Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Vierten Gesetzes
zur Änderung des Filmförderungsgesetzes.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Medien, Staatsministerin Dr. Christina Weiss.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Bundesregierung hat heute dem von der Beauftragten
der Bundesregierung für Kultur und Medien eingebrachten Entwurf der Novelle zum Filmförderungsgesetz zugestimmt. Dieser Gesetzentwurf, der in einem guten Zusammenspiel von Filmbranche und Politik entstanden
ist, ist ganz gewiss als ein Erfolg zu werten. Es gibt sicher wenige Gesetze, die aus einer so intensiven, offenen
und konstruktiven Diskussion zwischen Vertretern der
Wirtschaft, der Politik und der Verwaltung hervorgegangen sind.
Die Novelle des Gesetzes soll dazu beitragen, die
Mängel, die es im Bereich der deutschen Filmwirtschaft
gibt, zu beseitigen. Der deutsche Film ist bislang nicht in
ausreichendem Maße international orientiert. Der deutsche Film muss im Inland, vor allem aber im Ausland erfolgreicher werden. Dazu bedarf es weiterer qualitativer
Verbesserungen, auch und gerade im kreativ-künstlerischen Bereich, sowie einer Stärkung der Eigenverantwortung und der Eigenkapitalbasis der Produzenten.
Inhaltlich knüpft der Gesetzentwurf hier an. Es geht
darum, durch eine Reform des gesamten Fördersystems
zu mehr wirtschaftlichem und kulturellem Erfolg zu
kommen. Bei dieser Reform geht es in erster Linie darum, das Fördersystem flexibler zu gestalten, um zum
Beispiel bei wirtschaftlichen Krisensituationen von Produzentinnen und Produzenten reaktionsfähiger zu sein.
Die Förderbereiche sind neu gewichtet worden. Eine
Verbesserung der Außenvertretung des deutschen Films
ist in diesem neuen Gesetz angelegt.
Auf die Steigerung der kreativ-künstlerischen Qualität
- das ist Zielbestimmung des Gesetzes - ist im Bereich
der Projektförderung besonderes Augenmerk gerichtet
worden. Wir wollen insgesamt der Absatzförderung, dem
Marketing, ein besonderes Gewicht verleihen. Daher ist
die Förderung in diesem Bereich um 100 Prozent auf
14,5 Millionen Euro angehoben worden. Die Referenzabsatzförderung wird von Darlehens- in Zuschussförderung umgewandelt.
Bei der Produktionsförderung haben wir im Bereich
der automatischen Referenzfilmförderung eine Umgewichtung der Kriterien vorgenommen, indem nun zusätzlich zu Zuschauerzahlen, Zuschauererfolgen kulturelle Kriterien, wie sie durch Festivalerfolge und Preise
festgelegt werden können, berücksichtigt werden.
Die FFA kann durch Übernahme von Bürgschaften
für öffentlich geförderte Filme Produzenten künftig entlasten: im Hinblick auf die Bankenfinanzierung, aber
auch insgesamt im Hinblick auf Reaktionen, wenn Koproduktionen mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten
geplant sind. Um der Interessenlage kleinerer Produzentinnen und Produzenten Rechnung tragen zu können, ist
das Fördersystem insgesamt flexibler geworden.
Es gibt eine voraussichtliche Steigerung der Einnahmen der FFA um 40 Prozent von derzeit 46,2 Millionen
Euro auf insgesamt 64,7 Millionen Euro; davon sind
etwa 5,6 Millionen Euro Sachleistungen. Diese Zahlen
errechnen sich aus den Prozentzahlen der Wirtschaftsdaten 2002.
Da die Videobranche eine ausgesprochene Boombranche ist, werden sich durch diese Ergebnisse die Zahlen gemäß der prozentualen Anteile nach oben korrigieren. Die Fernsehveranstalter verdoppeln ihre Leistungen
auf 22,4 Millionen Euro. Die Kinoabgabe wird von
2,2 Prozent auf 2,7 Prozent des Bruttoumsatzes angehoben. Die Abgabe der Videowirtschaft wird von 1,8 Prozent auf rund 2,2 Prozent des Nettoumsatzes angehoben.
Redetext
Das ist die finanzielle Basis, um die inhaltlichen Verbesserungen, die ich vorher dargelegt habe, vornehmen
zu können.
Ich danke Ihnen.
Jetzt würde ich gern mitdiskutieren. Ich darf aber nur
das Wort erteilen.
Zunächst habe ich die Wortmeldung des Kollegen
Otto gesehen.
Frau Staatsministerin, Sie sprachen gerade an, dass
das Fördersystem durch Ihren Entwurf flexibler werden
soll. Ich möchte Sie fragen: Gibt es einen überzeugenden
Grund, weshalb im Zuge der Flexibilisierung des Fördersystems nicht daran gedacht wird, bei besonders erfolgreichen Filmen, wie zum Beispiel „Good bye,
Lenin!“ oder „Der Schuh des Manitu“, auch eine Gewinnbeteiligung der Filmförderungsanstalt vorzusehen?
Meine zweite Frage lautet: Das Gesetz ist vernünftigerweise, weil es sich um öffentliche Subventionen handelt, wiederum auf fünf Jahre begrenzt bis zum 31. Dezember 2008. Können Sie uns aus Ihrer bisherigen
Erfahrung Hoffnung machen, dass wir nach Ende dieses
Zeitraumes, also in fünf Jahren, einen Ausstieg aus der
Subventionierung des deutschen Filmes finden, oder befürchten Sie, dass - wie auch diesmal - die Subventionen deutlich angehoben werden müssen, um den deutschen Film über Wasser halten zu können?
Die beiden Fragen befinden sich im Grunde in einem
Bedeutungsfeld. Die Filmförderungsanstalt ist dazu da,
Filme und den Absatz von Filmen zu fördern, sodass die
deutsche Filmwirtschaft nicht nur Chancen auf Erfolg
hat, sondern auch in der Tat Chancen hat, die momentane wirtschaftliche Krise gut zu überstehen. Insofern
haben wir eine Gewinnbeteiligung in diesem Sinne, wie
Sie es gerade angesprochen haben, nicht angedacht, weil
sie bei einer Förderanstalt vielleicht nicht unbedingt im
anzustrebenden System liegt.
Ich glaube nicht, dass wir aus der Filmförderung generell aussteigen werden. Denn die Filmförderung, so
wie wir sie praktizieren, ist in vergleichbaren Strukturen
und Systemen in allen europäischen Staaten vorhanden.
Wir brauchen eine Filmförderung in Europa, um das
Produkt, das sich vom amerikanischen Produkt unterscheidet, zu unterstützen. Die europäischen Filme verstehen sich als künstlerische Produkte, also als Kulturgut, das auch Wirtschaftsgut ist. Filme in den USA
werden als reines Marktgut produziert.
Solange in Europa Einigkeit darüber besteht, dass wir
diese künstlerischen Produkte haben wollen und dass wir
sie auch als Gegengewicht zum amerikanischen Markt
haben wollen, ist eine solche etwas moderate Subvention, die sich sehr stark aus dem Zusammenwirken mit
der Filmbranche - es sind überwiegend ja Gelder der
Branche und relativ wenige Gelder der Politik - erklärt,
einfach eine Notwendigkeit, um dieses Produkt zu erhalten.
Herr Kollege Neumann.
Frau Staatsministerin, Sie haben sowohl jetzt hier als
auch in der zur vorangegangenen Pressekonferenz vorgelegten Erklärung, als auch darüber hinaus in Erklärungen die Bedeutung des novellierten Filmförderungsgesetzes herausgestrichen und den Eindruck erweckt, als
würde es die deutsche Filmwirtschaft einen entscheidenden Schritt voranbringen.
Ist Ihnen bekannt, dass der vorgelegte Entwurf von
vielen aus der Branche an manchen Stellen kritisch gesehen wird - ich komme bei meiner nächsten Frage darauf
zurück -, und ist Ihnen ferner bekannt, dass die Branche
die Hauptprobleme bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit
des deutschen Films bei ganz anderen Punkten sieht,
nämlich in den so genannten Rahmenbedingungen, zum
Beispiel der Behinderung internationaler Koproduktionen durch Medienerlass, der unzureichenden Finanzierung deutscher Produktionen aus Medienfonds, der
Vernachlässigung von Interessen der Filmwirtschaft bezogen auf das Urheberrecht und fehlenden steuerlichen
Anreizen für Produzenten? Ist Ihnen bekannt, dass die
Filmwirtschaft diese Punkte als viel entscheidender ansieht, und erinnern Sie sich daran, dass Sie und Ihre Vorgänger mehrfach - unter anderem in der Koalitionsvereinbarung - versprochen haben, hier Änderungen
herbeizuführen, die bis heute aber nicht vorliegen?
Das wurde in der Koalitionsvereinbarung formuliert
und ist ein Teil des Gesamtpakets, dessen erste Phase mit
der Novellierung des Filmförderungsgesetzes jetzt angelaufen ist. Alle Punkte, die Sie angesprochen haben - zum
Beispiel Medienfonds und Medienerlass -, befinden sich
noch in der Arbeitsphase. In beiden Bereichen gibt es
Bewegung, weil wir wissen, dass sie für die Filmwirtschaft ganz wichtige Bestandteile sind.
Ich glaube, ich kann mir erlauben, Ihnen zu sagen,
dass diese Novelle des Filmförderungsgesetzes für die
Filmwirtschaft ganz wichtig ist, weil durch sie eine Basis dafür geschaffen wird, dass Produzentinnen und Produzenten Mut haben können, eigenwillige Filme zu produzieren, und dass sie sicher sein können, dass wir ihnen
helfen, Instrumente an die Hand zu bekommen, um sich
im internationalen Wettbewerb besser behaupten zu können. Das ist eine ganz wichtige Basis. Die Erlangung der
Gelder aus Medienfonds und vor allem die Ermöglichung von Koproduktionen aufgrund des Medienerlasses sind wichtige Themen, unabhängig von der sich in
der Arbeit befindlichen Novellierung des Filmförderungsgesetzes.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gisela Schröter.
({0})
- Sie haben bereits zwei gestellt.
({1})
- An und für sich sind jeweils zwei Fragen zu einem
Thema vorgesehen. Ich bin aber durchaus großzügig,
wenn die vorgesehene Zeit nicht ausgeschöpft wird.
Jetzt sind jedoch erst einmal die anderen Kollegen an der
Reihe. - Bitte.
Frau Staatsministerin, ich möchte daran anschließen.
Es geht hier um die politischen Rahmenbedingungen, zu
denen Kollege Neumann ebenfalls gefragt hat. Können
Sie das noch einmal konkreter ausführen und etwas präzisieren? Ich denke, es würde uns alle ein Stückchen
weiterbringen, wenn Sie uns sagen könnten, wie die
Situation bezüglich des Medienerlasses und der Behandlung der Medienfonds derzeit konkret aussieht.
Meine zweite Frage. Mir ist bei der Durchsicht der alten Fassung, des Referentenentwurfs, aufgefallen, dass
sich in dem Gesetzentwurf bei der Drehbuchförderung
etwas verändert hat. Warum werden die zur Verfügung
stehenden Mittel in diesem Entwurf gegenüber dem Referentenentwurf verringert?
Meine Damen und Herren, zunächst einmal bin ich etwas überrascht, dass Sie sich mit Ihren heutigen Fragen
nach Dingen erkundigen, die mit dem Gesetz, über das
wir heute diskutieren, gar nichts zu tun haben.
({0})
Ich kann Ihnen nur die gleiche Antwort geben: Die
Themen Medienfonds und Medienerlass sind von großer
Wichtigkeit und sind erkannt.
({1})
Sie werden in einer Arbeitsgruppe, der selbstverständlich das Finanzministerium angehört und das die Leitung
hat, zusammen mit der Wirtschaft behandelt. Ich kann
Ihnen diese Fragen im Augenblick nicht beantworten.
Ich hoffe, dass wir das in einem halben Jahr tun können.
Dann wird es wahrscheinlich der Finanzminister tun.
Die zweite Frage kann ich dagegen beantworten, weil
sie sich auf das Gesetz bezieht. Das Gesetz hat, wie ich
eben gesagt habe, in allererster Linie als Grundlage zur
Flexibilisierung und Reform eine höhere Finanzausstattung. Wir hatten für die Drehbuchförderung in der alten
Fassung des Gesetzes Mittel in Höhe von 2 Prozent festgeschrieben. Diese Mittel haben wir auf 1,5 Prozent verringert, was nicht heißt, dass der Geldbetrag niedriger
ausfällt. Wir haben allerdings durch die Praxis des alten
Gesetzes gelernt, dass wir im Rahmen der Drehbuchförderung die Förderung der Drehbuchentwicklung verbessern müssen. Denn die Mittel für die Drehbuchförderung
konnten in der Vergangenheit oft nicht ganz ausgegeben
werden, weil die eingereichten Projekte nicht tauglich
waren. Wir haben daher die Schwelle für die Förderung
der Drehbuchentwicklung von bisher 15 000 Euro pro
Antrag auf 30 000 Euro pro Antrag angehoben. Mit den
höheren Investitionen in die Entwicklungsphase wollen
wir erreichen, dass uns letztlich bessere Produkte vorgelegt werden.
Jetzt hat der Kollege Börnsen das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, dass
unsere Kollegen so umfassende Fragen stellen, liegt
auch daran, dass Sie heute in Ihrer Pressekonferenz nicht
nur auf das Gesetz eingegangen sind, sondern auch auf
die Situation der Filmwirtschaft insgesamt. Deswegen
werden Sie Verständnis haben, wenn von allen Seiten
des Hauses entsprechende Fragen gestellt werden. Sie
wissen - Sie waren ja einmal Mitglied des Verwaltungsrates der FFA -, dass unser Hauptproblem darin liegt,
dass die Filmproduktionslandschaft in Deutschland im
Gegensatz zu der Situation in den Vereinigten Staaten
noch immer ein Stiefkind ist.
85 Prozent der in Deutschland gezeigten Filme stammen aus den USA, made in Hollywood. Wir kommen
nicht dazu, auch nicht in Kooperation mit Frankreich
und Italien, den Marktanteil Deutschlands zu verstärken.
Nun versuchen Sie, durch die Neuausrichtung des Filmförderungsgesetzes zu einer Verstärkung beizutragen.
Die erste Frage, die ich dazu habe, bezieht sich auf
die Finanzierung. Sie wissen wie ich: Wir können Filmförderung nur als Förderung eines Wirtschaftsgutes betrachten, nicht eines Kulturgutes, sonst hätte der Bund
keine Kompetenz gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 des
Grundgesetzes. Meine erste Frage bezieht sich auf die
Zusammensetzung des neuen Filmrates. Auch die Union
begrüßt es, dass in Zukunft immer eine Frau, nämlich die
Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, den Vorsitz im Filmrat haben wird. Das ist prima.
Wir vermissen aber etwas. Worin liegen die Beiträge des
Wirtschaftsministers und des Finanzministers? Wenn es
sich beim Film um ein Wirtschaftsgut handelt, müssen
auch solche Fachgremien einbezogen sein.
Meine zweite Frage. Sie sagen, Sie seien ganz optimistisch, dass sich eine Einnahmeverbesserung der FFA
ergeben werde. Sie wissen, dass im Augenblick der Beitrag der Kinobesitzer 20 Millionen Euro, der Videotheken 14 Millionen Euro und der Beitrag des Fernsehens
und des Rundfunks 11,2 Millionen Euro ausmacht. Sie
sagen, dass der Betrag verdoppelt werde. Davon findet
sich aber nichts im Gesetz. Es gibt keine gesetzliche Regelung, sondern nur eine Grundsatzerklärung der privaten und der öffentlichen Fernsehanstalten, die sagen,
dass es vor 2005 keine neue Vertragssituation gebe. - Ich
Wolfgang Börnsen ({0})
möchte gerne, dass Sie uns erklären, wie Sie zu der Äußerung kommen, dass Sie von einer Verdoppelung ausgehen, obwohl der Gesetzgeber nicht konkret handelt.
Denn vom Filmgut profitiert das Fernsehen, egal ob privates Fernsehen oder öffentlich-rechtliches Fernsehen.
Lassen Sie mich eines vorausschicken: An den Stellen, an denen von der Beauftragten für Kultur und Medien die Rede ist, wird selbstverständlich eine neutrale
Formulierung gewählt, sodass bei einem Wechsel des
Amtsinhabers keine Gesetzesänderung erforderlich
wird.
Die FFA stellt in der Tat das Förderinstrument der
Filmwirtschaft dar. Sie werden aber sicherlich zugestehen - darin sind wir uns mit der Filmwirtschaft einig -,
dass nur gute Filme eine Chance auf Erfolg haben. Insofern ist die Stärkung des kreativ-künstlerischen Ansatzes
ein sehr wichtiges Element für die Wirtschaft.
Dass sich der deutsche Film international schwer behauptet, war früher wie heute festzustellen. Ich darf Sie
aber darauf hinweisen, dass sich in diesem Jahr die Situation des deutschen Filmes ausgesprochen positiv entwickelt. Caroline Link hat für ihren Film „Nirgendwo in
Afrika“ einen Oscar erhalten. Der künstlerisch sehr
hochwertige Film „Good bye, Lenin!“ hat einen Millionenerfolg erzielt und den Berlinale-Preis für den besten
europäischen Film erhalten. Es wurde sehr beklagt - das
kann ich vielleicht an dieser Stelle klarstellen -, dass bei
den Filmfestspielen in Cannes keine deutsche Produktion im Hauptwettbewerb vertreten ist. Aber die drei interessantesten Filme, die zurzeit in Cannes laufen, sind
mit deutscher Koproduktion entstanden. Dabei handelt es
sich um die Filme von Suworow und Peter Greenaway sowie um den Film „Dogville“ von Lars von Trier, die sehr
gute Platzierungen erzielt haben. In den Rahmenprogrammen in Cannes laufen sechs deutsche Filme.
Ich glaube, wir müssen unser Selbstbewusstsein zurzeit nicht auf eine große Bescheidenheit herunterschrauben. Das Filmförderungsgesetz wird uns helfen, für die
Filmwirtschaft Bedingungen zu realisieren, die es ihr
möglich machen, auf Erfolge und Chancen zu reagieren
und vor allen Dingen auch den internationalen Absatz
und die internationale Präsenz zu verstärken. Das ist unser Ziel, das wir durch die Erhöhung der Einnahmen erreichen werden.
Es gibt feste Absprachen mit den Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Intendanten der privaten Fernsehanbieter, dass eine Verdoppelung erfolgen wird.
({0})
Diese Verdoppelung wird auch zustande kommen. Die
Privaten haben uns zugesagt, die Sachleistungen zu steigern. Ich bitte Sie, die Sachleistungen nicht gering zu
schätzen. Werbeplätze für deutsche Filme im Fernsehvorabend- oder -abendprogramm sind ein unschätzbares
Gut, das wir teuer bezahlen müssten, wenn wir diese
Werbeplätze kaufen würden. Insofern ist das Angebot,
Sachleistungen in Form von Werbeplätzen zu gewähren,
für uns und für die Filmwirtschaft sehr wichtig. Denn
anderenfalls würde die Filmwirtschaft die Kosten für die
Werbung selbst aufbringen müssen.
Es handelt sich um feste Absprachen, die, nachdem
der Gesetzentwurf das Kabinett passiert hat, nicht nach
unten korrigiert werden können. Das gilt auch für die
Kino- und die Videoabgabe, die in festen Absprachen reguliert worden sind. Wir haben Kompromisse geschlossen. Wir haben im Bereich der Kinoabgabe vier Stufen
ausgehandelt. Mit den Videoanbietern haben wir drei
Stufen ausgehandelt. Dabei handelt es sich um feste Absprachen, die gültig sind.
({1})
Das Wort zu einer Nachfrage hat jetzt der Kollege
Nooke.
Ich muss darauf hinweisen, Herr Neumann, dass wir
uns nicht im Kulturausschuss befinden - auch wenn uns
das so vorkommt -, sondern in der Befragung der Bundesregierung. Ich erteile jetzt - wir haben die reguläre
Zeit schon überschritten - noch den Abgeordneten
Nooke und Tauss das Wort. Dann lasse ich noch eine
Frage an die Bundesregierung insgesamt stellen. Ich bin
darauf hingewiesen worden, dass noch dringliche Fragen
anstehen, sodass wir den Zeitrahmen nicht allzu sehr über
das übliche Maß hinaus überschreiten sollten. - Bitte,
Herr Nooke und dann Herr Tauss.
Danke, Frau Präsidentin. - Frau Staatsministerin, Sie
haben auf der Pressekonferenz das Filmförderungsgesetz
als Erfolg der Branche dargestellt. Die Branche hat allerdings die Bürokratie kritisiert. Es gibt einen Widerspruch zu Ihrer Aussage, der Referentenentwurf sei nicht
wesentlich verändert worden. Wenn Sie behaupten, dass
das ein Erfolg der Branche sei, dann möchte ich, dass
Sie mir genauer erklären, wo es wesentliche Änderungen
gibt und woran Sie den Erfolg festmachen.
Was die Bürokratie angeht, möchte ich Sie bitten,
noch einmal kurz zu beschreiben, wie das Zusammenspiel der neuen Institutionen, insbesondere des Deutschen Filmrates, mit den entsprechenden Gremien bei
der Vergabe von Fördermitteln aussehen soll, und zu erklären, warum das so kompliziert sein muss und nicht
einfacher gestaltet werden konnte und warum Sie die jetzigen Regelungen für sinnvoll erachten.
Welche Kriterien halten Sie - das war schon bei Herrn
Börnsen angeklungen - bei der Differenzierung zwischen wirtschaftlicher und kultureller Filmförderung für
sinnvoll? Sind die Kriterien ausreichend oder sollte man
versuchen, das noch genauer im Gesetz zu verankern,
bzw. kann man das nicht weglassen?
Noch eine Anmerkung: Sie haben jetzt schon das
zweite Mal eine Pressekonferenz gegeben, bevor Sie im
Ausschuss und im Plenum Rede und Antwort gestanden
haben. Halten Sie das für eine sinnvolle Art und Weise,
das Filmförderungsgesetz der Öffentlichkeit vorzustellen? Wir hätten uns jedenfalls gefreut, wenn wir vor einer Pressekonferenz darüber hätten diskutieren können.
({0})
Zuerst zu Ihrer Frage nach dem Deutschen Filmrat,
auf die ich, glaube ich, die Antwort schuldig geblieben
bin: Der Deutsche Filmrat ist ein Instrument, das sehr
kreativ und beratend wirken soll. Er soll ein Instrument
zur Evaluierung dessen sein, was wir mit der Filmförderung tun. Wir haben - damit greife ich zugleich Ihre
zweite Frage auf - aufgrund der Gespräche, die wir in
den letzten Wochen, nachdem der Entwurf im Internet
stand, geführt haben, einige Veränderungen vorgenommen, die zu einer stärkeren Beteiligung des kreativkünstlerischen Bereichs am Filmrat führen werden; denn
wir wollen uns auch die kreativen Anregungen aus diesem Bereich zunutze machen.
Wir haben außerdem den kreativ-künstlerischen Bereich
in den Vergabekommissionen der FFA gestärkt. Sie ist zwar
ein Instrument der Filmwirtschaft, aber es gibt - darauf
habe ich schon hingewiesen - keine Trennung zwischen
kultureller und wirtschaftlicher Filmförderung. Es gibt lediglich eine Filmförderung, die den wirtschaftlichen
Faktor eines Kulturguts stärkt. Wir lehnen die eben genannte Trennung im Prinzip ab. Zum Kompetenzbereich
des Bundes gehört die Förderung durch die Filmförderungsanstalt, die, wie gesagt, ein Zusammenschluss der
Branche ist. Wenn man so will, ist das ein wirtschaftliches Instrument, das sich aber klar von der Filmförderung der Länder abgrenzt, die diese im Rahmen ihrer
Kulturhoheit in eigenen Gesetzen geregelt haben.
Die Aufgabenstellung und die Zusammensetzung des
Deutschen Filmrats ist also überarbeitet worden. Er hat
ausschließlich die Funktion, beratend und evaluierend zu
wirken, und den Auftrag, auch mit einiger Fantasie neue
Modelle zu entwickeln, die dann den Gremien, zum Beispiel dem Verwaltungsrat der FFA, zur Diskussion vorgelegt werden können.
Zu Ihrer Frage nach klaren Änderungen: Die Referenzfilmförderung für Dokumentarfilme - das ist ein Ergebnis ausgiebiger Debatten mit Branchenvertretern - ist
wieder auf die Zuschauerschwelle von 25 000 herabgesetzt worden. Die Filmabgabe der Kino- und Videowirtschaft haben wir - ich habe die entsprechenden Zahlen
eben schon genannt - an die aktuelle Marktsituation angepasst. Hier sind wir den Nöten der Wirtschaft, insbesondere denen der kleineren und mittleren Programmkinos, entgegengekommen. Bei der Videowirtschaft haben
wir ebenfalls eine Staffelung nach Umsatz vorgesehen.
Um die kleinen Unternehmen nicht zu gefährden, haben
wir eine Erhöhung nur für die mittleren und großen Unternehmen vorgenommen. Die Videobranche ist eine
Boombranche, die uns in den nächsten Jahren - wir haben das ja prozentual geregelt - sehr viel mehr Einnahmen verschaffen kann, weil es ihr gut geht.
Ich rufe nun die Frage des Kollegen Tauss auf.
({0})
Bitte, Frau Weiss.
Herr Nooke, zu Ihrer letzten Frage nach der Pressekonferenz: Sie wissen doch, dass wir im Kulturausschuss über den vorliegenden Gesetzentwurf - ich
glaube: ungewöhnlich oft - debattiert haben. Wir haben
die Feinarbeit vorgenommen. Wir haben mit Ihnen über
den Referentenentwurf ausführlich diskutiert. Der Referentenentwurf wird heute in einer Pressekonferenz, die
nahezu zeitgleich zu dieser Sitzung stattfindet, vorgestellt. Ich habe das Gefühl, dass Sie von uns gut, zeitnah
und gründlich informiert worden sind.
({0})
- Nein, das stimmt nicht. Sie können dieses Gesetz mit
meinem Vorgänger nicht diskutiert haben, weil es dieses
Gesetz in dieser Form noch nicht gab. Sie haben dieses
Gesetz mit mir mehrfach diskutiert.
Der Kollege Tauss hat jetzt das Wort zu einer Nachfrage.
Wir haben es - ich war dabei - schon vorbildlich diskutiert.
Ich möchte an die Frage des Kollegen Börnsen - ich
fühle mich im Übrigen seinem Wunsch nach einer langen Amtszeit von Ihnen, Frau Weiss, sehr verbunden anschließen. Wir sollten noch über die Absatzförderung
reden. Sie haben immer einen großen Wert auf die Verbesserung der Absatzförderung gelegt. Wie hat sich die
Bedeutung der Absatzförderung, über die wir uns einig
sind, im Regierungsentwurf niedergeschlagen?
({0})
Herr Tauss, die Verbesserung der Absatzförderung ist
in der Tat eines der Kernanliegen der Novellierung. Ich
habe diesem Bereich bei der Neugewichtung innerhalb
des Fördersystems wirklich eine besondere Bedeutung
beigemessen. Die durchschnittlichen Kosten für das Herausbringen von Filmen sind in den letzten Jahren von
etwa 150 000 Euro auf 1 Million Euro gestiegen. Die
Novellierung des FFG muss dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Wir haben den Bereich Absatz so flexibel gestaltet,
dass auf jeden Fall sehr viel Geld in das Marketing fließen kann. Ich bin auch deswegen sehr dankbar dafür,
dass wir diesen Bereich nach den Gesprächen mit den
privaten Fernsehanbietern so stärken konnten. Ich
glaube, es ist für uns in Deutschland ganz wichtig, über
die deutsche Filmproduktion zu sprechen. Wir müssen
dem potenziellen Publikum auch zeigen, welche Filme
da sind und welche Filme in die Kinos kommen werden.
Wir haben die Darlehensförderung im Bereich der
Referenzabsatzförderung auf eine Zuschussförderung
umgestellt. Das ist für die Produzentinnen und Produzenten ganz wichtig. Sie müssen das Geld nicht zurückzahlen, sondern sie können das Geld sowohl für ihre Kapitalaufstockung als auch für weitere Projekte einsetzen.
Auf dem Gebiet der Projektabsatzförderung werden
die Verleih- und die Videoförderung nun in getrennten
Vorschriften geregelt. Für beide Förderungen gilt, dass
die Förderbedingungen den Änderungen der filmwirtschaftlichen Praxis Rechnung tragen können.
Details können - auch das ist neu - im Vorstand der
FFA entschieden werden. Wir müssen nicht jeden Schritt
gesetzlich regeln, sondern wir brauchen auch einen
Spielraum für diejenigen, die die Mittel vergeben, um
Produzentinnen und Produzenten in aktuellen und akuten Notsituationen helfen zu können.
({0})
Es liegen keine weiteren Fragen zu diesem Themenbereich der Kabinettssitzung vor.
Gibt es andere Fragen an die Bundesregierung? - Das
ist nicht der Fall.
Herr Neumann, Sie haben nun die Gelegenheit, Ihre
Frage zu stellen.
({0})
Frau Weiss, folgende Vorbemerkung: Die Fragen, die
ich zu den Rahmenbedingungen gestellt habe und die
von der Kollegin Schröter erfreulicherweise präzisiert
wurden, wurden gestellt, weil Rahmenbedingungen, Medienerlass etc. für die Wettbewerbsfähigkeit ganz entscheidend sind und weil es für die damit verbundenen
Probleme bisher - das zeigen auch Ihre heutigen Antworten - keine konkreten Lösungen gibt.
Ich möchte Sie zum Filmförderungsgesetz Folgendes
fragen: Sind Sie mit mir der Meinung, dass es zwar erfreulich ist, dass die beiden großen öffentlich-rechtlichen
Fernsehanstalten ihren bisherigen Beitrag von 5,5 auf
rund 11 Millionen Euro verdoppeln wollen, dass diese
Summe im Hinblick auf den ungeheuren Nutzen, den
diese beiden Anstalten aus den vielen Filmen, die sie allabendlich senden, ziehen, und im Hinblick auf die Tatsache, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Gebühreneinnahmen von mehr als 13 Milliarden Euro hat, aber
unangemessen gering ist und Ihr Vorgänger Recht hatte,
als er eine Erhöhung um 40 Millionen Euro gefordert
hat?
