Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/25/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Aktionsplan Drogen und Sucht. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Aktionsplan Drogen und Sucht beschlossen. Es handelt sich hierbei um einen Orientierungsrahmen für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Der Aktionsplan soll den Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan der alten Bundesregierung ablösen. Ziel des neuen Aktionsplans Drogen und Sucht ist es, einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens zur Bekämpfung des Missbrauchs von Drogen und Sucht herzustellen. Deswegen ist dieser Aktionsplan sehr eng und intensiv mit den Verbänden, die in der Suchthilfe tätig sind, mit den Bundesländern und mit denjenigen Wissenschaftlern, die in der Suchtforschung arbeiten, abgestimmt worden. Das Ziel, das wir mit dem neuen Aktionsplan verfolgen, haben wir vor dem Hintergrund formuliert, dass Drogen und Sucht in unserer Gesellschaft ein ernstes und großes Problem darstellen. Jedes fünfte Bett in deutschen Krankenhäusern ist ein „Suchtbett“. Jeder zehnte Arztbesuch ist de facto ein „Suchtbesuch“. Meist wird nur die Fraktur behandelt, die dahinter stehende Abhängigkeit, zum Beispiel von Alkohol, wird in aller Regel aber nicht erkannt. Aus diesem Grunde und angesichts der Auswirkungen gehört das Thema Drogen- und Suchtprobleme in Deutschland nicht an den Rand der Gesellschaft, sondern in ihre Mitte. Der Aktionsplan wurde heute im Kabinett beschlossen, weil morgen der Weltdrogentag stattfindet, der das Motto hat: Let’s talk about drugs; lasst uns über Drogen reden. Es soll damit klar gemacht werden, dass es keinen Sinn macht, dieses Thema zu tabuisieren, sondern dass man es offen ansprechen und man in der Gesellschaft über Sucht- und Drogenprobleme kommunizieren muss. Wie ist die Situation in Deutschland? Etwa 17 Millionen Menschen rauchen, 6 Millionen davon mehr als 20 Zigaretten pro Tag. Wir wissen, dass an den Folgen des Rauchens täglich über 300 Menschen sterben. Wir wissen, dass wir in Deutschland 1,6 Millionen alkoholabhängige Menschen haben, 1,3 Millionen medikamentenabhängige Menschen und circa 120 000 Menschen, die von illegalen Suchtmitteln wie Heroin und Kokain abhängig sind. Es ist also eine ernste Situation. Der neue Aktionsplan Drogen und Sucht umfasst vier große Säulen. Die erste Säule betrifft die Prävention, die zweite Säule den Bereich Behandlung und Therapie, die dritte Säule die Überlebenshilfen und die vierte Säule Repressionen. Deswegen ist dieser Aktionsplan natürlich mit allen Ressorts, die hier Verantwortung tragen, abgestimmt. Bei der Prävention gehen wir einen neuen Weg. Wir verzichten nämlich auf Aufklärung mit erhobenem Zeigefinger. Vielmehr haben wir das Ziel in den Mittelpunkt gestellt, Kinder stark zu machen, damit sie Nein zu Drogen sagen. Hinsichtlich Behandlung und Therapie sind wir der Auffassung, dass wir einen Baukasten unterschiedlicher therapeutischer Angebote brauchen. Denn jede Suchterkrankung ist eine sehr individuelle Erkrankung. Im Bereich der Überlebenshilfen hat die Bundesregierung das Angebot ausgebaut. Sie wissen, dass wir, zusammen mit den betreffenden Landesregierungen, in sieben Städten auf ihren Wunsch hin einen Heroinmodellversuch durchführen und die Möglichkeit eröffnet haben, dort, wo die Städte dies wollen, Drogenkonsumräume Redetext zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist es uns insbesondere gelungen, die Zahl der Toten aufgrund illegalen Rauschgiftkonsums deutlich zu senken. Nachdem Anfang der 90er-Jahre noch sehr hohe Zahlen zu verzeichnen waren, ist es uns im letzten Jahr gelungen, die Zahl der rauschgiftbedingten Todesfälle um ein Viertel zu senken. Diese Tendenz schreibt sich in diesem Jahr fort. Insgesamt ist festzustellen, dass der Aktionsplan Drogen und Sucht auch in die europäische Debatte einbezogen wurde. Mittlerweile gibt es eine Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon, die das Ziel verfolgt, in Europa einen Überblick über die Risiken von Drogenund Suchtmitteln zu erhalten. Die Mitarbeiter dort arbeiten an Zielen, Maßnahmen und Instrumenten. Alles, was wir tun, muss evaluiert werden. Insofern glaube ich, dass es ein gutes Zeichen ist, dass die Bundesregierung nach einem intensiven Dialog in der Drogen- und Suchtpolitik, der ein Jahr dauerte, nun einen neuen Orientierungsrahmen vorlegt. Weil der Aktionsplan Drogen und Sucht im Vorfeld eng mit den Ländern koordiniert worden ist, hoffen wir, dass die zuständige und federführende Gesundheitsministerkonferenz, die am 2. und 3. Juli tagen wird, ihn zustimmend zur Kenntnis nehmen wird. Wir haben damit einen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen vereinbart, der für alle Seiten Gültigkeit hat.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich darf nun darum bitten, Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. Der Kollege Detlef Parr hat sich als Erster gemeldet.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, in vielen Bereichen, insbesondere bezüglich der vier Säulen, stimmen wir überein. Als Erstes möchte ich Sie fragen, wie Sie Ihre Initiative, diesen Aktionsplan Drogen und Sucht jetzt umzusetzen, mit der Erhöhung der Tabaksteuer in Übereinstimmung bringen wollen. Beim ersten Schritt ging es um das Rauchen für die Sicherheit, jetzt geht es um das Rauchen für die Gesundheit, um versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren. Wie geht das zusammen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege Parr, ich bin Ihnen für die Frage sehr dankbar. Wir konnten uns in Dublin jüngst davon überzeugen, dass andere Länder einen ähnlichen Weg mit Erfolg gehen. Wir wissen, dass es bei den Rauchenden bezüglich der Tabaksteuer eine so genannte Preiselastizität in der Größenordnung von 4 Prozent gibt. Das heißt, wenn die Tabaksteuer um 10 Prozent erhöht wird, hören 4 Prozent mit dem Rauchen auf. Es handelt sich also um eine prohibitive Maßnahme. Wir wissen auch, dass insbesondere Jugendliche für Preissignale besonders anfällig sind. Das heißt, überall dort in Europa, wo die Tabaksteuer erhöht wurde, sank die Zahl der rauchenden Jugendlichen. Dies ist auch das erklärte Ziel der Bundesregierung. Hier gibt es eine doppelte Gewinnersituation, weil es uns auf der einen Seite gelingt, die versicherungsfremden Leistungen in der GKV zu finanzieren, und weil wir auf der anderen Seite von einem Spitzenplatz wegkommen, den wir bezogen auf die Raucherquote bei den Jugendlichen zurzeit einnehmen. Man muss wissen, dass die Raucherquote bei den 12- bis 17-Jährigen in Deutschland bei 28 Prozent liegt. Damit sind wir in Europa leider auf einem Spitzenplatz. Daneben gibt es bei uns das Problem, dass der Einstieg ins Rauchen mit 13,5 Jahren deutlich zu früh erfolgt. Die Erhöhung der Preise kann hier das richtige Signal setzen. Ich verkenne nicht, dass dies durch andere Maßnahmen flankiert werden muss. Das Preissignal allein würde nichts bringen. Auf der einen Seite müssen wir die Prävention verstärken und auf der anderen Seite müssen wir dafür sorgen, dass in Deutschland das Nichtrauchen zum Normalfall wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, kann ich also davon ausgehen, dass die Einnahmen aufgrund der Erhöhung der Tabaksteuer zur Finanzierung der Präventionsmöglichkeiten und -maßnahmen genutzt werden und nicht ausschließlich für die Deckung der Lücken im Bereich der versicherungsfremden Leistungen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Zunächst einmal ist eine Gegenfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen vorgesehen. Auf der anderen Seite verschafft es uns Luft, die Präventionsmaßnahmen zu verstärken. Sie wissen sicher, dass im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz zum ersten Mal eine Fondslösung angedacht wurde und dass die gesetzlichen Kassen schon jetzt eigentlich 2,56 Euro - früher waren es 5 DM; das ist wenig genug - für die Prävention ausgeben sollen. Sie tun dies nicht immer in vollem Umfang. Jede Kasse tut das, was sie selbst für richtig hält. Im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz ist die Einrichtung eines Fonds in Höhe von 25 Prozent dieser Mittel vorgesehen. Damit können wir die Kräfte bündeln und die Prävention verstärken. Ich stimme Ihnen zu: Über Prävention wird viel geredet. Wenn es aber um die nötigen Mittel geht, dann ist es sehr schwierig, diese dafür Zug um Zug umzuschichten. Wir müssen dies tun. Deswegen werden wir im Herbst ein eigenes Präventionsgesetz vorlegen, in dem auch die Fragen der Finanzierung geregelt werden. Ich bitte Sie, uns bei der Diskussion mit den Ländern zu unterstützen; dort ist es nämlich nicht anders.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Erika Ober.

Dr. Erika Ober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003603, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage zu dem Ziel der Abstinenz, das lange Zeit hochgehalten wurde. Ist das Ziel der Abstinenz bei der Drogen- und Suchtpolitik aufgegeben worden oder wird es weiter verfolgt? Wie sehen Sie das?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Ober, wir wollen eine Suchterkrankung mit allen uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen aufhalten. Dazu gehört auch, für die von illegalen Drogen Abhängigen das Überleben zu sichern. Meine Philosophie ist: Nur wer überlebt, kann aussteigen. Deswegen ist es wichtig, dass wir insbesondere der Gruppe der Heroinabhängigen Ausstiegsangebote, aber auch Überlebensangebote machen. Als Erstes muss das Überleben gesichert werden. Drogenkonsumräume sind daher langfristig auf Abstinenz hin orientiert. Sie sollen auch die Schwelle, Kontakt mit den Drogehilfesystemen aufzunehmen und zu erhalten, absenken und dazu führen, dass insbesondere HIV/Aids als Risiko bekämpft werden kann. Sie sollen also den gesundheitlichen Zustand verbessern und Kontakt zum Hilfesystem aufbauen. Unsere Politik ist durch die Zahlen bestätigt worden. Durch unsere richtige Politik ist die Zahl der behandelten Abhängigen gestiegen. Auch die Zahl der Drogentoten ist gesunken. Insofern glaube ich, dass wir mit unserem ausgewogenen Policymix in der Drogen- und Suchtpolitik richtig liegen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächster Fragesteller ist der Kollege Andreas Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, mir geht es in meiner Frage um die Herausarbeitung des Unterschieds zwischen Marihuana/Haschisch und Designerdrogen. Vielleicht könnten Sie dazu ein paar Worte sagen. Gibt es Erkenntnisse darüber, wie heute die Jugendlichen von Marihuana/ Haschisch auf Designerdrogen umsteigen? Dies könnte auch durch den günstigeren Preis erklärt werden. Dies erscheint mir eine große Gefahr.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, Sie haben mit Ihrer Frage Recht. Designerdrogen stellen ein immer größer werdendes Risiko dar: Erstens. Sie sind sehr billig. Zweitens. Über Designerdrogen findet in der Gesellschaft keine Debatte über die Risiken statt. Das ist ein großes Problem. Ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass jeder die gesundheitlichen Risiken und das Risiko der Abhängigkeit beim Thema Heroin oder Kokain kennt. Bei Designerdrogen sind sie nicht so bekannt. Man muss wissen: Unter den 1 500 Drogentoten im letzten Jahr gab es rund 30 bis 40 Todesfälle, die mit Designerdrogen unmittelbar zusammenhingen. Die Einnahme dieser Drogen ist also auf keinen Fall ohne Risiko; darüber müssen wir öffentlich mehr reden. Das andere Problem ist, dass sie zu leicht und zu risikolos verkauft werden. Deswegen ist es wichtig, hier etwas zu tun. Wir haben drei Dinge gemacht: Erstens. Wir haben auf europäischer Ebene die Kontrolle der chemischen Vorläufersubstanzen deutlich verschärft. Wir sind der Ansicht: Ohne chemische Vorläufersubstanzen gibt es keine Herstellung von synthetischen Drogen. Deswegen ist ein striktes Kontrollregime wichtig. Zweitens. Wir haben mit den Arbeitsgemeinschaften und -gruppen, die in der Drogen- und Partyszene aktiv sind, Präventionsprogramme erarbeitet. Drittens. Wir haben einen Leitfaden erstellt, in dem das Thema des Mischkonsums in der Party- und Technoszene intensiv diskutiert wird. Man muss der Ehrlichkeit halber sagen: Insgesamt ist unter den Jugendlichen der Cannabiskonsum mit 25 Prozent deutlich höher. Viele probieren einmal, nur ein Teil bleibt dabei. Der Drogenkonsum ist ein Teil des Erwachsenwerdens. Bei Ecstasy liegt die Prävalenz unter den Jugendlichen zwischen 3 und 5 Prozent. Aber in der Party- und Technoszene hat bereits jeder Zweite Erfahrungen mit Ecstasy gesammelt, bei Cannabis sind es zwei Drittel. Das zeigt, in bestimmten Szenen der Jugendkultur gibt es ein deutlich erhöhtes Risiko. Deswegen haben wir unsere Präventionskampagnen auf diese Szenen konzentriert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine kurze Zusatzfrage, Herr Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung Vorstellungen darüber, wie man im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung auf das Problem reagieren wird? Die Designerdrogen werden ja in vielen Fällen sehr billig - zum Teil mit Rattengift und Ähnlichem gestreckt - in der Ukraine oder im tiefsten Russland hergestellt. Hat die Bundesregierung Maßnahmen im Blick, die sie ergreifen wird, wenn im Zuge der EU-Osterweiterung die Außengrenzen weiter im Osten liegen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Kollege, dieses Problem hat nicht nur etwas mit der Osterweiterung zu tun, sondern wir müssen akzeptieren und öffentlich machen, dass 85 Prozent der EcstasyPillen, die wir in Deutschland aufgreifen, nach der Statistik des Bundeskriminalamtes aus niederländischen Quellen stammen. Deswegen gibt es einen intensiven Dialog zwischen dem Innenminister und den niederländischen Kollegen über die Kontrolle von Vorläufersubstanzen und die Bekämpfung des Drogenhandels. Wir haben versucht, auf europäischer Ebene die Kontrolle der Vorläufersubstanzen zu verschärfen. Über den gemeinsamen Acquis müssen die Beitrittsländer diese umsetzen. Deswegen sind sie schon jetzt Bestandteile der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle. Das heißt, dass es dorthin Kontakte gibt, die Länder intensiv informiert werden und ihnen Hilfestellung gegeben wird, um unsere Kontrollmechanismen umzusetzen. Dass es in der Übergangszeit Probleme geben kann, ist klar. Aber wir sollten zunächst einmal die Probleme innerhalb der EU offen angehen und lösen und dann mit diesen Ländern den Dialog intensivieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage hat die Kollegin Birgitt Bender.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ich möchte einen Bereich der Suchtabhängigkeit ansprechen, der sich gewöhnlich nicht so starker öffentlicher Aufmerksamkeit erfreut wie etwa der Missbrauch illegaler Drogen. Ich denke an den Arzneimittelmissbrauch. Davon sind in der Bundesrepublik etwa 1,5 Millionen Personen betroffen. Ich begrüße es sehr, dass dieser im Aktionsplan aufgegriffen wurde. Können Sie bitte erläutern, welche Maßnahmen vorgesehen sind, auch angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl der Betroffenen Frauen sind?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, Sie haben völlig Recht. Bei der Abhängigkeit von Suchtmitteln gibt es eine deutliche Geschlechterzuordnung. Bei illegalen Drogen und bei Alkohol sind zwei Drittel der Betroffenen Männer und ein Drittel Frauen, während es bei der Medikamentenabhängigkeit umgekehrt ist. Wir glauben, dass man zum einen die Fortbildung der Ärztinnen und Ärzte verstärken muss, weil es sich oft um verordnete Abhängigkeiten handelt. Das heißt, dass oftmals bei einer Schmerztherapie die Risiken nicht gesehen werden. Zum anderen handelt es sich gesellschaftlich gesehen um eine stille Art der Sucht. Deswegen erfährt sie oft nicht im selben Maße Aufmerksamkeit wie andere Abhängigkeiten. Wir haben im letzten Jahr dieses Thema im Rahmen des Kongresses „Frauen und Sucht“ bearbeitet; dort standen insbesondere die frauenspezifischen Suchtprobleme im Mittelpunkt. Es wurde besprochen, dass man die Therapieangebote ausweiten und das Thema gesellschaftlich enttabuisieren muss und es uns gelingen muss, über Fortbildungsangebote für Ärzte und über eine offene Diskussion der Risiken zu deutlichen Veränderungen zu kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, eine Zusatzfrage.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, zusätzlich möchte ich wissen, wie sich der Aktionsplan im Zusammenspiel mit den Ländern und den Verbänden, die in diesem Bereich aktiv sind, darstellt, da Maßnahmen der Suchtbekämpfung nicht nur solche der Bundesregierung sein können.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Wir hatten vor einem Jahr Eckpunkte im Kabinett vorgestellt. Diese haben wir als Diskussionsgrundlage für die Bundesländer und die Verbände verstanden. Es fanden zwei große Foren statt, zu denen alle Akteure eingeladen waren und sich zu dem Aktionsplan Drogen und Sucht äußern konnten. Wir haben 50 Stellungnahmen der Suchthilfeverbände erhalten, die dort, wo es möglich und geboten war, Eingang in den Aktionsplan Drogen und Sucht gefunden haben. Wir haben auch intensive Beratungen mit den Ländern, der zuständigen Arbeitsgruppe und den entsprechenden Landeskonferenzen geführt. Insofern gehe ich davon aus, dass wir - wenn die Gesundheitsministerkonferenz dieses Vorhaben mitträgt - am Ende zu einem gemeinsamen Aktionsplan Drogen und Sucht kommen. Damit wären auch die Länder ein Stück weit an unser gemeinsames Vorhaben gebunden; denn der Bund hat in diesem Bereich nur eine Rahmenkompetenz. Vielleicht würden sich in Zukunft gemeinsame Kampagnen und eine gemeinsame Schwerpunktbildung einfacher gestalten, weil ein Drogen- und Suchtrat, an dem auch die Länder beteiligt werden, die Koordinierung übernehmen soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Maria Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage des Herrn Parr angegeben, dass Sie ein Präventionsgesetz planen und dass Sie die Prävention verstärken wollen. Die Absichten sind zwar gut, aber wenn tatsächlich Prävention betrieben werden soll, sind dafür entsprechende Mittel erforderlich. Derzeit finden Haushaltsberatungen statt. Welche Mittel werden Sie zusätzlich in Ansatz bringen, um die Prävention verstärken zu können?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Eichhorn, ich will der endgültigen Fassung des Haushaltsgesetzentwurfs, der zurzeit in Arbeit ist, nicht vorgreifen. Sie werden während der Haushaltsberatungen in diesem Hause noch die Gelegenheit haben, Anträge und Vorschläge - auch zur Gegenfinanzierung - einzubringen. Mein Bestreben war es bislang, angesichts der allgemein schwierigen Haushaltssituation zumindest Kürzungen zu verhindern, wie sie in vielen Länderhaushalten - insbesondere in Bayern und BadenWürttemberg - zu beobachten sind. Deswegen halte ich es für wichtig, die verfügbaren Mittel auf dem bisherigen Niveau zu erhalten. Sie haben Recht: Es muss unser gemeinsames Ziel sein, in Zukunft deutlich mehr in die Prävention zu investieren - insofern würde ich mich für fraktionsübergreifende Aktionen bedanken -, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit Drogen und Sucht. Vielmehr gilt für alle Bereiche, dass Vorbeugen besser ist als Heilen. Angesichts der Bedeutung, die dieser Herausforderung in einer immer älter werdenden Gesellschaft zukommt, können wir uns eine ausschließlich kurative Medizin auf Dauer nicht leisten. Deswegen muss die Prävention verstärkt werden. Wir wissen, dass die größten Gesundheitsrisiken erstens mit dem Rauchen, zweitens mit ungesunder Ernährung und drittens mit mangelnder Bewegung zusammenhängen. Vielen Volkskrankheiten könnte durch Veränderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung vorgebeugt werden. Wir wissen auch, dass zum Beispiel Sport insbesondere bei Jugendlichen durchaus eine präventive Wirkung zukommt. Deshalb führen wir die Kampagne „Kinder stark machen“ bei der BZgA durch. Es ist geplant, diese Kampagne in vollem Umfang weiterzuführen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Eichhorn.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche konkreten Maßnahmen planen Sie - ich wiederhole das Stichwort „Verstärkung der Prävention“ -, um der Einstiegsdroge Nummer eins, dem Tabak, entgegenzuwirken? Welchen Betrag wollen Sie für diesen Zweck aus den Einnahmen der Tabaksteuer abzweigen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, ich begrüße es, wenn Sie unsere Auffassung teilen, dass das Thema Rauchen eine große Herausforderung darstellt. Ich habe es deswegen sehr bedauert, dass die Gegenfinanzierung durch die Tabaksteuer, die im Gesundheitskonzept der Union ursprünglich vorgesehen war, aus diesem Konzept herausgenommen worden ist. Vielleicht wird sich in dieser Hinsicht wieder ein Sinneswandel abzeichnen. Wir haben uns vorgenommen, Mitte dieses Jahres ein Antitabakprogramm vorzulegen. Wir glauben, dass das Preissignal nur ein Aspekt ist und dass es darüber hinaus weiterer Anstrengungen bedarf. Sie wissen, dass unter dieser Regierung schon zwei konkrete Maßnahmen beschlossen worden sind. Die eine Maßnahme ist die Änderung der Arbeitsstättenverordnung, die jedem Arbeitnehmer einen rauchfreien Arbeitsplatz garantiert; die andere ist die Verschärfung des Jugendschutzgesetzes durch ein Tabakabgabeverbot für unter 16-Jährige. Darüber hinaus wollen wir das Konzept „Rauchfreie Schule“ umsetzen. Dafür benötige ich aber die Kooperation der Kultusminister. Wir möchten zudem mit Musterbetriebsvereinbarungen für öffentliche Einrichtungen dafür sorgen, dass rauchfreie öffentliche Einrichtungen Standard werden. Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat gemeinsam mit dem Personalrat zum 1. April eine Dienstvereinbarung erarbeitet, die ein Stück weit einen Standard setzen könnte. Darüber hinaus setzt die BZgA in diesem Jahr zwei Schwerpunkte: Zum einen wurde insbesondere für Jugendliche eine so genannte Quitline, eine bundesweit einheitliche Telefonnummer, installiert, unter der man sich Informationen zum Aufhören besorgen kann. Eine Unterstützung der Aufhörwilligkeit ist wichtig, zumal 40 Prozent der Raucherinnen und Raucher laut Befragungen aufhören wollen. Vor allem bei Jugendlichen soll diese Absicht unterstützt werden. Zum anderen können zwei Broschüren angefordert werden, die sich an junge Männer und Frauen richten. Außerdem ist ein Lehrerinformationsset für Schulen erarbeitet worden, das ebenfalls über die BZgA zu beziehen ist. All die Materialien zu diesem Themenbereich sind in diesem Monat erstellt worden und können von allen Schulen abgefordert werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt Kollege Detlef Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich komme auf die Frage der internationalen und europäischen Zusammenarbeit zurück. Ich wohne in der Nähe der holländischen Grenze. Die EU-Kommission hat im Hinblick auf den EU-Drogenaktionsplan, der vor einem halben Jahr verabschiedet worden ist, festgestellt, dass sowohl Fortschritte als auch Defizite zu verzeichnen seien. Ein großes Defizit ist die fehlende Absprache in grenznahen Regionen. Die Niederlande und wir haben unterschiedliche Auffassungen; in Grenznähe leiden wir sehr unter den fehlenden Gemeinsamkeiten. Wie wollen Sie die europäische Zusammenarbeit so beeinflussen, dass wir hier zu einer gemeinsamen Linie bei der Bekämpfung von Drogen und Sucht kommen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Auf diesem Gebiet gibt es zum ersten Mal europäische Strukturen über die Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon. Es ist wichtig, dass man über dieselbe Datengrundlage verfügt und sich auf dieselben Schwerpunkte konzentriert. In diesem Jahr sind die Schwerpunkte der Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon die synthetischen Drogen und die Kooperation mit den künftigen Beitrittsstaaten. Gerade Letzteres halte ich für wichtig, wenn die derzeit in Europa zu beobachtenden grenzüberschreitenden Probleme in Zukunft nicht auch noch an anderer Stelle auftauchen sollen. Darüber hinaus findet jetzt unter jeder Ratspräsidentschaft eine Koordinierungsrunde mit allen Drogenbeauftragten in der EU statt, wobei wir feststellen müssen, dass die Gesundheits- und Drogenpolitik eine nationale Aufgabe ist. Es ist nicht vorgesehen, dass die Nationalstaaten Kompetenzen auf diesem Gebiet abgeben. Daher muss man sich besser abstimmen; dieser Abstimmung dienen die Koordinierungsgespräche. Dabei ist festzuhalten, dass die EU-Mitgliedstaaten heute über eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Maßnahmen verfügen. In der EU gibt es sehr restriktive Länder wie Schweden, aber auch Länder wie die Niederlande, deren Toleranzschwelle deutlich höher als die in der Bundesrepublik ist. Aus diesem Grund unser Ziel, gemeinsame Sichtweisen und gemeinsame Schwerpunkte zu erarbeiten und so die wichtigsten Positionen, bei denen es noch Unterschiede gibt, anzugleichen. Im Hinblick auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität gibt es eine Fülle von Vereinbarungen, die bei den Justiz- und Innenministern ressortieren. Dort geht es im Moment insbesondere darum, einen gemeinsamen europaweiten Strafrahmen zu vereinbaren. Sie wissen, dass dies ein sehr mühsames und langwieriges Unterfangen ist, weil es schwierig ist, die unterschiedlichen Philosophien unter einen Hut zu bekommen. Es ist aber für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union sehr wichtig, dass wir auf diesem Gebiet weiterkommen. Hier hat Deutschland immer eine vermittelnde Rolle zwischen den Extrempositionen gespielt; denn es macht wenig Sinn, dass jeder Staat seine nationale Gesetzgebung behält und es Lücken bei der grenzüberschreitenden Verfolgung von Straftätern oder bei der Analyse sowie Verlagerungen in bestimmte Länder gibt. Gerade deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass der Innenminister dieses Thema mit seinem niederländischen Kollegen bespricht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage stellt die Kollegin Hannelore Roedel.

Hannelore Roedel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003617, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich komme auf den vorhin von Ihnen erwähnten Teilaspekt der Ernährung zurück. Welche Rolle spielt in Ihrem Aktionsplan die vor allem bei jungen Frauen sichtbar werdende Bulimie? Ich habe bisher noch nicht gehört, dass auch junge Männer darunter leiden. Welche Maßnahmen sehen Sie hier auch in Richtung Prävention vor, um eventuell schon bei sehr jungen Mädchen mit Beratung und Aufklärung anzufangen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin, es gab eine sehr lange Debatte darüber, ob wir diesen Bereich in den Aktionsplan Drogen und Sucht aufnehmen sollen oder nicht. Es ist ja immer ein Problem, welche Phänomene man zu den nicht stoffgebundenen Süchten zählen soll. Das Thema Glücksspiel - das in früheren Aktionsplänen überhaupt nicht tangiert wurde - ist neu aufgenommen worden, weil die Regelungen der Rentenversicherungsträger, die für andere Süchte gelten, jetzt auch hierbei herangezogen werden. Bislang ist strittig, wozu das Thema Essstörungen gehört. Es handelt sich auf jeden Fall um eine ernste psychische Störung, die eigentlich zu den klassischen Krankheitsbildern von psychischen Störungen gehört. Dementsprechend kann diese Störung auch behandelt werden, wobei es deutliche Zusammenhänge gibt. Sie wissen sicherlich, dass die Ursachen für Essstörungen von Frauen, die suchtabhängig sind, oft Gewalt- und insbesondere Missbrauchserfahrungen sind. Deswegen spielen bei der therapeutischen Behandlung von Suchtproblemen auch Essstörungen eine Rolle. Wir haben zwar aufgrund der Abgrenzung darauf verzichtet, dieses Thema in den Aktionsplan Drogen und Sucht aufzunehmen. Wir haben aber in der Diskussion über den Aktionsplan darauf hingewiesen, dass dieses Thema bei der Beratung ernster genommen werden muss als bisher, weil Essstörungen eine sehr ernsthafte psychische Störung sein können, die - hier haben Sie Recht - zu 95 Prozent junge Frauen betrifft.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Gerlinde Kaupa.

Gerlinde Kaupa (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003564, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Einstiegsdroge Nummer eins bei den legalen Suchtmitteln ist Tabak. Von Ihrer Seite wird hier sehr viel getan. Dafür möchte ich mich bedanken. Das heißt aber nicht, dass nicht noch mehr getan werden kann. Die legale Einstiegsdroge Nummer zwei ist Alkohol. Jährlich sterben in Deutschland circa 40 000 bis 42 000 Menschen an den Folgen von Alkoholmissbrauch. Wird dieses Thema in der nächsten Zeit Schwerpunkt Nummer zwei sein und, wenn ja, welche Maßnahmen sind vorgesehen? Ist zum Beispiel eine Erhöhung der Alkoholsteuer geplant und, wenn ja, sollen die daraus resultierenden Einnahmen zweckgebunden eingesetzt werden oder in den allgemeinen Topf fließen?

