Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/10/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vorweg einige Mitteilungen: In den Beirat bei der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post müssen nachträglich noch zwei stellvertretende Mitglieder der Fraktion der SPD gewählt werden. Als Stellvertreter des Kollegen Ulrich Kelber wird der Kollege Manfred Helmut Zöllmer und als Stellvertreter des Kollegen Hubertus Heil der Kollege Dr. Hans-Ulrich Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die genannten Kollegen als stellvertretende Mitglieder in den Beirat der Regulierungsbehörde gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Deutlich erhöhter Finanzbedarf der Bundesanstalt für Arbeit durch die unverändert hohe Arbeitslosigkeit und Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden Gerster zur Notwendigkeit eines Bundeszuschusses ({0}) 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({1}) a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Barbara Wittig, Dr. Dieter Wiefelspütz, Wilhelm Schmidt ({2}), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Hartmut Büttner ({3}), Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({4}), Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({5}) - Drucksache 15/806 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes - Drucksache 15/810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({7}) a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({8}) Sammelübersicht 32 zu Petitionen - Drucksache 15/829 - b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({9}) Sammelübersicht 33 zu Petitionen - Drucksache 15/830 - c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({10}) Sammelübersicht 34 zu Petitionen - Drucksache 15/831 - d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 35 zu Petitionen - Drucksache 15/832 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Berufung des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller zum Vorstandsvorsitzenden des RAG-Konzerns 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Undine Kurth ({12}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien - Drucksache 15/807 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Volker Beck ({13}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Initiative zur Gründung einer Internationalen Agentur zur Förderung der Erneuerbaren Energien ({14}) - Drucksache 15/811 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen ({15}), Albert Deß, Helmut Heiderich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Hürden für die Biotechnik abbauen - Drucksache 15/803 8 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes - Drucksache 15/510 ({16}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({17}) - Drucksache 15/835 - Redetext

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Horst Schild Manfred Kolbe b) Bericht des Haushaltsausschusses ({0}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/836 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Carsten Schneider Dr. Günter Rexrodt 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Otto Fricke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Opferschutz bei Terrorakten im Ausland verbessern - Drucksache 15/34 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Joachim Stünker, Hermann Bachmaier, Sabine Bätzing, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Opferentschädigung verbessern - Drucksache 15/808 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({3}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Siegfried Kauder ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Opferentschädigung für deutsche Staatsangehörige, die bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens werden - Drucksache 15/802 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratung soll - soweit erforderlich - abgewichen werden. Darüber hinaus wurde vereinbart, den Tagesordnungspunkt 17 - Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln bereits heute nach Tagesordnungspunkt 10 - Rüstungsexportbericht - zu beraten. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 und Stellungnahme der Bundesregierung - Drucksache 15/788 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Bundesministerin Edelgard Bulmahn das Wort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der vorliegende Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 hat zwei zentrale Botschaften: Erstens. Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland werden davon abhängen, in welchem Umfang die Unternehmen die großen Chancen von neuen Technologien nutzen und sie im internationalen Innovationswettbewerb tatsächlich einbringen. Zweitens. Die Bundesregierung hat die entscheidenden Weichen dafür in den vergangenen Jahren richtig gestellt. ({0}) Es kommt jetzt in der Politik und in der Wirtschaft gleichermaßen darauf an, konsequent Kurs zu halten, um weiter voranzukommen. Das Gutachten hat dazu eine Fülle von Daten, Fakten und Analysen zusammengetragen. Ich will zunächst nur einige Punkte herausgreifen. Erstens. Deutschland ist in der ersten Hälfte der 90er-Jahre bei seinen Ausgaben für Forschung und Entwicklung zurückgefallen. Das war die Zeit, meine sehr geehrten Herren und Damen von der Opposition, also von CDU/CSU und FDP, in der Sie Investitionen versprochen, aber in der Realität über Jahre hinweg gekürzt, gestrichen und verschoben haben. ({1}) Es war die Zeit, in der Sie viel über Zukunft geredet, aber mit Ihrer Politik in Deutschland ein innovationsfeindliches Klima geschaffen und damit die Zukunft unseres Landes aufs Spiel gesetzt haben. Mit dieser Politik ist seit 1998 glücklicherweise endlich Schluss. ({2}) Diese Bundesregierung hat das Ruder herumgerissen. Wir haben die Mittel für Bildung und Forschung seit 1998 um mehr als 25 Prozent erhöht und wir haben gleichzeitig die notwendigen Reformen angepackt. Mit dieser klaren Politik pro Bildung und Forschung haben wir auch in der Wirtschaft Kräfte freigesetzt und dem Strukturwandel hin zur Wissensgesellschaft und zur Wissenswirtschaft neuen Schwung verschafft. ({3}) Bereits im Jahr 2001 war der Anteil am Bruttoinlandsprodukt, den Staat und Wirtschaft für Forschung und Entwicklung aufwenden, auf 2,5 Prozent gestiegen. Drei Jahre zuvor lag der Anteil noch bei 2,2 Prozent. In einem sehr schwierigen wirtschaftlichen Umfeld haben Bund und Unternehmen auch im vergangenen Jahr die Ausgaben für Forschung und Entwicklung weiter ausgebaut. Es ist uns also unbeirrt von konjunkturellen Zyklen gelungen, ein weit verbreitetes Bewusstsein für die Bedeutung von Zukunftsinvestitionen zu schaffen. Das ist mir ganz besonders wichtig, weil das Bewusstsein für die Bedeutung von Investitionen in Bildung und Forschung für die kommenden Jahre entscheidend ist. Das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands wird in den Schulen und Hochschulen gelegt. Bildung und Forschung - das will ich hier noch einmal deutlich unterstreichen - dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, so wie Sie das teilweise immer wieder tun. ({4}) Denn Investitionen in Bildung und Forschung sind sozusagen die Basis unseres Forschungssystems. Das gilt für unser Programm „Zukunft Bildung“, mit dem wir unter anderem 4 Milliarden Euro für die Schaffung von Ganztagsschulen zur Verfügung stellen. Das gilt auch für das neue BAföG, mit dem wir einen Run auf unsere Hochschulen ausgelöst haben und mit dem wir es auch geschafft haben, dass der Anteil der Studienanfänger deutlich gestiegen ist, nämlich von 28,5 Prozent auf jetzt 35,6 Prozent. Damit liegen wir endlich in der Nähe jener 40 Prozent, die alle vergleichbaren Industrienationen im Durchschnitt vorweisen können und die auch unser Ziel sein müssen. Bildung und Forschung gehören also zusammen. Das gilt im Übrigen auch für die berufliche Bildung. Deshalb war es so wichtig, dass es uns gerade in den technologieorientierten Berufen in den letzten Jahren gelungen ist, eine deutlich größere Zahl von Ausbildungsplätzen zu schaffen. Ich betone ausdrücklich, dass das auch für dieses Jahr und die kommenden Jahre gelten muss. ({5}) Ich sage noch einmal klipp und klar: Deutschland steht im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe, um Akademiker genauso wie um hoch qualifizierte Fachkräfte. ({6}) Wenn wir nicht wollen, dass der Mangel an naturwissenschaftlich-technischem Nachwuchs schon in wenigen Jahren zu einem zentralen Innovationshemmnis wird, dann müssen wir heute mit aller Kraft gegensteuern. Wir tun das mit Erfolg, wie zum Beispiel gerade auch die deutlich gestiegenen Zahlen der Studienanfänger in den naturwissenschaftlichen und auch in den ingenieurwissenschaftlichen Studienfächern zeigen. ({7}) Deutschland ist heute wieder der zweitgrößte Technologieexporteur der Welt. Hatte Mitte der 90er-Jahre nur jede vierte Firma ein neues Produkt im Angebot, das auf neuen Forschungsergebnissen beruhte, drängt heute schon ein Drittel der Unternehmen mit einer Neuentwicklung auf den Markt. Deutschland verfügt inzwischen über die höchste Dichte innovativer Unternehmen in Europa. Ein Exportvolumen von 275 Milliarden Euro - das waren im Jahre 2002 rund 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts - und knapp 3 der insgesamt 6 Millionen Arbeitsplätze des verarbeitenden Gewerbes gehen auf das Konto der forschungsintensiven Technologiegüter. Die Tendenz ist weiter steigend. Dabei ist im Übrigen viel zu wenig bekannt: Die Technologieexporte aus den neuen Ländern stiegen seit 1996 durchschnittlich um 30 Prozent pro Jahr. Die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft - das zeigen diese Zahlen - ist gut. Das ist für uns allerdings kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Wir wollen im weltweiten Innovationswettlauf nicht nur Schritt halten können; wir wollen vielmehr den Takt der Entwicklung mitbestimmen. Das ist unser Ziel. ({8}) Deshalb werden wir das Tempo des strukturellen Wandels in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Zu einer Wirtschaft, die auf Wissen und Innovationen setzt, gibt es in Deutschland keine Alternative. ({9}) Die Bundesregierung ist sich ihrer daraus erwachsenen Verantwortung voll bewusst. Wir halten deshalb an dem Ziel fest, das die Regierungschefs der EU in einer bisher einmaligen Willenserklärung formuliert haben: Bis 2010 sollen mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung investiert werden. Bereits in den kommenden Jahren werden wir deshalb auch bei der institutionellen Förderung wieder ein Zeichen setzen und die Etats der großen Forschungsorganisationen um 3 Prozent erhöhen. ({10}) Vor einer Nagelprobe stehen wir jetzt allerdings in der Wirtschaft. Die Fehler der Vergangenheit darf die Wirtschaft nicht wiederholen. Erfolge auf den Innovationsmärkten werden in Unternehmen nur dann dauerhaft erwirtschaftet, wenn sie auch in konjunkturellen Schwächephasen konsequent in Forschung und Entwicklung investieren. ({11}) Untersuchungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zeigen: Unternehmen, die mit Produkten als Erste auf dem Markt sind, aber auch Branchen, die wie zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie in überdurchschnittlichem Maße in Forschung und Entwicklung investieren, weisen überproportionale Arbeitsplatzgewinne auf. Zwischen 1997 und 2001 sind circa 92 000 zusätzliche Arbeitsplätze in F-und-E-intensiven Branchen in Deutschland entstanden. Die Wirkung, die diese Entwicklung auch auf die Zulieferindustrie hat, ist ungleich größer. Das heißt, unsere wirtschaftliche Entwicklung hängt ganz entscheidend von diesen Unternehmen und Branchen ab. Deshalb sind günstige Rahmenbedingungen für Forschungsinvestitionen so notwendig. Der Bericht unterstreicht ausdrücklich - das finde ich sehr erfreulich -, dass wir hier in den letzten Jahren durch eine gezielte Neuausrichtung der Forschungspolitik gute Erfolge erreicht haben und dass wir in die richtige Richtung gegangen sind. ({12}) Wir haben seit 1998 die Projektförderung in Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen um über 44 Prozent - das sind rund 750 Millionen Euro gesteigert. Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb. Deshalb war es so fatal, dass Sie in der ersten Hälfte der 90er-Jahre die Projektförderung völlig nach unten gefahren haben. ({13}) Projektförderung bedeutet mehr Wettbewerb sowie eine verbesserte Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft. Damit bildet sie die Plattform für einen besseren und leistungsfähigeren Technologietransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft. Genau das ist es, was wir in unserem Land existenziell brauchen. Hinzu kommt die wichtige Initialwirkung für grundlegende Technologieentwicklungen in der Wirtschaft. Auf jeden staatlich finanzierten Forschungseuro legen die geförderten Unternehmen mindestens einen weiteren Euro drauf. Auch dieser Zusammenhang spielt ganz offensichtlich eine große Rolle. Das ist effiziente Förderpolitik. Es ist wichtig, auch privates Forschungskapital zu mobilisieren. Deshalb werden wir unsere Forschungsförderpolitik fortsetzen und weiter ausbauen. ({14}) Die wesentlichen Impulse für wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze gehen von einer begrenzten Zahl von Technologien aus. Wir konzentrieren deshalb die Forschungsförderung genau dort, wo die größte Hebelwirkung auf Wachstum und Beschäftigung zu erwarten ist. Wir stärken deshalb mit einer hohen Priorität die Informations- und Kommunikationstechnologien; denn sie sind die Wachstumsmotoren für viele andere Branchen. ({15}) Zwischen 20 und 25 Prozent des jährlichen Wirtschaftswachstums in Deutschland beruhen auf dem zunehmenden Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien. Nachdem in den 90er-Jahren vor allem andere Länder, die stärker investiert haben, von diesen neuen Technologien profitierten, hat Deutschland auch hier wieder Anschluss gefunden. Wir fördern den Ausbau bestehender Märkte in der Mikrosystemtechnik, in den optischen Technologien und in der Materialforschung, weil wir diese Technologien für viele andere Branchen benötigen. Auch hier haben wir deutliche Weltmarkterfolge erzielt. Wir erschließen außerdem neue Wachstumsfelder durch die gezielte Förderung der Bio- und Nanotechnologie. Gerade in der Biotechnologie haben wir nach einem verschlafenen Start in den letzten Jahren im internationalen Vergleich viel aufgeholt. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Nirgendwo in Europa sind in den letzten Jahren mehr neue Biotechnologieunternehmen gegründet worden als in Deutschland. Deutschland liegt inzwischen auch bei der Gesamtzahl der Unternehmen an der Spitze. Im Übrigen ist hier ein erheblicher Arbeitsplatzzuwachs von 35 Prozent zu verzeichnen. Das zeigt, dass die Forschungspolitik richtig fokussiert war. ({16}) Ich möchte kurz noch einen weiteren Punkt anreißen. Mir ist es besonders wichtig, dass wir gerade die kleinen und mittleren Unternehmen motivieren konnten, wieder stärker in Forschung und Entwicklung zu investieren. Die Zahl der kleinen und mittleren Unternehmen, die an der Forschungsförderungspolitik meines Ministeriums partizipieren, die also Forschungsförderungsmittel in Anspruch nehmen, ist alleine in meiner Amtszeit um über 60 Prozent gestiegen. ({17}) Das war notwendig und ist richtig. Deshalb werden wir diesen Kurs fortsetzen. ({18}) Einen besonderen Akzent legen wir auf die so genannten Spin-offs. Allein diese technologieorientierten Unternehmensgründungen schaffen rund 13 000 neue Arbeitsplätze pro Jahr. Kurz gesagt, meine sehr geehrten Damen und Herren: Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und gute Voraussetzungen für Erfolg im internationalen Wettbewerb geschaffen haben. Deshalb werden wir diese Politik auch fortsetzen. Vielen Dank. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Katherina Reiche, CDU/CSUFraktion, das Wort. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands hat weltweit einen guten Ruf; sie ist eine elementare Säule unseres Wirtschaftssystems. Deshalb ist der Bericht, den wir heute diskutieren, auch das Schicksalsbuch unseres Wohlstandes. Daher lohnt es sich, die Entwicklungslinien genauer zu analysieren und daraus politische Schlüsse zu ziehen. Ausgehend von einem hohen Stand an Innovationskraft gibt es ernste Warnsignale, die deutlich machen, dass der Forschungsort Deutschland von seiner Substanz lebt. Eine Entwicklung, die bereits Mitte der 90er-Jahre einsetzte, hat sich seit 1998 unter rot-grüner Verantwortung dramatisch verschlechtert. Da hilft auch kein Schönreden der Ministerin. ({0}) Dies zeigt beispielsweise die Bilanz der technologischen Dienstleistungen: Wir kaufen in Deutschland mehr Know-how ein, als wir exportieren. ({1}) Die entscheidende Vergleichsgröße dafür ist die Negativbilanz der technologischen Dienstleistungen; das sind Patente, Lizenzen, Forschung und Entwicklung, EDV- und Ingenieurdienstleistungen. Laut Berechnungen der Deutschen Bundesbank belief sich der Negativsaldo bei diesen technologischen Dienstleistungen 1998 auf 2,5 Milliarden Euro, im Jahr 1999 schon auf 4 Milliarden Euro, 2000 dann auf 5 Milliarden Euro und 2001 schließlich auf 7,5 Milliarden Euro. Parallel dazu gab es einen rapiden Abbau bei der Beschäftigung in F-und-E-intensiven Industriezweigen. Besonders besorgniserregend ist hier das Nachlassen von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Mittelständler. Dazu hält der Bericht lediglich lapidar fest, Klein- und Mittelbetriebe hätten sich aus F und E zurückgezogen. Ein internationaler Vergleich der Liga ist immer wichtig, damit man sich nicht selbst täuscht, so der Bericht. Deutschland will und muss im Technologiebereich in der Weltspitze mitspielen; sonst werden wir die Probleme bei uns in Deutschland nicht lösen und die vor uns stehenden Herausforderungen nicht bewältigen können. ({2}) Die Messlatte im internationalen Vergleich darf auch nicht nach unten gelegt werden. Unsere Konkurrenten sind die USA und Großbritannien und nicht etwa die Slowakei oder die baltischen Staaten. ({3}) Im Vergleich mit den G-7-Ländern sowie mit der Schweiz, Schweden, Finnland, Niederlande und Korea fällt Deutschland laut Bericht bei investiven Anstrengungen zurück; auch in der Spitze - so der Bericht sieht es nicht gut aus. Besonders im Bereich der Spitzentechnologien verlieren wir Weltmarktanteile. Wir fallen als Bildungs- und Technologiestandort im internationalen Vergleich zurück. Besonders bedenklich ist Folgendes - ich zitiere aus dem Bericht -: Es gibt nicht ein einziges Aggregat, bei dem man sagen könnte: Deutschland hat seine Position signifikant verbessern können. ({4}) Die Innovationstätigkeit unserer Technologieunternehmen und die Gründungsneigung lassen nach; der Gründungsboom ist vorüber. Auch die Zahl der Gründungen in forschungsintensiven Wirtschaftszweigen ist seit 2000 rückläufig. Weiter ist im Bericht nachzulesen: Während in Deutschland zwischen 2000 und 2002 ein Plus von 6 Prozent ({5}) herausgekommen ist, gibt es in Schweden jedoch knapp 30 Prozent, in den USA 25 Prozent und selbst im rezessionsgeplagten Japan 15 Prozent. Frau Bulmahn, das ist für uns ein Armutszeugnis. ({6}) Leider hat die Bundesregierung die eindeutigen Kennzahlen in Bezug auf die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands zunehmend außer Acht gelassen. Erschwerend kommt hinzu: Es fehlt eine Strategie, um unsere technologische Leistungsfähigkeit zurückzugewinnen; es fehlt ein Konzept. Deshalb gilt es jetzt das Ruder herumzureißen, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen und einen Paradigmenwechsel in zwei wesentlichen Bereichen herbeizuführen: einmal in der Wirtschafts- und Finanzpolitik durch steuerliche Anreize, durch eine Abgabenentlastung des Mittelstandes, durch eine Senkung der Staatsquote und durch einen Bürokratieabbau und zum anderen im Bereich Bildung und Forschung durch eine Aufstockung der Investitionen auf mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Frau Bulmahn, wir haben es erst dann wieder geschafft, wenn deutsche Nobelpreisträger nicht mehr in Amerika leben, forschen und dort ihre Preise bekommen, ({7}) sondern ihren Lebens- und Arbeitsschwerpunkt in Deutschland haben. ({8}) Die hohe Bürokratiedichte, eine Flut zusätzlicher Vorschriften, ungünstige steuerliche Rahmenbedingungen, schleppende Zulassungs- und Genehmigungsverfahren, ein überregulierter Arbeitsmarkt, eine schwächelnde Konjunktur, eine unsichere Rechtslage und Fachkräftemangel, all das ist Ursache dafür, dass die Umsetzung von neuen Ideen in Deutschland derzeit schleppend verläuft. ({9}) Ein Haupthemmnis für Innovation und Expansion ist die Kapitalknappheit. Im „Deutschen Biotechnologie Report 2002“ von Ernst & Young ist nachzulesen, dass der Boom in der Biotechbranche im Jahr 2001 nur durch die Risikokapitalfinanzierung vor allem in der Startup-Phase und in der Expansionsphase möglich war. Die Situation auf dem Risikokapitalmarkt sieht in Deutschland derzeit jedoch schlecht aus. Der Anteil am europäischen Risikokapitalmarkt ist von 18 Prozent auf 13 Prozent gefallen, während der Anteil Großbritanniens auf 34 Prozent stieg. Wir drohen also in Europa und in der Welt den Anschluss zu verlieren. Es gibt in Deutschland keinen Mangel an Arbeit, sondern einen Mangel an Arbeitgebern. ({10}) Wir laufen Gefahr, im Biotechnologiebereich potenziell lebensfähige Unternehmen zu verlieren ebenso wie eine ganze Generation von Forschern, geistiges Eigentum und damit auch den Anschluss. Öffentlich finanzierte Forschung muss stärker an Innovationen orientiert werden. Dies geschieht am effektivsten, wenn ein substanzieller Anteil - das hat Frau Bulmahn ausgeführt - im Wettbewerb vergeben wird. Ganz besonders wichtig ist es deshalb, auch die Ressortforschung in den Wettbewerb einzubeziehen. ({11}) Es ist ein Unding, dass die 52 Ressortforschungseinrichtungen des Bundes mit 12 000 Wissenschaftlern und 9 000 Mitarbeitern bisher nicht einer systematischen Evaluierung unterzogen wurden. ({12}) Sowohl die Evaluation der Leibniz-Institute als auch die Programmförderung der Helmholtz-Zentren zeigt dies. Damit Forschungseinrichtungen im Wettbewerb um innovative Forschungsprojekte eigenverantwortlich und flexibel agieren können, müssen sie ihre Profile selbst gestalten, eine autonomere Personal- und Gehaltspolitik betreiben sowie über den Mitteleinsatz und Investitionen selbstständig entscheiden können. So müssten an die Stelle des starren BAT-Gefüges flexible, frei aushandelbare Arbeitsverträge im Rahmen eines Wissenschaftstarifvertrages treten. Das würde auch den Personalaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft erleichtern. ({13}) Es kommt außerdem darauf an, die Forschung aus den Klauen der Bürokratie zu befreien. Auch Bürokratieabbau sorgt für mehr Freiheit der Forschung. Ich erinnere nur an das De-facto-Moratorium im Bereich Biotechnologie oder an die noch nicht erfolgte Umsetzung der Biopatentrichtlinie hier in Deutschland. ({14}) Wir müssen uns auch fragen, ob wir immer am Bedarf ausgerichtet ausbilden. Ich nenne in diesem Zusammenhang zum Beispiel die optischen Technologien und die Nanotechnologien. Für beide Schlüsseltechnologien werden zweistellige Wachstumsraten prognostiziert; dennoch fehlen in diesen Hightechbereichen durchschnittlich 10 000 Fachkräfte. Ich glaube, wir brauchen eine neue Technologiebegeisterung. Dafür müssen wir bei Lehrern, Eltern, Schülern und Studenten für die Bedeutung von Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaft verstärkt werben, weil diese Bereiche für die Entwicklung unserer Gesellschaft existenziell sind. ({15}) Frau Bulmahn, es ist eben nicht damit getan, dass wir höhere Studienanfängerzahlen haben. Entscheidend ist vor allem, was „hinten herauskommt“, also wie viele Absolventen es schließlich gibt. Da besteht Nachholbedarf. ({16}) In diesem Bereich kann der Bund gemeinsam mit der Wirtschaft und gemeinsam mit den Ländern Anstöße geben. Ein Letztes. 1998 - ich weiß nicht, wer sich noch daran erinnert - hat der Exfinanzminister Lafontaine sein Ressort zulasten seines Kollegen im Bereich Wirtschaft ausgebaut. Das BMBF musste in diesem Zuge zwei wesentliche Bereiche, nämlich den Bereich Energieforschung und den Bereich Technologieförderung, an das Wirtschaftsministerium abgeben. Den erhofften Erfolg brachte das nicht. Es gibt eine mangelnde Koordinierung und eine ausgeprägte Schieflage in der Finanzausstattung. Frau Bulmahn, Sie sollten sich ernsthaft bemühen, diese Kompetenz jetzt zurückzuholen und Ihr Ministerium zu stärken, damit aus dem jetzigen Bildungsministerium auch wieder ein Technologieministerium wird. Deutschland besitzt nach wie vor ein immenses, von der rot-grünen Bundesregierung aber nicht genutztes Innovationspotenzial. Mit dem von mir beschriebenen Paradigmenwechsel in der Wirtschafts- und Technologiepolitik könnte Deutschland wieder dahin kommen, wohin es gehört, nämlich als Lokomotive an die Spitze in Europa. ({17}) Von Rot-Grün ist diese Initialzündung nur schwerlich zu erwarten. Deshalb fordern wir Sie auf, unsere Vorschläge umzusetzen. Vielen Dank. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Bericht genau liest, dann stellt man fest, dass er, was den Technologiestandort Deutschland angeht, viel Licht, aber auch Schatten formuliert. ({0}) Nachdem ich Ihre Rede gehört habe, Frau Reiche, muss ich sagen: Sie müssen den Bericht mit einer Spezialbrille gelesen haben. Sie haben alles Positive einfach ausgelassen und nur kritische Fragen formuliert. ({1}) Ich will Ihnen einmal drei Beispiele dafür nennen, was sich seit 1998 positiv verändert hat, und dann will ich dieses 98er-Thema auch wieder verlassen. Die F-und-E-Ausgaben des Bundes, die bei Ihnen 1997 und 1998 bei 8,2 Milliarden Euro lagen, haben wir im Jahr 2002 auf 9,1 Milliarden Euro angehoben. Es gab jetzt einige Einsparungen; aber in den nächsten Jahren werden wir die F-und-E-Ausgaben des Bundes wieder anheben. Anders als bei Ihnen also Wachstum in dem Bereich! ({2}) Die Zahl der Inlandspatente ist gestiegen. Auch die Zahl der Studienanfänger liegt um 8 Prozent höher als 1998, übrigens mit starken Zugewinnen bei den Anfängern in der Informatik. Wir haben also in allen Punkten, die Sie uns jetzt vorgehalten haben, deutliche Verbesserungen gegenüber dem erzielt, was CDU und CSU angerichtet haben. ({3}) Frau Reiche, wenn Sie hier so fröhlich argumentieren, man solle in Deutschland jetzt endlich die im Rahmen der Lissabon-Strategie vereinbarten 3 Prozent des Bruttosozialprodukts für F-und-E-Ausgaben erreichen, dann muss ich Ihnen Folgendes sagen: Sie verweigern sich systematisch dem Subventionsabbau in entscheidenden Bereichen, ({4}) fordern dann aber voller Vergnügen mehr für Forschung und Technik. Das geht wirklich nicht. Daraus wird kein Schuh. Sie müssen konsequent für Subventionsabbau eintreten und dürfen nicht im Vermittlungsausschuss des Bundesrats Ihre Zustimmung verweigern. Dann wäre Ihr Redebeitrag ehrlich. So ist er aber einfach politisch unseriös. ({5}) Ich stimme beiden, die schon geredet haben, in einem Punkt zu: Die positive technologische Entwicklung in Deutschland ist für die Fähigkeit unserer Wirtschaft, Arbeitsplätze zu schaffen, das A und O. Wir sind an der Spitze bei dem Doppeltrend, dass auf der einen Seite die Leute länger leben und auf der anderen Seite die Geburtenrate sinkt. Das kann man an unserem Standort nur ausgleichen, wenn Technologie, Produktivitätswachstum und Innovationen vermehrt werden. Wenn wir das nicht schaffen, wird Deutschland seinen Wohlstand nicht halten können. ({6}) Deswegen ist es des Schweißes der Edlen wert, sich wirklich mit der Frage zu befassen, wie man in Deutschland zu mehr technologischen Innovationen kommt. ({7}) Besondere Sorgen macht uns von den Grünen zum Beispiel, wie schlecht die Diffusion von I-und-K-Technik in vielen Bereichen der Wirtschaft ist. Beim Handwerk, bei den Dienstleistungen, bei den produktionsnahen Dienstleistungen und bei den Finanzdienstleistungen haben wir im EU-Bereich in den letzten Jahren so gut wie kein Produktivitätswachstum, während im Vergleich dazu in den USA ein Wachstum von 4 bis 5 Prozent vorhanden ist. Das wirft uns in diesen Bereichen zurück. In den nächsten Jahren müssen wir uns mehr auf diesen Punkt konzentrieren. Ich möchte ein paar Punkte nennen, die uns in der Frage, wie wir zu mehr Innovationen in Deutschland kommen können, wichtig sind: Erstens. Wir brauchen massive Reformen in der Bildungspolitik, schon in der Grundschule und in den Kindergärten angefangen. Ich finde, dass das, was die KMK als Konsequenzen von PISA zustande bringt, zu langsam geht. ({8}) Dass die schwarz-regierten Länder aus der Bund-Länder-Kommission aussteigen, ist in diesem Zusammenhang kein Vorteil, sondern nichts anderes als ein Nachteil. ({9}) Wir brauchen ein Bildungssystem, das Neugier, Kreativität, Teamfähigkeit und Methodenwissen zum Zentrum der pädagogischen Auseinandersetzung und Arbeit macht; ({10}) denn das sind die Schlüsselqualifikationen, die man für Innovationen braucht. Beispiel Lehrerfortbildung: In den USA müssen Lehrer in fünf Jahren 50 Stunden Fortbildung nachweisen; in Deutschland ist es eher ein Hobby für diejenigen, die ohnehin schon ambitioniert sind. Dies muss man in den Ländern ändern. Ich sage deutlich: Wenn die Länder dies nicht schaffen, dann muss der Bund nachhelfen, dass sie die Veränderungen, die wir für die Förderung von Innovationen und die wirtschaftliche Entwicklung brauchen, vornehmen. ({11}) Zweitens: Schritt für Schritt mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung in Deutschland. Die 3 Prozent, die die Ministerin genannt hat, sind eine richtige Zielgröße. Wir werden uns auf den Weg machen, dies auch zu finanzieren, und zwar nicht mittels höherer Verschuldung, wie Sie es propagieren, sondern systematisch über Subventionsabbau. Das ist nämlich der einzige richtige Weg. Dritter Punkt. Wir brauchen mehr Fachkräfte und Menschen, die über hoch spezialisiertes Wissen verfügen. In den nächsten fünf bis sechs Jahren gehen in Deutschland viele in Pension bzw. in den Ruhestand, die über dieses Wissen verfügen. Da sage ich ganz klar an Ihre Adresse, Frau Reiche: Wer wie Sie in der Zuwanderungspolitik eine totale Verweigerungshaltung an den Tag legt, der gefährdet in gewisser Weise den Innovationsstandort Deutschland. Sie machen hier reaktionäre Politik zulasten der Arbeitsplätze und unserer eigenen Interessen. ({12}) Es gibt Schwierigkeiten - das haben Sie angesprochen - bei der Finanzierung von Innovationen, und zwar nicht in der Phase der Existenzgründungen, sondern in den darauf folgenden Phasen, wenn mehr Geld benötigt wird. Deswegen möchte ich vorschlagen, dass wir uns rasch über das hinaus, was die Mittelstandsbank in diesem Bereich tut, um die steuerlichen Rahmenbedingungen für innovative Betriebe kümmern. Die generelle Steuerpflicht für wesentliche Beteiligungen ist in der Phase ein Hindernis. ({13}) Der Verlust des Verlustvortrages bei sich schnell ändernden Eigentümerstrukturen ist hier ein Hindernis. Auch die Steuerpflicht für Lizenz- und Patentgebühren stellt hier ein Hindernis dar. Ich rate allen in diesem Parlament, zu schauen, was Frankreich und England tun. ({14}) In der nächsten Zeit müssen wir neue Vorschläge machen, wie Innovationen steuerlich begünstigt werden können. ({15}) - Hören Sie doch einfach in Ruhe zu. Vor allem Sie, Herr Niebel, können das eine oder andere lernen. Der nächste wichtige Punkt, den ich ansprechen möchte, ist, dass wir Subventionen abbauen müssen. Das Festhalten an alten Subventionen ist der Feind von neuen Innovationen. An dieser Feststellung kommt man nicht vorbei. Wer sich am Alten festklammert, der blockiert allein über die finanzielle Schiene die Entwicklung des Neuen. ({16}) Deshalb sagen wir: Förderung von Innovationen und Abbau von Subventionen müssen in einem Zuge geschehen. ({17}) Ich komme zum Schluss und möchte dabei noch auf eines hinweisen: Wenn man einmal in die Wirtschaftsgeschichte schaut und untersucht, welche Gesellschaften mehr Innovationen hervorbringen, dann stellt man Folgendes fest: Es sind in der Regel Gesellschaften, die über klare gemeinsame Ziele verfügen, auf diese bezogen ihre Techniken entwickeln und nicht einfach pauschal alle Techniken fördern, die ihnen möglich erscheinen. Ich sage Ihnen: Die Propagierung von Strategien der nachhaltigen Entwicklung und von Strategien, die zum Beispiel weg vom Öl in allen Technologiebereichen, insbesondere bei den Antriebskonzepten für das Auto, führen, wird sich auch auf das Innovationsgeschehen an Hochschulen, Forschungsstätten und in den Entwicklungsabteilungen der Betriebe auswirken. Mein Vorwurf an die Opposition lautet: Sie sind bezüglich solcher Ziele blind, deswegen haben Sie keinen klaren Innovationsbegriff. ({18}) Ich glaube, dass die Regierung auf einem guten Weg ist, vor allem wenn sie mehr für nachhaltige Entwicklung tut. Dafür stehen die Grünen. Wir werden uns auch weiter dafür einsetzen, Frau Reiche. Vielen Dank. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Ulrike Flach, FDP-Fraktion.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kuhn, ich betrachte mit großem Interesse Ihre Äußerungen zum Thema Subventionen. Als Nordrhein-Westfälin wäre ich Ihnen natürlich sehr dankbar, wenn Sie das einmal im Detail mit Frau Höhn bereden würden. Das wäre sehr hilfreich für ein Land wie NRW, das weit unter dem Durchschnitt liegt. ({0}) Liebe Kollegen, der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit ist für die Forschung und Entwicklung in Deutschland ungefähr das, was die Hannover Messe für die Industrie ist: ein Spiegel der Fähigkeit einer Volkswirtschaft zu Innovationen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Da haben Sie, Frau Bulmahn, natürlich die Bereiche aufgezählt - das nehme ich Ihnen nicht übel -, in denen Fortschritte erzielt wurden. Aber der Tenor des Berichtes insgesamt entspricht dem natürlich nicht, sondern er enthält eher das klare und deutliche Signal: Deutschland fällt eher zurück, als dass es auf der Aufsteigerliste steht. ({1}) Der im Schnitt gute Bildungsstand der Bevölkerung ist ein Plus; das sagt auch der Bericht. Aber wir alle, die wir hier sitzen, wissen doch, dass unsere Bildungsanstrengungen im internationalen Bereich alles andere als gut dastehen. ({2}) Wir sind international nicht in der Lage, mitzuhalten. Die anhaltend schwache binnenwirtschaftliche Dynamik wird auch weiterhin zu einem Zurückfahren der F-und-EBudgets der Unternehmen führen. Frau Bulmahn, bei 40 000 Unternehmenspleiten im Jahre 2002 ist dies auch nicht verwunderlich. So sagt der Bericht eindeutig, dass jetzt die Nagelprobe Ihrer Politik bevorsteht. Ich zitiere: ... Zukunftsinvestitionen in Forschung - und dies gilt parallel auch für die Bildung - sind das Letzte, was dem konjunkturellen Rotstift der Haushaltskonsolidierung zum Opfer fallen darf ... Da müssen Sie sich fragen lassen, Frau Bulmahn, ob eine Nullrunde bei den großen Forschungsorganisationen mit Ausnahme der DFG, ob ein Zurückfahren des Haushaltes des BMBF dem wirklich entspricht. ({3}) Wenn Sie das Ganztagsschulprogramm, das eigentlich ein Familienprogramm ist und deswegen gar nicht in Ihren Haushalt gehört und auch nicht drinsteht, nicht immer hineinrechnen würden, dann hätten Sie sogar einen sinkenden Haushalt. Bei der Technologieförderung sieht es noch düsterer aus. Wenn Sie die Ausgaben für Technologieförderung in Ihrem Ministerium und im BMWA zusammenfassen, dann liegen Sie 2003 um 3,1 Milliarden Euro niedriger als 1998, nach der schrecklichen 16-jährigen Zeit von CDU/CSU und FDP. ({4}) Nach wie vor liegt die F-und-E-Intensität Deutschlands deutlich hinter der Schwedens, Finnlands, Japans, der USA und Koreas. Kollegin Reiche hat das eben deutlich gemacht. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt liegen wir bei 2,5 Prozent. Sie haben das Ziel für 2010 mit 3 Prozent angegeben. Ich sage Ihnen für die FDP ganz deutlich: Natürlich teilen wir dieses Ziel. Aber wir müssen einen höheren Gang einlegen, wenn wir die Steigerungsraten Schwedens mit 30 Prozent zwischen 2000 und 2002, der USA mit 25 Prozent und Japans mit 15 Prozent einholen wollen. Der Bericht macht ganz deutlich: Um dieses Dreiprozentziel zu erreichen, werden in Deutschland mehrere Hunderttausend hoch qualifizierte Menschen an F-und-E-Personal gebraucht, die wir zurzeit aber nicht haben, Frau Bulmahn. Wir sind auch nicht auf dem Weg, sie zu bekommen. ({5}) Das sind die Dimensionen, die wir erreichen müssten. Dazu sind aufgrund der verfehlten Politik der Bundesregierung gegenwärtig weder die Wirtschaft noch der Staat in der Lage. Wenn es 40 000 Betriebe weniger gibt, wenn auch gut ausgebildete Ingenieure und IT-Spezialisten arbeitslos sind - wir alle wissen das doch aus unserem engsten Umfeld -, wo sollen dann Forschung und Entwicklung herkommen? Die Innovationsintensität der Wirtschaft hat nachgelassen. Sie ist auf den Stand von 1995 zurückgefallen, Frau Bulmahn. Das ist kein positives Signal, das ist verheerend. ({6}) Schaffen Sie endlich wieder vernünftige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und die Wissenschaft, damit Forschung Dynamik freisetzen kann! Frau Reiche führte schon den Bericht der Bundesbank zu technologischen Dienstleistungen in der Zahlungsbilanz an. Auch er weist einen negativen Saldo aus. Dieses ist - das halte ich gerade für uns Forschungspolitiker für sehr interessant - bei den Ingenieurdienstleistungen besonders dramatisch, bei denen sich das Zahlungsbilanzdefizit in Ihrer Regierungszeit verdoppelt hat, Frau Bulmahn. ({7}) Das heißt, wir zahlen immer mehr für Patente, Lizenzen und Ingenieurleistungen an das Ausland, als wir dadurch von anderen einnehmen. Auch das ist ein Zeichen für eine Schwächung der technologischen Leistungsfähigkeit. ({8}) Für junge F-und-E-Unternehmen ist die Kapitalknappheit ein großes Problem. Im Bericht wird dazu ausgeführt: Der Markt für die Frühphasenfinanzierung von jungen Technologieunternehmen ist im Jahr 2002 geradezu eingebrochen ({9}). Die Finanzierung entwickelt sich ... zum Strukturwandelhemmnis. Da sind wir bei den Kernpunkten, Frau Bulmahn: Es gibt in Deutschland nicht nur ein Defizit bei den staatlichen Aufwendungen für F und E, sondern es gibt eben auch strukturelle Defizite. Wir haben noch immer kein eigenes Tarifrecht für die Wissenschaft. Wir unterstützen Sie, Frau Bulmahn, wenn es darum geht, dies zu ändern. Aber fragen Sie bitte einmal Herrn Schily - er ist bezeichnenderweise heute nicht anwesend -, was er zu diesem hoch brisanten Thema sagt. ({10}) Sie versprechen landauf, landab Veränderungen; aber es bewegt sich nichts. Wir haben immer noch keine Autonomie der Hochschulen bei Personal-, Finanz- und Grundstücksmanagement. Wir haben ein Steuersystem, das nicht ausreichend auf KMUs der F-und-E-Branche ausgerichtet ist. In diesem Zusammenhang möchte ich - das ist ganz aktuell - kurz auf die geplante Änderung der Körperschaftsteuer hinweisen, auf die Sie sich offensichtlich mit den Kollegen der CDU/CSU geeinigt haben. Wenn die so genannte Mehrmütterorganschaft eingeschränkt wird, wären besonders Joint-Venture-Unternehmen im Forschungs- und Entwicklungsbereich betroffen. ({11}) Das verunsichert die Unternehmen. Wie sollen sie in einer solchen Situation investieren? Auch die wuchernde Bürokratie ist eine erhebliche Bremse für Forschung und Entwicklung. Fragen Sie die Kollegin Homburger, die Ihnen einmal in der Woche erzählt, was diese Belastung für die deutschen Unternehmen bedeutet. ({12}) Anstatt in Forschung und Entwicklung zu investieren, befassen sich die Unternehmen damit, irgendwelche Fragebögen für Statistiken auszufüllen. Da gibt es einen großen Änderungsbedarf. ({13}) Einige Worte zur Biotechnologie. Es ist ja schön, zu hören, dass die Bundesregierung endlich die von uns seit Jahren geforderte Biotechnologiestrategie vorlegen will. Für die Forscher ist vor allem wichtig, dass endlich die Widersprüche in der Regierungspolitik beseitigt werden. Deswegen ist es so interessant, was uns Kollege Kuhn eben gesagt hat. ({14}) Es wäre sehr schön, wenn Frau Künast auch einmal das täte, was uns mit schönen Worten versprochen wird. ({15}) Selbstverständlich können wir es uns nicht leisten, dass das eine Ministerium die grüne Gentechnik unterstützt und das andere Ministerium sie verhindern will. Das ist doch die Realität in diesem Lande. Die Biopatentrichtlinie wurde eben schon angeführt; sie ist immer noch nicht umgesetzt. ({16}) Zum Thema Patente. In den nordischen Ländern, aber auch in Korea, Holland und Kanada gibt es zweistellige Wachstumsraten pro Jahr bei der Patentanmeldung. Deutschland dagegen weist gegenüber 2000 nur eine Steigerungsrate von 6 Prozent auf. In wichtigen Schlüsselbereichen wie I und K, Pharmazie und Elektrotechnik können wir international nicht mithalten. ({17}) Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit muss alle Alarmglocken läuten lassen. Er ist ein wichtiges und sehr hilfreiches Dokument, dessen Aussagen wir von der FDP sehr ernst nehmen. Bisher kann ich in der Regierungspolitik insgesamt keine konsistente Linie für Forschung und Entwicklung erkennen. Es geht nicht an, dass die Anstrengungen der Forschungsministerin, die wir an vielen Stellen unterstützen, immer wieder durch Kabinettskollegen konterkariert werden. Aber auch ihre eigenen guten Ansätze der ersten Jahre wurden durch den Haushalt 2003 und durch Ihre Wortbrüche bei der Forschungsförderung verspielt. Forschungspolitik besteht aus Verlässlichkeit - das wissen gerade wir - und nicht aus Vergesslichkeit, liebe Frau Bulmahn. ({18}) Wenn Sie so weitermachen, prognostiziere ich Ihnen für den Bericht 2003 einen dramatischen Absturz in vielen Bereichen. ({19}) Das ist genau das, was dieses Land nicht vertragen kann. Priorität für Bildung und Forschung - auch angesichts knapper Haushaltsmittel - haben Sie versprochen, Frau Bulmahn. Daran werden wir Sie auch weiterhin äußerst kritisch messen. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Franz Müntefering, SPD-Fraktion. ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in Deutschland in einer Phase wichtiger Grundsatzentscheidungen über die zukünftige Politik für dieses Land. Der Bundeskanzler hat am 14. März von dieser Stelle aus deutlich gemacht, dass wir in der Koalition entschlossen sind, Deutschland wirtschaftlich und sozial an die Spitze in Europa zu führen, und dass wir bereit sind, die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Ein wichtiger Punkt dabei wird sein - auch das war Gegenstand seiner Regierungserklärung -, dass wir den Bereich von Bildung und Forschung in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen stellen. Deshalb hat der Bundeskanzler zugesagt, die Etatansätze der Max-Planck-Gesellschaft und anderer Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr um 3 Prozent zu erhöhen. ({0}) Das ist eine ganz wichtige Botschaft der Regierungserklärung vom 14. März. ({1}) Wer auch morgen und übermorgen Wohlstand haben will, der muss heute ({2}) in Forschung und Technologie investieren. Das tun wir. Wer morgen ernten will, muss heute ({3}) säen. Wir sind dabei, dies zu tun. ({4}) Wir wissen, dass eine große Anstrengung nötig ist. Dies gilt für beide Seiten des Hauses. Ich finde, dass die Art und Weise, in der hier manches schwarz-weiß gemalt wird, an der Realität vorbei geht. Die schlichte Wahrheit ist, dass Sie von der FDP und der CDU/CSU die nötigen Entwicklungen in den 90er-Jahren verschlafen haben, ({5}) dass Sie zusammen mit Herrn Kohl im Ohrensessel gesessen haben und dass wir heute alle miteinander das auszubaden haben, was Sie damals liegen gelassen haben. ({6}) Aber der Blick zurück nützt ja nichts. Jetzt müssen wir nach vorne schauen. Deshalb ist es gut, dass Frau Ministerin Bulmahn vortragen konnte, was wir zwischen 1998 und 2003, also in den letzten viereinhalb Jahren, erreicht haben. Auf die Steigerung in Höhe von rund 25 Prozent im Bereich Bildung und Forschung sind wir stolz. Dies ist eine der wichtigsten Leistungen dieser Koalition in ihrer Regierungszeit. ({7}) Wir haben aufgeholt. Wir haben das Saatgut nicht mehr verfüttert. ({8}) In den nächsten Jahren wird daraus Gutes entstehen. Das wissen wir. ({9}) Wir wissen aber auch, dass Selbstzufriedenheit nicht angebracht ist und dass in den nächsten Jahren viel zu tun sein wird. Hier aber schwarz-weiß zu malen ginge an der Lebenswirklichkeit vorbei. Wir wissen, dass auch andere Länder sich engagieren. Wir wissen, dass Technologie im großen Stil gekauft werden muss, weil wir sie nicht mehr selbst haben. Wir wissen, dass unser Weltmarktanteil im Hochtechnologiebereich niedriger geworden ist. Wir wissen, dass wir unser Geld mit guten und reifen Produkten verdienen, dass aber zu wenige neue Spitzentechnologien darunter sind. Wir wissen, dass bei uns viele Patentanmeldungen vorliegen, dass aber zu wenige neuartige Entwicklungen darunter sind. ({10}) Vor allen Dingen wissen wir, dass die Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland nicht reicht, damit wir wieder an die Spitze kommen. Deshalb muss in diesem Bereich ein neuer Schwerpunkt gesetzt werden. Dazu sind wir entschlossen. Die Frage ist nur: Welche Konsequenzen zieht man aus den Erkenntnissen, die man hat, aus den Entwicklungen der 90er-Jahre und aus der Realität, in der wir uns heute befinden? Zu den positiven Entwicklungen gehört allerdings, dass die kleinen und mittleren Unternehmen sehr viel stärker als zuvor in die Fördermaßnahmen der Bundesregierung und der öffentlichen Hände überhaupt einbezogen sind. Über 66 Prozent aller an Fördermaßnahmen beteiligten Unternehmen sind heute kleine und mittlere Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten. Dies entspricht einer absoluten Zahl von 1 700 Unternehmen und einer Steigerung von 45 Prozent gegenüber 1998. Das ist eine stolze Zahl, die ausdrückt, dass kleine und mittlere Unternehmen heute viel stärker beteiligt sind. ({11}) Deshalb hat auch der Wirtschaftsminister Recht, wenn er mit seiner Mittelstandsoffensive dafür sorgt, dass dieser Teil der Innovationsförderung, auch auf kleine und mittlere Unternehmen bezogen, neue und zusätzliche Impulse bekommt. Es geht aber nicht nur um neue Arbeitsplätze. Es geht auch darum, ob wir als Gesellschaft Fortschritt wollen und ob wir uns auch in Zukunft bemühen, das Leben mit den Möglichkeiten technologischer Entwicklungen menschlicher und erträglicher zu machen. Deshalb hat dieses Thema auch mit der Hoffnung auf Fortschritt in dieser Gesellschaft zu tun. Es geht um die Frage, ob wir ökonomische, ökologische und gesellschaftspolitische Fortschritte organisieren können. Was die Koalition aus SPD und Grünen in den letzten vier Jahren im Bereich der Erneuerbaren Energien geleistet hat, ist gut. Es wird sich auszahlen. Es ist vernünftig bezüglich der Arbeitsplätze und der Ökologie. In der letzten Legislaturperiode haben wir 16 Gesetze beschlossen, die in diese Richtung gingen. Aber 14 Mal haben Sie dagegen gestimmt. Deshalb haben Sie so wenig Grund, sich über das zu erregen, was an dieser Stelle zu tun ist. ({12}) Die Frage des heutigen und des zukünftigen Umgangs mit Energie hat nicht nur größten Einfluss auf unsere Gesellschaft, sondern auch auf die Entwicklung der gesamten Menschheit. Deshalb fördern wir auch weiterhin die Entwicklungen im Bereich der Brennstoffzelle. Dies ist eine große Chance für Fortschritt auf dem Energiemarkt; damit können wir ihn revolutionieren. Wir wollen die Möglichkeiten einer solchen neuen Technologie nutzen und sie unterstützen. Es war diese Koalition, die das Satellitennavigationssystem Galileo in Europa mit entwickelt hat. Es bietet eine große Chance für die Mobilität in unserem Land und in den anderen Ländern der Welt. ({13}) Das sind Dinge, die in die Zukunft weisen und das Leben menschlicher machen, weil sie den Fortschritt in unsere Gesellschaft bringen. Wir wissen, dass technologische Leistungsfähigkeit Bedingungen hat und deshalb die Frage nach der Bildung und Qualifizierung zentral ist. Es ist daher wichtig, dass wir uns an dieser Stelle darüber unterhalten, was zu tun ist. Es ist soeben schon über die Frage, ob es in Deutschland Ingenieure in ausreichender Zahl gibt, gesprochen worden. Die zuständigen Verbände sagen uns, dass 70 000 bis 80 000 Ingenieure in Deutschland fehlen. Das hängt damit zusammen, dass wir den Menschen bisher nicht rechtzeitig gesagt haben, wo ihre Berufs- und Lebenschancen sind, es hängt aber auch damit zusammen, dass die Unternehmen nicht rechtzeitig dafür sorgen, dass die nötigen Ausbildungen erfolgen. Die Unternehmen dürfen eben nicht nur in der Welt herumreisen und sich die neuesten Maschinen kaufen, sondern sie müssen auch rechtzeitig dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land qualifiziert werden, damit die anstehenden Aufgaben geleistet werden können. ({14}) Bezüglich der Frage der Leistungsfähigkeit haben sich die Bundesregierung und die Koalition vorgenommen, in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung der Kinder in Kindergärten und Schulhorten auszugeben. Nun können Sie sagen: Damit fangen Sie aber früh an. - Genau diesen Punkt aber müssen wir sehen. Wir brauchen neue Personalentwicklungskonzeptionen in unserem Land; das ist die Schlüsselfrage dabei, ob uns Innovationen und technologische Entwicklungen gelingen. Das Problem der Bildung und Qualifizierung in Deutschland werden wir nur lösen können, wenn wir vorn anfangen, nämlich bei den Kindern, den Schulen. Die Koalition wird einen zentralen Beitrag für die technologische Entwicklung und damit für die Zukunft Deutschlands leisten. ({15}) Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten die Köpfe über die Alterssicherung und die Zukunft des Sozialstaats heißgeredet. Unabhängig davon, ob wir 65, 67 oder 69 Prozent als Rentenniveau ins Gesetz schreiben, bleibt die entscheidende Frage, ob Deutschland im Jahre 2020 oder 2040 immer noch ein Wohlstandsland wie heute ist. Der Wohlstand in Deutschland hängt davon ab, ob die innovative technologische Zukunftsfähigkeit dieses Landes gegeben ist. Dafür müssen wir bereit sein, einen Teil dessen, was wir heute erwirtschaften, nicht zu verfüttern, sondern es in die Köpfe und Herzen der Kinder und jungen Menschen zu investieren. Das, was wir heute in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Forschung und Technologie investieren, ist entscheidend auch für die Alterssicherung und die Zukunft des Sozialstaats. Diesen Zusammenhang sehen wir. ({16}) Bildung und Forschung sind eine der tragenden Säulen in der Agenda 2010. Wir wissen, dass wir über viele andere Dinge sprechen müssen, aber eben auch über Bildung und Forschung. Auch sie gehören zur Nachhaltigkeit. Wenn Sie Nachhaltigkeit in Wahlkämpfen ansprechen - das wissen Sie auch alle -, erhalten Sie drei kurze Klatscher, mehr Aufmerksamkeit nicht. Diese unsere Politik richtet sich nicht nach Legislaturperioden. Sie wird sich in zehn oder 20 Jahren auszahlen. Das haben wir im Blick und dafür setzen sich Frau Bulmahn und diese Koalition ein. Das werden wir auch in Zukunft machen. Unabhängig davon, wie Sie daran herumkritteln: Wir sind mit der Betonung von Bildung und Forschung auf dem richtigen Pfad und werden das in konkrete Politik umsetzen. ({17}) Es gibt in Europa eine Zahl, die uns alle bewegt und über die wir jeden Tag sprechen: 3 Prozent. Diese Zahl bezieht sich auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Es gibt in Europa aber noch eine andere Zahl, die mit 3 Prozent zu tun hat: Bis zum Jahre 2010 wollen wir mindestens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung in ganz Europa ausgeben. Diese 3 Prozent sind genauso wichtig wie die 3 Prozent des Stabilitäts- und Wachstumspakts und wir werden sie beide realisieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Martin Mayer, CDU/CSUFraktion, das Wort.