Herr Neumann, ich bin der Meinung, dass man die
Dinge sehr realistisch betrachten sollte. Die realistische
Sicht ergibt, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland insgesamt - Länderförderungen
und FFA addiert - 70 Millionen Euro in die Förderung
von Filmen investieren, weil sie wissen, dass auch sie
von diesen Filmen profitieren.
Was die Finanzierung der FFA durch die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten angeht, so haben wir - das
wissen auch Sie sehr genau - ausgehend von einer glatten
Absage eine Verdopplung erreicht. Auch da muss man
immer im Rahmen des Realistischen bleiben. Man muss
sich fragen, was möglich ist, und das sollte man zu erreichen versuchen.
Ich glaube, dass die Forderung nach 50 Millionen
Euro, wie sie in der Tat einmal im Raum stand, die Gesprächsbereitschaft auf null gesenkt hat. Es dauert lange,
die Gesprächsbereitschaft von null aus wieder auf ein
vernünftiges Maß zu bringen. Das ist jetzt geschehen.
Die Reaktion der übrigen Filmwirtschaft, die in der
Tat am Anfang empört war, weil es darum ging, mehr
Geld zahlen zu müssen, ist deswegen so heftig ausgefallen, weil niemand erwartet hat, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Summe erhöhen. Sie haben gedacht, Sie bräuchten dann auch nicht zu erhöhen.
Mit dem Ergebnis können wir nicht nur zufrieden
sein; auf dieses Ergebnis können wir auch stolz sein.
({0})
Danke schön, Frau Staatsministerin. - Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/987, 15/993 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen FraVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
gen auf, die den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers
und des Bundeskanzleramtes betreffen.
Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Jürgen
Koppelin:
Trifft die Meldung von dpa vom 19. Mai 2003 zu, dass
Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seinem Rücktritt gedroht hat?
Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Jürgen
Koppelin:
Hat Bundeskanzkler Gerhard Schröder Gründe, um mit
seinem Rücktritt zu drohen? Vergleiche dpa vom 19. Mai
2003.
Ich bitte um Beantwortung.
Zur Frage 1: Grundsätzlich kommentiert die Bundesregierung weder Diskussionsverlauf in parteiinternen
Gremien noch Ergebnisse solcher Gremien.
({0})
Zur Frage 2: Aufgrund der Antwort auf die vorherige
Frage erübrigt sich eine Antwort.
({1})
Nachfrage des Abgeordneten Koppelin.
Herr Staatsminister, ist Ihnen aufgefallen, dass ich
nicht nach dem Rücktritt des SPD-Parteivorsitzenden,
sondern nach der Drohung des Bundeskanzlers gefragt
habe? Diese Frage müssen Sie uns hier schon beantworten. Das ist keine SPD-interne Sache, sondern das ist
eine Sache, die uns alle angeht. Der Bundeskanzler ist
vom Deutschen Bundestag gewählt worden.
({0})
Herr Koppelin, mir ist bei Ihren beiden Fragen aufgefallen, dass Sie sich auf eine Pressemeldung beziehen
und den Inhalt bzw. den Verlauf von Sitzungen parteiinterner Gremien hinterfragen. Deswegen ist meine Antwort so formuliert worden.
Zweite Nachfrage des Kollegen Koppelin.
Herr Staatsminister, ich muss zunächst einmal feststellen, dass es meines Erachtens eine Zumutung ist, wie
Sie uns das hier beantworten. In allen Medien, auch in
den Zeitungen - Sie können das bei mir einsehen, falls
Sie keine Zeitung lesen -, lauten die Überschriften:
Schröder setzt seine Agenda mit Rücktrittsforderung
durch. - Das muss uns im Deutschen Bundestag beschäftigen. Das können Sie hier nicht so beantworten.
Es heißt dort wörtlich, Schröder habe in der Sitzung
mit dem Rücktritt als Bundeskanzler gedroht, wenn die
Debatten in der SPD so weiter fortgeführt werden. Ich
frage Sie: Was stört den Bundeskanzler an der Debatte,
die im Augenblick in der SPD geführt wird?
Herr Koppelin, Aussagen bzw. Zitate aus Zeitungsartikeln kommentiert die Bundesregierung im Allgemeinen grundsätzlich nicht. Die Aussagen, die Sie jetzt noch
einmal hier im Plenum zitiert haben, beziehen sich wiederum auf den Ablauf bzw. Inhalt von Sitzungen parteiinterner Gremien, sodass es einen doppelten Grund gibt,
dies nicht zu kommentieren.
({0})
Sie haben noch die Möglichkeit zu zwei Nachfragen,
weil es sich ja um zwei Fragen handelte.
Herr Staatsminister, ich gewinne durch die Art Ihrer
Beantwortung immer mehr den Eindruck, dass Sie selber
an der Sitzung gar nicht teilgenommen haben. Weil aber
auch das im Zusammenhang mit dem Rücktritt eine
Rolle spielt, möchte ich Sie fragen - vielleicht können
Sie ja zumindest das beantworten -, ob es richtig ist,
dass auf Initiative des Bundeskanzlers die Bezeichnung
„IWAN“ für ein Papier geändert wurde. Darf ich Sie
auch fragen, was den Bundeskanzler an dem Namen
„IWAN“ gestört hat.
Ich vermute, Herr Koppelin, dass das Papier, das Sie
hinterfragen,
({0})
ebenfalls ein Papier einer Partei ist.
({1})
Deswegen werden diesbezügliche Fragen vonseiten der
Bundesregierung ebenfalls nicht kommentiert.
Vierte Nachfrage, bitte.
Da ich in der „Süddeutschen“ und anderen Zeitungen
gelesen habe, dass der Bundeskanzler innerhalb von drei
Wochen schon zum zweiten Mal in parteiinternen Gremien mit seinem Rücktritt vom Amt des Bundeskanzlers
- wohl gemerkt - gedroht habe, möchte ich Sie fragen:
Können Sie mir sagen, wann der Bundeskanzler das
nächste Mal mit seinem Rücktritt drohen wird?
Da sich Ihre Frage wiederum auf eine Zeitungsmeldung bezieht, verweise ich auf meine Antworten zu den
beiden von Ihnen gestellten dringlichen Fragen.
({0})
Eine Nachfrage des Kollegen von Klaeden.
({0})
Herr Staatsminister, der Kollege Koppelin hatte Sie
nicht um eine Kommentierung der Meldung gebeten,
sondern schlichtweg die Frage gestellt, ob es diese
Rücktrittsdrohung gegeben hat. Deshalb stelle ich die
Frage auch noch einmal: Hat es sie gegeben oder
nicht?
Herr von Klaeden, ich hatte Sie ja bereits darauf aufmerksam gemacht, dass Gegenstand der Frage Pressemeldungen sind, die den Ablauf bzw. den Inhalt von Sitzungen parteiinterner Gremien widerspiegeln.
({0})
Das gilt dann übrigens auch für sämtliche Nachfragen.
Ein solcher Sachzusammenhang ergibt sich zwingend allein schon aus der Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages. Deswegen ist es nicht möglich, vonseiten
der Bundesregierung hierzu Stellung zu nehmen.
({1})
Zweite Nachfrage des Kollegen von Klaeden.
Herr Staatsminister, wollen Sie die Rücktrittsdrohung
des Bundeskanzlers vielleicht deswegen nicht bestätigen, weil Sie darin keine Drohung mehr sehen?
Herr von Klaeden, zu einer Frage auf diesem Niveau
erübrigt sich, wie ich denke, eine Antwort.
({0})
Ich sehe keinen weiteren Nachfragebedarf.
Dann kann ich jetzt die normalen Fragen auf Drucksache 15/987 in der üblichen Reihenfolge aufrufen.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung ist die Parlamentarische
Staatssekretärin Iris Gleicke anwesend.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Volkmar Uwe
Vogel auf:
Warum fehlt in der Pressemitteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vom 5. Mai
2003, Nr. 141/03, das Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“,
VDE, 8.2. als wichtige Infrastrukturmaßnahme aus südlicher
Richtung nach Leipzig in Ergänzung zum dort genannten
VDE 8.3. aus nördlicher Richtung, mit dem ein entscheidender Beitrag der Bundesregierung zur nationalen Aufgabe
„Olympia 2012“ geleistet werden kann, obwohl der Fertigstellungstermin 2012 nur noch möglich ist, wenn bis zum
1. Juli 2003 die Finanzierungsvereinbarung mit der Deutschen
Bahn AG unterschrieben wird?
Sehr geehrter Herr Kollege Vogel, in der Pressemitteilung Nr. 141/03 des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen vom 5. Mai 2003 wurden zunächst nur Projekte genannt, deren Realisierung zu den
genannten Terminen gesichert werden kann.
Beim Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8.2, Erfurt-Leipzig/Halle, laufen derzeit noch die Prüfungen
durch die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG
zur Möglichkeit des Vorziehens der Inbetriebnahme der
Neubaustrecke Erfurt-Gröbers zum Zeitpunkt der Olympischen Sommerspiele 2012.
Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, eine Nachfrage, die Sie aber
nicht überraschen wird: Sie sprechen davon, dass sich
die Finanzierungsvereinbarung derzeit in der Prüfphase
befindet. Davon sprechen Sie aber eigentlich schon
während der ganzen Zeit meiner Mitgliedschaft im
Deutschen Bundestag, also seit Oktober vergangenen
Jahres. Wann ist konkret mit einem Abschluss der
Prüfung zu rechnen und mit der Entscheidung, ob die
Finanzierungsvereinbarung unterschrieben wird oder
nicht?
Herr Kollege Vogel, die Finanzierungsvereinbarung
und die dazugehörigen Unterlagen werden derzeit von
den Beteiligten abschließend verhandelt. Deshalb sind
wir sehr zuversichtlich, dass wir die Prüfung demnächst
abgeschlossen haben werden.
({0})
Wenn Sie von „demnächst“ sprechen: Ist Ihnen bekannt, dass, um eine Fertigstellung des Abschnittes im
Jahre 2012 aus technischer Sicht sicherzustellen, zwingend erforderlich ist, diese Finanzierungsvereinbarung
zum 1. Juli abzuschließen, damit im Anschluss die notwendigen Ausschreibungen erfolgen können und der
Bau zügig vorangehen kann? Herr Minister Stolpe hat in
einem Interview mit der „Thüringer Allgemeinen“ zum
Ausdruck gebracht, man solle ihn zum Rücktritt auffordern, wenn diese Finanzierungsvereinbarung nicht bis
zum 1. Juli verabschiedet worden sei. Nach der hitzigen
Diskussion eben muss man an dieser Stelle sicherlich ansprechen, wie wichtig gerade dieses Vorhaben mit Blick
auf die Olympiabewerbung von Leipzig und auch für die
gesamte Region ist; denn bezüglich der Tatsache, dass
sich Leipzig im nationalen Wettbewerb durchgesetzt hat,
war auch ein wichtiger Punkt, dass es eine sehr breite regionale Unterstützung bis hinein in den Thüringer Raum
gab.
Herr Kollege Vogel, wir sind uns unserer Verantwortung sehr wohl bewusst. Wir freuen uns, dass Leipzig
und Rostock in dem Verfahren als deutsche Bewerber
benannt worden sind; das ist vollkommen klar. Ich sagte
Ihnen bereits, dass geprüft wird, ob man vorzeitig fertig
werden kann. Selbstverständlich gilt das nicht nur für
den technischen Bereich, sondern auch für die finanzielle Ausstattung.
Aber ich möchte Ihnen auch noch etwas zum Realisierungsstand an der Strecke 8.2 sagen. Der Abschnitt
Gröbers-Leipzig wird mit dem Flughafenbahnhof Leipzig/Halle im Juni 2003 in Betrieb genommen, wobei der
Teilabschnitt zwischen Leipzig Hauptbahnhof und dem
Flughafen bereits seit 15. Dezember 2002 in Betrieb ist.
Im September 2001 wurde mit den Bauarbeiten im Abschnitt 2.1 im Saubachtal begonnen, und zwar mit dem
Bau einer Brücke über die vorhandene Eisenbahnstrecke
Lossa-Laucha. Im Rahmen des Bundesprogramms „Verkehrsinfrastruktur“ wird der Planfeststellungsabschnitt
2.6, die Einbindung von Halle, bis 2006 realisiert. Die
Vorbereitungen für den Weiterbau sind zwischenzeitlich
angelaufen. Sie wissen, dass wir damit rechnen, dass
jetzt abschnittsweise mit weiteren Bauarbeiten begonnen
wird. Dazu gehören auch baurechtserhaltende Maßnahmen im Abschnitt 2.5, Saale-Elster-Aue, sowie Dammschüttungen und Errichtungen von Widerlagern. Die
Ausschreibungen zu diesen Maßnahmen sind schon erfolgt.
({0})
Es gibt keine weiteren Nachfragen.
Die Frage 2 der Abgeordneten Petra Pau wird schriftlich beantwortet. - Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ich begrüße ausdrücklich Frau Bundesministerin Edelgard Bulmahn, die
die Fragen selber beantwortet.
({0})
Es ist gut für das Parlament, wenn die Minister selber
kommen. Deswegen möchte ich das ausdrücklich loben.
({1})
- Selbstverständlich hat man nichts gegen die Staatssekretäre; aber es ist auch schön, wenn sich die Ministerinnen und Minister in der Fragestunde einmal selber sehen lassen.
Zu den Fragen 3 und 4 ist um schriftliche Antwort gebeten worden.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Uwe Schummer
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vakanz von
161 000 Ausbildungsplätzen bundesweit nach den aktuellen
Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit?
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herrn und Damen! Nach den Daten der Statistik der Bundesanstalt für
Arbeit für die Ausbildungsstellenvermittlung gab es
Ende April 2003 bundesweit noch 164 466 unbesetzte
Berufsausbildungsstellen. Stellt man die Anzahl der
noch nicht vermittelten Bewerberinnen und Bewerber
dieser Zahl gegenüber, dann ergibt sich zurzeit eine
rechnerische Lücke von 161 289. Diese Zahl betrachtet
die Bundesregierung mit sehr großer Sorge.
Deshalb haben mein Kollege Minister Clement und
ich Ende April zu einem Ausbildungsgipfel eingeladen.
Wir haben dabei gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden,
Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften eine
Ausbildungsoffensive verabredet. Wir sind nämlich davon überzeugt, dass es angesichts dieser sehr ernsten Situation erforderlich ist, dass alle Beteiligten, also Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften, zusätzliche
Maßnahmen und Anstrengungen durchführen müssen - das
haben wir auf diesem Ausbildungsgipfel ausdrücklich
bekräftigt -, um das gemeinsame Ziel, im Laufe dieses
Jahres zu einer ausgeglichenen Ausbildungssituation zu
kommen, zu erreichen. Eine ausgeglichene Ausbildungssituation bedeutet, dass alle Jugendlichen, die ausgebildet werden wollen und die ausgebildet werden können,
einen Ausbildungsplatz erhalten. An diesem Ziel hält die
Bundesregierung fest.
Wir haben also auf diesem Ausbildungsgipfel mit den
Sozialpartnern eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen
und Initiativen vereinbart, mit denen wir dieses Ziel erreichen wollen. Eine der Maßnahmen war im Übrigen
die Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung, die
heute im Kabinett beschlossen worden ist und die zum
1. August in Kraft tritt.
Frau Ministerin, ist der Bundesregierung das Verhältnis der Anzahl der betrieblichen Ausbildungsplätze und
der Anzahl der außerbetrieblichen Ausbildungsplätze im
Rahmen von Ersatzmaßnahmen im letzten Ausbildungsvermittlungsjahr bekannt? Wie wird dieses Verhältnis in
diesem Ausbildungsvermittlungsjahr sein?
Es liegen uns entsprechende Zahlen vor. Die Ausbildungssituation ist aber regional sehr unterschiedlich.
Deshalb muss man die regionale Situation ins Auge fassen.
In den neuen Bundesländern besteht seit über einem
Jahrzehnt die Notwendigkeit, in einem hohen Maß außerbetriebliche Ausbildungsplätze anzubieten, sodass
wir sicherstellen können, dass alle Jugendlichen ausgebildet werden. Wir haben in diesem Jahr auch in den
neuen Bundesländern einen Rückgang an betrieblichen
Ausbildungsplätzen. Deshalb habe ich gesagt, dass wir
die Entwicklung mit sehr großer Sorge sehen.
Ich will aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass die
Maßnahmen und Initiativen, die wir im Rahmen der
Ausbildungsoffensive verabredet haben, die Zielsetzung
haben, mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
Diesem Ziel dient auch die Aussetzung der AusbilderEignungsverordnung, die wir heute im Kabinett beschlossen haben.
Ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen,
dass nach den bisher geltenden rechtlichen Regelungen
nur etwas mehr als die Hälfte der Betriebe ausbilden
konnten bzw. durften. Durch die Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung für fünf Jahre erhalten wesentlich mehr Betriebe eine Ausbildungsberechtigung. Mit
dieser von mir genannten Maßnahme wollen wir mehr
betriebliche Ausbildungsplätze gewinnen. Ich bin sehr
froh, dass zum Beispiel der DIHK diese Bemühungen in
seinen Veröffentlichungen ausdrücklich unterstützt, damit wir dieses Ziel erreichen.
Wie wichtig diese Bemühungen sind, will ich an einer
weiteren Zahl deutlich machen. Allein im letzten Jahr
sind 18 000 Ausnahmegenehmigungen ausgesprochen
worden, um den Betrieben, in denen weder ein Meister
noch eine Person, die eine Ausbildereignungsprüfung
abgelegt hat, tätig ist, Ausbildung möglich zu machen;
denn in diesen Betrieben kann fachlich gut ausgebildet
werden. Diese Aussetzung - das ist ein konkreter Punkt,
den wir verabredet haben, um mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu gewinnen - ist, wie gesagt, im Kabinett
beschlossen worden und tritt nach der Veröffentlichung
im Bundesgesetzblatt am 1. August in Kraft.
Ein weiterer Punkt, den ich nennen will, hat ebenfalls
die Gewinnung von betrieblichen Ausbildungsplätzen
zum Ziel. Dabei handelt es sich um die Öffnung des Programms „Kapital für Arbeit“ auch für die Schaffung von
Ausbildungsplätzen. Wir hoffen, dadurch mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu gewinnen. Ich nenne ebenfalls
die vielen Programme, die wir im Zusammenhang mit
der Förderung in den neuen Bundesländern gestartet haben. Diese Förderung wurde in den vergangenen Jahren
so verändert, dass größere Teile der betrieblichen Ausbildung in die außerbetriebliche Ausbildung überführt
wurden und damit der Verbundausbildung zwischen Betrieben und außerbetrieblichen Einrichtungen ein größerer Stellenwert zukam. Damit können wir Schritt für
Schritt die rein außerbetriebliche Ausbildung auf eine
gemischte Ausbildung zurückführen.
Ausdrücklich sage ich aber: Wir werden in diesem Jahr
- ich fürchte, auch im kommenden Jahr - in den neuen
Bundesländern außerbetriebliche Angebote machen. Wir
werden übermorgen das gemeinsame Bund-Länder-Programm unterschreiben, mit dem wir die überbetriebliche
Ausbildung finanzieren - dabei geht es um 14 000 Stellen und das die deutlich gestärkte Komponente eines betrieblichen Ausbildungsanteils enthält.
Frau Ministerin, stimmt die Information der „Leipziger Volkszeitung“ von heute und der „Süddeutschen Zeitung“, dass gemäß einem Grundsatzpapier der Bundesregierung zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft der
Betriebe über die Kammern eine Zwangsabgabe von
5 000 Euro eingezogen werden soll?
Nein, diese Information ist nicht zutreffend. Ein
Grundsatzpapier der Bundesregierung würde ich kennen.
Ich kenne ein solches Papier nicht. Nachdem der Bundeskanzler am 14. März dieses Jahres angekündigt hat, dass
für den Fall, dass es uns nicht gelingt, bis zum Ende dieses Jahres eine ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz zu
erreichen, rechtliche Regelungen getroffen werden, wird
in meinem Ministerium zurzeit über unterschiedliche
Modelle nachgedacht, wie eine solche rechtliche Regelung umgesetzt werden kann. Das ist klar. Aber es gibt
keinen Grundsatzbeschluss, in dem von einer Zwangsabgabe in Höhe von 5 000 Euro die Rede ist.
({0})
- Ein solches Papier kann nur ein Grundsatzpapier sein,
wenn es von der Bundesregierung entsprechend verabschiedet worden ist. Ich habe Ihnen gesagt, dass es ein
solches Grundsatzpapier nicht gibt. In meinem Ministerium gibt es Überlegungen, wie die Ankündigung des
Bundeskanzlers, für den Fall, dass wir keine ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz erreichen können, eine
rechtliche Regelung zu treffen, umgesetzt werden kann.
Aber ein solches Grundsatzpapier gibt es nicht.
Ich sage noch einmal ausdrücklich: Zielsetzung der
Bundesregierung ist es, durch eine Ausbildungsoffensive
gemeinsam mit den Sozialpartnern Ende des Jahres eine
ausgeglichene Ausbildungsplatzbilanz zu erreichen. Das
ist unser Ziel, ein Ziel von dem ich glaube, dass es erreichbar ist. Ich weiß, dass das sehr schwierig sein wird.
Aber ich sage ausdrücklich: Wir hatten 1998, als ich dieses Amt übernommen habe, sogar eine etwas schwierigere Situation. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich die
Ausbildungslücke noch größer.
Deshalb ist es nicht utopisch, wenn man das Ziel hat,
bis zum Ende dieses Jahres zu einer ausgeglichenen Bilanz zu kommen. Wenn alle Verantwortlichen - ich
meine gerade diejenigen, die in der Wirtschaft Verantwortung tragen - alles dafür tun, dass wir in den Betrieben deutlich mehr Ausbildungsplätze gewinnen - die
rechtlichen Voraussetzungen haben wir geschaffen; wir
haben durch entsprechende Programme die notwendige
Unterstützung seitens der Bundesregierung nicht nur in
die Wege geleitet, sondern schon geschaffen -, dann
können wir dieses Ziel auch erreichen.
Herr Kollege Fischer, Sie hatten noch eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, vor dem Hintergrund Ihrer Schilderung der dramatischen Ausbildungsplatzsituation frage
ich Sie, wie es verantwortbar ist, dass die Bundesanstalt
für Arbeit 20 Prozent ihrer Eingliederungsmittel gestrichen bzw. zu den PSAs umgeschichtet hat, wodurch insbesondere für den Bereich der Jugendlichen, die es aufgrund von nicht ausreichender Eignung schwer haben,
einen Ausbildungsplatz zu finden, Mittel gestrichen
worden sind und damit im Augenblick ganze Systeme
zusammenbrechen.
Ich will Ihnen sagen, dass die Bundesregierung mit
der Bundesanstalt für Arbeit ausdrücklich vereinbart hat,
dass die Mittel für die Benachteiligtenförderung nicht
gekürzt werden. Es ist mit der Bundesanstalt für Arbeit
noch einmal konkret festgelegt worden - es hat im April
entsprechende Gespräche gegeben -, dass die Mittel für
die Benachteiligtenförderung nicht gekürzt werden. Das
ist die klare Auffassung der Bundesregierung und es gibt
eine konkrete Vereinbarung zwischen der Bundesanstalt
für Arbeit und der Bundesregierung.
({0})
Herr Kollege Tauss hat eine zweite Nachfrage.
Frau Bundesministerin, nach der Klärung dieser Angelegenheit möchte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist,
dass in den Ländern, insbesondere im Land BadenWürttemberg, die Mittel, die zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und für entsprechende Einrichtungen vorgesehen sind, im Gegensatz zum Bund - hier
bleiben die Mittelansätze gleich - nicht nur gekürzt, sondern sogar auf Null zurückgeführt worden sind. Wie sollen die Folgen aufgefangen werden?
Herr Tauss, wenn eine Landesregierung die Fördermittel zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit in der
derzeitigen Situation kürzt, so halte ich dies persönlich
für völlig falsch und verantwortungslos gegenüber diesen Jugendlichen. Die Bundesregierung jedenfalls macht
dies nicht.
Sie wissen, dass eine Bundesministerin den Landesregierungen nicht vorschreiben kann, wie sie sich zu verhalten haben. Sie kann aber ihre Meinung äußern. Ich
sage es noch einmal ausdrücklich: Ich halte dieses Verhalten für falsch. Wir tun dies nicht. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um sicherzustellen, dass alle
Jugendlichen ein Ausbildungsplatzangebot erhalten. Das
ist unsere Zielsetzung und daran lassen wir auch nicht
rütteln.
Eine Nachfrage der Kollegin Pfeiffer.
Frau Ministerin, ich gehe davon aus, Ihnen ist genauso bewusst wie uns, dass wir in diesem Lande mehr
als 40 000 Firmenpleiten zu verzeichnen haben, was die
Ausbildungsmisere für die Jugendlichen natürlich enorm
verschärft. Somit stellt sich für mich die Frage, was die
Bundesregierung zu tun gedenkt, um genau dieses Problem zu lösen.
Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass wir im Rahmen der Ausbildungsoffensive mit Wirtschaftsverbänden, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ein
Bündel an Maßnahmen beschlossen haben.
Ich will allerdings ausdrücklich sagen, dass wir nicht
nur im Rahmen der Ausbildungsoffensive notwendige
Schritte auf diesem Gebiet unternehmen. Bundesminister Clement hat im letzten Winter eine Mittelstandsoffensive verkündet, mit der wir gerade die Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen erheblich
verbessern, um ihnen Unterstützung zu geben. Im Sommer dieses Jahres wird es eine weitere, gemeinsame Offensive zur Unterstützung neu gegründeter Unternehmen
geben.
In diesem Zusammenhang spielt im Übrigen die Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung eine große
Rolle; das ist den meisten nicht so bewusst. Gerade in
den neu gegründeten Unternehmen war nämlich häufig
keine Person vorhanden, die diese Ausbildereignungsprüfung nachweisen konnte. Ich will ein konkretes Beispiel nennen: Eine Fachhochschullehrerin, die einen
Betrieb gegründet hatte, durfte bisher nicht ausbilden.
Dies ist jetzt möglich.
Wir tun also alles, um sowohl neu gegründeten als
auch etablierten Unternehmen die Ausbildung zu ermöglichen. Die Bundesregierung hat, wie gesagt, ein ganzes
Bündel von Maßnahmen auch für mittelständische Unternehmen beschlossen, so zum Beispiel Steuererleichterungen, die wir im Rahmen der Steuerreform insbesondere
für diese Unternehmen vorgesehen haben, und vereinfachte Buchhaltungspflichten. Auch das Programm „Kapital für Arbeit“ kommt diesen Unternehmen zugute.
Dieses Bündel an Maßnahmen haben wir aufgrund
zweier Zielsetzungen beschlossen und auch umgesetzt:
auf der einen Seite für die Schaffung und Sicherung von
Ausbildungsplätzen, auf der anderen Seite aber auch für
die Unterstützung mittelständischer Unternehmen. Uns
ist also sehr wohl bewusst, dass gerade mittelständische
und kleine Unternehmen in einem hohen Maße Träger
von Ausbildung sind.
Nachfrage des Kollegen Bergner.
Frau Ministerin, Sie haben mich vorhin mit Ihrer Aussage, dass sich die Bundesregierung gegen eine Umschichtung der Mittel für Eingliederungsprogramme für
benachteiligte Jugendliche durch die Bundesanstalt für
Arbeit gewandt hat, genauso überrascht wie den Kollegen Fischer. Ich war noch letzte Woche in einer Einrichtung, die genau mit diesem Problem zu tun hatte.
Ich frage deshalb: Wann ist die Entscheidung der
Bundesregierung gefallen, dass eine entsprechende Umschichtung nicht vorgenommen werden darf? Wie verbindlich ist dies für die Entscheidung der Bundesanstalt
für Arbeit? Und wann ist zu erwarten, dass eine solche
Mitteilung bei den Arbeitsämtern vor Ort ankommt, sodass man, wenn man erneut eine solche Einrichtung besucht, damit rechnen kann, dass diese Probleme ausgeräumt sind?
Ich möchte es noch einmal ausdrücklich sagen: Es hat
im April Gespräche darüber gegeben und im Mai wurden weitere Gespräche geführt, weil auch uns teilweise
solche Meldungen zu Ohren gekommen sind. Es gibt
eine klare Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
und der Bundesanstalt, die Förderung der Benachteiligten nicht zu verringern. - Herr Schlauch hat mir gerade
das Datum genannt, es war am 9. Mai.
Eine Nachfrage des Kollegen Niebel.
Frau Ministerin, Sie stimmen mir sicher zu, dass es
bei der Ausbildung junger Menschen sinnvoll ist, ein
Minimum an pädagogischen, didaktischen und jugendarbeitsschutzrechtlichen Kenntnissen mitzubringen. Wie
wollen Sie nach Aussetzung der Ausbilder-Eignungsverordnung sicherstellen, dass die richtigen Leute die jungen Menschen ausbilden?
Das können wir sicherstellen, weil die Vorschrift, dass
eine entsprechende fachliche und persönliche Eignung
vorliegen muss, nicht außer Kraft gesetzt wird. Das ist
und war neben der Ausbildereignungsprüfung immer
schon Aufgabe der Kammern - das wurde im WIP festgelegt - und das wird auch in Zukunft so bleiben. Wenn
die Kammern ihrem gesetzlich verankerten Auftrag
nachgehen - ich gehe davon aus, dass die Kammern das
tun werden; die Landeswirtschaftsministerien sind im
Übrigen verpflichtet, dies zu überprüfen -, wird die Qualität der Ausbildung nicht beeinträchtigt. Ich habe hinzugefügt, dass wir die Ausbilder-Eignungsverordnung für
fünf Jahre aussetzen. Wir werden natürlich sehr sorgfältig beobachten, ob das Auswirkungen auf die Qualität
der Ausbildung hat.
Es ist nicht so, dass man nach der Aussetzung der
Verordnung nach Belieben ausbilden kann. Es gibt auf
der einen Seite Ausbildungsordnungen, auf der anderen
Seite gibt es die Verantwortung der Kammern, dafür
Sorge zu tragen, dass in den Betrieben, die ausbilden, die
fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen erfüllt
werden. Es ist jedoch nicht mehr notwendig, dass die betreffende Person einen 120 Stunden umfassenden Lehrgang besuchen und eine entsprechende Prüfung, die mit
Kosten verbunden ist, ablegen muss.
Das ist im Übrigen keine neue Entwicklung: Tatsache
ist, dass im vergangenen Jahr in ganz Deutschland 18 000
Ausnahmegenehmigungen erteilt wurden. Wir haben
auch in den vorangegangenen Jahren immer eine große
Zahl von Ausnahmegenehmigungen erteilt. Es gibt nämlich in den Betrieben durchaus Personen, die fachlich
und persönlich geeignet sind und über entsprechende pädagogische Fähigkeiten verfügen, eine solche Ausbildung durchzuführen. Ich habe vorhin das Beispiel einer
Fachhochschullehrerin im Bereich Informatik genannt.