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Frau Kollegin Kaupa, ich teile Ihre Einschätzung, dass bei den Alltagsdrogen das Thema Alkohol wichtig ist. Es muss angegangen werden; denn in Deutschland gibt es - das sollte man zur Kenntnis nehmen - mindestens 1,5 Millionen alkoholabhängige Menschen mit sehr schweren Problemen. Wir wissen auch, dass die Erfolgsquote bei der Behandlung von Alkoholabhängigkeit sehr hoch ist, wenn diese Sucht rechtzeitig therapiert wird. Die Zahl der Behandlungsfälle ist steigend. Ich bin sehr froh darüber, dass sich zeigt, dass es in deutschen Firmen nicht mehr so wie früher ist, als dieses Thema noch verschwiegen und geleugnet wurde und die betroffenen Menschen letztlich entlassen wurden. Heutzutage wird dieses Thema gerade von den Personalabteilungsleitern sehr offensiv angegangen. Mittlerweile gibt es sogar Standardvereinbarungen, die dabei helfen, dieses Thema anzusprechen und Hilfe zu organisieren. Wir haben in diesem Jahr das Thema Rauschtrinken Jugendlicher zum Schwerpunkt gemacht und werden dazu ein Modellprojekt durchführen, in dessen Rahmen Jugendliche unter 16, die mit Alkoholvergiftungen in Kliniken aufgenommen werden, auf ihren riskanten Alkoholkonsum angesprochen werden sollen. Im Rahmen dieses Modellprojektes sollen auch Daten über diesen Bereich erhoben werden. Denn uns wird zwar von einzelnen Kliniken berichtet, dass sich in diesem Bereich die Fälle an Zahl vervielfachen und dies ein neuer Trend ist. Aber wir haben kein valides Zahlenmaterial. Des Weiteren wollen wir auf unserer Internetseite - www.drugcom.de - einen Alkoholselbsttest installieren und Informationen zum Thema Alkohol auf breiterer Ebene anbieten; denn wir glauben, dass dieses Thema an Bedeutung gewinnen wird. Da auch der so genannte Mischkonsum der Jugendlichen steigt, muss dieses Thema angegangen werden. Konkrete Überlegungen zur Erhöhung der Alkoholsteuer enthält der Aktionsplan nicht. Es ist lediglich ein allgemeiner Prüfauftrag für die Zukunft formuliert. Aber auch Sie und Ihre Fraktion sind aufgerufen, entsprechende Vorschläge zu machen, wenn Sie eine solche Erhöhung für richtig halten. Bislang gingen Ihre Fragen eher in die andere Richtung. Aber im Zuge der Beratungen über den Entwurf eines Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes haben wir noch ausreichend Gelegenheit, uns über dieses Thema auszutauschen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es liegen zwar noch Fragen vor, aber die Zeit ist schon deutlich abgelaufen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Jetzt besteht noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, die Themen außerhalb dieses Bereiches betreffen. Der Kollege Jürgen Koppelin hat einen Fragewunsch angemeldet. Herr Koppelin, bitte schön.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, meine Frage passt ganz gut zu dem Bereich, über den wir eben diskutiert haben. Ich habe am Sonntag mit großem Erstaunen gelesen - ich bitte um Aufklärung darüber, ob diese Meldung stimmt -, dass es beim EU-Gipfel zu einer Verärgerung gekommen ist, weil die Bundesregierung, aber auch - das muss man fairerweise eingestehen - die holländische Regierung nicht bereit waren, Mittel zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Das hat mich sehr erstaunt, weil der Bundeskanzler und Frau Wieczorek-Zeul diesbezüglich große Ankündigungen gemacht haben. Ich möchte gerne wissen, aus welchem Grunde die Bundesregierung dazu nicht bereit ist. In den Meldungen heißt es, diese Mittel seien aufgrund der knappen Staatsfinanzen unseres Landes nicht zur Verfügung gestellt worden. Werden diese Mittel zur Verfügung gestellt? Der Bundeskanzler und Frau Wieczorek-Zeul haben es angekündigt und versprochen. Ist es nicht peinlich, dass wir diese Mittel nicht zur Verfügung gestellt haben und dass es auf dem EU-Gipfel zu einer Verärgerung gekommen ist?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Eid, bitte.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Abgeordneter Koppelin, für die Sitzung des Europäischen Rates in Thessaloniki war keine feste Zusage in Bezug auf den „Global Fund to fight HIV/AIDS, Tuberculosis and Malaria“, also diesen globalen Gesundheitsfonds, geplant. Es wurde von der - kurzfristig ins Spiel gebrachten - Angabe einer Zielgröße für die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten von insgesamt 1 Milliarde Euro abgesehen. Der Angabe dieser Summe lag keine durchstrukturierte Bedarfsanalyse zugrunde. Daher gab es auch keinen Verteilungsschlüssel für die Festlegung von Beiträgen durch die einzelnen Mitgliedstaaten und die Kommission. Für zusätzliche kurzfristige Erhöhungen der Beiträge zu diesem globalen Fonds gibt es im Bundeshaushalt keine finanziellen Vorkehrungen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, da von einer Verärgerung die Rede ist: Wie erklären Sie, dass alle anderen europäischen Staaten eine Zusage gegeben haben und Amerika ebenfalls 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung stellt? Wieso tritt nach Ihren großen Ankündigungen die Peinlichkeit ein, dass Deutschland neben den Niederlanden keine Zusage gegeben hat? Hätten wir nicht - nach all den Reden zum Beispiel der Ministerin Ihres Ressorts sogar Vorreiter in der Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sein müssen?

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Koppelin, als wir 1998 die Regierung übernommen haben, waren für die Aidsbekämpfung im Einzelplan 23, wenn ich mich recht erinnere, etwa 30 bis 40 Millionen DM vorgesehen. Wir haben diesen Betrag innerhalb kürzester Zeit auf 140 Millionen DM aufgestockt. Das heißt, dass wir im Bereich der Aidsbekämpfung bilateral Vorreiter waren. Vor zwei Jahren wurde auf dem G-8-Gipfel in Genua beschlossen, dass die G-8-Staaten dem Vorschlag von Kofi Annan, dem UN-Generalsekretär, nachkommen, den globalen Gesundheitsfonds für die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zu unterstützen. Die Bundesregierung hat daraufhin eine Zusage gegeben, 200 Millionen Euro in diesen Fonds einzubezahlen. Das Budget für die Aidsbekämpfung in der bilateralen Kooperation haben wir auf der alten Höhe belassen. Die Mittel für den globalen Fonds wurden zusätzlich zur Verfügung gestellt. In den USA wurde beschlossen - da funktioniert das System ein bisschen anders -, dass die USA 15 Milliarden US-Dollar für die Aidsbekämpfung zur Verfügung stellen. Das ist also eine Art Marshallplan zur Aidsbekämpfung. Dann hat man aber beschlossen, aus diesen Mitteln für die bilaterale Kooperation in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar 1 Milliarde US-Dollar herauszunehmen und in diesen globalen Aidsfonds einzubezahlen. Der US-Kongress hat beschlossen, diese Milliarde nur dann einzubezahlen, wenn die Europäer auch einbezahlen. Genauso könnte man sich Folgendes vorstellen: Der Deutsche Bundestag beschließt die Zahlung von 1 Milliarde oder auch nur 500 Millionen Euro, aber wir zahlen diesen Betrag nur, wenn die Amerikaner genau die gleiche Summe zur Verfügung stellen. So stellte sich der Vorgang dar. Beim G-8-Gipfel in Evian - ich war persönlich anwesend - war der erste Tagesordnungspunkt „Afrika“. Da war genau diese Aidsthematik Gegenstand einer kurzen Beratung. Der französische Präsident hat nach Abschluss dieser Diskussionsrunde den Auftrag erteilt, zu prüfen, ob die Europäische Union möglicherweise 1 Milliarde zur Verfügung stellt. Dieser Prüfauftrag ist also ergangen. Aber es ist noch nicht so konkret geworden, dass schon eine Bedarfsanalyse vorhanden ist. Insofern gab es in Thessaloniki keine exakten Planungen. Das war nicht vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 15/1184 Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - das sind die Fragen 1 und 2 - sollen schriftlich beantwortet werden. Deswegen kommen wir gleich zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung. Die Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch: Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die angebliche Tötung von Gefangenen durch Truppen der Antitalibankoalition und deren angebliche Duldung durch das US-Militär in Mazar-i-Sharif in Afghanistan vor und welchen Beitrag leistet die Bundesregierung zur Aufklärung dieses Sachverhalts?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, der Bundesregierung liegen hierzu keine eigenen Erkenntnisse vor. Nach Angaben der US-Administration haben US-Kräfte von der - angeblichen - Gefangenentötung weder gewusst noch eine solche toleriert. Die VN-Mission in Afghanistan hat angekündigt, die in Frage kommenden Massengräber bei Sherbargan durch Experten dokumentieren zu lassen. Dazu ist eine Untersuchungskommission unter der Leitung der pakistanischen Anwältin Dr. Asma Jehangir nach Afghanistan gereist. Ein Bericht hierzu steht noch aus. Eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation hat im Auftrag der Vereinten Nationen erste Untersuchungen vor Ort durchgeführt, die keine eindeutigen Schlüsse auf Ort und Zeit des - angeblichen - Massakers zuließen, da die Gegend von vielen ähnlichen Massengräbern gekennzeichnet ist, die aus allen Perioden des Bürgerkrieges stammen. Der im Zusammenhang mit den Vorwürfen genannte Kriegsherr Dostum hat dem EU-Sonderbeauftragten Vendrell und VN-Beamten die volle Unterstützung bei der Aufklärung der Vorfälle zugesichert. Die Bundesregierung hat der afghanischen Regierung angeboten, forensische Experten zur Hilfe bei der Ausgrabung der Gräberstätten und zur Ausbildung von Fachleuten zu entsenden, sobald die Vereinten Nationen mit der Aufarbeitung beginnen. Deutschland befürwortet daneben auch in diesem Zusammenhang die von der afghanischen Regierung und besonders Präsident Karzai gewünschte Einrichtung einer Wahrheitskommission nach südafrikanischem Vorbild. Auch ein effektives Zeugenschutzprogramm könnte bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen helfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatsminister, ich knüpfe gleich an Ihre Ausführungen an. Sie haben Unterstützung durch die Bundesregierung angekündigt. Der Vertreter des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, Herr Brahimi, und der afghanische Außenminister haben sich mit der Bitte um Unterstützung an die internationale Öffentlichkeit gewandt und auch einen Brief an die Bundesregierung geschickt. Ist das, was Sie dargestellt haben, schon eine Reaktion auf diesen Brief? Wenn ja, dann bitte ich um Bestätigung. Wenn nein, dann frage ich: Wird die Bundesregierung auf diesen Brief des Vertreters des UN-Generalsekretärs für Afghanistan und des afghanischen Außenministers reagieren und, wenn ja, in welcher Art und Weise?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Lötzsch, das Thema ist bei dem Besuch des VN-Gesandten für Afghanistan nicht gesondert angesprochen worden. Es ist aber Gegenstand des laufenden Dialogs mit den Vereinten Nationen. Den Vereinten Nationen ist das deutsche Angebot zur Entsendung forensischer Experten selbstverständlich bekannt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich frage zur Konkretisierung nach: Ist dieser Brief des Vertreters des UN-Generalsekretärs und des afghanischen Außenministers bei der Bundesregierung eingegangen und, wenn ja, ist dieser Brief beantwortet worden?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen diese Frage nicht spontan beantworten, aber ich liefere Ihnen die Antwort gern nach.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Verfügung. Die Frage 4 des Kollegen Dirk Niebel: Ist nach Ansicht der Bundesregierung im Rahmen der Strukturreform bei der Bundesanstalt für Arbeit auch die Umwandlung der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung, in eine gemeinnützige GmbH mit privater Trägerschaft vorgesehen und, wenn nein, welche Gründe sprechen dagegen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Niebel, die Bundesanstalt für Arbeit beabsichtigt, entsprechend den Empfehlungen der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ die Ausbildung auf der Ebene der Fachhochschule fortzusetzen. Die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Arbeitsverwaltung, mit Sitz in Mannheim ist als Hochschuleinrichtung durch das Land Baden-Württemberg anerkannt worden. Voraussetzung für die Anerkennung war und ist, dass der Ausbildungsgang ausschließlich auf den öffentlichen Dienst bei der Arbeitsverwaltung ausgerichtet bleibt. Nur so bleibt die in der Verfassung vorgesehene grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesländer für den Bereich der Ausbildung gewahrt. Auch eine von der Bundesanstalt in privater Rechtsform betriebene Ausbildungseinrichtung wäre auf die Anerkennung als Hochschule angewiesen. Die Anerkennung wäre nur unter denselben engen Voraussetzungen zu erwarten, wie sie derzeit für die Anerkennung der Fachhochschule des Bundes gelten. Der Ausbildungsgang müsste weiterhin ausschließlich auf die Belange der Bundesanstalt zugeschnitten sein. Das mit einer Privatisierung verfolgte Ziel einer Öffnung für BA-fremde Studierende könnte also nicht realisiert werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, die gute Ausbildung an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim im Fachbereich Arbeitsverwaltung wurde ja auch von der Hartz-Kommission, wie Sie richtigerweise schon festgestellt haben, anerkannt. Die Hartz-Kommission hat Vorschläge gemacht; diese beinhalten unter anderem, die Fachhochschule zu privatisieren und auch Externen dort ein Studium zu ermöglichen, damit auch privaten Arbeitsvermittlern ein qualitativ hochwertiger Ausbildungsgang offen steht. Nun hat die Bundesregierung immer wieder gesagt, dass die Vorschläge der Hartz-Kommission eins zu eins umgesetzt werden sollen. Wieso ist das in diesem Fall jetzt nicht geplant?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Niebel, ich habe Ihnen gerade eben die Voraussetzungen genannt. Das Land BadenWürttemberg muss die Fachhochschule zulassen; das ist aufgrund der föderalen Zuständigkeitsstrukturen einfach so. Die Zulassung besteht eben nur für Ausbildungsgänge im Bereich des öffentlichen Dienstes.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Zusatzfrage?

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrem Versprechen, die Vorschläge der Hartz-Kommission eins zu eins umzusetzen, Kontakt mit dem Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg aufgenommen, um zu klären, ob eine privatisierte Fachhochschule grundsätzlich ebenso die Anerkennung erhalten könnte, oder hat sie in dieser Richtung überhaupt keine Schritte eingeleitet?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Zunächst wäre es Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit, entsprechende Kontakte aufzunehmen. Im Übrigen hat das mit der Aussage, die Vorschläge eins zu eins umzusetzen, nichts zu tun, weil auch eine solche Umsetzung natürlich nur im Rahmen der möglichen Rechtsstrukturen und -konstruktionen des Grundgesetzes möglich ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Albert Rupprecht, Weiden: Ist die Bundesregierung bereit, die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe, GA, „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu erhöhen, sodass insbesondere in den Grenzregionen zu den EU-Beitrittsländern die zulässigen Förderhöchstsätze ausgeschöpft werden können?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, ich möchte die Fragen 5 und 6 gerne gemeinsam beantworten, falls Sie und der Fragesteller damit einverstanden sind.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wenn Herr Rupprecht damit einverstanden ist, ist das kein Problem. - Dann rufe ich auch die Frage 6 des Abgeordneten Albert Rupprecht, Weiden, auf: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Ausweisung der neuen E-Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in Bayern einer gleichzeitigen Erhöhung der GA-Mittel bedurft hätte, um so die möglichen Förderhöchstsätze auch auszuschöpfen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Rupprecht, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wird nach der im Grundgesetz bestimmten Zuständigkeitsverteilung von den Ländern durchgeführt. Den Ländern obliegt insbesondere die regionale Schwerpunktsetzung und Konzentration der Fördermittel. Das heißt, die Länder entscheiden, ob und wieweit sie die beihilferechtlich zulässigen Förderintensitäten im Rahmen der zur Verfügung stehenden Fördermittel ausschöpfen. Angesichts der Bestrebungen der Bundesregierung zur Haushaltskonsolidierung bestehen keine finanziellen Spielräume, um die GA-Titel im Bundeshaushalt in den nächsten Jahren zu erhöhen. Jetzt zur Frage 6: Die Ausweisung der so genannten E-Fördergebiete zum 1. Januar 2004, die der Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ am 24. April 2003 beschlossen hat, verfolgt zwei Ziele: Erstens werden diese Regionen in die GA-Förderung einbezogen, um förderbedingte Spannungen zwischen Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne bzw. mit geringer Förderung abzubauen. Das heißt, die Regionen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze sowie die Grenzregionen zu den Beitrittsländern, die nicht in den von der EU-Kommission genehmigten GARegionalfördergebieten liegen, werden dadurch in die GA-Förderung einbezogen. Dazu gehören unter anderem die Grenzregionen Schwandorf und Weiden. In diesen Regionen können insbesondere gewerbliche Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen sowie kommunale wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden. Zweitens stehen diese Regionen unter dem Schutz der neuen Einvernehmensregel für Verlagerungsinvestitionen. Verlagerungsfälle, insbesondere Verlagerungen von einem Fördergebiet in ein anderes Fördergebiet mit höherer Förderintensität, haben in der Vergangenheit in Einzelfällen zu politischen Irritationen geführt. Künftig ist bei Investitionsvorhaben, die mit einem wesentlichen Arbeitsplatzabbau - mindestens 50 Prozent der neu geschaffenen Arbeitsplätze - in einem anderen Fördergebiet verbunden sind, das Einvernehmen zwischen den betroffenen Bundesländern herzustellen. Gelingt die Herstellung des Einvernehmens nicht, kann maximal der in C-Fördergebieten zulässige Fördersatz gewährt werden. Über die jeweilige Förderintensität und den Einsatz von GA-Mitteln in den neuen E-Gebieten entscheiden die Länder im Rahmen ihrer Durchführungszuständigkeit. Bei der Beschlussfassung zur Ausweitung der Fördergebietskulisse bestand Einvernehmen zwischen Bund und Ländern, dass damit keine entsprechende Aufstockung der Bundesmittel bzw. Umverteilung zwischen den Ländern durch Änderung der bestehenden Quoten verbunden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Kollege Rupprecht? - Bitte schön.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass entlang der Grenze zu den Beitrittsländern alle Landkreise GA-Förderregionen der Kategorien A bis D sind, mit Ausnahme der Stadt Weiden und der Landkreise Neustadt a. d. Waldnaab und Schwandorf. Meine Frage an Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um diese Situation angesichts der drohenden Probleme durch die anstehende EU-Osterweiterung zu beseitigen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gerade in der Beantwortung Ihrer Frage vorgetragen, was der Ausschuss dazu beschlossen hat. Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass es eine umfassende Drucksache mit der Nummer 15/861 gibt, in der das entsprechend aufgearbeitet und dargestellt ist. Die beiden E-Fördergebiete, die Sie genannt haben, beziehen sich nur auf Bayern. Es gibt aber auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein E-Fördergebiete. Wie die Umverteilung vorgenommen worden ist und welche Möglichkeiten bestehen, war Gegenstand meiner Antwort.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muss noch einmal nachfassen. Politische Entscheidungen sind natürlich auch umkehrbar. Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Ludwig Stiegler, hat am 6. August in Schwandorf der Bevölkerung im Zuge des Wahlkampfes ein geschlossenes Grenzgürtelprogramm versprochen. Meine Frage an Sie: Wann wird dieses Versprechen eingelöst?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Vielleicht können wir darauf im Zusammenhang mit dem nächsten Fragesteller, der sich mit dem Grenzförderprogramm der EU befasst, noch einmal kommen. Hinsichtlich der Gemeinschaftsaufgabe ist es so, wie ich es Ihnen gerade dargestellt habe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Sie haben noch zwei Zusatzfragen.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch zwei Nachfragen zum E-Fördergebiet. Ist es richtig, dass trotz der Einführung des so genannten E-Fördergebietes weder die Mittelausstattung des Bundes erhöht wird noch die Förderhöchstsätze, die Unternehmen zugute kommen, erhöht wurden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich habe Ihnen eben in meiner Antwort dargestellt, dass eine Erhöhung der GA-Mittel auf Bundesebene wegen der knappen Haushaltssituation nicht vorgesehen ist. Die Fördersätze können Sie den Regelungen entnehmen, die zur speziellen Förderung der E-Gebiete getroffen worden sind.

Albert Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003620, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzte Nachfrage: Demzufolge ist die Aussage, mit der der jetzige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Ludwig Stiegler, seine Hoffnung und Freude über den großartigen Erfolg der Einführung des E-Gebietes ausgedrückt hat - ich zitiere: „Wir haben alle gedrängt und genölt, ich bin von Herzen froh“ -, ein Irrtum, weil es im Ergebnis keine relevante Verbesserung für die Unternehmen in dieser Region gibt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich kann den Wertungen des Abgeordneten Stiegler nur zustimmen, weil die E-Gebiete vorher überhaupt nicht in die Förderung einbezogen waren und durch die Neuregelung eine Förderung möglich ist. Das habe ich ausdrücklich vorgetragen. Im Übrigen will ich noch einmal darauf verweisen, dass es gleich zwei Fragen zu dem Grenzlandprogramm der Europäischen Union gibt. Worauf Herr Kollege Stiegler im Einzelnen rekurriert hat, kann ich jetzt nicht ermessen; dazu müsste ich mir das noch einmal anschauen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Hofbauer, der diese nächsten Fragen gestellt hat, hat zunächst eine Zusatzfrage zu dieser Fragestellung.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sagen, die Fördergebiete seien erweitert worden, es seien zusätzliche E-Fördergebiete entstanden. Im gleichen Atemzug sagen Sie aber, dass die Mittel nicht erhöht werden. Wie soll das gehen? Wenn es zusätzliche Gebiete, aber nicht mehr Geld gibt, müssen die Mittel für die einzelnen Gebiete reduziert werden. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch die einzelnen Unternehmen keine höhere Förderung erhalten können; denn schon jetzt können wir nicht die Höchstsätze der Förderung ausnutzen, weil die entsprechenden Gelder nicht zur Verfügung stehen. Das sind alles Widersprüche. Es entsteht der Eindruck, dass hier zwar etwas ausgewiesen wurde; da aber kein Geld zur Verfügung gestellt wird, zieht das nicht.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich möchte noch einmal vortragen: Der GA-Planungsausschuss hat in seiner Sitzung im April die Erweiterung des GA-Fördergebietes um so genannte E-Fördergebiete beschlossen - man muss in diesem Zusammenhang festhalten, dass es dort vorher keine vergleichbaren Regelungen gab -, um förderungsbedingte Spannungen zwischen Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne bzw. geringerer Förderung abzubauen. Beihilferechtlich ist in diesen Gebieten nur eine KMU-Förderung nach der KMU-Freistellungsverordnung möglich. In diesen Regionen können ab 2004 gewerbliche Investitionen in Betriebsstätten von kleinen Unternehmen bis zu 15 Prozent, in Betriebsstätten von mittleren Unternehmen bis zu 7,5 Prozent und in sonstigen Betriebsstätten bis zu 100 000 Euro Gesamtbetrag innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der ersten Beihilfe mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden. Dies alles steht unter der Bedingung - das wissen auch Sie -, dass die GA-Mittel auf Bundesebene nicht erhöht werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage des Kollegen Michael Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage, ob nicht die Mittel erhöht werden müssten, geantwortet, der Bund habe kein Geld, die finanziellen Möglichkeiten seien ausgeschöpft und an eine Erhöhung der GA-Mittel sei nicht zu denken. Es ist richtig, dass durch die Finanzund Steuerpolitik der Bundesregierung genau der Zustand eingetreten ist, den Sie beschrieben haben. Ich frage daher: Ist es aus Ihrer Sicht und in Kenntnis der wirtschaftlichen Situation in den Grenzregionen, also in den E-Gebieten, nötig, dort stärker zu investieren?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich könnte mir sehr sinnvolle Förderungen vorstellen. Aber diese Förderungen müssen bezahlbar sein. Wir haben einen bestimmten Rahmen, der durch den Bundesetat festgelegt wird. Im Übrigen ist regionale Wirtschaftsförderung auch eine sehr wichtige Aufgabe der Länder. Ich würde dem Kollegen Hofbauer und anderen empfehlen, sich auch einmal mit dem Freistaat Bayern auseinander zu setzen. Durch das, was wir auf den Weg gebracht haben, gibt es einen gewissen Ausgleich zwischen den Fördergebieten. Was förderungstechnisch möglich ist, habe ich Ihnen vorgetragen. Mehr ist gegenwärtig nicht leistbar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen dann zur Frage 7 des Kollegen Klaus Hofbauer: Welche Maßnahmen zur Stärkung der Grenzregionen zu den EU-Beitrittsländern Polen und Tschechische Republik hat die Bundesregierung unternommen, nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Regionalkonferenz Oberpfalz am 18. Dezember 2000 in Weiden ein materiell unterlegtes Programm zur Förderung der Grenzregionen angekündigt hat?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, auch hier möchte ich darum bitten, dass ich die Fragen 7 und 8 zusammen beantworten darf, wenn der Fragesteller damit einverstanden ist.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch noch die Frage 8 des Kollegen Hofbauer auf: Ist die Bundesregierung bereit, die Fördergebiete der GA „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ unter Einbeziehung des zusätzlichen Regionalindikators „Grenzlage zu den EU-Beitrittsländern“ neu abzugrenzen, sodass insbesondere das Gebot der Gleichbehandlung der Grenzlandkreise im Hinblick auf die Regionalförderung gewährleistet ist?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Hofbauer, die Bundesregierung hat sich gemeinsam mit Österreich für ein EU-Grenzlandprojekt eingesetzt. Von der EU-Kommission wurde daraufhin am 25. Juni 2001 die „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“ vorgelegt. Damit und mit den durch Haushaltsrat und Europäisches Parlament sowie im EU-Haushalt 2003 zusätzlich beschlossenen Finanzmitteln stehen den Grenzregionen der fünf von der EU-Erweiterung betroffenen Mitgliedsländern 265 Millionen Euro für eine Reihe von Maßnahmen - unter anderem Aufstockung des Budgets für TEN, zusätzliche Mittel für Interreg und für KMU, aber auch für das Programm „Jugend“ - zur Verfügung. Insgesamt ist das Grenzlandprogramm eine sinnvolle Ergänzung bereits bestehender Programme der Europäischen Union. Hier gibt es ein breites Spektrum an Programmen, das unter anderem die europäischen Strukturfonds einschließlich der Gemeinschaftsinitiative Interreg, die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe, über die wir eben gesprochen haben, die grenzlandspezifische Erhöhung der Zulage für gewerbliche Investitionen bis hin zu einer Vielzahl von EU- und nationalen Programmen, die auf die Grenzregionen fokussiert werden können, umfasst. Nun ist Regionalpolitik in erster Linie Aufgabe der Länder; das habe ich eben schon ausgeführt. Es liegt daher in der Verantwortung der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften, die erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung des Strukturwandels als Folge der EU-Osterweiterung zu ergreifen. Die Europäische Kommission hat mit ihrer Entscheidung vom 2. April 2003 die beihilferechtliche Genehmigung für das Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ bis Ende 2006 verlängert. Die Bundesregierung hatte im September 2002 nach einstimmiger Beschlussfassung des Bund-Länder-Planungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe die Verlängerung der unveränderten GAFördergebietskarte, die zum 1. Januar 2000 neu abgegrenzt wurde, notifiziert. Um förderungsbedingte Spannungen zwischen Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne bzw. mit geringerer Förderung abzubauen, werden unter anderem die Grenzregionen Schwandorf und Weiden, die nicht zu den genehmigten GA-Fördergebieten gehören, ab 1. Januar 2004 als so genannte E-Fördergebiete in die GA-Förderung einbezogen. In diesen Regionen können zukünftig insbesondere gewerbliche Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen sowie kommunale wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden. Für die Fördergebietsabgrenzung ab 2007 sind die beihilferechtlichen Entwicklungen abzuwarten. Die Europäische Kommission wird das derzeitige Beihilferegime insbesondere im Zusammenhang mit der EUOsterweiterung überprüfen und anpassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Hofbauer, Zusatzfrage.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe ganz konkret auf die Rede des Herrn Bundeskanzlers vom 18. Dezember 2000 in Weiden Bezug genommen. Sollten Sie diese Rede nicht mehr haben bzw. nicht haben, bin ich gerne bereit, sie Ihnen zur Verfügung zu stellen.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das ist nicht nötig. Ich habe alle Reden des Bundeskanzlers. ({0})

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr gut; das ist lobenswert.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das gehört zur Amtsausstattung.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Herr Bundeskanzler hat in Weiden gesagt - Herr Präsident, ich darf zitieren -: Die Mitgliedstaaten dürfen durch das europäische Beihilferecht nicht daran gehindert werden, mit eigenen Förderinstrumenten die Entwicklung ihrer Grenzregionen zu unterstützen. Es geht hier nicht um die europäischen Beiträge. Der Bundeskanzler hat vielmehr in Weiden ein nationales Programm angekündigt und wörtlich gesagt: Dazu gehört „ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen“. Er hat also ein nationales, materiell unterlegtes Programm - und kein EU-Programm - angekündigt. Ich frage Sie konkret: Wo ist dieses nationale Programm aufgelegt worden?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Hofbauer, damit wir uns richtig verstehen: Können Sie die Passage, in der es um das nationale Förderprogramm geht, das aufgelegt werden soll, noch einmal zitieren?

