Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Aktionsplan Drogen und
Sucht.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung,
Marion Caspers-Merk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Bundeskabinett hat heute den Aktionsplan Drogen und
Sucht beschlossen. Es handelt sich hierbei um einen Orientierungsrahmen für die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Der Aktionsplan soll den Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplan der alten Bundesregierung ablösen.
Ziel des neuen Aktionsplans Drogen und Sucht ist es,
einen neuen gesellschaftlichen Grundkonsens zur Bekämpfung des Missbrauchs von Drogen und Sucht herzustellen. Deswegen ist dieser Aktionsplan sehr eng und
intensiv mit den Verbänden, die in der Suchthilfe tätig
sind, mit den Bundesländern und mit denjenigen Wissenschaftlern, die in der Suchtforschung arbeiten, abgestimmt worden.
Das Ziel, das wir mit dem neuen Aktionsplan verfolgen, haben wir vor dem Hintergrund formuliert, dass
Drogen und Sucht in unserer Gesellschaft ein ernstes
und großes Problem darstellen. Jedes fünfte Bett in deutschen Krankenhäusern ist ein „Suchtbett“. Jeder zehnte
Arztbesuch ist de facto ein „Suchtbesuch“. Meist wird
nur die Fraktur behandelt, die dahinter stehende Abhängigkeit, zum Beispiel von Alkohol, wird in aller Regel
aber nicht erkannt. Aus diesem Grunde und angesichts
der Auswirkungen gehört das Thema Drogen- und
Suchtprobleme in Deutschland nicht an den Rand der
Gesellschaft, sondern in ihre Mitte.
Der Aktionsplan wurde heute im Kabinett beschlossen, weil morgen der Weltdrogentag stattfindet, der das
Motto hat: Let’s talk about drugs; lasst uns über Drogen
reden. Es soll damit klar gemacht werden, dass es keinen
Sinn macht, dieses Thema zu tabuisieren, sondern dass
man es offen ansprechen und man in der Gesellschaft
über Sucht- und Drogenprobleme kommunizieren muss.
Wie ist die Situation in Deutschland? Etwa
17 Millionen Menschen rauchen, 6 Millionen davon
mehr als 20 Zigaretten pro Tag. Wir wissen, dass an den
Folgen des Rauchens täglich über 300 Menschen sterben. Wir wissen, dass wir in Deutschland 1,6 Millionen
alkoholabhängige Menschen haben, 1,3 Millionen medikamentenabhängige Menschen und circa 120 000 Menschen, die von illegalen Suchtmitteln wie Heroin und
Kokain abhängig sind. Es ist also eine ernste Situation.
Der neue Aktionsplan Drogen und Sucht umfasst vier
große Säulen. Die erste Säule betrifft die Prävention, die
zweite Säule den Bereich Behandlung und Therapie, die
dritte Säule die Überlebenshilfen und die vierte Säule
Repressionen. Deswegen ist dieser Aktionsplan natürlich mit allen Ressorts, die hier Verantwortung tragen,
abgestimmt.
Bei der Prävention gehen wir einen neuen Weg. Wir
verzichten nämlich auf Aufklärung mit erhobenem Zeigefinger. Vielmehr haben wir das Ziel in den Mittelpunkt
gestellt, Kinder stark zu machen, damit sie Nein zu Drogen sagen.
Hinsichtlich Behandlung und Therapie sind wir der
Auffassung, dass wir einen Baukasten unterschiedlicher
therapeutischer Angebote brauchen. Denn jede Suchterkrankung ist eine sehr individuelle Erkrankung.
Im Bereich der Überlebenshilfen hat die Bundesregierung das Angebot ausgebaut. Sie wissen, dass wir, zusammen mit den betreffenden Landesregierungen, in sieben
Städten auf ihren Wunsch hin einen Heroinmodellversuch durchführen und die Möglichkeit eröffnet haben,
dort, wo die Städte dies wollen, Drogenkonsumräume
Redetext
zur Verfügung zu stellen. Deswegen ist es uns insbesondere gelungen, die Zahl der Toten aufgrund illegalen
Rauschgiftkonsums deutlich zu senken. Nachdem Anfang der 90er-Jahre noch sehr hohe Zahlen zu verzeichnen waren, ist es uns im letzten Jahr gelungen, die Zahl
der rauschgiftbedingten Todesfälle um ein Viertel zu
senken. Diese Tendenz schreibt sich in diesem Jahr fort.
Insgesamt ist festzustellen, dass der Aktionsplan Drogen und Sucht auch in die europäische Debatte einbezogen wurde. Mittlerweile gibt es eine Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon, die das Ziel verfolgt,
in Europa einen Überblick über die Risiken von Drogenund Suchtmitteln zu erhalten. Die Mitarbeiter dort arbeiten an Zielen, Maßnahmen und Instrumenten. Alles, was
wir tun, muss evaluiert werden.
Insofern glaube ich, dass es ein gutes Zeichen ist, dass
die Bundesregierung nach einem intensiven Dialog in
der Drogen- und Suchtpolitik, der ein Jahr dauerte, nun
einen neuen Orientierungsrahmen vorlegt. Weil der Aktionsplan Drogen und Sucht im Vorfeld eng mit den Ländern koordiniert worden ist, hoffen wir, dass die zuständige und federführende Gesundheitsministerkonferenz,
die am 2. und 3. Juli tagen wird, ihn zustimmend zur
Kenntnis nehmen wird. Wir haben damit einen gesellschaftlichen Orientierungsrahmen vereinbart, der für alle
Seiten Gültigkeit hat.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. - Ich darf nun darum bitten, Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen.
Der Kollege Detlef Parr hat sich als Erster gemeldet.
Frau Staatssekretärin, in vielen Bereichen, insbesondere bezüglich der vier Säulen, stimmen wir überein.
Als Erstes möchte ich Sie fragen, wie Sie Ihre Initiative, diesen Aktionsplan Drogen und Sucht jetzt umzusetzen, mit der Erhöhung der Tabaksteuer in Übereinstimmung bringen wollen. Beim ersten Schritt ging es
um das Rauchen für die Sicherheit, jetzt geht es um das
Rauchen für die Gesundheit, um versicherungsfremde
Leistungen zu finanzieren. Wie geht das zusammen?
Herr Kollege Parr, ich bin Ihnen für die Frage sehr
dankbar. Wir konnten uns in Dublin jüngst davon überzeugen, dass andere Länder einen ähnlichen Weg mit Erfolg gehen.
Wir wissen, dass es bei den Rauchenden bezüglich
der Tabaksteuer eine so genannte Preiselastizität in der
Größenordnung von 4 Prozent gibt. Das heißt, wenn die
Tabaksteuer um 10 Prozent erhöht wird, hören 4 Prozent
mit dem Rauchen auf. Es handelt sich also um eine prohibitive Maßnahme. Wir wissen auch, dass insbesondere
Jugendliche für Preissignale besonders anfällig sind. Das
heißt, überall dort in Europa, wo die Tabaksteuer erhöht
wurde, sank die Zahl der rauchenden Jugendlichen. Dies
ist auch das erklärte Ziel der Bundesregierung.
Hier gibt es eine doppelte Gewinnersituation, weil es
uns auf der einen Seite gelingt, die versicherungsfremden Leistungen in der GKV zu finanzieren, und weil wir
auf der anderen Seite von einem Spitzenplatz wegkommen, den wir bezogen auf die Raucherquote bei den Jugendlichen zurzeit einnehmen. Man muss wissen, dass
die Raucherquote bei den 12- bis 17-Jährigen in
Deutschland bei 28 Prozent liegt. Damit sind wir in Europa leider auf einem Spitzenplatz. Daneben gibt es bei
uns das Problem, dass der Einstieg ins Rauchen mit
13,5 Jahren deutlich zu früh erfolgt. Die Erhöhung der
Preise kann hier das richtige Signal setzen.
Ich verkenne nicht, dass dies durch andere Maßnahmen flankiert werden muss. Das Preissignal allein würde
nichts bringen. Auf der einen Seite müssen wir die Prävention verstärken und auf der anderen Seite müssen wir
dafür sorgen, dass in Deutschland das Nichtrauchen zum
Normalfall wird.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Parr.
Frau Staatssekretärin, kann ich also davon ausgehen,
dass die Einnahmen aufgrund der Erhöhung der Tabaksteuer zur Finanzierung der Präventionsmöglichkeiten
und -maßnahmen genutzt werden und nicht ausschließlich für die Deckung der Lücken im Bereich der versicherungsfremden Leistungen?
Zunächst einmal ist eine Gegenfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen vorgesehen. Auf der anderen Seite verschafft es uns Luft, die Präventionsmaßnahmen zu verstärken.
Sie wissen sicher, dass im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz zum ersten Mal eine Fondslösung angedacht wurde und dass die gesetzlichen Kassen schon
jetzt eigentlich 2,56 Euro - früher waren es 5 DM; das
ist wenig genug - für die Prävention ausgeben sollen.
Sie tun dies nicht immer in vollem Umfang. Jede Kasse
tut das, was sie selbst für richtig hält. Im Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz ist die Einrichtung eines
Fonds in Höhe von 25 Prozent dieser Mittel vorgesehen.
Damit können wir die Kräfte bündeln und die Prävention
verstärken.
Ich stimme Ihnen zu: Über Prävention wird viel geredet. Wenn es aber um die nötigen Mittel geht, dann ist es
sehr schwierig, diese dafür Zug um Zug umzuschichten.
Wir müssen dies tun. Deswegen werden wir im Herbst
ein eigenes Präventionsgesetz vorlegen, in dem auch die
Fragen der Finanzierung geregelt werden. Ich bitte Sie,
uns bei der Diskussion mit den Ländern zu unterstützen;
dort ist es nämlich nicht anders.
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Erika Ober.
Frau Staatssekretärin, ich habe eine Frage zu dem Ziel
der Abstinenz, das lange Zeit hochgehalten wurde. Ist
das Ziel der Abstinenz bei der Drogen- und Suchtpolitik
aufgegeben worden oder wird es weiter verfolgt? Wie
sehen Sie das?
Frau Kollegin Ober, wir wollen eine Suchterkrankung
mit allen uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen aufhalten. Dazu gehört auch, für die von illegalen Drogen
Abhängigen das Überleben zu sichern. Meine Philosophie ist: Nur wer überlebt, kann aussteigen. Deswegen
ist es wichtig, dass wir insbesondere der Gruppe der Heroinabhängigen Ausstiegsangebote, aber auch Überlebensangebote machen. Als Erstes muss das Überleben
gesichert werden.
Drogenkonsumräume sind daher langfristig auf Abstinenz hin orientiert. Sie sollen auch die Schwelle, Kontakt mit den Drogehilfesystemen aufzunehmen und zu
erhalten, absenken und dazu führen, dass insbesondere
HIV/Aids als Risiko bekämpft werden kann. Sie sollen
also den gesundheitlichen Zustand verbessern und Kontakt zum Hilfesystem aufbauen.
Unsere Politik ist durch die Zahlen bestätigt worden.
Durch unsere richtige Politik ist die Zahl der behandelten Abhängigen gestiegen. Auch die Zahl der Drogentoten ist gesunken. Insofern glaube ich, dass wir mit
unserem ausgewogenen Policymix in der Drogen- und
Suchtpolitik richtig liegen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Andreas
Scheuer.
Frau Staatssekretärin, mir geht es in meiner Frage um
die Herausarbeitung des Unterschieds zwischen Marihuana/Haschisch und Designerdrogen. Vielleicht könnten Sie dazu ein paar Worte sagen. Gibt es Erkenntnisse
darüber, wie heute die Jugendlichen von Marihuana/
Haschisch auf Designerdrogen umsteigen? Dies könnte
auch durch den günstigeren Preis erklärt werden. Dies
erscheint mir eine große Gefahr.
Herr Kollege, Sie haben mit Ihrer Frage Recht. Designerdrogen stellen ein immer größer werdendes Risiko
dar: Erstens. Sie sind sehr billig. Zweitens. Über Designerdrogen findet in der Gesellschaft keine Debatte
über die Risiken statt. Das ist ein großes Problem. Ich
glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass jeder die
gesundheitlichen Risiken und das Risiko der Abhängigkeit beim Thema Heroin oder Kokain kennt. Bei Designerdrogen sind sie nicht so bekannt.
Man muss wissen: Unter den 1 500 Drogentoten im
letzten Jahr gab es rund 30 bis 40 Todesfälle, die mit Designerdrogen unmittelbar zusammenhingen. Die Einnahme dieser Drogen ist also auf keinen Fall ohne Risiko;
darüber müssen wir öffentlich mehr reden. Das andere
Problem ist, dass sie zu leicht und zu risikolos verkauft
werden. Deswegen ist es wichtig, hier etwas zu tun.
Wir haben drei Dinge gemacht:
Erstens. Wir haben auf europäischer Ebene die Kontrolle der chemischen Vorläufersubstanzen deutlich
verschärft. Wir sind der Ansicht: Ohne chemische Vorläufersubstanzen gibt es keine Herstellung von synthetischen Drogen. Deswegen ist ein striktes Kontrollregime
wichtig.
Zweitens. Wir haben mit den Arbeitsgemeinschaften
und -gruppen, die in der Drogen- und Partyszene aktiv
sind, Präventionsprogramme erarbeitet.
Drittens. Wir haben einen Leitfaden erstellt, in dem
das Thema des Mischkonsums in der Party- und Technoszene intensiv diskutiert wird.
Man muss der Ehrlichkeit halber sagen: Insgesamt ist
unter den Jugendlichen der Cannabiskonsum mit 25 Prozent deutlich höher. Viele probieren einmal, nur ein Teil
bleibt dabei. Der Drogenkonsum ist ein Teil des Erwachsenwerdens. Bei Ecstasy liegt die Prävalenz unter den
Jugendlichen zwischen 3 und 5 Prozent. Aber in der
Party- und Technoszene hat bereits jeder Zweite Erfahrungen mit Ecstasy gesammelt, bei Cannabis sind es
zwei Drittel. Das zeigt, in bestimmten Szenen der Jugendkultur gibt es ein deutlich erhöhtes Risiko. Deswegen haben wir unsere Präventionskampagnen auf diese
Szenen konzentriert.
Eine kurze Zusatzfrage, Herr Scheuer.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung Vorstellungen darüber, wie man im Zusammenhang mit der
EU-Osterweiterung auf das Problem reagieren wird? Die
Designerdrogen werden ja in vielen Fällen sehr billig
- zum Teil mit Rattengift und Ähnlichem gestreckt - in
der Ukraine oder im tiefsten Russland hergestellt. Hat
die Bundesregierung Maßnahmen im Blick, die sie ergreifen wird, wenn im Zuge der EU-Osterweiterung die
Außengrenzen weiter im Osten liegen?
Herr Kollege, dieses Problem hat nicht nur etwas mit
der Osterweiterung zu tun, sondern wir müssen akzeptieren und öffentlich machen, dass 85 Prozent der EcstasyPillen, die wir in Deutschland aufgreifen, nach der Statistik des Bundeskriminalamtes aus niederländischen
Quellen stammen. Deswegen gibt es einen intensiven
Dialog zwischen dem Innenminister und den niederländischen Kollegen über die Kontrolle von Vorläufersubstanzen und die Bekämpfung des Drogenhandels.
Wir haben versucht, auf europäischer Ebene die Kontrolle der Vorläufersubstanzen zu verschärfen. Über den
gemeinsamen Acquis müssen die Beitrittsländer diese
umsetzen. Deswegen sind sie schon jetzt Bestandteile
der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle. Das heißt,
dass es dorthin Kontakte gibt, die Länder intensiv informiert werden und ihnen Hilfestellung gegeben wird, um
unsere Kontrollmechanismen umzusetzen. Dass es in der
Übergangszeit Probleme geben kann, ist klar. Aber wir
sollten zunächst einmal die Probleme innerhalb der EU
offen angehen und lösen und dann mit diesen Ländern
den Dialog intensivieren.
Die nächste Frage hat die Kollegin Birgitt Bender.
Frau Staatssekretärin, ich möchte einen Bereich der
Suchtabhängigkeit ansprechen, der sich gewöhnlich
nicht so starker öffentlicher Aufmerksamkeit erfreut wie
etwa der Missbrauch illegaler Drogen. Ich denke an den
Arzneimittelmissbrauch. Davon sind in der Bundesrepublik etwa 1,5 Millionen Personen betroffen. Ich begrüße
es sehr, dass dieser im Aktionsplan aufgegriffen wurde.
Können Sie bitte erläutern, welche Maßnahmen vorgesehen sind, auch angesichts der Tatsache, dass die Mehrzahl der Betroffenen Frauen sind?
Frau Kollegin, Sie haben völlig Recht. Bei der Abhängigkeit von Suchtmitteln gibt es eine deutliche Geschlechterzuordnung. Bei illegalen Drogen und bei Alkohol sind zwei Drittel der Betroffenen Männer und ein
Drittel Frauen, während es bei der Medikamentenabhängigkeit umgekehrt ist.
Wir glauben, dass man zum einen die Fortbildung der
Ärztinnen und Ärzte verstärken muss, weil es sich oft
um verordnete Abhängigkeiten handelt. Das heißt, dass
oftmals bei einer Schmerztherapie die Risiken nicht gesehen werden. Zum anderen handelt es sich gesellschaftlich gesehen um eine stille Art der Sucht. Deswegen erfährt sie oft nicht im selben Maße Aufmerksamkeit wie
andere Abhängigkeiten.
Wir haben im letzten Jahr dieses Thema im Rahmen
des Kongresses „Frauen und Sucht“ bearbeitet; dort
standen insbesondere die frauenspezifischen Suchtprobleme im Mittelpunkt. Es wurde besprochen, dass man
die Therapieangebote ausweiten und das Thema gesellschaftlich enttabuisieren muss und es uns gelingen muss,
über Fortbildungsangebote für Ärzte und über eine offene Diskussion der Risiken zu deutlichen Veränderungen zu kommen.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, zusätzlich möchte ich wissen,
wie sich der Aktionsplan im Zusammenspiel mit den
Ländern und den Verbänden, die in diesem Bereich aktiv
sind, darstellt, da Maßnahmen der Suchtbekämpfung
nicht nur solche der Bundesregierung sein können.
Wir hatten vor einem Jahr Eckpunkte im Kabinett vorgestellt. Diese haben wir als Diskussionsgrundlage für
die Bundesländer und die Verbände verstanden. Es fanden zwei große Foren statt, zu denen alle Akteure eingeladen waren und sich zu dem Aktionsplan Drogen und
Sucht äußern konnten. Wir haben 50 Stellungnahmen der
Suchthilfeverbände erhalten, die dort, wo es möglich und
geboten war, Eingang in den Aktionsplan Drogen und
Sucht gefunden haben.
Wir haben auch intensive Beratungen mit den Ländern, der zuständigen Arbeitsgruppe und den entsprechenden Landeskonferenzen geführt. Insofern gehe ich
davon aus, dass wir - wenn die Gesundheitsministerkonferenz dieses Vorhaben mitträgt - am Ende zu einem gemeinsamen Aktionsplan Drogen und Sucht kommen.
Damit wären auch die Länder ein Stück weit an unser
gemeinsames Vorhaben gebunden; denn der Bund hat in
diesem Bereich nur eine Rahmenkompetenz. Vielleicht
würden sich in Zukunft gemeinsame Kampagnen und
eine gemeinsame Schwerpunktbildung einfacher gestalten, weil ein Drogen- und Suchtrat, an dem auch die
Länder beteiligt werden, die Koordinierung übernehmen
soll.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die Frage des Herrn Parr angegeben, dass Sie ein Präventionsgesetz planen und dass Sie die Prävention verstärken wollen. Die Absichten sind zwar gut, aber wenn
tatsächlich Prävention betrieben werden soll, sind dafür
entsprechende Mittel erforderlich. Derzeit finden Haushaltsberatungen statt. Welche Mittel werden Sie zusätzlich in Ansatz bringen, um die Prävention verstärken zu
können?
Frau Kollegin Eichhorn, ich will der endgültigen Fassung des Haushaltsgesetzentwurfs, der zurzeit in Arbeit
ist, nicht vorgreifen. Sie werden während der Haushaltsberatungen in diesem Hause noch die Gelegenheit haben, Anträge und Vorschläge - auch zur Gegenfinanzierung - einzubringen. Mein Bestreben war es bislang,
angesichts der allgemein schwierigen Haushaltssituation
zumindest Kürzungen zu verhindern, wie sie in vielen
Länderhaushalten - insbesondere in Bayern und BadenWürttemberg - zu beobachten sind. Deswegen halte ich
es für wichtig, die verfügbaren Mittel auf dem bisherigen Niveau zu erhalten.
Sie haben Recht: Es muss unser gemeinsames Ziel
sein, in Zukunft deutlich mehr in die Prävention zu investieren - insofern würde ich mich für fraktionsübergreifende Aktionen bedanken -, und zwar nicht nur im
Zusammenhang mit Drogen und Sucht. Vielmehr gilt für
alle Bereiche, dass Vorbeugen besser ist als Heilen. Angesichts der Bedeutung, die dieser Herausforderung in
einer immer älter werdenden Gesellschaft zukommt,
können wir uns eine ausschließlich kurative Medizin auf
Dauer nicht leisten. Deswegen muss die Prävention verstärkt werden.
Wir wissen, dass die größten Gesundheitsrisiken erstens mit dem Rauchen, zweitens mit ungesunder Ernährung und drittens mit mangelnder Bewegung zusammenhängen. Vielen Volkskrankheiten könnte durch
Veränderungen im Gesundheitszustand der Bevölkerung vorgebeugt werden. Wir wissen auch, dass zum
Beispiel Sport insbesondere bei Jugendlichen durchaus
eine präventive Wirkung zukommt. Deshalb führen wir
die Kampagne „Kinder stark machen“ bei der BZgA
durch. Es ist geplant, diese Kampagne in vollem Umfang weiterzuführen.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Eichhorn.
Welche konkreten Maßnahmen planen Sie - ich wiederhole das Stichwort „Verstärkung der Prävention“ -,
um der Einstiegsdroge Nummer eins, dem Tabak, entgegenzuwirken? Welchen Betrag wollen Sie für diesen
Zweck aus den Einnahmen der Tabaksteuer abzweigen?
Frau Kollegin, ich begrüße es, wenn Sie unsere Auffassung teilen, dass das Thema Rauchen eine große Herausforderung darstellt. Ich habe es deswegen sehr
bedauert, dass die Gegenfinanzierung durch die Tabaksteuer, die im Gesundheitskonzept der Union ursprünglich vorgesehen war, aus diesem Konzept herausgenommen worden ist. Vielleicht wird sich in dieser Hinsicht
wieder ein Sinneswandel abzeichnen.
Wir haben uns vorgenommen, Mitte dieses Jahres ein
Antitabakprogramm vorzulegen. Wir glauben, dass das
Preissignal nur ein Aspekt ist und dass es darüber hinaus
weiterer Anstrengungen bedarf.
Sie wissen, dass unter dieser Regierung schon zwei
konkrete Maßnahmen beschlossen worden sind. Die eine
Maßnahme ist die Änderung der Arbeitsstättenverordnung, die jedem Arbeitnehmer einen rauchfreien Arbeitsplatz garantiert; die andere ist die Verschärfung des
Jugendschutzgesetzes durch ein Tabakabgabeverbot für
unter 16-Jährige.
Darüber hinaus wollen wir das Konzept „Rauchfreie
Schule“ umsetzen. Dafür benötige ich aber die Kooperation der Kultusminister.
Wir möchten zudem mit Musterbetriebsvereinbarungen für öffentliche Einrichtungen dafür sorgen, dass
rauchfreie öffentliche Einrichtungen Standard werden.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat gemeinsam mit dem Personalrat zum
1. April eine Dienstvereinbarung erarbeitet, die ein
Stück weit einen Standard setzen könnte.
Darüber hinaus setzt die BZgA in diesem Jahr zwei
Schwerpunkte: Zum einen wurde insbesondere für Jugendliche eine so genannte Quitline, eine bundesweit
einheitliche Telefonnummer, installiert, unter der man
sich Informationen zum Aufhören besorgen kann. Eine
Unterstützung der Aufhörwilligkeit ist wichtig, zumal
40 Prozent der Raucherinnen und Raucher laut Befragungen aufhören wollen. Vor allem bei Jugendlichen soll
diese Absicht unterstützt werden.
Zum anderen können zwei Broschüren angefordert
werden, die sich an junge Männer und Frauen richten.
Außerdem ist ein Lehrerinformationsset für Schulen erarbeitet worden, das ebenfalls über die BZgA zu beziehen ist. All die Materialien zu diesem Themenbereich
sind in diesem Monat erstellt worden und können von allen Schulen abgefordert werden.
Die nächste Frage stellt Kollege Detlef Parr.
Frau Staatssekretärin, ich komme auf die Frage der
internationalen und europäischen Zusammenarbeit zurück. Ich wohne in der Nähe der holländischen Grenze.
Die EU-Kommission hat im Hinblick auf den EU-Drogenaktionsplan, der vor einem halben Jahr verabschiedet
worden ist, festgestellt, dass sowohl Fortschritte als auch
Defizite zu verzeichnen seien. Ein großes Defizit ist die
fehlende Absprache in grenznahen Regionen. Die Niederlande und wir haben unterschiedliche Auffassungen;
in Grenznähe leiden wir sehr unter den fehlenden Gemeinsamkeiten. Wie wollen Sie die europäische Zusammenarbeit so beeinflussen, dass wir hier zu einer gemeinsamen Linie bei der Bekämpfung von Drogen und
Sucht kommen?
Auf diesem Gebiet gibt es zum ersten Mal europäische Strukturen über die Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon. Es ist wichtig, dass man über
dieselbe Datengrundlage verfügt und sich auf dieselben
Schwerpunkte konzentriert. In diesem Jahr sind die
Schwerpunkte der Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon die synthetischen Drogen und die Kooperation mit
den künftigen Beitrittsstaaten. Gerade Letzteres halte ich
für wichtig, wenn die derzeit in Europa zu beobachtenden grenzüberschreitenden Probleme in Zukunft nicht
auch noch an anderer Stelle auftauchen sollen.
Darüber hinaus findet jetzt unter jeder Ratspräsidentschaft eine Koordinierungsrunde mit allen Drogenbeauftragten in der EU statt, wobei wir feststellen müssen,
dass die Gesundheits- und Drogenpolitik eine nationale
Aufgabe ist. Es ist nicht vorgesehen, dass die Nationalstaaten Kompetenzen auf diesem Gebiet abgeben. Daher
muss man sich besser abstimmen; dieser Abstimmung
dienen die Koordinierungsgespräche. Dabei ist festzuhalten, dass die EU-Mitgliedstaaten heute über eine
ganze Bandbreite unterschiedlicher Maßnahmen verfügen. In der EU gibt es sehr restriktive Länder wie
Schweden, aber auch Länder wie die Niederlande, deren
Toleranzschwelle deutlich höher als die in der Bundesrepublik ist. Aus diesem Grund unser Ziel, gemeinsame
Sichtweisen und gemeinsame Schwerpunkte zu erarbeiten und so die wichtigsten Positionen, bei denen es noch
Unterschiede gibt, anzugleichen.
Im Hinblick auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität gibt es eine Fülle von Vereinbarungen, die bei den Justiz- und Innenministern ressortieren. Dort geht es im Moment insbesondere darum,
einen gemeinsamen europaweiten Strafrahmen zu vereinbaren. Sie wissen, dass dies ein sehr mühsames und
langwieriges Unterfangen ist, weil es schwierig ist, die
unterschiedlichen Philosophien unter einen Hut zu bekommen. Es ist aber für die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union sehr wichtig, dass wir auf diesem Gebiet
weiterkommen. Hier hat Deutschland immer eine vermittelnde Rolle zwischen den Extrempositionen gespielt; denn es macht wenig Sinn, dass jeder Staat seine
nationale Gesetzgebung behält und es Lücken bei der
grenzüberschreitenden Verfolgung von Straftätern oder
bei der Analyse sowie Verlagerungen in bestimmte Länder gibt. Gerade deswegen begrüße ich ausdrücklich,
dass der Innenminister dieses Thema mit seinem niederländischen Kollegen bespricht.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Hannelore
Roedel.
Frau Staatssekretärin, ich komme auf den vorhin von
Ihnen erwähnten Teilaspekt der Ernährung zurück. Welche Rolle spielt in Ihrem Aktionsplan die vor allem bei
jungen Frauen sichtbar werdende Bulimie? Ich habe bisher noch nicht gehört, dass auch junge Männer darunter
leiden. Welche Maßnahmen sehen Sie hier auch in Richtung Prävention vor, um eventuell schon bei sehr jungen
Mädchen mit Beratung und Aufklärung anzufangen?
Frau Kollegin, es gab eine sehr lange Debatte darüber,
ob wir diesen Bereich in den Aktionsplan Drogen und
Sucht aufnehmen sollen oder nicht. Es ist ja immer ein
Problem, welche Phänomene man zu den nicht stoffgebundenen Süchten zählen soll. Das Thema Glücksspiel - das in früheren Aktionsplänen überhaupt nicht
tangiert wurde - ist neu aufgenommen worden, weil die
Regelungen der Rentenversicherungsträger, die für andere Süchte gelten, jetzt auch hierbei herangezogen werden.
Bislang ist strittig, wozu das Thema Essstörungen gehört. Es handelt sich auf jeden Fall um eine ernste psychische Störung, die eigentlich zu den klassischen
Krankheitsbildern von psychischen Störungen gehört.
Dementsprechend kann diese Störung auch behandelt
werden, wobei es deutliche Zusammenhänge gibt. Sie
wissen sicherlich, dass die Ursachen für Essstörungen
von Frauen, die suchtabhängig sind, oft Gewalt- und insbesondere Missbrauchserfahrungen sind. Deswegen
spielen bei der therapeutischen Behandlung von Suchtproblemen auch Essstörungen eine Rolle. Wir haben
zwar aufgrund der Abgrenzung darauf verzichtet, dieses
Thema in den Aktionsplan Drogen und Sucht aufzunehmen. Wir haben aber in der Diskussion über den Aktionsplan darauf hingewiesen, dass dieses Thema bei der
Beratung ernster genommen werden muss als bisher,
weil Essstörungen eine sehr ernsthafte psychische Störung sein können, die - hier haben Sie Recht - zu
95 Prozent junge Frauen betrifft.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Gerlinde
Kaupa.
Frau Staatssekretärin, die Einstiegsdroge Nummer
eins bei den legalen Suchtmitteln ist Tabak. Von Ihrer
Seite wird hier sehr viel getan. Dafür möchte ich mich
bedanken. Das heißt aber nicht, dass nicht noch mehr getan werden kann.
Die legale Einstiegsdroge Nummer zwei ist Alkohol.
Jährlich sterben in Deutschland circa 40 000 bis 42 000
Menschen an den Folgen von Alkoholmissbrauch. Wird
dieses Thema in der nächsten Zeit Schwerpunkt Nummer zwei sein und, wenn ja, welche Maßnahmen sind
vorgesehen? Ist zum Beispiel eine Erhöhung der Alkoholsteuer geplant und, wenn ja, sollen die daraus resultierenden Einnahmen zweckgebunden eingesetzt werden
oder in den allgemeinen Topf fließen?
Frau Kollegin Kaupa, ich teile Ihre Einschätzung,
dass bei den Alltagsdrogen das Thema Alkohol wichtig
ist. Es muss angegangen werden; denn in Deutschland
gibt es - das sollte man zur Kenntnis nehmen - mindestens 1,5 Millionen alkoholabhängige Menschen mit sehr
schweren Problemen. Wir wissen auch, dass die Erfolgsquote bei der Behandlung von Alkoholabhängigkeit sehr
hoch ist, wenn diese Sucht rechtzeitig therapiert wird.
Die Zahl der Behandlungsfälle ist steigend. Ich bin
sehr froh darüber, dass sich zeigt, dass es in deutschen
Firmen nicht mehr so wie früher ist, als dieses Thema
noch verschwiegen und geleugnet wurde und die betroffenen Menschen letztlich entlassen wurden. Heutzutage
wird dieses Thema gerade von den Personalabteilungsleitern sehr offensiv angegangen. Mittlerweile gibt es sogar Standardvereinbarungen, die dabei helfen, dieses
Thema anzusprechen und Hilfe zu organisieren.
