie nur noch einmal auffordern - Sie haben dieses Chaos zu verantworten -: Nehmen Sie den von Ihnen angeordneten Sofortvollzug endlich zurück! Verlassen Sie diesen Irrweg und novellieren Sie die Verpackungsverordnung nach den neuesten Erkenntnissen! Wenn Sie das tun, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. ({4}) Frau Kollegin Klug, ich möchte auf das zu sprechen kommen, was Sie gesagt haben. Sie haben der Opposition in diesem Hause vorgeworfen, immer wieder zu behaupten, Umweltpolitik koste Arbeitsplätze. ({5}) In dieser Pauschalität behauptet das hier niemand. Nur, schauen Sie sich doch die Regelungen an, die Sie durchziehen wollen: Sie haben oftmals ökologisch keinen Effekt, sind ökonomisch unsinnig und kosten unter dem Strich - die Verpackungsverordnung und das Zwangspfand sind dafür die besten Beispiele - Arbeitsplätze. Das kritisieren wir, und zwar, wie ich finde, zu Recht. Wir brauchen in diesem Land nichts dringender als zusätzliche Arbeitsplätze. Die aber gibt es nur, wenn es vernünftige umweltpolitische Regelungen gibt, die mit dem Arbeitsmarkt verträglich sind. Dafür stehen wir ein. ({6}) Herr Minister Trittin, die fünf Jahre Ihrer rot-grünen Umweltpolitik sind ein Synonym für fünf Jahre Ideologie und ökologischen Stillstand. ({7}) Das drückt sich auch in Ihrem Haushalt aus. Wie schon so oft haben Sie auch heute wieder vehement über erneuerbare Energien gesprochen. Damit wir nicht wieder Schwierigkeiten miteinander bekommen, sage ich Ihnen sehr deutlich: Die FDP steht für die Förderung erneuerbarer Energien, ({8}) weil wir das für eine klimapolitisch sinnvolle Zukunftstechnologie halten. ({9}) Wir haben bereits in der letzten Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag ein eigenes marktwirtschaftliches Fördermodell vorgelegt. Das haben Sie abgelehnt. ({10}) Sie können uns nicht vorwerfen, dass wir Ihren Weg nicht mitgehen. Wir haben uns nicht darauf beschränkt, Nein zu sagen; sondern wir haben eine Alternative vorgelegt. ({11}) Ich finde, das ist aller Ehren wert. Auf die Dauer sind auch die erneuerbaren Energien nicht ohne Probleme. Die Netze beispielsweise müssen - das möchte ich an dieser Stelle schon einmal deutlich machen - ausgebaut werden. Ganz besonders gilt das für die Offshore-Windparks, von denen Sie, Herr Minister, gesprochen haben. Auch regenerative Energien verursachen also zusätzliche Kosten; da können wir womöglich ganz schnell an Grenzen stoßen. Wer für Zukunftsfähigkeit sorgen und die Potenziale erneuerbarer Energien ausschöpfen will, der muss nach unserer Auffassung auch in die Energiespeicherforschung investieren, beispielsweise in die Wasserstofftechnologie. ({12}) Ich möchte von Ihnen einmal eine Erklärung haben, warum Sie in der letzten Legislaturperiode unseren Antrag dazu abgelehnt haben. - Sie sagen, Sie wollen das ja. ({13}) Sie können sicher sein, dass wir in diesen Haushaltsberatungen einen entsprechenden Antrag einbringen werden. Dann können Sie zeigen, ob es Ihnen damit ernst ist oder nicht. ({14}) Wenn wir die erneuerbaren Energien zukunftsfähig machen wollen, dann muss jetzt auch an der Schaffung neuer Modelle gearbeitet werden. Man darf dabei nicht auf garantierte Preise und auf die Vorgabe von Techniken setzen. Deswegen fordern wir ein marktwirtschaftliches Fördermodell. Es kann nicht sein, dass Bürgerinnen und Bürger durch die Garantie überhöhter Preise im EEG die Renditen bei Investitionen in Windkraftanlagen zahlen, die weit über dem liegen, was man bei einer Anlage am Kapitalmarkt erwirtschaften könnte. Diese Vorgehensweise ist, finde ich, unredlich und sorgt im Übrigen dafür, dass sich immer mehr Menschen gegen die Windenergie wenden. Unser aller Ziel muss es doch aber sein, diesen Unsinn abzustellen und die Akzeptanz erneuerbarer Energien bei den Bürgerinnen und Bürgern durch vernünftige Maßnahmen zu erhöhen. Dazu fordern wir Sie auf. ({15}) Stattdessen, Herr Trittin, streiten Sie sich jetzt mit Herrn Clement über die Frage: Kohle oder Windkraft? Das ist doch beileibe nicht die Alternative! Wir brauchen ein zukunftsfähiges Energiegesamtkonzept. ({16}) Das sind Sie immer noch schuldig geblieben. In einem solchen Konzept haben die regenerativen Energien einen Anteil. Man kann darüber reden, ob man bestehende Kohlekraftwerke durch effizientere ersetzt. Im Sinne des Klimaschutzes kann es aber nicht sein, stärker als bisher auf fossile Energieträger zu setzen. Schließlich und endlich muss in der langfristigen Konzeption auch die Kernfusion eine Rolle spielen. Deswegen fordern wir Sie auf, das ITER-Projekt europäisch zu unterstützen. ({17}) - Herr Kollege Kubatschka, es mag sein, dass wir das nicht mehr erleben. ({18}) Ich will Ihnen eines sagen: Wer in der Energiepolitik über Zukunftskonzepte redet, darf nicht nur über die nächsten 10 oder 20 Jahre reden, sondern muss über die nächsten 50 bis 100 Jahre reden. ({19}) Für diesen Zeitrahmen muss auch schon jetzt Forschung betrieben werden. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, dann zeigt das ein weiteres Mal, dass Sie sich dem verweigern, was für die Zukunft nötig ist. ({20}) Viel schlimmer ist allerdings noch, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, der Klimaschutz und der Emissionshandel seien wichtig. Herr Minister Trittin, warum führen Sie dann eigentlich nicht die modernen Instrumente des Kioto-Protokolls in Deutschland ein? Warum haben wir sie nicht schon längst? Warum verhindern Sie eigentlich, dass heute schon Maßnahmen ergriffen werden können, um Investitionen in Windenergie- und Biogasanlagen auch in anderen Ländern zu tätigen; warum verhindern Sie Investitionen in die Solartechnik in Ländern, die in anderen Breitengraden liegen, dort, wo die Sonne mehr scheint als bei uns? Da könnten Sie auch einen riesigen Markt für die deutsche Industrie erschließen. Wir haben in Deutschland nach wie vor keine Regelung dafür; kein einziger solcher Vertrag wurde abgeschlossen. Das liegt einzig und allein daran, dass Sie sich dem Emissionshandel verweigern, Herr Minister. ({21}) Ich will abschließend auf das Desaster im Bereich der Endlagerung radioaktiven Abfalls zu sprechen kommen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum Sie jetzt eigentlich noch einmal alternative Endlagerstandorte erkunden wollen. Sie haben bereits im Atomkonsens unterschrieben, dass der Salzstock Gorleben als Endlager überhaupt keine Probleme hat, dass die Eignungshöffigkeit gegeben ist. Es gibt keine naturwissenschaftlichen oder technischen Erkenntnisse, die gegen Gorleben sprechen. In Konrad und Gorleben sind Milliardenbeträge investiert worden. Allein für den Offenhaltungsbetrieb der beiden Anlagen sind in diesem Jahr im Haushalt 39 Millionen Euro veranschlagt. Das ist ein Vertrag zulasten Dritter. Das zahlen nämlich die Energieversorgungsunternehmen. Sie als zukünftige Nutzer müssen dieses Geld aufbringen. Hinzu kommt, dass der Planfeststellungsbeschluss für Schacht Konrad aller Voraussicht nach bestandskräftig ist. Wenn Rot-Grün trotzdem auf einer weiteren Suche besteht, dann wird sie mit Steuermitteln finanziert werden müssen, Herr Minister. Mit dieser Ein-EndlagerIdeologie, der Sie anhängen, die außer Ihnen niemand will, bringen Sie neuen Sprengstoff in den Bundeshaushalt. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Homburger, denken Sie an die Redezeit!

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Herr Minister Trittin, Sie setzen Prioritäten nicht nach sachlichen Erwägungen, sondern - das zeigt sich auch beim Hochwasserschutz - nach Öffentlichkeitswirksamkeit. Sie reiten ideologische Steckenpferde und vernachlässigen wichtige Bereiche. Das spiegelt sich im Haushalt wider. Sie fügen den allgemeinen Haushaltsrisiken mit Ihrem Verhalten weitere Risiken hinzu. Deswegen ist dieser Haushalt schon jetzt Makulatur. Deswegen können wir Sie nur auffordern: Ziehen Sie diesen HausBirgit Homburger halt zurück oder bitten Sie Herrn Minister Eichel, ihn zurückzuziehen, wenn Sie es nicht selbst können! Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Franziska EichstädtBohlig vom Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Debatten über Umweltpolitik finde ich hier immer höchst spannend. Es ist fast jedes Mal das Gleiche: Herr Paziorek für die CDU/CSU und Frau Homburger für die FDP haben wunderbare umweltpolitische Ideen, entfalten sie hier und haben die allerbesten Konzepte, ihr jeweiliges Führungspersonal aber will davon überhaupt nichts wissen. ({0}) Bevor ich nun auf Aussagen von Frau Merkel eingehe, möchte ich zu Ihren Klagen, Herr Paziorek, dass wir Altbausanierungen zu wenig unterstützen und zu wenig Geld für CO2-Minderungsmaßnahmen ausgeben, ganz kurz anmerken, dass es unter den Umweltministern Töpfer und Merkel für CO2-Minderungsmaßnahmen im Gebäudebestand zwischen 16 und 20 Millionen DM gab. Sie haben wahrscheinlich nur den Einzelplan 16 für Umwelt, aber nicht den Einzelplan 12 gelesen, denn wir haben hierfür im Haushalt einen Verpflichtungsrahmen von 304 Millionen Euro vorgesehen. ({1}) - Das ist ein unheimliches Volumen, mit dem wir forciert Umweltschutz und Klimaschutz am Bau fördern. Diese Größenordnung hätten Sie erst einmal vorsehen sollen, bevor Sie solche Sätze wie vorhin wiederholen. ({2}) Mehr Sorge macht mir, dass Frau Merkel, wenn sie drankommt, wie ich am 6. September in der Zeitung gelesen habe, das Atomausstiegsgesetz wieder zurücknehmen will. ({3}) Dazu hätte ich gerne von Ihrer Seite ein paar Sätze gehört. Gestern habe ich von anderer Seite - so etwas hört man ja nicht nur von Frau Merkel - die Klage gehört, dass die Windenergie vom Verbraucher mit 1,3 Milliarden Euro gefördert werde. Insofern muss ich hier doch einmal ein wenig Aufklärung betreiben. Ich habe nämlich das Gefühl, dass die Opposition das ErneuerbareEnergien-Gesetz nach wie vor nicht begreifen will. Das Marktanreizprogramm und das 100 000-DächerProgramm, das bis Ende dieses Jahres läuft, sind die beiden Programme, die direkt aus Steuergeldern gefördert werden. Die Windenergie aber wird vom Verbraucher nur mit ungefähr 1 Euro pro Haushalt und Monat mitfinanziert. Das ist der Beitrag zum Klimaschutz über den Strompreis. Wenn Sie meinen, dass durch diesen sensationellen Verbraucherbeitrag unsere Konjunktur in die Knie ginge - so musste man ja gestern Frau Merkel verstehen -, dann verstehe ich angesichts der wirklichen Konjunkturprobleme unseres Land die Welt nicht mehr. Insofern bitte ich Sie, sich das Erneuerbare-EnergienGesetz einmal genau anzuschauen. ({4}) Ich möchte schon noch ein paar Sätze zu diesem eigenartigen Streit sagen, der sich in diesem Sommer an der Windkraft und damit indirekt auch an den erneuerbaren Energien insgesamt hier im Lande entzündet hat. Dass Sie sich sofort darauf gestürzt haben, halte ich wirklich für unverantwortlich. Man muss nämlich sehen, dass atomare und fossile Energien im Gegensatz zu den erneuerbaren Energien sehr hohe volkswirtschaftliche Kosten nach sich ziehen. Das UBA hat ausgerechnet, dass für Waldsterben, Flutschäden, Dürreschäden, Bergbauschäden, Gesundheitskosten, Atomtransporte usw. mindestens 5 Euro pro Haushalt und Monat anzusetzen sind. Dieses Geld wird beim Einsatz von erneuerbaren Energien unmittelbar und handfest eingespart. Diese indirekten Kosten sollte man also auch einmal einkalkulieren. ({5}) Auch für etwas anderes tragen Sie, die Sie lange Jahre regierten, direkt Verantwortung. Lange Zeit sind Kohle und Atomenergie in ganz anderer Weise gefördert worden als heute die erneuerbaren Energien. Wir fördern sie nämlich nicht direkt, sondern durch eine Umlage bei den Stromkosten. Das ist genau der entscheidende Unterschied. Die Atomenergie hat nach Schätzungen in den vergangenen Jahren über 80 Milliarden Euro an Subventionen bekommen. Von diesem Vorteil profitiert sie bis heute. Deshalb ist man in diesem Bereich ja auch so daran interessiert, die bereits abgeschriebenen Atomanlagen so lange wie möglich laufen zu lassen. Irgendwie scheint es da allen egal zu sein, ob wir dann vielleicht auch irgendwann einmal solche Probleme wie in Tschernobyl bekommen. ({6}) Ich verstehe wirklich nicht, dass Ihre Partei letztlich immer wieder einem so leichtsinnigen Umgang mit der Atomkraft das Wort redet. Das ist wirklich unverantwortlich. Die Kohlesubventionen, die wir bis 2005 noch zahlen, haben Sie - das sollten Sie doch wissen - bereit gestellt. In diesem Jahr sind es noch über 3 Milliarden Euro. Ab dem nächsten Jahr wird es stufenweise weniger. Wir bemühen uns zumindest, sie auslaufen zu lassen, weil wir der Meinung sind, dass in den fossilen Energieträgern nicht die Zukunft der Energieversorgung liegt. Dass die erneuerbaren Energien zurzeit ein ganz wesentlicher Faktor zum Schaffen von Arbeitsplätzen sind, hat meine Kollegin eben schon dargestellt. Wir haben in den letzten vier Jahren tatsächlich mehr als 130 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich geschaffen, allein in der Windkraftindustrie 40 000. Das ist nicht wenig in Zeiten, in denen überall Arbeitsplätze abgeschafft werden. Ich will noch etwas sagen, was viele immer wieder unter den Teppich kehren: Hinter dem Streit um Kohle und Atom auf der einen Seite versus Wind, Sonne, Biomasse, Wasserkraft und Geothermie auf der anderen Seite steckt auch die Frage, ob für die Energieerzeugung im Wesentlichen nur Großkonzerne zuständig sein sollen oder ob nicht auch unsere Landwirte, unsere Gewerbetreibenden und unsere Hausbesitzer das Recht haben, Energiewirte zu sein. Dann nämlich hätten wir eine dezentrale Energieerzeugung, an der viele Akteure in der Gesellschaft in vielen Regionen und Wirtschaftszweigen beteiligt wären. Insofern geht es auch um einen Kampf vieler kleiner Davids gegen wenige große Goliaths. Dazu sage ich ganz klar: Unsere Fraktion ist auf der Seite der Davids und ich hoffe, dass wir damit den Mittelstand und die vielen, die für den Mittelstand eintreten, auch einmal konkret unterstützen. ({7}) Ich möchte, dass diese für unser Land wirklich schädliche Diskussion, in der Sie meinen, die erneuerbaren Energien in ihrer Bedeutung herunterreden zu können, beendet wird. Auch ich finde, dass man bei der Nutzung der Windkraft auf die richtigen Standorte achten muss. Das sollte - dafür engagiere auch ich mich - im Baugesetzbuch entsprechend geregelt werden. Länder und Kommunen müssen dies entscheiden können und auch die Regionen ausgucken, in denen es nicht passt. Aber es ist unverantwortlich, gerade in diesen Zeiten die Bedeutung der regenerativen Energien abwerten zu wollen. Das schadet den Branchen, die mit Wind- und Solarenergie zu tun haben. Insofern bitte ich Sie: Kommen Sie zurück, unterstützen Sie das, was in diesem Bereich nötig ist. Uns ist bekannt, dass auch in Ihren Reihen einige sehr genau wissen, wie wichtig das wäre.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Eichstädt-Bohlig, auch wenn Sie Ihre Rede offenbar gerade beenden wollten: Erlauben Sie noch eine Frage?

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Eichstädt-Bohlig, können Sie sich daran erinnern, dass zur Zeit der Verhandlungen über den letzten Kohlekompromiss sehr viele Vertreter auch Ihrer Partei, bis hin zu den Spitzen, die jetzt für die Außenpolitik zuständig sind, in Bonn dafür demonstrierten, dass ein solcher Kohlekompromiss zustande kommt? Und können Sie bestätigen, dass die Landesregierung in NordrheinWestfalen - in der die grüne Fraktion in der Koalition ist seinerzeit sogar noch mehr gefordert hat?

