Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Heute feiert der Kollege Dr. Christoph Zöpel seinen
60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm namens des Hauses
sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute.
({0})
Der Kollege Paul Breuer hat am 27. Juni 2003 auf
seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Magdalene
Strothmann am 3. Juli 2003 die Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue
Kollegin herzlich.
({1})
Sodann gebe ich bekannt, dass der Kollege Christoph
Hartmann sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat.
Die Fraktion der FDP benennt als Nachfolger den Kolle-
gen Michael Kauch. Sind Sie damit einverstanden? -
Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege
Kauch als Schriftführer gewählt.
Dann möchte ich Sie davon unterrichten, dass der Äl-
testenrat gestern die Präsenzpflicht für Dienstag, den
8. Juli 2003, aufgehoben hat. Außerdem hat der Ältes-
tenrat vereinbart, dass in der Haushaltswoche vom
9. September 2003 keine Regierungsbefragung, keine
Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden
sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf:
4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms,
Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
({2})
- Drucksache 15/1247 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({3})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Peter Götz, Günter Baumann, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Finanzkraft der Kommunen stärken - kom-
munale Selbstverwaltung sichern
- Drucksache 15/1217 -
c) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform
- Drucksache 15/1321 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei
die FDP zwölf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Dr. Andreas Pinkwart von der FDP-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Städte und Gemeinden in Deutschland sind
in einer außergewöhnlich schwierigen Lage; wir haben
in diesem Jahr schon wiederholt darüber diskutieren dürfen. Worin liegen die Gründe für diese schwierige finanzielle Lage? - Zum einen in den gravierenden Schwächen der in den letzten Jahren deutlich eingebrochenen
Gewerbesteuer als Einnahmequelle. Ihre Konjunkturabhängigkeit, aber auch ihre Mittel- und Großbetriebsabhängigkeit in der Struktur, ihre erhebliche Bürokratielast
und vieles mehr - ich komme gleich noch darauf
zurück - sprechen gegen die Gewerbesteuer.
Aber es wäre blauäugig, zu sagen, das sei der einzige
Grund. Es kommen andere, gewichtige Gründe für die
Finanzsituation der Kommunen hinzu. Einer der
Redetext
wesentlichen Gründe - wenn wir genau hinschauen - ist
die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland mit
wegbrechenden Steuereinnahmen in erheblichem Umfang - nicht nur bei der Gewerbesteuer, sondern auch bei
den anderen Steuerarten - sowie erheblichen zusätzlichen sozialen Lasten durch die hohe Arbeitslosigkeit.
Dies ist wesentlich auf die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Diese sind
vor allem von der seit fünf Jahren amtierenden Regierung Rot-Grün zu verantworten.
({0})
Hinzu treten weitere Benachteiligungen der Kommunen durch rot-grüne Politik: zum einen durch die Verschlechterung bei der Gewerbesteuerumlage im Zuge
der großen Steuerreform und durch die Anhebung des
entsprechenden Umlagesatzes zulasten der Kommunen
- wir haben hier wiederholt beantragt, dies rückgängig
zu machen ({1})
und zum anderen durch eine erhebliche Verlagerung
staatlicher Aufgaben auf die Kommunen ohne entsprechende Gegenfinanzierung. Das Konnexitätsprinzip,
von dem immer wieder die Rede ist, wird zulasten der
Städte und Gemeinden im praktischen Handeln leider
nicht umgesetzt.
({2})
Welche Wege führen aus der Krise? Zunächst - das ist
unsere Meinung; wir haben das hier wiederholt vorgetragen - brauchen wir ein Soforthilfeprogramm für die
Städte und Gemeinden.
({3})
Das Ergebnis der Kommission unter Ihrem Vorsitz, Herr
Eichel, kommt zu spät. Egal welche Variante im Ergebnis umgesetzt wird, sie wird zum 1. Januar 2004 nicht zu
einer grundlegenden Verbesserung der Finanzsituation
der Kommunen in Deutschland führen. Deswegen brauchen wir nicht später eine Entlastung, sondern wir brauchen sie jetzt. Bekennen Sie sich endlich dazu, dass bei
der Gewerbesteuerumlage und bei der Zusammenlegung
von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der größte Teil des
Kuchens jetzt an die Gemeinden ausgeschüttet wird!
({4})
Darüber hinaus brauchen wir eine dauerhaft stabile,
konjunkturunabhängige, unbürokratische und das Band
zwischen Wirtschaft und Gemeinden endlich wieder
stärkende Einnahmequelle für die Städte und Gemeinden.
Daneben brauchen wir mehr Autonomie auf der
Ausgabenseite. Dabei stellt sich die Frage, ob man auf
die Gewerbesteuer setzen kann. Eine überbürokratische,
international unbekannte und daher wettbewerbsverzerrende, konjunkturanfällige und aufgrund erheblicher Abgrenzungsprobleme ungerechte Steuer wird nicht dadurch besser, dass Sie sie auf einen noch größeren
Personenkreis ausdehnen.
({5})
Schon jetzt werden von 2,7 Millionen Steuerpflichtigen
nur 900 000 veranlagt, von denen per saldo wiederum
nur wenige das Gros der Steuereinnahmen erbringen.
Jetzt wollen Sie diesen Kreis um über 800 000 Personen,
die freie Berufe ausüben, erweitern.
Damit wird das Abgrenzungsproblem aber nicht gelöst. Es wird nur hin zur Schnittstelle zwischen selbstständiger und nicht selbstständiger Tätigkeit verlagert.
({6})
Dies würde nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche
Probleme aufwerfen, sondern auch zu Ausweichstrategien bei den freien Berufen führen. Personen, die einen
freien Beruf ausüben, würden in eine unselbstständige
Tätigkeit wechseln. Das wäre nicht nur gesellschaftspolitisch der völlig falsche Weg, das würde im Ergebnis
auch keinen Cent mehr an Steuereinnahmen für die
Kommunen bedeuten.
({7})
Die Gewerbesteuer wird auch dadurch nicht besser,
dass Sie versuchen, sie gegen den ausdrücklichen Rat Ihres Bundeswirtschaftsministers, Ihres Superministers für
Wirtschaft und Arbeit, der heute leider nicht an der Debatte teilnehmen kann - ich fand, er hat sich bei der Vorstellung des Kommissionsergebnisses hervorragend
geäußert -, um ertragsunabhängige Bestandteile zu erweitern; denn das hieße ja nichts anderes, als dass der
Staat auch dann noch zugreift, wenn die Unternehmen in
der Krise sind, also Verluste machen. Hier unterstützen
wir Herrn Clement in seiner Meinung: Auf diesem Weg
würden Sie die Betriebe erst recht in den Konkurs treiben.
({8})
Nun bringen Sie das Argument der Anrechenbarkeit
der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer zumindest
bei den Einzel- und Personenunternehmen vor. Eine verbreiterte Bemessungsgrundlage - wenn Sie Mieten, Pachten und Leasing, also Kosten der Betriebe, auch noch besteuern wollen - würde nichts anderes bedeuten, als dass
in den Jahren, in denen die Betriebe keine Ertragsteuern
zahlen, weil sie Verluste schreiben, auch die Anrechenbarkeit nicht gelingt. Die Übertragbarkeit der Anrechenbarkeit ist in § 35 EStG nämlich nicht geregelt. Das heißt
de facto, dass es hier zu einer Substanzbesteuerung kommen würde: In einer Situation, in der der Mittelstand in
Deutschland am Boden liegt und über ein Drittel der Betriebe unterkapitalisiert ist, würde ein weiterer Eingriff
in die Substanz, in die Eigenkapitalbasis der Betriebe,
stattfinden. Das wäre verantwortungslos.
({9})
Wir, die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss, haben uns einmütig und wiederholt - auch in der
letzten Legislaturperiode - zum Thema Basel II ausgetauscht. Es sind Verbesserungen bei Basel II erreicht
worden. Ein Problem ist aber nach wie vor nicht gelöst
- wir haben das in der letzten Finanzausschusssitzung
deutlich gemacht -, nämlich die prozyklische Wirkung
von Basel II. Im konjunkturellen Tal wirkt Basel II so,
dass die Unternehmen noch weniger Kredite erhalten.
Wenn Sie sie in dieser Situation noch zusätzlich mit
Steuern auf ertragsunabhängige Bestandteile belasten,
dann erhöhen Sie die prozyklische Wirkung von Basel II
und verschlechtern die Finanzierungsbedingungen des
Mittelstandes dramatisch.
({10})
Beide von Ihnen vorgeschlagenen Wiederbelebungsversuche der Gewerbesteuer lösen die Probleme nicht.
Sie verschaffen den Gemeinden keine Luft zum Atmen,
indem Sie sie den Betrieben abschnüren. Umgekehrt
wird ein Schuh daraus: Entlasten Sie die Betriebe. Verschaffen Sie dem Mittelstand Luft zum Atmen! Dann
wird es auch den Kommunen in Deutschland und dem
Staat besser gehen.
({11})
Deshalb schlagen wir Ihnen vor, die Finanzen der
Kommunen mit uns auf zwei verlässliche und gleichgewichtige Säulen zu stellen: Die erste Säule besteht aus
einem kommunalen Zuschlag auf die Ertragsteuern unter
Berücksichtigung des Wohn- und Betriebsstättenprinzips
und die zweite Säule aus einem wesentlich höheren Anteil an der Umsatzsteuer.
({12})
- Das sind keine Steuererhöhungen. Lieber Herr Kollege
Schild, durch Ihre Pläne werden die Steuern erhöht; lesen Sie dazu einmal die heutige Ausgabe der „FAZ“.
Nach Ihrem Modell werden 4 Milliarden Euro mehr abkassiert, bei unserem Modell wird eine Belastungsneutralität erreicht. Das ist der Unterschied zwischen den
Modellen.
({13})
Bei Umsetzung unseres Vorschlags würde Konjunkturfestigkeit erzielt. Das Band zwischen Wirtschaft und
Kommunen würde wieder gestärkt; denn wir haben in
unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorgeschlagen, dass die Umsatzsteuer nach der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugeordnet wird. Dadurch käme es zu einer Belastungsund Aufkommensneutralität. Auch folgt unser Vorschlag
dem Prinzip der Verfassungsmäßigkeit, was bei Ihnen
nicht der Fall ist. Deswegen werben wir bei Ihnen für
dieses Zweisäulenmodell.
Ich möchte mit einer Bitte meiner Fraktion an den
Bundesfinanzminister schließen: Herr Eichel, wir wären
Ihnen und Ihrem Haus ausgesprochen dankbar, wenn Sie
während der Sommerpause - bekanntermaßen stehen
wir unter einem gewissen zeitlichen Druck - mit Ihrer
Arbeitsgruppe unser Zweisäulenmodell, das eine Erweiterung des BDI/VCI-Modells um die zweite Säule - den
Anteil an der Umsatzsteuer - darstellt und noch nicht gerechnet worden ist, berechnen könnten.
({14})
Wir gehen davon aus, dass dieses Modell dem Wettbewerb mit den anderen Modellen standhält. Wir würden
uns im Herbst bei der weiteren Beratung diesem Wettbewerb gerne stellen. Deswegen wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unserem Modell eine Chance in einem
fairen Wettbewerb geben würden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Poß, SPD-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der FDP, Kollege Pinkwart, bedeutet im
Klartext eine Verabschiedung von der Gemeindefinanzreform. Sie haben, wie immer, nicht seriös gearbeitet
und kein durchgerechnetes Modell vorgelegt.
({0})
Die Kommunen werden von Ihrer Partei nicht gerade
verwöhnt. Sie waren noch nie ein überzeugender Vertreter kommunaler Interessen. Deswegen brauchen wir
heute Morgen über diesen Entwurf nicht mehr zu sprechen.
({1})
Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Regierungserklärung mit aller Deutlichkeit klar gemacht: Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform um ein Jahr
und die mit der Agenda 2010 und dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2004 vorgegebenen ehrgeizigen
Ziele für dauerhafte Strukturveränderungen in Deutschland gehören untrennbar zusammen. Wenn wir die Steuersenkung und zugleich die erforderlichen Strukturmaßnahmen zur Gewährleistung dauerhaft tragfähiger
Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden erfolgreich
auf den Weg bringen, geht die Rechnung auf. Dann ist
der konjunkturelle Impuls der Steuerentlastung der erforderliche und gewünschte Anschub für nachhaltig wirkende Wachstumskräfte.
({2})
Für die Koalition war von Anfang an klar: Eine ganz
besondere Bedeutung kommt der Sicherung und Stärkung der kommunalen Investitionskraft zu. Auch von
einer gut funktionierenden Infrastruktur in unseren Städten und Gemeinden, von ihrem Angebot an Bildung und
Betreuung, an sozialen und kulturellen Leistungen hängen die Zukunftschancen und die Lebensqualität aller
Bürgerinnen und Bürger ab. Es war daher nur konsequent, dass der Herr Bundeskanzler der Gemeindefinanzreform in seiner Regierungserklärung am 14. März einen
zentralen Platz im Rahmen der Agenda 2010 eingeräumt
hat.
({3})
Auch bei diesem Thema, meine Damen und Herren
von der Union, sollten Sie Ihr Durcheinander endlich
überwinden. Warum findet sich eigentlich kein Name
aus der Unionsführung, weder der von Frau Merkel noch
von Herrn Merz, noch von Herrn Glos, auf dem Antrag
der CDU/CSU?
({4})
In der Fassung des Antrags, die mir übermittelt wurde,
findet sich kein Name der Unionsführung,
({5})
weil die Union in einer zentralen Frage unseres Landes,
nämlich wie es mit den Kommunen weitergeht, gespalten ist.
({6})
Überwinden Sie die Spaltung in Ihren eigenen Reihen!
Sie müssen sich entscheiden, ob Sie an der Seite der
Kommunen oder an der Seite des BDI das Thema weiterverfolgen wollen.
Wenn Sie mir das Exemplar zeigen, das die Namen
der Unionsführung enthält,
({7})
dann muss ich das insoweit korrigieren.
({8})
Auf der Fassung, die gestern vorlag, stand kein Name
der Unionsführung. Das ändert übrigens nichts an der
Richtigkeit meiner Feststellung: Sie haben keine Position zum kommunalen Steuermodell.
({9})
Frau Merkel oder Herr Merz können gleich darstellen,
für welches Modell sie votieren, ob sie für die modernisierte Gewerbesteuer oder für das BDI-Modell sind.
Bisher haben sich die Volksparteien CDU und CSU in
der zentralen Frage der Gemeindefinanzreform nicht positioniert.
({10})
Das muss sich dringend ändern; denn die Kommunen
brauchen eine klare Perspektive. Sie brauchen eine Lösung zum 1. Januar 2004.
({11})
Den Kommunen nützen keine zehn wortreich formulierten Anforderungen an eine künftige Gemeindesteuer,
wie sie im Antrag der CDU/CSU aufgelistet sind. Sie
brauchen eine konkrete Aussage dazu, wie sie in Zukunft zu stetigeren, besser planbaren Einnahmen kommen sollen.
({12})
Als Abgeordneter aus einer Region, die seit Jahrzehnten einen schwierigen Strukturwandel zu bewältigen hat,
weiß ich: Kommunale Finanznot ist nicht nur ein Thema
der letzten zwei, drei Jahre. Neu ist jedoch - das sage ich
zu dem, was Herr Pinkwart hier festgestellt hat -,
({13})
dass die Einbrüche bei der Gewerbesteuer nach dem
Ende des Börsenbooms, dem Platzen der Blase, der Liberalisierung im Binnenmarkt mit der daraus folgenden
Umstrukturierung vieler großer Unternehmen und dem
Wachstumsausfall in den letzten drei Jahren auch Städte
und Kommunen betroffen haben, die sich als Standorte
von Banken, Versicherungen und anderen Konzernen
immer sicher geglaubt haben.
Die letzte umfassende Reform der Gemeindefinanzen
liegt jetzt über 30 Jahre zurück. Die verschiedenen Regierungen Kohl haben sich 16 Jahre lang nicht um das
Thema gekümmert. Das ist die Wahrheit, meine Damen
und Herren!
({14})
Im Gegenteil: Die Gewerbesteuer wurde immer stärker
ausgehöhlt. In der letzten Wahlperiode fanden es die
Herren Stoiber und Teufel wichtiger, vor dem Verfassungsgericht einen neuen, jahrelangen Streit über den
gerade zuvor mit ihrer eigenen Zustimmung geregelten
Länderfinanzausgleich vom Zaun zu brechen.
({15})
Heute kommen Sie anstelle einer Reform mit einem
Vorschlag, der nicht weiter reicht als bis ins nächste Jahr.
Das wird keine einzige Kommune dazu bewegen können, endlich wieder ausreichend und dauerhaft zu investieren. Thema verfehlt, Frau Merkel, Herr Merz, Herr
Glos!
({16})
Das haben Ihnen doch schon mehrere Tausend Kommunalpolitiker auf einer Veranstaltung des Bayerischen
Gemeindetages vor ein paar Wochen ins Stammbuch
geschrieben, als die Herren Staatsminister Faltlhauser
und Beckstein den Kommunalpolitikern genau das unterjubeln wollten, was Sie heute hier vorlegen. Thema
verfehlt, haben die schwarzen Kommunalpolitikerinnen
und Kommunalpolitiker gesagt. Thema verfehlt, stellen
auch wir hier und heute fest.
({17})
Was soll denn bitte die Senkung der Gewerbesteuerumlage, wenn Sie gleichzeitig die Gewerbesteuer ganz
infrage stellen? Wo soll ein höherer Kommunalanteil an
der Umsatzsteuer herkommen? Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen?
({18})
So geht es wirklich nicht. So wird es auch nicht kommen. Die Bundesregierung wird handeln und vor Ende
der parlamentarischen Sommerpause
({19})
einen Gesetzentwurf vorlegen, der dann zügig beraten
werden kann. Wir wollen am 1. Januar 2004 mit der
Umsetzung der Reform beginnen. Darin waren sich gestern auch alle Kommissionsmitglieder einig.
({20})
Ich bin sehr gespannt, ob es die Länder - die nach
dem Grundgesetz die Interessen ihrer Kommunen in finanziellen Angelegenheiten zu wahren haben -, wagen
werden, mit der Unionsmehrheit im Bundesrat die Reform zu verhindern. Darauf sind wir alle sehr gespannt.
Das ist ein Test Ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber den
Kommunen.
({21})
Die Kommunen, vertreten durch ihre Spitzenverbände, haben im Zuge der Arbeit der Kommission deutlich gemacht, was sie wollen, nämlich eine modernisierte
Gewerbesteuer mit einem verstetigten Aufkommen als
Kernstück des künftigen Gemeindesteuersystems. Wir
- die Koalition, die Bundesregierung wie auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - stehen an der Seite
der Kommunen.
({22})
Die Alternative, die Abschaffung der Gewerbesteuer
zugunsten von kommunalen Zuschlägen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die die Wirtschaftsverbände unter Führung des BDI in der Kommission vertreten haben und die sich im Antrag der FDP-Fraktion im
Ansatz wiederfindet,
({23})
wird von den Kommunen aus gutem Grund abgelehnt.
Insbesondere die Großstädte hätten bei diesem Modell
riesige Einnahmeverluste zu verkraften, die bis zu einem
Drittel ihres bisherigen Aufkommens an der Gewerbeund Einkommensteuer ausmachen würden. Oder sie wären gezwungen, die zum Ausgleich der Gewerbesteuer
vorgesehenen Zuschläge auf die Einkommensteuer so
weit über das Niveau ihres jeweiligen Umlands anzuheben, dass eine noch stärkere Abwanderung von Betrieben und Einwohnern unvermeidlich wäre. Das wäre die
sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera, die
wir den Kommunen nicht zumuten wollen.
({24})
Meine Damen und Herren von der Union, Sie schreiben in Ihrem Antrag:
Die Gemeinden in Deutschland haben Anspruch
darauf, dass gerade diese Reform mit ihnen und
nicht gegen sie verwirklicht wird.
Das sehen wir genauso. Die Kommunen haben sich bereits entschieden. Nehmen Sie sich doch selbst ernst und
arbeiten Sie mit uns gemeinsam an einer Erneuerung der
Gewerbesteuer!
Die Erneuerung bzw. die Reform wäre aber ohne das
zweite Element - die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nach dem Hartz-Konzept - unvollständig. Das ist erforderlich, um auch den Städten in
strukturschwachen Regionen, denen eine Reform auf der
Einnahmeseite allein nicht in ausreichendem Maße helfen kann, wieder eine langfristig tragfähige finanzielle
Perspektive zu geben. Wir haben das gemeinsam mit den
Kommunen von Anfang an so gewollt. Schon die Gliederung der Kommissionsarbeit war auf diesen Doppelschritt der Verstetigung der Einnahmen einerseits und
der Entlastung auf der Aufgabenseite andererseits angelegt. Auch Letzteres müssen wir - insbesondere im Interesse der strukturschwachen Kommunen - realisieren.
({25})
Damit komme ich noch einmal auf unsere gestrige Debatte zurück. Gerade auch mit Blick auf die Einnahmen
der Kommunalhaushalte stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, für spürbare Erfolge beim Abbau von Ausnahmetatbeständen und Steuervergünstigungen zu sorgen.
Die Blockadehaltung des Bundesrats in der Steuerpolitik
im Frühjahr, die Blockadehaltung von CDU/CSU und
FDP hat die Städte und Gemeinden viele Milliarden Euro
gekostet. Das darf sich nicht wiederholen!
({26})
Ich habe die gestrige Debatte und auch die Ausführungen von Frau Merkel so verstanden, dass wir jetzt gemeinsam das Aufbruchsignal für die vorgezogene Steuersenkung setzen wollen. Die Kommunen können das
umso leichter mittragen, je schneller wir bei der Gemeindefinanzreform und beim Abbau von Steuersubventionen zu guten Ergebnissen kommen.
Daher noch einmal mein Appell: Nach all den berechtigten Klagen über die Finanzlage der Kommunen ist es
jetzt an der Zeit, für eine grundlegende und dauerhafte
Verbesserung zu sorgen.
({27})
Sie sind aufgefordert, das ernsthaft mitzubetreiben. Andernfalls verhindern Sie ein großes Reformwerk.
({28})
Ich erteile der Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Seit Monaten diskutieren wir nun in verschiedenen Gremien, in der Öffentlichkeit und bei sonstigen
Anlässen über die dramatische Finanzsituation der Gemeinden. Wir haben gehofft, dass heute, einen Tag nach
Abschluss der Beratungen der Regierungskommission
zur Reform der Gemeindefinanzen, vonseiten der Koalitionsfraktionen und der Regierung endlich eine Perspektive aufgezeigt wird, die den Kommunen wirklich hilft,
und zwar nicht irgendwann und nicht mit einer neuen
Bezeichnung einer Steuer, sondern durch eine sofortige
Linderung ihrer Nöte. Wir sind leider enttäuscht worden.
({0})
Die Situation der Kommunen wird immer dramatischer und die Konsequenzen sind besorgniserregend. Es
hat handfeste Auswirkungen für die Bürger vor Ort
- es geht hier schließlich nicht um eine unpersönliche
Struktur von Städten und Gemeinden -, wenn notwendige Investitionen unterbleiben, wenn Bibliotheken und
Hallenbäder geschlossen werden und wenn selbst notwendige Reparaturarbeiten an Schulen, Kindergärten
und Krankenhäusern entweder verschoben oder gar nicht
vorgenommen werden. Das Ganze ist, wie gesagt, nicht
neu. Die Regierung hat die Situation der Gemeinden
über Jahre verharmlost und verniedlicht. Herr Eichel, Sie
haben außerdem mit Ihren Entscheidungen in der Wirtschafts-, in der Finanz- und insbesondere in der Steuerpolitik zur Verschärfung der Probleme der Gemeinden
beigetragen.
({1})
Die dramatische Situation hat enorme Auswirkungen
auf die kommunale Arbeit vor Ort. Ich habe bereits geschildert, wie die Bürger davon betroffen sind. Aber ich
möchte ausdrücklich auch unsere Kollegen in den kommunalen Parlamenten und Gremien, die Oberbürgermeister, die Bürgermeister und die Landräte, erwähnen,
die zurzeit einen äußerst schweren Job zu machen haben.
Wenn sie die an sie gerichteten Erwartungen nicht mehr
erfüllen können, weil ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort fehlen, weil ihnen immer mehr Geld vom
Bund und von den Ländern beispielsweise über die Gewerbesteuerumlage aus der Tasche genommen wird,
dann darf uns das nicht ruhen lassen. Eine solche Situation erfordert vielmehr die Solidarität der Bundespolitiker mit den Kommunalpolitikern.
({2})
Es ist auch notwendig, dass wir uns über die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen dieser Situation im
Klaren sind; denn wenn Investitionen vor Ort unterbleiben, weil die Gemeinden keinen finanziellen Spielraum
mehr haben, dann geht das insbesondere zulasten der
mittelständischen Unternehmen mit der Konsequenz,
dass dort noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und
dass noch mehr Existenzen vernichtet werden, was wiederum - das ist dann die logische Konsequenz - zu noch
mehr Sozialausgaben und zu noch weniger Steuereinnahmen führt. Genau dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.
({3})
Sie haben viel zu spät und erst nach unserem Drängen
in der letzten Legislaturperiode begonnen, eine Gemeindefinanzreform anzugehen.
({4})
- Das ist nachweisbar. - Sie selber haben zu Beginn der
letzten Legislaturperiode in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgestellt, dass eine umfassende Gemeindefinanzreform vorgenommen werden müsse.
({5})
Aber die ganze Legislaturperiode hindurch haben Sie
nichts getan. Sie haben immer nur große Versprechungen gemacht.
({6})
Am Ende der letzten Legislaturperiode haben Sie endlich eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt, wohl wissend, dass in dieser Legislaturperiode nichts mehr herauskommen wird.
({7})
Sie haben dann der Kommission unter Zeitdruck zwei
Aufgaben gestellt: Sie sollte Vorschläge zur Gewerbesteuer sowie zur Zusammenlegung der Arbeitslosen- und
der Sozialhilfe erarbeiten.
({8})
Dieser Auftrag war viel zu eng gestaltet; denn die Problematik ist viel umfassender. Die gesamte Einnahmenund Ausgabensituation beispielsweise in der Grundsicherung, im Kinder- und Jugendhilfebereich und im Bereich der Eingliederungshilfe muss berücksichtigt werden.
({9})
Sie haben den Kommunen doch ständig neue Aufgaben und Ausgaben aufgebürdet. Sie behaupten, dass Sie
mit der jetzigen Reform, die Sie als eine große anpreisen
- in Wirklichkeit ist es nur eine kleine, wie wir es schon
häufig erlebt haben -, die Probleme der Gemeinden löGerda Hasselfeldt
sen könnten. Ich sage Ihnen: Die Probleme werden so
nicht gelöst, weil Ihnen die Gesamtschau fehlt. Wenn Sie
unseren Antrag lesen, dann werden Sie feststellen, dass
die Gesamtschau bei uns das Entscheidende ist. Man
kann nicht nur einige wenige Punkte herauspicken. Das
Ziel muss vielmehr sein, den Gemeinden eine Finanzausstattung zu geben, die mit den Ausgaben und den
Aufgaben abgestimmt ist, die sie zu bewältigen haben.
Ich wiederhole: Man muss eine Gesamtbetrachtung vornehmen und darf nicht nur Rosinen herauspicken.
Mittlerweile hat die von Ihnen eingesetzte Kommission ein Jahr gearbeitet. Ich möchte den Mitgliedern dieser Kommission ausdrücklich danken. Sie haben sich
sehr engagiert. Es ist allerdings schade, dass die Regierung die Kommission in weiten Bereichen allein gelassen hat
({10})
und dass in dieser Kommission kein Vertreter der freien
Berufe, die Sie jetzt in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen wollen, vertreten war. Während dieser Kommission zum Beispiel Vertreter der Gewerkschaften angehörten, sind diejenigen, die künftig zusätzlich zur Kasse
gebeten werden sollen, von Anfang an außen vor gelassen worden.
Sie haben angekündigt, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Erst vor wenigen Monaten hat der
Bundeskanzler selbst in diesem Haus gesagt: Der Gesetzentwurf wird vor der Sommerpause vorgelegt. Dass
Versprechen nicht eingehalten werden, sind wir mittlerweile gewohnt: Seit Monaten versprechen Sie milliardenschwere Entlastungen der Kommunen. Davon war in
den letzten Tagen nicht mehr die Rede; Zahlen werden
nicht mehr genannt.
({11})
Was die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angeht, sprechen Sie jetzt nicht mehr von einer
konkreten Entlastung, sondern davon, dass die Größenordnung der Entlastung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens festgelegt wird. Irgendwie ist das alles ganz nebulös. Man verabschiedet sich heimlich, still und leise
von den früher gegebenen Versprechen.
Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wenn es
uns nicht gelingt, den Kommunen, den Städten und den
Gemeinden schnell und wirksam Hilfe zu gewähren,
dann wird das Vertrauen der Bürger in die Politiker noch
mehr zerstört - Sie haben darauf einen ganz wesentlichen Einfluss -, als es sowieso schon den Fall ist.
({12})
Beim Versuch, etwas über die Inhalte des Gesetzentwurfs, der vorgelegt werden soll, zu erfahren, stochert
man im Nebel herum. Anders als der Wirtschaftsminister
haben sich der Finanzminister und die Fraktionen für ertragsunabhängige Elemente ausgesprochen. Folgt man
Ihrem Antrag, sollen die Zinsen zukünftig berücksichtigt
werden.
({13})
Der Bundeskanzler hat vor der Bundestagswahl im
vergangenen Jahr auf einer öffentlichen Veranstaltung
am Tag der Freien Berufe versprochen, dass die freien
Berufe nicht in die Gewerbesteuerpflicht einbezogen
werden.
({14})
Im Antrag der Koalitionsfraktionen und in den Verlautbarungen der Regierung ist davon dennoch die Rede.
Auch daran wird deutlich: Glaubwürdigkeit ist dieser
Regierung und den Koalitionsfraktionen völlig fremd.
Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn die Leute Ihnen nichts mehr glauben.
({15})
Wenn man nach einer Lösung dieses Problems sucht,
dann wäre es eigentlich nur logisch, sich die Ursachen
dieses Problems zunächst einmal vor Augen zu halten.
Eine der wesentlichen Ursachen - Herr Professor
Pinkwart hat es in seinen Erläuterungen zum Ausdruck
gebracht - ist die wirtschaftliche Entwicklung. Durch
die wirtschaftliche Entwicklung sind sowohl die Einkommensteuer- als auch die Gewerbesteuereinnahmen
in den letzten zwei Jahren dramatisch eingebrochen.
({16})
Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so.
Die erste und wichtigste Konsequenz muss sein, alles
dafür zu tun, dass es wieder zu mehr Beschäftigung, zu
mehr Wachstum und damit zu mehr Steuereinnahmen
kommt.
({17})
Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder Perspektiven haben und wieder investieren können.
({18})
Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt,
({19})
- Sie nehmen das noch nicht einmal wahr - beispielsweise zur Strukturreform des Arbeitsrechts.
({20})
Darüber reden Sie gar nicht. Vielleicht werden Sie den
- seit Monaten angekündigten - Gesetzentwurf irgendwann einmal vorlegen.
Wir alle wissen, dass es notwendig ist, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Die von Ihnen vorgesehenen Steuererhöhungen - das, was Sie vorhaben, ist
nichts anderes; dazu kommt es durch die Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer durch die
Einbeziehung der freien Berufe
({21})
und die Einbeziehung von Mieten, Zinsen, Pachten und
Leasingraten - sind nicht dazu geeignet, die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, ganz im Gegenteil.
({22})
Ganz abgesehen davon hat dies natürlich auch überhaupt
nichts mit den eigentlichen Ursachen zu tun.
Damit bin ich bei der zweiten Ursache. Die zweite
Ursache ist Ihre eigene Politik, die Wirtschafts- und insbesondere die Steuerpolitik. Sie haben nämlich mit Ihrer
Steuerreform bei den Gemeinden, die ohnehin geringere
Einnahmen haben, noch mehr Geld abgezogen und ziehen weiter mehr Mittel ab, als das früher der Fall war.
Sie haben die Gewerbesteuerumlage von 20 auf 28 Prozent erhöht, und zwar - das ist das Entscheidende - ohne
sachlichen Grund. Sie haben den Gemeinden Steuermehreinnahmen versprochen durch Maßnahmen, die Sie
zwar angekündigt, aber dann nicht realisiert haben nicht etwa deshalb, weil wir gesagt haben, das komme
nicht infrage, sondern Sie selbst haben es nicht realisiert,
aber trotzdem das Geld der Gemeinden kassiert. Unter
seriösen Geschäftspartnern nennt man das ungerechtfertigte Bereicherung.