Wir können also auch weiterhin gewährleisten, dass qualitativ gut ausgebildet wird, aber wir werden es sorgfältig beobachten.
Nachfrage des Kollegen Fahrenschon.
Frau Bundesministerin, die Verbände der Benachteiligtenbildungsarbeit haben im April einen bundesweiten
Aktionstag durchgeführt, um den Abgeordneten des
Deutschen Bundestages ihre Arbeit vorzustellen. Uns ist
stets mitgeteilt worden - ich habe zusammen mit dem
Kollegen Dr. Berg an einem Termin in München bei der
Kolping-Familie teilgenommen -, dass in den laufenden
Ausschreibungsverfahren die Kürzungen, die die BA
noch zum Ende des Jahres den Trägern der BenachteiligGeorg Fahrenschon
tenbildungseinrichtungen zugemutet hat, erarbeitet werden müssen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie
stellt die Bundesregierung sicher, dass die Festlegungen,
die mit der BA im April oder - wie wir jetzt gehört haben - im Mai erarbeitet wurden, in die laufenden Ausschreibungen durchschlagen? Ansonsten können Sie das
Ziel, das Sie uns zu unserer Überraschung vorgestellt haben, gar nicht durchsetzen.
Zum ersten: Die Bundesanstalt für Arbeit hat selbst in
einer Pressemitteilung vom 9. Mai bestätigt, dass die Arbeitsämter im Herbst dieses Jahres so viele Maßnahmeplätze für benachteiligte und behinderte Jugendliche wie
im letzten Jahr finanzieren werden. Der BA-Vorstand hat
beschlossen, dafür auch die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus haben wir im Rahmen der Ausbildungsoffensive miteinander verabredet, dass sich alle
Beteiligten einmal im Monat treffen, um ihre Erkenntnisse und Lagebeschreibungen auszutauschen. Wir
warten also nicht, sondern treffen uns einmal im Monat, zunächst auf Arbeitsebene. Wir werden uns Ende
Juli oder im August noch einmal in der gleichen Konstellation zusammensetzen, wie wir sie beim Start der
Ausbildungsoffensive hatten, um festzustellen, ob das,
was wir miteinander vereinbart haben, umgesetzt
wurde.
({0})
Nach der sehr ausführlichen Beantwortung der
Frage 5 kommen wir jetzt zur Frage 6 des Abgeordneten Tauss, bleiben aber beim Thema Ausbildungsoffensive:
Haben im Rahmen der Gespräche zu der am
29. April 2003 öffentlich vorgestellten Ausbildungsoffensive
von Bundesregierung und Sozialpartnern die von Industrieund Handels- bzw. Handwerkskammern erhobenen Gebühren
für die Registrierung von Ausbildungsplätzen eine Rolle gespielt und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber
vor, dass verschiedene Industrie- und Handels- bzw. Handwerkskammern diese Gebühren deutlich erhöht haben bzw.
erhöhen wollen?
Bitte, Frau Bundesministerin.
Die Bundesregierung, die Wirtschaftsverbände und
die Gewerkschaften haben in ihrer Erklärung zur Ausbildungsoffensive angekündigt, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen. Im Rahmen dieser Gespräche werden
auch die seitens der Industrie- und Handelskammern
bzw. Handwerkskammern von den Ausbildungsbetrieben im Zusammenhang mit der Berufsausbildung erhobenen Gebühren eine Rolle spielen.
Der Bundesregierung ist bekannt, dass einzelne IHKs
zunehmend Gebühren von den Ausbildungsbetrieben erheben, um ihre im Zusammenhang mit der Berufsausbildung erbrachten Leistungen zu finanzieren. Der Bundesregierung ist auch bekannt, dass verschiedene IHKs
gerade in letzter Zeit die Gebühren für die Ausbildungsbetriebe erhöht haben. Ich sage ausdrücklich: Wir halten
das für keine sinnvolle Entscheidung; wir halten das für
eine falsche Entscheidung. Deshalb wird dies auch im
Rahmen der Ausbildungsoffensive erörtert.
Ich hoffe, dass die Kammern von sich aus - auch das
haben einige Kammern getan - die im Zusammenhang
mit Ausbildung entstehenden Kosten nicht alleine von
den ausbildenden Betrieben verlangen, sondern sie auf
alle Betriebe umlegen. Wir prüfen im Übrigen vor dem
Hintergrund, dass einige Kammern die Gebühren doch
sehr deutlich erhöht haben, ob diesem, wenn nötig, mit
gesetzgeberischen Maßnahmen zu begegnen ist.
Nachfrage des Kollegen Tauss?
Nein. Ich glaube, wir können gleich zu Frage 7 übergehen.
Dann kommen wir zur Frage 7 des Abgeordneten
Tauss:
Welche Auswirkungen haben diese Gebühren, die nach
Pressemeldungen - zum Beispiel „Berliner Morgenpost” vom
28. April 2003 - mehrere 100 Euro betragen, aus Sicht der
Bundesregierung auf die Ausbildungsbereitschaft der betroffenen Betriebe?
Den bei ihr eingehenden Briefen von Unternehmen,
die gestiegene Gebühren für die Betreuung der Auszubildenden durch die Kammern und die überbetriebliche
Unterweisung beklagen, entnimmt die Bundesregierung,
dass diese Kosten von den Unternehmen als zusätzliche
finanzielle Belastung wahrgenommen werden. Diese
Unternehmen sehen sich durch die Kammern in ihrem
zusätzlichen Ausbildungsengagement nicht ausreichend
unterstützt, wenn die im Zusammenhang mit Ausbildung
stehenden Kosten innerhalb der Kammern in immer geringerem Maße solidarisch finanziert werden.
Deshalb - das sage ich noch einmal ausdrücklich - prüfen wir, ob diesem mit gesetzgeberischen Maßnahmen zu
begegnen ist, sodass diese Kosten nicht alleine den ausbildenden Betrieben angelastet werden. Ich habe vorhin
schon gesagt, dass ich persönlich das für einen falschen
Weg halte. Es kommt schon darauf an, dass auch die
Kammern deutlich machen, dass Ausbildung notwendig
und gewünscht und für die Wirtschaft von großer Bedeutung ist. Denn ohne Ausbildung stünden keine Fachkräfte mehr zur Verfügung. Sie fallen ja nicht vom Himmel, sondern müssen in Betrieben ausgebildet werden.
Es ist ureigene Aufgabe der Wirtschaft, dafür Sorge zu
tragen, dass ausgebildet wird und dass man nicht zu Regelungen kommt, die es den Betrieben erschweren, auszubilden.
Nachfrage des Kollegen Tauss.
Einige Betriebe sprechen im Zusammenhang mit den
Gebühren für die Registrierung von Ausbildungsplätzen,
die für viele Ausbildungsbetriebe einen nicht unerheblichen Kostenfaktor ausmachen, von Strafgebühren.
Meine Frage lautet: Gibt es von den Spitzenverbänden,
beispielsweise vom Zentralverband des Deutschen Handwerks oder vom DIHK, Signale, dass sie bereit sind, dieses Problem vor der Verabschiedung einer gesetzlichen
Regelung von sich aus anzugehen und Einfluss auf die
einzelnen Kammern zu nehmen, von solchen Gebühren,
die viele Betriebe abschrecken, Ausbildungsplätze zur
Verfügung zu stellen, zumindest in dieser Höhe Abstand
zu nehmen?
Ich habe meine Mitarbeiter ausdrücklich gebeten, das
bei den einzelnen Kammern - leider müssen wir das auf
diesem Weg machen - abzufragen. Wir thematisieren
dies im Rahmen der Ausbildungsoffensive. Unser Ziel
ist es, sicherzustellen, dass Betriebe, die ausbilden, nicht
durch höhere Gebühren zusätzlich belastet werden. Das
wäre das falsche Signal. Nach unserer Kenntnis haben
deshalb einige Kammern auf diese Art von Gebühren
verzichtet und sind vielmehr dazu übergegangen, die für
Ausbildung anfallenden Gebühren, die an die Kammer
gehen, umzulegen. Einige Kammern - es handelt sich ja
um eigenständige Körperschaften - haben das bereits
selbstständig gemacht. Das halte ich für eine außerordentlich gute Entscheidung. Aber wir prüfen auch, ob
wir durch gesetzgeberische Maßnahmen unterstützend
wirken können.
Von den Spitzenverbänden sind noch keine Initiativen
ausgegangen?
Über entsprechende Bemühungen der Spitzenverbände kann ich Ihnen noch nichts berichten.
Eine Nachfrage des Kollegen Rossmann.
Frau Ministerin, Sie haben positive Beispiele genannt. Bestehen dabei nach Ihrer Kenntnis Unterschiede
zwischen Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern oder ist das nicht der Fall?
Ich bitte Sie, unsere aktuelle Umfrage dazu abzuwarten. Ich will jetzt keine Auskunft geben, da es sein
könnte, dass diese nicht dem Sachstand entspricht. Wir
fragen zurzeit ab, wie die Situation aussieht. Wenn die
Ergebnisse vorliegen, kann ich Ihnen eine Antwort geben.
Gibt es weitere Nachfragen? - Das ist nicht der Fall.
Dann danke ich Ihnen, Frau Ministerin, für die ausführliche Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Staatsminister
Schwanitz ist anwesend, um die Fragen zu beantworten.
Die Fragen 8 und 9 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe deswegen Frage 10 des Abgeordneten Eckart
von Klaeden auf:
Welches Auftragsverhältnis besteht zwischen dem früheren Ermittlungsführer Dr. Burkhard Hirsch und dem Bundeskanzleramt - vergleiche Antwort des Staatsministers beim
Bundeskanzler, Rolf Schwanitz, auf meine Frage 7 in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 7. Mai 2003, Plenarprotokoll 15/42, Seite 3444 D - und seit wann?
Herr von Klaeden, wie bereits in der Antwort der
Bundesregierung vom 4. Dezember 2000 in der Bundestagsdrucksache 14/4915 auf Frage 7 der unter anderem
von Ihnen gestellten Kleinen Anfrage erläutert, stand
Bundestagsvizepräsident und Landesminister a. D.
Dr. Burkhard Hirsch als Ermittlungsführer im Bundeskanzleramt in einem öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnis. In der Antwort auf Frage 3 der Kleinen Anfrage
wurde bereits im Dezember 2000 erklärt, dass die Tätigkeit von Dr. Hirsch beendet ist.
Gibt es Nachfragen? - Bitte, Herr von Klaeden.
Herr Staatsminister, wie steht die Bundesregierung zu
der Äußerung von Dr. Burkhard Hirsch, der in einem öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnis gestanden hat,
über Oberstaatsanwalt Fred Apostel von der Staatsanwaltschaft am Landgericht Bonn, dass dieser lüge, wenn
er behaupte, die Akten - die angeblich vernichtet wurden seien gefunden worden? Teilen Sie diese Auffassung
von Herrn Hirsch?
Herr von Klaeden, ich kann und will die Aussage, die
Sie uns zur Kenntnis gegeben haben und die mir im Original noch nicht zur Verfügung steht, nicht kommentieren. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass es nach Auffassung der Bundesregierung in der Tat nicht so ist, dass
wir in einer Situation sind, wo der Verlust der Aktenbestände, der ursprünglich einmal Auslöser der UntersuStaatsminister Rolf Schwanitz
chung gewesen ist, nicht mehr akut ist. Nach Auffassung
der Bundesregierung und nach Auffassung des Bundeskanzleramtes sind die besagten Akten nach wie vor nicht
im Bestand.
Möchten Sie eine zweite Nachfrage stellen?
Ja, ich möchte gern eine zweite Nachfrage stellen,
und zwar möchte ich gerne wissen, ob Herr Hirsch an
der Bearbeitung der Stellungnahme der Bundesregierung
zum vorläufigen Vermerk der Staatsanwaltschaft Bonn
- mit Frist bis zum 31. Mai 2003; das hatten wir in der
letzten Fragestunde schon besprochen - beteiligt ist?
Herr Hirsch ist daran beteiligt; denn die Erarbeitung
dieser Stellungnahme ist eine Nachwirkung seines Auftragsverhältnisses und in diesem Rahmen wird seine Tätigkeit einzuordnen sein.
({0})
Nachfrage des Kollegen Hofmann.
Ich habe eine Nachfrage, die wichtig ist, um das
Ganze noch einmal zu beurteilen. Sie wissen, uns fehlten im Untersuchungsausschuss sieben Akten, die sich
mit der Privatisierung von Leuna beschäftigt haben, und
weitere Akten, die sich mit anderen Privatisierungen in
diesem Bereich beschäftigt haben. Teilt nun die Bundesregierung die Auffassung, die die Staatsanwaltschaft Bonn hat, dass diese Akten nunmehr vorhanden
sind? Das wäre für den Untersuchungsausschuss ja
wichtig.
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung ausdrücklich nicht. Wir werden das in der Stellungnahme noch
einmal explizit ausdrücken.
Als früheres Mitglied in diesem Untersuchungsausschuss wird Ihnen sicher noch in Erinnerung sein, wie
die Beweiserhebungsanträge ausgesehen haben. Die Aktenbestände zum Gesamtvorgang Leuna/Minol sind im
Zusammenhang mit dem Beweiserhebungsantrag des
Untersuchungsausschusses in der 12. Legislaturperiode
innerhalb des Bundeskanzleramtes in mehrere Aktenbestände aufgeteilt worden. Später erfolgte die Übergabe
von Originalunterlagen an den Untersuchungsausschuss.
Diese vom Ausschuss zurückgegebenen Unterlagen finden sich nach wie vor nicht im Bestand des Bundeskanzleramtes.
Auch Kopien - die seinerzeit aus Gründen sorgfältiger Aktenführung gefertigt wurden - befinden sich heute
nicht mehr im Bestand des Kanzleramtes. Das Gleiche
gilt für Teile des früheren Gesamtvorganges, die den
Kernbereich der Exekutive betreffen und nicht an den
Untersuchungsausschuss weitergegeben worden sind.
Auch diese Originalaktenbestände sind nicht mehr im
Bestand des Kanzleramtes. Es ist nach wie vor unsere
Auffassung, dass die sieben weiteren Privatisierungsvorgänge, die der Ausschuss seinerseits über den Bereich
Leuna/Minol hinaus angefordert hat und die auch ausgereicht worden sind, ebenfalls nicht mehr im Bestand des
Bundeskanzleramtes vorhanden sind.
Zunächst darf Kollege Koschyk eine Nachfrage stellen.
Herr Staatsminister, in der Fragestunde vom 7. Mai
haben Sie ausgeführt, dass sich der Vermerk der Staatsanwaltschaft Bonn vom 25. März, der jetzt Gegenstand
dieser Frage ist, ausschließlich mit den Ergebnissen der
Ermittlungen von Herrn Dr. Hirsch befasst. Ist es aber
nicht so, Herr Staatsminister, dass die Staatsanwaltschaft
Bonn in dieser Angelegenheit über Jahre eigene Ermittlungen geführt hat, darunter auch von ihr selbst durchgeführte Zeugenvernehmungen, die dann ebenfalls Gegenstand dieses Vermerkes geworden sind?
Selbstverständlich hat es eigene Ermittlungstätigkeiten gegeben. Es hat auch nach der Tätigkeit von Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Hirsch eine Kommunikation
zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Bundeskanzleramt gegeben. Deswegen steht das nicht infrage.
Das Wort zur Nachfrage hat der Kollege Binninger.
Herr Staatsminister, jetzt stehen wir vor einem Ergebnis, bei dem die Staatsanwaltschaft und die Ermittler der
Bundesregierung sich offensichtlich nicht einig sind. Die
Maßnahmen wurden mit sehr hohem Aufwand betrieben. Ich frage Sie: Wie viele Mitarbeiter des Kanzleramtes waren zusätzlich zu Herrn Hirsch für diese Aufgabe
freigestellt und welcher Zeit- und Arbeitsaufwand fiel
dabei an?
Bezogen auf diese von Ihnen aufgeworfenen Fragen
nach dem personellen Aufwand will ich Sie - ich habe
die Zahlen jetzt nicht vorliegen - noch einmal auf die
Antwort auf die Kleine Anfrage verweisen, die ich in
meiner Antwort auf die Frage von Herrn Klaeden angesprochen habe.
Zu diesen Fragen - auch zur personellen Unterstützung - haben wir seinerzeit umfangreich Stellung
genommen. An der Aktualität dieser Zahlen hat sich bis
heute nichts geändert. Ich will noch einmal ausdrücklich
sagen, dass von meiner Seite nicht der Eindruck bestätigt
wird, dass diese Ermittlungstätigkeiten - Zeugenbefragungen und Untersuchungen - aus der heutigen Sicht gegenstandslos oder nicht erforderlich gewesen sind; denn
an dem von mir vorhin bereits dargestellten Sachverhalt,
dass Aktenbestände, die sich im Bereich des Kanzleramtes befinden müssten, dort nicht mehr vorhanden sind,
hat sich nichts geändert.
Eine Nachfrage des Kollegen Wanderwitz.
Herr Staatsminister, inwieweit wurde im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen durch Ihr Haus über das
beim Bundeskanzleramt vorhandene Personal hinaus externer Sachverstand in Anspruch genommen?
({0})
In der Tat wurde auch externer Sachverstand hinzugezogen. Die Generalbundesanwaltschaft ist um Unterstützung gebeten worden. Dort gab es einen Beamten, der
damals in diesem Bereich tätig gewesen ist. Es hat also
nicht nur eine rein interne Untersuchung gegeben.
Das Wort hat die Frau Kollegin Voßhoff.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin erwähnt, dass
die Bundesregierung nach wie vor an ihrer Position festhält, wonach die Behauptung, dass Akten verschwunden
seien, zutrifft. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung mehrfach - oder zumindest schon vor geraumer
Zeit - Stellungnahmen dazu gegenüber der Staatsanwaltschaft abgegeben hat.
Sie sagen jetzt, dass eine weitere Stellungnahme bis
zum 31. Mai 2003 abzugeben ist. Haben sich in der Zwischenzeit - von der ersten bis zur jetzt abzugebenden
Stellungnahme - irgendwelche neuen Erkenntnisse ergeben oder basiert die Position der Bundesregierung nach
wie vor auf den Dingen, die in den bisherigen Stellungnahmen immer behauptet wurden?
Ich will der Stellungnahme, die sich jetzt noch in der
Bearbeitung befindet, nicht vorgreifen. Dafür bitte ich
um Verständnis. Das wird bis Ende Mai seitens des
Bundeskanzleramtes zu einem Abschluss zu bringen
sein.
Ich bin sehr optimistisch, dass unsere Stellungnahme
eine ähnlich starke Überzeugungskraft haben wird wie
die erste. Sie haben noch in Erinnerung, dass die Staatsanwaltschaft Bonn bereits damals von der Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens eigentlich absehen wollte,
nach dem Einreichen unserer Stellungnahme ein solches
Verfahren allerdings doch eingeleitet hat.
({0})
Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir argumentativ
abermals erfolgreich sein werden.
Eine Frage der Frau Kollegin Connemann, bitte.
Wir haben gehört, dass zum einen Mitarbeiter des
Bundeskanzleramtes abgestellt worden sind und dass
zum anderen auch externer Sachverstand in Anspruch
genommen worden ist.
In diesem Zusammenhang würde mich interessieren,
wie hoch die Gesamtkosten aufseiten der Bundesregierung sind, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen
des Bundeskanzleramtes, zum Beispiel den disziplinarrechtlichen Vorermittlungen durch Herrn Hirsch, bisher
aufgelaufen sind.
({0})
Ich bitte um Verständnis, wenn ich auch hier - es handelt sich um einen ähnlichen Sachzusammenhang wie
bei den Fragen zuvor - auf die entsprechenden Antworten im Rahmen der bereits mehrfach angesprochenen
Kleinen Anfrage verweise.
({0})
Mir liegen jetzt keine konkreten Zahlen vor.
Die nächste Frage hat Herr Dr. Bergner.
Herr Staatsminister, der Kollege Frank Hofmann hat
am 28. Juni 2000 mit Blick auf die von Herrn Hirsch
aufgestellten Behauptungen gesagt,
({0})
bei dem Vorgang, um den es ging, handele sich um einen
Fall von Regierungskriminalität.
Angesichts des Umstandes, dass die zuständige Ermittlungsbehörde die uns allen bekannte Entscheidung
getroffen hat, frage ich Sie:
({1})
Wie bewertet die Bundesregierung die Behauptung
des Kollegen Hofmann, es handele sich um Regierungskriminalität?
Zunächst bitte ich um Verständnis. Das ist keine Aussage der Bundesregierung gewesen, sondern eine Aussage eines Mitgliedes dieses Hauses.
({0})
Zum Zweiten lege ich Wert auf die Feststellung, dass
das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist,
sondern durch Einstellung oder durch Erhebung der Anklage endet. Beides ist noch nicht erfolgt.
({1})
Wir kommen zur Frage 11 des Abgeordneten Eckart
von Klaeden:
Erhält oder erhielt Dr. Burkhard Hirsch im Rahmen dieses
Auftragsverhältnisses Einsicht in amtliche Akten und, falls ja,
ist eine Verpflichtung nach dem Verpflichtungsgesetz erfolgt?
Herr Kollege von Klaeden, ich beantworte die Frage
wie folgt: Zum Rechtsstatus und zu den Befugnissen von
Dr. Hirsch als Ermittlungsführer im Bundeskanzleramt
wurde in der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage von Ihnen und anderen Mitgliedern der
CDU/CSU-Fraktion am 4. Dezember 2000 ausführlich
Stellung genommen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach davon gesprochen, dass es noch eine Nachwirkung dieses Auftragsverhältnisses gibt. Deswegen finde ich es nicht ganz
nachvollziehbar, dass Sie die Nachwirkungen, die es im
Jahr 2003 gibt, mit dem Hinweis auf die Antwort auf
eine Kleine Anfrage aus dem Jahr 2000 abbügeln.
Hält es die Bundesregierung für sachdienlich und verantwortbar, dass an der Erstellung dieser Stellungnahme
Personen beteiligt sind - ich nenne den Namen Hirsch,
aber auch den Namen von Frau Sudhof -, die offensichtlich als befangen gelten und möglicherweise damit rechnen müssen, Ermittlungsverfahren und zivilrechtlichen
Schadensersatzansprüchen wegen der Anschuldigungen, die sie gegen andere Personen erhoben haben, ausgesetzt zu werden?
Herr von Klaeden, es gibt an dem Untersuchungsverfahren aus Sicht der Bundesregierung nichts zu beanstanden. Ich will ausdrücklich festhalten, dass ich
glaube, diese Frage nicht abgebügelt zu haben. Ich habe
vielmehr darauf hingewiesen, dass die jetzige Tätigkeit
bzw. das nochmalige Tätigsein eine Nachwirkung des
früheren Beauftragungsverhältnisses ist. Das ist im
Rechtsverkehr eine völlig normale Situation. Zu dem
früheren Rechtsverhältnis wurde in dieser Kleinen Anfrage ausführlich Stellung genommen.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es ist doch folgender Umstand
auffällig: Sie sprechen von „Bundeslöschtagen“. Die
Festplatte, die das hätte nachweisen können, ist unter Ihrer Verantwortung vernichtet worden. Sie haben hier den
Verlust bzw. das Nicht-auffinden-Können von Aktenbeständen behauptet und gleichzeitig nicht erwähnt, dass
die Registrierkarte, mit der man diese Aktenbestände
hätte nachweisen können, unter der Verantwortung Ihrer
Bundesregierung vernichtet worden oder jedenfalls verschwunden ist.
Meine Frage ist erstens: Warum erwähnen Sie diesen
wichtigen Umstand nicht? Zweitens: Ist diese Registrierkarte vielleicht wieder aufgetaucht?
Ich will, Herr von Klaeden, weil es sich hier wahrscheinlich um ein Missverständnis oder eine Fehlinformation handelt,
({0})
ausdrücklich sagen, dass der Verlust der ursprünglichen
Registrierkarte - dabei geht es um jene, die quasi Auskunft über den Gesamtumfang des ursprünglichen, noch
nicht in mehrere Teilbestände unterteilten Gesamtvorgangs gibt, also quasi um den Vorgang vor dem ersten
Beweiserhebungsantrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in der 12. Legislaturperiode - in das
Jahr 1993/94 fällt.
({1})
Insofern besteht der zeitliche Zusammenhang, den Sie
beschreiben, nicht.
({2})
Wir kommen zur Frage 12 der Abgeordneten Andrea
Voßhoff:
Gedenkt die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem
angeblichen Verschwinden von Akten bzw. der Löschung einer Festplatte, gegebenenfalls zu Unrecht Beschuldigte - vergleiche die „Welt“ vom 5. Mai 2003 und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, Seiten 1 und 10, vom 15. Mai 2003 - zu
rehabilitieren bzw. zu entschädigen?
Ich möchte die beiden Fragen gern im Zusammenhang beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Frage 13 der Abgeordneten Andrea Voßhoff auf:
Wenn ja, wann und in welcher Form wird das geschehen?
Frau Kollegin Voßhoff, ich möchte eine persönliche
Vorbemerkung voranstellen. Ich habe sowohl im Rahmen meiner Tätigkeit in der Bundesregierung als auch
als Mitglied des Deutschen Bundestages in der Opposition mit Fragen der Rehabilitierung sehr intensiv zu tun
gehabt. Die Rehabilitierung ist ein Rechtsbegriff, der die
Wiedergutmachung im Zusammenhang mit Unrechtsakten des SED-Regimes betrifft.
({0})
- Das ist so. - Vor diesem Hintergrund lege ich in aller
Zurückhaltung, aber auch in aller Deutlichkeit zunächst
einmal großen Wert darauf, dass ich eine Verbindung
dieses Begriffes mit der Materie, um die es in der Frage
in der Sache geht, für unangemessen erachte.
({1})
Bezogen auf die Frage möchte ich darüber hinaus folgende Antwort geben: Die Strafanzeige des Bundeskanzleramtes wegen des Verdachts der Beseitigung von
Akten bzw. der Löschung von Daten beruht auf Tatsachen, welche diesen Verdacht begründen. Insoweit hat
die Staatsanwaltschaft Bonn nach Bejahung des Anfangsverdachts Ermittlungen aufgenommen.
Weder hat das Bundeskanzleramt zu Unrecht Personen beschuldigt noch hat die Staatsanwaltschaft Bonn zu
Unrecht gegen diese Personen ermittelt. Aus diesem
Grund sind auch kein Anlass und keine Rechtsgrundlage
ersichtlich, aus denen eine Rehabilitierung oder Entschädigung in Betracht käme.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, ich darf noch einmal darauf zurückkommen, was Sie in der vorherigen Befragung der
Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Verschwinden der zentralen Festplatte im Jahr 1999 ausgeführt haben. Sie haben in Ihrer Antwort den Eindruck erweckt, die unter der politischen Verantwortung von
Bundeskanzler Schröder im Jahr 1999 erfolgte Vernichtung der Festplatte im Kanzleramt sei Gegenstand eines
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gegen
den Leiter der Abteilung 1 des Bundeskanzleramtes gewesen, der aber seinerseits nach dem Regierungswechsel
im Jahr 1998 in den einstweiligen Ruhestand versetzt
wurde. Sie haben damit im Zusammenhang mit der Löschung der Festplatte einen Bezug zu dieser Person hergestellt. Was veranlasst Sie oder die Bundesregierung,
dies nicht für eine Fehlinformation des Bundestages zu
halten?
Frau Kollegin, wenn Sie noch einmal im Protokoll
nachlesen, werden Sie bemerken, dass ich in meiner
Antwort keinen bestimmten Beamten in Bezug auf die
vom Kanzleramt durchgeführten Ermittlungen beschuldigt habe. Sie hatten angedeutet, um wen es geht; es ist
aber auch seinerzeit - das ist in einem Artikel nachzulesen - öffentlich geworden. Weshalb sich ein bestimmter
Beamter angesprochen gefühlt hat, entzieht sich meiner
Kenntnis.
({0})
Der Vorgang, um den es in der Frage ging, bezog sich
auf die Tätigkeit des IT-Referatsleiters. In diesem Bereich sind - das ist Gegenstand unserer Ermittlungen die Reduzierungen der Datenbestände erfolgt. Im selben
Bereich lag die Verantwortlichkeit für die im Frühjahr
1999 erfolgte Entnahme und spätere Vernichtung der
Festplatte.
Muss ich dem ersten Teil Ihrer Antwort entnehmen,
Herr Staatsminister, dass die Bundesregierung in keinem
Fall an eine Rehabilitierung oder Entschädigung des betroffenen Beamten denkt?
Ich muss an dieser Stelle gerade auch bezogen auf
Ihre persönliche Tätigkeit, Frau Voßhoff, eines ausdrücklich feststellen: Wir kennen uns seit mehreren Jahren. Sie sind Mitglied des Rechtsausschusses und haben
die gesamte Rehabilitierungsgesetzgebung begleitet. Sie
wissen, dass Rehabilitierung ein Begriff aus dem SEDUnrechtsbereinigungsgesetz ist.
({0})
Infolgedessen kann ich einen solchen Zusammenhang an
dieser Stelle nur nachdrücklich zurückweisen.
Frau Kollegin, Sie haben noch zwei weitere Zusatzfragen, weil beide Fragen gemeinsam beantwortet wurden.
Ich habe noch eine weitere Frage, Herr Staatsminister.
Die Frist für die Stellungnahme der Bundesregierung enAndrea Voßhoff
det am 31. Mai. Ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung ihre Stellungnahme fristgerecht abgeben wird?
Davon gehe ich aus.
Noch eine Zusatzfrage?
Ich ziehe sie zurück.
Dann kommen wir zur Zusatzfrage des Abgeordneten
von Klaeden.
Herr Staatsminister, Ihre Ausführungen zur Rehabilitierung werden - das muss ich leider feststellen - jedem
rechtskundigen Bürger verschlossen geblieben sein.
Deswegen will ich noch einmal fragen: Sind Sie tatsächlich der Ansicht, dass es in einem Rechtsstaat wie der
Bundesrepublik Deutschland für einen Bürger, dem Unrecht durch Organe der Bundesrepublik Deutschland widerfahren ist, keine Rehabilitierung geben kann?
Herr von Klaeden, selbstverständlich haben in der
Bundesrepublik Deutschland beispielsweise Personen,
die unrechtmäßig in Untersuchungshaft saßen, Entschädigungsansprüche.