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erstens kann ich mich erinnern, dass es diese Demonstration gegeben hat und dass auch Grüne dabei waren. Es wäre völlig falsch, das zu leugnen. Zweitens bestätige ich, dass die Auseinandersetzungen zum Thema Kohle nicht immer nur im Sinne von Schwarz-Gelb versus Rot-Grün verlaufen. ({0}) Aber angesichts der Tatsache, dass Sie und die FDP immer wieder mit unschuldigem Augenaufschlag behaupten, die Kohleförderung sei das Böse schlechthin, muss ich drittens sagen: Egal, was wir und die SPD gemacht haben und was Nordrhein-Westfalen gewünscht hat - Sie sollten sich daran erinnern, dass die Verantwortung für die Finanzierung bis 2005 bei Ihnen liegt. Insofern bin ich für Fairplay. Jeder soll zu seiner Verantwortung stehen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Albrecht Feibel von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Zum Ersten ein Wort zu meiner Landsfrau, die hier das Thema Neuverschuldung angesprochen hat: Verehrte Kollegin Klug, Sie hätten besser geschwiegen. In diesem Jahr haben wir eine gigantische Neuverschuldung von über 40 Milliarden Euro. Eigentlich hätte Herr Eichel, bevor wir den Haushalt 2004 beraten, einen Nachtragshaushalt 2003 vorlegen müssen. Erst dann hätten wir den Haushalt auf einer vernünftigen Grundlage beraten können. Das hat er nicht gemacht. ({0}) Zum Zweiten: Wir werden auch 2004 eine gigantische Neuverschuldung erleben. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, das Thema auszulassen. Denn diese erneute Neuverschuldung in Milliardenhöhe - eigentlich ist diese Regierung angetreten, um Schulden abzubauen - werden nachhaltig auf die nächsten Generationen übertragen. Ein Wort zu meiner Kollegin aus dem Haushaltsausschuss: Liebe Kollegin Eichstädt-Bohlig, ein zweites Tschernobyl möchte niemand. ({1}) Aber gerade weil wir das verhindern wollen, müssen wir Kernforschung betreiben. Nur so können die noch vorhandenen Atomkraftwerke sicherer gemacht werden. ({2}) - Dann machen Sie einmal die 360 Kraftwerke, die auf der Welt bestehen, dicht, und nicht nur die besten, die es gibt, nämlich die in Deutschland. ({3}) Nun zur Frage nach der Reformfähigkeit, die der Minister angesprochen hat. Herr Minister Trittin, Reformfähigkeit drückt sich nicht darin aus, dass man alles anders macht, sondern Reformfähigkeit drückt sich darin aus, dass man es besser macht. Auch bei genauerer Betrachtung des Haushaltsentwurfs für den Einzelplan 16, den Sie vorgelegt haben, sehe ich nicht, dass da etwas besser geworden ist. Wer diesen Haushalt kritisch betrachtet, stellt fest, dass Schröder, Fischer und andere im Kabinett zwar über Sparen reden, aber nicht so handeln. Das drückt sich in vielem aus, insbesondere darin, dass Sie mehr verwalten als gestalten. Das heißt, die Verwaltungskosten nehmen seit fünf Jahren kontinuierlich zu und die Ausgaben für Programme im Haushalt nehmen kontinuierlich ab. Damit stellen Sie nicht gerade Ihre Reformfähigkeit unter Beweis; damit hängen Sie den alten Methoden grüner Politik an. Der Anteil der Programme am Stammhaushalt des Umweltministers beträgt heute 43 Prozent. 1998, als die Bundesumweltministerin Merkel hieß, machte dieser Anteil 53 Prozent aus; entsprechend kleiner war der Anteil für die Verwaltung. In absoluten Zahlen ausgedrückt heißt das: Im Vergleich zu 1998 gibt Herr Trittin circa 50 Millionen Euro mehr für die Verwaltung aus, während der Programmhaushalt um 25 Millionen Euro zurückgefahren wurde. Es bleibt leider dabei, dass die Verwaltungskosten ständig steigen und die Aufwendungen für die eigentlichen Umweltausgaben sinken. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass die Arbeit vom Hause Trittin trotz dieser höheren Ausgaben qualitativ eher schlechter denn besser geworden ist. ({4}) Für Rot-Grün ist es bequemer, neue Schulden zu machen und die Probleme auf die nächste Generation zu verlagern, wie ich das hier mit Blick auf die Kollegin Klug schon ausgeführt habe. Allerdings gibt es doch noch Einsparungen im Einzelplan 16, und zwar in erster Linie im Programmbereich, nämlich dort, wo es darum geht, ehrenamtliche Arbeit und Verbände, die sich um die Umwelt kümmern, finanziell zu unterstützen. Bereits im letzten Jahr haben Sie die Förderung für den Bund Heimat und Umwelt um 50 Prozent zurückgefahren. Das Gleiche erfolgt in diesem Jahr wieder. Ähnlich geht es dem Deutschen Rat für Landespflege. Wenn man diese Mittelkürzungen genauer untersucht, dann heißt es: Die institutionelle Förderung fahren wir zurück, aber dafür werden wir Projekte fördern. Jetzt durchforsten Sie einmal den Haushalt und suchen bei den Ausgaben nach diesem Grundsatz - die institutionelle Förderung wird zurückgefahren, Projekte werden verstärkt gefördert -: Obwohl die institutionelle Förderung bei diesen Verbänden zurückgefahren wurde, ist hier keinerlei Programmförderung bzw. nur geringe Projektförderung erfolgt. In den Erläuterungen zum Haushalt findet sich sogar die Aussage, dass diese Kürzungen mit den Verbänden vereinbart worden seien. Das halte ich angesichts dessen, dass mit den Verbänden überhaupt kein Kontakt aufgenommen und mit ihnen darüber gar nicht gesprochen wurde, für sehr verwegen. ({5}) Dennoch ist in den Erläuterungen von der Zustimmung der Verbände die Rede. Das ist meiner Meinung nach nicht im Sinne von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Wie schön, wenn dagegen ein Verband das Wohlwollen des Umweltministers genießt, wie etwa der Deutsche Naturschutzring, in dessen Präsidium immerhin der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller sitzt. Die Institution DNR bekommt 2004 eine Förderung von 456 000 Euro. Zudem hat dieser Verband von 1999 bis 2002 mehr als doppelt so viele Fördergelder wie jeder andere Verband erhalten. ({6}) Auch der VCD, in dessen Verbandsspitze sich Besitzer roter und grüner Parteibücher tummeln, wird gut bedacht, obwohl er in der Zeitschrift „Öko-Test“ wegen zu hoher Personal- und Verwaltungsausgaben eine vernichtende Kritik erfuhr. Übrigens hat er für die Jahre 2000 und 2001 keine Jahresabschlüsse vorgelegt. Dieser Verband wird zusätzlich gefördert. Ich finde, die Auswahl der zu fördernden Verbände, die hier getroffen wird, ist außerordentlich fragwürdig. Regierungsnah und regierungsfreundlich bedeutet zusätzliche Förderung, regierungskritisch heißt Abstrafung: kein Geld oder weniger Geld. In der von Minister Trittin mitbestimmten Energiepolitik scheint Geld ohnehin keine große Rolle zu spielen. Manchmal hat man den Eindruck, es sei unendlich viel verfügbar. Damit komme ich auf die Endlager Gorleben und Schacht Konrad zu sprechen. Mehr als 40 Millionen Euro entgehen uns, weil der Minister nicht zulässt, dass in Gorleben und im Schacht Konrad endgelagert wird. Die Einnahmen tendieren gegen null, die Ausgaben für die Offenhaltung liegen bei über 40 Millionen Euro pro Jahr. Nach trittinscher Auffassung ist Gorleben ein „verbrannter Standort“; schließlich geht es nicht so sehr um die Sicherheit bei der Endlagerung, sondern um Ideologie. Deshalb hat der Minister den AK „End“, heute seine Lieblingsveranstaltung, ins Leben gerufen. Obwohl er vermutlich keine andere Lösung für eine Endlagerung finden wird, wird hier zulasten der Stromkunden ein ideologisches Spielchen weitergetrieben. Sie haben gesagt, dabei gehe es nur um 1 Euro im Monat. ({7}) Aber es kommen ja noch die Ökosteuer und andere Dinge hinzu, sodass sich das, was Rot-Grün den Familien zumutet, summiert. ({8}) Für die Erschließung von Gorleben wurde bereits mehr als 1 Milliarde Euro ausgegeben. Folgt das BMU den Empfehlungen der Kommission AK „End“, einen neuen Standort zu suchen - wenn es diese Empfehlungen denn gibt; das Ganze ist ja angeblich noch nicht ausgewertet -, dann kommen nach Expertenschätzungen 3 bis 5 Milliarden Euro zusätzliche Kosten auf die Stromkunden in Deutschland zu. ({9}) Herr Minister, machen Sie dem Spielchen ein Ende und belasten Sie die Stromkunden nicht unnötig mit zusätzlichen Kosten! Gorleben ist ohnehin einer der besterkundeten und sichersten Standorte weltweit. ({10}) Es ist ein Skandal, wie verschwenderisch hier mit den Milliarden der Steuerzahler und der Stromkunden umgegangen wird. ({11}) Diese Politik zeugt nicht von besonderer Verantwortung für die Energieversorgung in Deutschland. Dass der Kanzler von Ihrer persönlichen energiepolitischen Kompetenz nicht überzeugt ist, hat er bewiesen, indem er Sie zu dem Gespräch mit den großen Energieversorgungsunternehmen gar nicht erst eingeladen hat. Ein weiteres Thema bewegt die Bürger. Das Stichwort lautet: Über-Förderung der Windkraft. Sicher brauchen wir erneuerbare Energien, aber: müssen es immer die teuersten sein? Muss es immer in dieser Menge sein? Der Minister hat ja heute zugegeben, dass er die Dinge zurückfahren will. Es ist das erste Mal gewesen, dass er so etwas zugegeben hat. Es ist notwendig, die Standorte sorgfältiger auszuwählen und dort, wo kein Wind weht, nicht zu bauen, bzw. dort, wo weniger Wind weht, auch weniger zu fördern. ({12}) Es gibt in der Bevölkerung - das haben wir hier auch schon gehört - immer mehr Stimmung gegen die Windmühlen. Ich zitiere jetzt einmal einen Bürger, der für viele spricht. Er sagte: Ganze Landstriche werden zugepflastert mit diesen Windspargeln und die Stromtarifzahler kommen für Milliardenzuschüsse auf. Das kann auf Dauer nicht so bleiben. Sie kennen diesen Bürger. Das ist nämlich der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück. Er hat das am letzten Sonntag erklärt. Selbst Ministerpräsidenten der SPD haben inzwischen Sorge, wie es denn mit der Windenergie weitergeht. Mit 3,3 Milliarden Euro subventioniert der Bund die Stromerzeugung aus deutscher Steinkohle. Aber die Tendenz ist sinkend. Im Jahre 2005 wird die Vergütung allein für die Windenergie nach Angaben der Bundesregierung 2,342 Milliarden Euro betragen. Dort ist die Tendenz steigend. ({13}) - Nein, das ist nicht die Wasserkraft. Das sind nur die Einspeisevergütungen für die Windenergie.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit.

Albrecht Feibel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003433, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Ich bin also der Meinung: Wir müssen auch daran denken, dass die Verteuerung von Energie auch einen Export von Arbeitsplätzen zur Folge hat. Durch eine Verteuerung von Energie werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Deshalb möchte ich den Minister auffordern, dort, wo er im Energiebereich Verantwortung trägt, für eine entsprechende Wende und dafür zu sorgen, dass bezahlbare erneuerbare Energie produziert wird. Zum Abschluss noch eine Empfehlung, die nicht so ganz ernst gemeint ist, aber vielleicht trotzdem zum Nachdenken anregt. ({0}) Was die Bioenergie angeht, so stellt sich die Frage, ob man auch dort, wo die meiste Biomasse produziert wird, eine Umwandlung in Strom vornimmt. Das sollte vielleicht beim Umweltministerium in Zukunft möglich sein. Dort wird nämlich sehr viel Mist produziert. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Horst Kubatschka, SPDFraktion.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umweltpolitik ist für uns Sozialdemokraten Vorsorge für die kommenden Generationen. Unsere Kinder und unsere Enkel sollen nicht für unsere Unterlassungen teuer bezahlen müssen. ({0}) Ihr Wohlstand soll nicht dadurch verzehrt werden, dass sie zum Beispiel die Folgen des Klimawandels ausbaden müssen. Als Umweltpolitiker steht für mich Energiepolitik unter dem Vorzeichen des Klimawandels. Die Lösung der Energiefrage ist entscheidend für das zukünftige Klima, aber auch für den zukünftigen Wohlstand. ({1}) Bei der Lösung der Energiefrage müssen drei Ziele erreicht werden: erstens Umweltverträglichkeit, zweitens Versorgungssicherheit und drittens Wirtschaftlichkeit. ({2}) Dafür sind drei Ansätze entscheidend: erstens Energiesparen, zweitens Energieeffizienz und drittens erneuerbare Energien. Wir sollten darüber streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie wir diese Ziele erreichen. Es geht nicht darum, eine Energieart gegen eine andere auszuspielen. In der letzten Zeit hat es sich in den Medien auf den Schaukampf „Kohle oder Wind“ verkürzt. Wenn dann noch die Frage personalisiert werden kann, geht bei uns die Diskussion richtig los. Diese Personaldiskussion ist zwar bei uns beliebt, aber sie ist kontraproduktiv. Nicht zwischen Personen, sondern über den richtigen Weg sollte gestritten werden. Wir brauchen sowohl effiziente Kohlekrafttechnologie als auch erneuerbare Energien. Es geht also nicht um ein EntwederOder. Die rot-grüne Koalition hat die Energiewende eingeleitet. Wir haben in den letzten fünf Jahren die Erfolgsstory „erneuerbare Energien“ geschrieben. Die Koalition wird diese Erfolgsstory einvernehmlich weiterschreiben. ({3}) Deswegen werden wir in nächster Zeit das ErneuerbareEnergien-Gesetz novellieren. Wir werden aus den bisherigen Erfahrungen die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen. Dabei werden wir die Effizienzfragen nicht aus dem Auge verlieren. Interessenvertreter wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass nach dem EEG eine Degression der Vergütung sowie kein Inflationsausgleich erfolgt. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. stellt dazu fest: Die Stromgestehungskosten aus Windenergie sind bereits im letzten Jahrzehnt um mehr als 50 Prozent gesunken. Die im EEG vorgeschriebene Degression der Vergütung sowie die Inflation erfordern bei Neuanlagen einen kontinuierlichen Innovationsschub von mehr als 3 Prozent pro Jahr, der von kaum einer anderen Branche erreicht wird. Das ist wahrlich vorbildlich für andere Energiearten. ({4}) Wir haben uns vorgenommen, bis zum Jahre 2010 den Anteil der erneuerbaren Energien zu verdoppeln. Wir sind auf einem guten Weg, dieses Ziel zu erreichen. Langfristig hat die Energie-Enquete des Deutschen Bundestages eine anspruchsvolle Zielmarke gesetzt, nämlich: Im Jahre 2050 sollen 50 Prozent des Energiebedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Dieses Ziel ist realistisch und muss erreicht werden. Die notwendigen Grundlagen legen wir jetzt. Das 21. Jahrhundert wird einen grundlegenden, allmählichen Wandel in der Energieversorgung mit sich bringen. Wir werden wegkommen von den fossilen und hinkommen zu den erneuerbaren Energien. Als Chemiker sei mir ein Einschub erlaubt: Öl, Gas und Kohle sind eigentlich viel zu schade, um verbrannt zu werden. ({5}) Wir brauchen diese Grundstoffe für hochwertige Produkte. Einige große Ölmultis wie BP und Shell scheinen das längst erkannt zu haben. Unsere deutschen Energieversorger hinken aber noch etwas hinterher. Sie sind in alten Technologien und in Großstrukturen verfangen. Ihre Perspektiven scheinen der kurzfristige Ertrag und der Firmenzukauf im Ausland zu sein. Dabei haben gerade die zentralen Strukturen in der letzten Zeit bewiesen, wie anfällig sie sind. Großkraftwerke hatten in diesem heißen Sommer Schwierigkeiten mit dem Kühlwasser. Die Netzstörungen in den USA ließen viele im Dunklen sitzen. Um aber keine falsche Diskussion aufkommen zu lassen: Die Amerikaner haben mit ihrem Blackout ein hausgemachtes Problem: Nirgends wird so viel Strom verbraucht, dazu kommt noch ein hoffnungslos veraltetes und überlastetes Verteilernetz. Der ehemalige US-Energieminister Bill Richardson hat es mit dem verrotteten Leitungsgewirr einer Dritten-Welt-Nation verglichen. Zentrale Strukturen sind auch anfälliger für Terroranschläge. Manche ziehen aus dem 11. September immer noch keine Konsequenzen. Deswegen wird die Zukunft den dezentralen Strukturen gehören. Diese kleinteilige Energieversorgung bietet dem Handwerk sowie den kleinen und mittleren Unternehmen eine Chance und bedeutet Arbeitsplätze. ({6}) Wir haben die Chance zur Erneuerung und Umstrukturierung. Bedingt durch den Ausstieg aus der Kernenergie und der Alterung des Kohlekraftwerkparkes entsteht bis 2020 ein 50-prozentiger Ersatzbedarf. Es geht darum, den Energiestandort zu sichern. Deutschland darf nicht zu einem Stromhandelsland werden; denn