Deshalb ist das Allerwichtigste, was Sie zu tun haben,
diese Gewerbesteuerumlagenerhöhung so schnell wie
möglich, nicht irgendwann, sondern sofort, zurückzunehmen. Die Gemeinden haben ein Recht darauf.
({23})
Das sollten Sie allein schon deshalb tun, meine Damen und Herren, weil die Gemeinden jetzt und nicht erst
irgendwann konkrete und auch kassenwirksame Hilfen
brauchen.
In der Kommission und in vielen anderen Zirkeln
wurden verschiedene Modelle intensiv diskutiert, insbesondere das von Ihnen angesprochene Modell des Zuschlags, aber auch die so genannte Revitalisierung und
verschiedene Mischmodelle. Allerdings wurden nicht
alle durchgerechnet.
({24})
Bevor sie nicht solide durchgerechnet sind, bevor nicht
alle Alternativen wirklich geprüft wurden, kann man
eine so grundlegende Reform nicht durchführen. Sie soll
zukunftsträchtig sein, für längere Zeit gelten und nicht
nur für ein Jahr oder zwei Jahre - was bei allem, was Sie
bisher vorgelegt haben, die Halbwertszeit war - und
dauerhaft tragen. Dazu ist es notwendig, dass wirklich
grundlegend durchgerechnet wird, auch die Verteilungswirkungen ausgerechnet werden und die Gemeinden genau wissen, was auf sie zukommt.
({25})
Selbst wenn am 1. Januar 2004 im Gesetzblatt steht,
was Sie heute in groben Zügen andeuten, bringt das den
Gemeinden - da muss man ganz ehrlich miteinander umgehen - im Jahr 2004 nichts, sondern frühestens im Jahr
2005, in manchen Bereichen sogar erst im Jahr 2006. Bei
den Landkreisen wird das noch ein Jahr später, wenn
überhaupt, kassenwirksam. Ich bezweifle, dass bei Ihren
Vorschlägen überhaupt etwas kassenwirksam wird. Es
wird nämlich nur fiskalisch auf dem Papier, aber nicht in
der Praxis wirksam, weil Sie die wirtschaftliche Entwicklung so kaputtmachen.
Deshalb ist es notwendig, sofort etwas zu tun. Ein
Vorschlag von uns liegt seit langem auf dem Tisch; ich
wiederhole ihn hier. Ich habe vorhin gesagt: Die Gemeinden haben ein Recht darauf. Dabei geht es nicht um
ein Almosen oder ein Entgegenkommen. Ich spreche
von dem Recht der Gemeinden darauf, dass die Gewerbesteuerumlage wieder auf das Niveau gesenkt wird, auf
dem sie vor der Steuerreform war. Das bringt für die Gemeinden schon in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro.
({26})
Weil wir auch für die Gemeinden etwas tun müssen,
die wenig oder keine Gewerbesteuereinnahmen haben,
die unter der wirtschaftlichen Situation aber auch enorm
leiden, schlagen wir vor, den Gemeinden zumindest für
das Jahr 2004 eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung zu
geben, den Anteil von 2,2 Prozent zumindest im Jahr
2004 auf 3 Prozent anzuheben. Das schlagen wir nicht
vor, weil wir die notwendige grundsätzliche Reform der
Gemeindefinanzen auf die lange Bank schieben wollen,
weiß Gott nicht.
({27})
Im Gegenteil: Die Arbeit muss fortgesetzt werden, aber
mit dem Ziel, eine wirklich langfristig tragfähige Reform
zu erreichen, eine Reform, die eine Finanzausstattung der
Gemeinden gewährleistet, bei der die Aufgaben mit den
zur Verfügung stehenden Mitteln, und zwar originären
Mitteln, nicht zugewiesenen Mitteln, in Einklang stehen,
eine Reform, deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durchdacht ist, eine Reform, die
auch in den Konsequenzen und in den Verteilungswirkungen genau durchgerechnet ist; denn einen Blankoscheck, für wen auch immer, können wir uns bei einer
solch grundlegenden Reform nicht leisten. Wir wollen
eine grundlegende und tragfähige Reform.
({28})
Das ist nicht in einem Hauruckverfahren zu machen.
Es kann nicht angehen, dass man zuerst jahrelang untätig
bleibt - und Sie sind jahrelang untätig geblieben; das
Problem ist nicht neu -,
({29})
dann nach langem Drängen eine Kommission einsetzt,
die aber zu keiner Einigung kam, was vorauszusehen
war, und zwischenzeitlich selber nichts tut.
({30})
Jetzt wollen Sie unter dem Deckmantel einer großen Reform etwas verkaufen, das letztlich nicht mehr als das
Drehen an einem Schräubchen in die falsche Richtung
darstellt, und das Ganze in einem Hopplahopp-Verfahren
durchziehen. Das, meine Damen und Herren, geht mit
uns nicht.
({31})
Lassen Sie uns deshalb zweigleisig vorgehen: zum einen mit einem Sofortprogramm die aktuelle Not der
Kommunen wirksam lindern und zum anderen parallel
dazu eine große Reform erarbeiten, die Aufgaben, Ausgaben, Konnexität und alles, was dazu gehört, berücksichtigt. Dann sind wir auf einem guten Weg.
Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir werden diese
Reform nur gemeinsam mit den Kommunen durchführen
können; denn eine Reform gegen die Kommunen, die
Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte macht
keinen Sinn.
({32})
Ich erteile das Wort der Kollegin Kerstin Andreae,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eine alte Weisheit lautet: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Ganz anders ist es bei den Gemeindefinanzen. Hier müsste es heißen: Solange sich
zwei streiten, leidet der Dritte Not.
({0})
Es ist höchste Zeit für eine Reform der Gemeindefinanzen. Die finanzielle Situation der Kommunen ist
prekär und die Folgen für die Städte sind fatal. Wir haben jetzt lange debattiert, Berichte gelesen und ein Jahr
lang hat die Kommission gearbeitet. Wir haben von der
Kommission Ergebnisse präsentiert bekommen. Wir
sind jetzt gefragt, diese Ergebnisse so umzusetzen, dass
eine tragfähige und wirksame Reform der Gemeindefinanzen zustande kommt.
Sie sagen: Wir brauchen ein Sofortprogramm. Wir haben in den letzten Monaten einiges auf den Weg gebracht, was punktuell hilft. Die Flutopferhilfe hat den
Kommunen immerhin ein bisschen gebracht. Die KfW
hat ein kommunales Investitionsprogramm „Wachstumsimpulse“ aufgelegt. Wir wissen, dass das nur Kommunen mit starkem Steueraufkommen hilft; aber immerhin.
Wir wissen auch, dass diese Einzelmaßnahmen nur
punktuell wirken, sie nutzen nicht strukturell. Wir brauchen eine strukturelle Reform der Finanzsituation der
Kommunen. Unser Ziel ist und bleibt eine Reform zum
1. Januar 2004.
({1})
Die Reformkommission hat gestern ihre Arbeit - die
Prüfung von zwei Modellen - beendet. Man kann immer
den Vorwurf erheben, dass ihr Auftrag zu eng war und
noch andere Modelle hätten geprüft werden müssen.
Man kann aber auch sagen - deswegen will ich die von
der Kommission geleistete Arbeit ausdrücklich würdigen -, dass sie uns sehr deutlich klar gemacht hat, anhand welcher Stränge wir entscheiden müssen, welche
grundlegenden Differenzen existieren und auf welche
Fragen wir mit dieser Reform eine Antwort geben müssen. Ich finde, dass die Arbeit der Reformkommission
dadurch sehr hilfreich gewesen ist, auch wenn sie keine
Einigung hinbekommen hat. Das ist nicht schlimm; denn
wir hier müssen uns einigen. Die Arbeit der Kommission
aber erleichtert unsere Entscheidungsfindung, weil sie
die Brennpunkte herausgearbeitet hat, nämlich die Haltung zur Gewerbesteuer - Ja oder Nein - und zum Zuschlagsrecht - Ja oder Nein -, nichts anderes.
({2})
Bevor wir uns für ein Modell entscheiden, müssen wir
anhand der Prüfkriterien, die die Kommission ihrer Arbeit zugrunde gelegt hat, überlegen, mit welchem Modell die Ziele am effizientesten erreicht werden. Ich will
die Ziele noch einmal nennen, die ja hier einhellig immer wieder thematisiert werden und auch im Antrag der
CDU/CSU detailliert in zehn Punkten - nur bei einem
bringen Sie eine Bewertung - aufgelistet werden.
Ein erstes Ziel ist die Verstetigung der kommunalen
Steuereinnahmen. Das heißt, wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken
({3})
und dafür sorgen, dass sie nicht mehr so stark von der
Konjunktur abhängt. Das wollen Sie doch auch. Wir
wollen das aber nicht nur, weil die finanzielle Situation
der Kommunen dringend verbessert werden muss, sondern vor allem auch aus wirtschaftspolitischen Gründen.
Der Investitionsstau in den Kommunen ist so massiv,
({4})
dass wir glauben, dass das Geld, das in die Kommunen
hineinfließt, produktiv wirkt, weil es sofort wieder ausgegeben wird und wichtige Impulse für mehr Beschäftigung gibt. Deswegen wollen wir für eine Verstetigung
der kommunalen Steuereinnahmen sorgen.
({5})
Es ist ein Problem, dass die Steuereinnahmen nur von
wenigen Steuerpflichtigen vor Ort aufgebracht werden.
Nur ein kleiner Teil der wirtschaftlich Tätigen beteiligt
sich heute an den kommunalen Leistungen. Die Gewerbesteuer ist eigentlich eine Bezahlung kommunaler Leistungen. Daran müssen sich mehr beteiligen.
({6})
Jetzt sagen Sie, unser Vorschlag bedeute eine Steuererhöhung. Ich sage Ihnen: Unser Vorschlag - gößerer
Zahlerkreis - ermöglicht eine Senkung der Steuersätze.
Das ist ein ganz elementarer Bestandteil dieses Modells.
Dann haben wir mehr, die sich an diesen Leistungen der
Kommune finanziell beteiligen.
({7})
Ich könnte weitere Ziele nennen, die Sie alle kennen:
Administrierbarkeit, Lösung des Stadt-Umland-Problems, Vermeidung von Bürokratie; ich komme noch im
Einzelnen darauf. Diese können am besten durch das
Modell der kommunalen Spitzenverbände erreicht werden. Wir sind nach einer langen Entscheidungsfindung
zu dem Schluss gekommen, dieses Modell zu verfolgen.
Wir stellen uns an die Seite der Kommunen, die die Gewerbesteuer beibehalten und weiterentwickeln wollen.
Das wollen auch wir.
({8})
Jetzt sage ich Ihnen kurz, warum wir das Modell der
Wirtschaftsverbände ablehnen. Das liegt auf der Hand,
wenn Sie sich die gemeindescharfen Berechnungen der
Kommission anschauen und sie vorbehaltlos interpretieren. Es bestehen zwei große Probleme.
Das erste Problem ist die Stadtflucht. Kernstädte
werden einen wesentlich höheren Zuschlag auf die Einkommensteuer legen müssen. Das bedeutet: Es lohnt
sich, auf dem Land zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Damit kommt es zu einem Ausbluten der Kernstädte. Das ist auch aus ökologischer Sicht nicht zu befürworten.
({9})
Das zweite Problem ist - das können Sie sich in den
Ergebnissen der Kommission genau anschauen -: Das
Steueraufkommen, das heute etwa je zur Hälfte von
den Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, verlagert sich wesentlich auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur noch ein kleiner Teil
des Steueraufkommens wird von der Wirtschaft getragen. So bröckelt das Band zwischen Wirtschaft und
Kommune, das wir dringend brauchen, damit es vor Ort
ein Ansiedlungsinteresse und aktive Wirtschaftsförderung gibt. Dieses Band wollen wir erhalten und stabilisieren.
({10})
Die Koalitionsfraktionen nehmen die Ziele der Reformkommission auf und haben in dem vorliegenden
Eckpunktepapier die wesentlichen Grundzüge einer
Neugestaltung der Gemeindefinanzen dargelegt. Dabei
steht für uns im Vordergrund, die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer weiterzuentwickeln.
Ja, wir wollen die Einbeziehung der Freiberufler.
Ja, wir wollen, dass die Freiberufler die Gewerbesteuer
auf die Einkommensteuer anrechnen können. Wir glauben, dass wir durch diese Erweiterung des Zahlerkreises
({11})
mehr Steuergerechtigkeit erlangen können.
Ja, wir wollen, dass Finanzierungsneutralität gewährleistet ist. Sie wissen um das Problem, dass Fremdkapital und Eigenkapital steuerlich unterschiedlich behandelt werden.
({12})
Sie wissen auch, dass - ganz vorsichtig gesagt - Gewinne steueroptimierbar sind.
Letzte Woche hat Innenminister Beckstein vorgeschlagen, Managergehälter in die Bemessungsgrundlage
der Gewerbesteuer einzubeziehen. Warum sagt er das?
Er sagt es, weil er weiß, dass der Betriebsausgabenabzug
es ermöglicht, die Steuerbasis zu senken und damit die
Gewerbesteuer herunterzuschrauben. Dies wollen wir
ändern.
({13})
- Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich teile den
Vorschlag von Innenminister Beckstein nicht. Aber er
benennt damit indirekt das Problem, das auch wir sehen.
({14})
Neben der Ausgestaltung der Gewerbesteuer zu einer
kommunalen Wirtschaftsteuer gibt es natürlich weitere
Aspekte. Ein wesentlich unstrittigerer Aspekt ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.
Die Kommunen können hier in Milliardenhöhe entlastet
werden. Ein Teil der eingesparten Mittel soll für den
dringend notwendigen Ausbau der Betreuung für Kinder
unter drei Jahren verwendet werden.
Ein dritter Aspekt - da wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD - ist die Gewerbesteuerumlage. Aus grüner Sicht gehört die Gewerbesteuerumlage in den Gesamtkontext der Reform der
Gemeindefinanzen. Wenn wir die Gewerbesteuer neu
auflegen, wenn wir das Band zwischen Kommune und
Wirtschaft festigen, wenn wir das kommunale Ansiedlungsinteresse stärken und wenn wir die Gemeindefinanzen umfassend reformieren wollen, dann dürfen wir die
Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ebenen
nicht ausblenden. Dies bedeutet für mich in der logischen Konsequenz, dass die Prüfung der Gewerbesteuerumlage im Gesamtkontext noch in diesem Jahr erfolgen
muss. Ich verhehle dabei nicht, dass die Gewerbesteuerumlage nach Auffassung der grünen Finanzpolitiker zu
hoch ist und gesenkt werden sollte.
({15})
- Herr Götz, ich weiß, dass Sie mir Beifall spenden.
Aber jetzt erkläre ich Ihnen, warum wir den Antrag der
Union nicht unterstützen können.
Er verdeutlicht die komplette Unsicherheit der Union
zu diesem Thema. Frau Roth will etwas anderes als Herr
Beckstein, dieser will etwas anderes als die Bundestagsfraktion und diese will etwas anderes als Ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort.
({16})
Die Folge ist, dass Sie einen Antrag vorlegen, mit dem
Sie viel zu kurz springen.
Ich bewerte ein paar Punkte dieses Antrags: Sie sagen, der Auftrag der Kommission sei zu eng gefasst gewesen. Okay, aber von Ihnen kommt kein Vorschlag, der
im Hinblick auf die Steuer signifikant über die Vorschläge der Kommission hinausginge.
({17})
Sie sagen, die Gewerbesteuer wirke selektiv. Okay, aber
das liegt daran, dass in Zeiten der Unionsregierung die
Gewerbesteuer systematisch ausgehöhlt wurde. Sie sagen, die Abgrenzung des Gewerbebegriffs sei problematisch. Das sehen wir auch so. Dann sollten Sie uns aber
bei unserer Forderung nach Einbeziehung der Freiberufler öffentlich unterstützen. Dies wirkt der Selektion entgegen. In den zehn Punkten, die Sie auflisten und die wir
größtenteils unterschreiben können, sagen Sie überhaupt
nicht, welches Steuermodell Sie eigentlich wollen.
({18})
Sie müssen irgendwann springen. Ich sage Ihnen: Ein
bisschen Mut tut gut.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie
dringend, mit uns für eine umfassende Reform zu streiten. Ihre Konfusion bedeutet weitere Verzögerung. Sie
haben uns vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen, wir
verzögerten die Gemeindefinanzreform.
({19})
Wir haben heute ein Eckpunktepapier. Im Laufe des
Sommers wird ein Gesetzentwurf erarbeitet. Sie aber legen einen Gesetzentwurf vor, der die Probleme gar nicht
löst. Das ist Verzögerung.
Jede weitere Verzögerung trägt zu einer Verschärfung
der strukturellen Probleme der Städte und Gemeinden
bei. Wir sollten den Kommunen gemeinsam helfen und
ein für alle Seiten befriedigendes Gewerbesteuerkonzept
erarbeiten, das nicht wirtschaftsfeindlich, sondern kommunalfreundlich ist. Wir brauchen eine umfassende Reform. Die Kommunen zählen auf uns. Wenn wir dies
heute auf den Weg bringen, dann ist es ein guter Tag für
die Kommunen und damit ein guter Tag für die Menschen in diesem Land.
Vielen Dank.
({20})
Ich erteile des Wort dem Kollegen Peter Götz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist manchmal spannend, die Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen hier zur Kenntnis zu nehmen.
({0})
Uns geht es darum, dass das System der Gemeindefinanzen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Der
Dachstuhl in den Kommunen brennt. Deshalb brauchen
sie sofort Hilfe. Wir greifen Ihren Vorschlag gern auf, die
Gewerbesteuerumlageerhöhung sofort zurückzunehmen.
({1})
Ständig neue Ankündigungen sind zu wenig, Herr
Finanzminister; Handeln ist angesagt. Seit Jahren gehört
die Reform der Kommunalfinanzen zu den Dauerbrennern der politischen Diskussion in Bund, Ländern und
Gemeinden.
({2})
Rot-Grün hat innerhalb von wenigen Jahren die Städte
und Gemeinden an den Rand des finanziellen Ruins regiert. Die kommunalen Haushalte laufen aus dem Ruder.
({3})
Wenn Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen haben,
dann sprechen Sie einmal mit Ihren Bürgermeistern,
Oberbürgermeistern und Landräten vor Ort.
({4})
Der Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Regierungserklärung zur finanziellen Lage unseres Landes die
kommunale Finanzmisere mit keiner Silbe erwähnt. Er
hat nicht einmal das Wort Kommunen in den Mund genommen. Städte, Gemeinden und Kreise gibt es bei ihm
nicht.
({5})
Das ist schade und für unser Land nicht gut.
({6})
Durch Ihre über Jahre hinweg betriebene kommunalfeindliche Politik gefährden Sie die kommunale
Selbstverwaltung in ihrer Grundsubstanz. Es ist immer
schwieriger, Menschen zu finden, die für ein kommunales Mandat zur Verfügung stehen. Das hat etwas mit Ihrer Politik zu tun. Auf der einen Seite nehmen Sie den
Kommunen immer mehr Steuereinnahmen weg - wir haben es heute gehört: bei der Gewerbesteuer durch die
Gewerbesteuerumlage - auf der anderen Seite sorgen Sie
durch ständige Übertragung von neuen Aufgaben dafür,
dass die kommunalen Ausgaben immer mehr zunehmen.
Geschenke an die Bürger zu verteilen und sie von anderen bezahlen zu lassen ist immer mehr zum Markenzeichen rot-grüner Politik geworden.
({7})
Grundsicherungsrente, Eingliederungshilfe, Ganztagsschulen, Kinderbetreuung, das alles hört sich gut an.
Aber wer bezahlt die Rechnung? - Die Kommunen. In
den Städten und Gemeinden werden Schwimmbäder, Bibliotheken und Theater geschlossen. Schulen, Straßen
und Kinderspielplätze können nicht mehr repariert werden. Straßenbeleuchtungen werden in vielen Kommunen
abgeschaltet. Es gehen im wahrsten Sinne des Wortes die
Lichter aus.
({8})
Was macht die Bundesregierung? Sie kündigt an und
verbreitet Hoffnung; aber Konkretes kommt nicht. Nach
fünf Jahren Ankündigungen
({9})
- Entschuldigung, Sie sind seit fünf Jahren in der Regierungsverantwortung ({10})
erklären Sie, dass man die kommunalen Finanzkräfte
stärken wolle. Dieser Tage ist ein dünnliches Eckpunktepapier serviert worden, in dem wieder nichts Neues und
nichts Substanzielles steht. Sie werfen uns in diesem Papier vor, dass wir den Kommunen schnell helfen wollen
und dass wir dafür konkrete Gesetzesvorschläge unterbreitet haben. Das ist für uns nicht nachvollziehbar.
({11})
Die mit großem Tamtam jahrelang angekündigte und
kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode unter dem
großen Druck der Öffentlichkeit und der Kommunen unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzte
Gemeindefinanzreformkommission - man sollte sich
es einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Gemeindefinanzreformkommission ist unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzt worden ({12})
hat, wie wir heute wissen, gestern ihre Zelte ergebnislos
abgebrochen.
({13})
- Sie hat gut gearbeitet; nur die Ergebnisse sind leider
nicht hervorragend.
„Kommission zur Gemeindereform gescheitert“, lauten die Schlagzeilen in der Tagespresse. „Flickwerk programmiert“, titelt heute die „Welt“. Sie sollten einfach
einmal zur Kenntnis nehmen, was hier aufgezeigt wird.
Einig waren sich die Mitglieder der Kommission lediglich darüber, dass den Kommunen schnell geholfen
werden muss. Das lehnen Sie leider ab.
({14})
Tun Sie es jetzt! Es wird höchste Zeit.
({15})
Kaum ein Globalplayer zahlt heute dank Ihrer weltgrößten rot-grünen Steuerreform überhaupt noch
Gewerbesteuer. Nahezu alle international agierenden
Konzerne haben sich von der Gewerbesteuer verabschiedet.
({16})
Herr Bundesfinanzminister, wenn der Oberbürgermeister von München vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zu Recht beklagt, dass - ich zitiere - „kein einziges der sieben im Dax notierten Unternehmen Münchens
Gewerbesteuer zahlt“ und mit dem Finger deutlich nach
Berlin zeigt, dann besteht dringender Handlungsbedarf.
({17})
Ich fordere Sie deshalb auf, den Streit in der Regierung zu beenden und endlich den wiederholt von Ihnen
selbst angekündigten Entwurf eines Gesetz zur Gewerbesteuer auf den Tisch zu legen, und zwar einen verfassungsgemäßen. Ich bin gespannt, ob sich der Finanzminister oder der Wirtschaftsminister bei diesem
Gesetzentwurf durchsetzt. Wir werden einmal schauen,
was dabei unter dem Strich herauskommt.
Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte, ja.
Bitte schön.
Herr Abgeordneter Götz, die nordrhein-westfälischen
CDU-Oberbürgermeister haben sich im Oktober letzten
Jahres einstimmig für das Modell der kommunalen Spitzenverbände ausgesprochen. Die Oberbürgermeister der
kreisfreien Städte haben in Mannheim dem Modell der
kommunalen Spitzenverbände mit überwiegender Mehrheit zugestimmt. Der Deutsche Städtetag und der Landkreistag folgten dem. Warum missachten Sie die Sachkompetenz Ihrer eigenen CDU-Bürgermeister in einer
derart eklatanten Art und Weise?
({0})
Ich frage Sie zurück: Warum legen Sie dann nicht
endlich einen Gesetzentwurf auf den Tisch?
({0})
Wenn Sie schon zitieren, dann darf ich vielleicht noch
einen weiteren Hinweis geben. Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern fordert: Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes
2000 muss zurückgenommen werden.
({1})
Es kann ja nicht angehen, Herr Bundesfinanzminister,
dass Sie hier alles ablehnen und am Schluss die Länder
alles bezahlen lassen, was Sie nicht finanzieren wollen.
Das ist der falsche Weg.
({2})
Kollege Götz, gestatten Sie noch eine Nachfrage? Der
Kollege Krüger ist noch nicht ganz zufrieden.
Ja.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht bereit sind,
vor der eigenen Haustür zu kehren. Ansonsten bitte ich,
das Problem im von mir ansonsten sehr geschätzten
Bundesland Bayern zu erläutern. Schönen Dank.
({0})
Das war nun keine Frage mehr.
Ich habe Ihrer Bemerkung keine Frage entnommen.
Ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, und zwar
auch, weil wir die Debatte über die Kommunalfinanzen
nicht auf die Frage verkürzen dürfen, an welcher Stelle
wir die Gewerbesteuer reformieren. Der Einbruch der
Kommunalfinanzen hat eine wesentlich größere Dimension; hier geht es um mehr. Die Ursachen dafür liegen
bei den Ausgaben und den Aufgaben.
Herr Kollege Götz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Pronold?
Ich würde gerne den Gedanken, den ich angesprochen
habe, fortsetzen.
Deshalb brauchen wir darüber hinaus eine Begrenzung der Aufgaben- und der Ausgabenpolitik. Es muss
Schluss sein mit dem ständigen Verschiebebahnhof, bei
dem bundespolitische Aufgaben auf kommunale Haushalte verschoben werden. Diese Aufgaben können die
Gemeinden, Städte und Kreise nicht mehr finanzieren.
({0})
Deshalb fordern wir eine konsequente Anwendung des
Konnexitätsprinzips bei der Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen, damit endlich wieder der
Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt.
Wir wollen auch eine zügige, umfassende Reform der
Kommunalfinanzen - wie sie von Ihnen seit fünf Jahren
immer wieder angekündigt wird -, und zwar nicht verkürzt auf die Frage der Gewerbesteuer. Eine solche Reform muss die Städte und Gemeinden in die Lage versetzen, über eigene Steuern zu verfügen, die ihnen stabile
und verlässliche Einnahmen garantieren.
Langer Rede kurzer Sinn:
({1})
Wir wollen endlich Taten sehen, nicht irgendwelche Ankündigungen. Durch Ihre zögerliche Politik verhindern
Sie seit vielen Jahren dringend notwendige kommunale
Investitionen. Die lokale Bauwirtschaft bricht weg vielleicht haben Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen. Ein traditionsreiches Unternehmen nach dem anderen macht still und leise Pleite. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu; Sie brauchen sich nur Ihre eigenen
Statistiken anzuschauen. Auch wenn nicht, wie bei Holzmann, der Bundeskanzler kommt, so hat das Ganze, was
sich hier wie in vielen anderen Politikfeldern vollzieht,
nur einen Namen: Er heißt Gerhard Schröder.
({2})
Wir wollen zügige, vernünftige Lösungen. Wir wollen
Lösungen, die nicht noch mehr Unternehmen in den
Ruin treiben.
({3})
Deshalb ist die von Ihnen angekündigte Substanzbesteuerung von Unternehmen, die rote Zahlen schreiben, der
falsche Weg. Sie vernichten damit Arbeitsplätze in
Deutschland. Das kann nicht im kommunalen Interesse
sein.
({4})
Wir wollen, dass schnell gehandelt wird, und zwar so,
dass die Kommunen dies nicht erst im Jahre 2006 oder
noch später spüren, sondern so, dass sie dies bereits 2003
oder 2004 in ihren Kassen merken, damit sie endlich
wieder im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ihre
Aufgaben wahrnehmen können.
Deshalb bitte ich Sie, auch im Namen vieler Kommunalpolitiker, die heute zuhören: Herr Finanzminister,
stimmen Sie unserer Initiative zu und nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage sofort zurück! Das ist
Geld, das der Bund den Kommunen weggenommen hat.
Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, es ihnen zu
belassen. Das hilft schnell und wäre ein positives Signal
für Ihren guten Willen. Es reicht nicht, Frau Kollegin
Andreae, hier am Rednerpult zu verkünden, dass Sie eigentlich für die Rückführung der Gewerbesteuerumlage
sind, wenn Sie gleichzeitig den Antrag „Eckpunkte für
eine umfassende Gemeindefinanzreform“ unterschreiben, in dem unser Vorschlag abgelehnt wird. Was gilt
jetzt: Entweder das eine oder das andere?
({5})
Um es ganz konkret zu sagen: Unsere Vorschläge,
schnell zu helfen, sind kein Ersatz für die dringend notwendige Reform, sondern sie gehen ihr voraus und dienen einer schnellen Entlastung der Kommunen.
Lebenswerte Städte und Gemeinden sind ein guter Garant für eine positive Entwicklung. Diese brauchen wir in
unserem Land dringend. Wenn Sie den Kommunen wirklich helfen wollen, bitte ich Sie: Helfen Sie jetzt - nicht
für uns, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort Bundesminister Hans Eichel.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nur einen einzigen Satz zur Antwort: Wer in
16 Jahren systematisch die Gewerbesteuer ausgehöhlt
hat,
({0})
statt jemals das Thema Kommunalfinanzen auf die Tagesordnung zu setzen, der kann nicht kritisieren, dass
wir erst die Unternehmensteuerreform und dann die Gemeindefinanzreform durchführen. Wenn wir die Reihenfolge anders herum gewählt hätten, hätten wir die Unternehmensteuerreform noch gar nicht.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michelbach?
Wenn es sein muss, bitte.
Herr Bundesfinanzminister, ich bin Ihnen dankbar,
dass Sie diese Frage zulassen. Was halten Sie denn von
der Forderung des bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Maget,
({0})
der die ungerechtfertigte Bereicherung des Bundes zulasten der Kommunen durch die Gewerbesteuerumlageerhöhung anprangert und den bayerischen Kommunen
wörtlich schreibt:
Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes 2000, die hälftig
jeweils Bund und Ländern zugute kommt, muss zurückgenommen werden.
Er geht dann noch darauf ein, dass es im Bund dafür leider keine Mehrheit gibt.
Herr Bundesminister, ist Herr Maget damit nicht ein
klarer Zeuge dafür, dass Sie endlich unserem Antrag folgen sollten, die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurückzunehmen? Auch aus den Reihen Ihrer eigenen Partei wird das klar gefordert. Dazu steht Ihre Aussage hier
in einem klaren Widerspruch.
({1})
Ich werde dieses Thema nachher im Zusammenhang
ausführlich behandeln, Herr Kollege Michelbach, und
dann bekommen Sie auch meine Antwort.
({0})
- Von mir aus auch das, kein Problem. Aber in Bayern
ist ja zurzeit Wahlkampf und es wird beispielsweise von
Ihrem Ministerpräsidenten für nach der Landtagswahl
allen alles versprochen. Ich erreiche nicht einmal, dass
im Finanzplanungsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt
wird, die sich mit den Ausgabenproblemen der Länder
und Kommunen im Zusammenhang mit Bundesgesetzen
beschäftigen soll, weil in Bayern Landtagswahlen sind
und sich keiner traut, das jetzt zu machen; erst nach der
Wahl können sachliche Gespräche beginnen. Das ist die
Lage, mit der wir es in Bayern zu tun haben, meine Damen und Herren.
({1})
- Ich komme darauf zurück. Es ging jetzt darum, was
Sie in Bayern machen.
Nun sage ich Ihnen kurz und klar etwas zu der Kommission. 16 Jahre haben Sie nichts gemacht und die
Gewerbesteuer ausgehöhlt. Es waren stabilisierende
Elemente im Gesetz zur Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform enthalten. Das hat nicht ausgereicht;
das ist wohl wahr. Das, was der Kollege Ude sagt, ist die
Konsequenz Ihrer Gesetzgebung. In der Tat kann das
nicht hingenommen werden. Herr Senator Peiner aus
Hamburg hat sehr nachdrücklich auf die Gewerbesteuerzahlungen der großen, international tätigen Unternehmen an ihren Standorten in Deutschland hingewiesen. Es
ist richtig: Das muss geändert werden.
({2})
Darüber besteht auch Einvernehmen.
Ich will hier keine streitige Debatte führen; denn eines ist ganz entscheidend: Wir hatten eine Kommission,
deren Auftrag, bevor wir den Kabinettsbeschluss gefasst
haben, mit allen Beteiligten - mit den Bundesländern,
den Wirtschaftsverbänden, den kommunalen Spitzenverbänden - einvernehmlich behandelt worden ist. Es hat
ein bisschen gedauert, bis wir alles unter einem Hut hatten und den Einsetzungsbeschluss fassen konnten, aber
es war alles einvernehmlich.
Auch die Kommissionsarbeit ist vollkommen einvernehmlich erfolgt, auch was die Überprüfung der Modelle
betraf.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Götz?
