Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/4/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Heute feiert der Kollege Dr. Christoph Zöpel seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliere ihm namens des Hauses sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute. ({0}) Der Kollege Paul Breuer hat am 27. Juni 2003 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolgerin hat die Abgeordnete Magdalene Strothmann am 3. Juli 2003 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin herzlich. ({1}) Sodann gebe ich bekannt, dass der Kollege Christoph Hartmann sein Amt als Schriftführer niedergelegt hat. Die Fraktion der FDP benennt als Nachfolger den Kolle- gen Michael Kauch. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Kollege Kauch als Schriftführer gewählt. Dann möchte ich Sie davon unterrichten, dass der Äl- testenrat gestern die Präsenzpflicht für Dienstag, den 8. Juli 2003, aufgehoben hat. Außerdem hat der Ältes- tenrat vereinbart, dass in der Haushaltswoche vom 9. September 2003 keine Regierungsbefragung, keine Fragestunde und keine Aktuellen Stunden stattfinden sollen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Hermann Otto Solms, Gisela Piltz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes ({2}) - Drucksache 15/1247 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Peter Götz, Günter Baumann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Finanzkraft der Kommunen stärken - kom- munale Selbstverwaltung sichern - Drucksache 15/1217 - c) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform - Drucksache 15/1321 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die FDP zwölf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dr. Andreas Pinkwart von der FDP-Fraktion das Wort.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Städte und Gemeinden in Deutschland sind in einer außergewöhnlich schwierigen Lage; wir haben in diesem Jahr schon wiederholt darüber diskutieren dürfen. Worin liegen die Gründe für diese schwierige finanzielle Lage? - Zum einen in den gravierenden Schwächen der in den letzten Jahren deutlich eingebrochenen Gewerbesteuer als Einnahmequelle. Ihre Konjunkturabhängigkeit, aber auch ihre Mittel- und Großbetriebsabhängigkeit in der Struktur, ihre erhebliche Bürokratielast und vieles mehr - ich komme gleich noch darauf zurück - sprechen gegen die Gewerbesteuer. Aber es wäre blauäugig, zu sagen, das sei der einzige Grund. Es kommen andere, gewichtige Gründe für die Finanzsituation der Kommunen hinzu. Einer der Redetext wesentlichen Gründe - wenn wir genau hinschauen - ist die schlechte wirtschaftliche Lage in Deutschland mit wegbrechenden Steuereinnahmen in erheblichem Umfang - nicht nur bei der Gewerbesteuer, sondern auch bei den anderen Steuerarten - sowie erheblichen zusätzlichen sozialen Lasten durch die hohe Arbeitslosigkeit. Dies ist wesentlich auf die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Diese sind vor allem von der seit fünf Jahren amtierenden Regierung Rot-Grün zu verantworten. ({0}) Hinzu treten weitere Benachteiligungen der Kommunen durch rot-grüne Politik: zum einen durch die Verschlechterung bei der Gewerbesteuerumlage im Zuge der großen Steuerreform und durch die Anhebung des entsprechenden Umlagesatzes zulasten der Kommunen - wir haben hier wiederholt beantragt, dies rückgängig zu machen ({1}) und zum anderen durch eine erhebliche Verlagerung staatlicher Aufgaben auf die Kommunen ohne entsprechende Gegenfinanzierung. Das Konnexitätsprinzip, von dem immer wieder die Rede ist, wird zulasten der Städte und Gemeinden im praktischen Handeln leider nicht umgesetzt. ({2}) Welche Wege führen aus der Krise? Zunächst - das ist unsere Meinung; wir haben das hier wiederholt vorgetragen - brauchen wir ein Soforthilfeprogramm für die Städte und Gemeinden. ({3}) Das Ergebnis der Kommission unter Ihrem Vorsitz, Herr Eichel, kommt zu spät. Egal welche Variante im Ergebnis umgesetzt wird, sie wird zum 1. Januar 2004 nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen in Deutschland führen. Deswegen brauchen wir nicht später eine Entlastung, sondern wir brauchen sie jetzt. Bekennen Sie sich endlich dazu, dass bei der Gewerbesteuerumlage und bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der größte Teil des Kuchens jetzt an die Gemeinden ausgeschüttet wird! ({4}) Darüber hinaus brauchen wir eine dauerhaft stabile, konjunkturunabhängige, unbürokratische und das Band zwischen Wirtschaft und Gemeinden endlich wieder stärkende Einnahmequelle für die Städte und Gemeinden. Daneben brauchen wir mehr Autonomie auf der Ausgabenseite. Dabei stellt sich die Frage, ob man auf die Gewerbesteuer setzen kann. Eine überbürokratische, international unbekannte und daher wettbewerbsverzerrende, konjunkturanfällige und aufgrund erheblicher Abgrenzungsprobleme ungerechte Steuer wird nicht dadurch besser, dass Sie sie auf einen noch größeren Personenkreis ausdehnen. ({5}) Schon jetzt werden von 2,7 Millionen Steuerpflichtigen nur 900 000 veranlagt, von denen per saldo wiederum nur wenige das Gros der Steuereinnahmen erbringen. Jetzt wollen Sie diesen Kreis um über 800 000 Personen, die freie Berufe ausüben, erweitern. Damit wird das Abgrenzungsproblem aber nicht gelöst. Es wird nur hin zur Schnittstelle zwischen selbstständiger und nicht selbstständiger Tätigkeit verlagert. ({6}) Dies würde nicht nur erhebliche verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, sondern auch zu Ausweichstrategien bei den freien Berufen führen. Personen, die einen freien Beruf ausüben, würden in eine unselbstständige Tätigkeit wechseln. Das wäre nicht nur gesellschaftspolitisch der völlig falsche Weg, das würde im Ergebnis auch keinen Cent mehr an Steuereinnahmen für die Kommunen bedeuten. ({7}) Die Gewerbesteuer wird auch dadurch nicht besser, dass Sie versuchen, sie gegen den ausdrücklichen Rat Ihres Bundeswirtschaftsministers, Ihres Superministers für Wirtschaft und Arbeit, der heute leider nicht an der Debatte teilnehmen kann - ich fand, er hat sich bei der Vorstellung des Kommissionsergebnisses hervorragend geäußert -, um ertragsunabhängige Bestandteile zu erweitern; denn das hieße ja nichts anderes, als dass der Staat auch dann noch zugreift, wenn die Unternehmen in der Krise sind, also Verluste machen. Hier unterstützen wir Herrn Clement in seiner Meinung: Auf diesem Weg würden Sie die Betriebe erst recht in den Konkurs treiben. ({8}) Nun bringen Sie das Argument der Anrechenbarkeit der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer zumindest bei den Einzel- und Personenunternehmen vor. Eine verbreiterte Bemessungsgrundlage - wenn Sie Mieten, Pachten und Leasing, also Kosten der Betriebe, auch noch besteuern wollen - würde nichts anderes bedeuten, als dass in den Jahren, in denen die Betriebe keine Ertragsteuern zahlen, weil sie Verluste schreiben, auch die Anrechenbarkeit nicht gelingt. Die Übertragbarkeit der Anrechenbarkeit ist in § 35 EStG nämlich nicht geregelt. Das heißt de facto, dass es hier zu einer Substanzbesteuerung kommen würde: In einer Situation, in der der Mittelstand in Deutschland am Boden liegt und über ein Drittel der Betriebe unterkapitalisiert ist, würde ein weiterer Eingriff in die Substanz, in die Eigenkapitalbasis der Betriebe, stattfinden. Das wäre verantwortungslos. ({9}) Wir, die Kolleginnen und Kollegen im Finanzausschuss, haben uns einmütig und wiederholt - auch in der letzten Legislaturperiode - zum Thema Basel II ausgetauscht. Es sind Verbesserungen bei Basel II erreicht worden. Ein Problem ist aber nach wie vor nicht gelöst - wir haben das in der letzten Finanzausschusssitzung deutlich gemacht -, nämlich die prozyklische Wirkung von Basel II. Im konjunkturellen Tal wirkt Basel II so, dass die Unternehmen noch weniger Kredite erhalten. Wenn Sie sie in dieser Situation noch zusätzlich mit Steuern auf ertragsunabhängige Bestandteile belasten, dann erhöhen Sie die prozyklische Wirkung von Basel II und verschlechtern die Finanzierungsbedingungen des Mittelstandes dramatisch. ({10}) Beide von Ihnen vorgeschlagenen Wiederbelebungsversuche der Gewerbesteuer lösen die Probleme nicht. Sie verschaffen den Gemeinden keine Luft zum Atmen, indem Sie sie den Betrieben abschnüren. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Entlasten Sie die Betriebe. Verschaffen Sie dem Mittelstand Luft zum Atmen! Dann wird es auch den Kommunen in Deutschland und dem Staat besser gehen. ({11}) Deshalb schlagen wir Ihnen vor, die Finanzen der Kommunen mit uns auf zwei verlässliche und gleichgewichtige Säulen zu stellen: Die erste Säule besteht aus einem kommunalen Zuschlag auf die Ertragsteuern unter Berücksichtigung des Wohn- und Betriebsstättenprinzips und die zweite Säule aus einem wesentlich höheren Anteil an der Umsatzsteuer. ({12}) - Das sind keine Steuererhöhungen. Lieber Herr Kollege Schild, durch Ihre Pläne werden die Steuern erhöht; lesen Sie dazu einmal die heutige Ausgabe der „FAZ“. Nach Ihrem Modell werden 4 Milliarden Euro mehr abkassiert, bei unserem Modell wird eine Belastungsneutralität erreicht. Das ist der Unterschied zwischen den Modellen. ({13}) Bei Umsetzung unseres Vorschlags würde Konjunkturfestigkeit erzielt. Das Band zwischen Wirtschaft und Kommunen würde wieder gestärkt; denn wir haben in unserem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorgeschlagen, dass die Umsatzsteuer nach der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zugeordnet wird. Dadurch käme es zu einer Belastungsund Aufkommensneutralität. Auch folgt unser Vorschlag dem Prinzip der Verfassungsmäßigkeit, was bei Ihnen nicht der Fall ist. Deswegen werben wir bei Ihnen für dieses Zweisäulenmodell. Ich möchte mit einer Bitte meiner Fraktion an den Bundesfinanzminister schließen: Herr Eichel, wir wären Ihnen und Ihrem Haus ausgesprochen dankbar, wenn Sie während der Sommerpause - bekanntermaßen stehen wir unter einem gewissen zeitlichen Druck - mit Ihrer Arbeitsgruppe unser Zweisäulenmodell, das eine Erweiterung des BDI/VCI-Modells um die zweite Säule - den Anteil an der Umsatzsteuer - darstellt und noch nicht gerechnet worden ist, berechnen könnten. ({14}) Wir gehen davon aus, dass dieses Modell dem Wettbewerb mit den anderen Modellen standhält. Wir würden uns im Herbst bei der weiteren Beratung diesem Wettbewerb gerne stellen. Deswegen wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unserem Modell eine Chance in einem fairen Wettbewerb geben würden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Poß, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der FDP, Kollege Pinkwart, bedeutet im Klartext eine Verabschiedung von der Gemeindefinanzreform. Sie haben, wie immer, nicht seriös gearbeitet und kein durchgerechnetes Modell vorgelegt. ({0}) Die Kommunen werden von Ihrer Partei nicht gerade verwöhnt. Sie waren noch nie ein überzeugender Vertreter kommunaler Interessen. Deswegen brauchen wir heute Morgen über diesen Entwurf nicht mehr zu sprechen. ({1}) Der Bundeskanzler hat gestern in seiner Regierungserklärung mit aller Deutlichkeit klar gemacht: Das Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform um ein Jahr und die mit der Agenda 2010 und dem Regierungsentwurf zum Haushalt 2004 vorgegebenen ehrgeizigen Ziele für dauerhafte Strukturveränderungen in Deutschland gehören untrennbar zusammen. Wenn wir die Steuersenkung und zugleich die erforderlichen Strukturmaßnahmen zur Gewährleistung dauerhaft tragfähiger Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden erfolgreich auf den Weg bringen, geht die Rechnung auf. Dann ist der konjunkturelle Impuls der Steuerentlastung der erforderliche und gewünschte Anschub für nachhaltig wirkende Wachstumskräfte. ({2}) Für die Koalition war von Anfang an klar: Eine ganz besondere Bedeutung kommt der Sicherung und Stärkung der kommunalen Investitionskraft zu. Auch von einer gut funktionierenden Infrastruktur in unseren Städten und Gemeinden, von ihrem Angebot an Bildung und Betreuung, an sozialen und kulturellen Leistungen hängen die Zukunftschancen und die Lebensqualität aller Bürgerinnen und Bürger ab. Es war daher nur konsequent, dass der Herr Bundeskanzler der Gemeindefinanzreform in seiner Regierungserklärung am 14. März einen zentralen Platz im Rahmen der Agenda 2010 eingeräumt hat. ({3}) Auch bei diesem Thema, meine Damen und Herren von der Union, sollten Sie Ihr Durcheinander endlich überwinden. Warum findet sich eigentlich kein Name aus der Unionsführung, weder der von Frau Merkel noch von Herrn Merz, noch von Herrn Glos, auf dem Antrag der CDU/CSU? ({4}) In der Fassung des Antrags, die mir übermittelt wurde, findet sich kein Name der Unionsführung, ({5}) weil die Union in einer zentralen Frage unseres Landes, nämlich wie es mit den Kommunen weitergeht, gespalten ist. ({6}) Überwinden Sie die Spaltung in Ihren eigenen Reihen! Sie müssen sich entscheiden, ob Sie an der Seite der Kommunen oder an der Seite des BDI das Thema weiterverfolgen wollen. Wenn Sie mir das Exemplar zeigen, das die Namen der Unionsführung enthält, ({7}) dann muss ich das insoweit korrigieren. ({8}) Auf der Fassung, die gestern vorlag, stand kein Name der Unionsführung. Das ändert übrigens nichts an der Richtigkeit meiner Feststellung: Sie haben keine Position zum kommunalen Steuermodell. ({9}) Frau Merkel oder Herr Merz können gleich darstellen, für welches Modell sie votieren, ob sie für die modernisierte Gewerbesteuer oder für das BDI-Modell sind. Bisher haben sich die Volksparteien CDU und CSU in der zentralen Frage der Gemeindefinanzreform nicht positioniert. ({10}) Das muss sich dringend ändern; denn die Kommunen brauchen eine klare Perspektive. Sie brauchen eine Lösung zum 1. Januar 2004. ({11}) Den Kommunen nützen keine zehn wortreich formulierten Anforderungen an eine künftige Gemeindesteuer, wie sie im Antrag der CDU/CSU aufgelistet sind. Sie brauchen eine konkrete Aussage dazu, wie sie in Zukunft zu stetigeren, besser planbaren Einnahmen kommen sollen. ({12}) Als Abgeordneter aus einer Region, die seit Jahrzehnten einen schwierigen Strukturwandel zu bewältigen hat, weiß ich: Kommunale Finanznot ist nicht nur ein Thema der letzten zwei, drei Jahre. Neu ist jedoch - das sage ich zu dem, was Herr Pinkwart hier festgestellt hat -, ({13}) dass die Einbrüche bei der Gewerbesteuer nach dem Ende des Börsenbooms, dem Platzen der Blase, der Liberalisierung im Binnenmarkt mit der daraus folgenden Umstrukturierung vieler großer Unternehmen und dem Wachstumsausfall in den letzten drei Jahren auch Städte und Kommunen betroffen haben, die sich als Standorte von Banken, Versicherungen und anderen Konzernen immer sicher geglaubt haben. Die letzte umfassende Reform der Gemeindefinanzen liegt jetzt über 30 Jahre zurück. Die verschiedenen Regierungen Kohl haben sich 16 Jahre lang nicht um das Thema gekümmert. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren! ({14}) Im Gegenteil: Die Gewerbesteuer wurde immer stärker ausgehöhlt. In der letzten Wahlperiode fanden es die Herren Stoiber und Teufel wichtiger, vor dem Verfassungsgericht einen neuen, jahrelangen Streit über den gerade zuvor mit ihrer eigenen Zustimmung geregelten Länderfinanzausgleich vom Zaun zu brechen. ({15}) Heute kommen Sie anstelle einer Reform mit einem Vorschlag, der nicht weiter reicht als bis ins nächste Jahr. Das wird keine einzige Kommune dazu bewegen können, endlich wieder ausreichend und dauerhaft zu investieren. Thema verfehlt, Frau Merkel, Herr Merz, Herr Glos! ({16}) Das haben Ihnen doch schon mehrere Tausend Kommunalpolitiker auf einer Veranstaltung des Bayerischen Gemeindetages vor ein paar Wochen ins Stammbuch geschrieben, als die Herren Staatsminister Faltlhauser und Beckstein den Kommunalpolitikern genau das unterjubeln wollten, was Sie heute hier vorlegen. Thema verfehlt, haben die schwarzen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker gesagt. Thema verfehlt, stellen auch wir hier und heute fest. ({17}) Was soll denn bitte die Senkung der Gewerbesteuerumlage, wenn Sie gleichzeitig die Gewerbesteuer ganz infrage stellen? Wo soll ein höherer Kommunalanteil an der Umsatzsteuer herkommen? Wollen Sie die Mehrwertsteuer erhöhen? ({18}) So geht es wirklich nicht. So wird es auch nicht kommen. Die Bundesregierung wird handeln und vor Ende der parlamentarischen Sommerpause ({19}) einen Gesetzentwurf vorlegen, der dann zügig beraten werden kann. Wir wollen am 1. Januar 2004 mit der Umsetzung der Reform beginnen. Darin waren sich gestern auch alle Kommissionsmitglieder einig. ({20}) Ich bin sehr gespannt, ob es die Länder - die nach dem Grundgesetz die Interessen ihrer Kommunen in finanziellen Angelegenheiten zu wahren haben -, wagen werden, mit der Unionsmehrheit im Bundesrat die Reform zu verhindern. Darauf sind wir alle sehr gespannt. Das ist ein Test Ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber den Kommunen. ({21}) Die Kommunen, vertreten durch ihre Spitzenverbände, haben im Zuge der Arbeit der Kommission deutlich gemacht, was sie wollen, nämlich eine modernisierte Gewerbesteuer mit einem verstetigten Aufkommen als Kernstück des künftigen Gemeindesteuersystems. Wir - die Koalition, die Bundesregierung wie auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - stehen an der Seite der Kommunen. ({22}) Die Alternative, die Abschaffung der Gewerbesteuer zugunsten von kommunalen Zuschlägen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, die die Wirtschaftsverbände unter Führung des BDI in der Kommission vertreten haben und die sich im Antrag der FDP-Fraktion im Ansatz wiederfindet, ({23}) wird von den Kommunen aus gutem Grund abgelehnt. Insbesondere die Großstädte hätten bei diesem Modell riesige Einnahmeverluste zu verkraften, die bis zu einem Drittel ihres bisherigen Aufkommens an der Gewerbeund Einkommensteuer ausmachen würden. Oder sie wären gezwungen, die zum Ausgleich der Gewerbesteuer vorgesehenen Zuschläge auf die Einkommensteuer so weit über das Niveau ihres jeweiligen Umlands anzuheben, dass eine noch stärkere Abwanderung von Betrieben und Einwohnern unvermeidlich wäre. Das wäre die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera, die wir den Kommunen nicht zumuten wollen. ({24}) Meine Damen und Herren von der Union, Sie schreiben in Ihrem Antrag: Die Gemeinden in Deutschland haben Anspruch darauf, dass gerade diese Reform mit ihnen und nicht gegen sie verwirklicht wird. Das sehen wir genauso. Die Kommunen haben sich bereits entschieden. Nehmen Sie sich doch selbst ernst und arbeiten Sie mit uns gemeinsam an einer Erneuerung der Gewerbesteuer! Die Erneuerung bzw. die Reform wäre aber ohne das zweite Element - die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe nach dem Hartz-Konzept - unvollständig. Das ist erforderlich, um auch den Städten in strukturschwachen Regionen, denen eine Reform auf der Einnahmeseite allein nicht in ausreichendem Maße helfen kann, wieder eine langfristig tragfähige finanzielle Perspektive zu geben. Wir haben das gemeinsam mit den Kommunen von Anfang an so gewollt. Schon die Gliederung der Kommissionsarbeit war auf diesen Doppelschritt der Verstetigung der Einnahmen einerseits und der Entlastung auf der Aufgabenseite andererseits angelegt. Auch Letzteres müssen wir - insbesondere im Interesse der strukturschwachen Kommunen - realisieren. ({25}) Damit komme ich noch einmal auf unsere gestrige Debatte zurück. Gerade auch mit Blick auf die Einnahmen der Kommunalhaushalte stehen wir gemeinsam in der Verantwortung, für spürbare Erfolge beim Abbau von Ausnahmetatbeständen und Steuervergünstigungen zu sorgen. Die Blockadehaltung des Bundesrats in der Steuerpolitik im Frühjahr, die Blockadehaltung von CDU/CSU und FDP hat die Städte und Gemeinden viele Milliarden Euro gekostet. Das darf sich nicht wiederholen! ({26}) Ich habe die gestrige Debatte und auch die Ausführungen von Frau Merkel so verstanden, dass wir jetzt gemeinsam das Aufbruchsignal für die vorgezogene Steuersenkung setzen wollen. Die Kommunen können das umso leichter mittragen, je schneller wir bei der Gemeindefinanzreform und beim Abbau von Steuersubventionen zu guten Ergebnissen kommen. Daher noch einmal mein Appell: Nach all den berechtigten Klagen über die Finanzlage der Kommunen ist es jetzt an der Zeit, für eine grundlegende und dauerhafte Verbesserung zu sorgen. ({27}) Sie sind aufgefordert, das ernsthaft mitzubetreiben. Andernfalls verhindern Sie ein großes Reformwerk. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit Monaten diskutieren wir nun in verschiedenen Gremien, in der Öffentlichkeit und bei sonstigen Anlässen über die dramatische Finanzsituation der Gemeinden. Wir haben gehofft, dass heute, einen Tag nach Abschluss der Beratungen der Regierungskommission zur Reform der Gemeindefinanzen, vonseiten der Koalitionsfraktionen und der Regierung endlich eine Perspektive aufgezeigt wird, die den Kommunen wirklich hilft, und zwar nicht irgendwann und nicht mit einer neuen Bezeichnung einer Steuer, sondern durch eine sofortige Linderung ihrer Nöte. Wir sind leider enttäuscht worden. ({0}) Die Situation der Kommunen wird immer dramatischer und die Konsequenzen sind besorgniserregend. Es hat handfeste Auswirkungen für die Bürger vor Ort - es geht hier schließlich nicht um eine unpersönliche Struktur von Städten und Gemeinden -, wenn notwendige Investitionen unterbleiben, wenn Bibliotheken und Hallenbäder geschlossen werden und wenn selbst notwendige Reparaturarbeiten an Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern entweder verschoben oder gar nicht vorgenommen werden. Das Ganze ist, wie gesagt, nicht neu. Die Regierung hat die Situation der Gemeinden über Jahre verharmlost und verniedlicht. Herr Eichel, Sie haben außerdem mit Ihren Entscheidungen in der Wirtschafts-, in der Finanz- und insbesondere in der Steuerpolitik zur Verschärfung der Probleme der Gemeinden beigetragen. ({1}) Die dramatische Situation hat enorme Auswirkungen auf die kommunale Arbeit vor Ort. Ich habe bereits geschildert, wie die Bürger davon betroffen sind. Aber ich möchte ausdrücklich auch unsere Kollegen in den kommunalen Parlamenten und Gremien, die Oberbürgermeister, die Bürgermeister und die Landräte, erwähnen, die zurzeit einen äußerst schweren Job zu machen haben. Wenn sie die an sie gerichteten Erwartungen nicht mehr erfüllen können, weil ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort fehlen, weil ihnen immer mehr Geld vom Bund und von den Ländern beispielsweise über die Gewerbesteuerumlage aus der Tasche genommen wird, dann darf uns das nicht ruhen lassen. Eine solche Situation erfordert vielmehr die Solidarität der Bundespolitiker mit den Kommunalpolitikern. ({2}) Es ist auch notwendig, dass wir uns über die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen dieser Situation im Klaren sind; denn wenn Investitionen vor Ort unterbleiben, weil die Gemeinden keinen finanziellen Spielraum mehr haben, dann geht das insbesondere zulasten der mittelständischen Unternehmen mit der Konsequenz, dass dort noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen und dass noch mehr Existenzen vernichtet werden, was wiederum - das ist dann die logische Konsequenz - zu noch mehr Sozialausgaben und zu noch weniger Steuereinnahmen führt. Genau dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden. ({3}) Sie haben viel zu spät und erst nach unserem Drängen in der letzten Legislaturperiode begonnen, eine Gemeindefinanzreform anzugehen. ({4}) - Das ist nachweisbar. - Sie selber haben zu Beginn der letzten Legislaturperiode in Ihrer Koalitionsvereinbarung festgestellt, dass eine umfassende Gemeindefinanzreform vorgenommen werden müsse. ({5}) Aber die ganze Legislaturperiode hindurch haben Sie nichts getan. Sie haben immer nur große Versprechungen gemacht. ({6}) Am Ende der letzten Legislaturperiode haben Sie endlich eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt, wohl wissend, dass in dieser Legislaturperiode nichts mehr herauskommen wird. ({7}) Sie haben dann der Kommission unter Zeitdruck zwei Aufgaben gestellt: Sie sollte Vorschläge zur Gewerbesteuer sowie zur Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe erarbeiten. ({8}) Dieser Auftrag war viel zu eng gestaltet; denn die Problematik ist viel umfassender. Die gesamte Einnahmenund Ausgabensituation beispielsweise in der Grundsicherung, im Kinder- und Jugendhilfebereich und im Bereich der Eingliederungshilfe muss berücksichtigt werden. ({9}) Sie haben den Kommunen doch ständig neue Aufgaben und Ausgaben aufgebürdet. Sie behaupten, dass Sie mit der jetzigen Reform, die Sie als eine große anpreisen - in Wirklichkeit ist es nur eine kleine, wie wir es schon häufig erlebt haben -, die Probleme der Gemeinden löGerda Hasselfeldt sen könnten. Ich sage Ihnen: Die Probleme werden so nicht gelöst, weil Ihnen die Gesamtschau fehlt. Wenn Sie unseren Antrag lesen, dann werden Sie feststellen, dass die Gesamtschau bei uns das Entscheidende ist. Man kann nicht nur einige wenige Punkte herauspicken. Das Ziel muss vielmehr sein, den Gemeinden eine Finanzausstattung zu geben, die mit den Ausgaben und den Aufgaben abgestimmt ist, die sie zu bewältigen haben. Ich wiederhole: Man muss eine Gesamtbetrachtung vornehmen und darf nicht nur Rosinen herauspicken. Mittlerweile hat die von Ihnen eingesetzte Kommission ein Jahr gearbeitet. Ich möchte den Mitgliedern dieser Kommission ausdrücklich danken. Sie haben sich sehr engagiert. Es ist allerdings schade, dass die Regierung die Kommission in weiten Bereichen allein gelassen hat ({10}) und dass in dieser Kommission kein Vertreter der freien Berufe, die Sie jetzt in die Gewerbesteuerpflicht einbeziehen wollen, vertreten war. Während dieser Kommission zum Beispiel Vertreter der Gewerkschaften angehörten, sind diejenigen, die künftig zusätzlich zur Kasse gebeten werden sollen, von Anfang an außen vor gelassen worden. Sie haben angekündigt, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen. Erst vor wenigen Monaten hat der Bundeskanzler selbst in diesem Haus gesagt: Der Gesetzentwurf wird vor der Sommerpause vorgelegt. Dass Versprechen nicht eingehalten werden, sind wir mittlerweile gewohnt: Seit Monaten versprechen Sie milliardenschwere Entlastungen der Kommunen. Davon war in den letzten Tagen nicht mehr die Rede; Zahlen werden nicht mehr genannt. ({11}) Was die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe angeht, sprechen Sie jetzt nicht mehr von einer konkreten Entlastung, sondern davon, dass die Größenordnung der Entlastung im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens festgelegt wird. Irgendwie ist das alles ganz nebulös. Man verabschiedet sich heimlich, still und leise von den früher gegebenen Versprechen. Über eines müssen wir uns im Klaren sein: Wenn es uns nicht gelingt, den Kommunen, den Städten und den Gemeinden schnell und wirksam Hilfe zu gewähren, dann wird das Vertrauen der Bürger in die Politiker noch mehr zerstört - Sie haben darauf einen ganz wesentlichen Einfluss -, als es sowieso schon den Fall ist. ({12}) Beim Versuch, etwas über die Inhalte des Gesetzentwurfs, der vorgelegt werden soll, zu erfahren, stochert man im Nebel herum. Anders als der Wirtschaftsminister haben sich der Finanzminister und die Fraktionen für ertragsunabhängige Elemente ausgesprochen. Folgt man Ihrem Antrag, sollen die Zinsen zukünftig berücksichtigt werden. ({13}) Der Bundeskanzler hat vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr auf einer öffentlichen Veranstaltung am Tag der Freien Berufe versprochen, dass die freien Berufe nicht in die Gewerbesteuerpflicht einbezogen werden. ({14}) Im Antrag der Koalitionsfraktionen und in den Verlautbarungen der Regierung ist davon dennoch die Rede. Auch daran wird deutlich: Glaubwürdigkeit ist dieser Regierung und den Koalitionsfraktionen völlig fremd. Sie brauchen sich nicht zu wundern, wenn die Leute Ihnen nichts mehr glauben. ({15}) Wenn man nach einer Lösung dieses Problems sucht, dann wäre es eigentlich nur logisch, sich die Ursachen dieses Problems zunächst einmal vor Augen zu halten. Eine der wesentlichen Ursachen - Herr Professor Pinkwart hat es in seinen Erläuterungen zum Ausdruck gebracht - ist die wirtschaftliche Entwicklung. Durch die wirtschaftliche Entwicklung sind sowohl die Einkommensteuer- als auch die Gewerbesteuereinnahmen in den letzten zwei Jahren dramatisch eingebrochen. ({16}) Da beißt die Maus keinen Faden ab; das ist so. Die erste und wichtigste Konsequenz muss sein, alles dafür zu tun, dass es wieder zu mehr Beschäftigung, zu mehr Wachstum und damit zu mehr Steuereinnahmen kommt. ({17}) Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute wieder Perspektiven haben und wieder investieren können. ({18}) Wir haben entsprechende Vorschläge vorgelegt, ({19}) - Sie nehmen das noch nicht einmal wahr - beispielsweise zur Strukturreform des Arbeitsrechts. ({20}) Darüber reden Sie gar nicht. Vielleicht werden Sie den - seit Monaten angekündigten - Gesetzentwurf irgendwann einmal vorlegen. Wir alle wissen, dass es notwendig ist, die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Die von Ihnen vorgesehenen Steuererhöhungen - das, was Sie vorhaben, ist nichts anderes; dazu kommt es durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer durch die Einbeziehung der freien Berufe ({21}) und die Einbeziehung von Mieten, Zinsen, Pachten und Leasingraten - sind nicht dazu geeignet, die wirtschaftliche Entwicklung zu verbessern, ganz im Gegenteil. ({22}) Ganz abgesehen davon hat dies natürlich auch überhaupt nichts mit den eigentlichen Ursachen zu tun. Damit bin ich bei der zweiten Ursache. Die zweite Ursache ist Ihre eigene Politik, die Wirtschafts- und insbesondere die Steuerpolitik. Sie haben nämlich mit Ihrer Steuerreform bei den Gemeinden, die ohnehin geringere Einnahmen haben, noch mehr Geld abgezogen und ziehen weiter mehr Mittel ab, als das früher der Fall war. Sie haben die Gewerbesteuerumlage von 20 auf 28 Prozent erhöht, und zwar - das ist das Entscheidende - ohne sachlichen Grund. Sie haben den Gemeinden Steuermehreinnahmen versprochen durch Maßnahmen, die Sie zwar angekündigt, aber dann nicht realisiert haben nicht etwa deshalb, weil wir gesagt haben, das komme nicht infrage, sondern Sie selbst haben es nicht realisiert, aber trotzdem das Geld der Gemeinden kassiert. Unter seriösen Geschäftspartnern nennt man das ungerechtfertigte Bereicherung. Deshalb ist das Allerwichtigste, was Sie zu tun haben, diese Gewerbesteuerumlagenerhöhung so schnell wie möglich, nicht irgendwann, sondern sofort, zurückzunehmen. Die Gemeinden haben ein Recht darauf. ({23}) Das sollten Sie allein schon deshalb tun, meine Damen und Herren, weil die Gemeinden jetzt und nicht erst irgendwann konkrete und auch kassenwirksame Hilfen brauchen. In der Kommission und in vielen anderen Zirkeln wurden verschiedene Modelle intensiv diskutiert, insbesondere das von Ihnen angesprochene Modell des Zuschlags, aber auch die so genannte Revitalisierung und verschiedene Mischmodelle. Allerdings wurden nicht alle durchgerechnet. ({24}) Bevor sie nicht solide durchgerechnet sind, bevor nicht alle Alternativen wirklich geprüft wurden, kann man eine so grundlegende Reform nicht durchführen. Sie soll zukunftsträchtig sein, für längere Zeit gelten und nicht nur für ein Jahr oder zwei Jahre - was bei allem, was Sie bisher vorgelegt haben, die Halbwertszeit war - und dauerhaft tragen. Dazu ist es notwendig, dass wirklich grundlegend durchgerechnet wird, auch die Verteilungswirkungen ausgerechnet werden und die Gemeinden genau wissen, was auf sie zukommt. ({25}) Selbst wenn am 1. Januar 2004 im Gesetzblatt steht, was Sie heute in groben Zügen andeuten, bringt das den Gemeinden - da muss man ganz ehrlich miteinander umgehen - im Jahr 2004 nichts, sondern frühestens im Jahr 2005, in manchen Bereichen sogar erst im Jahr 2006. Bei den Landkreisen wird das noch ein Jahr später, wenn überhaupt, kassenwirksam. Ich bezweifle, dass bei Ihren Vorschlägen überhaupt etwas kassenwirksam wird. Es wird nämlich nur fiskalisch auf dem Papier, aber nicht in der Praxis wirksam, weil Sie die wirtschaftliche Entwicklung so kaputtmachen. Deshalb ist es notwendig, sofort etwas zu tun. Ein Vorschlag von uns liegt seit langem auf dem Tisch; ich wiederhole ihn hier. Ich habe vorhin gesagt: Die Gemeinden haben ein Recht darauf. Dabei geht es nicht um ein Almosen oder ein Entgegenkommen. Ich spreche von dem Recht der Gemeinden darauf, dass die Gewerbesteuerumlage wieder auf das Niveau gesenkt wird, auf dem sie vor der Steuerreform war. Das bringt für die Gemeinden schon in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro. ({26}) Weil wir auch für die Gemeinden etwas tun müssen, die wenig oder keine Gewerbesteuereinnahmen haben, die unter der wirtschaftlichen Situation aber auch enorm leiden, schlagen wir vor, den Gemeinden zumindest für das Jahr 2004 eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung zu geben, den Anteil von 2,2 Prozent zumindest im Jahr 2004 auf 3 Prozent anzuheben. Das schlagen wir nicht vor, weil wir die notwendige grundsätzliche Reform der Gemeindefinanzen auf die lange Bank schieben wollen, weiß Gott nicht. ({27}) Im Gegenteil: Die Arbeit muss fortgesetzt werden, aber mit dem Ziel, eine wirklich langfristig tragfähige Reform zu erreichen, eine Reform, die eine Finanzausstattung der Gemeinden gewährleistet, bei der die Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, und zwar originären Mitteln, nicht zugewiesenen Mitteln, in Einklang stehen, eine Reform, deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durchdacht ist, eine Reform, die auch in den Konsequenzen und in den Verteilungswirkungen genau durchgerechnet ist; denn einen Blankoscheck, für wen auch immer, können wir uns bei einer solch grundlegenden Reform nicht leisten. Wir wollen eine grundlegende und tragfähige Reform. ({28}) Das ist nicht in einem Hauruckverfahren zu machen. Es kann nicht angehen, dass man zuerst jahrelang untätig bleibt - und Sie sind jahrelang untätig geblieben; das Problem ist nicht neu -, ({29}) dann nach langem Drängen eine Kommission einsetzt, die aber zu keiner Einigung kam, was vorauszusehen war, und zwischenzeitlich selber nichts tut. ({30}) Jetzt wollen Sie unter dem Deckmantel einer großen Reform etwas verkaufen, das letztlich nicht mehr als das Drehen an einem Schräubchen in die falsche Richtung darstellt, und das Ganze in einem Hopplahopp-Verfahren durchziehen. Das, meine Damen und Herren, geht mit uns nicht. ({31}) Lassen Sie uns deshalb zweigleisig vorgehen: zum einen mit einem Sofortprogramm die aktuelle Not der Kommunen wirksam lindern und zum anderen parallel dazu eine große Reform erarbeiten, die Aufgaben, Ausgaben, Konnexität und alles, was dazu gehört, berücksichtigt. Dann sind wir auf einem guten Weg. Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir werden diese Reform nur gemeinsam mit den Kommunen durchführen können; denn eine Reform gegen die Kommunen, die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte macht keinen Sinn. ({32})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine alte Weisheit lautet: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Ganz anders ist es bei den Gemeindefinanzen. Hier müsste es heißen: Solange sich zwei streiten, leidet der Dritte Not. ({0}) Es ist höchste Zeit für eine Reform der Gemeindefinanzen. Die finanzielle Situation der Kommunen ist prekär und die Folgen für die Städte sind fatal. Wir haben jetzt lange debattiert, Berichte gelesen und ein Jahr lang hat die Kommission gearbeitet. Wir haben von der Kommission Ergebnisse präsentiert bekommen. Wir sind jetzt gefragt, diese Ergebnisse so umzusetzen, dass eine tragfähige und wirksame Reform der Gemeindefinanzen zustande kommt. Sie sagen: Wir brauchen ein Sofortprogramm. Wir haben in den letzten Monaten einiges auf den Weg gebracht, was punktuell hilft. Die Flutopferhilfe hat den Kommunen immerhin ein bisschen gebracht. Die KfW hat ein kommunales Investitionsprogramm „Wachstumsimpulse“ aufgelegt. Wir wissen, dass das nur Kommunen mit starkem Steueraufkommen hilft; aber immerhin. Wir wissen auch, dass diese Einzelmaßnahmen nur punktuell wirken, sie nutzen nicht strukturell. Wir brauchen eine strukturelle Reform der Finanzsituation der Kommunen. Unser Ziel ist und bleibt eine Reform zum 1. Januar 2004. ({1}) Die Reformkommission hat gestern ihre Arbeit - die Prüfung von zwei Modellen - beendet. Man kann immer den Vorwurf erheben, dass ihr Auftrag zu eng war und noch andere Modelle hätten geprüft werden müssen. Man kann aber auch sagen - deswegen will ich die von der Kommission geleistete Arbeit ausdrücklich würdigen -, dass sie uns sehr deutlich klar gemacht hat, anhand welcher Stränge wir entscheiden müssen, welche grundlegenden Differenzen existieren und auf welche Fragen wir mit dieser Reform eine Antwort geben müssen. Ich finde, dass die Arbeit der Reformkommission dadurch sehr hilfreich gewesen ist, auch wenn sie keine Einigung hinbekommen hat. Das ist nicht schlimm; denn wir hier müssen uns einigen. Die Arbeit der Kommission aber erleichtert unsere Entscheidungsfindung, weil sie die Brennpunkte herausgearbeitet hat, nämlich die Haltung zur Gewerbesteuer - Ja oder Nein - und zum Zuschlagsrecht - Ja oder Nein -, nichts anderes. ({2}) Bevor wir uns für ein Modell entscheiden, müssen wir anhand der Prüfkriterien, die die Kommission ihrer Arbeit zugrunde gelegt hat, überlegen, mit welchem Modell die Ziele am effizientesten erreicht werden. Ich will die Ziele noch einmal nennen, die ja hier einhellig immer wieder thematisiert werden und auch im Antrag der CDU/CSU detailliert in zehn Punkten - nur bei einem bringen Sie eine Bewertung - aufgelistet werden. Ein erstes Ziel ist die Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen. Das heißt, wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken ({3}) und dafür sorgen, dass sie nicht mehr so stark von der Konjunktur abhängt. Das wollen Sie doch auch. Wir wollen das aber nicht nur, weil die finanzielle Situation der Kommunen dringend verbessert werden muss, sondern vor allem auch aus wirtschaftspolitischen Gründen. Der Investitionsstau in den Kommunen ist so massiv, ({4}) dass wir glauben, dass das Geld, das in die Kommunen hineinfließt, produktiv wirkt, weil es sofort wieder ausgegeben wird und wichtige Impulse für mehr Beschäftigung gibt. Deswegen wollen wir für eine Verstetigung der kommunalen Steuereinnahmen sorgen. ({5}) Es ist ein Problem, dass die Steuereinnahmen nur von wenigen Steuerpflichtigen vor Ort aufgebracht werden. Nur ein kleiner Teil der wirtschaftlich Tätigen beteiligt sich heute an den kommunalen Leistungen. Die Gewerbesteuer ist eigentlich eine Bezahlung kommunaler Leistungen. Daran müssen sich mehr beteiligen. ({6}) Jetzt sagen Sie, unser Vorschlag bedeute eine Steuererhöhung. Ich sage Ihnen: Unser Vorschlag - gößerer Zahlerkreis - ermöglicht eine Senkung der Steuersätze. Das ist ein ganz elementarer Bestandteil dieses Modells. Dann haben wir mehr, die sich an diesen Leistungen der Kommune finanziell beteiligen. ({7}) Ich könnte weitere Ziele nennen, die Sie alle kennen: Administrierbarkeit, Lösung des Stadt-Umland-Problems, Vermeidung von Bürokratie; ich komme noch im Einzelnen darauf. Diese können am besten durch das Modell der kommunalen Spitzenverbände erreicht werden. Wir sind nach einer langen Entscheidungsfindung zu dem Schluss gekommen, dieses Modell zu verfolgen. Wir stellen uns an die Seite der Kommunen, die die Gewerbesteuer beibehalten und weiterentwickeln wollen. Das wollen auch wir. ({8}) Jetzt sage ich Ihnen kurz, warum wir das Modell der Wirtschaftsverbände ablehnen. Das liegt auf der Hand, wenn Sie sich die gemeindescharfen Berechnungen der Kommission anschauen und sie vorbehaltlos interpretieren. Es bestehen zwei große Probleme. Das erste Problem ist die Stadtflucht. Kernstädte werden einen wesentlich höheren Zuschlag auf die Einkommensteuer legen müssen. Das bedeutet: Es lohnt sich, auf dem Land zu wohnen und in der Stadt zu arbeiten. Damit kommt es zu einem Ausbluten der Kernstädte. Das ist auch aus ökologischer Sicht nicht zu befürworten. ({9}) Das zweite Problem ist - das können Sie sich in den Ergebnissen der Kommission genau anschauen -: Das Steueraufkommen, das heute etwa je zur Hälfte von den Unternehmen und den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, verlagert sich wesentlich auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur noch ein kleiner Teil des Steueraufkommens wird von der Wirtschaft getragen. So bröckelt das Band zwischen Wirtschaft und Kommune, das wir dringend brauchen, damit es vor Ort ein Ansiedlungsinteresse und aktive Wirtschaftsförderung gibt. Dieses Band wollen wir erhalten und stabilisieren. ({10}) Die Koalitionsfraktionen nehmen die Ziele der Reformkommission auf und haben in dem vorliegenden Eckpunktepapier die wesentlichen Grundzüge einer Neugestaltung der Gemeindefinanzen dargelegt. Dabei steht für uns im Vordergrund, die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer weiterzuentwickeln. Ja, wir wollen die Einbeziehung der Freiberufler. Ja, wir wollen, dass die Freiberufler die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anrechnen können. Wir glauben, dass wir durch diese Erweiterung des Zahlerkreises ({11}) mehr Steuergerechtigkeit erlangen können. Ja, wir wollen, dass Finanzierungsneutralität gewährleistet ist. Sie wissen um das Problem, dass Fremdkapital und Eigenkapital steuerlich unterschiedlich behandelt werden. ({12}) Sie wissen auch, dass - ganz vorsichtig gesagt - Gewinne steueroptimierbar sind. Letzte Woche hat Innenminister Beckstein vorgeschlagen, Managergehälter in die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer einzubeziehen. Warum sagt er das? Er sagt es, weil er weiß, dass der Betriebsausgabenabzug es ermöglicht, die Steuerbasis zu senken und damit die Gewerbesteuer herunterzuschrauben. Dies wollen wir ändern. ({13}) - Nicht, dass ich falsch verstanden werde: Ich teile den Vorschlag von Innenminister Beckstein nicht. Aber er benennt damit indirekt das Problem, das auch wir sehen. ({14}) Neben der Ausgestaltung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftsteuer gibt es natürlich weitere Aspekte. Ein wesentlich unstrittigerer Aspekt ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Die Kommunen können hier in Milliardenhöhe entlastet werden. Ein Teil der eingesparten Mittel soll für den dringend notwendigen Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren verwendet werden. Ein dritter Aspekt - da wende ich mich an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD - ist die Gewerbesteuerumlage. Aus grüner Sicht gehört die Gewerbesteuerumlage in den Gesamtkontext der Reform der Gemeindefinanzen. Wenn wir die Gewerbesteuer neu auflegen, wenn wir das Band zwischen Kommune und Wirtschaft festigen, wenn wir das kommunale Ansiedlungsinteresse stärken und wenn wir die Gemeindefinanzen umfassend reformieren wollen, dann dürfen wir die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen den Ebenen nicht ausblenden. Dies bedeutet für mich in der logischen Konsequenz, dass die Prüfung der Gewerbesteuerumlage im Gesamtkontext noch in diesem Jahr erfolgen muss. Ich verhehle dabei nicht, dass die Gewerbesteuerumlage nach Auffassung der grünen Finanzpolitiker zu hoch ist und gesenkt werden sollte. ({15}) - Herr Götz, ich weiß, dass Sie mir Beifall spenden. Aber jetzt erkläre ich Ihnen, warum wir den Antrag der Union nicht unterstützen können. Er verdeutlicht die komplette Unsicherheit der Union zu diesem Thema. Frau Roth will etwas anderes als Herr Beckstein, dieser will etwas anderes als die Bundestagsfraktion und diese will etwas anderes als Ihre Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vor Ort. ({16}) Die Folge ist, dass Sie einen Antrag vorlegen, mit dem Sie viel zu kurz springen. Ich bewerte ein paar Punkte dieses Antrags: Sie sagen, der Auftrag der Kommission sei zu eng gefasst gewesen. Okay, aber von Ihnen kommt kein Vorschlag, der im Hinblick auf die Steuer signifikant über die Vorschläge der Kommission hinausginge. ({17}) Sie sagen, die Gewerbesteuer wirke selektiv. Okay, aber das liegt daran, dass in Zeiten der Unionsregierung die Gewerbesteuer systematisch ausgehöhlt wurde. Sie sagen, die Abgrenzung des Gewerbebegriffs sei problematisch. Das sehen wir auch so. Dann sollten Sie uns aber bei unserer Forderung nach Einbeziehung der Freiberufler öffentlich unterstützen. Dies wirkt der Selektion entgegen. In den zehn Punkten, die Sie auflisten und die wir größtenteils unterschreiben können, sagen Sie überhaupt nicht, welches Steuermodell Sie eigentlich wollen. ({18}) Sie müssen irgendwann springen. Ich sage Ihnen: Ein bisschen Mut tut gut. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie dringend, mit uns für eine umfassende Reform zu streiten. Ihre Konfusion bedeutet weitere Verzögerung. Sie haben uns vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen, wir verzögerten die Gemeindefinanzreform. ({19}) Wir haben heute ein Eckpunktepapier. Im Laufe des Sommers wird ein Gesetzentwurf erarbeitet. Sie aber legen einen Gesetzentwurf vor, der die Probleme gar nicht löst. Das ist Verzögerung. Jede weitere Verzögerung trägt zu einer Verschärfung der strukturellen Probleme der Städte und Gemeinden bei. Wir sollten den Kommunen gemeinsam helfen und ein für alle Seiten befriedigendes Gewerbesteuerkonzept erarbeiten, das nicht wirtschaftsfeindlich, sondern kommunalfreundlich ist. Wir brauchen eine umfassende Reform. Die Kommunen zählen auf uns. Wenn wir dies heute auf den Weg bringen, dann ist es ein guter Tag für die Kommunen und damit ein guter Tag für die Menschen in diesem Land. Vielen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile des Wort dem Kollegen Peter Götz, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist manchmal spannend, die Unterschiede zwischen den Koalitionsfraktionen hier zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) Uns geht es darum, dass das System der Gemeindefinanzen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Der Dachstuhl in den Kommunen brennt. Deshalb brauchen sie sofort Hilfe. Wir greifen Ihren Vorschlag gern auf, die Gewerbesteuerumlageerhöhung sofort zurückzunehmen. ({1}) Ständig neue Ankündigungen sind zu wenig, Herr Finanzminister; Handeln ist angesagt. Seit Jahren gehört die Reform der Kommunalfinanzen zu den Dauerbrennern der politischen Diskussion in Bund, Ländern und Gemeinden. ({2}) Rot-Grün hat innerhalb von wenigen Jahren die Städte und Gemeinden an den Rand des finanziellen Ruins regiert. Die kommunalen Haushalte laufen aus dem Ruder. ({3}) Wenn Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen haben, dann sprechen Sie einmal mit Ihren Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten vor Ort. ({4}) Der Bundeskanzler hat in seiner gestrigen Regierungserklärung zur finanziellen Lage unseres Landes die kommunale Finanzmisere mit keiner Silbe erwähnt. Er hat nicht einmal das Wort Kommunen in den Mund genommen. Städte, Gemeinden und Kreise gibt es bei ihm nicht. ({5}) Das ist schade und für unser Land nicht gut. ({6}) Durch Ihre über Jahre hinweg betriebene kommunalfeindliche Politik gefährden Sie die kommunale Selbstverwaltung in ihrer Grundsubstanz. Es ist immer schwieriger, Menschen zu finden, die für ein kommunales Mandat zur Verfügung stehen. Das hat etwas mit Ihrer Politik zu tun. Auf der einen Seite nehmen Sie den Kommunen immer mehr Steuereinnahmen weg - wir haben es heute gehört: bei der Gewerbesteuer durch die Gewerbesteuerumlage - auf der anderen Seite sorgen Sie durch ständige Übertragung von neuen Aufgaben dafür, dass die kommunalen Ausgaben immer mehr zunehmen. Geschenke an die Bürger zu verteilen und sie von anderen bezahlen zu lassen ist immer mehr zum Markenzeichen rot-grüner Politik geworden. ({7}) Grundsicherungsrente, Eingliederungshilfe, Ganztagsschulen, Kinderbetreuung, das alles hört sich gut an. Aber wer bezahlt die Rechnung? - Die Kommunen. In den Städten und Gemeinden werden Schwimmbäder, Bibliotheken und Theater geschlossen. Schulen, Straßen und Kinderspielplätze können nicht mehr repariert werden. Straßenbeleuchtungen werden in vielen Kommunen abgeschaltet. Es gehen im wahrsten Sinne des Wortes die Lichter aus. ({8}) Was macht die Bundesregierung? Sie kündigt an und verbreitet Hoffnung; aber Konkretes kommt nicht. Nach fünf Jahren Ankündigungen ({9}) - Entschuldigung, Sie sind seit fünf Jahren in der Regierungsverantwortung ({10}) erklären Sie, dass man die kommunalen Finanzkräfte stärken wolle. Dieser Tage ist ein dünnliches Eckpunktepapier serviert worden, in dem wieder nichts Neues und nichts Substanzielles steht. Sie werfen uns in diesem Papier vor, dass wir den Kommunen schnell helfen wollen und dass wir dafür konkrete Gesetzesvorschläge unterbreitet haben. Das ist für uns nicht nachvollziehbar. ({11}) Die mit großem Tamtam jahrelang angekündigte und kurz vor Ende der letzten Legislaturperiode unter dem großen Druck der Öffentlichkeit und der Kommunen unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzte Gemeindefinanzreformkommission - man sollte sich es einmal auf der Zunge zergehen lassen: Die Gemeindefinanzreformkommission ist unter dem Vorsitz des Bundesfinanzministers eingesetzt worden ({12}) hat, wie wir heute wissen, gestern ihre Zelte ergebnislos abgebrochen. ({13}) - Sie hat gut gearbeitet; nur die Ergebnisse sind leider nicht hervorragend. „Kommission zur Gemeindereform gescheitert“, lauten die Schlagzeilen in der Tagespresse. „Flickwerk programmiert“, titelt heute die „Welt“. Sie sollten einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was hier aufgezeigt wird. Einig waren sich die Mitglieder der Kommission lediglich darüber, dass den Kommunen schnell geholfen werden muss. Das lehnen Sie leider ab. ({14}) Tun Sie es jetzt! Es wird höchste Zeit. ({15}) Kaum ein Globalplayer zahlt heute dank Ihrer weltgrößten rot-grünen Steuerreform überhaupt noch Gewerbesteuer. Nahezu alle international agierenden Konzerne haben sich von der Gewerbesteuer verabschiedet. ({16}) Herr Bundesfinanzminister, wenn der Oberbürgermeister von München vorgestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zu Recht beklagt, dass - ich zitiere - „kein einziges der sieben im Dax notierten Unternehmen Münchens Gewerbesteuer zahlt“ und mit dem Finger deutlich nach Berlin zeigt, dann besteht dringender Handlungsbedarf. ({17}) Ich fordere Sie deshalb auf, den Streit in der Regierung zu beenden und endlich den wiederholt von Ihnen selbst angekündigten Entwurf eines Gesetz zur Gewerbesteuer auf den Tisch zu legen, und zwar einen verfassungsgemäßen. Ich bin gespannt, ob sich der Finanzminister oder der Wirtschaftsminister bei diesem Gesetzentwurf durchsetzt. Wir werden einmal schauen, was dabei unter dem Strich herauskommt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Götz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Abgeordneter Götz, die nordrhein-westfälischen CDU-Oberbürgermeister haben sich im Oktober letzten Jahres einstimmig für das Modell der kommunalen Spitzenverbände ausgesprochen. Die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte haben in Mannheim dem Modell der kommunalen Spitzenverbände mit überwiegender Mehrheit zugestimmt. Der Deutsche Städtetag und der Landkreistag folgten dem. Warum missachten Sie die Sachkompetenz Ihrer eigenen CDU-Bürgermeister in einer derart eklatanten Art und Weise? ({0})