Dr. Martin Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001448, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Rede von Frau Bulmahn hat man sich gefragt: Wo ist denn eigentlich die Vision? Junge Menschen, die ihr zugehört haben, haben wohl gemerkt: Es gab eine Vergangenheitsbewältigung, aber keinen Blick in die Zukunft, der Menschen begeistern könnte. ({0}) Dr. Martin Mayer ({1}) Herr Müntefering, Sie haben hier in schönen Worten - Sie sind ja Meister in Worten und Sprüchen - dargestellt, was Sie alles machen wollen. Das Drama aber ist, dass diesen Worten keine Taten folgen. ({2}) Dazu könnte man als Beispiele die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft nennen, denen Sie eine Erhöhung der Zuwendungen versprochen haben. Dieser Haushalt aber zeugt von Kürzungen und Stagnation. ({3}) Wir diskutieren heute über einen Bericht über Innovationen, der von Wissenschaftlern im Auftrag der Bundesregierung erstellt worden ist. In dem wichtigsten Teil dieses Berichts, den Aussagen zu den Perspektiven der Innovationspolitik, findet sich ein eigenartiger Satz. Ich zitiere: Die Hinweise zu den Perspektiven für die Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik können nicht umfassend sein, denn der Untersuchungsauftrag war begrenzt. In welcher Weise war er denn begrenzt? Wurden bestimmte Themen zum Tabu erklärt? Es fällt jedenfalls auf, dass im Kapitel „Chemische Industrie“, die als Branche beispielhaft aufgeführt ist, kein einziges Wort über die grüne Gentechnik zu finden ist. Dabei könnte gerade die grüne Gentechnik Deutschland dazu verhelfen, im Bereich der Pharmazie - Deutschland war ja einmal die Apotheke der Welt - wieder an die Weltspitze zu gelangen. Das zu verkünden wäre visionär. ({4}) Die Bundesregierung aber macht hier Konzessionen an die rot-grünen Ökofundamentalisten und behindert die grüne Gentechnik mehr, als sie sie fördert. Frau Bulmahn hat hier von einer Förderung der Biowissenschaften gesprochen. Hiervon ist die grüne Gentechnik aber ausgenommen. Das ist so, als ob jemand den Motor aufheulen lässt, damit die Leute meinen, jetzt startet er richtig, er aber in Wirklichkeit die Handbremse angezogen hat. Ich finde, mit einer solchen Politik werden wir Deutschland nicht an die Spitze bringen. ({5}) Bei den Innovationen ist die Bundesregierung immer dann auf dem Rückzug, wenn es brenzlig wird, und besonders eifrig, wenn die Schlachten geschlagen sind. Das gilt aber nicht nur für die Innovationspolitik. Als Beispiel nenne ich die rote Gentechnik. Dabei geht es darum, bestimmte Medikamente gentechnisch herzustellen. Solange es hier noch gewisse Unsicherheiten gab, haben die Grünen das mit aller Vehemenz bekämpft. Erst jetzt, da niemand mehr behaupten kann, dass diese Art der Herstellung irgendeinen Nachteil habe, und wo deutlich wird, dass die gentechnische Herstellung von Medikamenten umweltfreundlicher, energiesparender und für die Menschen verträglicher ist, sind Sie dabei und schreiben das auf Ihre Fahne. Beispiel Transrapid. Eine SPD-geführte Bundesregierung hat mit der Entwicklung der Magnetschwebebahn begonnen. Ein SPD-Bundeskanzler fährt nach China und lässt sich bejubeln. Als es aber darum ging, die Strecke Hamburg-Berlin, die beste Strecke auf der Welt für den Transrapid, zu bauen, sind Sie weggetreten, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({6}) Es ist zu befürchten, dass sich dieses Trauerspiel beim Metrorapid in Nordrhein-Westfalen wiederholt. Ein weiteres Beispiel für die Innovationsfeindlichkeit von Rot-Grün ist die Verteufelung von allem, was mit Radioaktivität zu tun hat. ({7}) Wenn Sie den Weg weg vom Öl wirklich ernsthaft beschreiten wollen, dann müssen Sie nicht nur die Erneuerbaren Energien fördern - wir sind uns einig, dass dies nötig ist -, sondern dann müssen Sie auch dafür sorgen, dass Deutschland seine Spitzenstellung in der Kernfusionsforschung behält, und diesen Weg mit uns gemeinsam gehen. ({8}) Es ist doch bezeichnend, dass bei ITER, einem großen internationalen Projekt der Kernfusionsforschung, das uns befähigen soll, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts auf diesem Wege Strom zu erzeugen, niemand mehr an Deutschland denkt. Es traut sich niemand mehr, Deutschland als Standort vorzuschlagen, weil Rot-Grün diese Technik von vornherein verteufelt. ({9}) Ich finde, das ist ein Skandal. ({10}) Wir werden im gesamten Bereich der Kerntechnik bald zum Entwicklungsland. Es wird in Deutschland bald niemand mehr geben, der kerntechnische Anlagen bauen, betreiben oder entsorgen kann. ({11}) Das müsste eigentlich allen zu denken geben. Der Bericht der Wissenschaftler zeigt eine Reihe von weiteren Mängeln auf - das Thema Bürokratieabbau Dr. Martin Mayer ({12}) zum Beispiel ist schon angesprochen worden -, aber die Stellungnahme der Bundesregierung ist sehr dürftig. Sie besteht vielfach aus Worthülsen, so wie die Rede der Ministerin, beginnt allerdings mit einer richtigen Feststellung: Die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands bestimmt über die Erfolge deutscher Unternehmen im internationalen Technologiewettbewerb. Sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und zukunftsfähige Arbeitsplätze. Dem kann ich nur zustimmen. Aber wenn man sich im Umkehrschluss die Arbeitsplatzentwicklung in Deutschland mit dem dramatischen Anstieg der Arbeitslosenzahlen anschaut, kann man doch nur feststellen: Diese Bundesregierung hat in der Innovationspolitik versagt. Deshalb sage ich: Die vordringlichste Innovation, die wir in Deutschland brauchen, ist eine neue Bundesregierung. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist ebenso abhängig von seiner technologischen Leistungsfähigkeit wie Saudi-Arabien vom Ölexport. Aber im Vergleich zu Saudi-Arabien haben wir einen Vorteil: Die technologische Leistungsfähigkeit ist keine begrenzte Ressource ({0}) und Deutschland hat ein hohes Niveau. Allerdings stehen wir unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Das heißt, wir müssen das hohe nationale Niveau stetig ausbauen, um nicht überholt zu werden. Wir müssen das Innovationspotenzial dieser Gesellschaft weiter erschließen, ({1}) um den Teufelskreis aus Konjunkturschwäche, höherer Arbeitslosigkeit, wachsenden Lohnnebenkosten und wiederum Konjunkturschwäche zu durchstoßen. Wenn wir die technologische Leistungsfähigkeit weiter erhöhen, können wir die Haushaltsmisere und die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpfen. Neue Arbeitsplätze werden vor allem durch neue Produkte und durch die Umsetzung von Innovationen geschaffen. Eine intelligente Vernetzung der Arbeit à la Hartz-Konzept ist wichtig, funktioniert aber nur dort, wo es auch etwas zum Verteilen gibt. Wir Grüne verkennen nicht die mahnenden Worte des Technologieberichtes. Zum Beispiel zeigt der Bericht, dass deutsche Hightech-Unternehmen Gefahr laufen, im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Schlimmer noch: Die Wirtschaft reagiert prozyklisch. 2003 ist eine Kürzung der Firmenbudgets für Forschung und Entwicklung zu erwarten. Ein weiteres Warnzeichen: Seit Beginn der 90er-Jahre verschlechtert sich die Zahlungsbilanz bei technologischen Dienstleistungen drastisch. Frau Flach, wir nehmen das ernst. ({2}) Vor zwei Jahren sind die Technologiebörsen weltweit eingebrochen. Dies ist keine nationale Schuld. Der Risikokapitalmarkt ist in diesem Zuge in Deutschland seitdem um 85 Prozent geschrumpft. Bildlich gesprochen: Schwarz-Gelb hat das Loch in den Boden gehauen und Rot-Grün ist es noch nicht gelungen, es vollständig zu stopfen. Gegenseitige Schuldzuweisungen mögen vielleicht einige selbstzufriedene Gemüter bei Ihnen erfreuen, helfen aber dem Land nicht weiter. ({3}) Meine Damen und Herren von Union und FDP, wir dürfen nicht in Skeptizismus und Resignation verfallen, wie Sie das tun. ({4}) Der Bericht zeigt auch auf, dass Deutschland eine starke Forschungslandschaft aufweist, öffentlich und privat. Wir haben hier in Deutschland viele kluge Köpfe und eine sehr gute Infrastruktur. Wenn es uns gelingt, brachliegende innovative Potenziale zu erschließen, muss uns wirklich nicht bange sein. Wir müssen auf drei Ebenen vorgehen. Erstens. Der Staat muss aktiv handeln. Bund und Länder müssen über eigene Haushaltsanstrengungen auf das EU-Ziel hinarbeiten, 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Forschung auszugeben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Forschungsausgaben von Staat und Wirtschaft jährlich um 5 bis 6 Prozent steigen. Dies wird unter dem Gesichtspunkt der Haushaltskonsolidierung nur gelingen, wenn im Haushalt neue Prioritäten gesetzt werden, ({5}) nicht aber, wenn man Subventionsabbau verhindert, wie Sie das immer wieder getan haben. ({6}) - Gestern erst. ({7}) Berechtigterweise ist deswegen im Bericht zu lesen - ich zitiere -: Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung sind das Letzte, was dem konjunkturellen Rotstift der Haushaltskonsolidierung zum Opfer fallen darf. ({8}) Auch bei der Forschungsförderung selbst müssen alte Zöpfe abgeschnitten werden, um Platz für neue Triebe zu schaffen. ({9}) Forschungsförderung aber ist nur das eine. Darüber hinaus muss der Staat vor allem über die neue Mittelstandsbank aktiv Innovationen fördern. Auch dies streben wir durch konkrete Maßnahmen an. Zweitens. Die Rahmenbedingungen insgesamt müssen so zugeschnitten werden, dass Unternehmen und Banken mehr Mittel für Technologieentwicklung bereitstellen. Unter anderem sind hierfür die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verändern. ({10}) Genau dies wird derzeit zum Beispiel in Frankreich oder Großbritannien gemacht: Frankreich setzt mit seinem Innovationsplan vor allem auf steuerliche Anreize. Großbritannien lockt mit umfangreichen Steuererleichterungen und hohen Zuschüssen gezielt innovative Unternehmen auf die Insel. Bürokratieabbau, ein freundliches Einwanderungsrecht, dem Sie sich immer entgegenstellen, ({11}) Abbau von Subventionen für überkommene Strukturen sowie mehr Wettbewerb in leistungsgebundenen Märkten sind weitere Themen, die wir angehen müssen. An dieser Stelle möchte ich, wie bereits Herr Müntefering vor mir, mit dem Bereich der Erneuerbaren Energien einen Technologiebereich hervorheben, der aufgrund guter gesetzlicher Rahmenbedingungen auch in einer schwierigen Wirtschaftslage stark expandiert und in dem Deutschland, Frau Reiche, einen echten Spitzenplatz in der Welt einnimmt. ({12}) Aber das sehen Sie offensichtlich nicht. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat zu umfangreichen Investitionen, technologischen Sprüngen, zahlreichen neuen Arbeitsplätzen und Umsatzwachstum geführt. Von dieser Erfolgsgeschichte müssen wir auch für andere Technologiebereiche lernen, vor allem in der Frage des ökologischen Umbaus. Frau Flach und Herr Mayer, wir müssen jene Zukunftstechnologien fördern und in sie investieren, welche die Bürger wollen. Dazu zählt aber nicht die grüne Gentechnik. Genfood lehnen 80 Prozent der Bevölkerung ab. Was Sie fordern, sind Fehlinvestitionen in Wirtschaftsbereiche, die weiter rückläufig sind. ({13}) - Herr Mayer, in 50 Jahren kann der Energiebedarf vollständig über die Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Es muss endlich Schluss sein mit der unendlichen Geschichte der Kernfusion, die nur Luftschlösser produziert, aber keine Umstellung der Energieproduktion bewirkt. ({14}) Drittens. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Aufbruchstimmung für die Entwicklung von Innovationen. Diese Aufbruchstimmung muss parteiübergreifend von breiten gesellschaftlichen Schichten getragen werden. ({15}) Dabei besteht, wie ich denke, Grund zur Eile. Ich schlage daher vor, eine Task Force einzurichten, die das Ziel hat, die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands sicherzustellen und auszubauen. Diese Task Force, die nicht mit Kommissionen zu verwechseln ist, soll möglichst schnell ressortübergreifende Lösungsansätze vorlegen. Sie muss bereit sein, unkonventionelle Wege zu gehen und eng mit dem Parlament zusammenzuarbeiten. Rot-Grün hat, anders als die alte Regierung, Forschung, Entwicklung und Bildung wieder in den Mittelpunkt gerückt. Auf diesem Weg werden wir weiter aktiv voranschreiten. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Helge Braun, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Helge Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003510, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Firma wie Siemens erwirtschaftet drei Viertel ihres Umsatzes mit Produkten, die jünger als fünf Jahre sind. Ich glaube, das macht beispielhaft deutlich, wie entscheidend ständige Innovationen und Investitionen in Forschung und Entwicklung für unser Land und unsere wirtschaftliche Zukunft sind. ({0}) Herr Fell, das Grundproblem zwischen uns scheint mir zu sein, dass sich Ihre Definition von Investition und Subvention offensichtlich an ideologischen Gesichtspunkten festmacht, während wir davon reden, was der Wirtschaft und der Gesellschaft in Deutschland nützt. ({1}) Sie haben das Argument der Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsausgaben um 25 Prozent während Ihrer Regierungsphase so oft angesprochen, dass ich nicht umhin kann, doch noch einmal zu betonen, worum es hier wirklich geht: Es geht hier nicht um eine historische Betrachtung der Ausgaben in Deutschland; schließlich verändert sich die Welt rasant. Zudem sind entsprechende Ausgaben in den USA - auch das ist angesprochen worden - in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent gestiegen, während wir nur eine Steigerung von 6 Prozent auf die Reihe bekommen haben. Wenn man sagt, das alles habe mit der Haushaltslage und der schwierigen wirtschaftlichen Zeit zu tun, muss man gleichzeitig sehen, dass die Japaner in der gleichen Zeit eine Steigerung von immerhin 15 Prozent erreicht haben - und dieses Land befindet sich nun wirklich nicht in einer besseren wirtschaftlichen Lage als wir. Das alles zeigt, dass Ihre Maßnahmen, Frau Bulmahn, falsch waren, und das, was Sie in diesem Jahr getan haben, war in besonderem Maße falsch. Wir haben gestern darüber diskutiert, wie sich die Haushaltslage in Deutschland entwickelt. Es gibt ständig neue Warnzeichen. Mit welchem Recht können Sie heute eigentlich behaupten, dass Sie die Haushaltsmittel in den kommenden Jahren aufstocken werden? Es gibt doch überhaupt kein Licht am Horizont der schlechten Haushaltsentwicklung, die diese Bundesregierung zu verantworten hat. ({2}) Sie reden von einer Hebelwirkung und sagen, dass Investitionen in Forschung und Entwicklung uns helfen, wirtschaftliche Kraft zu entfalten. Wenn es tatsächlich so ist, dass wir mit jedem Euro, den der Staat ausgibt, die Investitionen der Industrie und der Wirtschaft befördern, dann ist es doch erst recht notwendig, dass wir in konjunkturell schwieriger Zeit eine wirklich große Anstrengung unternehmen. ({3}) Der britische Physiker Michael Faraday hat es sehr schön ausgedrückt, als er auf die Frage des englischen Finanzministers, wozu seine Erfindung zu gebrauchen sei, gesagt hat: „Sir, eines Tages werden Sie sie besteuern können.“ ({4}) Gerade angesichts der schwachen Konjunktur wäre es also richtiger gewesen, die Anstrengungen noch einmal zu intensivieren. Im Bereich der forschenden und entwickelnden Unternehmen können wir drei konjunkturelle Probleme feststellen: Erstens. Die Aufzehrung der Kapitaldecke der Unternehmen führt dazu, dass sie nicht genügend Mittel haben, um im Hinblick auf neue Produkte in Forschung und Entwicklung zu investieren. Zweitens. Die Risikokapitalgeber in Deutschland sind in wirtschaftlich schwieriger Zeit weniger als sonst bereit, jungen Unternehmen die Frühförderung zu geben, die sie benötigen, um Existenzen im F-Und-E-Sektor zu begründen. Drittens. Die anspruchsvolle Nachfrage, die es auf dem deutschen Markt immer gab, ist zusammengebrochen. Der Run in Deutschland auf die Billigprodukte führt auch dazu, dass die Unternehmen weniger Perspektiven dafür sehen, in Deutschland anspruchsvolle Produkte zu entwickeln. Der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2002 stellt eindeutig fest, dass wir hier keineswegs nur ein konjunkturelles Problem haben. Es gibt auch zahlreiche strukturelle Probleme, die wir angehen müssen. So ist der Fachkräftemangel, den wir in Deutschland zu verzeichnen haben, bereits mehrfach angesprochen worden. Deshalb ist es nicht an der Zeit, darüber zu reden, wie wir durch Zuwanderung neue Fachkräfte nach Deutschland bekommen, sondern es ist wesentlich wichtiger, einmal zu überlegen, warum jährlich etwa 300 000 der besten Köpfe aus Deutschland flüchten. ({5}) Vergleicht man die Bedeutung verschiedener technologieintensiver Branchen in Deutschland - auch das ist schon angesprochen worden -, stellt man zahlreiche strukturelle Defizite fest. Deutschland ist nach wie vor gut in den traditionellen Bereichen der Automobilindustrie und des Maschinenbaus. Dies ist eine relativ solide Grundlage für unsere Zukunft. Aber wenn wir spitze sein und unser Wohlstandsniveau in Deutschland erhalten wollen, dann müssen wir uns darüber hinaus stärker auf die Spitzentechnologien und die Wachstumsmärkte der Zukunft konzentrieren. Dort sieht das Bild düsterer aus. Bei den F-Und-E-intensiven Waren besteht ein Exportüberschuss. Aber bei den F-Und-E-intensiven Dienstleistungen sieht es wesentlich schlechter aus. Während in diesem Bereich noch 1997 Waren im Wert von umgerechnet 1 Milliarde Euro in andere europäische Staaten exportiert wurden, müssen wir heute technologische Dienstleistungen in Höhe von 1,7 Milliarden Euro im engeren Bereich von F und E einkaufen. Das ist keine gute Entwicklung, Frau Ministerin. ({6}) Die Branchenunterschiede zeigen sich auch bei den wissenschaftlichen Publikationen. Das gute Abschneiden Deutschlands im Science Citation Index wird wiederum in klassischen Bereichen erwirtschaftet. Am besten sind unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen im Bauwesen. Bei Zukunftsbereichen wie Kommunikation oder Datenverarbeitung nimmt Deutschland keinen Spitzenplatz ein. Auch da haben wir einen großen Nachholbedarf. Die Freiheit der Wissenschaft und der Unternehmen müssen wir in Deutschland zurückgewinnen, damit wir in Zukunft unseren Wohlstand halten und den Technologiestandort Deutschland verbessern können. Ich selber habe Forschung an der Universität Gießen betrieben. Den Zettel mit einem Zitat, der dort an einer Pinnwand hing, hätte ich gerne weggenommen. Ich möchte, dass wir uns anstrengen, Deutschland wieder zum Technologiestandort Nummer eins zu machen, daHelge Braun mit dieses Zitat des Mathematikers und Philosophen Bertrand Russell keine Berechtigung mehr hat: Die Wissenschaftler bemühen sich, das Unmögliche möglich zu machen. Die Politiker bemühen sich oft, das Mögliche unmöglich zu machen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dies war die erste Rede des Kollegen Helge Braun. Unsere herzliche Gratulation! ({0}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Swen Schulz, SPD-Fraktion. ({1})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands ist zweifelsohne nach wie vor hoch. Doch wir müssen erkennen, dass unsere Spitzenstellung kein Naturgesetz ist. Jahr für Jahr müssen wir an dem hohen Niveau der Leistungsfähigkeit arbeiten; denn die Konkurrenz schläft nicht. Der sehr detaillierte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands hat im Wesentlichen drei zentrale Aussagen: Erstens. Wir haben seit Anfang der 90er-Jahre Boden verloren. Zweitens. Die seit 1999 unternommenen Anstrengungen zeigen Erfolge. Drittens. Das reicht aber noch nicht aus. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen, sondern müssen weiter voranschreiten. Auch und gerade in Zeiten der konjunkturellen Durststrecke sind Zukunftsinvestitionen von größter Bedeutung. ({0}) Das gilt für die Wirtschaft ebenso wie für die öffentlichen Haushalte. Es ist darum richtig, dass der Bundeskanzler ein so klares Bekenntnis zu Investitionen in die Zukunft abgelegt hat. Die Haushaltskonsolidierung ist unbestritten notwendig; denn wenn wir weiter hemmungslos auf Pump leben, werden die kommenden Generationen noch weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben als wir. Aber genau deswegen ist Sparen kein Selbstzweck. Gerade im Hinblick auf unsere Verantwortung, optimale Grundlagen für die kommenden Generationen zu schaffen, müssen wir in Bildung, Forschung und Innovation investieren. Wir müssen für die Zukunft sparen, nicht an der Zukunft. ({1}) Im Technologiebericht nimmt der Bereich Bildung diesmal zu Recht einen Schwerpunkt ein; denn schließlich stellt das Bildungssystem das Fundament der technologischen Leistungsfähigkeit dar. Ich finde es sehr schade, dass die Opposition hierzu bislang noch wenig gesagt hat. Der Bericht beschreibt insbesondere im Bereich der Hochqualifizierten einen deutlichen Mangel, der zu erheblichen Problemen führen wird, wenn wir nicht energisch gegensteuern. Positiv ist der wesentlich durch die BAföG-Reform bewirkte Anstieg der Studentenzahlen. ({2}) Die Bachelor- und Masterstudiengänge können einen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des Hochschulbesuchs leisten. Der von der Bundesministerin angebotene Pakt für Hochschulen ist dringend nötig, um die Studienbedingungen zu verbessern. Die Studienabbrecherquote muss gesenkt und die Studiendauer muss gekürzt werden. Die Nachwuchsarbeit ist weiter zu intensivieren. Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt werden, sich ein internationales Profil zu erarbeiten. Dem absehbaren Fachkräftemangel muss durch die optimale Förderung der hier Geborenen, aber auch durch gezielte Zuwanderung ausländischer Akademiker entgegengewirkt werden. ({3}) Wir müssen darüber hinaus unser gesamtes Bildungssystem auf die Erfordernisse der Wissenswirtschaft einstellen. Bereits in der Schule werden die Grundlagen gebildet. Die Menschen müssen die Chance erhalten, die in ihnen steckenden Potenziale zu entwickeln. Die Bundesregierung gibt bereits in Zusammenarbeit mit den Ländern wichtige Impulse für die Qualitätssteigerung der Schulbildung, etwa mit der Finanzierung von Ganztagsschulen und mit der Formulierung nationaler Bildungsstandards. Wir müssen vor allem eines beachten: Eine Gesellschaft, die auf die Kompetenz vieler Menschen verzichtet, weil sie aufgrund ihrer sozialen Herkunft schlechtere Bildungschancen erhalten, ist erstens ungerecht organisiert und zweitens volkswirtschaftlich schlecht aufgestellt. ({4}) Der Technologiebericht hat auf diesen Missstand hingewiesen. Während 72 Prozent der Kinder aus hoher sozialer Herkunft den Hochschulzugang erwerben, erreichen dies ganze 8 Prozent der Kinder aus unterer sozialer Herkunft. Darum sind Maßnahmen notwendig, um Kinder und Jugendliche aus so genannten bildungsfernen Schichten zu fördern, statt sie frühzeitig auf ein niedriges Bildungsniveau festzulegen. Die Arbeitslosen von morgen gehen heute zur Schule. Die beste Arbeitsmarktpolitik ist eine ausgezeichnete Bildungspolitik. ({5}) Ich hoffe, dass wir durch PISA und IGLU zu einer ernsthaften und ideologiefreien Diskussion über die Dauer der gemeinsamen Schulzeit aller Kinder und Jugendlichen kommen. Wer immer noch den gemeinsamen Swen Schulz ({6}) Unterricht gegen die Begabtenförderung ausspielen möchte, dem halte ich ein Zitat aus dem Technologiebericht entgegen: Elitequalifikationen können nicht entstehen, wenn die frühe Förderung in der Breite versagt. ({7}) Darüber hinaus müssen wir unsere Anstrengungen forcieren, den Zugang zu Hochschulbildung zu öffnen, damit diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - das Abitur nicht haben, über ihre berufliche Qualifikation in den Hochschulbereich gelangen und somit ein Spitzenniveau der Bildung erreichen können. Der Technologiebericht bescheinigt uns gerade in diesem Bereich im internationalen Vergleich eine schlechte Position. Angesichts der skizzierten bundespolitischen Herausforderungen habe ich kein Verständnis dafür, dass sich die CDU/CSU-Fraktion offenbar seit neustem gegen die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern ausspricht. ({8}) Es steht bei allen nachvollziehbaren Überlegungen zur Organisation des Föderalismus fest, dass die Bildung eine gesamtstaatliche Herausforderung darstellt. ({9}) Bund und Länder sind zur Zusammenarbeit angehalten. Vor allem aber sind die Kinder und Jugendlichen darauf angewiesen, dass in jeder Hinsicht alles unternommen wird, um ihren Interessen gerecht zu werden. Ich halte es daher für grundsätzlich falsch, dass sich die Bundestagsfraktion der CDU/CSU faktisch aus der Gestaltung der Zukunft ausklinken will. Ich setze aber darauf, dass die diesbezüglichen Ausführungen der Kollegin Reiche vorige Woche im Fachausschuss nicht mit der Fraktion abgestimmt waren und bald korrigiert werden. ({10}) Die Regierungskoalition hat aus der Entwicklung seit Anfang der 90er-Jahre bereits 1998 die richtigen Schlüsse gezogen und Weichenstellungen für die Zukunft vorgenommen. Wir alle sind jetzt aufgefordert, das Tempo zu erhöhen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Auch dies war eine erste Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege Schulz! ({0}) Jetzt aber kommt kein jungfräulicher Redner, sondern der Kollege Dr. Heinz Riesenhuber. ({1}) Sie haben das Wort.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, dass Sie mir die Jungfräulichkeit absprechen, ist nicht ganz falsch. Schließlich habe ich vier tüchtige und glückliche Kinder. Ich freue mich, dass wir uns in den Grundsatzfragen in einer so expliziten Weise einig sind. Ich vernehme hier nur Begeisterung für Technologie. Ich begrüße es auch, Herr Müntefering, dass Sie in diese Debatte eingestiegen sind. Wir haben in den nächsten Jahren in der Tat in diesem Bereich noch feiste Probleme zu lösen. Mehrere Redner haben über die Entwicklung des Haushalts gesprochen. Der Haushalt des Forschungsministeriums hat sich recht gut entwickelt; Frau Bulmahn hat das mit angemessenem Stolz vorgetragen. Der Haushalt des Technologiebereichs dagegen - dieser fällt nach dem Organisationserlass des Bundeskanzlers nämlich dem Wirtschaftsministerium zu - hat in den letzten Jahren bestenfalls stagniert. Wenn man den Zuwachs für 2003 verstehen will, muss man eine komplexe Rabulistik zum BTU anwenden, um überhaupt zu begreifen, wie das Bezahlen für Flops berechnet werden soll. Das heißt also, was insgesamt im Forschungsbereich der rot-grünen Bundesregierung passiert ist, bedeutet einen Zuwachs von vielleicht 10 Prozent, ungefähr 2 Prozent im Jahr. Herr Müntefering, ich finde es großartig, dass Sie sagen: Wir werden den dreiprozentigen Haushaltsanteil in 2010 erreichen. - Dazu braucht es die Führungskraft des Fraktionsvorsitzenden. ({0}) Sie sind hier im Wort und ich gehe davon aus, dass dies ein stetiger und entschlossener Anstieg wird. Was in der MifriFi steht - minus 2,8 Prozent für das nächste Jahr, weil die Zuwächse im Zusammenhang mit dem Verkauf der UMTS-Lizenzen auslaufen -, werden Sie kraftvoll stemmen. Sie werden Frau Bulmahn beistehen und dem Wirtschaftsminister helfen, der hier vereinsamt in der Gestalt seines Staatssekretärs auf der Regierungsbank sitzt. ({1}) Frau Bulmahn hat festgestellt, die Bundesregierung habe die Weichen richtig gestellt. Das fing 1998 an. Da hat die Bundesregierung hier beschlossen, dass Technologie in den Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministers fällt. Was ist passiert? Der Mittelstand, die Luftfahrt und Energieindustrie sind an das Wirtschaftsministerium gegangen. Die tüchtigen Beamten, die Mittel und die Titel sind beim Wirtschaftsminister angekommen, aber die Begeisterung der Leitung für diese Themen war ungemein begrenzt. Die Leidenschaft des alten Wirtschaftsministers war gedämpft. Beim neuen Wirtschaftsminister wissen wir noch nicht, wie es ihm ums Herz ist. Ich würde es jedenfalls gern einmal erleben, dass dafür gekämpft wird. Strahlkraft ist so nicht entstanden: Die Themen sind Ihnen genommen, aber angekommen ist nichts. Wir befinden uns in einem leeren Raum. Liebe Frau Bulmahn, Sie sind bekannt für Ihr Engagement bei IGLU, BAföG und PISA. Aber für einen Aufbruch in die Welt der Gene, in die Welt der Computer und die Welt der Quanten haben Sie nicht gesorgt. Sie verbreiten nicht gerade eine Faszination in dieser Welt. ({2}) Es ist zu Recht gesagt worden: Begeisterung und Faszination machen schon die Hälfte des Erfolgs aus. Wenn nicht Leidenschaft überkommt und erkennbare Freude daran, das etwas Neues geschieht, dann sind wir alle in Schwierigkeiten. Sie haben hier im Einzelnen die angeblich richtigen Weichenstellungen aufgezählt. Aber offenbar ist die Botschaft nicht überall angekommen: Die Innovationsfähigkeit des Mittelstandes, die wir nun wirklich brauchen, lässt seit 1999 nach, ebenso wie die Zahl der Gründungen zurückgeht. Wir sind an allen Stellen in Schwierigkeiten. Die Steuerreform ist erst einmal verschoben worden, das betrifft die Rahmenbedingungen und nicht nur die Programme. Herr Müntefering, ich hoffe sehr, dass Sie zu den drei Prozent Zuwachs bei der Max-Planck-Gesellschaft im nächsten Jahr stehen. Aber dass der Zweifel hieran wächst, wenn der Mittelstand erst einmal erfahren hat, dass seine Steuerreform kurzfristig verschoben wird, das können Sie niemandem verübeln. Forschung lebt vom Vertrauen in die Rahmenbedingungen. ({3}) Wir brauchen eine dynamische Biotechnologie; die Kollegen haben darauf hingewiesen. Gleichzeitig aber ein faktisches Moratorium zu verhängen ist nicht sehr klug. ({4}) Wir brauchen die großen Flaggschiffe der Technik. Aber den Transrapid so lange zu problematisieren, dass wir dann glücklich sein können, wenn er in China fährt, ist keine besonders faszinierende Darstellung von Zukunftsfähigkeit und Überzeugungskraft. ({5}) Über Kerntechnik reden wir gar nicht mehr. Wir haben die sicherste Kerntechnik der Welt und dann beschließen wir, daraus auszusteigen. Wo ist eigentlich Herr Kuhn? ({6}) - Ah, auf den letzten Bänken angekommen! ({7}) Herr Kuhn, ich bin etwas skeptisch gegenüber ihrer weisen Erkenntnis, dass man sich auf bestimmte Gebiete konzentrieren sollte, die der Staat in seiner Weisheit und Güte vorgibt. ({8}) Der Staat weiß von Zukunft gar nichts. ({9}) Der Staat erbringt schon eine großartige Leistung, wenn er die Menschen nicht behindert. Der Staat sollte nicht die Zukunft bestimmen. Ältere Menschen erinnern sich sicherlich noch an die großartigen Energieprogramme, die die Bundesregierung seit 1973 aufgelegt hat. Damals haben Sie ein Ziel von 45 Gigawatt für die Kernenergie beschlossen. Das alles ist natürlich Unsinn gewesen, gell? ({10}) Gestaltet die Zukunft offen und lasst die Menschen das machen, wozu es sie treibt. Gebt ihnen Luft und Freiraum und sorgt für verantwortbare Rahmenbedingungen! In der damaligen Diskussion über die grüne Gentechnologie hat uns Herr Catenhusen bestätigt, dass es in Deutschland die beste Sicherheitsforschung auf der ganzen Welt gibt. Aber dann in dieser Sache ein Moratorium zu verhängen ist wirklich eine Perversion. ({11}) Herr Müntefering hat behauptet, dass wir in den schrecklichen 90er-Jahren die wichtigen Zeichen der Zukunft nicht verstanden hätten. Ich sage Ihnen: Das, was als eine moderne Forschungs- und Gründerlandschaft gepriesen worden ist, ist damals entstanden. Es sind kluge und herausragende Forschungsminister der Union gewesen, ({12}) die mit technikorientierten Programmen für die Gründung wie TOU, wie BTU und mit dem Bio-RegioWettbewerb eine Zukunft aufgebaut haben, die sich dynamisch entwickelt hat. Das war eine der großen Stärken. Ich höre mit Vergnügen, was Herr Kuhn in diesem Zusammenhang zu den Steuern sagt. Herr Kuhn, ich möchte über die Stichworte hinaus Konkretes hören. Sie müssen etwas bringen. Dann können wir diskutieren. Sprechen Sie zum Beispiel über das, was Herr Eichel an Frost über die Landschaft gelegt hat, als er die Wesentlichkeitsgrenze für Beteiligungen auf 1 Prozent reduziert hat. Damit ist die ganze Landschaft der Business Angels ins Rutschen gekommen. Sprechen Sie über die Fondsbesteuerung. Die Finanzämter können seit anderthalb Jahren keine verbindlichen Auskünfte mehr geben, weil kein Mensch weiß, was Sache ist. Da in Deutschland keine Fonds mehr gegründet werden, entsteht kein Eigenkapital und bricht unsere Forschungslandschaft zusammen. Frau Bulmahn, Sie haben unter anderem die ehrenvolle Aufgabe, die Forschungspolitik der Bundesregierung zu koordinieren, sie kraftvoll zu führen und mit Charme, Entschlossenheit und Nachdruck dafür zu sorgen - es geht nicht nur um Geld -, dass auch im Finanzminister die Flamme für die Zukunft Deutschlands brennt. Das wäre doch eine Aufgabe, die Ihrer Leidenschaft wert wäre.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Riesenhuber, Sie sind zwar sehr schön in Fahrt. Aber Sie reden bereits auf Kosten Ihres Nachfolgers.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das dürfen Sie ihm aber nicht von der Redezeit abziehen. Sie hätten mich rechtzeitig bremsen müssen. Liebe Freunde, ich möchte nur noch mit guten Wünschen schließen. ({0}) Ich wünsche der Frau Forschungsministerin, dass sie trotz ihrer reduzierten Zuständigkeiten so gut koordiniert und einen so kraftvollen Führungsstil entwickelt, dass ihr die Wissenschaft mit Begeisterung zujubelt, dass der Mittelstand in ihr seine Vertreterin findet, dass die jungen Unternehmen daran glauben, dass sie eine hervorragende Ministerin ist, und dass ihr selbst die Opposition applaudiert. Das braucht Deutschland. ({1}) Sie haben noch drei Jahre Zeit, um eine Strategie zu entwickeln. Wirtschaften Sie nicht von Tag zu Tag. Machen Sie einen großen Wurf für die Zukunft. Dann werden wir die Regierungsverantwortung übernehmen und wirklich etwas daraus machen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Riesenhuber, ich bin zwar nicht in allen Punkten Ihrer Auffassung. Aber Sie waren noch ein Forschungsminister, der damals bei den Schwarzen um seinen Etat gekämpft hat. Nach Ihnen war dann Dunkelheit. Es ist gut, dass er immer wieder aus der letzten Reihe emporsteigt, um seinen Nachfolgern die Peinlichkeit Ihrer heutigen Politik aufzuzeigen. Ich danke ihm eigentlich dafür. ({0}) - Jetzt kriegen Sie sich doch wieder ein. Gestern hatten wir einen parlamentarischen Abend zum nationalen Genomforschungsnetz. Von Ihnen war kaum jemand anwesend, zumindest nicht diejenigen, die heute hier geredet haben. Aber es ist auch kein Wunder, dass Sie nicht gekommen sind. Dorthin, wo Aufbruchstimmung herrscht und gesagt wird: „Wir sind auf dem richtigen Weg“, gehen Sie nicht, weil das nicht in Ihr Konzept passt, weil Sie die Situation in unserem Lande mies machen. Diese Wahrheit müssen Sie sich sagen lassen. ({1}) Frau Flach, es ist einfach die Unwahrheit, wenn Sie erzählen, wir seien nicht in der Lage, international mitzuhalten. Das ist Ausdruck von Krawallopposition, aber nicht Ausdruck der Realität in diesem Lande. ({2}) Ich zitiere aus dem Bericht: Die technologische Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist ... hoch. Das ist der erste Satz des Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nehmen zahlenmäßig überdurchschnittlich ... zu ... Das findet sich auf der ersten Seite des Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands. ({3}) Seite 2: Pro Kopf sind wir in wissenschafts- und forschungsintensiven Dienstleistungen vorn. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da oben auf der Tribüne sitzen junge Menschen, für die wir im Moment in allen Forschungseinrichtungen Schülerlabore einrichten. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen und uns zu beschimpfen; aber hören Sie doch auf, die Öffentlichkeit und die Wissenschaft in dieser Form zu beschimpfen. Sie haben es nicht verdient. Sie schmälern deren Leistungen, die sie in diesem Land erbringen. Mit dieser Form von Krawallopposition fügen Sie Deutschland Schaden zu; das muss an dieser Stelle gesagt werden. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ihre Polemik richtet sich ein Stück weit gegen Sie selbst. Frau Reiche, Sie haben gesagt: Andere Länder sind dynamischer. Natürlich, auch dies steht im Technologiebericht: Erfreuliche Kursänderungen der letzten Jahre konnten die Versäumnisse der Vergangenheit noch nicht voll ausbügeln. - An dieser Stelle ist nicht von den letzten fünf Jahren die Rede, sondern von Ihrer Regierungszeit, Herr Riesenhuber, von der Zeit, in der bei Bildung und Forschung gekürzt worden ist und in der Sie diesen Etat als Steinbruch benutzt haben. ({5}) Herr Riesenhuber, ich finde es nett, über Informations- und Kommunikationstechnologie zu reden; Sie wissen, das ist unser gemeinsames Hobby. Allerdings gab es zu Ihrer Zeit im Bundestag noch keinen Zugang zum Internet; im Bundeskanzleramt fanden wir damals Rohrpost statt Internet vor. ({6}) Insofern sollten Sie nicht so tun, als ob Sie an dieser Stelle die Erfinder der technologischen Bewegung wären. Allerdings haben wir auch Probleme. Ich bin Ihnen dankbar, dass einige von Ihnen zumindest an dieser Stelle einmal auf die realen Punkte hingewiesen haben. Aus dem Technologiebericht geht deutlich hervor: Deutschland hat keine andere Chance auf hohe Einkommen bei hohem Beschäftigungsstand, als weiterhin intensiv in Bildung und Wissenschaft, Forschung und Technologie zu investieren. Das ist der richtige Kernsatz aus dem Bericht: Wir haben keine andere Chance, als diese Investitionen auch weiterhin vorzunehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund sagen wir auch: Wir sind auf dem richtigen Weg. Aus diesem Grund kämpfen wir um unseren Haushalt. Aus diesem Grund hat es uns wehgetan, im Jahr 2003 nicht an die Maßnahmen anknüpfen zu können, die wir in den vier Jahren zuvor umgesetzt haben. Das ist auch der Grund, warum der Bundeskanzler am 14. März hier gesagt hat: In den nächsten Jahren werden wir bei den Wissenschaftsorganisationen wieder für Aufwuchs sorgen. Dieses Signal brauchen wir. ({7}) In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, dies zu würdigen und nicht in dieser Form wahrheitswidrig zu konterkarieren, Herr Kollege Mayer. Sie haben behauptet, die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft seien gekürzt worden. Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Mayer: Sie sind älter als 15; PISA-Aufgabenstellungen dürften bei Ihnen nicht mehr zu wesentlichen Problemen führen. Aber Zahlen müsste man lesen können; man müsste rechnen können. - Sie da hinten von der CDU/CSU können die „Bild“-Zeitung lesen, aber rechnen können Sie nicht. - Herr Professor Winnacker hat sich ausdrücklich bei uns dafür bedankt, dass wir trotz der schwierigen Haushaltslage in diesem Jahr für die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen Aufwuchs verzeichnen. ({8}) Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit haben wir seit 1998 die Mittel um 16 Prozent erhöht und in diesem Jahr einen Aufwuchs von 2,5 Prozent erzielt. Das ist konkrete Nachwuchsförderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, denn hiervon profitieren insbesondere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. ({9}) In Bezug auf die Zukunft haben wir große Fortschritte erzielt, Herr Kollege Riesenhuber. Die Genomforschung habe ich vorhin angesprochen; darüber hinaus nenne ich die Stichworte Nanotechnologie, Mikrotechnologie, I-und-K-Technologie, also die optischen und elektronischen Technologien. Alle diese Fakten liegen auf dem Tisch. Sie haben Recht: In den letzten Jahren sind besonders in den F-und-E-intensiven Bereichen Arbeitsplätze entstanden. Ich betone es noch einmal: Diese Arbeitsplatzzuwächse in Deutschland sind in den letzten Jahren entstanden. Es sind zu wenige Arbeitsplätze entstanden; anderenfalls wäre die Arbeitslosigkeit heute nicht so hoch. Es steht völlig außer Frage, dass zu wenige Arbeitsplätze entstanden sind; aber der Zuwachs an Arbeitsplätzen entstand ausschließlich in den F-und-E-intensiven Bereichen. Aus diesem Grund hat Franz Müntefering völlig Recht, wenn er auf den Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt hinweist. Wir als Fraktion begrüßen daher den Vorschlag unseres Fraktionsvorsitzenden, eine Task-Force einzurichten, außerordentlich. Das wäre - auch im Rahmen der Agenda 2010 - ein Weg, der uns dazu berechtigt, zu sagen: Hierdurch werden weitere Verbesserungen, auch auf dem Arbeitsmarkt, geschaffen. ({10}) Eines ist klar: Die technologische Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft hängt davon ab, inwieweit es ihr gelingt, Potenziale in Wachstum und Beschäftigung umzusetzen und den innovativen Strukturwandel zu forcieren. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer, wo es - trotz aller Probleme, die es dort gibt - an den Orten insgesamt weniger Probleme gibt, wo wir es geschafft haben, für die Ansiedlung von Wissenschaftseinrichtungen, für die Ansiedlung von innovativen Unternehmen zu sorgen und Cluster in unterschiedlichen Bereichen zu installieren, beispielsweise in der Region Halle/Leipzig und anderswo. Darin liegt die Chance für die Zukunft, die wir nutzen müssen, im Westen wie im Osten. Meine herzliche Bitte an Sie lautet: Begleiten Sie diesen Weg! Hören Sie auf, diesen Weg mit Unwahrheiten zu diskreditieren! Begleiten Sie diesen Weg mit konkreten Vorschlägen! Begleiten Sie diesen Weg im Interesse unseres Landes und der Zukunft seiner jungen Generation! Um diese Generation geht es, nicht um Ihre Krawallopposition. Es geht um die Zukunft unseres Landes und um die Zukunft der jungen Menschen, die auf der Besuchertribüne heute in großer Zahl anwesend sind. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU, das Wort. ({0})