({0})
Das Rechtsinstitut der Rehabilitierung ist aber ausschließlich Gegenstand des Ersten und Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes. Ich muss mich - in gleicher
Intensität wie eben, als die Frage in eine andere Richtung
ging - angesichts der großen politischen Umstrittenheit
dieses Begriffs im Zusammenhang mit Rehabilitierungsfragen - das ist in mehreren Legislaturperioden im Deutschen Bundestag deutlich geworden - sehr wundern.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Georg
Fahrenschon:
Plant die Bundesregierung, den Umzug des Bundesnachrichtendienstes aus den betroffenen Standortgemeinden im
Umkreis von München - Pullach, Haar, Gauting-Stockdorf nach Berlin wie die Aufgabe von Bundeswehrstandorten zu
behandeln - Konversion -, und ist geplant, den betroffenen
Gemeinden vor dem Hintergrund der notwendigen, umfangreichen planerischen Aufgaben finanzielle Unterstützung zur
Erstellung der Nachfolgeplanungen zu gewähren?
Herr Kollege Fahrenschon, meine Antwort lautet:
Nein, derartige Planungen bestehen derzeit nicht.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatsminister, Sie selber hatten bei der letzten
Befragung auf die Tatsache hingewiesen, dass gemäß
Beschluss des Sicherheitskabinetts 10 Prozent der Gemeindefläche am Standort Pullach freigegeben werden
sollen. Ich frage Sie deshalb nach Ihrer Einschätzung: Ist
eine solche Größenordnung notwendig und sollte nicht
darüber nachgedacht werden, die betroffenen Flächen
wie Konversionsprojekte an Bundeswehrstandorten zu
behandeln? Schließlich hängt die Höhe des Erlöses aus
dem Verkauf dieses Areals ganz entscheidend von der
Zusammenarbeit mit der Gemeinde ab, in deren baurechtliche Hoheit das betroffene Areal fällt.
Diese Auffassung teile ich ausdrücklich nicht. Die
Größe einer solchen Fläche kann nicht alleiniger Maßstab für die Anwendung des geltenden Rechts sein. Die
Rechtslage ist eindeutig: Möglichkeiten im Sinne einer
Konversion bestehen nur bei zuvor militärisch genutzten
Flächen. Um eine solche Fläche handelt es sich in diesem Fall nicht.
Ich möchte hinzufügen, dass nicht nur dieser rein
sachliche Grund, sondern auch strukturpolitische
Gründe dagegensprechen. Da es sich hier nicht nur um
ein großes, sondern auch um ein im Großraum von München in bester Lage befindliches Areal handelt, das sehr
hohe Entwicklungspotenziale aufweist, kann man nicht
von einer Strukturschwäche sprechen. Im Gegenteil:
Hier können sich sogar Potenziale für die betroffenen
Gemeinden entwickeln.
Herr Fahrenschon, Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, in meiner zweiten Zusatzfrage
beziehe ich mich auf frühere Umzugsbeschlüsse von
Bundesregierungen, beispielsweise den Umzug der Stiftung „Wissenschaft und Politik“. Für diesen Umzug
wurde von der damaligen Bundesregierung eine eigene
Arbeitsgruppe eingerichtet, die insbesondere mit der betroffenen Landesregierung gemeinsam die Möglichkeiten eines optimalen stufenweisen Umzugs ausgelotet
hat. Wird darüber nachgedacht, die betroffene Landesregierung in die Planungen des Umzugs des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin einzubeziehen?
Es hat unmittelbar nach der Tagung des Sicherheitskabinetts eine Unterrichtung der Bayerischen Staatsregierung gegeben. Wir sind uns völlig im Klaren darüber,
dass insbesondere mit den unmittelbar betroffenen Gemeinden die organisatorischen und die logistischen Rahmenbedingungen des Umzugs intensiv besprochen werden müssen. Ich kann den konkreten Abläufen und
Besprechungen nicht vorgreifen. Aber das wird sicherlich keine Entscheidung sein, die die Bundesregierung
autark trifft.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau
Staatsministerin Kerstin Müller bereit.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Pfeiffer auf:
Kann die Bundesregierung Informationen bestätigen, dass
in der chinesischen Stadt Harbin mehrere Anhängerinnen der
Falun-Gong-Bewegung in einem Drogenentzugszentrum an
der Yi-Man-Straße 66 im Bezirk Nan-Gan inhaftiert sind und
dort menschenrechtswidrig der Folter ausgesetzt werden, und,
wenn ja, in welcher Form spricht sie dieses Problem in ihren
Kontakten mit der chinesischen Regierung an?
Frau Kollegin Pfeiffer, ich beantworte die Frage wie
folgt: Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Volksrepublik China mit unverhältnismäßigen Mitteln gegen
Anhänger von Falun Gong vorgeht und dabei menschenrechtliche Minimalstandards in schwerwiegender Weise
verletzt. Es gab bereits in der Vergangenheit Berichte
über Einweisungen in die Psychiatrie ohne sachgemäße
Diagnostik und anderes. Wir haben dieses Thema daher
angesprochen. Es ist regelmäßig Gegenstand im so genannten bilateralen Menschenrechtsdialog, so auch im
Februar dieses Jahres.
Die Bundesregierung war mit den von Ihnen hier konkret benannten Fällen bisher noch nicht befasst. Uns liegen über die Angaben des Falun-Gong-Informationszentrums hinaus keine weiter gehenden Informationen
vor; aber unsere Botschaft in Peking geht im Rahmen
ihrer ständigen Beobachtung der Menschenrechtslage in
China diesen wie auch anderen einschlägigen Hinweisen
nach.
In unseren politischen Gesprächen mit der chinesischen Führung sprechen wir sowohl bilateral als auch
gemeinsam mit den EU-Partnern regelmäßig das menschenrechtswidrige Vorgehen der chinesischen Behörden gegenüber den Anhängern von Falun Gong an. Dabei werden gegebenenfalls Listen mit Namen von
Betroffenen übergeben.
Ihre erste Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, das Interesse der Medien war
in den letzten Wochen ganz eindeutig auf den Irak gerichtet. Liegen der Bundesregierung irgendwelche Erkenntnisse darüber vor, ob es während dieser Zeit Menschenrechtsverletzungen und Verfolgungen - vor allem
in Bezug auf Christen - in der Volksrepublik China
gab?
Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, ob es so etwas während dieser vier Wochen gab. Es kann gut sein. Ich kann
Ihnen generell sagen, dass wir uns natürlich auch für andere Minderheiten und ihre Rechte einsetzen. Nicht nur
die Anhänger der Falun-Gong-Bewegung sind Repressalien ausgesetzt, sondern auch Tibeter, Uighuren, Mitglieder der so genannten romtreuen Untergrundkirche und
der protestantischen Kirchen.
Wir sprechen auch diese Dinge im Menschenrechtsdialog sehr konkret an und gehen ihnen nach. In einigen
Fällen haben wir mit diesen konkreten Gesprächen Erfolg
gehabt und für die Betroffenen etwas erreichen können.
Sie haben das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.
Damit geben Sie bereits die Antwort auf meine
nächste Frage. Ich frage trotzdem noch einmal nach. Ist
in den von Ihnen erwähnten Menschenrechtsdialogen,
auch in dem im Februar, auf Menschenrechtsverletzungen und Verfolgungen von Christen in der Volksrepublik
China noch einmal ganz konkret hingewiesen worden?
Wurden sie thematisiert und wurde nach entsprechenden
Maßnahmen gefragt?
In den letzten Menschenrechtsdialogen im Februar ist
auf jeden Fall - das war der Ausgangspunkt Ihrer Frage das Thema Falun Gong angesprochen worden. Ich kann
Ihnen nicht sagen, ob bei diesen Gesprächen konkrete
Einzelfälle im Hinblick auf andere, christliche Minderheiten angesprochen wurden. Ich vermute es aber, weil
es zu unserer Politik gehört, die Rechte von Minderheiten anzusprechen.
Ich beziehe mich auf den genannten Fall, mit dem ich
mich befasst habe: Die Botschaft versucht, dem Fall
konkret nachzugehen und Informationen zu bekommen.
Ich hoffe, dass wir diesbezüglich etwas erreichen können. Wenn wir etwas erreichen, werde ich Ihnen Rückmeldung geben.
Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Dr. Ole Schröder
auf:
Haben die Vertreter der Bundesregierung zum Entwurf zu
Art. 12 zu Teil II des Verfassungsvertrages, wonach die „Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt, Aufenthaltserlaubnisse und Familienzusammenführung“ durch Gesetze und
Rahmengesetze in qualifizierter Mehrheit festgelegt werden
sollen, der aber keine klare Kompetanzabgrenzung für den
Zugang zum Arbeitsmarkt enthält, Änderungsanträge gestellt
und, wenn nein, warum nicht?
Herr Kollege Schröder, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Zum Entwurf des Art. 12 Teil II des VerfassungsStaatsministerin Kerstin Müller
vertrages hat der persönliche Beauftragte für den Konvent, Bundesminister Joschka Fischer, schriftliche Änderungsanträge eingereicht, die auf der Internetseite des
Europäischen Konvents veröffentlicht sind, da der ganze
Prozess sehr transparent diskutiert wird.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Danke schön für Ihre ausführliche Beantwortung der
Frage, Frau Staatsministerin. Ich habe noch zwei Nachfragen.
Erstens. Die Regierung hat wiederholt betont, dass
die Regelung des Zugangs zum Arbeitsmarkt im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben soll. In
einem Antrag, der von der Bundesregierung zu Art. 12
gestellt wurde, gibt es eine Erklärung, nach der die Regelung des Zugangs zum Arbeitsmarkt im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten verbleiben soll. In
Art. 12 des Konvententwurfs steht, dass die Union eine
gemeinsame Einwanderungspolitik entwickeln soll. Unter eine solche gemeinsame Einwanderungspolitik fällt
auch die Regelung der Zuwanderung für die Aufnahme
einer Beschäftigung. Warum hat die Bundesregierung
das nicht in ihren Antrag aufgenommen, sondern nur in
der Erklärung erwähnt, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt weiterhin von den Mitgliedstaaten geregelt werden soll?
Es steht, wie gesagt, auf der Internetseite; das ist vielleicht nicht bekannt. Von uns ist eben zu Art. 12 beantragt worden, festzulegen - ich zitiere -: „Die Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften ist
ausgeschlossen.“ - Das ist völlig ausreichend und ist genau im Sinne dessen, was Sie jetzt dargestellt haben.
Was Sie weiter zitiert haben, ist die so genannte Erläuterung zu diesem Änderungsantrag. Dem ist nichts
hinzuzufügen.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Der Änderungsantrag, den Sie eben zitiert haben, bezieht sich auf Art. 12 Abs. 4.
Ihre Frage auch.
Ich spreche aber die ganze Zeit über Art. 12 Abs. 1, in
dem steht, dass eine gemeinsame Einwanderungspolitik
von der Union entwickelt werden soll.
Die Bundesregierung hat in ihrer Erläuterung explizit
festgestellt, dass ihrer Auffassung nach der Zugang zum
Arbeitsmarkt weiterhin von den Mitgliedstaaten geregelt
werden soll. Warum stellt sie nicht einen entsprechenden
Antrag, sondern erläutert das nur im Anhang?
Erstens. Ich muss Sie korrigieren. Ihre Eingangsfrage
bezog sich auf Art. 12 zu Teil II und auf die Änderungsanträge dazu. Wenn sich die Änderungsanträge auf
Abs. 4 beziehen, dann kann ich schlecht über Abs. 1 reden.
Zweitens. Es ist natürlich sinnvoll, eine gemeinsame
Einwanderungspolitik auf europäischer Ebene zu entwickeln. Mich erstaunt sehr, dass Sie grundsätzlich etwas
dagegen haben. Mir ist nicht bekannt, dass das den Beschlüssen der CDU/CSU widerspricht. Im Übrigen soll
die weiter gehende Harmonisierung ausgeschlossen
bleiben. Das heißt: Es bleibt nationales Recht. Allgemeines dazu wird auf europäischer Ebene vereinbart;
wenn es konkret wird, bleibt es in der nationalen Zuständigkeit.
Ich füge aber hinzu: Das Ganze ist nicht beschlossen.
Wir haben hierzu einen Änderungsantrag eingereicht.
Ob dieser Änderungsantrag letztlich angenommen wird,
kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen.
Damit kommen wir zur Frage 17 des Abgeordneten
Dr. Ole Schröder:
Beabsichtigt die Bundesregierung, zum Entwurf zu
Art. 12 zu Teil II des Verfassungsvertrages noch Änderungsanträge zu stellen, und, wenn ja, welchen Inhalts?
Diese Frage ist eigentlich mit der Antwort auf die vorige Frage beantwortet. Ich kann aber noch etwas hinzufügen.
Herr Kollege Schröder, es ist Ihre Frage. Stehen Sie
bitte auf.
({0})
Der persönliche Beauftragte für den Konvent, Bundesminister Fischer, hat sich in seinem schriftlichen Änderungsantrag eine abschließende Stellungnahme dazu
vorbehalten, ob bestimmte Bereiche der Einwanderungspolitik vorerst weiterhin der Einstimmigkeit unterworfen
bleiben sollen. Es geht ja um die Frage: Einstimmigkeit
oder qualifizierte Mehrheit?
Ihre Zusatzfrage.
Wird sich die Bundesregierung denn noch abschließend dazu äußern, ob bestimmte Bereiche der Einwanderungspolitik der Einstimmigkeit unterworfen bleiben
sollen, und, wenn ja, wann?
Was meinen Sie mit „äußern“? Wir haben uns in den
schriftlichen Änderungsanträgen geäußert.
Dort ist aber nur von einem Vorbehalt die Rede. Dort
heißt es: Eine Stellungnahme, ob bestimmte Bereiche
der Einwanderungspolitik vorerst weiterhin der Einstimmigkeit unterworfen sein sollten, bleibt vorbehalten. Die Frage ist ja, wann dieser Vorbehalt entsprechend ausgefüllt wird, also wann die endgültige
Entscheidung fällt.
Wir haben bezüglich dieser Frage einen Vorbehalt
geltend gemacht. Ihre endgültige Position zur Beibehaltung der Einstimmigkeit hat die Bundesregierung noch
nicht festgelegt. Wir werden sie in Kürze festlegen. Dies
hängt ja mit dem Verfahren zusammen: Wir haben einen
Antrag gestellt, wissen jetzt aber noch nicht, wie dieser
Antrag beschieden wird. Abschließend muss man dann
darüber beraten, wie man verfährt. So hängt das zusammen.
Ihre zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatsministerin, Sie wissen, dass der Konvent
seinen abschließenden Entwurf im Juni veröffentlichen
wird. Bis dahin werden die Beratungen abgeschlossen
sein. Wann gedenkt denn die Regierung, sich dahin gehend zu entscheiden, in welchen Bereichen Einstimmigkeit beibehalten werden soll und in welchen nicht? Es
wird ja Zeit.
Darüber gibt es laufend Beratungen. Wir haben den
Vorbehalt festgehalten. Darüber hinaus werden mit den
Partnern konkrete Diskussionen geführt, für welche Bereiche dies gegebenenfalls infrage käme. Man muss sich
ja auch mit den anderen darüber unterhalten, in welchen
Bereichen das zu erreichen ist. Wir werden uns dann vor
Abschluss - Sie haben Recht: vor Juni - dazu äußern.
Nichtsdestotrotz beraten wir uns laufend in der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Koschyk.
Frau Staatsministerin, an welche Bereiche bei der Zuwanderung denkt die Bundesregierung denn konkret,
wenn sie jetzt, was ja unterstützenswert ist, den Vorbehalt angemeldet hat, in bestimmten Bereichen die Einstimmigkeit beizubehalten?
Dazu kann ich jetzt nichts Konkretes sagen. Das
hängt auch von den Debatten im Konvent ab.
Könnten Sie das nachreichen?
Nein, glaube ich nicht. Ich kann mich aber erkundigen. Das hängt ja auch mit dem Diskussionsprozess zusammen.
Wir haben eine weitere Zusatzfrage des Kollegen
Gewalt.
Frau Staatsministerin, Sie haben über Abstimmungsbedarf mit den Partnern gesprochen. Könnten Sie näher
erläutern, welche Partner Sie da meinen?
Ich meine all die Mitglieder, die im Konvent und seinen Arbeitsgruppen sind. Mit denen werden Änderungsanträge beraten.
({0})
Im Zusammenhang mit dem Vorbehalt habe ich Ihnen ja
schon gesagt, dass die Bundesregierung bezüglich der
Bereiche, bei denen sie Einstimmigkeit will, in Kürze
eine gemeinsame Haltung festlegen wird.
Frau Staatsministerin, vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich schließe damit diesen Geschäftsbereich und
komme zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
des Innern.
Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische
Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 18 des Kollegen Martin
Hohmann:
Gibt es bei der Bundesregierung Überlegungen oder Planungen, rechtskräftig abgelehnten Asylbewerbern, insbesondere
auch solchen, die durch Passvernichtung oder sonstige Identitätsverschleierung Ausreise- oder Abschiebungshindernisse geschaffen haben, die staatlichen Zuwendungen zu kürzen?
Herr Kollege Hohmann, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Bundesregierung weist im Zusammenhang mit Ihrer Frage auf die gesetzlichen Regelungen in
§ 1 a und § 2 Asylbewerberleistungsgesetz hin und sieht
für den angesprochenen Personenkreis derzeit keine Veränderungen vor, die - das ist jetzt wichtig - über den Inhalt des vom Bundestag am 9. Mai 2003 verabschiedeten
Zuwanderungsgesetzes hinausgehen.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Beantwortung. Ich darf nachfragen: Kann da nicht doch der
Eindruck entstehen, dass bei deutschen Leistungsempfängern, Rentnern, Sozialhilfeempfängern und auch anderen benachteiligten Gruppen, ein eher strengerer Maßstab angelegt wird, aber bei Ausländern, die ja zum Teil
auch noch unter Vorwand in unser Land gekommen sind
und rechtskräftig ausgewiesen sind, günstigere Maßstäbe angelegt werden?
Herr Kollege Hohmann, das sehe ich nicht. Ein Blick
in das Gesetz verdeutlicht sehr gut insbesondere auch die
Veränderungen, die wir diesbezüglich vorgenommen haben. Ich weise noch einmal auf § 2 Asylbewerberleistungsgesetz hin, in dem ausdrücklich auch das Wort
„rechtsmissbräuchlich“ verwendet worden ist, womit
eine Tatsache beschrieben wird, die wir so nicht haben
wollen. Ich glaube, aufgrund dieses Inhalts gibt es da
keine unterschiedliche Handhabung. Ein solcher Eindruck sollte sich auch nicht verfestigen.
Weitere Zusatzfrage? - Nein. Dann hat der Kollege
Binninger das Wort.
Herr Staatssekretär, was im Gesetz steht und was hinterher Anwendung findet, muss nicht immer das Gleiche
sein. Ich möchte eine ganz kurze Vorbemerkung machen: Am Sonntag war in „Spiegel TV“ ein Bericht über
einen Libanesen zu sehen, der offensichtlich nicht abgeschoben werden kann. Er sieht sich selber - so war dem
Bericht zu entnehmen - als eine Art König der Unterwelt hier in Berlin. Seine Familie erhält umfängliche
staatliche Leistungen, obwohl er offensichtlich auch andere Geldquellen hat. Denken Sie nicht auch, dass solche Berichte in der Öffentlichkeit eine ganz andere Wirkung haben und deshalb solchen Fällen - ungeachtet
dessen, was im Gesetz steht - nachgegangen werden
müsste?
Herr Kollege Binninger, Sie sprechen etwas ganz
Wichtiges an: Ein Gesetz ist im Grunde genommen nur
so gut, wie es der Vollzug zulässt. Deswegen ist es bei
allen Gesetzesvorhaben wichtig, daran zu denken, ob der
Vollzug möglich, praktikabel und durchführbar ist. Sie
wissen beispielsweise, dass für § 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes die Beweislast bei der Behörde liegt.
Es ist völlig klar, dass hier vollzogen werden muss.
Ich äußere eine Bitte: Ein Fall, wie er von Ihnen geschildert wird, macht natürlich immer Stimmung. Ich bin
der Auffassung, dass man einem solchen Fall nachgehen
und prüfen muss, ob das Problem im Vollzug oder an anderer Stelle liegt. Ansonsten ist die Frage, wer wo beweispflichtig ist - der Betroffene oder die Behörde -, in
Bezug auf das Asylbewerberleistungsgesetz und den
Themenkomplex, den wir angesprochen haben, nach
meinem Dafürhalten richtig geregelt; das muss vollzogen werden.
Wir kommen zur Frage 19 des Kollegen Hartmut
Koschyk:
Welche Haltung nimmt der Bundesminister des Innern,
Otto Schily, zu den innenpolitischen Teilen - Asyl-, Visa-,
Flüchtlings- und Einwanderungspolitik - der gegenwärtigen
Beratungen des europäischen Verfassungskonvents ein und
wird seine Auffassung von der Bundesregierung in den laufenden Konventsverhandlungen eingebracht?
Herr Kollege Koschyk, diese Fragen sind zum Teil
vorhin schon angesprochen worden. Ich antworte wie
folgt: Die Bundesregierung tritt auch zu den innenpolitischen Teilen der Beratungen des EU-Konvents für eine
deutliche Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU ein,
um auch in einer Union mit 25 und mehr Mitgliedstaaten
im Raum ohne Binnengrenzen Freiheit und Sicherheit
gewährleisten zu können. Im Konvent zeichnen sich bereits jetzt bemerkenswerte Integrationsfortschritte auf
diesem Gebiet ab, die uns auf dem Weg zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts deutlich voranbringen werden.
Zur Asyl- und Einwanderungspolitik hat der persönliche Beauftragte für den Konvent, Bundesminister
Joschka Fischer, schriftliche Änderungsanträge eingereicht, die - wie könnte es anders sein - heute auch per
Internet abzurufen sind. Wenn Sie die Internetadresse
brauchen, teile ich sie Ihnen gerne mit.
Herr Kollege Koschyk, Ihre Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie, nachdem
Sie sich jetzt für Ihr Haus zu diesen von Herrn Bundesminister Fischer eingereichten Änderungsanträgen bekannt haben, die Frage beantworten, für welche Teile des
Bereiches Asyl und Zuwanderung die Bundesregierung
den Vorbehalt angemeldet hat, dass sie dort gegebenenfalls für den Verbleib in der Einstimmigkeit eintritt.
Herr Kollege Koschyk, bereits vorhin hat der schwierige Verhandlungsprozess eine Rolle gespielt. Ich denke
- das habe ich insbesondere dem Kollegen Schröder in
der letzten Fragestunde deutlich gemacht -, dass
Deutschland bei diesen Fragestellungen und Antworten
innerhalb der EU nicht alleine ist. Die Frage des Einstimmigkeitsprinzips bzw. der Mehrheitsentscheidung
ist in diesem Bereich natürlich ganz entscheidend auch
davon abhängig, wie das beispielsweise andere Mitgliedstaaten sehen. Sie wissen: Wenn man eine Mehrheit
benötigt, braucht man andere, die mithelfen. Deswegen
ist der Bereich Zuwanderung unter diesen Vorbehalt gestellt worden. Jetzt ist insbesondere in der Diskussion
auszuloten, in welchen Bereichen man eine Mehrheit bekommen könnte und in welchen nicht. Ich denke, das
muss dem Diskussionsprozess überlassen werden. Es
wäre nach meinem Dafürhalten auch falsch, wenn die
Bundesregierung in bestimmten Bereichen mit ganz
konkreten Vorgaben in diese Verhandlungen, die schwierig sein werden, gehen würde.
Unsere Zielsetzung in diesem konkreten Fall ist jedoch klar. Deswegen ist auch der Vorbehalt geäußert
worden. Ich denke, dass das Verfahren verhandlungsgemäß ist.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung - wenn
schon nicht der Innenminister, dann wenigstens der Konventsbeauftragte der Bundesregierung - im Hinblick auf
die grundgesetzlich garantierten Mitwirkungsrechte des
Deutschen Bundestages und auch im Hinblick auf die
Verhandlungsposition der Bundesregierung in den Konventsberatungen bereit, im zuständigen Innenausschuss
etwas detaillierter über ihre Verhandlungsposition zu berichten und zu informieren sowie die Meinung des Parlamentes, des Fachausschusses, in diesem Fall des Innenausschusses, und auch der verschiedenen Fraktionen zu
hören?
Herr Staatssekretär, ich finde es sehr bedauerlich,
dass nach meinen Informationen Herr Minister Fischer
nicht bereit ist, dazu im Innenausschuss des Bundestages
Stellung zu nehmen. Es wurde eben die Transparenz der
Konventsdiskussion gelobt. Ich finde, dass diese Transparenz im Hinblick auf die Beteiligung des Bundestages
an den Konventsberatungen nicht gegeben ist. Was will
die Bundesregierung unternehmen, um das Parlament
stärker zu beteiligen, zu informieren, anzuhören und einzubeziehen?
Ich will Ihre Frage anhand eines konkreten Beispiels
beantworten. Sie wissen, dass wir die Regelungen bezüglich des Zugangs zum nationalen Arbeitsmarkt dem
Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten zuordnen.
Das ist beispielsweise eine Position, die wir im Konvent
vertreten.
Ich möchte mich nicht in einen formalen Streit um die
Frage begeben, an welcher Stelle der Beauftragte dem
Parlament Rede und Antwort stehen soll. Fakt ist jedenfalls, dass Bundesaußenminister Joschka Fischer heute
im zuständigen Europaausschuss gewesen ist und dem
Ausschuss Rede und Antwort gestanden hat. Das zeigt
im Übrigen die Transparenz.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Schröder.
Herr Staatssekretär, um in Verhandlungen Kompromisse schließen zu können - wir wissen, dass diese Kompromisse auf europäischer Ebene erforderlich sind -,
braucht man einen eigenen Standpunkt und eine Zielsetzung. Da Sie eben geäußert haben, dass die Zielsetzung
der Bundesregierung klar sei, frage ich Sie, welche Zielsetzung die Bundesregierung hat und welche Punkte im
Bereich der Einwanderungspolitik danach dem Prinzip
der Einstimmigkeit unterliegen sollen.
Die Zielsetzung hat nichts mit einzelnen Bereichen zu
tun. Mit dem Ausländergesetz und dem Zuwanderungsgesetz haben wir auf nationaler Ebene einen inhaltlichen
Rahmen geschaffen. Dieser ist für unsere Zielsetzung
entscheidend; davon gehen wir aus. Entlang dieser Linie
kämpfen wir auch bei den Beratungen.
Wir kommen zur Frage 20 des Kollegen Roland
Gewalt:
Welche Einheiten des Bundesgrenzschutzes wurden am
30. April/1. Mai 2003 zur Unterstützung der Polizei nach Berlin entsandt und wo sind diese jeweils eingesetzt worden?
Herr Kollege Gewalt, zur Unterstützung der Berliner
Polizei am 30. April/1. Mai dieses Jahres waren gemäß
Einsatzbefehl des Landesschutzpolizeiamtes Berlin vom
23. April 2003 folgende Einsatzeinheiten des Bundesgrenzschutzes in Berlin eingesetzt:
Am 30. April waren die Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaften Blumberg, Sankt Augustin und
Bayreuth im Einsatz. Alle drei Hundertschaften waren
der Direktion 7 - das ist die Direktion Prenzlauer Berg unterstellt und im Bereich Mauerpark/Prenzlauer Berg
eingesetzt.
Am 1. Mai 2003 war die Bundesgrenzschutzabteilung
Blumberg der Direktion 3 - das ist die Direktion Mitte unterstellt und im Bereich Alexanderplatz eingesetzt.
Die Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft
Blumberg war dem Einsatzabschnitt Aufklärung zugeordnet und kam als Zugriffskomponente im Bereich der
Direktion 5 - das ist die Direktion Kreuzberg - zum Einsatz. Die Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft Sankt Augustin war direkt dem Einsatzabschnitt
der Direktion 5, also der Direktion Kreuzberg, unterstellt
und wurde für Räumungsmaßnahmen im Bereich der
Mariannenstraße eingesetzt. Die Beweissicherungs- und
Festnahmehundertschaft Bayreuth, ebenfalls der Direktion 5, also Kreuzberg, unterstellt, wurde für Raumschutzmaßnahmen am Mariannenplatz und in den angrenzenden Straßenzügen eingesetzt.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, der verantwortliche Berliner Innensenator und die Polizeiführung haben erklärt - das
ist Ihnen sicher bekannt -, dass es bei Einsätzen insbesondere in Kreuzberg verschuldete Verzögerungen gegeben hat. Sie haben soeben gesagt, BGS-Einheiten seien
dort eingesetzt worden. Ist Ihrer Meinung nach das vom
Senat zu verantwortende Deeskalationsprinzip auch für
den verzögerten Einsatz von BGS-Einheiten verantwortlich?
Ich kann das in dieser Form nicht bestätigen. Wenn es
in der Nachbetrachtung tatsächlich einen objektiven Anlass für eine solche Kritik gibt, muss das aufgeklärt werden. Jedenfalls sehen wir, wie ich Ihnen bereits gesagt
habe, die Bereitstellung der BGS-Einheiten und das, was
insbesondere von den Polizeibeamtinnen und -beamten
geleistet worden ist, als positiv und vorbildlich an.
Ihre weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Kräfte von Polizei und Bundesgrenzschutz sind bei ihren Einsätzen am 1. Mai durch
einen Aufklärungshelikopter der Berliner Polizei unterstützt worden. Dieser Helikopter wird 2004 wegen Überalterung - er stammt noch aus Vopo-Beständen - außer
Dienst gestellt. Können Sie dem Berliner Senat definitiv
zusichern, dass der Bundesgrenzschutz nach dieser Außerdienststellung dem Berliner Senat bzw. der Berliner
Polizei bei solchen Großlagen wie am 1. Mai BGS-Hubschrauber zur Verfügung stellt?
Sie wissen, wie das Verfahren ist. Den Anforderungen
vonseiten der jeweiligen Landespolizei beim BGS
kommt der Bundesgrenzschutz in der Regel nach.
Eines sollte aber nicht verwischt werden: Das Land
hat seine Aufgaben und der Bund hat seine Aufgaben zu
erledigen. Jede Ebene sollte im Rahmen ihrer Verantwortlichkeiten wissen, was notwendig und was nicht
notwendig ist. Dass wir solche Aufklärungshubschrauber beim Bundesgrenzschutz haben, wissen Sie.
Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Mayer.