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich frage Sie zurück: Warum legen Sie dann nicht endlich einen Gesetzentwurf auf den Tisch? ({0}) Wenn Sie schon zitieren, dann darf ich vielleicht noch einen weiteren Hinweis geben. Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern fordert: Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes 2000 muss zurückgenommen werden. ({1}) Es kann ja nicht angehen, Herr Bundesfinanzminister, dass Sie hier alles ablehnen und am Schluss die Länder alles bezahlen lassen, was Sie nicht finanzieren wollen. Das ist der falsche Weg. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Götz, gestatten Sie noch eine Nachfrage? Der Kollege Krüger ist noch nicht ganz zufrieden.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie nicht bereit sind, vor der eigenen Haustür zu kehren. Ansonsten bitte ich, das Problem im von mir ansonsten sehr geschätzten Bundesland Bayern zu erläutern. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das war nun keine Frage mehr.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Ihrer Bemerkung keine Frage entnommen. Ich würde gerne in meiner Rede fortfahren, und zwar auch, weil wir die Debatte über die Kommunalfinanzen nicht auf die Frage verkürzen dürfen, an welcher Stelle wir die Gewerbesteuer reformieren. Der Einbruch der Kommunalfinanzen hat eine wesentlich größere Dimension; hier geht es um mehr. Die Ursachen dafür liegen bei den Ausgaben und den Aufgaben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Götz, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Pronold?

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne den Gedanken, den ich angesprochen habe, fortsetzen. Deshalb brauchen wir darüber hinaus eine Begrenzung der Aufgaben- und der Ausgabenpolitik. Es muss Schluss sein mit dem ständigen Verschiebebahnhof, bei dem bundespolitische Aufgaben auf kommunale Haushalte verschoben werden. Diese Aufgaben können die Gemeinden, Städte und Kreise nicht mehr finanzieren. ({0}) Deshalb fordern wir eine konsequente Anwendung des Konnexitätsprinzips bei der Übertragung von Aufgaben auf die Kommunen, damit endlich wieder der Grundsatz gilt: Wer bestellt, bezahlt. Wir wollen auch eine zügige, umfassende Reform der Kommunalfinanzen - wie sie von Ihnen seit fünf Jahren immer wieder angekündigt wird -, und zwar nicht verkürzt auf die Frage der Gewerbesteuer. Eine solche Reform muss die Städte und Gemeinden in die Lage versetzen, über eigene Steuern zu verfügen, die ihnen stabile und verlässliche Einnahmen garantieren. Langer Rede kurzer Sinn: ({1}) Wir wollen endlich Taten sehen, nicht irgendwelche Ankündigungen. Durch Ihre zögerliche Politik verhindern Sie seit vielen Jahren dringend notwendige kommunale Investitionen. Die lokale Bauwirtschaft bricht weg vielleicht haben Sie das noch nicht zur Kenntnis genommen. Ein traditionsreiches Unternehmen nach dem anderen macht still und leise Pleite. Die Zahl der Arbeitslosen nimmt zu; Sie brauchen sich nur Ihre eigenen Statistiken anzuschauen. Auch wenn nicht, wie bei Holzmann, der Bundeskanzler kommt, so hat das Ganze, was sich hier wie in vielen anderen Politikfeldern vollzieht, nur einen Namen: Er heißt Gerhard Schröder. ({2}) Wir wollen zügige, vernünftige Lösungen. Wir wollen Lösungen, die nicht noch mehr Unternehmen in den Ruin treiben. ({3}) Deshalb ist die von Ihnen angekündigte Substanzbesteuerung von Unternehmen, die rote Zahlen schreiben, der falsche Weg. Sie vernichten damit Arbeitsplätze in Deutschland. Das kann nicht im kommunalen Interesse sein. ({4}) Wir wollen, dass schnell gehandelt wird, und zwar so, dass die Kommunen dies nicht erst im Jahre 2006 oder noch später spüren, sondern so, dass sie dies bereits 2003 oder 2004 in ihren Kassen merken, damit sie endlich wieder im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ihre Aufgaben wahrnehmen können. Deshalb bitte ich Sie, auch im Namen vieler Kommunalpolitiker, die heute zuhören: Herr Finanzminister, stimmen Sie unserer Initiative zu und nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage sofort zurück! Das ist Geld, das der Bund den Kommunen weggenommen hat. Deshalb ist es nicht mehr als recht und billig, es ihnen zu belassen. Das hilft schnell und wäre ein positives Signal für Ihren guten Willen. Es reicht nicht, Frau Kollegin Andreae, hier am Rednerpult zu verkünden, dass Sie eigentlich für die Rückführung der Gewerbesteuerumlage sind, wenn Sie gleichzeitig den Antrag „Eckpunkte für eine umfassende Gemeindefinanzreform“ unterschreiben, in dem unser Vorschlag abgelehnt wird. Was gilt jetzt: Entweder das eine oder das andere? ({5}) Um es ganz konkret zu sagen: Unsere Vorschläge, schnell zu helfen, sind kein Ersatz für die dringend notwendige Reform, sondern sie gehen ihr voraus und dienen einer schnellen Entlastung der Kommunen. Lebenswerte Städte und Gemeinden sind ein guter Garant für eine positive Entwicklung. Diese brauchen wir in unserem Land dringend. Wenn Sie den Kommunen wirklich helfen wollen, bitte ich Sie: Helfen Sie jetzt - nicht für uns, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Bundesminister Hans Eichel. ({0})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einen einzigen Satz zur Antwort: Wer in 16 Jahren systematisch die Gewerbesteuer ausgehöhlt hat, ({0}) statt jemals das Thema Kommunalfinanzen auf die Tagesordnung zu setzen, der kann nicht kritisieren, dass wir erst die Unternehmensteuerreform und dann die Gemeindefinanzreform durchführen. Wenn wir die Reihenfolge anders herum gewählt hätten, hätten wir die Unternehmensteuerreform noch gar nicht. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michelbach?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Wenn es sein muss, bitte.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Frage zulassen. Was halten Sie denn von der Forderung des bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Maget, ({0}) der die ungerechtfertigte Bereicherung des Bundes zulasten der Kommunen durch die Gewerbesteuerumlageerhöhung anprangert und den bayerischen Kommunen wörtlich schreibt: Die letzte Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge des Steuersenkungsgesetzes 2000, die hälftig jeweils Bund und Ländern zugute kommt, muss zurückgenommen werden. Er geht dann noch darauf ein, dass es im Bund dafür leider keine Mehrheit gibt. Herr Bundesminister, ist Herr Maget damit nicht ein klarer Zeuge dafür, dass Sie endlich unserem Antrag folgen sollten, die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurückzunehmen? Auch aus den Reihen Ihrer eigenen Partei wird das klar gefordert. Dazu steht Ihre Aussage hier in einem klaren Widerspruch. ({1})