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das gehört zusammen: ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen, ... Er hat zuvor vom Beihilferecht gesprochen, das erleichtert werden müsse; denn Europa schreibt uns in der Strukturpolitik sehr viel vor. Er hat angekündigt, dass er die Beihilferichtlinien auf europäischer Ebene so ändern will, dass die Möglichkeit besteht, ein nationales Programms für die Grenzregionen aufzulegen. Dieses nationale Programm ist bisher nicht aufgelegt worden.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Hofbauer, ich habe schon in der Antwort auf Ihre erste Frage erläutert, dass sich die Bundesrepublik Deutschland und Österreich sehr massiv im Rahmen der Europäischen Union für Beihilfeprogramme eingesetzt haben. Sie wissen sehr genau, dass es beihilferechtlich sehr eng begrenzte Vorschriften der Europäischen Union gibt. Wir wissen genauso, dass wir mit einer Reihe von Beihilfeprogrammen große Probleme haben, was dazu führt, dass die Europäischen Union, wenn sie der Auffassung ist, dass eine Wettbewerbswidrigkeit vorliegt, Beihilfeprogramme und Beihilfepositionen entsprechend zurückfordert. Ich habe Ihnen eben vorgetragen, dass wir für die beiden Regionen, um die es hier geht, das Fördergebiet „E“ ausgewiesen haben. Nun sage ich es Ihnen noch einmal: Die regionale Wirtschaftsförderung ist Angelegenheit der Länder, sodass ich es für einen bayerischen Abgeordneten für außerordentlich angemessen halten würde, gegenüber der Bayerischen Staatsregierung entsprechende Anstrengungen zu unternehmen und entsprechende Positionen zu vertreten. Die Zuständigkeit für die regionale Wirtschaftsförderung liegt bei den Ländern. Das, was wir tun konnten - ich betone das -, haben wir gemacht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Hofbauer.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wenn Sie mit dem Finger auf Bayern zeigen, dann darf ich Ihnen Folgendes sagen: Es gibt zwei Ebenen, die eigens Programme für die Grenzregionen aufgelegt haben. Das sind die Europäische Union mit Mitteln in Höhe von 195 Millionen Euro plus 55 Millionen Euro und der Freistaat Bayern. Er hat für die Grenzregionen ein eigenes Programm mit 100 Millionen Euro aufgelegt. Die Bundesrepublik Deutschland fehlt. Der Herr Bundeskanzler hat in Weiden - das sage ich jetzt zum dritten Mal; ich lasse nicht locker, denn Sie weichen immer wieder aus - ein nationales Programm versprochen. Wir fordern ein, dass diesbezüglich eine konkrete Aussage gemacht wird. Denn nur Papiere zu verändern und ein E-Fördergebiet auszuweisen bringen uns in der Sache nicht weiter. Ich stelle hier fest, dass der Herr Bundeskanzler sein Versprechen von Weiden in dieser Frage nicht eingehalten hat.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Hofbauer, es ist Ihnen völlig unbenommen, etwas festzustellen. Genauso ist es auch mir völlig unbenommen, etwas festzustellen. Ich stelle noch einmal fest: Wir haben die Gemeinschaftsaufgabe einvernehmlich mit den Ländern über so genannte E-Fördergebiete ausgeweitet. Wir haben uns im Rahmen der Europäischen Union gemeinsam mit Österreich massiv für ein Grenzlandförderprogramm eingesetzt - ich habe das bereits dargestellt -; dieses Programm ist mit insgesamt 265 Millionen Euro ausgestattet. Ich kann Ihnen gern aufschlüsseln, wofür das Geld in welchem Zusammenhang verwandt wird. ({0}) - Es ist ja prima, wenn Sie das wissen. - Wir sind also entsprechend tätig geworden. Ich sage Ihnen noch einen letzten Punkt: Wir fördern in dem Umfang, der uns aufgrund der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel möglich ist. Von daher trifft die Aussage zu, dass wir im Rahmen unserer Haushaltsmöglichkeiten gehandelt haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte es im Protokoll korrekt und eindeutig nachlesen können. Daher frage ich: Hat der Bundeskanzler nach Ihrer Ansicht ein solches nationales Grenzförderprogramm in Weiden versprochen oder nicht?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das, was Herr Hofbauer zitiert hat ({0}) - Nein, das muss ich nicht. Herr Kollege von Klaeden, die Antwort müssen Sie schon mir überlassen. Das wissen Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer genau. Über die Form meiner Antwort entscheide ich ganz allein; ({1}) daran werden auch Sie nichts ändern. ({2}) - Ob ich Ja oder Nein sage, entscheide ich selbst. Dem Zitat, das Herr Hofbauer vorgetragen hat, ist dies nicht zu entnehmen. ({3}) Ich habe nicht die ganze Rede gelesen. Herr Hofbauer hat mich gefragt, ob sie mir zur Verfügung steht. Ich habe das aber nicht nachgelesen. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es nicht so, dass aufgrund des Versprechens, das der Bundeskanzler in Weiden gegeben hat, das bestehende Fördergefälle zwischen den einzelnen Bundesländern und in Zukunft auch das zu den EUBeitrittsländern verringert werden soll, aber zur Reduzierung dieses Fördergefälles in den Grenzregionen noch kein zielführendes Konzept der Bundesregierung vorhanden ist? Wäre es nicht besser, Sie setzten in Brüssel die Schaffung einer nationalen Förderkulisse durch, sodass nur noch Wettbewerbs- und Missbrauchskontrollen stattfinden? Somit läge die Hoheit über die gesamte Förderkulisse nicht mehr ausschließlich in Brüssel.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter, Ihre Frage enthielt drei unterschiedliche Annahmen, die ich alle nicht teile. Sie haben dreimal die Volte gemacht, indem Sie ausgeführt haben, was der Bundeskanzler angeblich versprochen habe, nämlich das Fördergefälle zwischen Ländern auszugleichen usw. All das steht nicht in Rede. Vielleicht haben Sie das dem kurzen Zitat, das der Abgeordnete Hofbauer vorgetragen hat, entnommen. Ich habe das nicht entnommen. Ich habe bei der Beantwortung einer Reihe von Fragen ausgeführt, dass das Fördergefälle durch GA-E-Fördergebiete und Vereinbarungen im Gemeinsamen Ausschuss abgemildert werden sollte. Das, wonach Sie gefragt haben, haben wir bereits umgesetzt. Ob sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union durchsetzen wird oder nicht, beurteile ich ganz anders als Sie.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als weiterer Fragesteller hat der Kollege Kretschmer das Wort.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch ich möchte noch etwas ganz genau wissen und das im Protokoll nachlesen können. Sie haben gesagt - ich möchte wissen, ob das Ihre private Meinung oder die der Bundesregierung ist -, dass die Länder mit ihren eigenen Möglichkeiten dafür verantwortlich sind, den strukturpolitischen Herausforderungen, die sich im Grenzland durch die Osterweiterung ergeben, zu begegnen. Ist die Bundesregierung tatsächlich der Meinung, die EU-Osterweiterung, das große Projekt dieses Jahrhunderts, sei im Grenzland Aufgabe der Bundesländer?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Damit Sie es im Protokoll richtig nachlesen können: Im ersten Teil Ihrer Frage, haben Sie etwas unterstellt, was ich so nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, dass für die regionale Wirtschaftsförderung die Länder zuständig sind. ({0}) Im Übrigen bin ich selbstverständlich der Auffassung, dass die EU-Osterweiterung eine Gemeinschaftsaufgabe aller in der EU Handelnden ist. Es gibt eine Reihe von Strukturinstrumenten, die ich hier umfassend vorgetragen habe.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koschyk. ({0})

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, welche Haushaltsmittel des Bundes werden den deutschen Grenzregionen neben den Mitteln der Europäischen Union und einzelner Bundesländer - der Freistaat Bayern stellt 100 Millionen Euro zur Verfügung - zur Förderung der Grenzregionen zur Verfügung gestellt? ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Koschyk, ich bitte um Verständnis dafür, dass ich diese Frage nicht aus dem Stand beantworten kann. Ich liefere Ihnen die Antwort aber gerne schriftlich nach.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 9 des Kollegen Max Straubinger: Wie viele neue Arbeitsplätze haben die namentlich in der Anzeige „Team-Arbeit für Deutschland“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 12. Juni 2003 genannten Damen und Herren seit dem 1. Januar 2003 geschaffen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident, ich bitte darum, die Fragen 9 und 10 gemeinsam beantworten zu dürfen. Sind Sie einverstanden, Herr Straubinger? ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Dann rufe ich auch die Frage 10 des Abgeordneten Max Straubinger auf: Welche finanzielle Summe wird für die Kampagne der Bundesregierung „Team-Arbeit für Deutschland“ veranschlagt?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Personen, die in der Anzeigenkampagne der Initiative „Team-Arbeit für Deutschland“ abgebildet sind, sind Unterstützer dieser Initiative. Ziel der Initiative ist es, ein Netzwerk gegen Arbeitslosigkeit aufzubauen. Hierbei geht es nicht darum, Einzelpersonen für die Schaffung von Arbeitsplätzen auszuzeichnen. Die gezeigten Personen sind auf unterschiedliche Weise am Arbeitsmarkt aktiv geworden. Eine Liste der Aktivitäten kann im Internet unter www.teamarbeit-fuer-deutschland.de eingesehen werden. Dort sind die Aktivitäten aller Beteiligten und die Ansprechpartner detailliert aufgelistet. Für die Initiative „Team-Arbeit für Deutschland“ sind 10 Millionen Euro vorgesehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Herr Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es ist löblich, wenn man für die Belebung des Arbeitsmarktes insgesamt eintritt. Die Frage ist nur, ob die Mittel immer richtig eingesetzt werden und etwas erreicht wird. Ich habe mich mit den Personen ein bisschen beschäftigt. Betrachten Sie die Tatsache, dass zum Beispiel bei der Stadt Eisenhüttenstadt 1998 noch 471 Personen und im Jahre 2002 nur noch 390 Personen beschäftigt waren, als eine geeignete Unterstützung der Initiative „TeamArbeit für Deutschland“? Der Personalabbau ist sicherlich auf verwaltungstechnische Angelegenheiten bzw. Belastungen der Stadt zurückzuführen. Glauben Sie, dass ein solcher Abbau ein geeigneter Beitrag zur Belebung des Arbeitsmarktes in Deutschland ist?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Straubinger, da Sie stellvertretender Vorsitzender des entsprechenden Fachausschusses sind, wissen Sie, dass die Empfehlungen der HartzKommission im 13. Kapitel unter dem Stichwort „Profis der Nation“ vorsehen, unterschiedlich handelnde Personen zusammenzuführen, um für mehr Beschäftigung zu werben. Mit dieser Kampagne, die auf drei Jahre angelegt ist, wird versucht, dieser Empfehlung zu folgen. Man hat hier - das können Sie nachvollziehen - Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen - Sportler, Künstler, Unternehmer, Selbstständige - zusammengeführt, die sich für diese Beschäftigungsinitiative einsetzen. Insofern finde ich das Konzept richtig und vernünftig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, der Internetseite habe ich entnommen, dass in 50 verschiedenen Städten der Republik Veranstaltungen stattfinden. Am 27. bzw. 28. Juni ist eine Veranstaltung in Saarlouis geplant. Bei der Auftaktveranstaltung mit dem Bundeswirtschaftsminister in Berlin war auch ein bedeutender Gewerkschaftsvorsitzender anwesend. Daraus schließe ich, dass die Gewerkschaften diese Initiative unterstützen. Erachten Sie es als einen günstigen Beitrag zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland, wenn die Betriebe im Osten Deutschlands derzeit bestreikt werden, sodass im Westen nicht mehr gearbeitet werden kann?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Straubinger, zunächst möchte ich feststellen, dass mich Ihr Hinweis auf Saarlouis und die Überleitung auf die Streiksituation in den neuen Bundesländern etwas verblüfft hat. Dazwischen kann ich keinen Zusammenhang erkennen. Wahrscheinlich werden Sie mir auch noch den Zusammenhang erläutern, der zwischen Ihrer vorherigen Frage zu Eisenhüttenstadt und der Frage zu Saarlouis und der Lage beim Arbeitskampf in den neuen Bundesländern besteht. Ich will aber den Versuch machen, Ihre Frage zu beantworten. Die Arbeitsverwaltung des Saarlandes ist von der Hartz-Kommission dazu ausersehen - die Handelnden wie auch die Landesregierung, die, wenn ich mich richtig erinnere, von der Union gestellt wird, haben sich dazu bereit erklärt -, den Versuch zu unternehmen, die Hartz-Vorschläge in ihrem Land flächendeckend umzusetzen. Vielleicht liegt darin der Grund, in Saarlouis eine Veranstaltung durchzuführen; dieser Zusammenhang ist für mich offensichtlich. Wenn Sie eine andere Vermutung haben, müssten Sie in einer gesonderten Frage darauf hinweisen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich führende Gewerkschaftler in dieser Initiative engagieren, dafür ihren Namen zur Verfügung stellen und sich entsprechend einsetzen. Auch das sehe ich als sehr lobenswert an. Zu den Streiks und den Auseinandersetzungen in den neuen Bundesländern gibt es, wenn ich richtig informiert bin, auf Initiative Ihrer Fraktion morgen eine Aktuelle Stunde, in der wir uns entsprechend austauschen können.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine weitere Zusatzfrage. Ich habe der Berichterstattung entnommen, dass sehr viele Akteure eingeladen worden sind, in diesem Team mitzuarbeiten. Allerdings scheint mir, dass die Handwerkskammern bzw. die IHKs außen vor gelassen worden sind. Hat das eine Bewandtnis oder eine Bedeutung? Warum wurden sie nicht eingeladen, an dieser Teamarbeit teilzunehmen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein, das hat keine besondere Bewandtnis oder Bedeutung. Es wurden viele Menschen aus sehr unterschiedlichen Bereichen angesprochen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ihre letzte Zusatzfrage.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glauben Sie nicht auch, dass es wichtiger gewesen wäre, insbesondere mit denjenigen einen verstärkten Austausch zu führen, die in unserer Republik - auch unter den sehr schwierigen Rahmenbedingungen, die wir haben, wie wir leider Gottes feststellen müssen - Arbeitsplätze schaffen, als einen Propagandafeldzug für die letztlich fehlgeschlagenen Hartz-Konzepte zu unternehmen? Dieser soll meines Erachtens nur dazu dienen, den Ich-AGs oder Ähnlichem einen höheren Bekanntheitsgrad zu verschaffen. Wäre es nicht besser und wäre das Geld in Höhe von 10 Millionen Euro nicht sinnvoller eingesetzt, wenn man einen intensiveren Austausch mit den Kammern bzw. den Betrieben führen würde? Wäre das nicht zielführender, um die Arbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Straubinger, Sie müssten doch aus der Ausschusssitzung von heute Morgen wissen - ich will es hier gerne wiederholen -, dass die Bundesregierung insgesamt, aber ganz besonders das Ministerium, das ich zu vertreten habe, einen unglaublich umfangreichen Austausch mit den Handwerksorganisationen betreibt. Ich kann Ihnen mitteilen - diese Nachricht ist ganz aktuell -, dass Minister Wolfgang Clement eben ein längeres Gespräch mit dem Präsidenten des Zentralverbands des Deutschen Handwerks geführt hat. Dabei spielten viele Fragen, unter anderem die Situation im Bereich der Ausbildung und der Beschäftigung, eine Rolle. Angesichts dessen, was Sie unterstellen, muss ich Ihnen sagen: Ein Austausch findet ständig statt und ist für die Bundesregierung ein wichtiges Anliegen. Ihre Frage gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass Mitglieder der Bundesregierung - Wolfgang Clement und Edelgard Bulmahn - aber nicht der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen einer groß angelegten Briefaktion in diesen Tagen über 100 000 Unternehmer, Handwerker, Handwerksorganisationen und Ähnliches angeschrieben haben, um ausdrücklich für mehr Beschäftigung und Ausbildung zu werben, was sehr wichtig ist. Alles das, was Sie einfordern, findet also statt und ist völlig richtig. Worüber man sich streiten kann - da gehe ich mit Ihnen nicht konform -, ist, was man im Rahmen einer Öffentlichkeitskampagne tun kann und wie viel Geld man dafür ausgibt. Dafür haben wir einen Haushaltsausschuss. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mehrfach - auch wegen dieser Angelegenheit - im Haushaltsausschuss war; das ist auch richtig und gut. Die parlamentarische Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die Ausgaben des Staates parlamentarisch beschlossen und kontrolliert werden. Auch dem kommen wir nach. Ich finde die Kampagne sehr gut und halte es für sinnvoll, dafür Geld auszugeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, dass die Persönlichkeiten, die an dieser sehr teuren Kampagne mitwirken, auch aufgrund eines gewissen Zusammenhangs mit den beschäftigungspolitischen Erwartungen ausgewählt worden sind. Vielleicht können Sie dem Hohen Hause einmal erklären, welche beschäftigungspolitischen Erwartungen die Bundesregierung damit verbindet, dass Roland Kaiser an dieser Aktion ebenfalls mitwirkt. ({0})

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein, mal langsam. Herr Koschyk, vielleicht waren Sie eben noch nicht da. Ich habe vorhin in einer Antwort deutlich gemacht, dass die Hartz-Kommission in ihrem 13. Kapitel Empfehlungen ausgesprochen hat. Eine dieser Empfehlungen lautet, dass man begreifen muss, dass die Arbeitslosigkeit nicht allein ein Problem der Politik, der Wirtschaft, des Handwerks und der kleinen Unternehmen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Die HartzKommission sagt: Wenn man mit diesem gesamtgesellschaftlichen Problem umgehen will, dann muss man dafür sorgen, dass die vielen Handelnden, die es in ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft gibt, zu einer Initiative für mehr Beschäftigung zusammengeführt werden und dafür werben. Zu denen, die sich für das Ziel dieses Netzwerkes und dieser Initiative einsetzen, gehören zum Beispiel auch Künstler. Ich könnte Ihnen noch eine Reihe anderer Menschen nennen. Nun drehe ich es einmal herum. Sie wissen sehr genau - wir könnten jetzt ein langes Seminar über Medienkampagnen und Medienwirkung führen -, dass große Unternehmen, wenn sie ein neues Produkt verkaufen wollen, dafür mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten. Man fragt sich immer, was dieser Mensch eigentlich mit dem Produkt zu tun hat. Die breit angelegte öffentliche Identifikation mit der Person wird genutzt, um einen bestimmten Gedanken, der dahinter steckt, voranzubringen. ({0}) Ich empfehle Ihnen, sich einmal ins Internet zu begeben und einmal nachzulesen, was Roland Kaiser dort schreibt. Mir steht dies in der knapp bemessenen Fragestunde leider nicht zur Verfügung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine weitere Frage des Kollegen Kretschmer.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gesprochen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Ich dachte immer, dass das eine wirtschaftspolitische Frage ist; zumindest habe ich das während meines Studiums so gelesen. Dabei habe ich aber nicht erfahren, dass man Anzeigenkampagnen startet und dass es hilft, wenn Künstler und Gewerkschaftsleute daran mitwirken. Deswegen möchte ich Sie bezüglich der Länder, die in einer ähnlich schwierigen Situation waren wie Deutschland jetzt - nämlich Irland vor zehn bis 20 Jahren und Großbritannien -, fragen, ob Sie Kenntnis davon haben, dass man dort solche Anzeigenkampagnen mit Erfolg betrieben hat, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Waren es nicht vielmehr wirtschafts- und finanzpolitische Reformen, die diese Länder vorangebracht haben?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kretschmer, Sie müssen entschuldigen, aber es entzieht sich momentan meiner Kenntnis, was Sie studiert haben. Ich kann auch nicht beurteilen, wie intensiv Sie studiert haben und womit Sie sich befasst haben. ({0}) Bezogen auf die Frage davor habe ich nur versucht, die Motivation und die Grundlage deutlich zu machen. Wenn Sie sich in Ihrem Studium möglicherweise auch mit Marketingstrategien und Ähnlichem beschäftigt haben, dann wissen Sie, dass große Unternehmen sehr große Etats dafür aufwenden, um ein neues Produkt zu verkaufen oder einzuführen. ({1}) Man muss ein neues Produkt oder einen neuen Inhalt, den man vermitteln möchte, medial und öffentlichkeitswirksam darstellen. Nun sage ich Ihnen: Die Massenarbeitslosigkeit ist kein neues Produkt, aber sie ist ein Problem. Wenn man erreichen will, dass sich viele gesellschaftlich Handelnde mit diesem Problem auseinander setzen und sich engagieren, dann macht es doch großen Sinn, bekannte Menschen dafür zu gewinnen, sich in diesem Sinne zu verwenden und als Vorbild zu dienen. Genau das wird mit dieser Kampagne gemacht. Ich kann Ihnen sagen: Ich halte das für völlig richtig.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Fritz sollen schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Danke schön, Herr Präsident.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner zur Verfügung. Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Hinsken sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen dann zur Frage 15 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch: Trifft es zu, dass die Bundeswehr Forschungsprojekte mit Krankheitserregern, den Hasenpest-Bakterien, die gentechnisch gegen Antibiotika resistent gemacht werden, durchführt, und, wenn ja, welche Ziele werden mit solchen Forschungen verfolgt?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Im Rahmen der Beratung des Gentechnikgesetzes im Deutschen Bundestag hat sich das Bundesverteidigungsministerium bereit erklärt, den Verteidigungsausschuss über Forschungsvorhaben zu unterrichten, bei denen gentechnische Arbeitsmethoden angewandt werden. Die Gentechnikmeldung für das Jahr 2002 wurde mit Datum vom 20. März 2003 dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages vorgelegt. Das von Ihnen angesprochene Forschungsobjekt zu gentechnisch gegen Antibiotika resistent gemachten Erregern der Hasenpest, der so genannten Tularämie, wurde in dieser Meldung unter dem Namen „Diagnostik, Immunpathogenese, Prophylaxe und Epidemiologie der Tularämie“ genannt. Die Untersuchungen mit den Tularämieerregern sind von der Regierung von Oberbayern im Dezember 1998 genehmigt worden. In dem Bescheid sind die Antibiotikaresistenzen explizit erwähnt. Im Rahmen der Schutzforschung am Institut für Mikrobiologie der Sanitätsakademie werden Untersuchungen mit einem gentechnisch veränderten Impfstamm der Bakterienart Francisella tularensis, dem Erreger der Tularämie, der Hasenpest, durchgeführt. Ein externes Forschungsinstitut hatte diesem Bakterienstamm gentechnisch ein fluoreszierendes Eiweiß eingebaut, um ihn bei mikroskopischen Untersuchungen besser identifizieren zu können. Die so veränderten Bakterien sind gegenüber den unveränderten Tularämieerregern, die dieses Gen nicht aufweisen, im Nachteil, da für die Produktion des fluoreszierenden Eiweißes Energie aufgewendet werden muss. Daher würde dieses Gen im Laufe der Zellteilung verloren gehen. Um die fluoreszierende Eigenschaft in den veränderten Bakterien zu erhalten, werden üblicherweise zugleich mit dem Fremdgen Antibiotikaresistenzen eingebracht. Man gibt dann der Nährlösung ein Antibiotikum hinzu, durch das Bakterien, welche die fluoreszierende Eigenschaft und damit die Antibiotikaresistenz wieder verloren haben, sofort abgetötet werden, während Bakterien, welche die Fluoreszenz beibehalten haben, überleben. Die Untersuchungen wurden durchgeführt, um die krank machenden Eigenschaften dieser Bakterien besser zu verstehen und daraus neue Ansätze für verbesserte Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Trotz der eingebrachten Resistenz gegen zwei Antibiotika bleibt der Impfstamm gegen die für die Behandlung der Tularämie empfohlenen Standardantibiotika empfindlich. Der angesprochene gentechnisch veränderte Erreger f. tularensis ist ein so genannter Impfstamm und als B-Kampfstoff ungeeignet. Die Bundeswehr führt keine Arbeiten durch, mit denen potenzielle B-Kampfstoffe durch gentechnische Einführung einer Resistenz gegen Antibiotika waffentauglicher gemacht werden sollen. Die wehrmedizinische Forschung auf diesem Gebiet ist ausschließlich auf Prävention, Diagnostik, Behandlung und Bekämpfung von Krankheiten gerichtet, die durch potenzielle biologische Kampfmittel ausgelöst werden könnten. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich zudem nach den Pariser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom 23. Oktober 1954 und dem B-Waffen-Übereinkommen vom 10. April 1972, im Bundestag am 7. April 1983 ratifiziert, international dazu verpflichtet, sich in keiner Weise aktiv mit biologischen Waffen zu befassen. Darüber hinaus gibt es national im Kriegswaffenkontrollgesetz ein entsprechendes strafbewehrtes Verbot. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Herstellung von biologischen Waffen wurden und werden durch das Bundesverteidigungsministerium nicht vergeben, gefördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Solange trotz internationaler Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie Nichtverbreitung Potenziale an ABC-Waffen existieren und Kriegsparteien künftiger Konflikte Zugriff auf diese Waffen haben, besteht eine Bedrohung und das Risiko einer Exposition für Bundeswehrangehörige bei Konfliktbewältigungsmissionen. Die Bundeswehr muss deshalb dort, wo es dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, auch unter Zuhilfenahme gentechnischer Arbeitsmethoden auf dem Gebiet der B-Schutzforschung tätig sein. Eine rechtsstaatliche Ordnung mit genehmigenden und überwachenden Stellen, die Offenlegung und Diskussion der Forschungsprogramme in Fachkreisen und gegenüber dem Parlament sowie der völkerrechtlich verbindliche Verzicht Deutschlands auf ein aktives B-Waffen-Programm sind zusammen ein starker Garant gegen jede Form des Missbrauchs. Die Einhaltung der Bestimmungen des Gentechnikgesetzes wird überdies durch die Kontrollorgane der Länder kontinuierlich überwacht. Einen absoluten Schutz vor vorsätzlichem Missbrauch gentechnologischer Methoden kann es weltweit nicht geben. Dieses unvermeidliche Restrisiko ist in Deutschland durch ein Netzwerk an rechtsstaatlichen Maßnahmen als minimiert zu bewerten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun scheint mir alles klar zu sein. Haben Sie noch Zusatzfragen, Frau Lötzsch?

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Natürlich habe ich Zusatzfragen. - Zunächst einmal stelle ich fest, dass der Herr Staatssekretär versucht hat, sich sehr ausführlich mit den medizinischen Grundlagen zu befassen und diese auch vorzutragen. ({0}) Nun weiß jeder, dass Krankheitserreger besonders gefährlich sind, wenn sie gegen Antibiotika resistent sind, da die Antibiotika nicht mehr wirken. Welche Sicherheit kann die Bundesregierung geben, dass diese gefährlichen Krankheitserreger, gegen die keine Medikamente mehr wirken, in der Forschung nicht missbraucht werden?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Ich habe schon deutlich ausgeführt, dass wir nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz handeln und alle Vereinbarungen, die geschlossen worden sind, einhalten. Das erstreckt sich bis hin zur Kontrolle durch das Parlament. Viel mehr kann man eigentlich nicht kontrollieren. Missbrauch ist weltweit nicht auszuschließen. Wir haben in Deutschland in Zusammenarbeit mit den Ländern ein Netzwerk aufgebaut, das sicherstellt, dass ein Missbrauch nicht geschehen kann.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, bitte schön.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für sinnvoller, dass sich die Bundesregierung generell gegen die Biowaffenforschung einsetzt und versucht, international darauf hinzuwirken, dass keine Forschung für solche Waffen und solche gefährlichen Krankheitserreger betrieben wird, die zwar in Laboren unter Sicherheitsbedingungen gezüchtet werden, aber dennoch nicht vor Missbrauch gefeit sind? Wäre das nicht der bessere Weg?