Nein, nach der Erfahrung mit Herrn Michelbach mache ich das nicht.
({0})
Ich werde jetzt von der Arbeit der Kommission berichten. Es dürfte für Sie hochinteressant und spannend sein
({1})
- auch für die Zwischenrufer, Herr Michelbach -, wie
sich die verschiedenen Länder, auch die B-Länder, in
dieser Kommission eingelassen haben.
({2})
Vielleicht können wir doch gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Sie müssten nur berücksichtigen, was Ihre
Landesregierungen und Ihre Kommunalpolitiker in diesem Zusammenhang tun.
Ich will nun zur Arbeit der Kommission differenziert
vortragen und auf Unterschiede eingehen. Die gemeinsame Grundlage, der Beschluss des Kabinetts, war - das
sage ich ausdrücklich - vorher mit allen abgestimmt.
Alle arbeiteten völlig einvernehmlich und ohne Streit zusammen. Wir liegen genau im Zeitplan, der übrigens außerordentlich ehrgeizig ist. Auch das haben Sie anders
darzustellen versucht. Was wir nicht geschafft haben
- das will ich Ihnen ebenfalls sagen -, ist, in allen Punkten einen breiten Konsens zu finden. Das ist wahr.
Ich möchte nun zum Ergebnis der Arbeit der Kommission kommen, das ich gestern völlig einvernehmlich
zusammengestellt habe, und es differenziert darstellen.
Die Kommission hat eine hervorragende Grundlage für
die nun zu leistende Arbeit im Gesetzgebungsverfahren
geschaffen. Wir haben eine gemeinsame Position mit allen Verbänden und allen Vertretern gefunden, mit einer
Ausnahme: Sachsen war anderer Meinung.
Auf dieser Basis soll zum 1. Januar 2004 das Gesetz
über die grundlegende Reform der Gemeindefinanzen
im Bundesgesetzblatt stehen. Darin waren sich alle einig. Deshalb erwarte ich, dass wir das im Bundesrat und
im Bundestag - das geht nur, wenn beide Organe zustimmen - gemeinsam schaffen.
Ich will darauf hinweisen, dass es verfassungsrechtlich so ist, dass die Länder die Kommunen vertreten und
dass die Kommunalhaushalte verfassungsrechtlich Bestandteil der Länderhaushalte sind.
({3})
Es gibt eine besondere Verantwortung der Länder für die
Kommunen, was sich bei ihrem Abstimmungsverhalten
im Bundesrat übrigens widerspiegeln müsste. Da wir das
einvernehmlich entschieden haben, gehe ich davon aus,
dass wir das auch so machen.
({4})
Ziel ist die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation. In Bezug auf die Einnahmeseite soll es als
Grundlage einer kommunalen Wirtschaftssteuer eine
modernisierte Gewerbesteuer geben. Hierin bestand
Einvernehmen zwischen allen Landesvertretern, den
kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesregierung. Einvernehmen bestand nicht mit den Wirtschaftsverbänden, wobei durchaus zu erkennen war, dass es bei
der Stärke der Ablehnung der Gewerbesteuer durchaus
Differenzierungen gibt. Der Grad der Ablehnung durch
den BDI war nicht bei den anderen Wirtschaftsverbänden anzutreffen.
Ich bin übrigens froh, dass am Schluss alle erklärt haben, auch BDI-Präsident Rogowski, dass sie sich beim
Gesetzgebungsverfahren kooperativ einbringen werden.
Denn es macht keinen Sinn, dann, wenn alle Vertreter
der Kommunen und der Länder das Modell von BDI
und VCI strikt ablehnen, zu sagen: Weil wir uns nicht
durchgesetzt haben, gehen wir nach Karlsruhe. Ich hoffe,
das wird nicht passieren. Ich begrüße ausdrücklich, dass
BDI-Präsident Rogowski erklärt hat, am Gesetzgebungsverfahren kooperativ mitzuarbeiten.
In diesem Zusammenhang ist zu würdigen, dass geklärt wurde, wie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage aussehen soll. Darüber will ich im Einzelnen
nichts sagen, weil wir verabredet haben - es gibt auch in
der Bundesregierung noch Diskussionen darüber; das ist
ja auch in Ordnung -, dass wir mit allen Betroffenen
sehr sorgfältig im Gesetzgebungsverfahren verhandeln
wollen. Denn die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation - das haben wir alle gewollt - ist nicht einfach auszutarieren. Ziel muss sein, dass die prozyklische
Investitionspolitik der Gemeinden aufhört.
({5})
Diese ist schlecht für uns alle. Das ist kein Vorwurf an
die Gemeinden, sondern ein Vorwurf, der unserem System und der ständigen Aushöhlung der Gewerbesteuer
gilt. In diesem Zusammenhang muss man sich die Frage
stellen, wie sich das auf der einen Seite auf kleine und
mittlere Betriebe auswirken wird und wie wir es auf der
anderen Seite schaffen, dass die großen, international tätigen Unternehmen Gewerbesteuer zahlen. In diesem
Punkt hat Christian Ude vollkommen Recht; darüber
muss man gar nicht streiten. Also werden wir das bereits
bei der Aufstellung sehr sorgfältig prüfen. Das erwarte
ich selbstverständlich auch von Ihnen, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt.
Die Zusammenführung der Zuständigkeit für die Arbeitslosenhilfeempfänger und die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger bei der Bundesanstalt für Arbeit und damit deren Überführung in die finanzielle Verantwortung
des Bundes ist, mit Ausnahme des Deutschen Landkreistages einvernehmlich beschlossen worden. Alle anderen
waren dafür.
Es gibt auch eine gemeinsame Position hinsichtlich
der Entlastungswirkungen für die kommunale Ebene;
dieses Thema war übrigens im Rahmen des Auftrages
ursprünglich nicht vorgesehen. Es stand ja im Auftrag
des Kabinetts, dass es keine Belastungsverschiebungen
zwischen den Ebenen geben dürfe. Seinerzeit hatten die
kommunalen Spitzenverbände - ich muss das einmal
zum Schmunzeln sagen - den dringenden Wunsch geäußert, das in den Entwurf hineinzuschreiben, weil sie den
Verdacht hatten, der Bund wolle die Arbeitslosenhilfeempfänger ihrer Zahlungspflicht unterstellen. Da haben
sie gesagt: Das darf nicht passieren, wenn es dafür keinen Ausgleich gibt. - Das ist in Ordnung. Ich sage aber
ganz leise: In demselben Augenblick, in dem klar war,
dass der Zug anders herum fährt, haben sich viele an
diese Forderung, die wir auf Wunsch der kommunalen
Spitzenverbände in den Beschluss des Kabinetts hineingeschrieben haben, nicht mehr so gern erinnert.
Ich sage ausdrücklich: Unsere Bereitschaft - so weit
das geht; ich komme gleich auf diese Bemerkung
zurück -, an dieser Stelle zu helfen, besteht. Deswegen
haben wir - mit unserer Stimme - einvernehmlich festgestellt, dass Entlastungswirkungen für die kommunale
Ebene im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu klären sind. Warum soll das im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geschehen? Weil es zwei Dinge betrifft:
Man muss klären, was auf der Einnahmeseite passiert,
zum Beispiel mit der Gewerbesteuerumlage. Sie ist seinerzeit mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände beschlossen worden - das muss sich jeder noch
einmal klar machen -, weil deutlich war, dass die Kommunen in etwa, sogar unterdurchschnittlich, an den
durch die Steuerreform verursachten Ausfällen beteiligt
werden sollten. Das war der Punkt. An dem Argument
hat sich auch nichts geändert, nur dass die Finanznot der
Kommunen in der Zwischenzeit genauso groß geworden
ist wie unsere.
Ich will bei der Gelegenheit sagen: Wir werden zusätzlich zu den Wirkungen einer modernisierten Gewerbesteuer, auch die Wirkungen auf der Einkommensteuerseite zu beachten haben. Das wird man im Einzelnen in
diesem Herbst betrachten müssen. Hier ist ausdrücklich
von Entlastungswirkungen die Rede.
Es war die Meinung einer Mehrheit von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, kommunalen Spitzenverbänden und einem Teil der Ländervertreter, dass es
außerdem ein Sofortprogramm geben solle. Das würde
ich in keinem Moment bestreiten. Wir wollen aber in
diesem Herbst sehen, was auf dem Tisch liegt und welche Wirkungen sich bereits in 2004 entfalten. Das wird
man dann sehen. Dann können Sie wieder Anträge einbringen.
Aber ich sage ausdrücklich: Die Finanzprobleme
der Kommunen sind nicht durchgreifend - das ist übrigens auch nicht unsere Aufgabe - unter Rückgriff auf
den Bundeshaushalt zu lösen; das ist eine Aufgabe der
Länder. Sie sind demzufolge nur in einem Konsolidierungskonzept durchgreifend zu lösen, das sowohl die
Länder und die Kommunen als auch den Bund in eine
andere finanzielle Situation bringt. Dabei sind Betrachtungen der Ausgabenseite genauso anzustellen wie die
der Einnahmeseite.
({6})
Dabei haben alle eine große Verantwortung.
Herr Minister, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Danke, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig.
({0})
Bayern hätte das schon machen können; es wurde
übrigens im Bayerischen Landtag abgelehnt. Die Bayerische Staatsregierung hätte doch schon längst ihren Anteil an der Umsatzsteuer abtreten können. Das wäre in
Ordnung gewesen.
({1})
Ich sage Ihnen: Es gibt auch bei uns da und dort unterschiedliche Auffassungen. Es ist aber erstaunlich, dass
wir bei dem, was ich eben dargestellt habe, eine gemeinsame Position aller dort anwesenden B-Länder-Vertreter
und
({2})
aller kommunalen Spitzenverbände - und zwar, wie Sie
wissen, einschließlich derer, die Ihrer Partei angehören haben.
Letzter Punkt. Wir haben verabredet, den Themenkatalog dessen, was weiterbehandelt werden soll, in einer
gemeinsamen Besprechung zwischen kommunalen Spitzenverbänden, dem Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung festzulegen. Denn dass
wir nur die beiden Themen Gewerbesteuer und Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in das
Zentrum gestellt haben, war ausdrücklich auch der
Wunsch der kommunalen Spitzenverbände. Ich halte das
für richtig, weil eine breitere Themenpalette nie dazu geführt hätte, dass wir in einem Jahr zu einem Ergebnis der
Kommissionsarbeit gekommen wären. Angesichts des
Ziels 1. Januar 2004 war die Begrenzung auf diese beiden großen Themen die richtige Antwort.
({3})
Die Bundesregierung wird im August im Kabinett
über den Entwurf entscheiden. Er wird Ihnen zugeleitet.
Wir haben einen straffen Zeitplan; wir alle haben dafür
eine Verantwortung. Wir müssen in diesem Herbst neben
vielen anderen Dingen für eine durchgreifende Konsolidierung der Kommunalhaushalte sorgen. Durch diesen
Gesetzentwurf werden wir einen wesentlichen Beitrag
dazu leisten.
({4})
Ich erteile der Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Arme Kommunen - das ist der einzige Gedanke, der mir
gleich in mehrfacher Hinsicht kommt, wenn ich das
sehe, was Rot-Grün hier heute vorgeschlagen hat.
({0})
Bei Umsetzung der Pläne von Rot-Grün bleiben die
Kommunen arm. Eine umfassende finanzielle Absicherung ist nicht zu erwarten. Ich darf mir aus aktuellem
Anlass folgende Bemerkung gestatten: Das, was das Kabinett open air in Neuhardenberg besprochen hat, geht
mit ungefähr 4,5 Milliarden Euro zulasten der Kommunen. Die Entlastungen, die Sie vorschlagen, würden weniger bringen. Ich frage mich, wie Sie angesichts dieser
Tatsache heute eigentlich noch in Ihre Gemeinden nach
Hause gehen und erklären können, warum Sie sie so, wie
Sie es heute hier tun, im Regen stehen lassen.
({1})
Arme Kommunen aber auch, weil die rot-grüne Bundesregierung hier und heute zum wiederholten Mal gezeigt hat, dass ihr das Schicksal der Kommunen eigentlich ziemlich egal ist.
({2})
Erinnern Sie sich noch an den Anfang des Jahres und
an das Thema Grundsicherung? Das war wieder einmal
ein dunkles Kapitel für die Kommunen. Sie haben sich
der „angenehmen“ Auftragsverteilung zulasten der
Kommunen bedient.
({3})
Sie haben zwar eine Kostenerstattung in Höhe von
409 Millionen Euro bereitgestellt, überwiesen wurde sie
aber an die Länder und nicht an die Kommunen. Das bezeichnen Sie auch noch als Umsetzung des Konnexitätsprinzips.
Meine Damen und Herren, wir legen heute als erste
und bisher einzige Fraktion einen Gesetzentwurf mit einem konkreten Vorschlag zur Umsetzung des Konnexitätsprinzips vor. Wir sind so konsequent, dass wir sagen:
Es kann nicht länger angehen, dass derjenige, der bestellt, nicht bezahlt und dass immer alles zulasten der
Kommunen geht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem Gesetzentwurf.
({4})
Auf unsere Anfrage hin erklärte die Bundesregierung
zur Grundsicherung damals lapidar: Über die Kosten
kann die Bundesregierung im Moment noch keine Aussage treffen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das macht ja wohl deutlich, dass Sie gar nicht
wissen, welche Kosten bei den Kommunen anfallen, und
dass es Ihnen eigentlich auch egal ist.
({5})
Ohne leistungsfähige Kommunen wird in den Städten
weniger gebaut, fallen Arbeitsplätze weg und wird das
Wirtschaftswachstum noch weiter geschwächt. Nur
durch unseren Gesetzentwurf, eine konkrete Gemeindefinanzreform und die Beachtung des Konnexitätsprinzips wird sich das ändern.
({6})
Ich komme zum Schluss. Lassen Sie es nicht zum
Scheitern einer umfassenden und soliden Finanzreform
kommen! Helfen Sie den Kommunen hier und sofort!
Wenden Sie sich von einer unsoliden und unsicheren
Einnahmequelle der Kommunen ab! Kommen Sie weg
von der Gewerbesteuer und hin zu einem soliden Finanzkonzept, wie wir es Ihnen heute vorschlagen!
Die Kommission ist gescheitert, wir sind es nicht. Wir
haben nicht 13 Monate umsonst getagt; wir haben Ihnen
einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie können mit Ihrer Zustimmung einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der
Kommunen leisten. Wir würden uns freuen, wenn Sie
unserem Antrag zustimmen würden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Eichel, der Bürgermeister von
Neuhardenberg, Herr Michael Kernchen, parteilos, hätte
sich sicher gefreut, wenn Sie - Herr Eichel, ich spreche
gerade direkt zu Ihnen; es wäre nett, wenn Sie diese eine
Minute zuhören würden - das Schloss am letzten Wochenende für eine Stunde verlassen hätten, um bei ihm
auf ein Bier vorbeizuschauen.
Dieser kleine Ort Neuhardenberg hat zwar ein schönes Schloss, aber auch 1 Million Euro Schulden. Bei allen Inszenierungen, die in unserer Mediengesellschaft
offenbar unvermeidbar sind, sollte auch ein Finanzminister einmal hinter die Kulissen schauen.
({0})
Die schwerste Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik trifft die allermeisten der etwa 14 000 Rathäuser und 323 Landratsämter. Den Kommunen werden
in diesem Jahr rund 10 Milliarden Euro fehlen. Das sind
noch 3 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Die Gewerbesteuer als wichtigste Steuereinnahme der Städte
und Gemeinden ist seit 2001 in einem bislang unbekannten Umfang eingebrochen.
({1})
Von diesen rückläufigen Einnahmen müssen die Kommunen zusätzlich einen zunehmenden Anteil als Gewerbesteuerumlage an Bund und Land abführen.
Besonders angespannt ist die finanzielle Situation von
Kommunen in Ostdeutschland. Deren Pro-Kopf-Steuereinnahmen betragen lediglich ein Drittel dessen, was
die Kommunen im Westen einnehmen. Damit hängen
die meisten ostdeutschen Kommunen am Tropf ihrer
Länder.
Bundesweit gehen die kommunalen Investitionen
spürbar zurück. Im Jahre 2002 lagen diese Investitionen
30 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das heißt, viele
Kommunen können nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Der Bund muss unserer Meinung nach den
Kommunen die finanziellen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit - das sind jährlich rund 5 Milliarden Euro - im
Rahmen der kommunalen Sozialhilfe erstatten.
Welche Vorschläge aber liegen auf dem Tisch? Ich
will die Vorschläge der Unternehmerverbände herausgreifen. Diese wollen die Gewerbesteuer abschaffen und
durch ein so genanntes kommunales Zuschlagsrecht auf
die Lohn- und Körperschaftsteuer ersetzen. Das würde
bedeuten: Vor allem große Unternehmen würden aus ihrer Verantwortung für die Kommunalfinanzierung entlassen. Im Gegenzug würden den Arbeitnehmern noch
größere Lasten aufgebürdet. Nach dem Willen der Unternehmer würde der Anteil der Arbeitnehmer am kommunalen Steueraufkommen von derzeit ungefähr 48 Prozent auf voraussichtlich 64 Prozent gravierend ansteigen
und dementsprechend der Anteil der Unternehmen spürbar sinken.
Wir als PDS haben ganz andere Vorschläge:
Erstens. Erhalt und Modernisierung der Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogene Steuer.
Zweitens. Der Kreis der Steuerpflichtigen muss spürbar erweitert werden. Alle ortsansässigen Wirtschaftseinheiten - von den global wirtschaftenden Konzerngesellschaften bis hin zu den freien Berufen - sollten ab
dem Jahr 2004 entsprechend ihrer Leistungskraft ihren
Beitrag für die Finanzierung ihrer Standortgemeinde
leisten.
({2})
- Ich bin nicht dafür da, Sie in jeder Sitzung zu überraschen, sehr geehrter Herr Kollege.
({3})
Drittens. Erweiterung der Bemessungsbasis für die
Gewerbesteuer. Daher sollten ab dem Jahr 2004 sämtliche Zinsen und Zinsanteile von Mieten, Pachten und
Leasingraten einbezogen werden.
Viertens. Um den Kommunen sofort, das heißt, noch
im laufenden Haushaltsjahr 2003, mehr finanziellen
Spielraum einzuräumen, sollte die mit der Steuerreform
von 2000 beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zugunsten von Bund und Länder von jetzt 26 Prozent wieder auf 20 Prozent reduziert werden. Auch die
Grünen sind schon darauf eingegangen. Damit hätten
Städte und Gemeinden noch in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr an Gewerbesteuer zur Verfügung.
Fünftens. Für den Nachtragshaushalt dieses Jahres
fordern wir eine kommunale Investitionspauschale des
Bundes, und zwar nicht nur an ostdeutsche Städte und
Gemeinden, sondern auch für Kommunen in strukturschwachen Regionen im Westen.
({4})
Zur Finanzierung könnte zum Beispiel der Verkauf eines
geringen Teils der immer noch immensen Goldreserven
der Bundesbank mobilisiert werden.
Ich erwarte nicht, dass Sie gleich alle Vorschläge der
PDS aufnehmen. Aber Sie sollten sich neuen Ideen öffnen. Das würde uns allen helfen.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile das Wort Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit unseren Vorschlägen zur Gemeindefinanzreform, auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite, wollen wir den finanziellen Spielraum der
Kommunen erweitern. Wir sehen alle gemeinsam - darüber gibt es keinen Dissens -, dass es notwendig ist,
den Kommunen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie Investitionen vor Ort tätigen können. Das ist unser Beitrag zur Wachstums- und Beschäftigungspolitik.
Diese Reform wollen wir voranbringen und am
1. Januar 2004 in Kraft setzen. Das ist die Perspektive.
({0})
Die Gemeindefinanzreform ist auch die Voraussetzung dafür, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzuführen, Herr Kauder. Das ist etwas, was offensichtlich
auch die CDU/CSU will.
({1})
- Das ist nicht richtig. Wir haben das schon sehr viel länger geplant, Herr Schauerte. Entscheidend ist, dass es
auch gemacht wird.
({2})
Wir haben mit den ersten Seiten Gesetzen zur HartzReform schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben
wichtige Weichen gestellt. Denken Sie daran, dass wir
die Vermittlung in Arbeit verbessert und vor allen Dingen die Existenzgründungen vorangebracht haben. Die
Zahl der Existenzgründungen ist in der ersten Hälfte dieses Jahres um 33 000 gestiegen. Das ist ein großer Erfolg
unserer Hartz-Gesetze I und II. Die „Berliner Zeitung“
schreibt darüber: „Das ist der Boom des Jahres“. Das ist
ein gutes Zeichen, um auch die Hartz-Gesetze III und IV,
die unter anderem die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe betreffen, auf den Weg zu
bringen.
({3})
Es ist überhaupt keine Frage: Wir müssen weg von der
Finanzierung der Arbeitslosigkeit und hin zur Vermittlung in Arbeit und zur Integration in Beschäftigung. Das
tun wir vor allen Dingen mit der Zusammenführung der
Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe.
({4})
Wir brauchen klare Zuständigkeiten und vor allen Dingen klare Verantwortlichkeiten. Der Verschiebebahnhof,
den es - das ist unstrittig - in diesem Bereich gibt, zwischen den Kommunalfinanzen auf der einen Seite und
den Bundesfinanzen auf der anderen Seite, soll der Vergangenheit angehören.
Wir wollen mit der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe einen Wechsel einleiten.
Das betrifft sehr viele Menschen in unserem Land, nach
den heutigen Schätzungen 900 000 Sozialhilfeempfänger und 1,3 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger, zusammen genommen also 2,2 Millionen Menschen in unserem Land.
Weil eine solch große Gruppe von Menschen von dieser Reform betroffen sind, brauchen wir dazu - das sage
ich an die Adresse der CDU/CSU - einen Kompromiss
und die Fähigkeit zum Konsens. Das kann man nicht im
Dissens organisieren. Ich bin ganz überrascht, dass es in
diesem Zusammenhang - wenn man den Antrag der
CDU/CSU liest - sehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Das
ist aus meiner Sicht ein Signal dafür, dass wir vielleicht
mit der CDU/CSU einen Kompromiss erreichen. Dies
wäre zum Wohle der Menschen; denn sie warten auf dieses Signal.
({5})
Wir wollen mit der Reform zum einen zwei nebeneinander vorhandene, getrennte steuerfinanzierte Systeme
zusammenfassen. Zum anderen wollen wir vor allen
Dingen die Integration von Langzeitarbeitslosen in
Arbeit und Beschäftigung verbessern. Ich weiß, dass das
ehrgeizige Ziele sind. Aber wenn die aktivierenden Leistungen unabhängig vom Status des Langzeitarbeitslosen
zusammengefasst werden, kann dies - davon bin ich
überzeugt - nicht nur zu mehr Beschäftigung führen,
sondern auch dazu beitragen, dass die Menschen mehr
Selbstbewusstsein und eine Perspektive erhalten. In diesem Zusammenhang ist „fördern und fordern“ keine
Leerformel, sondern sogar existenziell.
Wir müssen positive Signale setzen, die zeigen, dass
Wiedereingliederung für viele machbar ist und Eigeninitiative und Eigenverantwortung belohnt werden.
Deshalb sind wir jetzt schon - im Vorgriff auf diese Reform - bereit gewesen, zwei große Sonderprogramme
zu finanzieren. Zum Ersten gibt es JUMP plus, wodurch
100 000 junge Menschen den Einstieg in den Beruf erhalten sollen. Das finanziert die Bundesregierung mit
310 Millionen Euro.
({6})
Karin Roth ({7})
Zum anderen wurde in den letzten Tagen zusätzlich das
Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose in Höhe von
860 Millionen Euro beschlossen. Mit diesen beiden Programmen schließt die Bundesregierung die finanzielle
Lücke in diesem Jahr, die entstanden ist, weil sich Kommunen und Länder zum Teil aus den Arbeitsmarktprojekten zurückgezogen haben. Wir setzen also schon in
diesem Jahr ein positives Signal in Richtung der Kommunen. Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigungsträger in den Regionen und eine noch bessere
Nachricht für die Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind.
({8})
Wir wollen eine neue staatliche Fürsorgeleistung einführen. Wir wollen, dass Erwerbsfähige im Alter von 15 bis
65 Jahren anspruchsberechtigt sind, und wir wollen vor
allen Dingen, dass die Leistung existenzsichernd und armutsfest ist.
Aus dem Antrag der CDU/CSU ergeben sich Möglichkeiten zu einem gemeinsamen Kompromiss in der
Frage der Sanktionen und der Anrechnung von Vermögen. Ich wünschte mir, dass insbesondere auch hinsichtlich der Gestaltung auf kommunaler Ebene eine gemeinsame Position gefunden wird. Es geht nicht an, weiterhin
auf Dezentralisierung zu setzen, wie es der Landkreistag
fordert, und die Zuständigkeit für die neuen Leistungen
den Kommunen zu übertragen. Ich halte es vielmehr für
richtig, die Zuständigkeit für diese Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu übertragen.
({9})
Alle Leistungen aus einer Hand - das ist die richtige
Position!
Die kommunalen Haushalte erfahren durch diese
neue Maßnahmen Entlastungen in Milliardenhöhe. Ich
denke, diese Möglichkeit muss genutzt werden, zum
Beispiel um die Kinderbetreuung auszubauen. Deshalb
sollen 1,5 Milliarden Euro aus der Einsparsumme an die
Kommunen zurücküberwiesen werden. Das ist eine
wichtige Botschaft für die allein erziehenden Mütter und
Väter; denn damit wird die Voraussetzung für ihre Erwerbsfähigkeit geschaffen.
({10})
Kollegin Roth, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.
Mit der Gemeindefinanzreform wollen wir die Kommunen, vor allem in den strukturell benachteiligten Regionen, unterstützen. Auch mit der Zusammenlegung der
Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe sollen die Kommunen entlastet werden. Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns
auf diesen Weg einigen, auch und vor allem im Interesse
der Menschen in unserem Lande.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundesminister musste leider weg, um einen wichtigen
Termin wahrzunehmen. Das müssen wir verstehen. Er
hat uns seine Probleme vorgetragen und über die Prüfungen informiert, die er vornehmen will. Als er nicht mehr
weiterwusste, erzählte er von den 16 Jahren, in denen die
Union dieses Land geführt hat. Als langjähriger Kommunalpolitiker versichere ich Ihnen: Jedes dieser
16 Jahre war für die Kommunalpolitik und für die Bürger in unserem Lande besser als die letzten fünf Jahre
unter dieser Bundesregierung.
({0})
Der Kollege Götz hatte Recht: Der Einfluss von Minister Eichel auf den Bundeskanzler ist offensichtlich so
gering, dass der Bundeskanzler gestern nicht mit einem
einzigen Wort die katastrophale Finanzlage der Kommunen in diesem Land erwähnt hat. Die Kommunen haben finanziell bewegte Jahre hinter sich; der Druck auf
die Ausgabeseite ist gerade von Ihrer Bundesregierung
immer weiter erhöht worden. Die Erosion der kommunalen Finanzen hat unter dieser Regierung eine Größenordnung erreicht, die nur mit dem krassen Versagen der
Bundesregierung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik
zu begründen ist. Das wird derzeit allen Bürgern klar.
({1})
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das
Ihnen recht nahe steht, prognostiziert ein Wachstum von
0,1 Prozent. Die Bundesregierung hingegen kalkuliert
immer noch mit einem Wachstum von 2 Prozent.
({2})
Das muss man sich einmal vorstellen! Die Zahl der Insolvenzen steigt ständig an. Unsere Kommunen weisen
ein laufendes Defizit in Höhe von mindestens
10 Milliarden Euro auf. Denken Sie in diesem Zusammenhang an die 80er- und 90er-Jahre zurück, als die
Haushalte noch ausgeglichen waren!
Durch das Vorziehen der Steuerreform wird für die
Kommunen ein weiteres Loch von 2 Milliarden Euro
entstehen. Sie können ihre Bilanzen nur noch durch
Schönrechnen gestalten. Die Nachricht über ein weiteres
Loch in Höhe von 2 Milliarden Euro hat, so schreibt die
„Süddeutsche Zeitung“ in ihrer gestrigen Ausgabe, bei
den Kommunen wie eine Bombe eingeschlagen. Denn
die Betroffenen wissen, dass ihnen eine Gegenfinanzierung nicht möglich ist.
Herr Eichel hat wieder eine Arbeitsgruppe eingesetzt,
die die Kosten für die Kommunen errechnen soll. Das ist
natürlich eine tolle Leistung. Sie wissen doch, dass die
Kommunen keine Möglichkeit haben, weitere Kürzungen auf der Ausgabenseite vorzunehmen. Gerade deshalb ist es erstaunlich, was die Kommunen in den letzten
Jahren geleistet haben. Sie müssen immer bedenken,
dass jede Kürzung im kommunalen Bereich für die Bürger unmittelbar spürbar ist. Ich appelliere deshalb an Sie
in den Regierungsfraktionen: Vergessen Sie nicht, dass
die Eingliederungshilfe für die Kommunen ein wichtiges Thema ist. Die hier vorhandenen Probleme können
die Kommunen nicht alleine bewältigen. Wir wissen,
dass sich die Erfordernisse der Eingliederungshilfe, deren Mittel den Behinderten zugute kommen, in den
nächsten Jahren verdoppeln werden. Wir müssen deshalb hier ein eigenes Leistungsgesetz schaffen. Dafür
brauchen wir Ihre Unterstützung.
Den Kommunen geht es schlecht und Ihnen fällt
nichts anderes ein, als die Gewerbesteuer zu reanimieren. Diese Steuer hat bewiesen, dass sie wegen der Unstetigkeit und der Konjunkturanfälligkeit der aus ihr resultierenden Einnahmen jegliche kommunale Planung
über den Haufen werfen kann. Sie ist des Weiteren sehr
bürokratisch, weil sie aufwendig berechnet werden
muss: Zuerst müssen der Gewinn und der Gewerbeertrag
ermittelt werden. Dann muss eine Gewerbesteuererklärung abgegeben werden. Danach erfolgt die Prüfung des
Gewerbesteuerbescheids. Dann geht es von den Finanzämtern zu den Steuerämtern der Städte. Die Gemeinden
ziehen schließlich die entsprechenden Beträge ein - und
dann wird die Zahlung wieder auf die Einkommensteuer
angerechnet.
Der Kanzler hat gestern von Bürokratieabbau gesprochen. Nichtsdestotrotz machen Sie heute den Vorschlag,
750 000 bzw. 800 000 Freiberufler in die Gewerbesteuer
einzubeziehen. Wir werden ja sehen, was passieren wird,
wenn die ersten Einsprüche kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Einbeziehung der freien Berufe in
diese Steuer verfassungsgemäß ist oder nicht. Derzeit
müssen 750 000 selbstständige Freiberufler eine teure
und aufwendige Berechnung ihrer beruflichen Einkünfte
vornehmen. Anschließend erfolgt die Anrechnung der
Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer, allerdings nur
bis zu einem Hebesatz von 350 Prozent.
({3})
Aus Sicht der Bürger haben wir es mit einer doppelten
Belastung zu tun; denn der Hebesatz endet ja nicht unbedingt bei 350 Prozent. In Frankfurt beispielsweise liegt
der Hebesatz bei 490 Prozent. Hier wird der einzelne
Freiberufler deutlich mehr Steuern zahlen als bisher. So
kommt ja - der Deutsche Städtetag hat es heute bekannt
gegeben - die zusätzliche Belastung von 2 Milliarden
Euro zusammen. Selbst diejenigen, die innerhalb der
Freibeträge bleiben, also keinen Gewinn errechnen,
müssen natürlich die Ermittlungskosten tragen. Diese
beginnen für diese Gruppe der Freiberufler bei 300 Euro
und können in die Tausende gehen.
Zusammenfassend stelle ich fest: Das alles ist nichts
anderes als eine dramatische Steuererhöhung für die
750 000 selbstständigen Freiberufler in Deutschland.
Das sollten Sie von Rot-Grün auch den Menschen sagen.
({4})
Anstatt eine unsinnige Steuer abzuschaffen, dehnen sie
diese mit dem Gerechtigkeitsargument auf 750 000 weitere Existenzen aus. Das ist der wahre Abbau von Bürokratie, von dem Kanzler Schröder gestern gesprochen
hat.