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich werde dieses Thema nachher im Zusammenhang ausführlich behandeln, Herr Kollege Michelbach, und dann bekommen Sie auch meine Antwort. ({0}) - Von mir aus auch das, kein Problem. Aber in Bayern ist ja zurzeit Wahlkampf und es wird beispielsweise von Ihrem Ministerpräsidenten für nach der Landtagswahl allen alles versprochen. Ich erreiche nicht einmal, dass im Finanzplanungsrat eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird, die sich mit den Ausgabenproblemen der Länder und Kommunen im Zusammenhang mit Bundesgesetzen beschäftigen soll, weil in Bayern Landtagswahlen sind und sich keiner traut, das jetzt zu machen; erst nach der Wahl können sachliche Gespräche beginnen. Das ist die Lage, mit der wir es in Bayern zu tun haben, meine Damen und Herren. ({1}) - Ich komme darauf zurück. Es ging jetzt darum, was Sie in Bayern machen. Nun sage ich Ihnen kurz und klar etwas zu der Kommission. 16 Jahre haben Sie nichts gemacht und die Gewerbesteuer ausgehöhlt. Es waren stabilisierende Elemente im Gesetz zur Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform enthalten. Das hat nicht ausgereicht; das ist wohl wahr. Das, was der Kollege Ude sagt, ist die Konsequenz Ihrer Gesetzgebung. In der Tat kann das nicht hingenommen werden. Herr Senator Peiner aus Hamburg hat sehr nachdrücklich auf die Gewerbesteuerzahlungen der großen, international tätigen Unternehmen an ihren Standorten in Deutschland hingewiesen. Es ist richtig: Das muss geändert werden. ({2}) Darüber besteht auch Einvernehmen. Ich will hier keine streitige Debatte führen; denn eines ist ganz entscheidend: Wir hatten eine Kommission, deren Auftrag, bevor wir den Kabinettsbeschluss gefasst haben, mit allen Beteiligten - mit den Bundesländern, den Wirtschaftsverbänden, den kommunalen Spitzenverbänden - einvernehmlich behandelt worden ist. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir alles unter einem Hut hatten und den Einsetzungsbeschluss fassen konnten, aber es war alles einvernehmlich. Auch die Kommissionsarbeit ist vollkommen einvernehmlich erfolgt, auch was die Überprüfung der Modelle betraf.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein, nach der Erfahrung mit Herrn Michelbach mache ich das nicht. ({0}) Ich werde jetzt von der Arbeit der Kommission berichten. Es dürfte für Sie hochinteressant und spannend sein ({1}) - auch für die Zwischenrufer, Herr Michelbach -, wie sich die verschiedenen Länder, auch die B-Länder, in dieser Kommission eingelassen haben. ({2}) Vielleicht können wir doch gemeinsam zu einem Ergebnis kommen. Sie müssten nur berücksichtigen, was Ihre Landesregierungen und Ihre Kommunalpolitiker in diesem Zusammenhang tun. Ich will nun zur Arbeit der Kommission differenziert vortragen und auf Unterschiede eingehen. Die gemeinsame Grundlage, der Beschluss des Kabinetts, war - das sage ich ausdrücklich - vorher mit allen abgestimmt. Alle arbeiteten völlig einvernehmlich und ohne Streit zusammen. Wir liegen genau im Zeitplan, der übrigens außerordentlich ehrgeizig ist. Auch das haben Sie anders darzustellen versucht. Was wir nicht geschafft haben - das will ich Ihnen ebenfalls sagen -, ist, in allen Punkten einen breiten Konsens zu finden. Das ist wahr. Ich möchte nun zum Ergebnis der Arbeit der Kommission kommen, das ich gestern völlig einvernehmlich zusammengestellt habe, und es differenziert darstellen. Die Kommission hat eine hervorragende Grundlage für die nun zu leistende Arbeit im Gesetzgebungsverfahren geschaffen. Wir haben eine gemeinsame Position mit allen Verbänden und allen Vertretern gefunden, mit einer Ausnahme: Sachsen war anderer Meinung. Auf dieser Basis soll zum 1. Januar 2004 das Gesetz über die grundlegende Reform der Gemeindefinanzen im Bundesgesetzblatt stehen. Darin waren sich alle einig. Deshalb erwarte ich, dass wir das im Bundesrat und im Bundestag - das geht nur, wenn beide Organe zustimmen - gemeinsam schaffen. Ich will darauf hinweisen, dass es verfassungsrechtlich so ist, dass die Länder die Kommunen vertreten und dass die Kommunalhaushalte verfassungsrechtlich Bestandteil der Länderhaushalte sind. ({3}) Es gibt eine besondere Verantwortung der Länder für die Kommunen, was sich bei ihrem Abstimmungsverhalten im Bundesrat übrigens widerspiegeln müsste. Da wir das einvernehmlich entschieden haben, gehe ich davon aus, dass wir das auch so machen. ({4}) Ziel ist die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation. In Bezug auf die Einnahmeseite soll es als Grundlage einer kommunalen Wirtschaftssteuer eine modernisierte Gewerbesteuer geben. Hierin bestand Einvernehmen zwischen allen Landesvertretern, den kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesregierung. Einvernehmen bestand nicht mit den Wirtschaftsverbänden, wobei durchaus zu erkennen war, dass es bei der Stärke der Ablehnung der Gewerbesteuer durchaus Differenzierungen gibt. Der Grad der Ablehnung durch den BDI war nicht bei den anderen Wirtschaftsverbänden anzutreffen. Ich bin übrigens froh, dass am Schluss alle erklärt haben, auch BDI-Präsident Rogowski, dass sie sich beim Gesetzgebungsverfahren kooperativ einbringen werden. Denn es macht keinen Sinn, dann, wenn alle Vertreter der Kommunen und der Länder das Modell von BDI und VCI strikt ablehnen, zu sagen: Weil wir uns nicht durchgesetzt haben, gehen wir nach Karlsruhe. Ich hoffe, das wird nicht passieren. Ich begrüße ausdrücklich, dass BDI-Präsident Rogowski erklärt hat, am Gesetzgebungsverfahren kooperativ mitzuarbeiten. In diesem Zusammenhang ist zu würdigen, dass geklärt wurde, wie die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage aussehen soll. Darüber will ich im Einzelnen nichts sagen, weil wir verabredet haben - es gibt auch in der Bundesregierung noch Diskussionen darüber; das ist ja auch in Ordnung -, dass wir mit allen Betroffenen sehr sorgfältig im Gesetzgebungsverfahren verhandeln wollen. Denn die Verstetigung der kommunalen Einnahmesituation - das haben wir alle gewollt - ist nicht einfach auszutarieren. Ziel muss sein, dass die prozyklische Investitionspolitik der Gemeinden aufhört. ({5}) Diese ist schlecht für uns alle. Das ist kein Vorwurf an die Gemeinden, sondern ein Vorwurf, der unserem System und der ständigen Aushöhlung der Gewerbesteuer gilt. In diesem Zusammenhang muss man sich die Frage stellen, wie sich das auf der einen Seite auf kleine und mittlere Betriebe auswirken wird und wie wir es auf der anderen Seite schaffen, dass die großen, international tätigen Unternehmen Gewerbesteuer zahlen. In diesem Punkt hat Christian Ude vollkommen Recht; darüber muss man gar nicht streiten. Also werden wir das bereits bei der Aufstellung sehr sorgfältig prüfen. Das erwarte ich selbstverständlich auch von Ihnen, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt. Die Zusammenführung der Zuständigkeit für die Arbeitslosenhilfeempfänger und die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger bei der Bundesanstalt für Arbeit und damit deren Überführung in die finanzielle Verantwortung des Bundes ist, mit Ausnahme des Deutschen Landkreistages einvernehmlich beschlossen worden. Alle anderen waren dafür. Es gibt auch eine gemeinsame Position hinsichtlich der Entlastungswirkungen für die kommunale Ebene; dieses Thema war übrigens im Rahmen des Auftrages ursprünglich nicht vorgesehen. Es stand ja im Auftrag des Kabinetts, dass es keine Belastungsverschiebungen zwischen den Ebenen geben dürfe. Seinerzeit hatten die kommunalen Spitzenverbände - ich muss das einmal zum Schmunzeln sagen - den dringenden Wunsch geäußert, das in den Entwurf hineinzuschreiben, weil sie den Verdacht hatten, der Bund wolle die Arbeitslosenhilfeempfänger ihrer Zahlungspflicht unterstellen. Da haben sie gesagt: Das darf nicht passieren, wenn es dafür keinen Ausgleich gibt. - Das ist in Ordnung. Ich sage aber ganz leise: In demselben Augenblick, in dem klar war, dass der Zug anders herum fährt, haben sich viele an diese Forderung, die wir auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände in den Beschluss des Kabinetts hineingeschrieben haben, nicht mehr so gern erinnert. Ich sage ausdrücklich: Unsere Bereitschaft - so weit das geht; ich komme gleich auf diese Bemerkung zurück -, an dieser Stelle zu helfen, besteht. Deswegen haben wir - mit unserer Stimme - einvernehmlich festgestellt, dass Entlastungswirkungen für die kommunale Ebene im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu klären sind. Warum soll das im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens geschehen? Weil es zwei Dinge betrifft: Man muss klären, was auf der Einnahmeseite passiert, zum Beispiel mit der Gewerbesteuerumlage. Sie ist seinerzeit mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände beschlossen worden - das muss sich jeder noch einmal klar machen -, weil deutlich war, dass die Kommunen in etwa, sogar unterdurchschnittlich, an den durch die Steuerreform verursachten Ausfällen beteiligt werden sollten. Das war der Punkt. An dem Argument hat sich auch nichts geändert, nur dass die Finanznot der Kommunen in der Zwischenzeit genauso groß geworden ist wie unsere. Ich will bei der Gelegenheit sagen: Wir werden zusätzlich zu den Wirkungen einer modernisierten Gewerbesteuer, auch die Wirkungen auf der Einkommensteuerseite zu beachten haben. Das wird man im Einzelnen in diesem Herbst betrachten müssen. Hier ist ausdrücklich von Entlastungswirkungen die Rede. Es war die Meinung einer Mehrheit von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, kommunalen Spitzenverbänden und einem Teil der Ländervertreter, dass es außerdem ein Sofortprogramm geben solle. Das würde ich in keinem Moment bestreiten. Wir wollen aber in diesem Herbst sehen, was auf dem Tisch liegt und welche Wirkungen sich bereits in 2004 entfalten. Das wird man dann sehen. Dann können Sie wieder Anträge einbringen. Aber ich sage ausdrücklich: Die Finanzprobleme der Kommunen sind nicht durchgreifend - das ist übrigens auch nicht unsere Aufgabe - unter Rückgriff auf den Bundeshaushalt zu lösen; das ist eine Aufgabe der Länder. Sie sind demzufolge nur in einem Konsolidierungskonzept durchgreifend zu lösen, das sowohl die Länder und die Kommunen als auch den Bund in eine andere finanzielle Situation bringt. Dabei sind Betrachtungen der Ausgabenseite genauso anzustellen wie die der Einnahmeseite. ({6}) Dabei haben alle eine große Verantwortung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Danke, Herr Präsident. Ich bin sofort fertig. ({0}) Bayern hätte das schon machen können; es wurde übrigens im Bayerischen Landtag abgelehnt. Die Bayerische Staatsregierung hätte doch schon längst ihren Anteil an der Umsatzsteuer abtreten können. Das wäre in Ordnung gewesen. ({1}) Ich sage Ihnen: Es gibt auch bei uns da und dort unterschiedliche Auffassungen. Es ist aber erstaunlich, dass wir bei dem, was ich eben dargestellt habe, eine gemeinsame Position aller dort anwesenden B-Länder-Vertreter und ({2}) aller kommunalen Spitzenverbände - und zwar, wie Sie wissen, einschließlich derer, die Ihrer Partei angehören haben. Letzter Punkt. Wir haben verabredet, den Themenkatalog dessen, was weiterbehandelt werden soll, in einer gemeinsamen Besprechung zwischen kommunalen Spitzenverbänden, dem Vorsitzenden der Finanzministerkonferenz, dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und der Bundesregierung festzulegen. Denn dass wir nur die beiden Themen Gewerbesteuer und Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in das Zentrum gestellt haben, war ausdrücklich auch der Wunsch der kommunalen Spitzenverbände. Ich halte das für richtig, weil eine breitere Themenpalette nie dazu geführt hätte, dass wir in einem Jahr zu einem Ergebnis der Kommissionsarbeit gekommen wären. Angesichts des Ziels 1. Januar 2004 war die Begrenzung auf diese beiden großen Themen die richtige Antwort. ({3}) Die Bundesregierung wird im August im Kabinett über den Entwurf entscheiden. Er wird Ihnen zugeleitet. Wir haben einen straffen Zeitplan; wir alle haben dafür eine Verantwortung. Wir müssen in diesem Herbst neben vielen anderen Dingen für eine durchgreifende Konsolidierung der Kommunalhaushalte sorgen. Durch diesen Gesetzentwurf werden wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Gisela Piltz, FDP-Fraktion, das Wort.

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arme Kommunen - das ist der einzige Gedanke, der mir gleich in mehrfacher Hinsicht kommt, wenn ich das sehe, was Rot-Grün hier heute vorgeschlagen hat. ({0}) Bei Umsetzung der Pläne von Rot-Grün bleiben die Kommunen arm. Eine umfassende finanzielle Absicherung ist nicht zu erwarten. Ich darf mir aus aktuellem Anlass folgende Bemerkung gestatten: Das, was das Kabinett open air in Neuhardenberg besprochen hat, geht mit ungefähr 4,5 Milliarden Euro zulasten der Kommunen. Die Entlastungen, die Sie vorschlagen, würden weniger bringen. Ich frage mich, wie Sie angesichts dieser Tatsache heute eigentlich noch in Ihre Gemeinden nach Hause gehen und erklären können, warum Sie sie so, wie Sie es heute hier tun, im Regen stehen lassen. ({1}) Arme Kommunen aber auch, weil die rot-grüne Bundesregierung hier und heute zum wiederholten Mal gezeigt hat, dass ihr das Schicksal der Kommunen eigentlich ziemlich egal ist. ({2}) Erinnern Sie sich noch an den Anfang des Jahres und an das Thema Grundsicherung? Das war wieder einmal ein dunkles Kapitel für die Kommunen. Sie haben sich der „angenehmen“ Auftragsverteilung zulasten der Kommunen bedient. ({3}) Sie haben zwar eine Kostenerstattung in Höhe von 409 Millionen Euro bereitgestellt, überwiesen wurde sie aber an die Länder und nicht an die Kommunen. Das bezeichnen Sie auch noch als Umsetzung des Konnexitätsprinzips. Meine Damen und Herren, wir legen heute als erste und bisher einzige Fraktion einen Gesetzentwurf mit einem konkreten Vorschlag zur Umsetzung des Konnexitätsprinzips vor. Wir sind so konsequent, dass wir sagen: Es kann nicht länger angehen, dass derjenige, der bestellt, nicht bezahlt und dass immer alles zulasten der Kommunen geht. Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem Gesetzentwurf. ({4}) Auf unsere Anfrage hin erklärte die Bundesregierung zur Grundsicherung damals lapidar: Über die Kosten kann die Bundesregierung im Moment noch keine Aussage treffen. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, das macht ja wohl deutlich, dass Sie gar nicht wissen, welche Kosten bei den Kommunen anfallen, und dass es Ihnen eigentlich auch egal ist. ({5}) Ohne leistungsfähige Kommunen wird in den Städten weniger gebaut, fallen Arbeitsplätze weg und wird das Wirtschaftswachstum noch weiter geschwächt. Nur durch unseren Gesetzentwurf, eine konkrete Gemeindefinanzreform und die Beachtung des Konnexitätsprinzips wird sich das ändern. ({6}) Ich komme zum Schluss. Lassen Sie es nicht zum Scheitern einer umfassenden und soliden Finanzreform kommen! Helfen Sie den Kommunen hier und sofort! Wenden Sie sich von einer unsoliden und unsicheren Einnahmequelle der Kommunen ab! Kommen Sie weg von der Gewerbesteuer und hin zu einem soliden Finanzkonzept, wie wir es Ihnen heute vorschlagen! Die Kommission ist gescheitert, wir sind es nicht. Wir haben nicht 13 Monate umsonst getagt; wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt. Sie können mit Ihrer Zustimmung einen erheblichen Beitrag zur Sanierung der Kommunen leisten. Wir würden uns freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen würden. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Eichel, der Bürgermeister von Neuhardenberg, Herr Michael Kernchen, parteilos, hätte sich sicher gefreut, wenn Sie - Herr Eichel, ich spreche gerade direkt zu Ihnen; es wäre nett, wenn Sie diese eine Minute zuhören würden - das Schloss am letzten Wochenende für eine Stunde verlassen hätten, um bei ihm auf ein Bier vorbeizuschauen. Dieser kleine Ort Neuhardenberg hat zwar ein schönes Schloss, aber auch 1 Million Euro Schulden. Bei allen Inszenierungen, die in unserer Mediengesellschaft offenbar unvermeidbar sind, sollte auch ein Finanzminister einmal hinter die Kulissen schauen. ({0}) Die schwerste Finanzkrise in der Geschichte der Bundesrepublik trifft die allermeisten der etwa 14 000 Rathäuser und 323 Landratsämter. Den Kommunen werden in diesem Jahr rund 10 Milliarden Euro fehlen. Das sind noch 3 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Die Gewerbesteuer als wichtigste Steuereinnahme der Städte und Gemeinden ist seit 2001 in einem bislang unbekannten Umfang eingebrochen. ({1}) Von diesen rückläufigen Einnahmen müssen die Kommunen zusätzlich einen zunehmenden Anteil als Gewerbesteuerumlage an Bund und Land abführen. Besonders angespannt ist die finanzielle Situation von Kommunen in Ostdeutschland. Deren Pro-Kopf-Steuereinnahmen betragen lediglich ein Drittel dessen, was die Kommunen im Westen einnehmen. Damit hängen die meisten ostdeutschen Kommunen am Tropf ihrer Länder. Bundesweit gehen die kommunalen Investitionen spürbar zurück. Im Jahre 2002 lagen diese Investitionen 30 Prozent unter dem Niveau von 1992. Das heißt, viele Kommunen können nicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Der Bund muss unserer Meinung nach den Kommunen die finanziellen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit - das sind jährlich rund 5 Milliarden Euro - im Rahmen der kommunalen Sozialhilfe erstatten. Welche Vorschläge aber liegen auf dem Tisch? Ich will die Vorschläge der Unternehmerverbände herausgreifen. Diese wollen die Gewerbesteuer abschaffen und durch ein so genanntes kommunales Zuschlagsrecht auf die Lohn- und Körperschaftsteuer ersetzen. Das würde bedeuten: Vor allem große Unternehmen würden aus ihrer Verantwortung für die Kommunalfinanzierung entlassen. Im Gegenzug würden den Arbeitnehmern noch größere Lasten aufgebürdet. Nach dem Willen der Unternehmer würde der Anteil der Arbeitnehmer am kommunalen Steueraufkommen von derzeit ungefähr 48 Prozent auf voraussichtlich 64 Prozent gravierend ansteigen und dementsprechend der Anteil der Unternehmen spürbar sinken. Wir als PDS haben ganz andere Vorschläge: Erstens. Erhalt und Modernisierung der Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogene Steuer. Zweitens. Der Kreis der Steuerpflichtigen muss spürbar erweitert werden. Alle ortsansässigen Wirtschaftseinheiten - von den global wirtschaftenden Konzerngesellschaften bis hin zu den freien Berufen - sollten ab dem Jahr 2004 entsprechend ihrer Leistungskraft ihren Beitrag für die Finanzierung ihrer Standortgemeinde leisten. ({2}) - Ich bin nicht dafür da, Sie in jeder Sitzung zu überraschen, sehr geehrter Herr Kollege. ({3}) Drittens. Erweiterung der Bemessungsbasis für die Gewerbesteuer. Daher sollten ab dem Jahr 2004 sämtliche Zinsen und Zinsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten einbezogen werden. Viertens. Um den Kommunen sofort, das heißt, noch im laufenden Haushaltsjahr 2003, mehr finanziellen Spielraum einzuräumen, sollte die mit der Steuerreform von 2000 beschlossene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zugunsten von Bund und Länder von jetzt 26 Prozent wieder auf 20 Prozent reduziert werden. Auch die Grünen sind schon darauf eingegangen. Damit hätten Städte und Gemeinden noch in diesem Jahr 2,3 Milliarden Euro mehr an Gewerbesteuer zur Verfügung. Fünftens. Für den Nachtragshaushalt dieses Jahres fordern wir eine kommunale Investitionspauschale des Bundes, und zwar nicht nur an ostdeutsche Städte und Gemeinden, sondern auch für Kommunen in strukturschwachen Regionen im Westen. ({4}) Zur Finanzierung könnte zum Beispiel der Verkauf eines geringen Teils der immer noch immensen Goldreserven der Bundesbank mobilisiert werden. Ich erwarte nicht, dass Sie gleich alle Vorschläge der PDS aufnehmen. Aber Sie sollten sich neuen Ideen öffnen. Das würde uns allen helfen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion. ({0})

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unseren Vorschlägen zur Gemeindefinanzreform, auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite, wollen wir den finanziellen Spielraum der Kommunen erweitern. Wir sehen alle gemeinsam - darüber gibt es keinen Dissens -, dass es notwendig ist, den Kommunen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, damit sie Investitionen vor Ort tätigen können. Das ist unser Beitrag zur Wachstums- und Beschäftigungspolitik. Diese Reform wollen wir voranbringen und am 1. Januar 2004 in Kraft setzen. Das ist die Perspektive. ({0}) Die Gemeindefinanzreform ist auch die Voraussetzung dafür, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzuführen, Herr Kauder. Das ist etwas, was offensichtlich auch die CDU/CSU will. ({1}) - Das ist nicht richtig. Wir haben das schon sehr viel länger geplant, Herr Schauerte. Entscheidend ist, dass es auch gemacht wird. ({2}) Wir haben mit den ersten Seiten Gesetzen zur HartzReform schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben wichtige Weichen gestellt. Denken Sie daran, dass wir die Vermittlung in Arbeit verbessert und vor allen Dingen die Existenzgründungen vorangebracht haben. Die Zahl der Existenzgründungen ist in der ersten Hälfte dieses Jahres um 33 000 gestiegen. Das ist ein großer Erfolg unserer Hartz-Gesetze I und II. Die „Berliner Zeitung“ schreibt darüber: „Das ist der Boom des Jahres“. Das ist ein gutes Zeichen, um auch die Hartz-Gesetze III und IV, die unter anderem die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe betreffen, auf den Weg zu bringen. ({3}) Es ist überhaupt keine Frage: Wir müssen weg von der Finanzierung der Arbeitslosigkeit und hin zur Vermittlung in Arbeit und zur Integration in Beschäftigung. Das tun wir vor allen Dingen mit der Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe. ({4}) Wir brauchen klare Zuständigkeiten und vor allen Dingen klare Verantwortlichkeiten. Der Verschiebebahnhof, den es - das ist unstrittig - in diesem Bereich gibt, zwischen den Kommunalfinanzen auf der einen Seite und den Bundesfinanzen auf der anderen Seite, soll der Vergangenheit angehören. Wir wollen mit der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe einen Wechsel einleiten. Das betrifft sehr viele Menschen in unserem Land, nach den heutigen Schätzungen 900 000 Sozialhilfeempfänger und 1,3 Millionen Arbeitslosenhilfeempfänger, zusammen genommen also 2,2 Millionen Menschen in unserem Land. Weil eine solch große Gruppe von Menschen von dieser Reform betroffen sind, brauchen wir dazu - das sage ich an die Adresse der CDU/CSU - einen Kompromiss und die Fähigkeit zum Konsens. Das kann man nicht im Dissens organisieren. Ich bin ganz überrascht, dass es in diesem Zusammenhang - wenn man den Antrag der CDU/CSU liest - sehr viele Gemeinsamkeiten gibt. Das ist aus meiner Sicht ein Signal dafür, dass wir vielleicht mit der CDU/CSU einen Kompromiss erreichen. Dies wäre zum Wohle der Menschen; denn sie warten auf dieses Signal. ({5}) Wir wollen mit der Reform zum einen zwei nebeneinander vorhandene, getrennte steuerfinanzierte Systeme zusammenfassen. Zum anderen wollen wir vor allen Dingen die Integration von Langzeitarbeitslosen in Arbeit und Beschäftigung verbessern. Ich weiß, dass das ehrgeizige Ziele sind. Aber wenn die aktivierenden Leistungen unabhängig vom Status des Langzeitarbeitslosen zusammengefasst werden, kann dies - davon bin ich überzeugt - nicht nur zu mehr Beschäftigung führen, sondern auch dazu beitragen, dass die Menschen mehr Selbstbewusstsein und eine Perspektive erhalten. In diesem Zusammenhang ist „fördern und fordern“ keine Leerformel, sondern sogar existenziell. Wir müssen positive Signale setzen, die zeigen, dass Wiedereingliederung für viele machbar ist und Eigeninitiative und Eigenverantwortung belohnt werden. Deshalb sind wir jetzt schon - im Vorgriff auf diese Reform - bereit gewesen, zwei große Sonderprogramme zu finanzieren. Zum Ersten gibt es JUMP plus, wodurch 100 000 junge Menschen den Einstieg in den Beruf erhalten sollen. Das finanziert die Bundesregierung mit 310 Millionen Euro. ({6}) Karin Roth ({7}) Zum anderen wurde in den letzten Tagen zusätzlich das Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose in Höhe von 860 Millionen Euro beschlossen. Mit diesen beiden Programmen schließt die Bundesregierung die finanzielle Lücke in diesem Jahr, die entstanden ist, weil sich Kommunen und Länder zum Teil aus den Arbeitsmarktprojekten zurückgezogen haben. Wir setzen also schon in diesem Jahr ein positives Signal in Richtung der Kommunen. Das ist eine gute Nachricht für die Beschäftigungsträger in den Regionen und eine noch bessere Nachricht für die Menschen, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. ({8}) Wir wollen eine neue staatliche Fürsorgeleistung einführen. Wir wollen, dass Erwerbsfähige im Alter von 15 bis 65 Jahren anspruchsberechtigt sind, und wir wollen vor allen Dingen, dass die Leistung existenzsichernd und armutsfest ist. Aus dem Antrag der CDU/CSU ergeben sich Möglichkeiten zu einem gemeinsamen Kompromiss in der Frage der Sanktionen und der Anrechnung von Vermögen. Ich wünschte mir, dass insbesondere auch hinsichtlich der Gestaltung auf kommunaler Ebene eine gemeinsame Position gefunden wird. Es geht nicht an, weiterhin auf Dezentralisierung zu setzen, wie es der Landkreistag fordert, und die Zuständigkeit für die neuen Leistungen den Kommunen zu übertragen. Ich halte es vielmehr für richtig, die Zuständigkeit für diese Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu übertragen. ({9}) Alle Leistungen aus einer Hand - das ist die richtige Position! Die kommunalen Haushalte erfahren durch diese neue Maßnahmen Entlastungen in Milliardenhöhe. Ich denke, diese Möglichkeit muss genutzt werden, zum Beispiel um die Kinderbetreuung auszubauen. Deshalb sollen 1,5 Milliarden Euro aus der Einsparsumme an die Kommunen zurücküberwiesen werden. Das ist eine wichtige Botschaft für die allein erziehenden Mütter und Väter; denn damit wird die Voraussetzung für ihre Erwerbsfähigkeit geschaffen. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Roth, Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten.

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit der Gemeindefinanzreform wollen wir die Kommunen, vor allem in den strukturell benachteiligten Regionen, unterstützen. Auch mit der Zusammenlegung der Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe sollen die Kommunen entlastet werden. Ich denke, es ist Zeit, dass wir uns auf diesen Weg einigen, auch und vor allem im Interesse der Menschen in unserem Lande. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Klaus-Peter Flosbach, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort.

Klaus Peter Flosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003528, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesminister musste leider weg, um einen wichtigen Termin wahrzunehmen. Das müssen wir verstehen. Er hat uns seine Probleme vorgetragen und über die Prüfungen informiert, die er vornehmen will. Als er nicht mehr weiterwusste, erzählte er von den 16 Jahren, in denen die Union dieses Land geführt hat. Als langjähriger Kommunalpolitiker versichere ich Ihnen: Jedes dieser 16 Jahre war für die Kommunalpolitik und für die Bürger in unserem Lande besser als die letzten fünf Jahre unter dieser Bundesregierung. ({0}) Der Kollege Götz hatte Recht: Der Einfluss von Minister Eichel auf den Bundeskanzler ist offensichtlich so gering, dass der Bundeskanzler gestern nicht mit einem einzigen Wort die katastrophale Finanzlage der Kommunen in diesem Land erwähnt hat. Die Kommunen haben finanziell bewegte Jahre hinter sich; der Druck auf die Ausgabeseite ist gerade von Ihrer Bundesregierung immer weiter erhöht worden. Die Erosion der kommunalen Finanzen hat unter dieser Regierung eine Größenordnung erreicht, die nur mit dem krassen Versagen der Bundesregierung in der Finanz- und Wirtschaftspolitik zu begründen ist. Das wird derzeit allen Bürgern klar. ({1}) Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das Ihnen recht nahe steht, prognostiziert ein Wachstum von 0,1 Prozent. Die Bundesregierung hingegen kalkuliert immer noch mit einem Wachstum von 2 Prozent. ({2}) Das muss man sich einmal vorstellen! Die Zahl der Insolvenzen steigt ständig an. Unsere Kommunen weisen ein laufendes Defizit in Höhe von mindestens 10 Milliarden Euro auf. Denken Sie in diesem Zusammenhang an die 80er- und 90er-Jahre zurück, als die Haushalte noch ausgeglichen waren! Durch das Vorziehen der Steuerreform wird für die Kommunen ein weiteres Loch von 2 Milliarden Euro entstehen. Sie können ihre Bilanzen nur noch durch Schönrechnen gestalten. Die Nachricht über ein weiteres Loch in Höhe von 2 Milliarden Euro hat, so schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer gestrigen Ausgabe, bei den Kommunen wie eine Bombe eingeschlagen. Denn die Betroffenen wissen, dass ihnen eine Gegenfinanzierung nicht möglich ist. Herr Eichel hat wieder eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Kosten für die Kommunen errechnen soll. Das ist natürlich eine tolle Leistung. Sie wissen doch, dass die Kommunen keine Möglichkeit haben, weitere Kürzungen auf der Ausgabenseite vorzunehmen. Gerade deshalb ist es erstaunlich, was die Kommunen in den letzten Jahren geleistet haben. Sie müssen immer bedenken, dass jede Kürzung im kommunalen Bereich für die Bürger unmittelbar spürbar ist. Ich appelliere deshalb an Sie in den Regierungsfraktionen: Vergessen Sie nicht, dass die Eingliederungshilfe für die Kommunen ein wichtiges Thema ist. Die hier vorhandenen Probleme können die Kommunen nicht alleine bewältigen. Wir wissen, dass sich die Erfordernisse der Eingliederungshilfe, deren Mittel den Behinderten zugute kommen, in den nächsten Jahren verdoppeln werden. Wir müssen deshalb hier ein eigenes Leistungsgesetz schaffen. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Den Kommunen geht es schlecht und Ihnen fällt nichts anderes ein, als die Gewerbesteuer zu reanimieren. Diese Steuer hat bewiesen, dass sie wegen der Unstetigkeit und der Konjunkturanfälligkeit der aus ihr resultierenden Einnahmen jegliche kommunale Planung über den Haufen werfen kann. Sie ist des Weiteren sehr bürokratisch, weil sie aufwendig berechnet werden muss: Zuerst müssen der Gewinn und der Gewerbeertrag ermittelt werden. Dann muss eine Gewerbesteuererklärung abgegeben werden. Danach erfolgt die Prüfung des Gewerbesteuerbescheids. Dann geht es von den Finanzämtern zu den Steuerämtern der Städte. Die Gemeinden ziehen schließlich die entsprechenden Beträge ein - und dann wird die Zahlung wieder auf die Einkommensteuer angerechnet. Der Kanzler hat gestern von Bürokratieabbau gesprochen. Nichtsdestotrotz machen Sie heute den Vorschlag, 750 000 bzw. 800 000 Freiberufler in die Gewerbesteuer einzubeziehen. Wir werden ja sehen, was passieren wird, wenn die ersten Einsprüche kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Einbeziehung der freien Berufe in diese Steuer verfassungsgemäß ist oder nicht. Derzeit müssen 750 000 selbstständige Freiberufler eine teure und aufwendige Berechnung ihrer beruflichen Einkünfte vornehmen. Anschließend erfolgt die Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer, allerdings nur bis zu einem Hebesatz von 350 Prozent. ({3}) Aus Sicht der Bürger haben wir es mit einer doppelten Belastung zu tun; denn der Hebesatz endet ja nicht unbedingt bei 350 Prozent. In Frankfurt beispielsweise liegt der Hebesatz bei 490 Prozent. Hier wird der einzelne Freiberufler deutlich mehr Steuern zahlen als bisher. So kommt ja - der Deutsche Städtetag hat es heute bekannt gegeben - die zusätzliche Belastung von 2 Milliarden Euro zusammen. Selbst diejenigen, die innerhalb der Freibeträge bleiben, also keinen Gewinn errechnen, müssen natürlich die Ermittlungskosten tragen. Diese beginnen für diese Gruppe der Freiberufler bei 300 Euro und können in die Tausende gehen. Zusammenfassend stelle ich fest: Das alles ist nichts anderes als eine dramatische Steuererhöhung für die 750 000 selbstständigen Freiberufler in Deutschland. Das sollten Sie von Rot-Grün auch den Menschen sagen. ({4}) Anstatt eine unsinnige Steuer abzuschaffen, dehnen sie diese mit dem Gerechtigkeitsargument auf 750 000 weitere Existenzen aus. Das ist der wahre Abbau von Bürokratie, von dem Kanzler Schröder gestern gesprochen hat. Nun geht Ihre Liebeserklärung an die Gewerbesteuer noch ein Stück weiter. Sie wollen die so genannten ertragsunabhängigen Teile wie Zinsen, Leasingraten und Mieten in die Berechnung der Gewerbesteuer einbeziehen. Damit greifen Sie tief in die Substanz der Unternehmen ein. Warum müssen denn viele Unternehmen mieten und Leasingverträge abschließen? Weil sie nicht über das notwendige Eigenkapital verfügen. Nur noch mit dieser Fremdfinanzierung können viele Unternehmen überleben. Sie von Rot-Grün wollen offenbar bei den 40 000 Insolvenzen noch draufsatteln. Es ist kaum zu glauben, wie tief offenbar die mangelnde Kenntnis vom Innenleben deutscher Unternehmen bei Ihnen sitzt. ({5}) Das Scheitern der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Lange genug haben Sie diese Kommission versteckt und sich auch hinter ihr versteckt. Ich behaupte, dass die beabsichtigte Ausdehnung der Gewerbesteuer schon vorher zu Ihrem Plan gehört hat. Sie können übrigens auch nicht die kommunalen Spitzenverbände heranziehen. Denn diesen geht es heutzutage ausschließlich um die Frage: Wie kommen wir schnell an Geld? ({6}) Sie wissen genau, dass die kommunalen Spitzenverbände unser Sofortprogramm unterstützen. Das ist auch nicht verwunderlich; denn es verspricht als Einziges sofortige Hilfe. Sie haben sich aber nicht nur hinter der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen versteckt, sondern haben uns auch alle Detailergebnisse verheimlicht. Sie haben sich nur auf zwei Modelle konzentriert, obwohl zehn verschiedene vorgelegen haben, unter anderem von der FDP und insbesondere von unserem Kollegen Fromme. Sie waren einfach nicht in der Lage, mithilfe dieser Modelle Detailergebnisse vorzulegen, was für das Gelingen einer Beratung notwendig ist. Die Krisenanfälligkeit des jetzigen Gewerbesteuersystems hat doch gezeigt, dass die Zeit für eine neue Finanzierung unserer Städte und Gemeinden längst reif ist. Natürlich kann auch ein Zuschlagsmodell das Band zwischen der Wirtschaft auf der einen Seite und den Bürgern auf der anderen Seite sein. Sie begründen Ihre Ablehnung aller Zuschlagsmodelle damit, dass die Arbeitnehmer dadurch zu stark belastet werden. Wie Sie wissen, sind die Kommunen mit 15 Prozent an den Einkommenssteuereinnahmen beteiligt. Die Vorschläge - ich halte sie für realistisch - zielen darauf ab, dass diese 15 Prozent herausgelöst werden und dass auf dieser Grundlage ein Zuschlagsrecht für die Gemeinden gebildet wird. Wir müssen selbstverständlich noch darüber diskutieren, ob die Verteilung der Mittel heute noch gerecht ist. Vor allen Dingen müssen wir an die Mischfinanzierung herangehen; denn sie ist ein Übel dieser Zeit. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte jetzt noch die Gewerbesteuerumlage in den Kommunen ansprechen. Die Kommunen meines Kreises befinden sich in folgender Situation - ich habe mit den jeweiligen Bürgermeistern gesprochen -: Zehn Kommunen befinden sich in der Haushaltssicherung, drei noch nicht. Die Kommunen müssen von ihren Gewerbesteuereinnahmen, sofern sie solche noch haben, einen Betrag von 28 Prozent und demnächst 30 Prozent an Bund und Land abführen. Da sie noch Gewerbesteuereinnahmen haben, bekommen sie vom Land entsprechend geringere Zuweisungen, sodass von den eigentlichen Gewerbesteuereinnahmen überhaupt nur 10 Prozent übrig bleiben. Wir sollten wirklich eine gemeinsame Lösung finden und die gesamte mit der Gewerbesteuer verbundene Bürokratie abschaffen. Das ist der einzig sinnvolle Weg. ({8}) Herr Präsident, ich komme zum Schluss. - Wir brauchen ein Konzept, das von der Bevölkerung in Gänze akzeptiert wird. Nutzen wir deshalb diese Situation, um den Kommunen eine neue finanzielle Basis zu geben! Frau Andreae, ich unterstütze Ihr Vorhaben - auch Frau Scheel, die Vorsitzende des Finanzausschusses, hat davon gesprochen -, die Gewerbesteuerumlage zu senken. Unterstützen aber auch Sie unseren Vorschlag, kurzfristig den Umsatzsteueranteil von 2,2 Prozent auf 3 Prozent anzuheben! Das hilft den Gemeinden - sofort und wirksam. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Bernd Scheelen, SPD-Fraktion.