Hans Georg Wagner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002406

Frau Kollegin, Sie unterstellen, die Bundesrepublik Deutschland würde solche Stoffe und B-Waffen herstelParl. Staatssekretär Hans Georg Wagner len. Das ist nicht der Fall. Hier soll versucht werden, den Soldaten, die Missionen in Ländern erfüllen, in denen solche Waffen eingesetzt werden könnten, Schutz vor Krankheiten zu bieten. Das ist unser Ansatz. Wir müssen auf alle Eventualitäten eingestellt sein, in welchen Einsätzen auch immer. Bei uns ist die Kontrolle bestens organisiert. Wir sind der Meinung, dass man zur Abwehr von Gefährdungen solche Forschungsvorhaben durchführen muss, um unsere Bundeswehrangehörigen zu schützen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Andreas Scheuer: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die neuen und vom Eisenbahn-Bundesamt, EBA, wegen der technischen Zulassung nicht abgenommenen Referenz-Achszähler zur Gleisfreimeldung noch im Schienennetz vorhanden sind?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Scheuer, wir werden jetzt mit den Ausführungen zu den Referenz-Achszählern nicht die Qualität der Ausführungen zu den Hasenpestbakterien halten können. Die in neuen Gleisanlagen installierten ReferenzAchszählpunkte entsprechen einer zugelassenen Bauart. Sie wurden im Vorgriff auf eine neue, noch in der Entwicklung stehende Auswertetechnik zusätzlich zur üblichen Gleisfreimeldetechnik eingebaut, jedoch nicht mit der Sicherungstechnik verbunden. Da die Entwicklung dieser neuen Auswertetechnik abgebrochen wurde, sind die Referenz-Achszählpunkte dauerhaft entbehrlich. Insofern waren die darauf entfallenen Investitionshilfen des Bundes zurückzufordern. Inwieweit die entbehrlichen und nicht mit der Sicherheitstechnik verbundenen Achszählpunkte noch im Gleisbereich vorhanden sind, ist der Bundesregierung nicht bekannt. Es ist eine unternehmerische Entscheidung der DB Netz AG, ob sie die nicht benötigten Achszählpunkte ausbaut und an anderer Stelle wieder verwendet.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Antwort befriedigt mich nicht ganz, weil es hier um sicherheitsrelevante Bauteile geht. Gestatten Sie mir eine Ausweitung meiner Frage: Gibt es nach Ihrer Kenntnis weitere Einrichtungen, Bauteile und Elemente im Schienensystem oder grundsätzlich bei der Bahn AG, die in Betrieb sind, jedoch nicht vom Eisenbahn-Bundesamt abgenommen wurden?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Wir hatten im Rechnungsprüfungsausschuss schon sehr häufig Gelegenheit, darüber zu sprechen. Sie wissen, dass das EBA dargelegt hat, ihm seien solche Maßnahmen nicht bekannt bzw. nicht von der DB angemeldet worden. Es geht in diesem Fall darum, dass zwar die Referenz-Achszählpunkte als solche, nicht aber ihr Einbau zugelassen war bzw. dass das EBA - wie von ihm im Rechnungsprüfungsausschuss dargelegt - keine Kenntnis davon hatte. Es geht aber - um weitere Missverständnisse zu vermeiden - in diesem Zusammenhang um eine Technik, die nicht zum Einsatz gekommen ist. Vielleicht muss ich an dieser Stelle etwas weiter ausholen. Die ReferenzAchszähler wurden eingesetzt, um zu zählen, ob die Gleise frei oder besetzt sind, und um den Datenabgleich effektiver und genauer zu machen. Insofern geht es in diesem Zusammenhang nicht um die bestehende Sicherheit, sondern um die Überprüfung der Sicherheit. Gegenwärtig gibt es Achszähler, bei denen die Störanfälligkeit bzw. die Störwahrscheinlichkeit so gering ist, dass eine automatische Fehlerkorrektur entbehrlich ist. Das heißt, in diesem Bereich hat ein technischer Fortschritt stattgefunden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage, Herr Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Bericht des Bundesrechnungshofs ist die Sicherheitsrelevanz der Achszähler festgestellt worden. Wir sollten uns jedoch nicht über einzelne Begriffe streiten. Vielleicht können Sie mir aber darüber Auskunft geben, welche zusätzlichen Auswirkungen die fehlerhaften Referenz-Achszählsysteme auf das gesamte System Deutsche Bahn AG haben.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz. Das kann auch damit zusammenhängen, dass Sie nicht verstehen wollen, dass diese Achszähler keine Sicherheitsrelevanz haben. ({0}) - Was der Rechnungshof in seinem Bericht schreibt, muss nicht unbedingt mit den Tatsachen übereinstimmen. Ich erkläre noch einmal, was Referenz-Achszähler sind: Dabei handelt es sich um ein zusätzliches Instrument. Damals - das ist übrigens schon lange her; wir reden nicht über die Gegenwart, sondern über die 90erJahre, als versucht worden ist, die zusätzlichen Referenz-Achszählpunkte einzurichten - gab es eine Kontrolle durch das Achszählsystem. Betriebswirtschaftlich war es für die DB Netz AG von Interesse, ihr System so fehlerfrei wie möglich zu gestalten. Zu diesem Zweck sollten die Achszählpunkte genutzt werden. Es hat sich aber als schwierig herausgestellt, sie mit der Software zu verbinden. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die ReferenzAchszähler keine Sicherheitsrelevanz haben. Sie haben vielmehr eine betriebswirtschaftliche Relevanz, weil mit ihrer Hilfe kein Personal mehr eingesetzt werden muss, um zu prüfen, ob ein Streckenabschnitt frei ist. Wenn jetzt bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstehen sollte, es handele sich um ein sehr unsicheres System, ist zu betonen, dass das keineswegs der Fall ist. Es geht darum, die Achsen zu zählen und zu prüfen, ob die Gleise frei sind. Das Referenz-Achszählsystem ist eingeführt worden, um die Methodik zu verfeinern, aber nicht aus Sicherheitsgründen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Scheuer: Welche Informationen hat die Bundesregierung über die unrechtmäßige Inanspruchnahme von Zuwendungen des Bundes durch die Deutsche Bahn AG, DB AG, und wie soll nach Ansicht der Bundesregierung diesbezüglich eine bessere Prüfung durch das EBA garantiert werden?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Zuwendungsnehmer bei Investitionen in die Schienenwege ist nicht die Deutsche Bahn AG. Zuwendungsnehmer sind vielmehr die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, nämlich die DB Netz AG, DB Station & Service AG und DB Energie GmbH. Über die Zuwendungen des Bundes für Investitionen in die Schienenwege schließt der Bund nach Maßgaben der §§ 9 und 11 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz Vereinbarungen mit seinen Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dabei stellt der Bund die zweckgerichtete Mittelverwendung sicher. Das Eisenbahn-Bundesamt führt Antrags- und Verwendungsprüfungen durch. Die Antragsprüfung ist eine 100-prozentige Prüfung. Sie umfasst alle Anträge auf finanzielle Baufreigabe. Das EBA stellt mit der Antragsprüfung die sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung sicher. Planungsfehler und sonstige Ursachen unrechtmäßiger Mittelverwendung verhindert das EBA damit weitgehend. Die Verwendungsprüfung des EBA ist eine Stichprobenprüfung, die sich auf alle vorhabenbezogenen Daten bis zu den zahlungsbegründenden Unterlagen einschließlich der Buchungsbelege und Kosteneinzelnachweise bezieht. Im Zuge der jährlichen Verwendungsprüfung prüft das EBA durchschnittlich 10 000 in der Regel sehr umfangreiche Belege. Darüber hinaus prüft der Bundesrechnungshof im Rahmen seiner Zuständigkeiten die Verwendung der Bundesmittel durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes. Die Rationalisierung der Prüfverfahren des EBA ist eine Aufgabe, die das Amt verantwortungsbewusst, zielgerichtet und in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie den Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes wahrnimmt. Dieser Prozess, den allen Beteiligten seit InKraft-Treten der Bahnreform im Jahre 1994 betreiben, zeigt Erfolge. So sind seit 1994 die durch Fehler bei der Mittelverwendung bedingten Rückforderungssummen des Bundes merklich zurückgegangen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage, Kollege Scheuer.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es bei einer Prüfquote bezüglich der Mittelverwendung von nur 25 Prozent eine Fehlerquote von rund 50 Prozent gibt? Das hat das EBA im Rechungsprüfungsausschuss eingeräumt. Was wird die Bundesregierung tun, um ohne zusätzlichen Personalaufwand beim EBA die Prüfquote zu verbessern?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Um die Prüfquote geht es hier sicherlich nicht, sondern um die Trefferquote. Dies hat das EBA im Rechungsprüfungsausschuss auch sehr deutlich gesagt. Sie müssen dem EBA zugestehen, dass es im Hinblick auf die Prüfung von Belegen über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügt. Von daher stimmt das, was Ihnen im Rechungsprüfungsausschuss gesagt wurde: Bei manchen Belegen wissen die Prüfer genau, dass sie wahrscheinlich keine Fehler finden, wenn sie sie richtig durchprüfen. Bei anderen Belegen wiederum erkennt ein erfahrener Prüfer, dass er nachprüfen muss. Insoweit richtet sich sicherlich auch Ihr Interesse auf die Trefferquote und nicht auf eine Prüfquote von 100 Prozent. Im Übrigen wurde im Rechungsprüfungsausschuss der Beschluss gefasst, zur Minimierung des Verwaltungsaufwandes solle das Bundesministerium verstärkt Regelungen mit den Zuwendungsempfängern vereinbaren, nach denen Verfahren Anwendung finden können, die Stichprobenprüfungen mit Fehler- und Rückforderungshochrechnungen verbinden. An diesen Beschluss des Rechungsprüfungsausschusses werden wir uns auch halten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sind die im Rechungsprüfungsausschuss besprochenen Rückforderungen aufgrund fehlerhafter Mittelverwendung aus den Jahren 1994 bis 2001 schon vollständig von der Bahn AG zurückgezahlt worden und, wenn nein, welche Rückforderungen stehen gegenwärtig noch aus?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich kann Ihnen keine Zahlen bis 2001, sondern nur bis 2000 nennen. Für den Zeitraum von 1994 bis 2000 sind es mit jährlich abnehmender Tendenz rund 1,79 Milliarden Euro. Ich hatte Ihnen seinerzeit schon gesagt, dass es anfangs ein bisschen problematisch war. Als nach der Bahnreform aus zwei Behörden eine AG wurde und für beide Seiten eine neue Situation entstand, waren die Rückforderungen über einige Jahre logischerweise etwas höher.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Die Fragen 18 und 19 sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen damit zur Frage 20 der Kollegin Kristina Köhler: Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass ein Anruf der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, genügte, um die DB AG dazu zu bewegen, das Gelände eines seit geraumer Zeit verwahrlosten Wiesbadener Güterbahnhofs zu reinigen, und die Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul sich laut „Wiesbadener Kurier“ vom 29. März 2003 „freut, dass sie schnell und unbürokratisch für den Reinigungseinsatz der Bahn sorgen konnte“, obwohl die DB AG zuvor auf gleich lautende Bitten Wiesbadener Kommunalpolitiker nicht reagiert hatte und obwohl es laut Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Angelika Mertens auf meine schriftliche Frage 154 in Bundestagsdrucksache 15/1164 der Bundesregierung nicht möglich sei, auf einzelne Geschäftsaktivitäten der DB AG, wie etwa die Säuberung bahneigener Grundstücke, Einfluss zu nehmen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Frau Kollegin Köhler, Frau Heidemarie WieczorekZeul hat sich nicht als Bundesministerin, sondern in ihrer Eigenschaft als örtliche, direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für die Sauberkeit eines Bahngeländes in Wiesbaden engagiert. Nachdem der Bundestagsabgeordneten mehrfach der verwahrloste Zustand des Geländes am ehemaligen Güterbahnhof West in Wiesbaden mitgeteilt worden war, hat sie sich Ende März 2003 direkt mit der Pressestelle der Deutschen Bahn AG in Verbindung gesetzt, ({0}) um erstens auf den untragbaren Zustand am ehemaligen Güterbahnhof in Wiesbaden hinzuweisen und zweitens auf den beträchtlichen Imageschaden für die Deutsche Bahn AG aufmerksam zu machen und um rasches Handeln zu bitten. Aufgrund dieser Aktivitäten der Bundestagsabgeordneten hat sich die Bahn offensichtlich entschlossen, Abhilfe zu schaffen und das entsprechende Gelände am ehemaligen Wiesbadener Güterbahnhof zu reinigen. Solche Wege und Möglichkeiten bieten sich allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und stehen ihnen auch gegenüber einem Unternehmen wie der Deutschen Bahn AG offen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wenn Frau Ministerin Wieczorek-Zeul dies als Bundestagsabgeordnete getan hat: Können Sie mir versichern, dass der betreffende Anruf nicht aus ihrem Ministerbüro, sondern aus ihrem Wahlkreisbüro in Wiesbaden erfolgte?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich denke, dass wir alle, die wir Regierungsmitglieder sind, sehr genau wissen, wo wir zu unterscheiden haben. Auch ich tue das. Diese Unterscheidung ist manchmal problematisch - das ist auch ortsabhängig -, insbesondere bei Telefonaten mit dem Handy. Das liegt in der Natur der Sache. Ich kann Ihnen das jedenfalls nicht bestätigen. Ich denke, das wäre Haarspalterei.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir dann vielleicht erklären, warum die Bahn nur auf die Bitte der Bundesministerin und nicht auf die Bitten und Anfragen anderer Wiesbadener Kommunalpolitiker reagiert hat?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich kann hier nicht für die DB AG sprechen. Sie sollten sich einfach mit der DB AG in Verbindung setzen und fragen, warum vielleicht Ihre Anfrage nicht bearbeitet wurde. Aber das ist Sache der DB AG, nicht meine.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 21 von Frau Köhler ({0}): Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, in derselben Weise auf die Nutzung und Sauberhaltung anderer Grundstücke der DB AG Einfluss zu nehmen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich verweise auf meine Antwort zu Frage 20. Ich glaube, dass auch Sie jetzt verstanden haben, worum es geht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es gibt keine Zusatzfragen mehr. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung. Die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Dr. Günter Krings sind zurückgezogen. Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Eckart von Klaeden auf: Trifft es zu, dass der Ermittlungsführer des Bundeskanzleramtes im disziplinaren Vorverfahren, Dr. Burkhard Hirsch, während seiner Vorermittlungen die Staatsanwälte beim Landgericht Bonn ins Vertrauen gezogen und ihnen zugesichert habe - Quelle: „Die Zeit“ 26/2003 vom 19. Juni 2003 -, sämtliche Erkenntnisse an sie weiterzuleiten?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, Pressemeldungen kommentiert die Bundesregierung grundsätzlich nicht. Richtig ist aber, dass die Staatsanwaltschaft Bonn, nachdem dort mehrere Strafanzeigen eingegangen waren, mit Schreiben vom 2. Februar 2000 ein Auskunftsersuchen an das Bundeskanzleramt gemäß § 161 StPO gerichtet hat. Mit Schreiben vom 24. Februar 2000 hat der Chef des Bundeskanzleramtes der Staatsanwaltschaft Bonn mitgeteilt, dass auch der zwischenzeitlich mit den disziplinarrechtlichen Vorermittlungen beauftragte Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard Hirsch für weitere Besprechungen zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund hat Dr. Hirsch den Sachverhalt mit der Staatsanwaltschaft Bonn erörtert. Dabei hat er auch, wie bei parallel laufenden disziplinar- und strafrechtlichen Verfahren üblich, die Übermittlung gegebenenfalls im disziplinarrechtlichen Verfahren bekannt werdender strafrechtsrelevanter Sachverhalte durch das Bundeskanzleramt zugesichert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind die Informationen, die Herr Hirsch an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat, mit dem Staatssekretär Steinmeier abgestimmt worden?

Not found (Gast)

Es hat bei dem von mir erwähnten Gespräch eine einführende Erörterung insbesondere seines Ermittlungsauftrags gegeben. Dieser Auftrag stammt, wie Sie sicherlich wissen, vom Chef des Bundeskanzleramtes. Es hat darüber hinaus auch unmittelbare Kontakte zwischen dem Amt und der Staatsanwaltschaft gegeben.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, mich interessiert, wie man vorgegangen ist. Hat Herr Hirsch die Protokolle, die er von seinen Zeugenvernehmungen angefertigt hat, unmittelbar an die Staatsanwaltschaft weitergegeben? Sind sie über den Schreibtisch des Staatssekretärs gewandert? Ist Herr Steinmeier über die Gespräche regelmäßig informiert gewesen? Inwieweit ist der Bundeskanzler einbezogen gewesen? Oder hat es nur „bilaterale“ Kontakte zwischen Herrn Hirsch und der Staatsanwaltschaft gegeben? Wie muss ich mir das Vorgehen vorstellen?

Not found (Gast)

Bis auf den ersten, von mir angesprochenen Vorgang dabei ist der Vorermittlungsauftrag erörtert worden; Herr Dr. Hirsch hat der Staatsanwaltschaft das Angebot gemacht, das Bundeskanzleramt jederzeit aufzusuchen, um dort weitere Gespräche zu führen; dazu kam es allerdings nicht - sind strafrechtlich relevante Ermittlungsergebnisse nicht unmittelbar von Herrn Dr. Hirsch weitergegeben worden; er hat über die - auch Ihnen bekannten Vorgänge berichtet, also über die Zuleitung der beiden entsprechenden Stellungnahmen und über die Einreichung der entsprechenden Anzeige aus dem Bundeskanzleramt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten von Klaeden: Welche Kontakte und auf welcher Rechtsgrundlage hat der Ermittler im disziplinaren Vorverfahren, Dr. Burkhard Hirsch, mit der Staatsanwaltschaft Bonn gehabt?

Not found (Gast)

Herr Kollege von Klaeden, neben den bereits beschriebenen Kontakten zur Staatsanwaltschaft Bonn im Rahmen des dortigen Auskunftsersuchens gemäß § 161 StPO wurde Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard Hirsch in seiner Eigenschaft als disziplinarrechtlicher Vorermittlungsführer im Bundeskanzleramt auch als Zeuge vernommen. Diese Zeugeneinvernahme erfolgte aufgrund der § § 48 ff. StPO.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat es also keinen regelmäßigen Kontakt in der Form gegeben, dass Herr Dr. Hirsch die Staatsanwaltschaft über seine Ermittlungsergebnisse im disziplinarrechtlichen Vorverfahren regelmäßig unterrichtet hat? Habe ich es richtig verstanden, dass diese beiden Stellungnahmen übergeben worden sind, dass dann seine Einvernahme als Zeuge stattgefunden hat und dass keine weiteren Kontakte stattgefunden haben?

Not found (Gast)

Es hat keine regelmäßigen Kontakte gegeben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Danke schön, Herr Staatsminister Schwanitz. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 26 des Kollegen Hartmut Koschyk auf: Über welche deutschen Sicherheitsbehörden nicht vorliegenden Informationen verfügen die französischen Sicherheitsbehörden über den in Paris festgenommenen Deutschen C. G., den die französischen Sicherheitsbehörden im Gegensatz zu den deutschen Sicherheitsbehörden für einen hohen Verantwortlichen der Terrorgruppe al-Qaida halten - vergleiche unter anderem „Süddeutsche Zeitung“ vom 13. Juni 2003: „Paris irritiert deutsche Terrorfahnder“ - und gibt es mittlerweile anstelle dieser unterschiedlichen Einschätzungen eine einheitliche deutsch-französische Gefahrenbewertung über C. G.?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Koschyk, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Im Zuge der Bekämpfung des internationalen TerrorisParl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper mus findet zwischen den deutschen und den französischen Sicherheitsbehörden auf allen Ebenen ein reger Informationsaustausch statt. Dies gilt in besonderer Weise für den die französische wie die deutsche Seite gleichermaßen betreffenden Ermittlungskomplex mit der Abkürzung „C. G.“. Auf der Grundlage von Rechtshilfeersuchen wurden umfängliche Informationen ausgetauscht, um einen gleichen Informations- und Kenntnisstand sicherzustellen. Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts erfolgt nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat am 16. Juni gemeldet, dass zwei Tage vor Herrn G. der Marokkaner Karim Mehdi auf dem Pariser Flughafen verhaftet worden ist und dass er gegenüber französischen Behörden C. G. ebenfalls dahin gehend schwer belastet habe, dass er einer der Organisatoren und Finanzierer eines geplanten Autobombenanschlags auf der französischen Insel La Réunion gewesen sei. War dieser Sachverhalt den deutschen Behörden bekannt, als sie ihm die Ausreise nach Saudi-Arabien gestattet haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, das von Ihnen genannte Zitat ist mir bekannt. Meines Wissens war das, was Sie angesprochen haben, vorher nicht bekannt. Der Betreffende hat sich so in dieser Form das erste Mal eingelassen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es nicht auffallend, dass nur deutsche Strafverfolgungsbehörden und andere Einrichtungen der deutschen Justiz C. G. hinsichtlich der Gefahr, die von ihm ausgeht, anders eingestuft haben, als es im Nachhinein französische Behörden getan haben, was zu seiner Verhaftung in Frankreich geführt hat? Ist es nicht darüber hinaus auffallend, dass der in Frankreich verhaftete Marokkaner Karim Mehdi genauso wie C. G. lange Zeit in Deutschland gelebt hat und dass auch er erst in Frankreich von französischen Behörden verhaftet worden ist? Muss man aus der Tatsache, dass in Frankreich Personen, die zum Umfeld des Terrornetzes al-Qaida gehören, verhaftet worden sind, nicht den Schluss ziehen, dass deutsche Behörden eine andere, weniger stringente Einschätzung hinsichtlich der Gefahren, die von diesen Personen ausgehen, vorgenommen haben?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Ich kenne den Komplex relativ gut, muss mir aber Zurückhaltung auferlegen, insbesondere was C. G. und Herrn Mehdi angeht. Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt, ist es nicht opportun, sich öffentlich darüber zu äußern. Wer Kenntnis von diesen Vorgängen hat, wird - dessen bin ich mir sicher - nicht zu den Schlussfolgerungen kommen, die Sie mit Ihrer Frage vielleicht zum Ausdruck gebracht haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Damit kommen wir zur Frage 27 des Kollegen Koschyk: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für ihren Verantwortungsbereich aus der Ankündigung der Länder, die Tarifverträge über Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst kündigen zu wollen, und hält sie beamtenrechtliche Regelungen im Vorgriff auf entsprechende Tarifeinigungen für vereinbar mit ihrer Zusage - Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU „Unterschiedliche Entwicklung der Bezahlung im öffentlichen Dienst“, Bundestagsdrucksache 15/1165 -, dass sie bei „Strukturveränderungen auf den bewährten Gleichklang zwischen Tarif und Besoldung achten und die notwendigen Reformen parallel voranbringen“ wird?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes haben sich im Januar dieses Jahres im Tarifabschluss von Potsdam darauf verständigt, das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes grundlegend neu zu gestalten. Verhandlungen, in denen auch das Weihnachts- und das Urlaubsgeld thematisiert werden, sind aufgenommen werden. Der Bund sieht deshalb derzeit keine Veranlassung, die Tarifverträge über das Weihnachts- und Urlaubsgeld zu kündigen. Die Bundesregierung hält daran fest, dass die Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Beamtinnen und Beamten im Grundsatz gleich gerichtet entwickelt werden sollten. Reformen werden daher systemkonform und wirkungsgleich erfolgen. Inhalts- und zeitgleiche Veränderungen sind wegen der systembedingten Unterschiede nicht immer möglich. Der bewegliche Gleichklang sorgt aber für gleichwertige Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für beide Statusgruppen und stärkt damit zugleich die Einheit des öffentlichen Dienstes.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen vom gestrigen Tag, so der „Frankfurter Rundschau“, zu, dass die Bundesregierung für die Bundesbeamten bereits 2004 das Urlaubsgeld streichen und das Weihnachtsgeld drastisch senken will, um so insgesamt 400 Millionen Euro einzusparen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, darüber ist noch nicht entschieden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zweite Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf meine erste Frage deutlich gemacht, dass sich die Bundesregierung weiter darum bemühen möchte, dass die Einkommen der Arbeiter und Angestellten im Bundesdienst auf der einen Seite und der Beamtinnen und Beamten des Bundes auf der anderen Seite nicht zu weit auseinander driften. Ist es nicht so, Herr Staatssekretär, dass die zeitverzögerte Übertragung des Tarifergebnisses für den öffentlichen Dienst auf die Beamtinnen und Beamten und die gegebenenfalls stattfindenden Kürzungen beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld im Jahre 2004 - solche Kürzungen kann die Bundesregierung nur für die Beamtinnen und Beamten, nicht aber für die Arbeiter und Angestellten vornehmen - dazu führen können, dass bereits im Jahre 2004 die Einkommen der Arbeiter und Angestellten im Bundesdienst sowie der Beamtinnen und Beamten im Bundesdienst erheblich auseinander driften?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Koschyk, wir beschäftigen uns noch in dieser Woche in erster Lesung mit dem Entwurf des Besoldungsanpassungsgesetzes, der die wirkungsgleiche Übernahme des Tarifergebnisses auf die Besoldung vorsieht. Sie wissen, welche Erhöhungsschritte in welcher zeitlichen Abfolge geplant sind. Da der Tarifvertrag auch einen so genannten Kompensationsteil enthält, hat sich die Bundesregierung entschlossen, bei der Anpassung eine Zeitverzögerung von drei Monaten einzubauen. Diese Maßnahme steht nicht zur Diskussion. Der Bundesrat hat am vergangenen Freitag beschlossen - Sie wissen es vielleicht -, dass auf die Verzögerung von drei Monaten eine weitere von drei Monaten gepackt werden kann. Die Bundesregierung wird diesem Anliegen nicht zustimmen und hat das in ihrer Gegenäußerung auch deutlich gemacht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank. Wir kommen zur Frage 28 der Kollegin Petra Pau: Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die Bundesregierung - vergleiche „Stern” vom 5. Juni 2003 über die politischen Aktivitäten des in Lübeck einsitzenden Rechtsterroristen Kay Diesner und der Zeitung „Lassaner Rundbrief“?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Pau, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Hinsichtlich der rechtsextremistischen Publikation „Lassaner Rundbrief“ liegen den Verfassungsschutzbehörden derzeit noch keine ins Einzelne gehenden Erkenntnisse vor. Die Überwachung der Außenkontakte eines Strafgefangenen, insbesondere der Besuche und des Schriftwechsels, ist in den §§ 27 ff. Strafvollzugsgesetz geregelt. Die Umsetzung der Überwachung obliegt den Landesjustizverwaltungen. Die Prüfung der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Lübeck wegen des Inhalts des veröffentlichten Interviews ist veranlasst worden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Erst einmal herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ein kleiner Hinweis zur genannten Publikation: Sie taucht im Verfassungsschutzbericht 2002 des Landes Mecklenburg-Vorpommern erstmals auf. Ist der Bundesregierung über die veranlasste Ermittlung hinaus bekannt, dass der Rechtsterrorist Diesner in der gewaltbereiten rechtsextremen Szene, insbesondere in den Ländern Brandenburg und Berlin, als Held und Vorbild gefeiert wird? Wie beurteilen Sie angesichts dieses Umstandes seine Aktivitäten, die jetzt durch den „Stern“ und andere Publikationen veröffentlicht wurden? Nach dem, was ich gelesen habe, handelt es sich dabei ja um direkte Aufforderungen zu Straftaten aus dem Gefängnis heraus.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, ich glaube, in der Bewertung dieser Aktivitäten sind wir einer Meinung; das bedarf hier nicht einer besonderen Erwähnung. Wie sich diese Aktivitäten aus dem Vollzug heraus entwickeln konnten, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis. Sie wissen, dass es im Strafvollzugsgesetz - das war keine Ausrede, sondern ich habe bewusst darauf verwiesen - ganz klare Regelungen gibt, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Das ist im Einzelnen geregelt. Ich kann es Ihnen gerne auch noch einmal zukommen lassen. ({0}) Ich erlaube mir allerdings auch den Hinweis, dass die Überwachung den jeweiligen Landesjustizverwaltungen obliegt. Da muss auch noch einmal nachgeschaut werden; denn ich stimme mit Ihnen überein, diese Aktivitäten sind verabscheuungswürdig.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage?