Wir haben in diesem Jahr das Thema Rauschtrinken
Jugendlicher zum Schwerpunkt gemacht und werden
dazu ein Modellprojekt durchführen, in dessen Rahmen
Jugendliche unter 16, die mit Alkoholvergiftungen in
Kliniken aufgenommen werden, auf ihren riskanten Alkoholkonsum angesprochen werden sollen. Im Rahmen
dieses Modellprojektes sollen auch Daten über diesen
Bereich erhoben werden. Denn uns wird zwar von einzelnen Kliniken berichtet, dass sich in diesem Bereich
die Fälle an Zahl vervielfachen und dies ein neuer Trend
ist. Aber wir haben kein valides Zahlenmaterial.
Des Weiteren wollen wir auf unserer Internetseite
- www.drugcom.de - einen Alkoholselbsttest installieren und Informationen zum Thema Alkohol auf breiterer
Ebene anbieten; denn wir glauben, dass dieses Thema an
Bedeutung gewinnen wird. Da auch der so genannte
Mischkonsum der Jugendlichen steigt, muss dieses
Thema angegangen werden.
Konkrete Überlegungen zur Erhöhung der Alkoholsteuer enthält der Aktionsplan nicht. Es ist lediglich ein
allgemeiner Prüfauftrag für die Zukunft formuliert. Aber
auch Sie und Ihre Fraktion sind aufgerufen, entsprechende Vorschläge zu machen, wenn Sie eine solche Erhöhung für richtig halten. Bislang gingen Ihre Fragen
eher in die andere Richtung. Aber im Zuge der Beratungen über den Entwurf eines Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes haben wir noch ausreichend Gelegenheit, uns über dieses Thema auszutauschen.
Es liegen zwar noch Fragen vor, aber die Zeit ist
schon deutlich abgelaufen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Jetzt besteht noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen,
die Themen außerhalb dieses Bereiches betreffen. Der
Kollege Jürgen Koppelin hat einen Fragewunsch angemeldet. Herr Koppelin, bitte schön.
Herr Präsident, meine Frage passt ganz gut zu dem
Bereich, über den wir eben diskutiert haben.
Ich habe am Sonntag mit großem Erstaunen gelesen
- ich bitte um Aufklärung darüber, ob diese Meldung
stimmt -, dass es beim EU-Gipfel zu einer Verärgerung
gekommen ist, weil die Bundesregierung, aber auch
- das muss man fairerweise eingestehen - die holländische Regierung nicht bereit waren, Mittel zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Das hat
mich sehr erstaunt, weil der Bundeskanzler und Frau
Wieczorek-Zeul diesbezüglich große Ankündigungen
gemacht haben.
Ich möchte gerne wissen, aus welchem Grunde die
Bundesregierung dazu nicht bereit ist. In den Meldungen
heißt es, diese Mittel seien aufgrund der knappen Staatsfinanzen unseres Landes nicht zur Verfügung gestellt
worden. Werden diese Mittel zur Verfügung gestellt?
Der Bundeskanzler und Frau Wieczorek-Zeul haben es
angekündigt und versprochen. Ist es nicht peinlich, dass
wir diese Mittel nicht zur Verfügung gestellt haben und
dass es auf dem EU-Gipfel zu einer Verärgerung gekommen ist?
Frau Kollegin Eid, bitte.
Herr Abgeordneter Koppelin, für die Sitzung des
Europäischen Rates in Thessaloniki war keine feste Zusage in Bezug auf den „Global Fund to fight HIV/AIDS,
Tuberculosis and Malaria“, also diesen globalen Gesundheitsfonds, geplant. Es wurde von der - kurzfristig
ins Spiel gebrachten - Angabe einer Zielgröße für die
Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten von
insgesamt 1 Milliarde Euro abgesehen. Der Angabe dieser Summe lag keine durchstrukturierte Bedarfsanalyse
zugrunde. Daher gab es auch keinen Verteilungsschlüssel für die Festlegung von Beiträgen durch die einzelnen
Mitgliedstaaten und die Kommission. Für zusätzliche
kurzfristige Erhöhungen der Beiträge zu diesem globalen Fonds gibt es im Bundeshaushalt keine finanziellen
Vorkehrungen.
Eine Zusatzfrage, Herr Koppelin.
Frau Staatssekretärin, da von einer Verärgerung die
Rede ist: Wie erklären Sie, dass alle anderen europäischen Staaten eine Zusage gegeben haben und Amerika
ebenfalls 1 Milliarde US-Dollar zur Verfügung stellt?
Wieso tritt nach Ihren großen Ankündigungen die Peinlichkeit ein, dass Deutschland neben den Niederlanden
keine Zusage gegeben hat? Hätten wir nicht - nach all
den Reden zum Beispiel der Ministerin Ihres Ressorts sogar Vorreiter in der Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria sein müssen?
Herr Koppelin, als wir 1998 die Regierung übernommen haben, waren für die Aidsbekämpfung im
Einzelplan 23, wenn ich mich recht erinnere, etwa 30 bis
40 Millionen DM vorgesehen. Wir haben diesen Betrag
innerhalb kürzester Zeit auf 140 Millionen DM aufgestockt. Das heißt, dass wir im Bereich der Aidsbekämpfung bilateral Vorreiter waren.
Vor zwei Jahren wurde auf dem G-8-Gipfel in Genua
beschlossen, dass die G-8-Staaten dem Vorschlag von
Kofi Annan, dem UN-Generalsekretär, nachkommen,
den globalen Gesundheitsfonds für die Bekämpfung von
Aids, Tuberkulose und Malaria zu unterstützen. Die
Bundesregierung hat daraufhin eine Zusage gegeben,
200 Millionen Euro in diesen Fonds einzubezahlen. Das
Budget für die Aidsbekämpfung in der bilateralen
Kooperation haben wir auf der alten Höhe belassen. Die
Mittel für den globalen Fonds wurden zusätzlich zur
Verfügung gestellt.
In den USA wurde beschlossen - da funktioniert das
System ein bisschen anders -, dass die USA 15 Milliarden US-Dollar für die Aidsbekämpfung zur Verfügung
stellen. Das ist also eine Art Marshallplan zur Aidsbekämpfung. Dann hat man aber beschlossen, aus diesen
Mitteln für die bilaterale Kooperation in Höhe von
15 Milliarden US-Dollar 1 Milliarde US-Dollar herauszunehmen und in diesen globalen Aidsfonds einzubezahlen. Der US-Kongress hat beschlossen, diese Milliarde
nur dann einzubezahlen, wenn die Europäer auch einbezahlen. Genauso könnte man sich Folgendes vorstellen:
Der Deutsche Bundestag beschließt die Zahlung von
1 Milliarde oder auch nur 500 Millionen Euro, aber wir
zahlen diesen Betrag nur, wenn die Amerikaner genau
die gleiche Summe zur Verfügung stellen. So stellte sich
der Vorgang dar.
Beim G-8-Gipfel in Evian - ich war persönlich anwesend - war der erste Tagesordnungspunkt „Afrika“. Da
war genau diese Aidsthematik Gegenstand einer kurzen
Beratung. Der französische Präsident hat nach Abschluss dieser Diskussionsrunde den Auftrag erteilt, zu
prüfen, ob die Europäische Union möglicherweise
1 Milliarde zur Verfügung stellt. Dieser Prüfauftrag ist
also ergangen. Aber es ist noch nicht so konkret geworden, dass schon eine Bedarfsanalyse vorhanden ist. Insofern gab es in Thessaloniki keine exakten Planungen.
Das war nicht vorgesehen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 15/1184 Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - das sind die Fragen 1 und 2 - sollen schriftlich beantwortet werden.
Deswegen kommen wir gleich zum Geschäftsbereich
des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der
Staatsminister Hans Martin Bury zur Verfügung.
Die Frage 3 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch:
Welche Informationen liegen der Bundesregierung über
die angebliche Tötung von Gefangenen durch Truppen der
Antitalibankoalition und deren angebliche Duldung durch das
US-Militär in Mazar-i-Sharif in Afghanistan vor und welchen
Beitrag leistet die Bundesregierung zur Aufklärung dieses
Sachverhalts?
Frau Kollegin Lötzsch, der Bundesregierung liegen
hierzu keine eigenen Erkenntnisse vor. Nach Angaben
der US-Administration haben US-Kräfte von der - angeblichen - Gefangenentötung weder gewusst noch eine
solche toleriert.
Die VN-Mission in Afghanistan hat angekündigt, die
in Frage kommenden Massengräber bei Sherbargan
durch Experten dokumentieren zu lassen. Dazu ist eine
Untersuchungskommission unter der Leitung der pakistanischen Anwältin Dr. Asma Jehangir nach Afghanistan
gereist. Ein Bericht hierzu steht noch aus.
Eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation
hat im Auftrag der Vereinten Nationen erste Untersuchungen vor Ort durchgeführt, die keine eindeutigen
Schlüsse auf Ort und Zeit des - angeblichen - Massakers
zuließen, da die Gegend von vielen ähnlichen Massengräbern gekennzeichnet ist, die aus allen Perioden des
Bürgerkrieges stammen.
Der im Zusammenhang mit den Vorwürfen genannte
Kriegsherr Dostum hat dem EU-Sonderbeauftragten
Vendrell und VN-Beamten die volle Unterstützung bei
der Aufklärung der Vorfälle zugesichert.
Die Bundesregierung hat der afghanischen Regierung
angeboten, forensische Experten zur Hilfe bei der Ausgrabung der Gräberstätten und zur Ausbildung von
Fachleuten zu entsenden, sobald die Vereinten Nationen
mit der Aufarbeitung beginnen. Deutschland befürwortet
daneben auch in diesem Zusammenhang die von der
afghanischen Regierung und besonders Präsident Karzai
gewünschte Einrichtung einer Wahrheitskommission
nach südafrikanischem Vorbild. Auch ein effektives
Zeugenschutzprogramm könnte bei der Aufarbeitung
von Menschenrechtsverletzungen helfen.
Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Herr Staatsminister, ich knüpfe gleich an Ihre Ausführungen an. Sie haben Unterstützung durch die Bundesregierung angekündigt. Der Vertreter des UN-Generalsekretärs für Afghanistan, Herr Brahimi, und der
afghanische Außenminister haben sich mit der Bitte um
Unterstützung an die internationale Öffentlichkeit gewandt und auch einen Brief an die Bundesregierung geschickt. Ist das, was Sie dargestellt haben, schon eine
Reaktion auf diesen Brief? Wenn ja, dann bitte ich um
Bestätigung. Wenn nein, dann frage ich: Wird die Bundesregierung auf diesen Brief des Vertreters des UN-Generalsekretärs für Afghanistan und des afghanischen Außenministers reagieren und, wenn ja, in welcher Art und
Weise?
Frau Kollegin Lötzsch, das Thema ist bei dem Besuch
des VN-Gesandten für Afghanistan nicht gesondert angesprochen worden. Es ist aber Gegenstand des laufenden Dialogs mit den Vereinten Nationen. Den Vereinten
Nationen ist das deutsche Angebot zur Entsendung forensischer Experten selbstverständlich bekannt.
Weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Ich frage zur Konkretisierung nach: Ist dieser Brief des
Vertreters des UN-Generalsekretärs und des afghanischen
Außenministers bei der Bundesregierung eingegangen
und, wenn ja, ist dieser Brief beantwortet worden?
Ich kann Ihnen diese Frage nicht spontan beantworten, aber ich liefere Ihnen die Antwort gern nach.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Die Frage 4 des Kollegen Dirk Niebel:
Ist nach Ansicht der Bundesregierung im Rahmen der
Strukturreform bei der Bundesanstalt für Arbeit auch die Umwandlung der Fachhochschule des Bundes, Fachbereich Arbeitsverwaltung, in eine gemeinnützige GmbH mit privater
Trägerschaft vorgesehen und, wenn nein, welche Gründe
sprechen dagegen?
Herr Abgeordneter Niebel, die Bundesanstalt für Arbeit beabsichtigt, entsprechend den Empfehlungen der
Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ die Ausbildung auf der Ebene der Fachhochschule fortzusetzen.
Die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Arbeitsverwaltung, mit Sitz in
Mannheim ist als Hochschuleinrichtung durch das Land
Baden-Württemberg anerkannt worden. Voraussetzung
für die Anerkennung war und ist, dass der Ausbildungsgang ausschließlich auf den öffentlichen Dienst bei der
Arbeitsverwaltung ausgerichtet bleibt. Nur so bleibt die
in der Verfassung vorgesehene grundsätzliche Zuständigkeit der Bundesländer für den Bereich der Ausbildung gewahrt.
Auch eine von der Bundesanstalt in privater Rechtsform betriebene Ausbildungseinrichtung wäre auf die
Anerkennung als Hochschule angewiesen. Die Anerkennung wäre nur unter denselben engen Voraussetzungen
zu erwarten, wie sie derzeit für die Anerkennung der
Fachhochschule des Bundes gelten. Der Ausbildungsgang müsste weiterhin ausschließlich auf die Belange
der Bundesanstalt zugeschnitten sein. Das mit einer Privatisierung verfolgte Ziel einer Öffnung für BA-fremde
Studierende könnte also nicht realisiert werden.
Zusatzfrage, Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, die gute Ausbildung an der Fachhochschule des Bundes in Mannheim im Fachbereich
Arbeitsverwaltung wurde ja auch von der Hartz-Kommission, wie Sie richtigerweise schon festgestellt haben,
anerkannt. Die Hartz-Kommission hat Vorschläge gemacht; diese beinhalten unter anderem, die Fachhochschule zu privatisieren und auch Externen dort ein Studium
zu ermöglichen, damit auch privaten Arbeitsvermittlern
ein qualitativ hochwertiger Ausbildungsgang offen steht.
Nun hat die Bundesregierung immer wieder gesagt,
dass die Vorschläge der Hartz-Kommission eins zu eins
umgesetzt werden sollen. Wieso ist das in diesem Fall
jetzt nicht geplant?
Herr Abgeordneter Niebel, ich habe Ihnen gerade
eben die Voraussetzungen genannt. Das Land BadenWürttemberg muss die Fachhochschule zulassen; das ist
aufgrund der föderalen Zuständigkeitsstrukturen einfach
so. Die Zulassung besteht eben nur für Ausbildungsgänge im Bereich des öffentlichen Dienstes.
Weitere Zusatzfrage?
Hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrem Versprechen, die Vorschläge der Hartz-Kommission
eins zu eins umzusetzen, Kontakt mit dem Wissenschaftsministerium in Baden-Württemberg aufgenommen, um zu klären, ob eine privatisierte Fachhochschule
grundsätzlich ebenso die Anerkennung erhalten könnte,
oder hat sie in dieser Richtung überhaupt keine Schritte
eingeleitet?
Zunächst wäre es Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit, entsprechende Kontakte aufzunehmen. Im Übrigen
hat das mit der Aussage, die Vorschläge eins zu eins umzusetzen, nichts zu tun, weil auch eine solche Umsetzung natürlich nur im Rahmen der möglichen Rechtsstrukturen und -konstruktionen des Grundgesetzes
möglich ist.
Wir kommen zur Frage 5 des Kollegen Albert
Rupprecht, Weiden:
Ist die Bundesregierung bereit, die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe, GA, „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ zu erhöhen, sodass insbesondere in den
Grenzregionen zu den EU-Beitrittsländern die zulässigen Förderhöchstsätze ausgeschöpft werden können?
Herr Präsident, ich möchte die Fragen 5 und 6 gerne
gemeinsam beantworten, falls Sie und der Fragesteller
damit einverstanden sind.
Wenn Herr Rupprecht damit einverstanden ist, ist das
kein Problem. - Dann rufe ich auch die Frage 6 des Abgeordneten Albert Rupprecht, Weiden, auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Ausweisung der neuen E-Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ in Bayern
einer gleichzeitigen Erhöhung der GA-Mittel bedurft hätte,
um so die möglichen Förderhöchstsätze auch auszuschöpfen?
Herr Rupprecht, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wird nach der
im Grundgesetz bestimmten Zuständigkeitsverteilung
von den Ländern durchgeführt. Den Ländern obliegt insbesondere die regionale Schwerpunktsetzung und Konzentration der Fördermittel. Das heißt, die Länder entscheiden, ob und wieweit sie die beihilferechtlich
zulässigen Förderintensitäten im Rahmen der zur Verfügung stehenden Fördermittel ausschöpfen. Angesichts
der Bestrebungen der Bundesregierung zur Haushaltskonsolidierung bestehen keine finanziellen Spielräume,
um die GA-Titel im Bundeshaushalt in den nächsten
Jahren zu erhöhen.
Jetzt zur Frage 6: Die Ausweisung der so genannten
E-Fördergebiete zum 1. Januar 2004, die der Planungsausschuss der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ am 24. April 2003 beschlossen hat, verfolgt zwei Ziele:
Erstens werden diese Regionen in die GA-Förderung
einbezogen, um förderbedingte Spannungen zwischen
Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne
bzw. mit geringer Förderung abzubauen. Das heißt, die
Regionen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze
sowie die Grenzregionen zu den Beitrittsländern, die
nicht in den von der EU-Kommission genehmigten GARegionalfördergebieten liegen, werden dadurch in die
GA-Förderung einbezogen. Dazu gehören unter anderem
die Grenzregionen Schwandorf und Weiden. In diesen
Regionen können insbesondere gewerbliche Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen sowie kommunale wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen mit
Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden.
Zweitens stehen diese Regionen unter dem Schutz der
neuen Einvernehmensregel für Verlagerungsinvestitionen. Verlagerungsfälle, insbesondere Verlagerungen von
einem Fördergebiet in ein anderes Fördergebiet mit höherer Förderintensität, haben in der Vergangenheit in Einzelfällen zu politischen Irritationen geführt. Künftig ist
bei Investitionsvorhaben, die mit einem wesentlichen Arbeitsplatzabbau - mindestens 50 Prozent der neu geschaffenen Arbeitsplätze - in einem anderen Fördergebiet verbunden sind, das Einvernehmen zwischen den
betroffenen Bundesländern herzustellen. Gelingt die Herstellung des Einvernehmens nicht, kann maximal der in
C-Fördergebieten zulässige Fördersatz gewährt werden.
Über die jeweilige Förderintensität und den Einsatz
von GA-Mitteln in den neuen E-Gebieten entscheiden
die Länder im Rahmen ihrer Durchführungszuständigkeit. Bei der Beschlussfassung zur Ausweitung der Fördergebietskulisse bestand Einvernehmen zwischen Bund
und Ländern, dass damit keine entsprechende Aufstockung der Bundesmittel bzw. Umverteilung zwischen
den Ländern durch Änderung der bestehenden Quoten
verbunden ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Rupprecht? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass entlang der
Grenze zu den Beitrittsländern alle Landkreise GA-Förderregionen der Kategorien A bis D sind, mit Ausnahme
der Stadt Weiden und der Landkreise Neustadt a. d.
Waldnaab und Schwandorf. Meine Frage an Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um diese
Situation angesichts der drohenden Probleme durch die
anstehende EU-Osterweiterung zu beseitigen?
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen gerade in der Beantwortung Ihrer Frage vorgetragen, was der Ausschuss
dazu beschlossen hat. Im Übrigen weise ich Sie darauf
hin, dass es eine umfassende Drucksache mit der Nummer 15/861 gibt, in der das entsprechend aufgearbeitet
und dargestellt ist. Die beiden E-Fördergebiete, die Sie
genannt haben, beziehen sich nur auf Bayern. Es gibt aber
auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein E-Fördergebiete. Wie die Umverteilung vorgenommen worden ist
und welche Möglichkeiten bestehen, war Gegenstand
meiner Antwort.
Ich muss noch einmal nachfassen. Politische Entscheidungen sind natürlich auch umkehrbar. Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD, Ludwig Stiegler, hat
am 6. August in Schwandorf der Bevölkerung im Zuge
des Wahlkampfes ein geschlossenes Grenzgürtelprogramm versprochen. Meine Frage an Sie: Wann wird
dieses Versprechen eingelöst?
Vielleicht können wir darauf im Zusammenhang mit
dem nächsten Fragesteller, der sich mit dem Grenzförderprogramm der EU befasst, noch einmal kommen.
Hinsichtlich der Gemeinschaftsaufgabe ist es so, wie ich
es Ihnen gerade dargestellt habe.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Ich habe noch zwei Nachfragen zum E-Fördergebiet.
Ist es richtig, dass trotz der Einführung des so genannten
E-Fördergebietes weder die Mittelausstattung des Bundes erhöht wird noch die Förderhöchstsätze, die Unternehmen zugute kommen, erhöht wurden?
Ich habe Ihnen eben in meiner Antwort dargestellt,
dass eine Erhöhung der GA-Mittel auf Bundesebene wegen der knappen Haushaltssituation nicht vorgesehen ist.
Die Fördersätze können Sie den Regelungen entnehmen,
die zur speziellen Förderung der E-Gebiete getroffen
worden sind.
Letzte Nachfrage: Demzufolge ist die Aussage, mit
der der jetzige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der
SPD, Ludwig Stiegler, seine Hoffnung und Freude über
den großartigen Erfolg der Einführung des E-Gebietes
ausgedrückt hat - ich zitiere: „Wir haben alle gedrängt
und genölt, ich bin von Herzen froh“ -, ein Irrtum, weil
es im Ergebnis keine relevante Verbesserung für die Unternehmen in dieser Region gibt?
Ich kann den Wertungen des Abgeordneten Stiegler
nur zustimmen, weil die E-Gebiete vorher überhaupt
nicht in die Förderung einbezogen waren und durch die
Neuregelung eine Förderung möglich ist. Das habe ich
ausdrücklich vorgetragen. Im Übrigen will ich noch einmal darauf verweisen, dass es gleich zwei Fragen zu
dem Grenzlandprogramm der Europäischen Union gibt.
Worauf Herr Kollege Stiegler im Einzelnen rekurriert
hat, kann ich jetzt nicht ermessen; dazu müsste ich mir
das noch einmal anschauen.
Der Kollege Hofbauer, der diese nächsten Fragen gestellt hat, hat zunächst eine Zusatzfrage zu dieser Fragestellung.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, die Fördergebiete seien
erweitert worden, es seien zusätzliche E-Fördergebiete
entstanden. Im gleichen Atemzug sagen Sie aber, dass
die Mittel nicht erhöht werden. Wie soll das gehen?
Wenn es zusätzliche Gebiete, aber nicht mehr Geld gibt,
müssen die Mittel für die einzelnen Gebiete reduziert
werden. Das bedeutet, dass zum Beispiel auch die einzelnen Unternehmen keine höhere Förderung erhalten
können; denn schon jetzt können wir nicht die Höchstsätze der Förderung ausnutzen, weil die entsprechenden
Gelder nicht zur Verfügung stehen. Das sind alles Widersprüche. Es entsteht der Eindruck, dass hier zwar etwas
ausgewiesen wurde; da aber kein Geld zur Verfügung
gestellt wird, zieht das nicht.
Ich möchte noch einmal vortragen: Der GA-Planungsausschuss hat in seiner Sitzung im April die Erweiterung
des GA-Fördergebietes um so genannte E-Fördergebiete
beschlossen - man muss in diesem Zusammenhang festhalten, dass es dort vorher keine vergleichbaren Regelungen gab -, um förderungsbedingte Spannungen zwischen
Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne
bzw. geringerer Förderung abzubauen.
Beihilferechtlich ist in diesen Gebieten nur eine
KMU-Förderung nach der KMU-Freistellungsverordnung möglich. In diesen Regionen können ab 2004 gewerbliche Investitionen in Betriebsstätten von kleinen
Unternehmen bis zu 15 Prozent, in Betriebsstätten von
mittleren Unternehmen bis zu 7,5 Prozent und in sonstigen Betriebsstätten bis zu 100 000 Euro Gesamtbetrag
innerhalb von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der ersten
Beihilfe mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert
werden.
Dies alles steht unter der Bedingung - das wissen
auch Sie -, dass die GA-Mittel auf Bundesebene nicht
erhöht werden.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Michael Kretschmer.
Herr Staatssekretär, Sie haben auf die Frage, ob nicht
die Mittel erhöht werden müssten, geantwortet, der Bund
habe kein Geld, die finanziellen Möglichkeiten seien
ausgeschöpft und an eine Erhöhung der GA-Mittel sei
nicht zu denken. Es ist richtig, dass durch die Finanzund Steuerpolitik der Bundesregierung genau der Zustand eingetreten ist, den Sie beschrieben haben. Ich
frage daher: Ist es aus Ihrer Sicht und in Kenntnis der
wirtschaftlichen Situation in den Grenzregionen, also in
den E-Gebieten, nötig, dort stärker zu investieren?
Ich könnte mir sehr sinnvolle Förderungen vorstellen.
Aber diese Förderungen müssen bezahlbar sein. Wir haben einen bestimmten Rahmen, der durch den Bundesetat festgelegt wird.
Im Übrigen ist regionale Wirtschaftsförderung auch
eine sehr wichtige Aufgabe der Länder. Ich würde dem
Kollegen Hofbauer und anderen empfehlen, sich auch
einmal mit dem Freistaat Bayern auseinander zu setzen.
Durch das, was wir auf den Weg gebracht haben, gibt es
einen gewissen Ausgleich zwischen den Fördergebieten.
Was förderungstechnisch möglich ist, habe ich Ihnen
vorgetragen. Mehr ist gegenwärtig nicht leistbar.
Wir kommen dann zur Frage 7 des Kollegen Klaus
Hofbauer:
Welche Maßnahmen zur Stärkung der Grenzregionen zu
den EU-Beitrittsländern Polen und Tschechische Republik hat
die Bundesregierung unternommen, nachdem Bundeskanzler
Gerhard Schröder anlässlich der Regionalkonferenz Oberpfalz am 18. Dezember 2000 in Weiden ein materiell unterlegtes Programm zur Förderung der Grenzregionen angekündigt hat?
Herr Präsident, auch hier möchte ich darum bitten,
dass ich die Fragen 7 und 8 zusammen beantworten darf,
wenn der Fragesteller damit einverstanden ist.
Dann rufe ich auch noch die Frage 8 des Kollegen
Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Fördergebiete der GA
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ unter Einbeziehung des zusätzlichen Regionalindikators „Grenzlage zu
den EU-Beitrittsländern“ neu abzugrenzen, sodass insbesondere das Gebot der Gleichbehandlung der Grenzlandkreise im
Hinblick auf die Regionalförderung gewährleistet ist?
Herr Hofbauer, die Bundesregierung hat sich gemeinsam mit Österreich für ein EU-Grenzlandprojekt eingesetzt. Von der EU-Kommission wurde daraufhin am
25. Juni 2001 die „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“ vorgelegt. Damit und mit den durch Haushaltsrat
und Europäisches Parlament sowie im EU-Haushalt
2003 zusätzlich beschlossenen Finanzmitteln stehen den
Grenzregionen der fünf von der EU-Erweiterung betroffenen Mitgliedsländern 265 Millionen Euro für eine
Reihe von Maßnahmen - unter anderem Aufstockung
des Budgets für TEN, zusätzliche Mittel für Interreg und
für KMU, aber auch für das Programm „Jugend“ - zur
Verfügung.
Insgesamt ist das Grenzlandprogramm eine sinnvolle
Ergänzung bereits bestehender Programme der Europäischen Union. Hier gibt es ein breites Spektrum an Programmen, das unter anderem die europäischen Strukturfonds einschließlich der Gemeinschaftsinitiative Interreg,
die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe, über die wir
eben gesprochen haben, die grenzlandspezifische Erhöhung der Zulage für gewerbliche Investitionen bis hin zu
einer Vielzahl von EU- und nationalen Programmen, die
auf die Grenzregionen fokussiert werden können, umfasst.
Nun ist Regionalpolitik in erster Linie Aufgabe der
Länder; das habe ich eben schon ausgeführt. Es liegt daher in der Verantwortung der Länder und der kommunalen Gebietskörperschaften, die erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung des Strukturwandels als Folge der
EU-Osterweiterung zu ergreifen.
Die Europäische Kommission hat mit ihrer Entscheidung vom 2. April 2003 die beihilferechtliche Genehmigung für das Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ bis
Ende 2006 verlängert. Die Bundesregierung hatte im
September 2002 nach einstimmiger Beschlussfassung
des Bund-Länder-Planungsausschusses der Gemeinschaftsaufgabe die Verlängerung der unveränderten GAFördergebietskarte, die zum 1. Januar 2000 neu abgegrenzt wurde, notifiziert.
Um förderungsbedingte Spannungen zwischen Gebieten mit hoher Förderpräferenz und Gebieten ohne
bzw. mit geringerer Förderung abzubauen, werden unter
anderem die Grenzregionen Schwandorf und Weiden,
die nicht zu den genehmigten GA-Fördergebieten gehören, ab 1. Januar 2004 als so genannte E-Fördergebiete
in die GA-Förderung einbezogen. In diesen Regionen
können zukünftig insbesondere gewerbliche Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen sowie
kommunale wirtschaftsnahe Infrastrukturmaßnahmen
mit Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefördert werden.
Für die Fördergebietsabgrenzung ab 2007 sind die
beihilferechtlichen Entwicklungen abzuwarten. Die Europäische Kommission wird das derzeitige Beihilferegime insbesondere im Zusammenhang mit der EUOsterweiterung überprüfen und anpassen.
Herr Hofbauer, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Ich habe ganz konkret auf die Rede des Herrn
Bundeskanzlers vom 18. Dezember 2000 in Weiden Bezug genommen. Sollten Sie diese Rede nicht mehr haben
bzw. nicht haben, bin ich gerne bereit, sie Ihnen zur Verfügung zu stellen.
Das ist nicht nötig. Ich habe alle Reden des Bundeskanzlers.
({0})
Sehr gut; das ist lobenswert.
Das gehört zur Amtsausstattung.
Der Herr Bundeskanzler hat in Weiden gesagt - Herr
Präsident, ich darf zitieren -:
Die Mitgliedstaaten dürfen durch das europäische
Beihilferecht nicht daran gehindert werden, mit eigenen Förderinstrumenten die Entwicklung ihrer
Grenzregionen zu unterstützen.
Es geht hier nicht um die europäischen Beiträge. Der
Bundeskanzler hat vielmehr in Weiden ein nationales
Programm angekündigt und wörtlich gesagt: Dazu gehört „ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen“. Er hat also
ein nationales, materiell unterlegtes Programm - und
kein EU-Programm - angekündigt.
Ich frage Sie konkret: Wo ist dieses nationale Programm aufgelegt worden?
Herr Hofbauer, damit wir uns richtig verstehen: Können Sie die Passage, in der es um das nationale Förderprogramm geht, das aufgelegt werden soll, noch einmal
zitieren?
Das gehört zusammen: ein vernünftiges, auch materiell unterlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen, ...
Er hat zuvor vom Beihilferecht gesprochen, das erleichtert werden müsse; denn Europa schreibt uns in der
Strukturpolitik sehr viel vor. Er hat angekündigt, dass er
die Beihilferichtlinien auf europäischer Ebene so ändern
will, dass die Möglichkeit besteht, ein nationales Programms für die Grenzregionen aufzulegen. Dieses nationale Programm ist bisher nicht aufgelegt worden.
Herr Hofbauer, ich habe schon in der Antwort auf
Ihre erste Frage erläutert, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland und Österreich sehr massiv im Rahmen der
Europäischen Union für Beihilfeprogramme eingesetzt
haben. Sie wissen sehr genau, dass es beihilferechtlich
sehr eng begrenzte Vorschriften der Europäischen Union
gibt. Wir wissen genauso, dass wir mit einer Reihe von
Beihilfeprogrammen große Probleme haben, was dazu
führt, dass die Europäischen Union, wenn sie der Auffassung ist, dass eine Wettbewerbswidrigkeit vorliegt,
Beihilfeprogramme und Beihilfepositionen entsprechend
zurückfordert.
