Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes gegen
den unlauteren Wettbewerb.
Das Wort für den einleitenden Bericht hat die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries.
Das Bundeskabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb beschlossen.
Mit diesem Gesetz setzen wir fort, womit wir bereits in
der letzten Legislaturperiode begonnen hatten, nämlich
die Liberalisierung des Wirtschaftsmarktes hinsichtlich
der Beschränkungen im Handel. In der letzten Legislaturperiode wurden das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung aufgehoben, jetzt haben wir das Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb modernisiert.
Mit dieser Novelle ist insofern ein Meilenstein gesetzt
worden, als wir in § 1 des Gesetzentwurfes die Verbraucherinnen und Verbraucher als Schutzobjekte aufgenommen haben. Erstmals werden sie ausdrücklich in dem
Gesetz erwähnt.
Bestehen bleibt im Gesetzentwurf die Generalklausel
gegen den unlauteren Wettbewerb, die sich unserer Ansicht nach bewährt hat. Wir haben in § 4 des Entwurfes
Beispielsfälle aufgenommen, die die Rechtsprechung in
Deutschland in den letzten Jahren zum unlauteren Wettbewerb entwickelt hat. So werden die Schleichwerbung,
die Ausnutzung der Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen als Konsumenten sowie die Beeinträchtigung
der Entscheidungsfreiheit der Verbraucherinnen und
Verbraucher ausdrücklich verboten. Hierzu zählt beispielsweise eine Koppelung von Gewinnspielen mit
Kaufangeboten. Sie alle kennen diese Art von Angeboten, bei denen man nur dann an einem Gewinnspiel teilnehmen kann, wenn man auch etwas kauft. Eine Ausnahme besteht - das wissen Sie - für Tageszeitungen.
Eine weitere Neuerung in diesem Gesetzentwurf ist
die Abschaffung der Sonderverkäufe, des Winterschlussverkaufes und des Sommerschlussverkaufes; darüber
wurde in den Zeitungen schon berichtet. Sie wissen, dass
diese Zeiten schon bisher aufgeweicht wurden, da zahlreiche Geschäfte vor dem eigentlichen Sommer- und
Winterschlussverkauf Sonderangebote bei ihren Waren
gemacht haben. Wir glauben, dass die feste Bezeichnung
dieser jeweils zwei Wochen im Jahr nicht mehr zeitgemäß ist, und haben deswegen diese Regelung aufgenommen. Wir ermöglichen es dem Handel aber, sich auf
solche Zeiten zu verständigen. Abgesprochene Sonderverkäufe sind also nicht unzulässig. Der Handel in einer
Region oder einer Stadt kann, wenn er es will, sich auf
solche verständigen, zum Beispiel anlässlich eines Stadtfestes. Das wird nicht verhindert.
Ein weiterer Punkt, den wir in den Gesetzentwurf aufgenommen haben, ist das ausdrückliche Verbot der irreführenden Werbung. Sie alle kennen die Werbeangebote
Solange der Vorrat reicht. Die Unternehmer sind,
wenn sie solche Angebote machen, künftig verpflichtet,
eine angemessene Stückzahl dieser Produkte vorzuhalten. Es soll nicht mehr passieren, dass man eine Viertelstunde nach Geschäftsöffnung gesagt bekommt, es sei
schon alles ausverkauft, man könne aber ein anderes
Produkt bekommen, das etwas teurer sei. So etwas wollen wir vermeiden. Ebenso wollen wir vermeiden, dass
mit so genannten Mondpreisen geworben wird. Wenn
also ein Anbieter Produkte zu einem deutlich vergünstigten Preis anbietet, dann muss er sie vorher zu einem höheren Preis eine bestimmte Zeit lang im Sortiment gehabt haben.
Um die belästigende Werbung, unter der viele von
uns leiden, etwas zu reglementieren, haben wir § 7, der
einen eigenständigen Tatbestand enthält, eingeführt. Danach handelt es sich unter anderem bei der Werbung
über Telefonanrufe, über Faxgeräte oder über die elektronische Post, also den E-Mail-Verkehr, um eine unzumutbare Belästigung, wenn der Empfänger nicht einwilligt.
Redetext
Bei vorsätzlichen Verstößen gegen das Gesetz gegen
den unlauteren Wettbewerb sehen wir jetzt einen Anspruch auf Gewinnabschöpfung vor. Nach unserer Vorstellung betrifft das vor allen Dingen die Fälle, in denen
eine Vielzahl von Verbrauchern mit relativ geringen
Kosten belastet wird. In diesem Zusammenhang bringe
ich immer ein Standardbeispiel. Dabei geht es um die
unerwünschte Zusendung eines Fax. Auf diesem steht,
dass man es, wenn man es zukünftig nicht mehr erhalten
will, bitte zurückschicken möge, nachdem man das entsprechende Kästchen angekreuzt hat. Wenn man dieses
Fax dann zurückschickt, wird die Telefonrechnung mit
3 Euro belastet. Für den einzelnen Teilnehmer ist das natürlich keine besonders hohe Summe. In der Regel ärgert
man sich über so etwas, man tut aber nichts dagegen. Für
denjenigen, der so etwas initiiert, entsteht natürlich ein
enormer Gewinn, wenn er dieses Fax an 100 000 Menschen verschickt.
Deshalb haben wir beschlossen, dass sich die Verbraucherverbände um solche Fälle kümmern sollen. Künftig
kann man sich also an die Verbraucherverbände wenden
und ihnen sagen, sie mögen dort tätig werden. Diese haben andere Möglichkeiten, um gegen solche betrügerischen Unternehmer - so muss man sie bezeichnen - vorzugehen und den Gewinn abzuschöpfen; das sieht das
Gesetz vor. Die Verbraucherverbände bekommen die ihnen entstandenen Kosten ersetzt und der abgeschöpfte
Gewinn fließt an die Staatskasse. Ich glaube, das ist im
Ergebnis nur recht und billig.
Wir meinen, dass wir damit ein Gesetz geschaffen haben, welches auf einer breiten Basis steht. Es ist von einer Kommission, die vom Bundesjustizministerium eingesetzt wurde und die sich mit zahlreichen Punkten in
diesem Bereich befasst hat - diese hat sie zur konkreten
Regelung vorgeschlagen -, erarbeitet worden. Wir glauben, dass es ein modernes Gesetz ist, weil in ihm, wie
gesagt, erstmals die Verbraucher als Schutzobjekte benannt werden. Wir meinen, dass wir damit einen guten
Ausgleich zwischen den Interessen des Handels und den
Interessen der Verbraucher gefunden haben.
Auf europäischer Ebene werden derzeit vergleichbare
Überlegungen angestellt. Die Bundesregierung ist sehr
bemüht darum und daran interessiert, dieses Gesetz als
Modellgesetz auch auf die europäische Ebene zu transportieren, um damit auch dort den notwendigen Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher und den
Interessen des Wettbewerbs herzustellen.
Vielen Dank, Frau Ministerin.
Gibt es Rückfragen zu diesem Bericht? - Herr Kollege Röttgen.
({0})
Fragen Sie aber bitte nicht, ob kurz zusammengefasst
werden könnte, was gerade vorgetragen wurde.
Herr Präsident! Ich hatte erstens gehofft, dass Sie den
Hinweis auf mein nicht rechtzeitiges Erscheinen unterlassen würden, und zweitens, dass ich eine kleine Verschnaufpause haben würde. Ich bin aber gerne bereit und
interessiert, eine Frage zu stellen.
Der Anspruch auf Gewinnabschöpfung ist in seiner
konzeptionellen Begründung zu begrüßen. Er zielt darauf ab, wettbewerbswidrig erzielte Früchte zu neutralisieren. Es stellt sich allerdings die Frage nach der Praktikabilität insbesondere der Gewinnermittlung. Wie
wollen Sie den Gewinn in seiner Kausalität bezogen auf
wettbewerbswidrige Handlungen ermitteln? Was ist der
Gewinn, der durch eine irreführende Werbung erzielt
wird? Wie wollen Sie ihn gegenständlich begrenzen?
Der Gewinn errechnet sich durch Abzug der Kosten. In
welchem Ausmaß wird der Klagegegner in einem Prozess verpflichtet, über seine Kosten Auskunft zu geben?
Sie sehen bei einem Rechtsstreit keinen Auskunftsanspruch vor. - Wie beantworten Sie diese Fragen? Wie
schätzen Sie die Praktikabilität der Geltendmachung dieses Anspruchs auf Gewinnabschöpfung ein? Ich glaube,
Sie müssen den Praktikern diese Fragen beantworten.
Frau Ministerin.
Herr Röttgen, Sie haben völlig Recht: Immer wenn
ein neues Instrument eingeführt wird, dauert es eine Zeit
lang, bis man sich in der Praxis darauf eingestellt hat.
Nun ist es aber so, dass dieses Instrument nicht neu ist.
Im Zivilprozess müssen in zahlreichen Fällen die entstandenen Kosten geschätzt werden. Denken Sie zum
Beispiel an den Streit über die Angemessenheit einer
Werklohnforderung. Für solche Fälle gibt es entsprechende Instrumentarien.
Ich erinnere an mein Beispiel, das Sie vielleicht vorhin nicht mitbekommen haben und das ich deshalb gerne
wiederhole, die unerwünschte Zusendung eines Fax.
Darauf steht dann unten: Wenn Sie diese Informationen
künftig nicht mehr erhalten wollen, kreuzen Sie Nein an
und schicken Sie das Fax zurück. - In diesem Fall aber
werden 3 Euro abgebucht. Passiert so etwas bei einer
Vielzahl von Menschen, kann der Verbraucherschutzverband, der in einem solchen Fall für den Verbraucher die
Klage erheben würde, vor Gericht einen Auskunftsanspruch gegen den Faxversender geltend machen, um herauszufinden, wie viele Faxe versandt und wie viele zurückgeschickt worden sind. Ich glaube, das ist ohne
Weiteres möglich. Dass der Umsatz nicht dem Gewinn
entspricht, wissen wir beide. Die Kosten - das haben Sie
bereits angesprochen - werden vom Umsatz abgezogen.
Ich muss gestehen: Ich bin optimistisch, dass die Gerichte in der Lage sein werden, mit diesen Problemen
umzugehen. Im Übrigen erhoffe ich mir - insofern ist es
gut, dass Sie gerade zu diesem Thema eine Nachfrage
gestellt haben - durch die öffentliche Kommunikation
der Einführung eines solchen Anspruchs einen hinreiBundesministerin Brigitte Zypries
chenden Abschreckungseffekt. Diese Regelung hat, wie
immer, eine gewisse präventive Wirkung. Das Beste
wäre natürlich, die Menschen würden so etwas erst gar
nicht machen. Dann wäre es nicht notwendig, in dieser
Form darauf zu reagieren.
Die nächste Frage kommt von Frau Kollegin Kopp.
Frau Ministerin, vom Grundsatz her ist die Änderung
des UWG tatsächlich zu begrüßen. Aber der Gewinnabschöpfungsanspruch ist ein bisschen komplizierter, als
Sie es eben dargestellt haben. Das wird sich in der Praxis
als hoch kompliziert erweisen; denn es ist nicht so einfach, hier die Gewinne zu ermitteln.
Meine Nachfrage bezieht sich auf die von Ihnen eben
genannte Verhinderung von Mondpreisen. Es geht darum, dass der reduzierte Artikel vorher eine gewisse Zeit
lang mit einem höheren Preis ausgezeichnet worden war.
Ich möchte gerne wissen, wie umfangreich die Dokumentationspflichten künftig sein werden; denn das Unternehmen müsste diese Preise entsprechend dokumentieren. Zudem interessiert mich, wie auf der anderen
Seite der Verbraucher Einsicht nehmen kann.
Abgesehen von ganz kleinen Läden sind die Firmen
mit entsprechender EDV ausgestattet, mit der registriert
wird, wann Preise herabgesetzt werden oder wie lange
ein Artikel zu welchem Preis verkauft worden ist. Sie erinnern sich: An der Kasse wird mit einem Scanner der
Warencode gelesen und der Computer zeigt den Preis an.
Mit anderen Worten: Der Computer weiß, wie lange der
Preis galt.
Im Übrigen gilt auch hier, was ich eben sagte: Es wird
im Wesentlichen die Aufgabe der Verbraucherverbände
sein, sich um solche Themen zu kümmern, nachzufragen
und gegebenenfalls zu klagen.
Darf ich noch eine Nachfrage stellen?
Ja, bitte schön.
Auch dieses Thema wird sich in der Praxis als nicht
ganz so einfach erweisen. Aber das will ich jetzt nicht
vertiefen.
Ich habe eine Nachfrage zum künftigen Wegfall der
§§ 7 und 8 UWG, die die Sonder- und insbesondere die
Schlussverkäufe betreffen. Die Streichung dieser Paragraphen ist sicher sinnvoll. Sie haben aber gerade dargestellt, dass der Handel dennoch die Möglichkeit hat, im
Rahmen einer Gemeinschaftsaktion Sonderverkäufe
stattfinden zu lassen. Ist das rein rechtlich mit dem Kartellrecht kompatibel?
Ja, das ist es.
({0})
Herr Röttgen.
Ich erlaube mir, erneut eine Nachfrage zu dem eben
angesprochenen Anspruch auf Gewinnabschöpfung zu
stellen, weil ich es für wichtig halte, dass wir uns von
Beginn an dieser Problematik stellen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass mir dieser Anspruch ordnungspolitisch durchaus geboten erscheint,
weil er den wettbewerbswidrigen und insofern ungerechtfertigten Vorteil neutralisiert. Allerdings haben Sie
meine Fragen nicht beantwortet. Man kann nicht ein solches Gesetz auflegen und sagen: Mal sehen, wie es wird.
Ich habe darum noch zwei Fragen.
Erstens. Muss man diesen Abschöpfungsanspruch
nicht stärker nach Verletzungsarten differenzieren? Bei
der Produktpiraterie ist die Gewinnermittlung viel einfacher und eine andere als bei einer diffus angelegten
Wettbewerbsverletzung wie der irreführenden Werbung.
Wenn Sie einen solchen Abschöpfungsanspruch als gesetzlichen Vorschlag einbringen, dann müssen Sie eine
Vorstellung haben, wie im Falle von irreführender Werbung Gewinn ermittelbar sein soll. Der Gesetzgeber
muss davon eine Vorstellung haben, sonst können wir
die Praxis nicht mit einem solchen Instrument beglücken.
Zweitens. Sie müssen eine Vorstellung davon haben,
wie die Gewinnermittlung von der Wahrung betrieblicher Geheimnisse abgegrenzt werden kann. In den Gewinn fließen die Kosten eines Unternehmens ein. Sie haben keinen separaten Auskunftsanspruch. Wo ist die
Grenze zur Wahrung betrieblicher Geheimnisse, die
dann zur Gewinnermittlung offen gelegt werden müssten? Wie soll der Kläger seine Klage schlüssig und substanziiert begründen, wenn er den Gewinn doch gar
nicht kennt? Wollen Sie das im Verfahren des strengen
Beweises machen oder wollen Sie eine Billigkeitsregelung? Sie haben jetzt keine Billigkeitsregelung und somit den strengen Beweis, also keine Schätzung, wie es
bei § 829 BGB der Fall wäre.
Eine konkrete Vorstellung über die angesprochenen
Punkte muss schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfs vorhanden sein.
Sie sprechen die Forderung der Verbraucherverbände
nach einem Auskunftsanspruch an.
({0})
- Das habe ich schon verstanden. - Wir haben überlegt,
ob wir einen generellen Auskunftsanspruch einführen
sollten. Wir haben dann aber festgestellt, dass das eine
große Belastung für die Wirtschaft wäre und weit über
das hinausginge, um was es uns eigentlich geht. Uns
geht es nur um bestimmte Wettbewerbsverletzungen und
nur, wenn sie den Tatbestand des § 10 erfüllen. Das
heißt, wer dem § 3, also dem Verbot des unlauteren
Wettbewerbs, zuwiderhandelt und dadurch auf Kosten
einer Vielzahl von Abnehmern einen Gewinn erzielt, ist
gemeint.
({1})
Es sind nur bestimmte Fälle betroffen. Nicht jedes
Beispiel irreführender Werbung, die Sie eben angesprochen haben, würde dazu führen.
({2})
- Aber es könnte sein, wenn man es vorsätzlich und systematisch betriebe. Dann werden die Verbraucherverbände das Klagerecht in aller Regel wahrnehmen, weil
unser Ziel gerade die Gruppe der Verbraucher ist, die nur
mit kleinen Beträgen geschädigt wird und deshalb selber
kein Interesse hat zu klagen. Wir haben die Verbraucherverbände insofern als Mittler eingeführt, die das Klagerecht haben und im Interesse der Verbraucher den Anspruch geltend machen. Diese werden im Zweifel ein
Grundurteil beantragen. Die Beantwortung der Frage
nach der konkreten Höhe werden sie dem Prozess überlassen; denn der Beklagte muss in dem Prozess Auskunft
darüber geben, was er erlangt hat. Das entspricht den allgemeinen Prozessregeln. Ich sehe insofern kein Problem. Ich habe vollstes Vertrauen, dass das funktionieren
wird.
Ansonsten rege ich an, dass wir das in der Sitzung des
Rechtsausschusses diskutieren und vertiefen, wenn das
Gesetz behandelt wird.
Das wird sich wohl ohnehin nicht vermeiden lassen.
({0})
Nun hat Frau Kollegin Höfken das Wort.
Entschuldigung, ich habe wegen der laufenden Ausschusssitzung den Anfang der Debatte nicht mitbekommen. Ich möchte betonen, dass ich die bisher vorgetragenen Änderungen sehr gut finde, und die Ministerin
fragen, inwieweit sie den Verbraucherschutz insgesamt
in der Neufassung des Gesetzes berücksichtigen wird
und ob entsprechende Initiativen auf EU-Ebene geplant
sind.
Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden in § 1
des Gesetzentwurfs ausdrücklich als Schutzobjekte benannt. Ich habe auch eben in meiner Antwort auf die
Frage des Abgeordneten Röttgen erläutert, welche zusätzlichen Möglichkeiten wir den Verbraucherverbänden
einräumen, im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher tätig zu werden, zum Beispiel im Zuge der Gewinnabschöpfung. In diesem Bereich sieht der Gesetzentwurf eindeutig mehr Möglichkeiten vor. Ich meine
auch, dass die Sonderregelungen in § 4 - die explizite
Aufzählung dessen, was verboten ist; insofern erfolgt
eine Kodifikation von Verboten gegenüber dem bisherigen Richterrecht - die Rechte der Verbraucherinnen und
Verbraucher weiter stärken.
Auf europäischer Ebene gibt es derzeit sozusagen einen Wettbewerb zwischen dem für den Verbraucherschutz zuständigen Kommissar auf der einen Seite und
dem Wettbewerbskommissar auf der anderen Seite über
Regelungen gegen den unlauteren Wettbewerb. Wir meinen, dass wir den Gesetzentwurf gegen den unlauteren
Wettbewerb auf europäischer Ebene quasi als Modell
einführen könnten, mit dem ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher und denen der Wirtschaft geschaffen wird. Wir sind
mit anderen Worten dabei, auf europäischer Ebene für
diesen Ansatz des Gesetzentwurfs zu werben, um insoweit auch auf dieser Ebene einen sachgerechten Ausgleich herbeizuführen.
Herr Kollege Kauder.
Frau Ministerin, ich möchte noch einmal auf den Gewinnabschöpfungsanspruch zurückkommen. Teilen Sie
unsere Meinung, dass der prozessuale Weg im Gesetz
vorgegeben werden muss? Die von Ihnen etwas hastig
angedachte Lösung im Zusammenhang mit dem Grundurteil ist unseres Erachtens nicht der richtige Weg.
Zunächst einmal muss ein Wettbewerbsverstoß feststehen; denn die Kalkulation eines Produkts ist Betriebsgeheimnis. Insofern muss zunächst eine Flanke geöffnet
werden, um das Betriebsgeheimnis durchbrechen zu
können. Das ist unseres Erachtens - dafür ist aber eine
entsprechende gesetzliche Regelung notwendig - nur in
Form einer Stufenklage möglich.
Die erste Stufe ist die Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit. Mit der Stufenklage wird dem Anspruchsgegner die Möglichkeit gegeben, gegen das Urteil in der
ersten Stufe Rechtsmittel einzulegen. Erst wenn der Instanzenzug abgeschlossen ist, steht rechtskräftig fest,
dass die Wettbewerbsverletzung gegeben ist.
Dann tritt man in die zweite Stufe ein. Es ist nicht erforderlich, erneut zu prozessieren, mit der Folge, dass in
der zweiten Stufe Schadensersatz geltend gemacht werden kann.
Ich bitte Sie, Ihr Vorhaben noch einmal zu überdenken, damit eine praktikable Lösung angeboten werden
kann, die auch dem Interesse des Marktes gerecht wird.
Herr Abgeordneter Kauder, die Bundesregierung teilt
die Auffassung der Fraktion der CDU/CSU, dass unnöBundesministerin Brigitte Zypries
tige Gesetze unterbleiben sollten. Im Zivilprozess liegen
bereits alle Möglichkeiten der Klageverfahren, die Sie
eben genannt haben, als Gesetzestext vor. Das heißt, man
kann sich darauf berufen.
Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, in jedem Sondergesetz die Gerichtsverfahren, die sich ohnehin nach
dem allgemeinen Zivilprozess richten, noch einmal gesondert aufzunehmen. Ich würde Ihre Anregung gerne
insofern aufgreifen, als wir das Thema im Rechtsausschuss diskutieren und in Erwägung ziehen sollten, die
Begründung des Gesetzentwurfs entsprechend zu ergänzen, um damit den Rechtsanwendern Hinweise darauf zu
geben, wie diese Klageverfahren nach Auffassung des
Bundestages ablaufen sollten. Ich halte dies für eine bessere Lösung im Sinne der Klarheit der Gesetze.
Weitere Fragen zu dem vorgetragenen Bericht habe
ich nicht registriert. Gibt es Fragen zu anderen Themen
der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist offensichtlich
auch nicht der Fall. Gibt es Fragen zu sonstigen aktuellen Themen im Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung?
({0})
- Die gibt es zwar immer, aber sie wurden heute nicht
angemeldet.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung
und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 15/901, 15/917 Gemäß Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde
rufe ich zu Beginn der Fragestunde zunächst die dringlichen Fragen auf.
Zuerst kommen wir zur dringlichen Frage 1 des
Abgeordneten Karl-Theodor Freiherr von und zu
Guttenberg:
Teilt die Bundesregierung die im Focus, Ausgabe 19,
Seite 28, zitierte Einschätzung des Staatssekretärs im
Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog, die dieser während
des Jahrestreffens ehemaliger deutscher Botschafter im
Auswärtigen Amt gemacht haben soll, nämlich, dass
sich die USA zu einem Polizeistaat entwickeln würden?
Zur Beantwortung steht uns die Staatsministerin im
Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, zur Verfügung. Bitte
schön, Frau Müller.
Herr Abgeordneter Guttenberg, ich beantworte Ihre
dringliche Frage wie folgt: Die Unterstellungen des Artikels im Focus sind aus unserer Sicht völlig abwegig
und absurd. Sie wurden vom Auswärtigen Amt sofort
und mit aller Schärfe dementiert. Weder hat Staatssekretär Jürgen Chrobog eine solche Einschätzung abgegeben
noch entspricht dies der Auffassung der Bundesregierung.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatsministerin, da der Grundsatz audiatur et altera pars auch bei mir einen sehr hohen Stellenwert hat Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen
Amt:
Sie dürfen das ruhig auf Deutsch wiederholen.
- und der Herr Staatssekretär heute leider nicht persönlich anwesend ist, darf ich Sie fragen, welche konkreten
Äußerungen der Staatssekretär anlässlich der zur Diskussion stehenden Versammlung hinsichtlich der inneren
Verhältnisse der USA gemacht hat.
Jedenfalls hat er nichts im Sinne von Polizeistaat oder
Ähnlichem gesagt. Ich werde den entsprechenden Vortrag hier aber nicht wiederholen; denn die angesprochene Versammlung war eine interne Sitzung ehemaliger
Diplomaten und Botschafter. Das, was in der Presse zitiert wurde, ist jedenfalls abwegig, falsch und unsinnig.
Ich möchte noch hinzufügen: Jeder, der Staatssekretär
Chrobog und seinen Lebenslauf kennt, weiß, wie wichtig
ihm die deutsch-amerikanische Freundschaft ist und wie
eng seine Beziehungen zu Amerika sind. Immerhin war
er dort sechs Jahre Botschafter, und zwar mit großem Erfolg. Mehr ist zu dem, was in der Presse diskutiert
wurde - darauf bezieht sich ja Ihre Frage -, nicht zu sagen.
Herr Präsident, darf ich eine weitere Zusatzfrage stellen?
Ja, bitte.
Frau Staatsministerin, ist denn die Bundesregierung
der Auffassung, dass sich in den vergangenen Jahren polizeistaatliche Tendenzen in den Vereinigten Staaten herausgebildet haben?
Nein.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Abgeordneten
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg auf:
Teilt die Bundesregierung zudem die im selben Focus-Bericht, Ausgabe 19, Seite 28, wiedergegebene
Darstellung, dass die USA im Innern die bürgerlichen
Freiheiten immer weiter einschränken würden?
Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, dass Sie diese
bereits bei der Beantwortung der ersten dringlichen
Frage beantwortet haben. Ich weiß nicht, ob Sie sie noch
gesondert aufgreifen möchten.
Nein. Ich verweise auf meine Antwort auf die erste
dringliche Frage.
Dann hat der Kollege Guttenberg, wenn er möchte,
gleichwohl zwei weitere Zusatzfragen. - Bitte schön.
Frau Staatsministerin, hält die Bundesregierung demnach die bürgerlichen Freiheiten in den Vereinigten Staaten wenigstens in den letzten beiden Jahren unverändert
für gewahrt, wenn ich auf das Zitat zurückgreifen darf?