Michael Kretschmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003572, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Tauss, wir probieren es zum Ende dieser Debatte noch einmal mit etwas Inhalt ({0}) und mit etwas konkreteren Sätzen. Sie haben die neuen Bundesländer angesprochen. Ich möchte darauf gern eingehen. Die Wissenschaftsinfrastruktur in den neuen Bundesländern kann sich mittlerweile sehen lassen. Sie ist in vielen Bereichen Weltspitze; in anderen Bereichen ist sie auf dem Weg dorthin. ({1}) Es gibt in den neuen Bundesländern aber auch große Unterschiede zu den alten Bundesländern. Auch das zeigt der Bericht in eindringlicher Weise. Ich möchte kurz darauf eingehen. Das größte Innovationshemmnis ist nach wie vor die Kleinteiligkeit der Unternehmenslandschaft. Während in Deutschland auf 100 000 Einwohner im Schnitt 376 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 1 Million Euro kommen, so sind es in den neuen Bundesländern gut 100 Firmen weniger, nämlich 270. Die F-und-E-Aufwendungen in den neuen Bundesländern entfallen zu mehr als zwei Dritteln auf kleine und mittlere Unternehmen. In Westdeutschland hingegen tragen Großunternehmen mit über 500 Beschäftigten 85 Prozent aller F-und-E-Aufwendungen. Die ostdeutschen Unternehmen haben in den letzten Jahren einen großen Sprung gemacht. Sie haben in den vergangenen Jahren den Export von forschungsintensiven Gütern um jährlich 30 Prozent steigern können. Das geschah aber auf einem sehr niedrigen Niveau. Laut dem vorliegenden Bericht sind im Jahr 2001 lediglich 4,5 Prozent aller in Deutschland produzierten F-und-E-intensiven Waren in den neuen Bundesländern hergestellt worden. Dort muss unsere Politik ansetzen: Wir brauchen in größerer Zahl Unternehmen, die forschungsintensive Produkte herstellen. Nur diese Unternehmen - auch das steht in dem Bericht - wachsen statistisch schneller, sie sind resistenter gegen Konjunkturdellen und sie garantieren in der Regel höhere Einkommen. Wir wollen die Förderprogramme „Regionale Wachstumskerne“ und „Inno-Regio“ weiterentwickeln. Sie haben - das ist unbestritten - in den neuen Bundesländern positive Wirkungen. Bedauerlich ist - man muss es der Vollständigkeit halber einfach sagen - der riesige bürokratische Aufwand, der dort nach wie vor herrscht. Es gibt beispielsweise ein Netzwerk, in dem 126 Beteiligte gebraucht werden, um zwölf Projekte mit 64 Einzelverträgen zu managen. Das ist weder innovativ noch der Sache angemessen. ({2}) Wir möchten für die neuen Bundesländer drei Dinge konkret ansprechen: Erstens. Wir müssen es schaffen, den Innovationsprozess erfolgreicher Unternehmen auch nach Auslaufen der Förderung weiter zu begleiten. Zweitens. Wir wollen den Aufbau weiterer Netzwerke und wir möchten, dass Netzwerke, die derzeit erfolgreich arbeiten, weiteren finanziellen Spielraum erhalten. Das muss möglich sein, weil nach Informationen Ihres Ministeriums die Zuwachsraten bei den Inno-Regio-Projekten nicht so groß sind und der Mittelabfluss gehemmt ist und deswegen finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Drittens - ich komme zum Schluss -: Wir möchten die neuen Bundesländer mit Großforschungseinrichtungen und Centers of Excellence stärker fördern. Wir brauchen auch externe Impulse für mehr Wachstum. Das endogene Potenzial, das jetzt vorhanden ist, reicht nicht aus, um den Wirtschaftsaufschwung in Gang zu setzen und die neuen Bundesländer tatsächlich voranzubringen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/788 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dietrich Austermann, Heinz Seiffert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Strikte Einhaltung des geltenden Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes - Drucksache 15/541 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Präsident Wolfgang Thierse b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Entschließung des Europäischen Parlaments zu der jährlichen Bewertung der Durchführung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme ({2}) ({3}) -Drucksachen 15/345 Nr. 34, 15/737 Berichterstattung: Abgeordnete Georg Fahrenschon Kerstin Andreae Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei diesem Tagesordnungpunkt geht es um die Frage: Wie halten wir es mit den Stabilitätskriterien? Zur Diskussion stehen ein Antrag meiner Fraktion, der CDU/CSUFraktion, und eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses. Zwischen diesen beiden Papieren besteht ein entscheidender Unterschied. Während sich Vertreter der Bundesregierung, beginnend beim Bundeskanzler, und Vertreter der Regierungsfraktionen seit Monaten auch in der Öffentlichkeit intensiv mit der Frage beschäftigen: „Wie können wir die Stabilitätskriterien vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage ein bisschen aufweichen?“, ist unsere Position, die in dem Antrag auch ganz klar zum Ausdruck kommt: Wir sind dafür, dass die Stabilitätskriterien auch und gerade in einer schwierigen Zeit konsequent eingehalten werden. Wir erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass es die frühere CDU/CSU-FDP-Regierung war, die sich dafür eingesetzt hat, dass es zu dem Stabilitäts- und Wachstumspakt kam. Wenn wir nach dem Hintergrund fragen, dann führt uns das in die Jahre 1997 und 1998 zurück, als wir uns - viele erinnern sich - intensiv über die Einführung des Euros unterhalten haben. Die Einführung des Euros war in Deutschland nicht unumstritten und sie ist es auch heute nicht. Wir sind uns hier im Hause sicherlich darüber einig, dass die Einführung des Euros ein ganz wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Schritt auf dem Wege zur europäischen Integration war; denn er hat die europäische Integration unumkehrbar gemacht. Natürlich gab es Vorbehalte in der deutschen Bevölkerung. Jeder, der damals für den Euro eingetreten ist - so auch ich -, hörte die Vorbehalte der Bevölkerung. Es wurde gesagt: Wir geben die stabile D-Mark auf und wir machen eine Union mit Ländern wie Spanien, Italien, Frankreich und Portugal, die das Thema Preisstabilität nicht so ernst nehmen wie wir in Deutschland. - Wir haben letztlich die Zustimmung auch der Fachwelt in Deutschland für den Euro nur bekommen, weil wir gesagt haben: Den Euro darf nur einführen, wer sehr strenge Kriterien erfüllt. Dann wurde in der Diskussion gesagt - Sie erinnern sich -: Diese Länder werden sich Mühe geben, um die Kriterien einmal zu erfüllen, aber wenn sie den Euro erst haben, dann beginnt sozusagen wieder der alte Trott. Deshalb ist im Stabilitäts- und Wachstumspakt sehr deutlich zum Ausdruck gebracht worden: Wer den Euro eingeführt hat, muss auch auf Dauer bestimmte Kriterien erfüllen. Das gilt vor allem für die 3-Prozent-Nettoneuverschuldung, aber das gilt natürlich auch für die 60 Prozent Gesamtverschuldung bezogen auf das Bruttosozialprodukt. Jetzt zur Realität, meine Damen und Herren. Die Realität ist, dass Deutschland 2001 mit 2,8 Prozent schon ganz dicht an die 3-Prozent-Grenze gekommen ist. Die Realität ist - ich will heute nicht die Schlachten von gestern wieder führen -, dass wir im Jahre 2002 das Ziel nicht knapp, sondern mit 3,6 Prozent Nettoneuverschuldung um 20 Prozent verfehlt haben. Seit wenigen Tagen muss wohl jeder zur Kenntnis nehmen, Herr Minister - wir sagen es seit Monaten, jetzt sagt es aber auch die EU -: Auch in diesem Jahr werden wir wohl aller Wahrscheinlichkeit nach das 3-Prozent-Kriterium wieder verfehlen. Die EU spricht von 3,4 Prozent, ich selber befürchte - ich könnte das begründen, aber dafür reicht die Zeit nicht aus -, es werden mindestens 3,6 Prozent Nettoneuverschuldung. Jetzt kommen wir natürlich in eine schwierige Position: Wer auf europäischer Ebene strikt die Einhaltung der Kriterien fordert, der muss natürlich erst einmal zu Hause seine Schularbeiten machen. ({0}) Damit sind wir bei der aktuellen Situation: Wir stellen nämlich fest, dass wir in den beiden entscheidenden volkswirtschaftlichen Größen, Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit, dabei sind, zum Schlusslicht bzw. zum Spitzenreiter in Europa zu werden. Sie, Herr Minister, werden eine Argumentation vertreten - ich glaube, Sie stehen auf der Rednerliste -, die ich schon im Vorhinein als unredlich bezeichne. Sie werden sich hier wieder hinstellen und sagen: Wir leben in einer globalisierten Welt; unsere Probleme hängen mit dem 11. September und der schwierigen Lage der Weltwirtschaft zusammen. Dazu sage ich ganz deutlich: Natürlich hat die weltwirtschaftliche Lage Einfluss auf die Situation in Deutschland. Wer das leugnet, nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis. Aber wir müssen uns doch mit der Frage beschäftigen: Warum werden alle anderen Länder in Europa mit eben diesen Rahmenbedingungen deutlich besser fertig als wir? ({1}) Schauen Sie einmal in die Presseerklärung der EUKommission von vorgestern hinein, in der von einem Wirtschaftswachstum in Deutschland von 0,4 Prozent und im EU-Raum vom Drei- bis Vierfachen ausgegangen wird. Es stellt sich doch die Frage, warum im letz3264 ten Jahr die Italiener, die Spanier und die Engländer ein drei- bis viermal so hohes Wachstum wie wir gehabt haben. Bezüglich der Arbeitslosenzahlen ist festzustellen, dass wir im Jahre 2001 erstmalig über der durchschnittlichen Quote in Europa lagen. Wir sind Gott sei Dank noch nicht Spitzenreiter, aber bei uns lag die Quote erstmalig höher als der Durchschnitt. Ich habe mir nun die Zahlen für das Jahr 2002 angeschaut; danach liegt die Arbeitslosenquote in Deutschland zum zweiten Mal über dem EU-Durchschnitt. Wenn ich mir vor Augen führe, dass wir im März ein paar Hunderttausend mehr Arbeitslose als im März des Vorjahres hatten, dann habe ich die Befürchtung, dass wir in diesem Jahr einen der schlechtesten Plätze bezüglich der Arbeitslosenquote in Europa einnehmen werden. Deshalb stelle ich fest, meine Damen und Herren: Natürlich kann nur derjenige für die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien in Europa eintreten, der seine Schularbeiten zu Hause macht. Solange wir Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum sind - jetzt zum dritten Male -, Spitzenreiter bei der Neuverschuldung sind und die Arbeitslosigkeit bei uns im europäischen Vergleich eine Spitzenposition einnimmt, so lange müssen wir uns vorhalten lassen, dass wir unsere Schularbeiten nicht gemacht haben. Nun komme ich zu möglichen Ursachen: Im Sachverständigengutachten des entsprechenden EU-Papiers steht: In Deutschland sind grundlegende Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Sozialversicherungen notwendig. - Wenn wir diese nicht einleiten, bleibt die Situation so, wie sie jetzt ist. Sie machen den Fehler, auf zurückgehende Einnahmen mit neuen Steuern zu reagieren. Wir haben darüber diskutiert, Sie hatten 41 vorgeschlagen. Wir haben Sie davor bewahrt, dass diese Vorschläge Gesetzeskraft erhielten, denn die Sachverständigen haben gesagt, wenn das Gesetz geworden wäre, würde die Wirtschaft noch einmal um 0,5 Prozent weniger wachsen. Wir haben Sie davor, wie gesagt, bewahrt. Heute Nacht sind, wie ich gehört habe, ganz vernünftige Ergebnisse im Vermittlungsausschuss erzielt worden. Die meisten Ihrer Vorschläge haben sich damit Gott sei Dank erledigt. Das ist etwas Positives für die weitere Entwicklung in Deutschland. ({2}) Abschließend, meine Damen und Herren, halte ich fest: Wir als Deutsche sollten uns nicht an einer Diskussion in Europa über die Aufweichung der Kriterien beteiligen. Wir sollten vielmehr dafür eintreten, dass sie strikt angewandt werden, denn wir waren die Väter dieser Kriterien. Wir sollten unsere Schularbeiten machen, indem wir grundlegende Reformen umsetzen. Ich sage von dieser Stelle: Wir sind bereit - die Union hat es schon bewiesen -, auf diesem Wege im Interesse der deutschen Volkswirtschaft mitzugehen. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Bundesminister Hans Eichel das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es niedlich, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, wie Sie mit der Rednerreihenfolge spielen. Ich unterstelle, dass Sie, verehrter Herr Kollege Merz, wenigstens in der heutigen Debatte reden, ({0}) nachdem wir von Ihnen die ganze Zeit, als es um das Steuervergünstigungsabbaugesetz ging, überhaupt nichts mehr gehört haben, wie überhaupt bei der Opposition an dieser Stelle ein völliges Durcheinander festzustellen war. ({1}) Ich sage das, weil das unmittelbar mit dem zu tun hat, was Sie, Herr Kollege Bernhardt, eben angesprochen haben. Sie haben völlig richtig angefangen, indem Sie wörtlich formuliert haben: „Wie halten wir es mit den Stabilitätskriterien?“ Sie haben offenkundig Ihre eigene Fraktion gemeint. ({2}) - Das ist auch sehr schön. - Aber zunächst einmal muss man sich doch mit Ihnen beschäftigen. Es ist festzustellen, dass Sie sich nun zum Verteidiger des Stabilitätsund Wachstumspaktes aufschwingen. Das finde ich gut. Wenn wir an diesem Punkt wieder zusammenkämen, wäre das ein großer Gewinn. Nur, verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich erinnere an Folgendes. Richtig, es war Theo Waigel, der den Stabilitäts- und Wachstumspakt gewollt hat. Aber wo war denn die Finanzpolitik dazu? Die Situation, die Sie uns 1998 hinterlassen haben, war so, dass wir 80 Milliarden neue Schulden hätten machen müssen, wenn wir nicht sofort und intensiv eingegriffen hätten. ({3}) Das heißt, Sie formulieren auf der einen Seite einen Anspruch, den Sie aber auf der anderen Seite nicht erfüllen. Was war denn im vergangenen Jahr? Wenn ich mich recht erinnere, war Ihr gesamtes Wahlprogramm ein einziges Versprechen mit der Konsequenz eines Bruchs der europäischen Stabilitätskriterien, Herr Kollege Bernhardt. Nichts von alledem hätte jemals umgesetzt werden können. Was war denn im vergangenen Sommer Ihr Vorschlag, als wir bezüglich des Wiederaufbaus in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten gesagt haben, wir könnten uns keine neuen Schulden leisten, das müsse solide finanziert werden? ({4}) Wo stünden wir hinsichtlich der Stabilitätskriterien denn heute, wenn wir Ihnen gefolgt wären? ({5}) Und so geht es weiter, wenn ich an die Verabschiedung des Haushalts dieses Jahres denke. Von Ihrer Seite waren keine Einsparungen geplant, sondern Sie haben 2 Milliarden Euro zusätzliche Ausgaben vorgeschlagen. ({6}) Diese Doppelstrategie hat sich heute Nacht fortgesetzt. Deswegen finde ich es sehr mutig, dass Sie sich nach dem Vermittlungsergebnis hier hinstellen und sagen, wir müssten den Stabilitätspakt einhalten und insbesondere all das, was der Ecofin-Rat, der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU, Deutschland empfohlen hat, auch umsetzen. Hätten Sie sich selbst heute Nacht oder schon eher an die Empfehlungen gehalten, verehrter Herr Kollege Bernhardt, dann stünden wir nun anders da. ({7}) Denn, meine Damen und Herren, wir wollen doch festhalten, dass der Rat vor dem Hintergrund der Annahme - damals übrigens noch gemeinsam mit der Europäischen Kommission - von 1,5 Prozent Wachstum empfohlen hat, dass alles, was wir im Herbst vorgeschlagen haben, auch umgesetzt werden muss. Dazu gehört auch das Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen. So leicht können Sie sich da nicht herausschleichen. Heute Morgen tritt der Brandstifter von heute Nacht als Biedermann auf. ({8}) Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({9}) Man konnte in diesem Zusammenhang eine spannende Beobachtung machen, die übrigens sehr viel mehr mit Ihrem innerparteilichen Stellungskrieg zu tun hat als mit der Finanzpolitik dieses Landes. Man konnte sehen, dass die Finanzpolitiker in den Ländern eine gänzlich andere Position bezogen haben als zum Beispiel die Finanzpolitiker in Ihrer Bundestagsfraktion, soweit sie sichtbar waren, zum Beispiel Herr Meister. Von dem Paket, das vorgesehen war, sollen im Entstehungsjahr gerade einmal 30 Prozent umgesetzt werden. Das ist für die Zukunft ein dickes Problem. ({10}) Aber auch für dieses Jahr entsteht ein dickes Problem. Wo ist denn Ihr Bemühen um die Kommunalfinanzen? ({11}) Von 6,7 Milliarden Euro Steuereinnahmen für die Kommunen bleiben gerade 600 Millionen Euro übrig. Das müssen Sie Frau Roth einmal erklären. Die Länder sind verantwortlich dafür, dass die Kommunalfinanzen in Ordnung sind; denn die Kommunalfinanzen sind nach unserer Verfassungsordnung Bestandteil der Länderfinanzen. Wo ist denn die Verantwortung, insbesondere Ihrer Länder, für die Finanzen der Kommunen und für die Investitionsfähigkeit der Kommunen in diesem Lande? Wenn man genauer hinsieht, kann man sagen: Sie nähern sich der Wirklichkeit sozusagen portionsweise. Nach dem 2. Februar brauchten Sie zwei Monate, um dahin zu kommen, dass wir uns auf Mehreinnahmen in Höhe von 4,4 Milliarden Euro im Bereich der Unternehmensbesteuerung - dazu gehört übrigens nicht nur die Körperschaftsteuer - einigen konnten. Sehen wir uns einmal die Resolution an, die die Herren Kollegen Steinbrück und Koch gemeinsam eingebracht haben. Heute Nacht haben Sie sich diese Resolution nicht mehr zu Eigen gemacht. Aber in der Debatte morgen wollen Sie sich - so ist es heute Nacht verabredet worden; darauf bin ich schon außerordentlich gespannt - darauf beziehen. Dann sieht die Welt wieder ein bisschen anders aus. Nach und nach schließen Sie sich meinen Vorschlägen an. Sie brauchen nur länger, bis Sie dahin kommen. Folgender Punkt ist besonders interessant. Zwischen Herrn Koch und Herrn Steinbrück wurde verabredet, die Subventionen in drei Jahren um 10 Prozent zu kürzen. Angesichts der Tatsache, dass wir die Finanzhilfen von 1998 bis 2003 um über 30 Prozent gekürzt haben, nämlich von 11,4 auf 7,8 Milliarden Euro, ist dies kein sehr ehrgeiziges Vorhaben. An dieser Stelle werden Sie mehr leisten müssen. Sie reden immer davon, die Subventionen müssten herunter. Im Subventionsbericht der Regierung Kohl sind die Eigenheimzulage und die ermäßigten Mehrwertsteuersätze als Subventionen geführt. Genau diese Punkte waren Gegenstand des Gesetzes, das wir vorgelegt haben. Was ist Ihr Vorschlag? Sie können nicht von genereller Subventionskürzung reden, wenn jedes Mal, wenn es darauf ankommt, von Ihrer Seite Blockade betrieben wird. Sie, Herr Kollege Bernhardt, reden davon, die Systeme der sozialen Sicherung reformieren zu wollen. Aber heute Nacht konnte nur ein dürftiger Kompromiss geschlossen werden, weil Sie nicht bereit sind, mehr zu tun und Nein zu den Wünschen der Lobbyisten zu sagen. Das ist die Lage, in der wir uns heute befinden: Sie verniedlichen die gesamte Situation. ({12}) Lassen Sie uns nicht abstrakt über den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt reden, sondern ganz konkret ansprechen, wer was dafür tut, damit wir unseren Verpflichtungen nachkommen. Ob es der Haushalt, die Steuergesetze oder der Subventionsabbau sind: Jedes Mal bleiben Sie hinter den Notwendigkeiten zurück. Sie sind, gemessen an Ihren eigenen Kriterien, nicht in der Lage, die Verpflichtungen, die erfüllt werden müssen, auch nur halbwegs zu erfüllen. Sehr verehrter Herr Kollege Bernhardt, ich sage noch einmal: Ich begrüße, dass es in dieser Nacht überhaupt zu Bewegungen gekommen ist. Aber die Resolution, die eine Protokollerklärung der Bundesregierung wird, auf die Sie sich beziehen wollen, haben Sie einfach beiseite geschoben, weil Sie ganz genau wissen, dass Sie und insbesondere die Länder nicht über diesen Sommer kommen werden, wenn Sie auf der Linie verharren, die Sie bisher eingeschlagen haben. Wir wollen unsere Verpflichtungen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts erfüllen. Wir hätten es ein Stück leichter, wenn Sie uns damals einen anderen Bundeshaushalt hinterlassen hätten. Die Defizite müssen wir nun aufarbeiten. Ich will meinen Blick aber nicht in die Vergangenheit richten, da es wenig Sinn macht. Herr Kollege Bernhardt, es kommt jetzt darauf an, dass Sie Ihrer Verantwortung für die Länderhaushalte und für die Kommunalhaushalte, die Ihre Partei zumindest im Bundesrat hat - Sie stellen dort die Mehrheit -, gerecht werden. Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen. ({13}) Ich bin den Ländern entgegengekommen, indem ich gesagt habe: Ab dem Jahr 2004 - das war der Wunsch der Länder - darf der Anteil des Bundes am dann noch zulässigen Defizit 45 Prozent und jener der Länder und Kommunen 55 Prozent betragen. Dann müssen Sie für die 55 Prozent aber auch die Verantwortung übernehmen. ({14}) Sie dürfen nicht einfach nur erklären, dass Ihnen nicht passt, was wir vorlegen, wenn Sie auf der anderen Seite keine Vorschläge machen, wie man im gleichen Umfang einsparen kann. Wo ist denn das Sparpaket der Länder, das Herr Stoiber Anfang dieses Jahres für alle B-Länder - so habe ich es damals verstanden - angekündigt hat? ({15}) Davon ist bis heute absolut nichts zu sehen. Ich kann es ja verstehen. In Bayern stehen Landtagswahlen vor der Tür. Da fällt es Ihnen natürlich besonders schwer, das einzuhalten, was Sie vorher versprochen haben. Auch das gehört zur Realität. Ich begrüße, dass die CDU-Fraktion in BadenWürttemberg Beschlüsse gefasst hat, die sich mit der Besoldung im öffentlichen Dienst beschäftigen. Da werden viele andere nachziehen müssen. Aber ich sage noch einmal: Für 55 Prozent des dann zulässigen Defizits der Länder und Kommunen haben die Länder die Verantwortung. Bisher vermisse ich auch nur einen ansatzweise zureichenden Beitrag von Ihrer Seite. So kann es nicht weitergehen. Natürlich haben Sie Recht, dass wir eine riesige Reformagenda vor uns haben. Der Bundeskanzler hat sie hier schon vorgestellt. Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten. Heute Nacht haben wir eine erste Kostprobe Ihres Verhaltens nicht nur hinsichtlich der Steuern, sondern auch hinsichtlich der Systeme der sozialen Sicherung bekommen. Jedes Mal, wenn es darauf ankommt, weichen Sie notwendigen, aber unangenehmen Entscheidungen aus. Damit werden wir die Zukunft nicht gewinnen. Ich prophezeie Ihnen, dass wir vor dem Hintergrund genau der Aufgaben, die vor uns liegen - niemand weiß genau, wie die wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes im Laufe des Sommers verläuft -, ({16}) vor sehr schwerwiegenden Entscheidungen stehen werden. Die nächste Frage wird sich ergeben, wenn uns die Mai-Steuerschätzung vorliegt; ({17}) die Frage nämlich, welche Korrekturnotwendigkeiten sich daraus ergeben. ({18}) Darüber möchte ich heute nicht philosophieren, weil es keinen Zweck hat, jeden Tag neue Daten in die Welt zu setzen, und weil auch Ihre Fachleute sich in diesem Punkt schon gewaltig und in kurzer Zeit geirrt haben. Also verlassen wir uns wie jeder seriöse Finanzpolitiker und genau so, wie dies auch der Kollege Faltlhauser macht, auf die Daten, die uns mit der Mai-Steuerschätzung und der November-Steuerschätzung vorgelegt werden. Aber dann, sehr verehrter Kollege Bernhardt, wird es nicht reichen, bei dem, was Sie heute Nacht getan haben, stehen zu bleiben. Sie werden im Laufe des Sommers zu ganz grundlegenden Veränderungen ihrer Position kommen müssen, weil Sie, jedenfalls über die Landesregierungen, in großem Umfang Mitverantwortung für die Entwicklung dieses Landes tragen. Das verlangt wesentlich mehr, als Sie heute Nacht an Einsicht gezeigt haben. ({19})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Entschuldigung. - Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt, FDP-Fraktion.