Ich habe Ihnen eben vorgetragen, dass wir für die beiden Regionen, um die es hier geht, das Fördergebiet „E“
ausgewiesen haben. Nun sage ich es Ihnen noch einmal:
Die regionale Wirtschaftsförderung ist Angelegenheit
der Länder, sodass ich es für einen bayerischen Abgeordneten für außerordentlich angemessen halten würde,
gegenüber der Bayerischen Staatsregierung entsprechende Anstrengungen zu unternehmen und entsprechende Positionen zu vertreten. Die Zuständigkeit für
die regionale Wirtschaftsförderung liegt bei den Ländern. Das, was wir tun konnten - ich betone das -, haben
wir gemacht.
Herr Hofbauer.
Herr Staatssekretär, wenn Sie mit dem Finger auf
Bayern zeigen, dann darf ich Ihnen Folgendes sagen: Es
gibt zwei Ebenen, die eigens Programme für die Grenzregionen aufgelegt haben. Das sind die Europäische
Union mit Mitteln in Höhe von 195 Millionen Euro plus
55 Millionen Euro und der Freistaat Bayern. Er hat für
die Grenzregionen ein eigenes Programm mit 100 Millionen Euro aufgelegt.
Die Bundesrepublik Deutschland fehlt. Der Herr Bundeskanzler hat in Weiden - das sage ich jetzt zum dritten
Mal; ich lasse nicht locker, denn Sie weichen immer
wieder aus - ein nationales Programm versprochen. Wir
fordern ein, dass diesbezüglich eine konkrete Aussage
gemacht wird. Denn nur Papiere zu verändern und ein
E-Fördergebiet auszuweisen bringen uns in der Sache
nicht weiter. Ich stelle hier fest, dass der Herr Bundeskanzler sein Versprechen von Weiden in dieser Frage
nicht eingehalten hat.
Herr Abgeordneter Hofbauer, es ist Ihnen völlig unbenommen, etwas festzustellen. Genauso ist es auch mir
völlig unbenommen, etwas festzustellen.
Ich stelle noch einmal fest: Wir haben die Gemeinschaftsaufgabe einvernehmlich mit den Ländern über so
genannte E-Fördergebiete ausgeweitet. Wir haben uns
im Rahmen der Europäischen Union gemeinsam mit
Österreich massiv für ein Grenzlandförderprogramm
eingesetzt - ich habe das bereits dargestellt -; dieses
Programm ist mit insgesamt 265 Millionen Euro ausgestattet. Ich kann Ihnen gern aufschlüsseln, wofür das
Geld in welchem Zusammenhang verwandt wird.
({0})
- Es ist ja prima, wenn Sie das wissen. - Wir sind also
entsprechend tätig geworden.
Ich sage Ihnen noch einen letzten Punkt: Wir fördern
in dem Umfang, der uns aufgrund der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel möglich ist. Von daher trifft die
Aussage zu, dass wir im Rahmen unserer Haushaltsmöglichkeiten gehandelt haben.
Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen von
Klaeden.
Herr Staatssekretär, ich möchte es im Protokoll korrekt und eindeutig nachlesen können. Daher frage ich:
Hat der Bundeskanzler nach Ihrer Ansicht ein solches
nationales Grenzförderprogramm in Weiden versprochen oder nicht?
Das, was Herr Hofbauer zitiert hat ({0})
- Nein, das muss ich nicht. Herr Kollege von Klaeden,
die Antwort müssen Sie schon mir überlassen. Das wissen Sie als Parlamentarischer Geschäftsführer genau.
Über die Form meiner Antwort entscheide ich ganz allein;
({1})
daran werden auch Sie nichts ändern.
({2})
- Ob ich Ja oder Nein sage, entscheide ich selbst.
Dem Zitat, das Herr Hofbauer vorgetragen hat, ist
dies nicht zu entnehmen.
({3})
Ich habe nicht die ganze Rede gelesen. Herr Hofbauer
hat mich gefragt, ob sie mir zur Verfügung steht. Ich
habe das aber nicht nachgelesen.
({4})
Eine weitere Frage des Kollegen Michelbach.
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, dass aufgrund des
Versprechens, das der Bundeskanzler in Weiden gegeben
hat, das bestehende Fördergefälle zwischen den einzelnen Bundesländern und in Zukunft auch das zu den EUBeitrittsländern verringert werden soll, aber zur Reduzierung dieses Fördergefälles in den Grenzregionen noch
kein zielführendes Konzept der Bundesregierung vorhanden ist? Wäre es nicht besser, Sie setzten in Brüssel
die Schaffung einer nationalen Förderkulisse durch, sodass nur noch Wettbewerbs- und Missbrauchskontrollen
stattfinden? Somit läge die Hoheit über die gesamte Förderkulisse nicht mehr ausschließlich in Brüssel.
Herr Abgeordneter, Ihre Frage enthielt drei unterschiedliche Annahmen, die ich alle nicht teile. Sie haben
dreimal die Volte gemacht, indem Sie ausgeführt haben,
was der Bundeskanzler angeblich versprochen habe, nämlich das Fördergefälle zwischen Ländern auszugleichen
usw. All das steht nicht in Rede. Vielleicht haben Sie das
dem kurzen Zitat, das der Abgeordnete Hofbauer vorgetragen hat, entnommen. Ich habe das nicht entnommen.
Ich habe bei der Beantwortung einer Reihe von Fragen
ausgeführt, dass das Fördergefälle durch GA-E-Fördergebiete und Vereinbarungen im Gemeinsamen Ausschuss
abgemildert werden sollte. Das, wonach Sie gefragt haben, haben wir bereits umgesetzt. Ob sich die Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union durchsetzen wird oder nicht, beurteile ich ganz anders als Sie.
Als weiterer Fragesteller hat der Kollege Kretschmer
das Wort.
Auch ich möchte noch etwas ganz genau wissen und
das im Protokoll nachlesen können. Sie haben gesagt
- ich möchte wissen, ob das Ihre private Meinung oder
die der Bundesregierung ist -, dass die Länder mit ihren
eigenen Möglichkeiten dafür verantwortlich sind, den
strukturpolitischen Herausforderungen, die sich im
Grenzland durch die Osterweiterung ergeben, zu begegnen. Ist die Bundesregierung tatsächlich der Meinung,
die EU-Osterweiterung, das große Projekt dieses Jahrhunderts, sei im Grenzland Aufgabe der Bundesländer?
Damit Sie es im Protokoll richtig nachlesen können:
Im ersten Teil Ihrer Frage, haben Sie etwas unterstellt,
was ich so nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, dass für
die regionale Wirtschaftsförderung die Länder zuständig
sind.
({0})
Im Übrigen bin ich selbstverständlich der Auffassung,
dass die EU-Osterweiterung eine Gemeinschaftsaufgabe
aller in der EU Handelnden ist. Es gibt eine Reihe von
Strukturinstrumenten, die ich hier umfassend vorgetragen habe.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
({0})
Herr Staatssekretär, welche Haushaltsmittel des Bundes werden den deutschen Grenzregionen neben den
Mitteln der Europäischen Union und einzelner Bundesländer - der Freistaat Bayern stellt 100 Millionen Euro
zur Verfügung - zur Förderung der Grenzregionen zur
Verfügung gestellt?
({0})
Herr Abgeordneter Koschyk, ich bitte um Verständnis
dafür, dass ich diese Frage nicht aus dem Stand beantworten kann. Ich liefere Ihnen die Antwort aber gerne
schriftlich nach.
Wir kommen zur Frage 9 des Kollegen Max
Straubinger:
Wie viele neue Arbeitsplätze haben die namentlich in der
Anzeige „Team-Arbeit für Deutschland“ der Wochenzeitung
„Die Zeit“ vom 12. Juni 2003 genannten Damen und Herren
seit dem 1. Januar 2003 geschaffen?
Herr Präsident, ich bitte darum, die Fragen 9 und 10
gemeinsam beantworten zu dürfen. Sind Sie einverstanden, Herr Straubinger?
({0})
Dann rufe ich auch die Frage 10 des Abgeordneten
Max Straubinger auf:
Welche finanzielle Summe wird für die Kampagne der
Bundesregierung „Team-Arbeit für Deutschland“ veranschlagt?
Personen, die in der Anzeigenkampagne der Initiative
„Team-Arbeit für Deutschland“ abgebildet sind, sind
Unterstützer dieser Initiative. Ziel der Initiative ist es,
ein Netzwerk gegen Arbeitslosigkeit aufzubauen. Hierbei geht es nicht darum, Einzelpersonen für die Schaffung von Arbeitsplätzen auszuzeichnen. Die gezeigten
Personen sind auf unterschiedliche Weise am Arbeitsmarkt aktiv geworden. Eine Liste der Aktivitäten kann
im Internet unter www.teamarbeit-fuer-deutschland.de
eingesehen werden. Dort sind die Aktivitäten aller Beteiligten und die Ansprechpartner detailliert aufgelistet.
Für die Initiative „Team-Arbeit für Deutschland“ sind
10 Millionen Euro vorgesehen.
Zusatzfrage, Herr Straubinger.
Herr Staatssekretär, es ist löblich, wenn man für die
Belebung des Arbeitsmarktes insgesamt eintritt. Die
Frage ist nur, ob die Mittel immer richtig eingesetzt werden und etwas erreicht wird.
Ich habe mich mit den Personen ein bisschen beschäftigt. Betrachten Sie die Tatsache, dass zum Beispiel bei
der Stadt Eisenhüttenstadt 1998 noch 471 Personen und
im Jahre 2002 nur noch 390 Personen beschäftigt waren,
als eine geeignete Unterstützung der Initiative „TeamArbeit für Deutschland“? Der Personalabbau ist sicherlich auf verwaltungstechnische Angelegenheiten bzw.
Belastungen der Stadt zurückzuführen. Glauben Sie,
dass ein solcher Abbau ein geeigneter Beitrag zur Belebung des Arbeitsmarktes in Deutschland ist?
Herr Abgeordneter Straubinger, da Sie stellvertretender Vorsitzender des entsprechenden Fachausschusses
sind, wissen Sie, dass die Empfehlungen der HartzKommission im 13. Kapitel unter dem Stichwort „Profis
der Nation“ vorsehen, unterschiedlich handelnde Personen zusammenzuführen, um für mehr Beschäftigung zu
werben.
Mit dieser Kampagne, die auf drei Jahre angelegt ist,
wird versucht, dieser Empfehlung zu folgen. Man hat
hier - das können Sie nachvollziehen - Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen - Sportler,
Künstler, Unternehmer, Selbstständige - zusammengeführt, die sich für diese Beschäftigungsinitiative einsetzen. Insofern finde ich das Konzept richtig und vernünftig.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Straubinger.
Herr Staatssekretär, der Internetseite habe ich entnommen, dass in 50 verschiedenen Städten der Republik
Veranstaltungen stattfinden. Am 27. bzw. 28. Juni ist
eine Veranstaltung in Saarlouis geplant. Bei der Auftaktveranstaltung mit dem Bundeswirtschaftsminister in
Berlin war auch ein bedeutender Gewerkschaftsvorsitzender anwesend. Daraus schließe ich, dass die Gewerkschaften diese Initiative unterstützen. Erachten Sie es als
einen günstigen Beitrag zur Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland, wenn die Betriebe im Osten
Deutschlands derzeit bestreikt werden, sodass im Westen
nicht mehr gearbeitet werden kann?
Herr Kollege Straubinger, zunächst möchte ich feststellen, dass mich Ihr Hinweis auf Saarlouis und die
Überleitung auf die Streiksituation in den neuen Bundesländern etwas verblüfft hat. Dazwischen kann ich keinen
Zusammenhang erkennen. Wahrscheinlich werden Sie
mir auch noch den Zusammenhang erläutern, der zwischen Ihrer vorherigen Frage zu Eisenhüttenstadt und
der Frage zu Saarlouis und der Lage beim Arbeitskampf
in den neuen Bundesländern besteht.
Ich will aber den Versuch machen, Ihre Frage zu beantworten. Die Arbeitsverwaltung des Saarlandes ist von
der Hartz-Kommission dazu ausersehen - die Handelnden wie auch die Landesregierung, die, wenn ich mich
richtig erinnere, von der Union gestellt wird, haben sich
dazu bereit erklärt -, den Versuch zu unternehmen, die
Hartz-Vorschläge in ihrem Land flächendeckend umzusetzen. Vielleicht liegt darin der Grund, in Saarlouis eine
Veranstaltung durchzuführen; dieser Zusammenhang ist
für mich offensichtlich. Wenn Sie eine andere Vermutung haben, müssten Sie in einer gesonderten Frage darauf hinweisen.
Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich führende Gewerkschaftler in dieser Initiative engagieren, dafür ihren
Namen zur Verfügung stellen und sich entsprechend einsetzen. Auch das sehe ich als sehr lobenswert an.
Zu den Streiks und den Auseinandersetzungen in den
neuen Bundesländern gibt es, wenn ich richtig informiert
bin, auf Initiative Ihrer Fraktion morgen eine Aktuelle
Stunde, in der wir uns entsprechend austauschen können.
Ich habe eine weitere Zusatzfrage. Ich habe der Berichterstattung entnommen, dass sehr viele Akteure eingeladen worden sind, in diesem Team mitzuarbeiten. Allerdings scheint mir, dass die Handwerkskammern bzw.
die IHKs außen vor gelassen worden sind. Hat das eine
Bewandtnis oder eine Bedeutung? Warum wurden sie
nicht eingeladen, an dieser Teamarbeit teilzunehmen?
Nein, das hat keine besondere Bewandtnis oder Bedeutung. Es wurden viele Menschen aus sehr unterschiedlichen Bereichen angesprochen.
Ihre letzte Zusatzfrage.
Glauben Sie nicht auch, dass es wichtiger gewesen
wäre, insbesondere mit denjenigen einen verstärkten
Austausch zu führen, die in unserer Republik - auch unter den sehr schwierigen Rahmenbedingungen, die wir
haben, wie wir leider Gottes feststellen müssen - Arbeitsplätze schaffen, als einen Propagandafeldzug für die
letztlich fehlgeschlagenen Hartz-Konzepte zu unternehmen? Dieser soll meines Erachtens nur dazu dienen, den
Ich-AGs oder Ähnlichem einen höheren Bekanntheitsgrad zu verschaffen. Wäre es nicht besser und wäre das
Geld in Höhe von 10 Millionen Euro nicht sinnvoller
eingesetzt, wenn man einen intensiveren Austausch mit
den Kammern bzw. den Betrieben führen würde? Wäre
das nicht zielführender, um die Arbeitslosigkeit in
Deutschland abzubauen?
Herr Straubinger, Sie müssten doch aus der Ausschusssitzung von heute Morgen wissen - ich will es
hier gerne wiederholen -, dass die Bundesregierung insgesamt, aber ganz besonders das Ministerium, das ich zu
vertreten habe, einen unglaublich umfangreichen Austausch mit den Handwerksorganisationen betreibt. Ich
kann Ihnen mitteilen - diese Nachricht ist ganz aktuell -,
dass Minister Wolfgang Clement eben ein längeres Gespräch mit dem Präsidenten des Zentralverbands des
Deutschen Handwerks geführt hat. Dabei spielten viele
Fragen, unter anderem die Situation im Bereich der Ausbildung und der Beschäftigung, eine Rolle. Angesichts
dessen, was Sie unterstellen, muss ich Ihnen sagen: Ein
Austausch findet ständig statt und ist für die Bundesregierung ein wichtiges Anliegen.
Ihre Frage gibt mir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass Mitglieder der Bundesregierung - Wolfgang
Clement und Edelgard Bulmahn - aber nicht der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen einer groß angelegten Briefaktion in diesen Tagen
über 100 000 Unternehmer, Handwerker, Handwerksorganisationen und Ähnliches angeschrieben haben, um
ausdrücklich für mehr Beschäftigung und Ausbildung zu
werben, was sehr wichtig ist. Alles das, was Sie einfordern, findet also statt und ist völlig richtig.
Worüber man sich streiten kann - da gehe ich mit Ihnen nicht konform -, ist, was man im Rahmen einer Öffentlichkeitskampagne tun kann und wie viel Geld man
dafür ausgibt. Dafür haben wir einen Haushaltsausschuss. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mehrfach
- auch wegen dieser Angelegenheit - im Haushaltsausschuss war; das ist auch richtig und gut. Die parlamentarische Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass die
Ausgaben des Staates parlamentarisch beschlossen und
kontrolliert werden. Auch dem kommen wir nach.
Ich finde die Kampagne sehr gut und halte es für sinnvoll, dafür Geld auszugeben.
Eine weitere Frage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin gesagt, dass die
Persönlichkeiten, die an dieser sehr teuren Kampagne
mitwirken, auch aufgrund eines gewissen Zusammenhangs mit den beschäftigungspolitischen Erwartungen
ausgewählt worden sind. Vielleicht können Sie dem Hohen Hause einmal erklären, welche beschäftigungspolitischen Erwartungen die Bundesregierung damit verbindet, dass Roland Kaiser an dieser Aktion ebenfalls
mitwirkt.
({0})
Nein, mal langsam.
Herr Koschyk, vielleicht waren Sie eben noch nicht
da. Ich habe vorhin in einer Antwort deutlich gemacht,
dass die Hartz-Kommission in ihrem 13. Kapitel Empfehlungen ausgesprochen hat. Eine dieser Empfehlungen
lautet, dass man begreifen muss, dass die Arbeitslosigkeit nicht allein ein Problem der Politik, der Wirtschaft,
des Handwerks und der kleinen Unternehmen, sondern
ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Die HartzKommission sagt: Wenn man mit diesem gesamtgesellschaftlichen Problem umgehen will, dann muss man dafür sorgen, dass die vielen Handelnden, die es in ganz
unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft gibt, zu einer Initiative für mehr Beschäftigung zusammengeführt
werden und dafür werben. Zu denen, die sich für das Ziel
dieses Netzwerkes und dieser Initiative einsetzen, gehören zum Beispiel auch Künstler. Ich könnte Ihnen noch
eine Reihe anderer Menschen nennen.
Nun drehe ich es einmal herum. Sie wissen sehr genau
- wir könnten jetzt ein langes Seminar über Medienkampagnen und Medienwirkung führen -, dass große Unternehmen, wenn sie ein neues Produkt verkaufen wollen,
dafür mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenarbeiten. Man fragt sich immer, was dieser
Mensch eigentlich mit dem Produkt zu tun hat. Die breit
angelegte öffentliche Identifikation mit der Person wird
genutzt, um einen bestimmten Gedanken, der dahinter
steckt, voranzubringen.
({0})
Ich empfehle Ihnen, sich einmal ins Internet zu begeben und einmal nachzulesen, was Roland Kaiser dort
schreibt. Mir steht dies in der knapp bemessenen Fragestunde leider nicht zur Verfügung.
Eine weitere Frage des Kollegen Kretschmer.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade von der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gesprochen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Ich dachte immer, dass das
eine wirtschaftspolitische Frage ist; zumindest habe ich
das während meines Studiums so gelesen. Dabei habe
ich aber nicht erfahren, dass man Anzeigenkampagnen
startet und dass es hilft, wenn Künstler und Gewerkschaftsleute daran mitwirken.
Deswegen möchte ich Sie bezüglich der Länder, die
in einer ähnlich schwierigen Situation waren wie
Deutschland jetzt - nämlich Irland vor zehn bis
20 Jahren und Großbritannien -, fragen, ob Sie Kenntnis
davon haben, dass man dort solche Anzeigenkampagnen
mit Erfolg betrieben hat, um die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Waren es nicht vielmehr wirtschafts- und finanzpolitische Reformen, die diese Länder vorangebracht haben?
Herr Kretschmer, Sie müssen entschuldigen, aber es
entzieht sich momentan meiner Kenntnis, was Sie studiert haben. Ich kann auch nicht beurteilen, wie intensiv
Sie studiert haben und womit Sie sich befasst haben.
({0})
Bezogen auf die Frage davor habe ich nur versucht,
die Motivation und die Grundlage deutlich zu machen.
Wenn Sie sich in Ihrem Studium möglicherweise auch
mit Marketingstrategien und Ähnlichem beschäftigt haben, dann wissen Sie, dass große Unternehmen sehr
große Etats dafür aufwenden, um ein neues Produkt zu
verkaufen oder einzuführen.
({1})
Man muss ein neues Produkt oder einen neuen Inhalt,
den man vermitteln möchte, medial und öffentlichkeitswirksam darstellen.
Nun sage ich Ihnen: Die Massenarbeitslosigkeit ist
kein neues Produkt, aber sie ist ein Problem. Wenn man
erreichen will, dass sich viele gesellschaftlich Handelnde mit diesem Problem auseinander setzen und sich
engagieren, dann macht es doch großen Sinn, bekannte
Menschen dafür zu gewinnen, sich in diesem Sinne zu
verwenden und als Vorbild zu dienen. Genau das wird
mit dieser Kampagne gemacht. Ich kann Ihnen sagen:
Ich halte das für völlig richtig.
Die Fragen 11 und 12 des Kollegen Fritz sollen
schriftlich beantwortet werden. - Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Danke schön, Herr Präsident.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg
Wagner zur Verfügung.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Hinsken sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen dann zur Frage 15 der Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch:
Trifft es zu, dass die Bundeswehr Forschungsprojekte mit
Krankheitserregern, den Hasenpest-Bakterien, die gentechnisch gegen Antibiotika resistent gemacht werden, durchführt,
und, wenn ja, welche Ziele werden mit solchen Forschungen
verfolgt?
Im Rahmen der Beratung des Gentechnikgesetzes im
Deutschen Bundestag hat sich das Bundesverteidigungsministerium bereit erklärt, den Verteidigungsausschuss
über Forschungsvorhaben zu unterrichten, bei denen
gentechnische Arbeitsmethoden angewandt werden. Die
Gentechnikmeldung für das Jahr 2002 wurde mit Datum
vom 20. März 2003 dem Verteidigungsausschuss des
Deutschen Bundestages vorgelegt. Das von Ihnen angesprochene Forschungsobjekt zu gentechnisch gegen Antibiotika resistent gemachten Erregern der Hasenpest,
der so genannten Tularämie, wurde in dieser Meldung
unter dem Namen „Diagnostik, Immunpathogenese, Prophylaxe und Epidemiologie der Tularämie“ genannt. Die
Untersuchungen mit den Tularämieerregern sind von der
Regierung von Oberbayern im Dezember 1998 genehmigt worden. In dem Bescheid sind die Antibiotikaresistenzen explizit erwähnt.
Im Rahmen der Schutzforschung am Institut für Mikrobiologie der Sanitätsakademie werden Untersuchungen mit einem gentechnisch veränderten Impfstamm der
Bakterienart Francisella tularensis, dem Erreger der Tularämie, der Hasenpest, durchgeführt. Ein externes Forschungsinstitut hatte diesem Bakterienstamm gentechnisch ein fluoreszierendes Eiweiß eingebaut, um ihn bei
mikroskopischen Untersuchungen besser identifizieren
zu können. Die so veränderten Bakterien sind gegenüber
den unveränderten Tularämieerregern, die dieses Gen
nicht aufweisen, im Nachteil, da für die Produktion des
fluoreszierenden Eiweißes Energie aufgewendet werden
muss. Daher würde dieses Gen im Laufe der Zellteilung
verloren gehen.
Um die fluoreszierende Eigenschaft in den veränderten Bakterien zu erhalten, werden üblicherweise zugleich mit dem Fremdgen Antibiotikaresistenzen eingebracht. Man gibt dann der Nährlösung ein Antibiotikum
hinzu, durch das Bakterien, welche die fluoreszierende
Eigenschaft und damit die Antibiotikaresistenz wieder
verloren haben, sofort abgetötet werden, während Bakterien, welche die Fluoreszenz beibehalten haben, überleben. Die Untersuchungen wurden durchgeführt, um die
krank machenden Eigenschaften dieser Bakterien besser
zu verstehen und daraus neue Ansätze für verbesserte
Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Trotz der eingebrachten Resistenz gegen zwei Antibiotika bleibt der
Impfstamm gegen die für die Behandlung der Tularämie
empfohlenen Standardantibiotika empfindlich.
Der angesprochene gentechnisch veränderte Erreger f. tularensis ist ein so genannter Impfstamm und als
B-Kampfstoff ungeeignet. Die Bundeswehr führt keine
Arbeiten durch, mit denen potenzielle B-Kampfstoffe
durch gentechnische Einführung einer Resistenz gegen
Antibiotika waffentauglicher gemacht werden sollen.
Die wehrmedizinische Forschung auf diesem Gebiet ist
ausschließlich auf Prävention, Diagnostik, Behandlung
und Bekämpfung von Krankheiten gerichtet, die durch
potenzielle biologische Kampfmittel ausgelöst werden
könnten.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich zudem nach
den Pariser Protokollen zum Brüsseler Vertrag vom
23. Oktober 1954 und dem B-Waffen-Übereinkommen
vom 10. April 1972, im Bundestag am 7. April 1983 ratifiziert, international dazu verpflichtet, sich in keiner
Weise aktiv mit biologischen Waffen zu befassen.
Darüber hinaus gibt es national im Kriegswaffenkontrollgesetz ein entsprechendes strafbewehrtes Verbot.
Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur Herstellung
von biologischen Waffen wurden und werden durch das
Bundesverteidigungsministerium nicht vergeben, gefördert oder sonst in irgendeiner Weise unterstützt. Solange
trotz internationaler Bemühungen um Abrüstung und
Rüstungskontrolle sowie Nichtverbreitung Potenziale an
ABC-Waffen existieren und Kriegsparteien künftiger
Konflikte Zugriff auf diese Waffen haben, besteht eine
Bedrohung und das Risiko einer Exposition für Bundeswehrangehörige bei Konfliktbewältigungsmissionen.
Die Bundeswehr muss deshalb dort, wo es dem Stand
von Wissenschaft und Technik entspricht, auch unter Zuhilfenahme gentechnischer Arbeitsmethoden auf dem
Gebiet der B-Schutzforschung tätig sein.
Eine rechtsstaatliche Ordnung mit genehmigenden
und überwachenden Stellen, die Offenlegung und Diskussion der Forschungsprogramme in Fachkreisen und
gegenüber dem Parlament sowie der völkerrechtlich verbindliche Verzicht Deutschlands auf ein aktives B-Waffen-Programm sind zusammen ein starker Garant gegen
jede Form des Missbrauchs.
Die Einhaltung der Bestimmungen des Gentechnikgesetzes wird überdies durch die Kontrollorgane der Länder kontinuierlich überwacht. Einen absoluten Schutz
vor vorsätzlichem Missbrauch gentechnologischer Methoden kann es weltweit nicht geben. Dieses unvermeidliche Restrisiko ist in Deutschland durch ein Netzwerk
an rechtsstaatlichen Maßnahmen als minimiert zu bewerten.
Nun scheint mir alles klar zu sein.
Haben Sie noch Zusatzfragen, Frau Lötzsch?
Natürlich habe ich Zusatzfragen. - Zunächst einmal
stelle ich fest, dass der Herr Staatssekretär versucht hat,
sich sehr ausführlich mit den medizinischen Grundlagen
zu befassen und diese auch vorzutragen.
({0})
Nun weiß jeder, dass Krankheitserreger besonders gefährlich sind, wenn sie gegen Antibiotika resistent sind,
da die Antibiotika nicht mehr wirken. Welche Sicherheit
kann die Bundesregierung geben, dass diese gefährlichen
Krankheitserreger, gegen die keine Medikamente mehr
wirken, in der Forschung nicht missbraucht werden?
Ich habe schon deutlich ausgeführt, dass wir nach
dem Kriegswaffenkontrollgesetz handeln und alle Vereinbarungen, die geschlossen worden sind, einhalten.
Das erstreckt sich bis hin zur Kontrolle durch das Parlament. Viel mehr kann man eigentlich nicht kontrollieren.
Missbrauch ist weltweit nicht auszuschließen. Wir haben
in Deutschland in Zusammenarbeit mit den Ländern ein
Netzwerk aufgebaut, das sicherstellt, dass ein Missbrauch nicht geschehen kann.
Zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Herr Staatssekretär, hielten Sie es nicht für sinnvoller,
dass sich die Bundesregierung generell gegen die Biowaffenforschung einsetzt und versucht, international darauf hinzuwirken, dass keine Forschung für solche Waffen und solche gefährlichen Krankheitserreger betrieben
wird, die zwar in Laboren unter Sicherheitsbedingungen
gezüchtet werden, aber dennoch nicht vor Missbrauch
gefeit sind? Wäre das nicht der bessere Weg?
Frau Kollegin, Sie unterstellen, die Bundesrepublik
Deutschland würde solche Stoffe und B-Waffen herstelParl. Staatssekretär Hans Georg Wagner
len. Das ist nicht der Fall. Hier soll versucht werden, den
Soldaten, die Missionen in Ländern erfüllen, in denen
solche Waffen eingesetzt werden könnten, Schutz vor
Krankheiten zu bieten. Das ist unser Ansatz. Wir müssen
auf alle Eventualitäten eingestellt sein, in welchen Einsätzen auch immer.
Bei uns ist die Kontrolle bestens organisiert. Wir sind
der Meinung, dass man zur Abwehr von Gefährdungen
solche Forschungsvorhaben durchführen muss, um unsere Bundeswehrangehörigen zu schützen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Wagner.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Andreas
Scheuer:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob die
neuen und vom Eisenbahn-Bundesamt, EBA, wegen der technischen Zulassung nicht abgenommenen Referenz-Achszähler zur Gleisfreimeldung noch im Schienennetz vorhanden
sind?
Herr Scheuer, wir werden jetzt mit den Ausführungen
zu den Referenz-Achszählern nicht die Qualität der Ausführungen zu den Hasenpestbakterien halten können.
Die in neuen Gleisanlagen installierten ReferenzAchszählpunkte entsprechen einer zugelassenen Bauart.
Sie wurden im Vorgriff auf eine neue, noch in der Entwicklung stehende Auswertetechnik zusätzlich zur üblichen Gleisfreimeldetechnik eingebaut, jedoch nicht mit
der Sicherungstechnik verbunden. Da die Entwicklung
dieser neuen Auswertetechnik abgebrochen wurde, sind
die Referenz-Achszählpunkte dauerhaft entbehrlich. Insofern waren die darauf entfallenen Investitionshilfen
des Bundes zurückzufordern.
Inwieweit die entbehrlichen und nicht mit der Sicherheitstechnik verbundenen Achszählpunkte noch im
Gleisbereich vorhanden sind, ist der Bundesregierung
nicht bekannt. Es ist eine unternehmerische Entscheidung der DB Netz AG, ob sie die nicht benötigten Achszählpunkte ausbaut und an anderer Stelle wieder verwendet.
Zusatzfrage, Kollege Scheuer.
Frau Staatssekretärin, die Antwort befriedigt mich
nicht ganz, weil es hier um sicherheitsrelevante Bauteile
geht. Gestatten Sie mir eine Ausweitung meiner Frage:
Gibt es nach Ihrer Kenntnis weitere Einrichtungen, Bauteile und Elemente im Schienensystem oder grundsätzlich bei der Bahn AG, die in Betrieb sind, jedoch nicht
vom Eisenbahn-Bundesamt abgenommen wurden?
Wir hatten im Rechnungsprüfungsausschuss schon
sehr häufig Gelegenheit, darüber zu sprechen. Sie wissen, dass das EBA dargelegt hat, ihm seien solche Maßnahmen nicht bekannt bzw. nicht von der DB angemeldet worden. Es geht in diesem Fall darum, dass zwar die
Referenz-Achszählpunkte als solche, nicht aber ihr Einbau zugelassen war bzw. dass das EBA - wie von ihm im
Rechnungsprüfungsausschuss dargelegt - keine Kenntnis
davon hatte.
Es geht aber - um weitere Missverständnisse zu vermeiden - in diesem Zusammenhang um eine Technik,
die nicht zum Einsatz gekommen ist. Vielleicht muss ich
an dieser Stelle etwas weiter ausholen. Die ReferenzAchszähler wurden eingesetzt, um zu zählen, ob die
Gleise frei oder besetzt sind, und um den Datenabgleich
effektiver und genauer zu machen. Insofern geht es in
diesem Zusammenhang nicht um die bestehende Sicherheit, sondern um die Überprüfung der Sicherheit.
Gegenwärtig gibt es Achszähler, bei denen die Störanfälligkeit bzw. die Störwahrscheinlichkeit so gering
ist, dass eine automatische Fehlerkorrektur entbehrlich
ist. Das heißt, in diesem Bereich hat ein technischer
Fortschritt stattgefunden.