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Nein, keine weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dann rufe ich die Frage 29 der Kollegin Pau auf: Wie viele Menschen aus der Demokratischen Republik Kongo haben seit Anfang 2000 bis heute in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt und wie vielen Menschen wurde - bitte nach Jahren aufschlüsseln - Asyl gewährt?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Kollegin Pau, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellten im Jahre 2000 insgesamt 1 411, im Jahre 2001 insgesamt 1 174 und im Jahre 2002 insgesamt 1 349 Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo Asylanträge. Vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2003 beantragten insgesamt 437 Personen aus der Demokratischen Republik Kongo Asyl. Von den Antragstellern aus der Demokratischen Republik Kongo wurden im Jahre 2000 insgesamt 25 Personen als Asylberechtigte anerkannt, im Jahre 2001 waren es 51 und im Jahre 2002 25. Weiteren 42 Personen wurde Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 Ausländergesetz gewährt, im Jahre 2001 waren es 62 und im Jahre 2002 89. Vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2003 wurde bei Antragstellern aus der Demokratischen Republik Kongo in 16 Fällen ein Anspruch auf Asyl anerkannt und in sechs Fällen Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 Ausländergesetz gewährt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage? - Bitte schön.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Besteht gegenwärtig ein Abschiebestopp für Asylbewerber aus dem Kongo? In dem Zusammenhang würde mich auch interessieren, wann letztmalig ein Mensch aus der Bundesrepublik in den Kongo abgeschoben wurde.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Es gibt keinen Abschiebestopp, es ist derzeit auch kein Abschiebestopp beantragt. Ihre Frage bezüglich der Abschiebungen kann ich dahingehend beantworten, dass im Jahre 2000 133, im Jahre 2001 55 und im Jahre 2002 75 Menschen abgeschoben wurden. Sie wissen, dass für Abschiebungen die Länder zuständig sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ist denn die Bundesregierung bereit oder denkt sie darüber nach, angesichts der in zwei Parlamentsdebatten besprochenen und auch in der Öffentlichkeit hinlänglich bekannten Lage in der Republik Kongo erst einmal einen Abschiebestopp auszusprechen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Nein, die Bundesregierung denkt derzeit nicht konkret über einen Abschiebestopp nach. Man muss erst die weitere Entwicklung abwarten, bevor darüber entschieden werden kann, ob einem solchen Gedanken näher zu treten ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage von Frau Kollegin Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Staatssekretär, wir haben, wie meine Kollegin Pau schon beschrieben hat, hier in zwei Sitzungen mehr oder weniger ausführlich über die Situation in der Republik Kongo beraten und dazu die Meinungen ausgetauscht. Insbesondere die Bundesregierung, aber auch alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich zu der schwierigen Situation dort geäußert. Die Menschenrechtsverletzungen und die Gefährdungen für Leib und Leben wurden ausführlich und in einheitlicher Auffassung dargestellt. Welchen Grund hat also die Bundesregierung, über einen Abschiebestopp in diesem Zusammenhang überhaupt nicht nachzudenken?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Dass wir überhaupt nicht darüber nachdenken, stimmt so nicht; das ist auch eine ganz andere Frage. ({0}) Ich wurde gefragt, ob die Entscheidung über einen Abschiebestopp ansteht. Diese Frage habe ich klar verneint, weil uns die derzeitige Situation in diesem großen Lande nicht zu diesem Schluss kommen lässt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung. Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Helmut Heiderich auf: Hat die Bundesregierung die im Rahmen der Beschlussfassung zur gemeinsamen europäischen Zinsbesteuerung - Rat der Finanzminister vom 3. Juni 2003 in Luxemburg - mit ihrer Zustimmung gefundene Lösung zum „italienischen Milchquotenproblem“ als faktische europäische Rechtslage anerkannt und ist sie bereit, diese Lösung auch in der Bundesrepublik Deutschland entsprechend rückwirkend anzuwenden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Heiderich, die Antwort auf Ihre Frage lautet Nein. Nun will ich es aber dabei nicht bewenden lassen, sondern Ihnen ergänzend Folgendes mitteilen: Die Rechtslage hat sich durch die der italienischen Regierung erteilte Genehmigung einer nationalen Beihilfe zur Lösung des italienischen Milchquotenproblems nicht geändert, auch nicht, wie Sie schreiben, „faktisch“. Nach wie vor sind alle Milcherzeuger der EU, die zur Überlieferung der nationalen Quote beitragen, nach den geltenden EU-Rechtsvorschriften über die Milchquotenregelung verpflichtet, Strafabgaben zu zahlen, die an den EU-Haushalt abzuführen sind. Dieses geltende EU-Recht wird durch die gefundene Lösung nicht infrage gestellt. Die im Ecofin-Rat am 3. Juni gefundene Lösung sieht vor, dass die italienischen Milcherzeuger die Abgabe vollständig nachzuzahlen haben, allerdings in Raten gestreckt und - darin besteht das Beihilfeelement - über einen Zeitraum von bis zu 14 Jahren zinslos. Die ursprüngliche, von der italienischen Regierung angestrebte Beihilferegelung sah dagegen etwas völlig anderes vor, nämlich für die Milcherzeuger einen 75-prozentigen Erlass der Strafabgaben, die der italienische Staat übernehmen und an die EU abführen wollte. Damit konnte sich der Rat nicht einverstanden erklären und hat das auch nicht getan. Für eine Übertragung der italienischen Beihilferegelung auf Deutschland besteht kein Anlass, zumal in Deutschland keine Abgaben ausstehen. Die Strafabgaben sind von der Zollverwaltung stets fristgerecht für die EU erhoben worden. Für das Ratsprotokoll des Ecofin hat es eine Erklärung gegeben. In dieser stellen Rat und Kommission ausdrücklich fest, dass die vorliegende Entscheidung durch das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gerechtfertigt ist. Mit der Entscheidung wird das Ziel verfolgt, die in der Vergangenheit in Italien bei der Anwendung der Zusatzabgabe aufgetretenen Probleme endgültig zu regeln; die Entscheidung kann somit - im Falle eventueller künftiger Schwierigkeiten bei der Beitreibung dieser Abgabe in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat - nicht als Präzedenzfall herangezogen werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Heiderich? - Bitte schön.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in der Entscheidung des EcofinRates - Sie haben es eben ausgeführt - ist über die so genannten Strafabgaben entschieden worden. Nun ist es in Deutschland üblich, dass neben den zurückzuzahlenden Abgaben strafrechtliche Verfahren gegen die Betroffenen eingeleitet werden. Habe ich die Entscheidung richtig verstanden, dass bei den italienischen Milchbauern von strafrechtlichen Konsequenzen abgesehen wird und keine entsprechenden Verfahren gegen die Bauern eingeleitet werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich habe Ihnen dargelegt, dass sich durch diese Entscheidung nichts an der europäischen Rechtslage geändert hat. Deswegen ist das geltende Recht anzuwenden - auch in Italien.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Anwendung des geltenden Rechts würde ja bedeuten, dass in Italien ein Verstoß gegen europäisches Subventionsrecht zu ahnden ist und dass darüber hinaus strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind. Ich habe im Zusammenhang mit dieser Entscheidung nirgendwo davon gehört, dass strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Es ist also offensichtlich, dass eine Strafverfolgung gemäß dem Subventionsrecht nach diesem Ecofin-Beschluss nicht stattfindet.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich möchte das nicht unterstellen. Ich biete Ihnen an, dass ich über unsere Europaabteilung entsprechende Recherchen anstellen lasse und Sie über das Ergebnis unterrichte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Helmut Heiderich auf: Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, die - im Gegensatz zur italienischen Regierung, welche ihren Landwirten trotz bewusster Überlieferung der nationalen Milchquote auch noch die Rückzahlung der zu Unrecht ausgezahlten Gelder an die EU-Kommission finanziert hat; vergleiche „Frankfurter Rundschau“ vom 3. Juni 2003 - vom Bundesminister der Finanzen zusätzlich betriebenen Strafverfahren gegen deutsche Landwirte vor diesem Hintergrund einzustellen bzw. zurückzunehmen, zumal die einheimischen Milchbauern keine Überlieferung der nationalen Milchquote verursacht hatten, sondern nur zeitweise ungenutzte Quoten benachbarter Bundesländer beliefert hatten?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die von Ihnen angesprochenen Strafverfahren in Deutschland sind vor folgendem Hintergrund zu sehen: Von 1990 bis 2000 existierten sowohl im EU- als auch im nationalen Recht Sonderregelungen für die neuen Bundesländer bezüglich der nationalen Milchquoten. Die für die neuen Bundesländer bestehenden Quoten waren an eine ausschließliche Nutzung in den neuen Ländern gebunden. Damit wurde politisch bezweckt, dass durch die Milchquotenregelung die Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Ländern nicht beeinträchtigt wird. Falls die Betriebe in den neuen Bundesländern ihre Gesamtquote nicht ausnutzten, konnten Überproduktionen in den alten Bundesländern mit solchen Unterproduktionen der neuen Länder saldiert werden. Dies hatte zur Folge, dass für die Überlieferer in den alten Ländern keine Abgaben entstanden. Ab den Milchwirtschaftsjahren 1996/97 hatte jedoch die Überproduktion in den alten Ländern einen solch hohen Stand erreicht, dass trotz Saldierung die Zusatzabgabe fällig wurde. Einige Landwirte der alten Länder gingen deshalb mit zum Teil erheblicher - man könnte sogar sagen: mit krimineller - Energie durch gefälschte Pachtverträge, unrichtige Milchabrechnungen und falsche Steueranmeldungen dazu über, eine Milcherzeugung in den neuen Bundesländern vorzutäuschen. Dieser Sachverhalt kann den Tatbestand der SteuerhinterzieParl. Staatssekretär Karl Diller hung gemäß dem nationalen Abgaberecht erfüllen und ist von Amts wegen zu verfolgen. Es trifft also nicht zu, dass es in diesen Fällen keine Überlieferung der deutschen Gesamtquote gegeben hat. Hier wollten sich vielmehr einzelne Landwirte einen besonderen Vorteil zulasten anderer Landwirte verschaffen. Im Übrigen ist das Bundesministerium der Finanzen nicht Herr der Ermittlungsverfahren, sondern dies sind die örtlichen Staatsanwaltschaften als Strafverfolgungsorgan. Einen inneren Zusammenhang zwischen der mangelhaften Umsetzung der EU-Milchquotenregelung in Italien und der von Ihnen angesprochenen nationalen Strafverfolgung bei Steuerhinterziehung können wir nicht erkennen. Vor diesem Hintergrund besteht auch keinesfalls die Absicht, eingeleitete Strafverfahren amnestiemäßig einzustellen oder Abgabenbescheide zurückzunehmen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, bitte schön.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben deutlich gemacht, dass es über einen gewissen Zeitraum einen Lieferausgleich zwischen alten und neuen Bundesländern gegeben hat. Es ist in der Tat so, dass die Einzugsgebiete einiger Molkereien sowohl in den alten wie auch in den neuen Bundesländern liegen und dass es somit Anlieferungen aus mehreren Bundesländern gibt. Soweit mir bekannt ist, gibt es Verfahren, die diese Situation berücksichtigen. Halten Sie es unter diesen Voraussetzungen und angesichts dessen, was auf europäischer Ebene in Bezug auf die italienischen Milchbauern entschieden worden ist, wirklich für gerechtfertigt, dass man in Deutschland Strafverfahren einleitet, während man in Italien eine zinslose Stundung der Rückzahlung von zu viel bezahlten Beträgen vereinbart? Ich bin der Auffassung, dass den Bürgern die Tatsache, dass die Verfahrenspraxis in zwei europäischen Ländern derart weit auseinander liegt, sehr schwer zu vermitteln ist.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich habe Ihnen dargestellt, dass wir keine Vergleichbarkeit sehen. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaften sehr genau hinschauen werden, wie diese Überproduktion zustande gekommen ist.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf eine letzte Frage anschließen: Sie haben vorhin erklärt, dass die Entscheidung des Ecofin kein Präzedenzfall für die zukünftige Entwicklung sei. Ist dies auch so zu verstehen, dass sie nicht als Präzedenzfall für alle bisherigen Entscheidungen herangezogen werden soll?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die Entscheidung des Ecofin besagt, dass geltendes Recht anzuwenden ist und weiterhin anzuwenden sein wird und dass mit Bezug auf die in Italien gefundene Lösung kein Präzedenzfall - weder für laufende noch für künftige Verfahren - geschaffen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Frage 32 des Kollegen Börnsen wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Braun auf: Werden die Haushalte der großen Forschungsinstitutionen ab dem Bundeshaushalt 2004 vor dem Hintergrund der aktuellen Steuerschätzung und wiederholter Einsparbegehren des Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, im Etat für Bildung und Forschung jährlich verlässlich um 3 Prozent erhöht werden, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 ankündigte?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Braun, die Haushaltsaufstellung ist noch nicht abgeschlossen. Diese Woche wird es so weit sein. Die Behandlung des Entwurfs des Bundeshaushaltes 2004 und des Finanzplans 2003 bis 2007 im Bundeskabinett ist nämlich für den 2. Juli, also für Mittwoch nächster Woche, vorgesehen. Bundesminister Eichel plant, im Haushaltsentwurf und im Entwurf des Finanzplans die Haushalte der großen Forschungsinstitutionen in den nächsten Jahren jährlich um 3 Prozent zu erhöhen. Der Regierungsentwurf wird Ihnen als Parlament im Sommer dieses Jahres zugeleitet und dann im Herbst beraten. Damit stehen natürlich alle Ansätze des Regierungsentwurfs 2004 noch unter Parlamentsvorbehalt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Braun.

Prof. Dr. Helge Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003510, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage hat natürlich einen Hintergrund: Die großen Forschungsorganisationen brauchen Planungssicherheit. Die Bundesregierung hat im November des vergangenen Jahres kurzfristig die Zusage der dreiprozentigen Erhöhung aufgekündigt. Kann sich die Bundesregierung, um wieder Vertrauen zu schaffen, vorstellen, in Zukunft die Aufwüchse bei den großen Forschungsorganisationen durch langfristige Verträge sicherzustellen? ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Braun, ich habe Ihnen gerade gesagt, dass wir nicht nur einen Beschluss bezüglich des Aufwuchses in 2004, sondern auch bezüglich der mittelfristigen Finanzplanung fassen. Damit ist natürlich für die Empfänger Planungssicherheit im Rahmen des Verantwortbaren gegeben. Im Übrigen ist es so: Haushaltsrecht ist Jahresrecht. Von daher unterliegt es dem Prinzip der Jährlichkeit und der Entscheidung des Parlamentes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Helge Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003510, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wird die Bundesregierung die geplanten Aufwüchse durch Gegenfinanzierungen aus dem Einzelplan 30, Bildung und Forschung, realisieren oder plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Innovationsschwäche in Deutschland, den gesamten Bereich Forschung und Entwicklung im kommenden Haushalt mit mehr Mitteln zu versehen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Der Plafond für das Haus wird so gestaltet, dass die 3 Prozent darstellbar sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Michael Kretschmer auf: In welchem Maß beabsichtigt die Bundesregierung durch ihre Vorschläge zur Neugestaltung der europäischen Strukturpolitik nach 2006 - Eckpunkte der Bundesregierung für die EU-Strukturpolitik nach 2006 -, nationale Handlungsspielräume in der Regionalpolitik zu erweitern bzw. zurückzugewinnen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Kretschmer, die Bundesregierung spricht sich in dem von Ihnen erwähnten Eckpunktepapier für einen ausreichenden beihilferechtlichen Spielraum für die nationale Strukturpolitik in Deutschland aus. Wir setzen uns dafür ein, dass die Förderintensitäten der nationalen Regionalförderung auf europäischer Ebene nicht automatisch auf den Ziel-1-Status bestimmt werden. Insbesondere müssen Gebiete - dies ist unsere Auffassung -, die ihren Ziel-1-Status verlieren, weiterhin mit nationalen Mitteln zielführend gefördert werden können, wenn sie im nationalen Vergleich strukturschwach sind. Darüber hinaus hat der Bund in Kenntnis der anstehenden Entscheidungen auf europäischer Ebene schon im Solidarpakt II - daran möchte ich erinnern - den nationalen Handlungsspielraum der neuen Länder gestärkt. Zum einen stellen wir zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft Sonderbedarfsergänzungszuweisungen in Höhe von insgesamt rund 105 Milliarden Euro bis einschließlich 2019 zur Verfügung. Ihr Heimatland Sachsen erhält beispielsweise in diesem Zeitraum rund 27 Milliarden Euro. Zum anderen hat sich der Bund verpflichtet, über die Laufzeit des Solidarpakts II überproportionale Leistungen in einer Zielgröße von rund 51 Milliarden Euro in den neuen Ländern einzusetzen. Schwerpunkte sind Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur und der Beschäftigungslage sowie zum Ausbau der Verkehrswege des Bundes in den neuen Ländern.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir haben gerade über die Grenzland- und Ziel-1-Förderung gesprochen. Das ist jetzt nicht unser Thema, sondern hier geht es um die Strukturpolitik der Europäischen Union von 2006 bis 2014. Sie haben ausgeführt, dass Sie mehr Handlungsspielraum auf nationaler Ebene haben möchten. Mir ist jedoch nicht deutlich geworden, wie die Verhandlungsposition der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission in der Frage sein wird. Wie könnte sie konkret aussehen? Es gibt verschiedene Ansätze, zum Beispiel das Konzentrationsmodell oder das Nettofondsmodell. Was vertritt die Bundesregierung?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, das ist in dem Eckpunktepapier, das Ihnen bekannt sein muss, da Sie sich in Ihrer Frage darauf beziehen, niedergelegt. Ich selbst habe kürzlich für das Finanzministerium an einem informellen Rat des Ecofin, also an einem Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der EU der 15, einschließlich der Europaminister und der Beitrittsländer, in Griechenland teilgenommen. Dort wurden unter der griechischen Präsidentschaft die unterschiedlichen Vorstellungen informell zusammengefasst. Deutschland hat durch mich klar gemacht, dass wir solche nationalen Möglichkeiten behalten wollen, um - auch wenn es sich nicht mehr um offizielles Ziel-1-Gebiet handelt - mit nationalen Mitteln helfen zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bundesminister Clement hat sich in einer Ausschusssitzung sehr erregt dazu geäußert, dass die neuen Bundesländer mit der EU-Kommission, mit Herrn Barnier, Verhandlungen geführt und erreicht haben, dass sich zumindest die EU-Kommission dafür ausspricht, dass weiterhin Ziel-1-Fördermittel in großem Umfang in die neuen Bundesländer fließen sollen. Wir halten das für richtig, weil wir die wirtschaftliche Situation und den Anpassungsprozess sehen und wissen, dass ohne dieses Geld all das gefährdet werden würde, was bisher in den wirtschaftlichen Aufschwung investiert wurde. Wie ist die Position der Bundesregierung zu diesem Thema?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, es geht im Wesentlichen um die Frage des statistischen Effektes. Dieser ist Gegenstand Ihrer zweiten Frage. Daher würde ich vorschlagen, Herr Präsident, dass Sie diese Frage jetzt aufrufen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Offenkundig ist auch der Fragesteller damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Michael Kretschmer auf: Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung von den von ihr angestrebten Übergangsregelungen für die Ziel-1-Fördergebiete - Regionen mit einem erheblichen Entwicklungsrückstand - in Deutschland, welche nach 2006 die europäische Ziel-1-Förderung verlieren werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Die Europäische Kommission wird Ende dieses Jahres erste Vorstellungen über eine zukünftige europäische Strukturpolitik in einem dritten Kohäsionsbericht darlegen. Im Laufe des nächsten Jahres wird sie die Verordnungsentwürfe vorstellen, in denen auch Vorschläge für mögliche Übergangsregelungen enthalten sein dürften. Auf dieser Grundlage werden die Verhandlungen geführt. Die Bundesregierung wird sich hierbei für faire Übergangsregelungen einsetzen, um sicherzustellen, dass die erreichten Fördererfolge nicht infrage gestellt werden. Dies deckt sich mit der Intention Ihrer Frage. Auch setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die neuen Länder im Rahmen der 2007 notwendig werdenden Neuordnung der EU-Strukturfonds so behandelt werden wie andere vergleichbare Regionen in der EU der 15. Dies gilt auch im Hinblick auf etwaige Übergangsregelungen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie werden verstehen, dass ich als Abgeordneter mehr wissen möchte, als ich am Biertisch erfahren kann. Die Antwort, die Sie gegeben haben, ist völlig unbefriedigend. Ich habe eine ganz klare Frage: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die neuen Bundesländer die 20 Milliarden Euro, die in der Diskussion stehen, tatsächlich benötigen - auf welchem Weg auch immer: durch nationale Kompensation oder über Europa?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege, ich kann Ihnen im Moment nicht sagen, wie sich die Forderung nach 20 Milliarden Euro zusammensetzt und wie begründet sie ist. Wir werden jedenfalls dafür eintreten, dass die entsprechenden Regionen der neuen Bundesländer, sollten sie durch den statistischen Effekt aus der Förderung herausfallen, nicht von heute auf morgen sozusagen völlig abgeschnitten sind. Auf dem von mir eben erwähnten informellen Treffen, das unter griechischem Vorsitz in Griechenland stattfand, ist von den meisten Mitgliedstaaten die Erwartung zum Ausdruck gebracht worden, dass eine solche Übergangshilfe gewährt wird. Welches Volumen sie haben wird, wird sich dann zeigen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine letzte Zusatzfrage.

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Übergangsfrist ist aus Ihrer Sicht für diese Regionen angemessen und welcher Prozentsatz der bisherigen Ziel-1-Förderung wäre Ihrer Meinung nach anzustreben?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Das muss auf Grundlage des dritten Kohäsionsberichts der Kommission sicherlich noch sehr sorgfältig besprochen und beraten werden. Über dieses Thema wird es dann wieder Diskussionsrunden mit den Regierungschefs der neuen Bundesländer geben. Einige Mitgliedstaaten haben auf dem informellen Treffen die Erwartung geäußert, dass eine solche Übergangsregelung höchstens drei Jahre dauern kann. Das allerdings versehe ich mit einem dicken Fragezeichen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Michelbach auf: Wie gedenkt die Bundesregierung das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform auf den 1. Januar 2004 gegebenenfalls zu finanzieren?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Michelbach, über das Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 wird das Kabinett im Zusammenhang mit den Beratungen des Bundeshaushalts 2004 und des Finanzplanes bis 2007 beraten. Den Ergebnissen der Kabinettssitzung vermag ich nicht vorzugreifen. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass mein Minister schon in der letzten Woche auf einer Pressekonferenz deutlich gemacht hat, dass als Grundlage für ein mögliches Vorziehen Bedingungen erfüllt werden müssten: Aufstellung eines verfassungsgemäßen Haushalts 2004, Umsetzung der Agenda 2010 und eine Finanzierung durch weitere deutliche Fortschritte beim Subventionsabbau, sowohl auf der Einnahmeseite wie auch auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, kann man aus Ihren Ausführungen schließen, dass Sie zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und zur Kompensation der Finanzierung, die für Bund und Länder insgesamt etwa 16 Milliarden Euro ausmachen würde, auch weitere Steuererhöhungen vorsehen? Wie könnten diese Steuererhöhungen aussehen? Sollen diese deckungsgleich sein zu denen im Steuervergünstigungsabbaugesetz, das im Bundesrat blockiert, gestoppt wurde? ({0}) - Das haben wir gerne gemacht.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich möchte an etwas erinnern, auf das ich schon in der letzten Aktuellen Stunde hingewiesen habe: Es geht nicht, Subventionsabbau zwar zu fordern, aber immer dann, wenn es für die Betroffenen konkret wird, von Steuererhöhung zu reden. Ein Streichen von Subventionen auf der Ausgabenseite bedeutet, dass weniger Geldmittel aus der Kasse der Steuerzahler genommen werden. ({0}) Ich bitte Sie zunächst einmal, diesen Bereich nicht zu diffamieren. Dies sei nur nebenbei bemerkt. Ihre Frage bezieht sich auf den dritten oder vierten Schritt. Wir beschäftigen uns zunächst einmal mit dem ersten Schritt, nämlich damit, ob die Steuersenkungsstufe 2005 auf 2004 vorgezogen wird. Diese Entscheidung muss zunächst einmal gefällt werden. Dann gilt das, was ich vorhin ausgeführt habe: Der Subventionsabbau soll nach Möglichkeit auf der Einnahme- und Ausgabenseite erfolgen. Ich bitte Sie, den Subventionsabbau auf der Einnahmeseite nicht als Steuererhöhung zu diffamieren. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zweite Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie meine Ansicht teilen, dass es sich bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und einer Veränderung bei den Abschreibungen nicht um den Abbau von Subventionen handelt, weil beides eher dem wirtschaftlichen Werteverzehr entspricht? Können Sie meine Ansicht teilen, dass einige Punkte, die im Steuervergünstigungsabbaugesetz enthalten waren - ich nenne als Stichworte Mindeststeuer und Einschränkung des Verlustausgleichs -, mit den Abbau von Subventionen nichts zu tun haben, weil eine normale Gewinnermittlung und Bilanzierung erforderlich ist, um eine Substanzbesteuerung in den Betrieben zu vermeiden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Michelbach, es macht keinen Sinn, einen Gedankenaustausch darüber zu führen, da sich diese Fragen im Moment nicht stellen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage. - Bitte schön.

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Michelbach auf die Presseerklärung und die Festschreibung des BMF Bezug genommen, dass über das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform erst entschieden werden kann, wenn die Agenda 2010 umgesetzt worden ist. Können Sie mir dabei helfen, wie ich mir vorstellen muss, wie der Zeitpunkt festgelegt wird? Heißt das, wenn alle Punkte der Agenda 2010 im Gesetzblatt stehen? Dann könnten wir eine Stellungnahme vonseiten des BMF dazu erst am Ende des Jahres erwarten.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich gehe davon aus, dass sich das Kabinett in seiner Sitzung am Wochenende auch über diese Frage unterhalten und Entscheidungen treffen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zusatzfrage. Bitte schön.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, haben Sie aus der Frage des Kollegen Michelbach und aus Äußerungen, die von anderen Kollegen aus der Union in den letzten Wochen zu diesen Grundfragen der Finanzpolitik gemacht worden sind, erkennen können, dass die Union weiß, was sie will? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie könnten sagen, der Willensbildungsprozess der Bundesregierung hierzu sei noch nicht abgeschlossen.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich verfolge das als Abgeordneter wie auch als Staatssekretär. Es ist schwierig. Ich habe beispielsweise aktuell gelesen, dass Ihr Fraktionskollege und Obmann im Haushaltsausschuss der Auffassung ist, man solle PrivaParl. Staatssekretär Karl Diller tisierungserlöse zur Finanzierung des Vorziehens dieser Steuerreformstufe - damit geht eine Steuersenkung einher - heranziehen. Welche Privatisierungserlöse er damit meint, hat er aber nicht gesagt. Es müssten allerdings ganz erhebliche sein. ({0}) Herr Kollege Spiller, um die Antwort auf Ihre Frage abzuschließen: Jeder sagt etwas anderes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun die Frage 37 des Abgeordneten Hans Michelbach auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die Finanzierung durch Subventionsabbau vorzunehmen, und, falls ja, welche Subventionen sollen konkret abgebaut werden?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Michelbach, anlässlich seiner Pressekonferenz hat der Bundesminister deutlich gemacht, dass ein Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 nur bei einem weiteren einschneidenden Subventionsabbau erfolgen kann. Entscheidungen darüber, welche Subventionen konkret abgebaut werden sollen, wurden bisher nicht getroffen. Das wird Gegenstand der Kabinettsbefassung am Wochenende sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie zur Kenntnis nehmen, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Entschließungsantrag eingebracht hat, in dem das Vorziehen der Steuerreform auf den 1. Januar 2004 klar bejaht wird, und in dem mit der Voraussetzung, dass es dadurch zu keinen weiteren Steuererhöhungen kommt, eine klare und definitive Grundlage für das Vorziehen geschaffen wird? ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Michelbach, es ist zwar unhöflich, aber dennoch muss ich Sie um Klarheit bitten: Wie lautet der Finanzierungsvorschlag Ihrer Fraktion in diesem Antrag?

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir haben hier keine Parlamentsbefragung, sondern sind in der Regierungsbefragung. Ich kann Ihnen die Antwort auf Ihre Frage geben: Die Gegenfinanzierung wurde schon bei der Steuerreform 2000 durchgeführt. Sehen Sie sich einmal die Einnahmen an, wie sie aus der Einkommensteuerstatistik und der Maischätzung ersichtlich sind. Im Jahr 2001, im Entstehungsjahr, lagen die Einnahmen bei 132 Milliarden Euro, im Jahr 2004 werden sie bei 136 Milliarden Euro liegen. Wir haben trotz Einberechnung der Steuerreform keine niedrigere, sondern eine höhere Belastung der Steuerzahler. Das zeigt - das ist ganz klar -, dass eine Gegenfinanzierung schon stattgefunden hat und nicht noch einmal stattfinden muss, wie Sie oder der Bundesfinanzminister angedacht haben.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Michelbach, sind Sie sicher - - Nein, jetzt muss ich Ihnen wirklich antworten: Ich bin mir aufgrund der vielen Gespräche, die ich mit den Finanzministern der CDU-regierten Bundesländer geführt habe, sicher, dass sie ihre Einschätzung überhaupt nicht teilen. Sie stehen vor dem gleichen Problem wie auch der Bundesfinanzminister. Ein Vorziehen der Steuersenkungsstufe 2005 auf das Jahr 2004 würde in ihren Haushalten riesige Probleme auslösen, die gelöst werden müssten. Dies ist mit Ihrem Verweis nicht möglich. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe nun die Frage 38 des Abgeordneten Christoph Bergner auf: Was ist das Ergebnis der Auswertung der Unterlagen - vergleiche Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz, Dr. Hansjörg Geiger, auf die Schriftliche Frage 8 der Abgeordneten Andrea Voßhoff vom 23. Juli 2001 in Bundestagsdrucksache 14/6758 -, die den Anwälten der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts als Kopien aus den Ermittlungsakten in dem in Paris laufenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren unter anderem gegen verschiedene ehemalige Mitarbeiter von Elf Aquitaine überlassen wurden, und was hat die Bundesregierung veranlasst?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Bergner, die Pariser Ermittlungsakten wurden der Bundesregierung mit der Auflage überlassen, weder die Akten noch deren Inhalt an Dritte weiterzugeben. Sie wurden regierungsintern von der Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe Koordinierte Ermittlungen bei der BvS ausgewertet. Die Ergebnisse fanden Eingang in die Gesamtbewertung des Sachverhalts durch das Bundesministerium der Finanzen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie eine Erklärung dafür geben, dass von der Pariser Seite ein solcher Umgang mit den Ermittlungsakten gefordert wurde?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich kann das nicht erklären. Von unserer Mitarbeiterin, die in Paris war, habe ich lediglich die Mitteilung bekommen, dass sie Akteneinsicht nur erhält, wenn sie dies unterschreibt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, haben Sie tatsächlich keine Möglichkeiten gesehen, Erkenntnisse wenigstens in Gestalt von Schlussfolgerungen, die Sie aus diesen Akten ziehen, der Öffentlichkeit oder den Ermittlungsbehörden hier im Lande zugänglich zu machen? Ich verweise darauf, dass es nicht nur um nun offenkundig in sich zusammengebrochene Beschuldigungen gegenüber Personen, sondern auch um eine über einen längeren Zeitraum dauernde Diffamierung eines ostdeutschen Industriestandortes ging - ich meine den Standort Leuna -, der völlig zu Unrecht in Verbindung mit kriminellen Machenschaften gebracht wurde. Ich komme aus dem entsprechenden Bundesland. Wir vor Ort hätten uns gewünscht, dass man möglichst kurzfristig auch vonseiten der Bundesregierung die Verantwortung gegenüber diesem Standort wahrgenommen und klargestellt hätte, dass es dort zu keinen kriminellen Handlungen gekommen ist.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Dr. Bergner, wir haben uns nie diffamierend gegenüber diesem Standort oder dem Bundesland geäußert und uns auch nie daran beteiligt. Wir haben immer klar gesagt: Unser Auftrag ist es, herauszufinden, ob an den in der französischen Presse kolportierten Behauptungen, dass die Bundesrepublik Deutschland geschädigt worden sein könnte, etwas dran ist. Es ist unsere Aufgabe, einem solchen öffentlich geäußerten Vorhalt nachzugehen. Im Übrigen glaube ich, dass ich die Erklärung, die wir in Paris unterschreiben mussten, nicht verletze, wenn ich Ihnen mitteile, dass wir aufgrund der Pariser Akten keinen Anlass gesehen haben, an eine deutsche Staatsanwaltschaft heranzutreten, um sie zu bitten, sich an das Pariser Voruntersuchungsgericht mit der Bitte um Rechtshilfe zu wenden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass der Verdacht gegen deutsche Politiker und die deutsche Politik, der in den Medien gestanden hat, nicht aus der Luft gegriffen war, sondern darauf beruhte, dass der ehemalige Chef des französischen Konzerns Elf Aquitaine in öffentlichen Erklärungen und Presseinterviews davon gesprochen hat, dass man, um dieses Geschäft - Elf Aquitaine kauft Leuna/Minol - zu tätigen, in Deutschland seinerzeit afrikanische Methoden anwenden musste und dass in diesem Zusammenhang auch Geld an deutsche Politiker geflossen sein soll? Können Sie bestätigen, dass der Verdacht keine Erfindung der Bundesregierung oder Bösmeinender gewesen ist, sondern dass er unter anderem auf den Aussagen dieses jedenfalls ehemals doch sehr renommierten französischen Industriellen beruht?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Ströbele, die Aussagen in der Öffentlichkeit waren derart, dass die Bundesregierung gar nicht anders konnte, als dieser Frage nachzugehen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hätte es nicht zu einer seriösen Beantwortung dieser Frage gehört, zu erwähnen, dass dieser Manager diese Aussagen zurücknehmen musste? ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

({0}) ({1}) Welche Aussage meinen Sie?

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Verdächtigungen, die der Kollege Ströbele gerade angesprochen hat.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

({0}) ({1})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch das ist eine Antwort. Vielen Dank.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt eine gewisse Ratlosigkeit, die als solche zu Protokoll genommen wird. Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde. Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Lage auf dem Ausbildungssektor Ich erteile für die Bundesregierung zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Matschie das Wort.