Nun geht Ihre Liebeserklärung an die Gewerbesteuer
noch ein Stück weiter. Sie wollen die so genannten
ertragsunabhängigen Teile wie Zinsen, Leasingraten
und Mieten in die Berechnung der Gewerbesteuer einbeziehen. Damit greifen Sie tief in die Substanz der Unternehmen ein. Warum müssen denn viele Unternehmen
mieten und Leasingverträge abschließen? Weil sie nicht
über das notwendige Eigenkapital verfügen. Nur noch
mit dieser Fremdfinanzierung können viele Unternehmen überleben. Sie von Rot-Grün wollen offenbar bei
den 40 000 Insolvenzen noch draufsatteln. Es ist kaum
zu glauben, wie tief offenbar die mangelnde Kenntnis
vom Innenleben deutscher Unternehmen bei Ihnen sitzt.
({5})
Das Scheitern der Kommission zur Reform der
Gemeindefinanzen ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Lange genug haben Sie diese Kommission
versteckt und sich auch hinter ihr versteckt. Ich behaupte, dass die beabsichtigte Ausdehnung der Gewerbesteuer schon vorher zu Ihrem Plan gehört hat. Sie können
übrigens auch nicht die kommunalen Spitzenverbände heranziehen. Denn diesen geht es heutzutage ausschließlich um die Frage: Wie kommen wir schnell an Geld?
({6})
Sie wissen genau, dass die kommunalen Spitzenverbände unser Sofortprogramm unterstützen. Das ist auch
nicht verwunderlich; denn es verspricht als Einziges sofortige Hilfe.
Sie haben sich aber nicht nur hinter der Kommission
zur Reform der Gemeindefinanzen versteckt, sondern
haben uns auch alle Detailergebnisse verheimlicht. Sie
haben sich nur auf zwei Modelle konzentriert, obwohl
zehn verschiedene vorgelegen haben, unter anderem von
der FDP und insbesondere von unserem Kollegen
Fromme. Sie waren einfach nicht in der Lage, mithilfe
dieser Modelle Detailergebnisse vorzulegen, was für das
Gelingen einer Beratung notwendig ist.
Die Krisenanfälligkeit des jetzigen Gewerbesteuersystems hat doch gezeigt, dass die Zeit für eine neue Finanzierung unserer Städte und Gemeinden längst reif ist. Natürlich kann auch ein Zuschlagsmodell das Band
zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und den Bürgern auf der anderen Seite sein. Sie begründen Ihre Ablehnung aller Zuschlagsmodelle damit, dass die Arbeitnehmer dadurch zu stark belastet werden. Wie Sie wissen,
sind die Kommunen mit 15 Prozent an den Einkommenssteuereinnahmen beteiligt. Die Vorschläge - ich halte sie
für realistisch - zielen darauf ab, dass diese 15 Prozent
herausgelöst werden und dass auf dieser Grundlage ein
Zuschlagsrecht für die Gemeinden gebildet wird. Wir
müssen selbstverständlich noch darüber diskutieren, ob
die Verteilung der Mittel heute noch gerecht ist. Vor allen
Dingen müssen wir an die Mischfinanzierung herangehen; denn sie ist ein Übel dieser Zeit.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt
noch die Gewerbesteuerumlage in den Kommunen ansprechen. Die Kommunen meines Kreises befinden sich
in folgender Situation - ich habe mit den jeweiligen Bürgermeistern gesprochen -: Zehn Kommunen befinden
sich in der Haushaltssicherung, drei noch nicht. Die
Kommunen müssen von ihren Gewerbesteuereinnahmen, sofern sie solche noch haben, einen Betrag von
28 Prozent und demnächst 30 Prozent an Bund und Land
abführen. Da sie noch Gewerbesteuereinnahmen haben,
bekommen sie vom Land entsprechend geringere Zuweisungen, sodass von den eigentlichen Gewerbesteuereinnahmen überhaupt nur 10 Prozent übrig bleiben. Wir
sollten wirklich eine gemeinsame Lösung finden und die
gesamte mit der Gewerbesteuer verbundene Bürokratie
abschaffen. Das ist der einzig sinnvolle Weg.
({8})
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir brauchen ein Konzept, das von der Bevölkerung in Gänze akzeptiert wird. Nutzen wir deshalb diese Situation, um
den Kommunen eine neue finanzielle Basis zu geben!
Frau Andreae, ich unterstütze Ihr Vorhaben - auch Frau
Scheel, die Vorsitzende des Finanzausschusses, hat davon gesprochen -, die Gewerbesteuerumlage zu senken.
Unterstützen aber auch Sie unseren Vorschlag, kurzfristig den Umsatzsteueranteil von 2,2 Prozent auf 3 Prozent
anzuheben! Das hilft den Gemeinden - sofort und wirksam.
Ich danke Ihnen.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Scheelen,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Flosbach, jedes der 16 Jahre unter der Regierung
Helmut Kohl war für die Gemeinden ein verlorenes Jahr.
({0})
In diesen 16 Jahren wurde die Gewerbesteuer ausgehöhlt. Die jetzt zu beobachtenden, im Vergleich zu früheren Jahren relativ geringen Gewerbesteuereinnahmen
sind eine Folge Ihrer verfehlten Politik in dieser Zeit.
({1})
Ich könnte mein Redemanuskript jetzt eigentlich zur
Seite legen und alles, was Kollegen hier gesagt haben,
kommentieren. Ich will das nur in Teilen tun.
Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie vorweg eine
Zwischenfrage des Kollegen Götz?
Ich werde gleich die Zwischenfrage beantworten, die
Sie vorhin gestellt haben. Aber stellen Sie ruhig eine
weitere Zwischenfrage!
Vielen Dank, dass Sie mir diese Möglichkeit geben. - Sind Ihnen zwei Zahlen bekannt - ({0})
- Ich bin schon froh, wenn er zwei Zahlen kennt.
({1})
Ist Ihnen bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Regierungszeit unter Helmut Kohl und
der Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens gibt? Das
Gewerbesteueraufkommen belief sich 1999 - das war eine
Auswirkung der Politik der Regierung Helmut Kohl - auf
etwa 27 Milliarden Euro. Ist Ihnen bekannt, dass sich das
Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden in diesem
Jahr voraussichtlich auf eine Größenordnung von
16 Milliarden Euro beläuft? Können Sie mir erklären,
inwieweit die Differenz zwischen 27 Milliarden Euro
und 16 Milliarden Euro etwas mit der Regierung Helmut
Kohl zu tun hat? Hat das vielleicht nicht doch etwas mit
dem Wechsel zur Regierung Schröder zu tun?
({2})
Diese Frage beweist Ihre ganze Doppelzüngigkeit.
Bei den 27 Milliarden Euro handelt es sich um einen
Bruttowert. Den können Sie nicht mit einem vermutlichen Nettowert - abzüglich der Gewerbesteuerumlage vergleichen. Was Sie machen, ist schräg.
({0})
Das Aufkommen der Gewerbesteuer im Jahr davor
betrug 23,5 Milliarden DM. Das gute Aufkommen in
1999 - da regierte Gerhard Schröder schon - hat mit der
guten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung zu tun
gehabt.
({1})
Das steigerte sich im Jahr 2000 noch. Da hatten wir das
höchste Gewerbesteueraufkommen überhaupt.
Der Rückgang beim Gewerbesteueraufkommen, der
sich jetzt zeigt, Herr Kollege Götz, hängt mit der Aushöhlung zusammen, die Sie betrieben haben. Sie haben
die Gewerbesteuer zu einer reinen Gewinnsteuer gemacht. In wirtschaftlich schlechten Zeiten wie jetzt zeigt
sich, dass Sie eine falsche Politik betrieben haben.
({2})
Der Kollege Götz will nicht lockerlassen. Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Götz?
Wenn es denn sein muss.
Bitte schön.
Ich möchte nur fragen: Ist Ihnen bekannt, Kollege
Scheelen, dass schon einmal ein wichtiges Mitglied Ihrer
Fraktion das Thema brutto und netto behandelt hat und
damit Probleme hatte?
({0})
Herr Kollege Götz, ich habe eher den Eindruck, dass
Sie brutto und netto verwechselt haben. Ich werde auch
keine weiteren Zwischenfragen des Kollegen Götz mehr
zulassen und nur noch die Zwischenfrage beantworten,
die er vorhin gestellt hat und die Bayern betraf; der Kollege Michelbach hat ja auch noch in die Kerbe gehauen.
Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern
({0})
hat im Bayerischen Landtag beantragt - insofern haben
Sie nur die Hälfte zitiert -, dass in Bayern der Länderanteil an der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge
der Steuerreform zurückgezahlt wird.
({1})
Das haben die Bayerische Staatsregierung und die CSULandtagsfraktion mit ihrer Mehrheit abgelehnt. Das
zeigt, wie ernst Sie diese Forderung wirklich nehmen.
({2})
Sie stellen hier im Bundestag das vierte Mal, glaube
ich, die Forderung, dass der Erhöhungsanteil der Gewerbesteuerumlage infolge der Steuerreform zurückgezahlt
wird. Ernst meinen Sie es damit aber nicht; noch vor eineinhalb Jahren, im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich, haben Sie es abgelehnt, über die Gewerbesteuerumlage zu reden. Wie ernst Sie es damit
meinen, haben Sie ganz besonders in Bayern gezeigt.
Die Staatsregierung ist nicht bereit, ihren Anteil an die
Gemeinden zurückzuzahlen.
({3})
Ganz im Gegenteil: In Bayern nimmt man den Kommunen sogar Geld für die Besoldung von Lehrern ab. Das
gibt es in keinem anderen Bundesland.
({4})
Jetzt noch ein Wort zur FDP als Kommunalpartei. Ich
finde es besonders spannend, dass sich die FDP als
Kommunalpartei geriert. Sie von der FDP sind in den
90er-Jahren in Nordrhein-Westfalen - das ist mein Heimatbundesland, daher kommen auch die beiden Abgeordneten, die von Ihnen heute hier gesprochen haben doch reihenweise aus den Kommunalparlamenten geflogen.
({5})
Das geschah doch nicht deswegen, weil Sie so gute Politik gemacht haben. Sie sind erst wieder hineingekommen, als die Fünf-Prozent-Hürde gefallen ist. Da hatten
sie die Chance, mit 2 Prozent wieder in den Stadtrat einzuziehen.
({6})
Frau Kollegin Piltz, Sie haben bemerkt: Wenn ich mir
Ihren Antrag anschaue, dann sage ich nur: Arme Kommunen. - Ich kann Sie nur dazu auffordern, unseren Antrag, unser Vorhaben, das Kommunalmodell zum Gesetz zu machen, zu unterstützen; denn das ist das, was
die Kommunen wollen. Sie wollen nicht nur kurzfristig
Geld haben, Herr Kollege Flosbach, Sie wollen ein langfristiges Konzept, das zukunftssicher ist, und das ist das
Konzept der kommunalen Spitzenverbände, das auch
unserem Antrag zugrunde liegt.
({7})
Die Haltung der CDU/CSU ist hier in der Zeitung
sehr gut beschrieben. Ich hatte das Vergnügen, am
Montag in Bayern zu sein, und konnte vor Ort die „Süddeutsche Zeitung“ kaufen.
({8})
Darin steht: Kommunen fühlen sich im Stich gelassen. - Das
zielt nicht auf die Bundesregierung, sondern auf die
Bayerische Staatsregierung. Vom Bayerischen Städtetag
ist zu hören, die CSU eiere in dieser Frage herum. Herr
Deimer, der Ihnen als Oberbürgermeister von Landshut
und Städtetagschef in Bayern sicherlich sehr gut bekannt
ist, fühlt sich von der Staatsregierung verraten und sagt: Wir
sind stinksauer. Die haben uns im Stich gelassen. - Das ist
die Stimmung an der CSU-Basis bei Ihnen in den Kommunen!
Sie sollten sehr gut auf das hören, was Ihre Kommunalpolitiker vor Ort wollen. Die wollen das, was wir in
unserem Antrag niedergelegt haben, nämlich die Durchsetzung des Kommunalmodells. Dazu werde ich gleich
noch ein paar Sätze sagen.
Ich will zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, der
Kommission von dieser Stelle aus für die wirklich intensive Arbeit, die sie in gut einem Jahr geleistet hat, sehr
herzlich zu danken. Es war nicht einfach, in einer so kurzen Zeit den sehr schwierigen Komplex der Gemeindefinanzen so aufzuarbeiten, wie sie es getan hat.
({9})
Sie hat uns gestern den Abschlussbericht vorgelegt, der,
was das Zahlenmaterial angeht, völlig unstrittig ist. Darüber gibt es innerhalb der Kommission, zwischen den
verschiedenen Partnern überhaupt keinen Streit. Unsere
Aufgabe ist jetzt, anhand der unstrittigen Zahlen zu entscheiden, was wir machen wollen. Das ist Aufgabe von
Politik. Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt, nach
dem das Kommunalmodell weiterverfolgt werden soll.
Zwei Sätze dazu, warum wir das BDI/VCI-Modell
nicht wollen. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund
ist folgender: Dieses Modell verlagert Zahllasten der
Wirtschaft infolge der Gewerbesteuer auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zwei Drittel der jetzigen Last,
die die Unternehmen mit der Gewerbesteuer tragen, sollen demnächst Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
tragen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir nicht
einverstanden. Das werden wir nicht mitmachen.
({10})
Zweitens. Wenn Sie sich das Zahlenmaterial des BDI/
VCI-Modells anschauen, werden Sie feststellen, dass die
Kommunen unterm Strich leer ausgehen, denn das Aufkommen erhöht sich nicht. Ganz im Gegenteil, es sind
8 Millionen Euro - diesmal sind es wirklich 8 Millionen
und nicht 8 Milliarden, Herr Flosbach - weniger. Das
geht im Wesentlichen zulasten der Länder. Hier stellt
sich die Frage, wie Sie das auf der anderen Seite ausgleichen wollen. Das heißt, dieses Modell hilft den Kommunen überhaupt nicht.
Ein dritter Punkt ist, dass, vorausgesetzt, das
Hebesatzrecht, das den Gemeinden nach diesem Modell
auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeräumt
werden soll, würde in Kraft treten, die großen Städte
- vorhin wurden ja Frankfurt und die dort geltenden
480 Punkte genannt - einen deutlich höheren Hebesatz
erheben müssten als die Umlandgemeinden. Auch das
können Sie dem von der Gemeindefinanzreformkommission vorgelegten Zahlenmaterial entnehmen. Bei einem durchschnittlichen Hebesatz von 23 Prozent würde
Frankfurt beispielsweise 35 Prozent weniger kommunale Einnahmen haben, während die Gemeinde Kronsberg, wo viele gut verdienende Leute wohnen, 65 Prozent mehr hätte. Um das auszugleichen, müssten die
Hebesätze deutlich verändert werden. Frankfurt müsste
dann mit einem Hebesatz von etwa 35 Prozent kalkulieren, während Kronsberg möglicherweise mit 8 oder
9 Prozent auskäme. Das würde zur Stadtflucht führen,
die wir aber nicht unterstützen wollen.
({11})
Letzter Grund, warum wir das BDI/VCI-Modell ablehnen: Es ist ein bürokratisches Monster. Es wundert
mich, ehrlich gesagt, dass die FDP und auch die Industrie so etwas vorschlagen.
({12})
Stellen Sie sich ein Werk wie BMW vor, das Arbeitnehmer aus vielleicht 50 Umlandgemeinden beschäftigt. Die
Lohnbuchhaltung müsste den Hebesatz dieser 50 Gemeinden abfragen. All das muss in die Berechnungen
einfließen und auf dem Lohnsteuerzettel des Arbeitnehmers erscheinen. Es ist und bleibt also ein bürokratisches
Monster. So etwas ist nicht durchsetzbar.
({13})
Herr Kollege Scheelen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinkwart?
Bitte.
Herr Pinkwart, bitte.
Herr Kollege Scheelen, ich möchte Sie gerne fragen,
ob Sie den Antrag zur Grundgesetzänderung, der heute
von der FDP-Fraktion vorgelegt worden ist, gelesen haben. Dann müssten Sie nämlich festgestellt haben, dass
hier nicht die Umsetzung des BDI/VCI-Modells beantragt wird, sondern ein Zweisäulenmodell. Besteht die
Bereitschaft in Ihrer Fraktion, sich mit diesem Ansatz
auseinander zu setzen, damit wir tatsächlich zu einer
grundlegenden Reform kommen können?
Herr Kollege Pinkwart, Sie haben im Prinzip das
BDI/VCI-Modell übernommen und noch ein paar Elemente angefügt. Das ändert aber nichts an den Aussagen,
die ich gerade zu den Auswirkungen dieses Modells getätigt habe.
({0})
Jetzt sage ich noch einen Satz zu dem, was wir vorhaben: Wir wollen, dass die Gewerbesteuer modernisiert
wird. Ich wende mich entschieden gegen die Behauptung, dass das, was wir da vorschlagen, einer Substanzbesteuerung gleichkommt. Das ist eine infame Lüge. Es
geht im Prinzip darum, diejenigen Unternehmen, die
- das beklagen Sie ja auch permanent - Möglichkeiten
zur Gestaltung ihrer steuerlichen Belastungen haben,
nämlich die großen Konzerne, und die keine Gewerbesteuer mehr zahlen, dazu zu zwingen, wieder ihren Beitrag zur kommunalen Infrastruktur zu leisten.
({1})
Wir können nicht akzeptieren, dass sich Großunternehmen aus der Finanzierung der Gemeinden verabschieden. Das verhindert das Modell, das wir Ihnen vorschlagen. Es geht nicht um eine weitere Belastung des
Mittelstandes, ganz im Gegenteil: Der wird durch Freibeträge und eine entsprechende Gestaltung von solchen
Belastungen freigestellt. Es geht also um die großen
Konzerne, denn es ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, ob Großkonzerne ihren Beitrag für das Gemeinwesen leisten.
({2})
Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition,
ist aufgrund der Wahlentscheidungen in den Bundesländern Verantwortung zugewachsen. Nehmen Sie diese
Verantwortung wahr! Hören Sie auf Ihre Kommunalpolitiker vor Ort! Unterstützen Sie unser Kommunalmodell
und tragen Sie dazu bei, dass wir dieses Jahr eine vernünftige und anständige Reform hinbekommen, die zum
1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1247 und 15/1217 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck-
sache 15/1321 mit dem Titel „Eckpunkte für eine umfas-
sende Gemeindefinanzreform“: Wer stimmt für diesen
Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der
Antrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu der
Verordnung der Bundesregierung
Dritte Verordnung zur Änderung der Ver-
packungsverordnung
- Drucksachen 15/1179, 15/1272 Nr. 2.1,
15/1343 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Dr. Antje Vogel-Sperl
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem
Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger,
Dr. Christian Eberl, Daniel Bahr ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen
- Drucksachen 15/315, 15/729 Berichterstattung:
Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann
Dr. Antje Vogel-Sperl
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Gerd Friedrich Bollmann von der SPD-Fraktion
das Wort.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, bitte ich, den Saal zu
verlassen, damit sich die anderen auf die Rede konzentrieren können. Bitte schön, Herr Bollmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Es liegt sicherlich im Interesse aller Betroffenen, dass wir die Verpackungsverordnung zügig
und abschließend regeln.
({0})
Ich denke, dass mir alle hier im Hause zustimmen,
wenn ich sage, dass die jetzt geltende Pfandregelung
unübersichtlich ist und dringend verbessert werden
muss.
({1})
Wir haben uns intensiv mit diesem Thema befasst. Vor
zwei Tagen fand dazu im Umweltausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Unsere Meinung zur Novelle der
Verpackungsverordnung wurde dabei bestätigt: Die Neuregelung stärkt Mehrwegsysteme und ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackungen.
({2})
Sie bringt Klarheit für Verbraucher und größere Planungs- und Investitionssicherheit für die betroffenen
Wirtschaftszweige.
({3})
Die Umweltschutzverbände, das Umweltbundesamt, das Institut für Energie- und Umweltforschung
und die Verbraucherzentralen bewerten die Novelle
positiv. Der Bundesverband mittelständischer Privatbrauereien sprach, bezogen auf das Pfand, von einer Erfolgsstory und sprach sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen für die von uns vorgeschlagene
Neuregelung aus.
({4})
Es gibt natürlich auch Kritik an der Novelle, aber
selbst die Kritiker müssen zugeben, dass das Pfand
schon jetzt eine Lenkungswirkung in Richtung Mehrweg ausübt.
({5})
Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Unser
Ziel ist es, Abfall zu vermeiden und speziell bei den Getränkeverpackungen Mehrwegsysteme und ökologisch
vorteilhafte Verpackungen zu fördern.
({6})
Dieses Ziel wird auch von den Bürgerinnen und
Bürger unseres Landes unterstützt. Nach einer ForsaUmfrage vom 11. und 12. Juni halten 75 Prozent der Befragten ein Pfand auf Einwegflaschen und Dosen grundsätzlich für richtig. 70 Prozent der Befragten sind jedoch
mit der gegenwärtigen Umsetzung der Verpackungsverordnung weniger oder überhaupt nicht zufrieden. Unübersichtliche Regelungen, fehlende Rückgabemöglichkeiten, die Verweigerung eines Teiles des Handels und
die Meinung der Bürger beweisen die dringende Notwendigkeit einer raschen Neuregelung.
({7})
Was würde passieren, wenn diese Novelle scheitert?
({8})
Dann würde die jetzige Pfandregelung mit all ihrer Unübersichtlichkeit und der ökologisch wenig sinnvollen
Unterscheidung nach Getränkesegmenten weiter gelten.
Weiterhin gäbe es zum Beispiel die absurde Regelung,
dass nur auf Mineralwasser mit Kohlensäure Pfand erhoben wird, nicht jedoch auf Mineralwasser ohne Kohlensäure. Diese ökologisch und ökonomisch nicht nachvollziehbare Regelung stammt aus der Zeit, in der sich die
damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel intensiv mit dieser Thematik beschäftigt hat.
({9})
Aber es würde sogar noch schlimmer kommen. Nach
der jetzigen Regelung müsste demnächst Pfand auf
Wein,
({10})
Milch und möglicherweise auch auf Fruchtsäfte erhoben
werden, egal in welchen Verpackungen sie angeboten
werden.
({11})
Das bedeutet, es gäbe auch Pfand auf Getränkekartons,
also auf Verpackungen, die nach den Ergebnissen der
Ökobilanzen genauso umweltverträglich wie Mehrwegsysteme sind.
({12})
Die Konsequenz wäre eine weitere Verunsicherung
der Verbraucher, eine fehlende Planungs- und Investitionssicherheit für die Verpackungs- und Getränkehersteller und vor allem eine weitere Schwächung ökologisch
vorteilhafter Verpackungen.
({13})
All dies zeigt, dass die Neuregelung unbedingt notwendig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Merkel hat
sich in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung
in, wie ich finde, kurioser Form zum Dosenpfand geäußert.
({14})
Sie hat von „hirnrissigen Vorschlägen“ und „Schwachsinn, der keine Grenzen kennt“ gesprochen.
({15})
Ich würde diese Begriffe nicht verwenden. Aber wenn
Frau Merkel dies tut, dann hat sie wohl bereits vergessen, dass es sich genau um jenen Unsinn handelt, an dem
sie als zuständige Ministerin mitgewirkt hat und den wir
nun durch die dringend notwendige Novelle korrigieren
wollen.
({16})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heute zu verabschiedende Novelle beruht auf den Eckpunkten, die das
Bundesumweltministerium mit den Umweltministern
von Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und
Nordrhein-Westfalen abgesprochen hat.
({17})
Dieser Kompromiss mit Vertretern des Bundesrates vom
16. Februar dieses Jahres ist die Grundlage; ich hoffe,
dass wir auf dieser Basis auch im Bundesrat zu einer
schnellen Einigung kommen werden.
Meine Damen und Herren von der Union, ich denke,
Sie akzeptieren ebenfalls das Pflichtpfand für alle Einweggetränkeverpackungen. Neben wenigen kleinen Änderungen fordern Sie jedoch insbesondere die Einführung einer automatischen Innovationsklausel. Einen
solchen Automatismus lehnen wir ab. Politische Entscheidungen muss das Parlament treffen.
Die Anhörung im Umweltausschuss hat deutlich gemacht, dass ein Innovationsautomatismus nicht sinnvoll
und auch nicht notwendig ist. Herr Professor Troge, Präsident des Bundesumweltamtes, stellte eindeutig fest,
Ökobilanzen seien ein Hilfsmittel für die politische Entscheidungsfindung, könnten aber die politische Entscheidung, welche Verpackungen umweltverträglich sind,
nicht ersetzen.
({18})
Insbesondere die Bewertung der Kriterien ist eine politische Entscheidung.
Herr Professor Troge erläuterte in der vorgestrigen
Anhörung des Umweltausschusses des Weiteren, dass er
den in der Novelle vorgesehenen Weg zur Prüfung der
Umweltverträglichkeit für sinnvoll und praktikabel
hält. Jeder Produzent einer Getränkeverpackung kann
eine Ökobilanzstudie durchführen lassen; diese wird
vom Umweltbundesamt geprüft. Die Untersuchung nach
internationalen Normen dauert zwischen drei und sechs
Monate. Anschließend ist eine schnelle Entscheidung
über die ökologische Vorteilhaftigkeit und damit die
Pfandbefreiung durch den Verordnungsgeber möglich.
({19})
Ebenso sprach sich das Institut für Energie- und Umweltforschung gegen einen Innovationsautomatismus
aus. Es wies darauf hin, dass die Komplexität und die
Vielzahl der zu beachtenden und sich auch verändernden
Kriterien einen Automatismus nicht zuließen. Darüber
hinaus müssten bei der Entscheidungsfindung auch weitere Informationen, beispielsweise ökonomische und soziale Aspekte, berücksichtigt werden.
Diese Argumente der Sachverständigen bestärken unsere Position. Eine Innovationsklausel ohne Beteiligung
des Parlaments an der Entscheidungsfindung lehnen wir
als undemokratisch ab.
({20})
Trotz dieser unterschiedlichen Standpunkte halte ich
eine schnelle Einigung im Bundesrat für möglich.
({21})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle der
Bundesregierung ist eine gute Lösung. Sie setzt unser
umweltpolitisches Ziel der Abfallvermeidung und der
Förderung von Mehrweg- und ökologisch vorteilhaften
Getränkeverpackungen in sinnvoller Weise um. Sie
schafft eine für den Verbraucher übersichtliche Lösung.
Nicht zuletzt sorgt sie für Planungs- und Investitionssicherheit bei den Getränke- und Verpackungsherstellern.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dieser
zweckmäßigen und notwendigen Novelle zuzustimmen.
Danke schön.
({22})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion bekennt sich in der Umweltpolitik zu der Idee der Kreislaufwirtschaft. Die Verpackungsverordnung, die unser damaliger Bundesumweltminister, Professor Töpfer, initiiert hat, hat in der
Bevölkerung zu einem umweltbewussten Verhalten geführt. Wir sind stolz auf dieses Ergebnis christlich-demokratischer Umweltpolitik.
({0})
Hier geht es heute nicht um die Frage, ob das, was damals richtig initiiert worden ist, weiter aufrechterhalten
werden soll. Heute geht es nur darum, ob die von Ihnen
vorgelegte Novelle zur Verpackungsverordnung den
heutigen und modernen Anforderungen der Umweltpolitik gerecht wird. Wir sagen Ihnen schon jetzt: Das ist leider nicht der Fall.
({1})
Herr Bollmann, eines muss ich klarstellen: Sie haben
in Ihrer Rede Frau Merkel die Verantwortung für die jetzige Fassung der Verpackungsverordnung zugewiesen,
obwohl nach Ihrer Ansicht - so haben Sie ausgeführt neue, moderne Ökobilanzen einen Novellierungsbedarf
erfordern. Sie kennen aber nicht die Vorgeschichte. Zur
Zeit von Frau Merkel gab es eine Ökobilanz, und zwar in
Sachen Schlauchbeutel. Frau Merkel hat diese Ökobilanz 1997 in ihrem Novellierungsentwurf aufgegriffen.
1998 ist diese Novelle beschlossen worden.
Die heute in Rede stehenden Veränderungen der Verpackungsverordnung, zum Beispiel zur Kartonverpackung, sind durch Ökobilanzen erforderlich geworden,
die erst nach 1998 eingereicht und teilweise erst im Jahre
2000 bewertet worden sind. Da war Frau Merkel nicht
mehr Umweltministerin; da war Herr Trittin Umweltminister.
({2})
- Herr Minister, es ist nicht üblich, von der Regierungsbank Zwischenrufe zu machen. - Wie kommen Sie dazu,
Frau Merkel einen solchen Zeitablauf in die Schuhe zu
schieben? Was Sie vorgetragen haben, war falsch. Die
Vorwürfe gehen völlig fehl.
({3})
Eines muss man ebenfalls festhalten: Wir hatten am
Mittwoch eine Anhörung. Das Beratungsverfahren zu
dieser Verpackungsverordnung ist erst heute Morgen im
Umweltausschuss abgeschlossen worden. Dies ist ein
völlig ungewöhnliches und hektisches Verfahren. Ich
sage deutlich: Ein solches hektisches Verfahren werden
wir in Zukunft nicht mehr akzeptieren. Das hat überhaupt nichts mit einem ordentlichen Beratungsgang hier
im Parlament zu tun.
({4})
Die Folgen dieses überstürzten Verfahrens sieht man
deutlich - dies spiegelt sich im vorliegenden Entwurf
wider -:
Erstens. Diese Verordnung ist rechtlich nicht durchdacht.
Zweitens. Sie ist kompliziert und bürokratisch.
Drittens. Sie setzen - das ist unser Hauptvorwurf - technologisch das falsche Signal. Ihre Verpackungsverordnung wirkt innovationsfeindlich; denn sie erschwert unnötigerweise die Entwicklung ökologisch günstiger
neuer Verpackungen. Das muss immer das Ziel einer
modernen Umweltpolitik sein.
({5})
Die Anhörung hat ergeben, dass europarechtlich noch
viele Fragen offen sind, zum Beispiel: Kann diese Verordnung überhaupt mit dem Binnenmarkt konform gehen? Die neuesten Äußerungen von Frau Wallström am
vorgestrigen Tage im Europaparlament deuten darauf
hin, dass die ganze Angelegenheit für die EU noch nicht
erledigt ist.
In der Beratung des Umweltausschusses ist die Frage
aufgeworfen worden, ob ein zentraler Begriff dieser Verordnung, die „ökologische Vorteilhaftigkeit“, überhaupt
ein Begriff ist, der weiteren Gerichtsverfahren in
Deutschland standhalten wird. Von Sachverständigen ist
die Frage aufgeworfen worden, ob unter dem Gesichtspunkt der Belastbarkeit dieser Verordnung nicht der Begriff „ökologisch gleichwertig“ sinnvoller ist. Warum
haben wir nicht die Zeit, über solche Fragen hier im Plenum in Ruhe zu diskutieren?
Es gab ja große Bedenken von Sachverständigen hinsichtlich der Frage, ob die jetzt bestehenden Einwegglassysteme tatsächlich kostengünstig fortgeführt werden
können. Welche Auswirkungen hat Ihre Verpackungsverordnung auf Recyclingverfahren, auf mittelständische Strukturen in diesem Bereich? Das alles sind
Punkte, die wir gerne erörtert hätten, die aber leider aufgrund der Hektik nicht ausdiskutiert werden konnten.
Ein Sachverständiger hat gesagt, dass nun auch beim
Mengenstromnachweis große bürokratische Verfahren
entwickelt werden müssen. Er hat uns in der Anhörung
dargelegt, welche bürokratischen Konsequenzen sich
daraus entwickeln. All das, Herr Bollmann, wischen Sie
heute mit einer Bewegung vom Tisch. Ich kann dazu nur
sagen: Sie zeigen damit, dass Sie aufgrund der hektischen Beratung nicht zu den Kardinalproblemen dieser
Verpackungsverordnung gekommen sind.
({6})
Nun zu dem Hauptvorwurf - Sie haben ihn in der Tat
korrekt beschrieben - in der politischen Diskussion der
letzten Tage: Es geht um die Frage, ob eine Innovationsklausel eingeführt werden soll oder nicht. Ich will
auf den politischen Kern der Auseinandersetzung zurückkommen. An der Frage, ob eine Innovationsklausel
eingeführt werden soll oder nicht, kann man nämlich
klar und deutlich den Unterschied zwischen rot-grüner
und christlich-demokratischer Umweltpolitik erkennen.
Wir wollen in der Umweltpolitik nicht nur kontrollieren,
sondern wir wollen durch eine moderne Gestaltung des
Umweltrechts Innovationen anregen und wollen an die
Wirtschaft Signale senden, dass wir für die Einführung
neuer Verpackungsmaterialien offen sind. Wir wollen
damit deutlich machen, dass die Umweltpolitik Anreize
setzen muss und dass sie nicht nur mit Verboten arbeiten
darf.