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Eichel, Sie haben sich eben darüber ausgelassen, dass Sie Probleme haben, Ihren Haushalt auf die Reihe zu beDr. Günter Rexrodt kommen, und dass seine Deckung nicht stimmt. Sie haben so getan, als ob die Opposition schuld daran ist, dass das nicht klappt. Aber das ist ja nun Ihre Aufgabe. ({0}) Die rot-grüne Koalition hat die Finanzpolitik ja immer als eine Monstranz vor sich hergetragen. Sie war die große Erfolgsstory. Das ist sie aber nicht mehr. Wenn Sie Ihre Rede schon so anlegen, fordere ich Sie auf, die Dinge, die zu dieser Misere geführt haben, doch einmal beim Namen zu nennen. Aber unterlassen Sie Ihre ständigen Ausflüchte, die Sie auch eben wieder angeführt haben. Am Anfang war also die riesengroße Schuldensumme, die Sie übernommen haben, schuld. ({1}) Dann waren es die Folgen des 11. September 2001. Nun ist es die Unsicherheit im Irak. Diese Unsicherheit auf den Märkten gibt es ja, Herr Eichel. ({2}) Aber ich würde mir langsam einmal andere Erklärungen für die konjunkturelle Misere einfallen lassen ({3}) und in der öffentlichen Argumentation nicht die ständige Überfrachtung bezüglich der Unsicherheit vornehmen. Es geht um Fakten. Der Kern des Übels, meine Damen und Herren, besteht nämlich darin, dass sich unser Land und insbesondere die Wirtschaft in einer Vertrauenskrise befinden. Die Verbraucher sind verunsichert. Die Investoren investieren nicht mehr. Deutschland ist gegenüber seinen Partnerländern zurückgefallen. Deutschland ist Schlusslicht. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass wir in diesem Jahr zum zweiten Mal hintereinander die Verschuldungskriterien von Maastricht nicht einhalten werden. Dies, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis einer falschen Politik, ({4}) einer Politik fehlerhafter Prognosen, gebrochener Versprechungen, hektischer Ankündigungen und kleinkarierter Rückzieher, ungerechter und schwer verständlicher Steueränderungen, einer bürokratischen Rentenreform und einer nicht aus den Startlöchern kommenden Gesundheitsreform. Dies ist eine Politik, in der blanke Gewerkschaftsinteressen die Notwendigkeit der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes überlagern. ({5}) - Das ist keine alte Mär. Das sind die Fakten, die gerade erst bei den Entscheidungen der IG Metall bestätigt wurden. Die Hoffnung, die einige hatten, dass auch diese große Gewerkschaft endlich auf Reformkurs geht und sich an anderen orientiert, ist zerstört. Auch das, meine Damen und Herren, wird sich wieder im Verlust von Arbeitsplätzen niederschlagen. ({6}) Die Fakten liegen auf dem Tisch. Was haben Sie denn getan? Kern Ihrer Politik war eine Politik der Bündnisse. Es gab Bündnisse für jedes und alles. Sie können doch nicht bestreiten, dass dies der Kern der Politik zumindest in der letzten Legislaturperiode war. Diese Politik der Bündnisse, bei der man bei verschiedenen Themen mauscheln wollte, ist gescheitert. Nun, meine Damen und Herren, ist auch noch die Finanzpolitik gescheitert. Das müssen Sie sich schon sagen lassen; denn wir werden nicht darauf verzichten, Ihnen das vorzuhalten. ({7}) Ich will jetzt gar nicht über die Dinge reden, die dazu geführt haben, dass die rot-grüne Mehrheit hier vor rund drei Wochen einen Haushalt beschlossen hat, von dem wir heute wissen - das sage ich ohne jede Polemik, das ist Fakt -, dass er nicht das Papier wert ist, auf dem er steht; ({8}) denn die Voraussetzungen für die Einhaltung des Haushalts sind nicht gegeben. Dazu bräuchten wir 1 Prozent Wachstum und Herr Eichel hat selbst gesagt, dass der Haushalt nur dann eingehalten werden kann, wenn es 1 Prozent Wachstum gibt, es nicht zu einer signifikanten Erhöhung der Arbeitslosenzahlen kommt, die Steueramnestie Geld einbringen wird und über das Steuervergünstigungsabbaugesetz - eigentlich ist das ein Steuererhöhungsgesetz - bestimmte Milliardenbeträge erwirtschaftet werden. So wird es aber nicht kommen und deshalb ist der Haushalt Makulatur. Aber worum geht es heute wirklich? Der Herr Kollege Bernhardt hat es auf den Punkt gebracht: Heute geht es um die Einhaltung der Verschuldungsgrenzen, der Kriterien von Maastricht. Herr Eichel, dazu haben Sie eigentlich gar nichts gesagt, Sie haben nur über Ihre Nöte gesprochen. ({9}) Es ist nun einmal so, dass die Kriterien von Maastricht nicht eingehalten werden können. Vielleicht wird es morgen besser. Ich möchte Ihnen zwei Aussagen ins Stammbuch schreiben. Die eine ist von der Bundesbank, die an ihrer Spitze sozialdemokratisch besetzt ist. Sie schreibt in einem bemerkenswerten Papier vom Februar 2002: Nur eine klare finanzpolitische Linie, die eine auf Ausgabenbegrenzung ausgerichtete ... Konsolidierungsperspektive aufweist, kann bei Konsumenten und Investoren bestehende Befürchtungen... ausräumen und... Vertrauen schaffen. Daneben möchte ich Ihnen die Entschließung des Europäischen Parlaments, die heute auf der Tagesordnung steht - ich verweise auf die Drucksache 15/737 -, nahe bringen. Darin heißt es in Ziffer 2, dass die Vorschriften des Stabilitäts- und Wachstumspakts... im Falle Deutschlands und Portugals nicht streng angewendet wurden. Das Europäische Parlament warnt vor der Aufweichung der Kriterien durch Wahlkämpfe und nationale Versprechungen. Es fordert die Gleichbehandlung aller Staaten und durchgreifende Reformen der Sozialsysteme und eine differenzierte Lohnpolitik. Darüber hinaus fordert es einen flexiblen Arbeitsmarkt. Das alles sind Forderungen des Europäischen Parlaments, Herr Eichel. Die rot-grüne Koalition dagegen spricht schon wieder - so steht es auch in den uns vorliegenden Unterlagen - von Rücksicht auf die ökonomische Gesamtsituation und etwaigen Sondereinflüssen. Das ist doch das Einfallstor für die Verletzung der Kriterien von Maastricht. ({10}) Das ist der geradezu hinterhältige Versuch, das Versagen der eigenen Politik als einen Schicksalsschlag darzustellen und sich das Ganze in Brüssel noch absegnen zu lassen. ({11}) Damit wird Deutschlands Reputation als Land der Stabilität ebenso verspielt wie unsere BenchmarkFunktion auf den internationalen Kapitalmärkten. Dann sind wir nicht nur Schlusslicht und ein schlechter Verlierer. Wir sind sogar ein gefährlicher Verlierer, wenn es selbstverständlich wird, in der Nettoneuverschuldung über die Kriterien von Maastricht auszuweichen. Diesen Weg gehen Sie, Herr Eichel. ({12}) Angefangen hat der Bundeskanzler damit bei der Flut. Das kann man ja noch nachvollziehen. Das will ich auch nicht kritisieren. Aber dass das Ganze System hat, sehen Sie daran, dass die deutsche Regierung, der Bundeskanzler, bei Begegnungen mit den französischen Kollegen immer wieder die Absolutheit der Defizitkriterien kritisiert und sich dabei auf Aussagen bezogen hat, die diese infrage stellen. Worauf soll denn ein Stabilitätspakt abstellen, etwa auf den guten Willen, auf die reine Hoffnung oder auf die unbeirrbare Fortsetzung des Konsolidierungskurses, wie Sie es ausdrücken, Herr Eichel? Dann können wir gleich sagen, wir haben mit Zitronen gehandelt. 3 Prozent sind 3 Prozent - ich kann mich noch entsinnen, dass Sie so argumentiert haben. Jetzt kommt es zurück: 3 Prozent sind 3 Prozent. Sinn dieses Stabilitätspaktes ist doch, dass nicht auf die politische Alltagsrhetorik, sondern auf konkrete Zahlen und Ziffern abgestellt wird. Dagegen wehren Sie sich jetzt und das ist gefährlich. Deutschland ist ein schlechter und gefährlicher Verlierer geworden. ({13}) Noch ein letzter Gedanke: Sie haben uns gesagt, Sie werden im Jahre 2004 einen Haushalt closed to balance, also einen nahezu ausgeglichenen Haushalt, vorlegen. Daraus ist nun schon 2006 geworden. Herr Eichel, es wird auch 2006 nicht gelingen. ({14}) Das wissen wir doch alle. Dazu müssten Sie den gesamtstaatlichen Verschuldungsrahmen um 65 Milliarden Euro zurückschrauben. Die Länder nehmen Ihnen das nicht ab. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Ihre Finanzpolitik, die Finanzpolitik von Rot-Grün - einst Vorzeigeprojekt -, ist im Chaos gelandet. Ihnen nimmt keiner mehr ab, dass wir Stabilitätspolitik machen. Es ist ein gefährliches Spiel, einfach so in die Verschuldung auszuweichen. Eine Vertrauenskrise im Land ist schlimm, Schlusslicht zu sein macht die Menschen betroffen. Aber die Unglaubwürdigkeit im gesamteuropäischen Rahmen ist zu viel, Herr Eichel. Herr Eichel, halten Sie im doppelten Sinne des Wortes ein: mit dieser Politik und bei den Kriterien von Maastricht. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Obwohl ich sonst um eigene Worte nicht verlegen bin, will ich gern mit einem Zitat beginnen: … Sie … betreiben ein Doppelspiel: Einerseits bekennen Sie sich zu den Kriterien und zum Fahrplan von Maastricht. Andererseits blockieren Sie durch die Bundesratsmehrheit die notwendige Konsolidierung auf der Ausgabenseite. Das wirkt sich nicht nur negativ auf den Bundeshaushalt … aus, sondern Sie blockieren damit auch die Konsolidierung bei Ländern und Kommunen. ({0}) Das hat Theo Waigel am 30. Oktober 1996 in der 133. Sitzung des Deutschen Bundestages gesagt. Damals ging es um Sozialhilferecht und das Asylbewerberleistungsgesetz. Heute geht es um das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Sie stellen sich hierhin, hauen auf den Putz ({1}) und schämen sich nicht einmal dafür, dass der Erhalt des Dienstwagenprivilegs Ihr Beitrag zur Konsolidierung der deutschen Staatsfinanzen ist. ({2}) Der CDU-Antrag unterstellt, wir würden eine Aufweichung der Maastricht-Kriterien anstreben. Das ist völlig abwegig. Wenn von Flexibilität die Rede war, dann von der so genannten eingebauten Flexibilität, die im Maastricht-Vertrag enthalten ist, deren sich jeder bedienen kann, der sich beeilt hat, seine Strukturreformen durchzuführen. Andere europäische Länder können das tun, denn sie haben die Strukturreformen Mitte der 90er-Jahre durchgezogen und befinden sich jetzt in einer günstigen Lage. Sie können ohne ein strukturelles Defizit, das wie ein schwerer Rucksack auf ihnen lastet, in Zeiten der Konjunktur flexibel reagieren. Wir Deutschen nicht. Unser strukturelles Defizit, seit Mitte der 90er-Jahre verschleppt, drückt uns fast zu Boden ({3}) und lässt uns nur schwer Luft bekommen. Das heißt aber nicht, dass man die Maastricht-Kriterien aufgeben sollte. Sie unterstellen das in Ihrem Antrag nur. Auf der einen Seite betreiben Sie eine Boykott- und Blockadepolitik und versuchen alle Maßnahmen, die wir vorschlagen, zu stoppen. Sie brüsten sich sogar noch damit. Auf der anderen Seite tun Sie so, als wollten Sie wirklich Konsolidierung betreiben, indem Sie solche lächerlichen Anträge vorlegen. Ihr Antrag, den Sie von der CDU/CSU vorgelegt haben, hat eindeutig das Steuersenkungsversprechen des Herrn Stoiber im Wahlkampf des letzten Jahres versenkt. Ich sage nur: Titanic. ({4}) Sie spielen auf Zeit. Sie wollen hier so lange boykottieren, bis uns die Zeit davonläuft. Schon jetzt stehen wir unter großem Druck, die Reformen durchzuziehen, weil sich alles so lang hingezogen hat, weil die Reformen nicht stattgefunden haben, weil Sie sie versäumt haben. Herr Kohl wollte keinem weh tun, schon gar nicht vor der schwierigen Wahl 1998. ({5}) Ich gebe gern zu, dass Herr Lafontaine auch keinem weh tun wollte und es dadurch ebenfalls zu einer Zeitverzögerung kam. Das geht auf unser Konto und das will ich nicht beschönigen. Aber seit 1999 befindet sich diese Bundesregierung auf dem richtigen Kurs, auf dem Konsolidierungskurs. ({6}) Konsolidierung bedeutet, für nachhaltiges Wachstum zu sorgen und nicht einfach nur konjunkturell herumzudoktern. Das strukturelle Problem in der Arbeitslosigkeit ist 1973/74, 1981/82 und 1993 entstanden. In dieser Zeit hat Rot-Grün nicht regiert. ({7}) Damals hat man es nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit nach der konjunkturellen Delle wieder abzubauen. Das Defizit ist treppchenförmig immer weiter angewachsen. ({8}) Sie haben nichts dagegen unternommen, fordern aber jetzt, dass wir 30 Jahre Misswirtschaft in einem Ruck abarbeiten. Das ist nicht zu schaffen. ({9}) Inzwischen ist es so weit gekommen, dass der zuständige EU-Kommissar Solbes die Opposition in Deutschland - er hat ausdrücklich die Bundesländer und den Bundesrat, aber auch die CDU/CSU benannt - für einen Risikofaktor bei der Konsolidierung der deutschen Staatsfinanzen hält. Das müssen Sie sich einmal überlegen. ({10}) Ich bin mir nicht sicher, ob Herr Stoiber oder Herr Koch das wirklich gewollt und gemeint haben. Ich habe sie manchmal konstruktiver als die Bundestagsfraktion erlebt. Ihr Herumbrüllen kann ich nur so interpretieren, dass Sie den Machtverlust immer noch nicht verwunden haben und das knappe Wahlergebnis vom letzten Jahr Sie ganz säuerlich gestimmt hat. Mehr erkenne ich darin nicht. ({11}) Zurück zum Föderalismus. Weil sich die Länder und damit die CDU/CSU, die im Bundesrat die Mehrheit hat, so schädlich aufführen, ist in Brüssel der Eindruck entstanden, der deutsche Föderalismus sei kein vernünftiges System. Indem Sie Föderalismus als Obstruktion in Brüssel in Erfahrung bringen, schaden Sie im Prinzip all denjenigen aus Ihrer eigenen Partei, die versuchen, die Föderalismusdebatte pragmatisch nach vorne zu treiben. Ich halte das für einen ganz fatalen politischen Kurs. Aber das ist Ihnen offensichtlich egal, Sie fahren auf Crash. Wir schlagen jetzt ziemlich harte Reformen vor, auch im Bereich des Arbeitsmarktes, weil genau da am ehesten Möglichkeiten bestehen, schleunigst Veränderungen vorzunehmen. Wir reden über moderate Lohnpolitik, über eine größere Lohndifferenzierung nach Qualifikation, nach Region, vielleicht auch nach Unternehmen, und wir reden auch darüber, die Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verstärken. ({12}) Das sind alles keine schönen Entscheidungen. Die Regierung Kohl hat versucht, sie so lange wie möglich aufzuschieben, und auch Herr Lafontaine hat, wie bereits gesagt, sich nicht bemüht, sie beschleunigt umzusetzen. Das wissen wir alle. Aber seit 1999 wurde versucht, diesen Kurs zu fahren. Es war nicht schnell genug, das haben wir längst konzediert, deshalb wird jetzt auf die Tube gedrückt. Und wer stoppt, blockiert und boykottiert? - Sie da drüben! Sie meinen, Sie hätten die finanzpolitische Weisheit in diesem Land gepachtet. Wenn man die Ihnen zuerkennen sollte, müssten Sie sich aber anders verhalten. ({13}) Wir haben Beispiele in Europa, ich nenne Irland oder Dänemark. In Dänemark hat eine Regierung Anfang der 80er-Jahre einen sehr strengen Konsolidierungskurs gefahren. Es wurde ein hartes Sparpaket verabschiedet, die Steuern wurden erhöht und man ist damit einigermaßen über die Runden gekommen. In den 80er-Jahre war es noch ein bisschen einfacher als heute. Auch in Irland hat die Regierung Anfang der 80er-Jahre versucht, die Situation des Landes zu verbessern, aber es hat an der Akzeptanz in der Bevölkerung gemangelt. Die Bevölkerung hatte kein Vertrauen in die Maßnahmen, die ergriffen wurden. Ein paar Jahre später hat Irland einen zweiten Versuch unternommen und das Vertrauen in der Bevölkerung und in der Wirtschaft errungen, indem man deutlich stärker auf eine Reduzierung der Ausgaben gesetzt hat, weniger auf Steuererhöhungen und Investitionsprogramme. Man hat also die Ausgaben gekürzt. Das machen wir seit Jahren, aber Sie machen da nicht mit. Sie machen wohlfeile Vorschläge, sind aber nicht in der Lage, sie durchzusetzen, weil sie offensichtlich nicht funktionabel sind. Sie sprechen vollmundig von der Phrase Subventionsabbau, aber verweigern sich, die Subventionierung der Dienstwagen abzuschaffen. So sieht Ihre Wirtschaftspolitik konkret aus. Wenn man aus den Erfahrungen der anderen Länder hätte lernen wollen, hätte man Mitte der 90er-Jahre anfangen müssen, nicht erst 2001 oder 2002. Das wissen Sie ganz genau. Schon Mitte der 90er-Jahre lag man selbst in Boomzeiten nur knapp unter dem MaastrichtKriterium, das 1997 eingeführt worden ist. Man brauchte schon damals immer einen großen Wirtschaftsaufschwung, um sich halbwegs über Wasser zu halten. Das heißt, wir schleppten auch schon damals das große strukturelle Defizit mit uns herum. Man kann durchaus die Parallele zu 1997 ziehen; ich habe vorhin nicht umsonst Herrn Waigel zitiert. Im Jahre 1997 hatten wir ein vergleichbar hohes strukturelles Defizit wie jetzt immer noch. Das Problem ist, dass es nicht gelungen ist, dieses Defizit wirklich abzubauen. Das leugnet auch niemand. Aber es ist sträflich, den Zeitfaktor jetzt noch weiter zu vernachlässigen, denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat ein ganz wichtiges Ziel, das eng mit dem Jahr 2006 verknüpft ist. Uns ist aufgetragen worden, den demographischen Wandel, der in Europa zu verzeichnen ist, in der Finanzpolitik zu beachten. Wir müssen uns also bemühen, schleunigst von den hohen Zinszahlungen herunterzukommen. Die nachfolgende Generation der Steuerzahler wird nämlich nur in der Lage sein, eine der beiden Lasten zu tragen: die Zinsen für unsere Schulden von heute oder unsere Renten von morgen. Dem muss bei unserem politischen Handeln Rechnung getragen werden. Im Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde die Vorgabe gemacht, dass es die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2006 geschafft haben müssen, sich von übermäßigen Zinsbelastungen zu befreien, um in der Lage zu sein, mit der wachsenden Alterung der Bevölkerung fertig zu werden. Das ist ein entscheidender Punkt. ({14}) Wir dürfen nicht noch länger herumdrucksen. Wir müssen vorankommen. ({15}) Ich kann Herrn Eichel deswegen nur allzu gut verstehen, wenn er sagt, das Ergebnis, das im Bundesrat herausgekommen ist, sei die Tinte nicht wert, mit der es geschrieben worden ist. ({16}) Es bringt uns diesem Ziel nämlich nicht näher. Sie haben einen Scheinantrag vorgelegt. Sie sagen, Sie wollten, dass die Maastricht-Kriterien eingehalten werden, und keiner solle daran herumschustern; gleichzeitig verhindern Sie aber, dass diese Kriterien eingehalten werden können, und brüsten sich sogar damit. Das ist doch wirklich absurd! ({17}) Herr Waigel hat am 27. Juni 1997 verkündet, 1997 sei das Referenzjahr. Jedes Land habe die Chance und jedes Land habe die Pflicht und für jedes Land gelten die gleichen Voraussetzungen. Für die Entscheidung zählten übrigens Ist-Ergebnisse des Jahres 1997 und nicht Prognosen, Schätzungen oder Quartalsabrechnungen; so viel dazu, angesichts der ständig wiederkehrenden Debatten zu den Hilfen für die Bundesanstalt für Arbeit. Es war damals klar, dass am Jahresende abgerechnet wird. Was für 1997 galt, gilt aber auch für 2003. Sie versuchen, eine Obstruktionspolitik zu betreiben, und haben im ersten Vierteljahr nur versucht, uns Hindernisse in den Weg zu legen und uns zum Stolpern zu bringen. Das ist das Einzige, was Sie auf diesem Gebiet bis jetzt geleistet haben. Mehr haben Sie nicht beigetraAntje Hermenau gen. Nicht ein einziger Vorschlag ist von Ihnen gekommen. Weder in den vollmundigen Reden des Herrn Rexrodt habe ich einen konstruktiven Vorschlag gehört, noch in den Ausführungen der Redner von der CDU/ CSU, die vorhin gesprochen haben. Sie haben nur allgemein philosophiert, wie die Finanzpolitik aussehen könnte, und sind nicht konkret geworden. Das möchte ich hier festhalten. ({18}) - Tja, Herr Rexrodt, wenn Sie wüssten, was ich immer denke, wenn Sie reden! ({19}) Herr Stoiber hat am 6. April, also vor einigen Tagen, gesagt, er sehe nicht ein, dass sich Bayern an möglichen Strafzahlungen beteiligt, wenn es zu einer dauerhaften Überschreitung der Defizitobergrenze kommt. Er sei nicht bereit, denjenigen, die Reformen verweigern und dadurch die öffentliche Hand in immer höhere Neuverschuldung treiben, auch noch die EU-Strafen wegen des jahrelangen Reformstaus zu bezahlen. ({20}) Angesichts dieser Aussage muss ich Sie fragen, welches Bundesland im Jahr 2002 denn massiv dazu beigetragen hat, dass Herr Eichel in Brüssel die bittere Botschaft verkünden musste, dass eine Überschreitung des Maastricht-Kriteriums absehbar sei? - Es war das Bundesland Hessen, das eindeutig nicht von der SPD regiert ist. Hessen durfte nur 0,8 Milliarden Euro Schulden machen, hat aber über 2 Milliarden Euro Schulden gemacht. Die Verfehlung des Maastricht-Kriteriums geht also wesentlich auf das Konto CDU-geführter Länder, die ihre eigenen Interessen in den Vordergrund gestellt haben. ({21}) Wenn Sie sich auf die Lösung dieser nationalen Aufgabe nicht einlassen wollen, wenn Sie nicht in der Lage sind, zu erkennen, worum es eigentlich geht, dann müssen Sie sich den Vorwurf von Herrn Solbes gefallen lassen, dass Sie das eigentliche Konsolidierungsrisiko in Deutschland sind. ({22})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, dem sehnlichen Wunsch, den Sie hier vorgetragen haben, dass Sie von mir etwas hören wollen, komme ich gerne nach, damit Sie nicht länger auf Entzug sind. ({0}) Lassen Sie mich mit zwei Nachrichten beginnen, die uns am Dienstag erreicht haben und völlig unabhängig vom Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom gestrigen Abend sind. Vorgestern hat die EU-Kommission in Brüssel am späten Nachmittag sehr kurz hintereinander zwei Erklärungen herausgegeben. Die eine lautete, Deutschland stehe nach Einschätzung der EU-Kommission als einziges Mitgliedsland am Rande einer Rezession. Die zweite Meldung, die uns nur wenig später erreicht hat, lautete, das Haushaltsdefizit Deutschlands betrage nach einer Prognose der EU-Kommission in diesem Jahr 3,4 Prozent. Damit übersteige die Neuverschuldung zum zweiten Mal in Folge die im Stabilitätspakt maximal zulässigen 3 Prozent. Beide Meldungen und Einschätzungen der EU-Kommission haben etwas miteinander zu tun. Herr Eichel, Ihr Problem ist, dass Sie das bis heute nicht verstanden haben. ({1}) Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen, bevor ich auf die eigentlichen Probleme zu sprechen