Christoph Matschie (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001434

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute in dieser Aktuellen Stunde über die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Das hat einen guten Grund. In Deutschland gibt es zu wenig Ausbildungsplätze. Wir sind momentan weit davon entfernt, allen Bewerberinnen und Bewerbern einen Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Die große Lücke hat sich bisher nicht schließen lassen. Diese Entwicklung erfüllt sicherlich alle Abgeordneten mit Sorge. In der Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit sind gegenwärtig rund 52 000 betriebliche Ausbildungsplätze weniger gemeldet als zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Bundesregierung hat aufgrund dieser Entwicklung die Initiative ergriffen und gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften eine Ausbildungsoffensive gestartet. Ich möchte an dieser Stelle die Abwesenheit von Ministerin Bulmahn entschuldigen. Ihre Abwesenheit hat einen nachvollziehbaren und sicher auch für Sie akzeptablen Grund: Die Ministerin ist heute auf einer Ausbildungsreise unterwegs, um direkt im Gespräch mit Unternehmern vor Ort, mit Initiativen, mit den Arbeitsämtern für Ausbildungsplätze zu werben. ({0}) Diese Reise war schon länger geplant. Deshalb bitte ich an dieser Stelle um Verständnis. ({1}) Diese Reise zeigt: Wir nehmen unsere Verantwortung an dieser Stelle sehr ernst. Solche Initiativen sind Bestandteil dessen, was Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften am 29. April verabredet haben. Hier ist noch einmal das gemeinsame Ziel bekräftigt worden, allen Jugendlichen, die können und wollen, eine Ausbildung zu ermöglichen. Über solche Ausbildungsreisen, an denen auch Minister Clement beteiligt ist, sprechen wir Unternehmen, die zurzeit nicht ausbilden, gezielt an. Aber wir setzen auch Lehrstellenentwickler ein. Zusätzliche Ausbildungsplätze - das wissen wir entstehen nicht von selbst. Wir müssen handeln. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass es zuallererst die Wirtschaft selbst ist, die in der Verantwortung steht, ausreichend Ausbildungsplätze anzubieten. Diese Aufgabe kann niemand anderes übernehmen. ({2}) Die Bundesregierung kann die Wirtschaft aber bei diesen Anstrengungen unterstützen. Das tun wir auch. Rund 40 Prozent der Betriebe haben zurzeit keine Ausbildungsberechtigung. Wir haben deshalb die AusbilderEignungsverordnung für die kommenden fünf Jahre ausgesetzt. Wir erwarten hiervon einen deutlichen Anstieg der Zahl der ausbildenden Unternehmen. Das kürzlich unterzeichnete Ausbildungsplatzprogramm Ost wird fortgeführt, und zwar mit einer größeren Zahl von Ausbildungsplätzen, als es ursprünglich beabsichtigt war. Statt der geplanten 12 000 Ausbildungsplätze werden 14 000 Ausbildungsplätze direkt gefördert. Über das Programm „Kapital für Arbeit“ stellen wir mittelständischen Unternehmen bei der Einstellung eines Auszubildenden günstige Investitionskredite zur Verfügung. Sie wissen, dass die Berufsausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz integriert worden ist. Wir haben damit ein System von anrechnungsfähigen Qualifizierungsbausteinen für Jugendliche geschaffen. Mit JUMP plus schaffen wir ein Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebot für 100 000 sozialhilfeberechtigte Jugendliche. Wir müssen vor allem mehr Unternehmen für die Ausbildung mobilisieren. Gegenwärtig bietet insgesamt weniger als ein Drittel aller Betriebe in der Bundesrepublik überhaupt Ausbildungsplätze an. Es gibt mehr als 500 000 Betriebe, die ausbilden könnten, es aber nicht tun. Ich will an dieser Stelle noch einmal an diese Betriebe appellieren, die Chancen, die sich durch die Ausbildung auch für sie selbst ergeben, zu nutzen; denn wir wissen aus vielen Untersuchungen: Die Ausbildung von eigenen Fachkräften rechnet sich für Betriebe in hohem Maße. Ausbildung ist eine lohnende Investition in die Zukunft. Das belegen nicht nur Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung, sondern das ist auch Auffassung beispielsweise des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Die Bundesregierung kämpft gemeinsam mit den Sozialpartnern darum, dass es bis zum Herbst noch eine ausgeglichene Ausbildungsplatzsituation gibt. Die Vermittlungsaktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit werden bis 30. September noch einmal intensiviert. Erfahrungsgemäß können wir gerade in den letzten Wochen vielen Auszubildenden einen Ausbildungsplatz vermitteln. Sollte der Ausgleich dennoch nicht gelingen, erwarten wir von der Wirtschaft, dass sie einen realistischen Vorschlag vorlegt, wie die noch nicht vermittelten Jugendlichen bis zum Ende des Jahres einen Ausbildungsplatz erhalten können. Das muss aus unserer Sicht ein Vorschlag sein, der verbindlich, umsetzbar und nachprüfbar ist. Wenn das nicht der Fall ist, wird die Bundesregierung geeignete gesetzgeberische Maßnahmen einleiten müssen. Ich hoffe allerdings, dass die Wirtschaft es aus Eigeninteresse schafft, ausreichend Ausbildungsplätze anzubieten. Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Chemie beispielsweise oder in der niedersächsischen Metallindustrie haben gerade vorgemacht, wie man über Tarifverträge mehr für Ausbildung tun kann, wie man auf diese Art und Weise kooperieren kann, um das Ausbildungsplatzproblem anzugehen. Das ist der richtige Weg. Eine gesetzliche Regelung erübrigt sich, wenn die Wirtschaft ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt und damit letztendlich auch die eigene Zukunft sichert. Wir müssen in den nächsten Monaten alle Kräfte mobilisieren, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, nämlich jedem Jugendlichen, der ausgebildet werden will und ausbildungsfähig ist, eine Ausbildung zu ermöglichen. Das sind wir - ich sage in diesem Zusammenhang bewusst „wir“ -, Wirtschaft, Gewerkschaften, aber auch politisch Verantwortliche, den Jugendlichen in unserem Lande schuldig. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Michael Glos für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die äußerst bedrückende Ausbildungsplatzlücke von aktuell 70 000 Stellen ist auch Ausdruck der dramatischen Wirtschaftslage in unserem Land. Für viele ausbildungswillige Jugendliche kommt eine erfolglose Bewerbung einer persönlichen Katastrophe gleich. Diesen Scherbenhaufen hat Rot-Grün mit zu verantworten. ({0}) Wir haben die längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte. Drei Jahre Stagnation, Rückgang, Unsicherheit. Wir haben zur Stunde nicht einmal gesicherte Haushaltszahlen vorliegen. Wir wissen nicht, wie dieser Haushalt aussieht, und wir wissen nicht, was im nächsten Jahr los ist. Das alles schafft ungeheuer viel Unsicherheit. ({1}) Wir haben es mit sehr viel Flickschusterei und auch biblischem Verhalten zu tun. Das biblische Verhalten besteht darin: Die Linke soll nicht wissen, was die Rechte tut. Wenn bei der SPD die Linke erfährt, was allein schon die Mitte tut, dann braucht man Sonderparteitage und es gibt dann noch einmal eine Umdrehung und man wartet ab. ({2}) Besonders betroffen sind der Mittelstand und das Handwerk. Im Handwerk sind 300 000 Arbeitsplätze weggefallen. Die Zahl der Insolvenzen, die in diesem Jahr erwartet werden, beträgt mehr als 40 000; im vergangenen Jahr waren es 38 000. All die bankrotten Betriebe können nicht mehr ausbilden. Deswegen wundert es uns, Herr Bundesminister - ich freue mich sehr, dass Sie hier sind -, dass ausgerechnet in dieser Situation ein Frontalangriff auf das Handwerk erfolgt. Gerade in einer Situation, in der die Betriebe ermutigt werden sollten, auszubilden, wird die größte Kampagne zur Verunsicherung des Handwerks durchgeführt, die es je gegeben hat. ({3}) Ich meine, dass die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe zu Gesetzesänderungen - eine Gesetzesänderung soll in dieser Woche schon verabschiedet und eine weitere eingebracht werden - dazu beitragen, dass diejenigen, die in die Betriebe gehen und darum bitten, verstärkt auszubilden - der Herr Staatssekretär hat bereits darüber gesprochen -, oft eine Abfuhr erhalten. Denn in den Betrieben fragt man sich: Warum sollen wir noch ausbilden? Wir wissen schließlich nicht, ob die Qualifikation künftig noch notwendig ist, um einen Betrieb zu eröffnen. Die Handwerksordnung infrage zu stellen und sie halb ausradieren zu wollen ist ausgerechnet in dieser Zeit, in der die Ausbildungsnot so groß ist, nicht nur zynisch gegenüber dem Handwerk, sondern auch menschenverachtend gegenüber den vielen jungen Menschen. ({4}) - Die Schreihälse vom Dienst kenne ich aus den Haushaltsdebatten zur Genüge. Das müsste in der Aktuellen Stunde nicht auch noch sein. Herr Bundesminister, wir haben in anderen wichtigen Fragen, wie in der Gesundheitspolitik, gezeigt, dass wir zur Zusammenarbeit bereit sind. Das wurde seinerzeit von Herrn Müntefering gefordert. Unsere Fraktionsvorsitzende hat diese Forderung aufgegriffen; die Gespräche haben bereits begonnen. Bisher sind Änderungen in der Handwerksordnung immer im Einvernehmen erfolgt. Die fachlich zuständigen Politiker sind hinzugezogen worden; man hat miteinander gesprochen und die Modernisierung vorangetrieben. Deswegen fordere ich Sie auf: Stoppen Sie die Gesetzesvorlagen! Wir sind bereit - wie es auch beim letzten Mal der Fall war - mitzuarbeiten, um das Vorhaben auf eine breitere Basis zu stellen. ({5}) - Ich weiß nicht, wer der Zwischenrufer auf der linken Seite ist. Ich kenne ihn nicht. ({6}) - Es ist der Kollege Bertl ({7}) - er ist Handwerksmeister -, der dauernd dazwischenruft. Auch der Kollege Bertl kann sich an der Debatte beteiligen, aber es wäre günstig, wenn auch der Sachverstand anderer Handwerksmeister mit eingebunden würde und wenn vor allen Dingen die Handwerksverbände beteiligt würden, weil sonst etwas zerstört würde, das unserem Land gedient hat und auch in Zukunft dienen soll. ({8}) Herr Bundesminister Clement, ich habe gesehen, dass Sie auf der Rednerliste stehen. Sie könnten sich dafür aussprechen, dass wir in dieser Sache eine gemeinsame Basis finden sollten. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Glos, lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen zu Ihren Ausführungen machen. Sie haben durchaus Recht, wenn Sie die Situation am Ausbildungsmarkt - vor allen Dingen für die jungen Leute - als katastrophal bezeichnen. Wir alle kennen diese Situation. Wir kennen auch in unserer Umgebung junge Leute, die sich verzweifelt um Lehrstellen bemühen, ohne damit Erfolg zu haben. Die Situation ist gerade in diesem Jahr besonders schlimm. Es ist völlig klar, dass wir erhebliche Anstrengungen dagegen unternehmen müssen. Kein Recht haben Sie hingegen mit Ihrer sehr schmalspurigen und einseitigen Betrachtung. Zwar spielen konjunkturelle Entwicklungen sicherlich eine Rolle, aber was Sie in absoluter Vergangenheitsblindheit offenbar immer noch nicht wahrnehmen wollen, ist ein sehr schwieriger Trend, den es in Deutschland gibt. Seit Mitte der 80er-Jahre - nachzuweisen ist es etwa seit 1988 ziehen sich die großen Betriebe zunehmend aus der Ausbildungsverantwortung zurück. Das geht nicht an! ({0}) Sie werden zu Trittbrettfahrern in der Ausbildungspolitik. Die kleinen und mittleren Betriebe leisten ihren Beitrag: Auch in diesem Jahr bieten Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten zusätzliche Ausbildungsplätze an. Ich bitte Sie, sich angesichts der Ausbildungsplatzsituation einmal ernsthaft Gedanken darüber zu machen, dass wir nicht nur Ad-hoc-Maßnahmen brauchen, sondern die Unternehmen auch dazu bewegen müssen, ihrem in der Verfassung verankerten Auftrag zur Ausbildung junger Menschen nachzukommen. Was die Modernisierung der Handwerksordnung angeht, haben Sie doch tatsächlich die Meinung vertreten, ein mittelalterliches Zunftordnungswesen mit Schutzzäunen um die Zünfte habe etwas mit der Entwicklung eines modernen Ausbildungswesens, das wir dringend benötigen, zu tun. Auch dies, Herr Glos, zeugt von einer Rückwärtsgewandtheit, die uns in der Zukunft überhaupt nicht helfen wird. ({1}) Die gegenwärtige Situation ist nicht akzeptabel, weil wir wissen, dass junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, eine Karriere des Scheiterns vor sich haben. Dies können wir nicht dulden. In dieser Situation hilft auch kein Schönreden. Daher war ich sehr erstaunt, als ich heute las, dass das Institut für Wirtschaftsforschung die Situation für gar nicht so schlimm hält, wie sie sich im Moment abzeichnet. Das IW beziffert die für den Herbst zu erwartende Ausbildungsplatzlücke auf 20 000 bis 30 000 Plätze. Auch eine solche Lücke wäre noch viel zu groß. Deswegen müssen wir tätig werden, aber auch auf die Eigeninitiative der Unternehmen setzen. Wir brauchen die Unternehmen, weil wir das duale Ausbildungssystem brauchen. Allerdings bin ich hinsichtlich dessen, was von den Unternehmen kommen wird, sehr skeptisch; denn am Anfang der Woche stand im „Tagesspiegel“ die Überschrift „DIHK bläst Ausbildungsinitiative ab“. Was heißt das denn in dieser Situation? ({2}) Sie argumentieren hier gegen gesetzliche Maßnahmen und setzen auf Eigeninitiative. Eigeninitiative ist gut, nicht aber Eigennutz. Eigeninitiative bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Wenn der DIHK in einer Situation, in der es eigentlich darum geht, alles zu mobilisieren, um Ausbildungsplätze zu schaffen, das abbläst, was er vor Monaten erfreulicherweise angekündigt hat, nämlich einen Ausbildungsfonds einzurichten, um einen Ausgleich zwischen den ausbildenden Betrieben und den nicht ausbildenden Betrieben herzustellen, dann weiß ich nicht, in welcher Realität die Wirtschaft lebt. ({3}) Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat am 14. März gesagt, wenn die nachhaltigen Verbesserungen der Ausbildungsbereitschaft nicht einträten und die Übernahme der zugesagten Verantwortung durch die Unternehmen nicht erfolge, werde die Bundesregierung handeln. Dies werden wir dann auch tun. Noch warten wir die weitere Entwicklung ab, aber es ist klar, dass bis Ende September etwas passieren muss. Jugendliche haben in unserem Land auch in einer solchen ökonomischen Situation ein Anrecht auf einen Ausbildungsplatz. Außerdem wird unsere Wirtschaft demnächst ziemlich alt aussehen, wenn sie nicht ausbildet. ({4}) Wir schlagen angesichts der Situation eine flexible Fondslösung vor, in der Eigeninitiative und tarifvertragliche Lösungen, wie wir sie aus Niedersachsen kennen, durchaus ihren Platz haben können, weil dies im Zusammenhang mit betrieblichen Ausbildungsplätzen Vorrang hat. In diesen Fonds sollen alle Unternehmen einzahlen; diejenigen, die ausbilden, werden etwas herausbekommen. Dies ist von der Konstruktion her dem DIHK-Modell ähnlich: eine Art Lastenumverteilung. Das ist keine zusätzliche Belastung der Wirtschaft, sondern bedeutet für sie ein Nullsummenspiel.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Es geht heute erstens darum, neue Strukturen zu schaffen, die es möglich machen, einen Trend zu brechen, den wir aus der Vergangenheit kennen. Zweitens müssen wir den jungen Menschen eine Perspektive geben und dürfen es nicht hinnehmen, dass wir in vier Jahren in den Betrieben auch noch mit einem Facharbeitermangel zu tun haben werden. Dann nämlich werden Sie beim Geschrei wieder an der Spitze der Bewegung stehen. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cornelia Pieper für die FDP-Fraktion.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die Regierungskoalition heute eine Aktuelle Stunde zur Ausbildungsplatzsituation beantragt hat, ist legitim. Ich halte es aber nicht für gerechtfertigt - das sage ich auch in Richtung des Bundeswirtschaftsministers -, dass die Bundesregierung die heutige Aktuelle Stunde unter die Schlagzeile stellt: Die Regierung droht der Wirtschaft erneut mit einer Ausbildungsplatzabgabe. Wer die Situation in Deutschland und insbesondere die Wirtschaftsdaten kennt, der weiß, dass die derzeitige Ausbildungsplatzmisere das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftsund Ausbildungspolitik der Bundesregierung seit ihrer Regierungsübernahme ist. ({0}) Sie haben Steuern und Sozialabgaben erhöht, anstatt sie zu senken. Die Novellierung bzw. die Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes haben Sie verschleppt; denn das hätte, wie von uns gefordert, bereits in der letzten Legislaturperiode geschehen müssen. ({1}) - Ich weiß, dass Ihnen diese Wahrheit nicht gefällt. Aber auch die Wirtschaftsinstitute kommen in ihren Frühjahrsumfragen zu den gleichen Erkenntnissen. In der heutigen Ausgabe des „Tagesspiegel“ ist zu lesen, dass die Hauptursachen für den Lehrstellenmangel die schlechte Konjunktur und die zu hohen Ausbildungskosten sind. Es bleibt Fakt: Wir haben zu wenig Wachstum in Deutschland. Wenn das Bruttoinlandsprodukt nicht um mindestens 2 Prozent wächst, entstehen keine neuen Ausbildungs- und Arbeitsplätze. ({2}) Wir stehen vor einer dramatischen und Besorgnis erregenden Situation. Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet bis zum Sommer dieses Jahres mit 80 000 fehlenden Lehrstellen. Das Institut der deutschen Wirtschaft - damit haben Sie in der Tat Recht, Frau Dückert - geht dagegen davon aus, dass nur 30 000 fehlen werden. Für uns ist jedenfalls jeder fehlende Ausbildungsplatz einer zu viel; denn es geht um das Schicksal junger Menschen. Für uns - das betone ich - hat die hoch qualifizierte Ausbildung junger Menschen etwas mit Freiheit, Menschenwürde und Selbstständigkeit zu tun, und zwar aus dem einfachen Grund: Ohne Ausbildung gibt es keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Diskussion sachlich, aber auch kritisch führen; denn wir können die Misere nicht beseitigen, wenn wir nicht auch die Tatsachen beim Namen nennen. Zu den Tatsachen gehört auch, Frau Dückert: Selbst wenn sich bewahrheitet, dass nur 30 000 Lehrstellen fehlen - davon geht, wie gesagt, das Institut der deutschen Wirtschaft aus -, dann bedeutet das noch immer die schlechteste Lehrstellensituation in Deutschland seit 1997. Das muss man sich vor Augen führen. ({3}) - Herr Tauss, das sind nicht meine, sondern die Daten, die das Institut der deutschen Wirtschaft heute veröffentlicht hat. Generell gilt für die Freien Demokraten: Mit staatlichen Programmen stärken wir nicht die Ausbildung, sondern schwächen sie. Wir wollen die duale Berufsausbildung stärken. Die betriebliche Ausbildung ist Kernaufgabe der Wirtschaft. Das ist unumstritten. ({4}) Nur eine Ausbildung im Betrieb wird auch den Übergang zum Arbeitsmarkt gewährleisten. Ein Ergebnis Ihrer Regierungspolitik ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit seit der Auflage des JUMP-Programms wächst, und zwar dreimal so schnell wie die allgemeine Arbeitslosigkeit. Sie ist inzwischen genauso hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosigkeit. Mit anderen Worten: Das JUMP-Programm hat nicht zur Beseitigung der Ausbildungsnot geführt. Es hat inzwischen vielmehr dazu geführt, dass die Nachfrage von Altnachfragern, also von Schulabsolventen vergangener Jahre, enorm gestiegen ist. Um konkret zu werden: 2002 waren das 42,8 Prozent der Gesamtnachfrage. Das JUMP-Programm führt also junge Menschen in die Warteschleife und überführt sie nicht in den Arbeitsmarkt. Es ist ineffizient; deswegen meinen wir, dass es - auch zugunsten von betrieblicher Ausbildung - zurückgeführt werden muss. Die Schere zwischen der Zahl der Schulabgänger und der Zahl der Ausbildungsplätze geht immer mehr auseinander. Das rechnerische Defizit zwischen gemeldeten Ausbildungsstellen und Bewerbern ist im Vergleich zum Mai des Vorjahres um 46,7 Prozent gestiegen. Sie müssen endlich mit Ihrem konzeptionellen Durcheinander und den Sonderprogrammen aufhören. Wir brauchen in der Tat endlich eine radikale Reformpolitik, die auf Steuersenkung setzt. ({5}) In diesem Zusammenhang sage ich ganz klar in Richtung Regierungsbank: Wir sind gern bereit, das Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 zu unterstützen, wenn eine entsprechende Gegenfinanzierung über den Haushalt und über den Subventionsabbau gewährleistet wird, Herr Minister. Wir meinen nämlich, dass ein wegweisendes Mittelstandsprogramm das beste Ausbildungsplatzprogramm ist. Seit Jahren fehlt ein entsprechendes Konzept von der Bundesregierung. Also: Senken Sie die Steuern! Vereinfachen Sie das Steuersystem! Bauen Sie vor allen Dingen die bürokratischen Hemmnisse im Arbeitsrecht ab! Novellieren Sie das Berufsbildungsgesetz! Wir fordern seit langem, für eher praktisch orientierte junge Menschen Teilqualifikationen - eine Stufenausbildung mit Grundausbildung und Qualifizierungsbausteinen - zuzulassen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Pieper, kommen Sie bitte zum Ende!

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

All das schafft neue Ausbildungsplätze und wird uns mehr als Ihre Politik voranbringen. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Clement. ({0})

Wolfgang Clement (Minister:in)