Sie setzen auf Kontrolle. Sie setzen beispielsweise auf
langwierige Beratungen im Deutschen Bundestag über
die Frage, ob eine neue Verpackung demokratisch legitimiert werden kann. Ich habe Verständnis dafür, dass das
Legitimitätsgebot in vielen Bereichen unseres Verfassungsstaates einen hohen Rang hat. Aber dass dieses Legitimitätsgebot entscheidend dafür sein soll, ob eine
neue Form der Kartonverpakkung nun eingeführt werden soll oder nicht, erschließt sich mir unter keinen Umständen. Ich glaube, das gilt auch für die gesamte CDU/
CSU-Bundestagsfraktion.
({7})
Haben Sie denn den Zeitplan des Beratungsverfahrens im Griff, wenn das UBA, wie Sie vorschlagen, nach
sechs Monaten mit der ökologischen Bewertung fertig
ist und wenn das BMU schätzungsweise in zwei Monaten seinen Stempel darunter setzt? Wie lange wollen Sie
im Plenum über diese Fragen beraten? Wir haben doch
über den Karton als Verpackung diskutiert. Die entspreDr. Peter Paziorek
chende Ökobilanz wurde schon im Jahr 2000 erstellt.
Aber erst jetzt, im Jahr 2003, diskutieren wir darüber, ob
diese Verpackungsform als ökologisch vorteilhaft anerkannt werden kann. Daran sieht man, dass es notwendig
ist, eine Innovationsklausel einzuführen, die klare Verfahrensbestimmungen kennt und in der genaue Fristen
enthalten sind. Das ist das Signal an die Wirtschaft, dass
wir Anregungen für neue Schritte auf dem Gebiet der
Umweltpolitik geben wollen. Das muss unser Ziel sein.
Deswegen fordern wir Sie auf: Sagen Sie Ja zu einer Innovationsklausel im Rahmen der Beratungen über den
Entwurf einer Verpackungsverordnung.
({8})
Es ist in den Beratungen des Ausschusses immer wieder angedeutet worden - dass will ich zum Schluss klar
sagen -, dass wir Einvernehmen erzielt haben. Sie behaupten jetzt aber - das war ein Diskussionspunkt -,
dass die Union von diesem Einvernehmen abrücken will.
Ich sage deutlich - Herr Minister, Sie nicken -: Von dieser Regelung will bei der Union niemand abrücken.
Ich habe eine Presseerklärung des baden-württembergischen Umweltministers vorliegen, die direkt nach dem
Gespräch am 16. Februar veröffentlicht wurde. In dieser
Presseerklärung vom 17. Februar heißt es unter der
Überschrift „Öffnungsklausel für zukünftig ökologisch
vorteilhafte Getränkeverpackungen“:
Dieses Anliegen ist den unionsregierten Ländern
besonders wichtig, um umweltverträgliche Verpackungsinnovationen anzuregen und in einer vorhersehbaren Weise sie „als Belohnung“ aus der Pfandpflicht zu entlassen
Niemand kann jetzt mehr behaupten, dass nicht schon
im Februar dieses Thema Gegenstand der Erörterung
war. Deshalb sage ich: Geben Sie sich einen Ruck!
Kommen Sie unserer Forderung nach, diese Innovationsklausel einzuführen! Ich glaube, dann werden wir
eine breite parlamentarische Mehrheit für einen solchen
Novellierungsentwurf bekommen.
Heute muss ich leider sagen, dass wir diesen Entwurf
nur ablehnen können, weil ein zentraler Punkt unserer
Forderungen nicht aufgegriffen worden ist.
({9})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Vogel-Sperl
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Über wenige Themen ist in den vergangenen
Jahren und Monaten so kontrovers und intensiv diskutiert worden wie über das Thema Dosenpfand. Auch in
dieser Legislaturperiode haben wir uns bereits mehrfach
im Plenum des Bundestages und im Umweltausschuss
mit diesem Thema beschäftigt. Nach einer Meldung der
„Zeit“ vom 18. Juni hat es kaum eine Frage - abgesehen
von der Auseinandersetzung über die Agenda 2010 - so
oft in die Schlagzeilen geschafft wie die Diskussion um
die Dose.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
ich habe aufmerksam zugehört und muss feststellen:
Durch ständiges Wiederholen werden Ihre Argumente
weder besser noch richtiger.
({0})
Ich frage mich zudem, ob wir am Mittwoch auf der gleichen Veranstaltung waren.
({1})
Die Anhörung im Umweltausschuss am Mittwoch hat gezeigt: Das Pfand auf Einwegverpackungen ist ein verhältnismäßiges, praktikables und ökologisch sinnvolles Instrument, um den Mehrweg nachhaltig zu stärken. Damit
trägt das Pfand dem im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz verankerten Grundsatz Rechnung, Abfall zu
vermeiden. Dies wird vom Umweltbundesamt bestätigt.
Mehr noch: Von Herrn Professor Dr. Troge wurde bei der
Anhörung weiter ausgeführt, dass die Pfandregelung im
Vergleich zu einem Lizenzmodell oder einer Abgabenlösung das geeignetste und verhältnismäßigste Mittel sei,
um Mehrweg zu schützen. Außerdem ist das Pfand ein
geeignetes Mittel, Verpackungen zurückzunehmen und
einem anspruchsvollen Recycling zuzuführen.
Es wird immer wieder behauptet, das Pfand führe zu
einem Abbau von Arbeitsplätzen. Wenn ich mir die
Pressemeldungen der vergangenen Tage anschaue, ergibt
sich für mich ein anderes Bild. So war im „General-Anzeiger“ vom 26. Juni zu lesen, dass eine Großbrauerei
wie Becks trotz des Dosenpfandes beim Umsatz zulegen
konnte. Der Konzern Thyssen-Krupp Stahl investiert
nach Meldung der „Westfälischen Rundschau“ vom
27. Juni sogar 100 Millionen Euro in die Weißblechherstellung für Getränkedosen in Andernach.
Meine Damen und Herren, die Anhörung hat gezeigt:
Die Pfandpflicht ist eine Maßnahme, die Arbeitslätze sichert und neue schafft,
({2})
Arbeitsplätze im arbeitsintensiven Mehrwegbereich, Arbeitsplätze bei den mittelständischen Unternehmen, die
sich auf die Vorgaben der Politik verlassen und auf
Mehrweg gesetzt haben.
Im Bereich der mittelständischen Getränke- und
Brauereibetriebe sind seit der Einführung des Pfandes
circa 10 000 neue Arbeitsplätze entstanden
({3})
und damit vor allem regionale Kreisläufe gestärkt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,
mit Ihrem immer wieder vorgetragenen Argument, das
Pfand vernichte Arbeitsplätze, ignorieren Sie den Mittelstand und seine Bedeutung für unsere Wirtschaft. Sie
lassen sich vor den Karren der Einweglobby spannen,
die sich ohne eine nachhaltige Ausrichtung nur an kurzfristigen ökonomischen Zielen orientiert.
({4})
Die Novelle macht die Pfandpflicht für die Verbraucher verständlicher und gibt der Wirtschaft Rechts- und
Investitionssicherheit.
({5})
Die Pfandpflicht wird zukünftig nicht mehr von Quoten
abhängig sein. Hersteller, Abfüller und Vertreiber werden wissen, welche Verpackungen auch mittel- und langfristig pfandpflichtig sind, ohne kohlensäurehaltige und
kohlensäurefreie Getränke unterscheiden zu müssen.
Das Ziel der Verordnung, den Mehrweganteil über
72 Prozent zu halten und damit Abfälle zu vermeiden,
wird seit 1997 eben nicht mehr erreicht. Ohne das Pfand
würde Mehrweg genauso endgültig aus den Regalen verschwinden wie in den Nachbarländern, die kein Einwegpfand haben. Dem wirkt die Einführung des Pfandes
- zur Überraschung seiner Kritiker - ganz entschieden
entgegen.
({6})
Zur Förderung von Innovationen bedarf es auch keiner so genannten Innovationsklausel. Sie ist rechtlich
auf der Grundlage des bestehenden Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetzes nicht möglich, sie ist politisch nicht
akzeptabel und sie ist auch nicht notwendig.
({7})
Eine Entscheidung durch den Verordnungsgeber mit Beteiligung des Parlaments ist erforderlich, weil die Entscheidung über die Pfandpflicht für eine Verpackungsart von erheblicher Tragweite ist und eine solche Entscheidung nicht
an Experten delegiert werden darf. Eine Ökobilanz ist nun
einmal keine schlichte Rechenaufgabe. Der Beurteilung
einer Ökobilanz müssen notwendigerweise politische
Wertungen zugrunde gelegt werden. Dies wurde auch
von, ich betone: allen Sachverständigen bei der Anhörung des Umweltausschusses bestätigt.
({8})
Einen Ökobilanzautomatismus kann es deshalb nicht
geben. Vielmehr müssen bei politischen Entscheidungen
über die Pfandpflicht von Verpackungen auch weitere
Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. Mit einem Automatismus würden wir als Fachpolitiker uns
selbst die Fähigkeit absprechen, eine solche Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen.
Eine Innovationsklausel ist ohnehin nicht notwendig,
weil eine Anpassung an neue Erkenntnisse durch eine
Verordnungsänderung durchaus kurzfristig möglich ist.
Dies ist von Herrn Professor Dr. Troge bei der Anhörung
ausdrücklich bestätigt worden. Mir stellt sich zudem die
Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union:
Wenn Sie so für Innovationen sind, warum haben Sie
dann eigentlich 2001 unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt?
({9})
Hinsichtlich Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Pfand in Höhe von 25 Cent begrüße ich, dass die
25 Cent immerhin schon akzeptiert werden. Aber das
nach Volumen differenzierte Pfand hat der damalige
Umweltminister Klaus Töpfer aus gutem Grund vorgesehen. Das Pfand soll schließlich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des gesamten Gebindes stehen.
Die zwei Pfandsätze sind außerdem in der Handhabung
unproblematisch, genauso wie die unterschiedlichen
Pfandhöhen beim Mehrweg.
Dies gilt im Übrigen auch für die Rücknahme von
Partyfässern. Wir haben heute früh in der Ausschusssitzung von Herrn Professor Troge gehört, dass außerdem
der Materialeinsatz für diese Fässer deutlich höher ist,
als wenn die gleiche Menge in Dosen abgefüllt würde.
Eine ökologische Rechtfertigung für eine „Lex Partyfass“ gibt es also nicht.
({10})
Nach Schätzungen der Verbraucherzentralen verbleiben durch nicht zurückgegebene Einwegverpackungen
derzeit monatlich circa 80 Millionen Euro beim Handel.
Hinzu kommen zusätzlich noch einmal circa 330 Millionen Euro an eingesparten Lizenzgebühren, die nicht an
das DSD entrichtet werden müssen. Die Finanzierung
eines einheitlichen Rücknahmesystems ist also entgegen
allen Behauptungen keine außergewöhnliche Belastung
für Handel und Industrie. Auch dies ist ein Ergebnis unserer Anhörung in Umweltausschuss.
Lassen Sie mich zum Schluss eine Bemerkung machen, die über die Diskussion um das Pfand hinausgeht.
Mit ihrem Wortbruch haben Teile von Handel und Getränkeindustrie einen Schaden angerichtet, der weit über
den Tag hinaus reichen wird. Denn das Ansehen eines
wichtigen Instruments der Umweltpolitik, nämlich das
der freiwilligen Selbstverpflichtung, ist dadurch von der
Wirtschaft selbst erheblich beschädigt worden.
({11})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
ich fordere Sie auf, Ihre Zustimmung zu der Novelle
nicht zu verweigern, damit wir das Thema Verpackungsrechtsnovelle im Sinne einer nachhaltigen Wirtschafts-,
Verbraucher- und Umweltpolitik endlich abschließen
können.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über das Thema Zwangspfand haben wir schon vielfach
diskutiert. Dabei ist klar geworden, dass wir eine umfassende Novelle der Verpackungsverordnung brauchen.
Diese kleine Novelle, die heute hier vorgelegt worden
ist, ist nichts anderes als Flickschusterei.
({0})
Der Zeitablauf bei diesem Vorhaben zeigt, Herr Minister Trittin, mit welcher Arroganz Sie mit dem Parlament umgehen: Im Februar haben Sie bestimmte Verabredungen getroffen. Sie haben sich dann vier Monate
Zeit gelassen, um die Verordnung in den Deutschen
Bundestag einzubringen. Anschließend wird der Deutsche Bundestag gezwungen, diese Verordnung innerhalb
von anderthalb Wochen im Schweinsgalopp durch das
Parlament zu peitschen.
({1})
Das, Herr Trittin, ist die Arroganz der Macht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich
verstehe nicht, warum Sie sich von Minister Trittin so
missbrauchen lassen. Bei Ihnen besteht genauso wie bei
uns noch Beratungsbedarf. Ich kann nicht verstehen, wie
man so vorgehen kann: Es wird eine Anhörung angesetzt
und obwohl dort mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden, schließt man das Ganze anschließend ab.
Obwohl die Verordnung im Ausschuss nicht mehr vernünftig beraten wird, bringt man sie hier ein. Es wird
mehr und mehr zu einem peinlichen rot-grünen Marionettentheater.
({2})
Ich will Ihnen einige zentrale Punkte nennen. Zunächst zur Frage des Rücknahmesystems. Hier soll es
so genannte Insellösungen geben. Diese sind europarechtlich aber höchst fragwürdig.
({3})
Die EU-Kommission hat in ihrem Schreiben an das
BMU kürzlich klar gemacht, dass ein nicht bundesweites
Rücknahmesystem wettbewerbsrechtliche Fragen aufwirft und nicht akzeptabel sei.
({4})
Diese Grundsatzeinwände gelten nicht nur für die Übergangslösung. Das hat auch die Anhörung deutlich gemacht. Deswegen sage ich Ihnen: Das Zwangspfand
wird europarechtlich keinen Bestand haben.
({5})
In der Diskussion wird angeführt, dass es einen Trend
zum Mehrweg gebe. Das ist im Moment sicherlich richtig. Aber klar ist auch, dass dieser Trend einzig und allein aus dem aktuellen Rücknahmechaos resultiert.
({6})
Wenn Rücknahmesysteme erst einmal etabliert sind,
dann wird sich dieser Trend umkehren. Dann werden
sich die großen Handelsketten für ein System entscheiden, und zwar für das, das sie einfacher handhaben können. Wenn erst einmal Rücknahmeautomaten aufgestellt
sind, dann müssen sie sich auch rentieren, weil sie Geld
gekostet haben. Dann werden sie das Mehrwegsystem
dauerhaft gefährden. Deswegen ist diese Novelle ökologischer und ökonomischer Unsinn.
({7})
Wir haben zwischenzeitlich auch eine parteiübergreifende Einigung darüber erzielt, dass die Trennlinie nicht
mehr zwischen Einweg und Mehrweg verläuft, sondern
aufgrund aktueller Ökobilanzen, neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Entwicklungen
zwischen ökologisch sinnvollen und ökologisch nicht
sinnvollen Verpackungen. Wenn das allerdings so ist,
dann frage ich mich, warum Sie in dieser Novelle nach
wie vor nicht nur eine Quote ökologisch sinnvoller Verpackungen, sondern auch noch zusätzlich eine Mehrwegquote erheben wollen, obwohl sich daran keine
Rechtsfolge knüpft. Das, meine Damen und Herren von
Rot-Grün, ist bürokratischer Wahnsinn.
({8})
Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Das Zwangspfand
ist unsozial. Wenn Sie immer von Nachhaltigkeit reden,
dann sollten Sie sich die Dinge klar anschauen. Die Kollegin von den Grünen hat gerade von Arbeitsplätzen gesprochen. Ich empfehle dringend, dass man beim Mehrweg nicht nur auf die eine Seite schaut, sondern dass man
auch auf die andere Seite schaut. Wenn man das tut - das
haben wir in der Anhörung getan -, dann wird man merken - das haben uns die Sachverständigen bestätigt -,
dass es netto zu einem Arbeitsplatzverlust in Deutschland kommt. Deswegen ist das, was Sie machen, unsozial.
({9})
Sie haben ja bereits die Rede des Kollegen Paziorek
gehört, der völlig zu Recht etwas zur Innovationsklausel gesagt hat. Diese neue Zwangspfandregelung ist
innovationsfeindlich. Er hat das alles erklärt. Ich sage
Ihnen klar: So schafft man keine Investitionssicherheit
und schon gar nicht, wenn man weiß, dass das Ganze am
1. Oktober 2003 umgesetzt sein soll, der Bundesrat sich
aber erst am 26. September 2003, also vier Tage vorher,
damit beschäftigen kann. Das hat doch mit Investitionssicherheit nichts, aber auch gar nichts zu tun.
({10})
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Das Risiko
irreversibler ökologischer, ökonomischer und sozialer
Fehlsteuerungen ist zu groß. Die FDP hat Ihnen mit den
Abfülllizenzen eine Alternative vorgelegt. Ich fordere
Sie, Herr Trittin, auf: Nutzen Sie Ihre Chance! Setzen
Sie dieses Zwangspfand aus und machen Sie mit uns gemeinsam eine ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvolle und verträgliche Regelung!
Vielen Dank.
({11})
Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn
man die Debatte über das Töpfer-Pfand von Anfang an
verfolgt hat - ich war seit Ende der 80er-Jahre immer
dabei -, dann kann man nur zu folgendem Ergebnis
kommen: Immer wenn es darum ging, einen wichtigen
Gedanken umzusetzen - in diesem Fall war es der Gedanke der Stoffwirtschaft, der dahinter stand -, dann
haben Sie verwässert, verzögert und verhindert.
({0})
Immer wieder war es die gleiche Geschichte; ich meine
jetzt niemanden persönlich, aber es war Ihre Fraktion.
({1})
Die große Idee - wir haben damals in einer EnqueteKommission und vielen anderen Gremien darüber diskutiert - war die Verbindung von Ökonomie und Ökologie
über die stoffliche Seite. Das war die Idee von Klaus
Töpfer. Er hat sich schon damals nicht durchsetzen können, weil die FDP - sprich: der Handel - dagegen war.
({2})
Der ursprüngliche Ansatz ist nicht durchgekommen. Danach haben Sie ein anderes Modell entwickelt.
Ich kann das übrigens auch deshalb sagen, weil ich
viele Kritikpunkte, die Sie heute vorbringen, damals vorgebracht habe. Wir sind damals in einer Weise von Ihnen
kritisiert worden, die unerträglich war. Ich will Ihnen das
heute noch einmal sagen; Sie können das in den alten
Protokollen nachlesen. Jetzt stellen Sie sich hier mit einer Chuzpe hin, als ob die Verpackungsverordnung, die
heute vorliegt, keine Vorgeschichte hätte, die Sie zu verantworten haben.
({3})
Was ist das denn überhaupt für eine Logik, wenn sich die
Brandstifter auf einmal sozusagen als Feuerwehrleute
aufspielen? Das ist doch die Wahrheit in dieser Sache.
({4})
Wenn es darum ging, bei der Verpackungsverordnung
Verbesserungen zu erreichen, haben Sie immer wieder
Argumente dafür gefunden, diese Verbesserungen nicht
zuzulassen. Das war die ganze Geschichte der Verpackungsverordnung.
({5})
- Im Gegensatz zu Ihnen war ich immer dabei. Weil es
aus meiner Sicht um eine ganz wichtige Frage geht,
würde ich an Ihrer Stelle ein wenig mehr Selbstkritik
üben. Das würde Sie glaubwürdiger machen.
Lieber Herr Paziorek, das was Frau Merkel hier gesagt hat, hatte mit der Innovationsklausel, über die wir
durchaus reden können,
({6})
nichts zu tun.
({7})
- Entschuldigung, aber Sie hören anscheinend nicht zu.
({8})
Es geht um die Frage, ob man eine automatische Innovationsklausel einführt oder ob man die Innovationsförderung auf einem anderen Weg betreibt.
({9})
Das ist ein politischer Unterschied. Sie machen daraus
aber einen Streit und sagen, dass wir auf diesem Feld gegen Innovationen sind. Um es einmal klar zu sagen: Davon hat hier niemand geredet.
({10})
Michael Müller ({11})
Ich habe den Eindruck, dass Sie hier nicht ganz sauber
sind.
({12})
Ich erinnere an die Kritik von Frau Merkel in der gestrigen Debatte. Sie hatte überhaupt nichts mit der Innovationsklausel zu tun. Es war stattdessen ein reines Lächerlichmachen des Instruments der Verpackungsverordnung
und ihrer eigenen Arbeit als Umweltministerin. Das ist
die Wahrheit.
({13})
Ich sage das aber auch aus einem anderen Grund, weil
es in dieser Diskussion aus meiner Sicht zwei zentrale
Punkte gibt, die wir gemeinsam nicht hinnehmen können:
Erster Punkt. Als die Verpackungsverordnung entstanden ist, hat eine große Mehrheit der Bevölkerung
Umweltpolitik mit Abfallpolitik gleichgesetzt. Abfallpolitik war in jener Zeit mit großem Abstand das Thema
Nummer eins in der Umweltpolitik. Weil es nicht nur um
die Abfallpolitik, sondern auch um das ökologische
Selbstverständnis unserer Politik geht, müssen wir jetzt
ein gemeinsames Interesse haben. Wir können es nicht
zulassen, dass die Abfallpolitik lächerlich gemacht wird.
So wie die Diskussion im Augenblick von Ihnen geführt
wird, kann man sie nicht mehr als ernsthaft bezeichnen.
Es handelt sich um den Versuch, ein Instrument lächerlich zu machen. Das geht nicht.
({14})
Ich komme zum zweiten Punkt, der weit über diese
Diskussion hinausgeht: Anfang der 90er-Jahre ist die
Quote nach intensiven Verhandlungen mit der Wirtschaft und dem Handel festgelegt worden. Viele von denen waren bei mir und haben gesagt: Diese Quote ist in
Ordnung, das machen wir mit. - Sofort als die Quote
1997 unterschritten wurde, hat die Wirtschaft alles getan, um das Gesetz dann doch nicht in Kraft treten zu
lassen.
Wer dieser Strategie der Wirtschaft durch sein eigenes
Verhalten auch noch Vorschub leistet, der macht jede
Möglichkeit einer seriösen Absprache kaputt. Das können wir nicht wollen. Wenn wir uns bei einer Sache anfänglich auf ein Konsensprinzip einigen - wie gesagt,
das Ganze geschah damals zunächst gegen unseren Widerstand -, dann muss das Konsensprinzip auch gelten,
wenn es ernst wird.
({15})
Dann darf nicht so getrickst werden, wie es jetzt getan
wird.
Ich sage das übrigens auch in Ihrem Interesse. Nehmen Sie an, Sie würden jetzt die Regierung stellen und
Ihr Partner würde ein Gesetz, das gemeinsam verabschiedet wurde, derart infrage stellen. Dann müssten
auch Sie das mit aller Macht kritisieren. Das tun Sie leider nicht.
({16})
- Ja, vielleicht im zehnten oder zwölften Nebensatz. Ich
habe aber keine klare Ansage von Ihnen gehört, in der
dieses Verhalten des Handels und der Wirtschaft massiv
kritisiert worden ist. Wir müssen es aber aus Gründen
der Glaubwürdigkeit unserer Umweltpolitik kritisieren.
({17})
Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Innovationsklausel sagen: Bei der Innovationspolitik geht es eben
nicht nur um eine technische Frage. In der ganzen Diskussion über die Abfallpolitik haben wir nicht nur die
Seite der Wirtschaft zu sehen, sondern wir müssen auch
das Bewusstsein, das Handeln und die Motive der Menschen berücksichtigen, die sich engagieren. Mit der Behauptung von Innovationen, die zum Teil auf diesem Gebiet zustande kamen, wurde auch Schindluder getrieben;
das war so. Zum Teil wurden Dinge als ökologisch bezeichnet, die das nicht waren.
Deshalb bleibt es dabei - das entspricht übrigens meinem Selbstverständnis -: In einer solch wichtigen Frage
muss das Parlament natürlich ein Mitspracherecht haben. Wieso auch nicht? Technik ist nicht wertneutral, sie
ist politisch zu bewerten.
Wir haben eine große Bitte: Bei allen Unterschieden,
die wir haben, sollten Sie das Instrument offensiv verteidigen und zeigen, dass es ein Teil der gemeinsamen Geschichte des Bundestages ist.
({18})
Instrumentalisieren Sie die Debatte bitte nicht mit offensichtlichen Stammtischparolen oder aufgrund einer populistischen Sucht nach der schnellen Überschrift!
({19})
Das hilft uns allen nicht, es schadet uns nur.
({20})
Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Wittlich von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Müller, die Verpackungsverordnung
von Klaus Töpfer wird in den meisten Teilen ihrem Anspruch, Deponienotstand und Müllbergen - eine Entwicklung, die Sie kennen - entgegenzuwirken, gerecht.
In dieser Hinsicht ist sie sehr erfolgreich gewesen.
({0})
Das Einzige, was wir wollen, ist, die technischen Entwicklungen im innovativen Bereich dem Verbraucherverhalten ein Stück anzupassen. Ich denke, dies ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber.
Werden Minister dafür bezahlt, dass sie die Bürger
vorsätzlich ärgern und schikanieren? Wenn dem so
wäre, hätte Umweltminister Trittin
- „der grüne Pfand-Rambo“ eine Gehaltserhöhung verdient.
({1})
So titelte die „Bild“-Zeitung am 4. Juni. Die Zustimmung in der Bevölkerung zum Dosenpfand ist drastisch
eingebrochen. Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Bielefelder Marktforschungsinstituts Valid Research sprechen sich nur noch 52 Prozent der Befragten
für das Pfand aus, 45 Prozent sind dagegen, 3 Prozent
machen keine Angaben. Vor einem Jahr, also noch vor
Pfandstart, waren noch 77 Prozent der Befragten für das
Zwangspfand und 20 Prozent dagegen.
Aus Sicht der Union stehen wir vor einer Reihe ungelöster Probleme: Handel und Wirtschaft wollen sich verständlicherweise nicht mit der bestehenden Rechtsunsicherheit abfinden. Für die meisten Einzelhändler,
insbesondere für mittelständische Lebensmittelkaufleute
und Kioske, ist der Einstieg in ein bundeseinheitliches
Pfandsystem zum 1. Oktober unmöglich geworden.
Wenn Herr Trittin hier mit Bußgeldern droht, müssten
diese Händler den Verkauf von Einwegflaschen und Dosen ganz einstellen. Es stellt sich die Frage, ob dadurch
aus der Pfandpflicht nicht ein indirektes Verbot für Einweg wird. Damit steht uns ein neuer Streit mit der EUKommission ins Haus. Um dies zu verschleiern, singt
jetzt der Bundesumweltminister ein öffentliches Loblied
auf die Discounter, die ganz auf Einweg setzen und ein
eigenes Rücknahmesystem aufbauen. Es ist fraglich, ob
und inwieweit diese Insellösungen mit dem Europarecht
vereinbar sind. Im Übrigen sind 95 Prozent aller importierten Getränke in Einweg verpackt. Ich frage mich,
Herr Minister Trittin: Wie wollen Sie diese Verpackungen in die Pfandpflicht einbeziehen?
Viele mittelständische Betriebe, besonders Getränkeund Verpackungshersteller, sind in ihrer Existenz bedroht. Einige Brauereien haben bei Einwegverpackungen
Rückgänge zwischen 60 und 70 Prozent zu verkraften.
Dieser Einbruch wird nur zum Teil wieder im Mehrweggeschäft aufgefangen. Insgesamt ist der Bierabsatz in
Deutschland in den ersten fünf Monaten um rund
7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Seit
Anfang dieses Jahres sind nachweisbar 3 500 Arbeitsplätze verloren gegangen. Langfristig drohen die Schließung von 2 000 Unternehmen, darunter vor allem
Kioske, und der Verlust von weiteren 10 000 Arbeitsplätzen.
Wir haben in den vergangenen Tagen eine selten da
gewesene Missachtung des Parlamentes erleben können.
({2})
Obwohl erst Ende August die Ergebnisse des von der
Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens über
die wirtschaftlichen Auswirkungen des Pflichtpfandes
vorliegen, wurde die Verordnung noch vor der parlamentarischen Sommerpause durchgepeitscht. Wegen der gesetzlichen Fristen hatten die Gremien des Bundestages
faktisch nur zwei Wochen für die gesamten Beratungen
Zeit. Hierfür hagelte es sogar Kritik aus den Reihen der
Regierungskoalition. Der Vorsitzende des Umweltausschusses hat in einem Brief an den Bundesumweltminister scharf kritisiert, dass wir als Parlament so sehr unter
Druck gesetzt wurden.
Am Mittwoch wurden die Beratungen im Umweltausschuss nach nur 70 Minuten auf einen Geschäftsordnungsantrag der Grünen hin mit Zustimmung der SPD
abgebrochen. Viele unserer inhaltlichen Fragen waren zu
diesem Zeitpunkt noch nicht beantwortet, zum Beispiel
die gesamte Ausgestaltung von Ökobilanzen. Auch hier
wurden die Informationsrechte des Parlamentes und der
Opposition wieder einmal mit Füßen getreten.
Gerade die Grünen, die sich selbst immer als Partei
für Demokratie und Minderheitenrechte bezeichnen, haben deutlich gemacht, dass es sich dabei meistens nur
um Worthülsen handelt.
({3})
- Sie haben gerade Grund, Frau Kollegin Hustedt, etwas
zu sagen. Es ist eine Zumutung, heute kurz vor Beginn
der Debatte noch eine Ausschusssitzung anzusetzen, um
diesen Mangel zu heilen.
CDU und CSU halten die Einführung eines Pfandes
auf Einweggetränkeverpackungen nach wie vor für
grundsätzlich falsch. Da die Bundesregierung aber an
den bestehenden Regelungen festhalten will, müssen wir
sehen, wie wir das Beste aus der misslichen Situation
machen. Es ist wichtig, die Auswirkungen für Verbraucher, Wirtschaft und Handel so erträglich wie möglich zu
gestalten.
Deshalb haben wir folgende vier Forderungen formuliert, an denen wir festhalten werden:
Erstens. Für Milchverpackungen muss ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden. Diese Forderung
wurde zum Glück inzwischen in die Novelle aufgenommen.
Zweitens. Verpackungen ab 3 Liter dürfen nicht in die
Pfandpflicht einbezogen werden.
Drittens. Wir fordern ein einheitliches Pfand von
25 Cent.
Viertens. Es muss eine Innovationsklausel geschaffen
werden, in der die Voraussetzungen verbindlich festgeWerner Wittlich
legt werden, unter denen die Freistellung von der Pfandpflicht gewährt werden soll. Die Anhörung am vergangenen Mittwoch hat gezeigt, dass die vorgelegte Novelle
beim Kriterium „ökologische Vorteilhaftigkeit“ viel zu
starr und unflexibel ist. Durch immer mehr technische
Neuerungen und Innovationen erhöht sich der Anpassungsdruck. Die Innovationsklausel erlaubt es, ökologisch vorteilhafte Verpackungen in einem zügigen Prüfverfahren von der Pfandpflicht freizustellen.
Die CDU/CSU-Fraktion bekennt sich eindeutig zum
Schutz des Mehrweges.
({4})
Die jetzige Regelung ist aber eine Provokation für den
Verbraucher, weil sie ihn zur Kasse bittet, für die Getränkehersteller, weil sie deren Absatz reduziert, und für den
Handel, weil sie ihm unnötige Kosten aufbürdet. Wir tragen nur eine Novelle der Verpackungsverordnung mit,
die verbraucherfreundlich ist, die Rechtssicherheit
schafft und die Förderung ökologisch vorteilhafter Verpackungen klar und zukunftsweisend regelt. Wir fordern
deshalb eine Novelle der Verpackungsverordnung, die
unseren Anforderungen Rechnung trägt.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die unendliche Geschichte der Verpackungsverordnung geht in
eine neue Phase. Die nächste Phase wird Ende September dieses Jahres sein. Dann werden wir sehen, was von
dem, was heute vorliegt, noch übrig bleibt.
({0})
Das Hauptproblem bei der ganzen Frage besteht für
meine Begriffe darin, dass landauf, landab so getan wird,
als wären Mehrwegverpackungen per se ökologisch
günstiger als Einwegverpackungen. In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass die Verpackungsverordnung von 1991 von einem Mengenziel in
Höhe von 72 Prozent ausgegangen ist. Wir müssen uns
darüber klar sein, dass das ein Mengenziel ist und kein
ökologisches Ziel. Daraus entwickeln wir unsere Forderung nach der Innovationsklausel.