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Flosbach, jedes der 16 Jahre unter der Regierung Helmut Kohl war für die Gemeinden ein verlorenes Jahr. ({0}) In diesen 16 Jahren wurde die Gewerbesteuer ausgehöhlt. Die jetzt zu beobachtenden, im Vergleich zu früheren Jahren relativ geringen Gewerbesteuereinnahmen sind eine Folge Ihrer verfehlten Politik in dieser Zeit. ({1}) Ich könnte mein Redemanuskript jetzt eigentlich zur Seite legen und alles, was Kollegen hier gesagt haben, kommentieren. Ich will das nur in Teilen tun.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie vorweg eine Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde gleich die Zwischenfrage beantworten, die Sie vorhin gestellt haben. Aber stellen Sie ruhig eine weitere Zwischenfrage!

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, dass Sie mir diese Möglichkeit geben. - Sind Ihnen zwei Zahlen bekannt - ({0}) - Ich bin schon froh, wenn er zwei Zahlen kennt. ({1}) Ist Ihnen bekannt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Ende der Regierungszeit unter Helmut Kohl und der Entwicklung des Gewerbesteueraufkommens gibt? Das Gewerbesteueraufkommen belief sich 1999 - das war eine Auswirkung der Politik der Regierung Helmut Kohl - auf etwa 27 Milliarden Euro. Ist Ihnen bekannt, dass sich das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden in diesem Jahr voraussichtlich auf eine Größenordnung von 16 Milliarden Euro beläuft? Können Sie mir erklären, inwieweit die Differenz zwischen 27 Milliarden Euro und 16 Milliarden Euro etwas mit der Regierung Helmut Kohl zu tun hat? Hat das vielleicht nicht doch etwas mit dem Wechsel zur Regierung Schröder zu tun? ({2})

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Frage beweist Ihre ganze Doppelzüngigkeit. Bei den 27 Milliarden Euro handelt es sich um einen Bruttowert. Den können Sie nicht mit einem vermutlichen Nettowert - abzüglich der Gewerbesteuerumlage vergleichen. Was Sie machen, ist schräg. ({0}) Das Aufkommen der Gewerbesteuer im Jahr davor betrug 23,5 Milliarden DM. Das gute Aufkommen in 1999 - da regierte Gerhard Schröder schon - hat mit der guten Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung zu tun gehabt. ({1}) Das steigerte sich im Jahr 2000 noch. Da hatten wir das höchste Gewerbesteueraufkommen überhaupt. Der Rückgang beim Gewerbesteueraufkommen, der sich jetzt zeigt, Herr Kollege Götz, hängt mit der Aushöhlung zusammen, die Sie betrieben haben. Sie haben die Gewerbesteuer zu einer reinen Gewinnsteuer gemacht. In wirtschaftlich schlechten Zeiten wie jetzt zeigt sich, dass Sie eine falsche Politik betrieben haben. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Götz will nicht lockerlassen. Herr Kollege Scheelen, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Götz?

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es denn sein muss.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Peter Götz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000705, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte nur fragen: Ist Ihnen bekannt, Kollege Scheelen, dass schon einmal ein wichtiges Mitglied Ihrer Fraktion das Thema brutto und netto behandelt hat und damit Probleme hatte? ({0})

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Götz, ich habe eher den Eindruck, dass Sie brutto und netto verwechselt haben. Ich werde auch keine weiteren Zwischenfragen des Kollegen Götz mehr zulassen und nur noch die Zwischenfrage beantworten, die er vorhin gestellt hat und die Bayern betraf; der Kollege Michelbach hat ja auch noch in die Kerbe gehauen. Dazu will ich Ihnen Folgendes sagen: Die SPD-Landtagsfraktion in Bayern ({0}) hat im Bayerischen Landtag beantragt - insofern haben Sie nur die Hälfte zitiert -, dass in Bayern der Länderanteil an der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage infolge der Steuerreform zurückgezahlt wird. ({1}) Das haben die Bayerische Staatsregierung und die CSULandtagsfraktion mit ihrer Mehrheit abgelehnt. Das zeigt, wie ernst Sie diese Forderung wirklich nehmen. ({2}) Sie stellen hier im Bundestag das vierte Mal, glaube ich, die Forderung, dass der Erhöhungsanteil der Gewerbesteuerumlage infolge der Steuerreform zurückgezahlt wird. Ernst meinen Sie es damit aber nicht; noch vor eineinhalb Jahren, im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich, haben Sie es abgelehnt, über die Gewerbesteuerumlage zu reden. Wie ernst Sie es damit meinen, haben Sie ganz besonders in Bayern gezeigt. Die Staatsregierung ist nicht bereit, ihren Anteil an die Gemeinden zurückzuzahlen. ({3}) Ganz im Gegenteil: In Bayern nimmt man den Kommunen sogar Geld für die Besoldung von Lehrern ab. Das gibt es in keinem anderen Bundesland. ({4}) Jetzt noch ein Wort zur FDP als Kommunalpartei. Ich finde es besonders spannend, dass sich die FDP als Kommunalpartei geriert. Sie von der FDP sind in den 90er-Jahren in Nordrhein-Westfalen - das ist mein Heimatbundesland, daher kommen auch die beiden Abgeordneten, die von Ihnen heute hier gesprochen haben doch reihenweise aus den Kommunalparlamenten geflogen. ({5}) Das geschah doch nicht deswegen, weil Sie so gute Politik gemacht haben. Sie sind erst wieder hineingekommen, als die Fünf-Prozent-Hürde gefallen ist. Da hatten sie die Chance, mit 2 Prozent wieder in den Stadtrat einzuziehen. ({6}) Frau Kollegin Piltz, Sie haben bemerkt: Wenn ich mir Ihren Antrag anschaue, dann sage ich nur: Arme Kommunen. - Ich kann Sie nur dazu auffordern, unseren Antrag, unser Vorhaben, das Kommunalmodell zum Gesetz zu machen, zu unterstützen; denn das ist das, was die Kommunen wollen. Sie wollen nicht nur kurzfristig Geld haben, Herr Kollege Flosbach, Sie wollen ein langfristiges Konzept, das zukunftssicher ist, und das ist das Konzept der kommunalen Spitzenverbände, das auch unserem Antrag zugrunde liegt. ({7}) Die Haltung der CDU/CSU ist hier in der Zeitung sehr gut beschrieben. Ich hatte das Vergnügen, am Montag in Bayern zu sein, und konnte vor Ort die „Süddeutsche Zeitung“ kaufen. ({8}) Darin steht: Kommunen fühlen sich im Stich gelassen. - Das zielt nicht auf die Bundesregierung, sondern auf die Bayerische Staatsregierung. Vom Bayerischen Städtetag ist zu hören, die CSU eiere in dieser Frage herum. Herr Deimer, der Ihnen als Oberbürgermeister von Landshut und Städtetagschef in Bayern sicherlich sehr gut bekannt ist, fühlt sich von der Staatsregierung verraten und sagt: Wir sind stinksauer. Die haben uns im Stich gelassen. - Das ist die Stimmung an der CSU-Basis bei Ihnen in den Kommunen! Sie sollten sehr gut auf das hören, was Ihre Kommunalpolitiker vor Ort wollen. Die wollen das, was wir in unserem Antrag niedergelegt haben, nämlich die Durchsetzung des Kommunalmodells. Dazu werde ich gleich noch ein paar Sätze sagen. Ich will zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, der Kommission von dieser Stelle aus für die wirklich intensive Arbeit, die sie in gut einem Jahr geleistet hat, sehr herzlich zu danken. Es war nicht einfach, in einer so kurzen Zeit den sehr schwierigen Komplex der Gemeindefinanzen so aufzuarbeiten, wie sie es getan hat. ({9}) Sie hat uns gestern den Abschlussbericht vorgelegt, der, was das Zahlenmaterial angeht, völlig unstrittig ist. Darüber gibt es innerhalb der Kommission, zwischen den verschiedenen Partnern überhaupt keinen Streit. Unsere Aufgabe ist jetzt, anhand der unstrittigen Zahlen zu entscheiden, was wir machen wollen. Das ist Aufgabe von Politik. Wir haben Ihnen unseren Antrag vorgelegt, nach dem das Kommunalmodell weiterverfolgt werden soll. Zwei Sätze dazu, warum wir das BDI/VCI-Modell nicht wollen. Das hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist folgender: Dieses Modell verlagert Zahllasten der Wirtschaft infolge der Gewerbesteuer auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zwei Drittel der jetzigen Last, die die Unternehmen mit der Gewerbesteuer tragen, sollen demnächst Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tragen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir nicht einverstanden. Das werden wir nicht mitmachen. ({10}) Zweitens. Wenn Sie sich das Zahlenmaterial des BDI/ VCI-Modells anschauen, werden Sie feststellen, dass die Kommunen unterm Strich leer ausgehen, denn das Aufkommen erhöht sich nicht. Ganz im Gegenteil, es sind 8 Millionen Euro - diesmal sind es wirklich 8 Millionen und nicht 8 Milliarden, Herr Flosbach - weniger. Das geht im Wesentlichen zulasten der Länder. Hier stellt sich die Frage, wie Sie das auf der anderen Seite ausgleichen wollen. Das heißt, dieses Modell hilft den Kommunen überhaupt nicht. Ein dritter Punkt ist, dass, vorausgesetzt, das Hebesatzrecht, das den Gemeinden nach diesem Modell auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer eingeräumt werden soll, würde in Kraft treten, die großen Städte - vorhin wurden ja Frankfurt und die dort geltenden 480 Punkte genannt - einen deutlich höheren Hebesatz erheben müssten als die Umlandgemeinden. Auch das können Sie dem von der Gemeindefinanzreformkommission vorgelegten Zahlenmaterial entnehmen. Bei einem durchschnittlichen Hebesatz von 23 Prozent würde Frankfurt beispielsweise 35 Prozent weniger kommunale Einnahmen haben, während die Gemeinde Kronsberg, wo viele gut verdienende Leute wohnen, 65 Prozent mehr hätte. Um das auszugleichen, müssten die Hebesätze deutlich verändert werden. Frankfurt müsste dann mit einem Hebesatz von etwa 35 Prozent kalkulieren, während Kronsberg möglicherweise mit 8 oder 9 Prozent auskäme. Das würde zur Stadtflucht führen, die wir aber nicht unterstützen wollen. ({11}) Letzter Grund, warum wir das BDI/VCI-Modell ablehnen: Es ist ein bürokratisches Monster. Es wundert mich, ehrlich gesagt, dass die FDP und auch die Industrie so etwas vorschlagen. ({12}) Stellen Sie sich ein Werk wie BMW vor, das Arbeitnehmer aus vielleicht 50 Umlandgemeinden beschäftigt. Die Lohnbuchhaltung müsste den Hebesatz dieser 50 Gemeinden abfragen. All das muss in die Berechnungen einfließen und auf dem Lohnsteuerzettel des Arbeitnehmers erscheinen. Es ist und bleibt also ein bürokratisches Monster. So etwas ist nicht durchsetzbar. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Scheelen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pinkwart?

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Pinkwart, bitte.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Scheelen, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie den Antrag zur Grundgesetzänderung, der heute von der FDP-Fraktion vorgelegt worden ist, gelesen haben. Dann müssten Sie nämlich festgestellt haben, dass hier nicht die Umsetzung des BDI/VCI-Modells beantragt wird, sondern ein Zweisäulenmodell. Besteht die Bereitschaft in Ihrer Fraktion, sich mit diesem Ansatz auseinander zu setzen, damit wir tatsächlich zu einer grundlegenden Reform kommen können?

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Pinkwart, Sie haben im Prinzip das BDI/VCI-Modell übernommen und noch ein paar Elemente angefügt. Das ändert aber nichts an den Aussagen, die ich gerade zu den Auswirkungen dieses Modells getätigt habe. ({0}) Jetzt sage ich noch einen Satz zu dem, was wir vorhaben: Wir wollen, dass die Gewerbesteuer modernisiert wird. Ich wende mich entschieden gegen die Behauptung, dass das, was wir da vorschlagen, einer Substanzbesteuerung gleichkommt. Das ist eine infame Lüge. Es geht im Prinzip darum, diejenigen Unternehmen, die - das beklagen Sie ja auch permanent - Möglichkeiten zur Gestaltung ihrer steuerlichen Belastungen haben, nämlich die großen Konzerne, und die keine Gewerbesteuer mehr zahlen, dazu zu zwingen, wieder ihren Beitrag zur kommunalen Infrastruktur zu leisten. ({1}) Wir können nicht akzeptieren, dass sich Großunternehmen aus der Finanzierung der Gemeinden verabschieden. Das verhindert das Modell, das wir Ihnen vorschlagen. Es geht nicht um eine weitere Belastung des Mittelstandes, ganz im Gegenteil: Der wird durch Freibeträge und eine entsprechende Gestaltung von solchen Belastungen freigestellt. Es geht also um die großen Konzerne, denn es ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, ob Großkonzerne ihren Beitrag für das Gemeinwesen leisten. ({2}) Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, ist aufgrund der Wahlentscheidungen in den Bundesländern Verantwortung zugewachsen. Nehmen Sie diese Verantwortung wahr! Hören Sie auf Ihre Kommunalpolitiker vor Ort! Unterstützen Sie unser Kommunalmodell und tragen Sie dazu bei, dass wir dieses Jahr eine vernünftige und anständige Reform hinbekommen, die zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/1247 und 15/1217 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Druck- sache 15/1321 mit dem Titel „Eckpunkte für eine umfas- sende Gemeindefinanzreform“: Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Antrag ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Dritte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung - Drucksachen 15/1179, 15/1272 Nr. 2.1, 15/1343 - Berichterstattung: Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann Dr. Antje Vogel-Sperl b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Christian Eberl, Daniel Bahr ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen - Drucksachen 15/315, 15/729 Berichterstattung: Abgeordnete Gerd Friedrich Bollmann Dr. Antje Vogel-Sperl Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Gerd Friedrich Bollmann von der SPD-Fraktion das Wort. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen, die dieser Debatte nicht folgen wollen, bitte ich, den Saal zu verlassen, damit sich die anderen auf die Rede konzentrieren können. Bitte schön, Herr Bollmann.