Welche Kosten sind dem Bund durch den Einsatz des
Bundesgrenzschutzes am 30. April und am 1. Mai in
Berlin entstanden? Werden die Kosten, die dem Bund
durch diesen Einsatz entstanden sind, dem Land Berlin
in Rechnung gestellt und wie wird dies in anderen Bundesländern in ähnlichen Fällen gehandhabt?
Sie wissen, dass es Kostenerstattungsregelungen gibt.
An diesen orientiert man sich.
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Hohmann.
Herr Staatssekretär, sind bei diesen Einsätzen am
30. April und 1. Mai BGS-Beamtinnen und -Beamte verletzt worden und, wenn ja, wie viele?
Die Frage, wie viele es waren, kann ich Ihnen im Moment nicht konkret beantworten. Eine entsprechende
Antwort reiche ich Ihnen gerne nach.
({0})
Herr Kollege, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Niebel.
Herr Staatssekretär, nachdem wir nun wissen, welche
Einheiten im Einsatz waren und wie die Kostenverteilung funktioniert, möchte ich Sie fragen, wie die Bundesregierung das politisch bewertet, was bei diesem Einsatz schief gelaufen ist.
Was die Frage der Einsatzkonzeption anbelangt, so
muss ich feststellen, dass dies Gegenstand der folgenden
schriftlich eingereichten Frage ist. Es ist vielleicht besser, wenn ich erst diese beantworte, und Sie dann gegebenenfalls noch einmal eine Zusatzfrage stellen.
({0})
Die nächste Frage kommt vom Kollegen Grindel.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Regelungen
der Kostenerstattung angesprochen. Trifft es zu, dass es
für Berlin eine Sonderregelung gibt und für BGS-Kräfte,
die in der Hauptstadt eingesetzt werden, keine Kosten
entstehen?
Es ist richtig, dass für Berlin Sonderregelungen zwischen dem Bund und dem Land Berlin geschlossen wurden. Soweit mir das bekannt ist, gibt es bezüglich des
Kostenersatzes beispielsweise für die Zurverfügungstellung von Bereitschaftspolizeien aus anderen Ländern
aber keine Sonderregelung.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Binninger.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, dass offensichtlich - die
Zahl wollen Sie nachreichen - BGS-Beamte verletzt worden sind. So habe ich Ihre Antwort zumindest gedeutet.
Sind Sie bereit, uns Zahlen über die Täter, die diese Verletzungen verursacht haben, im Hinblick auf Struktur,
Nationalität und Alter zu liefern?
Herr Binninger, ich weiß nicht, ob die Daten in dieser
Form erfasst sind. Wenn das möglich ist, reiche ich sie
Ihnen selbstverständlich nach. Sie wissen, dass im Zweifelsfall das Land Berlin bei der Beantwortung dieser
Frage hinzuzuziehen ist.
Wir haben noch eine Zusatzfrage des Kollegen
Schröder.
({0})
- Das hat sich erübrigt.
Dann kommen wir zur Frage 21 des Kollegen Roland
Gewalt:
Wie lautete das von Polizeiführung und Innensenator ausgegebene Einsatzkonzept für die abgeordneten Einheiten des
Bundesgrenzschutzes am 30. April und 1. Mai 2003 in Berlin
und war es mit der Bundesregierung abgestimmt?
Herr Kollege Gewalt, im Falle der Einsatzunterstützung
der Polizei eines Landes durch Kräfte des Bundesgrenzschutzes - verstehen Sie das als Vorbemerkung - wird gemäß § 11 Abs. 2 des Bundesgrenzschutzgesetzes immer
das Recht des zu unterstützenden Landes angewendet.
Die Einsatzeinheiten des Bundesgrenzschutzes wurden im Rahmen der Unterstützung nach der Einsatzkonzeption des Landes Berlin eingesetzt. Für alle eingesetzten Polizeikräfte hatte das Land Einsatzleitlinien
festgelegt. Diese lauteten wie folgt:
1. Abschöpfen von Gewalt im Vorfeld durch
rechtzeitiges Erkennen unfriedlicher Störungen/
Störer und Abstimmung des polizeitaktischen
Handelns am Grad erkennbar werdender Gewaltbereitschaft ...,
2. vertrauensbildende Maßnahmen/Sprache als Mittel der Konfliktlösung durch offensive Verdeutlichung der polizeilichen Maßnahmen, zielgruppenorientiertes und situationsangemessenes Verhalten
der Einsatzkräfte sowie offensichtliche Isolierung
unfriedlicher Teilnehmer an den verschiedenen Veranstaltungen auch durch den Einsatz von Antikonfliktteams,
3. niedrige Einschreitschwelle bei Grundrechtsmissbrauch unter Ausnutzung aller rechtlichen und
taktischen Möglichkeiten, insbesondere bei missbräuchlicher Instrumentalisierung von Versammlungen/Veranstaltungen für extremistische Ziele
oder körperliche Angriffe und sonstige Rechtsbrüche,
4. Überwindung von Naht- und Schnittstellenproblemen, um den Gesamterfolg des Polizeieinsatzes
zu sichern,
5. Bindung an taktische Konzepte und konsequentes Umsetzen der erteilten Aufträge.
Die dem Land Berlin unterstellten BGS-Kräfte wurden in Einsatzbesprechungen in das Konzept eingewiesen. Da der Einsatz in die originäre Zuständigkeit und
Verantwortung des Landes Berlin fiel, ist das Einsatzkonzept vom Land Berlin eigenverantwortlich erarbeitet
und nicht mit der Bundesregierung abgestimmt worden.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sagen, wie viele Angehörige des Bundesgrenzschutzes am 30. April und am
1. Mai verletzt wurden?
Herr Kollege Gewalt, das bin ich vorhin schon einmal
gefragt worden. Wenn es möglich ist, liefere ich die Antwort nach.
({0})
- Nein. Herr Binninger hat nach den Verletzten gefragt.
Außerdem wurde nach den Tätern gefragt.
Zweite Zusatzfrage.
Unterstellt, Presseberichte treffen zu, nach denen es
sich um 17 verletzte BGS-Angehörige gehandelt hat:
Halten Sie es für mit Ihrer Fürsorgepflicht gegenüber
dem BGS vereinbar, dass Kräfte des BGS - unter anderem in Kreuzberg; Sie haben die BGS-Einheit eben
genannt - zurückgehalten worden sind und zu spät zum
Einsatz kamen und dadurch unter Umständen Personen,
auch Angehörige des BGS, verletzt worden sind?
Sie wissen, wer die Verantwortung für die Einsatzkonzepte trägt. Ich habe deutlich gemacht, dass dieses
Einsatzkonzept nicht mit der Bundesregierung abgestimmt wurde. Es ist übrigens kein einmaliger Fall,
sondern üblich, dass die verantwortliche Länderpolizei das Einsatzkonzept durchführt. Ich habe Ihnen die
entsprechende Bezugsquelle, den § 11 des Bundesgrenzschutzgesetzes, genannt. Ich werde - das sage ich ganz
deutlich - dieses Einsatzkonzept nicht in irgendeiner
Form bewerten, kritisieren oder zu ihm Stellung
nehmen.
Als Berliner Abgeordneter wissen Sie, dass die Ereignisse vom 30. April und 1. Mai die Polizei in den verschiedensten Jahren hat überlegen lassen, wie man
taktisch am besten vorgeht. Es wurden schon die unterschiedlichsten Wege gegangen. Meistens konnte man
aber nicht sagen, dass es friedlich zugegangen ist. Das ist
leider ein Problem. Ich glaube, das muss man bezüglich
der Bewertung der polizeilichen Einsatzkonzeptionen
berücksichtigen.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.
Herr Staatssekretär, die Einsatztaktik des Berliner Innensenators für die alljährlichen „Mai-Festspiele“ ist
auch polizeifachlich höchst umstritten. Der Innensenator
selbst hat am Tag danach vor der Presse eingeräumt,
dass er erwägt, diese Einsatztaktik zu überdenken. Hält
es der Bundesminister des Innern, nachdem regelmäßig
BGS-Angehörige zur Verfügung gestellt werden und
aufgrund der Einsatztaktik gesundheitlich zu Schaden
kommen, wirklich nicht für angezeigt, im Sinne der Fürsorgepflicht in einem vertraulichen, nicht in der Öffentlichkeit geführten Dialog mit dem Berliner Innensenator
über ein Überdenken einer solchen Einsatztaktik zu sprechen, damit nicht Angehörige des BGS immer wieder
auf Anforderung des Landes Berlin in Einsätze geschickt
werden, in denen sie offensichtlich aufgrund falscher polizeilicher Einsatztaktik wissend in Situationen geraten,
die zu gesundheitlichen Schädigungen und Verletzungen
führen? - Wer hat mir den Saft abgedreht?
Herr Kollege, das war ein technischer Defekt. Ich
habe Ihnen den Saft nicht abgedreht.
Herr Koschyk, die Rechtsgrundlage ist klar. Klar ist
leider auch, dass Polizisten auch in Einsätzen verletzt
wurden, die unter anderen Einsatzkonzeptionen und
Zielsetzungen erfolgten.
Ich will Ihre Frage unter Beachtung der Rechtssituation dahin gehend beantworten: Wenn unser Rat gefragt
ist, werden wir ihn auch einbringen.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Herr Staatssekretär, nachdem wir jetzt alle wissen,
wer eingesetzt worden ist, möchte ich auf meine vorherige Zusatzfrage zurückkommen. Wie bewertet die Bundesregierung politisch, was am 1. Mai in Berlin passiert
ist? Ich frage das nicht nur bezüglich der Einsatzgrundsätze der Polizei, wie man mit den jährlich wiederkehrenden Krawallen umgeht, sondern ich möchte auch wissen, wie man dafür sorgen kann, dass so etwas nicht
traditionell jedes Jahr passiert. Es sind gesellschaftliche
Veränderungen, die in den letzten Jahren dazu geführt
haben, dass solche Krawalle offenkundig zu einer Art
Volkssport werden. Dazu muss die Bundesregierung
doch irgendeine Meinung haben.
Herr Kollege Niebel, das Einsatzkonzept der Berliner Polizei war im Grunde genommen der Versuch, bestimmten Reaktionen entgegenzuwirken, damit es nicht
zu solchen Auseinandersetzungen wie in den zurückliegenden Jahren kommt. Wenn Sie sich intensiv damit
beschäftigen, werden Sie die Hintergründe für diesen
Versuch erkennen. Tatsache ist eben: Der Erfolg hat
viele Väter, der Misserfolg ist ein Waisenkind. Wäre
der Versuch erfolgreich gewesen, hätte es sich um ein
erfolgreiches Konzept gehandelt. Dies war leider nicht
der Fall.
Der Berliner Innensenator hat bekannt gegeben, dass
man über das Konzept reden und prüfen muss, was zwischen dem Ansatz und der Durchführung nicht optimal
gelaufen ist. Es muss darüber beraten werden, was anders gemacht werden muss. Das ist ganz schwierig. Es
ist für Berlin und Deutschland nicht gut, wenn es zu solchen Ausschreitungen kommt. Wir sind im Grunde genommen alle dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen,
dass sich solche Ereignisse wie in den letzten Jahren
nicht wiederholen. Deswegen sollte man ein Einsatzkonzept, das vom Gedanken der Prävention getragen ist,
nicht von vornherein verdammen, sondern weiterentwickeln.
Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär Körper.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Karl Diller bereit.
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Marco
Wanderwitz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Deutsche Post
AG im Januar 2002 eine Briefmarke mit einem „Graffiti“ähnlichen Motiv unter dem Titel „Für mehr Toleranz“ herausgegeben hat, und wie bewertet die Bundesregierung diesen
Umgang mit der Thematik „Graffiti“, dies auch unter dem Gesichtspunkt der dazu im Deutschen Bundestag in den letzten
Wochen erfolgten Lesungen diverser Entwürfe von Gesetzen
zu dieser Thematik?
Herr Kollege Wanderwitz, Ihre Frage möchte ich wie
folgt beantworten: Der Bundesregierung ist natürlich bekannt, dass im Januar 2002 ein Sonderpostwertzeichen
mit dem Titel „Für mehr Toleranz“ herausgegeben
wurde; denn Herausgeber ist nach einer Entscheidung
der früheren Bundesregierung das Bundesministerium
der Finanzen.
Die deutschen Sondermarken werden durch renommierte Grafikdesigner gestaltet. Es werden jährlich etwa
35 Wettbewerbe unter meist sechs bis acht Grafikern je
Thema ausgeschrieben. An dem Wettbewerb für das
Sonderpostwertzeichen „Für mehr Toleranz“ waren sogar zwölf Grafiker beteiligt. In der Ausschreibung war
diesen die grafische Gestaltung freigestellt. Der Siegerentwurf, der als Bildmotiv ein auf einen alten Bretterzaun aufgemaltes Herz mit dem Schriftzug „Toleranz“
und zwei Pfeilen zeigt, wurde unter 33 Entwürfen vom
Kunstbeirat, der das Bundesministerium der Finanzen
bei der Auswahl berät, mehrheitlich vorgeschlagen.
Beabsichtigt war, die Botschaft „Für mehr Toleranz“
zu vermitteln. Mit der Marke soll ein positiver und allgemeiner Appell zu mehr Toleranz gegenüber anderen
Menschen, Verhaltensweisen und Kulturen transportiert
werden. Das Motiv selbst war damit nicht vorgegeben,
sondern beruht auf der künstlerischen Freiheit des Grafikers.
Ihre Zusatzfragen bitte.
Nun kann man zum einen über Kunst bekanntlich
trefflich streiten. Zum anderen ist die vorgegebene Botschaft „Für mehr Toleranz“ sicherlich lobenswert.
Nichtsdestotrotz möchte ich meine Frage nochmals konkret stellen, insbesondere weil jetzt parallel eine Anhörung des Rechtsausschusses zu der Thematik des Graffitiunwesens stattfindet. Ist die Bundesregierung der
Meinung, dass die ausgewählte Art und Weise der Realisierung für dieses Postwertzeichen geeignet war?
Herr Kollege, ich darf Sie darüber informieren, dass
schon traditionell ein Programmbeirat das BMF bei der
Auswahl der Themen berät und der Kunstbeirat dem
BMF Vorschläge zur Auswahl der künstlerischen Entwürfe macht.
Diese Marke ist im Januar 2002 herausgegeben worden. Das heißt, die Entscheidungen sind im Jahre 2001
und nicht im Jahre 2003 getroffen worden.
Dem Kunstbeirat gehören neben Vertretern der Post
AG und der Philatelistenverbände zwei vom Deutschen
Bundestag entsandte Vertreter an; für Ihre Fraktion war
das zu der damaligen Zeit der Kollege Doss. Im Übrigen
gehören diesem Gremium Hochschulprofessoren mit
dem Spezialgebiet Grafik an.
Das BMF maßt sich nicht an, diese Entscheidung des
Kunstbeirates zu bewerten.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Ich erspare mir die weitere Zusatzfrage und hoffe nur,
dass -
Dann kommen wir zur Frage 23 des Abgeordneten
Hans Michelbach:
Welche Konsolidierungsmaßnahmen gedenkt die Bundesregierung aufgrund des Ergebnisses der Steuerschätzung vorzunehmen?
Herr Kollege Michelbach, Ihre Frage möchte ich wie
folgt beantworten: Die Bundesregierung wird die mittelfristig angelegte Konsolidierung des Haushaltes fortsetzen. Auch nach drei Jahren mit wirtschaftlichen Stagnationstendenzen gibt es dazu keine Alternative.
Die Ergebnisse der jüngsten Steuerschätzung machen
ein gemeinsames Vorgehen auf nationaler Ebene zwingend erforderlich. Alle Ausgabenbereiche stehen für uns
auf dem Prüfstand. Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Einnahmebasis des Staates zu stabilisieren.
Es besteht im Übrigen eine breite politische Übereinstimmung, dass vor allem bei den Subventionen und bei
den konsumtiven Staatsausgaben angesetzt werden
muss. Daher bleibt die Verbreiterung der steuerlichen
Bemessungsgrundlage durch den Abbau von Steuervergünstigungen auf der Tagesordnung. Auch die Finanzhilfen des Bundes sind kritisch zu überprüfen. Ziel muss
dabei sein, Ineffizienzen und Mitnahmeeffekte so weit
wie möglich zu beseitigen und zu einer deutlichen Degression zu gelangen. Hierzu ist ein energisches Vorgehen im Konsens mit allen Bundesländern unerlässlich.
Im Bundeshaushalt sind die konsumtiven Ausgaben
für Arbeitsmarkt und Altersversorgung stark gestiegen.
Ohne weitere Konsolidierungsanstrengungen würden sie
im nächsten Jahr 44 Prozent der Gesamtausgaben des
Bundeshaushaltes gegenüber 37 Prozent im Jahre 1999
ausmachen. Daher sind weitere strukturelle Reformen
im Bereich der sozialen Sicherung unverzichtbar. Die
konsequente Umsetzung der Agenda 2010 ist dazu ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Herr Kollege, eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es gebe keine
Alternative zu der Verdoppelung der Nettoneuverschuldung im Jahr 2003. Hat es überhaupt noch etwas mit
nachhaltiger Finanzpolitik zu tun, wenn Sie nicht sofort
ein Haushaltssicherungsgesetz und ein Subventionsabbaugesetz vorlegen? Ich frage Sie: Sind Sie bereit, in den
nächsten vier Wochen ein solches Gesetzespaket zur Sicherung des Haushaltes 2003 und zur Verminderung der
Nettoneuverschuldung einzubringen?
Herr Kollege, die Bundesregierung beabsichtigt, einen Nachtragshaushalt für 2003 aufzustellen, und zwar
zu einem Zeitpunkt, an dem der voraussichtliche Bedarf
für dieses Jahr klar erkennbar ist. Dieses Vorgehen dient
auch dazu, die automatischen Stabilisatoren wirken zu
lassen, damit sich die konjunkturelle Situation durch
Kürzungen beispielsweise im investiven Bereich nicht
noch verschlechtert. Das wollen wir auf keinen Fall.
Deswegen wollen wir die Mittel, die für investive Maßnahmen vorgesehen sind, im Bundeshaushalt auch bereitstellen. Wir haben kein Verständnis für die Länder,
die ihrerseits beabsichtigen, Investitionen in dieser Situation zu kürzen.
Im Übrigen muss erst die weitere Entwicklung zeigen,
ob sich die von Ihnen aufgestellte Behauptung einer Verdoppelung der Verschuldung in diesem Jahr bewahrheiten wird.
Herr Michelbach, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, warum handeln Sie nicht sofort? Wenn Sie den Nachtragshaushalt nicht bis zum
1. Juli einbringen, wird die Chance auf Konsolidierung für das Jahr 2003 gewissermaßen nutzlos verstreichen. Sie könnten dann nicht mehr reagieren. Ist Ihnen
außerdem nicht bekannt, dass die Steuerschätzung ein
weiteres Risiko aufweist, nämlich dass die Wachstumsannahme von 0,75 Prozent wahrscheinlich nicht eingehalten werden wird? Warum reagieren Sie darauf nicht
sofort?
Herr Kollege, ich darf Sie darauf hinweisen - das
können Sie im Mai-Heft des Bundesfinanzministeriums
nachlesen -, dass in die Bewertung des voraussichtlichen Steuerertrags für dieses Jahr in den wichtigsten
Steuerarten sehr wohl die Entwicklung der ersten vier
Monate eingeflossen ist. Insofern haben die Änderungen
der Prognosen für das Gesamtwirtschaftswachstum in
diesem Jahr schon Berücksichtigung gefunden.
Wir kommen zur Frage 24 des Kollegen Michelbach:
Bis zu welchem Zeitpunkt sieht sich die Bundesregierung
in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, und
mit welchen konkreten Maßnahmen soll dieser erreicht werden?
Herr Kollege, das Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts im Jahre 2006 kann auch bei fortgesetzten
deutlichen Konsolidierungsanstrengungen nicht erreicht
werden. Dies bedeutet jedoch nur ein Aufschieben, nicht
aber die Aufgabe dieses Ziels. Alle politisch Verantwortlichen - nicht nur der Bund, zuständig für die Sozialversicherung, sondern auch die Länder und Gemeinden müssen in einer gemeinsamen Anstrengung zur Beseitigung der strukturellen Defizite in unserem Lande beitragen.
Herr Kollege Michelbach, Sie haben zwei Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, Sie können im Jahr 2006 keinen
ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Können Sie uns verraten, welches Ziel Sie sich bei Ihrer nachhaltigen Finanzpolitik setzen und in welchem Haushaltsjahr Sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollen? Das wäre
doch sicher auch gegenüber der Europäischen Union und
zur Einhaltung des Stabilitätspaktes eine notwendige
Angabe.
Herr Kollege Michelbach, wie Sie wissen, mussten
wir in diesem Jahr gegenüber der Europäischen Union
den Nachweis führen, dass wir das nicht konjunkturbedingte Haushaltsdefizit um einen Prozentpunkt abbauen
werden. Die Kommission ist zurzeit in der Bewertung.
Es gibt Pressemeldungen, die eine positive Resonanz aus
Brüssel erwarten lassen.
Im Übrigen ist Gegenstand der Vereinbarung auf europäischer Ebene, dass wir in den kommenden Jahren - das
heißt beginnend ab 2004 - das strukturelle Defizit um
jährlich ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts,
also in einer Größenordnung von 10 Milliarden Euro
oder etwas mehr, verringern werden. Dies bringt uns auf
den Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt, den wir
nicht 2006, aber danach erreichen werden.
({0})
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Michelbach.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass Sie gegen
den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen
Union verstoßen werden, wenn Sie keine konkreten Jahresangaben zur Sicherung des Haushaltes machen und
auch nicht mit Bestimmtheit feststellen können, dass die
Defizitquote zumindest im Jahr 2004 wieder unter die
Dreiprozentgrenze fällt und die Schulden unter die Sechzigprozentgrenze fallen?
Herr Kollege Michelbach, ich habe schon auf das hingewiesen, was wir mit der Europäischen Union vereinbart haben - das werden wir auch einhalten - bezüglich
des Abbaus des strukturellen Defizits. Das wird ein Riesenkraftakt sein. Wir beginnen damit im nächsten Jahr.
Mit den Vorbereitungen der Aufstellung des Haushaltes
für 2004 sind wir in diesen Tagen und Wochen befasst.
Das Kabinett wird im Sommer einen Haushaltsentwurf
für 2004 beschließen, in dem die Verfassungsgrenze eingehalten wird und mit dem auch die Maastricht-Kriterien
beachtet werden.
Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Markus
Löning:
Auf welche Bezirks- und Senatsverwaltungen bezieht sich
die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage
der Fraktion der FDP „Bundesliegenschaften auf dem Gebiet
des Landes Berlin“, Bundestagsdrucksache 15/875, insbesondere in der Antwort auf die Fragen 10 und 11, in der es heißt:
„Nicht immer gelingt es, den Abstimmungsprozess zwischen
den beteiligten Ämtern auf Bezirksebene und Hauptverwaltung kurzfristig durchzuführen und dabei Planungsvorstellungen von Investoren Rechnung zu tragen. Die Folge ist ein erlahmendes Interesse am Erwerb bundeseigener Grundstücke
und das Ausbleiben weiterer Investitionen?“
Herr Kollege Löning, der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen hatte seinerzeit Landesbedarf an der bundeseigenen Immobilie in BerlinCharlottenburg, Witzlebenstraße 4-5 - besser bekannt
als ehemaliges Kammergericht - angemeldet. Dieser
Bedarf ist über einen längeren Zeitraum geprüft worden. Er hat sich nach etwa einem halben Jahr nicht bestätigt.
Bei einem von der OFD Berlin durchgeführten Bieterverfahren äußerte ein Investor Interesse an diesem
Objekt, um es einer Hotelnutzung zuzuführen. Er legte
eine Bankbürgschaft und eine Finanzierungszusage vor.
Das von ihm geplante Hotelprojekt mit einer Gesamtinvestitionssumme von 40 bis 50 Millionen Euro - davon
rund 10,5 Millionen Euro Kaufpreis - scheiterte an Bedenken des Bezirksamtes wegen erstens der Nutzungsänderung und des dadurch zu erwartenden erhöhten Verkehrsaufkommens sowie zweitens des vorgesehenen
Ausbaus des Dachgeschosses.
Nach dem Eindruck der OFD hat das Bezirksamt
diese für die Stadt bedeutende Gesamtinvestition nur dilatorisch behandelt. Der Investor wurde zum Beispiel
aufgefordert, 40 umliegende Nachbarn selbst zu Einwendungen gegen das Projekt zu befragen.
Der Investor nahm nach langen Verhandlungen am
24. Oktober 2002 von dem Vorhaben Abstand. Nach diesem Scheitern steht die Verwertung des Gebäudes bis
heute aus.
Herr Kollege, da der Bund in anderen Fällen seinen
Standpunkt, den ich Ihnen nennen könnte, nochmals an
das Land Berlin herantragen möchte, bitte ich Sie und
den Deutschen Bundestag um Verständnis, wenn ich hier
im Bundestag derzeit keine Debatte darüber führen
möchte.
Herr Kollege Löning, ich lasse Ihre beiden Zusatzfragen jetzt noch zu. Dann sind wir am Ende unserer Fragestunde angelangt. Bitte schön.
({0})
Dann sind wir am Ende der Fragestunde.
Frau Präsidentin, können wir vielleicht noch die
zweite Frage zu diesem Sachverhalt, die vom gleichen
Kollegen stammt, behandeln?
({0})
Wir sind am Ende der Fragestunde, Herr Staatssekretär. Alle Fragen, die in der Fragestunde nicht beantwortet
wurden, werden gemäß unserer Geschäftsordnung
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Sofortiger Beginn der Strukturreformen auf
dem Arbeitsmarkt, in der Finanz-, Haushaltssowie Sozialpolitik angesichts wegbrechender
Steuereinnahmen, dramatischer Arbeitslosenzahlen und der Nichteinhaltung des europäischen Stabilitätspakts
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde
beantragt.
({0})
- Bitte schön, Herr Kollege Grund.
Frau Präsidentin, zur Geschäftsordnung: Ich beantrage für meine Fraktion die Herbeizitierung des Bundesfinanzministers zu dieser Aktuellen Stunde.
({0})
Frau Kollegin Hauer, bitte.
Frau Präsidentin! Ich beantrage eine Unterbrechung
für eine Sitzung der SPD-Fraktion.
({0})
Ich unterbreche die Sitzung des Deutschen Bundestages. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig
durch Klingelzeichen bekannt gegeben.
({0})
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie, Platz
zu nehmen. - Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat nach § 29 der
Kollege Walter Schöler, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich halte das, was in diesem Hause vorgeht, für einen unglaublichen Vorgang
({0})
- hören Sie ruhig zu -, auch das, was Sie hier heute
Nachmittag inszeniert haben.
({1})
Ihnen - Sie wissen es natürlich - und der Öffentlichkeit
will ich sagen: Es gab bereits in der letzten Sitzungswoche die Verabredung zwischen den Obleuten im Haushaltsausschuss, dem Vorsitzenden und den Fraktionen,
dass der Bundesfinanzminister - auf Antrag der Union
war er angefordert - in der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses ganz planmäßig ab 14 Uhr
({2})
Stellung zur allgemeinen Lage und auch zu den Zahlen
der Steuerschätzung bezieht.
({3})
Diese Debatte hat im Haushaltsausschuss mit dem
Finanzminister von 14 Uhr bis fast 15.40 Uhr stattgefunden.
({4})
Ihre Fraktionskolleginnen und -kollegen
({5})
haben mit einer Vielzahl von Fragen, die ich jetzt gar
nicht näher bewerten möchte,
({6})
dafür gesorgt, dass die Zeit überschritten wurde.
({7})
Sie hatten, wie zwischen den Obleuten vereinbart, alle
Möglichkeiten, Ihre Fragen zu stellen und mit dem
Finanzminister zu reden.
({8})
Es hat heute ferner eine Sitzung des Finanzausschusses gegeben, in der die Ergebnisse der Steuerschätzung
vorgetragen wurden.
({9})
Es hat Ihnen offensichtlich ausgereicht, innerhalb einer
Viertelstunde Ihre Fragen zu stellen. Weder in der Finanzausschusssitzung noch in der Sitzung des Haushaltsausschusses gab es weitere Fragen,
({10})
sodass festgestellt wurde: Wenn es seitens der Opposition keine Fragen mehr gibt,
({11})
können wir unterbrechen und die Sitzung anschließend
fortsetzen.
Sie halten das Parlament und vor allem die Ausschüsse vordergründig von ihrer Arbeit ab und wir sind
nicht bereit, das hinzunehmen.
({12})
Sie mögen so viele Inszenierungen machen, wie Sie wollen - wir werden unsere Arbeit fortsetzen.
Im Übrigen folgt im Anschluss die Aktuelle Stunde,
in der der zuständige Staatssekretär reden wird. Wenn
wir diesen Punkt abgewickelt haben, wird der Haushaltsausschuss ebenso wie die anderen Ausschüsse, die ihre
Sitzungen jetzt unterbrochen haben, seine Arbeit fortsetzen, damit nicht der Eindruck entsteht, hier würde nicht
gearbeitet. Wir arbeiten alle.
({13})
Auch der Finanzminister hat langfristig festgelegte Termine.
Im Übrigen an die Kollegen von der FDP: Wiedervorlage morgen früh um 9 Uhr in diesem Hause.
({14})
Das Wort hat der Kollege Volker Kauder, CDU/CSUFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Nachdem im Haushaltsausschuss
vereinbart worden war, dass man den Finanzminister befragt, sind in diesem Land gravierende Dinge passiert:
Wir hatten eine neue Steuerschätzung mit gravierenden
Folgen für dieses Land, für die Menschen in diesem
Land und für die Zukunft dieses Landes.
({0})
Darüber muss im Deutschen Bundestag gesprochen werden.
({1})
Zu unserer Regierungszeit - das können Sie in den
Protokollen des Deutschen Bundestages nachlesen - gab
es nach Steuerschätzungen vereinbarte Debatten in diesem Hause, obwohl wir nicht solch schlechte Ergebnisse
zu verantworten hatten. Diese Debatten verhindern Sie,
worüber wir morgen im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte sprechen werden.
({2})
Der Finanzminister hätte hierher kommen können;
denn die Sitzung des Ausschusses war beendet.
({3})
Er hat hier auf dem Gang einer Kollegin gesagt, dass
man ihn doch hätte herbeizitieren können und er dann
gekommen wäre, aber dass er jetzt zu einem Termin
müsse. Das ist die wahre Lage.
({4})
Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der SPD-Fraktion, inszenieren hier ein Theater, weil Sie
nicht wollen, dass wir mit dem Finanzminister darüber
reden, was er macht.