Zweite Zusatzfrage, Herr Scheuer.
Im Bericht des Bundesrechnungshofs ist die Sicherheitsrelevanz der Achszähler festgestellt worden. Wir
sollten uns jedoch nicht über einzelne Begriffe streiten.
Vielleicht können Sie mir aber darüber Auskunft geben,
welche zusätzlichen Auswirkungen die fehlerhaften
Referenz-Achszählsysteme auf das gesamte System
Deutsche Bahn AG haben.
Ich verstehe Ihre Frage nicht ganz. Das kann auch damit zusammenhängen, dass Sie nicht verstehen wollen,
dass diese Achszähler keine Sicherheitsrelevanz haben.
({0})
- Was der Rechnungshof in seinem Bericht schreibt,
muss nicht unbedingt mit den Tatsachen übereinstimmen.
Ich erkläre noch einmal, was Referenz-Achszähler
sind: Dabei handelt es sich um ein zusätzliches Instrument. Damals - das ist übrigens schon lange her; wir reden nicht über die Gegenwart, sondern über die 90erJahre, als versucht worden ist, die zusätzlichen Referenz-Achszählpunkte einzurichten - gab es eine Kontrolle durch das Achszählsystem. Betriebswirtschaftlich
war es für die DB Netz AG von Interesse, ihr System so
fehlerfrei wie möglich zu gestalten. Zu diesem Zweck
sollten die Achszählpunkte genutzt werden. Es hat sich
aber als schwierig herausgestellt, sie mit der Software zu
verbinden.
Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die ReferenzAchszähler keine Sicherheitsrelevanz haben. Sie haben
vielmehr eine betriebswirtschaftliche Relevanz, weil mit
ihrer Hilfe kein Personal mehr eingesetzt werden muss,
um zu prüfen, ob ein Streckenabschnitt frei ist.
Wenn jetzt bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck entstehen sollte, es handele sich um ein sehr unsicheres System, ist zu betonen, dass das keineswegs der
Fall ist. Es geht darum, die Achsen zu zählen und zu prüfen, ob die Gleise frei sind. Das Referenz-Achszählsystem ist eingeführt worden, um die Methodik zu verfeinern, aber nicht aus Sicherheitsgründen.
Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Scheuer:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über die
unrechtmäßige Inanspruchnahme von Zuwendungen des Bundes durch die Deutsche Bahn AG, DB AG, und wie soll nach
Ansicht der Bundesregierung diesbezüglich eine bessere Prüfung durch das EBA garantiert werden?
Zuwendungsnehmer bei Investitionen in die Schienenwege ist nicht die Deutsche Bahn AG. Zuwendungsnehmer sind vielmehr die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes, nämlich die DB Netz AG,
DB Station & Service AG und DB Energie GmbH.
Über die Zuwendungen des Bundes für Investitionen
in die Schienenwege schließt der Bund nach Maßgaben
der §§ 9 und 11 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz Vereinbarungen mit seinen Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dabei stellt der Bund die zweckgerichtete
Mittelverwendung sicher. Das Eisenbahn-Bundesamt
führt Antrags- und Verwendungsprüfungen durch.
Die Antragsprüfung ist eine 100-prozentige Prüfung.
Sie umfasst alle Anträge auf finanzielle Baufreigabe.
Das EBA stellt mit der Antragsprüfung die sparsame und
wirtschaftliche Mittelverwendung sicher. Planungsfehler
und sonstige Ursachen unrechtmäßiger Mittelverwendung verhindert das EBA damit weitgehend.
Die Verwendungsprüfung des EBA ist eine Stichprobenprüfung, die sich auf alle vorhabenbezogenen Daten
bis zu den zahlungsbegründenden Unterlagen einschließlich der Buchungsbelege und Kosteneinzelnachweise bezieht. Im Zuge der jährlichen Verwendungsprüfung prüft das EBA durchschnittlich 10 000 in der Regel
sehr umfangreiche Belege. Darüber hinaus prüft der
Bundesrechnungshof im Rahmen seiner Zuständigkeiten
die Verwendung der Bundesmittel durch die Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes.
Die Rationalisierung der Prüfverfahren des EBA ist
eine Aufgabe, die das Amt verantwortungsbewusst, zielgerichtet und in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie den
Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes wahrnimmt. Dieser Prozess, den allen Beteiligten seit InKraft-Treten der Bahnreform im Jahre 1994 betreiben,
zeigt Erfolge. So sind seit 1994 die durch Fehler bei der
Mittelverwendung bedingten Rückforderungssummen
des Bundes merklich zurückgegangen.
Zusatzfrage, Kollege Scheuer.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es bei
einer Prüfquote bezüglich der Mittelverwendung von nur
25 Prozent eine Fehlerquote von rund 50 Prozent gibt?
Das hat das EBA im Rechungsprüfungsausschuss eingeräumt. Was wird die Bundesregierung tun, um ohne zusätzlichen Personalaufwand beim EBA die Prüfquote zu
verbessern?
Um die Prüfquote geht es hier sicherlich nicht, sondern um die Trefferquote. Dies hat das EBA im Rechungsprüfungsausschuss auch sehr deutlich gesagt. Sie
müssen dem EBA zugestehen, dass es im Hinblick auf
die Prüfung von Belegen über eine jahrzehntelange Erfahrung verfügt. Von daher stimmt das, was Ihnen im
Rechungsprüfungsausschuss gesagt wurde: Bei manchen
Belegen wissen die Prüfer genau, dass sie wahrscheinlich keine Fehler finden, wenn sie sie richtig durchprüfen. Bei anderen Belegen wiederum erkennt ein erfahrener Prüfer, dass er nachprüfen muss. Insoweit richtet
sich sicherlich auch Ihr Interesse auf die Trefferquote
und nicht auf eine Prüfquote von 100 Prozent.
Im Übrigen wurde im Rechungsprüfungsausschuss
der Beschluss gefasst, zur Minimierung des Verwaltungsaufwandes solle das Bundesministerium verstärkt Regelungen mit den Zuwendungsempfängern vereinbaren,
nach denen Verfahren Anwendung finden können, die
Stichprobenprüfungen mit Fehler- und Rückforderungshochrechnungen verbinden. An diesen Beschluss des Rechungsprüfungsausschusses werden wir uns auch halten.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sind die im Rechungsprüfungsausschuss besprochenen Rückforderungen aufgrund fehlerhafter Mittelverwendung aus den Jahren 1994 bis
2001 schon vollständig von der Bahn AG zurückgezahlt
worden und, wenn nein, welche Rückforderungen stehen
gegenwärtig noch aus?
Ich kann Ihnen keine Zahlen bis 2001, sondern nur bis
2000 nennen. Für den Zeitraum von 1994 bis 2000 sind
es mit jährlich abnehmender Tendenz rund 1,79 Milliarden Euro. Ich hatte Ihnen seinerzeit schon gesagt, dass es
anfangs ein bisschen problematisch war. Als nach der
Bahnreform aus zwei Behörden eine AG wurde und für
beide Seiten eine neue Situation entstand, waren die
Rückforderungen über einige Jahre logischerweise etwas
höher.
Vielen Dank.
Die Fragen 18 und 19 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen damit zur Frage 20 der Kollegin
Kristina Köhler:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass ein
Anruf der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, genügte,
um die DB AG dazu zu bewegen, das Gelände eines seit geraumer Zeit verwahrlosten Wiesbadener Güterbahnhofs zu
reinigen, und die Bundesministerin Heidemarie WieczorekZeul sich laut „Wiesbadener Kurier“ vom 29. März 2003
„freut, dass sie schnell und unbürokratisch für den Reinigungseinsatz der Bahn sorgen konnte“, obwohl die DB AG
zuvor auf gleich lautende Bitten Wiesbadener Kommunalpolitiker nicht reagiert hatte und obwohl es laut Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Angelika Mertens auf meine
schriftliche Frage 154 in Bundestagsdrucksache 15/1164 der
Bundesregierung nicht möglich sei, auf einzelne Geschäftsaktivitäten der DB AG, wie etwa die Säuberung bahneigener
Grundstücke, Einfluss zu nehmen?
Frau Kollegin Köhler, Frau Heidemarie WieczorekZeul hat sich nicht als Bundesministerin, sondern in ihrer
Eigenschaft als örtliche, direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für die Sauberkeit eines Bahngeländes in Wiesbaden engagiert. Nachdem der Bundestagsabgeordneten
mehrfach der verwahrloste Zustand des Geländes am ehemaligen Güterbahnhof West in Wiesbaden mitgeteilt worden war, hat sie sich Ende März 2003 direkt mit der Pressestelle der Deutschen Bahn AG in Verbindung gesetzt,
({0})
um erstens auf den untragbaren Zustand am ehemaligen
Güterbahnhof in Wiesbaden hinzuweisen und zweitens
auf den beträchtlichen Imageschaden für die Deutsche
Bahn AG aufmerksam zu machen und um rasches Handeln zu bitten.
Aufgrund dieser Aktivitäten der Bundestagsabgeordneten hat sich die Bahn offensichtlich entschlossen, Abhilfe zu schaffen und das entsprechende Gelände am
ehemaligen Wiesbadener Güterbahnhof zu reinigen. Solche Wege und Möglichkeiten bieten sich allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und stehen ihnen auch
gegenüber einem Unternehmen wie der Deutschen
Bahn AG offen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wenn Frau Ministerin
Wieczorek-Zeul dies als Bundestagsabgeordnete getan
hat: Können Sie mir versichern, dass der betreffende Anruf nicht aus ihrem Ministerbüro, sondern aus ihrem
Wahlkreisbüro in Wiesbaden erfolgte?
Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Ich denke, dass
wir alle, die wir Regierungsmitglieder sind, sehr genau
wissen, wo wir zu unterscheiden haben. Auch ich tue
das. Diese Unterscheidung ist manchmal problematisch
- das ist auch ortsabhängig -, insbesondere bei Telefonaten mit dem Handy. Das liegt in der Natur der Sache. Ich
kann Ihnen das jedenfalls nicht bestätigen. Ich denke,
das wäre Haarspalterei.
Frau Staatssekretärin, können Sie mir dann vielleicht
erklären, warum die Bahn nur auf die Bitte der Bundesministerin und nicht auf die Bitten und Anfragen anderer
Wiesbadener Kommunalpolitiker reagiert hat?
Ich kann hier nicht für die DB AG sprechen. Sie sollten sich einfach mit der DB AG in Verbindung setzen
und fragen, warum vielleicht Ihre Anfrage nicht bearbeitet wurde. Aber das ist Sache der DB AG, nicht meine.
Damit kommen wir zur Frage 21 von Frau Köhler
({0}):
Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, in derselben
Weise auf die Nutzung und Sauberhaltung anderer Grundstücke der DB AG Einfluss zu nehmen?
Ich verweise auf meine Antwort zu Frage 20. Ich
glaube, dass auch Sie jetzt verstanden haben, worum es
geht.
Es gibt keine Zusatzfragen mehr. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung
steht der Staatsminister Rolf Schwanitz zur Verfügung.
Die Fragen 22 und 23 des Abgeordneten Dr. Günter
Krings sind zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Eckart von
Klaeden auf:
Trifft es zu, dass der Ermittlungsführer des Bundeskanzleramtes im disziplinaren Vorverfahren, Dr. Burkhard Hirsch,
während seiner Vorermittlungen die Staatsanwälte beim Landgericht Bonn ins Vertrauen gezogen und ihnen zugesichert
habe - Quelle: „Die Zeit“ 26/2003 vom 19. Juni 2003 -, sämtliche Erkenntnisse an sie weiterzuleiten?
Herr von Klaeden, Pressemeldungen kommentiert die
Bundesregierung grundsätzlich nicht. Richtig ist aber,
dass die Staatsanwaltschaft Bonn, nachdem dort mehrere
Strafanzeigen eingegangen waren, mit Schreiben vom
2. Februar 2000 ein Auskunftsersuchen an das Bundeskanzleramt gemäß § 161 StPO gerichtet hat. Mit Schreiben vom 24. Februar 2000 hat der Chef des Bundeskanzleramtes der Staatsanwaltschaft Bonn mitgeteilt, dass
auch der zwischenzeitlich mit den disziplinarrechtlichen
Vorermittlungen beauftragte Bundestagsvizepräsident
a. D. Dr. Burkhard Hirsch für weitere Besprechungen
zur Verfügung steht.
Vor diesem Hintergrund hat Dr. Hirsch den Sachverhalt mit der Staatsanwaltschaft Bonn erörtert. Dabei hat
er auch, wie bei parallel laufenden disziplinar- und strafrechtlichen Verfahren üblich, die Übermittlung gegebenenfalls im disziplinarrechtlichen Verfahren bekannt
werdender strafrechtsrelevanter Sachverhalte durch das
Bundeskanzleramt zugesichert.
Zusatzfrage?
Sind die Informationen, die Herr Hirsch an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat, mit dem Staatssekretär
Steinmeier abgestimmt worden?
Es hat bei dem von mir erwähnten Gespräch eine einführende Erörterung insbesondere seines Ermittlungsauftrags gegeben. Dieser Auftrag stammt, wie Sie sicherlich wissen, vom Chef des Bundeskanzleramtes. Es
hat darüber hinaus auch unmittelbare Kontakte zwischen
dem Amt und der Staatsanwaltschaft gegeben.
Herr Staatsminister, mich interessiert, wie man vorgegangen ist. Hat Herr Hirsch die Protokolle, die er von
seinen Zeugenvernehmungen angefertigt hat, unmittelbar an die Staatsanwaltschaft weitergegeben? Sind sie
über den Schreibtisch des Staatssekretärs gewandert? Ist
Herr Steinmeier über die Gespräche regelmäßig informiert gewesen? Inwieweit ist der Bundeskanzler einbezogen gewesen? Oder hat es nur „bilaterale“ Kontakte
zwischen Herrn Hirsch und der Staatsanwaltschaft gegeben? Wie muss ich mir das Vorgehen vorstellen?
Bis auf den ersten, von mir angesprochenen Vorgang dabei ist der Vorermittlungsauftrag erörtert worden; Herr
Dr. Hirsch hat der Staatsanwaltschaft das Angebot gemacht, das Bundeskanzleramt jederzeit aufzusuchen, um
dort weitere Gespräche zu führen; dazu kam es allerdings
nicht - sind strafrechtlich relevante Ermittlungsergebnisse nicht unmittelbar von Herrn Dr. Hirsch weitergegeben worden; er hat über die - auch Ihnen bekannten Vorgänge berichtet, also über die Zuleitung der beiden
entsprechenden Stellungnahmen und über die Einreichung der entsprechenden Anzeige aus dem Bundeskanzleramt.
Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten von
Klaeden:
Welche Kontakte und auf welcher Rechtsgrundlage hat der
Ermittler im disziplinaren Vorverfahren, Dr. Burkhard Hirsch,
mit der Staatsanwaltschaft Bonn gehabt?
Herr Kollege von Klaeden, neben den bereits beschriebenen Kontakten zur Staatsanwaltschaft Bonn im
Rahmen des dortigen Auskunftsersuchens gemäß
§ 161 StPO wurde Bundestagsvizepräsident a. D.
Dr. Burkhard Hirsch in seiner Eigenschaft als disziplinarrechtlicher Vorermittlungsführer im Bundeskanzleramt auch als Zeuge vernommen. Diese Zeugeneinvernahme erfolgte aufgrund der § § 48 ff. StPO.
Zusatzfrage.
Hat es also keinen regelmäßigen Kontakt in der Form
gegeben, dass Herr Dr. Hirsch die Staatsanwaltschaft
über seine Ermittlungsergebnisse im disziplinarrechtlichen Vorverfahren regelmäßig unterrichtet hat? Habe ich
es richtig verstanden, dass diese beiden Stellungnahmen
übergeben worden sind, dass dann seine Einvernahme
als Zeuge stattgefunden hat und dass keine weiteren
Kontakte stattgefunden haben?
Es hat keine regelmäßigen Kontakte gegeben.
Danke schön, Herr Staatsminister Schwanitz.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf
Körper zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 26 des Kollegen Hartmut
Koschyk auf:
Über welche deutschen Sicherheitsbehörden nicht vorliegenden Informationen verfügen die französischen Sicherheitsbehörden über den in Paris festgenommenen Deutschen C. G.,
den die französischen Sicherheitsbehörden im Gegensatz zu
den deutschen Sicherheitsbehörden für einen hohen Verantwortlichen der Terrorgruppe al-Qaida halten - vergleiche unter anderem „Süddeutsche Zeitung“ vom 13. Juni 2003: „Paris irritiert deutsche Terrorfahnder“ - und gibt es mittlerweile
anstelle dieser unterschiedlichen Einschätzungen eine einheitliche deutsch-französische Gefahrenbewertung über C. G.?
Herr Koschyk, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Im Zuge der Bekämpfung des internationalen TerrorisParl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
mus findet zwischen den deutschen und den französischen Sicherheitsbehörden auf allen Ebenen ein reger Informationsaustausch statt. Dies gilt in besonderer Weise
für den die französische wie die deutsche Seite gleichermaßen betreffenden Ermittlungskomplex mit der Abkürzung „C. G.“.
Auf der Grundlage von Rechtshilfeersuchen wurden
umfängliche Informationen ausgetauscht, um einen gleichen Informations- und Kenntnisstand sicherzustellen.
Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhalts erfolgt
nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Rechts.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat
am 16. Juni gemeldet, dass zwei Tage vor Herrn G. der
Marokkaner Karim Mehdi auf dem Pariser Flughafen
verhaftet worden ist und dass er gegenüber französischen Behörden C. G. ebenfalls dahin gehend schwer belastet habe, dass er einer der Organisatoren und Finanzierer eines geplanten Autobombenanschlags auf der
französischen Insel La Réunion gewesen sei. War dieser
Sachverhalt den deutschen Behörden bekannt, als sie
ihm die Ausreise nach Saudi-Arabien gestattet haben?
Herr Kollege Koschyk, das von Ihnen genannte Zitat
ist mir bekannt. Meines Wissens war das, was Sie angesprochen haben, vorher nicht bekannt. Der Betreffende
hat sich so in dieser Form das erste Mal eingelassen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es nicht auffallend, dass nur
deutsche Strafverfolgungsbehörden und andere Einrichtungen der deutschen Justiz C. G. hinsichtlich der Gefahr,
die von ihm ausgeht, anders eingestuft haben, als es im
Nachhinein französische Behörden getan haben, was zu
seiner Verhaftung in Frankreich geführt hat? Ist es nicht
darüber hinaus auffallend, dass der in Frankreich verhaftete Marokkaner Karim Mehdi genauso wie C. G. lange
Zeit in Deutschland gelebt hat und dass auch er erst in
Frankreich von französischen Behörden verhaftet worden ist? Muss man aus der Tatsache, dass in Frankreich
Personen, die zum Umfeld des Terrornetzes al-Qaida gehören, verhaftet worden sind, nicht den Schluss ziehen,
dass deutsche Behörden eine andere, weniger stringente
Einschätzung hinsichtlich der Gefahren, die von diesen
Personen ausgehen, vorgenommen haben?
Ich kenne den Komplex relativ gut, muss mir aber Zurückhaltung auferlegen, insbesondere was C. G. und
Herrn Mehdi angeht. Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt, ist es nicht opportun, sich öffentlich darüber zu äußern. Wer Kenntnis von diesen Vorgängen
hat, wird - dessen bin ich mir sicher - nicht zu den
Schlussfolgerungen kommen, die Sie mit Ihrer Frage
vielleicht zum Ausdruck gebracht haben.
Damit kommen wir zur Frage 27 des Kollegen
Koschyk:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für ihren Verantwortungsbereich aus der Ankündigung der Länder,
die Tarifverträge über Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die
Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst kündigen zu wollen, und
hält sie beamtenrechtliche Regelungen im Vorgriff auf entsprechende Tarifeinigungen für vereinbar mit ihrer Zusage
- Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
Fraktion der CDU/CSU „Unterschiedliche Entwicklung der
Bezahlung im öffentlichen Dienst“, Bundestagsdrucksache
15/1165 -, dass sie bei „Strukturveränderungen auf den bewährten Gleichklang zwischen Tarif und Besoldung achten
und die notwendigen Reformen parallel voranbringen“ wird?
Herr Kollege Koschyk, die Tarifvertragsparteien des
öffentlichen Dienstes haben sich im Januar dieses Jahres
im Tarifabschluss von Potsdam darauf verständigt, das
Tarifrecht des öffentlichen Dienstes grundlegend neu zu
gestalten. Verhandlungen, in denen auch das Weihnachts- und das Urlaubsgeld thematisiert werden, sind
aufgenommen werden. Der Bund sieht deshalb derzeit
keine Veranlassung, die Tarifverträge über das Weihnachts- und Urlaubsgeld zu kündigen.
Die Bundesregierung hält daran fest, dass die Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von Beamtinnen und Beamten im Grundsatz gleich gerichtet entwickelt werden
sollten. Reformen werden daher systemkonform und
wirkungsgleich erfolgen. Inhalts- und zeitgleiche Veränderungen sind wegen der systembedingten Unterschiede
nicht immer möglich. Der bewegliche Gleichklang sorgt
aber für gleichwertige Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für beide Statusgruppen und stärkt damit zugleich die Einheit des öffentlichen Dienstes.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, treffen Pressemeldungen vom
gestrigen Tag, so der „Frankfurter Rundschau“, zu, dass
die Bundesregierung für die Bundesbeamten bereits
2004 das Urlaubsgeld streichen und das Weihnachtsgeld
drastisch senken will, um so insgesamt 400 Millionen
Euro einzusparen?
Herr Kollege Koschyk, darüber ist noch nicht entschieden.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
meine erste Frage deutlich gemacht, dass sich die Bundesregierung weiter darum bemühen möchte, dass die
Einkommen der Arbeiter und Angestellten im Bundesdienst auf der einen Seite und der Beamtinnen und Beamten des Bundes auf der anderen Seite nicht zu weit
auseinander driften. Ist es nicht so, Herr Staatssekretär,
dass die zeitverzögerte Übertragung des Tarifergebnisses
für den öffentlichen Dienst auf die Beamtinnen und Beamten und die gegebenenfalls stattfindenden Kürzungen
beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld im Jahre 2004 - solche Kürzungen kann die Bundesregierung nur für die
Beamtinnen und Beamten, nicht aber für die Arbeiter
und Angestellten vornehmen - dazu führen können, dass
bereits im Jahre 2004 die Einkommen der Arbeiter und
Angestellten im Bundesdienst sowie der Beamtinnen
und Beamten im Bundesdienst erheblich auseinander
driften?
Herr Kollege Koschyk, wir beschäftigen uns noch in
dieser Woche in erster Lesung mit dem Entwurf des Besoldungsanpassungsgesetzes, der die wirkungsgleiche
Übernahme des Tarifergebnisses auf die Besoldung vorsieht. Sie wissen, welche Erhöhungsschritte in welcher
zeitlichen Abfolge geplant sind. Da der Tarifvertrag
auch einen so genannten Kompensationsteil enthält, hat
sich die Bundesregierung entschlossen, bei der Anpassung eine Zeitverzögerung von drei Monaten einzubauen. Diese Maßnahme steht nicht zur Diskussion. Der
Bundesrat hat am vergangenen Freitag beschlossen - Sie
wissen es vielleicht -, dass auf die Verzögerung von drei
Monaten eine weitere von drei Monaten gepackt werden
kann. Die Bundesregierung wird diesem Anliegen nicht
zustimmen und hat das in ihrer Gegenäußerung auch
deutlich gemacht.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 28 der Kollegin Petra Pau:
Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse hat die
Bundesregierung - vergleiche „Stern” vom 5. Juni 2003 über die politischen Aktivitäten des in Lübeck einsitzenden
Rechtsterroristen Kay Diesner und der Zeitung „Lassaner
Rundbrief“?
Frau Pau, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Hinsichtlich der rechtsextremistischen Publikation „Lassaner Rundbrief“ liegen den Verfassungsschutzbehörden
derzeit noch keine ins Einzelne gehenden Erkenntnisse
vor. Die Überwachung der Außenkontakte eines Strafgefangenen, insbesondere der Besuche und des Schriftwechsels, ist in den §§ 27 ff. Strafvollzugsgesetz geregelt. Die Umsetzung der Überwachung obliegt den
Landesjustizverwaltungen. Die Prüfung der Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Lübeck wegen des Inhalts des veröffentlichten Interviews ist veranlasst worden.
Zusatzfrage.
Erst einmal herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Ein
kleiner Hinweis zur genannten Publikation: Sie taucht
im Verfassungsschutzbericht 2002 des Landes Mecklenburg-Vorpommern erstmals auf.
Ist der Bundesregierung über die veranlasste Ermittlung hinaus bekannt, dass der Rechtsterrorist Diesner in
der gewaltbereiten rechtsextremen Szene, insbesondere
in den Ländern Brandenburg und Berlin, als Held und
Vorbild gefeiert wird? Wie beurteilen Sie angesichts dieses Umstandes seine Aktivitäten, die jetzt durch den
„Stern“ und andere Publikationen veröffentlicht wurden? Nach dem, was ich gelesen habe, handelt es sich
dabei ja um direkte Aufforderungen zu Straftaten aus
dem Gefängnis heraus.
Frau Kollegin Pau, ich glaube, in der Bewertung dieser Aktivitäten sind wir einer Meinung; das bedarf hier
nicht einer besonderen Erwähnung.
Wie sich diese Aktivitäten aus dem Vollzug heraus
entwickeln konnten, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis. Sie wissen, dass es im Strafvollzugsgesetz - das war
keine Ausrede, sondern ich habe bewusst darauf verwiesen - ganz klare Regelungen gibt, was erlaubt und was
nicht erlaubt ist. Das ist im Einzelnen geregelt. Ich kann
es Ihnen gerne auch noch einmal zukommen lassen.
({0})
Ich erlaube mir allerdings auch den Hinweis, dass die
Überwachung den jeweiligen Landesjustizverwaltungen
obliegt. Da muss auch noch einmal nachgeschaut werden; denn ich stimme mit Ihnen überein, diese Aktivitäten sind verabscheuungswürdig.
Eine weitere Zusatzfrage?
Nein, keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 29 der Kollegin Pau auf:
Wie viele Menschen aus der Demokratischen Republik
Kongo haben seit Anfang 2000 bis heute in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt und wie vielen Menschen wurde - bitte nach Jahren aufschlüsseln - Asyl
gewährt?
Frau Kollegin Pau, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stellten im Jahre 2000
insgesamt 1 411, im Jahre 2001 insgesamt 1 174 und im
Jahre 2002 insgesamt 1 349 Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo Asylanträge. Vom 1. Januar
2003 bis zum 31. Mai 2003 beantragten insgesamt
437 Personen aus der Demokratischen Republik Kongo
Asyl.
Von den Antragstellern aus der Demokratischen Republik Kongo wurden im Jahre 2000 insgesamt 25 Personen
als Asylberechtigte anerkannt, im Jahre 2001 waren es
51 und im Jahre 2002 25. Weiteren 42 Personen wurde
Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 Ausländergesetz gewährt, im Jahre 2001 waren es 62 und im Jahre
2002 89. Vom 1. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2003
wurde bei Antragstellern aus der Demokratischen Republik Kongo in 16 Fällen ein Anspruch auf Asyl anerkannt und in sechs Fällen Abschiebungsschutz gemäß
§ 51 Abs. 1 Ausländergesetz gewährt.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Besteht gegenwärtig ein Abschiebestopp für Asylbewerber aus dem Kongo? In dem Zusammenhang würde
mich auch interessieren, wann letztmalig ein Mensch aus
der Bundesrepublik in den Kongo abgeschoben wurde.
Es gibt keinen Abschiebestopp, es ist derzeit auch
kein Abschiebestopp beantragt. Ihre Frage bezüglich der
Abschiebungen kann ich dahingehend beantworten, dass
im Jahre 2000 133, im Jahre 2001 55 und im Jahre 2002
75 Menschen abgeschoben wurden. Sie wissen, dass für
Abschiebungen die Länder zuständig sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist denn die Bundesregierung bereit oder denkt sie
darüber nach, angesichts der in zwei Parlamentsdebatten
besprochenen und auch in der Öffentlichkeit hinlänglich
bekannten Lage in der Republik Kongo erst einmal einen
Abschiebestopp auszusprechen?
Nein, die Bundesregierung denkt derzeit nicht konkret über einen Abschiebestopp nach. Man muss erst die
weitere Entwicklung abwarten, bevor darüber entschieden werden kann, ob einem solchen Gedanken näher zu
treten ist.
Eine weitere Zusatzfrage von Frau Kollegin Lötzsch.
Herr Staatssekretär, wir haben, wie meine Kollegin
Pau schon beschrieben hat, hier in zwei Sitzungen mehr
oder weniger ausführlich über die Situation in der Republik Kongo beraten und dazu die Meinungen ausgetauscht. Insbesondere die Bundesregierung, aber auch
alle im Bundestag vertretenen Parteien haben sich zu der
schwierigen Situation dort geäußert. Die Menschenrechtsverletzungen und die Gefährdungen für Leib und
Leben wurden ausführlich und in einheitlicher Auffassung dargestellt. Welchen Grund hat also die Bundesregierung, über einen Abschiebestopp in diesem Zusammenhang überhaupt nicht nachzudenken?
Dass wir überhaupt nicht darüber nachdenken, stimmt
so nicht; das ist auch eine ganz andere Frage.
({0})
Ich wurde gefragt, ob die Entscheidung über einen Abschiebestopp ansteht. Diese Frage habe ich klar verneint,
weil uns die derzeitige Situation in diesem großen Lande
nicht zu diesem Schluss kommen lässt.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht uns
der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Hat die Bundesregierung die im Rahmen der Beschlussfassung zur gemeinsamen europäischen Zinsbesteuerung - Rat
der Finanzminister vom 3. Juni 2003 in Luxemburg - mit ihrer
Zustimmung gefundene Lösung zum „italienischen Milchquotenproblem“ als faktische europäische Rechtslage anerkannt
und ist sie bereit, diese Lösung auch in der Bundesrepublik
Deutschland entsprechend rückwirkend anzuwenden?
Herr Kollege Heiderich, die Antwort auf Ihre Frage
lautet Nein. Nun will ich es aber dabei nicht bewenden
lassen, sondern Ihnen ergänzend Folgendes mitteilen:
Die Rechtslage hat sich durch die der italienischen Regierung erteilte Genehmigung einer nationalen Beihilfe
zur Lösung des italienischen Milchquotenproblems nicht
geändert, auch nicht, wie Sie schreiben, „faktisch“. Nach
wie vor sind alle Milcherzeuger der EU, die zur Überlieferung der nationalen Quote beitragen, nach den geltenden EU-Rechtsvorschriften über die Milchquotenregelung verpflichtet, Strafabgaben zu zahlen, die an den
EU-Haushalt abzuführen sind.
Dieses geltende EU-Recht wird durch die gefundene
Lösung nicht infrage gestellt. Die im Ecofin-Rat am
3. Juni gefundene Lösung sieht vor, dass die italienischen Milcherzeuger die Abgabe vollständig nachzuzahlen haben, allerdings in Raten gestreckt und - darin besteht das Beihilfeelement - über einen Zeitraum von bis
zu 14 Jahren zinslos.
Die ursprüngliche, von der italienischen Regierung angestrebte Beihilferegelung sah dagegen etwas völlig anderes vor, nämlich für die Milcherzeuger einen 75-prozentigen Erlass der Strafabgaben, die der italienische
Staat übernehmen und an die EU abführen wollte. Damit
konnte sich der Rat nicht einverstanden erklären und hat
das auch nicht getan.
Für eine Übertragung der italienischen Beihilferegelung auf Deutschland besteht kein Anlass, zumal in
Deutschland keine Abgaben ausstehen. Die Strafabgaben sind von der Zollverwaltung stets fristgerecht für die
EU erhoben worden.
Für das Ratsprotokoll des Ecofin hat es eine Erklärung gegeben. In dieser stellen Rat und Kommission
ausdrücklich fest,
dass die vorliegende Entscheidung durch das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gerechtfertigt
ist. Mit der Entscheidung wird das Ziel verfolgt, die
in der Vergangenheit in Italien bei der Anwendung
der Zusatzabgabe aufgetretenen Probleme endgültig zu regeln; die Entscheidung kann somit - im
Falle eventueller künftiger Schwierigkeiten bei der
Beitreibung dieser Abgabe in Italien oder in einem
anderen Mitgliedstaat - nicht als Präzedenzfall herangezogen werden.