Politiker ID: 11005291

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist vor allen Dingen notwendig, damit vom Deutschen Bundestag ein Appell an alle - insbesondere in den Unternehmen, in den Verwaltungen, in den öffentlichen und privaten Einrichtungen gerichtet wird, dass wir alles tun müssen, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. ({0}) Dieser Appell ist zwar sehr schlicht, aber er ist das Wichtigste. Es gibt zurzeit, wie wir alle wissen, einen erheblichen Ausbildungsplatzmangel. Es muss und kann gelingen - das zeigen alle Erfahrungen -, dass wir diesen Ausbildungsplatzmangel überwinden. Das wird aber nur gelingen, wenn alle zusammenwirken. Frau Kollegin Pieper, 1996 gab es wie heute einen Ausbildungsplatzmangel. Er war noch etwas größer; aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Situation damals aufgrund einer gemeinsamen Anstrengung von Bund, Ländern, Städten, Gemeinden und Unternehmen, also von allen Ebenen, binnen eines Jahres grundlegend verbessert wurde. Heute stehen wir vor der Aufgabe - in diesem Zusammenhang macht alle Polemik, die ich hier höre, keinen Sinn -, genau das wieder zu erreichen. ({1}) Der Bundespräsident hatte Recht, als er kürzlich sagte: Das Ausbilden unserer Jugend ist eine Bringschuld der Unternehmen. Ich füge hinzu: Es ist auch eine Bringschuld von uns allen. Wenn wir das nicht schaffen, ist das ein Offenbarungseid, den sich unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft nicht leisten können. Es ist übrigens auch ein Offenbarungseid für das duale Berufsbildungssystem. Ich schätze dieses System - es ist weltweit anerkannt -; aber wenn es nicht in der Lage ist, eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen bereitzustellen, dann scheitert es. ({2}) Deswegen glaube ich, dass man den Ernst der Lage nicht deutlich genug ansprechen kann. Die Bundesanstalt für Arbeit geht in ihrer Einschätzung davon aus, dass es bei einer Fortschreibung der heutigen Situation bis Ende September zu einem Fehlbedarf von 60 000 bis 70 000 Ausbildungsplätzen kommen wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft erwartet 20 000 bis 30 000 fehlende Ausbildungsplätze. Ich sage ganz offen: Meine Erwartung liegt bei plus/minus null. ({3}) Wir müssen das bis Ende September schaffen. Die Erfahrung, die wir in der zurückliegenden Zeit gesammelt haben, zeigt, dass wir es schaffen können. Wir haben allerdings keine Zeit zu verlieren. Wir haben nicht zu polemisieren. Es gibt Gott sei Dank überall Initiativen, die sich um dieses Problem kümmern. Wir müssen es in der ganzen Bundesrepublik lösen. Darum geht es. Ich freue mich, dass es eine Ausbildungsinitiative von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und uns, der Politik, gibt. Auch das ist für alle absolut offen, die daran mitwirken wollen und können. Ich brauche die verschiedenen Maßnahmen, die wir in diesem Zusammenhang ergriffen haben, jetzt nicht darzustellen. Herr Kollege Matschie hat einige angesprochen. Mir liegt daran, darauf hinzuweisen, dass jedenfalls ich persönlich Folgendes erwarte: Wenn einzelne Unternehmen nicht in der Lage sind, die nötige Anzahl an Ausbildungsplätzen bereitzustellen, dann muss die Wirtschaft selbst für einen finanziellen Ausgleich zwischen den Unternehmen sorgen. Offensichtlich sind viele Unternehmen - gerade diejenigen, die ausbilden - der Ansicht, dass sich niemand entziehen darf, der ausbilden kann, und dass diejenigen Unternehmen, die sich entziehen, zu einer Ausbildungsplatzabgabe herangezogen werden sollen. ({4}) Das kann sehr wohl auch ohne gesetzliche Maßnahmen initiiert werden. Das geschieht in verschiedenen Kammern. Das geschieht in verschiedenen Verbänden. Wie ich gelesen habe, geschieht das in Niedersachsen und in Bayern. Ich fände es gut, wenn das überall geschähe. Niemand, der ausbilden kann, darf sich der Ausbildungsnotwendigkeit entziehen. Das ist mir sehr wichtig. Ich will ein Beispiel anführen. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat einen beispielhaften Tarifvertrag abgeschlossen, in dem vorgesehen ist, dass die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht wird. Das sind die Entscheidungen und die Signale, die wir brauchen. An solchen ganz konkreten Verbesserungen müssen wir arbeiten. ({5}) Frau Kollegin Pieper, es ist ein Irrtum, zu glauben, dass wir auf öffentliche Mittel ganz verzichten können. Sie haben das JUMP-Programm angesprochen. Wir müssen uns einfach vor Augen führen - es hat keinen Zweck, darum herumzureden -: Wir haben heute in Deutschland fast 500 000 junge Leute in Arbeitslosigkeit; ich glaube, es sind zurzeit 482 000. Das alles sind junge Leute unter 25 Jahren. Von denen sind ungefähr 250 000 in der Sozialhilfe. Übrigens beziehen 64 000 Arbeitslosenhilfe, das heißt, sie sind schon in der Langzeitarbeitslosigkeit. Viele von denen haben vermutlich noch keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kennen gelernt. Man wird das Problem nicht lösen, indem man, wie gefordert wird, die Steuern heruntersetzt. Wir brauchen zusätzlich Hilfe und Begleitung für junge Leute, die sich - aus welchen Gründen auch immer; oftmals sind es familiäre, individuelle Probleme - in einer besonderen Situation befinden. ({6}) Sie müssen erst einmal an eine Ausbildung herangeführt werden. Wir brauchen Berufsvorbereitung. Wir brauchen Praktika. Deshalb haben wir auch ein zusätzliches Programm für 100 000 junge Leute - es ist gezielt für diese Gruppe - aufgelegt. Es wird ab 1. Juli umgesetzt. Das ist sehr wichtig. Wir haben für Ostdeutschland nochmals wiederum die Förderung von 14 000 Ausbildungsplätzen vorgesehen - wenn alle Stricke reißen. Ich glaube nicht, dass die Wirtschaft darauf verzichten kann; wir jedenfalls wären froh, wenn wir darauf verzichten könnten. Zunächst einmal ist es aber natürlich notwendig, dass sich alle bemühen. Herr Kollege Glos, Sie haben vom Handwerk gesprochen. Das Handwerk erbringt eine hervorragende Ausbildungsleistung. Dafür bin ich sehr dankbar. Dennoch führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, erstens dass das Handwerk in einer tiefen Strukturkrise steckt, die über die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme hinausreicht, zweitens dass das Handwerk für nachkommende Berufstätige geöffnet werden muss und drittens dass das Handwerk für die europäischen Entwicklungen geöffnet werden muss. Darüber diskutieren wir ja ernsthaft und ohne jede Polemik. Wir werden um eine Deregulierung nicht herumkommen. Frau Kollegin Pieper, da bin ich übrigens etwas erstaunt. Sie reden immer über Freiheit und über Deregulierung. Sobald wir uns dem aber nähern, machen Sie alle Schotten dicht. Das ist ganz bemerkenswert. ({7}) Das habe ich auch schon dem Kollegen Brüderle gesagt. Der stand immer vor mir und hat mich mehrfach gemahnt, endlich Freiheit zu gewähren. ({8}) Diese Forderung geht jetzt an Sie zurück. Das ist ganz interessant und dadurch kommt vielleicht auch Bewegung in die Diskussion. Herr Kollege Glos, ich bin für Gespräche. Das Parlament, die Länder, der Bundesrat, alle sind jetzt gefragt, Mut zu zeigen, ob vor Wahlkämpfen oder nach Wahlkämpfen. Ich bin Ihnen gegenüber immer sehr offen und sage: Ich hielte es für falsch, wenn Sie sogar für kleinsthandwerkliche Tätigkeiten, die man binnen drei Monaten erlernen kann, eine Regulierung vorsehen wollten. Wenn Sie für solche Tätigkeiten auch eine Registrierungspflicht bei den Handwerkskammern und möglicherweise noch mehr vorsehen wollten, dann wäre das ein Fehler. Deshalb ist meine Bitte, dass wir darüber einig sind, da unseren Weg zu beschreiten. Im Übrigen - wir haben es auch mit zustimmungspflichtigen Gesetzen zu tun - müssen wir in eine intensive Diskussion gehen. Wenn ich Ihnen zuhöre, gewinne ich den Eindruck, dass Sie das gleiche Spiel betreiben wollen, das schon öfter stattgefunden hat, nämlich: Kommt ein Handwerk in die Anlage A oder in die Anlage B? Was geben Sie mir, wenn es in die Anlage A kommt, und was geben Sie mir, wenn es in die Anlage B kommt? ({9}) Das ist nicht der richtige Weg. Ich möchte bei Ihnen gern die Bereitschaft zu einer wirklichen Reform sehen. ({10}) Am Freitag können Sie doch den kleinen ersten Schritt mitgehen, wenn es um handwerkliche Tätigkeiten geht, die man binnen drei Monaten erlernen kann. Frau Kollegin Pieper, auch Sie in der FDP müssen sich die Frage stellen, ob Sie am Freitag diesen ersten kleinen liberalen Schritt mitgehen können, damit der Weg für kleinsthandwerkliche Tätigkeiten frei gemacht wird. Wenn das gelingt, haben wir schon einen bedeutenden Schritt nach vorn getan und dann kommen wir auch in sehr fruchtbare Gespräche. Sie wissen um die Bereitschaft dazu auf unserer Seite. Gerade allen im Handwerk Tätigen sage ich: Wir können auf Ihre Ausbildungsleistung nicht verzichten. Sie wissen auch, dass diese Ausbildungsleistung von uns nicht infrage gestellt wird, ob sie nun von einem Meister durchgeführt wird, der in einem Beruf arbeitet, wo dieser Titel für die Ausbildung erforderlich ist, oder von Freiwilligen, die dafür sorgen, dass andere in Berufe hineinwachsen können. Im Gegensatz zu den Handwerksverbänden erwarte ich, dass es im Zuge unserer Reform mehr und nicht weniger Ausbildungsplätze geben wird, weil mehr Berufe mehr Möglichkeiten bieten und damit für mehr Ausbildung gesorgt werden kann. Den Streit darüber werden wir ausfechten. Meine Bitte an das Handwerk, bei dem die Ausbildungsleistung wirklich vorbildlich und auch der Zahl nach beeindruckend ist, ist, dass sich niemand durch Diskussionen über die Reformen davon abhalten lässt, das zu tun, was er für sein Unternehmen, die junge Generation und die Wirtschaft in Deutschland insgesamt tun sollte, nämlich wie bisher für die Qualifikation unserer jungen Leute zu sorgen. So trägt er dazu bei, dass wir auch nach dem Jahre 2006, wenn die Schulabgängerzahlen nach unten gehen, eine ausreichende Zahl von hervorragend qualifizierten jungen Leuten haben. Bei allem, was wir sonst sagen und uns gegenseitig vorwerfen, sollten wir unsere Diskussionen und unser Ringen um Ausbildungsplätze nicht auf dem Rücken der jungen Leute austragen. ({11}) Das will ja auch in Wahrheit keiner; wir sollten aber auch nicht diesen Eindruck erwecken. Vielmehr sollten wir sehr deutlich gemeinsam dafür werben, dass die jungen Leute ausreichend Ausbildungschancen in Deutschland bekommen. Das geht. Wenn wir das gemeinsam tun, gelingt es umso besser. Ich danke Ihnen sehr. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Kollegin Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wie viele Jugendliche finden keine Lehrstelle? Die Optimisten rechnen laut einer Tickermeldung von gestern mit höchstens 20 000 bis 30 000 fehlenden Ausbildungsplätzen im Herbst; die Realisten haben die Sorge, dass zwischen 70 000 und 140 000 Jugendliche im Herbst ohne Lehrstelle bleiben, und die Pessimisten fürchten, dass Ihre einsame Stimme, Herr Minister Clement, im Regierungsstreit über die Zwangsabgabe von Frau Ministerin Bulmahn und den Gewerkschaften übertönt wird. Tatsache ist aber: Jeder bildungswillige Jugendliche, der keine Zukunftsperspektive bekommt, ist einer zu viel. Tatsache ist auch - es gibt bis jetzt leider noch keine Entwarnung -: Wir müssen alle zusammen alle Hebel in Bewegung setzen, um für mehr Ausbildungsplätze zu sorgen. ({0}) Wenn ich aber von Hebeln spreche, denke ich nicht an planwirtschaftliche Gewalt, nicht an irgendwelche kostentreibenden bürokratischen Monster und auch nicht an die Knüppel-aus-dem-Sack-Methode, die Sie zum Teil mit der Zwangsabgabe ins Auge fassen. ({1}) Sie wissen ganz genau, dass Sie mit einer Ausbildungsplatzabgabe wieder - das tun Sie ja meistens - die Falschen treffen würden, nämlich die kleineren und mittleren Betriebe und nicht die großen. ({2}) Die großen Betriebe würden sich genauso wie bei der Schwerbehindertenabgabe freikaufen. Wir haben doch unsere Erfahrungswerte. Das sollte man hier doch nicht einfach wegdiskutieren. ({3}) Wo finden denn die Lehrlinge einen Ausbildungsplatz? In den kleineren und mittleren Betrieben. Acht von zehn Azubis arbeiten heute in kleineren und mittleren Betrieben. ({4}) Allein im Handwerk werden 65 Prozent aller Lehrlinge im gewerblich-technischen Bereich ausgebildet. Die Ausbildungsquote liegt bei 10,6 Prozent, ({5}) in anderen Wirtschaftszweigen beträgt sie 3,6 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe immer das Gefühl, Sie vergessen eines: Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Das Humankapital ist eine der wichtigsten Ressourcen, die wir haben. ({6}) Wichtig erscheint es uns - da sind wir, wie ich glaube, auch mit Ihnen einer Meinung -, alle Maßnahmen zu fördern, die zu mehr Qualifikation führen. ({7}) Man darf nicht damit anfangen, Qualifikationsansprüche zurückzuschrauben. Warum ist denn der Meisterbetrieb der Ausbilder der Nation? Das kommt nicht von ungefähr, sondern daher, weil der Meister ausbilden kann, es gelernt hat und in seinem Bereich alle Stufen der Ausbildung durchlaufen hat. ({8}) Wer an diesen Grundfesten rüttelt, handelt nicht nur unverantwortlich, sondern auch fahrlässig. Mit Ihrer Holzhammermethode gefährden Sie viele tausend Arbeitsplätze und auch viele tausend zukünftige Ausbildungsplätze. Sie dürfen mir eines glauben: Die Betriebe, die jetzt noch über Bedarf ausgebildet haben, werden es in Zukunft bestimmt nicht mehr tun. Es ist vielmehr die Frage zu stellen, ob sie in Zukunft überhaupt noch ausbilden. ({9}) Was brauchen denn Unternehmen? Sie brauchen Aufträge, konkrete Perspektiven und das Wissen, dass es sich lohnt, Lehrlinge einzustellen. Unser Mittelstand weiß, dass er qualifizierten Nachwuchs braucht, er weiß auch, dass Fachleute in der Zukunft ein rares Gut sein werden. Aber es ist auch so, dass 90 Prozent aller Unternehmen ihr Lehrstellenangebot von ihrer aktuellen Geschäftslage abhängig machen. Heute weiß doch kein Unternehmer mehr, ob er in drei Jahren überhaupt noch die Möglichkeit hat, einen Lehrling zu übernehmen. Wir haben konjunkturell schwache Zeiten. Wir wissen auch, wem wir das zu verdanken haben; das brauchen wir jetzt nicht wieder anzusprechen. ({10}) In konjunkturell schwachen Zeiten gibt es wenig Ausbildung, das ist nun einmal Realität. Die Ausbildungskosten sind in den letzten Jahren in Westdeutschland mehr gestiegen als die Löhne der Facharbeiter. Aber anstatt hier an Entlastung zu denken, denken Sie auch in diesem Bereich nur daran abzukassieren. ({11}) Sie haben nicht erkannt, dass der Schlüssel zu mehr Ausbildung in der Entlastung der kleinen und mittleren Betriebe liegt und nicht in der Belastung, die Sie den Betrieben immer wieder aufbürden. ({12}) Durch Ihre Politik binden Sie sozusagen einem Ertrinkenden noch einen Stein ans Bein, sodass überhaupt keine Rettung aus der Bildungsmisere mehr möglich ist. Über den Bumerangeffekt, der dadurch in diesem Bereich entsteht, brauchen wir nicht zu reden. ({13}) Was ist denn der Grund, dass manch ein Betrieb keinen geeigneten Bewerber findet? Für viele ist die Ausbildung in dem betreffenden Betrieb vielleicht uncool oder der Jugendliche hat nicht die richtige Qualifikation. Aber was wäre denn die Konsequenz Ihrer Ausbildungsplatzabgabe? ({14}) - Lieber Herr Kollege, ich bin bestimmt eine von denen in diesem Raum, die die meisten Lehrlinge ausbilden. ({15}) Deshalb weiß ich, wovon ich rede. Eines muss ich Sie fragen: Was ist denn, wenn kein Lehrling gefunden wird? Wollen Sie dann keine Strafsteuer erheben? Die Folge wären Umgehungstatbestände und Überwachungsbürokratie. Sie planen die Einzahlung in einen Fonds - alles schön und gut. Die Unternehmer sollen also eine Zwangsabgabe in einen Fonds zahlen. Das heißt, zukünftig wird außerhalb des Betriebes ausgebildet. Das heißt, die Ausbildung wird verstaatlicht. Was geschieht dann überhaupt mit unserem hochgelobten dualen System?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Duales System, adieu! Das heißt, es wird am Bedarf vorbei ausgebildet. Das würde zu einer noch höheren Jugendarbeitslosigkeit als bisher führen. Sie haben es durch Ihre Politik bis jetzt schon geschafft, die Zahl der Ausbildungsplätze gegenüber 1998 um 44 000 zu verringern, und das trotz des JUMP-Programms. Wir haben einzelne Maßnahmen aufgeführt. Wichtig ist, dass wir als Politiker, die Einfluss nehmen können, alle Maßnahmen zusammen ergreifen, damit die Betriebe wieder Lehrlinge einstellen. Der Mittelstand erwartet von uns, dass wir hier handeln, dass wir uns nicht nur zurücklehnen und die Verantwortung auf die Wirtschaft abschieben. ({0}) Deswegen warne ich Sie davor, hier irgendeine Strafsteuer auf den Weg zu bringen. Entlasten Sie lieber, statt immer neue Belastungen zu schaffen. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Grietje Bettin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003439, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort zu Ihnen, Frau Wöhrl: Es ist schlicht falsch, was Sie hier behaupten. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die ja überproportional ausbilden, würden in den Genuss eines finanziellen Ausgleichs kommen. Es sind ja gerade die großen, die sich entziehen. Von daher ist es einfach nicht wahr, was Sie hier bezüglich der Abgabe behaupten. ({0}) - Es ist auch unlogisch, was Sie uns hier aufzutischen versuchen. ({1}) Es ist allgemein bekannt: Seit Jahrzehnten, nicht erst seit Rot-Grün, ist man im Frühsommer auf der Suche nach Ausbildungsplätzen. Wir müssen in diesem Bereich zu einer grundlegenden Strukturreform kommen; wir müssen von einer Situation wegkommen, die uns zwingt, von der Hand in den Mund zu leben, wie es auch jetzt leider wieder der Fall ist. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist auch in diesem Jahr schlecht; das wurde bereits von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt. Sie ist aber vielleicht doch nicht so schlecht, wie wir im Frühjahr befürchten mussten. Die Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft wurde schon erwähnt. Würde sie Wahrheit, bliebe das ganz große Desaster auf dem Lehrstellenmarkt vielleicht sogar aus. Trotzdem dürfen wir uns nicht damit zufrieden geben und uns nicht zurücklehnen. Selbst wenn sich die optimistischen Schätzungen bewahrheiten würden, läge das Angebot an Lehrstellen immer noch 4 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Unser klares politisches Ziel ist es aber, einen Ausbildungsplatz für alle Jugendlichen in diesem Land bereitzustellen. Nur so bieten wir der jungen Generation eine Perspektive, nur so sichern wir die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und nur so bekommt die Wirtschaft die qualifizierten Fachkräfte, auf die sie so dringend angewiesen ist. Es ist leider zu einem Ritual geworden, dass wir jedes Jahr einen Tanz um den fehlenden Ausbildungsplatz aufführen. Opposition und Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften werfen sich gegenseitig Versagen vor. Fakt ist aber: Für die Jugendlichen ist diese Zeit eine Phase von Existenzangst und Perspektivlosigkeit. Wir müssen deshalb alles dafür tun, ein kontinuierliches Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze zu schaffen. ({2}) Nur dort, wo Ausbildungsplätze trotz aller Bemühungen fehlen, müssen wir den Jugendlichen Brücken bauen. Dabei reicht es nicht, den jungen Menschen Ersatzmaßnahmen anzubieten, mit denen sie am Ende die entscheidende Hürde ins Berufsleben doch nicht nehmen können. Die Wirtschaft verläßt sich immer mehr auf das Engagement des Staates. Viele Unternehmen ziehen sich aus der betrieblichen Ausbildung zurück, und das zulasten der Betriebe, die immer noch ausbilden, und zulasten der öffentlichen Kassen. Im Jahr 2000 lagen die Ausgaben des Bundes, der Länder und der Bundesanstalt für Arbeit für die Berufsausbildung noch bei rund 11 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr waren es bereits 13,5 Milliarden Euro. Trotzdem sank im gleichen Zeitraum das Angebot an betrieblichen Lehrstellen von rund 647 000 auf gut 590 000. Es kann nicht unser politisches Ziel sein, dass der Staat zunehmend die Kosten der beruflichen Bildung trägt. Die staatlichen Mittel sind ohnehin stark begrenzt. Die Mittel müssen - PISA hat es uns gezeigt - vor allem für die vorschulische und schulische Bildung verwendet werden. Davon profitiert der Einzelne, aber natürlich auch der Unternehmer und die Unternehmerin. Es sind gerade die Betriebe, die sich immer wieder über die mangelnde Qualität der Ausbildung von Schulabgängern beklagen. Allerdings verpflichtet uns die Knappheit der Ressourcen auch dazu, das Geld möglichst effektiv einzusetzen. Das weltweit hochgelobte duale System lebt davon, dass die Ausbildung im Betrieb stattfindet, also praxisbezogen ist. Aber es lebt eben auch vom zweiten Lernort, von der Schule. Vor dem Hintergrund der Lage am Lehrstellenmarkt ist es unser zentrales Ziel, eine von der Konjunktur unabhängige Ausbildungsstruktur zu schaffen. Deshalb müssen wir die Motivation zur Ausbildung stärken. Unser Ziel ist klar formuliert: Wir müssen die Lasten der Ausbildung gerecht verteilen. Es war ja nicht nur der BDI-Präsident, der die Ungerechtigkeit zwischen den ausbildenden Betrieben und den Ausbildungsverweigerern unter den Unternehmen angeprangert hat. ({3}) Ich sage es hier gerne noch einmal klar und deutlich: Wenn die Wirtschaft ihren Ausbildungsverpflichtungen nicht selbstständig nachkommt, muss ein anderer, gerechter Mechanismus geschaffen werden. Aus diesem Grunde haben wir Grünen ein Stiftungsmodell entwickelt; Frau Dückert hat es bereits angesprochen. Die Stiftung „Betriebliche Bildungschance“ kann aus grüner Sicht ein Weg sein, um Ungerechtigkeiten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu beseitigen. Mit diesem Modell wollen wir vor allem den Mittelstand unterstützen, der bisher überproportional ausbildet. Die Grundidee der Stiftung ist: Ausbildende Betriebe bekommen eine direkte Förderung. Mit diesem Modell verfolgen wir das Ziel, zu einer grundlegenden Lösung des Problems der fehlenden Ausbildungsgerechtigkeit zu kommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte sich der Silberstreif am Horizont, den das Institut gestern gemalt hat, bewahrheiten, freut uns das für alle Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen. Dennoch dürfen wir uns von dieser Meldung nicht blenden lassen. Wir müssen jetzt den Kreislauf von fehlenden Chancen, Abhängigkeit vom Sozialstaat und erlernter Passivität durchbrechen. Jede und jeder Jugendliche in Deutschland braucht ein Angebot für eine betriebliche Ausbildung. Wir sind dies den jungen Menschen, den ausbildenden Betrieben und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schuldig. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Dr. Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Deutsche Post AG will im Jahr 2003 den Auszubildenden, die in diesem Jahr auslernen, keine Übernahmemöglichkeit im Unternehmen anbieten. Allein in den Niederlassungen in Berlin und Brandenburg handelt es sich um 400 auslernende Nachwuchskräfte. In der ganzen Bundesrepublik sind 2 138 junge Menschen davon betroffen. Wie kann es sein, fragen mich Auszubildende in einer E-Mail, dass der Staat unendlich viel Geld ausgibt, um Menschen in Arbeit zu bringen, jedoch tatenlos zusieht, wie die Deutsche Post AG 2 138 jungen Menschen nach beendeter Ausbildung keinen Arbeitsplatz anbietet? Ich frage die Bundesregierung im Auftrag dieser Jugendlichen: Was unternehmen Sie als Hauptaktionär der Deutschen Post AG, damit diese Jugendlichen übernommen werden? Denkt die Bundesregierung bei den Unternehmen, bei denen sie Hauptaktionär ist, etwa nur als Shareholder oder sieht sie sich als Eigentümer durch das Grundgesetz verpflichtet, soziale Verantwortung zu übernehmen? Ich denke, Letztgenanntes wäre die angemessenere Lösung. ({0}) Gebraucht werden die jungen Menschen allemal. Denn die Nichtübernahme der jungen Menschen bei der Deutschen Post AG geschieht vor dem Hintergrund eines Überstundenberges von mehr als 7 Millionen Stunden und eines nicht abgewickelten Erholungsurlaubes von mehr als 3 Millionen Tagen bei der Deutschen Post allein im Geschäftsjahr 2002. Aber nicht nur bei der Übernahme von Auszubildenden ist die Deutsche Post AG kein Vorbild; sie hat auch die Zahl der Ausbildungsplätze reduziert und steht damit schlechter da als viele private Unternehmen. Wo ist da die Vorbildwirkung des Bundes, meine Damen und Herren von der Bundesregierung? Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist dramatisch. Derzeit fehlen 148 000 Lehrstellen, davon allein 105 000 in den neuen Ländern. Der Bundeskanzler hat am 14. März dieses Jahres eine Ausbildungsplatzabgabe in Aussicht gestellt, wenn die Unternehmen nicht bereit sind, ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. Das Vorhaben einer Ausbildungsplatzabgabe ist ausdrücklich zu loben. Man muss sie allerdings umsetzen. Dass allein die Androhung eine gewisse Wirkung gezeigt hat, können wir in einem Flugblatt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ablesen, in dem erklärt wird: „Nicht ausbilden könnte teuer werden.“ Plötzlich finden Arbeitgeber Argumente, warum Ausbildung gar kein Verlustgeschäft ist. Im Gegenteil: Es rechnet sich. Ich finde, das Klagen über eine zu hohe Ausbildungsvergütung ist unehrlich. Denn in dem genannten Flugblatt kommt man zu dem Schluss, dass „viele Auszubildende ihren Unternehmen mehr einbringen, als sie kosten“. Die Arbeitgeberverbände haben den Wert von Auszubildenden richtig erkannt. Das Problem ist nur, dass die Unternehmen nicht bereit sind, im Rahmen einer Selbstverpflichtung Lehrstellen zu schaffen. Ich möchte daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 darauf verwiesen hat, dass es eine „Verantwortung der Arbeitgeber für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen“ gibt, und es eine gesetzliche Regelung anmahnte. Meine Damen und Herren von der Koalition, eine solche gesetzliche Regelung sollte 23 Jahre nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes endlich eingeführt werden. Wir als PDS fordern daher, nicht nur mit einer Ausbildungsplatzabgabe zu drohen, sondern sie auch zügig umzusetzen, damit endlich mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden. Schönen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Willi Brase für die SPD-Fraktion.

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Minister Wolfgang Clement und Staatssekretär Matschie haben sehr deutlich auf die notwendigen Maßnahmen zur Verringerung der Ausbildungsplatzlücke bzw. zur Beseitigung der Ausbildungsplatzkrise hingewiesen. Es ist völlig klar, dass wir von der SPD-Bundestagsfraktion sie dabei weiterhin tatkräftig unterstützen werden. ({0}) Mir scheint es wichtig und notwendig, über das quantitative Problem, das an der einen oder anderen Stelle beWilli Brase steht, hinauszuschauen. Die aktuelle Entwicklung zeigt einmal mehr die extreme Konjunkturabhängigkeit der Ausbildungsplatzentwicklung, die Konjunkturabhängigkeit der beruflichen Bildung. Wir müssen erleben, dass die Zahl der Ausbildungsplätze nach wie vor von der Auftragslage abhängig ist und offensichtlich und tatsächlich in Teilbereichen eine Kostenfrage darstellt. Die Antwort der Opposition, aber auch vieler Wirtschaftsverbände auf dieses Kostenproblem ist unter anderem ein Konzept aus der Mottenkiste, nämlich die Absenkung der Ausbildungsvergütung. Ich halte es für ein sehr ärmliches und erbärmliches Argument, jungen Erwachsenen, die auf dem Weg in die berufliche Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Weg in ein neues Leben sind, zu sagen: Wir müssen deine Ausbildungsvergütung kürzen, damit weitere junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen. - Meine Güte, sollen die jungen Leute demnächst noch Geld mitbringen, wie es in vorherigen Jahrhunderten der Fall war? Das werden wir entschieden ablehnen. ({1}) Dass unsere Position richtig ist, sieht man daran, dass das Handwerk in den Jahren 1998 bis 2002 zwar einen Arbeitsplatzverlust von 14,7 Prozent, aber einen Ausbildungsplatzverlust von 18,1 Prozent zu verzeichnen hatte. Man kann nicht sagen, dass aufgrund der Kostenstruktur allein Arbeits- und Ausbildungsplätze abgebaut wurden. Gerade im Bereich der Ausbildung zeigt sich, dass es immer stärker Qualifizierungen gibt, die manche kleine Unternehmen und Handwerksbetriebe nicht erbringen können. Sie haben sich deshalb aus der Ausbildung zurückgezogen. Wir müssen auf diese Tatsache reagieren, indem wir durch Verbundmaßnahmen und -lösungen wieder mehr kleinere Unternehmen für die Ausbildung gewinnen. Ich bin sicher, das wird uns auch gelingen. ({2}) Ich halte auch nichts davon, dass wir generell, wie manche es fordern, eine grundsätzlich verkürzte zweijährige Ausbildung als Ziel anstreben. Hier wird wenig Substanz weitergegeben. Außerdem gibt es genug verkürzte Ausbildungsgänge, die teilweise gar nicht genutzt werden. Es ist wichtig, den jungen Leuten in unserer Republik zu sagen: Wir wollen, dass ihr eine gute Qualifikation für euer Arbeitsleben erhaltet und ihr euch auf diese Weise eine gute Grundlage für lebensbegleitendes Lernen aufbaut. Deshalb sind wir gegen eine generelle Ausbildungsverkürzung auf zwei Jahre. ({3}) Ich will einen dritten Punkt ansprechen, der häufig vergessen wird. Das Bundesinstitut hat im Jahr 2000 - ich werde nicht müde, dies immer wieder zu sagen verglichen, wie die finanziellen Belastungen im Bereich der beruflichen Bildung verteilt waren. Hier mussten wir für das Jahr 2000 feststellen, dass die öffentliche Hand insgesamt 11 Milliarden Euro und die beteiligten Unternehmen etwas über 14 Milliarden Euro für den Bereich der beruflichen Bildung ausgegeben haben. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: In den Jahren 2001 und 2002 ist der öffentliche Anteil größer geworden. Allein vor diesem Hintergrund sage ich: Es kann nicht sein, dass die selbst gewollte Verantwortung im Bereich der beruflichen Erstausbildung schleichend auf die öffentliche Hand geschoben wird ({4}) und wir in Ostdeutschland bei den meisten Ausbildungsstellen öffentliches Geld von Bund, Ländern und der Bundesanstalt ausgeben müssen. Das ist schon ein Grund, um darüber nachzudenken, wie zukünftig die berufliche Bildung solidarisch finanziert werden kann. Warum sollten wir nicht die Unternehmen, die ausbilden, finanziell unterstützen, und von den Unternehmen, die einen Nutzen davon haben, sozusagen Trittbrettfahrer sind, einen kleinen Beitrag verlangen, damit alle wieder ein vernünftiges Angebot erhalten? ({5}) Meine letzte Bemerkung: Es ist schon interessant, dass manche meinen, das JUMP-Programm, das weit mehr als eine halbe Million Jugendliche betrifft, immer wieder infrage stellen zu müssen. ({6}) Über 60 000 Erstausbildungsplätze haben wir mit diesem Programm in den letzten Jahren finanziert. ({7}) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass mit diesem Programm erstmals junge Leute, die mehr als zwei Jahre nicht mehr bei den Arbeitsämtern gemeldet waren, in den Jahren 1999 und 2000 auftauchten. Sie wollten an dem Programm teilhaben und arbeiten, weil sie arbeiten können. Schon allein deshalb war es sinnvoll, dieses Programm auf den Weg zu bringen. ({8}) So können wir endlich aus der Dunkelziffer herauskommen; denn wir wollen die Wirklichkeit sehen. Vor diesem Hintergrund war das Programm richtig und wir werden es fortführen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Wir haben zwei Rekorde dieser Regierung zu verzeichnen: Es gibt 486 200 arbeitslose Jugendliche im Mai. Das ist der höchste Stand der Jugendarbeitslosigkeit in der Geschichte Deutschlands. Gleichzeitig hatten wir 43 500 betriebliche Insolvenzen im letzten Jahr zu verzeichnen. Auch das ist ein Rekord in der deutschen Nachkriegsgeschichte. ({0}) Herr Tauss, das einfache volkswirtschaftliche Einmaleins besagt, dass beide Rekorde in direktem Zusammenhang stehen: hinter 43 500 betrieblichen Insolvenzen stehen über 400 000 vernichtete Arbeits- und Ausbildungsplätze. ({1}) Gerhard Schröder ist der traurige Rekordkanzler dieser Republik. Den Betrieben fehlen offenkundig Aufträge: Ein Handwerksbetrieb, der für die nächsten drei Monate keine Aufträge hat, der kann sich nicht für die nächsten drei Jahre an einen Auszubildenden binden. Es bedarf der Perspektive für das Unternehmen, damit Perspektiven für die Menschen geschaffen werden können. ({2}) Der größte Kostentreiber ist die hohe Arbeitslosigkeit. Sie haben es trotz aller Ankündigungen nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. 4 Millionen Arbeitslose bedeuten 90 Milliarden Euro Leistungsausgaben und fehlende Steuer- und Beitragseinnahmen jährlich. Das ist der Beginn der Kettenreaktion erodierender sozialer Sicherungssysteme. Die mangelnde Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ist ein Spiegelbild der von Ihnen zu verantwortenden miserablen wirtschaftlichen Lage. Diese Lage ist konkret in Ihrer Wirtschaftspolitik begründet. ({3}) Leider ist der Wirtschaftsminister, der als Supermann angekündigt wurde, wieder abgetaucht. - Herr Clement, Sie sind noch anwesend; das finde ich sehr gut. Sie müssen einen Politikwechsel vollziehen, weil Sie nur so für die Menschen in Deutschland eine Perspektive schaffen können. ({4}) Wenn man mit den Unternehmern redet, stellt man fest, dass es um die mangelnde Verlässlichkeit dieser Politik geht. Sie geben heute ein Versprechen und brechen es morgen. Wenn die Grundlage für politisches Vertrauen im Kern zerstört ist, dann hilft im Grunde nur noch der Regierungswechsel. ({5}) Wir brauchen eine andere Politik. Entweder machen Sie eine andere Politik oder Sie werden in drei Jahren nicht mehr dort sitzen. ({6}) - Herr Tauss, auch wenn Sie ein Mikro verschluckt haben, sollten Sie etwas mehr Niveau in Ihre Zwischenrufe bringen. ({7}) Neben der großen politischen Aufgabe müssen wir uns auch um Details kümmern. Die Regierung hat in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt, dass 70 Prozent derjenigen, die über das JUMP-Programm gefördert werden, in die verzögerte Arbeitslosigkeit und nicht in eine reguläre Beschäftigung gehen, sich also in einer Warteschleife befinden. Die Mittel aus dem JUMP-Programm sollten in konkrete Maßnahmen zur Unterstützung betrieblicher Ausbildungsplätze umgeschichtet werden. Unternehmen könnten beispielsweise von den Sozialversicherungsbeiträgen für ihre Auszubildenden anteilig entlastet werden. ({8}) Lassen Sie uns auch darüber nachdenken, das, was die IG BAU mit den Arbeitgebern im Baubereich bereits beschlossen hat, nämlich die Ausbildungsplatzvergütungen um 20 Prozent zu senken, im großen Stil zu tun. Durch die Einsparungen können zusätzliche Ausbildungsplätze geschafft werden. Was die Gewerkschaften machen, sollten Sie als Sozialdemokraten zumindest einmal zur Kenntnis nehmen. Sie haben die Umlagefinanzierung im Baubereich angesprochen. Sie müssen doch wissen, dass trotz dieser Umlagefinanzierung im Baubereich die meisten Ausbildungsplätze abgebaut werden. Zwangsabgaben schaffen keine Ausbildungsplätze. Trotz Umlagefinanzierung wurden im Baubereich keine Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist die Lehre, die wir daraus ziehen müssen. Sie wissen genau, dass das Handwerk „Ausbildungsmeister“ ist. ({9}) - Ein bisschen netter und freundlicher bitte. Man sollte sich Argumente erst einmal anhören, ehe man darauf reagiert. ({10}) Greifen Sie im Bereich des Handwerks unseren Vorschlag auf: Erkennen Sie neben der Gefahrenabwehr die massive Ausbildungsleistung des Handwerks an und treUwe Schummer ten Sie für die Beibehaltung des Meisterbriefs für bestimmte handwerkliche Berufsbereiche ein. So würden wir gemeinsam einen Wettbewerb starten. Diese Berufsbereiche könnten den Meisterbrief als Zugangsvoraussetzung erhalten. Wir hätten dann einen Wettbewerb um mehr Ausbildungsplätze und würden das tun, was im Sinne sozialer Marktwirtschaft richtig ist, nämlich den Wettbewerb instrumentalisieren, um mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Sorgen Sie dafür, dass das Handwerk auch weiterhin „Ausbildungsmeister“ bleiben kann. Dadurch sichern Sie, dass auch zukünftig betrieblich und nicht in Warteschleifen ausgebildet wird. ({11})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat jetzt der Kollege Bertl für die SPDFraktion.