Welches Zitat?
Ich meine das Zitat, das ebenfalls im Focus veröffentlicht wurde und das in meiner zweiten dringlichen
Frage enthalten ist, nämlich dass die USA im Innern die
bürgerlichen Freiheiten immer weiter einschränken
würden.
Noch einmal: Beide Zitate, die im Focus veröffentlicht worden sind, weise ich als abwegig zurück. Die
Position der Bundesregierung wurde hier und auch
gegenüber den Medien ausführlich dargestellt. Eine allgemeine Bewertung der amerikanischen Innenpolitik ist
meines Erachtens hier nicht das Thema. Selbstverständlich - das dürfte auch Ihnen bekannt sein - hat es im
Zuge des 11. September 2001 zur Terrorbekämpfung einige Veränderungen gegeben. In den Vereinigten Staaten
wurde sogar ein neues Ministerium, das Department of
Homeland Security, eingerichtet. Aber wir können hier
nicht in die Einzelheiten gehen. Natürlich gibt es dort
Veränderungen, die zu bewerten sind. Aber die Bewertungen, die in der Presse zitiert sind, entsprechen in keiner Weise unserer Auffassung.
Letzte Zusatzfrage, Herr Guttenberg.
Frau Staatsministerin, ist denn die Bundesregierung
der Ansicht, dass der Vorrat gemeinsamer Werte mit den
Vereinigten Staaten über die kontrovers diskutierte Frage
der Todesstrafe oder über einzelne Aspekte des Umweltschutzes hinaus schwindet? Auch das war in den letzten
beiden Tagen zu lesen.
Werter Kollege, auch dies ist ein angebliches Zitat
von Staatssekretär Chrobog aus einer deutschen Zeitung,
das - das möchte ich deutlich sagen - nicht im Zusammenhang mit der erwähnten Veranstaltung gefallen ist.
Selbstverständlich gibt es Differenzen, die wir deutlich
machen. Die Bundesregierung tritt - Sie wissen dies etwa für die Unterzeichnung und das In-Kraft-Treten des
Kioto-Protokolls ein. Hierzu hat die amerikanische Regierung eine andere Auffassung. Wie Sie des Weiteren
wissen, lehnt die Bundesregierung die Todesstrafe ab.
Auch hierzu gibt es andere Auffassungen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Natürlich kommen diese
Differenzen in offenen Gesprächen unter Partnern zum
Tragen und werden selbstverständlich auch geäußert.
Nächste Frage, Herr Kollege Dr. Rose.
Frau Staatsministerin, wenn ich Sie richtig verstanden
habe, dann lehnen Sie den Inhalt des Focus-Artikels
rundweg als frei erfunden ab. Ob das wirklich so ist,
kann sich durch die Beantwortung von Nachfragen noch
herausstellen. In diesem Focus-Artikel steht aber außerdem - das lehnen Sie vielleicht nicht rundweg ab -,
dass Staatssekretär Chrobog gesagt hat, die Außenpolitik
der rot-grünen Bundesregierung sei vollkommen richtig.
({0})
Gerade gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika
hat diese Außenpolitik ihre besonderen - auch verbalen Noten gehabt. Was sagen Sie zu dieser Äußerung von
Staatssekretär Chrobog?
Ich freue mich natürlich darüber, dass der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Herr Chrobog die Außenpolitik
der Bundesregierung so nachdrücklich unterstützt.
({0})
Man hätte aus Ihrer Äußerung fast eine gewisse Verblüffung heraushören können.
Weitere Nachfragen zu den Antworten auf diese beiden dringlichen Fragen liegen nicht vor. Ich werde dann
nach den Richtlinien für die Fragestunde die auf
Drucksache 15/901 vorliegenden Fragen in der üblichen
Reihenfolge aufrufen.
Die Fragen 1 und 2 zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft wurden zurückgezogen.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht Staatsminister Schwanitz zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Kollegen Singhammer auf:
Werden allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes, BND, die von dem überraschenden
Beschluss des Bundessicherheitskabinetts, den BND komplett
nach Berlin zu verlagern, betroffen sind, die gleichen Ausgleichs- und Übergangsregelungen zugestanden wie den Kolleginnen und Kollegen der Abteilung 3 Auswertung, die bereits in diesen Monaten nach Berlin verlagert wird, und, wenn
ja, in welcher konkreten Höhe entstehen dadurch zusätzliche
Kosten für den Bundeshaushalt auf der Basis der aktuellen Erfahrungen mit der Verlagerung der Abteilung 3?
Herr Kollege Singhammer, die Antwort auf Ihre
Frage lautet wie folgt: Auch für die weiteren nach Berlin
umziehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes sollen das Dienstrechtliche Begleitgesetz und die mit ihm zusammenhängenden Hilfen
bereitstehen. Die konkrete Höhe der entstehenden Kosten lässt sich derzeit noch nicht benennen, da sich die
Planungen zur Umsetzung der Entscheidung der Bundesregierung erst in einem Anfangsstadium befinden.
Wie Sie in Ihrer Frage richtig darstellen, wird die
Abteilung 3 erst in den kommenden Monaten nach Berlin umziehen. Erfahrungen aus diesem Umzug werden
daher erst im Herbst dieses Jahres zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, am 24. März 1999 hat der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Steinmeier im Plenum
des Bundestages erklärt - er wurde nach Plänen, den
Bundesnachrichtendienst von Pullach bei München zu
verlegen, gefragt -:
Zum ersten Teil Ihrer Frage will ich wiederholen,
dass nach unserer bisherigen Konzeption - ich sehe
nicht, dass diese verändert werden muss 1 000 Mitarbeiter nach Berlin verlegt werden, sodass die restlichen 3 500 bis 4 000 Mitarbeiter des
BND, die in Pullach und in den Landkreisen um
München herum arbeiten, dort bleiben werden.
Welchen Verbindlichkeitsgrad haben Ihre jetzigen Auskünfte hier, im Plenum des Deutschen Bundestages,
nachdem sich herausgestellt hat, dass die damalige Aussage von Herrn Steinmeier offenkundig nicht eingehalten worden ist, obwohl 4 000 Mitarbeiter des BND und
12 000 Familienangehörige darauf vertraut haben?
Herr Kollege Singhammer, meine Ausführungen hier
sind selbstverständlich verbindlich. Ich denke, etwas anderes würden Sie auch nicht akzeptieren. Ich habe mir in
der Vorbereitung dieser Fragestunde das Protokoll der
Fragestunde vom 24. März 1999 angesehen, auf die Sie
abstellen. Wer sich die Formulierung von Staatssekretär
Dr. Steinmeier genau anschaut, der wird feststellen, dass
er die Schwierigkeit der relativ großen räumlichen Entfernung zwischen dem Raum München und dem Raum
Bonn - Bonn war damals noch der Sitz des Bundestages nicht verschwiegen, sondern thematisiert hat. Er sprach
beispielsweise von bisherigen Planungen. Das deutet
darauf hin, dass man sich dieses Problems bewusst war.
Seit Frühjahr 1999 hat sich die internationale Sicherheitslage objektiv in hohem Maße geändert. Zusätzlich
kommen sicherlich noch positive Erfahrungen hinzu,
was die bereits zu diesem Zeitpunkt vollzogenen Veränderungen und den Zuzug von Personal des Bundesnachrichtendienstes nach Berlin betrifft.
Herr Staatsminister, trifft es zu, dass die Mitarbeiter
des Bundesnachrichtendienstes über eine solch gewichtige und auch für die Lebensumstände ihrer Angehörigen
entscheidende Veränderung der Sach- und Beschlusslage, nämlich Verlegung des kompletten Dienstes, entgegen dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 des Bundespersonalvertretungsgesetzes
erst unmittelbar vorher informiert worden sind, wenige
Minuten bevor ohnehin die Presse dies gemeldet hat,
und damit das, was man unter vertrauensvoller Zusammenarbeit versteht, nicht stattgefunden hat?
Ich gehe nicht davon aus, dass es sich um eine solche
Information der Mitarbeiter gehandelt hat, die dem
Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit widerspricht. Ich bin im Gegenteil der Auffassung, dass gerade auch die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung, übrigens auch dem Parlament, und den bereits
hier in Berlin befindlichen Teilen des Bundesnachrichtendienstes nicht nur ein positives Empfinden bei den Informationsempfängern, sondern auch beim Bundesnachrichtendienst selbst geschaffen hat. Deswegen teile ich
Ihre Einschätzung nicht.
Ich rufe die Frage 4, ebenfalls von Herrn Kollegen
Singhammer, auf:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
Welche konkreten Schätzungen führen zu der Annahme
der Bundesregierung - die Welt vom 14. April 2003 -, dass
mit dem Verkauf des BND-Geländes in Pullach bei München
ein Erlös von 500 Millionen Euro erzielt werden könne, der
zur Finanzierung der Neubaumaßnahmen in Berlin ausreichen
würde, und, wenn diese Summe nicht erzielt werden kann, in
welchen Haushaltstiteln wären die fehlenden Mittel dann vorgesehen?
Die Antwort lautet wie folgt: Konkrete Schätzungen
über die Höhe der durch den Verkauf des BND-Geländes
in München zu erzielenden Einnahmen liegen bisher
nicht vor. Die Bundesregierung hat die zuständige Oberfinanzdirektion mit entsprechenden Prüfungen beauftragt. Das Ergebnis dieser Arbeit liegt bisher nicht vor.
Die Mittel für die Finanzierung der in Berlin erforderlichen Neubau- und Renovierungsmaßnahmen sind im
Wirtschaftsplan des Bundesnachrichtendienstes auszuweisen. Einzelheiten des Wirtschaftsplans unterliegen
der Geheimhaltung und werden nur den dafür zuständigen parlamentarischen Gremien des Deutschen Bundestages vorgelegt.
Zusatzfrage?
Ja. - Herr Staatsminister, trifft es zu, dass der Bundesnachrichtendienst, wenn er verlegt werden würde, wie es
die Bundesregierung vorhat, nach den eigenen Planungen
der Bundesregierung disloziert - an mehreren Orten in
Berlin untergebracht - werden würde, das heißt das Prinzip eines einheitlichen Ortes, so wie es jetzt in Pullach bei
München gegeben ist, aufgegeben würde und der Dienst
über mehrere Standorte in Berlin verteilt wäre?
Ich will zunächst darauf hinweisen, Herr Kollege
Singhammer, dass der Bundesnachrichtendienst auch
jetzt natürlich nicht nur den Sitz Pullach hat, auch wenn
dort sicherlich der Hauptsitz ist. Ich kann die Vermutung, die Sie formulieren, nicht bestätigen, da die Sitzfrage, was die Berliner Situation betrifft, erst im Zuge
der weiteren Planungen geklärt wird.
Es wird ohnehin einen schrittweisen und, wie ich
denke, sehr sozial verträglichen Vollzug - ich erinnere
an die entsprechenden Rechtsgrundlagen - geben. Zu
den Einzelheiten der Planung und den weiteren Absichten verweise ich - ich bitte da um Verständnis - auf die
kurzfristig erfolgende Information der parlamentarischen Gremien. Bereits am heutigen Nachmittag wird
eine entsprechende Information gegeben.
Bitte schön, Herr Singhammer.
Herr Staatsminister, gestatten Sie noch eine letzte
Frage. Sie haben gerade erklärt, dass Schätzungen über
die Kosten des Umzugs derzeit nicht vorgenommen werden können. Nun sind aber 500 Millionen Euro in der
Diskussion. Haben Sie irgendeinen Hinweis darauf, woher diese Summe von 500 Millionen Euro in die Diskussion gekommen sein könnte, vor allem auch vor dem
Hintergrund der Tatsache, dass derzeit noch gar nicht
feststeht, wie das Areal des BND von der Gemeinde Pullach, die die Planungshoheit hat, überplant wird, welchen Anteil am Gelände der Bannwald hat, welche möglichen Altlasten im Gelände liegen und welcher
Ensembleschutz für Teile der Liegenschaften besteht?
Herr Kollege Singhammer, ich verfüge nicht über
diesbezügliche Informationen. Die von Ihnen genannte
Zahl tauchte wohl zum ersten Mal in einem Artikel in
der Welt auf, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
Es müssen ja - Sie haben darauf hingewiesen - bezüglich der Erlösmöglichkeiten der Immobilie Gespräche
mit den Gemeinden aufgenommen werden. Das ist ja
auch der Grund, warum die entsprechenden Finanzbehörden, die ich schon genannt habe, hiermit beauftragt
wurden. Deswegen kann diese Zahl zum jetzigen Zeitpunkt keinen seriösen Hintergrund haben.
Frage 5 des Kollegen Fahrenschon:
Mit welchem Gesamtaufwand einerseits - zum Beispiel
Abbau von Benzinlagern und Bunkern, Suche und gegebenenfalls Sanierung von weiteren Altlasten am bisherigen Standort, Umzugskosten, Vorbereitung der Clay-Kaserne am neuen
Standort etc. - und mit welchen Erträgen andererseits - zum
Beispiel durch den Verkauf von nicht im Bannwald befindlichen Flächen - rechnet die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Vorhaben, den BND in Pullach aufzulösen und
komplett nach Berlin zu verlagern?
Konkrete Berechnungen zu den Kosten der Verlegung
des Bundesnachrichtendienstes von Pullach bei München nach Berlin liegen bisher nicht vor. Um diese Kosten ermitteln zu können, sind zunächst Schätzungen der
zuständigen Behörden und Gespräche mit den betroffenen Gemeinden erforderlich. Insofern gibt es hier also
einen direkten Bezug zu der vorherigen Frage. Erst wenn
diese Schätzungen und Gesprächsergebnisse vorliegen,
wird sich abschätzen lassen, welche konkreten Verwertungsmöglichkeiten sich aus der Liegenschaft in Pullach
ergeben und welche baulichen Investitionen zulässig und
erforderlich sind. Die Bundesregierung wird die für die
Kontrolle des BND zuständigen parlamentarischen Gremien über den Fortgang dieser Angelegenheit unterrichten.
Sie haben gerade herausgearbeitet, dass das Bundeskabinett den Beschluss für den Wegzug von der Standortgemeinde Pullach ohne jegliche Finanzierungsabwägungen getroffen hat. Hat es denn wenigstens
Bedarfsermittlungen am Standort Pullach gegeben und
Überlegungen, was man, wenn man einen Umzug durchführt, am neuen Standort braucht? Sind zum Beispiel
Untersuchungen bezüglich der Größe des Dienstes in
Berlin zumindest angestoßen worden?
Herr Kollege, Bedarfsermittlungen werden selbstverständlich Bestandteil der entsprechenden Planungsvorbereitungen sein. Es hat eine politische Entscheidung gegeben, in diesem Fall des Sicherheitskabinetts. Es macht
sehr wohl Sinn - das ist übrigens auch in der Frage des
Kollegen Singhammer angeklungen -, aufbauend auf
den sehr positiven Erfahrungen mit den Personalstrukturen, die bereits in Berlin sind, jetzt auch bei diesem
Thema solche Strukturen zu entwickeln.
Meine zweite Frage dreht sich noch einmal um die
Zusammenarbeit und die Kooperation mit der Standortgemeinde Pullach. Ein wesentlicher Teil der Gegenfinanzierung beruht ja auf der Annahme einer optimalen
Ausnutzung des bestehenden Geländes. Dabei handelt es
sich immerhin um knapp 10 Prozent des Gebietes der
Gemeinde Pullach. Vor diesem Hintergrund frage ich
Sie: Hat es denn vonseiten der Bundesregierung, die ja
Auslöser des Ganzen war, schon erste Gespräche mit der
Gemeinde gegeben oder wird das alles über die OFD
bzw. den BND abgewickelt?
Es wird insbesondere Aufgabe der OFD sein, die weiteren Vorbereitungen zu treffen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich Ihnen jetzt über die Agenda der dezentralen Gespräche - sozusagen mit dem Kalender in der
Hand - nichts berichten kann. Es geht nur im gemeinschaftlichen Miteinander und liegt übrigens nicht nur im
Interesse des Bundes, sondern auch im Interesse der Gemeinde Pullach selber, Lösungen zu finden. Die Gemeinde hat - nach dem, was ich mir über die Immobilie
habe übermitteln lassen - ein Interesse daran, dieses für
die Gemeindeentwicklung sehr wichtige und zentral gelegene Grundstück einer Verwertung zuzuführen, da es
für die weitere Entwicklung des Ortes von großer Bedeutung ist, wie auch der Bund natürlich ein eigenständiges Verwertungsinteresse hat. Ich denke aber, dass es
hier übereinstimmende Interessenslagen gibt, die sich
finden lassen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Singhammer.
Herr Staatssekretär, aus Ihren Antworten ist ja zu
schließen, dass die Bundesregierung keine konkreten
Vorstellungen davon hat, welchen Erlös sie mit diesem
Areal erzielen kann. Ich sage Ihnen voraus, dass die geschätzten Beträge, die hier im Raum stehen, bei weitem
nicht erreicht werden.
Aber unabhängig davon meine Frage: Trifft es zu,
dass der Betrag, den Sie erlösen werden - vermutlich
wird dieser deutlich unter dem liegen, was Sie sich vorstellen -, in den allgemeinen Vermögenshaushalt des
Bundes einfließen soll und logischerweise nicht für ein
irgendwie geartetes Sondervermögen des BND für den
Umzug nach Berlin zur Verfügung steht?
Herr Kollege Singhammer, ich bitte noch einmal um
Verständnis dafür, dass - wie ich bereits bei der ersten von
Ihnen gestellten Frage ausgeführt habe - die weiteren
haushaltsseitigen Konkretisierungen in den entsprechenden Gremien des Bundestages, die auch die notwendigen
Geheimhaltungsvoraussetzungen erfüllen, erfolgen werden. Die Bundesregierung wird das selbstverständlich
transparent machen, aber - ich bitte um Verständnis nicht hier im Plenum des Deutschen Bundestages.
Herr Kollege Dr. Rose.
Herr Staatsminister, bei all Ihren Ausführungen muss
man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass Sie nicht
aus wirtschaftlichen Gründen - nicht weil Sie auf einen
hohen Erlös der Immobilie spekulieren -, sondern wegen der Lage im so genannten Sicherheitskabinett, was
immer das ist, beschlossen haben, den BND von München nach Berlin zu verlagern. Ihre Begründung ist
wahrscheinlich, dass Sie die Leute näher an Berlin brauchen, weil in der Welt so viel los ist. Da stellt sich mir
die Frage: Müssten Sie dann nicht genauso schnell das
Bundesverteidigungsministerium nach Berlin verlagern,
damit die Leute bei allen wichtigen Fragen vor Ort sind?
Einen weiteren Bedarf - wenn darauf Ihre Frage zielt in dieser Richtung sehe ich nicht. In der Tat hat es gerade
seit der zweiten Jahreshälfte 1999 - ich darf an den Einsatz der Bundeswehr im Kosovo, an die Ereignisse am
und nach dem 11. September 2001, an Afghanistan und
anderes mehr erinnern - eine massive Veränderung der
internationalen Lage und der Sicherheitslage gegeben,
bei der die Tätigkeit und das Informieren, das unmittelbare und direkte, auch persönliche Informieren durch den
BND für die Bundesregierung und, wie ich denke, auch
für den Deutschen Bundestag wichtiger geworden sind,
als dies zuvor beurteilt werden konnte. Ein solches Defizit ist beim Verteidigungsministerium überhaupt nicht zu
erkennen, weil die entsprechenden hierfür notwendigen
Strukturen des Hauses präsent sind.
Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatsminister, müsste das, was Sie gerade als
Begründung für eine Verlagerung des BND von Pullach
nach Berlin angeführt haben - Sie haben ja die angespannte Sicherheitslage als Begründung dafür genannt -,
nicht auch für das Bundeskriminalamt in Wiesbaden
oder das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gelten?
Ich denke, dass man diese Fälle nicht vergleichen
kann.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Eckart von Klaeden
auf:
Beabsichtigt das Bundeskanzleramt, unter Verantwortung
von Bundeskanzler Gerhard Schröder entsprechend der von
der Staatsanwaltschaft Bonn im Verfahren 50 Js 816/00 eingeräumten Möglichkeit zur Verfahrenseinstellungsabsicht der
Staatsanwaltschaft eine Stellungnahme abzugeben, und, wenn
ja, bis wann?
Sehr geehrter Herr von Klaeden, die Antwort heißt:
Ja, schnellstmöglich.
Herr Staatsminister, in dem Verfahren, dessen Einstellung die Staatsanwaltschaft jetzt zum wiederholten Male
empfiehlt, geht es um den Vorwurf der Vernichtung von
Daten und Akten. Nun berichten mehrere Medien übereinstimmend, dass in diesem Einstellungsvermerk der
Staatsanwaltschaft festgestellt wird, dass die zentrale
Festplatte für den Zeitraum September/Oktober 1998,
also den Zeitraum, in dem diese Datenlöschung angeblich stattgefunden hat, im Jahre 1999 unter der Verantwortung Ihrer Bundesregierung vernichtet worden ist.
Ich frage Sie: Ist dieser Sachverhalt zutreffend?
Herr von Klaeden, ich bitte um Verständnis dafür,
dass wir angesichts der derzeitigen Situation - erstens
handelt es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren
und zweitens ist die Stellungnahme der Bundesregierung
zur beabsichtigten Einstellung, wie ich gerade ausgeführt habe, noch nicht abgeschlossen - dazu keine inhaltlichen Ausführungen machen können. Selbstverständlich ist dieser von Ihnen angesprochene Vorgang
Bestandteil des Ermittlungsverfahrens.
Ich möchte mir doch noch den Hinweis erlauben, dass
das Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft abgeschlossen ist, der entsprechende Vermerk vorliegt und
Sie lediglich noch um eine Stellungnahme gebeten werden.
Darüber hinaus muss ich bemerken, dass ich Sie zu
einer zentralen Tatsache gefragt habe, mit der sich in der
letzten Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss
beschäftigt hat. Nach Ihrer Argumentation, während eines Ermittlungsverfahrens keine Stellung beziehen zu
können, hätten Sie den Untersuchungsausschuss gar
nicht durchführen dürfen. Damals lief das Ermittlungsverfahren und nun ist es eingestellt worden.
Ich will in dieser Sache nachfragen: Haben Sie der
Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass diese Festplatte - ich
gehe davon aus, dass es zutrifft - von Ihnen vernichtet
worden ist und deswegen die Überprüfung der Vorwürfe
nicht möglich gewesen ist?
Herr von Klaeden, Sie wissen - auch darüber ist öffentlich informiert worden; insofern fällt es mir gar nicht
schwer, das hier anzusprechen -, dass die Vernichtung
von Festplatten selbstverständlich Gegenstand von intensiven Gesprächen mit der Staatsanwaltschaft gewesen
ist. Insofern gibt es hier kein Informationsdefizit, wie in
Ihrer Frage angeklungen.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Eckart von Klaeden
auf:
Wird sich das Bundeskanzleramt unter Verantwortung von
Bundeskanzler Gerhard Schröder im Falle der Abgabe einer
solchen Stellungnahme bei deren Erarbeitung der Hilfe des
früheren Ermittlungsführers, Dr. Burkhard Hirsch, bedienen,
und, wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage?
Die Staatsanwaltschaft Bonn hat dem Bundeskanzleramt ihren Vermerk vom 25. März 2003 unter Hinweis
auf Nr. 90 Abs. 1 der Richtlinien für das Strafverfahren
und für das Bußgeldverfahren mit der Gelegenheit zur
Stellungnahme übersandt. Die Stellungnahme wird derzeit im Bundeskanzleramt erarbeitet.
Da sich der Vermerk ausschließlich mit den Ergebnissen der von Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard
Hirsch geführten Vorermittlungen befasst, ist es wie bei
der Stellungnahme des Bundeskanzleramtes zum Vermerk der Staatsanwaltschaft Bonn vom Januar 2001 notwendig, Bewertungen zu einzelnen Sachverhaltskomplexen von Bundestagsvizepräsident a. D. Dr. Burkhard
Hirsch einzuholen. Die Beteiligung findet im Rahmen
des Auftragsverhältnisses zwischen Dr. Burkhard Hirsch
und dem Bundeskanzleramt statt.
Herr Staatsminister, die Medien berichten, dass in
dem von mir bereits erwähnten Einstellungsvermerk der
Staatsanwaltschaft der Hinweis vorhanden ist, dass Zeugen in den Protokollen von Herrn Dr. Hirsch Aussagen
zugeschrieben worden seien, die sie so nicht gemacht haben. Ich frage Sie: Ist dieser Sachverhalt in dem Vermerk, der Ihnen vorliegt, enthalten?
Ich will ausdrücklich feststellen, dass der in Ihrer
Frage mitschwingende Vorwurf, hier seien - ({0})
- Sie wissen, dass ich über die entsprechenden Unterlagen selbstverständlich nicht direkt informieren kann.
({1})
- Informationen aus Ermittlungsunterlagen weiterzugeben steht mir an der Stelle nicht zu.
Ich will ausdrücklich feststellen, dass der in Ihrer
Frage mitschwingende Vorwurf, hier seien Informationen entgegen der vorhandenen Darstellung nicht korrekt gesammelt worden, aus unserer Sicht nicht zutrifft
und auch nicht zutreffen kann. Es haben nämlich keine
Einzelbefragungen, sondern intensive Befragungen in
Anwesenheit Dritter stattgefunden. Beispielsweise waren jeweils ein Beamter des BKA und des Kanzleramtes sowie ein Protokollführer anwesend. Außerdem gab
es die Möglichkeit, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen. Schließlich wurde das entsprechende Protokoll von
den Befragten unterzeichnet. Ich denke also, dass Ihre
Befürchtungen ausgeräumt werden können.
Herr Staatsminister, Ihre persönliche Integrität - Sie
gehören zu der Spitze Ihres Hauses - steht außer Frage.