Zusatzfrage, Herr Kollege Heiderich? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, in der Entscheidung des EcofinRates - Sie haben es eben ausgeführt - ist über die so genannten Strafabgaben entschieden worden. Nun ist es in
Deutschland üblich, dass neben den zurückzuzahlenden
Abgaben strafrechtliche Verfahren gegen die Betroffenen eingeleitet werden. Habe ich die Entscheidung richtig verstanden, dass bei den italienischen Milchbauern
von strafrechtlichen Konsequenzen abgesehen wird und
keine entsprechenden Verfahren gegen die Bauern eingeleitet werden?
Herr Kollege, ich habe Ihnen dargelegt, dass sich
durch diese Entscheidung nichts an der europäischen
Rechtslage geändert hat. Deswegen ist das geltende
Recht anzuwenden - auch in Italien.
Weitere Zusatzfrage.
Die Anwendung des geltenden Rechts würde ja bedeuten, dass in Italien ein Verstoß gegen europäisches
Subventionsrecht zu ahnden ist und dass darüber hinaus
strafrechtliche Konsequenzen zu ziehen sind. Ich habe
im Zusammenhang mit dieser Entscheidung nirgendwo
davon gehört, dass strafrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Es ist also offensichtlich, dass eine Strafverfolgung gemäß dem Subventionsrecht nach diesem Ecofin-Beschluss nicht stattfindet.
Ich möchte das nicht unterstellen. Ich biete Ihnen an,
dass ich über unsere Europaabteilung entsprechende Recherchen anstellen lasse und Sie über das Ergebnis unterrichte.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Helmut Heiderich
auf:
Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, die - im Gegensatz zur italienischen Regierung, welche ihren Landwirten
trotz bewusster Überlieferung der nationalen Milchquote auch
noch die Rückzahlung der zu Unrecht ausgezahlten Gelder an
die EU-Kommission finanziert hat; vergleiche „Frankfurter
Rundschau“ vom 3. Juni 2003 - vom Bundesminister der Finanzen zusätzlich betriebenen Strafverfahren gegen deutsche
Landwirte vor diesem Hintergrund einzustellen bzw. zurückzunehmen, zumal die einheimischen Milchbauern keine Überlieferung der nationalen Milchquote verursacht hatten, sondern
nur zeitweise ungenutzte Quoten benachbarter Bundesländer
beliefert hatten?
Die von Ihnen angesprochenen Strafverfahren in
Deutschland sind vor folgendem Hintergrund zu sehen:
Von 1990 bis 2000 existierten sowohl im EU- als auch
im nationalen Recht Sonderregelungen für die neuen
Bundesländer bezüglich der nationalen Milchquoten.
Die für die neuen Bundesländer bestehenden Quoten waren an eine ausschließliche Nutzung in den neuen Ländern gebunden. Damit wurde politisch bezweckt, dass
durch die Milchquotenregelung die Umstrukturierung
der landwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Ländern
nicht beeinträchtigt wird. Falls die Betriebe in den neuen
Bundesländern ihre Gesamtquote nicht ausnutzten,
konnten Überproduktionen in den alten Bundesländern
mit solchen Unterproduktionen der neuen Länder saldiert werden. Dies hatte zur Folge, dass für die Überlieferer in den alten Ländern keine Abgaben entstanden.
Ab den Milchwirtschaftsjahren 1996/97 hatte jedoch
die Überproduktion in den alten Ländern einen solch hohen Stand erreicht, dass trotz Saldierung die Zusatzabgabe fällig wurde. Einige Landwirte der alten Länder
gingen deshalb mit zum Teil erheblicher - man könnte
sogar sagen: mit krimineller - Energie durch gefälschte
Pachtverträge, unrichtige Milchabrechnungen und falsche Steueranmeldungen dazu über, eine Milcherzeugung in den neuen Bundesländern vorzutäuschen. Dieser
Sachverhalt kann den Tatbestand der SteuerhinterzieParl. Staatssekretär Karl Diller
hung gemäß dem nationalen Abgaberecht erfüllen und
ist von Amts wegen zu verfolgen.
Es trifft also nicht zu, dass es in diesen Fällen keine
Überlieferung der deutschen Gesamtquote gegeben hat.
Hier wollten sich vielmehr einzelne Landwirte einen besonderen Vorteil zulasten anderer Landwirte verschaffen. Im Übrigen ist das Bundesministerium der Finanzen
nicht Herr der Ermittlungsverfahren, sondern dies sind
die örtlichen Staatsanwaltschaften als Strafverfolgungsorgan.
Einen inneren Zusammenhang zwischen der mangelhaften Umsetzung der EU-Milchquotenregelung in Italien und der von Ihnen angesprochenen nationalen Strafverfolgung bei Steuerhinterziehung können wir nicht
erkennen. Vor diesem Hintergrund besteht auch keinesfalls die Absicht, eingeleitete Strafverfahren amnestiemäßig einzustellen oder Abgabenbescheide zurückzunehmen.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben deutlich gemacht,
dass es über einen gewissen Zeitraum einen Lieferausgleich zwischen alten und neuen Bundesländern gegeben
hat. Es ist in der Tat so, dass die Einzugsgebiete einiger
Molkereien sowohl in den alten wie auch in den neuen
Bundesländern liegen und dass es somit Anlieferungen
aus mehreren Bundesländern gibt. Soweit mir bekannt
ist, gibt es Verfahren, die diese Situation berücksichtigen.
Halten Sie es unter diesen Voraussetzungen und angesichts dessen, was auf europäischer Ebene in Bezug auf
die italienischen Milchbauern entschieden worden ist,
wirklich für gerechtfertigt, dass man in Deutschland
Strafverfahren einleitet, während man in Italien eine
zinslose Stundung der Rückzahlung von zu viel bezahlten Beträgen vereinbart? Ich bin der Auffassung, dass
den Bürgern die Tatsache, dass die Verfahrenspraxis in
zwei europäischen Ländern derart weit auseinander
liegt, sehr schwer zu vermitteln ist.
Herr Kollege, ich habe Ihnen dargestellt, dass wir
keine Vergleichbarkeit sehen. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaften sehr genau hinschauen werden, wie diese Überproduktion zustande gekommen ist.
Weitere Zusatzfrage.
Ich darf eine letzte Frage anschließen: Sie haben vorhin erklärt, dass die Entscheidung des Ecofin kein Präzedenzfall für die zukünftige Entwicklung sei. Ist dies auch
so zu verstehen, dass sie nicht als Präzedenzfall für alle
bisherigen Entscheidungen herangezogen werden soll?
Die Entscheidung des Ecofin besagt, dass geltendes
Recht anzuwenden ist und weiterhin anzuwenden sein
wird und dass mit Bezug auf die in Italien gefundene Lösung kein Präzedenzfall - weder für laufende noch für
künftige Verfahren - geschaffen wird.
Die Frage 32 des Kollegen Börnsen wird schriftlich
beantwortet.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Braun auf:
Werden die Haushalte der großen Forschungsinstitutionen
ab dem Bundeshaushalt 2004 vor dem Hintergrund der aktuellen Steuerschätzung und wiederholter Einsparbegehren des
Bundesministers der Finanzen, Hans Eichel, im Etat für Bildung und Forschung jährlich verlässlich um 3 Prozent erhöht
werden, wie es Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 ankündigte?
Herr Kollege Braun, die Haushaltsaufstellung ist noch
nicht abgeschlossen. Diese Woche wird es so weit sein.
Die Behandlung des Entwurfs des Bundeshaushaltes
2004 und des Finanzplans 2003 bis 2007 im Bundeskabinett ist nämlich für den 2. Juli, also für Mittwoch
nächster Woche, vorgesehen.
Bundesminister Eichel plant, im Haushaltsentwurf
und im Entwurf des Finanzplans die Haushalte der großen Forschungsinstitutionen in den nächsten Jahren jährlich um 3 Prozent zu erhöhen. Der Regierungsentwurf
wird Ihnen als Parlament im Sommer dieses Jahres zugeleitet und dann im Herbst beraten. Damit stehen natürlich alle Ansätze des Regierungsentwurfs 2004 noch unter Parlamentsvorbehalt.
({0})
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege Braun.
Meine Frage hat natürlich einen Hintergrund: Die
großen Forschungsorganisationen brauchen Planungssicherheit. Die Bundesregierung hat im November des
vergangenen Jahres kurzfristig die Zusage der dreiprozentigen Erhöhung aufgekündigt. Kann sich die Bundesregierung, um wieder Vertrauen zu schaffen, vorstellen,
in Zukunft die Aufwüchse bei den großen Forschungsorganisationen durch langfristige Verträge sicherzustellen?
({0})
Herr Kollege Braun, ich habe Ihnen gerade gesagt,
dass wir nicht nur einen Beschluss bezüglich des Aufwuchses in 2004, sondern auch bezüglich der mittelfristigen Finanzplanung fassen. Damit ist natürlich für die
Empfänger Planungssicherheit im Rahmen des Verantwortbaren gegeben. Im Übrigen ist es so: Haushaltsrecht
ist Jahresrecht. Von daher unterliegt es dem Prinzip der
Jährlichkeit und der Entscheidung des Parlamentes.
Weitere Zusatzfrage.
Wird die Bundesregierung die geplanten Aufwüchse
durch Gegenfinanzierungen aus dem Einzelplan 30, Bildung und Forschung, realisieren oder plant die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Innovationsschwäche in Deutschland, den gesamten Bereich Forschung
und Entwicklung im kommenden Haushalt mit mehr
Mitteln zu versehen?
Der Plafond für das Haus wird so gestaltet, dass die
3 Prozent darstellbar sind.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Michael
Kretschmer auf:
In welchem Maß beabsichtigt die Bundesregierung durch
ihre Vorschläge zur Neugestaltung der europäischen Strukturpolitik nach 2006 - Eckpunkte der Bundesregierung für die
EU-Strukturpolitik nach 2006 -, nationale Handlungsspielräume in der Regionalpolitik zu erweitern bzw. zurückzugewinnen?
Herr Kollege Kretschmer, die Bundesregierung
spricht sich in dem von Ihnen erwähnten Eckpunktepapier für einen ausreichenden beihilferechtlichen Spielraum für die nationale Strukturpolitik in Deutschland
aus. Wir setzen uns dafür ein, dass die Förderintensitäten
der nationalen Regionalförderung auf europäischer
Ebene nicht automatisch auf den Ziel-1-Status bestimmt
werden. Insbesondere müssen Gebiete - dies ist unsere
Auffassung -, die ihren Ziel-1-Status verlieren, weiterhin mit nationalen Mitteln zielführend gefördert werden
können, wenn sie im nationalen Vergleich strukturschwach sind.
Darüber hinaus hat der Bund in Kenntnis der anstehenden Entscheidungen auf europäischer Ebene schon
im Solidarpakt II - daran möchte ich erinnern - den nationalen Handlungsspielraum der neuen Länder gestärkt.
Zum einen stellen wir zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden starken
infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich
unterproportionaler kommunaler Finanzkraft Sonderbedarfsergänzungszuweisungen in Höhe von insgesamt
rund 105 Milliarden Euro bis einschließlich 2019 zur
Verfügung. Ihr Heimatland Sachsen erhält beispielsweise in diesem Zeitraum rund 27 Milliarden Euro. Zum
anderen hat sich der Bund verpflichtet, über die Laufzeit
des Solidarpakts II überproportionale Leistungen in einer Zielgröße von rund 51 Milliarden Euro in den neuen
Ländern einzusetzen. Schwerpunkte sind Maßnahmen
zur Verbesserung der Infrastruktur und der Beschäftigungslage sowie zum Ausbau der Verkehrswege des
Bundes in den neuen Ländern.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wir haben gerade
über die Grenzland- und Ziel-1-Förderung gesprochen.
Das ist jetzt nicht unser Thema, sondern hier geht es um
die Strukturpolitik der Europäischen Union von 2006 bis
2014. Sie haben ausgeführt, dass Sie mehr Handlungsspielraum auf nationaler Ebene haben möchten. Mir ist
jedoch nicht deutlich geworden, wie die Verhandlungsposition der Bundesregierung gegenüber der Europäischen Kommission in der Frage sein wird. Wie könnte
sie konkret aussehen? Es gibt verschiedene Ansätze,
zum Beispiel das Konzentrationsmodell oder das Nettofondsmodell. Was vertritt die Bundesregierung?
Herr Kollege, das ist in dem Eckpunktepapier, das Ihnen bekannt sein muss, da Sie sich in Ihrer Frage darauf
beziehen, niedergelegt. Ich selbst habe kürzlich für das
Finanzministerium an einem informellen Rat des Ecofin,
also an einem Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister der EU der 15, einschließlich der Europaminister und
der Beitrittsländer, in Griechenland teilgenommen. Dort
wurden unter der griechischen Präsidentschaft die unterschiedlichen Vorstellungen informell zusammengefasst.
Deutschland hat durch mich klar gemacht, dass wir
solche nationalen Möglichkeiten behalten wollen, um
- auch wenn es sich nicht mehr um offizielles Ziel-1-Gebiet handelt - mit nationalen Mitteln helfen zu können.
Zweite Zusatzfrage.
Bundesminister Clement hat sich in einer Ausschusssitzung sehr erregt dazu geäußert, dass die neuen Bundesländer mit der EU-Kommission, mit Herrn Barnier,
Verhandlungen geführt und erreicht haben, dass sich zumindest die EU-Kommission dafür ausspricht, dass weiterhin Ziel-1-Fördermittel in großem Umfang in die
neuen Bundesländer fließen sollen. Wir halten das für
richtig, weil wir die wirtschaftliche Situation und den
Anpassungsprozess sehen und wissen, dass ohne dieses
Geld all das gefährdet werden würde, was bisher in den
wirtschaftlichen Aufschwung investiert wurde. Wie ist
die Position der Bundesregierung zu diesem Thema?
Herr Kollege, es geht im Wesentlichen um die Frage
des statistischen Effektes. Dieser ist Gegenstand Ihrer
zweiten Frage. Daher würde ich vorschlagen, Herr Präsident, dass Sie diese Frage jetzt aufrufen.
Offenkundig ist auch der Fragesteller damit einverstanden. Dann können wir so verfahren. Ich rufe die
Frage 35 des Kollegen Michael Kretschmer auf:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung von den
von ihr angestrebten Übergangsregelungen für die Ziel-1-Fördergebiete - Regionen mit einem erheblichen Entwicklungsrückstand - in Deutschland, welche nach 2006 die europäische Ziel-1-Förderung verlieren werden?
Die Europäische Kommission wird Ende dieses Jahres erste Vorstellungen über eine zukünftige europäische
Strukturpolitik in einem dritten Kohäsionsbericht darlegen. Im Laufe des nächsten Jahres wird sie die Verordnungsentwürfe vorstellen, in denen auch Vorschläge für
mögliche Übergangsregelungen enthalten sein dürften.
Auf dieser Grundlage werden die Verhandlungen geführt.
Die Bundesregierung wird sich hierbei für faire Übergangsregelungen einsetzen, um sicherzustellen, dass die
erreichten Fördererfolge nicht infrage gestellt werden.
Dies deckt sich mit der Intention Ihrer Frage. Auch setzt
sich die Bundesregierung dafür ein, dass die neuen Länder im Rahmen der 2007 notwendig werdenden Neuordnung der EU-Strukturfonds so behandelt werden wie andere vergleichbare Regionen in der EU der 15. Dies gilt
auch im Hinblick auf etwaige Übergangsregelungen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie werden verstehen, dass ich als
Abgeordneter mehr wissen möchte, als ich am Biertisch
erfahren kann. Die Antwort, die Sie gegeben haben, ist
völlig unbefriedigend. Ich habe eine ganz klare Frage:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die neuen
Bundesländer die 20 Milliarden Euro, die in der Diskussion stehen, tatsächlich benötigen - auf welchem Weg
auch immer: durch nationale Kompensation oder über
Europa?
Herr Kollege, ich kann Ihnen im Moment nicht sagen,
wie sich die Forderung nach 20 Milliarden Euro zusammensetzt und wie begründet sie ist. Wir werden jedenfalls dafür eintreten, dass die entsprechenden Regionen
der neuen Bundesländer, sollten sie durch den statistischen Effekt aus der Förderung herausfallen, nicht von
heute auf morgen sozusagen völlig abgeschnitten sind.
Auf dem von mir eben erwähnten informellen Treffen, das unter griechischem Vorsitz in Griechenland
stattfand, ist von den meisten Mitgliedstaaten die Erwartung zum Ausdruck gebracht worden, dass eine solche
Übergangshilfe gewährt wird. Welches Volumen sie haben wird, wird sich dann zeigen.
Eine letzte Zusatzfrage.
Welche Übergangsfrist ist aus Ihrer Sicht für diese
Regionen angemessen und welcher Prozentsatz der bisherigen Ziel-1-Förderung wäre Ihrer Meinung nach anzustreben?
Das muss auf Grundlage des dritten Kohäsionsberichts der Kommission sicherlich noch sehr sorgfältig
besprochen und beraten werden. Über dieses Thema
wird es dann wieder Diskussionsrunden mit den Regierungschefs der neuen Bundesländer geben.
Einige Mitgliedstaaten haben auf dem informellen
Treffen die Erwartung geäußert, dass eine solche Übergangsregelung höchstens drei Jahre dauern kann. Das allerdings versehe ich mit einem dicken Fragezeichen.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Michelbach auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform auf den 1. Januar 2004 gegebenenfalls zu finanzieren?
Herr Kollege Michelbach, über das Vorziehen der
Steuerreformstufe 2005 wird das Kabinett im Zusammenhang mit den Beratungen des Bundeshaushalts 2004
und des Finanzplanes bis 2007 beraten. Den Ergebnissen
der Kabinettssitzung vermag ich nicht vorzugreifen. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass mein Minister
schon in der letzten Woche auf einer Pressekonferenz
deutlich gemacht hat, dass als Grundlage für ein mögliches Vorziehen Bedingungen erfüllt werden müssten:
Aufstellung eines verfassungsgemäßen Haushalts 2004,
Umsetzung der Agenda 2010 und eine Finanzierung
durch weitere deutliche Fortschritte beim Subventionsabbau, sowohl auf der Einnahmeseite wie auch auf der
Ausgabenseite des Bundeshaushalts.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann man aus Ihren Ausführungen schließen, dass Sie zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und zur Kompensation der Finanzierung, die für Bund und Länder insgesamt etwa
16 Milliarden Euro ausmachen würde, auch weitere
Steuererhöhungen vorsehen? Wie könnten diese Steuererhöhungen aussehen? Sollen diese deckungsgleich sein
zu denen im Steuervergünstigungsabbaugesetz, das im
Bundesrat blockiert, gestoppt wurde?
({0})
- Das haben wir gerne gemacht.
Ich möchte an etwas erinnern, auf das ich schon in der
letzten Aktuellen Stunde hingewiesen habe: Es geht
nicht, Subventionsabbau zwar zu fordern, aber immer
dann, wenn es für die Betroffenen konkret wird, von
Steuererhöhung zu reden. Ein Streichen von Subventionen auf der Ausgabenseite bedeutet, dass weniger Geldmittel aus der Kasse der Steuerzahler genommen werden.
({0})
Ich bitte Sie zunächst einmal, diesen Bereich nicht zu
diffamieren. Dies sei nur nebenbei bemerkt.
Ihre Frage bezieht sich auf den dritten oder vierten
Schritt. Wir beschäftigen uns zunächst einmal mit dem
ersten Schritt, nämlich damit, ob die Steuersenkungsstufe 2005 auf 2004 vorgezogen wird. Diese Entscheidung muss zunächst einmal gefällt werden. Dann gilt
das, was ich vorhin ausgeführt habe: Der Subventionsabbau soll nach Möglichkeit auf der Einnahme- und Ausgabenseite erfolgen. Ich bitte Sie, den Subventionsabbau
auf der Einnahmeseite nicht als Steuererhöhung zu diffamieren.
({1})
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie meine Ansicht teilen,
dass es sich bei einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und einer Veränderung bei den Abschreibungen nicht um den Abbau von Subventionen handelt, weil
beides eher dem wirtschaftlichen Werteverzehr entspricht? Können Sie meine Ansicht teilen, dass einige
Punkte, die im Steuervergünstigungsabbaugesetz enthalten waren - ich nenne als Stichworte Mindeststeuer und
Einschränkung des Verlustausgleichs -, mit den Abbau
von Subventionen nichts zu tun haben, weil eine normale Gewinnermittlung und Bilanzierung erforderlich
ist, um eine Substanzbesteuerung in den Betrieben zu
vermeiden?
Herr Kollege Michelbach, es macht keinen Sinn, einen Gedankenaustausch darüber zu führen, da sich diese
Fragen im Moment nicht stellen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage. - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf
die Frage des Kollegen Michelbach auf die Presseerklärung und die Festschreibung des BMF Bezug genommen, dass über das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerreform erst entschieden werden kann, wenn die
Agenda 2010 umgesetzt worden ist. Können Sie mir dabei helfen, wie ich mir vorstellen muss, wie der Zeitpunkt festgelegt wird? Heißt das, wenn alle Punkte der
Agenda 2010 im Gesetzblatt stehen? Dann könnten wir
eine Stellungnahme vonseiten des BMF dazu erst am
Ende des Jahres erwarten.
Ich gehe davon aus, dass sich das Kabinett in seiner
Sitzung am Wochenende auch über diese Frage unterhalten und Entscheidungen treffen wird.
Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zusatzfrage.
Bitte schön.
Herr Staatssekretär, haben Sie aus der Frage des Kollegen Michelbach und aus Äußerungen, die von anderen
Kollegen aus der Union in den letzten Wochen zu diesen
Grundfragen der Finanzpolitik gemacht worden sind, erkennen können, dass die Union weiß, was sie will?
({0})
Sie könnten sagen, der Willensbildungsprozess der
Bundesregierung hierzu sei noch nicht abgeschlossen.
Ich verfolge das als Abgeordneter wie auch als Staatssekretär. Es ist schwierig. Ich habe beispielsweise aktuell
gelesen, dass Ihr Fraktionskollege und Obmann im
Haushaltsausschuss der Auffassung ist, man solle PrivaParl. Staatssekretär Karl Diller
tisierungserlöse zur Finanzierung des Vorziehens dieser
Steuerreformstufe - damit geht eine Steuersenkung
einher - heranziehen. Welche Privatisierungserlöse er
damit meint, hat er aber nicht gesagt. Es müssten allerdings ganz erhebliche sein.
({0})
Herr Kollege Spiller, um die Antwort auf Ihre Frage
abzuschließen: Jeder sagt etwas anderes.
Ich rufe nun die Frage 37 des Abgeordneten Hans
Michelbach auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die Finanzierung durch
Subventionsabbau vorzunehmen, und, falls ja, welche Subventionen sollen konkret abgebaut werden?
Herr Kollege Michelbach, anlässlich seiner Pressekonferenz hat der Bundesminister deutlich gemacht,
dass ein Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 nur bei
einem weiteren einschneidenden Subventionsabbau erfolgen kann. Entscheidungen darüber, welche Subventionen konkret abgebaut werden sollen, wurden bisher
nicht getroffen. Das wird Gegenstand der Kabinettsbefassung am Wochenende sein.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, können Sie zur Kenntnis nehmen,
dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Entschließungsantrag eingebracht hat, in dem das Vorziehen der
Steuerreform auf den 1. Januar 2004 klar bejaht wird,
und in dem mit der Voraussetzung, dass es dadurch zu
keinen weiteren Steuererhöhungen kommt, eine klare
und definitive Grundlage für das Vorziehen geschaffen
wird?
({0})
Herr Kollege Michelbach, es ist zwar unhöflich, aber
dennoch muss ich Sie um Klarheit bitten: Wie lautet der
Finanzierungsvorschlag Ihrer Fraktion in diesem Antrag?
Herr Staatssekretär, wir haben hier keine Parlamentsbefragung, sondern sind in der Regierungsbefragung. Ich kann Ihnen die Antwort auf Ihre Frage geben: Die
Gegenfinanzierung wurde schon bei der Steuerreform
2000 durchgeführt. Sehen Sie sich einmal die Einnahmen an, wie sie aus der Einkommensteuerstatistik und
der Maischätzung ersichtlich sind. Im Jahr 2001, im Entstehungsjahr, lagen die Einnahmen bei 132 Milliarden
Euro, im Jahr 2004 werden sie bei 136 Milliarden Euro
liegen. Wir haben trotz Einberechnung der Steuerreform
keine niedrigere, sondern eine höhere Belastung der
Steuerzahler. Das zeigt - das ist ganz klar -, dass eine
Gegenfinanzierung schon stattgefunden hat und nicht
noch einmal stattfinden muss, wie Sie oder der Bundesfinanzminister angedacht haben.
Herr Kollege Michelbach, sind Sie sicher - - Nein,
jetzt muss ich Ihnen wirklich antworten: Ich bin mir aufgrund der vielen Gespräche, die ich mit den Finanzministern der CDU-regierten Bundesländer geführt habe,
sicher, dass sie ihre Einschätzung überhaupt nicht teilen.
Sie stehen vor dem gleichen Problem wie auch der Bundesfinanzminister. Ein Vorziehen der Steuersenkungsstufe 2005 auf das Jahr 2004 würde in ihren Haushalten
riesige Probleme auslösen, die gelöst werden müssten.
Dies ist mit Ihrem Verweis nicht möglich.
({0})
Ich rufe nun die Frage 38 des Abgeordneten
Christoph Bergner auf:
Was ist das Ergebnis der Auswertung der Unterlagen
- vergleiche Antwort des Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz, Dr. Hansjörg Geiger, auf die Schriftliche
Frage 8 der Abgeordneten Andrea Voßhoff vom 23. Juli 2001
in Bundestagsdrucksache 14/6758 -, die den Anwälten der
Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihres Akteneinsichtsrechts als Kopien aus den Ermittlungsakten in dem in
Paris laufenden Ermittlungs- bzw. Strafverfahren unter anderem gegen verschiedene ehemalige Mitarbeiter von Elf Aquitaine überlassen wurden, und was hat die Bundesregierung
veranlasst?
Herr Kollege Bergner, die Pariser Ermittlungsakten
wurden der Bundesregierung mit der Auflage überlassen, weder die Akten noch deren Inhalt an Dritte weiterzugeben. Sie wurden regierungsintern von der
Geschäftsstelle der Arbeitsgruppe Koordinierte Ermittlungen bei der BvS ausgewertet. Die Ergebnisse fanden
Eingang in die Gesamtbewertung des Sachverhalts durch
das Bundesministerium der Finanzen.
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, können Sie eine Erklärung dafür
geben, dass von der Pariser Seite ein solcher Umgang
mit den Ermittlungsakten gefordert wurde?
Ich kann das nicht erklären. Von unserer Mitarbeiterin, die in Paris war, habe ich lediglich die Mitteilung
bekommen, dass sie Akteneinsicht nur erhält, wenn sie
dies unterschreibt.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie tatsächlich keine Möglichkeiten gesehen, Erkenntnisse wenigstens in Gestalt
von Schlussfolgerungen, die Sie aus diesen Akten ziehen, der Öffentlichkeit oder den Ermittlungsbehörden
hier im Lande zugänglich zu machen?
Ich verweise darauf, dass es nicht nur um nun offenkundig in sich zusammengebrochene Beschuldigungen
gegenüber Personen, sondern auch um eine über einen
längeren Zeitraum dauernde Diffamierung eines ostdeutschen Industriestandortes ging - ich meine den Standort
Leuna -, der völlig zu Unrecht in Verbindung mit kriminellen Machenschaften gebracht wurde. Ich komme aus
dem entsprechenden Bundesland. Wir vor Ort hätten uns
gewünscht, dass man möglichst kurzfristig auch vonseiten der Bundesregierung die Verantwortung gegenüber
diesem Standort wahrgenommen und klargestellt hätte,
dass es dort zu keinen kriminellen Handlungen gekommen ist.
Herr Kollege Dr. Bergner, wir haben uns nie diffamierend gegenüber diesem Standort oder dem Bundesland
geäußert und uns auch nie daran beteiligt. Wir haben immer klar gesagt: Unser Auftrag ist es, herauszufinden, ob
an den in der französischen Presse kolportierten Behauptungen, dass die Bundesrepublik Deutschland geschädigt
worden sein könnte, etwas dran ist. Es ist unsere Aufgabe, einem solchen öffentlich geäußerten Vorhalt nachzugehen.
Im Übrigen glaube ich, dass ich die Erklärung, die wir
in Paris unterschreiben mussten, nicht verletze, wenn ich
Ihnen mitteile, dass wir aufgrund der Pariser Akten keinen Anlass gesehen haben, an eine deutsche Staatsanwaltschaft heranzutreten, um sie zu bitten, sich an das
Pariser Voruntersuchungsgericht mit der Bitte um
Rechtshilfe zu wenden.
Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass der
Verdacht gegen deutsche Politiker und die deutsche Politik, der in den Medien gestanden hat, nicht aus der Luft
gegriffen war, sondern darauf beruhte, dass der ehemalige Chef des französischen Konzerns Elf Aquitaine in
öffentlichen Erklärungen und Presseinterviews davon
gesprochen hat, dass man, um dieses Geschäft - Elf
Aquitaine kauft Leuna/Minol - zu tätigen, in Deutschland seinerzeit afrikanische Methoden anwenden musste
und dass in diesem Zusammenhang auch Geld an deutsche Politiker geflossen sein soll? Können Sie bestätigen, dass der Verdacht keine Erfindung der Bundesregierung oder Bösmeinender gewesen ist, sondern dass er
unter anderem auf den Aussagen dieses jedenfalls ehemals doch sehr renommierten französischen Industriellen beruht?
Herr Kollege Ströbele, die Aussagen in der Öffentlichkeit waren derart, dass die Bundesregierung gar nicht
anders konnte, als dieser Frage nachzugehen.
Herr Kollege von Klaeden.
Herr Staatssekretär, hätte es nicht zu einer seriösen
Beantwortung dieser Frage gehört, zu erwähnen, dass
dieser Manager diese Aussagen zurücknehmen musste?
({0})
({0})
({1})
Welche Aussage meinen Sie?
Die Verdächtigungen, die der Kollege Ströbele gerade
angesprochen hat.
({0})
({1})
Auch das ist eine Antwort. Vielen Dank.
Es gibt eine gewisse Ratlosigkeit, die als solche zu
Protokoll genommen wird.
Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Lage auf dem Ausbildungssektor
Ich erteile für die Bundesregierung zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär Christoph Matschie das
Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden heute in dieser Aktuellen Stunde über die
Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Das hat einen guten
Grund. In Deutschland gibt es zu wenig Ausbildungsplätze. Wir sind momentan weit davon entfernt, allen
Bewerberinnen und Bewerbern einen Ausbildungsplatz
zur Verfügung zu stellen. Die große Lücke hat sich bisher nicht schließen lassen. Diese Entwicklung erfüllt sicherlich alle Abgeordneten mit Sorge. In der Vermittlungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit sind
gegenwärtig rund 52 000 betriebliche Ausbildungsplätze
weniger gemeldet als zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Die Bundesregierung hat aufgrund dieser Entwicklung die Initiative ergriffen und gemeinsam mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften eine Ausbildungsoffensive gestartet. Ich möchte an dieser Stelle die
Abwesenheit von Ministerin Bulmahn entschuldigen.
Ihre Abwesenheit hat einen nachvollziehbaren und sicher auch für Sie akzeptablen Grund: Die Ministerin ist
heute auf einer Ausbildungsreise unterwegs, um direkt
im Gespräch mit Unternehmern vor Ort, mit Initiativen,
mit den Arbeitsämtern für Ausbildungsplätze zu werben.
({0})
Diese Reise war schon länger geplant. Deshalb bitte ich
an dieser Stelle um Verständnis.