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es liegt sicherlich im Interesse aller Betroffenen, dass wir die Verpackungsverordnung zügig und abschließend regeln. ({0}) Ich denke, dass mir alle hier im Hause zustimmen, wenn ich sage, dass die jetzt geltende Pfandregelung unübersichtlich ist und dringend verbessert werden muss. ({1}) Wir haben uns intensiv mit diesem Thema befasst. Vor zwei Tagen fand dazu im Umweltausschuss eine öffentliche Anhörung statt. Unsere Meinung zur Novelle der Verpackungsverordnung wurde dabei bestätigt: Die Neuregelung stärkt Mehrwegsysteme und ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackungen. ({2}) Sie bringt Klarheit für Verbraucher und größere Planungs- und Investitionssicherheit für die betroffenen Wirtschaftszweige. ({3}) Die Umweltschutzverbände, das Umweltbundesamt, das Institut für Energie- und Umweltforschung und die Verbraucherzentralen bewerten die Novelle positiv. Der Bundesverband mittelständischer Privatbrauereien sprach, bezogen auf das Pfand, von einer Erfolgsstory und sprach sich aus ökologischen und ökonomischen Gründen für die von uns vorgeschlagene Neuregelung aus. ({4}) Es gibt natürlich auch Kritik an der Novelle, aber selbst die Kritiker müssen zugeben, dass das Pfand schon jetzt eine Lenkungswirkung in Richtung Mehrweg ausübt. ({5}) Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Unser Ziel ist es, Abfall zu vermeiden und speziell bei den Getränkeverpackungen Mehrwegsysteme und ökologisch vorteilhafte Verpackungen zu fördern. ({6}) Dieses Ziel wird auch von den Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützt. Nach einer ForsaUmfrage vom 11. und 12. Juni halten 75 Prozent der Befragten ein Pfand auf Einwegflaschen und Dosen grundsätzlich für richtig. 70 Prozent der Befragten sind jedoch mit der gegenwärtigen Umsetzung der Verpackungsverordnung weniger oder überhaupt nicht zufrieden. Unübersichtliche Regelungen, fehlende Rückgabemöglichkeiten, die Verweigerung eines Teiles des Handels und die Meinung der Bürger beweisen die dringende Notwendigkeit einer raschen Neuregelung. ({7}) Was würde passieren, wenn diese Novelle scheitert? ({8}) Dann würde die jetzige Pfandregelung mit all ihrer Unübersichtlichkeit und der ökologisch wenig sinnvollen Unterscheidung nach Getränkesegmenten weiter gelten. Weiterhin gäbe es zum Beispiel die absurde Regelung, dass nur auf Mineralwasser mit Kohlensäure Pfand erhoben wird, nicht jedoch auf Mineralwasser ohne Kohlensäure. Diese ökologisch und ökonomisch nicht nachvollziehbare Regelung stammt aus der Zeit, in der sich die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel intensiv mit dieser Thematik beschäftigt hat. ({9}) Aber es würde sogar noch schlimmer kommen. Nach der jetzigen Regelung müsste demnächst Pfand auf Wein, ({10}) Milch und möglicherweise auch auf Fruchtsäfte erhoben werden, egal in welchen Verpackungen sie angeboten werden. ({11}) Das bedeutet, es gäbe auch Pfand auf Getränkekartons, also auf Verpackungen, die nach den Ergebnissen der Ökobilanzen genauso umweltverträglich wie Mehrwegsysteme sind. ({12}) Die Konsequenz wäre eine weitere Verunsicherung der Verbraucher, eine fehlende Planungs- und Investitionssicherheit für die Verpackungs- und Getränkehersteller und vor allem eine weitere Schwächung ökologisch vorteilhafter Verpackungen. ({13}) All dies zeigt, dass die Neuregelung unbedingt notwendig ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Merkel hat sich in der gestrigen Debatte zur Regierungserklärung in, wie ich finde, kurioser Form zum Dosenpfand geäußert. ({14}) Sie hat von „hirnrissigen Vorschlägen“ und „Schwachsinn, der keine Grenzen kennt“ gesprochen. ({15}) Ich würde diese Begriffe nicht verwenden. Aber wenn Frau Merkel dies tut, dann hat sie wohl bereits vergessen, dass es sich genau um jenen Unsinn handelt, an dem sie als zuständige Ministerin mitgewirkt hat und den wir nun durch die dringend notwendige Novelle korrigieren wollen. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heute zu verabschiedende Novelle beruht auf den Eckpunkten, die das Bundesumweltministerium mit den Umweltministern von Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen abgesprochen hat. ({17}) Dieser Kompromiss mit Vertretern des Bundesrates vom 16. Februar dieses Jahres ist die Grundlage; ich hoffe, dass wir auf dieser Basis auch im Bundesrat zu einer schnellen Einigung kommen werden. Meine Damen und Herren von der Union, ich denke, Sie akzeptieren ebenfalls das Pflichtpfand für alle Einweggetränkeverpackungen. Neben wenigen kleinen Änderungen fordern Sie jedoch insbesondere die Einführung einer automatischen Innovationsklausel. Einen solchen Automatismus lehnen wir ab. Politische Entscheidungen muss das Parlament treffen. Die Anhörung im Umweltausschuss hat deutlich gemacht, dass ein Innovationsautomatismus nicht sinnvoll und auch nicht notwendig ist. Herr Professor Troge, Präsident des Bundesumweltamtes, stellte eindeutig fest, Ökobilanzen seien ein Hilfsmittel für die politische Entscheidungsfindung, könnten aber die politische Entscheidung, welche Verpackungen umweltverträglich sind, nicht ersetzen. ({18}) Insbesondere die Bewertung der Kriterien ist eine politische Entscheidung. Herr Professor Troge erläuterte in der vorgestrigen Anhörung des Umweltausschusses des Weiteren, dass er den in der Novelle vorgesehenen Weg zur Prüfung der Umweltverträglichkeit für sinnvoll und praktikabel hält. Jeder Produzent einer Getränkeverpackung kann eine Ökobilanzstudie durchführen lassen; diese wird vom Umweltbundesamt geprüft. Die Untersuchung nach internationalen Normen dauert zwischen drei und sechs Monate. Anschließend ist eine schnelle Entscheidung über die ökologische Vorteilhaftigkeit und damit die Pfandbefreiung durch den Verordnungsgeber möglich. ({19}) Ebenso sprach sich das Institut für Energie- und Umweltforschung gegen einen Innovationsautomatismus aus. Es wies darauf hin, dass die Komplexität und die Vielzahl der zu beachtenden und sich auch verändernden Kriterien einen Automatismus nicht zuließen. Darüber hinaus müssten bei der Entscheidungsfindung auch weitere Informationen, beispielsweise ökonomische und soziale Aspekte, berücksichtigt werden. Diese Argumente der Sachverständigen bestärken unsere Position. Eine Innovationsklausel ohne Beteiligung des Parlaments an der Entscheidungsfindung lehnen wir als undemokratisch ab. ({20}) Trotz dieser unterschiedlichen Standpunkte halte ich eine schnelle Einigung im Bundesrat für möglich. ({21}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle der Bundesregierung ist eine gute Lösung. Sie setzt unser umweltpolitisches Ziel der Abfallvermeidung und der Förderung von Mehrweg- und ökologisch vorteilhaften Getränkeverpackungen in sinnvoller Weise um. Sie schafft eine für den Verbraucher übersichtliche Lösung. Nicht zuletzt sorgt sie für Planungs- und Investitionssicherheit bei den Getränke- und Verpackungsherstellern. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dieser zweckmäßigen und notwendigen Novelle zuzustimmen. Danke schön. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Peter Paziorek von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion bekennt sich in der Umweltpolitik zu der Idee der Kreislaufwirtschaft. Die Verpackungsverordnung, die unser damaliger Bundesumweltminister, Professor Töpfer, initiiert hat, hat in der Bevölkerung zu einem umweltbewussten Verhalten geführt. Wir sind stolz auf dieses Ergebnis christlich-demokratischer Umweltpolitik. ({0}) Hier geht es heute nicht um die Frage, ob das, was damals richtig initiiert worden ist, weiter aufrechterhalten werden soll. Heute geht es nur darum, ob die von Ihnen vorgelegte Novelle zur Verpackungsverordnung den heutigen und modernen Anforderungen der Umweltpolitik gerecht wird. Wir sagen Ihnen schon jetzt: Das ist leider nicht der Fall. ({1}) Herr Bollmann, eines muss ich klarstellen: Sie haben in Ihrer Rede Frau Merkel die Verantwortung für die jetzige Fassung der Verpackungsverordnung zugewiesen, obwohl nach Ihrer Ansicht - so haben Sie ausgeführt neue, moderne Ökobilanzen einen Novellierungsbedarf erfordern. Sie kennen aber nicht die Vorgeschichte. Zur Zeit von Frau Merkel gab es eine Ökobilanz, und zwar in Sachen Schlauchbeutel. Frau Merkel hat diese Ökobilanz 1997 in ihrem Novellierungsentwurf aufgegriffen. 1998 ist diese Novelle beschlossen worden. Die heute in Rede stehenden Veränderungen der Verpackungsverordnung, zum Beispiel zur Kartonverpackung, sind durch Ökobilanzen erforderlich geworden, die erst nach 1998 eingereicht und teilweise erst im Jahre 2000 bewertet worden sind. Da war Frau Merkel nicht mehr Umweltministerin; da war Herr Trittin Umweltminister. ({2}) - Herr Minister, es ist nicht üblich, von der Regierungsbank Zwischenrufe zu machen. - Wie kommen Sie dazu, Frau Merkel einen solchen Zeitablauf in die Schuhe zu schieben? Was Sie vorgetragen haben, war falsch. Die Vorwürfe gehen völlig fehl. ({3}) Eines muss man ebenfalls festhalten: Wir hatten am Mittwoch eine Anhörung. Das Beratungsverfahren zu dieser Verpackungsverordnung ist erst heute Morgen im Umweltausschuss abgeschlossen worden. Dies ist ein völlig ungewöhnliches und hektisches Verfahren. Ich sage deutlich: Ein solches hektisches Verfahren werden wir in Zukunft nicht mehr akzeptieren. Das hat überhaupt nichts mit einem ordentlichen Beratungsgang hier im Parlament zu tun. ({4}) Die Folgen dieses überstürzten Verfahrens sieht man deutlich - dies spiegelt sich im vorliegenden Entwurf wider -: Erstens. Diese Verordnung ist rechtlich nicht durchdacht. Zweitens. Sie ist kompliziert und bürokratisch. Drittens. Sie setzen - das ist unser Hauptvorwurf - technologisch das falsche Signal. Ihre Verpackungsverordnung wirkt innovationsfeindlich; denn sie erschwert unnötigerweise die Entwicklung ökologisch günstiger neuer Verpackungen. Das muss immer das Ziel einer modernen Umweltpolitik sein. ({5}) Die Anhörung hat ergeben, dass europarechtlich noch viele Fragen offen sind, zum Beispiel: Kann diese Verordnung überhaupt mit dem Binnenmarkt konform gehen? Die neuesten Äußerungen von Frau Wallström am vorgestrigen Tage im Europaparlament deuten darauf hin, dass die ganze Angelegenheit für die EU noch nicht erledigt ist. In der Beratung des Umweltausschusses ist die Frage aufgeworfen worden, ob ein zentraler Begriff dieser Verordnung, die „ökologische Vorteilhaftigkeit“, überhaupt ein Begriff ist, der weiteren Gerichtsverfahren in Deutschland standhalten wird. Von Sachverständigen ist die Frage aufgeworfen worden, ob unter dem Gesichtspunkt der Belastbarkeit dieser Verordnung nicht der Begriff „ökologisch gleichwertig“ sinnvoller ist. Warum haben wir nicht die Zeit, über solche Fragen hier im Plenum in Ruhe zu diskutieren? Es gab ja große Bedenken von Sachverständigen hinsichtlich der Frage, ob die jetzt bestehenden Einwegglassysteme tatsächlich kostengünstig fortgeführt werden können. Welche Auswirkungen hat Ihre Verpackungsverordnung auf Recyclingverfahren, auf mittelständische Strukturen in diesem Bereich? Das alles sind Punkte, die wir gerne erörtert hätten, die aber leider aufgrund der Hektik nicht ausdiskutiert werden konnten. Ein Sachverständiger hat gesagt, dass nun auch beim Mengenstromnachweis große bürokratische Verfahren entwickelt werden müssen. Er hat uns in der Anhörung dargelegt, welche bürokratischen Konsequenzen sich daraus entwickeln. All das, Herr Bollmann, wischen Sie heute mit einer Bewegung vom Tisch. Ich kann dazu nur sagen: Sie zeigen damit, dass Sie aufgrund der hektischen Beratung nicht zu den Kardinalproblemen dieser Verpackungsverordnung gekommen sind. ({6}) Nun zu dem Hauptvorwurf - Sie haben ihn in der Tat korrekt beschrieben - in der politischen Diskussion der letzten Tage: Es geht um die Frage, ob eine Innovationsklausel eingeführt werden soll oder nicht. Ich will auf den politischen Kern der Auseinandersetzung zurückkommen. An der Frage, ob eine Innovationsklausel eingeführt werden soll oder nicht, kann man nämlich klar und deutlich den Unterschied zwischen rot-grüner und christlich-demokratischer Umweltpolitik erkennen. Wir wollen in der Umweltpolitik nicht nur kontrollieren, sondern wir wollen durch eine moderne Gestaltung des Umweltrechts Innovationen anregen und wollen an die Wirtschaft Signale senden, dass wir für die Einführung neuer Verpackungsmaterialien offen sind. Wir wollen damit deutlich machen, dass die Umweltpolitik Anreize setzen muss und dass sie nicht nur mit Verboten arbeiten darf. Sie setzen auf Kontrolle. Sie setzen beispielsweise auf langwierige Beratungen im Deutschen Bundestag über die Frage, ob eine neue Verpackung demokratisch legitimiert werden kann. Ich habe Verständnis dafür, dass das Legitimitätsgebot in vielen Bereichen unseres Verfassungsstaates einen hohen Rang hat. Aber dass dieses Legitimitätsgebot entscheidend dafür sein soll, ob eine neue Form der Kartonverpakkung nun eingeführt werden soll oder nicht, erschließt sich mir unter keinen Umständen. Ich glaube, das gilt auch für die gesamte CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. ({7}) Haben Sie denn den Zeitplan des Beratungsverfahrens im Griff, wenn das UBA, wie Sie vorschlagen, nach sechs Monaten mit der ökologischen Bewertung fertig ist und wenn das BMU schätzungsweise in zwei Monaten seinen Stempel darunter setzt? Wie lange wollen Sie im Plenum über diese Fragen beraten? Wir haben doch über den Karton als Verpackung diskutiert. Die entspreDr. Peter Paziorek chende Ökobilanz wurde schon im Jahr 2000 erstellt. Aber erst jetzt, im Jahr 2003, diskutieren wir darüber, ob diese Verpackungsform als ökologisch vorteilhaft anerkannt werden kann. Daran sieht man, dass es notwendig ist, eine Innovationsklausel einzuführen, die klare Verfahrensbestimmungen kennt und in der genaue Fristen enthalten sind. Das ist das Signal an die Wirtschaft, dass wir Anregungen für neue Schritte auf dem Gebiet der Umweltpolitik geben wollen. Das muss unser Ziel sein. Deswegen fordern wir Sie auf: Sagen Sie Ja zu einer Innovationsklausel im Rahmen der Beratungen über den Entwurf einer Verpackungsverordnung. ({8}) Es ist in den Beratungen des Ausschusses immer wieder angedeutet worden - dass will ich zum Schluss klar sagen -, dass wir Einvernehmen erzielt haben. Sie behaupten jetzt aber - das war ein Diskussionspunkt -, dass die Union von diesem Einvernehmen abrücken will. Ich sage deutlich - Herr Minister, Sie nicken -: Von dieser Regelung will bei der Union niemand abrücken. Ich habe eine Presseerklärung des baden-württembergischen Umweltministers vorliegen, die direkt nach dem Gespräch am 16. Februar veröffentlicht wurde. In dieser Presseerklärung vom 17. Februar heißt es unter der Überschrift „Öffnungsklausel für zukünftig ökologisch vorteilhafte Getränkeverpackungen“: Dieses Anliegen ist den unionsregierten Ländern besonders wichtig, um umweltverträgliche Verpackungsinnovationen anzuregen und in einer vorhersehbaren Weise sie „als Belohnung“ aus der Pfandpflicht zu entlassen Niemand kann jetzt mehr behaupten, dass nicht schon im Februar dieses Thema Gegenstand der Erörterung war. Deshalb sage ich: Geben Sie sich einen Ruck! Kommen Sie unserer Forderung nach, diese Innovationsklausel einzuführen! Ich glaube, dann werden wir eine breite parlamentarische Mehrheit für einen solchen Novellierungsentwurf bekommen. Heute muss ich leider sagen, dass wir diesen Entwurf nur ablehnen können, weil ein zentraler Punkt unserer Forderungen nicht aufgegriffen worden ist. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Antje Vogel-Sperl vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vogel-Sperl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003651, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über wenige Themen ist in den vergangenen Jahren und Monaten so kontrovers und intensiv diskutiert worden wie über das Thema Dosenpfand. Auch in dieser Legislaturperiode haben wir uns bereits mehrfach im Plenum des Bundestages und im Umweltausschuss mit diesem Thema beschäftigt. Nach einer Meldung der „Zeit“ vom 18. Juni hat es kaum eine Frage - abgesehen von der Auseinandersetzung über die Agenda 2010 - so oft in die Schlagzeilen geschafft wie die Diskussion um die Dose. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich habe aufmerksam zugehört und muss feststellen: Durch ständiges Wiederholen werden Ihre Argumente weder besser noch richtiger. ({0}) Ich frage mich zudem, ob wir am Mittwoch auf der gleichen Veranstaltung waren. ({1}) Die Anhörung im Umweltausschuss am Mittwoch hat gezeigt: Das Pfand auf Einwegverpackungen ist ein verhältnismäßiges, praktikables und ökologisch sinnvolles Instrument, um den Mehrweg nachhaltig zu stärken. Damit trägt das Pfand dem im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz verankerten Grundsatz Rechnung, Abfall zu vermeiden. Dies wird vom Umweltbundesamt bestätigt. Mehr noch: Von Herrn Professor Dr. Troge wurde bei der Anhörung weiter ausgeführt, dass die Pfandregelung im Vergleich zu einem Lizenzmodell oder einer Abgabenlösung das geeignetste und verhältnismäßigste Mittel sei, um Mehrweg zu schützen. Außerdem ist das Pfand ein geeignetes Mittel, Verpackungen zurückzunehmen und einem anspruchsvollen Recycling zuzuführen. Es wird immer wieder behauptet, das Pfand führe zu einem Abbau von Arbeitsplätzen. Wenn ich mir die Pressemeldungen der vergangenen Tage anschaue, ergibt sich für mich ein anderes Bild. So war im „General-Anzeiger“ vom 26. Juni zu lesen, dass eine Großbrauerei wie Becks trotz des Dosenpfandes beim Umsatz zulegen konnte. Der Konzern Thyssen-Krupp Stahl investiert nach Meldung der „Westfälischen Rundschau“ vom 27. Juni sogar 100 Millionen Euro in die Weißblechherstellung für Getränkedosen in Andernach. Meine Damen und Herren, die Anhörung hat gezeigt: Die Pfandpflicht ist eine Maßnahme, die Arbeitslätze sichert und neue schafft, ({2}) Arbeitsplätze im arbeitsintensiven Mehrwegbereich, Arbeitsplätze bei den mittelständischen Unternehmen, die sich auf die Vorgaben der Politik verlassen und auf Mehrweg gesetzt haben. Im Bereich der mittelständischen Getränke- und Brauereibetriebe sind seit der Einführung des Pfandes circa 10 000 neue Arbeitsplätze entstanden ({3}) und damit vor allem regionale Kreisläufe gestärkt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, mit Ihrem immer wieder vorgetragenen Argument, das Pfand vernichte Arbeitsplätze, ignorieren Sie den Mittelstand und seine Bedeutung für unsere Wirtschaft. Sie lassen sich vor den Karren der Einweglobby spannen, die sich ohne eine nachhaltige Ausrichtung nur an kurzfristigen ökonomischen Zielen orientiert. ({4}) Die Novelle macht die Pfandpflicht für die Verbraucher verständlicher und gibt der Wirtschaft Rechts- und Investitionssicherheit. ({5}) Die Pfandpflicht wird zukünftig nicht mehr von Quoten abhängig sein. Hersteller, Abfüller und Vertreiber werden wissen, welche Verpackungen auch mittel- und langfristig pfandpflichtig sind, ohne kohlensäurehaltige und kohlensäurefreie Getränke unterscheiden zu müssen. Das Ziel der Verordnung, den Mehrweganteil über 72 Prozent zu halten und damit Abfälle zu vermeiden, wird seit 1997 eben nicht mehr erreicht. Ohne das Pfand würde Mehrweg genauso endgültig aus den Regalen verschwinden wie in den Nachbarländern, die kein Einwegpfand haben. Dem wirkt die Einführung des Pfandes - zur Überraschung seiner Kritiker - ganz entschieden entgegen. ({6}) Zur Förderung von Innovationen bedarf es auch keiner so genannten Innovationsklausel. Sie ist rechtlich auf der Grundlage des bestehenden Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetzes nicht möglich, sie ist politisch nicht akzeptabel und sie ist auch nicht notwendig. ({7}) Eine Entscheidung durch den Verordnungsgeber mit Beteiligung des Parlaments ist erforderlich, weil die Entscheidung über die Pfandpflicht für eine Verpackungsart von erheblicher Tragweite ist und eine solche Entscheidung nicht an Experten delegiert werden darf. Eine Ökobilanz ist nun einmal keine schlichte Rechenaufgabe. Der Beurteilung einer Ökobilanz müssen notwendigerweise politische Wertungen zugrunde gelegt werden. Dies wurde auch von, ich betone: allen Sachverständigen bei der Anhörung des Umweltausschusses bestätigt. ({8}) Einen Ökobilanzautomatismus kann es deshalb nicht geben. Vielmehr müssen bei politischen Entscheidungen über die Pfandpflicht von Verpackungen auch weitere Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. Mit einem Automatismus würden wir als Fachpolitiker uns selbst die Fähigkeit absprechen, eine solche Entscheidung verantwortungsvoll zu treffen. Eine Innovationsklausel ist ohnehin nicht notwendig, weil eine Anpassung an neue Erkenntnisse durch eine Verordnungsänderung durchaus kurzfristig möglich ist. Dies ist von Herrn Professor Dr. Troge bei der Anhörung ausdrücklich bestätigt worden. Mir stellt sich zudem die Frage, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Wenn Sie so für Innovationen sind, warum haben Sie dann eigentlich 2001 unserem Gesetzentwurf nicht zugestimmt? ({9}) Hinsichtlich Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Pfand in Höhe von 25 Cent begrüße ich, dass die 25 Cent immerhin schon akzeptiert werden. Aber das nach Volumen differenzierte Pfand hat der damalige Umweltminister Klaus Töpfer aus gutem Grund vorgesehen. Das Pfand soll schließlich in einem angemessenen Verhältnis zum Preis des gesamten Gebindes stehen. Die zwei Pfandsätze sind außerdem in der Handhabung unproblematisch, genauso wie die unterschiedlichen Pfandhöhen beim Mehrweg. Dies gilt im Übrigen auch für die Rücknahme von Partyfässern. Wir haben heute früh in der Ausschusssitzung von Herrn Professor Troge gehört, dass außerdem der Materialeinsatz für diese Fässer deutlich höher ist, als wenn die gleiche Menge in Dosen abgefüllt würde. Eine ökologische Rechtfertigung für eine „Lex Partyfass“ gibt es also nicht. ({10}) Nach Schätzungen der Verbraucherzentralen verbleiben durch nicht zurückgegebene Einwegverpackungen derzeit monatlich circa 80 Millionen Euro beim Handel. Hinzu kommen zusätzlich noch einmal circa 330 Millionen Euro an eingesparten Lizenzgebühren, die nicht an das DSD entrichtet werden müssen. Die Finanzierung eines einheitlichen Rücknahmesystems ist also entgegen allen Behauptungen keine außergewöhnliche Belastung für Handel und Industrie. Auch dies ist ein Ergebnis unserer Anhörung in Umweltausschuss. Lassen Sie mich zum Schluss eine Bemerkung machen, die über die Diskussion um das Pfand hinausgeht. Mit ihrem Wortbruch haben Teile von Handel und Getränkeindustrie einen Schaden angerichtet, der weit über den Tag hinaus reichen wird. Denn das Ansehen eines wichtigen Instruments der Umweltpolitik, nämlich das der freiwilligen Selbstverpflichtung, ist dadurch von der Wirtschaft selbst erheblich beschädigt worden. ({11}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich fordere Sie auf, Ihre Zustimmung zu der Novelle nicht zu verweigern, damit wir das Thema Verpackungsrechtsnovelle im Sinne einer nachhaltigen Wirtschafts-, Verbraucher- und Umweltpolitik endlich abschließen können. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Über das Thema Zwangspfand haben wir schon vielfach diskutiert. Dabei ist klar geworden, dass wir eine umfassende Novelle der Verpackungsverordnung brauchen. Diese kleine Novelle, die heute hier vorgelegt worden ist, ist nichts anderes als Flickschusterei. ({0}) Der Zeitablauf bei diesem Vorhaben zeigt, Herr Minister Trittin, mit welcher Arroganz Sie mit dem Parlament umgehen: Im Februar haben Sie bestimmte Verabredungen getroffen. Sie haben sich dann vier Monate Zeit gelassen, um die Verordnung in den Deutschen Bundestag einzubringen. Anschließend wird der Deutsche Bundestag gezwungen, diese Verordnung innerhalb von anderthalb Wochen im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peitschen. ({1}) Das, Herr Trittin, ist die Arroganz der Macht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich verstehe nicht, warum Sie sich von Minister Trittin so missbrauchen lassen. Bei Ihnen besteht genauso wie bei uns noch Beratungsbedarf. Ich kann nicht verstehen, wie man so vorgehen kann: Es wird eine Anhörung angesetzt und obwohl dort mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden, schließt man das Ganze anschließend ab. Obwohl die Verordnung im Ausschuss nicht mehr vernünftig beraten wird, bringt man sie hier ein. Es wird mehr und mehr zu einem peinlichen rot-grünen Marionettentheater. ({2}) Ich will Ihnen einige zentrale Punkte nennen. Zunächst zur Frage des Rücknahmesystems. Hier soll es so genannte Insellösungen geben. Diese sind europarechtlich aber höchst fragwürdig. ({3}) Die EU-Kommission hat in ihrem Schreiben an das BMU kürzlich klar gemacht, dass ein nicht bundesweites Rücknahmesystem wettbewerbsrechtliche Fragen aufwirft und nicht akzeptabel sei. ({4}) Diese Grundsatzeinwände gelten nicht nur für die Übergangslösung. Das hat auch die Anhörung deutlich gemacht. Deswegen sage ich Ihnen: Das Zwangspfand wird europarechtlich keinen Bestand haben. ({5}) In der Diskussion wird angeführt, dass es einen Trend zum Mehrweg gebe. Das ist im Moment sicherlich richtig. Aber klar ist auch, dass dieser Trend einzig und allein aus dem aktuellen Rücknahmechaos resultiert. ({6}) Wenn Rücknahmesysteme erst einmal etabliert sind, dann wird sich dieser Trend umkehren. Dann werden sich die großen Handelsketten für ein System entscheiden, und zwar für das, das sie einfacher handhaben können. Wenn erst einmal Rücknahmeautomaten aufgestellt sind, dann müssen sie sich auch rentieren, weil sie Geld gekostet haben. Dann werden sie das Mehrwegsystem dauerhaft gefährden. Deswegen ist diese Novelle ökologischer und ökonomischer Unsinn. ({7}) Wir haben zwischenzeitlich auch eine parteiübergreifende Einigung darüber erzielt, dass die Trennlinie nicht mehr zwischen Einweg und Mehrweg verläuft, sondern aufgrund aktueller Ökobilanzen, neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und technologischer Entwicklungen zwischen ökologisch sinnvollen und ökologisch nicht sinnvollen Verpackungen. Wenn das allerdings so ist, dann frage ich mich, warum Sie in dieser Novelle nach wie vor nicht nur eine Quote ökologisch sinnvoller Verpackungen, sondern auch noch zusätzlich eine Mehrwegquote erheben wollen, obwohl sich daran keine Rechtsfolge knüpft. Das, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ist bürokratischer Wahnsinn. ({8}) Ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Das Zwangspfand ist unsozial. Wenn Sie immer von Nachhaltigkeit reden, dann sollten Sie sich die Dinge klar anschauen. Die Kollegin von den Grünen hat gerade von Arbeitsplätzen gesprochen. Ich empfehle dringend, dass man beim Mehrweg nicht nur auf die eine Seite schaut, sondern dass man auch auf die andere Seite schaut. Wenn man das tut - das haben wir in der Anhörung getan -, dann wird man merken - das haben uns die Sachverständigen bestätigt -, dass es netto zu einem Arbeitsplatzverlust in Deutschland kommt. Deswegen ist das, was Sie machen, unsozial. ({9}) Sie haben ja bereits die Rede des Kollegen Paziorek gehört, der völlig zu Recht etwas zur Innovationsklausel gesagt hat. Diese neue Zwangspfandregelung ist innovationsfeindlich. Er hat das alles erklärt. Ich sage Ihnen klar: So schafft man keine Investitionssicherheit und schon gar nicht, wenn man weiß, dass das Ganze am 1. Oktober 2003 umgesetzt sein soll, der Bundesrat sich aber erst am 26. September 2003, also vier Tage vorher, damit beschäftigen kann. Das hat doch mit Investitionssicherheit nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({10}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Das Risiko irreversibler ökologischer, ökonomischer und sozialer Fehlsteuerungen ist zu groß. Die FDP hat Ihnen mit den Abfülllizenzen eine Alternative vorgelegt. Ich fordere Sie, Herr Trittin, auf: Nutzen Sie Ihre Chance! Setzen Sie dieses Zwangspfand aus und machen Sie mit uns gemeinsam eine ökologisch, ökonomisch und sozial sinnvolle und verträgliche Regelung! Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Michael Müller von der SPD-Fraktion. ({0})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte über das Töpfer-Pfand von Anfang an verfolgt hat - ich war seit Ende der 80er-Jahre immer dabei -, dann kann man nur zu folgendem Ergebnis kommen: Immer wenn es darum ging, einen wichtigen Gedanken umzusetzen - in diesem Fall war es der Gedanke der Stoffwirtschaft, der dahinter stand -, dann haben Sie verwässert, verzögert und verhindert. ({0}) Immer wieder war es die gleiche Geschichte; ich meine jetzt niemanden persönlich, aber es war Ihre Fraktion. ({1}) Die große Idee - wir haben damals in einer EnqueteKommission und vielen anderen Gremien darüber diskutiert - war die Verbindung von Ökonomie und Ökologie über die stoffliche Seite. Das war die Idee von Klaus Töpfer. Er hat sich schon damals nicht durchsetzen können, weil die FDP - sprich: der Handel - dagegen war. ({2}) Der ursprüngliche Ansatz ist nicht durchgekommen. Danach haben Sie ein anderes Modell entwickelt. Ich kann das übrigens auch deshalb sagen, weil ich viele Kritikpunkte, die Sie heute vorbringen, damals vorgebracht habe. Wir sind damals in einer Weise von Ihnen kritisiert worden, die unerträglich war. Ich will Ihnen das heute noch einmal sagen; Sie können das in den alten Protokollen nachlesen. Jetzt stellen Sie sich hier mit einer Chuzpe hin, als ob die Verpackungsverordnung, die heute vorliegt, keine Vorgeschichte hätte, die Sie zu verantworten haben. ({3}) Was ist das denn überhaupt für eine Logik, wenn sich die Brandstifter auf einmal sozusagen als Feuerwehrleute aufspielen? Das ist doch die Wahrheit in dieser Sache. ({4}) Wenn es darum ging, bei der Verpackungsverordnung Verbesserungen zu erreichen, haben Sie immer wieder Argumente dafür gefunden, diese Verbesserungen nicht zuzulassen. Das war die ganze Geschichte der Verpackungsverordnung. ({5}) - Im Gegensatz zu Ihnen war ich immer dabei. Weil es aus meiner Sicht um eine ganz wichtige Frage geht, würde ich an Ihrer Stelle ein wenig mehr Selbstkritik üben. Das würde Sie glaubwürdiger machen. Lieber Herr Paziorek, das was Frau Merkel hier gesagt hat, hatte mit der Innovationsklausel, über die wir durchaus reden können, ({6}) nichts zu tun. ({7}) - Entschuldigung, aber Sie hören anscheinend nicht zu. ({8}) Es geht um die Frage, ob man eine automatische Innovationsklausel einführt oder ob man die Innovationsförderung auf einem anderen Weg betreibt. ({9}) Das ist ein politischer Unterschied. Sie machen daraus aber einen Streit und sagen, dass wir auf diesem Feld gegen Innovationen sind. Um es einmal klar zu sagen: Davon hat hier niemand geredet. ({10}) Michael Müller ({11}) Ich habe den Eindruck, dass Sie hier nicht ganz sauber sind. ({12}) Ich erinnere an die Kritik von Frau Merkel in der gestrigen Debatte. Sie hatte überhaupt nichts mit der Innovationsklausel zu tun. Es war stattdessen ein reines Lächerlichmachen des Instruments der Verpackungsverordnung und ihrer eigenen Arbeit als Umweltministerin. Das ist die Wahrheit. ({13}) Ich sage das aber auch aus einem anderen Grund, weil es in dieser Diskussion aus meiner Sicht zwei zentrale Punkte gibt, die wir gemeinsam nicht hinnehmen können: Erster Punkt. Als die Verpackungsverordnung entstanden ist, hat eine große Mehrheit der Bevölkerung Umweltpolitik mit Abfallpolitik gleichgesetzt. Abfallpolitik war in jener Zeit mit großem Abstand das Thema Nummer eins in der Umweltpolitik. Weil es nicht nur um die Abfallpolitik, sondern auch um das ökologische Selbstverständnis unserer Politik geht, müssen wir jetzt ein gemeinsames Interesse haben. Wir können es nicht zulassen, dass die Abfallpolitik lächerlich gemacht wird. So wie die Diskussion im Augenblick von Ihnen geführt wird, kann man sie nicht mehr als ernsthaft bezeichnen. Es handelt sich um den Versuch, ein Instrument lächerlich zu machen. Das geht nicht. ({14}) Ich komme zum zweiten Punkt, der weit über diese Diskussion hinausgeht: Anfang der 90er-Jahre ist die Quote nach intensiven Verhandlungen mit der Wirtschaft und dem Handel festgelegt worden. Viele von denen waren bei mir und haben gesagt: Diese Quote ist in Ordnung, das machen wir mit. - Sofort als die Quote 1997 unterschritten wurde, hat die Wirtschaft alles getan, um das Gesetz dann doch nicht in Kraft treten zu lassen. Wer dieser Strategie der Wirtschaft durch sein eigenes Verhalten auch noch Vorschub leistet, der macht jede Möglichkeit einer seriösen Absprache kaputt. Das können wir nicht wollen. Wenn wir uns bei einer Sache anfänglich auf ein Konsensprinzip einigen - wie gesagt, das Ganze geschah damals zunächst gegen unseren Widerstand -, dann muss das Konsensprinzip auch gelten, wenn es ernst wird. ({15}) Dann darf nicht so getrickst werden, wie es jetzt getan wird. Ich sage das übrigens auch in Ihrem Interesse. Nehmen Sie an, Sie würden jetzt die Regierung stellen und Ihr Partner würde ein Gesetz, das gemeinsam verabschiedet wurde, derart infrage stellen. Dann müssten auch Sie das mit aller Macht kritisieren. Das tun Sie leider nicht. ({16}) - Ja, vielleicht im zehnten oder zwölften Nebensatz. Ich habe aber keine klare Ansage von Ihnen gehört, in der dieses Verhalten des Handels und der Wirtschaft massiv kritisiert worden ist. Wir müssen es aber aus Gründen der Glaubwürdigkeit unserer Umweltpolitik kritisieren. ({17}) Lassen Sie mich einen letzten Satz zur Innovationsklausel sagen: Bei der Innovationspolitik geht es eben nicht nur um eine technische Frage. In der ganzen Diskussion über die Abfallpolitik haben wir nicht nur die Seite der Wirtschaft zu sehen, sondern wir müssen auch das Bewusstsein, das Handeln und die Motive der Menschen berücksichtigen, die sich engagieren. Mit der Behauptung von Innovationen, die zum Teil auf diesem Gebiet zustande kamen, wurde auch Schindluder getrieben; das war so. Zum Teil wurden Dinge als ökologisch bezeichnet, die das nicht waren. Deshalb bleibt es dabei - das entspricht übrigens meinem Selbstverständnis -: In einer solch wichtigen Frage muss das Parlament natürlich ein Mitspracherecht haben. Wieso auch nicht? Technik ist nicht wertneutral, sie ist politisch zu bewerten. Wir haben eine große Bitte: Bei allen Unterschieden, die wir haben, sollten Sie das Instrument offensiv verteidigen und zeigen, dass es ein Teil der gemeinsamen Geschichte des Bundestages ist. ({18}) Instrumentalisieren Sie die Debatte bitte nicht mit offensichtlichen Stammtischparolen oder aufgrund einer populistischen Sucht nach der schnellen Überschrift! ({19}) Das hilft uns allen nicht, es schadet uns nur. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Wittlich von der CDU/CSU-Fraktion.