komme, über die wir heute zu diskutieren haben. Den gegenwärtigen Zustand einer Bundesregierung erkennt man immer daran, dass sie die Intensität der Kritik an der Opposition unter weitgehendem Verzicht auf eigene Vorschläge erhöht. ({2}) Genau das ist der Zustand, den wir gegenwärtig bei Ihnen feststellen. Je ratloser Sie werden, desto heftiger beschimpfen Sie die Opposition. Ich will nur eines feststellen: Herr Eichel, den blauen Brief hat nicht die Opposition in Deutschland, sondern die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland bekommen. ({3}) Sie haben ihn bereits einmal bekommen und entgegen allen Prognosen, die Sie immer noch abgeben, werden Sie ihn in diesem Jahr ein zweites Mal hintereinander erhalten. Das hat im Wesentlichen vier Ursachen. Die erste Ursache ist, dass Sie die Weichen am Anfang Ihrer rot-grünen Regierungszeit falsch gestellt haben. Die Schulden stammen nicht aus dem Erbe der alten Bundesregierung von Helmut Kohl und Theo Waigel, ({4}) sondern es war Oskar Lafontaine, der Ihnen bereits im ersten Haushaltsjahr 30 Milliarden DM höhere Ausgaben auf den Tisch gelegt hat. Über die zweite Ursache, die Sie zu verantworten haben, mussten wir in der letzten Nacht wieder diskutieren. Es geht um Ihre Entscheidung, dass im Jahre 2001 eine Körperschaftsteuerreform durchgeführt wurde. Herr Bundesfinanzminister Hans Eichel, ich sage Ihnen: Wenn wir heute noch einmal vor der Frage stünden, ob eine solche Körperschaftsteuerreform, wie Sie sie im Jahre 2001 durchgesetzt haben, gemacht werden soll, dann würde nicht ein einziger Ministerpräsident in Deutschland - auch keiner, der aus Ihren Reihen gestellt wird - noch einmal zustimmen. ({5}) Die Körperschaftsteuerausfälle, die damit verbunden sind, sind bis zum heutigen Tag ein wesentlicher Teil der Probleme. ({6}) Sie haben in zwei Jahren 40 Milliarden Euro weniger Körperschaftsteuer eingenommen. Mit diesem Teil der heutigen Probleme müssen Sie sich herumschlagen, weil Sie die Weichen bei der Körperschaftsteuer im Jahre 2001 völlig falsch gestellt haben. ({7}) Über das Ergebnis der Sitzung des Vermittlungsausschusses in der letzten Nacht werden wir morgen noch in Ruhe diskutieren. Lassen Sie mich eine Bemerkung dazu machen: Herr Eichel, wir haben nichts anderes getan, als auch im Vermittlungsausschuss genau das einzuhalten, was wir im Bundestagswahlkampf und in den beiden Landtagswahlkämpfen in Niedersachsen und in Hessen zugesagt haben. Wir sehen einen Korrekturbedarf bei der Körperschaftsteuer und sind ansonsten nicht bereit, Steuererhöhungen in Deutschland zuzustimmen. Dass wir dieses Versprechen im Gegensatz zu Ihnen nicht nur eingehalten haben, sondern dass die Union diese Position gestern Abend auch geschlossen vertreten hat und Sie nicht einen Einzigen aus der Union haben herausbrechen können, mag Sie überrascht haben; das ist aber das Ergebnis der letzten Nacht. ({8}) Von dieser Stelle aus will ich insbesondere dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch ausdrücklich danken, der mit einer sehr klugen Verhandlungsstrategie dafür gesorgt hat, ({9}) dass ein Kompromiss möglich wurde und dass in der Steuererhöhungsdebatte, die wir uns in diesem Lande besser erspart hätten, wenigstens ein Rest an wirtschaftspolitischem Verstand gewahrt wurde. ({10}) Damit komme ich zu Ihrem dritten großen Problem, das Sie offenkundig nicht in den Griff bekommen. Es schlägt sich in den Defizitzahlen nieder. Eines der großen Probleme der öffentlichen Haushalte - insbesondere derer, die Sie zu verantworten haben - sind die völlig aus dem Ruder laufenden Sozialausgaben. Wenn sich das Verhältnis zwischen Investitionen und Sozialausgaben über einen langen Zeitraum hinweg verschlechtert und es durch verweigerte Reformen bei den sozialen Sicherungssystemen zusätzlich eine solch dramatische Entwicklung nimmt, wie wir sie in den letzten Jahren festgestellt haben, dann dürfen Sie sich nicht darüber wundern, dass wir immer weniger bereit und in der Lage sind, die Kriterien, die in Maastricht niedergelegt wurden, zu erfüllen. In den öffentlichen Haushalten ist die Balance zwischen Investitionen und Sozialausgaben so weit aus dem Ruder gelaufen, dass dies nicht ein konjunkturelles oder kurzfristiges Problem ist. Herr Eichel, Sie schlagen sich seit viereinhalb Jahren mit einem tief greifenden strukturellen Problem herum und sind erkennbar nicht in der Lage, dieses zu lösen. Sie sind erkennbar auch nicht bereit, dieses zu lösen; denn ansonsten hätten wir längst die Reformen auf dem Tisch liegen, über die in diesem Lande schon so lange diskutiert wird. ({11}) Ich bin damit beim vierten Grund - er kommt in dem zum Ausdruck, was die EU-Kommission zu Recht kritisiert hat -: Unser Land befindet sich in einer tiefen strukturellen Wachstums- und Beschäftigungskrise. Herr Eichel, Sie werden mit Ihrer Finanzpolitik auch in Zukunft hoffnungslos scheitern, wenn Sie nicht endlich begreifen, dass die Finanzpolitik im gegenwärtigen Zustand der Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland nur Fehler machen kann. Wenn sie gut ist, kann sie allenfalls Fehler vermeiden. Einer der Fehler wäre, die Neuverschuldung zu erhöhen. Der zweite Fehler wäre, eine Debatte über Steuererhöhungen zu beginnen. Sie als Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland machen gleich beide Fehler. Dies ist die schlechteste Finanzpolitik, die in der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen jemals gemacht worden ist, weil sie jeden wirtschaftspolitischen Sachverstand vermissen lässt, den ein Finanzminister wenigstens minimal haben müsste. ({12}) Sie handeln völlig ohne jeden Bezug zu dem, was wirtschaftspolitisch notwendig ist. Sie als Finanzminister - entschuldigen Sie, Sie wissen, dass ich das nicht persönlich meine - haben Ihre Tägigkeit auf eine rein buchhalterische Finanzpolitik reduziert, die die ausschließlich mechanisch-technische Betrachtung der Einnahmen und Ausgaben zum obersten Primat der Finanzpolitik gemacht hat. Wenn Sie dies fortsetzen, bleibt es dabei, dass Sie ein gescheiterter Finanzminister sind. ({13}) Raus aus der Wachstums- und Beschäftigungskrise unseres Landes - das ist die einzig richtige Antwort, die Sie auf der Regierungsbank geben können, wenn Sie gleichzeitig die - richtigen - Kriterien des MaastrichtVertrages erfüllen wollen und müssen, des Vertrages, der sich unmittelbar mit dem Engagement der Bundesrepublik Deutschland im Zuge der Euroeinführung verbindet. Wir sind das Land, das so viel Wert darauf gelegt hat, dass Preisstabilität und Haushaltsdisziplin zum Maßstab in der gesamten Europäischen Union werden. Mit Ihrem Namen wird in die Geschichtsbücher eingehen, dass Deutschland vom Stabilitätsanker in Europa zu dem Land geworden ist, das eine Gefährdung von PreisstabiFriedrich Merz lität und Budgetdisziplin für ganz Europa darstellt. Mit dieser Bilanz, Herr Eichel, sollten Sie nicht so selbstbewusst und überheblich auftreten und die Opposition beschimpfen, wie Sie das gerade getan haben. ({14}) Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Wir alle sorgen uns in erheblichem Maße um die Finanzen der Kommunen. Aber dass ausgerechnet Sie dies aufgreifen und wiederum mit Kritik an der Opposition verbinden, ist schon ein starkes Stück, Herr Eichel. ({15}) Sie in Ihrer Regierungsverantwortung sind es gewesen, die den Kommunen in einem nie da gewesenen Umfang Lasten aufgebürdet haben. Gleichzeitig haben Sie den Kommunen immer mehr die finanziellen Mittel entzogen, die erforderlich sind, um diese Lasten schultern zu können. ({16}) Sie haben es mehrfach abgelehnt - ich will das noch einmal festhalten, damit die Öffentlichkeit dies zur Kenntnis nimmt -, die Gewerbesteuerumlage auf das Maß zu reduzieren, das vor der Körperschaftsteuerreform bis zum Jahre 2000 gegolten hat. Jetzt kommen Sie im Zuge Ihrer Gewerbesteuerreform mit einigen Brosamen an und wollen über die Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer die Situation der kommunalen Finanzen verbessern. Das ist so, als ob jemand eine Sau aus dem Dorf treibt, anschließend mit einem Kotelett in der Hand wiederkommt und dafür bei den Betroffenen Lob und Anerkennung verlangt. So geht es wirklich nicht. ({17}) Dass die Kommunen in einer solchen Verfassung sind, verbindet sich eng mit Ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik, der hohen Arbeitslosigkeit und den völlig aus dem Ruder laufenden Sozialhilfeausgaben in den Kommunen. Damit schließt sich wiederum der Kreis. Wenn Sie es nicht schaffen, endlich die Reformen auf den Weg zu bringen, mit denen hinsichtlich Wachstum und Beschäftigung in Deutschland wenigstens das europäische Mittel erreicht wird, dann werden wir uns am heutigen Tag nicht zum letzten Mal damit beschäftigen, dass dieses Land zu unser aller Sorge erneut die Kriterien des Maastricht-Vertrages verletzen wird. Dieses Problem hat einen Namen. Der Name ist Hans Eichel. ({18})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Joachim Poß, SPD-Fraktion.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Merz, mit Ihrer Rede haben Sie erneut unter Beweis gestellt, dass Sie noch nicht in der Realität dieses Landes - jedenfalls in der finanziellen Realität - angekommen sind. ({0}) Das waren, wie üblich, Sprüche von Wolke sieben im Wolkenkuckucksheim. ({1}) - Herr Merz, wenn Sie letzte Woche Donnerstag an dem Gespräch mit Herrn Koch teilgenommen hätten - Sie haben es vorgezogen, sich vertreten zu lassen -, ({2}) dann hätten Sie sehr wohl zur Kenntnis nehmen können, dass sich Herr Koch längst von Ihrer Fundamentalopposition verabschiedet hat. Er ist schon in der Wirklichkeit angekommen. ({3}) Wenn Sie gestern an der Sitzung des Vermittlungsausschusses teilgenommen hätten, dann hätten Sie zur Kenntnis nehmen können, dass die Ministerpräsidenten Müller, Böhmer und andere ebenfalls längst in der Realität dieses Landes angekommen sind. Deswegen haben wir schließlich die Vereinbarung getroffen - sie wird morgen von Ihrer Seite durch Herrn Kauder zu Protokoll gegeben -, neben der bereits vereinbarten Korrektur der Körperschaftsteuer die steuerpolitische Agenda neu zu eröffnen. Herr Koch hat keinen Zweifel daran gelassen, wie notwendig es ist, sich mit der umfassenden Sanierung der Staatsfinanzen sowohl auf der Einnahmenseite wie auch auf der Ausgabenseite zu beschäftigen. Diesen Konflikt haben Sie in Ihren Reihen noch zu lösen, Herr Merz. Ich wiederhole: Sie sind bisher noch nicht aufgestellt. Sie sind bisher mit dummen Sprüchen aufgefallen und damit durchgekommen. Diese Zeit ist aber endgültig vorbei. ({4}) Jetzt geht es um konkrete Alternativen. Dabei lassen Sie jede konkrete Festlegung vermissen. Herr Eichel hat zu Recht auf den groß angekündigten Strategiegipfel hingewiesen, der sechs Stunden getagt hat. Der Berg kreißte, aber nicht einmal ein Mäuschen kam dabei heraus. Das ist die Realität der CDU/CSU. Wir waren uns übrigens gestern mit Herrn Koch und anderen einig darüber ({5}) - wir haben letzte Woche Donnerstag ein ausführliches Gespräch mit Herrn Koch geführt -, dass der Verfall der Körperschaftsteuer mehrere Gründe hat. Er hat konjunkturelle Gründe; hinzu kommen die Steuersatzsenkung im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die Sie immer gefordert haben, und die Ausschüttung der Guthaben, die sich in der Kohl-Ära angesammelt hatten. ({6}) Zu berücksichtigen sind auch die Verlustvorträge, die in Ihrer Regierungszeit entstanden sind. 1995 betrugen sie 250 Milliarden DM; inzwischen belaufen sie sich auf 250 Milliarden Euro. ({7}) - Auch Sie, Herr Rexrodt, kommen mit solchen Sprüchen nicht mehr durch. - Darauf müssen wir Antworten finden, und zwar in der nächsten Runde der Steuergesetzgebung. Dann können Sie sich nicht mehr davor drücken, wie das noch gestern Abend versucht wurde. Das sind die Punkte, die für die Bevölkerung, die Wirtschaft und auch für die Planungssicherheit bezüglich Investitionen wichtig sind. ({8}) Diese Koalitionsregierung muss nicht von Ihnen auf die Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes hingewiesen werden. Wir haben das nicht nötig. Wir kennen unsere rechtlichen und politischen Pflichten. ({9}) Es ist unverfroren, dass sich CDU/CSU und FDP bei den Themen Haushaltskonsolidierung und Stabilitätspakt zu Wort melden. Das sind schließlich Parteien, die sonst keine Gelegenheit auslassen, Steuer- und Abgabensenkungen sowie öffentliche Mehrausgaben zu fordern. ({10}) Ihr Vorgehen ist unverfroren. Denn solide Finanzen und Haushaltskonsolidierung sind wahrlich nicht Ihre Themen. Ihre zentrale wirtschafts- und finanzpolitische These - das gilt für Merz, Rexrodt und andere - lautet: Steuersenkungen zu jeder Zeit, und zwar ohne Rücksicht auf die Folgen für die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen. Ihr Credo lautete doch: Allein durch Steuersenkungen würde der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland erfolgen, auch wenn die öffentlichen Haushalte dadurch handlungsunfähig gemacht würden. Monatelang - nicht nur im Bundestagswahlkampf - haben Sie zum Beispiel die Senkung des Einkommensteuerspitzensatzes auf unter 40 Prozent - bis auf 35 Prozent - und die angeblich erforderliche steuerliche Gleichstellung von Personenund Kapitalgesellschaften versprochen. ({11}) Allein die Verwirklichung dieser beiden Forderungen würde das gesamtstaatliche Defizit in diesem Jahr auf weit über 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes anwachsen lassen. ({12}) Deswegen in aller Ruhe: Wenn wir gemeinschaftlich an dem Ziel festhalten wollen, den Stabilitätspakt wirklich ernst zu nehmen, dann setzt das die Mitwirkung der Oppositionsparteien - jedenfalls in den Landesregierungen und auf kommunaler Ebene - voraus; aber nicht, indem Sie weiter schwarz malen - so wie das Herr Merz gemacht hat - oder Obstruktion betreiben. Das ist die Alternative. Sie sind jetzt an der Wegscheide: entweder verantwortungsvoll Politik zu machen und sich Ihrer Verantwortung in den von Ihnen regierten Ländern zu stellen - das gilt auch für die Kommunen - oder weiter Totalopposition zu betreiben. Das ist die Situation, um die es hier geht. ({13}) Wir brauchen keine Sonntagsreden, sondern konkrete Vorschläge. Wie wollten Sie die Flutopferhilfe finanzieren? Sie hatten vorgeschlagen, die Schuldentilgung dafür auszusetzen und so die Neuverschuldung des Bundes zu erhöhen. ({14}) Dieser Vorschlag wurde von Ihnen so vehement vertreten, dass es für uns alle überraschend war, dass Sie im Ergebnis dann plötzlich doch unserem Finanzierungsvorschlag - der Verschiebung der Steuerentlastungsstufe 2003 um ein Jahr auf 2004 - zugestimmt haben. ({15}) - Sie haben da nicht mitgemacht? Aber die Union hat da mitgemacht, Herr Rexrodt. Die faktische Missachtung von Haushaltskonsolidierung und soliden Finanzen ist das Kennzeichen der Politik von CDU/CSU und FDP, und zwar bis zum heutigen Tage. Bei den Beratungen des Bundeshaushaltes 2003, Herr Haushälter Kampeter, in dem es nun wirklich nichts zu verteilen gibt, hat die Opposition immer wieder versucht, Mehrausgaben in Milliardenhöhe durchzusetzen. ({16}) Auch das steht in krassem Widerspruch zu Ihrer heutigen Forderung nach strikter Haushaltskonsolidierung. Ich möchte jetzt nicht an all die Leidensgeschichten erinnern. Ich habe vorhin schon das Stichwort Strategiegipfel genannt. Immer, wenn Sie einen Anlauf unternehmen, um sich auf konkrete Maßnahmen zu verständigen, scheitert dieser Anlauf. Auf keinen einzigen SparvorJoachim Poß schlag konnte sich die Union bis zu dieser Debatte heute einigen. ({17}) Das muss in der Republik nun wirklich langsam bekannt werden. ({18}) Sie sind mit Ihrem Latein am Ende, meine Damen und Herren von der Opposition. Sie haben Ihr verbales Pulver verschossen. Jetzt sind Sie gefordert. ({19}) Den gestrigen Abend im Vermittlungsausschuss hat die starke Uneinigkeit und Zerstrittenheit der Union in Strategiefragen und inhaltlichen Fragen geprägt und belastet. ({20}) Weil aber offensichtlich zumindest in Teilen der Union ein Umdenken und eine Annäherung an die finanziellen Realitäten und an die politischen Erfordernisse in unserem Land stattgefunden hat, konnte wenigstens ein gerade noch akzeptabler Kompromiss erzielt werden. Dieser Kompromiss ist aus unserer Sicht akzeptabel, aber er ist auch das Maximum dessen, was man gerade noch vertreten kann. Für die Kommunen bietet er unter dem Gesichtspunkt der Soforthilfe in diesem Jahr nichts außer einer Null. Diese Nulllösung haben Sie herbeigeführt und nicht wir. ({21}) Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten die Kommunen schon in diesem Jahr eine kräftige Entlastung erfahren. Ob die Union ernsthaft bereit ist, endlich von Ihrer bisherigen Verweigerungs- und Blockadestrategie abzuweichen, wird sich bei den weiteren Gesetzesvorhaben zeigen. Wir treffen uns jetzt noch öfter bis hin zum Vermittlungsausschuss. Wir haben uns zur Weiterverfolgung unerledigter Punkte verabredet. Es wissen alle, dass Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa hat und dass die Steuerbelastung mit den bereits beschlossenen Steuerreformstufen im nächsten Jahr und im Jahr 2005 noch weiter sinken wird. Auch sollten alle wissen, dass insbesondere auf der Ebene der Länder und Kommunen die gravierenden Finanzprobleme in großem Maße auf eine unzureichende Steuerbasis zurückzuführen sind. Herr Rexrodt, Folgendes will ich Ihnen einmal sagen - ich hatte das Gefühl, dass die Unionsvertreter das ähnlich gesehen haben -: Sich mit einer grundsätzlichen Erklärung, wie das Ihr Vertreter im Vermittlungsausschuss gestern gemacht hat, aus jeder Mitverantwortung zu stehlen geht nicht. So kann man für Deutschland keine Verantwortung tragen. ({22}) Die Union wie auch die FDP, die gestern jede konstruktive Mitarbeit verweigert hat, stehen in einer klaren gesamtstaatlichen Verantwortung. Auch Sie sind an Landesregierungen beteiligt, so bedauerlich das sein mag. Sie können sich nicht länger so verstecken, wie Sie das bisher getan haben, und meinen, die Politik mit Deklamationen bedienen zu können. ({23}) Niemand, der in der Regierung und in den Regierungsfraktionen Verantwortung trägt, stellt den Stabilitäts- und Wachstumspakt infrage. Insofern entbehrt Ihr heutiger Antrag jeder Grundlage. ({24}) Die Notwendigkeit einer soliden und nachhaltigen Haushaltspolitik in allen europäischen Staaten als unabdingbare Voraussetzung für Wohlstand in Europa wie auch zur Sicherung der gemeinsamen Währung ist unbestritten. Wenn die heutige Debatte überhaupt einen Sinn hat, dann den, deutlich zu machen, dass der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt auch in der derzeitigen, lang andauernden konjunkturellen Schwächephase genug Spielraum für eine angemessene nationale und europäische Finanzpolitik lässt und auch lassen muss. Es ist doch eine ökonomische Selbstverständlichkeit, dass in außergewöhnlichen Situationen die vorübergehende Hinnahme eines öffentlichen Defizits von mehr als 3 Prozent möglich sein muss. Wer das leugnet und die Einhaltung der Dreiprozentgrenze in jeder Situation, Herr Rexrodt - und „koste es, was es wolle“ -, fordert, der handelt konjunkturpolitisch falsch und letztlich auch gesamtgesellschaftlich unvernünftig. ({25}) Im Übrigen führt genau diese starre und falsche Sichtweise des Stabilitätspaktes dazu, dass die Akzeptanz einer institutionellen Obergrenze für die staatliche Kreditaufnahme, wie sie das Dreiprozentkriterium darstellt, ausgehöhlt wird. Ich bin mir sicher: Theodor Waigel, der in Europa den Stabilitätspakt durchgesetzt hat, hätte das nicht anders gesehen. Der Beschluss des Finanzausschusses zum Thema Stabilitätspakt, Drucksache 15/737, lautet wie folgt: Der Deutsche Bundestag unterstützt die Haltung der Bundesregierung, sich weiterhin für die Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einzusetzen und im Hinblick auf die ökonomische Gesamtsituation und auf etwaige Sondereinflüsse von seinen bestehenden Regelungen europäisch abgestimmt sinnvoll Gebrauch zu machen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Diese Linie ist in ökonomischer und stabilitätspolitischer Hinsicht richtig. Dazu gibt es keine Alternativen, jedenfalls nicht von Ihrer Seite. Danke. ({26})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Poß, warum lehnen Sie unseren Antrag ab? ({0}) Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion lebt nun einmal von soliden öffentlichen Finanzen. Nur so kann die Grundlage für Vertrauen, Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung geschaffen werden. Hierfür wurde unter der Federführung von Theo Waigel der Stabilitäts- und Wachstumspakt in der Eurozone durchgesetzt. Er selbst und wir, seine Mitstreiter in der CDU/ CSU, konnten uns damals allerdings nicht vorstellen, dass ausgerechnet unser Land einmal so massiv gegen das Defizit- und das Schuldenstandskriterium verstoßen wird. Herr Eichel, Ihr Vorgänger Theo Waigel und unsere damalige Koalition haben die Kriterien eingehalten. ({1}) Sie verletzen die Kriterien, niemand anders. Das sind die Fakten. Alles andere ist doch üble Nachrede. Sie suchen die Schuld immer bei anderen. ({2}) Tatsächlich ist Rot-Grün das finanzpolitische Risiko in Deutschland, niemand anders. ({3}) Tatsache ist, dass Brüssel ein deutsches Defizit in Höhe von 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im laufenden Jahr erwartet. Damit werden wir nach 2002 die Stabilitätsregeln auch 2003 wieder deutlich brechen. Wir müssen mit mindestens 3,4 Prozent rechnen, wenn nicht ein sofortiger Kurswechsel vorgenommen wird. Herr Eichel, Sie behaupten, dass daran die Länder und Kommunen schuld seien. Das ist ein Märchen; denn das Finanzierungsdefizit des Bundes einschließlich der Sozialversicherungen beträgt, bezogen auf die im Finanzrat