({1})
Diese Reise zeigt: Wir nehmen unsere Verantwortung
an dieser Stelle sehr ernst. Solche Initiativen sind Bestandteil dessen, was Bundesregierung, Wirtschaft und
Gewerkschaften am 29. April verabredet haben. Hier ist
noch einmal das gemeinsame Ziel bekräftigt worden, allen Jugendlichen, die können und wollen, eine Ausbildung zu ermöglichen. Über solche Ausbildungsreisen,
an denen auch Minister Clement beteiligt ist, sprechen
wir Unternehmen, die zurzeit nicht ausbilden, gezielt an.
Aber wir setzen auch Lehrstellenentwickler ein.
Zusätzliche Ausbildungsplätze - das wissen wir entstehen nicht von selbst. Wir müssen handeln. Wir
dürfen dabei aber nicht vergessen, dass es zuallererst die
Wirtschaft selbst ist, die in der Verantwortung steht, ausreichend Ausbildungsplätze anzubieten. Diese Aufgabe
kann niemand anderes übernehmen.
({2})
Die Bundesregierung kann die Wirtschaft aber bei
diesen Anstrengungen unterstützen. Das tun wir auch.
Rund 40 Prozent der Betriebe haben zurzeit keine Ausbildungsberechtigung. Wir haben deshalb die AusbilderEignungsverordnung für die kommenden fünf Jahre ausgesetzt. Wir erwarten hiervon einen deutlichen Anstieg
der Zahl der ausbildenden Unternehmen.
Das kürzlich unterzeichnete Ausbildungsplatzprogramm Ost wird fortgeführt, und zwar mit einer größeren Zahl von Ausbildungsplätzen, als es ursprünglich
beabsichtigt war. Statt der geplanten 12 000 Ausbildungsplätze werden 14 000 Ausbildungsplätze direkt
gefördert.
Über das Programm „Kapital für Arbeit“ stellen wir
mittelständischen Unternehmen bei der Einstellung eines
Auszubildenden günstige Investitionskredite zur Verfügung. Sie wissen, dass die Berufsausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz integriert worden ist.
Wir haben damit ein System von anrechnungsfähigen
Qualifizierungsbausteinen für Jugendliche geschaffen.
Mit JUMP plus schaffen wir ein Qualifizierungs- und
Beschäftigungsangebot für 100 000 sozialhilfeberechtigte Jugendliche.
Wir müssen vor allem mehr Unternehmen für die
Ausbildung mobilisieren. Gegenwärtig bietet insgesamt
weniger als ein Drittel aller Betriebe in der Bundesrepublik überhaupt Ausbildungsplätze an. Es gibt mehr als
500 000 Betriebe, die ausbilden könnten, es aber nicht
tun. Ich will an dieser Stelle noch einmal an diese Betriebe appellieren, die Chancen, die sich durch die Ausbildung auch für sie selbst ergeben, zu nutzen; denn wir
wissen aus vielen Untersuchungen: Die Ausbildung von
eigenen Fachkräften rechnet sich für Betriebe in hohem
Maße. Ausbildung ist eine lohnende Investition in die
Zukunft. Das belegen nicht nur Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung, sondern das ist auch Auffassung beispielsweise des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages.
Die Bundesregierung kämpft gemeinsam mit den Sozialpartnern darum, dass es bis zum Herbst noch eine
ausgeglichene Ausbildungsplatzsituation gibt. Die Vermittlungsaktivitäten der Bundesanstalt für Arbeit werden
bis 30. September noch einmal intensiviert. Erfahrungsgemäß können wir gerade in den letzten Wochen vielen
Auszubildenden einen Ausbildungsplatz vermitteln.
Sollte der Ausgleich dennoch nicht gelingen, erwarten wir von der Wirtschaft, dass sie einen realistischen
Vorschlag vorlegt, wie die noch nicht vermittelten Jugendlichen bis zum Ende des Jahres einen Ausbildungsplatz erhalten können. Das muss aus unserer Sicht ein
Vorschlag sein, der verbindlich, umsetzbar und nachprüfbar ist. Wenn das nicht der Fall ist, wird die Bundesregierung geeignete gesetzgeberische Maßnahmen einleiten müssen.
Ich hoffe allerdings, dass die Wirtschaft es aus Eigeninteresse schafft, ausreichend Ausbildungsplätze anzubieten. Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Chemie
beispielsweise oder in der niedersächsischen Metallindustrie haben gerade vorgemacht, wie man über Tarifverträge mehr für Ausbildung tun kann, wie man auf
diese Art und Weise kooperieren kann, um das Ausbildungsplatzproblem anzugehen. Das ist der richtige
Weg. Eine gesetzliche Regelung erübrigt sich, wenn die
Wirtschaft ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt
und damit letztendlich auch die eigene Zukunft sichert.
Wir müssen in den nächsten Monaten alle Kräfte mobilisieren, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, nämlich jedem Jugendlichen, der ausgebildet werden will
und ausbildungsfähig ist, eine Ausbildung zu ermöglichen. Das sind wir - ich sage in diesem Zusammenhang
bewusst „wir“ -, Wirtschaft, Gewerkschaften, aber auch
politisch Verantwortliche, den Jugendlichen in unserem
Lande schuldig.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nun hat der Kollege Michael Glos für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die äußerst bedrückende Ausbildungsplatzlücke
von aktuell 70 000 Stellen ist auch Ausdruck der dramatischen Wirtschaftslage in unserem Land. Für viele ausbildungswillige Jugendliche kommt eine erfolglose Bewerbung einer persönlichen Katastrophe gleich. Diesen
Scherbenhaufen hat Rot-Grün mit zu verantworten.
({0})
Wir haben die längste Stagnationsphase der Nachkriegsgeschichte. Drei Jahre Stagnation, Rückgang, Unsicherheit. Wir haben zur Stunde nicht einmal gesicherte Haushaltszahlen vorliegen. Wir wissen nicht, wie dieser
Haushalt aussieht, und wir wissen nicht, was im nächsten Jahr los ist. Das alles schafft ungeheuer viel Unsicherheit.
({1})
Wir haben es mit sehr viel Flickschusterei und auch
biblischem Verhalten zu tun. Das biblische Verhalten besteht darin: Die Linke soll nicht wissen, was die Rechte
tut. Wenn bei der SPD die Linke erfährt, was allein
schon die Mitte tut, dann braucht man Sonderparteitage
und es gibt dann noch einmal eine Umdrehung und man
wartet ab.
({2})
Besonders betroffen sind der Mittelstand und das
Handwerk. Im Handwerk sind 300 000 Arbeitsplätze
weggefallen. Die Zahl der Insolvenzen, die in diesem
Jahr erwartet werden, beträgt mehr als 40 000; im vergangenen Jahr waren es 38 000. All die bankrotten Betriebe können nicht mehr ausbilden.
Deswegen wundert es uns, Herr Bundesminister - ich
freue mich sehr, dass Sie hier sind -, dass ausgerechnet
in dieser Situation ein Frontalangriff auf das Handwerk
erfolgt. Gerade in einer Situation, in der die Betriebe ermutigt werden sollten, auszubilden, wird die größte
Kampagne zur Verunsicherung des Handwerks durchgeführt, die es je gegeben hat.
({3})
Ich meine, dass die von der Bundesregierung vorgelegten Entwürfe zu Gesetzesänderungen - eine Gesetzesänderung soll in dieser Woche schon verabschiedet
und eine weitere eingebracht werden - dazu beitragen,
dass diejenigen, die in die Betriebe gehen und darum bitten, verstärkt auszubilden - der Herr Staatssekretär hat
bereits darüber gesprochen -, oft eine Abfuhr erhalten.
Denn in den Betrieben fragt man sich: Warum sollen wir
noch ausbilden? Wir wissen schließlich nicht, ob die
Qualifikation künftig noch notwendig ist, um einen Betrieb zu eröffnen.
Die Handwerksordnung infrage zu stellen und sie
halb ausradieren zu wollen ist ausgerechnet in dieser
Zeit, in der die Ausbildungsnot so groß ist, nicht nur zynisch gegenüber dem Handwerk, sondern auch menschenverachtend gegenüber den vielen jungen Menschen.
({4})
- Die Schreihälse vom Dienst kenne ich aus den Haushaltsdebatten zur Genüge. Das müsste in der Aktuellen
Stunde nicht auch noch sein.
Herr Bundesminister, wir haben in anderen wichtigen
Fragen, wie in der Gesundheitspolitik, gezeigt, dass wir
zur Zusammenarbeit bereit sind. Das wurde seinerzeit
von Herrn Müntefering gefordert. Unsere Fraktionsvorsitzende hat diese Forderung aufgegriffen; die Gespräche haben bereits begonnen. Bisher sind Änderungen in
der Handwerksordnung immer im Einvernehmen erfolgt. Die fachlich zuständigen Politiker sind hinzugezogen worden; man hat miteinander gesprochen und die
Modernisierung vorangetrieben.
Deswegen fordere ich Sie auf: Stoppen Sie die Gesetzesvorlagen! Wir sind bereit - wie es auch beim letzten
Mal der Fall war - mitzuarbeiten, um das Vorhaben auf
eine breitere Basis zu stellen.
({5})
- Ich weiß nicht, wer der Zwischenrufer auf der linken
Seite ist. Ich kenne ihn nicht.
({6})
- Es ist der Kollege Bertl
({7})
- er ist Handwerksmeister -, der dauernd dazwischenruft. Auch der Kollege Bertl kann sich an der Debatte
beteiligen, aber es wäre günstig, wenn auch der Sachverstand anderer Handwerksmeister mit eingebunden würde
und wenn vor allen Dingen die Handwerksverbände beteiligt würden, weil sonst etwas zerstört würde, das unserem Land gedient hat und auch in Zukunft dienen soll.
({8})
Herr Bundesminister Clement, ich habe gesehen, dass
Sie auf der Rednerliste stehen. Sie könnten sich dafür
aussprechen, dass wir in dieser Sache eine gemeinsame
Basis finden sollten.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Glos, lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen zu Ihren Ausführungen machen. Sie haben
durchaus Recht, wenn Sie die Situation am Ausbildungsmarkt - vor allen Dingen für die jungen Leute - als katastrophal bezeichnen. Wir alle kennen diese Situation.
Wir kennen auch in unserer Umgebung junge Leute, die
sich verzweifelt um Lehrstellen bemühen, ohne damit
Erfolg zu haben. Die Situation ist gerade in diesem Jahr
besonders schlimm. Es ist völlig klar, dass wir erhebliche Anstrengungen dagegen unternehmen müssen.
Kein Recht haben Sie hingegen mit Ihrer sehr schmalspurigen und einseitigen Betrachtung. Zwar spielen konjunkturelle Entwicklungen sicherlich eine Rolle, aber
was Sie in absoluter Vergangenheitsblindheit offenbar
immer noch nicht wahrnehmen wollen, ist ein sehr
schwieriger Trend, den es in Deutschland gibt. Seit Mitte
der 80er-Jahre - nachzuweisen ist es etwa seit 1988 ziehen sich die großen Betriebe zunehmend aus der Ausbildungsverantwortung zurück. Das geht nicht an!
({0})
Sie werden zu Trittbrettfahrern in der Ausbildungspolitik. Die kleinen und mittleren Betriebe leisten ihren Beitrag: Auch in diesem Jahr bieten Betriebe mit bis zu
49 Beschäftigten zusätzliche Ausbildungsplätze an.
Ich bitte Sie, sich angesichts der Ausbildungsplatzsituation einmal ernsthaft Gedanken darüber zu machen,
dass wir nicht nur Ad-hoc-Maßnahmen brauchen, sondern die Unternehmen auch dazu bewegen müssen, ihrem in der Verfassung verankerten Auftrag zur Ausbildung junger Menschen nachzukommen.
Was die Modernisierung der Handwerksordnung angeht, haben Sie doch tatsächlich die Meinung vertreten,
ein mittelalterliches Zunftordnungswesen mit Schutzzäunen um die Zünfte habe etwas mit der Entwicklung
eines modernen Ausbildungswesens, das wir dringend
benötigen, zu tun. Auch dies, Herr Glos, zeugt von einer
Rückwärtsgewandtheit, die uns in der Zukunft überhaupt
nicht helfen wird.
({1})
Die gegenwärtige Situation ist nicht akzeptabel, weil
wir wissen, dass junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, eine Karriere des Scheiterns vor
sich haben. Dies können wir nicht dulden. In dieser Situation hilft auch kein Schönreden. Daher war ich sehr
erstaunt, als ich heute las, dass das Institut für Wirtschaftsforschung die Situation für gar nicht so schlimm
hält, wie sie sich im Moment abzeichnet. Das IW beziffert die für den Herbst zu erwartende Ausbildungsplatzlücke auf 20 000 bis 30 000 Plätze. Auch eine solche
Lücke wäre noch viel zu groß. Deswegen müssen wir tätig werden, aber auch auf die Eigeninitiative der Unternehmen setzen.
Wir brauchen die Unternehmen, weil wir das duale
Ausbildungssystem brauchen. Allerdings bin ich hinsichtlich dessen, was von den Unternehmen kommen
wird, sehr skeptisch; denn am Anfang der Woche stand
im „Tagesspiegel“ die Überschrift „DIHK bläst Ausbildungsinitiative ab“. Was heißt das denn in dieser Situation?
({2})
Sie argumentieren hier gegen gesetzliche Maßnahmen
und setzen auf Eigeninitiative. Eigeninitiative ist gut,
nicht aber Eigennutz. Eigeninitiative bedeutet, Verantwortung zu übernehmen. Wenn der DIHK in einer Situation, in der es eigentlich darum geht, alles zu mobilisieren, um Ausbildungsplätze zu schaffen, das abbläst, was
er vor Monaten erfreulicherweise angekündigt hat, nämlich einen Ausbildungsfonds einzurichten, um einen
Ausgleich zwischen den ausbildenden Betrieben und den
nicht ausbildenden Betrieben herzustellen, dann weiß
ich nicht, in welcher Realität die Wirtschaft lebt.
({3})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat am
14. März gesagt, wenn die nachhaltigen Verbesserungen
der Ausbildungsbereitschaft nicht einträten und die
Übernahme der zugesagten Verantwortung durch die
Unternehmen nicht erfolge, werde die Bundesregierung
handeln. Dies werden wir dann auch tun. Noch warten
wir die weitere Entwicklung ab, aber es ist klar, dass bis
Ende September etwas passieren muss. Jugendliche haben in unserem Land auch in einer solchen ökonomischen Situation ein Anrecht auf einen Ausbildungsplatz.
Außerdem wird unsere Wirtschaft demnächst ziemlich
alt aussehen, wenn sie nicht ausbildet.
({4})
Wir schlagen angesichts der Situation eine flexible
Fondslösung vor, in der Eigeninitiative und tarifvertragliche Lösungen, wie wir sie aus Niedersachsen kennen,
durchaus ihren Platz haben können, weil dies im Zusammenhang mit betrieblichen Ausbildungsplätzen Vorrang
hat. In diesen Fonds sollen alle Unternehmen einzahlen;
diejenigen, die ausbilden, werden etwas herausbekommen. Dies ist von der Konstruktion her dem DIHK-Modell ähnlich: eine Art Lastenumverteilung. Das ist keine
zusätzliche Belastung der Wirtschaft, sondern bedeutet
für sie ein Nullsummenspiel.
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Es geht heute erstens darum, neue Strukturen zu
schaffen, die es möglich machen, einen Trend zu brechen, den wir aus der Vergangenheit kennen. Zweitens
müssen wir den jungen Menschen eine Perspektive geben und dürfen es nicht hinnehmen, dass wir in vier Jahren in den Betrieben auch noch mit einem Facharbeitermangel zu tun haben werden. Dann nämlich werden Sie
beim Geschrei wieder an der Spitze der Bewegung stehen.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Cornelia
Pieper für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die
Regierungskoalition heute eine Aktuelle Stunde zur Ausbildungsplatzsituation beantragt hat, ist legitim. Ich halte
es aber nicht für gerechtfertigt - das sage ich auch in
Richtung des Bundeswirtschaftsministers -, dass die
Bundesregierung die heutige Aktuelle Stunde unter die
Schlagzeile stellt: Die Regierung droht der Wirtschaft
erneut mit einer Ausbildungsplatzabgabe. Wer die Situation in Deutschland und insbesondere die Wirtschaftsdaten kennt, der weiß, dass die derzeitige Ausbildungsplatzmisere das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftsund Ausbildungspolitik der Bundesregierung seit ihrer
Regierungsübernahme ist.
({0})
Sie haben Steuern und Sozialabgaben erhöht, anstatt
sie zu senken. Die Novellierung bzw. die Modernisierung des Berufsbildungsgesetzes haben Sie verschleppt;
denn das hätte, wie von uns gefordert, bereits in der letzten Legislaturperiode geschehen müssen.
({1})
- Ich weiß, dass Ihnen diese Wahrheit nicht gefällt. Aber
auch die Wirtschaftsinstitute kommen in ihren Frühjahrsumfragen zu den gleichen Erkenntnissen.
In der heutigen Ausgabe des „Tagesspiegel“ ist zu lesen, dass die Hauptursachen für den Lehrstellenmangel
die schlechte Konjunktur und die zu hohen Ausbildungskosten sind. Es bleibt Fakt: Wir haben zu wenig Wachstum in Deutschland. Wenn das Bruttoinlandsprodukt
nicht um mindestens 2 Prozent wächst, entstehen keine
neuen Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
({2})
Wir stehen vor einer dramatischen und Besorgnis erregenden Situation. Die Bundesanstalt für Arbeit rechnet
bis zum Sommer dieses Jahres mit 80 000 fehlenden
Lehrstellen. Das Institut der deutschen Wirtschaft - damit haben Sie in der Tat Recht, Frau Dückert - geht dagegen davon aus, dass nur 30 000 fehlen werden. Für
uns ist jedenfalls jeder fehlende Ausbildungsplatz einer
zu viel; denn es geht um das Schicksal junger Menschen.
Für uns - das betone ich - hat die hoch qualifizierte Ausbildung junger Menschen etwas mit Freiheit, Menschenwürde und Selbstständigkeit zu tun, und zwar aus dem
einfachen Grund: Ohne Ausbildung gibt es keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Diskussion sachlich, aber auch kritisch führen; denn wir
können die Misere nicht beseitigen, wenn wir nicht auch
die Tatsachen beim Namen nennen.
Zu den Tatsachen gehört auch, Frau Dückert: Selbst
wenn sich bewahrheitet, dass nur 30 000 Lehrstellen fehlen - davon geht, wie gesagt, das Institut der deutschen
Wirtschaft aus -, dann bedeutet das noch immer die
schlechteste Lehrstellensituation in Deutschland seit
1997. Das muss man sich vor Augen führen.
({3})
- Herr Tauss, das sind nicht meine, sondern die Daten,
die das Institut der deutschen Wirtschaft heute veröffentlicht hat.
Generell gilt für die Freien Demokraten: Mit staatlichen Programmen stärken wir nicht die Ausbildung,
sondern schwächen sie. Wir wollen die duale Berufsausbildung stärken. Die betriebliche Ausbildung ist Kernaufgabe der Wirtschaft. Das ist unumstritten.
({4})
Nur eine Ausbildung im Betrieb wird auch den Übergang zum Arbeitsmarkt gewährleisten. Ein Ergebnis Ihrer Regierungspolitik ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit
seit der Auflage des JUMP-Programms wächst, und
zwar dreimal so schnell wie die allgemeine Arbeitslosigkeit. Sie ist inzwischen genauso hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosigkeit. Mit anderen Worten: Das
JUMP-Programm hat nicht zur Beseitigung der Ausbildungsnot geführt. Es hat inzwischen vielmehr dazu geführt, dass die Nachfrage von Altnachfragern, also von
Schulabsolventen vergangener Jahre, enorm gestiegen
ist. Um konkret zu werden: 2002 waren das 42,8 Prozent
der Gesamtnachfrage. Das JUMP-Programm führt also
junge Menschen in die Warteschleife und überführt sie
nicht in den Arbeitsmarkt. Es ist ineffizient; deswegen
meinen wir, dass es - auch zugunsten von betrieblicher
Ausbildung - zurückgeführt werden muss.
Die Schere zwischen der Zahl der Schulabgänger und
der Zahl der Ausbildungsplätze geht immer mehr auseinander. Das rechnerische Defizit zwischen gemeldeten
Ausbildungsstellen und Bewerbern ist im Vergleich zum
Mai des Vorjahres um 46,7 Prozent gestiegen. Sie müssen endlich mit Ihrem konzeptionellen Durcheinander
und den Sonderprogrammen aufhören. Wir brauchen in
der Tat endlich eine radikale Reformpolitik, die auf Steuersenkung setzt.
({5})
In diesem Zusammenhang sage ich ganz klar in Richtung Regierungsbank: Wir sind gern bereit, das Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 zu unterstützen,
wenn eine entsprechende Gegenfinanzierung über den
Haushalt und über den Subventionsabbau gewährleistet
wird, Herr Minister. Wir meinen nämlich, dass ein wegweisendes Mittelstandsprogramm das beste Ausbildungsplatzprogramm ist. Seit Jahren fehlt ein entsprechendes Konzept von der Bundesregierung.
Also: Senken Sie die Steuern! Vereinfachen Sie das
Steuersystem! Bauen Sie vor allen Dingen die bürokratischen Hemmnisse im Arbeitsrecht ab! Novellieren Sie
das Berufsbildungsgesetz! Wir fordern seit langem, für
eher praktisch orientierte junge Menschen Teilqualifikationen - eine Stufenausbildung mit Grundausbildung
und Qualifizierungsbausteinen - zuzulassen.
Frau Kollegin Pieper, kommen Sie bitte zum Ende!
All das schafft neue Ausbildungsplätze und wird uns
mehr als Ihre Politik voranbringen.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit, Wolfgang Clement.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Aktuelle Stunde ist vor allen Dingen notwendig, damit vom Deutschen Bundestag ein Appell an
alle - insbesondere in den Unternehmen, in den Verwaltungen, in den öffentlichen und privaten Einrichtungen gerichtet wird, dass wir alles tun müssen, um mehr Ausbildungsplätze zu schaffen.
({0})
Dieser Appell ist zwar sehr schlicht, aber er ist das
Wichtigste. Es gibt zurzeit, wie wir alle wissen, einen erheblichen Ausbildungsplatzmangel. Es muss und kann
gelingen - das zeigen alle Erfahrungen -, dass wir diesen Ausbildungsplatzmangel überwinden. Das wird aber
nur gelingen, wenn alle zusammenwirken.
Frau Kollegin Pieper, 1996 gab es wie heute einen
Ausbildungsplatzmangel. Er war noch etwas größer;
aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Situation
damals aufgrund einer gemeinsamen Anstrengung von
Bund, Ländern, Städten, Gemeinden und Unternehmen,
also von allen Ebenen, binnen eines Jahres grundlegend
verbessert wurde. Heute stehen wir vor der Aufgabe - in
diesem Zusammenhang macht alle Polemik, die ich hier
höre, keinen Sinn -, genau das wieder zu erreichen.
({1})
Der Bundespräsident hatte Recht, als er kürzlich
sagte: Das Ausbilden unserer Jugend ist eine Bringschuld der Unternehmen. Ich füge hinzu: Es ist auch eine
Bringschuld von uns allen. Wenn wir das nicht schaffen,
ist das ein Offenbarungseid, den sich unsere Gesellschaft
und unsere Wirtschaft nicht leisten können. Es ist übrigens auch ein Offenbarungseid für das duale Berufsbildungssystem. Ich schätze dieses System - es ist weltweit
anerkannt -; aber wenn es nicht in der Lage ist, eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen bereitzustellen,
dann scheitert es.
({2})
Deswegen glaube ich, dass man den Ernst der Lage nicht
deutlich genug ansprechen kann.
Die Bundesanstalt für Arbeit geht in ihrer Einschätzung davon aus, dass es bei einer Fortschreibung der
heutigen Situation bis Ende September zu einem Fehlbedarf von 60 000 bis 70 000 Ausbildungsplätzen kommen
wird. Das Institut der deutschen Wirtschaft erwartet
20 000 bis 30 000 fehlende Ausbildungsplätze. Ich sage
ganz offen: Meine Erwartung liegt bei plus/minus null.
({3})
Wir müssen das bis Ende September schaffen. Die Erfahrung, die wir in der zurückliegenden Zeit gesammelt
haben, zeigt, dass wir es schaffen können. Wir haben allerdings keine Zeit zu verlieren. Wir haben nicht zu polemisieren. Es gibt Gott sei Dank überall Initiativen, die
sich um dieses Problem kümmern. Wir müssen es in der
ganzen Bundesrepublik lösen. Darum geht es.
Ich freue mich, dass es eine Ausbildungsinitiative von
Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und uns, der Politik, gibt. Auch das ist für alle absolut offen, die daran
mitwirken wollen und können. Ich brauche die verschiedenen Maßnahmen, die wir in diesem Zusammenhang
ergriffen haben, jetzt nicht darzustellen. Herr Kollege
Matschie hat einige angesprochen.
Mir liegt daran, darauf hinzuweisen, dass jedenfalls
ich persönlich Folgendes erwarte: Wenn einzelne Unternehmen nicht in der Lage sind, die nötige Anzahl an
Ausbildungsplätzen bereitzustellen, dann muss die Wirtschaft selbst für einen finanziellen Ausgleich zwischen
den Unternehmen sorgen. Offensichtlich sind viele Unternehmen - gerade diejenigen, die ausbilden - der Ansicht, dass sich niemand entziehen darf, der ausbilden
kann, und dass diejenigen Unternehmen, die sich entziehen, zu einer Ausbildungsplatzabgabe herangezogen
werden sollen.
({4})
Das kann sehr wohl auch ohne gesetzliche Maßnahmen initiiert werden. Das geschieht in verschiedenen
Kammern. Das geschieht in verschiedenen Verbänden.
Wie ich gelesen habe, geschieht das in Niedersachsen
und in Bayern. Ich fände es gut, wenn das überall geschähe. Niemand, der ausbilden kann, darf sich der Ausbildungsnotwendigkeit entziehen. Das ist mir sehr wichtig.
Ich will ein Beispiel anführen. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie hat einen beispielhaften Tarifvertrag abgeschlossen, in dem vorgesehen ist,
dass die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht wird. Das
sind die Entscheidungen und die Signale, die wir brauchen. An solchen ganz konkreten Verbesserungen müssen wir arbeiten.
({5})
Frau Kollegin Pieper, es ist ein Irrtum, zu glauben,
dass wir auf öffentliche Mittel ganz verzichten können.
Sie haben das JUMP-Programm angesprochen. Wir
müssen uns einfach vor Augen führen - es hat keinen
Zweck, darum herumzureden -: Wir haben heute in
Deutschland fast 500 000 junge Leute in Arbeitslosigkeit; ich glaube, es sind zurzeit 482 000. Das alles sind
junge Leute unter 25 Jahren. Von denen sind ungefähr
250 000 in der Sozialhilfe. Übrigens beziehen 64 000
Arbeitslosenhilfe, das heißt, sie sind schon in der Langzeitarbeitslosigkeit. Viele von denen haben vermutlich
noch keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kennen gelernt.
Man wird das Problem nicht lösen, indem man, wie
gefordert wird, die Steuern heruntersetzt. Wir brauchen
zusätzlich Hilfe und Begleitung für junge Leute, die sich
- aus welchen Gründen auch immer; oftmals sind es familiäre, individuelle Probleme - in einer besonderen Situation befinden.
({6})
Sie müssen erst einmal an eine Ausbildung herangeführt
werden. Wir brauchen Berufsvorbereitung. Wir brauchen Praktika. Deshalb haben wir auch ein zusätzliches
Programm für 100 000 junge Leute - es ist gezielt für
diese Gruppe - aufgelegt. Es wird ab 1. Juli umgesetzt.
Das ist sehr wichtig.
Wir haben für Ostdeutschland nochmals wiederum
die Förderung von 14 000 Ausbildungsplätzen vorgesehen - wenn alle Stricke reißen. Ich glaube nicht, dass die
Wirtschaft darauf verzichten kann; wir jedenfalls wären
froh, wenn wir darauf verzichten könnten. Zunächst einmal ist es aber natürlich notwendig, dass sich alle bemühen.
Herr Kollege Glos, Sie haben vom Handwerk gesprochen. Das Handwerk erbringt eine hervorragende Ausbildungsleistung. Dafür bin ich sehr dankbar. Dennoch
führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, erstens dass
das Handwerk in einer tiefen Strukturkrise steckt, die
über die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme hinausreicht, zweitens dass das Handwerk für nachkommende Berufstätige geöffnet werden muss und drittens
dass das Handwerk für die europäischen Entwicklungen
geöffnet werden muss. Darüber diskutieren wir ja ernsthaft und ohne jede Polemik.
Wir werden um eine Deregulierung nicht herumkommen. Frau Kollegin Pieper, da bin ich übrigens etwas erstaunt. Sie reden immer über Freiheit und über Deregulierung. Sobald wir uns dem aber nähern, machen Sie
alle Schotten dicht. Das ist ganz bemerkenswert.
({7})
Das habe ich auch schon dem Kollegen Brüderle gesagt.
Der stand immer vor mir und hat mich mehrfach gemahnt, endlich Freiheit zu gewähren.
({8})
Diese Forderung geht jetzt an Sie zurück. Das ist ganz
interessant und dadurch kommt vielleicht auch Bewegung in die Diskussion.
Herr Kollege Glos, ich bin für Gespräche. Das Parlament, die Länder, der Bundesrat, alle sind jetzt gefragt,
Mut zu zeigen, ob vor Wahlkämpfen oder nach Wahlkämpfen. Ich bin Ihnen gegenüber immer sehr offen und
sage: Ich hielte es für falsch, wenn Sie sogar für kleinsthandwerkliche Tätigkeiten, die man binnen drei Monaten erlernen kann, eine Regulierung vorsehen wollten.
Wenn Sie für solche Tätigkeiten auch eine Registrierungspflicht bei den Handwerkskammern und möglicherweise noch mehr vorsehen wollten, dann wäre das
ein Fehler. Deshalb ist meine Bitte, dass wir darüber
einig sind, da unseren Weg zu beschreiten. Im Übrigen
- wir haben es auch mit zustimmungspflichtigen Gesetzen zu tun - müssen wir in eine intensive Diskussion gehen.
Wenn ich Ihnen zuhöre, gewinne ich den Eindruck,
dass Sie das gleiche Spiel betreiben wollen, das schon
öfter stattgefunden hat, nämlich: Kommt ein Handwerk
in die Anlage A oder in die Anlage B? Was geben Sie
mir, wenn es in die Anlage A kommt, und was geben Sie
mir, wenn es in die Anlage B kommt?
({9})
Das ist nicht der richtige Weg. Ich möchte bei Ihnen gern
die Bereitschaft zu einer wirklichen Reform sehen.
({10})
Am Freitag können Sie doch den kleinen ersten
Schritt mitgehen, wenn es um handwerkliche Tätigkeiten geht, die man binnen drei Monaten erlernen kann.
Frau Kollegin Pieper, auch Sie in der FDP müssen sich
die Frage stellen, ob Sie am Freitag diesen ersten kleinen
liberalen Schritt mitgehen können, damit der Weg für
kleinsthandwerkliche Tätigkeiten frei gemacht wird.
Wenn das gelingt, haben wir schon einen bedeutenden
Schritt nach vorn getan und dann kommen wir auch in
sehr fruchtbare Gespräche. Sie wissen um die Bereitschaft dazu auf unserer Seite.
Gerade allen im Handwerk Tätigen sage ich: Wir können auf Ihre Ausbildungsleistung nicht verzichten. Sie
wissen auch, dass diese Ausbildungsleistung von uns
nicht infrage gestellt wird, ob sie nun von einem Meister
durchgeführt wird, der in einem Beruf arbeitet, wo dieser
Titel für die Ausbildung erforderlich ist, oder von Freiwilligen, die dafür sorgen, dass andere in Berufe hineinwachsen können.