Werner Wittlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Müller, die Verpackungsverordnung von Klaus Töpfer wird in den meisten Teilen ihrem Anspruch, Deponienotstand und Müllbergen - eine Entwicklung, die Sie kennen - entgegenzuwirken, gerecht. In dieser Hinsicht ist sie sehr erfolgreich gewesen. ({0}) Das Einzige, was wir wollen, ist, die technischen Entwicklungen im innovativen Bereich dem Verbraucherverhalten ein Stück anzupassen. Ich denke, dies ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber. Werden Minister dafür bezahlt, dass sie die Bürger vorsätzlich ärgern und schikanieren? Wenn dem so wäre, hätte Umweltminister Trittin - „der grüne Pfand-Rambo“ eine Gehaltserhöhung verdient. ({1}) So titelte die „Bild“-Zeitung am 4. Juni. Die Zustimmung in der Bevölkerung zum Dosenpfand ist drastisch eingebrochen. Laut einer jüngst veröffentlichten Umfrage des Bielefelder Marktforschungsinstituts Valid Research sprechen sich nur noch 52 Prozent der Befragten für das Pfand aus, 45 Prozent sind dagegen, 3 Prozent machen keine Angaben. Vor einem Jahr, also noch vor Pfandstart, waren noch 77 Prozent der Befragten für das Zwangspfand und 20 Prozent dagegen. Aus Sicht der Union stehen wir vor einer Reihe ungelöster Probleme: Handel und Wirtschaft wollen sich verständlicherweise nicht mit der bestehenden Rechtsunsicherheit abfinden. Für die meisten Einzelhändler, insbesondere für mittelständische Lebensmittelkaufleute und Kioske, ist der Einstieg in ein bundeseinheitliches Pfandsystem zum 1. Oktober unmöglich geworden. Wenn Herr Trittin hier mit Bußgeldern droht, müssten diese Händler den Verkauf von Einwegflaschen und Dosen ganz einstellen. Es stellt sich die Frage, ob dadurch aus der Pfandpflicht nicht ein indirektes Verbot für Einweg wird. Damit steht uns ein neuer Streit mit der EUKommission ins Haus. Um dies zu verschleiern, singt jetzt der Bundesumweltminister ein öffentliches Loblied auf die Discounter, die ganz auf Einweg setzen und ein eigenes Rücknahmesystem aufbauen. Es ist fraglich, ob und inwieweit diese Insellösungen mit dem Europarecht vereinbar sind. Im Übrigen sind 95 Prozent aller importierten Getränke in Einweg verpackt. Ich frage mich, Herr Minister Trittin: Wie wollen Sie diese Verpackungen in die Pfandpflicht einbeziehen? Viele mittelständische Betriebe, besonders Getränkeund Verpackungshersteller, sind in ihrer Existenz bedroht. Einige Brauereien haben bei Einwegverpackungen Rückgänge zwischen 60 und 70 Prozent zu verkraften. Dieser Einbruch wird nur zum Teil wieder im Mehrweggeschäft aufgefangen. Insgesamt ist der Bierabsatz in Deutschland in den ersten fünf Monaten um rund 7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Seit Anfang dieses Jahres sind nachweisbar 3 500 Arbeitsplätze verloren gegangen. Langfristig drohen die Schließung von 2 000 Unternehmen, darunter vor allem Kioske, und der Verlust von weiteren 10 000 Arbeitsplätzen. Wir haben in den vergangenen Tagen eine selten da gewesene Missachtung des Parlamentes erleben können. ({2}) Obwohl erst Ende August die Ergebnisse des von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Gutachtens über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Pflichtpfandes vorliegen, wurde die Verordnung noch vor der parlamentarischen Sommerpause durchgepeitscht. Wegen der gesetzlichen Fristen hatten die Gremien des Bundestages faktisch nur zwei Wochen für die gesamten Beratungen Zeit. Hierfür hagelte es sogar Kritik aus den Reihen der Regierungskoalition. Der Vorsitzende des Umweltausschusses hat in einem Brief an den Bundesumweltminister scharf kritisiert, dass wir als Parlament so sehr unter Druck gesetzt wurden. Am Mittwoch wurden die Beratungen im Umweltausschuss nach nur 70 Minuten auf einen Geschäftsordnungsantrag der Grünen hin mit Zustimmung der SPD abgebrochen. Viele unserer inhaltlichen Fragen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantwortet, zum Beispiel die gesamte Ausgestaltung von Ökobilanzen. Auch hier wurden die Informationsrechte des Parlamentes und der Opposition wieder einmal mit Füßen getreten. Gerade die Grünen, die sich selbst immer als Partei für Demokratie und Minderheitenrechte bezeichnen, haben deutlich gemacht, dass es sich dabei meistens nur um Worthülsen handelt. ({3}) - Sie haben gerade Grund, Frau Kollegin Hustedt, etwas zu sagen. Es ist eine Zumutung, heute kurz vor Beginn der Debatte noch eine Ausschusssitzung anzusetzen, um diesen Mangel zu heilen. CDU und CSU halten die Einführung eines Pfandes auf Einweggetränkeverpackungen nach wie vor für grundsätzlich falsch. Da die Bundesregierung aber an den bestehenden Regelungen festhalten will, müssen wir sehen, wie wir das Beste aus der misslichen Situation machen. Es ist wichtig, die Auswirkungen für Verbraucher, Wirtschaft und Handel so erträglich wie möglich zu gestalten. Deshalb haben wir folgende vier Forderungen formuliert, an denen wir festhalten werden: Erstens. Für Milchverpackungen muss ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden. Diese Forderung wurde zum Glück inzwischen in die Novelle aufgenommen. Zweitens. Verpackungen ab 3 Liter dürfen nicht in die Pfandpflicht einbezogen werden. Drittens. Wir fordern ein einheitliches Pfand von 25 Cent. Viertens. Es muss eine Innovationsklausel geschaffen werden, in der die Voraussetzungen verbindlich festgeWerner Wittlich legt werden, unter denen die Freistellung von der Pfandpflicht gewährt werden soll. Die Anhörung am vergangenen Mittwoch hat gezeigt, dass die vorgelegte Novelle beim Kriterium „ökologische Vorteilhaftigkeit“ viel zu starr und unflexibel ist. Durch immer mehr technische Neuerungen und Innovationen erhöht sich der Anpassungsdruck. Die Innovationsklausel erlaubt es, ökologisch vorteilhafte Verpackungen in einem zügigen Prüfverfahren von der Pfandpflicht freizustellen. Die CDU/CSU-Fraktion bekennt sich eindeutig zum Schutz des Mehrweges. ({4}) Die jetzige Regelung ist aber eine Provokation für den Verbraucher, weil sie ihn zur Kasse bittet, für die Getränkehersteller, weil sie deren Absatz reduziert, und für den Handel, weil sie ihm unnötige Kosten aufbürdet. Wir tragen nur eine Novelle der Verpackungsverordnung mit, die verbraucherfreundlich ist, die Rechtssicherheit schafft und die Förderung ökologisch vorteilhafter Verpackungen klar und zukunftsweisend regelt. Wir fordern deshalb eine Novelle der Verpackungsverordnung, die unseren Anforderungen Rechnung trägt. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die unendliche Geschichte der Verpackungsverordnung geht in eine neue Phase. Die nächste Phase wird Ende September dieses Jahres sein. Dann werden wir sehen, was von dem, was heute vorliegt, noch übrig bleibt. ({0}) Das Hauptproblem bei der ganzen Frage besteht für meine Begriffe darin, dass landauf, landab so getan wird, als wären Mehrwegverpackungen per se ökologisch günstiger als Einwegverpackungen. In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass die Verpackungsverordnung von 1991 von einem Mengenziel in Höhe von 72 Prozent ausgegangen ist. Wir müssen uns darüber klar sein, dass das ein Mengenziel ist und kein ökologisches Ziel. Daraus entwickeln wir unsere Forderung nach der Innovationsklausel. Diese Innovationsklausel hat natürlich ihren Sinn. Denn von 1991 bis heute haben sich die technischen Voraussetzungen in der Verpackungswirtschaft deutlich verändert. ({1}) Das sollten Sie, Herr Müller, zur Kenntnis nehmen, wenn Sie über diese Dinge sprechen. Im Übrigen, Herr Müller, Sie reden über Kreislaufwirtschaft und geschlossene Stoffströme usw. Wer hat denn die Kreislaufwirtschaft eingeführt? Es war eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung, die diese Dinge eingeführt hat, und nicht eine SPD-geführte Regierung. ({2}) Ihre Äußerungen, Herr Müller, haben uns deutlich vor Augen geführt, dass Sie persönlich - wie auch der größte Teil der SPD-Fraktion - in Ihrer Denkweise der Entwicklung um zehn Jahre hinterherhinken. ({3}) Ihrer Äußerung, das Unterschreiten der Quote habe das In-Kraft-Treten des Gesetzes verhindert, ist die Frage entgegenzuhalten, warum die Quote nicht eingehalten wurde. Sie wurde nämlich auch deswegen nicht eingehalten, weil sich die technischen Voraussetzungen für die Verpackungsherstellung in diesen zehn Jahren deutlich verändert haben. ({4}) - Wenn man sich ein bisschen mit dieser Materie befasst, dann bekommt man das mit. Wenn man sich mit diesem Thema befasst, erkennt man, dass das Mehrwegsystem durchaus sinnvoll ist ({5}) und dass in bestimmten Fällen den technischen Innovationen Rechnung getragen werden muss. ({6}) Deswegen fordern wir eine Innovationsklausel, ({7}) die rechtlich verlässlich ist, bestimmte Kriterien beinhaltet und Bewertungsverfahren sowie die Intervalle, in denen die ökologische Überprüfung erfolgt, festlegt. ({8}) Solche Regelungen erwarten wir von der Verpackungsverordnung. Dann können Sie sich unserer Zustimmung sicher sein. Denn auch wir stehen im Prinzip zur Mehrwegverpackung. ({9}) Ich möchte noch auf die volkswirtschaftlichen Aspekte dieses Themas eingehen. Es gibt in Deutschland ein funktionierendes Verpackungsrücknahmesystem. In keinem anderen Land werden so viele Verpackungsgegenstände wieder eingesammelt und in den Stoffkreislauf zurückgeführt. Mit der vorgesehenen Novelle der Verpackungsverordnung würde ein Parallelsystem eingeführt. Darüber müssen wir uns alle im Klaren sein. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern auch mitteilen, dass die Einführung eines solchen Parallelsystems mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. ({10}) Auch was das Parallelsystem angeht, haben wir bereits technische Erfahrungen gesammelt. Der Stand der Technik hat sich in den zurückliegenden Jahren auch in diesem Bereich deutlich verändert. Ich fordere Sie in diesem Sinne auf: Schließen Sie sich der Innovationsklausel an! ({11}) Legen Sie uns einen Vorschlag vor, mit dem wir uns beschäftigen können! Wir sind für Ihre Vorschläge offen. Möglicherweise bekommt dann die Novelle der Verpackungsverordnung dank der CDU/CSU einen guten Anstrich. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich dem Kollegen Josef Göppel das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu der Abstimmung folgende Erklärung abgeben: Ich bin grundsätzlich für die Verordnung. Schon im Bayerischen Landtag bin ich für die Pfandregelungen eingetreten, was dann auch zu einem entsprechenden Beschluss geführt hat. An der Aktion „Dosenfreie Zone“ haben sich zahlreiche CSU-Politiker - darunter auch ich - beteiligt. ({0}) - Warten Sie, bevor Sie so applaudieren! Meine heutige Gegenstimme bezieht sich auf die fehlende Präzisierung des Verfahrens und der Inhalte, ({1}) inwiefern - unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit in diesem Hause - neue Verpackungen als ökologisch vorteilhaft eingestuft werden können. ({2}) Ich rate dazu, in den nun folgenden Beratungen im Bundesrat auf diese Vorschläge einzugehen, damit ein konstruktives Ergebnis erzielt werden kann. Dann wird eine Lösung zustande kommen, die von einer breiten Mehrheit getragen wird. Die Messlatte dafür muss die jeweils günstigste Mehrwegverpackung sein. Dann wird es auch niemand mehr verhindern können, dass die Verpackungen endlich überall in einem landesweiten Rücknahmesystem zurückgegeben werden können. Diese von einer breiten Mehrheit getragene Lösung ist mein Ziel. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/1343 zu der Dritten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Verpackungsverordnung. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 15/1179 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 15/729 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/315 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004 ({0}) - Drucksachen 15/1186, 15/1223 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften - Drucksache 15/1021 ({2}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({3}) - Drucksache 15/1347 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Peter Kemper Silke Stokar von Neuforn Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/1350 Berichterstattung: Abgeordnete Susanne Jaffke Klaus Hagemann Anja Hajduk Otto Fricke Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Hans-Peter Kemper von der SPDFraktion.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in einer sehr schwierigen finanziellen Situation über die Anpassung von Besoldung und Versorgung. Dabei geht es um folgende wesentliche Punkte: Der erste Punkt betrifft die Übertragung der Ergebnisse der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auf Besoldung und Versorgung. Seit langem gilt es als ausgemacht - das ist völlig unstrittig -, dass die Ergebnisse der Tarifverhandlungen wirkungsgleich auf Besoldung und Versorgung übertragen werden. Das haben unser Innenminister und die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen sehr frühzeitig zugesagt. Daran werden wir uns auch halten. Wir werden die Ergebnisse der Tarifverhandlungen wirkungsgleich übertragen. ({0}) Lange Zeit galt es ebenso als ausgemacht, dass auch der Kompensationsteil, der in den Tarifverhandlungen für die Arbeiter und Angestellten vereinbart worden ist, auf Besoldung und Versorgung übertragen werden sollte. Das bedeutet selbst bei einer wirkungsgleichen Übertragung eine zeitliche Verschiebung von exakt drei Monaten. ({1}) Ich möchte hier ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU richten, die in dieser Frage plötzlich Bedenken bekommen haben. ({2}) Sie kritisieren die Verschiebung als ungerecht, obwohl gerade die unionsgeführten Bundesländer im Bundesrat sehr viel Wert darauf gelegt und massiv darauf gedrungen haben. Sie wollten weit über das hinausgehen, was wir heute beschließen. ({3}) Natürlich kann man das anders machen. Aber Sie versuchen, sich hier einen schlanken Fuß zu machen. Sie sind bis zu einem gewissen Grad feige und unehrlich. ({4}) Ich will Ihnen jetzt gar nicht vorhalten - darüber haben wir ja in den letzten Legislaturperioden ausführlich diskutiert -, wie oft Sie in den letzten zehn Jahren eine zeitliche Verschiebung bei der Übertragung der Ergebnisse der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst auf Besoldung und Versorgung vorgenommen haben. Ich glaube, es war in den letzten zehn Jahren nicht ein Tarifabschluss dabei, dessen Übertragung Sie nicht zeitlich oder inhaltlich verschoben haben. Ich glaube, dass Sie selbst von Ihrer heftigen Kritik an dem, was jetzt vorgeschlagen worden ist, nicht überzeugt sind und dass Sie nicht ehrlich sind; denn auch Sie kennen die Fakten. ({5}) Es geht des Weiteren um eine Öffnungsklausel - diese haben die Länder im Bundesrat mit großer Mehrheit beschlossen -, die die Möglichkeit bietet, die Besoldungsanpassung um weitere drei Monate zu verschieben. Die unionsgeführten Länder waren hier übrigens vorneweg. ({6}) - Es stimmt, dass auch Nordrhein-Westfalen dabei war. Ich habe ja gesagt, dass die Länder diese Öffnungsklausel mit großer Mehrheit beschlossen haben. Dem wollen wir jedenfalls nicht folgen. Wir wollen es bei einer einmaligen Verschiebung um drei Monate als Kompensationslösung belassen; denn für eine weitere Verschiebung gibt es keine überzeugende Begründung. Bei den heutigen und auch bei allen künftigen Veränderungen gilt für uns im Hinblick auf die Beamten der Grundsatz: keine Privilegien, aber auch keine Sonderopfer. ({7}) In öffentlichen Veranstaltungen und auch in den Medien wird oft die Forderung erhoben, den öffentlichen Dienst stärker zur Kasse zu bitten. All diejenigen, die glauben, man könne über das hier Vorliegende weit hinausgehen, vergessen, dass in den Bereichen der Feuerwehr, der Polizei und der Justiz kaum Personen arbeiten, die nach A 13 bis B 11 besoldet werden; ihre Besoldungsstufe liegt vielmehr deutlich darunter. Diese Menschen leisten eine hervorragende, eine engagierte und oft auch eine gefährliche Arbeit. Es wäre unfair, ihnen durch eine Verschiebung zusätzliche Lasten aufzubürden. ({8}) Im Übrigen wäre es unfair und unrichtig, so zu tun, als ob die einzelnen Beamten die finanzielle Situation, in der wir uns jetzt befinden, verursacht hätten. Wenn alle Abstriche machen müssen, dann kann man das auch von den Beamten verlangen; das ist überhaupt keine Frage. Sie sind dazu auch durchaus bereit. Die Beamten dürfen allerdings nicht den Eindruck gewinnen, sie seien die Prügelknaben oder die Sparschweine der Nation. Sie dürfen zu Recht erwarten, dass sie für eine Leistung, die sie unzweifelhaft erbringen, angemessen entlohnt werden. Wir wollen uns einer fast einhelligen Forderung nach Öffnungsklauseln in Bezug auf das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld, also auf die jährlichen Sonderzuwendungen, allerdings nicht verschließen. Die Länder benötigen dringend Finanzspielräume. Im Übrigen sind wir auf die Zustimmung des Bundesrats und damit der Mehrheit der Länder angewiesen. Wir regeln die Zuständigkeiten neu. Es bleibt den Ländern überlassen, die Spielräume, die wir ihnen einräumen, vernünftig zu nutzen. Auf der Bundesebene wird es in diesem Jahr weder beim Urlaubsgeld noch beim Weihnachtsgeld Kürzungen geben. Die Länder haben ihr Vorgehen selbst zu verantworten. Wir raten, bei den Einschränkungen soziale Staffelungen vorzunehmen; denn für die Angehörigen der unteren und mittleren Besoldungsgruppen wirken sich Kürzungen beim Weihnachtsgeld ungleich härter als bei den Spitzenverdienern aus. Wir werden die Angleichung der Löhne und Gehälter in Ost und West vorantreiben. Die in den Tarifverhandlungen in dieser Hinsicht erzielten Ergebnisse werden wir übernehmen. Wir haben es im Grundsatz mit zwei Gesetzesvorhaben zu tun: zum einen mit der Übernahme des Tarifergebnisses, zum anderen mit strukturellen Veränderungen. Da diese Gesetzesvorhaben inhaltlich und zeitlich sehr eng verknüpft sind und da sie von den Betroffenen als Einheit gesehen werden - die Beamtinnen und Beamten werden die Auswirkungen, ob negative oder positive, auf jeden Fall auf ihrem Gehaltszettel bemerken -, haben wir sie zu einem Gesetzesvorhaben zusammengefügt. Ich weiß, dass die geplanten Regelungen weder bei den Beamten noch bei ihren Berufsorganisationen Freude auslösen. Wenn wir einen leistungsstarken öffentlichen Dienst und die langfristige Bezahlbarkeit von Besoldung und Versorgung sichern wollen, dann gibt es aber keinen anderen Weg. Uns allen - da spreche ich fraktionsübergreifend - ist aber auch klar, dass es mit ständigen Korrekturen an Besoldung und Versorgung allein nicht getan ist, sondern dass wir langfristig strukturelle Veränderungen vornehmen müssen; deswegen haben wir vereinbart, nach der Sommerpause eine Anhörung mit einer ausführlichen Beratung über strukturelle Veränderungen des öffentlichen Dienstes durchzuführen. Ich denke, wir werden an einem Strang ziehen, um die Zukunft des öffentlichen Dienstes zu sichern und den Leistungen der Beamten gerecht zu werden. Schönen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielen Kolleginnen und Kollegen wird es heute nicht leicht fallen, dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften zuzustimmen. Mir geht es dabei nicht anders. Es waren gerade die Bundesländer, die Anfang der 70er-Jahre den bundesweiten Besoldungswirrwarr durch eine Vereinheitlichung des Besoldungsrechts im Bund und in den Ländern beenden wollten. Dieses richtige Anliegen führte 1971 zu einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes. Nunmehr wollen die Länder durch die Einführung so genannter Öffnungsklauseln zumindest in einem Teilbereich die Besoldungsautonomie für ihre Bediensteten zurückgewinnen. Das hätte zur Folge, dass sich die Beamtenbesoldung wieder ganz unterschiedlich entwickeln kann und sicherlich auch unterschiedlich entwickeln wird - je nach Finanzkraft der Länder und des Bundes. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich die Bundesländer die Initiative Berlins, auch Öffnungsklauseln für die Grundgehälter einzuführen, nicht zu Eigen gemacht haben, sodass zumindest die Besoldungsordnungen im Kern bestehen bleiben. ({0}) Es gibt nach wie vor viele gute Gründe für die Beibehaltung der Einheitlichkeit der Besoldung. Aber nicht nur der Bundeshaushalt, sondern auch die Etats von Ländern und Kommunen befinden sich aufgrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und wegen der wegbrechenden Steuereinnahmen auf allen Ebenen in einem katastrophalen Zustand - eine Folge der Politik dieser Bundesregierung. ({1}) Da der Personalkostenanteil in den Etats der Länder und Kommunen wesentlich höher ist als in dem Etat des Bundes, ist es verständlich, dass die Länder Gestaltungsspielräume zurückgewinnen wollen, nicht nur bei der Besoldung der Beamten, sondern auch im Tarifbereich, zumal von den 4,8 Millionen Staatsdienern nur 1,8 Millionen Beamtinnen und Beamte, aber 3 Millionen Arbeiter und Angestellte sind, deren Bezahlung nicht wir als Gesetzgeber, sondern die Tarifvertragsparteien festlegen. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass insbesondere die Personalkosten, aber auch die Versorgungsaufwendungen gerade die Länder und Kommunen vor große Herausforderungen stellen und ihre politischen Gestaltungsspielräume einschränken. Diese Probleme wird man dauerhaft nicht durch Öffnungsklauseln lösen können, ({2}) sondern nur dadurch, dass sich der Staat endlich wieder auf seine Kernaufgaben konzentriert. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die Zahl der Beamten vermehrt sich nicht von selbst. Kein Beamter sitzt auf einer Stelle, die er selbst geschaffen hat. Es ist die Politik, die massenweise Gesetze, Rechtsverordnungen und Erlasse fabriziert, die anschließend von der Bürokratie exekutiert werden müssen. Abends wundern wir uns, warum wir so viel Personal haben. Allein in der letzten Wahlperiode sind auf der Bundesebene 382 Gesetze und 1 361 Rechtsverordnungen in Kraft getreten. Allein auf der Bundesebene gibt es heute 5 328 Gesetze und Rechtsverordnungen mit insgesamt 86 000 einzelnen Vorschriften. Wir leben in einer Zeit gravierender Veränderungen. Wir haben einen großen Reformbedarf. Das gilt auch für den öffentlichen Dienst. Das wissen übrigens die Betroffenen selbst am besten. Wir haben bereits in der Vergangenheit - das gilt noch für unsere Regierungszeit und das gilt für die Regierungszeit dieser Koalition - eine Fülle von notwendigen und zum Teil überfälligen Reformen in Gang gesetzt. Aber wir können nicht gleichzeitig ständig neue staatliche Aufgaben definieren, neue Bürokratie aufbauen und uns anschließend wundern, dass wir eine so große Bürokratie haben. Das heißt: Reformbedürftig ist auch unser eigenes Tun als Gesetzgeber. ({4}) Einen schlanken Staat und eine schlanke Verwaltung werden wir nicht mit mehr Gesetzen schaffen, sondern nur mit Deregulierung und mit Entbürokratisierung, nicht zuletzt mit motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ganz gleich, ob es Beamte, Arbeiter oder Angestellte sind. In diesem Sinne bitten wir um eine breite Unterstützung unseres Entschließungsantrags. Wirklich jeder in diesem Haus kann ihn unterstützen. Auch die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes haben einen Anspruch darauf, dass nicht nur der jeweilige Dienstherr, sondern auch und insbesondere die Politik fair und gerecht mit ihnen umgeht. Ich danke für das Zuhören. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Silke Stokar.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung - das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt werden - ist nicht von sich aus tätig geworden. Es war der einmütige Wunsch der Länder, eine Öffnungsklausel einzuführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass der Antrag der rot-grünen Bundesregierung auf umfangreiche Reformen in der 14. Wahlperiode von den Ländern abgelehnt wurde. Wir sehen heute, wie groß der Bedarf ist, hier tätig zu werden. Es hat mich schon etwas überrascht, dass die Länder jetzt in der Frage einer zeit- und wirkungsgleichen Übertragung der Tarifvereinbarung, nachdem sie ja einmütig die Verantwortung für diese mit übernommen haben, die Haltung der Bundesregierung kritisieren. Die von den Ländern geforderte Verschiebung der Übertragung um weitere drei Monate kann, wie ich denke, nicht akzeptiert werden. Ich war mir mit meinem Kollegen von der SPD sehr schnell darüber einig; deshalb haben wir uns auch nicht bei den Finanzministern rückversichert, die in diesen Fragen ja immer ein gewichtiges Wort mitsprechen, als wir gesagt haben, dass es nicht angehen kann, dass die Länder die Finanzierung einer Tarifvereinbarung, für die auch sie die Verantwortung tragen, einseitig den Beamten und Beamtinnen sowie Versorgungsempfängern aufzubürden versuchen. Deshalb tragen wir die weitere Verzögerung der Übertragung der Tarifvereinbarung nicht mit. Nachdem hier Berlin so häufig kritisiert worden ist, möchte ich es einmal loben. Ich finde, dass die Vereinbarung, die die Stadt Berlin jetzt in einer extrem schwierigen Finanzsituation in der Frage der notwendigen Personaleinsparungen und der Eröffnung von Perspektiven für den öffentlichen Dienst mit den Gewerkschaften getroffen hat, vorbildlich ist. Ich wünsche mir, dass wir auch auf Bundesebene diesen Weg einschlagen. Lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen, dass ich die unangemessene Kritik, die in der Vergangenheit an den Gewerkschaften und auch am Deutschen Beamtenbund geübt wurde, nicht teile. Bei den weiteren Diskussionen um die Zukunft des öffentlichen Dienstes und insbesondere bei den Verhandlungen über strukturelle Reformen wünsche ich mir starke Gewerkschaften als gleichwertigen Partner; denn gerade das Beispiel Berlin hat deutlich gemacht, dass man mit den Gewerkschaften durchaus zu einer vernünftigen Einigung kommen kann. Es ist von meinem Kollegen Herrn Kemper schon gesagt worden, dass wir im Innenausschuss entschieden haben, nach vorne zu gehen. Wir werden gleich nach der Sommerpause eine Anhörung zu strukturellen Reformen im öffentlichen Dienst durchführen. ({0}) Wir brauchen das Rad hier nicht neu zu erfinden. Herr Clement hat damals in Nordrhein-Westfalen eine Kommission eingesetzt, die heutige Bull-Kommission. Hier sind sehr gute Vorschläge für umfangreiche Reformen erarbeitet worden. Sie berühren ja nicht nur das Beamtenrecht, sondern wir brauchen - das wissen Sie alle auch im BAT-Bereich Reformen. Wir werden hier auch die Frage einbeziehen müssen, welche Staatsaufgaben wir wie erledigen wollen. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss kommen: Ich gehöre zu den Leuten, die der Auffassung sind, dass wir einen hoch qualifizierten öffentlichen Dienst in Deutschland brauchen. Die Erledigung von Aufgaben durch Staatsbedienstete möchte ich nicht, wie es in Äußerungen vonseiten der CDU/CSU anklang, auf Kernaufgaben reduzieren. Diese müssten ja auch erst einmal definiert werden. Außerdem ist mit dem Schlagwort Reduzierung auf Kernaufgaben immer Privatisierung verbunden. Damit geht eine schlechte Erledigung von Staatsaufgaben einher. Das haben wir bei den Kommunen erlebt, die den Weg der Privatisierung gegangen sind. Ich möchte, dass die Staatsaufgaben auch von Staatsbediensteten erledigt werden. Die Staatsbediensteten haben dann natürlich auch einen Anspruch darauf, für die ihnen zukommenden Aufgaben gut ausgebildet und leistungsgerecht bezahlt zu werden. Danke schön. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Bemerkung zum Verfahren beginnen: Am Dienstag haben wir in etwa stündlicher Abfolge Änderungsanträge sowie Änderungen zu den Änderungsanträgen bekommen. ({0}) Ich halte ein solches Verfahren für nicht in Ordnung. Die von der FDP beantragte Anhörung ist abgelehnt worden. Ich sage Ihnen: Solch wichtige Gesetze ohne eine Anhörung, dafür aber mit ständig neuen Änderungsanträgen, die keiner mehr lesen konnte, zu verabschieden, entspricht nicht einem seriösen Gesetzgebungsverfahren. Unsere Beamten haben jedoch ein Recht auf ein seriöses Verfahren. ({1}) Heute haben wir wieder die Begriffe „zeit- und wirkungsgleich“, „inhalts- und wirkungsgleich“ sowie „zeit- und inhaltsgleich“ gehört. Man kann sie fast beliebig kombinieren. Herr Kemper, Sie haben von wirkungsgleich gesprochen, Frau Stokar hat von zeit- und wirkungsgleich gesprochen. In Bad Kissingen wurde von allen gesagt: Wir verbürgen uns für eine zeit- und wirkungsgleiche Umsetzung der besoldungsrechtlichen Vorschriften. ({2}) Das ist nicht geschehen und auch das ist nicht in Ordnung. ({3}) Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst wurde damals - auch von uns - als zu hoch bewertet. Die Verhandlungsführer - auch Sie, Herr Minister - sind dann eingeknickt. Ich halte es nicht für richtig, an dieser Stelle zu sparen und zu sagen, dass die Beamten drei Monate länger auf die Besoldungserhöhung warten müssen. Das verletzt den Gleichklang von Tarif und Besoldung. Dabei werden wir nicht mitmachen. Wir sprechen uns dezidiert gegen eine Besoldung nach Kassenlage aus. Deshalb werden wir als FDP dem Teil des Gesetzentwurfes nicht zustimmen. ({4}) Lassen Sie mich - ich glaube, damit spreche ich das ganze Haus hier an - noch eines deutlich machen: Wir alle - wir Innenpolitiker sowieso - tragen eine große Verantwortung dafür, dass wir einen öffentlichen Dienst von hoher Qualität haben. Zu einem öffentlichen Dienst von hoher Qualität gehören die entsprechenden Beamten und Angestellten. Deshalb können wir nicht zusehen, wie die Beamtenbesoldung sozusagen als Steinbruch für den Finanzminister verwendet wird. ({5}) Wir dürfen übrigens auch nicht zusehen, wie - das betrifft weniger die Innenpolitiker, aber viele andere - populistisch auf den Beamten herumgehackt wird. Sonst werden wir im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte - das betrifft auch die Beamten - den Kürzeren ziehen. Das dürfen wir gerade als Innenpolitiker nicht zulassen. ({6}) Wir können deshalb nicht den Weg der ständigen Korrekturen an der Besoldung gehen. Vielmehr muss die öffentliche Verwaltung auf die Kernaufgaben konzentriert werden und darüber müssen Einsparungen erreicht werden. ({7}) Lassen Sie mich angesichts der Kürze der Zeit nur noch zwei Bemerkungen zu den Öffnungsklauseln machen. Wir halten diese für den falschen Weg. Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir bitten Sie herzlichst, diesen intensiv zu beraten. Wir schlagen vor, das Besoldungsrecht zu modernisieren, dem Dienstherrn mehr Freiheiten für eine sachgerechte Bezahlung einzuräumen, Sonderzuwendungen in die Tabellen einzubauen und die Besoldungstabellen neu zuzuschneiden, um mehr Luft zu bekommen, um einerseits mehr auf den Arbeitsmarkt reagieren zu können und andererseits eine stärkere Leistungsbezahlung zu verwirklichen. Deswegen werden wir dem Konzept der Öffnungsklauseln nicht zustimmen. Wir fordern eine seriöse Gesetzgebung. Wir fordern, die öffentlichen Aufgaben auf den Kern zu konzentrieren, aber nicht ständig an der Besoldung etwas zu ändern. Wir fordern vor allem, für unsere Beamten einzustehen. Wir haben hoch motivierte, gute Beamte. Das sollte man hier betonen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister des Innern, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Burgbacher, Sie müssen schon bei der Wahrheit bleiben: Durch diesen Gesetzentwurf wird, wie Herr Kollege Kemper es hier bekräftigt hat, der Tarifabschluss bei der Beamtenbesoldung in der Tat wirkungsund inhaltsgleich umgesetzt. ({0}) Ich halte also die Zusage ein, die ich in Potsdam gegeben habe. Durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung ist sichergestellt, dass auch die Beamten, Richter und Soldaten sowie Versorgungsempfänger ungeachtet der bestehenden schwierigen Rahmenbedingungen an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Ich bin übrigens der Meinung, dass Kritik, die aus der freien Wirtschaft gekommen ist, angesichts der Tarifabschlüsse in der freien Wirtschaft in jeder Weise ungerechtfertigt ist. ({1}) Im Tarifbereich werden die Dienst- und Versorgungsbezüge für die Beamten, Richter und Soldaten in drei Schritten linear um insgesamt 4,4 Prozent angehoben und die tariflich vereinbarten Einmalzahlungen übertragen. Der Gesetzentwurf enthält übrigens auch eine soziale Komponente: Die ganz oberen Einkommensklassen der Minister und Staatssekretäre nehmen an der Erhöhung nicht teil, werden allerdings an den Kürzungen teilzunehmen haben. Auch dies darf man an dieser Stelle ruhig einmal erwähnen. Selbstverständlich müssen auch die im Tarifrecht vereinbarten Entlastungsmaßnahmen wirkungsgleich übertragen werden, Herr Kollege Burgbacher. Sie sind untrennbarer Bestandteil des Tarifabschlusses. Die Verschiebung der Erhöhungszeitpunkte um jeweils drei Monate ist in ihrer Wirkung - das haben wir genau berechnet - mit den Entlastungsmaßnahmen des Tarifabschlusses vergleichbar. Für die Beamtinnen und Beamten ist dies eine angemessene und gerechte Lösung. Der Vorwurf aus den Reihen der Opposition, der Gesetzentwurf fordere von den Beamtinnen und Beamten Sonderopfer, weshalb die dreimonatige Verschiebung zurückzunehmen sei, ist einigermaßen bizarr. ({2}) Wenn die präzise Übertragung nicht nur der tariflichen Verbesserungen, sondern auch der tariflichen Kompensationen ein Sonderopfer sein soll, dann frage ich Sie, wie der Antrag des Bundesrates zu verstehen ist, der mit der Mehrheit der von CDU bzw. CSU und FDP regierten Länder zustande gekommen ist und in dem verlangt wird, die Verschiebung um drei Monate auf insgesamt sechs Monate zu verlängern. Dazu müssen Sie sich einmal äußern, meine Damen und Herren. ({3}) - Sie verfangen sich hier einmal mehr in Ihren Widersprüchen. Im Bundestag wollen Sie sich als Schutzpatrone der Beamtinnen und Beamten aufspielen und fordern allerlei Wohltaten; im Bundesrat beschließen Sie das genaue Gegenteil. Das passt nicht zusammen. Irgendwann müssen Sie sich einmal sortieren. ({4}) Anderenfalls muss ich auf den schönen alten Spruch von Karl Valentin zurückkommen: Mögen hätten Sie schon wollen, aber dürfen haben Sie sich nicht getraut. Dies ist keine gute Regel für die Politik. Meine Damen und Herren, im zweiten Teil des Gesetzentwurfs wird eine begrenzte Öffnung des Besoldungsrechts beim Weihnachts- und Urlaubsgeld vorgenommen. Wie Sie alle wissen - das wurde hier ja auch schon erwähnt -, geht sie auf ein nahezu einstimmiges Ländervotum zurück. Mit Blick auf die unterschiedliche Verteilung der Personalkosten - die CDU/CSU hat in ihrem Antrag selbst hervorgehoben, dass der Bundesrat in dieser Weise votiert hat - sollte in diesem Hause Einvernehmen darüber bestehen, dass sich der Bundesgesetzgeber dieser Bitte des Bundesrates nicht verschließen kann. Ich begrüße es daher, dass sich auch die CDU/ CSU-Fraktion, wenn auch erst im zweiten Anlauf, entschlossen hat, diesem Antrag der Koalition zuzustimmen. Auch eine späte Einsicht ist lobenswert; ich hoffe, dass sich dies in Ihrem Abstimmungsverhalten niederschlägt. Aber, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und insbesondere von der FDP, ich vermisse eine klare Linie. Auf der einen Seite kritisieren Sie Flächentarifverträge und starre Regelungen und verlangen Flexibilisierung. Wenn man sich hier an einer Stelle von einem starren System löst und Flexibilisierung beschließt, dann ist es Ihnen auch wieder nicht recht. Sie müssen sich hier schon auf eine einheitliche Linie verständigen. Wir sollten diese Flexibilität, die wir damit schaffen, nicht gleich wieder einsammeln. Denn diesen Gestaltungsspielraum gilt es zu nutzen. Das ist eine Maßnahme, die die Länder einhellig fordern. Wir sollten ihnen da keine Hindernisse in den Weg legen. Hier im Hause besteht im Wesentlichen Einvernehmen darin - das habe ich den Beiträgen entnommen -, dass wir im öffentlichen Dienst eine gleich gerichtete Einkommensentwicklung wahren müssen. Im vorliegenden Gesetzentwurf wird dieser Zielsetzung mit einer 1 : 1-Übernahme des Tarifabschlusses auf die Beamtinnen und Beamten Rechnung getragen, insbesondere im Bereich der linearen Bezüge. Das gilt auch dann, wenn es aufgrund der neu geschaffenen Öffnungsklausel zu Einschnitten kommen kann. Denn bei der Betrachtung der Einkommen kann nicht nur auf die Bruttobeträge abgestellt werden. Es wird ja wohl niemand im Ernst behaupten, dass die Beamtinnen und Beamten beim Vergleich der Nettoverdienste gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern benachteiligt werden. Ich jedenfalls werde weiterhin darauf achten, dass die Beschäftigungsbedingungen im öffentlichen Dienst gleich gerichtet entwickelt und die Statusgruppen nicht unterschiedlich behandelt werden. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf beweist einmal mehr, dass wir an dem bewährten Gleichklang zwischen Tarif und Besoldung festhalten und die notwendigen Reformen parallel voranbringen werden. Es bedarf dazu keiner Aufforderung durch die Opposition. Ein Abweichen von diesen Grundsätzen haben andere gefordert. Sie sollten ihre Forderungen daher an andere aus ihren Reihen adressieren. Damit tun sie vielleicht etwas Besseres, als wenn sie sich hier zu Wort melden. Der Bund wird in diesem Jahr keine Kürzungen im Bereich des Weihnachtsgeldes vornehmen. Kürzungen sind aber für das Haushaltsjahr 2004 erforderlich. Um eine parallele Entwicklung im öffentlichen Dienst zu ermöglichen, hat der Bund Anfang dieser Woche im Tarifbereich die Tarifverträge über das Weihnachts- und das Urlaubsgeld gekündigt. Ich verstehe gut, dass diese Kündigung bei den Gewerkschaften nicht unbedingt Begeisterung ausgelöst hat. Wir werden diese Fragen gemeinsam mit den Gewerkschaften im Rahmen der begonnenen Verhandlungen zur BAT-Reform erörtern. Ich hoffe, dass wir - bei gutem Willen auf allen Seiten - zu vernünftigen neuen Absprachen gelangen können. Der Gestaltungsspielraum sollte dabei genutzt werden, um strukturelle Überlegungen einzubeziehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass ein Teil des eingesparten Betrages für eine bessere Leistungsbezahlung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung steht. Wir haben hierfür deshalb in den Haushalt 2004 in einem eigenen Titel zusätzlich 50 Millionen Euro eingestellt. Ein Teil dessen, was dort zurückgeführt wird, fließt wieder in das Bezahlungssystem, aber unter dem Vorzeichen der Leistungsbezahlung. Ich glaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wie Sie alle wissen, werden in den kommenden Jahrzehnten Pensionszahlungen in besonderem Maße Belastungen hervorrufen, insbesondere bei den Ländern. Lesen Sie das noch einmal in meinem zweiten Versorgungsbericht nach. Aus diesem Grunde halte ich es für vertretbar, bei den notwendigen Maßnahmen zwischen aktiven Beamtinnen und Beamten sowie Versorgungsempfängerinnen und -empfängern zu differenzieren und Einsparungen in unterschiedlicher Höhe vorzunehmen. Über die Einzelheiten werden wir im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu beraten haben. Meine Damen und Herren, ich begrüße es, dass hier von allen Seiten die Modernisierung des öffentlichen Dienstes angesprochen worden ist. Die Modernisierung des öffentlichen Dienstes ist ein wesentliches Element der grundlegenden Reformen, die wir jetzt mit aller Kraft voranbringen müssen. Ich lade Sie alle - auch Sie, Herr Bosbach - ein, daran konstruktiv mitzuwirken. In diesem Sinne begrüße ich es, dass Sie im Innenausschuss eine Expertenanhörung zur Zukunft des öffentlichen Dienstes durchführen wollen. Ich will daran erinnern: Die besten Experten in diesem Bereich sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes selbst, die Beamtinnen und Beamten sowie ebenso die Tarifbeschäftigten, denen ich an dieser Stelle für ihre Leistungsbereitschaft und auch für ihr besonderes Engagement bei der Modernisierung des öffentlichen Dienstes herzlich danken möchte. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Clemens Binninger.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! ({0}) - Herr Kollege von der SPD, es ist ein sehr seltsames Verhalten von Ihnen, „Populist“ zu schreien, nur weil ich die Menschen in unserem Land begrüße. ({1}) Wir reden heute über zwei Dinge. Zum einen reden wir über die Besoldungsanpassung. Die Beamten sollen im Rahmen der Übernahme des Tarifabschlusses mehr Geld bekommen. Zum anderen reden wir über Öffnungsklauseln. Den Beamten wird Geld genommen, vor allen Dingen beim Weihnachtsgeld. Zu dem ersten Thema Besoldungsanpassung haben wir den Antrag gestellt, eine zeitgleiche Übertragung des Tarifabschlusses vorzunehmen. Ich möchte daran erinnern: Alle Parteien haben unmittelbar nach der Tagung des Beamtenbundes in Bad Kissingen eine zeitund inhaltsgleiche Übertragung gefordert. Herr Kollege Kemper, das Wort „zeitgleich“ kam Ihnen heute nicht mehr über die Lippen. Von einer zeitgleichen Anpassung wollen Sie jetzt also nichts mehr wissen. Wir haben uns für eine zeitgleiche Übertragung eingesetzt; Sie haben sie abgelehnt. Die Beschäftigten werden das sehr aufmerksam registrieren. Sie argumentieren immer damit, dass auch wir in der Vergangenheit die Anpassung zeitlich verzögert durchgeführt hätten. Es ist gar keine Frage, dass das zutrifft. Jetzt aber haben die Länder mit der Öffnungsklausel eine Möglichkeit zur finanziellen Kompensation. ({2}) Wir brauchen also keine zusätzliche zeitliche Kompensation. Auch das ist Gegenstand unseres Antrags. ({3}) Zu dem zweiten Thema Öffnungsklausel ist zu sagen, dass auch für uns dieses Thema schwierig ist. Ich bedauere es sehr, dass der Herr Minister jetzt nicht mehr anwesend ist. ({4}) - In Ordnung. - Ich hätte ihm gerne persönlich etwas zu dem Thema Öffnungsklausel gesagt; man kann es ihm ja ausrichten. Wir tragen die Öffnungsklausel mit, weil wir der Ansicht sind, dass die Länder mit ihrem großen Per- sonalkostenanteil einen Gestaltungsspielraum brauchen. Wir sagen aber auch - deshalb haben wir einen Ent- schließungsantrag eingebracht -: Wir setzen bei der Ausgestaltung dieser Öffnungsklausel sehr stark darauf, dass a) das Grundgehalt unangetastet bleibt, dass b) die Ausgestaltung sozial gerecht erfolgt und dass man sich c) - das wäre wünschenswert - bei der Ausgestaltung dem Modell des Deutschen Beamtenbundes, einem sehr konstruktiven Vorschlag, nähert. Das ist machbar. Baden-Württemberg wird genau dieses Modell übernehmen. Dann kann man die Öffnungsklausel auch mittragen. Baden-Württemberg setzt damit den Maßstab auch für die von Rot-Grün regierten Länder. Wir lassen uns überraschen, was von dieser Seite noch kommt. ({5}) Wir sind uns sicherlich darin einig, dass die Probleme in der Zukunft nicht gelöst werden, wenn wir alle zwei Jahre Einschnitte bei den Beamten vornehmen. Ich selber war Beamter; ich habe mit einer sehr niedrigen Besoldungsgruppe begonnen und bin mit einer etwas höheren ausgeschieden. Mitte der 80er-Jahre habe ich im Monat 750 Euro netto verdient. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das zu viel war. Wir sollten auch daran denken, dass wir beim Thema Beamte nicht nur über Regierungsdirektoren oder Ministerialräte, sondern auch über Polizeibeamte und Soldaten reden müssen. Denen ist es kaum zu vermitteln, warum die Gerechtigkeitslücke zwischen Tarifbeschäftigten und ihnen möglicherweise immer größer wird. Wir sind aufgefordert, zu verhindern, dass dies geschieht. Im Kern werden wir das Personalkostenproblem nur dann lösen, wenn wir bereit sind, die Aufgaben des Staates konsequent abzubauen und damit in der Folge Personal abzubauen. Ich teile Ihre Einschätzung nicht, Frau Kollegin Stokar von den Grünen, dass möglichst viele Aufgaben beim Staat belassen werden sollen. So werden wir das Kostenproblem nie in den Griff bekommen. Das müssen Sie wissen. Ohne Aufgabenreduzierung wird auch kein Personalabbau möglich sein. Ohne Personalabbau aber wird das Kostenproblem spätestens nach zwei Jahren wieder auf der Tagesordnung stehen. Deshalb wird im September auf unsere Initiative hin - in diesem Zusammenhang gilt mein Dank den Berichterstattern aller Fraktionen - eine Anhörung stattfinden, auf der wir uns mit diesen Fragen, aber auch mit den Fragen der Besoldung und den Auswirkungen der Öffnungsklausel befassen wollen. ({6}) Ich hätte den Minister gern gefragt, wie er seinen Personenschützern, den Polizeibeamten, die sich im Zweifel mit ihrem Leben für ihn einsetzen, erklären will, dass er, obwohl er ihnen sagt, dass er zwar mit ihrer Arbeit sehr zufrieden sei und alles für sie tun wolle, als Nächstes ihr Weihnachtsgeld kürzt. Es hätte mich interessiert, wie er diese Gratwanderung schafft; denn uns hält er hier vor, wir würden uneinheitlich argumentieren.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte. ({0})