Deshalb frage ich Sie als Ehrenmann: Werden Sie sich
persönlich für die Rehabilitierung derjenigen einsetzen,
die über einen langen Zeitraum hinweg diskreditiert und
zu Unrecht beschuldigt worden sind?
Ich bitte recht herzlich darum, nichts vorwegzunehmen. Wir werden eine Stellungnahme zur Einstellungsabsicht erarbeiten, in der wir unsere Sicht der Dinge darstellen.
Ich verweise übrigens in diesem Zusammenhang auf
die Antwort auf die von Ihnen mit Datum vom 2. Mai
zur schriftlichen Beantwortung gestellte Frage,
({0})
in der wir unsere Sicht der Dinge deutlich machen.
Wir bleiben in dieser Stellungnahme von der Grundrichtung her bei der Sicht der Dinge, wie wir sie bisher
vertreten haben.
Herr Polenz.
Herr Staatsminister, Ihre heutige Diskretion bei der
Beantwortung der Fragen von Herrn von Klaeden steht
in einem ziemlichen Widerspruch zu dem, was aus Ihrem Hause jeweils im Zuge der unmittelbaren Inkriminierung angeblich verschwundener Akten verlautbart
wurde.
Deshalb will ich nachfragen: Haben Sie aufgrund dessen, dass im Frühjahr 1999 bestimmte Festplatten gelöscht worden sind, dienstrechtliche bzw. disziplinarische Maßnahmen eingeleitet?
Selbstverständlich ist die Frage der Löschung der
Festplatten Bestandteil der bereits vorhin angeführten
dienstrechtlichen Vorermittlungen, die Ausgangspunkt
für die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit gewesen sind,
weil derselbe Beamte betroffen ist. Insofern sehe ich diesen Widerspruch nicht.
Herr Kollege Guttenberg.
Herr Staatsminister, darf ich anhand Ihrer heutigen
Aussage annehmen, dass Sie sich in aller Deutlichkeit
von der Aussage, Akten seien verschwunden, distanzieren, die einige Male - wenn auch nicht aus Ihrem
Munde - zu vernehmen war?
Wir werden in unserer Stellungnahme deutlich machen, dass wir selbstverständlich an unserer bisherigen
Sicht der Dinge festhalten. Es bleibt abzuwarten, zu welchem Prüfungsergebnis die Staatsanwaltschaft Bonn
kommt. Ich werbe sehr dafür, keine vorschnellen Wertungen in die eine oder andere Richtung als endgültig
festgestellt vorzunehmen.
Herr Kollege Rose.
Herr Staatsminister, in der zweiten Frage des Kollegen von Klaeden war von einer rechtlichen Grundlage
die Rede, aufgrund deren Herr Hirsch auf Wunsch des
Bundeskanzleramtes eventuell erneut tätig werden solle.
Es ist bereits anzuzweifeln gewesen, dass die Vorermittlungen durch Herrn Hirsch auf einer rechtlichen Grundlage geführt wurden. Wenn sich jetzt herausstellt - Sie
winden sich natürlich in Ihren Antworten -, dass sich die
vielen Verdächtigungen nicht bestätigen, müssten dann
nicht die angefallenen Spesen erstattet werden?
Ich will noch einmal nachdrücklich sagen: Ich habe
die feste Erwartung, dass sich das, was wir in den zurückliegenden Zeiträumen in den Vorermittlungen festgestellt haben und was vor dem Hintergrund der entsprechenden Anzeige dargelegt worden ist, am Ende als
Sachverhalt darstellen wird.
Herr Kollege Kauder.
Herr Staatsminister, hatte die Bundesregierung Einsicht in die Ermittlungsakten?
Die Bundesregierung hatte selbstverständlich Einsicht
in die Ermittlungsakten.
Ist der Bundesregierung dann auch der neueste Stand
der Ermittlungen bekannt?
Ich muss auf Folgendes aufmerksam machen: Es kann
nur eine Zusatzfrage gestellt werden. Insofern muss ich
es jetzt dem Staatsminister überlassen, ob er diese Frage
beantworten will oder nicht.
Die gestellte Frage ist hinreichend unspezifisch, wenn
ich das einmal so formulieren darf. Deswegen fällt es
mir ohnehin schwer, dazu Stellung zu nehmen.
Darf ich die Frage konkretisieren?
Nein, Sie dürfen das nicht mehr.
Aber offenkundig wird von der Möglichkeit, das ersatzweise durch andere erledigen zu lassen, Gebrauch
gemacht. Der Kollege Fahrenschon hatte sich gemeldet.
({0})
- Geht es um einen anderen Komplex?
({1})
- Gut.
Herr Kollege Schröder.
Die Frage war ja nun relativ eindeutig, nämlich ob die
Bundesregierung Einsicht in die Ermittlungsakten hat
und ob der Bundesregierung der Stand der Ermittlungen
bekannt ist. Das ist eine ganz konkrete Frage.
Die Frage ist von mir beantwortet worden.
Mir haben Sie diese Frage noch nicht beantwortet und
ich stelle diese Frage jetzt.
Diese Frage ist vom Kollegen Kauder gestellt worden
und ich habe sie positiv beantwortet.
Herr Kollege Fahrenschon.
Herr Staatsminister, nachdem Sie mehrfach deutlich
gemacht haben, dass Sie nach wie vor großes Interesse
an einer Aufklärung des gesamten Verfahrens haben,
und wir jetzt auch die Prüfung durch Herrn Hirsch debattieren, frage ich Sie, ob Sie im Zuge Ihrer Aufklärungsarbeiten darangehen, das Verfahren, wie Herr Hirsch die
Dinge geprüft hat, zu prüfen, und ob Sie dazu in der
Lage sind und Ihnen dazu die Prüfungsunterlagen von
Herrn Hirsch vorliegen.
Ich sehe überhaupt keinen Anlass, die Arbeit von
Herrn Hirsch einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen, im Gegenteil: Ich glaube, dass Herr Hirsch sehr
sorgfältig ermittelt hat. Deswegen ist seine Arbeit vom
Bundeskanzleramt auch als Grundlage für die dann erfolgten Maßnahmen genommen worden.
Die letzte Zusatzfrage zu diesem Themenkomplex
kommt vom Kollegen Gewalt.
Herr Staatsminister, können Sie einen konkreten Zeitpunkt für die Stellungnahme der Bundesregierung zu
den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nennen? Sie
haben offenbar Einblick in die Ermittlungsakten genommen - das war Ihre Aussage -, also müssen Sie auch abschätzen können, wann Sie konkret eine Stellungnahme
werden abgeben können.
Die Frist für diese Stellungnahme läuft bis zum
31. Mai. Wir werden uns bemühen, in diesem Zeitrahmen die Stellungnahme abzugeben.
Ich schließe damit die Befragung zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Hier steht Frau Staatsministerin Kerstin
Müller zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 8 des Kollegen Ruprecht
Polenz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage des stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsministers Paul
Wolfowitz in seinem Leserbrief im Spiegel 16/2003,
Seite 12, dass - wie aus dem offiziellen Protokoll seines Gesprächs mit dem Bundesminister des Auswärtigen, Joseph
Fischer, am 18./19. September 2001 hervorgehen soll - Paul
Wolfowitz nie die Auffassung vertreten habe, die ihm der
Bundesminister des Auswärtigen in dessen Spiegel-Gespräch 13/2003, Seite 49, zugeschrieben habe, dass die USA
eine ganze Reihe von Ländern von ihren terroristischen Regierungen notfalls auch mit Gewalt befreien müssten, sondern dass Paul Wolfowitz laut dem offiziellen Protokoll stattVizepräsident Dr. Norbert Lammert
dessen gesagt haben soll, dass nicht nur das Militär, sondern
das ganze Spektrum an Mitteln - unter anderem diplomatische, geheimdienstliche und strafrechtliche - benötigt
werde, um den Terrorismus erfolgreich zu bekämpfen, und
inwieweit stimmt die Bundesregierung der Aussage von Paul
Wolfowitz in seinem Leserbrief im Spiegel 16/2003 zu?
Herr Kollege Polenz, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Bundesminister Fischer sieht keinen Anlass, seine
Äußerungen in dem von Ihnen genannten Spiegel-Interview zu korrigieren.
({0})
Zusatzfrage.
Heißt das, dass die Bundesregierung die Aussagen,
die der stellvertretende amerikanische Verteidigungsminister Wolfowitz gegenüber dem Spiegel gemacht hat,
wonach die ihm vom Außenminister zugeschriebenen
Aussagen so nicht zutreffen, zurückweist?
Das heißt, dass Bundesminister Fischer an seinen Äußerungen, die er im Spiegel gemacht hat, festhält.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die
Frage 9, ebenfalls vom Kollegen Polenz gestellt, auf:
Ist aus Sicht der Bundesregierung die Aussage des stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsministers Paul
Wolfowitz im Spiegel 16/2003, Seite 12, zutreffend, dass
der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, in seinem Spiegel-Interview 13/2003 auf Seite 49 die Äußerungen von Paul Wolfowitz aus einem privaten Treffen mit ihm
wiedergegeben haben soll, und, wenn ja, entspricht es dem
üblichen diplomatischen Umgang, dass der Bundesminister
des Auswärtigen Inhalte eines privaten Treffens in aller Öffentlichkeit diskutiert?
Ich beantworte Frage 9 wie folgt: Bundesaußenminister Fischer hat lediglich Aussagen wiedergegeben, die
vom stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsminister Paul Wolfowitz sinngemäß so oder in ähnlicher
Form auch in öffentlichen Äußerungen gemacht wurden.
Zusatzfrage.
Er hat sich also nicht auf ein privates Gespräch bezogen?
Nein. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass dies kein
privates Gespräch war. Vielmehr handelte es sich um ein
dienstliches Gespräch von zwei Regierungsvertretern.
Entscheidend ist aber - ich verweise noch einmal auf die
von mir gegebene Antwort -: Es gibt solche oder ähnliche andere öffentliche Äußerungen von Minister
Wolfowitz, die in diese Richtung gehen. Wenn man sich
mit diesen Fragen der Außenpolitik beschäftigt hat,
kennt man diese auch.
Eine weitere Zusatzfrage.
In dem Spiegel-Gespräch bezieht sich der Außenminister aber ausdrücklich auf den 18. oder 19. September 2001, als er mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Wolfowitz gesprochen hat. Ihrer Antwort, in
die, um bei Ihrem Standpunkt bleiben zu können, eine
Fülle anderer Gespräche einbezogen wurde, entnehme
ich, dass der Hinweis des stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsministers, es sei aus einem privaten
Gespräch berichtet worden, wohl doch seine Berechtigung hat. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein, ich teile sie nicht, das habe ich auch schon
einmal erläutert. Erstens handelte es sich nicht um ein
privates Gespräch und zweitens hat Herr Minister
Wolfowitz - ich möchte das wiederholen - solche oder
ähnliche Äußerungen auch an anderer Stelle getan, sodass es in der Sache - hier beziehe ich mich auf meine
Antwort auf die Frage 8 - nichts zu korrigieren gibt.
Herr Kollege von Klaeden.
Was hat die Bundesregierung gegenüber der amerikanischen Botschaft und der amerikanischen Regierung
unternommen, nachdem sie die Freude hatte, diesen Leserbrief im Spiegel zur Kenntnis zu nehmen?
Es gibt kein Missverständnis. Dort, wo kein Missverständnis besteht, muss auch keines ausgeräumt werden.
Herr Kollege Rose.
Frau Staatsministerin, heute wird man wirklich ein
bisschen irre. Das, was im Focus steht, stimmt nicht,
das, was im Spiegel steht, stimmt nicht und das, was
Sie hier heute vortragen, ist kaum zu verstehen. Es gibt
einen Leserbrief des stellvertretenden amerikanischen
Verteidigungsministers Wolfowitz im Spiegel, aber
was das genau bedeutet, weiß keiner mehr. Irgendwo
steht konkret, dass die Vereinigten Staaten alles tun wollen, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
Ich frage Sie daher konkret: Macht die Bundesregierung
wenigstens da mit oder ist sie auch von diesem Ziel inzwischen abgerückt?
Ich bitte Sie! Wir haben dazu viele intensive Diskussionen - auch ich war daran beteiligt - mit den Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses geführt. Gerade in
der Frage des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ziehen wir an einem Strang, hier gibt es sehr gute
Beziehungen und eine enge Zusammenarbeit mit den
USA. Ich möchte in diesem Zusammenhang besonders
auf die Vereinten Nationen verweisen. Bei diesem
Thema herrscht große Übereinstimmung, das gilt ebenso
für das Vorgehen im Nahostkonflikt, Stichwort
Roadmap.
Zu diesem speziellen Zitat, auf das sich Ihre Nachfrage bezieht - hier muss ich Sie einfach korrigieren -,
habe ich nicht gesagt, es stimmt nicht, was im Spiegel
steht, sondern ich habe genau das Gegenteil in der Beantwortung der Frage 8 gesagt; denn ich habe ausgeführt, dass Bundesminister Fischer von seinen Äußerungen, die er im Spiegel-Interview gemacht hat, nichts
zurückzunehmen hat, und dabei bleibt es.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Stinner auf:
Welche Institutionen haben bisher nach Kenntnis der Bundesregierung an Unternehmen aus welchen Ländern Aufträge
für den Wiederaufbau im Irak vergeben?
Herr Kollege Stinner, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die USRegierung, in diesem Fall die USAID und das Pentagon,
bisher für den Wiederaufbau im Irak Aufträge in einem
Umfang von rund 78 Millionen US-Dollar vergeben.
Hierbei handelt es sich um Aufträge an US-Firmen sowie um freiwillige Beiträge an WHO und Unicef.
Herr Kollege Stinner, bitte schön.
Meine Zusatzfrage, Frau Staatsministerin: Teilt die
Bundesregierung die weit verbreitete Ansicht, dass das
Verhalten der deutschen Regierung in diesem Zusammenhang in den letzten sechs bis acht Monaten die
Chancen deutscher Unternehmen, beim Wiederaufbau
im Irak mitzuwirken, drastisch reduziert hat?
Nein, diese Ansicht teile ich nicht. Ihre Frage bezog
sich auf bisher erteilte Aufträge von USAID. Diesbezüglich gibt es keinerlei Verpflichtung der amerikanischen
Regierung, auch nicht nach den entsprechenden Regelungen der WTO, Aufträge, für die Amerika Geld ausgibt, international auszuschreiben, weil die amerikanische Regierung im Hinblick auf solche Aufträge
ausdrücklich eine Ausnahmeregelung festgehalten hat.
Bezüglich der weiteren Zusammenarbeit hat die amerikanische Regierung deutlich gemacht, dass Subaufträge
auch an andere Firmen gehen können und werden. Sie
hat versichert, dass sie davon ausgeht und es begrüßt,
dass in Zukunft beim Wiederaufbau enge Kooperation
stattfinden wird und vermutlich auch deutsche Firmen
eine Rolle spielen werden. Dort gibt es meines Wissens
keinerlei Vorbehalte.
Frau Staatsministerin, darf ich Sie darauf hinweisen,
dass sich meine Frage nicht auf eine Auftragsvergabe
durch USAID, sondern allgemein auf die Vergabe von
Aufträgen für den Aufbau des Irak an Unternehmen bezogen hat? Daher meine Nachfrage: Sie haben gesagt,
die USA hätten erklärt, dass sie gegebenenfalls durchaus
andere Unternehmen einbeziehen wollten. Gibt es diesbezüglich einen intensiven Kontakt zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten
von Amerika?
Ja, den gibt es. Es gibt auch intensive Gespräche. Ich
habe mich in meinen Ausführungen deshalb auf Aufträge aus den USA bezogen, weil Ihre Frage lautete, an
welche Unternehmen aus welchen Ländern Aufträge
vergeben wurden. Unserer Kenntnis nach sind für den
Wiederaufbau im Irak bisher nur Aufträge von der USRegierung und da insbesondere durch USAID vergeben
worden. Deshalb habe ich erläutert, dass es im Hinblick
auf amerikanische öffentliche Gelder keine Verpflichtung der amerikanischen Regierung gibt, diese Aufträge
international auszuschreiben.
Wir kommen zur Frage 11 des Kollegen Stinner:
Welches Vergabeverfahren für den Wiederaufbau im Irak
hält die Bundesregierung für die Zukunft am geeignetsten und
welche diplomatischen Anstrengungen hat sie bereits unternommen, um dieses umzusetzen?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Weder Auslandshilfen durch USAID noch potenzielle Aufträge durch
eine neue irakische Regierung unterfallen förmlich dem
WTO-Beschaffungsübereinkommen; das habe ich schon
erwähnt. Für deutsche Unternehmen wären Auftragsvergaben durch die Vereinten Nationen am günstigsten, da
die Beschaffungsregeln der Vereinten Nationen eine Diskriminierung verhindern. Die Bundesregierung wird sich
weiter im bilateralen und multilateralen Rahmen für die
Einhaltung der internationalen Vergaberegeln einsetzen,
um deutschen Unternehmen eine Beteiligung an solchen
Aufträgen im Rahmen eines fairen Wettbewerbs zu ermöglichen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Körper zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Dr. Schröder auf:
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen
für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen - RD 6566/03 -,
darauf bestehen, dass die Anerkennung als Flüchtling nur bei
staatlicher oder staatlich zurechenbarer Verfolgung erfolgt,
und wird die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Richtlinie
insgesamt verweigern, wenn sie sich insoweit nicht durchsetzt?
Herr Kollege Schröder, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass
Menschen, die aus einem der in der Genfer Konvention
genannten Gründe - das sind beispielsweise Rasse, Religion oder politische Überzeugung - im Herkunftsland
verfolgt werden, der GFK-Status zu gewähren ist und
dabei nicht zwischen dem Staat zurechenbarer und nicht
zurechenbarer nicht staatlicher Verfolgung unterschieden werden sollte. In beiden Fällen geht es um Verfolgungen, die den Einzelnen in Anknüpfung an die Merkmale der Genfer Konvention an Leib, Leben oder
Freiheit gefährden und vor denen er im Herkunftsland
keinen Schutz finden kann.
Das insoweit gleiche Schutzbedürfnis muss auch zum
gleichen Schutzstatus führen. Die Bundesregierung befürwortet deshalb die Einbeziehung auch der dem Staat
nicht zurechenbaren nicht staatlichen Verfolgung in den
Flüchtlingsbegriff. Das entspricht im Übrigen der ganz
überwiegenden internationalen Staatenpraxis. Alle anderen EU-Staaten vertreten gegenwärtig - das muss man in
diesem Zusammenhang auch feststellen - die Auffassung, dass auch die nicht staatliche Verfolgung, die dem
Staat nicht zugerechnet werden kann, zur Flüchtlingsanerkennung führen muss.
Bitte schön.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie verhält
sich Ihre Aussage in Bezug auf die bisher von Bundesinnenminister Schily gemachten Äußerungen? Ich möchte
in diesem Zusammenhang an die Ausführungen von Innenminister Schily im Jahre 2000 in einem Gutachten
für den Rechtsausschuss des Bundestages erinnern. Er
hat damals ausgeführt:
Der Wegfall des Erfordernisses der Staatlichkeit
durch Gesetzesänderungen ließe erheblichen Zuwanderungsdruck erwarten.
Darüber hinaus hatte er angegeben, dass auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem für
Deutschland bedeutsamen Urteil vom März 2000 festgestellt hatte, dass das deutsche Rechtssystem in Fällen
nicht staatlicher Verfolgungen und Menschenrechtsverletzungen nicht lückenhaft sei.
Sie haben sicher vernommen, dass meine Ausführungen
den jetzigen Verhandlungsstand und -inhalt in Brüssel zu
dieser Richtlinie wiedergeben. Ich habe deutlich gemacht, wie das gesamte Szenario aussieht und in welchen Teilen sich unsere Position von den Positionen der
anderen unterscheidet. Das, was ich vorgetragen habe,
ist die Position der Bundesregierung und die Position
von Bundesinnenminister Otto Schily.
Sie haben in Ihrer Antwort auf meine Frage gesagt,
dass die neuerdings von der Bundesregierung vertretene
Auffassung auch Praxis in den anderen EU-Mitgliedstaaten sei. Wie verträgt sich das mit der einzigen Vereinbarung, die es zwischen den EU-Mitgliedstaaten gibt?
Der Rat hat am 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs Flüchtling
aus Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt
- das ist gemeinsame Auffassung -, dass es der EU-Praxis entspricht, dass nur die staatliche Verfolgung unter
den Flüchtlingsbegriff zu subsumieren ist und dass nur
sie zur Anerkennung als Flüchtling führen kann. Wie
verträgt sich das mit Ihrer Äußerung über die angeblich
überall zu findende Praxis?
Ich habe nicht überall gesagt, sondern dass dies im
Übrigen der ganz überwiegenden internationalen Staatenpraxis entspricht. Das ist richtig und ist nicht zu korrigieren. Ich denke, dass unsere Position hinsichtlich der
Hineinnahme der nicht zurechenbaren nicht staatlichen
Verfolgung in den Flüchtlingsbegriff klar ist und dass
klar ist, wie die internationale Staatenpraxis überwiegend aussieht.
Herr Kollege Koschyk, bitte.
Sie haben die momentane Verhandlungsposition der
Bundesregierung respektive Ihres Hauses dargelegt.
Wird der Bundesinnenminister bei den anstehenden
Verhandlungen also die Hineinnahme nicht staatlicher
Verfolgung in die Definition des Flüchtlingsbegriffs akzeptieren? Hat die Bundesregierung Berechnungen angestellt, zu welcher Erhöhung das bei der Zuwanderung
für die Bundesrepublik Deutschland führen wird?
Herr Kollege Koschyk, alle anderen EU-Staaten vertreten gegenwärtig die Auffassung, dass auch die nicht
staatliche Verfolgung, die dem Staat nicht zugerechnet
werden kann, zur Anerkennung als Flüchtling führen
muss. Das war bereits Teil meiner Antwort auf die Frage
des Kollegen Schröder. Daraus wird deutlich, dass diese
Position noch einer gewissen Diskussion bedarf und einer Entscheidung zugeführt werden muss.
Wir kommen zu Frage 13 des Kollegen Dr. Schröder:
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen
für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen - RD 6566/03 -,
darauf bestehen, dass die Regelungen über den Zugang zum
Arbeitsmarkt, da sie nicht in den Kompetenzbereich der EU
fallen, aus der Richtlinie herausgenommen werden, und wird
die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Richtlinie insgesamt verweigern, wenn sie sich insoweit nicht durchsetzt?
Herr Kollege Schröder, Regelungen zum Arbeitsmarktzugang sind unter anderem in den bereits verabschiedeten Richtlinien zum vorübergehenden Schutz und
über die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber enthalten. Die Bundesregierung orientiert sich bei den Verhandlungen über die Anerkennungsrichtlinie an den in
diesen Richtlinien enthaltenen Bestimmungen.
Bitte schön, Herr Dr. Schröder.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wie verhält
sich das mit Ihrer Aussage, die Sie hier in der Fragestunde am 2. April 2003 gemacht haben, dass nämlich
der Zugang zu den nationalen Arbeitsmärkten
im
Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten liegt?
Das ist kein Widerspruch. Sie wissen, dass es eine
Diskussion zu dieser Frage gibt. Sie wissen auch, dass es
beispielsweise eine relativ eindeutige Aussage von
Bundesaußenminister Fischer in Bezug auf die Konventsverhandlungen gibt oder dass es eine Position gibt,
die vonseiten der Länder eingenommen wird. Die Vorgehensweise, wie wir sie anstreben, ist deswegen, wie ich
glaube, richtig. Wenn Sie sich die anderen Richtlinien
ansehen und mit der Formulierung zum Arbeitsmarktzugang vergleichen, dann wird deutlich, dass es ein Kompromiss ist. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich,
dass Deutschland nicht alleine in Europa ist.
Heißt das, dass die Bundesregierung bei den demnächst anstehenden Verhandlungen über die anderen
Richtlinien nach der Maßgabe verhandeln wird, dass darin der Zugang zum Arbeitsmarkt geregelt werden kann,
und dass die Bundesregierung in dieser Hinsicht kompromissbereit ist?
Herr Kollege Schröder, Sie wissen, dass der Arbeitsmarktzugang durch die von uns gefundenen Formulierungen in diesen Richtlinien - diese sind von mir auch
erwähnt worden - viel stärker in die nationale Regelungskompetenz gestellt wird. Das wird deutlich, sodass
hier kein solcher Dissens vorhanden ist, wie Sie ihn konstruieren wollen.
Herr Kollege Koschyk.
Herr Staatssekretär, heißt das, dass die Bundesregierung bei der zu verhandelnden Richtlinie die Position
verfolgt, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt in der nationalen Kompetenz verbleibt? Wird die Bundesregierung
Ihre Zustimmung zu dieser Richtlinie vom Ausgang der
Verhandlungen, bei denen es darum geht, ob der Zugang
zum Arbeitsmarkt in der nationalen Kompetenz verbleibt oder nicht, abhängig machen?
In der Zielsetzung bezüglich der Auswirkungen, was
die Regelungen des Arbeitsmarktes anbelangt, sind wir
uns relativ einig. Sie kennen die bisher gefundenen Regelungen. Sie stellen in der Tat einen Kompromiss dar.
In ihren Auswirkungen entsprechen sie aber ganz wesentlich dem, was auch Sie formuliert haben.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Grindel werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zur Frage 16 des Kollegen
Koschyk:
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die
Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und
Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig
internationalen Schutz benötigen - RD 6566/03 -, darauf bestehen, dass der weite Flüchtlingsbegriff einschließlich der damit verbundenen Statusaufwertung herausgenommen wird, und
wird sie notfalls ihre Zustimmung zur Richtlinie insgesamt verweigern?
Herr Kollege Koschyk, Ihrer Frage ist für mich nicht
eindeutig zu entnehmen, was Sie mit dem ,weiten
Flüchtlingsbegriff einschließlich der damit verbundenen
Statusaufwertung meinen. Sollte sich die Frage auf die
Einbeziehung der nicht staatlichen Verfolgung und den
Flüchtlingsbegriff nach der GFK beziehen, so will ich
auf die vorhin gegebenen Antworten in Bezug auf die
Fragen von Herrn Dr. Schröder hinweisen.