Im Gegensatz zu den Handwerksverbänden erwarte
ich, dass es im Zuge unserer Reform mehr und nicht weniger Ausbildungsplätze geben wird, weil mehr Berufe
mehr Möglichkeiten bieten und damit für mehr Ausbildung gesorgt werden kann. Den Streit darüber werden
wir ausfechten. Meine Bitte an das Handwerk, bei dem
die Ausbildungsleistung wirklich vorbildlich und auch
der Zahl nach beeindruckend ist, ist, dass sich niemand
durch Diskussionen über die Reformen davon abhalten
lässt, das zu tun, was er für sein Unternehmen, die junge
Generation und die Wirtschaft in Deutschland insgesamt
tun sollte, nämlich wie bisher für die Qualifikation unserer jungen Leute zu sorgen. So trägt er dazu bei, dass wir
auch nach dem Jahre 2006, wenn die Schulabgängerzahlen nach unten gehen, eine ausreichende Zahl von hervorragend qualifizierten jungen Leuten haben.
Bei allem, was wir sonst sagen und uns gegenseitig
vorwerfen, sollten wir unsere Diskussionen und unser
Ringen um Ausbildungsplätze nicht auf dem Rücken der
jungen Leute austragen.
({11})
Das will ja auch in Wahrheit keiner; wir sollten aber
auch nicht diesen Eindruck erwecken. Vielmehr sollten
wir sehr deutlich gemeinsam dafür werben, dass die jungen Leute ausreichend Ausbildungschancen in Deutschland bekommen. Das geht. Wenn wir das gemeinsam
tun, gelingt es umso besser.
Ich danke Ihnen sehr.
({12})
Ich erteile das Wort der Kollegin Dagmar Wöhrl für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wie viele Jugendliche finden keine Lehrstelle? Die Optimisten rechnen laut einer Tickermeldung von gestern mit
höchstens 20 000 bis 30 000 fehlenden Ausbildungsplätzen im Herbst; die Realisten haben die Sorge, dass zwischen 70 000 und 140 000 Jugendliche im Herbst ohne
Lehrstelle bleiben, und die Pessimisten fürchten, dass
Ihre einsame Stimme, Herr Minister Clement, im Regierungsstreit über die Zwangsabgabe von Frau Ministerin
Bulmahn und den Gewerkschaften übertönt wird.
Tatsache ist aber: Jeder bildungswillige Jugendliche,
der keine Zukunftsperspektive bekommt, ist einer zu
viel. Tatsache ist auch - es gibt bis jetzt leider noch
keine Entwarnung -: Wir müssen alle zusammen alle
Hebel in Bewegung setzen, um für mehr Ausbildungsplätze zu sorgen.
({0})
Wenn ich aber von Hebeln spreche, denke ich nicht an
planwirtschaftliche Gewalt, nicht an irgendwelche kostentreibenden bürokratischen Monster und auch nicht an
die Knüppel-aus-dem-Sack-Methode, die Sie zum Teil
mit der Zwangsabgabe ins Auge fassen.
({1})
Sie wissen ganz genau, dass Sie mit einer Ausbildungsplatzabgabe wieder - das tun Sie ja meistens - die
Falschen treffen würden, nämlich die kleineren und mittleren Betriebe und nicht die großen.
({2})
Die großen Betriebe würden sich genauso wie bei der
Schwerbehindertenabgabe freikaufen. Wir haben doch
unsere Erfahrungswerte. Das sollte man hier doch nicht
einfach wegdiskutieren.
({3})
Wo finden denn die Lehrlinge einen Ausbildungsplatz? In den kleineren und mittleren Betrieben. Acht von zehn
Azubis arbeiten heute in kleineren und mittleren Betrieben.
({4})
Allein im Handwerk werden 65 Prozent aller Lehrlinge
im gewerblich-technischen Bereich ausgebildet. Die
Ausbildungsquote liegt bei 10,6 Prozent,
({5})
in anderen Wirtschaftszweigen beträgt sie 3,6 Prozent.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe immer das
Gefühl, Sie vergessen eines: Deutschland ist ein rohstoffarmes Land. Das Humankapital ist eine der wichtigsten Ressourcen, die wir haben.
({6})
Wichtig erscheint es uns - da sind wir, wie ich glaube,
auch mit Ihnen einer Meinung -, alle Maßnahmen zu
fördern, die zu mehr Qualifikation führen.
({7})
Man darf nicht damit anfangen, Qualifikationsansprüche
zurückzuschrauben. Warum ist denn der Meisterbetrieb
der Ausbilder der Nation? Das kommt nicht von ungefähr, sondern daher, weil der Meister ausbilden kann, es
gelernt hat und in seinem Bereich alle Stufen der Ausbildung durchlaufen hat.
({8})
Wer an diesen Grundfesten rüttelt, handelt nicht nur
unverantwortlich, sondern auch fahrlässig. Mit Ihrer
Holzhammermethode gefährden Sie viele tausend Arbeitsplätze und auch viele tausend zukünftige Ausbildungsplätze.
Sie dürfen mir eines glauben: Die Betriebe, die jetzt
noch über Bedarf ausgebildet haben, werden es in Zukunft bestimmt nicht mehr tun. Es ist vielmehr die Frage
zu stellen, ob sie in Zukunft überhaupt noch ausbilden.
({9})
Was brauchen denn Unternehmen? Sie brauchen Aufträge, konkrete Perspektiven und das Wissen, dass es
sich lohnt, Lehrlinge einzustellen. Unser Mittelstand
weiß, dass er qualifizierten Nachwuchs braucht, er weiß
auch, dass Fachleute in der Zukunft ein rares Gut sein
werden. Aber es ist auch so, dass 90 Prozent aller Unternehmen ihr Lehrstellenangebot von ihrer aktuellen Geschäftslage abhängig machen. Heute weiß doch kein Unternehmer mehr, ob er in drei Jahren überhaupt noch die
Möglichkeit hat, einen Lehrling zu übernehmen.
Wir haben konjunkturell schwache Zeiten. Wir wissen auch, wem wir das zu verdanken haben; das brauchen wir jetzt nicht wieder anzusprechen.
({10})
In konjunkturell schwachen Zeiten gibt es wenig Ausbildung, das ist nun einmal Realität. Die Ausbildungskosten sind in den letzten Jahren in Westdeutschland mehr
gestiegen als die Löhne der Facharbeiter. Aber anstatt
hier an Entlastung zu denken, denken Sie auch in diesem
Bereich nur daran abzukassieren.
({11})
Sie haben nicht erkannt, dass der Schlüssel zu mehr Ausbildung in der Entlastung der kleinen und mittleren Betriebe liegt und nicht in der Belastung, die Sie den Betrieben immer wieder aufbürden.
({12})
Durch Ihre Politik binden Sie sozusagen einem Ertrinkenden noch einen Stein ans Bein, sodass überhaupt
keine Rettung aus der Bildungsmisere mehr möglich ist.
Über den Bumerangeffekt, der dadurch in diesem Bereich entsteht, brauchen wir nicht zu reden.
({13})
Was ist denn der Grund, dass manch ein Betrieb keinen geeigneten Bewerber findet? Für viele ist die Ausbildung in dem betreffenden Betrieb vielleicht uncool
oder der Jugendliche hat nicht die richtige Qualifikation.
Aber was wäre denn die Konsequenz Ihrer Ausbildungsplatzabgabe?
({14})
- Lieber Herr Kollege, ich bin bestimmt eine von denen
in diesem Raum, die die meisten Lehrlinge ausbilden.
({15})
Deshalb weiß ich, wovon ich rede.
Eines muss ich Sie fragen: Was ist denn, wenn kein
Lehrling gefunden wird? Wollen Sie dann keine Strafsteuer erheben? Die Folge wären Umgehungstatbestände
und Überwachungsbürokratie.
Sie planen die Einzahlung in einen Fonds - alles
schön und gut. Die Unternehmer sollen also eine
Zwangsabgabe in einen Fonds zahlen. Das heißt, zukünftig wird außerhalb des Betriebes ausgebildet. Das
heißt, die Ausbildung wird verstaatlicht. Was geschieht
dann überhaupt mit unserem hochgelobten dualen System?
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.
Duales System, adieu! Das heißt, es wird am Bedarf
vorbei ausgebildet. Das würde zu einer noch höheren Jugendarbeitslosigkeit als bisher führen. Sie haben es
durch Ihre Politik bis jetzt schon geschafft, die Zahl der
Ausbildungsplätze gegenüber 1998 um 44 000 zu verringern, und das trotz des JUMP-Programms.
Wir haben einzelne Maßnahmen aufgeführt. Wichtig
ist, dass wir als Politiker, die Einfluss nehmen können,
alle Maßnahmen zusammen ergreifen, damit die Betriebe wieder Lehrlinge einstellen. Der Mittelstand erwartet von uns, dass wir hier handeln, dass wir uns nicht
nur zurücklehnen und die Verantwortung auf die Wirtschaft abschieben.
({0})
Deswegen warne ich Sie davor, hier irgendeine Strafsteuer auf den Weg zu bringen. Entlasten Sie lieber, statt
immer neue Belastungen zu schaffen.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort zu Ihnen, Frau Wöhrl: Es ist schlicht
falsch, was Sie hier behaupten. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen, die ja überproportional ausbilden, würden in den Genuss eines finanziellen Ausgleichs
kommen. Es sind ja gerade die großen, die sich entziehen. Von daher ist es einfach nicht wahr, was Sie hier bezüglich der Abgabe behaupten.
({0})
- Es ist auch unlogisch, was Sie uns hier aufzutischen
versuchen.
({1})
Es ist allgemein bekannt: Seit Jahrzehnten, nicht erst
seit Rot-Grün, ist man im Frühsommer auf der Suche
nach Ausbildungsplätzen. Wir müssen in diesem Bereich
zu einer grundlegenden Strukturreform kommen; wir
müssen von einer Situation wegkommen, die uns zwingt,
von der Hand in den Mund zu leben, wie es auch jetzt
leider wieder der Fall ist. Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt ist auch in diesem Jahr schlecht; das wurde
bereits von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt. Sie ist aber vielleicht doch nicht so schlecht, wie
wir im Frühjahr befürchten mussten. Die Prognose des
Instituts der deutschen Wirtschaft wurde schon erwähnt.
Würde sie Wahrheit, bliebe das ganz große Desaster auf
dem Lehrstellenmarkt vielleicht sogar aus.
Trotzdem dürfen wir uns nicht damit zufrieden geben
und uns nicht zurücklehnen. Selbst wenn sich die optimistischen Schätzungen bewahrheiten würden, läge das
Angebot an Lehrstellen immer noch 4 Prozent unter dem
Niveau des Vorjahres. Unser klares politisches Ziel ist es
aber, einen Ausbildungsplatz für alle Jugendlichen in
diesem Land bereitzustellen. Nur so bieten wir der jungen Generation eine Perspektive, nur so sichern wir die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und nur
so bekommt die Wirtschaft die qualifizierten Fachkräfte,
auf die sie so dringend angewiesen ist.
Es ist leider zu einem Ritual geworden, dass wir jedes
Jahr einen Tanz um den fehlenden Ausbildungsplatz aufführen. Opposition und Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften werfen sich gegenseitig Versagen vor. Fakt
ist aber: Für die Jugendlichen ist diese Zeit eine Phase
von Existenzangst und Perspektivlosigkeit. Wir müssen
deshalb alles dafür tun, ein kontinuierliches Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze zu schaffen.
({2})
Nur dort, wo Ausbildungsplätze trotz aller Bemühungen
fehlen, müssen wir den Jugendlichen Brücken bauen.
Dabei reicht es nicht, den jungen Menschen Ersatzmaßnahmen anzubieten, mit denen sie am Ende die entscheidende Hürde ins Berufsleben doch nicht nehmen können.
Die Wirtschaft verläßt sich immer mehr auf das Engagement des Staates. Viele Unternehmen ziehen sich
aus der betrieblichen Ausbildung zurück, und das zulasten der Betriebe, die immer noch ausbilden, und zulasten
der öffentlichen Kassen. Im Jahr 2000 lagen die Ausgaben des Bundes, der Länder und der Bundesanstalt für
Arbeit für die Berufsausbildung noch bei rund 11 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr waren es bereits
13,5 Milliarden Euro. Trotzdem sank im gleichen Zeitraum das Angebot an betrieblichen Lehrstellen von rund
647 000 auf gut 590 000.
Es kann nicht unser politisches Ziel sein, dass der
Staat zunehmend die Kosten der beruflichen Bildung
trägt. Die staatlichen Mittel sind ohnehin stark begrenzt.
Die Mittel müssen - PISA hat es uns gezeigt - vor allem
für die vorschulische und schulische Bildung verwendet
werden. Davon profitiert der Einzelne, aber natürlich
auch der Unternehmer und die Unternehmerin. Es sind
gerade die Betriebe, die sich immer wieder über die
mangelnde Qualität der Ausbildung von Schulabgängern
beklagen.
Allerdings verpflichtet uns die Knappheit der Ressourcen auch dazu, das Geld möglichst effektiv einzusetzen. Das weltweit hochgelobte duale System lebt davon,
dass die Ausbildung im Betrieb stattfindet, also praxisbezogen ist. Aber es lebt eben auch vom zweiten Lernort, von der Schule.
Vor dem Hintergrund der Lage am Lehrstellenmarkt
ist es unser zentrales Ziel, eine von der Konjunktur unabhängige Ausbildungsstruktur zu schaffen. Deshalb
müssen wir die Motivation zur Ausbildung stärken. Unser Ziel ist klar formuliert: Wir müssen die Lasten der
Ausbildung gerecht verteilen. Es war ja nicht nur der
BDI-Präsident, der die Ungerechtigkeit zwischen den
ausbildenden Betrieben und den Ausbildungsverweigerern unter den Unternehmen angeprangert hat.
({3})
Ich sage es hier gerne noch einmal klar und deutlich:
Wenn die Wirtschaft ihren Ausbildungsverpflichtungen
nicht selbstständig nachkommt, muss ein anderer, gerechter Mechanismus geschaffen werden. Aus diesem
Grunde haben wir Grünen ein Stiftungsmodell entwickelt; Frau Dückert hat es bereits angesprochen. Die
Stiftung „Betriebliche Bildungschance“ kann aus grüner
Sicht ein Weg sein, um Ungerechtigkeiten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben zu beseitigen. Mit diesem Modell wollen wir vor allem den
Mittelstand unterstützen, der bisher überproportional
ausbildet. Die Grundidee der Stiftung ist: Ausbildende
Betriebe bekommen eine direkte Förderung. Mit diesem
Modell verfolgen wir das Ziel, zu einer grundlegenden
Lösung des Problems der fehlenden Ausbildungsgerechtigkeit zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte sich der Silberstreif am Horizont, den das Institut gestern gemalt
hat, bewahrheiten, freut uns das für alle Jugendlichen,
die einen Ausbildungsplatz suchen. Dennoch dürfen wir
uns von dieser Meldung nicht blenden lassen. Wir müssen jetzt den Kreislauf von fehlenden Chancen, Abhängigkeit vom Sozialstaat und erlernter Passivität durchbrechen. Jede und jeder Jugendliche in Deutschland
braucht ein Angebot für eine betriebliche Ausbildung.
Wir sind dies den jungen Menschen, den ausbildenden
Betrieben und der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft schuldig.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau
Dr. Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Deutsche Post AG will im
Jahr 2003 den Auszubildenden, die in diesem Jahr auslernen, keine Übernahmemöglichkeit im Unternehmen
anbieten. Allein in den Niederlassungen in Berlin und
Brandenburg handelt es sich um 400 auslernende Nachwuchskräfte. In der ganzen Bundesrepublik sind
2 138 junge Menschen davon betroffen.
Wie kann es sein, fragen mich Auszubildende in einer
E-Mail, dass der Staat unendlich viel Geld ausgibt, um
Menschen in Arbeit zu bringen, jedoch tatenlos zusieht,
wie die Deutsche Post AG 2 138 jungen Menschen nach
beendeter Ausbildung keinen Arbeitsplatz anbietet? Ich
frage die Bundesregierung im Auftrag dieser Jugendlichen: Was unternehmen Sie als Hauptaktionär der Deutschen Post AG, damit diese Jugendlichen übernommen
werden? Denkt die Bundesregierung bei den Unternehmen, bei denen sie Hauptaktionär ist, etwa nur als Shareholder oder sieht sie sich als Eigentümer durch das
Grundgesetz verpflichtet, soziale Verantwortung zu
übernehmen? Ich denke, Letztgenanntes wäre die angemessenere Lösung.
({0})
Gebraucht werden die jungen Menschen allemal.
Denn die Nichtübernahme der jungen Menschen bei der
Deutschen Post AG geschieht vor dem Hintergrund eines
Überstundenberges von mehr als 7 Millionen Stunden
und eines nicht abgewickelten Erholungsurlaubes von
mehr als 3 Millionen Tagen bei der Deutschen Post allein
im Geschäftsjahr 2002. Aber nicht nur bei der Übernahme von Auszubildenden ist die Deutsche Post AG
kein Vorbild; sie hat auch die Zahl der Ausbildungsplätze
reduziert und steht damit schlechter da als viele private
Unternehmen. Wo ist da die Vorbildwirkung des Bundes,
meine Damen und Herren von der Bundesregierung?
Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist dramatisch.
Derzeit fehlen 148 000 Lehrstellen, davon allein
105 000 in den neuen Ländern. Der Bundeskanzler hat
am 14. März dieses Jahres eine Ausbildungsplatzabgabe
in Aussicht gestellt, wenn die Unternehmen nicht bereit
sind, ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. Das
Vorhaben einer Ausbildungsplatzabgabe ist ausdrücklich
zu loben. Man muss sie allerdings umsetzen.
Dass allein die Androhung eine gewisse Wirkung gezeigt hat, können wir in einem Flugblatt des Deutschen
Industrie- und Handelskammertages ablesen, in dem erklärt wird: „Nicht ausbilden könnte teuer werden.“
Plötzlich finden Arbeitgeber Argumente, warum Ausbildung gar kein Verlustgeschäft ist. Im Gegenteil: Es rechnet sich. Ich finde, das Klagen über eine zu hohe Ausbildungsvergütung ist unehrlich. Denn in dem genannten
Flugblatt kommt man zu dem Schluss, dass „viele Auszubildende ihren Unternehmen mehr einbringen, als sie
kosten“. Die Arbeitgeberverbände haben den Wert von
Auszubildenden richtig erkannt. Das Problem ist nur,
dass die Unternehmen nicht bereit sind, im Rahmen einer Selbstverpflichtung Lehrstellen zu schaffen.
Ich möchte daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 darauf verwiesen hat, dass es
eine „Verantwortung der Arbeitgeber für ein ausreichendes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen“ gibt,
und es eine gesetzliche Regelung anmahnte. Meine Damen und Herren von der Koalition, eine solche gesetzliche Regelung sollte 23 Jahre nach dem Spruch des Bundesverfassungsgerichtes endlich eingeführt werden.
Wir als PDS fordern daher, nicht nur mit einer Ausbildungsplatzabgabe zu drohen, sondern sie auch zügig
umzusetzen, damit endlich mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden.
Schönen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Willi Brase für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Minister Wolfgang Clement
und Staatssekretär Matschie haben sehr deutlich auf die
notwendigen Maßnahmen zur Verringerung der Ausbildungsplatzlücke bzw. zur Beseitigung der Ausbildungsplatzkrise hingewiesen. Es ist völlig klar, dass wir von
der SPD-Bundestagsfraktion sie dabei weiterhin tatkräftig unterstützen werden.
({0})
Mir scheint es wichtig und notwendig, über das quantitative Problem, das an der einen oder anderen Stelle beWilli Brase
steht, hinauszuschauen. Die aktuelle Entwicklung zeigt
einmal mehr die extreme Konjunkturabhängigkeit der
Ausbildungsplatzentwicklung, die Konjunkturabhängigkeit der beruflichen Bildung. Wir müssen erleben, dass
die Zahl der Ausbildungsplätze nach wie vor von der
Auftragslage abhängig ist und offensichtlich und tatsächlich in Teilbereichen eine Kostenfrage darstellt.
Die Antwort der Opposition, aber auch vieler Wirtschaftsverbände auf dieses Kostenproblem ist unter anderem ein Konzept aus der Mottenkiste, nämlich die Absenkung der Ausbildungsvergütung. Ich halte es für ein
sehr ärmliches und erbärmliches Argument, jungen Erwachsenen, die auf dem Weg in die berufliche Qualifizierung auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Weg in ein neues
Leben sind, zu sagen: Wir müssen deine Ausbildungsvergütung kürzen, damit weitere junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen. - Meine Güte, sollen die jungen Leute demnächst noch Geld mitbringen, wie es in
vorherigen Jahrhunderten der Fall war? Das werden wir
entschieden ablehnen.
({1})
Dass unsere Position richtig ist, sieht man daran, dass
das Handwerk in den Jahren 1998 bis 2002 zwar einen
Arbeitsplatzverlust von 14,7 Prozent, aber einen Ausbildungsplatzverlust von 18,1 Prozent zu verzeichnen hatte.
Man kann nicht sagen, dass aufgrund der Kostenstruktur
allein Arbeits- und Ausbildungsplätze abgebaut wurden.
Gerade im Bereich der Ausbildung zeigt sich, dass es
immer stärker Qualifizierungen gibt, die manche kleine
Unternehmen und Handwerksbetriebe nicht erbringen
können. Sie haben sich deshalb aus der Ausbildung zurückgezogen. Wir müssen auf diese Tatsache reagieren,
indem wir durch Verbundmaßnahmen und -lösungen
wieder mehr kleinere Unternehmen für die Ausbildung
gewinnen. Ich bin sicher, das wird uns auch gelingen.
({2})
Ich halte auch nichts davon, dass wir generell, wie
manche es fordern, eine grundsätzlich verkürzte zweijährige Ausbildung als Ziel anstreben. Hier wird wenig
Substanz weitergegeben. Außerdem gibt es genug verkürzte Ausbildungsgänge, die teilweise gar nicht genutzt
werden. Es ist wichtig, den jungen Leuten in unserer Republik zu sagen: Wir wollen, dass ihr eine gute Qualifikation für euer Arbeitsleben erhaltet und ihr euch auf
diese Weise eine gute Grundlage für lebensbegleitendes
Lernen aufbaut. Deshalb sind wir gegen eine generelle
Ausbildungsverkürzung auf zwei Jahre.
({3})
Ich will einen dritten Punkt ansprechen, der häufig
vergessen wird. Das Bundesinstitut hat im Jahr 2000
- ich werde nicht müde, dies immer wieder zu sagen verglichen, wie die finanziellen Belastungen im Bereich
der beruflichen Bildung verteilt waren. Hier mussten wir
für das Jahr 2000 feststellen, dass die öffentliche Hand
insgesamt 11 Milliarden Euro und die beteiligten Unternehmen etwas über 14 Milliarden Euro für den Bereich
der beruflichen Bildung ausgegeben haben. Man muss
kein Prophet sein, um zu sagen: In den Jahren 2001 und
2002 ist der öffentliche Anteil größer geworden.
Allein vor diesem Hintergrund sage ich: Es kann
nicht sein, dass die selbst gewollte Verantwortung im
Bereich der beruflichen Erstausbildung schleichend auf
die öffentliche Hand geschoben wird
({4})
und wir in Ostdeutschland bei den meisten Ausbildungsstellen öffentliches Geld von Bund, Ländern und der
Bundesanstalt ausgeben müssen. Das ist schon ein
Grund, um darüber nachzudenken, wie zukünftig die berufliche Bildung solidarisch finanziert werden kann.
Warum sollten wir nicht die Unternehmen, die ausbilden, finanziell unterstützen, und von den Unternehmen,
die einen Nutzen davon haben, sozusagen Trittbrettfahrer sind, einen kleinen Beitrag verlangen, damit alle wieder ein vernünftiges Angebot erhalten?
({5})
Meine letzte Bemerkung: Es ist schon interessant,
dass manche meinen, das JUMP-Programm, das weit
mehr als eine halbe Million Jugendliche betrifft, immer
wieder infrage stellen zu müssen.
({6})
Über 60 000 Erstausbildungsplätze haben wir mit diesem Programm in den letzten Jahren finanziert.
({7})
Nehmen Sie zur Kenntnis, dass mit diesem Programm
erstmals junge Leute, die mehr als zwei Jahre nicht mehr
bei den Arbeitsämtern gemeldet waren, in den Jahren
1999 und 2000 auftauchten. Sie wollten an dem Programm teilhaben und arbeiten, weil sie arbeiten können.
Schon allein deshalb war es sinnvoll, dieses Programm
auf den Weg zu bringen.
({8})
So können wir endlich aus der Dunkelziffer herauskommen; denn wir wollen die Wirklichkeit sehen. Vor diesem Hintergrund war das Programm richtig und wir werden es fortführen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Uwe Schummer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Wir haben
zwei Rekorde dieser Regierung zu verzeichnen: Es gibt
486 200 arbeitslose Jugendliche im Mai. Das ist der
höchste Stand der Jugendarbeitslosigkeit in der Geschichte Deutschlands. Gleichzeitig hatten wir 43 500 betriebliche Insolvenzen im letzten Jahr zu verzeichnen.
Auch das ist ein Rekord in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
({0})
Herr Tauss, das einfache volkswirtschaftliche Einmaleins besagt, dass beide Rekorde in direktem Zusammenhang stehen: hinter 43 500 betrieblichen Insolvenzen
stehen über 400 000 vernichtete Arbeits- und Ausbildungsplätze.
({1})
Gerhard Schröder ist der traurige Rekordkanzler dieser
Republik.
Den Betrieben fehlen offenkundig Aufträge: Ein
Handwerksbetrieb, der für die nächsten drei Monate
keine Aufträge hat, der kann sich nicht für die nächsten
drei Jahre an einen Auszubildenden binden. Es bedarf
der Perspektive für das Unternehmen, damit Perspektiven für die Menschen geschaffen werden können.
({2})
Der größte Kostentreiber ist die hohe Arbeitslosigkeit. Sie haben es trotz aller Ankündigungen nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. 4 Millionen
Arbeitslose bedeuten 90 Milliarden Euro Leistungsausgaben und fehlende Steuer- und Beitragseinnahmen jährlich. Das ist der Beginn der Kettenreaktion erodierender
sozialer Sicherungssysteme. Die mangelnde Ausbildungsbereitschaft der Betriebe ist ein Spiegelbild der
von Ihnen zu verantwortenden miserablen wirtschaftlichen Lage. Diese Lage ist konkret in Ihrer Wirtschaftspolitik begründet.
({3})
Leider ist der Wirtschaftsminister, der als Supermann
angekündigt wurde, wieder abgetaucht. - Herr Clement,
Sie sind noch anwesend; das finde ich sehr gut. Sie müssen einen Politikwechsel vollziehen, weil Sie nur so für
die Menschen in Deutschland eine Perspektive schaffen
können.
({4})
Wenn man mit den Unternehmern redet, stellt man
fest, dass es um die mangelnde Verlässlichkeit dieser Politik geht. Sie geben heute ein Versprechen und brechen
es morgen. Wenn die Grundlage für politisches Vertrauen im Kern zerstört ist, dann hilft im Grunde nur
noch der Regierungswechsel.
({5})
Wir brauchen eine andere Politik. Entweder machen Sie
eine andere Politik oder Sie werden in drei Jahren nicht
mehr dort sitzen.
({6})
- Herr Tauss, auch wenn Sie ein Mikro verschluckt haben, sollten Sie etwas mehr Niveau in Ihre Zwischenrufe
bringen.
({7})
Neben der großen politischen Aufgabe müssen wir
uns auch um Details kümmern. Die Regierung hat in der
Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt,
dass 70 Prozent derjenigen, die über das JUMP-Programm gefördert werden, in die verzögerte Arbeitslosigkeit und nicht in eine reguläre Beschäftigung gehen, sich
also in einer Warteschleife befinden. Die Mittel aus dem
JUMP-Programm sollten in konkrete Maßnahmen zur
Unterstützung betrieblicher Ausbildungsplätze umgeschichtet werden. Unternehmen könnten beispielsweise
von den Sozialversicherungsbeiträgen für ihre Auszubildenden anteilig entlastet werden.
({8})
Lassen Sie uns auch darüber nachdenken, das, was
die IG BAU mit den Arbeitgebern im Baubereich bereits
beschlossen hat, nämlich die Ausbildungsplatzvergütungen um 20 Prozent zu senken, im großen Stil zu tun.
Durch die Einsparungen können zusätzliche Ausbildungsplätze geschafft werden. Was die Gewerkschaften
machen, sollten Sie als Sozialdemokraten zumindest einmal zur Kenntnis nehmen.
Sie haben die Umlagefinanzierung im Baubereich angesprochen. Sie müssen doch wissen, dass trotz dieser
Umlagefinanzierung im Baubereich die meisten Ausbildungsplätze abgebaut werden. Zwangsabgaben schaffen
keine Ausbildungsplätze. Trotz Umlagefinanzierung
wurden im Baubereich keine Ausbildungsplätze geschaffen. Das ist die Lehre, die wir daraus ziehen müssen.
Sie wissen genau, dass das Handwerk „Ausbildungsmeister“ ist.
({9})
- Ein bisschen netter und freundlicher bitte. Man sollte
sich Argumente erst einmal anhören, ehe man darauf reagiert.
({10})
Greifen Sie im Bereich des Handwerks unseren Vorschlag auf: Erkennen Sie neben der Gefahrenabwehr die
massive Ausbildungsleistung des Handwerks an und treUwe Schummer
ten Sie für die Beibehaltung des Meisterbriefs für bestimmte handwerkliche Berufsbereiche ein. So würden
wir gemeinsam einen Wettbewerb starten. Diese Berufsbereiche könnten den Meisterbrief als Zugangsvoraussetzung erhalten. Wir hätten dann einen Wettbewerb um
mehr Ausbildungsplätze und würden das tun, was im
Sinne sozialer Marktwirtschaft richtig ist, nämlich den
Wettbewerb instrumentalisieren, um mehr betriebliche
Ausbildungsplätze zu schaffen.
Sorgen Sie dafür, dass das Handwerk auch weiterhin
„Ausbildungsmeister“ bleiben kann. Dadurch sichern
Sie, dass auch zukünftig betrieblich und nicht in Warteschleifen ausgebildet wird.
({11})
Das Wort hat jetzt der Kollege Bertl für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein trauriges Bild von Opposition, das Sie hier abgeben:
({0})
Sie ergehen sich in Zahlenspielen und reklamieren den
Abbau von so genannten bürokratischen Hemmnissen
- natürlich mit Ausnahme der Handwerksordnungen -,
aber das war es. Wir alle wissen: Denjenigen, die in diesem Jahr die Schulen verlassen werden, ist nur dann geholfen, wenn diejenigen, die Ausbildungsstellen zur Verfügung stellen können, dies auch in ausreichender Zahl
tun.
Es hilft nicht - das ist ein immer wiederkehrendes
Ritual -, wenn die Opposition hier einen ganzen Katalog
von abzubauenden Hemmnissen nennt. Glauben Sie im
Ernst, meine Damen und Herren, dass das Betriebsverfassungsgesetz Ausbildung behindert? Glauben Sie
wirklich, dass die Zeit, die junge Menschen in den Berufsschulen verbringen, Ausbildung behindert? Sind Sie
wirklich davon überzeugt, dass die Ausbildungsvergütung ein wesentliches Hemmnis ist? Ist der Jugendarbeitsschutz das Problem? Ernsthaft glaubt das keiner.
Bei dieser Position, die doch von einigen vertreten wird,
entstehen für mich sehr viele Fragezeichen.
Ich will von dieser Stelle aus zunächst einmal denjenigen Anerkennung aussprechen, die im dualen System
ausbilden,
({1})
die sich für junge Menschen verantwortlich fühlen und
dafür auch den Aufwand, den Ausbildung ausmacht, auf
sich nehmen. Sie zeigen, dass sie an die Zukunft ihres eigenen Unternehmens glauben und dass sie nicht auf die
Kurzfristigkeit von Konjunkturzyklen schielen. Sie sehen in gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Perspektive nicht nur für sich und ihr Unternehmen, sondern auch für diejenigen, die sie beschäftigen.
Das Wahrnehmen von Verantwortung für berufliche Bildung kann und darf nicht von Konjunktur oder den
Schulnoten abhängig gemacht werden.