Ute Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002823, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Binninger, ich wüsste gerne, ob Sie eine Empfehlung haben, wie beispielsweise Ministerpräsident Teufel dies seinerseits seinen Personenschützern erklären soll. ({0}) - Doch! ({1})

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Vogt, er wird es ihnen erklären können, weil Baden-Württemberg die Öffnungsklausel über das Beamtenbundmodell anwenden wird. ({0}) Der Vorschlag, jetzt zu dynamisieren, kam aus der Beamtenschaft. Insofern ist das für die Beamtenschaft akzeptabel. Deshalb kann Herr Teufel das tun. Ob das auch der Bund tun wird, wird man sehen. ({1}) Wer ist eigentlich in der Bundesregierung für den öffentlichen Dienst verantwortlich? Wer war der Verhandlungsführer beim Zustandekommen des Tarifabschlusses, der dazu geführt hat, dass die Länder gesagt haben, sie bräuchten Ausgleichsmaßnahmen? Wer ist zu diesem Thema seit Monaten auf Tauchstation? Auf alle diese Fragen gibt es nur eine Antwort: Otto Schily. Er war nicht da. Er hat dieses heiße Eisen nicht angepackt, sondern andere vorgeschickt. Auch heute wieder muss sein Staatssekretär aufpassen. ({2}) Der Minister ist wahrscheinlich wieder auf Tauchstation, um sich vor einer Position zu drücken. Das registrieren die Beschäftigten und die Berufsvertretungen sehr aufmerksam. Dass eines klar ist: Wir - die Abgeordneten, der öffentliche Dienst, die Berufsvertretungen und auch Sie, wenn Sie ehrlich sind, von der AG und aus dem Innenausschuss - wissen nach dieser Debatte: Wir haben von diesem Minister, was das Thema Impulse und Reformansätze im öffentlichen Dienst angeht, nichts mehr zu erwarten. Ich freue mich trotzdem auf die Zusammenarbeit. Wir bieten sie noch einmal an. Danke, dass Sie unseren Vorschlag angenommen haben. Ich hoffe sehr, dass Sie unserem Entschließungsantrag, der sich ganz stark auf die Ausgestaltung der Öffnungsklausel bezieht, zustimmen werden. Daran werden wir schon heute messen können, ob es Ihnen mit den Beamten ernst ist oder ob das bei Ihnen nur Populismus war. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Was möchten Sie?

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte eine Kurzintervention machen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es ist eigentlich nicht üblich, eine Kurzintervention zu machen, wenn man schon einen Redebeitrag hatte. Versuchen Sie, es kurz zu machen.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich möchte nur sagen, dass der Kollege Binninger während seiner Rede nicht wissen konnte, dass der Innenminister zu mir gekommen ist, um meine Fraktion um Entschuldigung dafür zu bitten, dass er wegen einer Sitzung des Bundessicherheitsrates an dieser Debatte nicht teilnehmen kann, und dass wir ihm das selbstverständlich nachsehen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 2003/2004. Der Innenausschuss empfiehlt unter Ziffer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/1347, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt getrennte Abstimmung. Wir stimmen zunächst über Art. 1 bis Art. 12 in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 1 bis Art. 12 sind angenommen worden. Abstimmung über Art. 13 bis Art. 21 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Art. 13 bis Art. 21 sowie Einleitung und Überschrift sind mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU gegen die Stimmen der FDP, eine Stimme aus der CDU/CSU und die Stimme der fraktionslosen Abgeordneten Petra Pau angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP und einer weiteren Stimme bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1363. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU bei einer Enthaltung abgelehnt. Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1361 soll zur federführenden Beratung an den Innenausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss und an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 15/1347 zu dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften. Unter Ziffer 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Innenausschuss, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1021 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Wirksamen Zivil- und Katastrophenschutz schaffen - Drucksache 15/1097 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Verteidigungsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Es wird darum gebeten, alle Reden zu Protokoll ge- ben zu können. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so mit den Reden der Abge- ordneten Reichenbach, Philipp, Stokar1), Piltz und des Parlamentarischen Staatssekretärs Körper2). Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1097 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht - Drucksache 15/1222 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht - Drucksache 15/996 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3}) - Drucksache 15/1341 Berichterstattung: Abgeordnete Matthias Weisheit Friedrich Ostendorff Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Matthias Weisheit.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dieser Debatte werden wir das Gesetz zur Anpas- sung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht beschlie- ßen. Die Frage muss schon erlaubt sein, warum wir über diese rein organisatorische Maßnahme debattieren müs- sen. Ich habe den Verdacht, dass die Debatte, die wir in den letzten Wochen an jedem Freitag geführt haben, mit Debatten zur grünen Gentechnik fortgesetzt werden soll. Natürlich hätten wir dieses Gesetz im Zuge der Gesetze 1) Redebeitrag wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. 2) Anlage 3 beschließen können, zu denen keine Aussprache stattfindet. Aber das war offensichtlich nicht möglich. ({0}) Diese Anpassung setzt im nachgeordneten Bereich fort, was mit dem Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 22. Oktober 2002 festgelegt wurde, nämlich die Verlagerung des Aufgabenbereichs grüne Gentechnik vom Bundesministerium für Gesundheit zum Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt, was in diesem Zusammenhang notwendig ist. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf einfach zu! Er ist ein Vorschaltgesetz zur Novelle des Gentechnikrechtes, dessen zügige Umsetzung Sie hier allemal und immer wieder vehement einfordern. Aber ich habe es schon angesprochen: Ich befürchte, dieser organisatorische Vorgang soll auch wieder ein bisschen zum ideologischen Grabenkampf instrumentalisiert werden. Das wird schon ein wenig in dem Antrag deutlich, in dem Sie sich beschweren, dass das RobertKoch-Institut nunmehr Benehmensbehörde und nicht mehr Einvernehmensbehörde sei und damit degradiert werde. Das ist schlichtweg eine Konsequenz aus der Zuständigkeitsverlagerung von einem Ministerium in das andere. Ich kann nun alles verstehen; aber diese plötzliche Liebe zum Umweltbundesamt, das eine Zuständigkeit verliert, die zum Bundesamt für Naturschutz wandert, kann ich mir angesichts anderer Debatten, die wir im Zusammenhang mit Pflanzenschutz und anderem im Ausschuss geführt haben, überhaupt nicht vorstellen. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, dass hier plötzlich die Liebe zum Umweltbundesamt bei Ihnen erblüht. Wo immer es um grüne Gentechnik geht, finden Sie Ideologisches und versuchen, die Bundesregierung kräftig anzugreifen, und unterstellen ihr Ideologie. Dann kommt der Lieblingstextbaustein von der Blockadepolitik der rot-grünen Bundesregierung. Das wird allmählich langweilig. ({1}) Aber dass Sie auf jeden Gaul in dieser Geschichte aufspringen, zeigt das letzte Interview Ihrer Kollegin Reiche in „Bild am Sonntag“. Im Gastkommentar ließ sie sich dazu hinreißen, die unsäglichen Äußerungen des amerikanischen Präsidenten Bush, die EU verschärfe durch ihre kritische Haltung zu gentechnisch veränderten Lebensmitteln das Hungerproblem in Afrika, voll und ganz zu unterstützen. Ich glaube, das ist restlos lächerlich. ({2}) Ich brauche niemandem zu erklären, dass die EU ein Vielfaches mehr an Entwicklungshilfe für Afrika ausgibt als die USA und dass gerade die USA die Entwicklungsländer mit ihren subventionierten Agrarüberschüssen überschwemmen und dort die Märkte kaputtmachen. Um den Hunger langfristig zu bekämpfen, bedarf es einer eigenständigen landwirtschaftlichen Entwicklung vor Ort und müssen politische Lösungen her und nicht gentechnische. ({3}) Die gentechnischen Entwicklungen der Firmen sind weder geeignet noch dazu gedacht, den Welthunger zu bekämpfen. Ihre Produkte, etwa die von Monsanto, zielen darauf, in den großen Märkten der USA und Europas abgesetzt zu werden. Denn nur dort können sie mit Profit verkauft werden. Das Profitstreben kann man den Firmen auch nicht vorwerfen. Aber das bedeutet im Gegenzug, dass ein Großteil der Entwicklungen nicht dort eingesetzt werden kann, wo das Geld nicht vorhanden ist, entsprechendes Saatgut zu kaufen. Ich zitiere aus dem Kompendium „Gentechnik und Lebensmittel“ der Firma Monsanto: Es stimmt, dass die meisten der bisher hergestellten gentechnisch veränderten Kulturpflanzen für die Landwirtschaft der kapitalstarken industrialisierten Länder bestimmt sind. Es trifft auch zu, dass die Landwirte in den Entwicklungsländern sich dieses Saatgut zu den Preisen, wie sie in den Industrieländern verlangt werden, nicht leisten können. Damit ist in diesem Zusammenhang und zu diesem Vorwurf, den man zurückweisen muss, eigentlich alles gesagt. Für mich bleibt noch - auch angesichts der Debatte von gestern Abend, die wir zum Agrarbericht geführt haben - eine spannende Frage: Wie soll man die grüne Gentechnik offensiv vorantreiben, wenn bei den Verbrauchern in Europa und in der Bundesrepublik eigentlich eine überwiegende Ablehnung solcher Lebensmittel vorhanden ist? ({4}) - Die Kennzeichnungspflicht kommt ja jetzt. Gott sei Dank hat das EP auch die notwendigen Grenzwerte festgelegt und die Debatte abgeschlossen. Dann kann man sie umsetzen. Aber die Chance, für spezielle europäische und deutsche Produkte mit einem besonderen Qualitätsmerkmal, nämlich gentechnikfrei, zu werben und für diese Produkte einen Markt zu haben, wird vertan. Wenn man hergeht und den großen Mischmasch mit gentechnisch verändertem Raps, mit gentechnisch verändertem Mais und so fort, der in aller Welt angeboten wird, bei uns auch einführen will, ist das eigentlich genau der verkehrte Weg in diesem Bereich. Hier sehe ich einen ganz großen Widerspruch zu dem, was wir gestern Abend von der Opposition in der Debatte hier zu hören bekamen, und zu dem, wie sie sich verhält. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist zu diesem Punkt eigentlich alles gesagt, was zu sagen war. Ich fordere Sie nochmals auf, unserem Gesetzentwurf zur Anpassung von Zuständigkeiten zuzustimmen; denn wenn es jetzt bei dem entsprechenden Ministerium angesiedelt wird, dann ist es mehr als logisch, dass auch die Zuständigkeiten bei den nachgeordneten Behörden verlagert werden. Ihren Antrag werden wir leider ablehnen müssen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Helmut Heiderich.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verbliebene Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Verbliebene! Ich freue mich über die große Beteiligung, die wir in diesem Hause heute noch haben. Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Weisheit muss ich sagen, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung weder von seinem Inhalt her noch ansonsten notwendig ist. Er ist auch nicht hilfreich; denn die Entscheidung des Bundeskanzlers, die Zuständigkeit für das Gentechnikrecht in das Bundesministerium für VEL zu verlagern, erzwingt keineswegs die Konsequenzen, die Sie heute hier beschließen wollen. Die Zerschlagung des Robert-Koch-Instituts als der weltweit anerkannten und renommierten Gentechnikbehörde in Deutschland, die weitere Zersplitterung des Genehmigungsverfahrens - dies steckt ja auch in Ihrem Gesetzentwurf, den Sie heute hier vorlegen - und die besondere Betonung der und die Einengung auf die naturschutzfachlichen Aspekte sind allesamt ungeeignet, Ihrem eigenen Regierungsziel gerecht zu werden. Herr Weisheit, Sie vergessen leider immer, dass in Ihrer Regierungserklärung steht, dass Sie die Bio- und Gentechnik als Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts ausbauen wollen. Ich zitiere einmal, was der „Tagesspiegel“, der nicht gerade ein Parteiorgan der CDU ist, heute über das eigentliche und offensichtliche Ansinnen dieser Vorlage schreibt: „Regierung will grüne Gentechnik ausbremsen …“. Ich glaube, damit hat er sehr genau beschrieben, was Ihre eigentliche Intention bei dieser Vorlage ist. Dass das Robert-Koch-Institut einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Biotechnik in Deutschland und darüber hinaus weltweit hat, brauche ich nicht weiter zu betonen. Lassen Sie mich nur eine kleine Notiz am Rande erwähnen: Sie formulieren in Ihrem Gesetzesantrag, dass die entsprechenden Ressourcen des RKI - so heißt es - auf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit übergehen sollen. Andererseits verlangen Sie aber, dass das RKI weiterhin als Benehmensbehörde an allen Genehmigungsverfahren beteiligt werden soll. Hier stellt sich doch die Frage, mit welchen Ressourcen das RKI das zukünftig tun soll, wenn Sie ihm vorher die Ressourcen weggenommen und sie verlagert haben. Ich meine, auch das zeigt, dass der Gesetzentwurf unausgegoren ist und offensichtlich nur den politischen Intentionen folgt, wie es der „Tagesspiegel“ so hervorragend dargestellt hat. Auch die Tatsache, dass die neue Behörde das Wort „Verbraucherschutz“ im Namen tragen soll, bedeutet noch nicht, dass sie in dieser Hinsicht eine bessere Arbeit leisten würde. ({1}) Das Gleiche gilt, so meinen wir, für die eben auch schon angesprochene Verlagerung der Zuständigkeit aus dem Umweltbundesamt in das Bundesamt für Naturschutz. Herr Kollege Weisheit, diese Verlagerung ist nicht einmal formal begründet, weil sich der Organisationserlass des Kanzlers nicht auf das BMU, sondern nur auf das BMVEL bezogen hat. Deswegen haben Sie zu Recht gesagt, dass es sich hier um ein Vorschaltgesetz handelt. Sie wollen sich der Zustimmungspflicht der Bundesländer, die sie nach dem Gentechnikrecht eigentlich hätten, entziehen, indem Sie das vorziehen und nicht im Zusammenhang mit dem übrigen Gentechnikrecht novellieren wollen. So, wie der „Tagesspiegel“ das beschrieben hat, ist hier der Wunsch Vater des Gedankens. Ich will den Artikel noch weiter zitieren. Hier heißt es - man höre genau hin -: Das UBA hingegen gilt Trittin, ebenfalls grünen Stimmen - nicht unseren zufolge, als „viel zu liberal“, weil es den Einsatz der grünen Gentechnik nicht kategorisch ablehnt. Darum gehen Kreise davon aus, dass das BfN die großflächigere Anwendung von Genpflanzen in Deutschland nach Kräften verhindern wird. Hier wird offensichtlich ideologische Absicht mit den notwendigen gesetzlichen Änderungen durcheinander gebracht. ({2}) Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt ansprechen. Verehrte Frau Wolff, hören Sie gut zu! Wenn ich richtig informiert bin, war gestern das Richtfest des UBA in Dessau. Das UBA wurde in Dessau angesiedelt mit dem Versprechen, Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern zu schaffen. Aber durch die Aufgabenübertragung, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf beschließen wollen, ziehen Sie die Arbeitsplätze wieder von Dessau ab und verlagern sie in Richtung Bonn. Auch das ist eine Fehlentscheidung. Gerade in Sachsen-Anhalt gibt es hervorragende lokale Kompetenzen in Sachen Gentechnik. Ich erinnere an die Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen in Quedlinburg oder an das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. Ich denke aber auch an die Initiativen des Nachbarlandes Sachsen, die bis 2005 200 Millionen Euro in eine Biotechnologieoffensive investieren werden. In diesem Zusammenhang wird auch von der Biocity Leipzig und vom Bioinnovationszentrum Dresden gesprochen. Hier gibt es eine ganze Reihe von guten Ansätzen. Auch deswegen ist die Entscheidung, die Zuständigkeit des Umweltbundesamtes für diesen Bereich auf das BfN zu übertragen, falsch. ({3}) Durch die Schaffung des BVL als zusätzlicher Genehmigungsbehörde wird das bisherige Verfahren nicht gerade vereinfacht, sondern weiter ausgedehnt und damit noch komplexer und langwieriger. Das kann nicht Sinn einer solchen Entscheidung sein. Sie handeln damit in der Verwaltungspraxis genau entgegengesetzt zu dem, was der Europäische Rat mit der so genannten LissabonStrategie beschlossen hat. Diese Lissabon-Strategie ist gerade vom Europäischen Parlament im Bereich der Bio- und Gentechnik angemahnt worden. Dabei ist es die Intention der SPD und der Grünen, in diesem Bereich bis zum Jahre 2010 an die Weltspitze zu gelangen. Das, was Sie hier machen, ist aber genau das Gegenteil, nämlich eine Verhinderungsstrategie. Es ist nicht nur dem „Tagesspiegel“, sondern auch einer Reihe von grünen Abgeordneten, die in dem Artikel zitiert werden, aufgegangen, dass es Intention dieses Gesetzentwurfs ist, von Entscheidungen nach wissenschaftlichen Kriterien wegzukommen und sich immer mehr an den politischen Intentionen der grünen Fraktion auszurichten. Ich will nur daran erinnern, dass wir bei der ZKBS, der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit, mehrfach öffentliche Debatten darüber führen mussten, dass grüne Minister in die Entscheidung der ZKBS eingegriffen haben, um sie nachträglich zu korrigieren oder aufzuhalten. Dieses Verfahren ist bei exakten wissenschaftlichen Beurteilungen nicht haltbar. Sie versuchen mit diesem Gesetzentwurf wieder einmal, ein Stück ordentlicher wissenschaftlicher Beurteilung des Gentechnikrechts wegzuräumen und Ihren ideologischen Vorstellungen ein bisschen mehr Raum zu verschaffen. Dagegen erklärt Ihr Wirtschaftsminister Clement - das ist ein völliger Widerspruch, Herr Kollege Weisheit -, er werde sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Europa das Moratorium bei GVO aufhebe, um die Entwicklung gentechnisch verbesserter Produkte auch in Deutschland zu forcieren. Ich sage zum Abschluss: Ich bedauere es, dass die SPD mit dieser Gesetzesvorlage - Sie selbst haben das Wort Vorschaltgesetz benutzt - ihren von mir gerade skizzierten Weg forsetzen will.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Abschluss ist Abschluss.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen doch selbst ganz genau, dass sowohl Forschung und Entwicklung an Universitäten als auch Saatzuchtunternehmen in Deutschland damit ein völlig falsches Signal bekommen. Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir bitten Sie darum, ihm zuzustimmen und Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen. Schönen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heiderich, eines will ich klar sagen: Wenn hier einer - ich habe schon viele Reden von Ihnen gehört eine ideologische Schlacht um die Gentechnik führt, dann sind Sie es und nicht die Bundesregierung. ({0}) Was interessiert die Bürgerinnen und Bürger im Land? Sie interessiert zunächst einmal, dass sie eine Wahlfreiheit haben und eine klare Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel vorfinden. Deswegen ist es mir eine besondere Freude, an diesem Tag davon zu berichten, dass man sich auf europäischer Ebene geeinigt hat und dass es diese klare Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel in Europa in Zukunft geben wird. ({1}) Damit haben die Verbraucherinnen und Verbraucher zukünftig die Wahl, ob sie diese Produkte kaufen oder nicht. Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Voraussetzung ist, um rational mit dem Thema Gentechnik umzugehen; denn es gibt in der Union zu viele, die der Ideologie anhängen, man könne die Gentechnik durch die Hintertür einführen. Das wird nicht gehen. Diese Technologie muss sich bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern durchsetzen. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass in Bezug auf Nahrungsmittel die Verbraucherinnen und Verbraucher Gentechnologie ablehnen. ({2}) Es sind aber nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie wissen, dass auch viele große Unternehmen - Unilever ist nicht gerade ein mittelständischer Lebensmittelproduzent - die Entscheidung getroffen haben, dass sie keine gentechnisch veränderten Produkte in ihr Sortiment aufnehmen. Sie folgen damit dem Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch das muss man an einem solchen Tag in einer solchen Debatte zur Kenntnis nehmen. ({3}) Davon sagen Sie in der Regel überhaupt nichts. ({4}) Die Bundesregierung hat zu Beginn der Legislaturperiode die Entscheidung getroffen, die Zuständigkeiten für die grüne Gentechnik auf das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu übertragen. Es ist doch nur folgerichtig, dass das neu geschaffene Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Kernkompetenz bekommt, zu beurteilen, ob gentechnisch veränderte Produkte für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine potenzielle Gefährdung darstellen oder nicht. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es ist vernünftig, dass dieses Bundesamt, dessen Kernkompetenz es ist, über solche Fragen zu entscheiden, die Hauptaufgabe bekommt. Ein zweiter wichtiger Punkt ist das Bundesamt für Naturschutz. Ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamtes für Naturschutz haben es verdient, dass man sie verteidigt. Zu glauben, das seien sozusagen Heerscharen von Truppen, die, „Tagesspiegel“Artikeln folgend, irgendwelche Entscheidungen fern der Sache treffen, wird den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich nicht gerecht. Ich empfinde auch die Art und Weise, wie Sie mit ihnen umgehen, als absolut unangemessen. ({5}) Wir haben es bei der Gentechnik mit der Interaktion lebender Organismen zu tun. Das ist der Grund, warum das Bundesamt für Naturschutz hier zukünftig eine stärkere Kompetenz bekommen muss; das ist ein höchst sachbezogener Grund. Wir haben die Kennzeichnung geklärt. Jetzt wird die Koexistenz die Grundfrage sein. Wenn dies nicht geklärt wird, werden gerade die Bäuerinnen und Bauern in Deutschland die Zeche zu bezahlen haben. Es gibt Unternehmen, die keine Gentechnik in ihren Produkten haben wollen. Es gibt Landwirte, die sich vertraglich verpflichten, gentechnikfreie Produkte abzuliefern. Wenn sie dann ernten und Rückstände von gentechnisch veränderten Produkten feststellen, ist ihre Ernte futsch. Diese Situation wird in den Dörfern zu massiven Konflikten führen. Die Politik muss also in der Lage sein, die Koexistenz so zu regeln, dass die Landwirte die Freiheit haben, das zu produzieren, was der Markt nachfragt. Auch da wird das Bundesamt für Naturschutz ausgesprochen hilfreich sein. Herr Kollege Deß, das wird von den Landwirten in Bayern und anderswo genauso gesehen. Wir haben alle Interessengruppen, die der Wirtschaft, der Verbraucher und der Landwirte, zusammengerufen Parl. Staatssekretär Matthias Berninger und gefragt, was sie von der Koexistenz halten. Alle miteinander sagten, dass ihnen die Politik helfen müsse und ihnen das nicht allein überlassen werden dürfe. Denn die Folge würde sein, dass einige wenige auf Gentechnik setzen und die Ernte vieler anderer dadurch verhagelt wird. Das will niemand, es sei denn die CDU/CSU-Fraktion, weil sie der Gentechnik die Tür öffnen will. Die Bundesregierung stellt sich klar dagegen. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung ausdrücklich gesagt, dass nationale Regelungen zur Koexistenz notwendig sind. Wir werden das machen. Wir werden das RKI und dessen Sachverstand entgegen Ihren Äußerungen weiterhin einbeziehen. Aber wir brauchen eine Struktur, die den neuen Herausforderungen angemessen ist. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und das Bundesamt für Naturschutz sind unsere Partner. Der Sachverstand in diesen Ämtern wird in dieser Debatte ausgesprochen hilfreich sein. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr gerne.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Sie zu den im „Tagesspiegel“ zitierten moderaten grünen Kreisen gehören, denen zufolge der Präsident des BfN, Herr Vogtmann, erklärt hat, er „plädiere für ein totales Verbot der grünen Gentechnik in der Landwirtschaft“ und dass deswegen die Umstrukturierung des UBA zugunsten des BfN vorgenommen werde? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Ich habe dem „Tagesspiegel“ kein Interview gegeben. Gegebenenfalls hätte ich das auch unter meinem Namen gemacht. Dass ich ein moderater Grüner bin, werfen mir einige vor; andere wiederum begrüßen das. Das tut hier aber nichts zur Sache. Erlauben Sie mir zum Abschluss eine klare Aussage vonseiten der Bundesregierung in Richtung Washington: Der Vorwurf, unsere Politik in der grünen Gentechnik produziere mehr Hunger in der Welt, ist zynisch und muss in aller Deutlichkeit zurückgewiesen werden. ({0}) Ich denke, dass an dieser Stelle mit der Regierung Bush die Pferde durchgegangen sind. Auf der einen Seite werden weltweit jährlich 8 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe im ländlichen Raum aufgebracht. Der Betrag ist in den vergangenen zehn Jahren halbiert worden. Auf der anderen Seite bringen wir 1 Milliarde Euro pro Tag für die Landwirtschaft in den Industrieländern auf. Dieses Ungleichverhältnis und die Tatsache, dass allein die USA einen Rüstungsetat in Höhe von 400 Milliarden Euro haben - hinzu kommen weitere 400 Milliarden Euro in den anderen Ländern der Erde -, tragen weit mehr zum Hunger bei als unsere an den Interessen der Verbraucher und des Marktes orientierte Politik im Bereich der grünen Gentechnik, die vorausschauend statt blind technikgläubig - wie die Positionen, die Sie regelmäßig vertreten - ist. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Christel Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär Berninger, ich möchte Ihnen in einem Punkt ausdrücklich Recht geben: Es geht darum, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden verteidigen, wenn sie ihre Aufgaben beim Vollzug der von uns verabschiedeten Gesetze wahrnehmen. Ich frage Sie aber, Herr Kollege Berninger: Wo waren Sie, als Greenpeace beispielsweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RKI angegriffen hat? Warum haben Sie sie nicht verteidigt? Das habe ich vermisst. ({0}) Damit komme ich zu dem Vorgang, der letztlich den Anstoß für die vorliegende Gesetzesinitiative von RotGrün gegeben hat. Erinnern wir uns: Im Frühjahr dieses Jahres wurde in Thüringen ein vom Robert-Koch-Institut genehmigter Freisetzungsversuch mit pilzresistentem Weizen vorbereitet. Das Anhörungsverfahren wurde im Einklang mit EG-rechtlichen Vorschriften durchgeführt, die unter anderem auch den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verlangen. Greenpeace hat das RKI wegen seiner gesetzeskonformen Genehmigung des Freisetzungsversuchs kritisiert. In der Folge ist das Versuchsfeld widerrechtlich zerstört worden. Die Kritik von Greenpeace war in der Sache verfehlt. Wo aber waren Sie, um dies Greenpeace mitzuteilen? Die Regierung hat mir auf meine Anfrage hin keine Kritikpunkte an der Umsetzung des Gentechnikgesetzes durch das RKI genannt. Sie können das auf Drucksache 15/821 nachlesen. Am 21. Mai aber wurde von den Regierungsfraktionen ein Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Zuständigkeiten verändert werden sollen. Das heißt doch: Wenn Greenpeace hustet, springt Rot-Grün! ({1}) Dieser Gesetzentwurf ist die unmittelbare Folge der völlig unberechtigten Kritik von Greenpeace und der Angst von Rot-Grün, sich gegen diese sicherlich mächtige Organisation zu stellen. Rot-Grün hat dem Druck von Greenpeace nachgegeben. Wir wissen jetzt: Diese Regierung verteidigt zwar die rot-grünen Interessen, aber nicht die der Menschen in Deutschland, die Interessen der jungen Generation, die sich in Deutschland eine Existenz aufbauen möchte, der arbeitsuchenden Menschen und der mittelständischen Unternehmen, die die gentechnischen Methoden in der Pflanzenzüchtung brauchen, um zukunftsfähige Produkte zu entwickeln. ({2}) Sie haben mir in Ihrer Antwort doch selbst mitgeteilt, verehrte Regierung, dass bereits Unternehmen ins Ausland abgewandert sind. Der Naturschutz in Deutschland wird durch die Übertragung von Aufgaben zum Vollzug des Gentechnikgesetzes geschwächt. Die Betreuung von Großschutzgebieten, die Erstellung Roter Listen und der internationale Naturschutz sind die Kernaufgaben des Bundesnaturschutzgesetzes. Werfen Sie einmal einen Blick auf die Internetseite dieses Amtes! Heute ist dort beispielsweise zu lesen: „BfN-Feldhamster ‚Konstantin‘ wird zum MultimediaStar“. Das ist die Botschaft, die sich an die Unternehmen richtet, die die grüne Gentechnik in Deutschland verwirklichen werden. Morgen ist dann vielleicht zu lesen: „BfN - GVO sind die Renner unter den neu zugelassenen Sorten“. Auch ein Bundesnaturschutzamt muss sich an Recht und Gesetz halten. Sonst ergeht es dem Amt wie Minister Müller von den Grünen in Schleswig-Holstein: Er ist im April dieses Jahres mit seinem Versuch, widerrechtlich die Kennzeichnung einer Sorte zu erzwingen, vor Gericht mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Sein Versuch, mit Behördenwillkür grüne Ideologie durchzusetzen, ist gescheitert. Was lernen wir daraus? - Wenn sich die Grünen mit grüner Gentechnik beschäftigen, dann geht es um die Verhinderung dieser Technologie und um sonst nichts. ({3}) Das Ganze hat nichts mit den Verbraucherwünschen zu tun; denn wir wissen gar nicht, was die Verbraucher wirklich wünschen. Verbraucher haben nämlich nicht die Möglichkeit, an der Ladentheke Produkte der grünen Gentechnik einzukaufen. Das haben Sie doch verhindert. Wir wissen außerdem sehr gut, dass ein großer Unterschied zwischen dem, was Verbraucher in Umfragen angeben, und ihrem tatsächlichen Verhalten besteht. Die theoretische Bereitschaft, mehr Geld für Nahrungsmittel auszugeben, ist deutlich stärker ausgeprägt als der tatsächliche Griff nach teureren Produkten. Der Ökolandbau hat dies leidvoll erfahren. Das Ganze hat auch nichts mit dem Schutz der Umwelt oder dem Schutz der Gesundheit zu tun. Kollege Berninger, Sie haben doch bestätigt, dass bis jetzt keine Schäden aufgetreten sind. Zusammenfassend können wir daher feststellen: Eine Technologie, die von den Grünen als Risikotechnologie bezeichnet wird, ist besonders sicher. Es gibt andere Technologien, die nicht so sicher sind, zum Beispiel diejenigen, die im Bergbau eingesetzt werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist überschritten.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Die FDP fordert in Kenntnis all dieser Dinge Bundeskanzler Schröder auf, seine Richtlinienkompetenz wahrzunehmen und den grünen Spuk der Blockade der Gentechnik zu beenden. Wir stimmen dem Resolutionsentwurf der CDU/CSU zu und lehnen den Gesetzentwurf ab. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Deß. ({0})