dies würde noch mehr Importabhängigkeit bedeuten. Über unsere Importabhängigkeit sollten wir einmal diskutieren. Ich weiß, dass das schwieriger ist, als über Personen zu streiten. Die Fakten lauten: Es werden 97 Prozent des Erdöls importiert, 74 Prozent des Erdgases, 56 Prozent der Steinkohle und 100 Prozent des Urans für Uranbrennstäbe. Uran ist also wirklich keine einheimische Energie, obwohl es manche anders darzustellen versuchen. Dagegen ist die erneuerbare Energie eine einheimische Energie. Wir haben die Fähigkeit, diese Chance zu nutzen. Unser Land ist Technologieführer bei den erneuerbaren Energien, bei effizienter Kraftwerkstechnik und bei dezentralen Energieanlagen. Diesen Vorsprung müssen wir weiter ausbauen, indem wir die Technik anwenden, aber auch, indem wir die Forschung auf diesem Gebiet intensivieren. Unser Technologievorsprung ist ganz entscheidend, um auf dem Weltmarkt existieren zu können. Diese Chance können wir aber auch verspielen, wenn wir auf überholte Techniken setzen. Der Haushalt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gibt die Möglichkeit, dass diese Chancen genutzt werden. Wir können diese Zukunftsindustrien, beispielsweise bei der Windenergie, aber auch gefährden, wenn wir die falschen Rahmenbedingungen setzen. Das Gejammer über die Subventionen ist kurzsichtig und unehrlich. Jede neue Energieart muss am Anfang gefördert werden, um am Markt eine Chance zu haben. Das beste, nein, ich korrigiere, das schlechteste Beispiel ist die Kernenergie. Sie wurde mit zweistelligen Milliardenbeträgen gefördert. Die Förderung hält noch immer an. Denken Sie zum Beispiel an die viel zu niedrigen Versicherungssummen für Kernkraftwerke. ({7}) Zum Schluss sei mir noch eine Anmerkung zur Kernenergie erlaubt. Das Ministerium ist ja schließlich auch für Reaktorsicherheit zuständig. Dass diejenigen, die ihr Leben lang auf Kernenergie gesetzt haben, dieser Energie des 20. Jahrhunderts nachtrauern, ist für mich verständlich. ({8}) Dass die Kernenergie eine Zukunft hat, wie sie voraussagen, wird nicht eintreten. Die Kernenergiefreaks aus der CDU/CSU-Fraktion und andere Einzelstimmen melden sich immer wieder zu Wort. Auch dies war zu erwarten. Frau Kollegin Angela Merkel hat in einem „Bild“-Interview auf die Frage, ob sie Kernkraftwerke wieder zulassen würde, geantwortet - ich bitte, das genau zu wägen -: Eine CDU/CSU-Regierung würde es den Betreibern ermöglichen, Kernkraftwerke so lange zu betreiben, wie sie es wollen. ({9}) - Ich halte Ihren Zwischenruf und diese Aussage für gefährlich und verantwortungslos. ({10}) Nicht das Wollen der Kernkraftbetreiber ist entscheidend, sondern die Sicherheit. ({11}) Kollegin Merkel hat sich um die Sicherheit von Kernkraftwerken anscheinend noch keine ernsthaften Gedanken gemacht; ({12}) denn sonst käme sie nicht zu solchen Aussagen, die ich für leichtsinnig halte. Frau Kollegin Homburger, zu Ihnen. Sie sind ein besonderer Freak der Kernfusion; davon träumen Sie. ({13}) Ihre Träume werden bloß nicht wahr werden. Ich kann mich noch an meine Vorlesungen in Atomphysik Anfang der 60er-Jahre erinnern. ({14}) Die Professoren haben gesagt, bis zum Jahr 1985 würden wir über die Kernfusion verfügen. Jetzt ist man der Meinung, man wisse vielleicht im Jahr 2050, ob es überhaupt möglich ist, diese in den Griff zu bekommen. Die Perspektive lag in den 60er-Jahren bei 25 Jahren. Wie man sieht, haben sich die Perspektiven verschoben und wir investieren viel Geld. ({15}) - Das ist für mich die falsche Frage. - Ich bitte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, das noch einmal zu überdenken. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Der amtierende Präsident schließt sich mit besonderem Dank für die eingehaltene Redezeit an. Ich erteile nun der Kollegin Doris Meyer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Doris Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003593, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihr Haushalt 2004, sehr geehrter Herr Trittin, zeigt eines ganz klar: Das Umweltressort hat in der rot-grünen Koalition eindeutig weiter an Bedeutung verloren. ({0}) Von großen Erfolgen ist weit und breit keine Spur. Angesichts der vorgelegten Zahlen für 2004 ist mir schleierhaft, wie von der Fortsetzung einer angeblich so erfolgreichen Politik gesprochen werden kann. (Dr. Peter Paziorek ({1}): Das ist denen selbst schleierhaft! Wo nichts war und ist, kann auch nichts fortgeführt werden. ({2}) Denken Sie bei Ihrem Umwelthaushalt gelegentlich einmal an die Herkunft des Wortes „haushalten“. Es bedeutet: das Haus bewahren. Das würde aber voraussetzen, dass es etwas Gutes zu bewahren gibt. Besser wäre meines Erachtens, Sie davor zur warnen, dem Haus weiter das Fundament zu nehmen. Gegenüber dem Jahr 2003 steigt der Umfang des Verwaltungshaushalts. Der Programmhaushalt, der Haushaltsbereich zur Fortführung von Projekten zur Ressortforschung und für die internationale Zusammenarbeit, sinkt. Ihr gesamter Haushalt, Herr Trittin, sinkt um 2,6 Millionen Euro gegenüber 2003, und das, obwohl die Zuständigkeit für die erneuerbaren Energien vom Wirtschaftsministerium in Ihr Haus gekommen ist. ({3}) Wo bleiben da die Impulse für den Umweltschutz und für erneuerbare Energien, die Impulse für die Forschung, aber auch die Impulse für die Wirtschaft? Wenn schon keine Impulse gegeben werden, dann wollen wir uns mit den Zielen beschäftigen. Ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien ist notwendig und findet auch die Unterstützung der Union. ({4}) Ich möchte mich im Folgenden auf einige wenige Aspekte insbesondere der erneuerbaren Energien konzentrieren. Im Rahmen des Programmhaushaltes sinken die Ausgaben für die Forschungsvorhaben um 13,4 Prozent im Vergleich zu 2003. Diese Ausgaben sind aber unverzichtbar. Warum wollen Sie nicht mit Forschungsvorhaben eine Schrittmacherfunktion übernehmen? Dies ist vor allem bei der Photovoltaik bedauerlich. Wie schaffen Sie es, Herr Trittin, vor diesem Hintergrund von einer erfolgreichen Fortführung Ihrer Politik zu sprechen? Erfolgreich ist ja noch nicht einmal die Zusammenarbeit mit Ihrer eigenen Koalition, allen voran mit Superminister Clement. Eine sichere, nachhaltige, umweltschonende und somit auch langfristig zukunftsfähige Energieversorgung wird nur mit einem Energiemix aus herkömmlichen und regenerativen Energien möglich sein. ({5}) Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss immer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden, nicht nur unter ideologischen. Dabei sind Ökologie und Ökonomie gut miteinander vereinbar. Nehmen Sie zum Beispiel die Photovoltaik: Die Kosten für die Produktion von Photovoltaikanlagen sind gesunken - das ist sehr erfreulich. ({6}) Deshalb möchte ich heute nicht nur kritisieren, sondern auch ausdrücklich dafür danken, wie Sie, Herr Trittin, und Ihre Kabinettskollegen Deutschland offen und ungeniert zeigen, wie verfahren und zerstritten die Regierungspolitik ist. Das nennt man Ehrlichkeit der Politik. ({7}) Da kommt mir sofort wieder der Energiegipfel mit Bundeskanzler Schröder in den Sinn. Dazu waren Sie ja nicht eingeladen. Als Reaktion darauf haben Sie kurz vorher noch Ihre Eckpunkte zu den erneuerbaren Energien vorgelegt. Einzelne Streitereien sind dabei symptomatisch für den Gesamtzustand des Kabinetts Schröder und zeigen deutlich die Konzeptionslosigkeit. Streiten Sie nur ruhig weiter. Die Wählerinnen und Wähler werden es Ihnen danken, ({8}) zunächst am 21. September bei den Landtagswahlen in Bayern und dann bei der nächsten Bundestagswahl. ({9}) Da bin ich mir ganz sicher. ({10}) Wenn Sie aber noch Zeit für die Regierungsarbeit erübrigen können, so möchte ich Ihnen hierzu einige Vorschläge machen. Nehmen wir zum Beispiel die Photovoltaik. Warum wird die Forschung auf diesem Gebiet nicht wesentlich verstärkt? Warum wird nicht noch mehr auf den Export unserer deutschen Technik in Länder mit einer hohen Sonnenintensität gesetzt? ({11}) Ihr Vorschlag, auch Freiflächen in das EEG-Vergütungssystem aufzunehmen, birgt Gefahren. Vor der Versiegelung von Flächen durch Anlagen der Photovoltaik warne ich. Anlagen an oder auf Gebäuden sind sinnvoll, da sie weniger Fläche und Aufwand erfordern. Sie stoßen bei der Bevölkerung auf ungleich mehr Akzeptanz und können zudem als architektonische Elemente gezielt eingesetzt werden und eine Bereicherung darstellen. Ich komme nun zum Thema Wasser, meinem heutigen Hauptthema. Die so genannte Große Wasserkraft Doris Meyer ({12}) soll nach dem vorliegenden EEG-Entwurf erstmalig in das Gesetz aufgenommen werden. Ich gebe zu bedenken, dass damit lediglich einige wenige große Energieversorgungsunternehmen unterstützt werden. Das erinnert mich sehr stark an die Härtefallregelung, die zum Wohle einiger weniger Unternehmen in Deutschland ins EEG eingefügt wurde. Wo blieben die anderen? Die anderen blieben auf der Strecke. Sie war ebenso wie die geplante erstmalige Aufnahme der Großen Wasserkraft ein Zugeständnis an einige wenige Unternehmen. Ich befürchte, dass dies zulasten der Kleinen geschieht. Zur Kleinen Wasserkraft ist zunächst einmal anzumerken, dass die Bezeichnung als „klein“ nicht automatisch zur Diskriminierung führen darf. Es geht um eine zumeist mittelständische Energiesparte, in der bis zu 5 Megawatt erreicht werden. Herr Trittin, Mittelstand war aber noch nie Ihr Thema. ({13}) Durch den Entwurf zum EEG in der vorliegenden Form wird die Kleine Wasserkraft erheblich eingeschränkt. Ein vernünftiger Grund für die restriktive und nachteilige Behandlung ist mir nicht ersichtlich. ({14}) Die Große Wasserkraft ab 5 MW wird von diesen gesetzlichen Einschränkungen nicht betroffen. Das ist ein weiteres Zugeständnis an große Energieversorger. Die Technik der Anlagen der Kleinen Wasserkraft ist ausgereizt. Die Preise für diese Anlagen können nicht mehr gesenkt werden. In der Begründung zum Entwurf wird angeführt, es sei nur noch zu geringen Zuwächsen gekommen, das Potenzial sei erschöpft. In dieser Begründung verschweigen Sie, dass ein wesentlicher Grund für den zögerlichen Zubau oder die Wiederinbetriebnahme von Anlagen anderswo liegt. Der Grund dafür liegt nämlich in der restriktiven Genehmigungspraxis. ({15}) - Auch in anderen Bundesländern. - Die nationale Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie stellt für die Anlagenbetreiber ebenfalls ein Problem dar. Zahlreiche zusätzliche Vorgaben müssen beachtet werden. ({16}) Somit ist der zögerliche Zuwachs lediglich Ausfluss der rechtlichen und tatsächlichen Hürden bei der Planung und Genehmigung solcher Anlagen. ({17}) - Für Nordrhein-Westfalen gilt dies auch; erkundigen Sie sich. In der Begründung zum EEG-Entwurf wird anders argumentiert. Danach könne wegen des fehlenden Zuwachses die Vergütung eingeschränkt werden. Dies ist aber schlicht falsch. Es widerspricht auch der Gesetzessystematik. Im Rahmen des EEG und der Zielsetzung, die mit ihm verfolgt wird, ist es völlig unerheblich, ob ein Potenzial erschöpft ist. Sollte kein Zuwachs mehr möglich sein, wird auch kein neues Kraftwerk mehr gebaut werden. Solange aber gebaut werden kann, gelten für die Anlage das EEG und die in ihm enthaltenen Vergütungssätze. Daneben kann sie am Netzzugang teilnehmen. Damit wird das Ziel, das mit dem Gesetz verfolgt wird, erreicht. Die Diskriminierung der Kraftwerke ab dem 31. Dezember 2005, wonach Anlagen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in den Anwendungsbereich des EEG fallen, ist rechtlich nicht haltbar. Mit diesen Forderungen in dem vorliegenden Entwurf übertreffen Sie die Regelungen des Wasserhaushaltsrechts und des Naturschutzrechts. Damit würde das Gesetz zustimmungspflichtig. Ich möchte nur zu bedenken geben, dass die Belange und Interessen der Bundesländer vielfältig und höchst unterschiedlich sind. Ich bitte Sie, auf diese Einschränkungen zu verzichten. Nach übereinstimmenden Aussagen von Sachverständigen haben die Wasserkraftanlagen ökologisch wertvolle Funktionen. Die Wasserkraftnutzung bietet und realisiert enorme Chancen. Sie hält Wasser in der Landschaft, hilft, den Ausstoß von CO2 zu vermeiden, und kann eine Befeuchtung der Landschaft, vor allem auch in Trockenzeiten, vorhalten. ({18}) Auch im Sinne des Hochwasserschutzes haben die Wasserkraftanlagen eine regulierende Funktion. Die Benachteiligung der Kleinwasserkraftanlagen ist ungerechtfertigt und unzulässig. Die zeitliche Verzögerung durch die Zustimmungspflicht würde den Zeitplan wohl noch weiter durcheinander bringen. ({19}) Es ist mit einer Verzögerung bis etwa Mitte Mai 2004 zu rechnen. ({20}) Für die hohen Energiepreise wird allzu häufig das EEG verantwortlich gemacht. Doch scheint schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein, dass der Kern des Preisanstiegs die Ökosteuer ist. Diese Steuer hat mit Öko aber nur so viel gemeinsam wie Herr Trittin mit Herrn Clement. ({21}) Fehlende energiepolitische Konzepte, Streit in der Regierung, nicht eingehaltene Zeitpläne, Verunsicherung bei den Menschen in Deutschland - nicht nur im Umweltbereich -, all dies bietet uns die Regierung Schröder. Ich appelliere an Sie, Herr Trittin, als Vertreter der Bundesregierung: Sorgen Sie für ein auch mit Clement abgestimmtes und stimmiges Energiekonzept! Geben Sie Doris Meyer ({22}) nicht nur uns, sondern auch der Wirtschaft mit einem Konzept ein Stück Planungssicherheit für die Zukunft! Geben Sie den Menschen in Deutschland eine Orientierung, wohin die Reise in der Energieversorgung gehen soll! Sorgen Sie für einen zukunftsfähigen Haushalt! Danke schön. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer sich für politische Debatten interessiert, wird mir in einem Punkt leicht zustimmen können: Es ist immer wieder spannend, vor allem die Rednerinnen und Redner der CDU/CSU bei Debatten über die Umweltpolitik zu beobachten. Es wird schnell klar, dass sie nicht dürfen, was sie wollen. Sie wollen durchaus mehr Umweltschutz, aber sie dürfen nicht. ({0}) Deswegen haben sie eine interessante Strategie entwickelt: Sie fordern von der Regierung und den Koalitionsfraktionen immer mehr Umweltschutzinitiativen, ({1}) um sie danach im Parlament ablehnen zu können. Ich weiß nicht, wie lange sie das noch durchhalten wollen. ({2}) Dabei sollten wir uns doch im Bundestag darüber einig sein, dass sich die Rolle von Umweltpolitik und die Art, wie man Umweltpolitik machen muss, in den letzten Jahren zunehmend verändert hat. Es geht nicht mehr um den „Schadstoff der Woche“, weil man beim Filtern, Abdichten und Entsorgen seit den 70er-Jahren durchaus beachtliche Erfolge erreicht hat, und zwar zweifellos und für jeden zu bemerken. Aber diese Art von Umweltpolitik ist hinsichtlich der Kosten und der Bürokratie an Grenzen gestoßen. Deswegen müssen wir heute eine andere und modernere Umweltpolitik machen, indem wir Richtlinien setzen, die Produktverantwortung erhöhen und Innovationen gezielt fördern. Das war gerade schon bei den erneuerbaren Energien ein Thema. Ein gutes Beispiel für solche neuen Herausforderungen ist der Klimaschutz. Klimaveränderungen kommen sehr langsam und unmerklich, aber eben immer schneller. Sie sind nur mit Verzögerungen aufzuhalten oder abzumildern. Natürlich lösen nationale Alleingänge das Problem nicht. Aber das ist kein Grund, so wie die Opposition in Deutschland untätig und ideenlos zu bleiben, weil man dieses Problem mit nationalen Alleingängen nicht lösen kann. Für die Treibhausgase wird es in der Praxis keine Filter geben. Produkte und Produktionsweisen müssen angepasst werden. Das Verhalten und die Zielsetzungen müssen sich ändern. Man muss sich einmal die Temperaturen im letzten Monat anschauen. Die Durchschnittstemperatur im August 2003 lag um etwa 4 Grad über dem langjährigen Mittel. Wer den Wissenschaftlern zuhört, weiß, dass es einen Anstieg der Durchschnittstemperaturen von bis zu 5 oder 6 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts geben kann. 4 Grad mehr haben schon zu Hitzetoten, Dürre und Teilabschaltungen von Großkraftwerken geführt. Jetzt müssen wir sogar von einem Anstieg der Durchschnittstemperaturen