({2})
Wenn über 1,7 Millionen Menschen in über 620 000 Betrieben ausgebildet werden, zeigt das, dass zumindest
30 Prozent der Unternehmen der deutschen Wirtschaft
wissen, dass sie nur mit qualifizierten Mitarbeitern und
intelligenten Produkten und Dienstleistungen Bestand im
Wettbewerb haben. Doch wo und wie sehen die anderen
ihre Unternehmensperspektive? 70 Prozent der deutschen Wirtschaft beteiligen sich nicht an Ausbildung. Wir
wissen, dass sich circa 650 000 ausbildungsberechtigte
Unternehmen nicht an Ausbildung beteiligen. Reicht als
Begründung die Höhe der Ausbildungsvergütung? Sie ist
Sache der Tarifpartner.
Es gibt intelligente Lösungen, um den Aufwand für
die Unternehmen zu verringern und sogar die Qualität
von Ausbildung zu verbessern. Zurzeit gibt es in
Deutschland circa 350 Ausbildungsverbünde, die übrigens mit 11 Millionen Euro von öffentlicher Seite gefördert werden. Ist das nicht eine bessere Antwort für diejenigen, die zurzeit nicht ausbilden - aus welchen
Gründen auch immer -, als die Berufsschultage, das Betriebsverfassungsgesetz, die Ausbildungsvergütung oder
die Schulnoten von Jungen und Mädchen in den Mittelpunkt einer wirklich fadenscheinigen Begründung zu
setzen?
Ist es wirklich richtig, wenn die Bundesregierung
massiv den Hinweis gibt, nach dem 30. September eine
Lösung für mehr Ausbildung im dualen System zu präsentieren, die dann diejenigen entlastet, die ausbilden,
schon jetzt von der Ankündigung eines der größten Ausbildungshemmnisse zu sprechen? Diese wäre vermeidbar, wenn sich mehr als die 30 Prozent der Wirtschaft
besinnen würden und mit Inanspruchnahme der vielfältigen ausbildungsbegleitenden Hilfen, die die Ausbilder
entlasten - ich habe die Verbundausbildung angesprochen -, zur Ausbildung bekennen und letzten Endes
auch ausbilden würden.
({3})
Eine weitere Frage ist angebracht: Was empfinden
zurzeit über 150 000 junge Menschen - auch ihre Eltern
und ihre Freunde -, wenn sie erleben, dass sie in den Arbeitsämtern das ratlose Achselzucken der Ausbildungsvermittler als einzige Antwort auf ihre Suche nach Ausbildung - dem wirklich wichtigen Schlüssel für Teilhabe
an unserer Gesellschaft - zur Kenntnis nehmen müssen?
Und das in einem Land, das nach wie vor nicht am Abgrund steht, das nach wie vor sogar eine der reichsten
Volkswirtschaften der Welt ist. Glauben Sie wirklich,
dass so etwas junge Menschen motiviert, positiv einstellt
gegenüber unserem Land und unseren solidarischen Systemen, zu denen sie später ihre Leistungen zu erbringen
haben?
Die Frage eines ausreichenden Angebots an Ausbildungsplätzen im dualen System, in den Betrieben
und Unternehmen, darf nicht zu einer verkrampften und
fragwürdigen Diskussion im Bundestag werden. Es ist
die Aufgabe, ja sogar die Pflicht der Bundesregierung,
alles zu unternehmen, damit die Wirtschaft ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen zur Verfügung
stellt.
({4})
Es ist aber auch die Pflicht der Opposition, sich einer
solchen Frage zu stellen und daran mitzuwirken, dass
dieser Weg erfolgreich wird.
Ich will zum Abschluss einen Punkt ansprechen, der
sicherlich ein Stück weit hinterfragt werden kann. Auf
die Frage, ob es in unserem Land nötig sein muss, dass
Minister und der Regierungschef von Betrieb zu Betrieb
eilen und um Ausbildungsplätze bitten müssen, sage ich:
Wenn es hilft, dann tun sie es. Aber dann muss auch die
Opposition diesen Weg mitgehen. Diskreditieren Sie
nicht die Maßnahmen, die wir insbesondere zur Hilfe für
die jungen Menschen auf den Weg gebracht haben, die
Schwierigkeiten haben, in Ausbildung zu kommen. Ich
finde es schon faszinierend, wie viele Kolleginnen und
Kollegen der Opposition an den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit Briefe geschrieben haben mit der massiven Bitte, die berufsvorbereitenden Maßnahmen in ihrem Wahlreis nur ja aufrechtzuerhalten,
({5})
die dann hier im Deutschen Bundestag aber die Jugendsofortprogramme reklamieren und diskreditieren. Seien
Sie in diesem Punkt doch bitte ehrlich und unterstützen
Sie die richtigen Bemühungen der Bundesregierung! Gehen Sie als Opposition diesen Weg konstruktiv mit!
Vielen Dank.
({6})
Nun erteile ich dem Kollegen Werner Lensing für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Clement, Sie sprachen vorhin
wiederholt davon, dass wir Polemik bitte aus der Debatte
heraushalten sollten. Für diesen Appell habe ich großes
Verständnis.
Das darf aber nicht dazu führen, dass wir es nicht als
traurig, unglaublich und auch unverantwortlich empfinden, dass wir immer wieder betrachten müssen, wie
nicht zuletzt Ihre Regierung von den selbst verdrängten
Problemen überrascht wird. Während Sie sich nämlich
beispielsweise mit Minister Eichel und Frau Schmidt
noch immer um die Umverteilung nicht vorhandener
wirtschaftlicher Güter streiten, holt uns das Problem der
fehlenden Ausbildungsplätze zum Ende eines Schuljahres geradezu wie nach einem Ritual immer wieder ein.
({0})
Jedes Jahr gibt es die gleichen Rituale:
({1})
Ausbildungsgipfel, Ausbildungsgarantien, Forderungen
nach Bündnissen, Werbekampagnen und neuerdings
auch Drohungen an diejenigen, die bisher die Hauptlast
der Ausbildung getragen haben. Wer nicht ausbildet,
wird mit staatlichen Sanktionen belegt. Basta! Wir nennen das ein Sündenbock-Syndrom. Das ist kontraproduktiv.
({2})
Wir wiederholen unsere Kritik bezüglich der Ausbildungsabgabe nicht, weil wir Freude daran haben, sondern weil wir leider erkennen müssen, dass diese Abgabe unter anderem aus den Gründen, die wir eben
schon gehört haben, kein geeigneter Weg sein kann. Sie
folgen bei dieser Philosophie der Sozialabgaben und
Ausbildungsabgaben vor allen Dingen der sozialdemokratischen Irrlehre, dass Arbeit und Ausbildung konstante Größen in der Volkswirtschaft sind, die es allein
durch die Politik zu verteilen gilt. Genau das ist elendig
falsch und kann nicht gelten.
({3})
Ich möchte das ganz konkret an einem Beispiel deutlich machen: Die Abgabe, die man berechnen muss, verschlingt Aufkommen. Die Alternative, eine bestimmte
Ausbildungsquote als Maßstab für die Abgabenerhebung
zu verwenden, verlangt einen bürokratischen Aufwand,
der einen Großteil des Abgabenaufkommens beanspruchen würde. Für sämtliche 2,45 Millionen Betriebe
müssten wir nämlich die Sollstärke der Zahl der Auszubildenden errechnen, die Differenz zur Istgröße bilden
und daraus eine Zahlungsverpflichtung berechnen.
({4})
Da die Industrie- und Handelskammern nicht über aktuelle Beschäftigungszahlen verfügen, wäre ohne die
Amtshilfe der Bundesanstalt für Arbeit eine Berechnung
zudem nicht möglich. Ohne eine gesetzliche Regelung
ist wiederum ein Datenabgleich nicht denkbar. Das kann
in einer zu belebenden Wirtschaft kein Rezept sein.
({5})
Ein Letztes zu diesem Bereich:
({6})
Durch Zwang entstehen keine Ausbildungsplätze, sondern noch mehr Arbeitslose, vor allen Dingen jugendliche Arbeitslose.
({7})
Ich komme zu den Betrieben. Schon jetzt tragen die
Betriebe gewaltige Lasten. Laut Berufsbildungsbericht
gaben diese im Jahre 2002 über 27 Milliarden Euro für
die Berufsausbildung im dualen System aus. Das ist weit
mehr, als Bund und Länder beispielsweise für Teilzeitberufsschulen, für Berufsausbildungsbeihilfen oder für
Sonderprogramme einbrachten.
({8})
Ich möchte auch Folgendes einmal sagen: Die Wirtschaft lebt unter anderem davon, dass man bereit ist,
Risikokapital zur Verfügung zu stellen. Gerade hier fehlt
es aber an allen Ecken und Enden, sodass selbst das Bemühen um Hilfe - in diesem Fall die Einstellung von
Lehrlingen - scheitern würde.
Ich unterbreite gerne meinen Vorschlag. Es ist besser,
all jenen, die einen Lehrling einstellen, einen Pauschalbetrag zur steuerlichen Entlastung anzubieten, anstatt
diesen am Ende gar noch mit Zwangsabgaben zu drohen.
({9})
Das würde im Übrigen die Stimmung im Mittelstand
ganz eindeutig verbessern.
Mein Fazit: Erstens. Ich bin davon überzeugt: Bevor
wir uns - mit oder ohne Polemik - überhaupt Gedanken
machen, brauchen die kleinen und mittleren Unternehmen zuallererst eine beschäftigungs- und ausbildungsfördernde Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Zweitens. Wichtig ist die Abkehr von der Förderung nach
dem Gießkannenprinzip. Notwendig ist vielmehr eine
zielgenaue Förderpolitik, die Investitionsaktivitäten anregt.
({10})
Drittens. Wir brauchen schließlich neue und flexibel einsetzbare Ausbildungsberufe, um neues Ausbildungspotenzial erschließen zu können.
Herr Kollege, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich wollte meine Rede gerade mit einem Dank an die
Zuhörer beenden, Herr Präsident.
({0})
Eine so prompte und großzügige Reaktion ist selten
und verdient deswegen besondere Anerkennung.
Nun hat die Kollegin Karin Roth, SPD-Fraktion, das
Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Es ist in der Tat so, dass die Lage
auf dem Ausbildungsmarkt sehr besorgniserregend ist.
Die Diskussion darüber vermittelt aber leider nicht den
Eindruck, dass wir alle die gleichen Sorgen haben. Ich
habe vielmehr den Eindruck: Insbesondere die Opposition macht den Versuch, dieses Thema populistisch so zu
handhaben, dass diese Diskussion am Ende auf dem Rücken der jungen Menschen ausgetragen wird. Genau das
Gegenteil wollen wir, wie Minister Clement in seiner
Rede deutlich gemacht hat.
Es geht uns darum, dass im Bereich der Ausbildungsplatzinitiativen von allen Akteuren gemeinsam gehandelt wird. Wir alle müssen dieses Problem gemeinsam
lösen, weil wir den jungen Menschen, die wir dabei im
Blick haben, Zukunftsperspektiven geben müssen.
Frau Pieper, Ihnen muss ich sagen: Es geht nicht nur
um Deregulierung. Man muss Maßnahmen schaffen, die
dazu beitragen, vor allen Dingen den Jugendlichen eine
Perspektive zu geben. Das machen wir, zum Beispiel mit
unserem JUMP-Programm.
Keine Frage: Es ist nicht nur für die Zukunft schlecht,
dass 70 Prozent der Unternehmen nicht ausbilden. Eigentlich müssten alle Unternehmen, die dazu befähigt
sind, ausbilden. Das würde der Zukunftsverantwortung
der Unternehmen gerecht. Es müsste auch im Sinne der
Opposition sein, diese Verantwortung einzufordern. Ich
erinnere an die Selbstverpflichtung der Wirtschaft im
Zusammenhang mit dem Bündnis für Arbeit. Die Verpflichtung lautete - ich zitiere aus dem Protokoll -, dass
diejenigen, die ausbilden können, einen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen sollen, und dass vor allen
Dingen die Jugendlichen - das ist das Wichtige - das
Recht auf einen Ausbildungsplatz haben. Das heißt, dies
war Konsens. Von diesem Konsens wird jetzt abgewichen. Jeder versucht, sich aus der Verantwortung zu
stehlen.
Ich hoffe, dass es uns mit der Initiative der Bundesregierung gelingt, die Unternehmen in ihrem eigenen Interesse zur Vernunft zu bringen. Es ist doch zwischen allen
Fraktionen unbestritten, dass es im Eigeninteresse der
Unternehmen liegt, Ausbildung zu organisieren.
({0})
Ausbildung ist nicht nur eine Last; sie ist vor allen Dingen eine Zukunftsinvestition. Diese Zukunftsinvestition
müssen auch die Unternehmen organisieren.
Herr Lensing, damit wir uns über die von Ihnen präsentierten Zahlen im Klaren sind: Das, was Sie uns genannt haben, war nicht richtig. Sie haben die Bruttokosten angeführt. Ich aber rede von den Nettokosten. Das ist
nämlich das Entscheidende. Es ist nun einmal so, dass
die Wirtschaft 14,7 Milliarden Euro und der Staat
11 Milliarden Euro in die Ausbildung investieren. Die
Ausbildung ist also im wahrsten Sinne des Wortes dual
organisiert; nicht mehr und nicht weniger. Von daher
müssen wir jetzt überlegen: Wie schaffen wir es, dass
sich die Unternehmen in diesem Bereich stärker engagieren? Es kann doch nicht sein, dass 30 Prozent der Unternehmen die Lasten aller übernehmen. Das ist keine
Solidarität der Unternehmen untereinander, sondern das
ist egoistisch und auf Dauer nicht zu vertreten.
({1})
Karin Roth ({2})
Ich stimme der Aussage der Kollegin vom Bündnis 90/
Die Grünen zu, dass wir den Ausbildungsmarkt konjunkturunabhängiger machen müssen, weil es nicht gut
ist, dass wir dieses Thema alle Jahre wieder auf der Tagesordnung haben und wir Parlamentarier uns wie Bettelleute vorkommen, die um Ausbildungsplätze und um
die Zukunft der jungen Leute betteln. Deshalb müssen
wir darüber nachdenken, wie wir das besser und konjunkturunabhängiger machen können. Das ist unsere
politische Verantwortung. Es geht um die Rahmenbedingungen, die auch wir setzen.
Es gibt schon positive Beispiele. Niedersachsen und
der Tarifvertrag der IG BCE sind schon genannt worden.
Das sind alles Initiativen, die in die richtige Richtung gehen und mit denen die Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden.
Wir von der Politik haben zu verantworten, dass die
Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz erhalten, wenigstens die Maßnahmen bekommen, die notwendig
sind, um sie zu fördern. Denken Sie an das JUMP-Programm, die Berufsvorbereitungslehrgänge und die Förderlehrgänge für benachteiligte Jugendliche. Es liegt in
unserer Verantwortung, diese Maßnahmen zu gewährleisten, denn die jungen Menschen, die wir nicht in diese
Ausbildung bringen, würden sonst auf der Straße stehen
und unsere Gesellschaft in einer anderen Weise belasten.
Dann würden wir alle lamentieren und diese Jugendlichen als verlorene Generation bezeichnen.
Daher haben wir alle gemeinsam die Verantwortung,
dass wir auch die flankierenden Maßnahmen der Bundesregierung wie zum Beispiel das Sonderprogramm
JUMP plus oder auch die Bund-Länder-Programme weiter durchführen, zwar nicht in dem Sinne, dass sie eine
Alternative wären; aber solange die Ausbildungsplatzsituation so ist, müssen wir diese Programme additiv
durchführen.
Mein Appell an die Opposition lautet: Versuchen Sie
nicht auf dem Rücken der jungen Leute zu polemisieren.
({3})
Versuchen Sie vor Ort gemeinsam mit den Profis der Regionen die Lage zu verbessern.
({4})
Nun hat der Kollege Kretschmer für die CDU/CSUFraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lehrstellensituation ist deutschlandweit schon als dramatisch
zu bezeichnen. Ich frage mich, welches Attribut passt für
die neuen Bundesländer.
Aktuell haben wir 171 000 Lehrstellensuchende. Davon kommt etwa die Hälfte, 85 000, aus den neuen Bundesländern. Seit dem Zusammenbruch der Industriestruktur mit der Wiedervereinigung ist der Lehrstellenmangel
für uns schmerzlicher Alltag. Doch zwei Ursachen sorgen derzeit dafür, dass für viele Schulabgänger überhaupt
keine Chance mehr besteht, einen Beruf zu lernen.
Das eine ist der zum Stillstand gekommene Wirtschaftsaufschwung in den neuen Bundesländern. Ja, wir
haben sogar einen Abschwung zu verzeichnen, der das
ohnehin geringe Angebot an Lehrstellen reduziert.
Hinzu kommt, dass die Probleme in den alten Bundesländern immer stärker werden und viele Jugendliche, die
die Ausbildung im Westen gesucht haben, dazu keine
Chance mehr haben.
Im März 2002 gab es laut Bundesanstalt für Arbeit in
den alten Bundesländern noch deutlich mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Seit März 2002 geht die
Schere immer weiter auseinander. Es ist schon oft gesagt
worden, aber ich möchte es noch einmal betonen: Ausbildung ist eine Investition sowohl für die Jugendlichen
als auch für die Unternehmen.
({0})
Für Unternehmen heißt das: Wenn die Zeiten schlechter
werden, wenn es Insolvenzrekorde gibt, wenn die Arbeitslosenzahlen in ungeahnte Höhen steigen, wenn die
Umsätze sinken und der Staat große Steuereinbrüche hat,
dann hat das Folgen für die Wirtschaft und bedeutet in
dem Fall einen Rückgang der Zahl der Ausbildungsplätze. Das kann nicht anders sein. Der Wunsch nach einem konjunkturunabhängigen Angebot an Ausbildungsplätzen ist eine abstruse Vorstellung, planwirtschaftlich,
völlig unsinnig.
({1})
Nein, meine Damen und Herren, Sie müssen eine Wirtschaftspolitik betreiben, die dafür sorgt, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und es zu einem Wirtschaftsaufschwung kommt. Dann klappt es auch wieder mit der
Ausbildung.
Das JUMP-Programm - die Frau Bundesministerin
ist nicht da, aber Herr Matschie kann es ihr ausrichten hat versagt und JUMP plus ist eine 300 Millionen Euro
teure Nebelkerze.
({2})
- So ist es. Ich habe Ihnen letztes Mal auch deutlich gesagt, wie es bei uns wirkt. Wir haben in unseren Wahlkreisen eine Reihe von Anhörungen durchgeführt. Alle,
die daran teilgenommen haben, haben festgestellt, dass
es zwar Elemente der Eingliederung gebe, die zweifellos
zu begrüßen seien, dass aber das Programm insgesamt
sein Ziel verfehle. Dafür wird 1 Milliarde Euro pro Jahr
verpulvert, die an anderen Stellen fehlt.
({3})
Im Rahmen von JUMP plus sollen 350 Fallmanager
100 000 Jugendliche, die zum Teil fünf Jahre ohne regelmäßige Beschäftigung waren und die sich am sozialen
Rand bewegen, betreuen. Glauben die Ministerin und
das Ministerium tatsächlich, dass das funktionieren
kann? Glauben Sie, dass 350 Mitarbeiter, die über
181 Hauptämter der Bundesanstalt für Arbeit mit Dutzenden von Geschäftsstellen verteilt sind, reichen, um
dieses Ziel zu erreichen?
({4})
Wir glauben das nicht. Wir sind auch nicht der Meinung,
dass wir unbedingt mehr Geld brauchen, um die vorhandenen Probleme zu lösen. Wir brauchen vielmehr eine
vernünftige Wirtschaftspolitik und eine Bundesregierung, die sich intern einig ist.
({5})
Wenn Sie sich im Internet über die Ausbildungsinitiative 2003 informieren, dann stellen Sie fest, dass jeder
seine eigene Spielwiese eröffnet hat. Sei es das BMWA
oder das BMBF - jeder macht mit; es werden Reisen
quer durch das Land unternommen. Das ist ein furchtbarer Zustand. So kann das Vorhaben nicht funktionieren.
Es kommt noch etwas hinzu: Wir haben im letzten
Herbst und Winter deutlich zum Ausdruck gebracht,
dass das Ausbildungsprogramm Ost in Anbetracht der
Situation erweitert werden muss. Es war seinerzeit völlig
klar, wie sich die Situation im März bzw. in diesem Juni
darstellen würde. Sie haben unsere Forderung abgelehnt
und darauf hingewiesen, dass es bei 12 000 geförderten
Lehrstellen bleibt. Erst vor wenigen Wochen sind Sie
eingeknickt.
Ich erinnere Sie an das Beispiel Geringverdienergrenze. In der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf
unsere Anfrage hieß es, es gebe kein Problem damit; es
gebe kaum Auszubildende in dem Bereich zwischen
325 und 400 Euro. Mittlerweile ist festzustellen, dass die
Anhebung der Geringverdienergrenze allein in Sachsen
eine Mehrbelastung in Höhe von 10 Millionen Euro pro
Jahr zur Folge hat.
Noch am 26. März war das Wirtschaftsministerium
der Meinung, es gebe kein Problem und es bestehe kein
Handlungsbedarf. Heute hat Staatssekretär Matschie im
Ausschuss angekündigt, dass die Maßnahme zum
1. September zurückgenommen wird. Ich frage Sie: warum nicht gleich? Was ist mit dem Zeitraum zwischen
dem 1. April und dem 1. September, in dem die Geringverdienergrenze noch gilt? Was ist mit dem finanziellen
Mehraufwand, der damit verbunden ist?
({6})
Was ist das für eine Politik, die bei einem Lehrstellenmangel weitere Belastungen schafft und damit die
Chance auf Ausbildung noch weiter reduziert?
Wir befinden uns in einer schlimmen Zeit. Sie aber
versuchen, die Probleme, die Sie mit Ihrer Wirtschaftspolitik selbst verursacht haben, auf anderem Wege zu lösen. Das wird aber nicht funktionieren. Es wird vielmehr
die Probleme noch vergrößern. Hören Sie damit auf und
kehren Sie auf den Boden der Tatsachen zurück! Beseitigen Sie die Ursachen dort, wo sie entstanden sind, nämlich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik!
({7})
Ich erteile dem Kollegen Ernst Küchler von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der bereits mehrfach beschriebenen desolaten
Ausbildungsplatzsituation gerät eine Gruppe von Jugendlichen in besondere Bedrängnis, nämlich die Jugendlichen mit Einstellungs- oder Ausbildungshindernissen, die Handicaps aufweisen oder die aus den
verschiedensten Gründen nicht oder noch nicht die Voraussetzungen mitbringen, eine reguläre Ausbildung anzutreten. Sie sind in der Schule gescheitert, haben nicht
die erforderliche Förderung in der Schule oder im Elternhaus erfahren oder müssen mit Behinderungen leben.
Die Anforderungen steigen. Der Verdrängungswettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt verschärft sich und
so bleibt eine wachsende Zahl benachteiligter Jugendlicher ohne Chance.
Bisher gab es eine große Zahl einschlägiger Maßnahmen der Berufsvorbereitung, der Beschäftigungsförderung, der Benachteiligtenförderung und der zweiten
Chance, etwa um den Schulabschluss nachzuholen.
Durch gezielte Förderung konnten Defizite abgebaut und
der Anschluss an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
geschafft werden.
Viele dieser Programme der Berufsvorbereitung, der
Jugendberufshilfe und des zweiten Bildungsweges wurden immer wieder kritisiert oder gar, wie heute noch,
diffamiert. Ich erinnere an die unsäglichen Debatten zum
JUMP-Programm. Diese Erfahrung haben wir nicht erst
heute gemacht. Heute Morgen noch haben wir im Ausschuss über einen FDP-Antrag zum Thema Ausbildungsplatzsituation diskutiert. In diesem Antrag ist von
der Wirkungslosigkeit und Erfolglosigkeit des JUMPProgramms die Rede.
({0})
Hunderttausenden von Jugendlichen hingegen haben
diese Programme geholfen, Anschluss zu finden, und haben ihnen eine zweite oder gar dritte Chance eröffnet.
Diese Maßnahmen hatten und haben eine Brückenfunktion.
({1})
Dennoch wurden die grundlegenden Probleme dieses
der Ausbildung vorgelagerten Bildungsbereichs bisher
nicht bewältigt. Zum einen sind die Defizite im schulischen System zu nennen: Inzwischen verlassen rund
10 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss,
und dies mit wachsender Tendenz. Zum anderen waren
und sind die berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen
unzureichend und ungesichert finanziert. Eine Patchworkfinanzierung aus Mitteln der Arbeitsverwaltung,
der Länder, der Kommunen und der EU mit kurzen
Laufzeiten ermöglicht keine verlässliche und dauerhafte
Planung und keine hinreichende Professionalität. Dies
schlägt auf die Qualität dieser Maßnahmen durch. Viele
Beschäftigte bei den zahlreichen Trägern, die sich mit
viel Kreativität und hohem Engagement der Jugendlichen angenommen haben, arbeiten selbst in ungesicherten und befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Sie
sind sozusagen selbst Teil dieses fragilen Systems der
Beschäftigungsförderung.
In diesem Jahr hat sich - auch angesichts der Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit - die Situation für die Träger und für die Jugendlichen noch einmal
verschärft. Nur dank zahlreicher Initiativen seitens der
Träger und der Politik ist es inzwischen gelungen, zumindest die Zahl der Plätze in diesen Maßnahmen zu sichern. Das wird jedoch nicht ausreichen.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich wende mich
nicht gegen eine kritische Überprüfung der Qualität und
der Effektivität solcher Maßnahmen. Der Aufwand muss
in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag, also zum
Eingliederungserfolg, stehen. Aber verzichten können
wir auf diese Bildungsmaßnahmen nicht.
({2})
Im Gegenteil, wir werden sie ausweiten und auf eine gesicherte Grundlage stellen müssen. Nur so kann das Fördern und Fordern gleichermaßen gelingen; die Jugendlichen können nur dann gefordert werden, wenn wir ihnen
eine echte Chance geben.
Der Presse war zu entnehmen, dass nahezu 150 Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause in den letzten
Monaten auf Einladung zahlreicher Träger die entsprechenden Einrichtungen besucht haben. Sie werden wie
auch ich festgestellt haben, dass die Jugendlichen durchaus bereit und in der Lage sind, ihren Verpflichtungen
nachzukommen. Sie wollen eine Ausbildung und sind
bereit, selbst etwas zu tun, um die Voraussetzungen dafür zu erfüllen. Geben wir diesen Jugendlichen eine
Chance, geben wir ihnen eine Perspektive! Wir müssen
verlässliche Brücken zum ersten Ausbildungsmarkt
schlagen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Nun freuen wir uns auf die abschließenden, zusammenfassenden Zwischenrufe des Kollegen Tauss.
({0})
Herr Präsident! Ich werde mich bemühen, viele neue
Aspekte einzubringen und keine Zwischenrufe zu wiederholen.
Meine Damen und Herren! Jede bzw. jeder einzelne
Jugendliche, die oder der keinen Ausbildungsplatz bekommt, ist eine bzw. einer zuviel. Davon lassen wir uns
leiten; Sie hoffentlich auch. Dass die Wirtschaft die Verpflichtung zur Ausbildung hat, davon lassen wir uns
ebenfalls leiten; Sie hoffentlich auch.
Ich danke in diesem Zusammenhang Wolfgang Clement und Edelgard Bulmahn ganz ausdrücklich, die großes individuelles Engagement an den Tag legen, um
Ausbildungsplätze zu gewinnen. Dieses Engagement
kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
({0})
Hier geht es konkret um Ausbildungsplätze und nicht
um oppositionelles Gemosere. Hier geht es um junge
Menschen, aber natürlich auch um das künftige Bild von
beruflicher Bildung. Ich bin einmal gespannt, wie sich
Herr Müllermeister Glos, der uns leider seit geraumer
Zeit nicht mehr beehrt, in Bayern verhalten wird, wenn
wir über die Frage der Durchlässigkeit beruflicher Bildung und über die Aufwertung des Meisters reden.
({1})
- Frau Wöhrl, ich bin gespannt, wie sich das Land Bayern dann verhalten wird. Bisher hat es in diesem Bereich
immer blockiert.
Ich halte es für relativ merkwürdig, lieber Kollege
Kretschmer und andere, dass Sie es als nahezu normal
hinnehmen, dass sich die Betriebe in Zeiten einer
schwierigen Konjunktur Ausbildungszurückhaltung auferlegen.
({2})
Nein, diese Normalität sehen wir nicht; das ist kurzsichtig. Es sollte doch selbstverständlich sein, auch in einer schwierigen konjunkturellen Situation darüber nachzudenken, wie man Zukunftssicherung betreiben kann.
Betriebe, die aufgrund kurzfristiger konjunktureller
Überlegungen nicht ausbilden, handeln im Grunde genommen gegen ihre eigenen Interessen. Diese Betriebe
sollen ja keine sozialen Großtaten vollbringen, sondern
lediglich einen eigenen Beitrag für ihre Zukunft leisten.
Aber das wird von Ihnen ignoriert.
({3})
Das gilt erst recht für die neuen Bundesländer. Denn
dort gibt es einen Teufelskreis: Weniger Ausbildungsplätze führen zur Abwanderung junger Menschen, was
wiederum zur Schwächung ganzer Regionen beiträgt.
Aus diesem Grunde ist es noch kurzsichtiger, wenn man
die Zukunftschancen nicht nutzt. Aus dem gleichen
Grund bleibt eine staatliche Förderung unverzichtbar.
Ich bitte Sie, die staatliche Förderung nicht zu diskreditieren, sondern mit uns gemeinsam dafür zu sorgen, dass
diese Förderung auch in den neuen Bundesländern wieder reduziert werden kann. Dafür ist es aber notwendig,
dass auch die Betriebe in den neuen Bundesländern nicht
warten, bis Geld von uns kommt, um die Wirtschaft in
diesem Bereich zu unterstützen.
({4})
Wer nicht ausbildet, der sägt an dem Ast, auf dem er
als Unternehmer sitzt. Herr Rogowski hat völlig Recht,
wenn er sagt - ich hätte dieses Wort nie in den Mund
genommen -: Die Betriebe, die nicht ausbilden, verhalten sich parasitär. Das ist ein deutliches Wort.
({5})
Das - und keine Sonthofen-Strategie - hätte ich mir auch
von Ihnen gewünscht. Nach den Ausführungen, die Sie
heute gemacht haben, hat man fast den Eindruck, dass
Sie sich im Grunde genommen noch freuen, wenn die
Zahl der Ausbildungsplätze zurückgeht.
Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte aus meinem
Wahlkreis erzählen, hoffentlich, Herr Präsident, ohne jemanden zu langweilen. In der letzten Woche hat ein Betrieb, der als Garagenfirma gegründet worden war, sein
25-jähriges Jubiläum gefeiert. Er ist inzwischen zum
Weltmarktführer mit internationalen Produktionsstätten
und mit vielen Beschäftigten aufgestiegen. In der Festrede anlässlich des 25-jährigen Firmenjubiläums hat der
Seniorchef ausgeführt, er habe sich mit der Errichtung
der neuen Lehrwerkstatt einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Danach gab es ein zweitägiges Fest, auf dem
450 Menschen die neue Lehrwerkstatt begossen und gefeiert haben. Ich wünsche mir, dass sich der Geist dieses
Unternehmers - und nicht Ihre Miesmacherei - auch bei
der Unternehmerklientel durchsetzt, die Sie verteidigen,
wenn sie nicht ausbildet.
({6})
Nicht Jammern, sondern gemeinsames Handeln für
die jungen Menschen ist in diesen Zeiten erforderlich.
Wie das geht, macht die Bundesregierung mit Clement
vor. Sie sollten das Mosern lassen und stattdessen mitmachen. Das ist die bessere Alternative für die Jugend in
diesem Land. Ich sage Ihnen: Jeder Einzelne ohne Chancen ist einer zu viel. Sie sollten nicht versuchen, die momentane Lage parteipolitisch zu missbrauchen. Sie sollten vielmehr im Geiste des von mir angesprochenen
Unternehmers bei der Bewältigung der Probleme mithelfen.
Ich bedanke mich.
Herr Präsident, ich habe meine Redezeit nicht überschritten.
({7})
Herr Kollege Tauss, ich bestätige diese Vermutung
ausdrücklich. Ich war selten so zufrieden mit Ihnen wie
eben.
({0})
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit zugleich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.