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von der Bundesregierung und der rot-grünen Koalition vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeiten bei der Gentechnik löst nicht das Kernproblem auf diesem Gebiet, nämlich die Behinderung der Biotechnologie und insbesondere der grünen Gentechnik durch Rot-Grün. Entscheidend ist nicht, welche Zuständigkeit wohin verlagert wird, sondern ob die Gentechnik gefördert oder gehemmt wird. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich aber wieder einmal für die Bremserrolle entschieden und vertreibt so mit Vollgas Arbeitsplätze im Biotechnologiebereich aus Deutschland. Die EU-Mitgliedstaaten waren nach EU-Recht verpflichtet, die neue Freisetzungsrichtlinie für transgene Pflanzen binnen 18 Monaten umzusetzen. Deutschland hätte dies durch Änderung des materiellen Rechts des Gentechnikgesetzes bis Oktober 2002 tun müssen. Die Bundesregierung hat aber diese Frist verstreichen lassen. Statt im materiellen Teil des Gentechnikrechts - EUkonform - Nägel mit Köpfen zu machen, wie es von EURechts wegen dringend geboten ist, beschäftigt RotGrün den Deutschen Bundestag mit einer Zuständigkeitsregelung, die völlig unnötig ist und die nur weitere Behinderungen für eine zukunftsorientierte Anwendung der Gentechnik bringt. ({0}) Mit dieser Zuständigkeitswurstelei wird Rot-Grün der Bedeutung der Gentechnik nicht gerecht; denn für eine gesicherte Ernährung der rasant wachsenden Weltbevölkerung ist der Einsatz der Gentechnik unverzichtbar. Unendlich viele Generationen von Menschen haben sich seit jeher bemüht, Tiere und Pflanzen zu züchten. Bis heute wurde dadurch die Nahrungsgrundlage wesentlich verbreitert und die Qualität verbessert. ({1}) Durch gentechnische Methoden können Pflanzen mit Resistenzmechanismen gegen Krankheit und Schädlinge ausgestattet werden. Es wird geschätzt, dass in den Entwicklungsländern rund 50 Prozent der möglichen Erträge durch Krankheiten und Schädlinge verloren gehen. Durch die Verbesserung der Resistenz von Kulturpflanzen gegen tierische Schädlinge sowie Virus- und Pilzerkrankungen, wie sie unter anderem durch den Einsatz gentechnischer Methoden möglich wird, könnten also die Ernteverluste gerade in den Entwicklungsländern entscheidend reduziert werden. ({2}) Darüber hinaus könnte die Gentechnik helfen, Pflanzen gegen die problematischen Einflüsse von Dürre oder Salz tolerant zu machen, sodass sie auch auf schlechten Böden besser wachsen. Durch biotechnische Zuchtmethoden ist es möglich, die Erträge von Pflanzen selbst unter widrigen Anbaubedingungen zu erhöhen. Eine Rekombination der pflanzlichen Gene kann - das ist unbestritten - zu Ernte- und Ertragssteigerungen bis zu 60 Prozent führen. ({3}) Einen positiven Nebeneffekt haben die bereits erwähnten Züchtungsziele auch auf die Umwelt. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum die Grünen dagegen sind. ({4}) Die Zucht von krankheits- und schädlingsresistenten sowie nährstoffeffizienteren Pflanzen kann zu einem deutlich reduzierten Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und mineralischen Düngemitteln führen. So ist beispielsweise der Einsatz von Insektiziden in Indien oder Südafrika durch den Anbau gentechnisch behandelter, insektenresistenter Baumwolle um bis zu 80 Prozent gesunken. Ein besonders positiver Effekt ist die Tatsache, dass die Flächenproduktivität der Landwirtschaft gerade in Hungerländern durch den Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen enorm gesteigert werden kann. ({5}) So werden die Nachfrage nach neuem Ackerland und Waldrodungen verhindert und die dort lebende Artenvielfalt wird geschützt. Die grüne Gentechnik bietet somit große Chancen für den Naturschutz; denn das Vorhandensein ertragreicher Sorten trägt dazu bei, Regenwälder und Savannen zu retten. ({6}) Biotechnologie und grüne Gentechnik sind für die Welternährung und für den Einsatz der nachwachsenden Rohstoffe unverzichtbar. Deshalb ist die rot-grüne Bremserpolitik auf den Gebieten der Erforschung, Entwicklung und Anwendung dieser Zukunftstechnologie verantwortungslos. Ich bitte darum - die FDP hat ihre Unterstützung bereits angekündigt -, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen. Die Umsetzung der in ihm enthaltenen Forderungen würde dazu beitragen, dass Arbeitsplätze in diesem Bereich in Deutschland erhalten bleiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich erteile jetzt Herrn Bundesminister Trittin - er möchte zu dieser Debatte Stellung nehmen - das Wort.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich nicht gemeldet, wenn Sie, Frau Abgeordnete, sich darauf beschränkt hätten, Ihre Ablehnung von Feldhamstern zu demonstrieren. Ich weiß nicht, was Sie gegen diese possierlichen Tiere haben. Sie sind vom Aussterben bedroht. Wir tun viel dafür, sie zu erhalten. Ich finde, man kann dem BfN nicht vorwerfen, sich für eine solche Tierart stark zu machen und sich zum Beispiel zunutze zu machen, dass sich Kinder mit diesen Tieren identifizieren. Das lehrt frühzeitig einen vernünftigen Umgang mit der Natur. Wenn Sie etwas gegen Hamster haben, dann ist das Ihre Sache. Ich kann diese Auffassung nicht teilen. Zu Wort habe ich mich aus einem anderen Grund gemeldet. Herr Heiderich, ich muss das, was Sie hier gesagt haben, für die Bundesregierung und gerade für die Mitarbeiter des Bundesamtes für Naturschutz in aller Deutlichkeit zurückweisen. Die Behauptung, das Bundesamt für Naturschutz gehe nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach ideologischen Kriterien vor, ist eine dermaßen bodenlose Unterstellung, dass ich Sie auffordere, entweder Belege dafür vorzulegen - wenn Sie das tun, dann werde ich gegen die entsprechenden Personen vorgehen - oder diese Behauptung auf der Stelle zurückzunehmen. Sie können diesen Vorwurf gegenüber diesem Amt - früher war es übrigens einmal dem Landwirtschaftsministerium zugeordnet - nicht allen Ernstes aufrechterhalten. Das Bundesamt für Naturschutz war immer dafür zuständig, das gesamte Monitoring der Artenvielfalt durchzuführen. Angesichts dessen ist es sachgerecht, dass in diesem Bundesamt auch die Einflüsse der Gentechnologie auf die Artenvielfalt zusammengefasst behandelt werden. Das hat keinerlei ideologische Gründe, sondern ist schlicht und ergreifend ein Stück Praxis. Es ist auch praktizierter Bürokratieabbau - wir werden gleich eine Debatte zu diesem Thema führen -; denn Doppelarbeit wird verhindert. ({0}) Ich muss auch die Behauptung, die Bundesregierung wolle die Verbraucherinnen und Verbraucher in Sachen Gentechnik bevormunden, mit allem Nachdruck zurückweisen. Das ist falsch. Genau das Gegenteil ist richtig. Wir haben gesagt: Die Freisetzung und das Inverkehrbringen genveränderter Organismen können in dem Moment stattfinden, in dem für die Verbraucherinnen und Verbraucher eine klare Kennzeichnung vorhanden ist und in dem es klare Angaben zur Herkunft gibt. Wir wollen die Wahlfreiheit. Sie wollen nicht Wahlfreiheit, sondern Sie wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern etwas unterjubeln. ({1}) Das ist der Kern des Konflikts, um den es hier geht. Wenn wir hier für Zuständigkeitsregeln sorgen, sorgen wir dafür, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich Wahlfreiheit haben. Dann wird sich am Markt erweisen, ob die Vorteile der Gentechnik überzeugen oder nicht; da bedarf es dieses Geredes überhaupt nicht. ({2}) Ich würde mir schon wünschen, dass Sie gelegentlich auch die industriepolitische Debatte mit im Kopf haben. Ich bin mir nämlich nicht sicher, dass das, was beispielsweise von der US-Regierung immer zu der Frage vorgebracht wird, warum wir Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz vernachlässigen sollen, tatsächlich der wahre Kern ist und ob das wirklich im Interesse unserer Agrarindustrie - wir haben ja auch Industrie -, unserer Saatzüchter ist. Da habe ich erhebliche Zweifel. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Damit ist die Rednerliste wieder aufgemacht. Es haben sich der Kollege Heiderich und die Frau Kollegin Happach-Kasan gemeldet. Möchte noch jemand das Wort? - Ich bitte Sie, sich im Interesse aller Kollegen, die nach Hause wollen, kurz zu fassen. Herr Kollege Heiderich, Sie haben das Wort. Bitte.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bitte um Nachsicht, aber ich muss auf das, was der Minister vorgetragen hat, replizieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Mitarbeitern des BfN vorgeworfen habe, ideologische Beurteilungen vorzunehmen. ({0}) - Moment! Wenn das bei Ihnen so angekommen sein sollte, dann will ich das ausdrücklich zurücknehmen. Ich habe mich auf das bezogen, was im „Tagesspiegel“ dazu gesagt wird, Herr Minister. Im „Tagesspiegel“ wird aus Kreisen der Grünen zitiert - das habe ich eben schon vorgetragen -, dass man vorhat, mit dieser Änderung die grüne Gentechnik auszubremsen. Das heißt: Diejenigen, die aus Ihren grünen Kreisen kommen, werfen Ihnen vor, was Sie mir hier unterstellen wollen. Wenn Sie in meine Unterlagen sehen, dann werden Sie feststellen, dass ich genau das als Argument benutzt habe, was auch der Bundesrat schon vorgetragen hat, und nicht den Mitarbeitern vorgeworfen habe, ideologisch Einfluss zu nehmen. Vielmehr haben Ihre Kolleginnen Ministerinnen auf bereits getroffene Entscheidungen Einfluss genommen. Ich erinnere an Ihre frühere Kollegin Fischer und Ihre jetzige Kollegin Künast. Lassen Sie mich noch drei oder vier Bemerkungen zu dem machen, was Sie angesprochen haben. Es war gerade die CDU/CSU, die von Anfang an für Kennzeichnungsverfahren eingetreten ist. Sie haben die ganze Zeit über solche Verfahren verzögert und verhindert. Ich wiederhole, was Albert Deß gesagt hat: Die Freisetzungsrichtlinie hätte längst umgesetzt sein müssen. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass sie noch nicht umgesetzt ist ({1}) und dass die Verbraucher bis heute nicht die Wahlfreiheit haben, die sie längst hätten haben können. Herr Minister, Sie haben eben so ganz nebenbei etwas wiederholt, was immer Argument von Greenpeace ist. Sie haben nämlich gesagt, Sie seien nicht bereit, den Gesundheitsschutz zu vernachlässigen. Sehr geehrter Herr Minister, nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bei der Frage der Kennzeichnung der grünen Gentechnik nicht um Fragen des Gesundheitsschutzes geht! Alle Wissenschaftler weltweit erklären unisono, dass die Produkte der grünen Gentechnik genauso sicher und genauso gesund sind wie die sonstigen Produkte. ({2}) - Das wird unisono erklärt - mit Ausnahme von Greenpeace und von Herrn Minister Trittin. Es geht nicht um Gesundheitsschutz; es geht um Wahlfreiheit. ({3}) Sie könnten endlich dafür sorgen, dass wir Wahlfreiheit in Deutschland haben. Ich lasse mir von Ihnen nicht vorhalten, dass wir irgendjemandem etwas unterstellen. Wenn Sie denn so große Aufmerksamkeit haben wollen, dann will ich daran erinnern - das ist eben schon gesagt worden -, dass sich Greenpeace bei dem Feldversuch in Thüringen in einer Weise verhalten hat, die eine Reaktion Ihrer Regierung erfordert hätte. Greenpeace hat nämlich einfach behauptet, die gesetzlichen Vorschriften, die wir geschaffen haben, reichten nicht aus; es müsse nach Greenpeace-Recht beurteilt werden und deswegen habe man das Recht, das Feld zu zerstören. Man höre und staune: Vorgestern ist ein neuer Versuch zerstört worden. In Freising in Bayern, in RoggenHelmut Heiderich stein, gab es einen Versuch mit dem Anbau von Kartoffeln. Auch das Versuchsfeld ist zertrampelt worden. Das war ein Versuch des BMBF, also, mit Verlaub, ein von Ihrer Regierung und damit in gewisser Weise auch von uns durchgeführter und gesponserter Versuch. Man hört von Ihrer Seite nicht das Geringste dazu, dass es unverantwortlich ist, wenn man Versuche, die von der Regierung durchgeführt werden, zerstört. ({4}) Herr Minister Trittin, ich will am Schluss noch einmal darauf hinweisen, dass es der „Tagesspiegel“ war, der Zitate von Ihnen bringt, die sich in die Richtung interpretieren lassen, ({5}) dass Sie die grüne Gentechnik ausbremsen wollen. Das steht nicht in meiner Redevorlage. Ich sage das noch einmal ganz ausdrücklich, damit nicht auf die Mitarbeiter und Beamten des BfN ein falsches Licht fällt. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort zur Erwiderung hat die Kollegin HappachKasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade eigentlich, Herr Minister Trittin, dass Sie die Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen. Warum haben Sie sich nicht vor die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des RKI gestellt? Warum unterstellen Sie Kollegen Heiderich, dass er den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Naturschutz nicht zutraue, dass sie nach Recht und Gesetz verfahren? Ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt, dass ich diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das zutraue. Sie werden auch danach verfahren müssen, denn sonst bekämen sie Gerichtsverfahren an den Hals. Das werden sie nicht wollen. Herr Minister, Sie hätten schon einmal ein Wort zum Robert-Koch-Institut und zu der ausgesprochen kompetenten Arbeitsweise in diesem Hause sagen können. ({0}) Natürlich wissen auch Sie, Herr Minister, dass ich Feldhamster genauso gern wie Sie mag, wahrscheinlich sogar lieber. Ich glaube nämlich nicht, dass Ihnen Naturschutz tatsächlich am Herzen liegt, ({1}) denn sonst hätten Sie dem Bundesamt für Naturschutz nicht diese Aufgabe übertragen. Sie sollten doch eigentlich wissen, wofür dieses Bundesamt zuständig ist, nämlich für Naturschutzgroßprojekte, für internationalen Naturschutz, für Natur- und Artenschutz, für Rote Listen. Die haben genug zu tun mit diesen Bereichen, bei denen, wie ich glaube, auch in Deutschland noch einiges im Argen liegt. Daran haben grüne Minister noch nie etwas ändern können. Dass Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher bevormunden wollen, wissen wir alle. Wir wissen, dass Grüne meinen, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Dass das nicht stimmt, wissen wir auch. All das ist nichts Neues. Wir wissen ebenfalls, dass grüne Minister alles tun, um einen Erfolg der grünen Gentechnik zu vereiteln. Erinnern wir uns an die grüne Gesundheitsministerin, die sich vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein über die einstimmige Entscheidung der ZKBS, der zentralen Fachkommission für die Bewertung der Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen, BtMais zuzulassen, hinweggesetzt und damit sehr deutlich gezeigt hat, was grüne Minister von der naturwissenschaftlich exakten Arbeitsweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern halten, nämlich überhaupt gar nichts. ({2}) Insofern, Herr Minister, ist es enttäuschend, was Sie zu dieser Frage hier im Plenum gesagt haben. Das lohnte nicht. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt unter Ziffer I seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten Stimmverhältnis angenommen worden. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 15/1360. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt worden. Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu dem von den Fraktionen der SPD und des Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung von Zuständigkeiten im Gentechnikrecht. Unter Ziffer II empfiehlt der Ausschuss, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/996 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gibt es Gegenstimmen oder Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 23 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Joachim Günther ({0}), Gudrun Kopp, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Modellregionen für Deregulierung und Bürokratieabbau - Drucksache 15/1134 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Die Kollegen Fuchs und Wend haben ebenso wie der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch ge- beten, ihre Reden zu Protokoll geben zu können1). Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann redet zu diesem Tagesordnungspunkt nur die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in Deutschland circa 70 000 Gesetze, Verordnungen und Rechtsvorschriften. Wir haben im Arbeitsrecht, im Sozialrecht, im Steuerrecht, im Bauplanungsrecht, im Umweltrecht viel zu viel Bürokratie. Man könnte die Liste fortführen. ({0}) Diese Bürokratie muss endlich reduziert werden. Wenn es nach uns von der FDP-Bundestagsfraktion ginge, wäre vieles schon längst erledigt. Wir würden auf nationaler Ebene gerne einiges deregulieren. Aber Sie sperren sich dagegen. Deswegen haben wir hier einen Antrag eingebracht, um wenigstens Modellregionen zuzulassen, sodass wir bestimmte Dinge, die Sie auf Bundesebene aus ideologischen Gründen nicht haben wollen, wenigstens in Modellregionen ausprobieren können. ({1}) Ich zitiere: Nach unserer Erfahrung bewähren sie sich sehr … Es ist ein Instrument, um Kräfte freizusetzen. Auf diese Weise könnte man für eine überschaubare Zeit gesonderte … Regelungen in einem Land oder auch in mehreren Ländern zulassen. Wir können daraus für weitere Prozeduren lernen; denn wir 1) Anlage 4 müssen den Prozess der Überwindung von Überbürokratie in Deutschland wirklich mit neuen Ideen voranbringen. Das sind die Worte des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement, vom 30. Oktober 2002 hier in diesem Hohen Hause zum Thema Modellregionen. ({2}) Die Errichtung von Modellregionen sollte - so wurde es uns angekündigt - wesentlicher Bestandteil des Masterplans Bürokratieabbau werden. Bisher ist jedoch nichts geschehen. Auch die Umsetzung des so genannten Sofortprogramms zum Bürokratieabbau ist bisher nicht angegangen worden. Ich kann nur sagen: Ich habe kein Verständnis dafür, dass man diesen Punkt hier nicht debattieren will. ({3}) Ich kann natürlich verstehen, dass die Redner der SPD ihre Reden zu Protokoll geben. Ich kann das nachvollziehen. Bei der Bilanz, die Sie zum Bürokratieabbau vorlegen, nämlich: nur geredet, aber kein einziges Mal gehandelt zu haben, würde auch ich mich schämen. Dann hätte ich an Ihrer Stelle auch keine Lust, darüber heute zu reden. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, ich darf Sie einmal unterbrechen. Wir haben vereinbart, dass die Tatsache, dass Kollegen ihre Reden zu Protokoll geben - sie waren also sehr wohl bereit, zu diesem Punkt zu reden -, von dem einzigen Redner, der sein Rederecht in Anspruch nimmt, nicht gegen die anderen verwendet werden darf. Daran müssen auch Sie sich halten. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut, Frau Präsidentin. Ich nehme das zur Kenntnis und bitte Sie, das nicht auf die Redezeit anzurechnen. ({0}) Mittlerweile haben 80 Regionen in Deutschland ihr Interesse als Modellregion bekundet. 36 haben laut Unterrichtung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit zwischenzeitlich ihre Bewerbung eingereicht. Aber es gibt noch nicht einmal von der Bundesregierung festgelegte Kriterien für eine solche Bewerbung. Wenn man im BMWA anruft und nach den Kriterien für eine Bewerbung sowie danach fragt, wo eine Bewerbung als Modellregion eingereicht werden kann, bekommt man die Antwort: Eine Bewerbung kann noch nicht eingereicht werden, weil es noch keine entsprechenden Kriterien gibt. Vonseiten der Bundesregierung jedoch hören wir, dass schon Regionen ausgewählt sein sollen. Die jüngsten Erfahrungen, die beispielsweise die Region Ostwestfalen-Lippe gemacht hat, die sich schon als Modellregion beworben hat, also zu den 36 Regionen gehört, die ihre Bewerbung eingereicht haben, ({1}) sind die: Ihnen ist gesagt worden, es solle zunächst Pilotregionen geben, die sich als Modellregionen bewerben dürfen. Dann ist eine Ausschreibung für einen Wettbewerb der Regionen geplant. Mir scheint, der Minister hat das mit dem Bürokratieabbau nicht ganz verstanden. Anstatt dass tatsächlich Bürokratie abgebaut wird, führen die Pläne, die uns jetzt mitgeteilt werden, zu mehr Bürokratie in Deutschland. ({2}) Es gibt einen zentralen Punkt: Es wird nämlich behauptet, zur Einführung der Modellregionen sei eine Grundgesetzänderung notwendig. Das ist absoluter Unsinn. ({3}) Die FDP hat frühzeitig darauf hingewiesen, dass es zur Errichtung von Modellregionen Möglichkeiten gibt, ohne dass es einer langwierigen Grundgesetzänderung bedarf, und zwar durch einfachgesetzliche Öffnungsklauseln in den einschlägigen Bundesgesetzen. Dieses Verfahren haben wir in unserem Antrag sauber beschrieben. Das Interessante daran ist, dass es inzwischen auch aus dem Hause des Bundeswirtschaftsministers ein Rechtsgutachten gibt, das genau diese Position bestätigt, dass also keine Grundgesetzänderung erforderlich ist. Ich frage mich, warum die Bundesregierung nicht endlich Abstand von dieser Forderung nimmt. Das kann ja nur damit zu tun haben, dass man Modellregionen verhindern will. ({4}) Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, dass es an diesem Punkt unverändert eine Blockadehaltung der Bundesregierung gibt. Das ist völlig unverständlich. Ziel muss sein, durch Modellregionen möglichst vielfältige Erfahrungen für künftige bundeseinheitliche Neuregelungen zu sammeln. Daher fordert die FDP auch, dass die Auswahlkriterien weit zu fassen sind. Dabei kann eben nicht nur das Kriterium Strukturschwäche eine Rolle spielen. Vielmehr können auch wirtschaftsstarke Regionen ein Interesse als Modellregion haben, um herauszufinden, ob sich ihr Entwicklungspotenzial unter veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen noch steigern lässt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wenn Sie also bei einem zentralen Thema, das den Menschen in Deutschland auf den Nägeln brennt, dem Bürokratieabbau, auch nur noch einen kleinen Hauch an Glaubwürdigkeit behalten wollen, dann hören Sie mit der Ankündigungspolitik von Minister Clement auf. Machen Sie endlich Ernst mit dem Bürokratieabbau ({5}) und richten Sie wenigstens die Modellregionen sofort ein. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1134 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Jäger, Ulrike Mehl, Michael Müller ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Volker Beck ({1}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Den Flüssen mehr Raum geben - Ökologische Hochwasservorsorge durch integriertes Flussgebietsmanagement - Drucksache 15/1319 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Hochwasserschutz - Solidarität erhalten, Eigenverantwortung stärken - Drucksache 15/1334 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus Auch hier ist gebeten worden, die Reden, die alle vorbereitet und ausgearbeitet haben, zu Protokoll zu ge- ben, weil die Kolleginnen und Kollegen ihre Züge oder Flüge erreichen müssen. Es handelt sich um die Reden der Abgeordneten Jäger, Blank, Petzold, Loske und Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Homburger1). Sind Sie einverstanden, dass wir sie zu Protokoll geben? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir auch so. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 15/1319 und 15/1334 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen ({4}), Dirk Fischer ({5}), Ursula Heinen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mehr Rechte für Fahrgäste im öffentlichen Personenverkehr - Drucksache 15/1236 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier besteht die Bitte, die Reden zu Protokoll zu geben. Es handelt sich um die Reden der Abgeordneten 1) Anlage 5 Teuchner, Bartol, Heinen, Höfken, Kopp und Conne- mann2). Einverstanden? - Dann verfahren wir so. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/1236 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage federführend im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beraten werden. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 9. September, 10 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen eine schöne und erholsame Sommerpause, die hoffentlich nicht von allzu vielen Unterbrechungen und Rückrufen in das Parlament unterbrochen wird. Das ist, glaube ich, im Interesse von uns allen. Eine schöne Sommerzeit wünsche ich auch den Zuschauern auf den Rängen. Die Sitzung ist geschlossen. ({7})