({5})
Ich will Ihnen noch etwas sagen: Es ist eine pure
Selbstverständlichkeit, dass der Verursacher dieser
Situation bei der Debatte darüber anwesend ist. Herr
Eichel ist der Verursacher dieser Situation, über die wir
jetzt diskutieren.
({6})
Die Menschen hier oben auf der Besuchertribüne des
Deutschen Bundestages und die Menschen an den Fernsehschirmen nehmen wahr, dass Sie eine der größten Katastrophen in diesem Land inszenieren und dass die
Regierungsbank trotzdem leer ist. Niemand von der Regierung nimmt an dieser Debatte teil.
({7})
Ich wende mich jetzt an die Menschen an den Fernsehschirmen und an die Besucher auf der Tribüne: Wir
nehmen Ihre Anliegen ernst, aber diese Regierung nicht.
({8})
Das Wort hat der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Bei Ihnen scheint eine
Stimmung aufzukommen wie in der Südkurve eines
Fußballstadions. Ich glaube, das ist dem Ernst der Lage
wirklich nicht angemessen.
({0})
Sie haben gerade von dem Kollegen aus dem Haushaltsausschuss gehört, dass der Bundesfinanzminister
Eichel den Fachleuten Rede und Antwort gestanden hat
und dass die Koalition die Situation im Griff hat.
({1})
Volker Beck ({2})
Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie den Finanzminister im Ausschuss hören und ihn da festhalten wollen oder ob Sie mit ihm hier im Plenum diskutieren wollen.
({3})
Die Bundesregierung ist zu beidem bereit. Aber gleichzeitig - wir sind für das Klonverbot - kann der Minister
das nicht tun.
Wir werden diese Diskussion im Plenum führen - das
ist völlig in Ordnung - und uns hier mit diesem Thema
auseinander setzen. Wir haben die Fachdebatte im Ausschuss geführt. Der Bundestag ist natürlich der richtige
Ort für diese politische Auseinandersetzung.
({4})
Ich bin aber angesichts des Ernstes der Lage der Meinung, dass wir uns mit Klamaukanträgen wie dem Herbeizitieren von Ministern und dergleichen zurückhalten
sollten.
({5})
Die Menschen draußen im Lande wollen keinen kleinkarierten, parteipolitischen Hickhack, sondern einen Beitrag zur Lösung der Probleme.
({6})
Sie werfen dem Finanzminister auf billige Weise vor,
er sei an den Zahlen schuld.
({7})
Das ist wirklich absurd; denn dann sind die Landesfinanzminister aus Ihren Reihen schuld an den Haushaltslöchern ihrer Länder und an den Einbrüchen bei den
Steuereinnahmen ihrer Länder.
({8})
Was Sie sagen, ist doch grober Unfug. Das wissen Sie
auch.
({9})
Meine Damen und Herren, Sie können natürlich morgen die nächste Geschäftsordnungsdebatte führen. Damit werden wir unser Land aber nicht voranbringen.
({10})
Sie werden bei diesen Debatten sehen, dass wir die
Mehrheit haben, um diesen Unsinn zurückzuweisen, und
dass wir unsere Regierungsmitglieder nicht durch einen
solchen Klamauk am Regieren hindern werden.
({11})
Respektieren Sie, dass ein Minister einen Terminplan
hat, den er abarbeiten muss, damit er zum Wohle unseres
Landes die notwendigen Vorlagen produzieren und Abstimmungen treffen kann! Wir werden uns an dieser Arbeit nicht durch Ihre Anträge hindern lassen.
Übrigens, Herr Kollege, Regierungsmitglieder sitzen
zum Teil im Plenarsaal, weil Mitglieder des Bundestages
nur abstimmen können, wenn sie auf den Abgeordnetenplätzen sitzen.
({12})
Ich frage mich, wo die Mitglieder des Bundesrates sind.
Wenn Ihnen diese Debatte so wichtig ist, dann hätten Sie
ja einmal Herrn Faltlhauser und Co eine Einladungskarte
schicken können.
({13})
Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer diese Diskussion am Fernsehschirm verfolgt, wird
vielleicht aufatmen, wenn er die Regierungsbank sieht:
Denn er glaubt, die Bundesregierung sei zurückgetreten.
({0})
Leider ist dem noch nicht so. Aber was nicht ist, kann ja
in Kürze noch werden.
({1})
Man hat zumindest den Eindruck - so ist auch das Verhalten von Bundesfinanzminister Eichel -: Diese Regierung flüchtet vor dem Parlament.
({2})
Dass Bundesminister Eichel an dieser Debatte nicht
teilnehmen will, ist eine Missachtung des Parlaments. Es
ist wahr: Der Bundesfinanzminister war im Haushaltsausschuss. Wir haben unsere Fragen gestellt. Ich muss
Ihnen sagen - ich bin schon lange Mitglied im Haushaltsausschuss -: Ich habe noch nie einen so hilflosen
Bundesfinanzminister gesehen wie in dieser Sitzung.
({3})
Es ist ein Skandal, wenn Sie uns hier erzählen, welche
wichtigen Termine Herr Eichel hat. Angesichts dessen,
dass er erst um 16.17 Uhr dieses Haus verlassen hat,
hätte er noch gut hier sein können. Das ist ein Skandal;
das ist eine Missachtung.
({4})
Gemäß der Steuerschätzung haben wir 7 Milliarden
Euro weniger Einnahmen. Die Bundesanstalt für Arbeit
braucht ebenfalls 7 Milliarden Euro usw., usw.
({5})
Das Haushaltsloch beträgt 20 Milliarden Euro. Ich habe
bis heute nicht gehört, wie der Bundesfinanzminister
dieses Problem lösen will.
({6})
Dazu muss er hier im Parlament Rede und Antwort stehen.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, auch Sie
sollten aus Achtung vor dem Parlament dafür sorgen,
dass der Bundesfinanzminister hierher kommt.
({8})
- Gut, dann sage ich: Es ist unsere Forderung, dass der
Bundesfinanzminister hierher kommt. Ich füge hinzu,
dass wir es kurz machen, wenn er einen einzigen Satz
sagt - dann kann er gehen -: Ich, Hans Eichel, trete zurück.
({9})
Wir kommen zur Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag „Herbeirufung des Finanzministers“.
Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
({0})
Wir kehren nun zu Zusatzpunkt 1 zurück. Dazu bitte
ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die der Debatte nicht folgen können, den Plenarsaal zu verlassen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.
({1})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das ist sicher eine der größten Blamagen, die dieses Parlament jemals erfahren hat.
({0})
- Herr Müntefering, diskutieren Sie mit Ihren Kollegen
in Ihrer Fraktion darüber, dass sie sich nicht für
4,6 Millionen Arbeitslose und die größte Finanz- und
Wirtschaftskrise im Land interessieren, aber hierher
kommen, um den Finanzminister fernzuhalten!
({1})
Ihre Kolleginnen und Kollegen kommen oft nur noch
hierher, um den Finanzminister fernzuhalten. Sie kommen nicht mehr hierher, wenn es um die Probleme im
Land geht. Wir sprechen über eine der größten Vertrauenskrisen in der Bundesrepublik. In dieser Situation ist
der Bundesfinanzminister geradezu eine Leerstelle; wir
führen eine Phantomdiskussion.
({2})
- Herr Müntefering, Sie waren vorhin, als es um die Probleme ging, auch nicht anwesend. Sie sind ebenfalls nur
gekommen, um den Finanzminister fernzuhalten.
({3})
Sie brauchten zwei Unterbrechungen für eine Fraktionssitzung. Von Ihnen hätte man erwarten können, dass Sie
die Dreiviertelstunde nutzen, um den Finanzminister
hierher zu holen statt ihn fernzuhalten.
({4})
Die Tatsache, dass Sie sich mit innerparteilichen Dingen statt mit den Problemen im Land beschäftigen, führt
zu wachsender Verunsicherung im Land, zu Chaos, zu
Angstsparen und zu einem Investitionsstopp in der Wirtschaft. Ihr Durcheinandergequake und Ihre Unkoordiniertheit verursachen das Chaos im Land.
({5})
Kein Mensch weiß mehr, was bei Ihnen morgen noch
gilt: Heute sagen Sie, dass Steuererhöhungen Gift sind,
und morgen sprechen Sie von der Tabaksteuer, diskutieren über die Mehrwertsteuer, die Vermögensteuer, die
Erbschaftsteuer und über Ausbildungsplatzabgaben.
({6})
- Dass Sie sich jetzt so aufregen, verdeutlicht mir, dass
ich ins Schwarze getroffen habe. Ihr Verhalten und das
Ihrer Kollegen muss Ihnen selbst doch höchst unangenehm sein.
Laurenz Meyer ({7})
({8})
Uns bewegt der Umstand, dass es in diesem Land an
Verlässlichkeit und Vertrauen mangelt. Das Land braucht
wieder Verlässlichkeit, Vertrauen und Planungssicherheit!
({9})
Sie sehen, wie leer die Regierungsbank ist. Der Bundeskanzler kann noch nicht einmal mehr in seiner eigenen Partei, in seiner eigenen Fraktion, im Parlament
ohne einen Sonderparteitag Vorhaben umsetzen, obwohl
er eine Mehrheit hat. Er hat keine Autorität mehr.
({10})
Der Finanzminister ist im Grunde eine Leerstelle; den
gibt es gar nicht mehr. Der wird noch nicht einmal mehr
gefragt, wenn Steuererhöhungen vorgenommen werden.
({11})
Der Wirtschafts- und Arbeitsminister entwickelt sich
zum Weltmeister im Ankündigen, hat bisher aber überhaupt nichts durchgesetzt.
({12})
- Lieber Kollege Müntefering, ehe Sie sich weiter aufregen: Wissen Sie, was Ihr Problem ist? - Sie führen
Deutschland im Kreis herum statt an die Spitze. Wir
wollen mit Deutschland wieder an die Spitze.
({13})
Wenn Ihnen das alles noch nicht ernst genug ist, kann
ich noch etwas hinzufügen. Ich habe eine Zahl ausgerechnet, die Sie nachdenklich stimmen sollte: In der Zeit
zwischen der Rede des Bundeskanzlers in diesem Hause
im März und den Sonderparteitagen von SPD und Grünen werden 10 000 Unternehmen in Deutschland Konkurs anmelden. Wenn Ihnen das noch nicht genug Stoff
zum Nachdenken gibt, dann weiß ich nicht, was das sein
sollte. 10 000 Unternehmen melden Konkurs an, und
zwar nur, weil Sie Sonderparteitage machen müssen statt
zu handeln.
({14})
Man dachte schon, Sie hätten die Richtung verstanden. Doch dann kam „IWAN“ und Sie schubsen mit dem
Hintern wieder alles um, was Sie vorne aufgebaut haben.
({15})
Lassen Sie uns endlich über das reden, was notwendig
ist: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, betriebliche
Bündnisse für Arbeit. All das sind Themen, von denen
Sie nichts mehr wissen wollen und zu denen Sie nicht
klar Stellung beziehen.
({16})
Wir brauchen Modellversuche für die neuen Bundesländer, eine Reform der Sozialversicherungssysteme und
ein verlässliches Steuersystem. Das brauchen wir und
nicht Ihre Durcheinanderquatscherei! Wir brauchen wieder ein Bekenntnis zu Leistung und Wettbewerb, weil
wir nur dann die Finanzen im Land wieder in Ordnung
bringen können.
({17})
Handeln Sie endlich! Wir bieten Ihnen schon die ganze
Zeit über Zusammenarbeit an, aber Sie sind nicht fähig,
zu handeln, weil Sie sich nicht einigen können
({18})
und weil Sie den Menschen vor der Wahl - das ist die
ganze Wahrheit - die Unwahrheit erzählt haben. Sie haben mit vier Zeilen signalisiert, dass alles nach oben
geht.
Sie haben gesagt, wir sollen handeln und nicht
schlechtreden. Herr Müntefering, das, was wir hier im
Land erleben, haben die SPD und die Grünen zu verantworten.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Dafür müssen Sie geradestehen. Sie müssen endlich
etwas tun!
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir erleben heute Nachmittag wirklich etwas Beispielloses.
Das gilt auch für diejenigen, die wie ich diesem Parlament schon ein wenig länger angehören. Es gab, glaube
ich, noch nie
({0})
eine Opposition, die sich ihrer staatspolitischen Verantwortung so entzogen hätte, wie Sie das
({1})
Tag für Tag tun. Sie übertünchen das mit solchen Inszenierungen.
({2})
Es wird in der politischen Diskussion Niveauverlust beklagt. Sie führen diesen Niveauverlust permanent herbei.
Sie schüren die Verdrossenheit, und zwar zielbewusst,
({3})
weil das Wasser auf Ihre Mühlen ist.
({4})
Sie sind dafür verantwortlich, dass vor sechs Wochen
ein Gesetz gescheitert ist, mit dem wir verstärkt gegen
Steuerhinterziehungen hätten vorgehen können.
({5})
Sie sind dafür verantwortlich, dass ein Gesetz gescheitert ist, mit dem wir das Ausbluten der Finanzen durch
die geringen Steuern der Kapitalgesellschaften hätten
stärker verhindern können. Sie verhindern mehr soziale
und steuerliche Gerechtigkeit in diesem Land. Das ist
die Wahrheit.
({6})
- „2010“, damit haben Sie das richtige Stichwort genannt.
Sie sollten überlegen, ob es mit Ihnen so weitergehen
soll.
({7})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Öffentlichkeit auf Dauer so von Ihnen täuschen lässt, wie das noch
in der Vergangenheit geschehen ist.
({8})
Sie haben keinen einzigen konkreten Vorschlag zur Behebung der öffentlichen Finanznot.
({9})
Sie haben keinen einzigen konkreten abgestimmten Vorschlag gemacht.
({10})
So geht es in der Tat nicht weiter; denn das Problem,
mit dem wir uns konfrontieren lassen müssen, das Problem der Wachstumsschwäche im dritten Jahr, ist nicht
nur ein Problem der Bundesrepublik Deutschland, sondern es ist ein Problem aller Industrieländer weltweit.
Das ist die Wahrheit.
({11})
Sie versuchen, die Schuld dafür einem Minister in die
Schuhe zu schieben.
({12})
Sie haben durch permanente Schwarzmalerei im letzten
und in diesem Jahr einen Beitrag dazu geleistet, dass es
weiter bergab geht. Genau das und nichts anderes war
Ihr Beitrag.
({13})
Wir leugnen die großen Probleme, die wir lösen müssen, nicht. Wir haben große Probleme, und zwar auf allen Ebenen: Bund, Länder und Kommunen.
({14})
Deutschland hat große Probleme, das Maastricht-Defizitkriterium in diesem Jahr zu erfüllen;
({15})
da beißt die Maus keinen Faden ab. Wir haben auch
große Probleme, dieses Kriterium im nächsten Jahr zu
erfüllen. Das ist unsere Ausgangslage und mit dieser
müssen wir uns alle beschäftigen. Die Union trägt eine
große Verantwortung in einer Vielzahl von Ländern.
Werden Sie endlich dieser Verantwortung gerecht!
({16})
Wir brauchen angesichts der Mehrheitsverhältnisse
große gemeinsame Anstrengungen. Wir müssen in 2004
die Kreditaufnahme des Bundes und der Länder auf die
Höhe der Investitionsausgaben begrenzen, wie es die
Verfassung vorschreibt.
Die Bürger erwarten von uns Politikern, dass wir die
dargestellten Probleme angehen und lösen, und zwar gemeinsam, jeder in seiner Verantwortung.
({17})
Jede Talkshow und jeder Klamauk, wie Sie ihn heute
Nachmittag veranstalten, in denen Sie sich darauf beschränken, Vorschläge und Initiativen der Regierung niederzumachen und sich einer konstruktiven Mitarbeit an
der Lösung der Probleme zu verweigern, löst die Bindung zwischen Politik und Bürgern weiter. Das ist die
Wahrheit hier in der Bundesrepublik Deutschland.
({18})
Das Ansehen und die Legitimation der Parlamente wird
dabei nur weiter verringert.
Wir haben die Agenda 2010 konzipiert, um die
Wachstumsschwäche in Deutschland nachhaltig zu überwinden. Diese Agenda hat einen breiten Ansatz: von der
Stabilisierung der solidarischen Sicherungssysteme über
das Aufbrechen verkrusteter Strukturen zum Beispiel im
Gesundheitswesen und die Verbesserung der Kommunalfinanzen bis hin zu verstärkten Aufwendungen für
Bildung und Forschung. Das alles muss bis zum Ende
dieses Jahres umgesetzt werden. Wenn es umgesetzt
wird, wird es bereits im kommenden Jahr einen Wachstumsfortschritt auslösen, der dann in der mittleren Frist
noch an Dynamik zunehmen wird.
({19})
Ich erwarte, dass im Zuge der Erarbeitung der nötigen
Gesetzentwürfe und der sich anschließenden parlamentarischen Beratungen in diesem Hause die Kritiker auf
allen Seiten des Hauses - das betone ich - den nötigen
Reformen zustimmen, damit die Menschen im Land, damit die Konsumenten und die Investoren wieder Vertrauen und Zuversicht gewinnen; denn sie haben mit der
Agenda 2010 allen Grund dazu.
Wer allerdings wie Herr Merz oder Herr Westerwelle
den Ausstieg aus den solidarischen Sicherungssystemen,
die Aufgabe der Tarifautonomie, den brutalen Abbau
von Arbeitnehmerrechten will, der zielt auf die Wiedereinführung einer Klassengesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland ab. Das werden wir nicht mitmachen.
({20})
Wir werden den Sozialstaat sichern und erhalten. Das
ist unsere Aufgabe. Dafür steht die deutsche Sozialdemokratie.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Poß, einen so hilflosen Beitrag habe ich selten
gehört.
({0})
Dieses Land ist finanziell und wirtschaftlich am Ende.
Wir sind Schlusslicht in Europa. Sie tragen seit fast fünf
Jahren die Verantwortung und stellen sich hier hin und
sagen: Die Opposition trägt dafür die Verantwortung.
({1})
Glauben Sie, Herr Poß, dass Ihnen irgendjemand im
Lande dies noch abnimmt?
({2})
Zumindest für meine Partei, aber, wie ich glaube,
auch für die ganze Opposition kann ich sagen: Wir bedenken Sie seit Jahren mit Vorschlägen und mit Anregungen,
({3})
was in diesem Lande geändert werden muss, wo die Reformen anzusetzen haben, wo man wieder Vertrauen herstellen kann. Sie verweigern sich dem.
Erst nachdem der Herr Bundeskanzler gemerkt hatte,
dass es nun gar nicht mehr weitergeht, nachdem die
Wahlen in Hessen und Niedersachsen verloren worden
waren, hat er sich aufgerafft, eine Rede zu halten, die ein
Stück in die richtige Richtung führt. Das geht in die
Richtung der Vorschläge, die wir seit zehn Jahren machen.
({4})
Was ist das Ergebnis? Sie zerreden das Ganze hoch
und runter.
({5})
Der Kollege Meyer hat es eben gesagt: Vermögensteuer,
Mehrwertsteuer, Erbschaftsteuer, Tabaksteuer - ständig
etwas Neues. Die Leute verstehen das gar nicht mehr.
Sie wissen nur eines: Sie sind unfähig zu regieren. Sie
bringen das nicht. Sie können das nicht. Das ist die Ursache für die Vertrauenskrise in unserem Land.
({6})
Wieso ist es denn eine Inszenierung,
({7})
wenn wir den Bundesfinanzminister hier haben möchten
in einer Situation, in der uns klar geworden ist, dass die
Nettoneuverschuldung in diesem Jahr verdoppelt werden
muss?
({8})
Es ist doch das Natürlichste, dass ein Parlament so etwas
will.
Ich erinnere mich noch daran: In den Jahren 1999 und
2000 war Herr Eichel immer da, wenn es darum ging,
auf seine Erfolge und seine Konsolidierung und auf die
Schuldenpolitik der alten Regierung hinzuweisen. Er hat
es akribisch vermieden, in dieser Situation auch nur einmal das Wort „Wiedervereinigung“ - die große Herausforderung - in den Mund zu nehmen.
({9})
Heute haben Sie keine Herausforderung der Wiedervereinigung und Sie haben das Land in die Sackgasse
geführt. Das ist ein Faktum. Sie beziehen sich - das ist
lächerlich - auf die schlechte weltwirtschaftliche Lage.
Natürlich ist die schlechte weltwirtschaftliche Lage mit
dafür verantwortlich, dass es nicht so aufwärts geht.
Aber die Tatsache, dass wir in diesem Kontext, in diesem Geleitzug das Schlusslicht sind, hat ihre Ursache
doch nicht in der Weltwirtschaft,
({10})
sondern in Ihrer hausgemachten Politik, in Ihrem Versagen in allen wichtigen Reformbereichen.
({11})
Die Menschen draußen im Lande erinnern sich nach all
den großspurigen Reden, die hier in den Jahren 1999 und
2000 geschwungen worden sind, wieder an eine alte
Weisheit: Es sind die Sozialdemokraten, die nicht mit
Geld umgehen können.
({12})
Ich sage Ihnen auch, warum das so ist: Sie sind in Zeiten, in denen es etwas zu verteilen gibt, diejenigen, die
der Verteilungsmentalität am ehesten nachgeben.
({13})
In Zeiten, in denen es nichts mehr zu verteilen gibt und
Korrekturen vorgenommen werden müssen, sind Sie diejenigen, die sich damit am schwersten tun. Ihre ganzen
Regionalveranstaltungen, Parteitage und sonstigen
Klimmzüge sind Ausdruck Ihres Versagens, sind Ausdruck dafür, dass Sie diese Korrekturen nicht durchführen können.
({14})
Dass wir uns in dieser Situation befinden, ist auf Ihr Versagen in der Steuerpolitik zurückzuführen - insbesondere den Mittelstand haben Sie vergrätzt - und darauf,
dass Sie den Arbeitsmarkt nicht deregulieren, obwohl
Sie das angekündigt haben.
Ich komme - auch mit Blick auf die Zeit - nur noch
zu einem Gedanken.
({15})
Die Politik der letzten Legislaturperiode, die Sie selbst
proklamiert haben, war eine Politik der Bündnisse und
der runden Tische. Es gab Bündnisse für alles und jedes.
So mogelt man sich im Grunde genommen aber nur um
die notwendigen harten Entscheidungen herum. Die Politik der Bündnisse ist total gescheitert. Sie hat - das sagen Sie selbst - nichts gebracht.
({16})
Deswegen muss jetzt eine Politik angesagt sein, die harte
Einschnitte macht, die wir alle mittragen müssen. Dazu
sind Sie nicht in der Lage. Deshalb stimmen die Finanzen nicht. Deshalb sind wir vor die Wand gefahren. Es
wird höchste Zeit, dass diese rot-grüne Regierung zurücktritt.
Herr Kollege, Sie müssen in der Tat auf Ihre Redezeit
achten.
An der Spitze muss dieser Finanzminister zurücktreten.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Rexrodt, als Schatzmeister der FDP würde ich die
Frage, wer mit Geld umgehen kann und wer nicht, nicht
in einer Rede im Deutschen Bundestag thematisieren.
({0})
Ich muss überhaupt feststellen, dass die von der
Union und der FDP produzierte Aufgeregtheit im umgekehrten Verhältnis zu der Anzahl der von Ihnen gemachten konstruktiven Vorschläge steht. Sie haben hier keine
konstruktiven Vorschläge gemacht.
({1})
Sie haben hier nicht gesagt, was zu tun ist, sondern haben sich mit einer Verfahrensfrage vergnügt, wahrscheinlich weil Sie davon ablenken wollen, dass Sie intern Probleme bei der Frage haben, was jetzt zu tun ist.
Wenn man sich die Lage nüchtern anschaut, dann
stellt man fest, dass die Situation der Wirtschaft sehr
schwierig ist und wir eine gigantisch hohe Arbeitslosigkeit haben, die wir bekämpfen müssen. Dafür gibt es Ursachen, Ursachen, für die Sie verantwortlich sind
({2})
- zum Beispiel die falsche Finanzierung der deutschen
Einheit -, Ursachen, für die wir verantwortlich sind, weil
wir zum Beispiel den Reformprozess etwas zu spät begonnen haben,
({3})
und Ursachen, für die niemand von uns verantwortlich
ist, weil sie mit der Weltkonjunktur oder mit den Fragen
der Finanzierung und der Kredit- und Zinspolitik etwa
der Europäischen Zentralbank zu tun haben. Es ist doch
klar, dass zum Beispiel die Aufwertung des Euros bei
unserer Exportabhängigkeit die wirtschaftliche Situation
in Deutschland zusätzlich schwieriger macht und dass
deswegen ein Zinssignal aus Brüssel notwendig ist.
({4})
Ich komme zu den Punkten, die ich für wichtig halte.
Ich frage die Union, ich frage Sie, Frau Merkel und Herr
Merz: Welche Strategie verfolgen Sie wirklich? So, wie
die Debatte heute war, habe ich den Eindruck, Sie setzen
darauf, aus irgendeinem politischen Kalkül alles mies zu
reden und alles schlecht zu machen
({5})
und diese Regierung auf diese Art und Weise zu schwächen. Ich sage Ihnen, was das ist: Wenn Sie über den
Bundesrat nicht konstruktiv sagen, was Sie wollen, dann
machen Sie schäbige Parteipolitik auf dem Rücken der
arbeitslosen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und nichts anderes.
({6})
Lassen Sie mich an der Agenda 2010 und den aktuellen haushaltspolitischen Fragen deutlich machen, was
ich meine. Sie gehen im Land umher und sagen, Hartz
sei gescheitert und die Agenda 2010 sei nicht viel wert.
Ich will Ihnen einmal zeigen, dass die Wirtschaft dies
anders sieht. In der Beilage der deutschen „Börsen-Zeitung“ vom 15. Mai sagt Heinrich von Pierer, Siemens:
Bundeskanzler Schröder hat im März mit seiner
Regierungserklärung ein Reformprogramm für
Deutschland vorgestellt. Die Agenda 2010 ist ein
großer Schritt in die richtige Richtung.
({7})
Wir alle sollten jetzt gemeinsam diesen Schritt gehen.
Dazu muss die Union aus ihrer Miesmacherrolle heraus.
({8})
Jetzt komme ich zur Haushaltspolitik. Wir wären einen ganzen Schritt bei der Sanierung der Haushalte in
diesem und im nächsten Jahr weiter, wenn die Union im
Bundesrat nicht die Subventionskürzungen verweigert
hätte, die wir vorgeschlagen haben.
({9})
Das war doch ein Stück aus dem Tollhaus. Nachdem Sie
die Kürzung der Eigenheimzulage - das ist immerhin die
größte Subventionierung des Bundes - abgelehnt haben,
war am nächsten Tag Herr Merz in den Medien und hat
dargestellt, dass dies eigentlich ein Vorschlag ist, den
man machen müsste. Sie wissen nicht, was der eine sagt
und was der andere will. Aber gemeinsam haben Sie mit
der Blockadepolitik, die Sie im Bundesrat veranstaltet
haben, den Ländern, den Gemeinden und deren Investitionskraft geschadet.
({10})
Dafür tragen Sie die Verantwortung. Deswegen lassen
wir es nicht durchgehen, dass Sie sich hier zulasten der
Arbeitslosen über die Verfahrensfrage dilettieren, wo der
Finanzminister gerade ist. Stellen Sie Ihre Antworten in
den Raum! Dann kann man vernünftig politisch darüber
diskutieren, was wir machen müssen.
Damit komme ich zu dem, was für das nächste Jahr
für einen verfassungskonformen Haushalt benötigt wird.
Wir müssen uns zusammensetzen, sowohl im Bundestag
als auch im Bundesrat, und uns überlegen, mit welcher
Strategie wir am besten Subventionen und Finanzhilfen
des Staates abbauen können, und zwar in einer Weise,
die die Konjunktur, die ja schlecht ist, nicht zusätzlich
abwürgt. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Meine Forderung an das Hohe Haus und an alle Fraktionen ist, dass
es keinen Tabubereich bei dieser Aufgabe geben darf.
Denn wenn wir Tabubereiche hinnehmen, werden wir
diese Aufgabe nicht meistern. Da bin ich auf Ihre Vorschläge gespannt.
({11})
Dazu will ich Diskussionen haben.
Herr Kauder, wenn Sie die Steuerdiskussionen ansprechen und dabei auf die Regierungsfraktionen zeigen,
dann zeigen einige Finger auf Sie zurück. Es sind doch
Ihre Ministerpräsidenten, die mit der Mehrwertsteuer
herumspekulieren.
({12})
Ich denke nur an den Kollegen in Sachsen-Anhalt, dessen Strategie die Mehrwertsteuererhöhung ist. Sie sollten ganz vorsichtig sein; Sie sind nicht besser.
({13})
Alle Ministerpräsidenten der Länder haben ein Problem:
Durch Ihre Blockade in der Finanzpolitik haben sie
keine verfassungskonformen Haushalte mehr. Das muss
sich die Union einmal ins Stammbuch schreiben lassen,
bevor hier so großartige Reden gehalten werden, wie Sie
es versucht haben, Herr Kollege Kauder.
Ich danke Ihnen.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Peter Ramsauer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Trotz allem kontroversen Hin und Her stehen drei Dinge
fest: erstens, dass die Kollegen Poß und Kuhn dringend
eine Portion Valium brauchen - anders ist dieses Geschrei nicht zu interpretieren -,
({0})
zweitens, dass am 14. März 2003 der Bundeskanzler hier
eine Regierungserklärung zum Thema „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“ abgegeben hat, und drittens, dass den Bundeskanzler und seine Regierung dieser
Mut ganz offensichtlich schon längst verlassen hat, weil
seit dem 14. März 2003, seit fast zehn Wochen, nichts
passiert ist.
({1})
Stillstand herrscht in Deutschland. In der SPD wird nur
wegen einer ganzen Reihe von Querulanten gestritten.
Das hat dieses Land nicht verdient.
({2})
Es waren trotz aller drängenden Probleme zehn verlorene Wochen für unser Land.