Diese Innovationsklausel hat natürlich ihren Sinn.
Denn von 1991 bis heute haben sich die technischen Voraussetzungen in der Verpackungswirtschaft deutlich
verändert.
({1})
Das sollten Sie, Herr Müller, zur Kenntnis nehmen,
wenn Sie über diese Dinge sprechen.
Im Übrigen, Herr Müller, Sie reden über Kreislaufwirtschaft und geschlossene Stoffströme usw. Wer hat
denn die Kreislaufwirtschaft eingeführt? Es war eine
CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die diese Dinge
eingeführt hat, und nicht eine SPD-geführte Regierung.
({2})
Ihre Äußerungen, Herr Müller, haben uns deutlich vor
Augen geführt, dass Sie persönlich - wie auch der größte
Teil der SPD-Fraktion - in Ihrer Denkweise der Entwicklung um zehn Jahre hinterherhinken.
({3})
Ihrer Äußerung, das Unterschreiten der Quote habe
das In-Kraft-Treten des Gesetzes verhindert, ist die
Frage entgegenzuhalten, warum die Quote nicht eingehalten wurde. Sie wurde nämlich auch deswegen nicht
eingehalten, weil sich die technischen Voraussetzungen
für die Verpackungsherstellung in diesen zehn Jahren
deutlich verändert haben.
({4})
- Wenn man sich ein bisschen mit dieser Materie befasst, dann bekommt man das mit. Wenn man sich mit
diesem Thema befasst, erkennt man, dass das Mehrwegsystem durchaus sinnvoll ist
({5})
und dass in bestimmten Fällen den technischen Innovationen Rechnung getragen werden muss.
({6})
Deswegen fordern wir eine Innovationsklausel,
({7})
die rechtlich verlässlich ist, bestimmte Kriterien beinhaltet und Bewertungsverfahren sowie die Intervalle, in denen die ökologische Überprüfung erfolgt, festlegt.
({8})
Solche Regelungen erwarten wir von der Verpackungsverordnung. Dann können Sie sich unserer Zustimmung
sicher sein. Denn auch wir stehen im Prinzip zur Mehrwegverpackung.
({9})
Ich möchte noch auf die volkswirtschaftlichen Aspekte dieses Themas eingehen. Es gibt in Deutschland
ein funktionierendes Verpackungsrücknahmesystem.
In keinem anderen Land werden so viele Verpackungsgegenstände wieder eingesammelt und in den Stoffkreislauf zurückgeführt.
Mit der vorgesehenen Novelle der Verpackungsverordnung würde ein Parallelsystem eingeführt. Darüber
müssen wir uns alle im Klaren sein. Wir müssen den
Bürgerinnen und Bürgern auch mitteilen, dass die Einführung eines solchen Parallelsystems mit zusätzlichen
Kosten verbunden ist.
({10})
Auch was das Parallelsystem angeht, haben wir bereits technische Erfahrungen gesammelt. Der Stand der
Technik hat sich in den zurückliegenden Jahren auch in
diesem Bereich deutlich verändert.
Ich fordere Sie in diesem Sinne auf: Schließen Sie
sich der Innovationsklausel an!
({11})
Legen Sie uns einen Vorschlag vor, mit dem wir uns beschäftigen können! Wir sind für Ihre Vorschläge offen.
Möglicherweise bekommt dann die Novelle der Verpackungsverordnung dank der CDU/CSU einen guten Anstrich.
Herzlichen Dank.
({12})
Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich dem
Kollegen Josef Göppel das Wort zu einer persönlichen
Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte
zu der Abstimmung folgende Erklärung abgeben: Ich bin
grundsätzlich für die Verordnung. Schon im Bayerischen
Landtag bin ich für die Pfandregelungen eingetreten, was
dann auch zu einem entsprechenden Beschluss geführt hat.
An der Aktion „Dosenfreie Zone“ haben sich zahlreiche
CSU-Politiker - darunter auch ich - beteiligt.
({0})
- Warten Sie, bevor Sie so applaudieren! Meine heutige
Gegenstimme bezieht sich auf die fehlende Präzisierung
des Verfahrens und der Inhalte,
({1})
inwiefern - unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit in diesem Hause - neue Verpackungen als ökologisch vorteilhaft eingestuft werden können.
({2})
Ich rate dazu, in den nun folgenden Beratungen im
Bundesrat auf diese Vorschläge einzugehen, damit ein
konstruktives Ergebnis erzielt werden kann. Dann wird
eine Lösung zustande kommen, die von einer breiten
Mehrheit getragen wird. Die Messlatte dafür muss die
jeweils günstigste Mehrwegverpackung sein. Dann wird
es auch niemand mehr verhindern können, dass die Verpackungen endlich überall in einem landesweiten Rücknahmesystem zurückgegeben werden können. Diese von
einer breiten Mehrheit getragene Lösung ist mein Ziel.
({3})
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/1343 zu der
Dritten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung
der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt,
der Verordnung auf Drucksache 15/1179 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/729 zu
dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/315 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004
({0})
- Drucksachen 15/1186, 15/1223 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
- Drucksache 15/1021 ({2})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3})
- Drucksache 15/1347 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Peter Kemper
Silke Stokar von Neuforn
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 15/1350 Berichterstattung:
Abgeordnete Susanne Jaffke
Klaus Hagemann
Anja Hajduk
Otto Fricke
Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je
ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
und der Fraktion der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Hans-Peter Kemper von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in einer sehr schwierigen finanziellen Situation
über die Anpassung von Besoldung und Versorgung. Dabei geht es um folgende wesentliche Punkte:
Der erste Punkt betrifft die Übertragung der Ergebnisse der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auf
Besoldung und Versorgung. Seit langem gilt es als ausgemacht - das ist völlig unstrittig -, dass die Ergebnisse
der Tarifverhandlungen wirkungsgleich auf Besoldung
und Versorgung übertragen werden. Das haben unser Innenminister und die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen sehr frühzeitig zugesagt. Daran werden wir uns
auch halten. Wir werden die Ergebnisse der Tarifverhandlungen wirkungsgleich übertragen.
({0})
Lange Zeit galt es ebenso als ausgemacht, dass auch
der Kompensationsteil, der in den Tarifverhandlungen
für die Arbeiter und Angestellten vereinbart worden ist,
auf Besoldung und Versorgung übertragen werden sollte.
Das bedeutet selbst bei einer wirkungsgleichen Übertragung eine zeitliche Verschiebung von exakt drei Monaten.
({1})
Ich möchte hier ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU richten, die in dieser Frage plötzlich
Bedenken bekommen haben.
({2})
Sie kritisieren die Verschiebung als ungerecht, obwohl
gerade die unionsgeführten Bundesländer im Bundesrat
sehr viel Wert darauf gelegt und massiv darauf gedrungen haben. Sie wollten weit über das hinausgehen, was
wir heute beschließen.
({3})
Natürlich kann man das anders machen. Aber Sie versuchen, sich hier einen schlanken Fuß zu machen. Sie sind
bis zu einem gewissen Grad feige und unehrlich.
({4})
Ich will Ihnen jetzt gar nicht vorhalten - darüber haben
wir ja in den letzten Legislaturperioden ausführlich diskutiert -, wie oft Sie in den letzten zehn Jahren eine zeitliche Verschiebung bei der Übertragung der Ergebnisse
der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auf Besoldung und Versorgung vorgenommen haben. Ich
glaube, es war in den letzten zehn Jahren nicht ein Tarifabschluss dabei, dessen Übertragung Sie nicht zeitlich
oder inhaltlich verschoben haben. Ich glaube, dass Sie
selbst von Ihrer heftigen Kritik an dem, was jetzt vorgeschlagen worden ist, nicht überzeugt sind und dass Sie
nicht ehrlich sind; denn auch Sie kennen die Fakten.
({5})
Es geht des Weiteren um eine Öffnungsklausel - diese
haben die Länder im Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossen -, die die Möglichkeit bietet, die Besoldungsanpassung um weitere drei Monate zu verschieben. Die
unionsgeführten Länder waren hier übrigens vorneweg.
({6})
- Es stimmt, dass auch Nordrhein-Westfalen dabei war.
Ich habe ja gesagt, dass die Länder diese Öffnungsklausel mit großer Mehrheit beschlossen haben.
Dem wollen wir jedenfalls nicht folgen. Wir wollen
es bei einer einmaligen Verschiebung um drei Monate
als Kompensationslösung belassen; denn für eine weitere Verschiebung gibt es keine überzeugende Begründung.
Bei den heutigen und auch bei allen künftigen Veränderungen gilt für uns im Hinblick auf die Beamten der
Grundsatz: keine Privilegien, aber auch keine Sonderopfer.
({7})
In öffentlichen Veranstaltungen und auch in den Medien wird oft die Forderung erhoben, den öffentlichen
Dienst stärker zur Kasse zu bitten. All diejenigen, die
glauben, man könne über das hier Vorliegende weit hinausgehen, vergessen, dass in den Bereichen der Feuerwehr, der Polizei und der Justiz kaum Personen arbeiten,
die nach A 13 bis B 11 besoldet werden; ihre Besoldungsstufe liegt vielmehr deutlich darunter. Diese Menschen leisten eine hervorragende, eine engagierte und oft
auch eine gefährliche Arbeit. Es wäre unfair, ihnen
durch eine Verschiebung zusätzliche Lasten aufzubürden.
({8})
Im Übrigen wäre es unfair und unrichtig, so zu tun,
als ob die einzelnen Beamten die finanzielle Situation, in
der wir uns jetzt befinden, verursacht hätten. Wenn alle
Abstriche machen müssen, dann kann man das auch von
den Beamten verlangen; das ist überhaupt keine Frage.
Sie sind dazu auch durchaus bereit. Die Beamten dürfen
allerdings nicht den Eindruck gewinnen, sie seien die
Prügelknaben oder die Sparschweine der Nation. Sie
dürfen zu Recht erwarten, dass sie für eine Leistung, die
sie unzweifelhaft erbringen, angemessen entlohnt werden.
Wir wollen uns einer fast einhelligen Forderung nach
Öffnungsklauseln in Bezug auf das Weihnachtsgeld und
das Urlaubsgeld, also auf die jährlichen Sonderzuwendungen, allerdings nicht verschließen. Die Länder benötigen dringend Finanzspielräume. Im Übrigen sind wir
auf die Zustimmung des Bundesrats und damit der
Mehrheit der Länder angewiesen. Wir regeln die Zuständigkeiten neu. Es bleibt den Ländern überlassen, die
Spielräume, die wir ihnen einräumen, vernünftig zu nutzen. Auf der Bundesebene wird es in diesem Jahr weder
beim Urlaubsgeld noch beim Weihnachtsgeld Kürzungen geben.
Die Länder haben ihr Vorgehen selbst zu verantworten. Wir raten, bei den Einschränkungen soziale Staffelungen vorzunehmen; denn für die Angehörigen der unteren und mittleren Besoldungsgruppen wirken sich
Kürzungen beim Weihnachtsgeld ungleich härter als bei
den Spitzenverdienern aus. Wir werden die Angleichung
der Löhne und Gehälter in Ost und West vorantreiben.
Die in den Tarifverhandlungen in dieser Hinsicht erzielten Ergebnisse werden wir übernehmen.
Wir haben es im Grundsatz mit zwei Gesetzesvorhaben zu tun: zum einen mit der Übernahme des Tarifergebnisses, zum anderen mit strukturellen Veränderungen. Da diese Gesetzesvorhaben inhaltlich und zeitlich
sehr eng verknüpft sind und da sie von den Betroffenen
als Einheit gesehen werden - die Beamtinnen und Beamten werden die Auswirkungen, ob negative oder positive,
auf jeden Fall auf ihrem Gehaltszettel bemerken -, haben wir sie zu einem Gesetzesvorhaben zusammengefügt.
Ich weiß, dass die geplanten Regelungen weder bei
den Beamten noch bei ihren Berufsorganisationen
Freude auslösen. Wenn wir einen leistungsstarken öffentlichen Dienst und die langfristige Bezahlbarkeit von
Besoldung und Versorgung sichern wollen, dann gibt es
aber keinen anderen Weg.
Uns allen - da spreche ich fraktionsübergreifend - ist
aber auch klar, dass es mit ständigen Korrekturen an Besoldung und Versorgung allein nicht getan ist, sondern
dass wir langfristig strukturelle Veränderungen vornehmen müssen; deswegen haben wir vereinbart, nach
der Sommerpause eine Anhörung mit einer ausführlichen Beratung über strukturelle Veränderungen des öffentlichen Dienstes durchzuführen. Ich denke, wir werden an einem Strang ziehen, um die Zukunft des
öffentlichen Dienstes zu sichern und den Leistungen der
Beamten gerecht zu werden.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang
Bosbach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen
Kolleginnen und Kollegen wird es heute nicht leicht fallen, dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften
zuzustimmen. Mir geht es dabei nicht anders. Es waren
gerade die Bundesländer, die Anfang der 70er-Jahre den
bundesweiten Besoldungswirrwarr durch eine Vereinheitlichung des Besoldungsrechts im Bund und in den
Ländern beenden wollten. Dieses richtige Anliegen
führte 1971 zu einer entsprechenden Änderung des
Grundgesetzes.
Nunmehr wollen die Länder durch die Einführung so
genannter Öffnungsklauseln zumindest in einem Teilbereich die Besoldungsautonomie für ihre Bediensteten
zurückgewinnen. Das hätte zur Folge, dass sich die Beamtenbesoldung wieder ganz unterschiedlich entwickeln
kann und sicherlich auch unterschiedlich entwickeln
wird - je nach Finanzkraft der Länder und des Bundes.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich die Bundesländer die Initiative Berlins, auch Öffnungsklauseln für
die Grundgehälter einzuführen, nicht zu Eigen gemacht
haben, sodass zumindest die Besoldungsordnungen im
Kern bestehen bleiben.
({0})
Es gibt nach wie vor viele gute Gründe für die Beibehaltung der Einheitlichkeit der Besoldung. Aber nicht
nur der Bundeshaushalt, sondern auch die Etats von Ländern und Kommunen befinden sich aufgrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und wegen der wegbrechenden Steuereinnahmen auf allen Ebenen in einem
katastrophalen Zustand - eine Folge der Politik dieser
Bundesregierung.
({1})
Da der Personalkostenanteil in den Etats der Länder und
Kommunen wesentlich höher ist als in dem Etat des
Bundes, ist es verständlich, dass die Länder Gestaltungsspielräume zurückgewinnen wollen, nicht nur bei
der Besoldung der Beamten, sondern auch im Tarifbereich, zumal von den 4,8 Millionen Staatsdienern nur
1,8 Millionen Beamtinnen und Beamte, aber 3 Millionen
Arbeiter und Angestellte sind, deren Bezahlung nicht
wir als Gesetzgeber, sondern die Tarifvertragsparteien
festlegen. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass insbesondere die Personalkosten, aber auch die Versorgungsaufwendungen gerade die Länder und Kommunen vor
große Herausforderungen stellen und ihre politischen
Gestaltungsspielräume einschränken. Diese Probleme
wird man dauerhaft nicht durch Öffnungsklauseln lösen
können,
({2})
sondern nur dadurch, dass sich der Staat endlich wieder
auf seine Kernaufgaben konzentriert.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Zahl der
Beamten vermehrt sich nicht von selbst. Kein Beamter
sitzt auf einer Stelle, die er selbst geschaffen hat. Es ist
die Politik, die massenweise Gesetze, Rechtsverordnungen und Erlasse fabriziert, die anschließend von der Bürokratie exekutiert werden müssen. Abends wundern wir
uns, warum wir so viel Personal haben. Allein in der
letzten Wahlperiode sind auf der Bundesebene 382 Gesetze und 1 361 Rechtsverordnungen in Kraft getreten.
Allein auf der Bundesebene gibt es heute 5 328 Gesetze
und Rechtsverordnungen mit insgesamt 86 000 einzelnen Vorschriften.
Wir leben in einer Zeit gravierender Veränderungen.
Wir haben einen großen Reformbedarf. Das gilt auch
für den öffentlichen Dienst. Das wissen übrigens die Betroffenen selbst am besten. Wir haben bereits in der Vergangenheit - das gilt noch für unsere Regierungszeit und
das gilt für die Regierungszeit dieser Koalition - eine
Fülle von notwendigen und zum Teil überfälligen Reformen in Gang gesetzt. Aber wir können nicht gleichzeitig
ständig neue staatliche Aufgaben definieren, neue Bürokratie aufbauen und uns anschließend wundern, dass wir
eine so große Bürokratie haben. Das heißt: Reformbedürftig ist auch unser eigenes Tun als Gesetzgeber.
({4})
Einen schlanken Staat und eine schlanke Verwaltung
werden wir nicht mit mehr Gesetzen schaffen, sondern
nur mit Deregulierung und mit Entbürokratisierung,
nicht zuletzt mit motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ganz gleich, ob es Beamte, Arbeiter oder Angestellte sind.
In diesem Sinne bitten wir um eine breite Unterstützung unseres Entschließungsantrags. Wirklich jeder in
diesem Haus kann ihn unterstützen. Auch die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben einen Anspruch darauf, dass nicht nur der jeweilige Dienstherr, sondern
auch und insbesondere die Politik fair und gerecht mit
ihnen umgeht.
Ich danke für das Zuhören.
({5})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung - das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt werden - ist nicht von sich aus tätig geworden. Es war der einmütige Wunsch der Länder, eine Öffnungsklausel einzuführen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass der Antrag der rot-grünen Bundesregierung auf umfangreiche Reformen in der
14. Wahlperiode von den Ländern abgelehnt wurde. Wir
sehen heute, wie groß der Bedarf ist, hier tätig zu werden.
Es hat mich schon etwas überrascht, dass die Länder
jetzt in der Frage einer zeit- und wirkungsgleichen
Übertragung der Tarifvereinbarung, nachdem sie ja
einmütig die Verantwortung für diese mit übernommen
haben, die Haltung der Bundesregierung kritisieren. Die
von den Ländern geforderte Verschiebung der Übertragung um weitere drei Monate kann, wie ich denke, nicht
akzeptiert werden. Ich war mir mit meinem Kollegen
von der SPD sehr schnell darüber einig; deshalb haben
wir uns auch nicht bei den Finanzministern rückversichert, die in diesen Fragen ja immer ein gewichtiges
Wort mitsprechen, als wir gesagt haben, dass es nicht angehen kann, dass die Länder die Finanzierung einer Tarifvereinbarung, für die auch sie die Verantwortung tragen, einseitig den Beamten und Beamtinnen sowie
Versorgungsempfängern aufzubürden versuchen. Deshalb tragen wir die weitere Verzögerung der Übertragung der Tarifvereinbarung nicht mit.
Nachdem hier Berlin so häufig kritisiert worden ist,
möchte ich es einmal loben. Ich finde, dass die Vereinbarung, die die Stadt Berlin jetzt in einer extrem schwierigen Finanzsituation in der Frage der notwendigen Personaleinsparungen und der Eröffnung von Perspektiven für
den öffentlichen Dienst mit den Gewerkschaften getroffen hat, vorbildlich ist. Ich wünsche mir, dass wir auch
auf Bundesebene diesen Weg einschlagen.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen, dass ich
die unangemessene Kritik, die in der Vergangenheit an
den Gewerkschaften und auch am Deutschen Beamtenbund geübt wurde, nicht teile. Bei den weiteren Diskussionen um die Zukunft des öffentlichen Dienstes und
insbesondere bei den Verhandlungen über strukturelle
Reformen wünsche ich mir starke Gewerkschaften als
gleichwertigen Partner; denn gerade das Beispiel Berlin
hat deutlich gemacht, dass man mit den Gewerkschaften
durchaus zu einer vernünftigen Einigung kommen kann.
Es ist von meinem Kollegen Herrn Kemper schon gesagt
worden, dass wir im Innenausschuss entschieden haben,
nach vorne zu gehen. Wir werden gleich nach der Sommerpause eine Anhörung zu strukturellen Reformen im öffentlichen Dienst durchführen.
({0})
Wir brauchen das Rad hier nicht neu zu erfinden. Herr
Clement hat damals in Nordrhein-Westfalen eine Kommission eingesetzt, die heutige Bull-Kommission. Hier
sind sehr gute Vorschläge für umfangreiche Reformen
erarbeitet worden. Sie berühren ja nicht nur das Beamtenrecht, sondern wir brauchen - das wissen Sie alle auch im BAT-Bereich Reformen. Wir werden hier auch
die Frage einbeziehen müssen, welche Staatsaufgaben
wir wie erledigen wollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Abschluss kommen: Ich gehöre zu den Leuten, die der
Auffassung sind, dass wir einen hoch qualifizierten
öffentlichen Dienst in Deutschland brauchen. Die Erledigung von Aufgaben durch Staatsbedienstete möchte ich
nicht, wie es in Äußerungen vonseiten der CDU/CSU
anklang, auf Kernaufgaben reduzieren. Diese müssten
ja auch erst einmal definiert werden. Außerdem ist mit
dem Schlagwort Reduzierung auf Kernaufgaben immer
Privatisierung verbunden. Damit geht eine schlechte Erledigung von Staatsaufgaben einher. Das haben wir bei
den Kommunen erlebt, die den Weg der Privatisierung
gegangen sind. Ich möchte, dass die Staatsaufgaben auch
von Staatsbediensteten erledigt werden. Die Staatsbediensteten haben dann natürlich auch einen Anspruch
darauf, für die ihnen zukommenden Aufgaben gut ausgebildet und leistungsgerecht bezahlt zu werden.
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit einer Bemerkung zum Verfahren
beginnen: Am Dienstag haben wir in etwa stündlicher
Abfolge Änderungsanträge sowie Änderungen zu den
Änderungsanträgen bekommen.
({0})
Ich halte ein solches Verfahren für nicht in Ordnung. Die
von der FDP beantragte Anhörung ist abgelehnt worden.
Ich sage Ihnen: Solch wichtige Gesetze ohne eine Anhörung, dafür aber mit ständig neuen Änderungsanträgen,
die keiner mehr lesen konnte, zu verabschieden, entspricht nicht einem seriösen Gesetzgebungsverfahren.
Unsere Beamten haben jedoch ein Recht auf ein seriöses
Verfahren.
({1})
Heute haben wir wieder die Begriffe „zeit- und wirkungsgleich“, „inhalts- und wirkungsgleich“ sowie
„zeit- und inhaltsgleich“ gehört. Man kann sie fast beliebig kombinieren. Herr Kemper, Sie haben von wirkungsgleich gesprochen, Frau Stokar hat von zeit- und wirkungsgleich gesprochen. In Bad Kissingen wurde von
allen gesagt: Wir verbürgen uns für eine zeit- und
wirkungsgleiche Umsetzung der besoldungsrechtlichen
Vorschriften.
({2})
Das ist nicht geschehen und auch das ist nicht in Ordnung.
({3})
Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst wurde
damals - auch von uns - als zu hoch bewertet. Die Verhandlungsführer - auch Sie, Herr Minister - sind dann
eingeknickt. Ich halte es nicht für richtig, an dieser Stelle
zu sparen und zu sagen, dass die Beamten drei Monate
länger auf die Besoldungserhöhung warten müssen. Das
verletzt den Gleichklang von Tarif und Besoldung. Dabei werden wir nicht mitmachen. Wir sprechen uns dezidiert gegen eine Besoldung nach Kassenlage aus. Deshalb werden wir als FDP dem Teil des Gesetzentwurfes
nicht zustimmen.
({4})
Lassen Sie mich - ich glaube, damit spreche ich das
ganze Haus hier an - noch eines deutlich machen: Wir alle
- wir Innenpolitiker sowieso - tragen eine große Verantwortung dafür, dass wir einen öffentlichen Dienst von
hoher Qualität haben. Zu einem öffentlichen Dienst von
hoher Qualität gehören die entsprechenden Beamten und
Angestellten. Deshalb können wir nicht zusehen, wie die
Beamtenbesoldung sozusagen als Steinbruch für den Finanzminister verwendet wird.
({5})
Wir dürfen übrigens auch nicht zusehen, wie - das betrifft weniger die Innenpolitiker, aber viele andere - populistisch auf den Beamten herumgehackt wird. Sonst
werden wir im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte - das
betrifft auch die Beamten - den Kürzeren ziehen. Das
dürfen wir gerade als Innenpolitiker nicht zulassen.
({6})
Wir können deshalb nicht den Weg der ständigen
Korrekturen an der Besoldung gehen. Vielmehr muss die
öffentliche Verwaltung auf die Kernaufgaben konzentriert werden und darüber müssen Einsparungen erreicht
werden.
({7})
Lassen Sie mich angesichts der Kürze der Zeit nur
noch zwei Bemerkungen zu den Öffnungsklauseln machen. Wir halten diese für den falschen Weg. Deshalb
haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir
bitten Sie herzlichst, diesen intensiv zu beraten. Wir
schlagen vor, das Besoldungsrecht zu modernisieren,
dem Dienstherrn mehr Freiheiten für eine sachgerechte
Bezahlung einzuräumen, Sonderzuwendungen in die Tabellen einzubauen und die Besoldungstabellen neu zuzuschneiden, um mehr Luft zu bekommen, um einerseits
mehr auf den Arbeitsmarkt reagieren zu können und andererseits eine stärkere Leistungsbezahlung zu verwirklichen. Deswegen werden wir dem Konzept der Öffnungsklauseln nicht zustimmen.
Wir fordern eine seriöse Gesetzgebung. Wir fordern,
die öffentlichen Aufgaben auf den Kern zu konzentrieren, aber nicht ständig an der Besoldung etwas zu ändern. Wir fordern vor allem, für unsere Beamten einzustehen. Wir haben hoch motivierte, gute Beamte. Das
sollte man hier betonen.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Burgbacher, Sie müssen schon bei der Wahrheit
bleiben: Durch diesen Gesetzentwurf wird, wie Herr
Kollege Kemper es hier bekräftigt hat, der Tarifabschluss bei der Beamtenbesoldung in der Tat wirkungsund inhaltsgleich umgesetzt.
({0})
Ich halte also die Zusage ein, die ich in Potsdam gegeben
habe.
Durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung ist
sichergestellt, dass auch die Beamten, Richter und Soldaten sowie Versorgungsempfänger ungeachtet der bestehenden schwierigen Rahmenbedingungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Ich bin
übrigens der Meinung, dass Kritik, die aus der freien Wirtschaft gekommen ist, angesichts der Tarifabschlüsse in
der freien Wirtschaft in jeder Weise ungerechtfertigt ist.
({1})
Im Tarifbereich werden die Dienst- und Versorgungsbezüge für die Beamten, Richter und Soldaten in drei
Schritten linear um insgesamt 4,4 Prozent angehoben
und die tariflich vereinbarten Einmalzahlungen übertragen. Der Gesetzentwurf enthält übrigens auch eine soziale Komponente: Die ganz oberen Einkommensklassen der Minister und Staatssekretäre nehmen an der
Erhöhung nicht teil, werden allerdings an den Kürzungen teilzunehmen haben. Auch dies darf man an dieser
Stelle ruhig einmal erwähnen.
Selbstverständlich müssen auch die im Tarifrecht vereinbarten Entlastungsmaßnahmen wirkungsgleich übertragen werden, Herr Kollege Burgbacher. Sie sind untrennbarer Bestandteil des Tarifabschlusses. Die
Verschiebung der Erhöhungszeitpunkte um jeweils
drei Monate ist in ihrer Wirkung - das haben wir genau
berechnet - mit den Entlastungsmaßnahmen des Tarifabschlusses vergleichbar. Für die Beamtinnen und Beamten ist dies eine angemessene und gerechte Lösung.
Der Vorwurf aus den Reihen der Opposition, der Gesetzentwurf fordere von den Beamtinnen und Beamten
Sonderopfer, weshalb die dreimonatige Verschiebung
zurückzunehmen sei, ist einigermaßen bizarr.
({2})
Wenn die präzise Übertragung nicht nur der tariflichen
Verbesserungen, sondern auch der tariflichen Kompensationen ein Sonderopfer sein soll, dann frage ich Sie,
wie der Antrag des Bundesrates zu verstehen ist, der mit
der Mehrheit der von CDU bzw. CSU und FDP regierten
Länder zustande gekommen ist und in dem verlangt
wird, die Verschiebung um drei Monate auf insgesamt
sechs Monate zu verlängern. Dazu müssen Sie sich einmal äußern, meine Damen und Herren.
({3})
- Sie verfangen sich hier einmal mehr in Ihren Widersprüchen. Im Bundestag wollen Sie sich als Schutzpatrone der Beamtinnen und Beamten aufspielen und
fordern allerlei Wohltaten; im Bundesrat beschließen Sie
das genaue Gegenteil. Das passt nicht zusammen. Irgendwann müssen Sie sich einmal sortieren.
({4})
Anderenfalls muss ich auf den schönen alten Spruch von
Karl Valentin zurückkommen: Mögen hätten Sie schon
wollen, aber dürfen haben Sie sich nicht getraut. Dies ist
keine gute Regel für die Politik.
Meine Damen und Herren, im zweiten Teil des Gesetzentwurfs wird eine begrenzte Öffnung des Besoldungsrechts beim Weihnachts- und Urlaubsgeld vorgenommen. Wie Sie alle wissen - das wurde hier ja auch
schon erwähnt -, geht sie auf ein nahezu einstimmiges
Ländervotum zurück. Mit Blick auf die unterschiedliche
Verteilung der Personalkosten - die CDU/CSU hat in ihrem Antrag selbst hervorgehoben, dass der Bundesrat in
dieser Weise votiert hat - sollte in diesem Hause Einvernehmen darüber bestehen, dass sich der Bundesgesetzgeber dieser Bitte des Bundesrates nicht verschließen
kann. Ich begrüße es daher, dass sich auch die CDU/
CSU-Fraktion, wenn auch erst im zweiten Anlauf, entschlossen hat, diesem Antrag der Koalition zuzustimmen.
Auch eine späte Einsicht ist lobenswert; ich hoffe, dass
sich dies in Ihrem Abstimmungsverhalten niederschlägt.
Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU
und insbesondere von der FDP, ich vermisse eine klare
Linie. Auf der einen Seite kritisieren Sie Flächentarifverträge und starre Regelungen und verlangen Flexibilisierung. Wenn man sich hier an einer Stelle von einem
starren System löst und Flexibilisierung beschließt, dann
ist es Ihnen auch wieder nicht recht. Sie müssen sich hier
schon auf eine einheitliche Linie verständigen.
Wir sollten diese Flexibilität, die wir damit schaffen,
nicht gleich wieder einsammeln. Denn diesen Gestaltungsspielraum gilt es zu nutzen. Das ist eine Maßnahme, die die Länder einhellig fordern. Wir sollten ihnen da keine Hindernisse in den Weg legen.
Hier im Hause besteht im Wesentlichen Einvernehmen darin - das habe ich den Beiträgen entnommen -,
dass wir im öffentlichen Dienst eine gleich gerichtete
Einkommensentwicklung wahren müssen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser Zielsetzung mit einer
1 : 1-Übernahme des Tarifabschlusses auf die Beamtinnen und Beamten Rechnung getragen, insbesondere im
Bereich der linearen Bezüge.
Das gilt auch dann, wenn es aufgrund der neu geschaffenen Öffnungsklausel zu Einschnitten kommen
kann. Denn bei der Betrachtung der Einkommen kann
nicht nur auf die Bruttobeträge abgestellt werden. Es
wird ja wohl niemand im Ernst behaupten, dass die Beamtinnen und Beamten beim Vergleich der Nettoverdienste gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern benachteiligt werden. Ich jedenfalls werde
weiterhin darauf achten, dass die Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst gleich gerichtet entwickelt und die Statusgruppen nicht unterschiedlich behandelt werden.
Der heute vorgelegte Gesetzentwurf beweist einmal
mehr, dass wir an dem bewährten Gleichklang zwischen
Tarif und Besoldung festhalten und die notwendigen Reformen parallel voranbringen werden. Es bedarf dazu
keiner Aufforderung durch die Opposition. Ein Abweichen von diesen Grundsätzen haben andere gefordert.
Sie sollten ihre Forderungen daher an andere aus ihren
Reihen adressieren. Damit tun sie vielleicht etwas Besseres, als wenn sie sich hier zu Wort melden.