Herr Koschyk.
Herr Staatssekretär, ich beziehe mich dabei auch auf
eine Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche
Frage von mir. Im Hinblick auf den damaligen Verhandlungsstand zu dieser Richtlinie des JI-Rates auf seiner
Tagung am 27. und 28. Februar dieses Jahres hat die
Bundesregierung am 14. März durch Frau Staatssekretärin Vogt geantwortet, dass in dem Richtlinienvorschlag,
um den es geht, unter anderem bestimmt wird, das subsidiär Schutzberechtigte nach spätestens einem Jahr einen
uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben und
dass sie auf den Gebieten der Sozialhilfe und der medizinischen Versorgung mit Inländern gleichgestellt werden
sollen. Außerdem sollen subsidiär Schutzberechtigte
nach dieser Richtlinie einen Zugang zu Integrationsprogrammen erhalten.
Bei dem weiten Flüchtlingsbegriff geht es also darum, ob subsidiär Schutzberechtigte diese Leistungen
der Mitgliedstaaten nach dem Richtlinienentwurf bekommen sollen oder nicht. Am 14. März hat die Frau
Staatssekretärin geantwortet:
Da diese Regelungen, die die EU in dieser Richtlinie treffen will, in Teilen weder mit der geltenden
Rechtslage noch mit den entsprechenden Bestimmungen im Entwurf des Zuwanderungsgesetzes
vereinbar sind, wurden auch im Rat dagegen Vorbehalte geltend gemacht.
Meine Frage lautet: Macht die Bundesregierung bei
den Verhandlungen über diese Richtlinie weiterhin Vorbehalte gegen diesen weiten Flüchtlingsbegriff geltend?
Herr Kollege Koschyk, Sie wissen, was die Rechtsposition subsidiär Schutzberechtigter ausmacht. Aufgrund
des derzeitigen Richtlinienvorschlags gilt es, Folgendes
festzuhalten: Zukünftig soll ein Aufenthaltstitel gewährt
werden. Dies gilt zum Beispiel auch bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Hier gibt es in der Tat noch
Diskussionen und Gespräche; Sie haben die Zeitdauer
von einem Jahr genannt. Unsere Position bezüglich des
nachrangigen Arbeitsmarktzugangs ist ganz entscheidend.
Daneben geht es um die sich im Aufnahmeland befindlichen Familienangehörigen. Auch hierzu finden
Diskussionen und Debatten statt, sodass noch kein abschließendes Ergebnis vorliegt. Unsere Verhandlungsposition orientiert sich an unserer politischen Haltung, die
wir zum Zuwanderungsgesetz und zum nationalen Recht
haben.
Bitte schön, Herr Koschyk.
Herr Staatssekretär, ich frage noch einmal: Hält die
Bundesregierung die Vorbehalte, wie sie mir die Frau
Staatssekretärin in der Antwort vom 14. März 2003 mitgeteilt hat, aufrecht? Wird sie notfalls eine Zustimmung
zu dieser Richtlinie verweigern, wenn es zu sehr starken
Aufweichungstendenzen kommt, die Personen, die subsidiären Schutz genießen, von den Leistungen her - ich
will es einmal so formulieren - Asylbewerbern nahezu
gleichzustellen?
Herr Kollege Koschyk, die Debatte um die subsidiär
Schutzberechtigten kann man nicht nur an einem Spiegelstrich festmachen. Ich habe versucht, Ihnen das kurz
darzulegen. Wir haben unsere Vorbehalte eingebracht.
Das ist der derzeitige Sachstand.
Bitte schön, Herr Kollege Schröder.
Ich habe konkret zu dieser Richtlinie eine Nachfrage.
In dem Entwurf zu dieser Richtlinie ist momentan vorgesehen, dass es den Nationalstaaten bei der missbräuchlichen Schaffung von Nachfluchttatbeständen nicht erlaubt sein soll, die Anerkennung als Flüchtling zu
verweigern. Das entspricht nicht dem nationalen Recht.
Wird die Bundesregierung ihre Zustimmung zu dieser
Richtlinie verweigern, wenn es bei der missbräuchlichen
Schaffung von Nachfluchtgründen nicht möglich ist, die
Anerkennung als Flüchtling zu verweigern?
Diese Frage kann ich Ihnen im Moment nicht beantworten. Inwieweit dieser von Ihnen genannte Sachverhalt Gegenstand der Beratungen zu dieser Richtlinie ist,
will ich gerne nachfragen, um zu erfahren, wie die Position ist.
Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Koschyk:
Wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen zum
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen
für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die an3452
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
derweitig internationalen Schutz benötigen - RD 6566/03 -,
darauf bestehen, dass subsidiär Schutzberechtigte keinen
Anspruch auf Familienzusammenführung haben, und wird sie
notfalls ihre Zustimmung zur Richtlinie insgesamt verweigern?
Herr Kollege Koschyk, die Familienzusammenführung im eigentlichen Sinne ist nicht Gegenstand der
Richtlinie. Es ist wichtig, das festzuhalten. Die Richtlinie regelt lediglich die Rechtsstellung von Familienangehörigen, die sich bereits zusammen mit dem stammberechtigten Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigten
im Aufnahmeland aufhalten, nicht aber das Recht auf
den Nachzug von Familienangehörigen.
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass Familienangehörigen, die sich mit dem subsidiär Schutzberechtigten im Aufnahmeland befinden, im Hinblick auf
die nach Art. 6 unseres Grundgesetzes und auch nach der
Europäischen Menschenrechtskonvention - ich glaube,
das ist Art. 8 - gebotene Wahrung der Familieneinheit
der Aufenthalt im Aufnahmeland zu ermöglichen ist. Die
Bundesregierung hält es jedoch nicht für angebracht, Familienangehörigen von subsidiär Schutzberechtigten automatisch die gleiche Rechtsposition wie dem Stammberechtigten zu gewähren.
Herr Staatssekretär, darf ich das so verstehen, dass die
Bundesregierung bei der weiteren Verhandlung dieser
Richtlinie sehr genau darauf achten wird, dass es in dem
von Ihnen genannten Sinne nur um die Situation der Familienangehörigen von Personen geht, die subsidiären
Schutz genießen und sich bereits im aufnehmenden
Land, beispielsweise Deutschland, befinden? Entscheidend ist also, wie deren Situation geregelt wird. Es kann
folglich nicht darum gehen, dass Familienangehörige des
subsidiär Schutzberechtigten, die sich noch nicht im aufnehmenden Land befinden, zu- oder nachziehen können.
Herr Kollege Koschyk, ich hatte schon vermutet, dass
Sie eine Frage zu den nachziehenden Personen stellen
würden. Diese Frage kann ich Ihnen genau beantworten:
In der Diskussion zu dieser Richtlinie geht es nicht um
die nachziehenden Personen, sondern um die im Land
befindlichen Schutzberechtigten.
Wird die Bundesregierung sorgsam darauf achten,
dass in den Verhandlungen zu dieser Richtlinie nicht
eine - ich will es einmal so formulieren - versteckte Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte
zum Tragen kommt?
Herr Kollege Koschyk, wenn ich mich richtig erinnere, ist die Frage, wer von dieser Richtlinie betroffen
ist, in den Verhandlungen überhaupt nicht streitig. Das
muss man genau auseinander halten. Sie wissen, dass es
relativ viele Richtlinien gibt. Aber bei dieser Richtlinie
ist die Lage relativ eindeutig und klar.
Bitte schön, Herr Kollege Schröder.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Im Entwurf dieser
Richtlinie wird auch geregelt, dass Flüchtlinge das Recht
auf Weiterwanderung in einen zweiten Mitgliedstaat haben. Wie weit wird die Bundesregierung dies bei den
Verhandlungen akzeptieren und wird die Bundesregierung notfalls die Zustimmung zu dieser Richtlinie verweigern, wenn dieser Passus beibehalten wird?
Herr Schröder, ich will einmal eine grundsätzliche
Bemerkung machen. Immer dann, wenn Fragen zu diesen Richtlinien gestellt werden, dann greifen Sie und andere Kollegen von der CDU/CSU einen Punkt auf und
fordern die Bundesregierung auf, der Richtlinie ihre Zustimmung zu versagen, wenn sich die deutsche Position
in diesem Detailpunkt nicht durchsetzt.
Ich sage ganz deutlich: Sie müssen lernen, dass wir
ein gemeinsames Europa wollen. Sie müssen auch erkennen, dass wir bei solchen Verhandlungen und Debatten nicht allein in Europa sind. Hören Sie deswegen mit
dem Schwarz-Weiß-Schema und dem Motto Alles oder
nichts auf. Das bringt uns in Europa nicht voran.
Nun kommen wir zur Frage 18 der Abgeordneten
Pau:
Wie viele antisemitische Straftaten wurden im ersten
Quartal 2003 in der Bundesrepublik Deutschland begangen
und wie viele Opfer dieser Straftaten gab es?
Frau Kollegin Pau, ich muss eine Vorbemerkung machen: Die im Folgenden von mir aufgeführten Zahlen
stellen keine abschließende Statistik dar, sondern können
sich aufgrund von Nachmeldungen noch verändern.
Aber das wissen Sie, weil Sie mittlerweile Spezialistin
geworden sind, was das Zustandekommen solcher Statistiken anbelangt. Die Bundesebene hat hier nur die Funktion, die Daten zu sammeln und zusammenzuführen.
Im ersten Quartal 2003 wurden insgesamt 222 antisemitische Straftaten, die dem Phänomenbereich Politisch
motivierte Kriminalität - rechts zugeordnet wurden, gemeldet, darunter 25 so genannte Propagandadelikte und
sieben - danach fragen Sie auch - Gewaltdelikte. Bei
Letzteren handelt es sich um sechs Körperverletzungen
und einen Landfriedensbruch. Im ersten Quartal 2003
wurden sechs Personen verletzt. Todesfälle waren nicht
zu verzeichnen.
Eine Zusatzfrage, Frau Pau?
Herzlichen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. - Kann ich davon ausgehen, dass Sie auch die
Auflistung nach Ländern vorrätig haben? Aus Gründen
der Zeitersparnis würde es mir genügen, wenn Sie die
Angaben nachreichen.
Frau Kollegin Pau, ich habe die Frage erwartet. Soweit es möglich ist, werden wir Ihnen die Angaben über
die regionalen Unterschiede gerne zuleiten.
Danke schön.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe jetzt die Frage 19 des Kollegen Kaster auf:
Welche Kriterien berücksichtigt die Bundesregierung,
wenn sie - wie im Falle des ehemaligen Chefs des Presse- und
Informationsamtes und Sprechers der Bundesregierung,
Staatssekretär Uwe-Karsten Heye - dem Bundespräsidenten
die Versetzung politischer Beamter in den einstweiligen Ruhestand vorschlägt, um dem Willkürverbot und der Intention
des § 36 des Bundesbeamtengesetzes bzw. des § 31 des Beamtenrechtsrahmengesetzes Rechnung zu tragen?
Herr Kollege Kaster, Versetzungen in den einstweiligen Ruhestand werden dem Bundespräsidenten nur bei
Vorliegen eines sachlichen, dem Zweck des § 36 des
Bundesbeamtengesetzes entsprechenden Grundes vorgeschlagen. Der Gesetzgeber hat der Exekutive für die
Entscheidung über die Versetzung in den einstweiligen
Ruhestand einen sehr weiten Ermessensspielraum eingeräumt, der nur reine Willkürmaßnahmen ausschließt.
Demzufolge hat die Rechtsprechung eine Vielzahl sehr
unterschiedlicher Gründe als Rechtfertigung eines solchen Schrittes anerkannt.
Zusatzfrage.
Im Falle des Staatssekretärs Heye gab es Veröffentlichungen im Stern und interne Bekundungen, dass es
eine Vereinbarung zwischen dem Bundeskanzler und
dem Staatssekretär gegeben haben soll, dass der Staatssekretär freiwillig darüber befinden kann, ob er aus dem
Amt ausscheidet. Wäre in einem solchen Falle nicht vorrangig von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, selbst
die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen, was
nach § 30 geht?
Ich habe Ihnen § 36 des Bundesbeamtengesetzes genannt. Ich habe auch deutlich gemacht, wie dieser Paragraph praktiziert wird. Die Exekutive hat einen relativ
weiten Ermessensspielraum. Herr Kaster, ich kann Ihnen
sagen, dass die Regierung Kohl einen erheblichen Gebrauch von der Versetzung in den Ruhestand von politischen Beamten gemacht hat. - Sie sollten sich besser einem anderen Thema zuwenden. Ich glaube, dieses
Thema ist nicht ergiebig.
({0})
- So bin ich eben. Sie kennen mich doch mittlerweile.
({1})
Herr Kaster.
Sie sagten, dass die Palette der Kriterien, die in diesem Fall zur Anwendung kommen können, sehr weit gefasst ist. Es handelt sich schließlich um eine Kannbestimmung, die eben zitiert worden ist. Sie werden
sicherlich eine entsprechende Mitteilung an den Bundespräsidenten richten. Gehört möglicherweise auch das
Kriterium einer gewissen Amtsmüdigkeit dazu?
Wie ich Herrn Heye kenne, kann von Müdigkeit keine
Rede sein. Ich denke, die Rechtsprechung ist hinsichtlich
der Gründe bzw. der Frage, was als zulässig anerkannt
wird, eindeutig. Daran ist nichts zu beanstanden; das ist
durchaus in Ordnung und entspricht auch der Praxis.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Fahrenschon.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie ausgeführt haben,
dass von der Möglichkeit, freiwillig in Ruhestand zu gehen, nicht Gebrauch gemacht wurde, stellen sich die Fragen, wer die Anweisung zur Versetzung in den Ruhestand zulasten des Steuerzahlers gegeben hat und auf
welche Höhe sich die Zahlungen an den ehemaligen
Staatssekretär Heye belaufen, die er seit seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand erhalten hat.
Was Sie mir hinsichtlich der Freiwilligkeit in den
Mund gelegt haben, entspricht nicht meinen Ausführungen. Ich habe Ihnen die Rechtsgrundlage dargelegt. Ich
denke, sie ist nicht zu beanstanden. Das gilt auch für die
praktische Handhabung dieses Falles. Sie sollten besser
damit aufhören, irgendetwas zu unterstellen. Wie Sie
wissen, gibt es das Amt des politischen Beamten und die
damit verbundenen Möglichkeiten, von denen auch Gebrauch gemacht wird. Die Regierung Kohl hat davon erheblichen Gebrauch gemacht. Insofern denke ich, Sie
tun gut daran, sich mit Wertungen aller Art stark zurückhalten.
Ich rufe nun die Frage 20 des Kollegen Bernhard
Kaster auf:
Welche Auswirkungen hat die künftige Tätigkeit von
Uwe-Karsten Heye als Generalkonsul auf die Versorgungsbezüge des ehemaligen Regierungssprechers?
Herr Kollege Kaster, treffen Versorgungsbezüge mit
Erwerbseinkommen zusammen, wird Letzteres gemäß
§ 53 des Beamtenversorgungsgesetzes auf die Versorgung angerechnet. Bei den Einkünften aus einer Tätigkeit als Generalkonsul handelt es sich um anrechenbares
Erwerbseinkommen. Die Versorgungsbezüge werden
dementsprechend gekürzt.
Eine Zusatzfrage.
Vor dem Hintergrund dieser finanziellen Auswirkung,
die Sie eben deutlich gemacht haben, stelle ich die
Frage, warum die neue Position als Generalkonsul im
Hinblick auf diese finanzielle Auswirkung - sprich: Bezüge plus Versorgungsbezug - mit der entsprechenden
Kürzung erst ab dem Monat September zum Tragen
kommt und die Stelle, die wohl zum Monat Juni frei
wird, im Hinblick auf die weiteren Zeiten ausschließlichen Versorgungsbezugs nicht bereits zu diesem Zeitpunkt besetzt wird.
Obwohl mir der Zeitpunkt September nicht geläufig
ist, gehe ich davon aus, dass diese Verfahrenspraxis der
Gesetzesgrundlage entspricht.
({0})
- Ja, das ist doch so.
({1})
- Frau Philipp, ich kann doch nichts für die Qualität der
Fragen.
({2})
Zweite Zusatzfrage.
Im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen habe
ich eine weitere Zusatzfrage. Wenn Herr Staatssekretär
Heye in den einstweiligen Ruhestand eines politischen
Beamten versetzt worden ist, frage ich Sie, ob das nicht
im Widerspruch zu einer erneuten Ernennung als Generalkonsul oder zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit für das
Bundespresseamt, beispielsweise im Rahmen des Beirates zu dem so genannten Deutschland-Portal, steht.
Nein.
Herr Fahrenschon, bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich frage noch einmal konkret: Ist
die Stelle des Generalkonsuls in New York derzeit frei
und, wenn ja, wie lange braucht die Bundesregierung,
um sie ihrem Vorschlag entsprechend mit dem ehemaligen Staatssekretär Heye zu besetzen? Oder ist die Stelle
des Generalkonsuls in New York nicht so wichtig, sodass man sich damit Zeit lassen kann?
Da ich diese Stelle nicht antreten will, kann ich Ihnen
den derzeitigen Verfahrensstand nicht genau angeben,
aber ich liefere ihn Ihnen gerne nach.
Weitere Fragen zu diesem Geschäftsbereich liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der
Fragen steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin
Dr. Hendricks zur Verfügung.
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Hofbauer werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 23 der Kollegin Petra Pau auf:
Welche Auswirkungen hat die Neuregelung des Umsatzsteuergesetzes auf die Besteuerung von Schulspeisungen?
Frau Kollegin, ich verstehe Ihre Frage dahin gehend,
dass Sie nach den Auswirkungen der durch das Gesetz
zum Abbau von Steuervergünstigungen geänderten Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes auf die steuerrechtliche Beurteilung von Umsätzen mit Schulspeisungen
fragen. Die durch das eben genannte Gesetz vorgenommenen Änderungen im Umsatzsteuergesetz haben keinerlei Auswirkungen auf die steuerrechtliche Beurteilung von Umsätzen mit Schulspeisungen. Es gibt hier
keine Rechtsänderung.
Ich möchte nachfragen, ob im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens beispielsweise im Hinblick auf die vermehrte Einrichtung von Ganztagsschulen erörtert wurde,
Schulspeisungen als Aspekt der Kinderbetreuung steuerlich zu begünstigen und damit einen Anreiz zu schaffen,
dass möglichst viele Kinder dieses Angebot wahrnehmen.
Nein, Frau Kollegin, das ist weder bei der Vorbereitung noch im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jemals
Gegenstand der Erörterungen gewesen. Die Rechtslage
ist folgende - davon kann leider im nationalen Recht
nicht abgewichen werden, weil sie durch EU-Recht bestimmt ist -: Wenn jemand eine Schulspeisung in der
Weise sicherstellt, dass er die Speisen in die Schulen liefert und im Übrigen keine weiteren Serviceleistungen erbringt, dann kommt eine solche Abgabe von Speisen
dem Außer-Haus-Verkauf gleich und wird deswegen mit
dem halben Mehrwertsteuersatz belegt. Wird aber eine
volle Serviceleistung erbracht, fällt der volle Mehrwertsteuersatz an.
Die Gestaltung der Schulspeisung ist den Schulen
überlassen. Manchmal machen das ja auch Fördervereine. Man kann auch eine Trennung vornehmen: Jemand
liefert an und jemand anders, der nicht der leistende Unternehmer ist, der die Ware bringt, bietet den Service.
Wir sind aber bei der gesetzlichen Ausgestaltung nicht
frei, sondern an EU-Recht gebunden. Es ist auch nicht
beabsichtigt, auf europäischer Ebene eine Änderung vorzunehmen. In der Lebenswirklichkeit wird es ja häufig
so sein, dass ein Dritter fertige Speisen anliefert, die den
Kindern durch andere, die zur Verfügung stehen, wie
zum Beispiel Eltern aus einem Förderverein, dargereicht
werden.
Haben Sie irgendwelche Erkenntnisse, wie beispielsweise Belgien und Frankreich, wo wesentlich ermäßigte
Mehrwertsteuersätze bei der Schulspeisung gelten, die
entsprechenden EU-Richtlinien - diese sind mir in der
Tat bekannt - kreativ umgangen haben?
Ich werde dieser Frage nachgehen. Aber der Regelfall ist folgender: Vor In-Kraft-Treten der 6. EG-Richtlinie - ich sage das ganz allgemein - durften die Regelungen und die Ausnahmetatbestände, die im nationalen
Recht enthalten waren, bestehen bleiben. Wenn es in
dem von Ihnen angesprochenen Fall so war, dass in Belgien und Frankreich ein entsprechender Ausnahmetatbestand schon vor dem In-Kraft-Treten bestand, dann
durfte er im nationalen Recht bestehen bleiben. Wir, die
Deutschen, können aber im Nachhinein nicht sagen, dass
wir die gleiche Regelung wie die Franzosen haben wollen; denn damals, als die 6. EG-Richtlinie als bindendes
Recht in den Mitgliedstaaten in Kraft trat, gab es keinen
entsprechenden Ausnahmetatbestand in Deutschland.
Gerade wenn es um die Frage der Umsatzbesteuerung
geht - das gilt nicht nur für den von Ihnen angesprochenen Fall; ich habe es ja allgemein formuliert; ich werde
der Sache im Speziellen noch nachgehen -, stößt so etwas sehr häufig auf Unverständnis bei uns. Da es noch
immer Länder in der Europäischen Union gibt, in denen
alte Regelungen weitergelten, die aber in Deutschland
niemals in gleicher Weise geltendes Recht waren, konnten in Deutschland keine solchen Ausnahmetatbestände
in das neue Recht übernommen werden.
Danke schön.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Hendricks.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres zur Verfügung.
Die Fragen 24 und 25 der Abgeordneten Blank werden schrifltich beantwortet.
Ich rufe die Frage 26 der Kollegin Frau Dr. Lötzsch
auf:
Wie hoch waren bzw. sind die Ansätze sowie die Istausgaben für das Arbeitslosengeld durch die Bundesanstalt für Arbeit, BA, von 1999 bis 2003 und wie bewertet die Bundesregierung die Realisierbarkeit der geplanten Einsparungen für
2003?
Frau Dr. Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Sollansätze für das Arbeitslosengeld im Haushalt
der Bundesanstalt für Arbeit waren 1999 mit
26,8 Milliarden Euro, 2000 mit 25,3 Milliarden Euro,
2001 mit 23,2 Milliarden Euro, 2002 mit
25,1 Milliarden Euro und 2003 mit 24,4 Milliarden Euro
dotiert. Die Istausgaben haben sich in den Jahren 1999
bis 2002 wie folgt entwickelt - ich verzichte jetzt darauf, die Jahreszahlen zu nennen, ich gebe sie in der entsprechenden Reihenfolge an -: 24,8 Milliarden Euro,
23,6 Milliarden Euro, 24,6 Milliarden Euro und
27 Milliarden Euro.
Infolge der Gesetze für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt wurde im Haushalt 2003 für das Arbeitslosengeld eine Entlastungswirkung in Höhe von rund
2,8 Milliarden Euro berücksichtigt. Es wäre verfrüht und
rein spekulativ, bereits zum heutigen Zeitpunkt eine Prognose über die Realisierung der berücksichtigten Einsparung abzugeben. Wie bei jeder gesetzlichen Änderung
bedürfen die neuen Maßnahmen einer Vorlaufzeit, bevor
sie beginnen, voll zu greifen. Eine seriöse Aussage zum
Erfolg der Konsolidierungsmaßnahmen kann daher erst
nach Abschluss des laufenden Haushaltsjahres getroffen
werden, wenn die Bundesanstalt für Arbeit Bilanz gezogen hat.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, es
gab im Zuge der Haushaltsberatungen - Sie werden sich
daran erinnern - sehr unterschiedliche Auffassungen
darüber, ob die Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr
ohne einen Zuschuss des Bundes auskommen wird.
Zahlreiche Abgeordnete, auch der SPD-Fraktion, waren
der Auffassung, dass das nicht möglich sein wird. Für
diese Auffassung gab es keine Mehrheit. Inzwischen
sind aber auch Vertreter der Regierungskoalition der
Auffassung - ich nenne die Vorsitzende des Finanzausschusses, Christine Scheel -, dass ein Zuschuss an die
Bundesanstalt für Arbeit aus dem Bundeshaushalt erforderlich sein wird. Wie ist Ihre Position dazu? Ist die Position, dass der Bundesanstalt für Arbeit kein Zuschuss
aus dem Bundeshaushalt gegeben werden muss, haltbar?
Frau Abgeordnete Dr. Lötzsch, ich kann mich gut an
die Diskussion während der Haushaltsberatungen erinnern. Ich bedanke mich für Ihren Hinweis.
Ich möchte es anders als Sie formulieren: Der Aufstellung des Haushaltes 2003 für die Bundesanstalt für
Arbeit lagen Eckdaten zugrunde, nach denen die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt bei 4,14 Millionen
liegen wird. Nach neueren Schätzungen und den Entwicklungen im ersten Quartal und des Monats April,
also praktisch nach einem Drittel des Jahres, muss man
davon ausgehen, dass die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt bei 4,46 Millionen liegen wird. Es ist daher
folgerichtig, dass die Zahlungen für Arbeitslosengeld bei
einer größeren Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt
höher sein werden.
Es ist gegenwärtig schlecht einzuschätzen, wie hoch
der Zuschussbedarf sein wird. Es gibt diesbezüglich unterschiedliche Zahlen. Ich bitte einfach um Verständnis
dafür, dass man nach Ablauf eines Drittels des Jahres
noch keine verlässlichen Aussagen darüber treffen kann,
wie hoch die Arbeitslosigkeit im Jahresdurchschnitt sein
wird.