Wenn ich mir die Debatte in dieser Woche anschaue
und was die Menschen in unserem Land erwarten, dann
ist es wirklich grotesk, wenn die Koalition als ersten
Punkt der Kernzeit am morgigen Donnerstag periphere
Punkte des Verbraucherschutzes aufgreift. Stattdessen
sollte sie sich den drängenden Fragen in der Finanzpolitik, der Arbeitsmarktpolitik, der Wirtschaftspolitik und
der Steuerpolitik widmen, wie wir und die Menschen in
Deutschland es erwartet hätten. Ich möchte an eine Parallele erinnern und Ihnen sagen, wie das vor genau
sechs Jahren war, was von uns als damaliger Regierung
am 16. Mai 1997, also etwa zum gleichen Zeitpunkt wie
jetzt, nach der damaligen Steuerschätzung, erwartet worden ist und wie wir das gehandhabt haben. Es gab eine
große Debatte, in der der Bundesfinanzminister Theo
Waigel, der Bundeskanzler Helmut Kohl höchstpersönlich und der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble
aufgetreten sind. Wir sind mit der ersten Garde angetreten. Deswegen ist es auch so blamabel, dass nun, nachdem wir dieses Thema aufgegriffen haben, außer dem
Verteidigungsminister, der vielleicht qua Amt hier ist,
um die Dinge einigermaßen zu verteidigen, niemand von
den Ministern anwesend ist.
({3})
Es ist auch ganz interessant, sich einmal anzusehen,
was die damalige Hauptrednerin der SPD-Opposition
unserem Finanzminister Theo Waigel damals entgegengeschleudert hat. Ich nenne nur einige Stichworte: Finanzchaos, Finanzschrecken, Augen-zu-und-durch-Politik, Verhohnepipelung, finanzpolitischer Abgrund, Herr
der Löcher, verheerende Bilanz, Minusrekord, Steuerlügen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das damals angeblich so schlimm war, dann müssten wir als Opposition heute mit noch ganz anderen Kanonaden und Geschützen auffahren, um die Lage, in der sich Deutschland
gegenwärtig befindet, einigermaßen zu beschreiben.
Festzuhalten ist: Seit zehn Wochen gibt es nichts anderes außer dem Streit in der SPD. Ich glaube, dass der
14. März - wenige Tage vor Ausbruch des Irakkrieges von der Regierung und vom Bundeskanzler taktisch gewählt worden ist, um möglicherweise im Windschatten
der kriegerischen und außenpolitischen Auseinandersetzungen schwierige Dinge für Deutschland zu erledigen.
Böse Zungen könnten auf die Idee kommen, dass dieser
Krieg dem Bundeskanzler zu früh und von der falschen
Seite her ausgebrochen ist.
({5})
- Hören Sie den Leuten im Land zu und achten Sie darauf, wie die ganz normalen Menschen und die Gewerkschafter, Menschen, die traditionell die SPD wählen, reden! Es hat schon seinen Grund, dass Sie in den
Demoskopien jetzt bei 26 Prozent gelandet sind;
({6})
denn Ihnen laufen nicht nur Wechselwähler, sondern
auch Ihre Stammwähler scharenweise davon.
({7})
Dieser Stillstand bringt die Politik leider Gottes insgesamt in Misskredit. In Fernsehauftritten und Anzeigen
wirbt der Bürgerkonvent für sich. In einer Fernsehschaltung wird das Reichstagsgebäude, der Deutsche Bundestag, ins Visier genommen. Eigentlich müsste dieser Kameraschwenk vor allen Dingen das Bundeskanzleramt
treffen, denn hier liegt die Ursache der gesamten Blockade, und in eine Sitzung der SPD-Fraktion, in der die
Blockierer sitzen, hineinleuchten.
({8})
Herr Kollege Ramsauer, schauen Sie bitte auf Ihre
Uhr.
Meine Damen und Herren, mit großem Interesse können wir auch den teuren Werbe-, Anti- und Prokampagnen entgegenblicken, die jetzt auf uns zukommen sollen. Der DGB will 5 Millionen Euro in Kampagnen
gegen die Regierung investieren.
Herr Kollege Ramsauer, bitte schauen Sie auf die Uhr
vor sich.
Andere wollen 4 Millionen Euro für die Regierung
investieren. Das ist eine besondere Art der politischen
Desinvestition.
Das alles kann aber nicht die Lösung unserer Probleme sein. Ran an die Reformen! Wir haben gesagt,
dass wir konstruktiv mitarbeiten. Nur so bringen wir unser Land in eine gedeihliche Zukunft.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Walter Schöler, SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege Dr. Ramsauer hat seinen Rezeptblock gezückt, um zwei Kollegen hier Valium zu verpassen.
Schreiben Sie sich auch einmal Gingko-Tabletten auf!
Die sollen nämlich das Langzeitgedächtnis etwas auf
Vordermann bringen. Das ist bei Ihnen offensichtlich
notwendig.
Wenn Sie schon aktuelle Situationen beschreiben,
dann sollten Sie sich auch noch einmal ganz kurz die
Frage stellen, wer solche Situationen zu verantworten
hat.
({0})
Wer hat denn diesen Schuldenaufbau über viele Jahre
betrieben?
({1})
Herr Rexrodt, Sie haben eben gesagt, das sei zehn Jahre
lang geschehen. In diesen zehn Jahren waren Sie noch
gut fünf Jahre Wirtschaftsminister. Ich schätze, dass Sie
an diesem Schuldenaufbau sehr intensiv beteiligt waren.
({2})
Sie sollten deshalb den Mund nicht so voll nehmen. Sie
haben über zehn Jahre eine Klientelpolitik betrieben. Ich
erinnere mich an einen Ihrer Vorgänger, der den Mund
noch etwas mehr aufgeblasen hat als Sie heute und angekündigt hat: Ich bleibe nur im Amt, wenn ich Subventionen reduziere. - Das wird für uns alle in den nächsten
Jahren ein Thema werden.
({3})
Er hat damals angekündigt, dass er im Amt bleiben werde,
wenn er Subventionen in Höhe von 10 Milliarden DM abbauen werde. Auf dem Papier hat er 9,7 Milliarden DM
geschafft, in der Realität waren es 2,7 Milliarden DM. Er
musste dann aus ganz anderen Gründen als Sie gehen,
aber er ist Gott sei Dank weg. Das sagen Sie sogar. Da
müssten Sie mir jetzt zustimmen.
Ich will mich nicht weiter mit der Vergangenheit befassen. Aber ich will auf eine Bemerkung von Ihnen wie
folgt antworten: In den letzten vier Jahren der Regierung
Kohl/Waigel betrug die Neuverschuldung 152,7 Milliarden Euro. In den letzten vier Jahren unter Finanzminister
Eichel betrug die Neuverschuldung 104,6 Milliarden
Euro. Sie haben in den letzten vier Jahren Ihrer Regierungszeit eine um 50 Prozent höhere Neuverschuldung
als Eichel verursacht.
({4})
Eichel hat nämlich den Konsolidierungskurs eingeleitet,
in dem wir jetzt sind. Dieser ist unsere finanzpolitische
Richtschnur. Wir werden uns sicher mit vielen Realitäten
auseinander setzen müssen und sollten nicht allzu sehr
über die Vergangenheit reden. Diese konjunkturelle Belastung und auch die Blockadepolitik, die Sie nach wie
vor betreiben, erfordern eine Neujustierung der haushalts- und finanzpolitischen Ziele. Trotz aller Schwierigkeiten: Wir halten an diesem Konsolidierungskurs fest.
Die drei Jahre andauernde wirtschaftliche Schwächephase belastet zunehmend alle öffentlichen Haushalte.
Das wissen wir.
({5})
Die der Haushaltsplanung der Bundesregierung zugrunde liegenden Annahmen bewegen sich jeweils im
Prognosespektrum der Wirtschaftsforschungsinstitute.
Soll ich Ihnen die noch einmal nennen? Frühjahrsschätzung 2002: 2,6 vom Hundert Wachstum des Bruttoinlandsprodukts; Herbstschätzung: nur noch 1,5 vom Hundert; Jahreswirtschaftsbericht: 1,0. Wir sind jetzt bei 0,7.
Aber diese Schätzungen haben doch nicht der Finanzminister oder die Bundesregierung gemacht. Sie wissen
aus Ihrer Regierungszeit, dass diese Schätzungen von einem Sachverständigenrat gemacht worden sind. Deshalb
können Sie diese unvorhersehbaren Verschlechterungen
nicht mit der Haushaltsplanung von Hans Eichel in einen
Topf werfen. Die Bundesregierung muss sich auf die
Sachverständigen verlassen können. Das konnte sie offensichtlich in dem Maße, das wir uns alle gewünscht
hätten, in den letzten Jahren nicht mehr.
Als Folge dessen und weiterer Gründe entsteht jetzt
im Bundeshaushalt 2003 eine Mehrbelastung, die auf der
Einnahmen- und Ausgabenseite - grob geschätzt - bei
insgesamt rund 15 Milliarden Euro liegen wird.
Jetzt komme ich zu Ihrem Kurzzeitgedächtnis, Herr
Thiele, nachdem wir schon das Langzeitgedächtnis angesprochen haben.
({6})
Die Kollegen Poß und Kuhn haben es schon erwähnt:
Die schwierige Lage, in der wir uns jetzt befinden, wird
durch Ihre Blockadepolitik noch verschlimmert.
({7})
Nehmen Sie nur einmal den Bereich der Gemeinden.
Durch Ihre Blockadepolitik im Bundesrat werden den
Gemeinden in den nächsten vier Jahren 6,1 Milliarden
Euro netto vorenthalten. Jeder kann sich ausrechnen,
was das für seine Kommune bedeutet.
Sie sind diejenigen, die verhindern, dass das notwendige Geld für die Kommunen bereitgestellt wird und
Einnahmeverbesserungen für Bund, Länder und Gemeinden erzielbar sind.
({8})
Wir brauchen eine Neujustierung der haushalts- und finanzpolitischen Ziele.
({9})
- Herr Schauerte, Sie haben es noch nicht gemerkt, aber
wir sind dabei.
({10})
Wir gehen deshalb davon aus, dass ein Nachtragshaushalt in diesem Jahr kommen wird. Wir werden allerdings
im Rahmen der Kreditermächtigung mit diesem Nachtragshaushalt warten können, weil wir einen Haushalt
haben, der uns dies ermöglicht. Es besteht keine Notwendigkeit, jetzt schon einen Nachtragshaushalt aufzustellen, der, wie Sie vermutlich gerne möchten, dann
durch einen zweiten ersetzt werden müsste.
Herr Kollege Schöler, werfen auch Sie bitte einmal
einen Blick zur Uhr!
Ich komme jetzt zum Schluss, Frau Präsidentin. - Wir
werden auf jeden Fall einen solchen Nachtragshaushalt
aufstellen und schon vorher werden wir dafür sorgen,
dass sämtliche bestehenden Einsparmöglichkeiten berücksichtigt werden. Wir werden vor allen Dingen dafür
sorgen - darin sind wir inzwischen auch durch das positive Signal der Europäischen Union bestärkt worden -,
dass für das Jahr 2004 wieder ein verfassungsgemäßer
Haushalt aufgestellt wird. Davon bin ich überzeugt.
({0})
Herr Kollege Schöler!
Sie werden uns wahrscheinlich nicht viel helfen. Aber
wir können an der Hoffnung festhalten, dass sich zumindest der Bundesrat etwas aktiver an diesen Maßnahmen
beteiligen wird als Sie in der Opposition hier.
Danke für das Verständnis.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Merz,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Erlauben Sie, dass ich zunächst auch von dieser
Stelle aus noch einmal dem Versuch einer Legendenbildung widerspreche, die im Zusammenhang mit dem
Steuervergünstigungsabbaugesetz offensichtlich heute
fortgesetzt werden soll. Ich habe mich im Zusammenhang mit der so genannten Eigenheimzulage immer wieder dahin gehend geäußert, dass wir uns durchaus mit einer stärkeren Annäherung zwischen der Förderung von
Bestandserwerb und der Förderung von Neubauten anfreunden könnten. Das ist unverändert meine Meinung.
Ich beziehe mich ausdrücklich auf ein Gesetz des Freistaates Sachsen, das im Bundesrat vorgelegt worden ist.
Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie - auch die Kolleginnen und Kollegen der SPD - nicht länger versuchen, mir zu unterstellen, ich würde mich abweichend
von dem, was wir im Vermittlungsausschuss zu Recht
verhindert haben, mit einer anderen Auffassung zu Wort
melden.
({0})
Ich sage dies deshalb, weil wir mit der Verantwortung,
die der Union im Bundesrat zugewachsen ist, zu Recht
- das betone ich noch einmal - Steuererhöhungen in
Deutschland verhindert haben. Denn was Sie geplant haben, war kein Subventionsabbau; es waren vielmehr
Steuererhöhungen.
({1})
Ich hatte in dieser Woche Gelegenheit, zusammen mit
dem Bundeswirtschaftsminister an einer Wirtschaftskonferenz in den USA teilzunehmen. Die Kollegen, die neben mir die Gelegenheit hatten, daran teilzunehmen,
werden Ihnen spätestens morgen nach ihrer Rückkehr
bestätigen, dass die Beschreibung der wirtschaftlichen
Lage in unserem Lande durch uns, durch die Sachverständigen, durch die großen Wirtschaftsforschungsinstitute dieses Landes und durch weitere Experten alles andere als Schwarzmalerei ist, Herr Poß. Was wir in diesen
Tagen feststellen, ist nach meiner Überzeugung eher
noch eine optimistische Einschätzung der Lage der
Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland für die
nächsten Monate und Jahre.
({2})
Meine Damen und Herren, täuschen wir uns bitte
nicht: Das, was auf der anderen Seite des Atlantiks über
dieses Land gesprochen wird, weist nur noch bei denen,
die ein höheres Lebensalter aufweisen und eine gemeinsame historische Erfahrung der Nachkriegsgeschichte
mit Deutschland teilen, einen gewissen emotionalen Zugang zu unserem Land auf. Alle anderen sehen es sehr
nüchtern, um nicht zu sagen: ernüchternd für uns.
Deutschland spielt für einen großen Teil der Industrie,
der Unternehmer, der Menschen, die gewichtige Investitionsentscheidungen zu treffen haben, auf der Landkarte
der globalen Ökonomie keine Rolle mehr.
Der Ernst der Lage gebietet es, dass wir in diesem
Parlament - und zwar in Gegenwart der verantwortFriedrich Merz
lichen Minister der Bundesregierung - über die sich daraus ergebenden Fragen diskutieren und dass uns nicht
Klamauk vorgeworfen wird, wenn wir als Parlamentarier
den Anspruch erheben, diese Fragen im Parlament mit
Ihnen zu diskutieren.
({3})
Ich füge in diesem Zusammenhang einen weiteren
Punkt hinzu. Herr Kollege Poß, Sie halten es offensichtlich für richtig, nicht nur draußen in den Versammlungen,
sondern auch im Deutschen Bundestag das Märchen zu
verbreiten, dass wir die Macht der Gewerkschaften in
Deutschland beseitigen wollten. - Nein, es geht vielmehr
um substanzielle Zukunftschancen dieses Landes.
In diesen Tagen ist etwas zu kommentieren und politisch zu begleiten, was die IG Metall gegenwärtig im Osten Deutschlands versucht und was nur als Skandal bezeichnet werden kann,
({4})
nämlich dass sie mutwillig versucht, den einzigen Wettbewerbsvorteil, den die ostdeutsche Metallwirtschaft gegenüber der westdeutschen noch hat - die ostdeutschen
Metaller arbeiten drei Stunden mehr pro Woche als ihre
westdeutschen Kollegen -, wegzustreiken. Der Bundeskanzler hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass dann
das Tarifvertragsgesetz geändert werden müsse, damit
auch in Zukunft die Betriebe in Ostdeutschland gegen
die Ignoranz der Funktionäre die Möglichkeit haben,
ihre Wettbewerbsvorteile zu nutzen.
({5})
Herr Kollege Poß - und alle anderen, die es angeht -,
nicht nur die deutsche Opposition, sondern auch führende Kommentatoren der großen Wirtschaftszeitungen
nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und in
der Welt teilen diese Einschätzung. Das, was der Chefredakteur des „Handelsblatts“ heute dazu geschrieben hat,
trifft mittlerweile nicht nur auf die Gewerkschaften, sondern offenkundig auch auf große Teile der Regierung zu,
die nicht mehr in der Lage ist, das Gebotene in angemessener Zeit zu tun. Er schreibt:
Mit ihrer Mischung aus moribunden Wirtschaftstheorien, Fantasien vom Endkampf gegen die neoliberale Weltverschwörung und Widerstandsromantizismen aller Art entfernen sich die Funktionäre
immer weiter vom betrieblichen Alltag.
Das können Sie eins zu eins auf Ihre Reden in dieser Debatte übertragen.
({6})
Sie entfernen sich von der Realität unseres Landes. Sie
sind offenkundig weder bereit noch in der Lage, aus den
vorhandenen Erkenntnissen die notwendigen Konsequenzen für unser Land zu ziehen. Wenn dies so weitergeht, dann geht nicht nur ein weiteres Stück Ansehen des
Deutschen Bundestages verloren, sondern dann steht
auch ein Wohlstandsverlust unbekannten Ausmaßes bevor.
Herr Kollege Merz, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.
Dafür tragen Sie und nicht die deutsche Opposition
die Verantwortung.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube - ich habe das schon an anderer Stelle gesagt -,
dass wir nicht über die Bewertung der Lage streiten. Die
Lage ist dramatisch. Auch die Aussichten für die nächsten Jahre sind schwierig. Aber das macht auch klar, dass
sich die Probleme, die wir haben, nicht mir nichts, dir
nichts aus der Welt schaffen lassen. Deswegen - das
sage ich deutlich in Richtung Opposition - können wir
gar nichts damit anfangen, wenn Sie sich im Klein-Klein
mit uns verhaken. Das haben Sie getan. Ich weise mit
Empörung Ihre Feststellung zurück, dass das Wegbrechen der Steuereinnahmen ein Ergebnis unserer verfehlten Politik sei, wie sich Herr Merz in einer
Pressemitteilung ausgedrückt hat. Das Wegbrechen der
Steuereinnahmen ist vielmehr ein Ergebnis der verfehlten Politik im Bundesrat, die Sie zu verantworten haben.
Aus dieser Verantwortung kommen Sie so nicht heraus.
({0})
- Nein. Das Thema ist viel zu ernst.
Ich möchte Ihnen Ihre Verantwortung an folgendem
Beispiel deutlich machen: Die von Ihnen geführten Landesministerien erhalten die Meldungen über die Steuereinnahmen früher als der Bund. Sie wussten also schon
vor zehn Wochen - darauf haben Sie vorhin abgehoben -,
wie dramatisch die Lage ist. Aber Sie haben aus reinem
taktischen Kalkül die entsprechenden Entscheidungen
nicht zugelassen. Das ist Klein-Klein-Politik und wird
dem Ernst der Lage in diesem Land nicht gerecht. Deswegen fällt Ihr Vorwurf auf Sie selber zurück.
({1})
Herr Merz, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie
sich betroffen zeigen und schnell behaupten, dass Ihre
Aussagen zur Eigenheimzulage nicht so gemeint gewesen seien. Sie haben nicht zu einem entscheidenden Subventionsabbau bei dieser Steuervergünstigung beigetragen. Ich bin froh, dass Sie uns jetzt versprochen haben,
diesen Subventionsabbau mitzutragen. Ich denke, der
Anspruch, den Sie erheben, und der Einfluss, den Sie in
der Union haben, hätten schon längst zur Verabredung
eines Subventionsabbaus in Milliardenhöhe führen müssen. Tatsächlich haben wir ihn noch vor uns.
({2})
Ich will Ihnen aber auch Folgendes sagen: Ein Subventionsabbau von 10 Prozent in drei Jahren - das ist
nicht nur Ihr Ziel, sondern auch das von Herrn Koch und
Herrn Steinbrück - wird zu wenig sein. Wir müssen uns
schon ein bisschen mehr anstrengen und den Mut haben,
uns mehr mit Leuten anzulegen, die Angst haben, Besitzstände zu verlieren. Sie können uns gern im Einzelnen kritisieren; aber bewegen auch Sie sich. Das gilt
auch für die FDP, die immer so pseudokonsequent auftritt. Sie von der FDP sind bei den Themen Arzneimittelmarkt und Handwerksordnung völlig bewegungsunfähig. Angesichts der ernsten Lage in unserem Land kann
das nicht richtig sein.
({3})
Angesichts der wirtschafts- und haushaltspolitischen
Lage in Deutschland ist der heutige Tag nicht unwichtig;
schließlich hat sich die EU zu unserer Haushaltssituation
geäußert und sie wird es wieder tun. Positiv ist - daran
werden wir, die Regierungsfraktionen, anknüpfen; auch
Sie müssen da mitziehen -, dass wir es laut Beurteilung
durch die EU geschafft haben, das strukturelle Defizit
von 1 Prozent abzubauen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die meinen, wir könnten uns jetzt auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen. Um das zu tun, ist die Lage zu
schlecht. Ich spreche diese Beurteilung durch die EU an,
weil sie den Weg weist, den wir in den nächsten Jahren
vor uns haben: den Abbau des strukturellen Defizits.
Ich komme auf einen negativen Punkt in der Beurteilung durch die EU zu sprechen. Die EU schreibt uns ins
Stammbuch, dass Deutschland ein Problem damit hat,
sich auf die mit der Überalterung der Bevölkerung verbundenen Finanzprobleme richtig vorzubereiten. Ich fordere insbesondere die Union auf, keine Blockadepolitik
zu betreiben.
({4})
Zur Rentenfinanzierung und zur Finanzierung der Alterssicherungssysteme werden die heutigen Rentenbezieher und die jüngere Generation einen Beitrag leisten
müssen. Reformen kommen hier nur zustande, wenn die
Bundesregierung und die Regierungen der unionsgeführten Länder zusammenarbeiten. Von der Bereitschaft der
unionsgeführten Landesregierungen zur Zusammenarbeit wird abhängig sein, ob Sie - auch mit Blick auf das
Jahr 2004 - an einer Besserung der Lage in diesem Land
mitarbeiten wollen. Wenn es erneut um dieses Thema
Alterssicherung geht, treffen wir uns wieder.
({5})
Das Wort hat der Kollege Steffen Kampeter, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Kollegin Hajduk hat gerade bei der Behandlung mehrerer Themen Angebote zur Zusammenarbeit
mit der Opposition gemacht, beispielsweise bei der Reform der Rentenversicherung. Offensichtlich ist die Rentenversicherung zu einer starken Belastung für die öffentlichen Haushalte geworden. Ich will an dieser Stelle
darauf hinweisen, dass eine der ersten Taten der rot-grünen Bundesregierung war, die Rentenreform, die wir vor
der Bundestagswahl 1998 auf den Weg gebracht haben
- sie sah die Einführung eines demographischen Faktors
vor -, auszusetzen.
({0})
Die Belastungen für den Bundeshaushalt, die daraus
folgten, sind heute eine der Ursachen für die explodierenden Sozialabgaben in unserem Land.
({1})
Die Riester-Rente ist ein Flop; sie führt zu keiner Entlastung des Bundeshaushalts. Frau Kollegin Hajduk, es
wäre vielleicht sinnvoll gewesen, hier einmal selbstkritisch festzustellen: Es war ein Fehler, den demographischen Faktor außer Kraft zu setzen und die Bundeshaushalte über Gebühr zu beanspruchen.
Dies gilt auch für viele andere Bereiche: Wir stünden
heute anders da, wenn Sie die völlig verfehlte Steuerreform mit Ihrer damaligen Mehrheit nicht im Bundestag
und Bundesrat durchgedrückt hätten. Die derzeit zu verkraftenden Ausfälle bei den Körperschaftsteuereinnahmen sind ein Reflex auf einen völlig verfehlten steuerpolitischen Ansatz, den Sie, Frau Kollegin Hajduk,
respektive die mit Ihnen verbundene politische Mehrheit
im Deutschen Bundestag durchgesetzt haben.
({2})
Der Wahrheitsfindung dient die Aussage: Das eigentliche Haushaltsrisiko ist die verfehlte Haushalts-, Steuerund Finanzpolitik dieser Bundesregierung.
({3})
Ich teile die Auffassung der Kollegin Hajduk, dass
wir endlich handeln müssen. Nur: Mitte März hat der
Bundeskanzler hier angekündigt, er wolle jetzt handeln.
Aufgrund von Sonderparteitagen verschieben wir das
Ganze aber bis Mitte Juni. Ich höre, dass Deutschland
wahrscheinlich bis nach der Sommerpause im September auf Gesetzentwürfe warten muss, die dieses Handeln
deutlich machen sollen. Das heißt: Innerhalb eines Jahres nach der Bundestagswahl wird diese Regierung noch
keinen einzigen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, der Antworten auf die Krise in
unserem Land gibt. Das ist ein verlorenes Jahr für
Deutschland.
({4})
Würden Sie so etwas in der betrieblichen Praxis machen,
wären Sie wegen Arbeitsverweigerung wahrscheinlich
schon längst abgemahnt, wenn man Ihnen nicht sogar
gekündigt hätte.
({5})
Wegen der Dauer der Legislaturperiode ist das bei Ihnen
nicht möglich.
Sie können zu Ihrer Entschuldigung auch nicht anführen, Sie hätten nichts gewusst. Seit dem Regierungswechsel 1998 haben Sie 34 Kommissionen berufen und
dafür 12,5 Millionen Euro ausgegeben.
({6})
Wenn es noch eines weiteren Beweises bedarf, füge ich
noch hinzu: In der gleichen Zeit haben Sie 1 720 Gutachten in Auftrag gegeben,
({7})
die den Steuerzahler 128 Millionen Euro gekostet haben.
Sie waren offensichtlich ganz gut informiert, aber Sie
sind nicht handlungsfähig, weil Ihnen der politische
Kompass verloren gegangen ist. Es fehlt Ihnen an der
Kraft, politische Mehrheiten umzusetzen.
Da Sie auf Gutachten und Kommissionen nicht hören,
sollten Sie einmal lesen, was Ihnen heute der Bundesbankpräsident, ein Sozialdemokrat, gesagt hat. Ich entnehme einem Interview, dass er sich schwer tut, der
Agenda 2010 etwas Positives abzugewinnen, weil er erst
lesen möchte, was im Bundesgesetzblatt steht. Meine
sehr verehrten Damen und Herren, bringen Sie endlich
etwas ins Bundesgesetzblatt! Wir werden Ihnen im Bundesrat gern helfen, dass daraus auch etwas Vernünftiges
wird. Nur: Handeln Sie bitte! Wir haben in diesem Zusammenhang wenig Zeit.
({8})
Der Bundesfinanzminister war heute im Haushaltsausschuss. Er hat für Deutschlands Probleme keine
Antwort gehabt. Es war eine seltsame Mischung von Beratungsresistenz, Wirklichkeitsverweigerung und Handlungsunwilligkeit zu erkennen. Das Einzige, was er uns
mitgeteilt hat, war: Es ist nicht nur ein Zuschuss für die
Bundesanstalt für Arbeit in der Größenordnung von
10 Milliarden Euro erforderlich, sondern darüber hinaus
wird der Bundeshaushalt wahrscheinlich mit zusätzlichen Ausgaben im Bereich der steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden Euro
belastet.
Ganz imposant fand ich die Begründung des Bundesfinanzministers heute im Haushaltsausschuss dafür, dass
er nicht jetzt einen Nachtragshaushalt vorlegt.
({9})
Die Begründung lautete wie folgt: Wenn er jetzt einen
Nachtragshaushalt vorlegt, kann er nicht sicher sein, ob
er im Jahr 2003 nicht noch einen zweiten Nachtragshaushalt vorlegen muss; deswegen muss der Nachtragshaushalt warten. - Dieser Bundesregierung ist das Heft
des Handelns schon längst aus der Hand genommen.
({10})
Sie verwaltet nur noch. Das schadet unserem Land. Was
wir brauchen, ist eine Bundesregierung, die handelt und
die die Ideale der sozialen Marktwirtschaft wieder in
Kraft setzt.
Herr Kollege Kampeter, auch Ihre Redezeit ist bereits
abgelaufen.
In diesem Sinne, meine sehr verehrte Frau Präsidentin, ist es schon sinnbildlich, dass die Regierungsbank
leer ist, wenn wir jetzt diskutieren. Sie tun nichts, Sie
müssten etwas tun und wir werden Sie zum Jagen tragen,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
({0})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Karl Diller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Kollege Kampeter sieht älter aus, als er in Wirklichkeit
ist.
({0})
Aber um sein Kurzzeitgedächtnis muss man sich Sorgen
machen. Er hat von uns eben gefordert, sofort - so ist
auch der Titel der heutigen, von der Union beantragten
Aktuellen Stunde - mit Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, in der Finanz-, Haushalts- sowie Sozialpolitik zu beginnen.
Ich habe mir auf drei DIN-A4-Seiten nur einmal in
Stichworten zusammenstellen lassen, was wir in den
letzten zwölf Monaten an Strukturreformen nicht nur beraten, sondern auf den Weg gebracht haben bzw. zurzeit
beraten. Da sind zu nennen das Erste Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mit der frühzeitigen
Meldepflicht für gekündigte Arbeitnehmer mit Androhung einer Sperre beim Arbeitslosengeld, die Flexibilisierung der Zeitarbeit, neue Zumutungsregeln, flächendeckende Einführung von Personal-Service-Agenturen,
({1})
das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, unter anderem mit Erleichterungen bei der
Aufnahme von Minijobs.
({2})
Im Bereich des Gesundheitssystems gibt es etliche
Regelungen. Zurzeit findet in diesem Gebäude eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf zum Fallpauschalensystem statt. Wir haben die Ausgaben für Zukunftsbereiche
kräftig aufgestockt.
({3})
25 Prozent mehr geben wir für Bildung, Forschung und
Investitionen aus. Wir haben die Mittelstandsoffensive
auf den Weg gebracht. Wir tun viel für die Ausbildung
junger Leute. Wir haben die Mittel für die neuen Länder
richtig justiert
({4})
und insbesondere Abgabenbelastungen gesenkt. Ich erinnere an unsere Steuerreform, deren dritte und vierte Stufe
im Jahre 2004 und 2005 in Kraft treten werden. Wir haben auch im Haushalt entsprechend gespart. Der Haushaltsansatz des Jahres 2002 lag nur 3 Milliarden höher als
der des Jahres 1999, obwohl wir in der gleichen Zeit einen zweistelligen Milliardenbetrag zusätzlich für die
Rentenversicherung aufbringen mussten. Das alles
musste erst aus diesem Haushalt erwirtschaftet werden.
({5})
CDU und CSU verschweigen darüber hinaus, dass
vorgelegte Strukturreformen an ihrem Widerstand scheiterten. Auf der Ausgabenseite sind sie teilweise für Subventionsabbau, auf der Einnahmenseite, wo ihre Klientel
und die der FDP betroffen sind, sind sie dagegen und sagen, es handele sich um eine Steuererhöhung.