Der Bund wird in diesem Jahr keine Kürzungen im
Bereich des Weihnachtsgeldes vornehmen. Kürzungen
sind aber für das Haushaltsjahr 2004 erforderlich. Um
eine parallele Entwicklung im öffentlichen Dienst zu ermöglichen, hat der Bund Anfang dieser Woche im Tarifbereich die Tarifverträge über das Weihnachts- und das
Urlaubsgeld gekündigt. Ich verstehe gut, dass diese
Kündigung bei den Gewerkschaften nicht unbedingt Begeisterung ausgelöst hat. Wir werden diese Fragen gemeinsam mit den Gewerkschaften im Rahmen der begonnenen Verhandlungen zur BAT-Reform erörtern. Ich
hoffe, dass wir - bei gutem Willen auf allen Seiten - zu
vernünftigen neuen Absprachen gelangen können.
Der Gestaltungsspielraum sollte dabei genutzt werden, um strukturelle Überlegungen einzubeziehen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein Teil des
eingesparten Betrages für eine bessere Leistungsbezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung steht. Wir haben hierfür deshalb in den Haushalt
2004 in einem eigenen Titel zusätzlich 50 Millionen
Euro eingestellt. Ein Teil dessen, was dort zurückgeführt
wird, fließt wieder in das Bezahlungssystem, aber unter
dem Vorzeichen der Leistungsbezahlung. Ich glaube, das
ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wie Sie alle wissen, werden in den kommenden Jahrzehnten Pensionszahlungen in besonderem Maße Belastungen hervorrufen, insbesondere bei den Ländern. Lesen
Sie das noch einmal in meinem zweiten Versorgungsbericht nach. Aus diesem Grunde halte ich es für vertretbar,
bei den notwendigen Maßnahmen zwischen aktiven Beamtinnen und Beamten sowie Versorgungsempfängerinnen und -empfängern zu differenzieren und Einsparungen in unterschiedlicher Höhe vorzunehmen. Über die
Einzelheiten werden wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu beraten haben.
Meine Damen und Herren, ich begrüße es, dass hier
von allen Seiten die Modernisierung des öffentlichen
Dienstes angesprochen worden ist. Die Modernisierung
des öffentlichen Dienstes ist ein wesentliches Element
der grundlegenden Reformen, die wir jetzt mit aller
Kraft voranbringen müssen. Ich lade Sie alle - auch Sie,
Herr Bosbach - ein, daran konstruktiv mitzuwirken.
In diesem Sinne begrüße ich es, dass Sie im Innenausschuss eine Expertenanhörung zur Zukunft des öffentlichen Dienstes durchführen wollen. Ich will daran erinnern: Die besten Experten in diesem Bereich sind die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes selbst, die Beamtinnen und Beamten sowie ebenso
die Tarifbeschäftigten, denen ich an dieser Stelle für ihre
Leistungsbereitschaft und auch für ihr besonderes Engagement bei der Modernisierung des öffentlichen Dienstes herzlich danken möchte.
({5})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Clemens
Binninger.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen!
({0})
- Herr Kollege von der SPD, es ist ein sehr seltsames
Verhalten von Ihnen, „Populist“ zu schreien, nur weil ich
die Menschen in unserem Land begrüße.
({1})
Wir reden heute über zwei Dinge. Zum einen reden
wir über die Besoldungsanpassung. Die Beamten sollen
im Rahmen der Übernahme des Tarifabschlusses mehr
Geld bekommen. Zum anderen reden wir über Öffnungsklauseln. Den Beamten wird Geld genommen, vor
allen Dingen beim Weihnachtsgeld.
Zu dem ersten Thema Besoldungsanpassung haben
wir den Antrag gestellt, eine zeitgleiche Übertragung
des Tarifabschlusses vorzunehmen. Ich möchte daran
erinnern: Alle Parteien haben unmittelbar nach der Tagung des Beamtenbundes in Bad Kissingen eine zeitund inhaltsgleiche Übertragung gefordert. Herr Kollege
Kemper, das Wort „zeitgleich“ kam Ihnen heute nicht
mehr über die Lippen. Von einer zeitgleichen Anpassung
wollen Sie jetzt also nichts mehr wissen. Wir haben uns
für eine zeitgleiche Übertragung eingesetzt; Sie haben
sie abgelehnt. Die Beschäftigten werden das sehr aufmerksam registrieren.
Sie argumentieren immer damit, dass auch wir in der
Vergangenheit die Anpassung zeitlich verzögert durchgeführt hätten. Es ist gar keine Frage, dass das zutrifft.
Jetzt aber haben die Länder mit der Öffnungsklausel eine
Möglichkeit zur finanziellen Kompensation.
({2})
Wir brauchen also keine zusätzliche zeitliche Kompensation. Auch das ist Gegenstand unseres Antrags.
({3})
Zu dem zweiten Thema Öffnungsklausel ist zu sagen,
dass auch für uns dieses Thema schwierig ist. Ich bedauere es sehr, dass der Herr Minister jetzt nicht mehr anwesend ist.
({4})
- In Ordnung. - Ich hätte ihm gerne persönlich etwas zu
dem Thema Öffnungsklausel gesagt; man kann es ihm ja
ausrichten. Wir tragen die Öffnungsklausel mit, weil wir
der Ansicht sind, dass die Länder mit ihrem großen Per-
sonalkostenanteil einen Gestaltungsspielraum brauchen.
Wir sagen aber auch - deshalb haben wir einen Ent-
schließungsantrag eingebracht -: Wir setzen bei der
Ausgestaltung dieser Öffnungsklausel sehr stark darauf,
dass a) das Grundgehalt unangetastet bleibt, dass b) die
Ausgestaltung sozial gerecht erfolgt und dass man sich
c) - das wäre wünschenswert - bei der Ausgestaltung
dem Modell des Deutschen Beamtenbundes, einem
sehr konstruktiven Vorschlag, nähert.
Das ist machbar. Baden-Württemberg wird genau dieses Modell übernehmen. Dann kann man die Öffnungsklausel auch mittragen. Baden-Württemberg setzt damit
den Maßstab auch für die von Rot-Grün regierten Länder. Wir lassen uns überraschen, was von dieser Seite
noch kommt.
({5})
Wir sind uns sicherlich darin einig, dass die Probleme
in der Zukunft nicht gelöst werden, wenn wir alle zwei
Jahre Einschnitte bei den Beamten vornehmen. Ich selber war Beamter; ich habe mit einer sehr niedrigen Besoldungsgruppe begonnen und bin mit einer etwas höheren ausgeschieden. Mitte der 80er-Jahre habe ich im
Monat 750 Euro netto verdient. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das zu viel war. Wir sollten auch daran denken, dass wir beim Thema Beamte nicht nur über Regierungsdirektoren oder Ministerialräte, sondern auch über
Polizeibeamte und Soldaten reden müssen. Denen ist es
kaum zu vermitteln, warum die Gerechtigkeitslücke zwischen Tarifbeschäftigten und ihnen möglicherweise immer größer wird. Wir sind aufgefordert, zu verhindern,
dass dies geschieht.
Im Kern werden wir das Personalkostenproblem nur
dann lösen, wenn wir bereit sind, die Aufgaben des Staates konsequent abzubauen und damit in der Folge Personal abzubauen. Ich teile Ihre Einschätzung nicht, Frau
Kollegin Stokar von den Grünen, dass möglichst viele
Aufgaben beim Staat belassen werden sollen. So werden
wir das Kostenproblem nie in den Griff bekommen. Das
müssen Sie wissen. Ohne Aufgabenreduzierung wird
auch kein Personalabbau möglich sein. Ohne Personalabbau aber wird das Kostenproblem spätestens nach
zwei Jahren wieder auf der Tagesordnung stehen.
Deshalb wird im September auf unsere Initiative hin
- in diesem Zusammenhang gilt mein Dank den Berichterstattern aller Fraktionen - eine Anhörung stattfinden,
auf der wir uns mit diesen Fragen, aber auch mit den
Fragen der Besoldung und den Auswirkungen der Öffnungsklausel befassen wollen.
({6})
Ich hätte den Minister gern gefragt, wie er seinen Personenschützern, den Polizeibeamten, die sich im Zweifel
mit ihrem Leben für ihn einsetzen, erklären will, dass er,
obwohl er ihnen sagt, dass er zwar mit ihrer Arbeit sehr
zufrieden sei und alles für sie tun wolle, als Nächstes ihr
Weihnachtsgeld kürzt. Es hätte mich interessiert, wie er
diese Gratwanderung schafft; denn uns hält er hier vor,
wir würden uneinheitlich argumentieren.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Bitte.
({0})
Lieber Kollege Binninger, ich wüsste gerne, ob Sie
eine Empfehlung haben, wie beispielsweise Ministerpräsident Teufel dies seinerseits seinen Personenschützern
erklären soll.
({0})
- Doch!
({1})
Frau Kollegin Vogt, er wird es ihnen erklären können,
weil Baden-Württemberg die Öffnungsklausel über das
Beamtenbundmodell anwenden wird.
({0})
Der Vorschlag, jetzt zu dynamisieren, kam aus der Beamtenschaft. Insofern ist das für die Beamtenschaft akzeptabel. Deshalb kann Herr Teufel das tun. Ob das auch
der Bund tun wird, wird man sehen.
({1})
Wer ist eigentlich in der Bundesregierung für den öffentlichen Dienst verantwortlich? Wer war der Verhandlungsführer beim Zustandekommen des Tarifabschlusses, der dazu geführt hat, dass die Länder gesagt haben,
sie bräuchten Ausgleichsmaßnahmen? Wer ist zu diesem
Thema seit Monaten auf Tauchstation? Auf alle diese
Fragen gibt es nur eine Antwort: Otto Schily. Er war
nicht da. Er hat dieses heiße Eisen nicht angepackt, sondern andere vorgeschickt. Auch heute wieder muss sein
Staatssekretär aufpassen.
({2})
Der Minister ist wahrscheinlich wieder auf Tauchstation,
um sich vor einer Position zu drücken. Das registrieren
die Beschäftigten und die Berufsvertretungen sehr aufmerksam.
Dass eines klar ist: Wir - die Abgeordneten, der öffentliche Dienst, die Berufsvertretungen und auch Sie,
wenn Sie ehrlich sind, von der AG und aus dem Innenausschuss - wissen nach dieser Debatte: Wir haben von
diesem Minister, was das Thema Impulse und Reformansätze im öffentlichen Dienst angeht, nichts mehr zu erwarten. Ich freue mich trotzdem auf die Zusammenarbeit. Wir bieten sie noch einmal an. Danke, dass Sie
unseren Vorschlag angenommen haben. Ich hoffe sehr,
dass Sie unserem Entschließungsantrag, der sich ganz
stark auf die Ausgestaltung der Öffnungsklausel bezieht,
zustimmen werden. Daran werden wir schon heute messen können, ob es Ihnen mit den Beamten ernst ist oder
ob das bei Ihnen nur Populismus war.
Herzlichen Dank.
({3})
Was möchten Sie?
Ich möchte eine Kurzintervention machen.
({0})
Es ist eigentlich nicht üblich, eine Kurzintervention
zu machen, wenn man schon einen Redebeitrag hatte.
Versuchen Sie, es kurz zu machen.
Frau Präsidentin, ich möchte nur sagen, dass der Kollege Binninger während seiner Rede nicht wissen
konnte, dass der Innenminister zu mir gekommen ist, um
meine Fraktion um Entschuldigung dafür zu bitten, dass
er wegen einer Sitzung des Bundessicherheitsrates an
dieser Debatte nicht teilnehmen kann, und dass wir ihm
das selbstverständlich nachsehen.
({0})
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund
und Ländern 2003/2004. Der Innenausschuss empfiehlt
unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1347, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt
getrennte Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über Art. 1 bis Art. 12 in der
Ausschussfassung ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 bis Art. 12 sind angenommen worden.
Abstimmung über Art. 13 bis Art. 21 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschussfassung. Ich bitte
diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 13
bis Art. 21 sowie Einleitung und Überschrift sind mit
den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP, eine Stimme aus
der CDU/CSU und die Stimme der fraktionslosen Abgeordneten Petra Pau angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP und einer weiteren Stimme bei
Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1363. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU bei einer Enthaltung abgelehnt.
Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 15/1361 soll zur federführenden Beratung
an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den
Rechtsausschuss und an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/1347 zu dem vom
Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung
dienstrechtlicher Vorschriften. Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Innenausschuss, den
Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1021 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble,
Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Wirksamen Zivil- und Katastrophenschutz
schaffen
- Drucksache 15/1097 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Sportausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Es wird darum gebeten, alle Reden zu Protokoll ge-
ben zu können. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist
der Fall. Dann verfahren wir so mit den Reden der Abge-
ordneten Reichenbach, Philipp, Stokar1), Piltz und des
Parlamentarischen Staatssekretärs Körper2).
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1097 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht
- Drucksache 15/1222 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im
Gentechnikrecht
- Drucksache 15/996 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3})
- Drucksache 15/1341 Berichterstattung:
Abgeordnete Matthias Weisheit
Friedrich Ostendorff
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor.
Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
der Abgeordnete Matthias Weisheit.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach dieser Debatte werden wir das Gesetz zur Anpas-
sung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht beschlie-
ßen. Die Frage muss schon erlaubt sein, warum wir über
diese rein organisatorische Maßnahme debattieren müs-
sen. Ich habe den Verdacht, dass die Debatte, die wir in
den letzten Wochen an jedem Freitag geführt haben, mit
Debatten zur grünen Gentechnik fortgesetzt werden soll.
Natürlich hätten wir dieses Gesetz im Zuge der Gesetze
1) Redebeitrag wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
2) Anlage 3
beschließen können, zu denen keine Aussprache stattfindet. Aber das war offensichtlich nicht möglich.
({0})
Diese Anpassung setzt im nachgeordneten Bereich
fort, was mit dem Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 22. Oktober 2002 festgelegt wurde, nämlich die Verlagerung des Aufgabenbereichs grüne Gentechnik vom Bundesministerium für Gesundheit zum
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft.
Damit wäre eigentlich schon alles gesagt, was in diesem Zusammenhang notwendig ist. Ich fordere Sie auf:
Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf einfach zu! Er ist ein
Vorschaltgesetz zur Novelle des Gentechnikrechtes, dessen zügige Umsetzung Sie hier allemal und immer wieder vehement einfordern.
Aber ich habe es schon angesprochen: Ich befürchte,
dieser organisatorische Vorgang soll auch wieder ein
bisschen zum ideologischen Grabenkampf instrumentalisiert werden. Das wird schon ein wenig in dem Antrag
deutlich, in dem Sie sich beschweren, dass das RobertKoch-Institut nunmehr Benehmensbehörde und nicht
mehr Einvernehmensbehörde sei und damit degradiert
werde. Das ist schlichtweg eine Konsequenz aus der Zuständigkeitsverlagerung von einem Ministerium in das
andere.
Ich kann nun alles verstehen; aber diese plötzliche
Liebe zum Umweltbundesamt, das eine Zuständigkeit
verliert, die zum Bundesamt für Naturschutz wandert,
kann ich mir angesichts anderer Debatten, die wir im Zusammenhang mit Pflanzenschutz und anderem im Ausschuss geführt haben, überhaupt nicht vorstellen. Mir
fehlt jedes Verständnis dafür, dass hier plötzlich die
Liebe zum Umweltbundesamt bei Ihnen erblüht.
Wo immer es um grüne Gentechnik geht, finden Sie
Ideologisches und versuchen, die Bundesregierung kräftig anzugreifen, und unterstellen ihr Ideologie. Dann
kommt der Lieblingstextbaustein von der Blockadepolitik der rot-grünen Bundesregierung. Das wird allmählich
langweilig.
({1})
Aber dass Sie auf jeden Gaul in dieser Geschichte aufspringen, zeigt das letzte Interview Ihrer Kollegin
Reiche in „Bild am Sonntag“. Im Gastkommentar ließ
sie sich dazu hinreißen, die unsäglichen Äußerungen des
amerikanischen Präsidenten Bush, die EU verschärfe
durch ihre kritische Haltung zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln das Hungerproblem in Afrika, voll
und ganz zu unterstützen. Ich glaube, das ist restlos lächerlich.
({2})
Ich brauche niemandem zu erklären, dass die EU ein
Vielfaches mehr an Entwicklungshilfe für Afrika ausgibt als die USA und dass gerade die USA die Entwicklungsländer mit ihren subventionierten Agrarüberschüssen überschwemmen und dort die Märkte kaputtmachen.
Um den Hunger langfristig zu bekämpfen, bedarf es einer eigenständigen landwirtschaftlichen Entwicklung
vor Ort und müssen politische Lösungen her und nicht
gentechnische.
({3})
Die gentechnischen Entwicklungen der Firmen sind
weder geeignet noch dazu gedacht, den Welthunger zu
bekämpfen. Ihre Produkte, etwa die von Monsanto, zielen darauf, in den großen Märkten der USA und Europas
abgesetzt zu werden. Denn nur dort können sie mit Profit
verkauft werden. Das Profitstreben kann man den Firmen auch nicht vorwerfen.
Aber das bedeutet im Gegenzug, dass ein Großteil der
Entwicklungen nicht dort eingesetzt werden kann, wo
das Geld nicht vorhanden ist, entsprechendes Saatgut zu
kaufen. Ich zitiere aus dem Kompendium „Gentechnik
und Lebensmittel“ der Firma Monsanto:
Es stimmt, dass die meisten der bisher hergestellten
gentechnisch veränderten Kulturpflanzen für die
Landwirtschaft der kapitalstarken industrialisierten
Länder bestimmt sind. Es trifft auch zu, dass die
Landwirte in den Entwicklungsländern sich dieses
Saatgut zu den Preisen, wie sie in den Industrieländern verlangt werden, nicht leisten können.
Damit ist in diesem Zusammenhang und zu diesem Vorwurf, den man zurückweisen muss, eigentlich alles gesagt.
Für mich bleibt noch - auch angesichts der Debatte
von gestern Abend, die wir zum Agrarbericht geführt haben - eine spannende Frage: Wie soll man die grüne
Gentechnik offensiv vorantreiben, wenn bei den Verbrauchern in Europa und in der Bundesrepublik eigentlich eine überwiegende Ablehnung solcher Lebensmittel
vorhanden ist?
({4})
- Die Kennzeichnungspflicht kommt ja jetzt. Gott sei
Dank hat das EP auch die notwendigen Grenzwerte festgelegt und die Debatte abgeschlossen. Dann kann man
sie umsetzen.
Aber die Chance, für spezielle europäische und deutsche Produkte mit einem besonderen Qualitätsmerkmal,
nämlich gentechnikfrei, zu werben und für diese Produkte einen Markt zu haben, wird vertan. Wenn man hergeht und den großen Mischmasch mit gentechnisch verändertem Raps, mit gentechnisch verändertem Mais und
so fort, der in aller Welt angeboten wird, bei uns auch
einführen will, ist das eigentlich genau der verkehrte
Weg in diesem Bereich.
Hier sehe ich einen ganz großen Widerspruch zu dem,
was wir gestern Abend von der Opposition in der Debatte hier zu hören bekamen, und zu dem, wie sie sich
verhält.
({5})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist zu diesem
Punkt eigentlich alles gesagt, was zu sagen war. Ich fordere Sie nochmals auf, unserem Gesetzentwurf zur Anpassung von Zuständigkeiten zuzustimmen; denn wenn
es jetzt bei dem entsprechenden Ministerium angesiedelt
wird, dann ist es mehr als logisch, dass auch die Zuständigkeiten bei den nachgeordneten Behörden verlagert
werden. Ihren Antrag werden wir leider ablehnen müssen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut
Heiderich.
Frau Präsidentin! Verbliebene Kolleginnen und Kollegen!
({0})
- Verbliebene! Ich freue mich über die große Beteiligung, die wir in diesem Hause heute noch haben.
Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Weisheit muss ich
sagen, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung weder von seinem Inhalt her noch ansonsten
notwendig ist. Er ist auch nicht hilfreich; denn die Entscheidung des Bundeskanzlers, die Zuständigkeit für das
Gentechnikrecht in das Bundesministerium für VEL zu
verlagern, erzwingt keineswegs die Konsequenzen, die
Sie heute hier beschließen wollen.
Die Zerschlagung des Robert-Koch-Instituts als der
weltweit anerkannten und renommierten Gentechnikbehörde in Deutschland, die weitere Zersplitterung des
Genehmigungsverfahrens - dies steckt ja auch in Ihrem Gesetzentwurf, den Sie heute hier vorlegen - und
die besondere Betonung der und die Einengung auf die
naturschutzfachlichen Aspekte sind allesamt ungeeignet,
Ihrem eigenen Regierungsziel gerecht zu werden. Herr
Weisheit, Sie vergessen leider immer, dass in Ihrer Regierungserklärung steht, dass Sie die Bio- und Gentechnik als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts ausbauen wollen.
Ich zitiere einmal, was der „Tagesspiegel“, der nicht
gerade ein Parteiorgan der CDU ist, heute über das eigentliche und offensichtliche Ansinnen dieser Vorlage
schreibt: „Regierung will grüne Gentechnik ausbremsen …“. Ich glaube, damit hat er sehr genau beschrieben, was Ihre eigentliche Intention bei dieser Vorlage
ist.
Dass das Robert-Koch-Institut einen wesentlichen
Anteil an der Entwicklung der Biotechnik in Deutschland und darüber hinaus weltweit hat, brauche ich nicht
weiter zu betonen. Lassen Sie mich nur eine kleine Notiz
am Rande erwähnen: Sie formulieren in Ihrem Gesetzesantrag, dass die entsprechenden Ressourcen des RKI
- so heißt es - auf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit übergehen sollen.
Andererseits verlangen Sie aber, dass das RKI weiterhin
als Benehmensbehörde an allen Genehmigungsverfahren
beteiligt werden soll.
Hier stellt sich doch die Frage, mit welchen Ressourcen das RKI das zukünftig tun soll, wenn Sie ihm vorher
die Ressourcen weggenommen und sie verlagert haben.
Ich meine, auch das zeigt, dass der Gesetzentwurf unausgegoren ist und offensichtlich nur den politischen Intentionen folgt, wie es der „Tagesspiegel“ so hervorragend
dargestellt hat. Auch die Tatsache, dass die neue Behörde das Wort „Verbraucherschutz“ im Namen tragen
soll, bedeutet noch nicht, dass sie in dieser Hinsicht eine
bessere Arbeit leisten würde.
({1})
Das Gleiche gilt, so meinen wir, für die eben auch
schon angesprochene Verlagerung der Zuständigkeit aus
dem Umweltbundesamt in das Bundesamt für Naturschutz. Herr Kollege Weisheit, diese Verlagerung ist
nicht einmal formal begründet, weil sich der Organisationserlass des Kanzlers nicht auf das BMU, sondern
nur auf das BMVEL bezogen hat. Deswegen haben Sie
zu Recht gesagt, dass es sich hier um ein Vorschaltgesetz handelt. Sie wollen sich der Zustimmungspflicht
der Bundesländer, die sie nach dem Gentechnikrecht eigentlich hätten, entziehen, indem Sie das vorziehen und
nicht im Zusammenhang mit dem übrigen Gentechnikrecht novellieren wollen. So, wie der „Tagesspiegel“ das
beschrieben hat, ist hier der Wunsch Vater des Gedankens.
Ich will den Artikel noch weiter zitieren. Hier heißt es
- man höre genau hin -:
Das UBA hingegen gilt Trittin, ebenfalls grünen
Stimmen
- nicht unseren zufolge, als „viel zu liberal“, weil es den Einsatz
der grünen Gentechnik nicht kategorisch ablehnt.
Darum gehen Kreise davon aus, dass das BfN die
großflächigere Anwendung von Genpflanzen in
Deutschland nach Kräften verhindern wird.
Hier wird offensichtlich ideologische Absicht mit den
notwendigen gesetzlichen Änderungen durcheinander
gebracht.
({2})
Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen.
Verehrte Frau Wolff, hören Sie gut zu! Wenn ich richtig
informiert bin, war gestern das Richtfest des UBA in
Dessau. Das UBA wurde in Dessau angesiedelt mit dem
Versprechen, Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern
zu schaffen. Aber durch die Aufgabenübertragung, die
Sie mit Ihrem Gesetzentwurf beschließen wollen, ziehen
Sie die Arbeitsplätze wieder von Dessau ab und verlagern sie in Richtung Bonn. Auch das ist eine Fehlentscheidung.
Gerade in Sachsen-Anhalt gibt es hervorragende lokale Kompetenzen in Sachen Gentechnik. Ich erinnere
an die Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen in Quedlinburg oder an das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben.
Ich denke aber auch an die Initiativen des Nachbarlandes
Sachsen, die bis 2005 200 Millionen Euro in eine Biotechnologieoffensive investieren werden. In diesem Zusammenhang wird auch von der Biocity Leipzig und
vom Bioinnovationszentrum Dresden gesprochen. Hier
gibt es eine ganze Reihe von guten Ansätzen. Auch deswegen ist die Entscheidung, die Zuständigkeit des Umweltbundesamtes für diesen Bereich auf das BfN zu
übertragen, falsch.
({3})
Durch die Schaffung des BVL als zusätzlicher Genehmigungsbehörde wird das bisherige Verfahren nicht
gerade vereinfacht, sondern weiter ausgedehnt und damit noch komplexer und langwieriger. Das kann nicht
Sinn einer solchen Entscheidung sein. Sie handeln damit
in der Verwaltungspraxis genau entgegengesetzt zu dem,
was der Europäische Rat mit der so genannten LissabonStrategie beschlossen hat. Diese Lissabon-Strategie ist
gerade vom Europäischen Parlament im Bereich der
Bio- und Gentechnik angemahnt worden. Dabei ist es
die Intention der SPD und der Grünen, in diesem Bereich bis zum Jahre 2010 an die Weltspitze zu gelangen.
Das, was Sie hier machen, ist aber genau das Gegenteil,
nämlich eine Verhinderungsstrategie.
Es ist nicht nur dem „Tagesspiegel“, sondern auch einer Reihe von grünen Abgeordneten, die in dem Artikel
zitiert werden, aufgegangen, dass es Intention dieses Gesetzentwurfs ist, von Entscheidungen nach wissenschaftlichen Kriterien wegzukommen und sich immer mehr an
den politischen Intentionen der grünen Fraktion auszurichten. Ich will nur daran erinnern, dass wir bei der
ZKBS, der Zentralen Kommission für die Biologische
Sicherheit, mehrfach öffentliche Debatten darüber führen mussten, dass grüne Minister in die Entscheidung
der ZKBS eingegriffen haben, um sie nachträglich zu
korrigieren oder aufzuhalten. Dieses Verfahren ist bei
exakten wissenschaftlichen Beurteilungen nicht haltbar.
Sie versuchen mit diesem Gesetzentwurf wieder einmal, ein Stück ordentlicher wissenschaftlicher Beurteilung des Gentechnikrechts wegzuräumen und Ihren
ideologischen Vorstellungen ein bisschen mehr Raum zu
verschaffen. Dagegen erklärt Ihr Wirtschaftsminister
Clement - das ist ein völliger Widerspruch, Herr Kollege
Weisheit -, er werde sich mit Nachdruck dafür einsetzen,
dass Europa das Moratorium bei GVO aufhebe, um die
Entwicklung gentechnisch verbesserter Produkte auch in
Deutschland zu forcieren.
Ich sage zum Abschluss: Ich bedauere es, dass die
SPD mit dieser Gesetzesvorlage - Sie selbst haben das
Wort Vorschaltgesetz benutzt - ihren von mir gerade
skizzierten Weg forsetzen will.
Herr Kollege, Abschluss ist Abschluss.
Sie wissen doch selbst ganz genau, dass sowohl Forschung und Entwicklung an Universitäten als auch Saatzuchtunternehmen in Deutschland damit ein völlig falsches Signal bekommen. Deswegen haben wir einen
Entschließungsantrag vorgelegt. Wir bitten Sie darum,
ihm zuzustimmen und Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Matthias Berninger.
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Heiderich, eines will ich klar sagen: Wenn hier
einer - ich habe schon viele Reden von Ihnen gehört eine ideologische Schlacht um die Gentechnik führt,
dann sind Sie es und nicht die Bundesregierung.
({0})
Was interessiert die Bürgerinnen und Bürger im
Land? Sie interessiert zunächst einmal, dass sie eine
Wahlfreiheit haben und eine klare Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel vorfinden. Deswegen ist es mir eine besondere Freude, an diesem Tag davon zu berichten, dass man sich auf europäischer Ebene
geeinigt hat und dass es diese klare Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel in Europa in Zukunft
geben wird.
({1})
Damit haben die Verbraucherinnen und Verbraucher zukünftig die Wahl, ob sie diese Produkte kaufen oder
nicht. Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Voraussetzung ist, um rational mit dem Thema Gentechnik umzugehen; denn es gibt in der Union zu viele, die der Ideologie anhängen, man könne die Gentechnik durch die
Hintertür einführen. Das wird nicht gehen. Diese Technologie muss sich bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern durchsetzen. Sie müssen zur Kenntnis
nehmen, dass in Bezug auf Nahrungsmittel die Verbraucherinnen und Verbraucher Gentechnologie ablehnen.
({2})
Es sind aber nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie wissen, dass auch viele große Unternehmen - Unilever ist nicht gerade ein mittelständischer
Lebensmittelproduzent - die Entscheidung getroffen haben, dass sie keine gentechnisch veränderten Produkte in
ihr Sortiment aufnehmen. Sie folgen damit dem Wunsch
der Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch das muss
man an einem solchen Tag in einer solchen Debatte zur
Kenntnis nehmen.
({3})
Davon sagen Sie in der Regel überhaupt nichts.
({4})
Die Bundesregierung hat zu Beginn der Legislaturperiode die Entscheidung getroffen, die Zuständigkeiten
für die grüne Gentechnik auf das Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
zu übertragen. Es ist doch nur folgerichtig, dass das neu
geschaffene Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Kernkompetenz bekommt, zu
beurteilen, ob gentechnisch veränderte Produkte für die
Verbraucherinnen und Verbraucher eine potenzielle Gefährdung darstellen oder nicht. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es ist vernünftig, dass dieses Bundesamt,
dessen Kernkompetenz es ist, über solche Fragen zu entscheiden, die Hauptaufgabe bekommt.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist das Bundesamt für
Naturschutz. Ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Naturschutz haben es verdient, dass man sie verteidigt. Zu glauben, das seien sozusagen Heerscharen von Truppen, die, „Tagesspiegel“Artikeln folgend, irgendwelche Entscheidungen fern der
Sache treffen, wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich nicht gerecht. Ich empfinde auch die Art
und Weise, wie Sie mit ihnen umgehen, als absolut unangemessen.
({5})
Wir haben es bei der Gentechnik mit der Interaktion
lebender Organismen zu tun. Das ist der Grund, warum
das Bundesamt für Naturschutz hier zukünftig eine stärkere Kompetenz bekommen muss; das ist ein höchst
sachbezogener Grund. Wir haben die Kennzeichnung
geklärt. Jetzt wird die Koexistenz die Grundfrage sein.
Wenn dies nicht geklärt wird, werden gerade die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland die Zeche zu bezahlen
haben. Es gibt Unternehmen, die keine Gentechnik in ihren Produkten haben wollen. Es gibt Landwirte, die sich
vertraglich verpflichten, gentechnikfreie Produkte abzuliefern. Wenn sie dann ernten und Rückstände von gentechnisch veränderten Produkten feststellen, ist ihre
Ernte futsch.
Diese Situation wird in den Dörfern zu massiven
Konflikten führen. Die Politik muss also in der Lage
sein, die Koexistenz so zu regeln, dass die Landwirte die
Freiheit haben, das zu produzieren, was der Markt nachfragt. Auch da wird das Bundesamt für Naturschutz ausgesprochen hilfreich sein. Herr Kollege Deß, das wird
von den Landwirten in Bayern und anderswo genauso
gesehen.
Wir haben alle Interessengruppen, die der Wirtschaft,
der Verbraucher und der Landwirte, zusammengerufen
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger
und gefragt, was sie von der Koexistenz halten. Alle miteinander sagten, dass ihnen die Politik helfen müsse und
ihnen das nicht allein überlassen werden dürfe. Denn die
Folge würde sein, dass einige wenige auf Gentechnik
setzen und die Ernte vieler anderer dadurch verhagelt
wird. Das will niemand, es sei denn die CDU/CSU-Fraktion, weil sie der Gentechnik die Tür öffnen will. Die
Bundesregierung stellt sich klar dagegen.
Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung ausdrücklich gesagt, dass nationale Regelungen
zur Koexistenz notwendig sind. Wir werden das machen.
Wir werden das RKI und dessen Sachverstand entgegen
Ihren Äußerungen weiterhin einbeziehen. Aber wir brauchen eine Struktur, die den neuen Herausforderungen angemessen ist. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit und das Bundesamt für Naturschutz sind unsere Partner. Der Sachverstand in diesen
Ämtern wird in dieser Debatte ausgesprochen hilfreich
sein.