Hans Werner Bertl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002628, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein trauriges Bild von Opposition, das Sie hier abgeben: ({0}) Sie ergehen sich in Zahlenspielen und reklamieren den Abbau von so genannten bürokratischen Hemmnissen - natürlich mit Ausnahme der Handwerksordnungen -, aber das war es. Wir alle wissen: Denjenigen, die in diesem Jahr die Schulen verlassen werden, ist nur dann geholfen, wenn diejenigen, die Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen können, dies auch in ausreichender Zahl tun. Es hilft nicht - das ist ein immer wiederkehrendes Ritual -, wenn die Opposition hier einen ganzen Katalog von abzubauenden Hemmnissen nennt. Glauben Sie im Ernst, meine Damen und Herren, dass das Betriebsverfassungsgesetz Ausbildung behindert? Glauben Sie wirklich, dass die Zeit, die junge Menschen in den Berufsschulen verbringen, Ausbildung behindert? Sind Sie wirklich davon überzeugt, dass die Ausbildungsvergütung ein wesentliches Hemmnis ist? Ist der Jugendarbeitsschutz das Problem? Ernsthaft glaubt das keiner. Bei dieser Position, die doch von einigen vertreten wird, entstehen für mich sehr viele Fragezeichen. Ich will von dieser Stelle aus zunächst einmal denjenigen Anerkennung aussprechen, die im dualen System ausbilden, ({1}) die sich für junge Menschen verantwortlich fühlen und dafür auch den Aufwand, den Ausbildung ausmacht, auf sich nehmen. Sie zeigen, dass sie an die Zukunft ihres eigenen Unternehmens glauben und dass sie nicht auf die Kurzfristigkeit von Konjunkturzyklen schielen. Sie sehen in gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Perspektive nicht nur für sich und ihr Unternehmen, sondern auch für diejenigen, die sie beschäftigen. Das Wahrnehmen von Verantwortung für berufliche Bildung kann und darf nicht von Konjunktur oder den Schulnoten abhängig gemacht werden. ({2}) Wenn über 1,7 Millionen Menschen in über 620 000 Betrieben ausgebildet werden, zeigt das, dass zumindest 30 Prozent der Unternehmen der deutschen Wirtschaft wissen, dass sie nur mit qualifizierten Mitarbeitern und intelligenten Produkten und Dienstleistungen Bestand im Wettbewerb haben. Doch wo und wie sehen die anderen ihre Unternehmensperspektive? 70 Prozent der deutschen Wirtschaft beteiligen sich nicht an Ausbildung. Wir wissen, dass sich circa 650 000 ausbildungsberechtigte Unternehmen nicht an Ausbildung beteiligen. Reicht als Begründung die Höhe der Ausbildungsvergütung? Sie ist Sache der Tarifpartner. Es gibt intelligente Lösungen, um den Aufwand für die Unternehmen zu verringern und sogar die Qualität von Ausbildung zu verbessern. Zurzeit gibt es in Deutschland circa 350 Ausbildungsverbünde, die übrigens mit 11 Millionen Euro von öffentlicher Seite gefördert werden. Ist das nicht eine bessere Antwort für diejenigen, die zurzeit nicht ausbilden - aus welchen Gründen auch immer -, als die Berufsschultage, das Betriebsverfassungsgesetz, die Ausbildungsvergütung oder die Schulnoten von Jungen und Mädchen in den Mittelpunkt einer wirklich fadenscheinigen Begründung zu setzen? Ist es wirklich richtig, wenn die Bundesregierung massiv den Hinweis gibt, nach dem 30. September eine Lösung für mehr Ausbildung im dualen System zu präsentieren, die dann diejenigen entlastet, die ausbilden, schon jetzt von der Ankündigung eines der größten Ausbildungshemmnisse zu sprechen? Diese wäre vermeidbar, wenn sich mehr als die 30 Prozent der Wirtschaft besinnen würden und mit Inanspruchnahme der vielfältigen ausbildungsbegleitenden Hilfen, die die Ausbilder entlasten - ich habe die Verbundausbildung angesprochen -, zur Ausbildung bekennen und letzten Endes auch ausbilden würden. ({3}) Eine weitere Frage ist angebracht: Was empfinden zurzeit über 150 000 junge Menschen - auch ihre Eltern und ihre Freunde -, wenn sie erleben, dass sie in den Arbeitsämtern das ratlose Achselzucken der Ausbildungsvermittler als einzige Antwort auf ihre Suche nach Ausbildung - dem wirklich wichtigen Schlüssel für Teilhabe an unserer Gesellschaft - zur Kenntnis nehmen müssen? Und das in einem Land, das nach wie vor nicht am Abgrund steht, das nach wie vor sogar eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt ist. Glauben Sie wirklich, dass so etwas junge Menschen motiviert, positiv einstellt gegenüber unserem Land und unseren solidarischen Systemen, zu denen sie später ihre Leistungen zu erbringen haben? Die Frage eines ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen im dualen System, in den Betrieben und Unternehmen, darf nicht zu einer verkrampften und fragwürdigen Diskussion im Bundestag werden. Es ist die Aufgabe, ja sogar die Pflicht der Bundesregierung, alles zu unternehmen, damit die Wirtschaft ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zur Verfügung stellt. ({4}) Es ist aber auch die Pflicht der Opposition, sich einer solchen Frage zu stellen und daran mitzuwirken, dass dieser Weg erfolgreich wird. Ich will zum Abschluss einen Punkt ansprechen, der sicherlich ein Stück weit hinterfragt werden kann. Auf die Frage, ob es in unserem Land nötig sein muss, dass Minister und der Regierungschef von Betrieb zu Betrieb eilen und um Ausbildungsplätze bitten müssen, sage ich: Wenn es hilft, dann tun sie es. Aber dann muss auch die Opposition diesen Weg mitgehen. Diskreditieren Sie nicht die Maßnahmen, die wir insbesondere zur Hilfe für die jungen Menschen auf den Weg gebracht haben, die Schwierigkeiten haben, in Ausbildung zu kommen. Ich finde es schon faszinierend, wie viele Kolleginnen und Kollegen der Opposition an den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit Briefe geschrieben haben mit der massiven Bitte, die berufsvorbereitenden Maßnahmen in ihrem Wahlreis nur ja aufrechtzuerhalten, ({5}) die dann hier im Deutschen Bundestag aber die Jugendsofortprogramme reklamieren und diskreditieren. Seien Sie in diesem Punkt doch bitte ehrlich und unterstützen Sie die richtigen Bemühungen der Bundesregierung! Gehen Sie als Opposition diesen Weg konstruktiv mit! Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erteile ich dem Kollegen Werner Lensing für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Clement, Sie sprachen vorhin wiederholt davon, dass wir Polemik bitte aus der Debatte heraushalten sollten. Für diesen Appell habe ich großes Verständnis. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir es nicht als traurig, unglaublich und auch unverantwortlich empfinden, dass wir immer wieder betrachten müssen, wie nicht zuletzt Ihre Regierung von den selbst verdrängten Problemen überrascht wird. Während Sie sich nämlich beispielsweise mit Minister Eichel und Frau Schmidt noch immer um die Umverteilung nicht vorhandener wirtschaftlicher Güter streiten, holt uns das Problem der fehlenden Ausbildungsplätze zum Ende eines Schuljahres geradezu wie nach einem Ritual immer wieder ein. ({0}) Jedes Jahr gibt es die gleichen Rituale: ({1}) Ausbildungsgipfel, Ausbildungsgarantien, Forderungen nach Bündnissen, Werbekampagnen und neuerdings auch Drohungen an diejenigen, die bisher die Hauptlast der Ausbildung getragen haben. Wer nicht ausbildet, wird mit staatlichen Sanktionen belegt. Basta! Wir nennen das ein Sündenbock-Syndrom. Das ist kontraproduktiv. ({2}) Wir wiederholen unsere Kritik bezüglich der Ausbildungsabgabe nicht, weil wir Freude daran haben, sondern weil wir leider erkennen müssen, dass diese Abgabe unter anderem aus den Gründen, die wir eben schon gehört haben, kein geeigneter Weg sein kann. Sie folgen bei dieser Philosophie der Sozialabgaben und Ausbildungsabgaben vor allen Dingen der sozialdemokratischen Irrlehre, dass Arbeit und Ausbildung konstante Größen in der Volkswirtschaft sind, die es allein durch die Politik zu verteilen gilt. Genau das ist elendig falsch und kann nicht gelten. ({3}) Ich möchte das ganz konkret an einem Beispiel deutlich machen: Die Abgabe, die man berechnen muss, verschlingt Aufkommen. Die Alternative, eine bestimmte Ausbildungsquote als Maßstab für die Abgabenerhebung zu verwenden, verlangt einen bürokratischen Aufwand, der einen Großteil des Abgabenaufkommens beanspruchen würde. Für sämtliche 2,45 Millionen Betriebe müssten wir nämlich die Sollstärke der Zahl der Auszubildenden errechnen, die Differenz zur Istgröße bilden und daraus eine Zahlungsverpflichtung berechnen. ({4}) Da die Industrie- und Handelskammern nicht über aktuelle Beschäftigungszahlen verfügen, wäre ohne die Amtshilfe der Bundesanstalt für Arbeit eine Berechnung zudem nicht möglich. Ohne eine gesetzliche Regelung ist wiederum ein Datenabgleich nicht denkbar. Das kann in einer zu belebenden Wirtschaft kein Rezept sein. ({5}) Ein Letztes zu diesem Bereich: ({6}) Durch Zwang entstehen keine Ausbildungsplätze, sondern noch mehr Arbeitslose, vor allen Dingen jugendliche Arbeitslose. ({7}) Ich komme zu den Betrieben. Schon jetzt tragen die Betriebe gewaltige Lasten. Laut Berufsbildungsbericht gaben diese im Jahre 2002 über 27 Milliarden Euro für die Berufsausbildung im dualen System aus. Das ist weit mehr, als Bund und Länder beispielsweise für Teilzeitberufsschulen, für Berufsausbildungsbeihilfen oder für Sonderprogramme einbrachten. ({8}) Ich möchte auch Folgendes einmal sagen: Die Wirtschaft lebt unter anderem davon, dass man bereit ist, Risikokapital zur Verfügung zu stellen. Gerade hier fehlt es aber an allen Ecken und Enden, sodass selbst das Bemühen um Hilfe - in diesem Fall die Einstellung von Lehrlingen - scheitern würde. Ich unterbreite gerne meinen Vorschlag. Es ist besser, all jenen, die einen Lehrling einstellen, einen Pauschalbetrag zur steuerlichen Entlastung anzubieten, anstatt diesen am Ende gar noch mit Zwangsabgaben zu drohen. ({9}) Das würde im Übrigen die Stimmung im Mittelstand ganz eindeutig verbessern. Mein Fazit: Erstens. Ich bin davon überzeugt: Bevor wir uns - mit oder ohne Polemik - überhaupt Gedanken machen, brauchen die kleinen und mittleren Unternehmen zuallererst eine beschäftigungs- und ausbildungsfördernde Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Zweitens. Wichtig ist die Abkehr von der Förderung nach dem Gießkannenprinzip. Notwendig ist vielmehr eine zielgenaue Förderpolitik, die Investitionsaktivitäten anregt. ({10}) Drittens. Wir brauchen schließlich neue und flexibel einsetzbare Ausbildungsberufe, um neues Ausbildungspotenzial erschließen zu können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte meine Rede gerade mit einem Dank an die Zuhörer beenden, Herr Präsident. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine so prompte und großzügige Reaktion ist selten und verdient deswegen besondere Anerkennung. Nun hat die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion, das Wort.

Karin Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003618, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat so, dass die Lage auf dem Ausbildungsmarkt sehr besorgniserregend ist. Die Diskussion darüber vermittelt aber leider nicht den Eindruck, dass wir alle die gleichen Sorgen haben. Ich habe vielmehr den Eindruck: Insbesondere die Opposition macht den Versuch, dieses Thema populistisch so zu handhaben, dass diese Diskussion am Ende auf dem Rücken der jungen Menschen ausgetragen wird. Genau das Gegenteil wollen wir, wie Minister Clement in seiner Rede deutlich gemacht hat. Es geht uns darum, dass im Bereich der Ausbildungsplatzinitiativen von allen Akteuren gemeinsam gehandelt wird. Wir alle müssen dieses Problem gemeinsam lösen, weil wir den jungen Menschen, die wir dabei im Blick haben, Zukunftsperspektiven geben müssen. Frau Pieper, Ihnen muss ich sagen: Es geht nicht nur um Deregulierung. Man muss Maßnahmen schaffen, die dazu beitragen, vor allen Dingen den Jugendlichen eine Perspektive zu geben. Das machen wir, zum Beispiel mit unserem JUMP-Programm. Keine Frage: Es ist nicht nur für die Zukunft schlecht, dass 70 Prozent der Unternehmen nicht ausbilden. Eigentlich müssten alle Unternehmen, die dazu befähigt sind, ausbilden. Das würde der Zukunftsverantwortung der Unternehmen gerecht. Es müsste auch im Sinne der Opposition sein, diese Verantwortung einzufordern. Ich erinnere an die Selbstverpflichtung der Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Bündnis für Arbeit. Die Verpflichtung lautete - ich zitiere aus dem Protokoll -, dass diejenigen, die ausbilden können, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen sollen, und dass vor allen Dingen die Jugendlichen - das ist das Wichtige - das Recht auf einen Ausbildungsplatz haben. Das heißt, dies war Konsens. Von diesem Konsens wird jetzt abgewichen. Jeder versucht, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ich hoffe, dass es uns mit der Initiative der Bundesregierung gelingt, die Unternehmen in ihrem eigenen Interesse zur Vernunft zu bringen. Es ist doch zwischen allen Fraktionen unbestritten, dass es im Eigeninteresse der Unternehmen liegt, Ausbildung zu organisieren. ({0}) Ausbildung ist nicht nur eine Last; sie ist vor allen Dingen eine Zukunftsinvestition. Diese Zukunftsinvestition müssen auch die Unternehmen organisieren. Herr Lensing, damit wir uns über die von Ihnen präsentierten Zahlen im Klaren sind: Das, was Sie uns genannt haben, war nicht richtig. Sie haben die Bruttokosten angeführt. Ich aber rede von den Nettokosten. Das ist nämlich das Entscheidende. Es ist nun einmal so, dass die Wirtschaft 14,7 Milliarden Euro und der Staat 11 Milliarden Euro in die Ausbildung investieren. Die Ausbildung ist also im wahrsten Sinne des Wortes dual organisiert; nicht mehr und nicht weniger. Von daher müssen wir jetzt überlegen: Wie schaffen wir es, dass sich die Unternehmen in diesem Bereich stärker engagieren? Es kann doch nicht sein, dass 30 Prozent der Unternehmen die Lasten aller übernehmen. Das ist keine Solidarität der Unternehmen untereinander, sondern das ist egoistisch und auf Dauer nicht zu vertreten. ({1}) Karin Roth ({2}) Ich stimme der Aussage der Kollegin vom Bündnis 90/ Die Grünen zu, dass wir den Ausbildungsmarkt konjunkturunabhängiger machen müssen, weil es nicht gut ist, dass wir dieses Thema alle Jahre wieder auf der Tagesordnung haben und wir Parlamentarier uns wie Bettelleute vorkommen, die um Ausbildungsplätze und um die Zukunft der jungen Leute betteln. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir das besser und konjunkturunabhängiger machen können. Das ist unsere politische Verantwortung. Es geht um die Rahmenbedingungen, die auch wir setzen. Es gibt schon positive Beispiele. Niedersachsen und der Tarifvertrag der IG BCE sind schon genannt worden. Das sind alles Initiativen, die in die richtige Richtung gehen und mit denen die Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden. Wir von der Politik haben zu verantworten, dass die Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, wenigstens die Maßnahmen bekommen, die notwendig sind, um sie zu fördern. Denken Sie an das JUMP-Programm, die Berufsvorbereitungslehrgänge und die Förderlehrgänge für benachteiligte Jugendliche. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Maßnahmen zu gewährleisten, denn die jungen Menschen, die wir nicht in diese Ausbildung bringen, würden sonst auf der Straße stehen und unsere Gesellschaft in einer anderen Weise belasten. Dann würden wir alle lamentieren und diese Jugendlichen als verlorene Generation bezeichnen. Daher haben wir alle gemeinsam die Verantwortung, dass wir auch die flankierenden Maßnahmen der Bundesregierung wie zum Beispiel das Sonderprogramm JUMP plus oder auch die Bund-Länder-Programme weiter durchführen, zwar nicht in dem Sinne, dass sie eine Alternative wären; aber solange die Ausbildungsplatzsituation so ist, müssen wir diese Programme additiv durchführen. Mein Appell an die Opposition lautet: Versuchen Sie nicht auf dem Rücken der jungen Leute zu polemisieren. ({3}) Versuchen Sie vor Ort gemeinsam mit den Profis der Regionen die Lage zu verbessern. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Kretschmer für die CDU/CSUFraktion das Wort. ({0})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lehrstellensituation ist deutschlandweit schon als dramatisch zu bezeichnen. Ich frage mich, welches Attribut passt für die neuen Bundesländer. Aktuell haben wir 171 000 Lehrstellensuchende. Davon kommt etwa die Hälfte, 85 000, aus den neuen Bundesländern. Seit dem Zusammenbruch der Industriestruktur mit der Wiedervereinigung ist der Lehrstellenmangel für uns schmerzlicher Alltag. Doch zwei Ursachen sorgen derzeit dafür, dass für viele Schulabgänger überhaupt keine Chance mehr besteht, einen Beruf zu lernen. Das eine ist der zum Stillstand gekommene Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern. Ja, wir haben sogar einen Abschwung zu verzeichnen, der das ohnehin geringe Angebot an Lehrstellen reduziert. Hinzu kommt, dass die Probleme in den alten Bundesländern immer stärker werden und viele Jugendliche, die die Ausbildung im Westen gesucht haben, dazu keine Chance mehr haben. Im März 2002 gab es laut Bundesanstalt für Arbeit in den alten Bundesländern noch deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Seit März 2002 geht die Schere immer weiter auseinander. Es ist schon oft gesagt worden, aber ich möchte es noch einmal betonen: Ausbildung ist eine Investition sowohl für die Jugendlichen als auch für die Unternehmen. ({0}) Für Unternehmen heißt das: Wenn die Zeiten schlechter werden, wenn es Insolvenzrekorde gibt, wenn die Arbeitslosenzahlen in ungeahnte Höhen steigen, wenn die Umsätze sinken und der Staat große Steuereinbrüche hat, dann hat das Folgen für die Wirtschaft und bedeutet in dem Fall einen Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze. Das kann nicht anders sein. Der Wunsch nach einem konjunkturunabhängigen Angebot an Ausbildungsplätzen ist eine abstruse Vorstellung, planwirtschaftlich, völlig unsinnig. ({1}) Nein, meine Damen und Herren, Sie müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die dafür sorgt, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und es zu einem Wirtschaftsaufschwung kommt. Dann klappt es auch wieder mit der Ausbildung. Das JUMP-Programm - die Frau Bundesministerin ist nicht da, aber Herr Matschie kann es ihr ausrichten hat versagt und JUMP plus ist eine 300 Millionen Euro teure Nebelkerze. ({2}) - So ist es. Ich habe Ihnen letztes Mal auch deutlich gesagt, wie es bei uns wirkt. Wir haben in unseren Wahlkreisen eine Reihe von Anhörungen durchgeführt. Alle, die daran teilgenommen haben, haben festgestellt, dass es zwar Elemente der Eingliederung gebe, die zweifellos zu begrüßen seien, dass aber das Programm insgesamt sein Ziel verfehle. Dafür wird 1 Milliarde Euro pro Jahr verpulvert, die an anderen Stellen fehlt. ({3}) Im Rahmen von JUMP plus sollen 350 Fallmanager 100 000 Jugendliche, die zum Teil fünf Jahre ohne regelmäßige Beschäftigung waren und die sich am sozialen Rand bewegen, betreuen. Glauben die Ministerin und das Ministerium tatsächlich, dass das funktionieren kann? Glauben Sie, dass 350 Mitarbeiter, die über 181 Hauptämter der Bundesanstalt für Arbeit mit Dutzenden von Geschäftsstellen verteilt sind, reichen, um dieses Ziel zu erreichen? ({4}) Wir glauben das nicht. Wir sind auch nicht der Meinung, dass wir unbedingt mehr Geld brauchen, um die vorhandenen Probleme zu lösen. Wir brauchen vielmehr eine vernünftige Wirtschaftspolitik und eine Bundesregierung, die sich intern einig ist. ({5}) Wenn Sie sich im Internet über die Ausbildungsinitiative 2003 informieren, dann stellen Sie fest, dass jeder seine eigene Spielwiese eröffnet hat. Sei es das BMWA oder das BMBF - jeder macht mit; es werden Reisen quer durch das Land unternommen. Das ist ein furchtbarer Zustand. So kann das Vorhaben nicht funktionieren. Es kommt noch etwas hinzu: Wir haben im letzten Herbst und Winter deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Ausbildungsprogramm Ost in Anbetracht der Situation erweitert werden muss. Es war seinerzeit völlig klar, wie sich die Situation im März bzw. in diesem Juni darstellen würde. Sie haben unsere Forderung abgelehnt und darauf hingewiesen, dass es bei 12 000 geförderten Lehrstellen bleibt. Erst vor wenigen Wochen sind Sie eingeknickt. Ich erinnere Sie an das Beispiel Geringverdienergrenze. In der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf unsere Anfrage hieß es, es gebe kein Problem damit; es gebe kaum Auszubildende in dem Bereich zwischen 325 und 400 Euro. Mittlerweile ist festzustellen, dass die Anhebung der Geringverdienergrenze allein in Sachsen eine Mehrbelastung in Höhe von 10 Millionen Euro pro Jahr zur Folge hat. Noch am 26. März war das Wirtschaftsministerium der Meinung, es gebe kein Problem und es bestehe kein Handlungsbedarf. Heute hat Staatssekretär Matschie im Ausschuss angekündigt, dass die Maßnahme zum 1. September zurückgenommen wird. Ich frage Sie: warum nicht gleich? Was ist mit dem Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 1. September, in dem die Geringverdienergrenze noch gilt? Was ist mit dem finanziellen Mehraufwand, der damit verbunden ist? ({6}) Was ist das für eine Politik, die bei einem Lehrstellenmangel weitere Belastungen schafft und damit die Chance auf Ausbildung noch weiter reduziert? Wir befinden uns in einer schlimmen Zeit. Sie aber versuchen, die Probleme, die Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik selbst verursacht haben, auf anderem Wege zu lösen. Das wird aber nicht funktionieren. Es wird vielmehr die Probleme noch vergrößern. Hören Sie damit auf und kehren Sie auf den Boden der Tatsachen zurück! Beseitigen Sie die Ursachen dort, wo sie entstanden sind, nämlich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik! ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile dem Kollegen Ernst Küchler von der SPDFraktion das Wort.

Ernst Küchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der bereits mehrfach beschriebenen desolaten Ausbildungsplatzsituation gerät eine Gruppe von Jugendlichen in besondere Bedrängnis, nämlich die Jugendlichen mit Einstellungs- oder Ausbildungshindernissen, die Handicaps aufweisen oder die aus den verschiedensten Gründen nicht oder noch nicht die Voraussetzungen mitbringen, eine reguläre Ausbildung anzutreten. Sie sind in der Schule gescheitert, haben nicht die erforderliche Förderung in der Schule oder im Elternhaus erfahren oder müssen mit Behinderungen leben. Die Anforderungen steigen. Der Verdrängungswettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt verschärft sich und so bleibt eine wachsende Zahl benachteiligter Jugendlicher ohne Chance. Bisher gab es eine große Zahl einschlägiger Maßnahmen der Berufsvorbereitung, der Beschäftigungsförderung, der Benachteiligtenförderung und der zweiten Chance, etwa um den Schulabschluss nachzuholen. Durch gezielte Förderung konnten Defizite abgebaut und der Anschluss an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geschafft werden. Viele dieser Programme der Berufsvorbereitung, der Jugendberufshilfe und des zweiten Bildungsweges wurden immer wieder kritisiert oder gar, wie heute noch, diffamiert. Ich erinnere an die unsäglichen Debatten zum JUMP-Programm. Diese Erfahrung haben wir nicht erst heute gemacht. Heute Morgen noch haben wir im Ausschuss über einen FDP-Antrag zum Thema Ausbildungsplatzsituation diskutiert. In diesem Antrag ist von der Wirkungslosigkeit und Erfolglosigkeit des JUMPProgramms die Rede. ({0}) Hunderttausenden von Jugendlichen hingegen haben diese Programme geholfen, Anschluss zu finden, und haben ihnen eine zweite oder gar dritte Chance eröffnet. Diese Maßnahmen hatten und haben eine Brückenfunktion. ({1}) Dennoch wurden die grundlegenden Probleme dieses der Ausbildung vorgelagerten Bildungsbereichs bisher nicht bewältigt. Zum einen sind die Defizite im schulischen System zu nennen: Inzwischen verlassen rund 10 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, und dies mit wachsender Tendenz. Zum anderen waren und sind die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen unzureichend und ungesichert finanziert. Eine Patchworkfinanzierung aus Mitteln der Arbeitsverwaltung, der Länder, der Kommunen und der EU mit kurzen Laufzeiten ermöglicht keine verlässliche und dauerhafte Planung und keine hinreichende Professionalität. Dies schlägt auf die Qualität dieser Maßnahmen durch. Viele Beschäftigte bei den zahlreichen Trägern, die sich mit viel Kreativität und hohem Engagement der Jugendlichen angenommen haben, arbeiten selbst in ungesicherten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Sie sind sozusagen selbst Teil dieses fragilen Systems der Beschäftigungsförderung. In diesem Jahr hat sich - auch angesichts der Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit - die Situation für die Träger und für die Jugendlichen noch einmal verschärft. Nur dank zahlreicher Initiativen seitens der Träger und der Politik ist es inzwischen gelungen, zumindest die Zahl der Plätze in diesen Maßnahmen zu sichern. Das wird jedoch nicht ausreichen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich wende mich nicht gegen eine kritische Überprüfung der Qualität und der Effektivität solcher Maßnahmen. Der Aufwand muss in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag, also zum Eingliederungserfolg, stehen. Aber verzichten können wir auf diese Bildungsmaßnahmen nicht. ({2}) Im Gegenteil, wir werden sie ausweiten und auf eine gesicherte Grundlage stellen müssen. Nur so kann das Fördern und Fordern gleichermaßen gelingen; die Jugendlichen können nur dann gefordert werden, wenn wir ihnen eine echte Chance geben. Der Presse war zu entnehmen, dass nahezu 150 Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause in den letzten Monaten auf Einladung zahlreicher Träger die entsprechenden Einrichtungen besucht haben. Sie werden wie auch ich festgestellt haben, dass die Jugendlichen durchaus bereit und in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Sie wollen eine Ausbildung und sind bereit, selbst etwas zu tun, um die Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Geben wir diesen Jugendlichen eine Chance, geben wir ihnen eine Perspektive! Wir müssen verlässliche Brücken zum ersten Ausbildungsmarkt schlagen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun freuen wir uns auf die abschließenden, zusammenfassenden Zwischenrufe des Kollegen Tauss. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Ich werde mich bemühen, viele neue Aspekte einzubringen und keine Zwischenrufe zu wiederholen. Meine Damen und Herren! Jede bzw. jeder einzelne Jugendliche, die oder der keinen Ausbildungsplatz bekommt, ist eine bzw. einer zuviel. Davon lassen wir uns leiten; Sie hoffentlich auch. Dass die Wirtschaft die Verpflichtung zur Ausbildung hat, davon lassen wir uns ebenfalls leiten; Sie hoffentlich auch. Ich danke in diesem Zusammenhang Wolfgang Clement und Edelgard Bulmahn ganz ausdrücklich, die großes individuelles Engagement an den Tag legen, um Ausbildungsplätze zu gewinnen. Dieses Engagement kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. ({0}) Hier geht es konkret um Ausbildungsplätze und nicht um oppositionelles Gemosere. Hier geht es um junge Menschen, aber natürlich auch um das künftige Bild von beruflicher Bildung. Ich bin einmal gespannt, wie sich Herr Müllermeister Glos, der uns leider seit geraumer Zeit nicht mehr beehrt, in Bayern verhalten wird, wenn wir über die Frage der Durchlässigkeit beruflicher Bildung und über die Aufwertung des Meisters reden. ({1}) - Frau Wöhrl, ich bin gespannt, wie sich das Land Bayern dann verhalten wird. Bisher hat es in diesem Bereich immer blockiert. Ich halte es für relativ merkwürdig, lieber Kollege Kretschmer und andere, dass Sie es als nahezu normal hinnehmen, dass sich die Betriebe in Zeiten einer schwierigen Konjunktur Ausbildungszurückhaltung auferlegen. ({2}) Nein, diese Normalität sehen wir nicht; das ist kurzsichtig. Es sollte doch selbstverständlich sein, auch in einer schwierigen konjunkturellen Situation darüber nachzudenken, wie man Zukunftssicherung betreiben kann. Betriebe, die aufgrund kurzfristiger konjunktureller Überlegungen nicht ausbilden, handeln im Grunde genommen gegen ihre eigenen Interessen. Diese Betriebe sollen ja keine sozialen Großtaten vollbringen, sondern lediglich einen eigenen Beitrag für ihre Zukunft leisten. Aber das wird von Ihnen ignoriert. ({3}) Das gilt erst recht für die neuen Bundesländer. Denn dort gibt es einen Teufelskreis: Weniger Ausbildungsplätze führen zur Abwanderung junger Menschen, was wiederum zur Schwächung ganzer Regionen beiträgt. Aus diesem Grunde ist es noch kurzsichtiger, wenn man die Zukunftschancen nicht nutzt. Aus dem gleichen Grund bleibt eine staatliche Förderung unverzichtbar. Ich bitte Sie, die staatliche Förderung nicht zu diskreditieren, sondern mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, dass diese Förderung auch in den neuen Bundesländern wieder reduziert werden kann. Dafür ist es aber notwendig, dass auch die Betriebe in den neuen Bundesländern nicht warten, bis Geld von uns kommt, um die Wirtschaft in diesem Bereich zu unterstützen. ({4}) Wer nicht ausbildet, der sägt an dem Ast, auf dem er als Unternehmer sitzt. Herr Rogowski hat völlig Recht, wenn er sagt - ich hätte dieses Wort nie in den Mund genommen -: Die Betriebe, die nicht ausbilden, verhalten sich parasitär. Das ist ein deutliches Wort. ({5}) Das - und keine Sonthofen-Strategie - hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht. Nach den Ausführungen, die Sie heute gemacht haben, hat man fast den Eindruck, dass Sie sich im Grunde genommen noch freuen, wenn die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgeht. Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte aus meinem Wahlkreis erzählen, hoffentlich, Herr Präsident, ohne jemanden zu langweilen. In der letzten Woche hat ein Betrieb, der als Garagenfirma gegründet worden war, sein 25-jähriges Jubiläum gefeiert. Er ist inzwischen zum Weltmarktführer mit internationalen Produktionsstätten und mit vielen Beschäftigten aufgestiegen. In der Festrede anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums hat der Seniorchef ausgeführt, er habe sich mit der Errichtung der neuen Lehrwerkstatt einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Danach gab es ein zweitägiges Fest, auf dem 450 Menschen die neue Lehrwerkstatt begossen und gefeiert haben. Ich wünsche mir, dass sich der Geist dieses Unternehmers - und nicht Ihre Miesmacherei - auch bei der Unternehmerklientel durchsetzt, die Sie verteidigen, wenn sie nicht ausbildet. ({6}) Nicht Jammern, sondern gemeinsames Handeln für die jungen Menschen ist in diesen Zeiten erforderlich. Wie das geht, macht die Bundesregierung mit Clement vor. Sie sollten das Mosern lassen und stattdessen mitmachen. Das ist die bessere Alternative für die Jugend in diesem Land. Ich sage Ihnen: Jeder Einzelne ohne Chancen ist einer zu viel. Sie sollten nicht versuchen, die momentane Lage parteipolitisch zu missbrauchen. Sie sollten vielmehr im Geiste des von mir angesprochenen Unternehmers bei der Bewältigung der Probleme mithelfen. Ich bedanke mich. Herr Präsident, ich habe meine Redezeit nicht überschritten. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Tauss, ich bestätige diese Vermutung ausdrücklich. Ich war selten so zufrieden mit Ihnen wie eben. ({0}) Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit zugleich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.