Ihre Frage stellte einen Zusammenhang zwischen der
Etatisierung der Leistungen für Arbeitslosengeld und
den Einsparungen her, die sich aus der Umsetzung des
Hartz-Konzepts ergeben. Das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Die Auswirkungen der Hartz-Operationen sind in einer bestimmten Art und Weise eingeschätzt worden; es ist ebenfalls erst am Jahresende
feststellbar, wie wirksam sie sind. Wenn man bedenkt,
dass die neue Meldepflicht erst ab 1. Juli dieses Jahres
gilt, ist klar, dass man überhaupt keine Prognosen darüber abgeben kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Können Sie also, insbesondere aufgrund der Prognose, dass sich die Anzahl der Arbeitslosen auf einem
höheren Niveau als erwartet bewegen wird, meine Vermutung bestätigen, dass die Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt benötigen wird?
Ich wiederhole: Wir reden über unterschiedliche
Dinge. Das eine ist ein eingeplanter Zuschuss des Bundes bei der Haushaltsaufstellung und das andere ist sozusagen die Defizithaftung, die der Bundesfinanzminister
nach dem SGB III am Jahresende gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit im Hinblick auf die Pflichtleistungen leisten muss. Nach gegenwärtigem Stand ist absehbar - darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen;
beispielsweise hat sich das Vorstandsmitglied der Bundesanstalt für Arbeit Weise heute darüber geäußert -,
dass es zu einer Defizithaftung kommen wird. Wie hoch
diese sein wird, lässt sich gegenwärtig nicht verlässlich
vorhersagen. Ich habe keine Lust, im Namen der Bundesregierung irgendwelche Spekulationen anzustellen.
Das verstehen Sie sicherlich.
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Lötzsch auf:
Trifft es zu, dass durch die BA, wie in der Wirtschaftswoche vom 24. April 2003 berichtet, Vorgaben zur Verhängung von Sperrzeiten für Empfänger von Arbeitslosengeld erlassen wurden und, falls ja, wie beurteilt die Bundesregierung
dieses Vorgehen?
Frau Dr. Lötzsch, wie Sie wissen, ist die Bundesanstalt für Arbeit eine Selbstverwaltungskörperschaft des
öffentlichen Rechts. Die Arbeitslosenversicherung unterliegt nicht der Fachaufsicht der Bundesregierung,
zwar der Rechtsaufsicht, aber nicht der Fachaufsicht.
Über die Art und Weise der Ausführung der gesetzlichen
Vorgaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung entscheidet die Bundesanstalt daher in eigener Zuständigkeit.
Nach der mir zu Ihrer Frage vorliegenden Stellungnahme der Hauptstelle der Bundesanstalt für Arbeit gibt
es keine zentralen Vorgaben in Form von Quoten oder
Ähnlichem zur Verhängung von Sperrzeiten. Allerdings
gibt es verschiedene Aktivitäten der Arbeitsämter, etwa
im Rahmen der Vermittlungsoffensive, die eine stärkere
Aktivierung von Arbeitslosen zum Ziel haben. Diese
bewerberorientierten Aktivitäten beinhalten auch eine
Erhöhung der Kontaktdichte zu den Arbeitslosen, eine
Intensivierung des Vermittlungsprozesses, einen konsequenten Nachweis von Eigenbemühungen und die Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen entsprechend den
individuellen Erfordernissen des Arbeitslosen. Soweit
dabei gesetzliche Verpflichtungen verletzt werden und
diese mit Sanktionsmechanismen bewehrt sind, müssen
die Arbeitsämter auch die entsprechenden leistungsrechtlichen Konsequenzen ziehen.
Die Bundesregierung begrüßt die Anstrengungen der
Bundesanstalt für Arbeit, eine möglichst umgehende
Vermittlung der Arbeitsuchenden in neue Beschäftigung
zu erreichen, Arbeitslose im Sinne des Förderns und
Forderns stärker zu aktivieren und die Versichertengemeinschaft vor der unrechtmäßigen Inanspruchnahme
von Leistungen zu schützen. Diese Anstrengungen zeigen, dass die Bundesanstalt dem Auftrag des Gesetzgebers aus dem Job-AQTIV-Gesetz nachgekommen ist.
Zusatzfrage? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, gibt es Ihrer Kenntnis nach Vorgaben der Bundesanstalt für Arbeit, zum Beispiel Arbeitslose zu drängen, sich als nicht arbeitsbereit zu erklären, um die Statistik zu verbessern - man könnte auch
sagen: zu schönen -, wie es in der Wirtschaftswoche
vom 24. April dieses Jahres nachzulesen ist?
Nein.
Weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 28 des Kollegen Fritz auf:
In welcher Weise hat die Bundesregierung den gegenüber
der EU-Kommission durch den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 13. März 2003 gemäß Bundestagsdrucksache
15/576 eingelegten Parlamentsvorbehalt im Rahmen der laufenden WTO-Dienstleistungsverhandlungen GATS-WTO:
Welthandelsorganisation - berücksichtigt und welche praktischen Konsequenzen hat dieser Parlamentsvorbehalt bei dem
Zustandekommen und der inhaltlichen Festlegung der jetzt
vorgelegten EU-Angebote gehabt?
Herr Präsident, Herr Kollege Fritz, ich bitte, die Fragen 28 und 29 zusammen beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch die Frage 29 des Kollegen Fritz
auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass im nun vorgelegten EU-Verhandlungsangebot für die GATS-Verhandlungen der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 13. März
2003 ausreichend berücksichtigt wurde, und hält die Bundesregierung insbesondere das Ersetzen von wirtschaftlicher
Bedarfsprüfung durch eine Quotenregelung beim Import
von Dienstleistungen durch einreisende Personen - Mode 4 für eine ausreichende Beachtung des oben angesprochenen
Beschlusses des Deutschen Bundestages?
Zunächst zur Frage 28:
Die deutsche Delegation hat im Hinblick auf den
Bundestagsbeschluss vom 13. März 2003 in der Sitzung
des Ausschusses nach Art. 133 am 19. März 2003 in
Brüssel mündlich und schriftlich für das vom Ratssekretariat angefertigte Protokoll Folgendes vorgetragen:
Die Bundesregierung weist darauf hin, dass der Deutsche Bundestag bislang zu einzelnen Aspekten des Angebotsentwurfs seine Beratungen noch nicht abgeschlossen
hat und daher noch kein abschließendes Votum hat abgeben können. Die Bundesregierung weist daher darauf
hin, dass zu dem Ende März 2003 in Genf vorzulegenden
Eingangsangebot der Gemeinschaft auch weiterhin Stellungnahmen gemäß dem fortlaufenden Verhandlungsprozess möglich sein müssen. Bei der Übermittlung und
Vorlage des Eingangsangebots ist daher auf diesen Umstand in geeigneter Weise ausdrücklich hinzuweisen.
Das am 29. April 2003 in der WTO eingebrachte EUEingangsangebot ist ausdrücklich als Conditional Offer
bezeichnet. Damit wird auch dem oben angeführten Beschluss des Deutschen Bundestages Rechnung getragen.
Die Frage 29 beantworte ich wie folgt:
Erstens. Die Bundesregierung begrüßt das am
29. April 2003 eingebrachte EU-Angebot. Das Eingangsangebot der EU wurde mit allen hiervon betroffenen
Stellen, Ressorts, Zivilgesellschaften und unter besonderer Berücksichtigung der Bundestagsdiskussion und der
in dem oben angeführten Bundestagsbeschluss niedergelegten Bedenken abgestimmt und geprüft. Die in dem
Bundestagsbeschluss vorgebrachten Punkte finden in
dem EU-Angebotsentwurf hinreichend Berücksichtigung.
Zweitens. Wirtschaftliche Bedarfsprüfungen, Economic Needs Tests, ENTs abgekürzt, sind von ihrer
Grundkonzeption sehr umstritten, da sie aufgrund mangelnder objektiver Kriterien faktisch vielfach einer
Nichtverpflichtung gleichkommen und den mit Liberalisierungsverpflichtungen angestrebten Zielen der Verlässlichkeit und Rechtssicherheit gerade nicht genügen. Da3458
her werden ENTs von den Entwicklungsländern, die
insbesondere an zusätzlichen Modus-4-Verpflichtungen
interessiert sind, entschieden abgelehnt. Ferner sind
ENT-Vorbehalte in der Europäischen Union mit großem
Verwaltungsaufwand verbunden, da vor Zugang eines
ausländischen Dienstleistungserbringers zunächst geprüft werden muss, ob im gesamten Gemeinschaftsgebiet kein vergleichbarer Anbieter zu Verfügung steht.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission erklärt, unter keinen Umständen zur Aufnahme von ENTVorbehalten in das Gemeinschaftsangebot bereit zu sein.
Stattdessen hat sie die Einführung von numerischen
Obergrenzen in den EU-Eingangsangeboten vorgeschlagen. Damit wird zunächst nur die generelle Bereitschaft
der EU-Mitgliedstaaten zu einer Konditionierung durch
numerische Obergrenzen ausgedrückt. Die Einzelheiten
einer derartigen Regelung werden noch eingehend unter
Mitwirkung aller EU-Mitgliedstaaten beraten werden.
Hier besteht ein erheblicher Gestaltungsspielraum. So
sind zum Beispiel nationale oder Gemeinschaftsquoten
möglich. Das EU-Eingangsangebot weist daher darauf
hin, dass die Einzelheiten der Anwendung und der Beschränkung der numerischen Obergrenzen noch bestimmt werden müssen.
Angesichts dieser Entwicklung hat die Bundesregierung nach intensiven Beratungen mit der Bundesanstalt
für Arbeit und den Arbeitsmarktexperten innerhalb der
Bundesregierung dem Modell der numerischen Obergrenzen zugestimmt, da es insgesamt in weitaus besserem Umfang eine Rücksichtnahme auf spezifische nationale Arbeitsmarktprobleme ermöglicht.
Nun hat der Kollege Fritz bis zu vier Zusatzfragen.
Herr Präsident, mit Ihrer Genehmigung werde ich
diese Zahl nicht ausschöpfen. Ich hoffe, dagegen spricht
nichts.
Das würde wahrscheinlich auf großes Wohlwollen der
anwesenden Kollegen stoßen.
Herr Staatssekretär, der Bundesregierung war doch
schon vor ihrem Vorstoß in Brüssel bekannt, welche
Schwierigkeiten wirtschaftliche Bedarfsprüfungen mit
sich bringen und dass diese kein wirksames Instrument
sein können. Sie hat dennoch mit diesem Vorschlag auf
den Parlamentsvorbehalt reagiert und ist damit in Brüssel logischerweise gescheitert. Haben Sie sich damit
nicht eigentlich über den Parlamentsvorbehalt hinweggesetzt?
Diese Bewertung teile ich nicht. Das habe ich in meiner Antwort auch ausdrücklich gesagt. Das Angebot der
EU enthält nämlich entsprechende Formulierungen, die
ich Ihnen gerne noch einmal zukommen lasse. Ich wollte
die Antwort nicht noch länger ausfallen lassen.
Herr Kollege Fritz.
Eine hätte ich noch, Herr Präsident. - Aus Kreisen der
Koalition ist der Presse mitgeteilt worden, das Angebot
der EU - die Liste wird es hier genannt - sei von deutscher Seite jederzeit revidierbar. Wie beurteilen Sie das
unter dem Aspekt, dass es jetzt eine Vorschlagsliste gibt,
die im 133er-Ausschuss der Europäischen Union beschlossen wurde, und Sie ohnehin wissen, dass die Zuständigkeiten für die Verhandlungen bei der Europäischen Union liegen?
Ich will noch einmal auf meine Antwort zu Ihrer ersten Frage verweisen: Die Bundesregierung hat sehr massiv deutlich gemacht, dass es im Laufe der weiteren Beratungen hier noch Möglichkeiten für entsprechende
Änderungen geben muss. Ich denke, dass wir die auch
entsprechend nutzen können.
Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Fahrenschon auf:
Wann hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Wolfgang Clement, erstmals davon erfahren, dass sein Parlamentarischer Staatssekretär Rezzo Schlauch beabsichtigt, die
in der Bild vom 28. April 2003 beschriebene Amerikareise
durchzuführen, und was hat er im Lichte seiner Erkenntnisse
über den damaligen Missbrauch der als Abgeordneter des
Deutschen Bundestages aus Dienst- und Mandatsreisen entstandenen Bonusmeilen für private Zwecke durch den heutigen Parlamentarischen Staatssekretär Rezzo Schlauch vor
dessen Ernennung veranlasst?
Herr Kollege Fahrenschon, Ihre Frage - darauf
möchte ich gleich hinweisen - würde ich eigentlich ganz
anders beantworten. Da Sie Ihre Frage aber in der Form
gestellt haben, wie sie jetzt vorliegt, bekommen Sie auch
nur die Antwort, die man auf Ihre Fragestellung geben
kann.
Ich beantworte also Ihre Frage wie folgt: Die Dienstreisen der Leitung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit - Minister und Staatssekretäre - werden kontinuierlich geplant und bei verschiedenen
Gelegenheiten besprochen. Vor diesem Hintergrund besteht keine Notwendigkeit, die jeweiligen Planungsschritte datenmäßig zu erfassen. Entsprechend den internen Regelungen des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Arbeit wurde auch die Dienstreise vom Parlamentarischen Staatssekretär Schlauch rechtzeitig und ordnungsgemäß angezeigt. Es bestand für Bundesminister
Clement keine Veranlassung, vor Ernennung des ParlaParl. Staatssekretär Gerd Andres
mentarischen Staatssekretärs Schlauch Maßnahmen im
Hinblick auf künftige Dienstreisen zu treffen.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, dann wollen wir beide gemeinsam versuchen, Ihnen im Nachfrage- und Antwortspiel
die Möglichkeit zu geben, mir die Antwort zu geben, die
Sie mir gerne geben wollen.
({0})
Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht mit
Sicherheit die Frage, ob der Staatssekretär Schlauch
seine Reise von vornherein als teilweise privat deklariert
hat. Deshalb frage ich Sie ganz konkret: Kann der Parlamentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch den Nachweis erbringen, dass er vor Dienstantritt die Reise als
teilweise privat deklariert hat? Wenn ja, wer hat das abgezeichnet und genehmigt?
Erstens. Er kann den Nachweis erbringen; diesen Teil
Ihrer Frage beantworte ich mit Ja. Zweitens. Es gibt dazu
keine Genehmigung und es gibt auch keine Genehmigungsnotwendigkeit.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf das Programm der Reise. Können Sie mir erklären, welche speziellen Informationen und Probleme der Besuch der
Luftwaffenbasis Alamogordo mit sich bringt, bei dem
Eingangsgespräche mit dem Kommandanten, Briefings
und Besichtigungen der Stabsgebäude erfolgten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Staatssekretär
Rezzo Schlauch diesen Stützpunkt bereits in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Fraktion der Grünen besucht hat? Oder kann es sein, dass der Besuch dieses
Luftwaffenstützpunkts insbesondere dadurch begründet
war, dass sein Bruder in unmittelbarer Nachbarschaft
lebt?
Ich habe die Berichterstattung über diese Reise persönlich verfolgt. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung
sagen, dass auch ich, obwohl ich für arbeits- und sozialpolitische Fragen zuständig war und jetzt darüber hinaus
für Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik zuständig
bin, bei früheren Reisen Bundeswehrstützpunkte im
Ausland besucht habe. Ich halte das als Teilaspekt einer
Reise für völlig korrekt und angebracht. Es besteht vonseiten der Bundesregierung überhaupt keine Notwendigkeit, an diesem Tatbestand irgendetwas infrage zu stellen
oder zu kritisieren.
Frau Kollegin Mantel.
Eine ganz kurze Frage: Was macht der Mittelstandsbeauftragte des Wirtschaftsministeriums bei Daimler,
SAP und Motorola?
Wenn man sich das Reiseprogramm anschaut, stellt
man fest, dass die Reise aus sehr unterschiedlichen und
vielfältigen Programmpunkten bestanden hat. Einen haben wir eben schon behandelt. Ich halte es für völlig korrekt, dass sich ein Mitglied der Bundesregierung, wenn
es eine Auslandsreise unternimmt, mit sehr unterschiedlichen Tatbeständen befasst.
Ich darf Ihnen noch einmal sagen, Frau Kollegin: Ich
bin zuständig für Beschäftigungspolitik, habe aber auch
Bundeswehrstandorte besucht und sie mir angeschaut,
weil ein Vertreter der Bundesregierung natürlich nicht
nur sein eigenes Ressort oder seine Zuständigkeit vertritt, sondern auch die gesamte Bundesregierung. Ich
nehme ganz ausdrücklich diese Anleihe: Wenn man bei
früheren Besuchen in den Vereinigten Staaten mit Bundeswehrangehörigen gesprochen hat, dann wurde man
mit bestimmten Fragen konfrontiert, zum Beispiel der
Arbeitserlaubnis von Angehörigen in den Vereinigten
Staaten. Man ist auch mit anderen Fragen befasst.
Wenn der Mittelstandsbeauftragte bei einer Auslandsreise mittelständische Firmen oder Unternehmen besucht, können wir uns freundlich darüber unterhalten,
um welche Größenordnung es dabei geht. Aber wenn der
Staatssekretär aus dem Wirtschaftsministerium einen
Auslandsbesuch macht, ist es doch wohl selbstverständlich, dass er unterschiedliche Wirtschaftsunternehmen
aufsucht, die dort tätig sind, zumal wenn sie aus
Deutschland kommen.
Frau Connemann hat die nächste Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Antwort hätten Sie dem
Kollegen Fahrenschon gerne gegeben?
Frau Kollegin, ich kann immer nur auf die Fragen antworten, die gestellt worden sind. Wenn eine freundliche
Frage gestellt wird, kann man sie nur entsprechend beantworten.
Aber ich gehe in diesem Zusammenhang ein bisschen
weiter. Ich hätte ihm Folgendes geantwortet: Erstens.
Mitglieder der Bundesregierung müssen Reisen nicht
formal genehmigen lassen. Das gilt sowohl für Minister
als auch für Parlamentarische Staatssekretäre. Deswegen
gehen Fragen, die sich darauf richten, wer was wo genehmigt hat, völlig am Tatbestand vorbei.
Zweite Antwort - das bezieht sich alles auf Ihre Frage -:
Die Reise enthielt private Bestandteile.
Dritte Antwort: Die privaten Bestandteile der Reise
sind vom Parlamentarischen Staatssekretär Schlauch vor
Reiseantritt der Reisestelle des BMWA mitgeteilt worden. Falls also irgendjemand auf die Idee kommt, er
wolle das nun rechtfertigen, weil es in der Zeitung gestanden habe, liegt falsch. Es ist vorher mitgeteilt worden und es gibt einen Aktenvermerk, sodass wir alles belegen können.
Die vierte Antwort, die ich geben würde - weil man
mit solchen Themen wunderbar spekulieren kann -, ist,
dass Herr Parlamentarischer Staatssekretär Schlauch den
Bundesrechnungshof gebeten hat, seine Reise hinsichtlich des Ablaufs und der Abrechnung zu überprüfen.
Wenn der Prüfbericht des Bundesrechnungshofes vorliegt, werden interessierte Stellen das Ergebnis erhalten.
Sie werden sicherlich zugeben, dass an dem Prüfbericht
des Bundesrechnungshofes als neutraler Stelle nichts gedeutelt werden kann.
Diese Antwort hätte ich gegeben, wenn gleich am Anfang entsprechend gefragt worden wäre.
Wir dürfen aber die Antwort, die Sie jetzt gegeben haben, im Protokoll festhalten.
Deswegen habe ich diese Antwort gegeben, Herr Präsident. Ich bedanke mich ausdrücklich für den Hinweis.
Damit sind zumindest insofern alle möglichen Missverständnisse beseitigt. Für eine weitere Zusatzfrage hat
der Kollege Wellenreuther das Wort.
Herr Staatssekretär, inwieweit war der Bundeskanzler
oder das Bundeskanzleramt vorab und in welcher Form
über die Reise des Staatssekretärs Schlauch in die USA
informiert?
Falls Sie auf die Idee kommen, dass der Bundeskanzler Reisen von Staatssekretären formal genehmigen
muss oder dass dem Bundeskanzler persönlich vorher
zur Kenntnis gegeben wird, wohin die Ressortminister
oder die Staatssekretäre reisen, dann darf ich Sie beruhigen: So etwas findet nicht statt.
Selbstverständlich werden Auslandsreisen der Ressortminister und von Staatssekretären auch mit den zuständigen Abteilungen des Bundeskanzleramtes abgestimmt; das Auswärtige Amt wird einbezogen. Mit allen,
die aus politischen oder aus inhaltlichen Gründen in irgendeinem Zusammenhang mit den Reisen zu tun haben,
wird entsprechend Einvernehmen hergestellt.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Vielen Dank, Herr Andres.
Bei den zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung eingereichten
Fragen - das sind die Fragen 31 bis 36 - ist jeweils um
schriftliche Beantwortung gebeten worden.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen.
Die Fragen 37, 38 und 39 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Gitta Connemann
auf:
Trifft es zu, dass die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin des Meeresbodens innerhalb des so genannten
Küstenmeeres, 12-Seemeilen-Zone, eine Nutzung in Gestalt
der Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen von dem
Abschluss eines zivilrechtlichen Nutzungsvertrages mit etwaigen Betreiberunternehmen abhängig machen kann, und, wenn
ja, in welchen Fällen sind bereits solche Verträge geschlossen
worden?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Connemann, es trifft zu, dass die Bundesrepublik
Deutschland für die Nutzung des Küstenmeeres zur Errichtung von Offshore-Windenergieanlagen den Abschluss eines zivilrechtlichen Nutzungsvertrages durch
das Betreiberunternehmen fordert. Nur über einen Nutzungsvertrag können die Eigentümerinteressen des Bundes hinsichtlich der Errichtung und Beseitigung von Anlagen Dritter auf Bundeseigentum verbindlich geregelt
werden. Es sind bisher noch keine Verträge abgeschlossen worden, weil sich alle Offshore-Windenergieanlagen
noch im Planungsstadium befinden.
Zusatzfrage, bitte schön.
Sind Betreiberunternehmen schon im Vorfeld an die
Bundesregierung herangetreten?
Ja. Da diese Frage auch Gegenstand Ihrer zweiten
Frage ist, möchte ich sie in diesem Zusammenhang mit
beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 41 der Kollegin Gitta
Connemann auf:
Sind Betreiberunternehmen an die Bundesregierung wegen der Aufnahme von Vertragsverhandlungen herangetreten
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert
und, wenn ja, in welchem Stadium befinden sich die Vertragsverhandlungen?
Betreiberunternehmen sind im Vorfeld ihrer Planungen an die örtlich zuständigen Wasser- und Schifffahrtsämter bzw. an die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen
herangetreten. Dabei sind sie darauf hingewiesen worden, dass jeweils der Abschluss eines zivilrechtlichen
Nutzungsvertrages nach dem eingeführten Muster der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung erforderlich ist.
Konkrete Vertragsverhandlungen haben noch nicht stattgefunden.
Würde zum Beispiel die Höhe des Nutzungsentgelts
Bestandteil eines solchen Nutzungsvertrages sein?
Wir müssen in diesem Zusammenhang zwei Punkte
unterscheiden: zum einen die Nutzungsverträge und zum
anderen die möglichen Entgeltzahlungen. Das Küstenmeer steht als Seewasserstraße im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nach Art. 89 des Grundgesetzes Ressortvermögen des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Das Küstenmeer
wird von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes verwaltet, die für die Nutzung des Eigentums
Nutzungsverträge abschließt, in denen die Rechte und
Pflichten der Nutzer geregelt sind. Es geht, wie gesagt,
nicht nur um die Errichtung, sondern auch um die Beseitigung, was Sinn macht. Es ist also wichtig, dass die Eigentümerinteressen gewahrt werden.
Die WSV ist in ihrem Verwaltungshandeln an § 63
der Bundeshaushaltsordnung gebunden. Das heißt, sie
hat für eine solche Nutzung ein Entgelt zu fordern. Für
eine nach Haushaltsrecht erforderliche Ausnahmeregelung ist das Bundesministerium der Finanzen federführend zuständig, das bei Nachweis der Grenzwirtschaftlichkeit durch den Anlagenbetreiber auf ein Entgelt
verzichtet. Dieses Vorgehen ist zwischen dem BMF, dem
BMWA, dem BMU und dem BMVBW abgestimmt. Ein
Verzicht auf den Abschluss von Nutzungsverträgen
kommt dagegen nicht in Betracht.
Das heißt, wenn ein Antrag gestellt wird, wird geprüft, ob in den Vertrag eine Entgeltregelung eingearbeitet werden muss oder nicht. Das wird jeweils davon abhängig gemacht, ob eine Grenzwirtschaftlichkeit vorliegt
oder nicht.
Bitte schön.
Wie definieren Sie Grenzwirtschaftlichkeit?
Ob eine Grenzwirtschaftlichkeit besteht, unterliegt einer Prüfung. Der Investor wird sagen: Ich tätige bestimmte Investitionen und habe einen bestimmten Nutzen. Wenn ich ein Entgelt zahle, das eine bestimmte
Höhe überschreitet, dann komme ich ins Defizit, ins Minus.
Das heißt, Grenzwirtschaftlichkeit kann man nicht
allgemeingültig definieren. Einem Antrag müssen belastbare Zahlen zugrunde gelegt werden und vor diesem
Hintergrund muss geprüft werden, ob eine Grenzwirtschaftlichkeit vorliegt.
Gehört zu den potenziellen Verhandlungspartnern
bzw. Vertragsinteressenten auch ein Vertragsinteressent
betreffend das geplante Gebiet Borkumer Riffgat?
Darüber kann ich Ihnen nichts sagen. Ich habe ausgeführt, dass noch keine konkreten Verhandlungen stattgefunden haben. Wenn Sie nach potenziellen Vertragspartnern fragen, so muss ich feststellen: Ich kann mir viele
vorstellen; aber ich kann in keinem Einzelfall sagen,
dass das einer sein oder nicht sein könnte. Das wird auf
die Antragstellung ankommen. Einen Antrag stellen
kann potenziell jeder.