({6})
CDU und CSU verschweigen auch, dass sie erst einzelne Elemente ablehnten - Stichwort: Eigenheimzulage -,
diese jetzt aber plötzlich auch für reformbedürftig erachten. CDU, CSU und FDP verschweigen in dieser Debatte
natürlich auch, dass sie im Beratungsverfahren für den
laufenden Haushalt Mehrausgaben in Höhe von
2 Milliarden Euro etatisieren wollten, dabei aber so unseriöse Finanzierungsvorschläge vorbrachten, dass die
eigenen Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss darüber lachen mussten. Denn der Finanzierungsvorschlag, bei Gewährleistungen Ausgaben zu kürzen
und Einnahmen zu erhöhen, ist in dieser Situation und in
dieser Größenordnung abenteuerlich.
({7})
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu den
Helden in diesem Parlament. Die Helden in diesem Parlament sitzen ganz rechts. Sie haben beantragt, dass morgen als Tagesordnungspunkt die Beratung über einen
Antrag aufgesetzt werde, mit dem der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auffordert, mit einem Haushaltssicherungsgesetz in diesem Jahr 20 Milliarden Euro
einzusparen.
({8})
An diesen Antrag schließt sich eine lange Liste an, die
fett gedruckt ist. Aber diese lange Liste enthält keine
Vorschläge von Ihrer Seite, sondern diese lange Liste
enthält nur die Namen derjenigen,
({9})
die dafür sind.
Jetzt mache ich Ihnen einmal klar, was das bedeutet:
Das Ausgabevolumen des gesamten Bundeshaushaltes
beträgt 248 Milliarden Euro.
({10})
Eine Kürzung um 20 Milliarden Euro entspricht einem
Anteil von 8 Prozent. Da hätte ich doch eigentlich erwartet, dass die Helden von der FDP wenigstens auch den
Vorschlag machen, die Zuschüsse an die Fraktion der
FDP aus dem Haushalt des Bundes gleich einmal um
8 Prozent zu kürzen. Das wäre dann ein vernünftiger
Vorschlag gewesen.
({11})
Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser
Vorschlag stammt von feigen Helden oder, wie man in
meiner Kindheit gesagt hätte, von Maulhelden. Nichts
dahinter, lauter heiße Luft.
({12})
Nun gebe ich in der Tat zu, dass man bei der Beleuchtung der aktuellen Situation darauf hinweisen muss, dass
Deutschland in einer schwierigen Lage ist.
({13})
Aber nicht nur Deutschland. Ich war letzte Woche auf
einer Konferenz, wo Finanzminister und Europaminister
vieler europäischer Länder zugegen waren. Sie alle haben über die wirtschaftliche Entwicklung in ihren Ländern berichtet. Überall ist das Gleiche zu beobachten.
({14})
44 Prozent unser Ausgaben fließen allein in die Rentenkasse und in Zinsausgaben. Nimmt man noch die Arbeitsmarktausgaben hinzu, sind wir fast bei zwei Drittel
unserer Ausgaben angelangt. Deswegen sind die Reform
der sozialen Sicherungssysteme, die Reform der Gemeindefinanzen, die Agenda 2010 des Bundeskanzlers
und die Steuersenkungen in den Jahren 2004 und 2005
Teile der richtigen Antwort. Es handelt sich um eine Mischung aus strukturellen Reformen, die wir auf den Weg
bringen bzw. schon gebracht haben, und konjunkturellen
Impulsen zur Förderung des Wachstums.
({15})
Wir müssen im Jahre 2003 feststellen: Die Eckwerte
sind nicht zu halten. Die in Art. 115 des Grundgesetzes
festgelegte Grenze wird überschritten. Ein Nachtragshaushalt wird entsprechend vorgelegt werden müssen.
({16})
Wir lassen die automatischen Stabilisatoren in 2003 wirken. Das Dreiprozentziel ist in diesem Jahr nicht zu halten. Das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts im
Jahr 2006 muss verschoben werden.
({17})
Aber ich sage hier - und bin dankbar für die Unterstützung durch die Koalitionsfraktionen -: Aufgeschoben
heißt nicht aufgehoben. Wir werden ab 2004 - dafür arbeiten wir zurzeit an der Aufstellung dieses Haushalts das strukturelle Defizit entsprechend unserer Vereinbarung auf der europäischen Ebene jährlich im Durchschnitt um einen halben Prozentpunkt des Bruttoinlandsprodukts abbauen; das ist eine Größenordnung von mehr
als 10 Milliarden Euro. Ich würde mich freuen, wenn
sich die Opposition daran lebhaft und mit substanziellen
Vorschlägen beteiligen würde.
Denn Subventionen, Herr Rexrodt - das muss ich
noch einmal sagen -, belasten nicht nur die Ausgabenseite des Bundeshaushalts, sondern in gleicher Höhe die
Einnahmeseite. Vorschläge, mit denen auf der Einnahmeseite Subventionen gestrichen werden sollen, dürfen
nicht allein mit der Begründung abgetan werden, dass
das für die Betroffenen Steuererhöhungen bedeute.
Wenn ich auf der Ausgabenseite Subventionen streiche,
kneift das bei den Betroffenen ebenfalls; das tut genauso
weh wie auf der Einnahmeseite.
({18})
Deswegen werden wir unsere Vorstellungen umsetzen. Wir werden damit finanzielle Spielräume für die
Zukunftssicherung erreichen; das heißt, mehr für die Familienförderung, mehr für Bildung, mehr für Ausbildung, mehr für Forschung, mehr für Investitionen an
Mitteln freizuhaben.
({19})
Wir stehen zum Stabilitätspakt. Der Ecofin hat für den
Fall eines schwachen Wachstums das Überschreiten der
Dreiprozentgrenze gebilligt. Den Nachweis der Senkung
des konjunkturbereinigten Defizits um 1 Prozentpunkt in
diesem Jahr aber hat die EU gefordert.
Heute können Sie in den Zeitungen lesen, wie die EUKommission unsere Einsparaktion beurteilt. Im „Handelsblatt“ zum Beispiel heißt es: „EU lobt Eichels Sparkurs und mahnt Reformen an“.
({20})
Damit bringt die EU zum Ausdruck, dass wir auf dem
richtigen Weg sind und dass dieser richtige Weg fortgesetzt werden muss.
({21})
Das werden wir mit der Agenda 2010 tun. Die
Agenda 2010 muss kommen; sie ist ein wichtiger Beitrag hierzu.
Ich bedanke mich.
({22})
Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad
Fromme, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Diller, Sie haben eben das Lob der EU Ihrer Politik wiedergegeben. Originalzitat ARD heute Morgen:
Der Finanzminister brauche von der EU keine Kritik zu
befürchten; er liege schon am Boden und man müsse
nicht nachtreten.
({0})
Das ist doch einer der Gründe, warum Sie ihn hier
heute verstecken: Der Finanzminister ist bei Ihnen zu einer Nullnummer verkommen. Er war der Meinung, die
Tabaksteuer dürfe nicht erhöht werden. Sie haben ihn
einfach beiseite geschoben. Er war der Meinung - und
damit vielleicht ein bisschen näher an der Realität -, das
Wachstum dürfe nur mit 0,5 angesetzt werden. Sie haben
es mit 0,7 angesetzt. Sie nehmen ihn überhaupt nicht
mehr ernst und deswegen verstecken Sie ihn auch hier.
Das ist doch der wahre Grund.
Wenn die Liste, die Sie eben vorgelesen haben, gewirkt
hätte - es kommt ja nicht darauf an, dass man eine Liste
hat, sondern darauf, dass dabei etwas herauskommt -,
dann müssten wir diese Debatte hier gar nicht führen,
weil wir dann in einer völlig anderen Lage wären. Sie reden davon, dass Sie sparen wollen. Immerhin geben Sie
noch über 28 Milliarden Euro mehr aus als vorher!
Nun will ich einer Legende vorbeugen. Sie tun immer
so, als wenn mit Ihnen die Welt in Ordnung sei; nur weil
Sie im Bundesrat nicht die Mehrheit hätten, könnten Sie
Ihre Vorstellungen nicht umsetzen. Meine Damen und
Herren, Sie haben doch den Kommunen Geld aus dem
Steuerehrlichkeitsgesetz versprochen, das nicht in Kraft
getreten ist. Dazu zitiere ich Ihren Freund Hickel; das ist
der einzige Sachverständige, der neben dem DGB Ihre
Vorschläge gutgeheißen hat. Er hat gesagt, mit dem
Steuerehrlichkeitsgesetz kämen 3 Milliarden Euro weniger Steuern heraus statt 3 Milliarden Euro mehr. Das ist
doch die Wahrheit. Deshalb: Bilden Sie nicht solche Legenden hier!
({1})
Herr Eichel hat heute im Haushaltsausschuss eingeräumt, was alles eintreten wird - die Zahlen sind schon
genannt worden -: 10 Milliarden Euro Mehrausgaben
für die Bundesanstalt für Arbeit, weniger Steuern usw.
Auf meine Frage, welche konjunkturrelevanten Ereignisse von März bis heute eingetreten seien, hat er keine
Antwort gegeben. Das konnte er auch nicht; denn diesbezüglich ist nichts geschehen. Das beweist im Grunde
genommen doch nur, dass er im März all das, was jetzt
eingetreten ist, schon gewusst hat. Er hat es nur geleugnet, um über die Wahltermine zu kommen.
({2})
Solange Sie so mit der Wahrheit umgehen, meine Damen
und Herren von der Koalition, brauchen wir uns über
diese Dinge nicht zu unterhalten.
({3})
- Vorschläge haben die von Ihnen bestellten Experten
schon im vorigen Jahr gemacht, aber Sie haben nicht auf
sie gehört. Das ist genau der Fehler.
({4})
Sie rühmen sich der niedrigsten Steuerquote. Warum
ist denn die Steuerquote so niedrig? - Weil die Körperschaftsteuer als Einnahmequelle ausgefallen ist. Das hat
nichts mit Steuersenkungen zu tun!
({5})
Schauen Sie sich einmal das Ergebnis von fünf Jahren
rot-grüner Regierung an:
({6})
Die Steuereinnahmen sind von 2001 auf 2002 um
4 Milliarden Euro gesunken. Darin ist ein Minus bei der
Körperschaftsteuer in Höhe von 20 Milliarden Euro enthalten.
({7})
Das heißt, Sie haben 16 Milliarden Euro Steuern von
den großen Unternehmen auf den kleinen Mann verlagert. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
({8})
Sie brauchen sich also nicht zu wundern, dass die
Wirtschaft in Deutschland so schlecht läuft. Die Ursache
dafür ist doch nicht der Export oder die Lage auf dem
Weltmarkt, sondern es ist die nicht laufende Binnenkonjunktur. Wenn Sie den Menschen über die Erhöhung der
Tabaksteuer, der Versicherungsteuer und der Ökosteuer
das Geld wegnehmen, dann brauchen Sie sich nicht zu
wundern, wenn sie nicht mehr konsumieren können.
({9})
Je mehr die Menschen an den Staat abgeben müssen,
desto weniger können sie kaufen und desto schlechter ist
die Konjunktur. Das bedeutet weniger Arbeit, weniger
Steuern und mehr Sozialhilfe. Genau das ist das Ergebnis Ihrer Binnenmarktpolitik. Aufgrund Ihrer Fehler ist
Deutschland nicht mehr die Lokomotive in Europa, sondern hat die rote Laterne.
({10})
Nehmen Sie doch einmal die Aussagen Ihrer eigenen
Leute: Frau Scheel sagt, dass die Opposition Recht hat
und dass Sie nicht schnell genug die Realität erkennen.
Auch alle Sachverständigen sind dieser Meinung. Wenn
Sie täglich Steuererhöhungsdebatten führen, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn die Menschen in
Ihre Politik kein Vertrauen mehr haben.
({11})
Nun überlegen Sie sich einmal, was den kleinen
Mann bewegt, wenn heute einer Ihrer Kollegen von einem Mehrwertsteuersatz von 21 Prozent spricht. Da
fühlt sich der kleine Mann doch völlig zu Recht angegriffen. Diese Steuererhöhungsdebatte haben Sie losgetreten. Es wäre viel richtiger, wenn Sie endlich einmal
die Vorschläge der Sachverständigen aufgreifen würden.
Die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts kostet die
Staatskasse nichts, schafft aber Vertrauen in der Wirtschaft und verbessert das Investitionsklima. Aber diesen
Zusammenhang leugnen Sie und beginnen stattdessen
mit Statistiktrickserei. Ich erinnere an die Debatte über
die Maastricht-Kriterien. Seinerzeit hieß es: 3 Prozent
sind 3 Prozent - nicht mehr und nicht weniger. Nun fangen Sie an, das strukturelle Defizit vom konjunkturellen
zu trennen. Warum? - Weil Sie die Rüge aus Brüssel
fürchten und jetzt versuchen, mit der Bürokratie in Brüssel einen Weg zu finden, um sich verstecken zu können.
Aber die Menschen haben längst begriffen, was los ist.
Sonst hätten sie Sie in Niedersachsen und Hessen nicht
abgewählt.
({12})
Erkennen Sie endlich den Ernst der Lage! Sorgen Sie
dafür, dass die Regierung hier vor der Öffentlichkeit und
nicht nur - wie Herr Eichel - in nicht öffentlichen Sitzungen Stellung bezieht!
({13})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Doris Barnett,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Finanzminister - wir haben es gerade gehört - hat schon letzte Woche kein Geheimnis daraus gemacht, dass sich die Steuereinnahmen nicht so entwickeln, wie von den weisen Schätzern geschätzt wurden.
Ihre Forderung, dass er hier erscheinen soll, war doch
nur eine große Show. Wenn Herr Koppelin sagt, dass er
für einen Satz hierher kommen soll, dann frage ich mich,
was seine Anwesenheit bringen soll.
({0})
Sie plustern sich hier Woche für Woche nur auf und
verlangen Aktuelle Stunden praktisch zu den gleichen
Themen. Sie selbst haben Woche für Woche nichts anderes anzubieten als dieselben haltlosen und platten Vorwürfe. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass
diese Debatte nur die Fortsetzung Ihrer Talkrunden mit
anderen Mitteln ist.
So haben Sie sich hier geriert: als sprächen Sie nur zu
den Menschen an den Fernsehern. Aber wir sind hier im
Plenum, im Parlament. Sie missachten das Parlament,
nicht wir - dass wir uns da richtig verstehen!
({1})
Diese Aktuelle Stunde dient nur Ihrer aufgeplusterten
Selbstdarstellung und leider nicht der Problemlösung,
die unser Land wirklich verdient hätte. Auf jeden Fall
überzeugen Sie nicht gerade durch Kreativität, allenfalls
durch Betonmentalität.
Ich muss Ihnen deshalb sagen: Deutschland hat eine
bessere Opposition verdient.
({2})
Damit Sie dies endlich ordentlich üben können, werden
Sie es noch lange bleiben. Denn wer in der Opposition
nicht gut ist, kann erst recht nicht in der Regierung gut
sein.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen,
({3})
Ihnen ein paar Seiten des Berliner Telefonbuchs vorzulesen. Das ist nämlich genauso lehrreich wie diese Aktuelle Stunde. Sie hören sowieso nicht zu; also lernen Sie
auch nichts. Aber mein Respekt vor diesem Haus gebietet einen anderen Umgang.
Deshalb für alle, die es immer noch nicht wahrhaben
wollen: Wir haben viele Reformen auf den Weg gebracht, die aber nicht über Nacht wirken können, selbst
wenn sie von Sozialdemokraten kommen. Etwas Zeit
sollten Sie uns schon geben. Wenn es ab 1. April dieses
Jahres möglich ist, einen Minijob anzunehmen, dann
können Sie doch nicht allen Ernstes erwarten, dass sechs
Wochen später schon Hunderttausende gemeldet sind.
Genauso ist es bei den PSAs. Auch die wirken nicht über
Nacht. Dass Sie so tun, als sei das, was wir gemacht haben, nichts, weil Sie darauf hoffen, die Früchte unserer
Arbeit zu ernten,
({4})
das kann ich noch verstehen. Schaffen werden Sie das
nicht!
({5})
Es ist richtig, dass in Deutschland derzeit wirtschaftlich nicht alles zum Besten steht. Aber das ist nur die
halbe Wahrheit, auf der Sie allzu gerne herumreiten,
ohne zuzugeben, dass Sie selbst Mitverursacher sind.
Oder glauben Sie, wir hätten 1998 die Arbeitslosen erfunden und die Schulden seien über Nacht gekommen?
Die haben doch Sie in 16 Jahren Stück für Stück aufgebaut.
({6})
Schauen wir uns einmal die ganze Wahrheit an - wir
können nämlich feststellen, dass die Lage optimistischer
ist, als Sie es gerne hätten -: Die Industrieproduktion
stieg im Vergleich zum Vorjahr um 2,3 Prozent. Der Außenhandel legte um 5,4 Prozent zu. Auch die Einzelhandelsumsätze zeigten in den Monaten Januar und Februar
im Vorjahresvergleich klar nach oben. Die gleiche Entwicklung haben wir beim verarbeitenden Gewerbe: auch
hier ein Plus von 2,2 Prozent. Bei der Stahlproduktion
legten wir um 5,5 Prozent zu.
Also, so schwarz, wie Sie die Lage zeichnen, ist sie
nun wirklich nicht.
({7})
Es wäre für alle am wirtschaftlichen Geschehen Beteiligten nützlich, wenn Sie endlich aufhören würden, Weltuntergangsstimmung zu verbreiten. Die hilft niemandem:
weder der Wirtschaft noch den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern und erst recht nicht den Menschen in diesem Land.
Sorgen Sie lieber dafür, dass unsere Reformen, die
wir im Hinblick auf eine gute Zukunft in diesem Lande
durchführen wollen, nicht durch Ihre Leute im Bundesrat gestoppt werden, indem Sie zum Beispiel behaupten,
wenn man Subventionen kürze, treibe man die Steuern
nach oben. Es ist Quatsch, was Sie da sagen. Denn Sie
selbst gehen klammheimlich her - Herr Merz wurde im
Zusammenhang mit der Eigenheimzulage schon mehrfach zitiert - und führen das, was wir wollten und was
Sie abgelehnt haben, häppchenweise wieder ein. Wahrscheinlich warten Sie damit, bis in Bayern die Landtagswahlen vorüber sind. Dann kommen auch Sie mit der
ganzen Wahrheit heraus.
Hätten Sie im April bei unserem Gesetzentwurf mitgemacht, hätten die Gemeinden bis 2006 6,7 Milliarden
Euro mehr in den Schatullen.
({8})
Aber durch Ihre Betonpolitik haben Sie dafür gesorgt,
dass aus den 6,7 Milliarden ganze 600 Milliönchen wurden. Das sind 9 Prozent. Ihre CDU-Oberbürgermeister
jammern jetzt die Welt voll und fragen, wo das Geld
bleibt. Dazu kann ich nur sagen: Bedanken Sie sich bei
Ihren Freundinnen und Freunden im Bundesrat und im
Bundestag!
({9})
Anstatt Aktuelle Stunden zu verlangen, die so aktuell
sind wie die Zeitung von vor einer Woche, sollten Sie
sich lieber an die Arbeit machen und endgültig mithelfen, dieses Land nach vorne zu bringen, anstatt es nach
unten reden.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben im Februar dieses Jahres in Ostdeutschland eine Arbeitslosenquote von durchschnittlich ungefähr 20 Prozent
erreicht. Nun weiß ich zwar nicht, liebe Kollegen aus den
Koalitionsfraktionen, was die Kollegen aus Ostdeutschland in Ihren Fraktionen zu sagen haben.
({0})
In unserer Fraktion jedenfalls ist eine gewisse Betroffenheit spürbar, wenn Kollegen erzählen, was es bedeutet,
den Menschen in dem eigenen Wahlkreis eine Arbeitslosenquote von 20 Prozent zu erklären.
Frau Kollegin Barnett, Sie sagen: So schwarz, wie wir
die Lage malen, ist sie nicht. - Auf welchen Wert muss
die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland denn noch steigen, ehe Ihrer Meinung nach unsere Warnungen angebracht sind und ehe Sie die Schilderung der Lage in Ostdeutschland als so dramatisch empfinden, wie sie ist?
({1})
Die Menschen in Ostdeutschland haben die SPD gewählt. Wenn die Menschen in Ostdeutschland genauso
abgestimmt hätten wie in Westdeutschland, hätten Sie
die Wahlen verloren. Die Menschen dort vertrauten Ihnen und gaben Ihnen die Chance für einen zweiten Versuch. Dieses Vertrauen haben Sie - spätestens mit dem,
was Sie angesichts der neuen Steuerschätzungen sagen gründlich verspielt. Noch einmal hätten Sie mit diesem
Trick bei uns keine Chance.
({2})
Die Menschen in Ostdeutschland regen insbesondere
die ständigen Versuche auf, die Schuld auf andere abzuschieben - nach dem Motto: Wir haben jetzt fünf Jahre
regiert, aber die Opposition ist an der schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland schuld.
({3})
Bitte aktivieren Sie einmal Ihr Langzeitgedächtnis. Ich
möchte Sie daran erinnern, dass wir 1998 drei Reformwerke durchsetzen wollten: eine Gesundheitsreform,
eine Rentenreform und eine Steuerreform. Die Steuerreform, auf der Grundlage der so genannten Petersberger
Beschlüsse, sah Erleichterungen im Spitzen- und im Eingangssteuersatz vor und hatte eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zum Ziel.
({4})
Was haben Sie gemacht? - Den demographischen
Faktor in der Rentenformel haben Sie beseitigt und die
vernünftige Steuerreform haben Sie durch eine chaotische Steuerreform des Herrn Lafontaine ersetzt. Die
Menschen in Deutschland beobachten Sie jetzt dabei,
wie Sie versuchen, eine Reihe von Problemen zu beheben, die ohne Sie niemals entstanden wären.
({5})
Sogar das gelingt Ihnen nicht ohne ständige Rücktrittsdrohungen des Kanzlers.
({6})
Das ist ein peinliches Bild, von dem Sie uns möglichst
schnell erlösen sollten.
Heute sind wir so weit, dass in Ostdeutschland die
Haushaltssperren regieren. Die Länder Brandenburg,
Sachsen-Anhalt und Sachsen haben heute Haushaltssperren verhängt. In Thüringen ist es nicht viel anders;
dort bezieht sich das auf die disponiblen Titel. Die Länder wissen weder aus noch ein. Es gibt keine Möglichkeit, im Personalsektor mehr zu sparen, jedenfalls nicht
kurzfristig. Also wird der investive Bereich weiter beschnitten. Die Konsequenz davon ist, dass in den Kommunen nichts mehr investiert werden kann; sie fallen als
öffentliche Auftraggeber aus. Auch die Länder fallen als
öffentliche Auftraggeber aus. Die erforderlichen Gelder
geraten nicht in Umlauf. Gleichzeitig haben Sie die Eingliederungstitel der Bundesanstalt für Arbeit um ungefähr 1,6 Milliarden Euro im neuen Haushalt zurückgeführt. Auch diese Gelder stehen für den Konsum in
Ostdeutschland nicht mehr zur Verfügung.
({7})
Wie soll Ihrer Meinung nach bei einer so dramatischen
Reduzierung der Konsumkraft in Ostdeutschland der
ostdeutsche Mittelstand aus seiner Krise herauskommen? Ich sehe die Möglichkeit dazu jetzt weniger denn
je.
Frau Kollegin Hajduk hat uns massive Vorwürfe gemacht,
({8})
weil wir Ihrem Steuervergünstigungsabbaugesetz nicht
in unveränderter Form zugestimmt haben. Ich sage Ihnen: Sie wollten den Mittelstand weiter dafür bluten lasArnold Vaatz
sen, dass Sie bei der Körperschaftsteuer riesige handwerkliche Fehler gemacht haben. Das war das Ziel.
({9})
Ihre falsche Logik besteht darin, dass Sie ganz offenbar
meinen, dass ausgebliebene Steuererhöhungen für die
Mindereinnahmen verantwortlich sind.
({10})
Nein, für die Mindereinnahmen sind inzwischen die
Konkurse der Mittelständler verantwortlich: Sie haben
die Steuern derart erhöht, dass deren Gewinne dramatisch zurückgegangen sind. Die Investitionsmöglichkeiten blieben aus und sie mussten aufgeben. Das ist die
Realität.
({11})
Frau Präsidentin, lassen Sie mich noch einen Satz sagen. - Wir stehen in Ostdeutschland jetzt wieder vor einer Entscheidung; der Kollege Merz hat das schon erwähnt. Augenblicklich bahnt sich ein Streik der IG
Metall an. Ich bitte Sie: Sprechen Sie - mit uns gemeinsam - mit den Menschen, damit sie diesen Streik unterlassen! Der Kollege Stolpe hat - nach meiner Ansicht
verantwortungsvoll - darauf hingewiesen, dass dieser
Streik tödlich ist; auch andere Kollegen wie der Kollege
Brandner haben sich in diesem Sinne geäußert.
Herr Kollege Vaatz, trotz allem ist Ihre Redezeit abgelaufen.
Lassen Sie uns mit einer Stimme sprechen. Tragen Sie
dazu bei, dass nicht auch noch der letzte Wettbewerbsvorteil in Ostdeutschland verloren geht und sich die Probleme weiter verschlimmern!
Vielen Dank.
({0})
Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist die
Kollegin Erika Lotz, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn es der CDU/CSU wirklich um die Lösung von
Problemen ginge, dann hätte heute diese Inszenierung
nicht stattgefunden.
({0})
Herr Meyer hat vorhin - wo ist er jetzt eigentlich? ({1})
das Wort von der Verlässlichkeit in den Mund genommen. Ihre Verlässlichkeit hat sich ja heute gezeigt: Das,
was unter den Obleuten verabredet worden ist, haben Sie
nicht eingehalten. Ich denke, daran kann man sehen, wer
dem Ansehen des Parlamentes wirklich geschadet hat.
({2})
Wir, Rot-Grün, reden nicht um die Probleme herum,
sondern wir handeln. Wir arbeiten an Lösungen.
({3})
Sie tun so, als sei die weltweite Konjunkturschwäche
von der Bundesregierung produziert. Das glauben Sie
doch wohl selbst nicht!
Herr Vaatz, Sie haben die Finanzsituation der ostdeutschen Länder beklagt. In Westdeutschland ist die Situation auch nicht gerade prächtig.
({4})
In meinem Land, in Hessen, macht Herr Koch zum dritten Mal einen Haushalt, der nicht der Verfassung entspricht. Wenn Sie meinen, hier die finanzielle Situation
der Länder und der Kommunen beklagen zu müssen,
dann sage ich Ihnen: Es waren doch die Länder, die gegen Mehreinnahmen gestimmt haben. Das kann man
doch nicht einfach so machen.
({5})
Sie haben hier die alten Petersberger Beschlüsse der
CDU gepriesen. Was hätte denn eine Umsetzung bedeutet? - Eine Entlastung des Zahnarztes und die Belastung
der Krankenschwester! Sie wollten doch an die Nachtzuschläge heran.
({6})
Deshalb war es gut, dass wir das verhindert haben.
({7})
- Zu Ihrem Zwischenruf sage ich: Wir haben doch den
Eingangssteuersatz von 15 Prozent auf den Weg gebracht. Das ist schon Gesetz.
({8})
Lassen Sie mich nun noch einmal auf die konjunkturelle Schwäche zurückkommen. Sie hat natürlich Folgen
für die Sozialversicherungen. Die Einnahmen sinken,
während die Ausgaben gleich bleiben oder sogar steigen wie beispielsweise in der gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb haben wir dort auch gegengesteuert. Es
gab geringere Lohnsteigerungen als erwartet. Das hat
sich auf der Einnahmeseite negativ niedergeschlagen,
({9})
genauso wie die Anrechnung übertariflicher Lohnbestandteile.
({10})
Es ist Augenwischerei, so zu tun, als ob diese Belastungen erst heute aufgetaucht seien.
Herr Rexrodt, Sie waren es doch, der gemeint hat,
dass Wirtschaft in der Wirtschaft stattfinde,
({11})
als Politiker müsse man da nichts tun.
({12})
Wir tun aber etwas, wir handeln.
Wer die Belastungen durch das Geschenk der deutschen Einheit nur der Sozialversicherung aufgebürdet
hat, soll jetzt nicht die hohen Lohnnebenkosten beklagen.
({13})
Sie tragen dafür die Verantwortung. Gesamtgesellschaftlich hätte das finanziert werden müssen. Deshalb ist es
jetzt nicht in Ordnung, wenn Sie bei den Steuereinnahmen blockieren.
({14})
Ja, wir müssen Veränderungen betreiben.
({15})
- Herr Schauerte, ich erlebe jetzt schon zum x-ten Male,
dass meine Reden dadurch unterbrochen werden, dass
Sie mir vorhalten, ich sei Gewerkschafterin, ich sei IGMetallerin.
({16})
Ich sage Ihnen: Ich bin stolz darauf, dass ich IG-Metallerin bin.
Wenn Sie schon immer im Kürschner blättern müssen, wäre es vielleicht angebracht, dass Sie auch einmal
feststellen: Diese Erika Lotz hat neun Jahre Akkord gearbeitet.
({17})
Sie weiß durchaus, wovon sie redet. - Deshalb schätze
ich die Tarifhoheit. Ich habe mich immer dagegen gewandt, dass Politiker und Politikerinnen sich in die Tarifhoheit einmischen. Deshalb werde ich auch heute als
Bundestagsabgeordnete dies nicht tun.
({18})
Natürlich müssen wir handeln. Es sind Veränderungen notwendig, beispielsweise bei dem Gang in die
Frühverrentung. Wir wollen doch auch einmal feststellen: Dass man mit 60 in Rente geht, ist nicht von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eingeleitet worden, sondern von Herrn Blüm.
({19})
Schon damals haben wir als Gewerkschafter gesagt: Die
Rentenkassen werden geplündert. Die Arbeitgeber haben dafür gesorgt, dass ältere Arbeitnehmer den Betrieb
verlassen, ohne dass jüngere ihre Plätze einnehmen. Daran müssen wir arbeiten. Dies muss sich aufgrund der
demographischen Veränderungen ebenfalls verändern.
Sie fordern hier Veränderungen ein. Ich lade Sie heute
noch einmal ein: Tun Sie mit! Lassen Sie das mit den
Aktuellen Stunden! Lassen Sie uns wirklich sachlich arbeiten! Dann wären wir schon ein ganzes Stückchen
weiter.
Danke schön.
({20})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 22. Mai 2003,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.