({6})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Sehr gerne.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie zu den
im „Tagesspiegel“ zitierten moderaten grünen Kreisen
gehören, denen zufolge der Präsident des BfN, Herr
Vogtmann, erklärt hat, er „plädiere für ein totales Verbot
der grünen Gentechnik in der Landwirtschaft“ und dass
deswegen die Umstrukturierung des UBA zugunsten des
BfN vorgenommen werde?
Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft:
Ich habe dem „Tagesspiegel“ kein Interview gegeben.
Gegebenenfalls hätte ich das auch unter meinem Namen
gemacht. Dass ich ein moderater Grüner bin, werfen mir
einige vor; andere wiederum begrüßen das. Das tut hier
aber nichts zur Sache.
Erlauben Sie mir zum Abschluss eine klare Aussage
vonseiten der Bundesregierung in Richtung Washington: Der Vorwurf, unsere Politik in der grünen Gentechnik produziere mehr Hunger in der Welt, ist zynisch und
muss in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden.
({0})
Ich denke, dass an dieser Stelle mit der Regierung Bush
die Pferde durchgegangen sind.
Auf der einen Seite werden weltweit jährlich
8 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe im ländlichen
Raum aufgebracht. Der Betrag ist in den vergangenen
zehn Jahren halbiert worden. Auf der anderen Seite bringen wir 1 Milliarde Euro pro Tag für die Landwirtschaft
in den Industrieländern auf. Dieses Ungleichverhältnis
und die Tatsache, dass allein die USA einen Rüstungsetat in Höhe von 400 Milliarden Euro haben - hinzu
kommen weitere 400 Milliarden Euro in den anderen
Ländern der Erde -, tragen weit mehr zum Hunger bei
als unsere an den Interessen der Verbraucher und des
Marktes orientierte Politik im Bereich der grünen Gentechnik, die vorausschauend statt blind technikgläubig
- wie die Positionen, die Sie regelmäßig vertreten - ist.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Christel
Happach-Kasan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Staatssekretär Berninger, ich möchte Ihnen in einem Punkt ausdrücklich Recht geben: Es geht darum,
dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden verteidigen,
wenn sie ihre Aufgaben beim Vollzug der von uns verabschiedeten Gesetze wahrnehmen.
Ich frage Sie aber, Herr Kollege Berninger: Wo waren
Sie, als Greenpeace beispielsweise die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter des RKI angegriffen hat? Warum haben
Sie sie nicht verteidigt? Das habe ich vermisst.
({0})
Damit komme ich zu dem Vorgang, der letztlich den
Anstoß für die vorliegende Gesetzesinitiative von RotGrün gegeben hat. Erinnern wir uns: Im Frühjahr dieses
Jahres wurde in Thüringen ein vom Robert-Koch-Institut
genehmigter Freisetzungsversuch mit pilzresistentem
Weizen vorbereitet. Das Anhörungsverfahren wurde im
Einklang mit EG-rechtlichen Vorschriften durchgeführt,
die unter anderem auch den Schutz von Betriebs- und
Geschäftsgeheimnissen verlangen. Greenpeace hat das
RKI wegen seiner gesetzeskonformen Genehmigung des
Freisetzungsversuchs kritisiert. In der Folge ist das Versuchsfeld widerrechtlich zerstört worden.
Die Kritik von Greenpeace war in der Sache verfehlt.
Wo aber waren Sie, um dies Greenpeace mitzuteilen?
Die Regierung hat mir auf meine Anfrage hin keine Kritikpunkte an der Umsetzung des Gentechnikgesetzes
durch das RKI genannt. Sie können das auf
Drucksache 15/821 nachlesen.
Am 21. Mai aber wurde von den Regierungsfraktionen ein Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Zuständigkeiten verändert werden sollen. Das heißt doch:
Wenn Greenpeace hustet, springt Rot-Grün!
({1})
Dieser Gesetzentwurf ist die unmittelbare Folge der völlig unberechtigten Kritik von Greenpeace und der Angst
von Rot-Grün, sich gegen diese sicherlich mächtige Organisation zu stellen.
Rot-Grün hat dem Druck von Greenpeace nachgegeben. Wir wissen jetzt: Diese Regierung verteidigt zwar
die rot-grünen Interessen, aber nicht die der Menschen in
Deutschland, die Interessen der jungen Generation, die
sich in Deutschland eine Existenz aufbauen möchte, der
arbeitsuchenden Menschen und der mittelständischen
Unternehmen, die die gentechnischen Methoden in der
Pflanzenzüchtung brauchen, um zukunftsfähige Produkte zu entwickeln.
({2})
Sie haben mir in Ihrer Antwort doch selbst mitgeteilt,
verehrte Regierung, dass bereits Unternehmen ins Ausland abgewandert sind.
Der Naturschutz in Deutschland wird durch die
Übertragung von Aufgaben zum Vollzug des Gentechnikgesetzes geschwächt. Die Betreuung von Großschutzgebieten, die Erstellung Roter Listen und der
internationale Naturschutz sind die Kernaufgaben des
Bundesnaturschutzgesetzes.
Werfen Sie einmal einen Blick auf die Internetseite
dieses Amtes! Heute ist dort beispielsweise zu lesen:
„BfN-Feldhamster ‚Konstantin‘ wird zum MultimediaStar“. Das ist die Botschaft, die sich an die Unternehmen
richtet, die die grüne Gentechnik in Deutschland verwirklichen werden. Morgen ist dann vielleicht zu lesen:
„BfN - GVO sind die Renner unter den neu zugelassenen Sorten“. Auch ein Bundesnaturschutzamt muss sich
an Recht und Gesetz halten. Sonst ergeht es dem Amt
wie Minister Müller von den Grünen in Schleswig-Holstein: Er ist im April dieses Jahres mit seinem Versuch,
widerrechtlich die Kennzeichnung einer Sorte zu erzwingen, vor Gericht mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Sein Versuch, mit Behördenwillkür grüne Ideologie durchzusetzen, ist gescheitert. Was lernen wir
daraus? - Wenn sich die Grünen mit grüner Gentechnik
beschäftigen, dann geht es um die Verhinderung dieser
Technologie und um sonst nichts.
({3})
Das Ganze hat nichts mit den Verbraucherwünschen
zu tun; denn wir wissen gar nicht, was die Verbraucher
wirklich wünschen. Verbraucher haben nämlich nicht die
Möglichkeit, an der Ladentheke Produkte der grünen
Gentechnik einzukaufen. Das haben Sie doch verhindert.
Wir wissen außerdem sehr gut, dass ein großer Unterschied zwischen dem, was Verbraucher in Umfragen angeben, und ihrem tatsächlichen Verhalten besteht. Die
theoretische Bereitschaft, mehr Geld für Nahrungsmittel
auszugeben, ist deutlich stärker ausgeprägt als der tatsächliche Griff nach teureren Produkten. Der Ökolandbau hat dies leidvoll erfahren.
Das Ganze hat auch nichts mit dem Schutz der Umwelt oder dem Schutz der Gesundheit zu tun. Kollege
Berninger, Sie haben doch bestätigt, dass bis jetzt keine
Schäden aufgetreten sind.
Zusammenfassend können wir daher feststellen: Eine
Technologie, die von den Grünen als Risikotechnologie
bezeichnet wird, ist besonders sicher. Es gibt andere
Technologien, die nicht so sicher sind, zum Beispiel diejenigen, die im Bergbau eingesetzt werden.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.
Ich komme zum Schluss.
Die FDP fordert in Kenntnis all dieser Dinge Bundeskanzler Schröder auf, seine Richtlinienkompetenz wahrzunehmen und den grünen Spuk der Blockade der Gentechnik zu beenden.
Wir stimmen dem Resolutionsentwurf der CDU/CSU
zu und lehnen den Gesetzentwurf ab.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Deß.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der von der Bundesregierung und der rot-grünen Koalition vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeiten bei der Gentechnik löst nicht
das Kernproblem auf diesem Gebiet, nämlich die Behinderung der Biotechnologie und insbesondere der grünen
Gentechnik durch Rot-Grün. Entscheidend ist nicht, welche Zuständigkeit wohin verlagert wird, sondern ob die
Gentechnik gefördert oder gehemmt wird. Die rot-grüne
Bundesregierung hat sich aber wieder einmal für die
Bremserrolle entschieden und vertreibt so mit Vollgas
Arbeitsplätze im Biotechnologiebereich aus Deutschland.
Die EU-Mitgliedstaaten waren nach EU-Recht verpflichtet, die neue Freisetzungsrichtlinie für transgene
Pflanzen binnen 18 Monaten umzusetzen. Deutschland
hätte dies durch Änderung des materiellen Rechts des
Gentechnikgesetzes bis Oktober 2002 tun müssen. Die
Bundesregierung hat aber diese Frist verstreichen lassen.
Statt im materiellen Teil des Gentechnikrechts - EUkonform - Nägel mit Köpfen zu machen, wie es von EURechts wegen dringend geboten ist, beschäftigt RotGrün den Deutschen Bundestag mit einer Zuständigkeitsregelung, die völlig unnötig ist und die nur weitere
Behinderungen für eine zukunftsorientierte Anwendung
der Gentechnik bringt.
({0})
Mit dieser Zuständigkeitswurstelei wird Rot-Grün der
Bedeutung der Gentechnik nicht gerecht; denn für eine
gesicherte Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung ist der Einsatz der Gentechnik unverzichtbar. Unendlich viele Generationen von Menschen haben sich
seit jeher bemüht, Tiere und Pflanzen zu züchten. Bis
heute wurde dadurch die Nahrungsgrundlage wesentlich
verbreitert und die Qualität verbessert.
({1})
Durch gentechnische Methoden können Pflanzen mit
Resistenzmechanismen gegen Krankheit und Schädlinge ausgestattet werden. Es wird geschätzt, dass in den
Entwicklungsländern rund 50 Prozent der möglichen Erträge durch Krankheiten und Schädlinge verloren gehen.
Durch die Verbesserung der Resistenz von Kulturpflanzen gegen tierische Schädlinge sowie Virus- und Pilzerkrankungen, wie sie unter anderem durch den Einsatz
gentechnischer Methoden möglich wird, könnten also
die Ernteverluste gerade in den Entwicklungsländern
entscheidend reduziert werden.
({2})
Darüber hinaus könnte die Gentechnik helfen, Pflanzen
gegen die problematischen Einflüsse von Dürre oder
Salz tolerant zu machen, sodass sie auch auf schlechten
Böden besser wachsen.
Durch biotechnische Zuchtmethoden ist es möglich,
die Erträge von Pflanzen selbst unter widrigen Anbaubedingungen zu erhöhen. Eine Rekombination der pflanzlichen Gene kann - das ist unbestritten - zu Ernte- und Ertragssteigerungen bis zu 60 Prozent führen.
({3})
Einen positiven Nebeneffekt haben die bereits erwähnten Züchtungsziele auch auf die Umwelt. Deshalb
verstehe ich überhaupt nicht, warum die Grünen dagegen sind.
({4})
Die Zucht von krankheits- und schädlingsresistenten sowie nährstoffeffizienteren Pflanzen kann zu einem deutlich reduzierten Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und mineralischen Düngemitteln führen. So ist
beispielsweise der Einsatz von Insektiziden in Indien
oder Südafrika durch den Anbau gentechnisch behandelter, insektenresistenter Baumwolle um bis zu 80 Prozent
gesunken. Ein besonders positiver Effekt ist die Tatsache, dass die Flächenproduktivität der Landwirtschaft
gerade in Hungerländern durch den Einsatz gentechnisch
veränderter Pflanzen enorm gesteigert werden kann.
({5})
So werden die Nachfrage nach neuem Ackerland und
Waldrodungen verhindert und die dort lebende Artenvielfalt wird geschützt. Die grüne Gentechnik bietet somit große Chancen für den Naturschutz; denn das Vorhandensein ertragreicher Sorten trägt dazu bei,
Regenwälder und Savannen zu retten.
({6})
Biotechnologie und grüne Gentechnik sind für die
Welternährung und für den Einsatz der nachwachsenden Rohstoffe unverzichtbar. Deshalb ist die rot-grüne
Bremserpolitik auf den Gebieten der Erforschung, Entwicklung und Anwendung dieser Zukunftstechnologie
verantwortungslos.
Ich bitte darum - die FDP hat ihre Unterstützung bereits angekündigt -, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen. Die Umsetzung der in ihm enthaltenen Forderungen würde dazu beitragen, dass Arbeitsplätze in
diesem Bereich in Deutschland erhalten bleiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Ich erteile jetzt Herrn Bundesminister Trittin - er
möchte zu dieser Debatte Stellung nehmen - das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte
mich nicht gemeldet, wenn Sie, Frau Abgeordnete, sich
darauf beschränkt hätten, Ihre Ablehnung von Feldhamstern zu demonstrieren. Ich weiß nicht, was Sie gegen diese possierlichen Tiere haben. Sie sind vom Aussterben bedroht. Wir tun viel dafür, sie zu erhalten. Ich
finde, man kann dem BfN nicht vorwerfen, sich für eine
solche Tierart stark zu machen und sich zum Beispiel zunutze zu machen, dass sich Kinder mit diesen Tieren
identifizieren. Das lehrt frühzeitig einen vernünftigen
Umgang mit der Natur. Wenn Sie etwas gegen Hamster
haben, dann ist das Ihre Sache. Ich kann diese Auffassung nicht teilen.
Zu Wort habe ich mich aus einem anderen Grund gemeldet. Herr Heiderich, ich muss das, was Sie hier gesagt haben, für die Bundesregierung und gerade für die
Mitarbeiter des Bundesamtes für Naturschutz in aller
Deutlichkeit zurückweisen. Die Behauptung, das
Bundesamt für Naturschutz gehe nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach ideologischen Kriterien vor,
ist eine dermaßen bodenlose Unterstellung, dass ich Sie
auffordere, entweder Belege dafür vorzulegen - wenn
Sie das tun, dann werde ich gegen die entsprechenden
Personen vorgehen - oder diese Behauptung auf der
Stelle zurückzunehmen. Sie können diesen Vorwurf gegenüber diesem Amt - früher war es übrigens einmal
dem Landwirtschaftsministerium zugeordnet - nicht allen Ernstes aufrechterhalten.
Das Bundesamt für Naturschutz war immer dafür zuständig, das gesamte Monitoring der Artenvielfalt
durchzuführen. Angesichts dessen ist es sachgerecht,
dass in diesem Bundesamt auch die Einflüsse der Gentechnologie auf die Artenvielfalt zusammengefasst behandelt werden. Das hat keinerlei ideologische Gründe,
sondern ist schlicht und ergreifend ein Stück Praxis. Es
ist auch praktizierter Bürokratieabbau - wir werden
gleich eine Debatte zu diesem Thema führen -; denn
Doppelarbeit wird verhindert.
({0})
Ich muss auch die Behauptung, die Bundesregierung
wolle die Verbraucherinnen und Verbraucher in Sachen
Gentechnik bevormunden, mit allem Nachdruck zurückweisen. Das ist falsch. Genau das Gegenteil ist richtig.
Wir haben gesagt: Die Freisetzung und das Inverkehrbringen genveränderter Organismen können in dem Moment stattfinden, in dem für die Verbraucherinnen und
Verbraucher eine klare Kennzeichnung vorhanden ist
und in dem es klare Angaben zur Herkunft gibt. Wir
wollen die Wahlfreiheit. Sie wollen nicht Wahlfreiheit,
sondern Sie wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern etwas unterjubeln.
({1})
Das ist der Kern des Konflikts, um den es hier geht.
Wenn wir hier für Zuständigkeitsregeln sorgen, sorgen
wir dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher
tatsächlich Wahlfreiheit haben. Dann wird sich am
Markt erweisen, ob die Vorteile der Gentechnik überzeugen oder nicht; da bedarf es dieses Geredes überhaupt
nicht.
({2})
Ich würde mir schon wünschen, dass Sie gelegentlich
auch die industriepolitische Debatte mit im Kopf haben.
Ich bin mir nämlich nicht sicher, dass das, was beispielsweise von der US-Regierung immer zu der Frage vorgebracht wird, warum wir Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz vernachlässigen sollen, tatsächlich der wahre
Kern ist und ob das wirklich im Interesse unserer Agrarindustrie - wir haben ja auch Industrie -, unserer Saatzüchter ist. Da habe ich erhebliche Zweifel.
({3})
Damit ist die Rednerliste wieder aufgemacht. Es haben sich der Kollege Heiderich und die Frau Kollegin
Happach-Kasan gemeldet. Möchte noch jemand das
Wort? - Ich bitte Sie, sich im Interesse aller Kollegen,
die nach Hause wollen, kurz zu fassen.
Herr Kollege Heiderich, Sie haben das Wort. Bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bitte um Nachsicht,
aber ich muss auf das, was der Minister vorgetragen hat,
replizieren.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Mitarbeitern des BfN vorgeworfen habe, ideologische Beurteilungen vorzunehmen.
({0})
- Moment! Wenn das bei Ihnen so angekommen sein
sollte, dann will ich das ausdrücklich zurücknehmen. Ich
habe mich auf das bezogen, was im „Tagesspiegel“ dazu
gesagt wird, Herr Minister. Im „Tagesspiegel“ wird aus
Kreisen der Grünen zitiert - das habe ich eben schon
vorgetragen -, dass man vorhat, mit dieser Änderung die
grüne Gentechnik auszubremsen. Das heißt: Diejenigen,
die aus Ihren grünen Kreisen kommen, werfen Ihnen
vor, was Sie mir hier unterstellen wollen.
Wenn Sie in meine Unterlagen sehen, dann werden
Sie feststellen, dass ich genau das als Argument benutzt
habe, was auch der Bundesrat schon vorgetragen hat,
und nicht den Mitarbeitern vorgeworfen habe, ideologisch Einfluss zu nehmen. Vielmehr haben Ihre Kolleginnen Ministerinnen auf bereits getroffene Entscheidungen Einfluss genommen. Ich erinnere an Ihre frühere
Kollegin Fischer und Ihre jetzige Kollegin Künast.
Lassen Sie mich noch drei oder vier Bemerkungen zu
dem machen, was Sie angesprochen haben. Es war gerade die CDU/CSU, die von Anfang an für Kennzeichnungsverfahren eingetreten ist. Sie haben die ganze
Zeit über solche Verfahren verzögert und verhindert. Ich
wiederhole, was Albert Deß gesagt hat: Die Freisetzungsrichtlinie hätte längst umgesetzt sein müssen. Sie
tragen die Verantwortung dafür, dass sie noch nicht umgesetzt ist
({1})
und dass die Verbraucher bis heute nicht die Wahlfreiheit
haben, die sie längst hätten haben können.
Herr Minister, Sie haben eben so ganz nebenbei etwas
wiederholt, was immer Argument von Greenpeace ist.
Sie haben nämlich gesagt, Sie seien nicht bereit, den
Gesundheitsschutz zu vernachlässigen. Sehr geehrter
Herr Minister, nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bei der
Frage der Kennzeichnung der grünen Gentechnik nicht
um Fragen des Gesundheitsschutzes geht! Alle Wissenschaftler weltweit erklären unisono, dass die Produkte
der grünen Gentechnik genauso sicher und genauso gesund sind wie die sonstigen Produkte.
({2})
- Das wird unisono erklärt - mit Ausnahme von Greenpeace und von Herrn Minister Trittin. Es geht nicht um
Gesundheitsschutz; es geht um Wahlfreiheit.
({3})
Sie könnten endlich dafür sorgen, dass wir Wahlfreiheit
in Deutschland haben. Ich lasse mir von Ihnen nicht vorhalten, dass wir irgendjemandem etwas unterstellen.
Wenn Sie denn so große Aufmerksamkeit haben wollen, dann will ich daran erinnern - das ist eben schon gesagt worden -, dass sich Greenpeace bei dem Feldversuch in Thüringen in einer Weise verhalten hat, die eine
Reaktion Ihrer Regierung erfordert hätte. Greenpeace
hat nämlich einfach behauptet, die gesetzlichen Vorschriften, die wir geschaffen haben, reichten nicht aus;
es müsse nach Greenpeace-Recht beurteilt werden und
deswegen habe man das Recht, das Feld zu zerstören.
Man höre und staune: Vorgestern ist ein neuer Versuch zerstört worden. In Freising in Bayern, in RoggenHelmut Heiderich
stein, gab es einen Versuch mit dem Anbau von Kartoffeln. Auch das Versuchsfeld ist zertrampelt worden. Das
war ein Versuch des BMBF, also, mit Verlaub, ein von
Ihrer Regierung und damit in gewisser Weise auch von
uns durchgeführter und gesponserter Versuch. Man hört
von Ihrer Seite nicht das Geringste dazu, dass es unverantwortlich ist, wenn man Versuche, die von der Regierung durchgeführt werden, zerstört.
({4})
Herr Minister Trittin, ich will am Schluss noch einmal
darauf hinweisen, dass es der „Tagesspiegel“ war, der
Zitate von Ihnen bringt, die sich in die Richtung interpretieren lassen,
({5})
dass Sie die grüne Gentechnik ausbremsen wollen. Das
steht nicht in meiner Redevorlage. Ich sage das noch einmal ganz ausdrücklich, damit nicht auf die Mitarbeiter
und Beamten des BfN ein falsches Licht fällt.
({6})
Das Wort zur Erwiderung hat die Kollegin HappachKasan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schade eigentlich, Herr Minister Trittin, dass Sie die Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen. Warum haben
Sie sich nicht vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
des RKI gestellt? Warum unterstellen Sie Kollegen
Heiderich, dass er den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Naturschutz nicht zutraue,
dass sie nach Recht und Gesetz verfahren? Ich habe in
meiner Rede ausdrücklich gesagt, dass ich diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das zutraue. Sie werden
auch danach verfahren müssen, denn sonst bekämen sie
Gerichtsverfahren an den Hals. Das werden sie nicht
wollen.
Herr Minister, Sie hätten schon einmal ein Wort zum
Robert-Koch-Institut und zu der ausgesprochen kompetenten Arbeitsweise in diesem Hause sagen können.
({0})
Natürlich wissen auch Sie, Herr Minister, dass ich
Feldhamster genauso gern wie Sie mag, wahrscheinlich
sogar lieber. Ich glaube nämlich nicht, dass Ihnen Naturschutz tatsächlich am Herzen liegt,
({1})
denn sonst hätten Sie dem Bundesamt für Naturschutz
nicht diese Aufgabe übertragen. Sie sollten doch eigentlich wissen, wofür dieses Bundesamt zuständig ist, nämlich für Naturschutzgroßprojekte, für internationalen Naturschutz, für Natur- und Artenschutz, für Rote Listen.
Die haben genug zu tun mit diesen Bereichen, bei denen,
wie ich glaube, auch in Deutschland noch einiges im Argen liegt. Daran haben grüne Minister noch nie etwas
ändern können.
Dass Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher bevormunden wollen, wissen wir alle. Wir wissen, dass
Grüne meinen, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben.
Dass das nicht stimmt, wissen wir auch. All das ist
nichts Neues. Wir wissen ebenfalls, dass grüne Minister
alles tun, um einen Erfolg der grünen Gentechnik zu vereiteln. Erinnern wir uns an die grüne Gesundheitsministerin, die sich vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein über die einstimmige Entscheidung der ZKBS, der
zentralen Fachkommission für die Bewertung der Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen, BtMais zuzulassen, hinweggesetzt und damit sehr deutlich
gezeigt hat, was grüne Minister von der naturwissenschaftlich exakten Arbeitsweise von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern halten, nämlich überhaupt gar nichts.
({2})
Insofern, Herr Minister, ist es enttäuschend, was Sie
zu dieser Frage hier im Plenum gesagt haben. Das lohnte
nicht.
({3})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht.
Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben.
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmverhältnis angenommen worden.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache
15/1360. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt worden.
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem von den Fraktionen der SPD und des
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht. Unter Ziffer II empfiehlt der Ausschuss,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/996 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Joachim Günther ({0}), Gudrun
Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieabbau
- Drucksache 15/1134 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Die Kollegen Fuchs und Wend haben ebenso wie der
Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch ge-
beten, ihre Reden zu Protokoll geben zu können1). Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann redet
zu diesem Tagesordnungspunkt nur die Abgeordnete
Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben in Deutschland circa 70 000 Gesetze, Verordnungen und Rechtsvorschriften. Wir haben im Arbeitsrecht, im Sozialrecht, im Steuerrecht, im Bauplanungsrecht, im Umweltrecht viel zu viel Bürokratie. Man
könnte die Liste fortführen.
({0})
Diese Bürokratie muss endlich reduziert werden.
Wenn es nach uns von der FDP-Bundestagsfraktion
ginge, wäre vieles schon längst erledigt. Wir würden auf
nationaler Ebene gerne einiges deregulieren. Aber Sie
sperren sich dagegen. Deswegen haben wir hier einen
Antrag eingebracht, um wenigstens Modellregionen zuzulassen, sodass wir bestimmte Dinge, die Sie auf Bundesebene aus ideologischen Gründen nicht haben wollen, wenigstens in Modellregionen ausprobieren
können.
({1})
Ich zitiere:
Nach unserer Erfahrung bewähren sie sich sehr …
Es ist ein Instrument, um Kräfte freizusetzen. Auf
diese Weise könnte man für eine überschaubare
Zeit gesonderte … Regelungen in einem Land oder
auch in mehreren Ländern zulassen. Wir können
daraus für weitere Prozeduren lernen; denn wir
1) Anlage 4
müssen den Prozess der Überwindung von Überbürokratie in Deutschland wirklich mit neuen Ideen
voranbringen.
Das sind die Worte des Bundesministers für Wirtschaft
und Arbeit, Wolfgang Clement, vom 30. Oktober 2002
hier in diesem Hohen Hause zum Thema Modellregionen.
({2})
Die Errichtung von Modellregionen sollte - so wurde
es uns angekündigt - wesentlicher Bestandteil des Masterplans Bürokratieabbau werden. Bisher ist jedoch
nichts geschehen. Auch die Umsetzung des so genannten
Sofortprogramms zum Bürokratieabbau ist bisher nicht
angegangen worden. Ich kann nur sagen: Ich habe kein
Verständnis dafür, dass man diesen Punkt hier nicht debattieren will.
({3})
Ich kann natürlich verstehen, dass die Redner der SPD
ihre Reden zu Protokoll geben. Ich kann das nachvollziehen. Bei der Bilanz, die Sie zum Bürokratieabbau
vorlegen, nämlich: nur geredet, aber kein einziges Mal
gehandelt zu haben, würde auch ich mich schämen.
Dann hätte ich an Ihrer Stelle auch keine Lust, darüber
heute zu reden.
({4})
Frau Kollegin, ich darf Sie einmal unterbrechen. Wir
haben vereinbart, dass die Tatsache, dass Kollegen ihre
Reden zu Protokoll geben - sie waren also sehr wohl bereit, zu diesem Punkt zu reden -, von dem einzigen Redner, der sein Rederecht in Anspruch nimmt, nicht gegen
die anderen verwendet werden darf. Daran müssen auch
Sie sich halten.
({0})
Gut, Frau Präsidentin. Ich nehme das zur Kenntnis
und bitte Sie, das nicht auf die Redezeit anzurechnen.
({0})
Mittlerweile haben 80 Regionen in Deutschland ihr
Interesse als Modellregion bekundet. 36 haben laut Unterrichtung des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Arbeit zwischenzeitlich ihre Bewerbung eingereicht.
Aber es gibt noch nicht einmal von der Bundesregierung
festgelegte Kriterien für eine solche Bewerbung. Wenn
man im BMWA anruft und nach den Kriterien für eine
Bewerbung sowie danach fragt, wo eine Bewerbung als
Modellregion eingereicht werden kann, bekommt man
die Antwort: Eine Bewerbung kann noch nicht eingereicht werden, weil es noch keine entsprechenden Kriterien gibt.
Vonseiten der Bundesregierung jedoch hören wir,
dass schon Regionen ausgewählt sein sollen. Die jüngsten Erfahrungen, die beispielsweise die Region Ostwestfalen-Lippe gemacht hat, die sich schon als Modellregion beworben hat, also zu den 36 Regionen gehört,
die ihre Bewerbung eingereicht haben,
({1})
sind die: Ihnen ist gesagt worden, es solle zunächst Pilotregionen geben, die sich als Modellregionen bewerben
dürfen. Dann ist eine Ausschreibung für einen Wettbewerb der Regionen geplant. Mir scheint, der Minister hat
das mit dem Bürokratieabbau nicht ganz verstanden. Anstatt dass tatsächlich Bürokratie abgebaut wird, führen
die Pläne, die uns jetzt mitgeteilt werden, zu mehr Bürokratie in Deutschland.
({2})
Es gibt einen zentralen Punkt: Es wird nämlich behauptet, zur Einführung der Modellregionen sei eine
Grundgesetzänderung notwendig. Das ist absoluter
Unsinn.
({3})
Die FDP hat frühzeitig darauf hingewiesen, dass es zur
Errichtung von Modellregionen Möglichkeiten gibt,
ohne dass es einer langwierigen Grundgesetzänderung
bedarf, und zwar durch einfachgesetzliche Öffnungsklauseln in den einschlägigen Bundesgesetzen. Dieses
Verfahren haben wir in unserem Antrag sauber beschrieben.
Das Interessante daran ist, dass es inzwischen auch
aus dem Hause des Bundeswirtschaftsministers ein
Rechtsgutachten gibt, das genau diese Position bestätigt,
dass also keine Grundgesetzänderung erforderlich ist.
Ich frage mich, warum die Bundesregierung nicht endlich Abstand von dieser Forderung nimmt. Das kann ja
nur damit zu tun haben, dass man Modellregionen verhindern will.
({4})
Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck,
dass es an diesem Punkt unverändert eine Blockadehaltung der Bundesregierung gibt. Das ist völlig unverständlich. Ziel muss sein, durch Modellregionen möglichst
vielfältige Erfahrungen für künftige bundeseinheitliche
Neuregelungen zu sammeln. Daher fordert die FDP auch,
dass die Auswahlkriterien weit zu fassen sind. Dabei
kann eben nicht nur das Kriterium Strukturschwäche eine
Rolle spielen. Vielmehr können auch wirtschaftsstarke
Regionen ein Interesse als Modellregion haben, um herauszufinden, ob sich ihr Entwicklungspotenzial unter
veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen noch steigern lässt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wenn
Sie also bei einem zentralen Thema, das den Menschen
in Deutschland auf den Nägeln brennt, dem Bürokratieabbau, auch nur noch einen kleinen Hauch an Glaubwürdigkeit behalten wollen, dann hören Sie mit der Ankündigungspolitik von Minister Clement auf. Machen Sie
endlich Ernst mit dem Bürokratieabbau
({5})
und richten Sie wenigstens die Modellregionen sofort
ein.
Vielen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1134 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Jäger, Ulrike Mehl, Michael Müller ({0}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske,
Volker Beck ({1}), Cornelia Behm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den Flüssen mehr Raum geben - Ökologische
Hochwasservorsorge durch integriertes Flussgebietsmanagement
- Drucksache 15/1319 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Angelika Brunkhorst, Hans-Michael
Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Hochwasserschutz - Solidarität erhalten, Eigenverantwortung stärken
- Drucksache 15/1334 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Auch hier ist gebeten worden, die Reden, die alle
vorbereitet und ausgearbeitet haben, zu Protokoll zu ge-
ben, weil die Kolleginnen und Kollegen ihre Züge oder
Flüge erreichen müssen. Es handelt sich um die Reden
der Abgeordneten Jäger, Blank, Petzold, Loske und
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Homburger1). Sind Sie einverstanden, dass wir sie zu
Protokoll geben? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir
auch so.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/1319 und 15/1334 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H.
Carstensen ({4}), Dirk Fischer ({5}), Ursula Heinen, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Mehr Rechte für Fahrgäste im öffentlichen
Personenverkehr
- Drucksache 15/1236 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auch hier besteht die Bitte, die Reden zu Protokoll zu
geben. Es handelt sich um die Reden der Abgeordneten
1) Anlage 5
Teuchner, Bartol, Heinen, Höfken, Kopp und Conne-
mann2). Einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1236 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage federführend im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beraten
werden. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September, 10 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine
schöne und erholsame Sommerpause, die hoffentlich
nicht von allzu vielen Unterbrechungen und Rückrufen
in das Parlament unterbrochen wird. Das ist, glaube ich,
im Interesse von uns allen. Eine schöne Sommerzeit
wünsche ich auch den Zuschauern auf den Rängen.
Die Sitzung ist geschlossen.
({7})