Weitere Fragen liegen nicht vor.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Bis zum
Beginn der Aktuellen Stunde unterbreche ich die Sitzung
bis 15.30 Uhr.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Situation im Hinblick auf das akute Atemwegssyndrom ({0}) in der Bundesrepublik
Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
Grünen haben diese Aktuelle Stunde beantragt.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort für die Bundesregierung die Parlamentarische
Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Thema SARS ist ein Thema, das die Menschen in Europa und weltweit derzeit intensiv beschäftigt. Uns erreichen viele Anfragen, weil große Verunsicherung darüber
besteht, was die tatsächlichen Risiken sind und wie wir
ihnen begegnen können; von der Bundesregierung werden verlässliche Zahlen und Strategien angefordert. Außerdem erreichen uns momentan viele Anfragen insbesondere von Industrieunternehmen, weil in Frankfurt
eine große Messe, die ACHEMA, ansteht.
Wir können festhalten, dass neue Krankheiten und deren Risiken vor Grenzen nicht Halt machen. Aus diesem
Grund stellt sich die Frage nach den Gefahren durch Infektionen verschärft. Wir befassen uns derzeit nicht nur
mit dem Thema SARS. Wir beschäftigen uns im zuständigen Ausschuss auch mit dem Thema Geflügelpest in
den Niederlanden. Auch dies ist eine Herausforderung.
Daher müssen wir uns immer vor Augen führen, wie die
Gefährdungssituation in Deutschland aussieht und welche Maßnahmen und Strategien erforderlich sind.
Inzwischen breitet sich SARS - das schwere akute
respiratorische Syndrom - weiter aus. Nach aktuellen
WHO-Angaben haben sich bis zum heutigen Tage weltweit 6 727 Menschen infiziert, 478 Personen sind an
SARS bereits gestorben. Betroffen sind derzeit
30 Länder, am stärksten China mit Hongkong, Taiwan
und Singapur mit fast 95 Prozent aller bekannten Fälle.
Deshalb unterstützt die Bundesrepublik China bei der
Behandlung von SARS-Patienten mit der Beschaffung
von medizinischem Gerät im Wert von 10 Millionen
Euro. Es war ein ausdrücklicher Wunsch der chinesischem Regierung, dass Deutschland bei der Beschaffung
von Röntgengeräten und bei der logistischen Unterstützung hilft. Das haben wir sehr schnell getan.
Die Identifizierung und genetische Analyse des Erregers wurde durch eine weltweite Kraftanstrengung in extrem kurzer Zeit geleistet. Derzeit werden verschiedene
Testverfahren eingesetzt, so auch ein Verfahren, das vom
Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg entwickelt wurde.
Die WHO gibt eine wahrscheinliche Sterblichkeitsrate von 5 bis 6 Prozent an. Einer aktuellen englischen
Studie zufolge kann sie mit bis zu 13 Prozent deutlich
höher liegen. Allerdings müssen wir die Ergebnisse dieser Studie, die entsprechend publiziert wurde und auch
durch die Regenbogenpresse ging, mit großen Fragezeichen versehen, weil diese von den deutschen Forschern
nicht bestätigt werden konnten. Die britische Studie legt
mit einem Sterblichkeitsrisiko von 40 Prozent bei den
über 60-Jährigen sehr dramatische Ergebnisse vor. Deswegen melden wir deutliche Zweifel an. Bei allem, was
wir bislang wissen, können wir diese hohe Zahl nicht bestätigen. Natürlich sind die Risiken nicht zu unterschätzen, weil wir derzeit weder über ein Impfverfahren noch
über eine gezielte Therapie verfügen. Daher müssen wir
uns den klassischen Aufgaben der Seuchenbekämpfung
widmen und den internationalen Austausch intensivieren.
In Deutschland sind bisher acht wahrscheinliche Fälle
und 38 Verdachtsfälle registriert worden. Auch dies ist
der Stand vom heutigen Tag. Sämtliche Meldungen über
SARS-Verdachtsfälle werden beim Robert-Koch-Institut zusammengeführt. Das Robert-Koch-Institut hat unter anderem Falldefinitionen für die Identifizierung von
Erkrankungsfällen erarbeitet und Empfehlungen für den
Umgang mit SARS-Verdachtsfällen sowie die SARSDiagnostik veröffentlicht. Daneben stellt es Referenzmaterial für die Laboratorien zur Verfügung, um bei einem
Verdachtsfall sicher beurteilen zu können, ob es sich tatsächlich um das Virus handelt.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich auf die
Möglichkeit hinweisen, sich zeitnah und umfassend auf
der entsprechenden Internetseite des Robert-Koch-Instituts zu informieren. Wir haben das Robert-Koch-Institut
veranlasst, speziell für Messebesucher die Informationen
zu aktualisieren und Hinweise zu geben, weil uns insbesondere aus diesem Bereich zurzeit sehr viele Anfragen
vorliegen.
Alle erforderlichen Mittel zur Erkennung und zum
Management von SARS-Fällen durch die lokalen Gesundheitsbehörden und Institutionen wurden somit durch
die Bundesregierung bereitgestellt. Wirksame Maßnahmen gegen SARS sind die schnelle Identifizierung von
Infektionsfällen und die Vermeidung von Folgeinfektionen durch entsprechende seuchenhygienische Maßnahmen, das heißt durch Quarantäne, Identifizierung, Lokalisierung und vor allen Dingen auch prophylaktische
Maßnahmen.
Auch die Aufklärung und Information von Reisenden
aus betroffenen Gebieten sind wesentliche Maßnahmen.
Antragstellern für deutsche Visa werden Informationsmaterialien bereits in der jeweiligen Botschaft bei Antragstellung ausgehändigt. Das Bundesministerium für
Gesundheit und Soziale Sicherung und das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sind
gemeinsam an die Fluglinien herangetreten und haben
um die Verteilung von Informationen schon während des
Flugs gebeten.
Parallel zu unserer Plenarsitzung findet auf Initiative
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen heute in Frankfurt eine Konferenz statt, die
sich mit SARS im internationalen Reiseverkehr beschäftigt. Das Auswärtige Amt gibt der WHO folgend Reiseempfehlungen. Darüber hinaus hat das Auswärtige Amt
allgemeine Hinweise zu SARS für Reisende veröffentlicht.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung sieht für Deutschland derzeit keine akute Gefahr durch SARS. Dennoch hat unser Haus das RobertKoch-Institut beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, um
Deutschland nachhaltig vor SARS zu schützen. Es gilt,
die Schutzmaßnahmen entsprechend dem wachsenden
Kenntnisstand weiterzuentwickeln und Behandlungsformen sowie später eine Impfstrategie zu entwerfen. Europa ist bisher nur mit weniger als 1 Prozent der SARSErkrankungsfälle betroffen. Trotzdem wird die Bedrohung in der Europäischen Union sehr ernst genommen.
So fand gestern eine Sondersitzung des Rates der Gesundheitsminister zu diesem Thema in Brüssel statt.
Deutschland strebt eine gemeinsame Strategie und ein
einheitliches Vorgehen bei den seuchenhygienischen
Maßnahmen an. Wir haben uns darüber hinaus dafür eingesetzt, dass wir auf europäischer Ebene ein Netzwerk
von Kompetenzzentren der einzelnen Staaten einrichten
und die Zusammenarbeit verbessern.
Der Erlass von Einreisebeschränkungen und die
Durchführung von Gesundheitsuntersuchungen aller
Reisenden aus den betroffenen Gebieten auf den Flughäfen werden derzeit nicht erwogen. Dies war ein Vorschlag Italiens, dem alle anderen Länder innerhalb der
EU aus der Überlegung heraus, dass dadurch eine falsche Sicherheit suggeriert würde, nicht gefolgt sind. Wir
wissen heute, dass die Inkubationszeit länger ist, als ein
Flug dauert. Wenn man eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung aller Reisenden durchführen würde, würden
sich alle fälschlicherweise in Sicherheit wiegen, weil davon ausgegangen würde, dass jemand nicht infiziert ist,
wenn momentan kein Verdacht vorliegt. Dies lässt sich
jedoch aufgrund unseres Kenntnisstandes nicht mit Sicherheit sagen. Diese Einschätzung wurde von den europäischen Gesundheitsministern auf der Sondersitzung
bestätigt.
Darüber hinaus haben wir darüber beraten, die Forschung und Entwicklung von diagnostischen Tests, antiviralen Medikamenten und eines Impfstoffs gegen
SARS finanziell zu unterstützen. Die Kommission
wurde beauftragt, in diesem Sommer erste entsprechende Schritte einzuleiten und Vorschläge zu unterbreiten. Angesichts der Bedrohungssituation halten wir es
für vernünftig, dass gerade bezüglich der Impfstrategie
und der gemeinsamen diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen eine europäische Strategie entwickelt wird; denn es würde wenig Sinn machen, dieses
national allein zu entwickeln.
Deshalb war es richtig, statt der Einrichtung eines
neuen Zentrums für Krankheitsprävention und -kontrolle
- dies war der erste Vorschlag der Kommission - zu prüfen - das war der Vorschlag der Bundesrepublik -, wie
man die derzeitigen Kompetenzzentren virtuell vernetzen kann, wie man eine europäische Struktur und Kooperation schaffen kann, ohne eine neue europäische Behörde ins Leben zu rufen. Denn bis zur Aufnahme ihrer
Arbeit würde dies eine Lücke hinterlassen, weil sich jeder auf den anderen verließe. Ein solches Vorgehen hätte
das Risiko beinhaltet, dass die nationalen Anstrengungen
nicht in diesem Umfang wahrgenommen würden.
Wir müssen auf die globalen Herausforderungen national, europäisch und global antworten. Wir tun dies
durch Unterstützung der betroffenen Staaten, wie ich das
am Beispiel Chinas verdeutlicht habe, und mit der Verstärkung der Kooperation.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Es gibt eine Fülle von aktuellen Problemen in Deutschland: Die Arbeitslosigkeit im April ist seit der Wiedervereinigung auf dem höchsten Stand. Das Wirtschaftswachstum in unserem Land ist besorgniserregend
niedrig. Unser System der sozialen Sicherung kollabiert.
Die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung sind so hoch wie nie und steigen ständig weiter. Die
Kassen sind dramatisch verschuldet.
({0})
- Herr Kollege, es gibt wirklich viele Probleme in
Deutschland. SARS gehört - Gott sei Dank - aktuell
nicht dazu.
({1})
Die Bundesregierung hat gestern betont, dass es für
Deutschland keine akute Bedrohung durch SARS gibt.
Auch das Robert-Koch-Institut bestätigt, dass der Infektionsschutz in Deutschland durch die gute Zusammenarbeit der zuständigen Behörden der Bundesländer und der
Gesundheitsämter vor Ort hervorragend ist. Das Drängen der SPD, heute in einer Aktuellen Stunde das wichtige Thema SARS zu debattieren, ist ein politisches Ablenkungsmanöver. Die Hiobsbotschaft des heutigen
Tages lautet: 4,5 Millionen Menschen in Deutschland
sind arbeitslos. Das ist das eigentliche Thema des Tages.
({2})
Wenn Sie politisch nicht weiter wissen, dann versuchen Sie gern, andere Themen in den Vordergrund zu
stellen. Es ist noch gar nicht lange her, dass Sie außenpolitische Fragen beantwortet haben, die überhaupt kein
Mensch gestellt hat. Der Verdacht kommt auf, dass Sie
auch diese Debatte wieder instrumentalisieren, dass Sie
die Sorgen und Ängste der Menschen nutzen, um von
anderen Dingen abzulenken. Der Stellenwert dieses Themas zeigt sich darin, dass die Bundesgesundheitsministerin heute Wichtigeres zu tun hat, als an der Debatte
teilzunehmen. Sie besucht eine Regionalkonferenz der
SPD, um für Mehrheiten im eigenen Lager zu sorgen.
({3})
Die Emotionalisierung von Politik ist schon bei der Flutkatastrophe nicht gelungen. Die aktuellen Probleme in
unserem Land bleiben.
({4})
Die Lungenkrankheit SARS bereitet den Menschen
Sorge und macht ihnen Angst. Wir alle sollten diese
Angst ernst nehmen. Mittlerweile hat der SARS-Erreger
neben China einschließlich Hongkong, Singapur und
Kanada ein weiteres bevölkerungsreiches Land, nämlich
Indien, erreicht. In solchen unterentwickelten und überbevölkerten Ländern könnte der Erreger als eine Art infektiöse Streubombe explodieren. Das Verhalten der chinesischen Behörden hat diesem Erreger überhaupt erst
den Weg geebnet. Durch Vertuschung und Verschweigen
hat man in Kauf genommen, dass sich dieser Erreger
verbreitet.
Dieser Erreger ist eine klare Herausforderung für die
Forschung und die Arzneimittelindustrie. Die deutschen
Ärzte und Chemiker haben sich in den letzten Wochen
und Monaten große Verdienste erworben. Aber dieser
Erreger ist auch eine große Herausforderung für die Politik. Wir stehen in der Pflicht, die Forschung zu unterstützen, und zwar durch die Bereitstellung von Haushaltsmitteln. Jede Kürzung im Bereich von Gesundheit,
Bildung und Forschung, die Sie im Haushalt 2003 vorgenommen haben, schlägt auf uns zurück.
({5})
In unserer Regierungszeit haben wir - es wurde zu Ihrer Regierungszeit umgesetzt - ein Infektionsschutzgesetz initiiert. Gerade angesichts der zentralen Rolle des
Robert-Koch-Instituts und der guten Kooperation zwischen dem Bund und den Länderbehörden bietet es gute
Voraussetzungen.
Es gibt noch andere Seuchengefahren. Ich nenne neben SARS eine weitere, nämlich die Geflügelpest, die
sich direkt vor unserer Haustür ausgebreitet hat. Auch
der Erreger der Geflügelpest kommt aus dem Tierreich
und kann zu einer extremen Gefahr für die Bevölkerung
werden, wenn er auf den Menschen überspringt.
Es ist wichtig, die Frage zu stellen, ob das zuständige
Robert-Koch-Institut sowohl personell als auch finanziell überhaupt so ausgestattet ist, dass es den gewachsenen Anforderungen gerecht werden kann. Es ist schon so
weit, dass in einem Schreiben des im Gesundheitsministerium zuständigen Staatssekretärs an den Vorsitzenden
des Gesundheitsausschusses erläutert wird, dass das RKI
seinen Aufgaben wegen der fehlenden Mitarbeiter gar
nicht mehr gerecht werden kann. Die Mitarbeiter müssen
einen selbstlosen Einsatz erbringen, weil Sie die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung stellen. Damit sind
wir in einer sehr schwierigen Situation.
Als wir das Infektionsschutzgesetz verabschiedet haben, war zwischen der Bundesregierung und uns klar,
dass es mehr Stellen bedarf. Das Finanzministerium hat
45 zusätzliche Stellen zugestanden. Sie wissen ganz genau, dass Sie diese Zahl bis heute nicht erfüllt haben. Sie
haben dem Robert-Koch-Institut gerade einmal 28 zusätzliche Stellen zugestanden und die auch noch mit dem
Vermerk kann wegfallen versehen.
Wir brauchen keine schönen Reden, sondern wir
brauchen endlich Taten in diesem Land. Wir müssen die
Grundlagen, nämlich die Finanzen unseres Staates, in
Ordnung bringen. Nur dann sind wir in der Lage, die Herausforderungen solcher Seuchen wie SARS bewältigen
zu können. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Wir brauchen Taten statt Worte.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Selg vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! SARS, auch Sars genannt, ein schweres akutes respiratorisches Syndrom, ist eine Atemwegserkrankung. Wir machen Taten, nicht nur Worte; Sie hingegen
blasen nur heiße Luft in den Raum.
Seit November 2002 breitet sich SARS rasant aus, vor
allem in China einschließlich Hongkong und in Taiwan.
Wir lesen in den Medien täglich andere Meldungen über
die Zahl der Erkrankten und Verstorbenen. Deshalb lese
ich keine Zahlen vor. Zwischenzeitlich sind die Informationen und vor allem der Umgang mit der Erkrankung
besser geworden, woran vor allem auch Deutschland einem großen Anteil hat.
Der Virus konnte sich dort vor allem deshalb so rasant
ausbreiten, weil die Gesundheitsvorsorge vor Jahren dort
aufgegeben wurde. Das ist eine ideale Brutstätte für Seuchen. Wir werden, Frau Widmann-Mauz, gerade die Gesundheitsvorsorge in Deutschland weiterhin stärken, was
Sie jahrelang versäumt haben. Deswegen ist der Vergleich mit Deutschland, was diese schwere Krankheit
betrifft, an den Haaren herbeigezogen.
Diese Aktuelle Stunde ist keineswegs ein Ablenkungsmanöver. Wir wollen damit auch verhindern, dass
in Zukunft so unsinnige Debatten, wie Sie sie im Zusammenhang mit der möglichen Pockengefahr angezettelt
haben, geführt werden. Deshalb informieren wir heute
rechtzeitig und sachbezogen.
({0})
Im Moment sind 26 Länder betroffen. In Deutschland
sind wahrscheinlich sieben Fälle bekannt, es gibt
34 Verdachtsfälle. EU-weit ist das bisher 1 Prozent. Die
Frau Staatssekretärin hat schon gesagt, dass es gestern in
Brüssel ein Treffen der Gesundheitsminister gab. Es
wird ein einheitliches Vorgehen geben. Wir haben den
Ernst der Lage erkannt. Gleichwohl besteht nach wie vor
kein Grund zur Panik in Deutschland. Man sollte vielleicht Reisen, vor allem in die betroffenen Gebiete, daraufhin überprüfen, ob sie notwendig sind. Das ist aber
keine Warnung, sondern eine Empfehlung. Panik ist in
solchen Fällen fehl am Platz, wenn Sie sie auch gerne
heraufbeschwören. Auch wenn etwa die Sommergrippe
in Deutschland auftritt, muss man nicht immer gleich
SARS befürchten.
Information und Aufklärung waren uns immer wichtig. Deswegen werden die Fluggäste aus den besonders
betroffenen Ländern informiert, aber nicht kontrolliert.
Verstärkte Einreisekontrollen sind aufgrund des Verlaufs
der Krankheit und der Inkubationszeit nicht unbedingt
sinnvoll. Wir haben in Deutschland einen hervorragenden Hygienestandard, wir haben einzigartige Seuchenschutzmaßnahmen und wir haben erstklassig ausgebildetes medizinisches und pflegerisches Personal, welches
nach den Vorgaben und Empfehlungen des RobertKoch-Institutes arbeitet. Darüber hinaus gibt es eine gute
Zusammenarbeit mit den Ländern. Die Forschung über
Krankheitserreger und die Erforschung und Entwicklung
von Impfstoffen gegen diese Viren stehen an erster
Stelle.
SARS wird in den Medien zurzeit gerne als die Seuche des 21. Jahrhunderts beschrieben. Die Schlagzeilen
übertreffen sich: China hält den Atem an oder Wettlauf mit dem Lungenfieber. Ich halte das alles nicht für
sinnvoll. Es gab schon viele große Seuchen, ob Aids,
Ebola oder die derzeitige Geflügelpest in den Niederlanden; SARS wird nicht die letzte Seuche in diesem Jahrhundert sein. Wir müssen in unserer globalisierten Welt
vielleicht in Zukunft unser Reiseverhalten überdenken.
Ich hoffe aber, dass wir auch zukünftig mit solchen sachlichen und der Aufklärung dienenden Debatten weitaus
mehr dazu beitragen - ({1})
- Sie können gerne mit Rezzo Schlauch reden. Das ist sicherlich kein Problem. Tun Sie das, wenn Sie damit ein
Problem haben! Das ist eines der Ablenkungsmanöver,
die Sie gerne inszenieren. Das war auch schon so bei der
Debatte über die Pocken, mit der Sie uns im Ausschuss
immer wieder genervt haben, oder bei anderen Debatten,
die Sie im Bundestag immer wieder anzetteln.
Ich wünsche mir, dass wir in der weiteren Debatte
über SARS sachlich und dem Thema angemessen vorgehen und dass Sie Ihr Kindertheater unterlassen.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Heinrich L. Kolb
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, man kann mit Blick auf die Bedrohung durch das
akute Atemwegssyndrom in Deutschland von einer gespannten Ruhe sprechen. Es ist allerdings eine Ruhe
bzw. eine Situation, die jederzeit kippen kann. Ich habe
das in der vergangenen Woche in meinem Wahlkreis
hautnah erleben müssen - der Kollegin Ober ist der Fall
auch bekannt -, als eine Lehrerin, die in den Osterferien
in China war - sie war allerdings nachweislich nicht in
Gebieten unterwegs, in denen mit einer Ansteckungsgefahr zu rechnen war -, auf Druck der Elternschaft für
zehn Tage vom Schuldienst suspendiert werden musste,
weil andernfalls ein Schulstreik der Eltern und Schüler
angedroht wurde.
Die fast schon hysterische Reaktion, die an dieser
Schule zu beobachten war, gibt eine Ahnung von dem,
was in unserem Lande passieren könnte, wenn eine größere Zahl solcher Verdachtsfälle zu verzeichnen wäre.
Pikant ist übrigens, dass der Sprecher der Elternschaft
auf dem Frankfurter Flughafen - eine Umgebung, in der
die Infektionsgefahr sicherlich auch nicht als gering anzusehen ist - arbeitet.
Vor diesem Hintergrund ist wohl nichts dagegen einzuwenden, dass wir über dieses Thema im Deutschen
Bundestag im Rahmen einer Aktuellen Stunde diskutieren. Entscheidend ist aber die Art und Weise, wie wir das
tun. Wir sollten über das Thema unaufgeregt und keinesfalls marktschreierisch diskutieren.
Ich will allerdings eines anmerken: Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns vor der Diskussion im Plenum
auch im zuständigen Fachausschuss mit dieser Frage befasst hätten.
({0})
Auf Anregung der FDP im gestrigen Obleutegespräch
sollte das Thema heute unter dem Punkt Verschiedenes behandelt werden; dazu ist es aber aus Zeitgründen
nicht gekommen.
Wir sollten über das Thema, wie gesagt, nicht marktschreierisch - sozusagen auf dem öffentlichen Marktplatz - diskutieren, sondern im zuständigen Fachgremium, in dem auch konkrete Maßnahmen erörtert
werden können.
Wir sind uns darin einig, dass in Deutschland derzeit
keine akute Gefahr für den Ausbruch von SARS besteht.
Aber es besteht sicherlich eine latente Gefahr. Die
Krankheit kann jederzeit auf Deutschland übergreifen.
Dass das bisher nicht geschehen ist, ist wohl zu einem
großen Teil Glück.
Wir sollten versuchen, diese bislang glückliche Entwicklung durch konkretes, zielgerichtetes Vorgehen zu
verstärken. Hierbei ist insbesondere auch die Europäische Union gefordert. Die Staatssekretärin hat bereits
das Sondertreffen der EU-Gesundheitsminister in Brüssel angesprochen. Es geht meines Erachtens nicht an,
dass Reisende aus China je nach ihrem europäischen
Zielflughafen - Rom, Brüssel oder Frankfurt - unterschiedlich behandelt werden. Wenn der EU-Gesundheitskommissar David Byrne beklagt, dass bei Ausbruch
einer Tierseuche umgehend die europäischen Grenzen
geschlossen würden, dass ihm aber bei Ausbruch einer
die Menschen gefährdenden Seuche die Hände gebunden seien, dann zeigt das, wie dringend notwendig ein
koordiniertes Vorgehen auf europäischer Ebene ist.
Ich denke, dass angesichts der akuten Bedrohung
durch die Krankheit SARS die von Byrne seit mehr als
einem Jahr erhobene Forderung nach Errichtung eines
europäischen Zentrums zur Bekämpfung von Seuchen
und Infektionskrankheiten einen neuen Schub bekommt.
Sicherlich muss auf europäischer Ebene Arbeit geleistet werden. Wir müssen aber auch auf der nationalen
Ebene Aufklärung betreiben. Angst entsteht letztendlich
immer aus Unwissenheit und Uninformiertheit. Das von
mir eingangs beschriebene Beispiel einer hysterischen
Reaktion zeigt doch, dass es hier erheblichen Nachholbedarf gibt.
Man muss aber ganz nüchtern feststellen: Die Gefahr,
dass sich ein Kind mit einem Grippevirus ansteckt, ist
nach wie vor weitaus größer als das Risiko, sich mit
SARS zu infizieren. Manche Fragen, die jetzt gestellt
werden, erinnern ein bisschen an die Situation vor
20 Jahren, als die Aids-Diskussion das Land in Unruhe
versetzte. Damals wurde beispielsweise gefragt, ob man
sich im Schwimmbad infizieren könne, wenn zuvor ein
Aids-Kranker im Wasser gewesen sei. Natürlich kann
man das nicht. Auch heute muss man einen Beitrag zur
Versachlichung der Diskussion leisten, indem man ganz
nüchtern auf mögliche Infektionswege hinweist.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass mich neuere Erkenntnisse beunruhigen, wonach geheilte SARS-Patienten weiter ansteckend sein können und sich das SARSVirus rasch verändert. Das deutet auf ein erhöhtes Risiko
hin. Der Erfinder des Schnelltestes - er arbeitet im
Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg - hat heute im
Frühstücksfernsehen darauf hingewiesen, dass man erst
in ein bis drei Jahren abschließend sagen könne, ob es
gelungen sei, das Risiko, sich mit SARS zu infizieren, zu
minimieren.
Es gibt außerdem - das wird in der Diskussion sicherlich noch eine Rolle spielen - auch erhebliche wirtschaftliche Risiken. Gerade eine exportorientierte Nation
wie Deutschland, die internationalen Austausch quasi
zum Leben benötigt, ist sehr anfällig. Ich wage mir nicht
vorzustellen, was wäre, wenn sich in Deutschland - ähnlich wie in Kanada - die Zahl der SARS-Fälle häufte und
das öffentliche Leben zum Erliegen käme.