um 5 oder 6 Grad ausgehen. Da können heiße Jahre noch einmal verstärkend wirken. Wer an dieser Stelle Klimaschutz zum Luxus erklären will, hat entweder keinen Verstand oder keinen Anstand. ({3}) In kaum einem anderen Politikfeld sind die Unterschiede zwischen Koalition und Opposition so groß wie beim Klimaschutz. Auf der einen Seite ist die Koalition - mit nachweisbar mutigen Initiativen und belegbaren Erfolgen, die in anderen Ländern als vorbildlich dargestellt werden. - Herr Paziorek, Sie kommen doch viel in anderen Ländern herum. ({4}) Andere Länder wollen unseren Beispielen folgen. Deren Umweltinitiativen fordern Deutschland auf, auf der nächsten Konferenz weitere Initiativen vorzustellen, weil sie hoffen, dass andere Länder folgen. ({5}) Auf der anderen Seite ist die Opposition, die zwar noch die Notwendigkeit von Klimaschutz in Sonntagsreden betont, aber weder politische noch wirtschaftliche Anstrengungen dafür unternehmen will. ({6}) Es ist eine Opposition, die regelmäßig gegen wichtige Initiativen für den Klimaschutz stimmt, sei es gegen das Erneuerbare-Energien-Gesetz, die Energieeinsparverordnung, die Kraft-Wärme-Kopplung, den nationalen Klimaaktionsplan oder auch gegen die Ökosteuer. Daran muss man immer wieder erinnern. Die CDU/CSU hat wenigstens bei einigen Punkten mitgestimmt. Die FDP allerdings hat gegen jede einzelne Klimaschutzinitiative der letzten fünf Jahre im Deutschen Bundestag gestimmt. Die Opposition präsentiert zu unseren Initiativen immer nur nutzlose Gegenmodelle. Ich nenne als Beispiel das Ausschreibungsmodell für erneuerbare Energien. Schauen Sie sich doch Ihr wettbewerbliches Modell an, Frau Homburger! ({7}) Es gibt Länder, die das machen, allerdings mit einem Bruchteil der deutschen Erfolge bei den erneuerbaren Energien und einem Mehrfachen an Kosten. Schauen Sie sich doch einige unserer europäischen Nachbarländer an! ({8}) Dort ist der Vergütungspreis für Windenergie doppelt so hoch wie in Deutschland - und das bei Anwendung eines angeblich marktwirtschaftlichen Instrumentes. Informieren Sie sich doch einmal, was erfolgreiche Modelle sind, und schließen Sie sich diesen an! Stellen Sie nicht immer extra einen Antrag, um zu beweisen, dass die FDP noch existiert! ({9}) Ich möchte eine Ausnahme bei der Kritik an der Klimapolitik der Opposition machen. Bei internationalen Konferenzen treten wir geschlossen auf. Das ist gut so. Umso unverständlicher finde ich es, dass wir uns auf nationaler Ebene über diese Frage so streiten. Dabei gibt es doch in den Reihen der CDU/CSU und der FDP längst Menschen, die diese Notwendigkeit eingesehen haben. Ich rede nicht nur von Herrn Töpfer, sondern auch von Herrn Ramsauer und Frau Meyer von der CDU/CSU, zumindest was die Wasserkraft betrifft. Bei der FDP gibt es solche Menschen auch. Die bayerische FDP fordert im Landtagswahlkampf, den CO2Ausstoß bis 2050 um 80 Prozent zu reduzieren. Willkommen im Club! Vielleicht kommt die Bundes-FDP auch einmal auf den Trichter. ({10}) Ein weiteres Beispiel für Unterschiede in der Umweltpolitik ist der Naturschutz. Auch das ist eigentlich ein mögliches Feld für Gemeinsamkeiten. Schließlich gehören viele engagierte Naturschützerinnen und Naturschützer der konservativen Klientel an. Aber die CDU/ CSU reduziert den Naturschutz auf möglichst viele zusätzliche Subventionen für die Landwirtschaft und tarnt das als angeblichen Vertragsnaturschutz. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Vertragsnaturschutz bedeutet, Landwirte dafür zu bezahlen, dass sie zusätzliche, gesellschaftlich gewünschte Aufgaben übernehmen, sie aber nicht dafür zu bezahlen, dass sie sich korrekt verhalten. ({12}) Was soll das, was Sie hier fordern, noch mit Umweltschutz zu tun haben? ({13}) Im Naturschutz müssen wir uns endlich gemeinsam um ein weiteres Hauptthema kümmern, nämlich um den Flächenfraß, um die Versiegelung des Landes. 129 Hektar verschwinden pro Tag nach Angaben des Umweltbundesamtes unter Steinen und Asphalt. ({14}) Das heißt, betroffen ist die dreifache Fläche der Stadt Bonn; um eine kleine Anleihe an meine Heimatstadt zu machen. Wir müssen über neue Wege nachdenken. ({15}) Wir müssen die Zubetonierung der Heimat stoppen. Die Verpflichtung zu den Ausgleichsmaßnahmen - auch das muss man erkennen - hat es allein nicht gebracht. Wäre es nicht gerechtfertigt, Effizienzvorgaben zu machen, also als Genehmigungskriterium die Minimierung von Flächenverbrauch einzuführen? ({16}) Kann man nicht angesichts einer in Zukunft schrumpfenden Bevölkerung bei Bauvorhaben eine Entsiegelung in gleicher Größenordnung verlangen? Kann es nicht eine Versiegelungsabgabe geben, die von Jahr zu Jahr steigt und deren Ertrag dazu verwendet wird, eine Entsiegelung an anderer Stelle zu finanzieren? Das sind die Modelle, über die wir jetzt nachdenken müssen. ({17}) Als drittes Feld will ich die additive Wirkung von Umweltbelastungen gerade auf den Menschen und exemplarisch die Wirkung überall vorkommender kleiner Mengen an Chemikalien nennen. Die rapide Zunahme der Zahl an Allergien bei unseren Kindern muss doch nachdenklich machen. Die Verdoppelung bzw. Verdreifachung der Zahlen in den fünf neuen Ländern nach der Wiedervereinigung macht das deutlich. Dieser Anstieg hat nichts mit der verbesserten medizinischen Beobachtung zu tun. Vielmehr ist er Ausdruck der Vielzahl neuer Chemikalien, denen die Menschen ausgesetzt sind. Ist es denn wirklich ein Fortschritt, wenn unsere Textilien jedes Jahr ein Dutzend neue Chemikalien enthalten? ({18}) Worin besteht der Fortschritt, wenn in Wachsmalstiften und Kindergummistiefeln problematische Stoffe enthalten sind? Was haben diese Stoffe eigentlich darin zu suchen? Schließlich gibt es fast immer preisgünstige Alternativen. Wir müssen einsehen, dass die herkömmliche Gesetzgebung in diesem Bereich an ihre Grenzen stößt. Wir können nicht die Wirkung jeden Stoffes verfolgen. Ein Parlament kann die Reaktion von Dutzenden solcher Stoffe nicht abschätzen. ({19}) Warum ersetzen wir einen Teil der Vorschriften in diesem Bereich nicht durch ein strengeres und klareres Haftungsrecht? ({20}) Vielleicht wird dann die eine oder andere Firma bereit sein, 10 Cent mehr für die Produktion einer Packung Wachsmalstifte auszugeben, weil sie die hohen Kosten im Falle einer möglichen Haftung für die Wirkung der bisher verwendeten Inhaltsstoffe fürchtet. ({21}) Umweltschutz mag zwar heute nicht mehr das Topthema in den Nachrichten sein, aber die Aufgaben sind deshalb nicht weniger geworden. ({22}) Deswegen würde ich mich durchaus freuen, wenn die Opposition mit aufs Tempo drücken würde, ({23}) statt immer wieder zu bremsen. Wir zumindest haben uns vorgenommen, auch weiterhin in der Umweltpolitik Gas zu geben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Das Wort hat zunächst die Bundesministerin Brigitte Zypries. - Es wäre schön, wenn unvermeidliche Platzwechsel zügig erfolgen könnten. - Bitte schön, Frau Ministerin.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht erst seit dem Eintreten der schwierigen Situation der öffentlichen Haushalte ist immer wieder von der knappen Ressource Recht die Rede. Die Kapazitäten der Justiz gelten als knapp. Insbesondere für die Recht suchenden Bürgerinnen und Bürger ist das Recht ein kostbares Gut. Unsere Gesellschaft schätzt den Rechtsfrieden, den gute Gesetze sowie leistungsfähige Verwaltungen und Gerichte vermitteln. Die Justiz in unserem Land hat ein hohes Ansehen. Nicht zuletzt das besondere Ansehen des Bundesverfassungsgerichts zeugt davon. Zu den Kernaufgaben des Staates gehört es, die Justizgewährung zu garantieren und die richtigen Rahmenbedingungen für die Pflege und Fortentwicklung des Rechts zu schaffen. Die Bürgerinnen und Bürger haben sogar einen verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch. Daraus folgen zwei Verpflichtungen des Staates. Erstens muss er unabhängige und funktionierende Gerichte zur Verfügung stellen, die Rechtsstreite in angemessener Zeit entscheiden. Zweitens muss er allen den Zugang zu den Gerichten ermöglichen. Die Rechtsgewährung gilt auch für diejenigen, die nicht ohne weiteres dafür zahlen können. Aus dieser Verpflichtung und auch Errungenschaft unseres Rechtsstaates erwächst für uns die Verantwortung, mit dem Justizhaushalt nicht nach der Rasenmähermethode umzugehen. Ich möchte mich bei allen Haushaltsberichterstattern recht herzlich dafür bedanken, dass sie das bei dem vorliegenden Haushaltsentwurf genauso gesehen haben und bei der Erstellung des Justizhaushalts entsprechend verfahren sind. ({0}) Die von mir skizzierten Rechte bedeuten aber keinen Freibrief für die Justiz, mit den Mitteln nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Auch die Justiz ist gefordert, Mittel einzusparen sowie die vorhandenen Mittel zusammenzuhalten und sie effektiver einzusetzen. Dass das Justizministerium kostenbewusst vorgeht, zeigt die Refinanzierungsquote des Haushalts. Der Justizhaushalt hat eine Deckungsquote von deutlich mehr als 90 Prozent und liegt damit weit über allen anderen Ressorts. Trotz allem werden wir auch 2004 wieder einen Einsparbeitrag von 6,7 Millionen Euro erwirtschaften. Das sind immerhin fast 2 Prozent des Volumens des Haushalts. Das ist für einen Haushalt, mit dem überwiegend Personalkosten gedeckt werden müssen, kein Pappenstiel. Unabhängig von der Einnahmeseite muss auch die Ausgabeseite betrachtet werden. Wir müssen im Hinblick sowohl auf den Bundeshaushalt als auch auf die Haushalte der Länder - mit ihnen sollten wir hier zusammenarbeiten; denn sie sind ja in einer ähnlichen Situation wie wir - die Justiz modernisieren, und zwar in drei Stufen: Erstens. Wir müssen die Abläufe innerhalb der Justiz vereinfachen. Zweitens. Wir müssen prüfen, welche Aufgaben innerhalb der Justiz übertragen werden können, zum Beispiel von Richtern auf Rechtspfleger oder auf andere Mitarbeiter des Justizdienstes. Drittens. Wir müssen auch prüfen, inwieweit Privatisierungen von Aufgaben möglich sind. Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Vereinfachung von Abläufen kurz auf den von uns vorgelegten Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes eingehen. Mit diesem Gesetz wollen wir weniger dem Bund als vielmehr den Ländern die Möglichkeit geben, die Verfahren zu vereinfachen bzw. - so habe ich es bereits an einer anderen Stelle formuliert - viele kleine Sandkörner aus dem Getriebe der Justiz zu entfernen und stattdessen Öl hineinzugießen. Wir wollen Vereinfachung, ohne die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren in irgendeiner Form zu beeinträchtigen. Derzeit müssen beispielsweise im Zivilprozess Beweise oft ein zweites Mal erhoben werden, obwohl es in gleicher Sache bereits einen Strafprozess gegeben hat, in dem Zeugen vernommen, Gutachten eingeholt und die Beweise eingehend gewürdigt wurden. Wir wollen deshalb den Beweiswert eines rechtskräftigen Urteils in einem Strafprozess erhöhen: Das Zivilgericht soll in gleicher Sache an das Urteil in einem Strafprozess gebunden sein. Selbstverständlich soll der Gegenbeweis zulässig sein. Wir meinen, dass wir damit sowohl die Rechtsposition des Opfers stärken als auch den Zivilprozess effizienter machen werden. Ein weiteres Beispiel für eine Vereinfachung der Abläufe ist der elektronische Rechtsverkehr. Sie wissen, dass hier bereits etliche Modellprojekte laufen. Ab dem 15. Oktober dieses Jahres können nun auch verfahrensrelevante Erklärungen in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes sowohl beim Bundesgerichtshof als auch beim Bundespatentgericht und beim DPMA rechtswirksam als elektronische Dokumente eingereicht werden. Vorschläge zur Übertragung von Aufgaben haben wir auch in unserem Entwurf eines Justizmodernisierungsgesetzes gemacht. Wir schlagen vor, beim Erbschein und beim Handelsregister Aufgaben auf Rechtspfleger zu übertragen, um insbesondere den Ländern mehr Spielraum zu geben. Privatisierungen im Rahmen der Justiz sind schwierig. Ich bin zwar stets dafür, dass sich der Staat überall dort zurückhält, wo gesellschaftliches Engagement zu gleichen oder besseren Ergebnissen führt. Der moderne Staat ist nicht dann stark, wenn er alles selbst macht. Er ist es vor allen Dingen dann, wenn er Wirtschaft und Gesellschaft stark macht, aber eben nur dort, wo es möglich und besser ist. Deshalb muss man mit Privatisierungen im Justizbereich besonders vorsichtig umgehen. ({1}) Die Privatisierung des Strafvollzugs oder der Gerichtsvollzieher ist nicht das, was wir unbedingt brauchen. Insbesondere hier gilt es, der Privatisierungshysterie entgegenzutreten, die im Übrigen oft damit endet, dass die Gewinne privatisiert werden, dass aber die Verluste bzw. die Kosten für die Aufsicht über die privaten Unternehmen der Steuerzahler trägt. Das können wir nicht wollen. ({2}) Die Justiz braucht die staatliche Autorität, die für die Schaffung des Rechtsfriedens erforderlich ist, und sie braucht dort, wo sie in die Rechte der Menschen eingreift, feste rechtsstaatliche Bindungen. Ich habe eingangs gesagt: Der verfassungsrechtlich garantierte Justizgewährungsanspruch umfasst nicht nur den Zugang zu den Gerichten an sich. Die Gerichte müssen vielmehr auch in der Lage sein, in angemessener Zeit ihre Entscheidungen zu treffen. Deshalb sind die obersten Gerichte des Bundes schon seit Jahren von der linearen Stelleneinsparung ausgenommen. Wir hatten aber nicht alle notwendigen Mittel für die Stellen eingestellt. Ich danke Ihnen, dass Sie das in diesem Haushalt nachgeholt haben. Dem BGH sind bereits 2003 zusätzlich 2 Millionen Euro bereitgestellt worden. 2004 erhält er weitere 1,4 Millionen Euro für Personalausgaben. Dem Bundesfinanzhof stehen sogar zusätzlich 1,6 Millionen Euro zur Verfügung. Ich nehme an, dass sich die Situation beim Bundesgerichtshof, die durch zusätzliche Arbeitsbelastung gekennzeichnet ist - das hat nichts mit den Etaterhöhungen zu tun -, in Kürze entspannen wird. Sie wissen, dass es eine erhöhte Arbeitsbelastung durch die ZPO-Reform vor allem in den Bereichen des Miet-, des Kosten- und des Insolvenzrechts gibt. Wir haben aber die schöne Beobachtung zu machen, dass der BGH gerade in Mietsachen mehrere Grundsatzentscheidungen gefällt hat, die sich sozusagen nach unten durchdeklinieren und somit auch bei den Instanzgerichten zu Arbeitsvereinfachungen führen werden. Das ist ebenfalls ein Beitrag des Bundes zur Justizgewährung in den Ländern, damit auch dort die schwierige Ressource Recht gehandhabt werden kann. Der Zugang zu den Gerichten muss bezahlbar sein. Außerdem muss die Rechtspflege so ausgestattet sein, dass sie ordnungsgemäß funktioniert. Beide Gesichtspunkte haben wir bei der grundlegenden Reform des Kostenrechts, die wir in Kürze auf den Weg bringen werden, berücksichtigt. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei der Opposition, namentlich bei Ihnen, Herr Dr. Röttgen, für die gemeinsame Erörterung und für die Zusage, dass der Entwurf mit Ihrer Zustimmung durch die parlamentarischen Gremien getragen wird, bedanken. ({3}) - Ich habe das gesagt, damit das einmal im Protokoll festgehalten wird. Zum 1. Juli 2004 wollen wir die Regelungen für die Gerichtskosten ebenso wie die Entschädigung für Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter neu gestalten. Wir wollen die in Teilen über 120 Jahre alte Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung durch ein neues Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ersetzen. ({4}) Unser gemeinsames Ziel ist es, das Kosten- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter zu machen. Wir wollen die Gerichte auch dadurch entlasten, dass wir die Vergütung des Anwalts im vorgerichtlichen Verfahren verbessern. Dadurch soll der Anreiz geschaffen werden, nicht zu Gericht zu gehen. Wir werden den Ostabschlag auf Gebühren und Entschädigungssätze in Höhe von 10 Prozent abschaffen. Das ist ein weiterer Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den östlichen und westlichen Bundesländern. Ich meine, dass es gerechtfertigt ist, die seit über zehn Jahren ausstehende Erhöhung der Anwaltsgebühren endlich anzugehen. Wir sehen vor, dass die Anwälte pro Jahr eine Erhöhung um etwa 1,4 Prozent erhalten. Das ist kein besonders hoher Einkommenszuwachs, wenn man bedenkt, dass er in der gewerblichen Wirtschaft ansonsten bei jährlich durchschnittlich 2,6 Prozent lag. Wir müssen berücksichtigen, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sehr häufig auch Arbeitgeber sind, denen dadurch höhere Lohnkosten, höhere Mietkosten und höhere Bürokosten entstehen. Ich bin der Auffassung, dass die Erhöhung, auf die wir uns verständigt haben, sehr moderat ist. Ich hoffe sehr, dass die Anwaltschaft bei ihren bisherigen relativ positiven Aussagen bleibt. Um das Ziel, die Anzahl der Verfahren bei den Gerichten zurückzuschrauben, setzen wir zum einen auf die vorhin erwähnten vorgerichtlichen Streitentscheidungen. Zum anderen haben wir festgestellt, dass durch die Einführung des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern für ihre Kinder im Scheidungsfall ein deutlicher Rückgang der Zahl an familiengerichtlichen Streitigkeiten zu verzeichnen ist. Das heißt, dass man auch das materielle Recht danach durchforsten muss, wo man Hilfestellungen geben kann. ({5}) Dazu gehört auch die Arbeit des Deutschen Patentund Markenamtes, die an dieser Stelle schon mehrfach gewürdigt wurde. Sie wissen, dass wir das so genannte Stauabbauprogramm auf den Weg gebracht haben, weil die Anzahl der Prüfer bis 1997 kontinuierlich verringert wurde und weil wir festgestellt haben, dass die enormen Rückstände im Sinne der Interessen der deutschen Industrie und Patentanmelder dringend aufgearbeitet werden mussten. In diesem Haushaltsgesetzentwurf ist die letztmalige Schaffung von 60 zusätzlichen Stellen für Patentprüfer vorgesehen. Wir sind zuversichtlich, dass wir es schaffen, innerhalb kurzer Zeit gerichtsfeste, belastbare und vernünftige Bescheide zu erlassen, um so den notwendigen Rechtsrahmen für die Wirtschaft zu setzen. ({6}) Last, but not least ist dazu zu sagen, dass damit natürlich auch eine Steigerung des Gebührenaufkommens des Bundes verbunden ist: Im Jahre 2004 werden wir durch die verbesserte Erledigung beim DPMA - prognostisch - 12 Millionen Euro mehr einnehmen als in den Jahren zuvor. Zum Bereich der Justiz kann man am heutigen Tage keine Rede halten, ohne an den schrecklichen Terroranschlag von vor zwei Jahren in New York zu erinnern. Wir haben heute Morgen im Bundestag eine allgemeine Gedenkminute dazu abgehalten. Dieses Attentat hat uns nicht zuletzt gezeigt, dass der Justizgewährungsanspruch nicht mehr nur national ist, sondern dass internationale Verpflichtungen bestehen, gemeinsam gegen Terroristen vorzugehen und die Bekämpfung des internationalen Terrorismus abzustimmen. Wir in Deutschland haben unseren Beitrag dazu geleistet: § 129 b StGB wurde eingeführt. Mit dem Rahmenbeschluss Terrorismus und dem europäischen Haftbefehl ({7}) haben wir weitere wichtige gesetzgeberische Voraussetzungen geschaffen, um dem internationalen Terrorismus in Zukunft besser begegnen zu können. Wir haben in Deutschland das weltweit einzige Verfahren gegen einen Täter des 11. September - mit einer Verurteilung - abgeschlossen. Ein weiteres Verfahren befindet sich in der Hauptverhandlung. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Nationen den Weg der rechtsstaatlichen Anklage konsequent umsetzen. ({8}) Zudem sind wir das Land - lassen Sie mich das an dieser Stelle auch einmal erwähnen -, das das weltweit dichteste Angebot in Sachen Rechtshilfe hat, sowohl was die Ersuchen als auch was das Antworten bei Rechtshilfeverfahren anbelangt. Wir haben auch insoweit mit den USA nach dem 11. September sehr gut zusammengearbeitet und ein Rechtshilfeabkommen ausgehandelt, das wir im nächsten Monat unterzeichnen können. Wir haben also allen Anlass, auch für den Bereich der Justiz sagen zu können: Wir haben unseren Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus geleistet. Ich habe eingangs von der knappen Ressource Recht gesprochen. Sie gilt es zu bewahren, und zwar, wie ich meine, mit intelligenten und effizienten Mitteln. Ich denke, dass der Haushalt, der hier heute eingebracht wird, ein wichtiger Beitrag dazu ist. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Dr. Wolfgang Götzer, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsdebatte ist immer ein Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen, in diesem Fall über knapp ein Jahr rot-grüne Rechtspolitik. Liebe Frau Ministerin, auch wenn ich Sie persönlich schätze und wir alle den im Vergleich zu Ihrer Vorgängerin neuen Umgangsstil anerkennen, kann ich Ihnen nicht ersparen, dass ich diese Bilanz als sehr mager bezeichnen muss. Unter Ihrer Vorgängerin herrschte bisweilen hektisch aufkommender Aktionismus. Davon kann jetzt wahrlich keine Rede sein. Die Koalitionsvereinbarung ist bis jetzt größtenteils nicht umgesetzt worden und wenn doch, dann sehr dürftig. ({0}) Es gibt viele Ankündigungen und wenig Taten. Liebe Frau Zypries, wir entdecken bei Ihnen zwar einige begrüßenswerte Ansätze. Ihr Problem ist aber: Sie können sich nicht durchsetzen, weder gegenüber der SPD-Fraktion noch gegenüber dem Koalitionspartner. Dazu kommt die Uneinigkeit innerhalb der Koalition. Die Leidtragenden sind die rechtsuchenden und rechtstreuen Bürger sowie die Opfer von Straftaten. Ich möchte ausdrücklich positiv erwähnen: Während Ihre Vorgängerin doch deutlich von Ideologie umgetrieben war, können wir sehr sachbezogen und ideologiefrei miteinander diskutieren. Das kann man von den Vertretern der Koalitionsfraktionen im Rechtsausschuss nicht immer behaupten. ({1}) Wir erleben dort nach wie vor und immer wieder, dass die Mehrheitskarte gespielt wird, wenn Argumente ausgehen, wenn eine Initiative der Union abgeblockt, verzögert bzw. abgewürgt werden soll oder wenn Sie Ihre eigenen Vorhaben durchpeitschen wollen. Immer wieder gibt es Fälle von ideologischer Schlagseite. Ich spreche in diesem Zusammenhang noch einmal das traurige Beispiel des Entschädigungsfonds für Opfer rechtsextremer Gewalt an, bei dem Sie sich ausdrücklich geweigert haben, Entschädigungsleistungen auch für Opfer linksextremistischer Gewalt zur Verfügung zu stellen. Das ist an Schlagseite, an ideologischer Einseitigkeit, wirklich nicht zu überbieten. ({2}) - Herr Kollege Montag, es wundert einen nicht, wenn man sieht, dass der Verfassungsschutz im SPD-geführten Nordrhein-Westfalen mit Linksradikalen zusammenarbeitet. ({3}) - Ja, Sie wissen es genau. Das ist auch hier schon zur Sprache gekommen. Was ist seitens Rot-Grün bisher gelaufen? Was ist bisher wirklich in trockenen Tüchern? Zu nennen ist die Novelle des Urheberrechts - mit unserer Zustimmung verabschiedet. Das war aber erst der eigentlich weniger problematische Teil. ({4}) Der wirklich problematische Teil kommt erst noch. Die Novelle zum Sexualstrafrecht ist beschlossen. Aber wie? Ein Trauerspiel! Die Kernpunkte sind bis heute nicht umgesetzt, sind nicht Gesetz geworden. ({5}) Unsere Forderung, den Kindesmissbrauch generell vom „Vergehen“ zum „Verbrechen“ hochzustufen, ist im Gesetz nicht verwirklicht. Das wäre aber gerade als Signal so wichtig gewesen. ({6}) Sie haben sich dem verweigert. Stattdessen gab es eine peinliche Panne. Kindesmissbrauch als Wiederholungstat war im Entwurf zunächst sogar zum Vergehen heruntergestuft. ({7}) - Oh! Sie wollten das? Danke, Kollege Stünker. Im Protokoll steht jetzt - das ist gut -, dass das keine Panne, sondern Ihre Absicht war. ({8}) - Warum haben Sie es dann bei der Schlussdebatte im Rechtsausschuss korrigiert, sozusagen gerade noch in letzter Sekunde? ({9}) Was die DNA-Analyse angeht, haben Sie bei weitem nicht das gemacht, was notwendig wäre. Wir erleben doch jetzt ständig, welche großen Erfolge wir bei Fällen verzeichnen können, die jahre- und jahrzehntelang nicht aufgeklärt werden konnten. Dank der DNA-Analyse können sie jetzt aufgeklärt werden. Hier wäre eine Ausweitung auf sozusagen Schwerkriminelle in spe notwendig gewesen. ({10}) Auch die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, so wie wir sie verlangt haben, ist im Gesetz nicht verwirklicht. ({11}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Regierungskoalition, Menschenleben, Kinderleben hätten gerettet werden können, wenn die Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, so wie wir sie gefordert haben, auf Bundesebene Gesetz geworden wäre. ({12}) Was die Anzeigepflicht angeht, eines Ihrer wichtigsten Anliegen, Frau Ministerin, sind Sie total eingebrochen. Ihre Devise „Hinschauen und nicht wegschauen“ teilen wir voll, aber so konnte es nicht gehen. Deshalb ist dieses Desaster zu Recht erfolgt. Das war dann eigentlich auch schon die Antwort auf die Frage, was so über die Bühne gegangen ist; ({13}) denn was zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses zur Terrorismusbekämpfung beschlossen wurde - das muss man gerade heute am Jahrestag des 11. September sagen -, verdient keine besondere Erwähnung. ({14}) Nichts geschehen ist bisher zum Thema Graffiti. Seit Jahren gibt es Vorstöße und Gesetzentwürfe der Union im Bundestag - über den Bundesrat - und jahrelang wurden diese Vorstöße von den Alt-68ern in Ihren Reihen blockiert. (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des ({15}) - Ich weiß, es sind nicht alle Alt-68er. Es gilt nicht der Satz: Einmal 68er, immer 68er. Der Beweis sitzt auf der Regierungsbank. Dort sitzen welche, die mittlerweile ganz gewichtige Vertreter des einst so bekämpften Establishments sind. ({16}) Also: Man muss das sehr differenziert sehen. Es gibt natürlich auch den Kollegen Ströbele, der da immer noch an vorderster Front steht. ({17}) Nun habe ich gehört, Frau Zypries, dass Sie sich im Sommer in dem Sinne geäußert haben, Sie sähen Handlungsbedarf. ({18}) Wir freuen uns sehr darüber und hoffen, dass es bald zu einer Regelung kommt. Bei diesem Thema geht es um 200 bis 250 Millionen Euro Schaden im Jahr bundesweit, aber insbesondere hier in Berlin. Herr Ströbele, Sie werden sich damit abfinden müssen, dass Sie bei Ihren Veteranentreffen in Zukunft andere Geschichten erzählen müssen. ({19}) Thema Opferschutz. Nachdem die Union einen Gesetzentwurf zum Opferschutz eingebracht hat, hat jetzt auch das BMJ einen Referentenentwurf vorgelegt; jahrelang war ja nichts geschehen. Unser Gesetzentwurf wird im Ausschuss blockiert. Ein konkreter Anhörungstermin wird bisher verweigert. Geht man so mit diesem Thema um? Dabei sind wir uns doch eigentlich einig darüber, dass Handlungsbedarf besteht, dass wir die Rechte der Opfer stärken müssen, im Strafverfahren genauso wie im Zivilverfahren, und dass wir eine Lücke schließen müssen. Wir brauchen nämlich eine Entschädigung für diejenigen Deutschen, die Opfer von Straftaten im Ausland werden. Da wäre wirklich etwas zu tun. Schutz der Privatsphäre. Es gibt einen Entwurf der CDU/CSU-Fraktion. ({20}) Bei der Koalition: Fehlanzeige. Jugendstrafrecht. Im Koalitionsvertrag steht meines Wissens, dass eine Überprüfung stattfinden soll. Bis jetzt kann ich davon nichts erkennen - und das bei steigender Jugendkriminalität. Unserer Meinung nach muss etwas getan werden. In Zukunft muss die Verurteilung von Heranwachsenden im Grundsatz nach Erwachsenenstrafrecht erfolgen. ({21}) Auch der Warnschussarrest für jugendliche Wiederholungstäter, den Bayern ins Gespräch gebracht hat, ist bedenkenswert. Über diese Dinge muss man reden, da auch in dieser Frage angesichts der steigenden Kriminalitätszahlen Handlungsbedarf besteht. ({22}) Werte Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist gerade der Referentenentwurf zum Sanktionensystem vorgestellt worden, den wir lange gefordert haben. ({23}) - Herr Kollege Stünker, Sie haben offensichtlich die diesbezüglichen Debatten nicht mehr im Kopf. - Wenn man den Entwurf querliest, stellt man fest, dass er so manche Vorschläge enthält, die die Union in der 14. Wahlperiode im Bundesrat eingebracht hat. Das soll uns recht sein, wenn es der Sache dient. Wir sind auch in Zukunft gerne bereit, Ihnen unsere Vorschläge zur Verfügung zu stellen und mit Ihnen da zusammenzuarbeiten, wo es sinnvoll ist; die Frau Ministerin hat ja das RVG und das Urheberrecht genannt. ({24}) Nicht mitmachen werden wir bei dem geplanten Antidiskriminierungsgesetz, wenn es so kommen sollte, wie man hört und liest. ({25}) - Ach so, es kommt noch gar nicht, wie so vieles andere, Herr Kollege Montag. ({26}) Sie müssen sich langsam einmal einigen, was kommen soll und was nicht. In diesem Fall ist es zweifellos besser, wenn von Ihrer Seite nichts kommt. Hier zeigt sich wieder einmal blanke Ideologie. Es geht hierbei nämlich nicht darum, dass man das Recht den gesellschaftlichen Verhältnissen anpasst, sondern hier sollen mithilfe eines Gesetzes die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert werden. Frau Zypries, auch Sie haben das angesprochen und ganz klar so gesehen. Die Grünen wollen nämlich nicht etwa die EU-Richtlinie eins zu eins umsetzen - da gibt es ja nun erheblichen Sprengstoff für Ihre Koalition -, sondern sie wollen eine allgemeine zivilrechtliche Ausweitung der Nichtdiskriminierungskriterien über die EU-Richtlinie hinaus auf Religion, Weltanschauung, Geschlecht, Behinderung, sexuelle Identität und Alter - also ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz. Wir hatten ja schon in der letzten Wahlperiode befürchtet, dass so etwas kommt. Es ist dann Gott sei Dank nicht dazu gekommen. Wollen Sie vielleicht auch noch wieder den alten Gedanken der Beweislastumkehr aufnehmen und dann vielleicht das Ganze auch noch mit dem Instrument der Verbandsklage bewehren? ({27}) Frau Zypries, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, das hebele die Privatautonomie aus. ({28}) Grundrechtliche Freiheit besteht auch und gerade darin, Unterschiede machen und ungleich behandeln zu dürfen. - Jetzt hätte ich gedacht, Sie klatschen, denn der Satz stammt nicht von mir, sondern vom Kollegen Hartenbach. Da sollten Sie eigentlich zustimmen. Das Protokoll registriert also: keine Zustimmung für diesen Satz des Parlamentarischen Staatssekretärs Hartenbach. ({29}) Wir stimmen dem zu. Ich finde, dass der Zivilrechtler Professor Picker von der Universität Tübingen Recht hat, wenn er sagt, dass damit der Gebrauch der Meinungsfreiheit unter Strafe gestellt wird. Er spitzt das sehr stark zu. Aber mit dem, was hier manche planen, wird Art. 5 des Grundgesetzes meiner Meinung nach wirklich in unzulässiger Weise eingeschränkt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zum Schluss. - Liebe Frau Zypries, setzen Sie sich bitte in diesem Punkt gegenüber dem Koalitionspartner durch. Wir sind der Meinung, dass es ohnehin keinen Umsetzungsbedarf für diese Richtlinie gibt, weil die §§ 134 und 138 BGB ausreichen. ({0}) Ich fasse zusammen: eine äußerst dürftige Bilanz, fast nichts in die Tat umgesetzt, nur einige Ankündigungen, große Uneinigkeit in der Koalition und eine Ministerin, die sich nicht durchsetzen kann. Das bedauern wir sehr. Weil ich Sie, Frau Zypries, aber persönlich sehr schätze, möchte ich mit Genehmigung des Präsidiums zum Schluss aus einem Aufsatz von Ihnen zitieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wenn es ein Satz ist, lasse ich es gerade noch zu. Wenn Sie den ganzen Artikel vorlesen wollen, kann ich das mit Blick auf die vereinbarten Redezeiten nicht zulassen.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich nicht. - Vor wenigen Tagen ist uns ein Buch mit einem Aufsatz von Ihnen, den ich natürlich bereits gelesen habe, in die Hände gefallen. Ich darf Sie zitieren: Die Bundesregierung hat den moderierenden Staat zum Prinzip gemacht. Dieses Zitat trifft nicht zuletzt auf den Bundeskanzler zu; das ist leider wahr. - Ich darf Sie aber noch weiter zitieren.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, das dürfen Sie nun wirklich nicht. Es wird ja alles goldrichtig sein und kann an geeigneter Fundstelle nachgelesen werden.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt kommt aber ein Satz, der das Parlament betrifft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das mag ja sein, Herr Kollege.