Das alles zeigt, dass wir aufmerksam sein und bleiben
müssen. Aber wir sollten unaufgeregt zu Werke gehen.
Ich wünsche mir sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, dass wir schon sehr bald auch im
Fachausschuss - möglicherweise auf einen gemeinsamen Antrag hin - initiativ werden.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Helga Kühn-Mengel
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Widmann-Mauz, Sie versuchen heute einmal
mehr, diese Aktuelle Stunde für Negativmeldungen zu
nutzen. Dem möchte ich Folgendes entgegensetzen: Wir
haben in der letzten Legislaturperiode - dieses Gesetz
hätten Sie in Ihrer langen Regierungszeit längst verabschieden können - das modernste Infektionsschutzgesetz
über alle Hürden gebracht.
({0})
Dr. Wodarg hat daran entscheidend mitgewirkt.
({1})
Deutschland ist eines der wenigen Länder mit wachsendem Forschungsetat. Auch das sollte einmal Erwähnung finden. Wir haben des Weiteren, auch wenn uns die
Arbeitslosenzahlen bedrücken, die höchste Erwerbsquote in diesem Land. Auch das muss gesagt werden.
Wir sind im Übrigen die erste Regierung, die endlich
eine durchdachte Strukturreform im Gesundheitswesen
zustande bringt.
({2})
Sie haben die Patientinnen und Patienten nur belastet.
({3})
Deutschland ist im Übrigen auch Exportweltmeister.
({4})
Des Weiteren reisen die Deutschen am meisten. Das
heute zur Diskussion stehende Thema hat insofern auch
etwas damit zu tun.
SARS ist - das ist schon gesagt worden - die erste
große Epidemie dieses Jahrhunderts. Mittlerweile sind in
28 betroffenen Ländern viele Menschen gestorben. In
Deutschland - die Frau Staatssekretärin hat bereits darauf hingewiesen - gibt es 38 Verdachtsfälle und acht infizierte Personen. Es ist natürlich beunruhigend, dass
SARS - die Infiziertenzahlen steigen ständig - besonders in China einschließlich Hongkong wütet, Menschenleben fordert sowie das öffentliche und wirtschaftliche Leben in den dortigen Metropolen lahm legt und
die Bevölkerung in den Metropolen verunsichert. Wir
hätten - das erwähne ich nur am Rande - im Gesundheitsausschuss darüber reden können, wenn uns die Opposition nicht mit einer Diskussion über die Geflügelpest
aufgehalten hätte.
({5})
Die Konsequenz für Europa und insbesondere für
Deutschland aus den Entwicklungen in den asiatischen
Ländern ist klar: Es muss alles unternommen werden,
um ein Einschleppen dieser Krankheit auch in Zukunft
zu verhindern. Dabei haben die Organe und Institutionen des Bundes - das muss an dieser Stelle ausdrücklich
betont werden - in der Vorsorge und in der Aufklärung
einen klaren Weg beschritten, und zwar zügig und adäquat. Die SARS-Hotline ist beim Robert-Koch-Institut
angesiedelt worden. Sie informiert in verständlicher
Form und aus erster Hand über die Erkrankung. Ebenso
sind die Beschreibung der Erreger und der Symptome,
die Erstellung von Reisehinweisen und die enge Zusammenarbeit mit den Fluglinien, die Flüge in die Risikoregionen anbieten, sehr schnell und koordiniert durchgeführt worden. All das war richtig. Dieser Weg muss
weiter verfolgt werden.
Es ist ebenfalls richtig, dieses Problem auf europäischer Ebene zu behandeln. Die Staatssekretärin hat in
diesem Zusammenhang den EU-Netzwerk-Ausschuss
für übertragbare Krankheiten erwähnt. Wir wissen aus
der Vergangenheit, dass wir bei der Bekämpfung von
Menschen- und Tierseuchen im Bedarfsfall nicht zögern
dürfen und auch über die Grenzen hinweg zusammenarHelga Kühn-Mengel
beiten müssen, um gemeinsam Präventionsmaßnahmen
zum Schutz der Bevölkerung zu ergreifen.
Die WHO hat sich auf diesem Gebiet eingebracht.
Die Bundesrepublik arbeitet eng mit ihr zusammen. Das
Zusammenspiel von Fachkompetenz vor Ort und in den
Laboren ist ausdrücklich zu begrüßen und wird durch die
Regierungskoalition weiter aktiv unterstützt.
Der konkrete Umgang mit Verdachtsfällen in
Deutschland ist von extremer Wichtigkeit. Aufklärung,
medizinische Untersuchung von potenziell Infizierten
und die Organisation von Quarantänemaßnahmen sind
wichtige Bereiche, in denen der öffentliche Gesundheitsdienst zum Zuge kommt. Die Zahlen des Statistischen
Bundesamtes belegen - das muss betont werden -, dass
die Mittel für den öffentlichen Gesundheitsdienst seit
1992 kontinuierlich zusammengestrichen wurden. Wir
brauchen den öffentlichen Gesundheitsdienst für die angesprochenen Aufgaben, aber auch für andere wichtige
öffentliche Aufgaben. Insofern muss man sagen: Der öffentliche Gesundheitsdienst wird in Krisenzeiten nicht
nur gebraucht, sondern auch auf seine Schlagkraft getestet. Wir sollten ihn im Auge behalten.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Spahn von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Kühn-Mengel, aus Ihrer Einleitung könnte man den Eindruck gewinnen, wir hätten diese Aktuelle Stunde beantragt.
({0})
Sie waren es doch, die dieses Thema auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben. Sie sind diejenigen, die mit
dem Thema dieser Aktuellen Stunde von anderen Dingen ablenken möchten und die suggerieren, dass für
Deutschland Handlungsbedarf bestehe und dass wir uns
mit diesem Thema anstatt mit anderen beschäftigen
müssten. Sie hätten, wenn es tatsächlich um Information
ginge, schon im Ausschuss entsprechend handeln können. Wir haben vor Ostern beantragt, darüber zu sprechen. Es ist unter dem Punkt Verschiedenes kurz darüber gesprochen worden; allerdings ist der Beratung des
Themas im Nachhinein zu wenig Raum gewährt worden.
({1})
Ich möchte noch ein Wort zu dem Gesetz, das Sie gerade ansprachen, sagen. Als dieses Gesetz hier verabschiedet wurde, hat Herr Wodarg selbst die ehemalige
Staatssekretärin Bergmann-Pohl dafür gelobt, dass die
Initiative von der CDU/CSU-Fraktion ausgegangen sei.
({2})
Daher ist dieses Maß an Selbstbeweihräucherung, das
Sie hier gerade betrieben haben, nicht angebracht.
({3})
Dieses Thema - ihm ist in den letzten Wochen verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt worden; der erste Verdachtsfall war im November 2002 - hat sicherlich viel
Unsicherheit, Ängste und Sorgen hervorgerufen; Herr
Kolb hat eben ein Beispiel geschildert, über das auch in
den Medien berichtet worden ist. Es ist sicherlich wichtig, über dieses Thema sachlich zu sprechen. Das sollte
aber, wie gesagt, zuerst im Ausschuss oder woanders
und nicht in einer Aktuellen Stunde geschehen. Wenn
das nämlich geschieht, dann wird etwas suggeriert, was
es gar nicht gibt.
Alles in allem können wir in drei Bereichen Handlungsbedarf feststellen:
Zum Ersten brauchen wir mehr Forschung und Vorsorge in diesem Bereich. Von der Kollegin WidmannMauz ist gerade schon angesprochen worden: Das
Robert-Koch-Institut ist für seine Aufgaben ganz offensichtlich nicht hinreichend ausgestattet; in der letzten
Zeit wird es immer öfter gefordert. Ganz grundsätzlich
müssen wir uns zum Beispiel mit der Frage beschäftigen, wie es dazu kommt, dass die Mensch-Tier-Barriere
immer öfter von Viren übersprungen wird. Der Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hatte meines Wissens heute einen Virologen zur
Thematik der Geflügelpest zu Gast. Von daher ist Ihr
Einwurf von vorhin, wir hätten mit der Geflügelpest verhindert, dass das andere Thema behandelt worden ist
- allein die Formulierung! -, eher skandalös zu nennen,
Frau Kühn-Mengel.
({4})
Es geht zweitens um Vorsichtsmaßnahmen. Natürlich
sind solche Maßnahmen zu treffen, auch wenn wir in
Deutschland aktuell nicht betroffen sind. Da geht es um
Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes und des
Robert-Koch-Institutes; solche gibt es ja. Es geht darum,
Verdachtsfällen gründlich nachzugehen und im Zweifel
noch sicherer zu gehen, als wir es vielleicht tun müssten.
Aber wir dürfen auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Im Internet lese ich, dass es mittlerweile hier in
Deutschland Angebote für Mundschutz gibt. Mundschutz wird zu einem Preis von 2,99 Euro angeboten. Da
wird an der einen oder anderen Stelle in der Öffentlichkeit und auch von den Medien unnötig Hysterie erzeugt.
Wichtig ist drittens gemeinsames europäisches Handeln. Ich möchte die Regierung, Frau Staatssekretärin,
ausdrücklich unterstützen, wenn es um die Frage der Zuständigkeit geht. Sicherlich ist es wichtig, dass wir die
Arbeit der einzelnen Nationalstaaten in diesem Bereich
vernetzen, aber wir dürfen dazu nicht eine Stelle, ein
Amt oder sonst irgendetwas auf europäischer Ebene
schaffen - das haben Sie, Herr Staatssekretär Schröder,
glaube ich, auch gesagt -; denn das, was damit von
Kommissar Byrne letztlich beabsichtigt ist, ist einmal
mehr, einen Fuß in die Tür zu bekommen, um Kompetenzen im Bereich des Gesundheitswesens auf die europäische Ebene zu ziehen. Sie müssen aber auf jeden Fall
auf der nationalen Ebene bleiben.
({5})
Ich möchte zum Abschluss noch auf folgenden Punkt
eingehen: Der Umstand, dass diese Seuche von ihrem
Herd in Südchina aus mittlerweile zu Verdachtsfällen in
Toronto, in Frankfurt, in Bogotá und Taiwan geführt hat,
zeigt, dass Globalisierung und zunehmende Vernetzung
nicht nur wirtschaftliche Aspekte haben, sondern auch
mit ganz anderen Aspekten verbunden sind. Umso unverantwortlicher ist es - das muss deutlich gesagt werden, nicht zuletzt von der Bundesregierung, so wichtig
es auch ist, dass sie finanzielle Unterstützung leistet -,
wie die chinesische Staatsführung mit diesem Thema
umgegangen ist und wie sie es wochen- und monatelang
unterdrückt hat. Sie ist nur sehr intransparent vorgegangen.
Das bedeutet: mehr Zusammenarbeit in der EU - das
habe ich gerade schon gesagt -, sicherlich aber auch in
der WHO. Ich hoffe und wünsche, dass es gelingt, diese
erste neue Infektionskrankheit des 21. Jahrhunderts, wie
sie in den Medien oft genannt wird, einzudämmen, ihrer
Herr zu werden und vor allem zu verhindern, dass sie
uns in Deutschland erreicht.
({6})
Das Wort hat nun die Kollegin Birgitt Bender von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist beruhigend zu sehen, dass es in wesentlichen Bereichen
zwischen Opposition und Regierung doch Einigkeit gibt.
Herr Spahn, ich stimme Ihnen ausdrücklich darin zu,
dass die Erfahrung mit SARS auch ein Lehrstück zur
Umgangsweise mit einer solchen Krankheit ist, insbesondere auch zur Frage von Demokratie und Transparenz. Genau diese sind nämlich in China nicht gegeben.
Dort haben sich die örtlichen Funktionäre nicht getraut,
die Informationen über den Ausbruch der Krankheit weiterzugeben, weil sie Angst vor Repressalien der nächsten
Ebene hatten. Auf diese Weise hat es über lange Zeit
eine Politik des Verschweigens und Vertuschens gegeben, die der Ausbreitung der Krankheit und dem Entstehen einer Epidemie überhaupt erst die Tür geöffnet hat.
Das ist in der Tat unverantwortlich. Das heißt im Umkehrschluss aber auch, denke ich, dass wir, die wir in einer Demokratie leben, unsere Freiheit auch dazu nutzen
sollten, über dieses Thema zu reden.
({0})
Herr Spahn, Frau Widmann-Mauz, Sie sollten das nicht
kritisieren.
Im Übrigen habe ich mich etwas darüber gewundert,
Frau Kollegin, dass Sie uns eine Emotionalisierung vorwerfen, selbst aber gleich sagen, man brauche mehr Stellen für das Robert-Koch-Institut.
({1})
Sie müssen sich schon entscheiden, wie es denn jetzt
sein soll.
Sie haben davon gesprochen, dass wir uns mit der
wirtschaftlichen Lage beschäftigen sollten. Ich kann Ihnen versichern: Das tun wir. Sie haben ein ganzes Wochenende Klausurtagung gebraucht, um festzulegen, wie
Sie zu unseren Vorhaben Stellung nehmen wollen, und
haben einen Haufen Formelkompromisse geschlossen.
Ich will aber auch, meine Damen und Herren, darauf
aufmerksam machen, dass SARS nicht nur ein gesundheitspolitisches, sondern in der Tat auch ein wirtschaftspolitisches Problem ist. Wir sehen jetzt schon, welche
Einbrüche die Fluggesellschaften zu verkraften haben,
die mit dem Südostasiengeschäft bisher wesentliche
Teile ihrer Einnahmen erzielt haben. Machen wir uns
nichts vor: Die Entwicklung wird auch noch ein Stück
weiter in diese Richtung gehen. Wir sehen auch daran: In
einer globalisierten Welt gibt es keine Inseln. Somit ist
eben möglich, dass über Flugreisende eine solche Krankheit in andere Länder eingeschleppt wird. Die entsprechenden Gegenmaßnahmen ziehen natürlich wiederum
wirtschaftliche Folgen nach sich.
Deutschland ist noch viel weniger als China eine Insel. Es wird auch keine werden. Es macht keinen Sinn
- das wurde schon gesagt -, jetzt zu versuchen, so eine
Art Schutzmauer um Deutschland herum zu ziehen, indem man alle Flugreisenden kontrolliert. Das wäre ein
hoher Aufwand, der nur ein irriges Gefühl von Sicherheit vermitteln würde.
Wir können jetzt aber etwas tun, indem wir die betroffenen Länder in der Bekämpfung der Krankheit unterstützen. Die Frau Staatssekretärin hat darauf hingewiesen, dass wir China entsprechende infrastrukturelle
Hilfen zur Verfügung gestellt haben. Auch wenn sich die
chinesischen Behörden zunächst falsch verhalten haben,
ist es richtig, ihnen Kooperationsangebote zu unterbreiten und sie jetzt zu unterstützen.
Weiterhin müssen wir selber in aller Ruhe Vorkehrungen treffen. Das geschieht zum Beispiel am RobertKoch-Institut. Hierbei kommt es insbesondere auf eine
gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern an.
Nicht zuletzt ist natürlich die Vernetzung und Kooperation auf europäischer Ebene sehr wichtig.
Ich denke, wir sind auf einem guten Weg und können
sagen, dass wir uns dieser Gefahr stellen, es aber keinen
Grund zur Panikmache gibt und wir mit unserem System
der Gesundheitsvorsorge und unseren Möglichkeiten zu
seuchenhygienischen Maßnahmen in dieser Situation einer drohenden neuen Epidemie gut gerüstet sind.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Erika Ober von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte zunächst auf die Vorwürfe von Frau
Widmann-Mauz und Herrn Spahn aus der CDU/CSUFraktion eingehen, wir wollten uns mit der Behandlung
des Themas SARS vor der Behandlung von aktuellen
politischen Themen drücken und von ihnen ablenken.
({0})
Wie Sie wissen, sind wir jederzeit bereit, uns aktuellen
Themen zu stellen und über sie zu diskutieren. Wir wollen uns aber auch diesem aktuellen Problem widmen.
Herr Kolb hat ja eben schon berichtet, dass es in unserem gemeinsamen Wahlkreis eine hysterische Reaktion,
eine Überreaktion gab. Daran sieht man, wie wichtig
dieses Thema ist. Ich denke, wir sollten darüber sachlich
und gemeinsam diskutieren.
Auf den Vorwurf, dass wir es nicht zuerst im Ausschuss diskutiert haben, antworte ich, dass für mich eine
Diskussion hier im Plenum mindestens genauso wichtig
und sinnvoll ist. Deshalb sehe ich diesen Vorwurf so
nicht ganz ein.
({1})
Die Verbreitung von SARS findet nach gegenwärtigem Erkenntnisstand hauptsächlich über Tröpfchen- und
Schmierinfektionen statt. Das heißt, es handelt sich hierbei auch um eine Hygienefrage. Damit stellt es in unserem Land auch kein so großes Problem dar.
Der Verursacher der Atemwegserkrankung ist ein
Coronavirus, zu dessen Nachweis inzwischen verschiedene Laborverfahren zur Verfügung stehen. Nach Aussagen der Tropeninstitute ist SARS nicht so ansteckend
wie zum Beispiel Masern und auch nicht so resistent.
Wir müssen aber damit rechnen, dass sich SARS wegen
der derzeitigen weltweiten Verbreitung dauerhaft als
Krankheit etablieren kann.
Die Symptome sind - das wurde schon gesagt - unspezifisch und ähneln denen einer Grippe. Konkrete
Therapiemöglichkeiten gibt es derzeit nicht, sondern nur
eine Behandlung der Symptome, was im Übrigen auch
für viele andere Krankheiten gilt. Auch die Möglichkeit
zu einer Impfung besteht derzeit noch nicht.
In China, Hongkong und Taiwan ist der Höhepunkt
der Entwicklung nach Aussagen der Weltgesundheitsorganisation noch nicht erreicht; in Kanada und Vietnam
sieht die Situation positiver aus.
Wie von der Staatssekretärin, Frau Caspers-Merk, schon
gesagt, gab es gestern ein Treffen der EU-Gesundheitsminister. Es wurde die Einrichtung eines europäischen
Zentrums für Krankheitsvorsorge und -kontrolle vorgeschlagen. Wie dies aussehen soll, müssen wir hier nicht
diskutieren. Zu begrüßen ist auf jeden Fall ein EU-weites
gemeinsames Vorgehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine globale Bedrohungslage, wie Gro Harlem Brundtland gestern sagte, die für Deutschland zurzeit gering einzuschätzen ist. Eine akute Bedrohung für Deutschland ist
momentan nicht vorhanden. Trotzdem stimmt es angesichts globaler Bedrohung sehr nachdenklich, wenn die
US-Behörde CDC zur Kontrolle und Vorbeugung von
Krankheiten gleichzeitig den kompletten SARS-Virus
sowie seine Einzelteile patentieren will oder die Firma
Combimatrix im US-Bundesstaat Washington das Patent
auf Schlüsselkomponenten zweier SARS-Gene beantragt, die für die Infektion im menschlichen Körper verantwortlich sein sollen.
({2})
Die Erregerentdeckung und Gendetektion eines Erregers dürfen nicht durch einen Patentschutz in der Weise
geschützt werden, dass die Beforschung des Erregers
und die Entwicklung von Therapien behindert werden.
Dies wäre höchst gefährlich.
({3})
Man kann sich vorstellen, dass nur der Patentinhaber
Interesse an der Erforschung hätte, wenn Erreger mit all
ihren Eigenschaften patentierbar wären. Das Interesse
anderer könnte sinken, wenn sie wissen, dass sie für Lizenzen bezahlen müssen. Zudem könnte man annehmen,
dass sich zusätzlich die Forschungsdauer verlangsamt,
weil man sich mit einem Patent in der Tasche möglicherweise mehr Zeit lässt. Wenn sich viele Forschungseinrichtungen mit neuen Erregern beschäftigen, gibt es vielleicht schnellere Ergebnisse. Wir können es uns nicht
leisten, Chancen auf die Entwicklung spezifischer Therapeutika und einer Prophylaxe, das heißt eines Impfstoffes, zu vergeben. Wichtig ist deshalb die weltweite
Klärung dieses Sachverhaltes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Forscher und Forscherinnen dürfen nicht durch die Patentierbarkeit auf
Schlüsselbestandteile von Erregern oder auf komplette
Erreger in ihrer Forschungstätigkeit behindert werden.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Mantel von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Nachrichten der letzten Tage waren
oft beunruhigend. Panikmache wäre jedoch fehl am
Platz. Dennoch muss die Lage von uns ernst genommen
werden. Die Zahl der an SARS neu erkrankten Men3470
schen nimmt in einigen Ländern nicht ab. Vor allem im
vermutlichen Ursprungsland China ist keine Eindämmung in Sicht, obwohl die Chinesen mittlerweile mehr
tun, um die dramatische Situation in den Griff zu bekommen.
Die Todesrate liegt bei schätzungsweise 8 bis
15 Prozent, nachdem anfangs von 4 bis 6 Prozent ausgegangen wurde. Nach neuesten Schätzungen liegt die Todesrate in Hongkong bei knapp 20 Prozent. Bei alten
Menschen könnte sogar über die Hälfte eine Infektion
nicht überleben.
Auch wenn einzelne Fälle durch infizierte Einreisende nie auszuschließen sind, in Deutschland und Europa besteht Virenexperten zufolge momentan kein
Grund zu der Sorge, dass sich SARS wie in Asien ausbreitet.
Dennoch ist Prävention weiterhin das Gebot der
Stunde. Die konsequente Nachprüfung jedes einzelnen
Verdachtsfalls hat sich bewährt. Dabei ist es wichtig, alle
potenziellen Kontaktpersonen zu registrieren und zu informieren.
Über den Erreger aus der Familie der Coronaviren
werden erst nach und nach Erkenntnisse gewonnen. Wir
können nur hoffen, dass neue Forschungsergebnisse weiterhin mit dieser ermutigenden Geschwindigkeit bekannt
werden.
Eines können wir heute aber bereits festhalten: Offenheit und eine transparente Informationspolitik sind unumgänglich.
({0})
Im Bereich der Wissenschaft funktioniert die weltweite Zusammenarbeit von Labors bei der Erforschung
von SARS gut. Dies darf nicht unerwähnt bleiben. Die
Informationspolitik einzelner Staaten hätte aber offener
sein können. SARS macht nicht vor Staatsgrenzen und
auch nicht vor Kontinenten halt. Ohne eine sofortige und
umfassende internationale Kooperation kommen wir
nicht aus. Wer Informationen zurückhält, gefährdet andere und auch sich selbst.
Die Bundesregierung muss eine offene Informationspolitik als Herausforderung der internationalen Zusammenarbeit begreifen. Allen Staaten dieser Erde muss
nahe gelegt werden, keine Informationsabschottung vorzunehmen - mit den gebotenen diplomatischen Formulierungen, aber doch unmissverständlich. Denn dies hilft
letztlich vor allem den betroffenen Staaten selbst.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Bundesregierung, für die deutsche Außenpolitik scheinen Visionen im Moment dringend gesucht zu sein.
Deutschland und die vielen deutschen Organisationen
genießen auf dem Gebiet der humanitären Hilfe weltweit
hohes Vertrauen und Ansehen. Das gilt ebenso für die
Fähigkeit, bei Hilfseinsätzen in Krisensituationen
schnell und angemessen zu reagieren. Ich frage Sie:
Wäre Deutschland daher nicht prädestiniert, international die Rolle eines Koordinators bei Krisenfällen einzunehmen? Wäre es nicht denkbar, dass Deutschland dadurch internationale Informationsflüsse beschleunigt?
Vor allem restriktiv handelnde Länder könnten dazu gebracht werden, Informationen zu teilen.
Eine solche Politik würde Deutschland wieder zum
konstruktiven Partner machen und aus Ihrer Anti-Rhetorik herausführen. Eine solche Rolle wäre glaubwürdig
für Deutschland und würde Deutschland wieder zum gesuchten Partner in der Welt werden lassen. Mit einer solchen Rolle wäre der Anfang gemacht, der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik insgesamt wieder Profil zu
geben, was Sie die letzte Zeit sehr vernachlässigt haben,
meine Damen und Herren von der Regierungskoalition.
({1})
Ich verspreche Ihnen hier und heute: Wenn Sie diesen
Schritt gehen, können Sie mit unserer Unterstützung
rechnen. Die CSU und die CDU haben nämlich in den
letzten Monaten zwei Dinge immer wieder verdeutlicht:
({2})
- Ich frage mich, warum Sie sich jetzt so aufregen. Sie
können doch froh sein, dass wir einmal ein Problem haben, das nicht Ihr Kanzler verschuldet hat. ({3})
Uns ist vor allem daran gelegen, Deutschland aus dem
internationalen Abseits zu holen. Uns ist zudem daran
gelegen, Deutschland international wieder zu einem Impulsgeber zu machen.
Zu hoffen bleibt, dass die Zusammenarbeit bei der
Bekämpfung von SARS einen internationalen Anstoß
gibt, grenzüberschreitende Probleme auch mit grenzüberschreitenden Informationen zu lösen. Die Unterstützung der CDU/CSU wäre Ihnen sicher.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Marlies Volkmer
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste
große Epidemie des 21. Jahrhunderts versetzt die Welt in
Aufregung. Täglich kommen neue Erkrankte hinzu; täglich erliegen Menschen dem hoch ansteckenden Virus.
Am stärksten sind dabei China, Taiwan und Singapur
betroffen. Ich möchte betonen, dass die Krankheit dort
eben nicht nur das öffentliche Leben einschränkt. Je länger SARS wütet, desto größer werden die wirtschaftlichen Schäden für diese Länder sein. Es sind nicht nur die
gesundheitlichen Gefahren - darauf möchte ich hinweisen -, die uns über den bis vor kurzem noch unbekannten Erreger sprechen lassen. Es sind auch die Gefahren
für die wirtschaftliche Stabilität einer ganzen Region, die
auch auf unsere Wirtschaft nicht ohne Einfluss ist.