Dr. Wolfgang Götzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000707, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser Satz lautet, ich zitiere: Dabei darf aber die Politik nicht zu kurz kommen. Sehr richtig, Frau Zypries. Wir brauchen Führungskraft. Frau Ministerin, darauf warten wir. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Jerzy Montag, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen im Haushalt des Justizministeriums, Einzelplan 07, und des Bundesverfassungsgerichts, Einzelplan 19, sind schnell dargestellt. Das Bundesjustizministerium, die Bundesgerichte, der Generalbundesanwalt, das Deutsche Patent- und Markenamt brauchen seit Jahren konstant weniger als 15 Tausendstel des Gesamthaushalts. Sie finanzieren sich - das wurde von der Ministerin bereits gesagt - zu über 90 Prozent aus eigenen Einnahmen und erbringen die geforderte globale Minderausgabe vollständig durch Einsparungen. Das Bundesjustizministerium verdient für diese vorbildliche Haushaltsführung auch im Haushalt 2004 keine Kritik, sondern Anerkennung und Dank des ganzen Hauses. ({0}) Ohne andere damit hintanzustellen will ich sagen, dass die Bundesgerichte, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, ihre wichtigen Aufgaben der Rechtsgestaltung und Rechtsfortbildung wie auch das Wächteramt des Grundrechtschutzes hervorragend und effektiv wahrnehmen. Die Bürgerinnen und Bürger und den Staat kosten diese so wichtigen Leistungen der Bundesjustiz vergleichsweise wenig, ohne dass es damit zu einem billigen Recht im Sinne minderer Qualität kommen würde. Aber uns allen muss klar sein: Wir reden von nicht weniger als von den Kosten des Rechtsstaates und der Rechtsstaatlichkeit und dies muss uns in Zukunft mehr und nicht weniger wert sein. Deshalb nicht nur Dank und Anerkennung, nein, auch Geld und Ausstattung müssen stimmen, wenn wir wollen, dass die Bundesjustiz die immer weiter wachsenden Anforderungen, besonders im europäischen Vereinigungsprozess, auch meistern kann. Rechtspolitik ist Gesellschaftspolitik und Gesellschaftspolitik braucht einen Anker und einen Kompass, wenn sie nicht bestehenden und gemachten Stimmungen nachjagen und sich dabei verbiegen und missbrauchen lassen will. Unsere Politik ist dem Schutz und dem Ausbau der Grund- und Bürgerrechte der Menschen verpflichtet. Wir wollen mehr und nicht weniger Rechtsstaat, mehr und nicht weniger Freiheit und mehr und nicht weniger bürgerschaftliches Engagement und Einmischung erreichen. ({1}) Damit haben Sie, meine Damen und Herren von der CSU, trotz Ihrer gegenteiligen Beschwörungen nichts am Hut. Bei Ihnen heißt es in der Rechtspolitik immer: rauf mit den Strafen und runter mit den Rechten. ({2}) Wenn Sie Recht in die Hand nehmen, dann geriert das immer zu einer Schlagwaffe. Den besten Beleg liefern Sie mit Ihren Vorschlägen zum Jugendstrafrecht ab. Pünktlich zur Wahl in Bayern kommt aus dem von Ihnen majorisierten Bundesrat der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz. Sie wollen die Jugendstrafe von zehn auf 15 Jahre erhöhen. Sie wollen bereits 12-Jährige statt wie bisher 14-Jährige vor Gerichte zerren und Sie wollen das Erwachsenenstrafrecht nicht erst ab 21, sondern ausnahmslos ab 18 Jahren einführen. Glauben Sie denn ernsthaft, meine Damen und Herren von der Opposition, die Jugenddelinquenz würde zurückgehen, weil das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre erhöht werden soll? ({3}) Wie oft wird denn das bisherige Höchstmaß von zehn Jahren überhaupt erreicht? Wo sind die empirischen Daten, die belegen, dass dieses Höchstmaß von zehn Jahren Jugendstrafe nicht ausreichen würde? Wenn, wie Sie es wollen, Heranwachsende ausschließlich nach Erwachsenenrecht bestraft werden, müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass Sie damit den jungen Menschen die Erziehungsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts entziehen und die Strafrichter vielfältiger Einwirkungsmöglichkeiten auf diese jungen Menschen berauben. ({4}) Dabei ist es ja nicht so, dass Heranwachsende nicht bereits jetzt im Einzelfall nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden könnten. Die Instrumente für sachgerechte Entscheidungen sind im Gesetz vorhanden. Aber Sie setzen vielmehr auf Signale, die die eigentlichen Adressaten, nämlich delinquente junge Menschen, ohnehin nicht erreichen. Die Fachwelt diskutiert seit Jahren über Möglichkeiten der Ausweitung und der Entfaltung des Jugendstrafrechts. Konkrete Vorschläge des Juristentages, der Jugendstrafrichter ({5}) und der Wissenschaft liegen auf dem Tisch. Das alles ignorieren Sie, um billig und auf dem Rücken junger Menschen Punkte bei Ihrer Klientel zu machen. ({6}) Was seit Jahrzehnten gebraucht wird, meine Damen und Herren von der Opposition, ist ein Jugendstrafvollzugsgesetz. Bei uns ist das in Arbeit; bei Ihnen Fehlanzeige. ({7}) - Warten Sie einmal ab. Wir, lieber Kollege, haben von einer vierjährigen Wahlperiode noch nicht einmal 25 Prozent hinter uns. Sie können sich gar nicht so schnell ansehen, was wir bisher in der Rechtspolitik in Gang gesetzt haben, wie wir neue Gesetze vorlegen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Montag, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es mir von meiner Redezeit nicht abgezogen wird, dann sehr gern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein, selbstverständlich nicht.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Montag, ich finde es sehr toll, dass Sie als Bayer hier sagen, dass da ein schlechter Vorschlag gemacht wird. Aber angesichts dessen, dass Sie so groß davon reden, was man alles im Jugendstrafvollzug tun muss, würde ich mich freuen, wenn Sie mir eine Antwort auf die Frage geben können, wieso Sie es fünf Jahre lang nicht geschafft haben, ({0}) obwohl das Bundesverfassungsgericht uns alle wiederholt ermahnt hat, ein Jugendstrafvollzugsgesetz mit Ihrer Koalition auf den Weg zu bringen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich bin erst seit einem knappen Jahr Mitglied dieses Hohen Hauses. ({0}) Deswegen erlauben Sie mir, dass ich Ihnen ganz persönlich auf diese Frage antworte. Ich persönlich halte ein Jugendstrafvollzugsgesetz für absolut vordringlich. Ich werde das, was in meiner Kraft steht, tun, damit wir ein solches Gesetz in dieser Legislaturperiode auch tatsächlich bekommen. Aber das Problem ist ja nicht erst fünf Jahre alt. Die Rüge ist fünf Jahre alt; das Problem ist Jahrzehnte alt. ({1}) Es gab viele in der Regierungsverantwortung, doch keiner hat das bisher angepackt. Wenn Sie solche Fragen stellen, dann schauen Sie dabei auch in den eigenen Spiegel, das heißt, in den Spiegel Ihrer Partei, die 29 Jahre lang Gelegenheit dazu hatte und keine Aktivitäten in dieser Richtung unternommen hat. ({2}) Die CDU/CSU will das gesprochene und das geschriebene Wort sowie das Verhalten der Menschen immer mehr überwachen. Nach der Verschandelung der Verfassung durch den so genannten großen Lauschangriff wollen sie jetzt nach den Wanzen auch noch Videokameras in Wohn- und Schlafzimmern installieren. Die ausufernde Telefonüberwachung wollen sie im polizeipräventiven Bereich der Aufsicht der Staatsanwaltschaft entreißen und gegen jeden Beliebigen richten. Wir werden uns stattdessen daran machen, die notwendigen Ermittlungsmaßnahmen in diesem Bereich zielgenau und unter justizieller Kontrolle auszurichten. Telefonabhörungen in begründeten Fällen müssen sein, aber wir wollen kein überwachtes, abgehörtes oder aufgezeichnetes Land, welches Sicherheit suggeriert und Unfreiheit praktiziert. ({3}) Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, wollen die Justiz nicht besser oder moderner machen, Sie wollen sie nur schneller machen, und das mit dem Abbau von Verfahrensrechten der Beteiligten. ({4}) Sie wollen es erschweren, sich gegen einen befangenen Richter zu wehren. Sie machen sich an den Kern der Verteidigung heran, nämlich an das Recht, Beweisanträge zu stellen. Sie wollen Strafen ausweiten in Verfahren ohne volle Schutzgarantie für Beschuldigte. Diese Vorschläge stehen alle in Ihrem Justizbeschleunigungsgesetz. Weiterhin wollen Sie eine sachgerechte Verteidigung durch eine Aushebelung des Akteneinsichtsrechts unmöglich machen. Sie wollen die Hauptverhandlung zu einer Zuschauerveranstaltung mit Liveeinspielungen von Videos machen. ({5}) Sie wollen das Fragerecht in der Hauptverhandlung abschneiden. Das sind alles Vorschläge aus Ihrem so genannten Gesetz zur Stärkung der Rechte der Opfer im Strafprozess. Ich könnte diese Liste spielend verlängern. Alle Punkte belegen: Auf der nach oben offenen Repressionsskala klettern Sie höher und höher und sagen uns und den Menschen, das sei Rechtspolitik. Wir lassen uns von diesem Geschrei ({6}) ich denke da an die gestrige Debatte in diesem Hohen Hause - nicht anstecken. Wir werden die bestehenden Probleme nüchtern und sachlich analysieren und an geeigneten Lösungen für diese Probleme arbeiten. Zum Sexualstrafrecht wird mein Kollege von der SPD sicherlich noch etwas sagen. Zum Urheberrecht ist hier schon etwas gesagt worden. Auch die zweite Novelle dieses Gesetzes werden wir anpacken. Das Justizmodernisierungsgesetz ist in Arbeit. Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Terrorismus ist bereits abgeschlossen. Im gleichen Sinne arbeiten wir an einem umfassenden Antidiskriminierungsgesetz sowie einer Gesamtreform der Strafprozessordnung. ({7}) Meine Damen und Herren, die Sie für die CDU/CSU im Rechtsausschuss sitzen, wenn Sie sich auf Sacharbeit einlassen, sind Sie eingeladen, mitzuwirken. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, das wäre ein schöner Schlusssatz gewesen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn nicht, Herr Kollege Dr. Röttgen, wenn Sie auch rechtspolitisch auf Krawall gebürstet sind, so wie es Ihr Bayern-Glos gestern vorgemacht hat, dann bleiben Sie draußen vor der Tür, was dann weder für den Rechtsstaat noch für die Menschen in Deutschland ein Schaden wäre. Danke. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion, das Wort.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen: Das war ein schöner langer Satz, Herr Montag. Kurze Replik zu dem, was Sie eben gesagt haben, Herr Montag. Sicher, die FDP war 29 Jahre an der Regierung. Aber auch ich bin erst ein Jahr als Abgeordneter in diesem Parlament. Ich finde es bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Fall herausstellen, dass Sie erst ein Jahr in diesem Parlament sind, aber mir die 29 Jahre vorhalten. ({0}) Wir können hier ewig das Spielchen treiben, wer in der Vergangenheit der Schuldige war. ({1}) Wir alle sind gemahnt worden. Ich halte es für falsch, wenn man sich hier hinstellt und sagt, die anderen hätten alles schlecht gemacht - meine Fraktion lehnt auch manche Vorschläge von der CDU/CSU ab -, aber dann, wenn man selber hinterherhinkt - Herr Ströbele, Sie sind ja schon etwas länger dabei, Sie hätten das schon machen können -, so tut, als sei alles so schwierig. ({2}) Liebe Frau Ministerin, es ist richtig: Die Haushaltsgespräche funktionieren gut, auch schon in der letzten Legislaturperiode. Der Haushalt ist nach meiner Meinung trotz der Sparbedingungen, denen wir unterliegen, fair. Wir müssen schauen, an welcher Stelle wir etwas tun können und wo noch kleine Veränderungen möglich sind. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass Sie auch diesmal angekündigt haben, bei den Berichterstattergesprächen dabei sein zu wollen; denn es ist für die Berichterstatter wichtig, zu merken, dass diese Gespräche nicht nur auf der Ministerialebene ankommen, sondern bis nach oben durchkommen. Trotzdem will ich in Richtung Koalition einen Aspekt ansprechen. Wir hatten aufgrund des Job-AQTIV-Gesetzes im Entwurf eine Sperre für das Bundesverfassungsgericht und den Bundesrechnungshof vorgesehen, die wir nach Rücksprache im Haushaltausschuss wieder gestrichen haben. Wir müssen meiner Meinung nach aufpassen, dass die Gewaltenteilung nicht dazu führt, dass bei einem Haushalt, der vom Parlament aufgestellt wurde, die Exekutive, gerade im Fall eines uns alle kontrollierenden Organs, anschließend auf der Grundlage ihres Rechtes zum Haushaltsvollzug Kürzungen vornimmt, auf die das Parlament keinen Einfluss nehmen kann. Ob man eine gesetzliche Regelung braucht, um das zu verhindern, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, dass dieser Fall nicht wieder vorkommt. Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht ist deswegen für mich ein so wichtiges Thema - wir diskutieren in dieser Debatte ja nicht nur über den Justizhaushalt -, weil wir bei all den Reformen, die nun auf uns zukommen, mit Sicherheit damit rechnen können, dass das Bundesverfassungsgericht mit zunehmend mehr Verfassungsbeschwerden, Organklagen und Ähnlichem befasst werden wird. Das Thema Graffiti ist eben angesprochen worden. Dabei handelt es sich um ein ewiges Thema. Man kann jetzt darüber nachdenken, wer es zuerst entdeckt hat. Aber ich finde die Richtung, die die SPD hier einschlägt, etwas zynisch. In meiner Heimatstadt Krefeld, wo die FDP und die SPD in der Opposition sind, wird jetzt im Kommunalwahlkampf darauf hingearbeitet, dass das Sprühen von Graffiti unter Strafe gestellt wird und somit ein Ende findet. ({3}) - Jetzt hören Sie doch auf damit. Wir wissen doch alle, worum es geht. Ihre Leute werben damit, noch einen Straftatbestand zu schaffen, und veräppeln die Wähler, indem sie so tun, als würden sie entsprechende Maßnahmen ergreifen, obwohl sie seit fünf Jahren sagen, dass hier nichts unternommen werden soll. Wo der Grund dafür sitzt, wissen wir. ({4}) - Jawohl, Herr Vorsitzender Richter! Selbstverständlich, Herr Vorsitzender Richter! Frau Ministerin, natürlich hat der Kollege Götzer Recht: Es ist weniger passiert. Ob es immer so schlecht ist, wenn es in einem Rechtsstaat weniger Gesetze gibt, weiß ich nicht; das kommt auf die Gesetze an. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Sie haben im Endeffekt gesagt, besser keine Gesetze, es sei denn, die CDU/CSU macht mit. ({5}) Die CDU/CSU macht bei entscheidenden Gesetzen gerne mit, nicht nur bei der Gesundheitsreform, die verfehlt ist, sondern auch bei anderen Gesetzen, die verfehlt sind. Ich würde mir schon überlegen, ob ich bei allem Möglichen mitmache, was aufseiten der Regierungskoalition gemacht wird, und mich dann nachher mit stolz geschwellter Brust dagegen wende, wenn es um andere Themen geht. ({6}) Frau Ministerin, die FDP erwartet von Ihnen nicht nur ein neues Strafvollzugsgesetz, sondern Sie sind - das wissen Sie - auch mit dem Untersuchungshaftvollzugsgesetz hinterher. Auch da sei mir ein freundlicher Hinweis an die Grünen gestattet, in diesem Fall an Herrn Ströbele und nicht an Herrn Montag, weil der ja erst seit einem Jahr im Bundestag ist. Da ist fünf Jahre lang nichts passiert. Auch da könnte man etwas tun. Die Verhinderer sitzen eher auf der Bank der SPD. Warum das nicht klappt, wissen wir auch alle. ({7}) Zwar sitzen die Verhinderer da, aber was machen wir? Entweder legen wir keinen Gesetzentwurf vor oder es ist wie bei der von der FDP begrüßten, jetzt endlich stattfindenden Gebührenreform. Dass wir jetzt eine Gebührenreform bekommen werden, ist doch nicht darauf zurückzuführen, dass wir uns alle jetzt einig sind, sondern es ist darauf zurückzuführen, dass die Länder sagen: Wir kriegen genug Knete, deswegen darf es auch für die freien Berufe nach zehn Jahren eine Gebührenerhöhung geben. - So liegt doch der Fall. ({8}) - So ist das im Leben, Herr Montag. Aber dann frage ich Sie einmal: Halten Sie es für richtig, dass die Höhe der Einnahmen für jemanden mit einem freien Beruf, den Sie der Gewerbesteuer unterwerfen wollen, künftig davon abhängt, dass die Länderfinanzminister sagen: „Aber nur, wenn ich auch Geld kriege“? Wir erwarten von einem Anwalt - anders als von einem Gewerbetreibenden -, dass er nicht nur danach schaut, wie er seinen Gewinn maximieren kann, sondern wir erwarten von ihm, dass er Beratunghilfe macht, dass er Pflichtverteidigungen macht und dass er Verfahren im Rahmen der Prozesskostenhilfe übernimmt. Wenn wir all das tun, meine Damen und Herren von Rot-Grün, aber gleichzeitig sagen, dass das ein Gewerbe ist und der Gewerbesteuer unterfällt, dann ist das ein Widerspruch. Wenn die Frage, wie viel Gebühren man dafür erheben kann, auch noch davon abhängt, wie viel zusätzliches Geld die Länder bekommen, dann beschädigen wir auf Dauer eine der wesentlichen Säulen unseres Rechtsstaates. Das kann es nicht sein. ({9}) Ich komme zum Schluss. Wir werden bei den Haushaltsverhandlungen mit Sicherheit noch einige Einsparungen vornehmen müssen. Das ist wohl zu erkennen. Aber wir müssen aufpassen, an welcher Stelle wir sie vornehmen. Frau Ministerin, ich sage einmal so: Sie werden aufseiten der FDP teilweise eine größere Unterstützung finden - das wissen Sie aus den vorhergehenden Gesprächen - als aufseiten Ihrer eigenen Koalitionäre. Ich hoffe, dass wir Sie nicht zu sehr unterstützen müssen. Herzlichen Dank. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Joachim Stünker für SPD-Fraktion das Wort.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Götzer hat hier heute - zumindest im ersten Teil - die Rede gehalten, die der Kollege Röttgen am 18. März dieses Jahres hier auch schon gehalten hat. ({0}) Sie haben damals gesagt, unsere Politik sei geprägt von rechtspolitischer Lustlosigkeit, wir hätten keinen Elan und uns würden die Rezepte fehlen. Sie haben uns Handlungsschwäche auf dem Gebiet der Rechtspolitik vorgeworfen. Ich habe Ihnen damals bereits erwidert - und tue das auch heute -, dass blinder rechtspolitischer Aktionismus und vor allem purer rechtspolitischer Populismus nicht unsere Politik sind. Das überlassen wir gerne Ihnen. ({1}) Ich gebe zu, dass wir mit unserem Koalitionspartner manchmal eine etwas quälende Diskussion zu dem Thema Graffiti haben; das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber wie populistisch man das handhaben kann, das haben Sie gestern wieder mit einer Presseerklärung bewiesen. Ich gebe zu, sie stammt nicht von einem Ihrer Rechtspolitiker, sondern von MdB Peter Götz. Ich glaube er ist kommunalpolitischer Sprecher. Er hat eine tolle Erklärung abgeben: Die Graffiti-Szene wird immer krimineller. Rot-Grün verweigert sich einer maßvollen Verschärfung des Strafrechts. Das ist völliger Unsinn. Es geht darum, wie eine möglicherweise bestehende Lücke in einem Straftatbestand geschlossen werden kann; darüber streiten wir. Aber es geht hier nicht um schärfere Gesetze oder Ähnliches. So verdummen Sie die Menschen mit Populismus. Dem werden wir uns nicht anschließen. ({2}) Ich habe mein Büro gebeten, für die heutige Debatte einmal die rechtspolitischen Initiativen herauszusuchen, mit denen Sie uns in dieser Legislaturperiode bereits beglückt haben. Wenn man da einmal nachblättert, dann stellt man fest, dass es sich - entgegen Ihren vollmundigen Erklärungen - nur um wenige, sehr übersichtliche Initiativen handelt, die im Wesentlichen durch drei Merkmale gekennzeichnet sind: Erstens. Sie machen immer wieder Vorschläge für eine Verschärfung der Kriminalpolitik, so auch heute Abend. Zweitens. Sie fordern uns auf, Reformen aus der letzten Legislaturperiode rückgängig zu machen. Drittens. Sie versuchen wiederholt, einen Aufguss der gescheiterten Rechtspolitik der Regierung Kohl aus den 90er-Jahren vorzunehmen. Der Hinweis auf Ihr Justizbeschleunigungsgesetz ist bereits erfolgt. ({3}) Zusammenfassend sage ich Ihnen dazu: Es handelt sich bei Ihren rechtspolitischen Initiativen nicht einmal um neuen Wein, sondern ausschließlich um alten Wein in alten Schläuchen. ({4}) Hiermit werden Sie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht werden. Ich wiederhole: Wir werden auch weiterhin eine humane, rationale und effiziente Kriminalpolitik vorantreiben und werden uns dabei von Ihnen überhaupt nicht beirren lassen. ({5}) In Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung der Praxis haben wir nicht die geringste Veranlassung, Reformen aus der letzten Legislaturperiode zurückzunehmen. Die gescheiterten Justizentlastungsgesetze aus den 90er-Jahren - Herr Funke hat es jedes Mal dankenswerterweise bestätigt; er war ja daran beteiligt - werden durch fortwährende Wiederholung und durch vielleicht andere Formulierungen nicht besser. Wir werden diesem Weg nicht folgen. Wir werden vielmehr die in der letzten Legislaturperiode begonnenen Justizreformen mit Augenmaß und bedächtig fortsetzen. ({6}) Die Justizpolitik, die in den Jahren 1982 bis 1998 eher träge und zögerlich war, ist durch diese Reformen tatsächlich in Fahrt gekommen. Sie sehen dies an den Diskussionen in der Fachöffentlichkeit, aber auch an Beiträgen in der Presse. Wir dürfen und werden diese Reformen daher nicht bremsen; denn die Folgen Ihres Versagens - das zeigt die Diskussion über das Untersuchungshaftvollzugsgesetz und den Jugendstrafvollzug tragen wir alle gemeinsam noch heute. ({7}) - Die werden wir ziehen. ({8}) Unsere Politik zeichnet sich seit 1998 durch drei Kernbereiche aus, die bei allem, was wir tun, im Vordergrund stehen. Daran werden wir uns auch weiter messen lassen. Die Frau Ministerin hat in ihrer Rede dankenswerterweise auf einige Punkte bereits hingewiesen. Erstens. Wir wollen die Leistungsangebote der Justiz auch für Schwächere optimieren. Dazu gehört unsere ZPO-Reform mit der Stärkung der ersten Instanz. Wenn wir mit Vertretern aus der Praxis reden, dann stellen wir in der Tat fest, dass diese Stärkung eingetreten ist. Wir werden dieses Gesetz wie versprochen im Jahr 2004 evaluieren. Danach reden wir darüber, was wir möglicherweise verändern und verbessern können. Aber davor - darauf kann sich die Praxis verlassen - wird die Vernunft siegen und wir werden keine Veränderungen vornehmen, da mögen Sie Anträge stellen, so viel Sie wollen. Zweitens. Wir wollen die Chancengleichheit der Bürger beim Zugang zum Recht auch weiterhin sichern. Hierzu gehören der Ausbau von Prozesskostenhilfe und der Pflichtverteidigung ebenso wie die Mediationskostenhilfe. Zu diesen Zugangschancen gehört auch die dringend notwendige Modernisierung des Rechtsberatungsgesetzes. Die Vorarbeiten hierzu sind angelaufen. Ich bin überzeugt, dass wir die Novellierung des Rechtsberatungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode abschließen werden. ({9}) Wir werden die Informations- und Beteiligungsrechte der Opfer im Rahmen der anstehenden StPO-Reform stärken und wir werden den Opferschutz ausbauen. Wir sind fest entschlossen, künftig den Opfern einer Straftat, wenn sie es denn wollen, den doppelten Weg über Strafund Zivilgerichte in den dafür angezeigten Fällen zu ersparen. Darauf hat die Frau Ministerin schon hingewiesen. Die Novelle zum Kostenrecht liegt Ihnen vor. Hierzu gehört auch der gesamte Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das ist in der Tat ein gewaltiges Reformvorhaben, das wir in der letzten Legislaturperiode begonnen haben. Wir können das Gestrüpp bei den Verfahrensordnungen nicht so belassen, wie es sich heute darstellt. Wir werden Ihnen auch hierzu rechtzeitig in dieser Legislaturperiode eine Novelle vorlegen. Sie sehen, die Aufgabenfelder sind im Wesentlichen abgesteckt. Das kann man allerdings nicht alles in einem Jahr bewältigen. Aber wir werden die Reformen in vernünftigen Schritten vorantreiben. ({10}) Gestatten Sie mir, den folgenden dritten Punkt etwas gründlicher zu behandeln, da er mir sehr wichtig ist. Nehmen Sie das, was ich dazu sage - ich bitte um Nachsicht -, nicht unbedingt als Verkündung von rot-grüner Programmatik. Teilweise handelt es sich um einen Themenbereich, der mir persönlich sehr am Herzen liegt und zu dem ich Ihnen einige Gedanken mitteilen möchte. Drittens. Wir wollen die Effizienz der Justiz durch neue Steuerungsmodelle und auch durch Aufgabenverlagerung in der Zukunft sichern. Das ist sicherlich das schwierigste Thema, dem wir uns zu widmen haben, und vor dem Hintergrund der immer knapper werdenden Ressourcen, wie ich meine, auch das wichtigste Thema. Die Justiz und hier in erster Linie die Richterinnen und Richter müssen zukünftig in noch größerem Maße bereit sein, sich einer Qualitätsdiskussion zu stellen, die auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen einschließt. Es darf unter Berufung auf die richterliche Unabhängigkeit nicht jedwede Qualitätsdiskussion und Überprüfung der Tauglichkeit der neuen Steuerungsmodelle scheitern. Ich bin davon überzeugt, dass dort noch sehr viele Ressourcen liegen, die wir nutzen sollten. Zur Frage der Effizienz und der Wirtschaftlichkeit der Justiz gehört aber auch, Aufgaben, die nicht unbedingt in Richterhand sein müssen, auf andere Laufbahnen zu übertragen. Deshalb haben wir mit der Binnenreform der ordentlichen Gerichtsbarkeit begonnen. Ich hoffe, Sie werden uns in diesem Punkt bei dem demnächst zu beratenden Justizmodernisierungsgesetz unterstützen. Wir übertragen richterliche Aufgaben auf die Rechtspfleger und setzen damit Ressourcen frei. Kein Tabu dürfen in diesem Zusammenhang Überlegungen sein, ob bestimmte Bereiche, die nicht den Kern hoheitlicher justizieller Aufgaben betreffen, gegebenenfalls nicht doch aus dem Bereich Justiz herausgenommen werden könnten. Die Ministerin hat dieses Thema hier angesprochen. Für mich gehören in diesen Zusammenhang Überlegungen, ob nicht die Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten oder die Eingliederung der Arbeitsgerichtsbarkeit in die ordentliche Gerichtsbarkeit ein Weg ist, durch den wir erhebliche Synergieeffekte erwirtschaften könnten und den wir deswegen gemeinsam diskutieren sollten. Ich weiß, dass ich mit den Überlegungen, die ich hier vorzustellen versuche, heiße Eisen anfasse. Ich weiß auch, dass ich mit diesen Überlegungen nicht überall auf Gegenliebe stoßen werde. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt einmal Spaß beiseite: ({11}) Wie sieht denn heute die Wirklichkeit aus, insbesondere in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, aber auch in anderen Gerichtsbarkeiten, und das bundesweit? Die Wirklichkeit ist nicht zum Lachen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sehen sich auf allen Ebenen in ihrer täglichen Arbeit immer weiter wachsenden Aufgaben bei immer weniger Personal gegenüber. ({12}) Das demotiviert und Demotivierung wirkt nicht gerade leistungsfördernd, wie wir wissen. Das ist die allgemeine Stimmung in den Gerichten und in den Staatsanwaltschaften, egal in welchem Bundesland wir uns befinden. Ich stimme daher dem neuen Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes zu, der anlässlich seiner Wahl geäußert hat, wir sollten grundsätzlich darüber nachdenken, welche Aufgaben Richter und Staatsanwälte nach dem Grundgesetz und nach den Verfahrensordnungen erfüllen müssen. Er hat hinzugefügt, auf dieser Basis solle man versuchen, ein neues Gebäude „Justiz“ zu entwerfen. - Darüber möchte ich mit Ihnen gerne diskutieren. Weiter teile ich seine Schlussfolgerung, dass man bei dieser Vorgehensweise den Veränderungsbedarf besser erkennen kann, als wenn man das bisherige System immer nur Stückchen für Stückchen verändert. Das betrifft Ihre Entlastungsgesetze, die gescheitert sind. Ich teile aber ebenso die von Herrn Kollege Funke am 18. März in diesem Hohen Hause geäußerte Auffassung, dass die Wahrung des Rechtsstaates Kernaufgabe des Staates sei. Er hat hinzugefügt, dass im Interesse unserer Demokratie der Haushalt des Justizministeriums nicht den allgemeinen Sparzwängen geopfert werden dürfe. ({13}) - Genau. - Für den Bund hat die Frau Ministerin - wie ich meine, überzeugend - darauf hingewiesen, dass wir das nicht getan haben, und ich hoffe, sie wollen das auch nicht tun. Diese Warnung von Ihnen, Herr Kollege Funke - das wissen Sie genauso gut wie ich -, müssen wir eindringlich und zunehmend an die Bundesländer weitergeben. Ich sehe mit großer Sorge, wie dort die Justizhaushalte von Jahr zu Jahr mehr ausgedünnt werden, und zwar unabhängig davon, wer wo regiert. Das ist keine Frage der Farbe der Partei. Die Finanzminister dominieren die Rechtspolitik. ({14}) Ich bin überzeugt: Dies ist im Interesse des Rechtsstaates ein falscher, ein verhängnisvoller Weg. ({15}) Wir dürfen die Fragen nach Effizienz durch neue Steuerungsmodelle und Aufgabenverlagerungen nicht ausschließlich vor dem Hintergrund von Personalkosten diskutieren. Wir müssen uns vielmehr die Strukturen grundlegend ansehen und zu mutigen Reformschritten kommen. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung ein Beispiel nennen, das uns alle gegenwärtig in der Diskussion beschäftigt und das hier heute noch nicht angesprochen worden ist. Ich halte das Ansinnen einiger Länder an den Bundesgesetzgeber für verfehlt, die Führung der Handelsregister in der Zukunft von den Amtsgerichten auf die Industrie- und Handelskammern zu verlagern. ({16}) Diese hoheitliche Aufgabe im Wege der Auftragsverwaltung mit Fach- und Rechtsaufsicht erfüllen zu wollen bedeutet meines Erachtens eine Verkennung der Kernbereiche der Justiz ({17}) und schafft im Ergebnis nicht weniger, sondern, wenn man genau hinsieht, mehr Bürokratie. ({18}) Andererseits scheint im Betreuungsrecht eine Aufgabenverlagerung von Vormundschaftsgerichten auf Betreuungsbehörden, die mit der sozialen Kompetenz einer spezialisierten Behörde ausgestattet sind, ein gangbarer Weg zu sein. ({19}) Im erstgenannten Falle müsste nämlich die Justiz Personal für eine neue Behörde abgeben; denn dort ist kein Personal dafür vorhanden. Im zweiten Falle würde die Justiz vorhandenes Personal zur Bewältigung des ständig wachsenden Aufgabenanfalles zusätzlich einsetzen können. Das wäre meines Erachtens der richtige Weg. Wir werden ja noch in diesem Jahr - der Schlussbericht der Bund-Länder-Kommission zum Betreuungsrecht liegt vor - oder Anfang des nächsten Jahres einen Entwurf in diesem Hause zu beraten haben. Vielleicht erinnern wir uns dann einmal an die Gedanken, die ich zu formulieren versucht habe. Ich würde mich freuen, wenn es uns gelingen könnte, diese grundlegende Frage eines neuen Gebäudes der Justiz vorurteilsfrei unter uns, mit den Ländern und mit der Fachöffentlichkeit zu diskutieren, auch wenn das schwierig ist und sicherlich zunächst einmal Widerstände hervorruft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Herr Präsident, noch ein Satz. - Ich bin mir ganz sicher: Der Rechtsstaat wird es uns danken. Schönen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Kollege Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Stünker, ich bin Ihnen als Haushälter ausgesprochen dankbar, dass Sie Ihre Überlegungen zu mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz so humorvoll und lebendig vorgetragen haben. ({0}) Ich stimme Ihnen aber zu, dass bei dem Einzelplan 07, den wir als letzten in einer langen Haushaltswoche beraten, nicht mehr viel Einsparpotenzial besteht. Ihr Etat, Frau Ministerin, umfasst gerade einmal 1,4 Promille des Gesamtetats; da könnte man auf die Idee kommen, er sei unwichtig. Das ist er selbstverständlich nicht. Im Gegenteil, das Bundesjustizministerium leistet eine ganz wichtige Aufgabe zur Aufrechterhaltung unseres Rechtsstaates und zur Pflege des Rechts. Das will ich auch als Haushälter betonen. Deshalb muss dieser Etat nicht unbedingt den allgemeinen Sparzwängen geopfert werden. Lassen Sie mich aber noch etwas zu Ihrem Etat sagen. Frau Ministerin, Sie haben es schon angesprochen: Für 2004 sind Ausgaben von 345 Millionen Euro vorgesehen - etwa 1 Million Euro weniger als in diesem Jahr. Damit, denke ich, ist auch schon das Ende der Fahnenstange in diesem Bereich erreicht; denn übertriebene Sparsamkeit könnte im Bereich des Justizetats eher zum Eigentor werden. Den Gesamtausgaben von 345 Millionen Euro stehen Einnahmen von 312 Millionen Euro gegenüber. Das heißt - Sie haben es erwähnt -, Sie erwirtschaften 90 Prozent selber. Das muss man positiv erwähnen und hervorheben. Deshalb unterstützen wir als Union auch ganz ausdrücklich, dass Sie gerade den Bereich des DPMA, des Deutschen Patent- und Markenamtes, für 2004 noch einmal mit 80 neuen Stellen, davon 60 Patentprüfer, versehen wollen. Ich begrüße es sehr, dass sich die Hartnäckigkeit aller Berichterstatter in diesem Bereich so niederschlägt. Das wird sich sehr schnell wieder als Rendite auszahlen. Selbstverständlich sind damit auch höhere Verwaltungsausgaben verbunden; denn neue Arbeitskräfte brauchen auch neue Computer. Aber das muss man so akzeptieren. Alles in allem kann man sagen: Es liegt uns ein beratungsfähiger Entwurf - zumindest in diesem Bereich vor. Ich wünsche uns allen konstruktive Haushaltsberatungen. Ein kleines ceterum censeo muss ich allerdings doch noch anfügen - da geht es mir wie Cato dem Älteren -: Das ist der bereits erwähnte Härtefonds für die Opfer rechtsextremistischer Übergriffe. Frau Ministerin, 1 Million Euro wollen Sie diesem Fonds wieder zuführen. ({1}) Ich halte es wirklich für fehl am Platze, Opfer unterschiedlich zu behandeln, ob sie nun von rechts oder von links oder ob sie religiös oder rassistisch motiviert angegriffen werden - dem Opfer ist das ziemlich egal. Ich bitte Sie, diesen ideologisch verbrämten Irrweg aufzugeben; er passt nicht zu Ihnen. ({2}) Warum schaffen Sie nicht einen Titel, der einfach „Härteleistungen für Opfer extremistischer Übergriffe“ heißt? Dann wären alle bedacht und dann könnte allen geholfen werden. Das wäre meine Bitte an Sie, auch für die kommenden Haushaltsberatungen. Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Haushaltsberatungen generell anfügen. Es macht einem Haushälter wenig Spaß, wenn man insgesamt einen Haushaltsentwurf vorgelegt bekommt, der im Grunde genommen nicht beratungsfähig ist. Davon wird natürlich auch ein Stück weit der Justizetat tangiert. Die Risiken wurden bereits angesprochen. Es ist wenig ersprießlich, wenn die Vorlage zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem das Ganze eigentlich schon wieder überholt ist, weshalb die Beratungen wenig Sinn machen. Was mich, mit Verlaub, an der rot-grünen Bundesregierung aber am meisten ärgert und anwidert, um das Kanzlerwort zu vermeiden, ist die Tatsache, dass das trotz alldem immer noch mit der Attitüde der Großmannssucht und der Großspurigkeit vorgetragen wird. Das ist wirklich ärgerlich. Es werden Jahrhundertreformen en masse, eine nach der anderen, propagiert. Bis die Reformen in Kraft treten, ist meist alles schon wieder überholt. ({3}) Das finde ich lästig. Davon heben Sie sich aber in angenehmer Weise ab. Ich hoffe, das bleibt so. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich dem Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ingo Wellenreuther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003658, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ehemaliger Richter aus der schönen Stadt Karlsruhe, der deutschen Residenz des Rechts, freut es mich besonders, heute zum Justizhaushalt sprechen zu können. Bevor ich mich aber zur Rechtspolitik äußere, möchte ich auf die Justiz- und Rechtspflege im Allgemeinen und auf ihren Stellenwert in unserem Land zu sprechen kommen. Herr Stünker und Frau Zypries, Sie haben das auch schon getan. Es ist gerade einmal etwas mehr als zehn Jahre her, als es im Zuge der Wiedervereinigung offensichtlich und bald auch allen klar wurde, dass Wirtschaftsentwicklung und Wachstum in den neuen Bundesländern ohne gesicherte Rechte, ohne funktionierende Gerichte und ohne ein leistungsstarkes Vollstreckungs- und Grundbuchwesen nicht möglich sind. Das gilt auch noch heute für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland. Deshalb ist eine gut funktionierende Infrastruktur im Recht und in der Justiz für unser Land von elementarer Bedeutung. Ich denke - das wurde gerade angesprochen -, die circa 350 Millionen Euro, die in den Justizhaushalt des Bundes eingestellt worden sind, stellen im Verhältnis zu den circa 250 Milliarden Euro des Gesamthaushaltes ein Minimum dar, um dieser Bedeutung gerecht zu werden. Bei aller Notwendigkeit zum Sparen - Herr Barthle hat es gerade angesprochen - sollte uns ein funktionierender Rechtsstaat einen Nettobedarf von unter 0,2 Prozent des Bundeshaushaltes wert sein. Die Justiz braucht ausreichende Mittel, um ihrer Gemeinschaftsaufgabe nicht nur im Bund, sondern natürlich auch in den Ländern gerecht zu werden. Es gilt aber auch der Satz: Schnelles Recht ist gutes Recht. Der Faktor Zeit ist gerade bei der Gewährung und Durchsetzung von Recht ganz entscheidend. Es ist wichtig, dass die Justiz effektiver wird und die Abläufe beschleunigt werden. Dazu haben wir von der Union mit dem bereits angesprochenen Entwurf eines Justizbeschleunigungsgesetzes einen konkreten Vorschlag vorgelegt. Ich möchte kurz auf das Strafverfahren eingehen. Nach unserer Überzeugung muss die Unterbrechungsfrist bei Hauptverhandlungen verlängert werden - hier sind wir mit Ihnen einer Meinung -, die Möglichkeiten im Strafbefehlsverfahren müssen erweitert werden, es müssen - auch im Erwachsenenstrafrecht - Wahlrechtsmittel eingeführt werden und im Adhäsionsverfahren sollte ein Wiedergutmachungsvergleich ermöglicht werden, um nur einige Punkte herauszugreifen, die den Strafprozess betreffen. Dem sollten Sie sich nicht verschließen. ({0}) - Das werden wir sehen, Herr Ströbele. Für das Zivilverfahren möchte ich zwei Punkte herausgreifen, die von ganz entscheidender Bedeutung sind und die die Verfahren behindern. Das eine ist die neu eingeführte Dokumentationspflicht für richterliche Hinweise und das andere ist die obligatorische Güteverhandlung. Diese beiden Dinge müssen gestrichen werden. Letzteres bringt den Parteien lediglich mehr Formalismus und Aufwand. ({1}) - Herr Stünker, es ist so. Ich habe zweieinhalbtausend Zivilprozesse geführt. Ich glaube, ich weiß, wovon ich rede. ({2}) Die erweiterte Dokumentationspflicht hat dazu geführt, dass Protokolle länger und Gerichtstermine zeitraubender werden. Das ist sicherlich nicht im Sinne einer effizienteren Justiz. Deswegen bitte ich Sie ausdrücklich, dass Sie nicht an Regelungen festhalten, die sich in der Praxis tatsächlich als verfehlt herausgestellt haben. Um das zu wissen, hätte man kein Prophet sein müssen. ({3}) - Das habe ich gerade gesagt, Herr Manzewski. Daneben ist es dringend erforderlich, die neuen Belastungen, die auch durch die ZPO-Reform auf den Bundesgerichtshof zukommen, zu korrigieren. Lassen Sie es mich ganz plastisch ausdrücken, Frau Zypries: Der BGH ist bereits abgesoffen; er ertrinkt in Zulassungsrevisionen und Nichtzulassungsbeschwerden. ({4}) - Ja, eben. - Die richtige Lösung läge hier in der Einführung einer Antragsrevision. Dies würde es dem Bundesgerichtshof auch ermöglichen, seine Arbeitskapazität wieder auf die wirklich wesentlichen und relevanten Fragen zu konzentrieren. ({5}) Eine Aufstockung der Zahl der Bundesrichter im Zivilbereich wäre nicht nur aus Kostengründen der falsche Weg; denn dann - ich muss es ansprechen - käme die so genannte Rutschklausel zur Anwendung. Frau Zypries, wir haben schon darüber gesprochen. Dies hätte sowohl für die Stadt Karlsruhe als auch für den Bundesgerichtshof nicht hinnehmbare Folgen, nämlich die Spaltung des BGH. Ich nehme Sie beim Wort und darf Sie auffordern, sich dafür einzusetzen, dass der BGH mit allen Strafsenaten in Karlsruhe bleibt, da gerade diese das Bild des Gerichtshofes in der Öffentlichkeit prägen. ({6}) Im Sinne der Kosteneinsparung - wir sind ja gerade in der Haushaltswoche - sollte sogar über eine Wiedereingliederung des 5. Strafsenates des BGH von Leipzig nach Karlsruhe nachgedacht werden. Beim Bundesverwaltungsgericht wurden ähnliche Wege schon gegangen. Lassen Sie mich zu weiteren Themen kommen, die von rechtspolitischer Bedeutung sind und die der Kollege Herr Dr. Götzer noch nicht angesprochen hat. Es sind weitere Beispiele dafür, dass es Rot-Grün an entsprechender Kompetenz fehlt. Zunächst nenne ich das leidige Gesetz zur Vereinfachung und Vereinheitlichung der Verfahrensvorschriften zur Wahl und Berufung ehrenamtlicher Richter. Das Gesetzesvorhaben wurde bereits in der letzten Wahlperiode vom Bundesrat eingebracht. Passiert ist nichts, weil Rot-Grün das Verfahren verzögert hat. Auch in dieser Wahlperiode wurde das Gesetzeswerk - inhaltlich unverändert - vom Bundesrat erneut eingebracht. Eine Verabschiedung vor der Sommerpause ist aber wieder an plötzlichen Änderungsvorschlägen von Rot-Grün gescheitert, sodass es für die Bundesländer im Jahre 2004 noch immer keine einheitliche und vereinfachte Wahlmöglichkeit gibt, um die Tausenden von ehrenamtlichen Richtern zu wählen. Ein noch schlimmeres Trauerspiel - auch das wurde gerade schon angesprochen - ist die Geschichte der Verwirklichung der Reform der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Ich möchte kurz darauf hinweisen, dass die 120 000 Anwälte dieses Landes seit Jahren auf eine Anpassung und Änderung der BRAGO an die allgemeinen Lebenshaltungskosten warten. Das haben Sie verschleppt, und zwar seit sechs Jahren. ({7}) Auch dieses Gesetzgebungsverfahren ist in der letzten Wahlperiode von Regierungsseite aus immer wieder dadurch torpediert worden, dass kurzfristig Änderungen nachgeschoben wurden, die weder von der Anwaltschaft noch von unserer Seite akzeptiert werden konnten. Mit der Beteiligung der Union ist es nun endlich gelungen - Sie haben es angesprochen -, Ende August dieses Jahres den Referentenentwurf fertig zu stellen. Somit kann die Anwaltschaft darauf hoffen, dass die Anpassung im nächsten Jahr tatsächlich durchgeführt wird. ({8}) - Sie sagen es, Herr Dr. Götzer, so ist es. Der heutige Tag bietet Anlass dafür, dass noch einige Worte zum 11. September gesprochen werden. Uns allen sind die grausamen Ereignisse und die schrecklichen Bilder noch gut im Gedächtnis. Wir werden sie wahrscheinlich nicht vergessen können. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, um auf die gravierenden inhaltlichen Unterschiede in den Bereichen Terrorismusbekämpfung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität zwischen der Union und Rot-Grün hinzuweisen und diese anzusprechen. Dieser Anschlag sollte für uns alle eine Mahnung sein, gegen den internationalen Terrorismus entschieden vorzugehen, um die Menschen vor ähnlichen Attentaten besser zu schützen und auch zukünftig unsere demokratischen und freiheitlichen Gesellschaftsstrukturen zu sichern. Herr Stünker, ich hoffe, Sie machen das. ({9}) Bisher waren Sie nicht in der Lage, den Rahmenbeschluss der Europäischen Union zur Terrorismusbekämpfung fristgerecht umzusetzen. ({10}) Erst nach unserer Aufforderung im März haben Sie im April einen Entwurf vorgelegt. Aber dieser ist völlig unzureichend und ungenügend, um einen weit reichenden Schutz der Bevölkerung und unserer freiheitlichen Gesellschaft vor Terrorismus zu gewährleisten. ({11}) - Herr Ströbele, das müssen Sie so hinnehmen. Nachbessern müssen Sie auch bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Frau Zypries, Sie haben es trotz Ausweitung der Taten im Bereich der organisierten Kriminalität noch nicht fertig gebracht, den Strafverfolgungsbehörden ausreichend geeignete Mittel zur Verfügung zu stellen. Was getan werden muss, liegt meines Erachtens auf der Hand: Erstens. Eine neue Kronzeugenregelung muss her. Zweitens. Es muss eine Rechtsgrundlage für den Einsatz verdeckter Ermittler geschaffen werden, damit auch die Beamten für ihr notwendiges Handeln Rechtssicherheit haben. Drittens. Eine Ausweitung der Telefonüberwachung ist notwendig. ({12}) - Herr Ströbele, auch wenn es wehtut, Sie haben richtig gehört: eine Ausweitung. Frau Zypries, lassen Sie die Ermittlungsbehörden nicht länger im Stich. Tun Sie etwas, damit der Terrorismus und die organisierte Kriminalität bekämpft werden können. Reden Sie nicht nur davon, sondern handeln Sie endlich, vor allem ideologiefrei. Die Menschen in Deutschland erwarten es zu Recht von Ihnen. Danke schön. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Wellenreuther, dies war Ihre erste Rede im Plenum des Deutschen Bundestages, ({0}) zu der ich Ihnen herzlich gratuliere, verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit. Sie haben sich in Ihrer ersten Rede eine Zeitgutschrift von 30 Sekunden erarbeitet, die ich Ihnen bei nächster Gelegenheit, wenn Sie mich daran erinnern, gerne verrechne. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf morgen, Freitag, den 12. September 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.