Die Sorge der Bürger hierzulande ist dabei verständlich. Die Ansteckungsgefahr mit dem Erreger ist zwar
niedriger als bei der Influenza, der Grippe, aber die
Sterblichkeit liegt deutlich höher. Ein Impfstoff oder
konkrete Therapien sind derzeit nicht verfügbar.
Zur leichten Übertragbarkeit mittels Tröpfchen- oder
Schmierinfektion kommt hinzu, dass Erreger heute nicht
mehr Jahre brauchen, um andere Kontinente zu erreichen, wie das früher beim Schiffsverkehr der Fall war.
Im Zeitalter des Flugzeugs trennen uns von den am
stärksten betroffenen Gebieten nur noch Stunden.
So erschreckend diese Befunde auch sind: Regelrechte Angst vor SARS muss hierzulande natürlich niemand haben. Das Bundesministerium für Gesundheit
und Soziale Sicherung und das Robert-Koch-Institut haben frühzeitig umfassende Maßnahmen ergriffen, um
eine Ausbreitung von SARS zu verhindern. Mittels breit
angelegter Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen
konnten Ansteckungsfälle in Deutschland bislang verhindert werden. Dazu trug auch die gute Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden der Länder und den
Gesundheitsämtern vor Ort bei.
Die wichtigste Maßnahme ist freilich die Aufklärung
einreisender Menschen aus Risikoregionen. Die Luftfahrtgesellschaften haben ihr Personal instruiert, Reisende auf Symptome zu befragen und Erkrankungsfälle
an Bord bereits an den Zielflughafen zu melden.
Daneben sind umfassende Hygienemaßnahmen und
damit die konsequente Eindämmung von Erkrankungsherden zur Verhinderung der Weiterverbreitung von
SARS notwendig. Krankenhäuser mit Isolierstationen
sind bestens auf den vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Umgang mit SARS-Patienten vorbereitet. Mediziner,
Gesundheitsämter und Bürger können über das Internet
unkompliziert das umfangreiche Informationsangebot des
Instituts abrufen. Zusätzlich hat das Robert-Koch-Institut
einen 24-Stunden-Rufbereitschaftsdienst für Anfragen aus
dem öffentlichen Gesundheitsdienst geschaltet. Die Informationshotline, die für Bürger eingerichtet wurde, wird
häufig genutzt.
Eine wichtige Rolle - auch das ist schon angesprochen worden - spielt die Forschung, die so schnell wie
möglich Wege finden muss, dem Virus beizukommen.
Das deutsche Bernhard-Nocht-Institut hat sich dabei
große Verdienste erworben.
({0})
Ihm war es erstmals gelungen, das Virus zu beschreiben.
SARS-Nachweissysteme sind inzwischen am RobertKoch-Institut, an der Philipps-Universität Marburg und
der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am
Main etabliert worden.
Bisher wurden in Deutschland weniger als
0,1 Prozent der weltweit registrierten Erkrankungsfälle
verzeichnet. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, den am stärksten von der Krankheit betroffenen Ländern beizustehen. Auf eine Bitte des Bürgermeisters von Peking hat das Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung daher
10 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, sodass insgesamt etwa 100 Röntgen- und 200 Beatmungsgeräte nach
China geliefert werden können.
({1})
Ich persönlich hoffe, dass dieses Beispiel Schule
macht. Denn der Kampf gegen diese tückische Krankheit
kann nur in enger internationaler Kooperation gewonnen
werden.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Erich Fritz von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland lebt wie kaum ein anderes Land von globaler Mobilität. Wir sind darauf angewiesen, dass Menschen aus
Deutschland weltweit ihren Geschäften nachgehen und
dass umgekehrt Kunden zu uns kommen. Jetzt stellen
wir fest: Auch Viren nutzen globale Mobilität. Vorsorge
ist also angesagt. Das berühmte Vorsorgeprinzip, das von
der Bundesregierung an anderer Stelle sehr hoch gehalten wird, muss sich hier bewähren.
Frau Staatssekretärin, es ist so, dass bei der Einschätzung der Gefährlichkeit dieser Seuche Prognosen nicht
mehr helfen. Denn in Hongkong wurde deutlich, dass es
in 20 Prozent der Erkrankungen zu Todesfällen kommt
und dass mit zunehmendem Alter die Sterblichkeit
steigt. Dies zeigt, dass wir ein Problem haben.
Dieses Problem führt dazu, dass Menschen Angst haben und verunsichert sind. Das zeigt sich zunächst einmal darin, dass touristische Aktivitäten stark eingeschränkt werden, dass die Passagierzahlen bei den
Fluggesellschaften zurückgehen und dass in den letzten
Wochen zum Beispiel in China die Zahl der Messebesucher dramatisch eingebrochen ist und Geschäftsabschlüsse unterbleiben. Dass SARS in einem großen Umfang Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben hat, ist
also nicht nur zu vermuten, sondern bereits zu spüren.
Jetzt kommt es darauf an, dass all diejenigen, die mit
diesem Problem im Rahmen ihrer Tätigkeit umgehen
müssen, einen einfachen Weg erhalten, sich zu informieren. Ich habe mir heute einmal die Internetinformationen
der Bundesregierung angesehen. Das, was das RobertKoch-Institut in diesem Zusammenhang macht, ist wirklich klasse. Aber auf der Internetseite der Bundesregierung versteckt sich dieses Angebot unter kleinen Links.
Ich meine schon, dass diejenigen Adressen, die als Erste
aufgesucht werden, zum Beispiel das Auswärtige Amt,
sehr schnell und möglichst konkret informieren und weiterführende Hinweise geben sollten. Ich kann mir vorstellen, dass das sehr gute Angebot der WHO in Teilen
übernommen wird. Es sollte sofort zugänglich und nicht
erst über Links zu erreichen sein. Das würde sicher dazu
beitragen, dass das, was Sie vorhin gefordert haben,
nämlich eine ruhige, sachliche Auseinandersetzung und
frühzeitige Information, möglich wird.
({0})
Ob SARS eine weltweite Gefahr ist, können wir alle
heute nicht beantworten. Reuters hat heute Mittag gemeldet, die Chinesen seien jetzt der Meinung, dass sie in
einer bestimmten Anzahl von Tagen - es ist von zehn bis
15 Tagen die Rede - das Problem im Griff hätten.
Gro Harlem Brundtland ist von meiner Vorrednerin
zitiert worden; sie hat gesagt, das sei die erste Seuche
des 21. Jahrhunderts. Diese Seuche ist schwerpunktmäßig in Ländern ausgebrochen, in denen das Gesundheitssystem hoch entwickelt ist. Bei allen Schwierigkeiten,
die es in der Entwicklung Chinas gibt, können wir sagen:
Das Gesundheitswesen ist ein Bereich, der wirklich
funktioniert. Stellen wir uns einmal vor, diese Seuche
würde nach Afrika oder in bestimmte Länder Lateinamerikas überspringen. Dann hätten wir etwas ganz anderes
zu erwarten; dann wäre eine Begrenzung dieser Seuche
sehr viel schwieriger. Erst dann hätten wir es mit Auswirkungen zu tun, die wir uns jetzt noch gar nicht ausmalen können.
Die EU braucht keine neue Zuständigkeit. Das kann
die Bundesregierung, Frau Staatssekretärin, am besten
dadurch beweisen, dass sie schnell und effektiv mit anderen Mitgliedstaaten zusammenarbeitet und gemeinsame Regelungen erarbeitet. Dass Sie dafür vom
15. März bis zum 4. Mai gebraucht haben, ist kein Ausweis von Kompetenz auf diesem Gebiet. Das hat zu
lange gedauert und das hat dazu geführt, dass neue Begehrlichkeiten in Brüssel geweckt wurden. Wir meinen:
Eine solche Zuständigkeit Brüssels ist nicht nötig. Wenn
wieder so ein Fall auftritt, muss das also schneller gehen.
Wenn wir uns die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen anschauen, die nun zu erwarten sind, dann stellen wir fest, dass alle Prognosen der Wachstumsraten für
China deutliche Rückgänge aufweisen. Das gilt übrigens
auch für Hongkong, Singapur, die anderen betroffenen
Länder und vermutlich für den gesamten Raum. Was
heißt das nun konkret in Bezug auf die Auswirkungen,
die für Europa und Deutschland zu erwarten sind? China
hatte in den ersten drei Monaten eine Wachstumsrate
von annähernd 10 Prozent und muss die Zahl für die
nächsten Monate auf etwas über 7 Prozent korrigieren.
Das sind schon dramatische Einbrüche. Mir liegt daran,
auch in Richtung aller derjenigen, die sich mit China beschäftigen, zu sagen: Man sollte dies zum Anlass nehmen, diesem Land, das eine unglaubliche wirtschaftliche
Dynamik entfaltet hat, klar zu machen, dass man nicht
WTO-Mitglied sein und alle Vorteile der Globalisierung
und der Einbindung in den Welthandel nutzen kann und
gleichzeitig im Inneren bei Strukturen verharren kann,
die die Intransparenz gegenüber den eigenen Bürgern
und der internationalen Öffentlichkeit zur Maxime erheben.
({1})
Diese Lage sollte dazu führen, dass die Chinesen gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit klarstellen, dass sie jederzeit und überall bereit
sind, dazu beizutragen, dass die Informationen, die vorliegen, tatsächlich auch genutzt werden können.
({2})
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon viel gesagt worden; es sind auch schon viele
Details angesprochen worden. Ich möchte deshalb versuchen, Schlussfolgerungen zu ziehen und Parallelen zu
dem zu entwickeln, was wir zurzeit beobachten.
Die Kollegin Bender hat dargestellt, wie das in China
gelaufen ist, wie lange es gedauert hat, bis die chinesische Regierung eingestanden hat, dass etwas nicht in
Ordnung ist. Was sie aufgezeigt hat, ist eine Gesetzmäßigkeit. Bei der Bekämpfung von Seuchen ist es immer
wieder zu erleben, dass Menschen sich schämen, wenn
sie etwas in sich tragen, was sie brandmarkt und was
dazu führen kann, dass andere Menschen den Kontakt
mit ihnen scheuen. Eine Seuche zu haben, infiziert zu
sein, eine Gefahrenquelle für andere zu sein - das ist etwas, worüber man nicht gern spricht. Das können wir in
vielen Bereichen sehen. Es gilt für Einzelpersonen, gilt
für Gemeinschaften und gilt für ganze Staaten.
In den vergangenen Jahren konnten wir genug Lehrbeispiele dafür erleben. Das Folgende sage ich ohne
Schuldzuweisung; ich sage es einfach analysierend: Es
hat zu lange gedauert, bis man in Großbritannien dazu
stand, dass man mit der Rinderseuche ein Problem hat.
In der Schweiz ist das anders behandelt worden. Die
Schweizer haben jeden belohnt, der einen Verdacht gemeldet hat; die Schweizer haben damals gesagt: Jedes
infizierte Rind, das wir finden, bedeutet mehr Sicherheit.
- Wir in Deutschland waren nicht immer der gleichen
Meinung. Die Briten standen lange Zeit auf dem Standpunkt: Macht bloß keine Panik; lasst uns das unter dem
Teppich halten. - Das ist bei der Seuchenbekämpfung
die falsche Strategie.
({0})
Genauso hat sich jetzt China verhalten. Das gilt auch,
wenn es sich nur um Salmonellen handelt, über die wir
in diesem Hause schon mehrfach diskutiert haben - es
ging damals darum, dass eine Fabrik oder eine Landesregierung Infektionsfälle unter den Teppich kehren wollte;
sie wollte diese nicht zugeben, weil sie wirtschaftliche
Nachteile befürchtete -, oder anderes. Es sind immer
wieder dieselben Mechanismen. Frau Staatssekretärin,
ich glaube, das ist einer der Gründe, weshalb wir darüber
nachdenken müssen, wo die Verantwortlichkeit in der
Seuchenbekämpfung - das Belohnen, möglicherweise
aber auch das Bestrafen - am besten aufgehoben ist.
Ich denke, dass die Zuständigkeit auf internationaler
Ebene liegen muss. Die internationale Ebene ist unparteilich und erstellt nach sachlichen Kriterien einen Bekämpfungsplan. Mit Unterstützung aller kann auf internationaler Ebene dafür Sorge getragen werden, dass die
Instrumente wirklich greifen. Der Apparat zur Bekämpfung von Seuchen muss vor Ort bleiben, weil hier die
konkreten nationalen Maßnahmen organisiert werden.
Es ist wichtig, dass wir die WHO stärken. Das, was
die WHO hier geleistet hat, machen wir uns heute noch
gar nicht richtig klar. Diese Rolle hat sie früher bei der
Aids- und BSE-Bekämpfung noch nicht gespielt. Sie hat
bei der Bekämpfung von Krankheiten, die wir heute gar
nicht eingeblendet haben - dazu gehören Tuberkulose in
vielen Staaten der Welt, in denen Hunger herrscht, aber
auch Aids und Malaria in Afrika, an denen Millionen
von Menschen jedes Jahr sterben -, an Bedeutung gewonnen. Sie zeigt uns und der Welt, dass eine internationale Behörde schnell und wirklich zielgenau effizient arbeiten kann. Das sollten wir mit aller Kraft unterstützen.
Ich denke, dass wir auch noch andere Dinge beachten
müssen und weitere Lehren ziehen können: Die neuen
Infektionskrankheiten kommen nicht aus den Genlabors
aufgrund von Bioterrorismus, sondern sie entstehen dadurch, dass Dinge technisch zusammengebracht werden,
die früher nicht zusammen waren. So fügt man beispielsweise Menschen und Tiere durch die Xeno-Transplantation zusammen. Dieses ist eine sehr gefährliche Technologie. Das hat der Europarat 1999 erkannt und gefordert,
diese Experimente, also das Einpflanzen von Tierorganen in Menschen, zu unterlassen, weil sie zu gefährlich
sind. Die Folgen solcher Experimente können wir nicht
kontrollieren. Ein Mensch, der auf diesem Weg infiziert
würde, wäre ein hohes Risiko für seine Umwelt. Das ist
nicht vertretbar. Daher gibt es immer noch ein Moratorium und die Xeno-Transplantation wurde aufgrund dieser Bedenken hintangestellt.
Aber auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen, in die viele Menschen Hoffnung setzen, hat einen
solchen Pferdefuß. Embryonale Stammzellen werden
immer noch auf Mäusenährböden gezüchtet. Das heißt,
Mäusezellen kommen in direkte Verbindung mit
menschlichen embryonalen Zellen, sie wachsen zu einem System zusammen. Dass bei den Tieren, aus denen
der Nährboden hergestellt wird, Erreger versteckt sind,
ist nicht auszuschließen. Sie würden durch Therapien auf
den Menschen übertragen und dort virutent werden können. Dieses große Risiko muss auf jeden Fall erkannt
und berücksichtigt werden. In diesem Bereich besteht
eine große Gefahr und es gibt noch viel zu tun, bevor
man den Menschen wirklich mit Recht Hoffnungen auf
solche Therapiemöglichkeiten machen kann.
Ich freue mich, dass meine Kollegin die Patentfrage
bereits angesprochen hat. Wir werden die Biopatentrichtlinie umsetzen müssen. Dabei müssen wir darauf
achten, dass Menschen, die gerettet werden könnten,
nicht deshalb ums Leben kommen, weil Forschungen
blockiert werden und starre Patente bestehen. Erkenntnisse, die für alle, nicht nur für die reichen Industrienationen, sondern gerade auch für die Länder, in denen die
Infektionsbekämpfung eine noch größere Rolle als bei
uns spielt, wichtig sind, müssen auch umgesetzt werden
können. Die Herstellung von Diagnostika und Impfstoffen darf nicht durch teure, für manche nicht erschwingliche Patente blockiert werden. Ich hoffe, dass wir das alle
in Erinnerung behalten, wenn wir über Biopatente diskutieren.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus Brähmig von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Tourismuswirtschaft ist gegenwärtig einer der Wirtschaftszweige, der besonders von den Auswirkungen
von SARS betroffen ist.
Neben China und anderen Zielländern in Asien zeigen
sich die Auswirkungen auch beim Incoming-Tourismus
nach Deutschland. Nachdem die Bundesrepublik im vergangenen Jahr exklusiv das so genannte ADS-Abkommen für erleichterte Individualreisen chinesischer Staatsbürger unterzeichnet hatte, war die anschließend
einsetzende Reisefreudigkeit chinesischer Touristen ein
Hoffnungsträger für den Tourismusstandort Deutschland. Dieses chancenreiche Geschäft ist damit schon in
seiner Anfangsphase vorerst zum Erliegen gekommen.
Zusätzlich hat der Outgoing-Tourismus von Deutschland nach Asien und insbesondere China rapide abgenommen. Die Lufthansa, Reiseveranstalter und vor allem unsere vielen Tausend Reisebüros, denen nun die
lukrativen Provisionen auf Fernreisen nach Asien und
Kanada fehlen, erleiden teilweise dramatische Einbußen.
Bei den Auswirkungen des akuten Atemwegsyndroms
gilt also das alte Sprichwort: kleine Ursache, große Wirkung.
Weltweit sind bezüglich dieser gefährlichen Lungenkrankheit zurzeit in 31 Ländern mehr als 6 730 Erkrankungen und 480 Todesfälle bekannt. Dabei sind alle betroffenen Länder ausgerechnet attraktive Reiseziele mit
großen Wachstumspotenzialen.
Panikmache ist allerdings die falsche Antwort auf
SARS. Aids, Malaria und Tollwut sorgen jeweils jährlich
für deutlich mehr Tote weltweit als bisher das akute
Atemwegsyndrom. Allein der Malaria fallen jährlich
global 1 Million Menschen zum Opfer. Sogar die jährlichen Grippewellen in Deutschland sorgen für mehrere
Tausend Todesfälle.
Mit diesen Zahlen möchte ich diese Seuche und die
Gefahren durch SARS nicht bagatellisieren, aber der jetzige Medienrummel, den diese Erkrankung momentan
hervorruft, ist ihrer Bedeutung nicht angemessen. Vorbeugen ist besser als Heilen - so lautet das Gebot der
Stunde bei uns in Deutschland.
Es ist die Aufgabe der Politik, das Gesundheitsbewusstsein der Reisenden zu steigern, die Aufklärung der
Bevölkerung zu verbessern und die Wissenschaftler bei
der Entwicklung von Impfstoffen zur Vorbeugung und
Vorsorge nach Kräften zu unterstützen.
Den von SARS betroffenen Ländern kann man nur zu
einer offenen und transparenten Informationspolitik raten. Dieser Rat geht ausdrücklich an die Regierung in
China. Die bisherige Verschleierungstaktik schadet
China selber am meisten. Ich erinnere hier nur an die
Auswirkungen des jüngsten Terroranschlags auf Djerba,
in Tunesien. Die anfängliche Desinformationspolitik hat
das Vertrauen in dieses grundsätzlich attraktive Urlaubsziel zeitweise kräftig erschüttert. Das spreche ich auch
und vor allem vor dem Hintergrund an, dass Peking im
Jahre 2008 die Olympischen Sommerspiele durchführen
möchte.
Die weltweite Vernetzung der Wirtschaft, der internationale Tourismus und die hohe Mobilität, die uns die
Distanz zwischen Kontinenten innerhalb von Stunden
überbrücken lässt, machen es notwendig, die Bevölkerung und die Reisenden gleichermaßen über die Gefahrenpotenziale weltweit verbreiteter Infektionen, Seuchen
und Epidemien zu informieren und das Niveau der Gesundheitsvorsorge anzupassen. Das gelingt allerdings
nur, wenn die große Bedeutung des internationalen Tourismus auch tatsächlich erkannt wird.
Sicherheit wird zum strategischen Standortfaktor der
Wirtschaft und vor allem der Tourismuswirtschaft im
21. Jahrhundert. Meines Erachtens werden nur die Länder langfristig attraktive Tourismusstandorte sein, die
erstens den Terrorismus nachhaltig bekämpfen, zweitens
eine umfassende Gesundheitsvorsorge betreiben und
drittens Umweltbelastungen so weit wie möglich vermeiden. Nur so wird man das Vertrauen der Reisenden
weltweit als potenzielles Gastland gewinnen.
({0})
Die Ausbreitung von SARS verdeutlicht erneut: Die
Welt wird immer mehr zum globalen Dorf und wir sitzen
alle in einem Boot. Wenn wir aus dieser aktuellen Lungenseuche etwas lernen können, dann das: Es besteht die
dringende Notwendigkeit, dass die Weltgesundheitsorganisation und verschiedene Forscherteams weltweit Informationen austauschen und gemeinsam an der Früherkennung und Bekämpfung solcher Krankheiten
arbeiten. Im globalen Dorf muss global gehandelt werden.
Mein Fazit zum Stand der Auswirkungen von SARS
lautet: Es gibt in unserem Land keinen Grund zur Panik.
Die Bevölkerung muss durch eine transparente Informationspolitik über die Gefahren und Chancen der globalen
Vernetzung aufgeklärt werden. Eine klare und offene Informationspolitik der Gastländer und Reiseveranstalter
ist geboten, denn sonst drohen Vertrauensverluste, die
auch auf lange Sicht nicht auszugleichen sind.
Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass die
heutige Debatte nicht die letzte Debatte zu diesem
Thema im Deutschen Bundestag sein wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Tourismusausschuss - die
Kollegin Irber ist auch anwesend -, wir werden uns mit
diesem Thema auch in Zukunft im Ausschuss für Tourismus intensiv beschäftigen.
Vielen Dank.
({1})
Als letztem Redner erteile ich nun dem Kollegen
Peter Dreßen von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Spiegel schreibt in einer Überschrift:
Ist der weltweite Seuchenzug des SARS-Erregers
noch zu stoppen?
Das ist in der Tat die Frage. Ich bin froh, dass eigentlich
alle Redner heute hier versucht haben, auf diesem Weg
ein Stück weiterzukommen, Ideen vorzuschlagen, wie
man dem Problem begegnen kann. Es gab eine Ausnahme, auf die ich noch zu sprechen komme.
Ich bin der Meinung, dass wir noch viel tun müssen.
Wir müssen zum Beispiel das System der Beziehungen
bei den Viren ausfindig machen. Wir müssen herausfinden, welche Tiere deren Träger sind, welche Bedingungen Voraussetzung für die Verbreitung sind und welche
Artengrenzen SARS überwinden kann. Wir brauchen
aber auch - das wurde schon gesagt; dem stimme ich
voll zu - eine enge Zusammenarbeit aller Wissenschaftler der Welt, also von Virologen, Chemikern usw., damit
ein Austausch aller Erkenntnisse stattfinden kann. Das
ist in dieser Frage wirklich dringend notwendig. Wenn
jemand meint, er müsse etwas im stillen Kämmerlein tun
und könne Erkenntnisse zurückhalten, dann ist das
falsch.
Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten noch einmal aus dem Spiegel zitieren. Dort ist zu lesen:
Die Fortschritte wurden möglich durch rasches und
gemeinsames Handeln...
Und weiter:
Das Wissen der Welt wurde zusammengetragen,
schwärmt der Frankfurter Virologe Rabenau. Gedanken und Ergebnisse würden ausgetauscht wie
sonst nur selten im rauen Forschungsbetrieb.
Genau das ist die richtige Herangehensweise.
Wir müssen Infokampagnen machen - dazu zählt natürlich auch diese Aktuelle Stunde - und müssen aufklären. Artikel, wie sie im Spiegel und in anderen Zeitschriften erschienen sind, tragen dazu bei, um Menschen
aufzuklären, wie sie schneller zu Hilfe kommen. Verdachtsfälle müssen bis zur Klärung gut isoliert und gut
behandelt werden. Es muss mit aller Dringlichkeit weiter
geforscht werden, um zu wirksamen Medikamenten oder
Impfstoffen zu kommen. Weltweit zusammentragen das muss unser Motto sein.
Frau Widmann-Mauz, Ihren Beitrag in dieser Debatte
fand ich wirklich abstrus. Sie sprachen von einem Brief
des Staatssekretärs an Klaus Kirschner zur Personalsituation.
({0})
- Doch, Sie haben erwähnt, dass Sie einen solchen Brief
vorliegen haben.
({1})
- Sie haben einen Brief von Staatssekretär Tiemann an
Klaus Kirschner erwähnt. Es wäre schön, wenn Sie uns
diesen Brief geben könnten; denn wir wissen, dass er
noch nicht abgeschickt ist
({2})
und dass an ihm noch gearbeitet wird.
({3})
- Der Brief, den Sie in diesem Zusammenhang genannt
haben, ist noch in Arbeit.
({4})
- Dann zeigen Sie einmal her, was Sie meinen. Dann
können wir dem nachgehen. Ich war der Meinung, Sie
hätten von einem Brief gesprochen, der im Moment in
Arbeit ist und über den im Ministerium noch diskutiert
wird. Aber Ihr Brief war nichts sagend. Den brauchen
Sie nicht zu zitieren. Ich frage mich, was das soll.
Sie haben hier einen Vortrag gehalten und deutlich gemacht, das Thema sei für Sie unnötig und unwichtig. Sie
haben uns vorgeworfen, wir würden nicht genug unternehmen. Wenn aber übermorgen 20 oder 30 Fälle auftreten, dann wären Sie die Ersten, die eine Aktuelle Stunde
beantragen würden. Ich meine, auf dieser Basis sollten
wir dieses Thema nicht behandeln. Es ist ganz wichtig,
dass es in unserem Land viele Menschen gibt, die versuchen, dieses Problem in den Griff zu bekommen, und
dass die WHO sehr aktiv ist. Die WHO ist im Übrigen
stolz auf das, was in Deutschland geleistet wird. Deswegen sollten wir so auch weitermachen.
Herzlichen Dank.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. Mai 2003, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.