vereinbarte Bemessungsgröße von 45 Prozent des BIP, 4,6 Prozentpunkte. Durch die Bundespolitik sind wir zu einem gesamtstaatlichen Schuldenstand von 3,4 Prozent und mehr gekommen; dazu trägt allein der Bund 4,6 Prozentpunkte bei. Die deutliche Überschreitung der Dreiprozentgrenze ist letztendlich damit im Zusammenhang zu sehen - trotz der Verschiebebahnhöfe zulasten der Länder und Kommunen. Diese 4,6 Prozentpunkte sind eben zu hoch, um die Schulden bei den Ländern und Kommunen unter die Dreiprozentmarke zu senken. Es ist deutlich zu erkennen, dass wir die Rahmenbedingungen beim Bund verändern und einen Kurswechsel vornehmen müssen. Beim Bund muss gespart werden. Wir müssen auf Bundesebene die richtige Politik und auch die richtige Steuerpolitik machen. Meine Damen und Herren, wie immer - wie auch vor der Bundestagswahl im letzten Jahr - setzen Sie auf Ausreden und Verschleierung. Sie ignorieren einfach die Einschätzung der EU-Kommission bezüglich des diesjährigen Defizits. ({4}) Sie entgegnen dem EU-Finanzkommissar Pedro Solbes, die Schätzung berücksichtige angeblich die steuerlichen Maßnahmen der Bundesregierung nur zum Teil. Das ist entwaffnend. Sie haben die Steuererhöhungen, die in dem Steuervergünstigungsabbaugesetz vorgesehen waren, ({5}) bereits in Verbindung mit einer Defizitquote von 2,8 Prozent nach Brüssel gemeldet. Das heißt, Sie haben Steuererhöhungen in Ihre Meldungen aufgenommen, von denen Sie genau wussten, dass die CDU/CSU sie letzten Endes nicht mitmacht, weil sie kontraproduktiv sind und Wachstum und Beschäftigung kosten werden. Das ist die Wahrheit. ({6}) Diese Aussage ist nicht nur entwaffnend; sie zeigt, dass Sie Einnahmen aus dem Abkassiermodell zulasten der Bürgerinnen und Bürger, zulasten des Mittelstandes schon veranschlagt hatten. Ich bin all denjenigen aus den CDU/CSU-regierten Bundesländern und unseren Mitgliedern des Vermittlungsausschusses sehr dankbar, die im Vermittlungsausschuss diese Steuererhöhungen zum Scheitern gebracht haben. Ihre Geschlossenheit bewirkte eine große Leistung im Sinne der Bürger, im Sinne von Wachstum und Beschäftigung. ({7}) Herr Poß hat so getan, als wenn er mit diesem Vermittlungsergebnis gar nichts zu tun hätte. Herr Poß, ich habe heute früh gelesen, 30 der 32 Mitglieder des Vermittlungsausschusses, also auch solche aus der SPD, hätten diesem Vermittlungsergebnis zugestimmt. Ich sage es Ihnen deutlich: Sie können sich doch davon gar nicht absetzen. ({8}) Es ist gut, dass es so gekommen ist. Wir haben eine Wertzuwachssteuer auf Immobilien, Aktien und Fonds verhindert. Wir haben eine Firmenwagensteuer für Außendienstmitarbeiter verhindert. Wir haben eine Verschlechterung der Abschreibungen für die Bauwirtschaft und für die Investoren verhindert. Wir haben eine Einschränkung der Verlustrechnung für die mittelständischen Betriebe verhindert; es wäre ein Anschlag auf den Mittelstand gewesen, wenn er seine Verlustvorträge nicht mehr hätte verrechnen können. Außerdem haben wir eine Kürzung der Eigenheimzulage verhindert. Das hätte die Wirtschaft belastet sowie Wachstum und Beschäftigung in Deutschland gekostet. ({9}) Die Bundesregierung handelt nicht, sofern sie nicht wie in diesem Vermittlungsverfahren dazu gezwungen wird, sondern verzögert weiter, reißt neue Löcher auf und bringt Deutschland in eine immer schwierigere wirtschaftliche Lage. Wer Steuern erhöht, der erhöht die Arbeitslosigkeit. Lassen Sie deshalb die Finger von Ihren Abkassiermodellen, von Ihren beabsichtigten Steuererhöhungen. Das muss Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden. ({10}) Ich bin sehr dankbar, dass wir als einen der wesentlichen Punkte eine Stabilisierung im Bereich der Körperschaftsteuer erreicht haben. Das war sicherlich ein richtiger Kompromiss. Erst die rot-grüne Steuerreform hat ja zu diesen Verwerfungen geführt. Die Zahlen, die vom Bundesfinanzminister nach Brüssel gemeldet wurden, haben von vornherein nicht gestimmt. Es wurde nur noch getrickst, getäuscht und verschoben. Angesichts der schlechten politischen Rahmenbedingungen hat niemand 1,5 Prozent oder 1,0 Prozent Wachstum als realistisch angesehen. Heute stehen wir am Rande einer Rezession und müssen uns mit 0,4 Prozent Wachstum zufrieden geben. Damit kann man nicht einverstanden sein. Gerade Deutschland muss einen finanzpolitischen Kurswechsel erzwingen. ({11}) Es muss aufgrund seiner Vorbildfunktion eine stabile Grundlage für unsere gemeinsame Währung durchsetzen. Die CDU/CSU geht - im Gegensatz zum rot-grünen Finanzdesaster - diese Herausforderungen mit einem klaren Sanierungskonzept an. ({12}) Um die Vertrauenskrise zu beseitigen und Deutschland aus der Haushalts- und Wachstumsfalle herauszuführen, muss ein ehrliches finanzpolitisches Konzept auf den Tisch, das den Bürgern zwar einiges zumutet, ihnen aber auch eine klare Zukunftsperspektive aufzeigt. Die Sicherung des Stabilitäts- und Wachstumspakts bedarf grundlegender Wirtschafts- und Strukturreformen auf den Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Arbeitsmärkten. ({13}) Deutschland muss mehr dafür tun. Wir müssen erstens die Haushaltskonsolidierung voranbringen, zweitens weniger Staat durchsetzen ({14}) und drittens auch in der Steuerpolitik die ökonomische Vernunft walten lassen. ({15}) Es bedarf einer sofortigen Haushaltskonsolidierung und eines materiellen Budgetausgleichs beim Gesamtstaat ab 2006. Um das Ziel „weniger Staat“ zu erreichen, muss die Staatsquote bis 2010 auf 40 Prozent gesenkt werden. Bei den Steuersenkungen und insgesamt bei der Steuerpolitik müssen wir immer darauf achten, ({16}) dass keine Substanzbesteuerungen vorgenommen werden. Wir müssen das Steuereinkommen der Bürger und der Betriebe nach ihren Erträgen ausrichten. Man darf nicht immer weitere Schnitte in die Substanz der Betriebe vornehmen, wenn man immer neue Insolvenzen von Betrieben und den Verlust von weiteren Arbeitsplätzen vermeiden möchte. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Michelbach, schauen Sie bitte einmal auf Ihre Uhr!

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich freue mich, dass uns heute ein Vermittlungsergebnis vorliegt, das für die Ziele Wachstum und Beschäftigung letzten Endes eine deutliche Orientierung schafft. Wir mahnen heute noch einmal an, dass die Defizitquote beim Stabilitätspakt eingehalten wird ({0}) und dass wir eine neue steuerpolitische Agenda mit einem klaren Sanierungsplan für Deutschland auf den Weg bringen. Unser finanzpolitisches Konzept sieht anders als das von Herrn Eichel aus, ({1}) das immer nur auf Fiskalismus abzielt und die Wachstums- und Beschäftigungskräfte außer Acht lässt. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, fraktionslos. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde gerade gebeten, zu sagen, dass ich von der PDS bin. Das tue ich gern. Der Bundeskanzler hat den Krieg im Irak in seiner Regierungserklärung als einen Grund dafür genannt, die europäischen Konvergenzkriterien zu überdenken. Es ist richtig: Der Krieg ist ein Konjunkturkiller. Klar ist, dass der Krieg das Wirtschaftswachstum gedrosselt hat und damit auch die Arbeitslosigkeit erhöht hat. Die öffentlichen Kassen werden also weiter stark belastet. Die Kosten des Krieges, die auf den Steuerzahler zukommen, sind noch gar nicht abzuschätzen. SPD und Grüne haben sich zwar intensiv gegen diesen Krieg ausgesprochen; aber sie haben bis zum letzten Tag US-Bombern Überflugrechte gewährt und deutsche Soldaten in AWACS-Flugzeugen belassen. Damit haben sie leider den Erwartungen der US-Regierung entsprochen und als logistisches Rückgrat für diesen Krieg gute Dienste geleistet. Selbst die kleine Schweiz hat mehr Mut bewiesen; sie hat nämlich der US-Regierung die Überflugrechte verwehrt. ({0}) Die Bundesregierung sieht nur zwei Möglichkeiten: Erhöhung der Steuern oder Erhöhung des Defizits. Wenn Sie die Neuverschuldung erhöhen, wie das übrigens gerade der CDU-Ministerpräsident Wulff in Niedersachsen macht, dann bekommen Sie Ärger mit Brüssel, da die Neuverschuldung nicht über 3 Prozent steigen darf. Da die Bundesrepublik im Jahr 2003 einen Wert von 3,4 Prozent erreicht und damit bereits im zweiten Jahr das Konvergenzkriterium überschreitet, ist eine weitere Neuverschuldung mit Brüssel nicht zu machen. Offensichtlich ist die EU-Kommission nicht bereit, den Irakkrieg als Grund für eine flexiblere Gestaltung der Konvergenzkriterien zu akzeptieren, was ich persönlich übrigens für falsch halte. Also bleibt der Bundesregierung nur die Möglichkeit der Steuererhöhung. In der Presse war von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu lesen. Das wäre aus meiner Sicht wirklich ein politischer Skandal und ökonomischer Unsinn, ein Skandal deshalb, weil Herr Eichel den Kapitalgesellschaften allein im Jahr 2000 fast 24 Milliarden Euro Körperschaftsteuer erlassen hat. Im Vermittlungsausschuss hat sich heute Nacht die CDU/CSU durchgesetzt. Sie hat die möglichen Einnahmen aus der Körperschaftsteuer von 15 Milliarden Euro auf 4,4 Milliarden Euro pro Jahr heruntergehandelt. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen einmal etwas zur Schlusslichtdebatte sagen, die ich genauso unsinnig finde. Ich habe mir heute Morgen in Brüssel eine niederländische Zeitung gekauft. Da gab es eine große Schlagzeile: Nederland hekkensluiter in EU. - In verschiedenen Ländern wird also beschworen, man sei Schlusslicht. Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Ich finde, dass die Pläne zur Erhöhung der Mehrwertsteuer auch deshalb ein Skandal sind, weil sich die SPD und die Grünen weigern, Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Ihre große Steuerreform hat die Kommunen ruiniert und soziale Schieflagen hervorgerufen. Es ist Zeit, dass sich die SPD endlich an ihre Wahlversprechen erinnert und die Vermögensteuer wieder einführt. ({1}) Es ist auch ein Skandal, finde ich, weil die Bundesregierung mit diesen Einnahmen den Wiederaufbau des Irak finanzieren will. Da kann ich nur der Ministerin Wieczorek-Zeul Recht geben: Wer den Irak zerbombt, der muss auch die finanzielle Verantwortung für den Wiederaufbau übernehmen. - Es kann nicht sein, dass sich einige US-Unternehmen mithilfe ihrer Regierung und mit unseren Steuergeldern an diesem Krieg eine goldene Nase verdienen. Eine Mehrwertsteuererhöhung ist auch ökonomischer Unsinn, weil sie die Binnennachfrage weiter drosseln würde, und das würde wiederum mehr Arbeitslosigkeit bedeuten. Wir als PDS fordern deshalb: keine Mehrwertsteuererhöhung, dafür sofortige Besteuerung von Kapitalgesellschaften und Vermögen. Das würde sofort Einnahmen von circa 30 Milliarden Euro pro Jahr ergeben. Ich greife darum die Forderung des Kanzlers auf: Mut zur Veränderung. - Aber es gehört offensichtlich sehr viel Mut dazu, soziale Gerechtigkeit wieder herzustellen. Ich hoffe, meine Damen und Herren von Rot-Grün, dass Sie diesen Mut endlich aufbringen können. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Axel Schäfer, SPD-Fraktion.

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Strikte Einhaltung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes und strenge Anwendung seiner Vorschriften, diese Worte des CDU/CSU-Antrags stehen in krassem Gegensatz zu dem, was Sie an Taten in der aktuellen Politik folgen lassen, nämlich striktes Anhalten und strenges Einwenden: striktes Anhalten der notwendigen Reformvorschläge der rot-grünen Bundesregierung und strenges Einwenden gegen alle zukunftsweisenden Konzepte. Der vorliegende Antrag ist ohne jede positive Erwartung, enthält dafür aber umso mehr negative Prophezeiungen. Am 11. März dieses Jahres schreiben die Unionsparteien: Bereits heute steht so gut wie fest, was mit dem Defizit- und dem Schuldenstandskriterium wird. - Tatsächlich: Bereits 295 Tage vor Ende des Jahres wissen Sie, liebe schwarze Kolleginnen und Kollegen, wie 2003 enden wird, nämlich schwarz in schwarz. ({0}) Mehr noch, Sie behaupten - ich zitiere -: „Die Bundesregierung täuscht erneut“. ({1}) Axel Schäfer ({2}) Auch das kennen wir ja schon: erst das tagtägliche „Lügen, Lügen“-Gerede nach der Wahl, jetzt neue Formulierungen in die gleiche Richtung. Dabei geht es nicht nur um Worte, es geht auch um die Wirkung dieser Worte. Wer immer nur schlecht redet, der redet auch schlechte Situationen mit herbei. ({3}) Wer aber über deutsche Europa-Politik ernsthaft diskutieren will, muss die europäische Sicht über Deutschland und dabei auch die Fakten kennen. Erstens. Bundeskanzler Gerhard Schröder, Finanzminister Hans Eichel und alle anderen Verantwortlichen haben immer wieder deutlich gemacht, dass der Stabilitätspakt nicht zur Diskussion steht. Punkt. Warum diskutieren wir heute trotzdem? Weil Sie ein Stück öffentliche Verunsicherung wollen - und das in Zeiten, in denen die Menschen ein besonderes Sicherheitsbedürfnis haben. Das ist aus meiner Sicht geradezu unverantwortlich. ({4}) Zweitens. Portugal, Frankreich und Deutschland liegen zurzeit über dem Referenzwert des Maastricht-Vertrages. Die Europäische Kommission hat vorgestern dargelegt, dass sich die Haushaltslage der Eurostaaten noch verschlechtern und das Defizit aller EU-Staaten in diesem Jahr auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöhen wird. Wir haben es also mit verbundenen europäischen und nicht mit nationalstaatlichen Problemen zu tun. Brüssel befürchtet zudem im kommenden Jahr bei Italien eine Überschreitung der Dreiprozentgrenze. In Portugal, Frankreich und Italien regieren bekanntlich christdemokratische und konservative Parteien. Wer als Christdemokrat - das sind Sie ja - glaubt, mit einem Finger auf den sozialdemokratischen Finanzminister Deutschlands zeigen zu müssen, der sollte sich bewusst sein, dass bei ihm drei Finger automatisch auf die eigenen Parteifreunde in der Europäischen Volkspartei zurückweisen. ({5}) Drittens. Wir kennen die besonderen deutschen Standortfaktoren, insbesondere die jährliche Belastung mit Transferleistungen in Höhe von 75 Milliarden. Wir wissen zugleich - auch das ist deutlich geworden -, dass Deutschland der größte Nettozahler in der EU mit allein 7 Milliarden im letzten Jahr ist. Viertens. Die EU-Kommission hat das deutsche Stabilitätsprogramm ausdrücklich positiv bewertet und zugleich daran erinnert, dass die deutsche Volkswirtschaft trotz ihrer Größe nach wie vor höchst anfällig für externe Schocks ist. Zu Beginn des Irakkonfliktes hat Brüssel - bitte vergessen Sie das nicht - erklärt, dass ein Krieg grundsätzlich ein außergewöhnliches Ereignis ist. Mit anderen Worten: Es wurde ausdrücklich anerkannt, dass sich dadurch Unwägbarkeiten für Stabilität und Wachstum ergeben. - Die EU ist nun einmal komplizierter, als viele in der Union das glauben machen wollen. Mit strammen Appellen ist es da nicht getan. ({6}) Es ist klar: Europa muss in seiner allseits bekannten schwierigen Wirtschafts- und Finanzsituation gemeinsam handeln, zugleich muss jedes Land seinen Verpflichtungen nachkommen. Genau das tut die Bundesregierung, genau das hat Gerhard Schröder am 14. März hier Punkt für Punkt dargelegt. Wir haben an diesem 14. März eine Perspektive mit der Agenda 2010 aufgezeigt. Diese Agenda gibt es mit dem Lissabon-Prozess bereits auch in Europa, der die Gemeinschaft bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt machen soll, die fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu realisieren, und der für einen größeren sozialen Zusammenhalt sorgen soll. Basis dafür ist die Verbesserung von Infrastruktur und Humankapital. Diese europäischen Ziele sind auch Grundlage unserer Politik. Lissabon 2010 entspricht in Deutschland die Agenda 2010. Das packen wir jetzt an; damit muss aber auch Mut zur Veränderung einhergehen. Dabei wissen wir: Da die Geldpolitik komplett in den Händen der EU liegt, muss die Wirtschaftspolitik besser europäisch abgestimmt und zugleich national ausgestaltet werden. Deshalb - davon hat hier niemand geredet hat Bundeskanzler Schröder zusammen mit Tony Blair und Jacques Chirac jetzt Maßnahmen vorgeschlagen, wie die Industrie im internationalen Wettbewerb besser unterstützt werden kann. Alle diese Initiativen wurden auf dem EU-Gipfel im März dieses Jahres übernommen. Der Tenor lautet: Die strukturelle Erneuerung und Modernisierung Europas ist voranzutreiben, um so die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften weiter zu steigern, Beschäftigungschancen für alle zu sichern und damit auch positive Entwicklungen im Haushaltsbereich zu befördern. Ich erinnere hierbei daran, dass Hemmnisse abgebaut werden, mit denen die europäische Industrie unter den heutigen Markt- und Wettbewerbsbedingungen noch leben muss. Es werden keine unnötigen neuen Auflagen geschaffen, den Unternehmen also keine neuen Lasten aufgebürdet. Die Märkte werden liberalisiert, also der Binnenmarkt wird besser gestaltet. Die Umsetzung europäischer Forschungsergebnisse wird erleichtert, die Biotechnologie wird gestärkt, die Beziehungen zwischen Instituten und neuen Unternehmen werden besser verzahnt. Schließlich wird die Finanzierung von Dienstleistungen, die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen dienen, gesichert. Wenn wir heute entscheiden wollen, wohin es gehen soll, so müssen wir auch wissen, woher wir kommen, wie die Grundlagen der europäischen Finanz- und Haushaltspolitik aussehen. Vor fast genau vier Jahren, am 24./25. März 1999, hat die rot-grüne Bundesregierung zu Beginn einer Legislaturperiode, in schwierigen Zeiten, auf dem Berliner Sondergipfel mit der Agenda 2000 die entscheidende finanzielle und haushaltstechnische Grundlage auch für die EU-Erweiterung gelegt. Im Dezember 2002 hat diese rot-grüne Bundesregierung auf dem Kopenhagener EU-Gipfel wiederum - auch zu Beginn einer Legislaturperiode, auch in schwierigen Zeiten - maßgeblich die Finanzierung für die neuen Län3280 Axel Schäfer ({7}) der auf den Weg gebracht. Gestern hat das Europäische Parlament der Aufnahme von zehn Mitgliedstaaten zugestimmt. Das ist ein historischer Erfolg für uns alle. Es ist eine Leistung dieser Bundesregierung, die vor der Geschichte Bestand hat. ({8}) „Demokratie ist eine Frage des guten Gedächtnisses“, so hat Kurt Schumacher, der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, einmal formuliert. Der ehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende in diesem Hause, Kollege Wolfgang Schäuble, erklärte am 26. März 1999 in der damaligen Europadebatte zur Agenda 2000 - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -: Aber die Beschlüsse zur Agenda 2000 bleiben hinter den Notwendigkeiten und hinter den gesteckten Erwartungen zurück. Und weiter: Weil auf dem Berliner Gipfel keine Vereinbarung über Maßnahmen zu stärkeren nationalen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht worden ist ..., ist dieser Gipfel gescheitert. Tatsächlich war dieser Gipfel ein großer Erfolg, der den europäischen Einigungsprozess entscheidend vorangebracht hat. Sie haben sich bezüglich der Geschichte geirrt. Es ist klar: Wer, wie Sie heute, am Anfang eines Prozesses dessen Scheitern erklärt, wird am Ende selbst scheitern. ({9}) Wer Anfang 2003 schon erklärt, am Ende des Jahres würden wir schlecht dastehen, der steht am Ende selbst schlecht da. Wir wollen als Deutsche in Europa gut dastehen, auch weil Europa gut für Deutschland ist. Deshalb wird diese rot-grüne Regierung ihre Politik wie 1998 bis 2002 auch in diesem Jahr für Deutschland in Europa zu einem Erfolg werden lassen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Einführung des Euro im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion wurden strikte, für alle verbindliche Regeln festgelegt, um die Stabilität der neuen Währung zu garantieren. Gleichzeitig wurden Möglichkeiten geschaffen, um im begründeten Bedarfsfall ausnahmsweise und vorübergehend reagieren zu können. Diese Regeln haben bisher alle Bewährungsproben bestanden. Es gibt auch für die Zukunft keine Veranlassung, daran zu zweifeln. ({0}) Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deshalb bleibt festzustellen, dass die Einsicht in die Notwendigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Europa vielerorts immer mehr abnimmt. Aufgabe der deutschen Bundesregierung wie auch des Deutschen Bundestages sollte es deshalb sein, solchen Überlegungen deutlich entgegenzutreten und sich nicht an einer derart gestalteten Debatte zu beteiligen. Das ist eine Verantwortung, die von unserem Land erwartet wird. Doch welche Signale gehen von Deutschland aus? SPD und Bündnis 90/Die Grünen sagen von sich in ihrem eigenen Antrag, sich maßgeblich für ein Ende der Debatte eingesetzt zu haben, in welcher die Kriterien des Paktes seit Wochen öffentlich diskutiert werden. Herr Poß, Herr Schäfer, Sie haben beide gesagt, keiner stelle den bestehenden Stabilitäts- und Wachstumspakt infrage. Gestatten Sie mir deshalb, nachfolgend zwei Pressemeldungen zu zitieren, die aufzeigen, was Sie gelegentlich darunter verstehen, Debatten zu diesem Thema zu beenden. Beide stammen von Mitte Februar. Die Zahl der Zitate ließe sich beliebig erweitern, aber allein diese beiden machen deutlich, weshalb es uns so schwer fällt, an Ihre Aussagen zu glauben. Zunächst zitiere ich die „FAZ“ vom 12. Februar: Am Vortag hatte der SPD-Vorstand über den finanzpolitischen Kurs beraten. Nach der Sitzung hatte die SPD-Politikerin Andrea Nahles berichtet, Bundeskanzler Schröder wolle Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich über eine Lockerung des Konsolidierungskurses in Europa führen. Dies hatte jedoch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz bestritten. Am Dienstag bekundete ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums, die Bundesregierung halte am Konsolidierungskurs fest. Der SPD-Politiker Ludwig Stiegler ... sagte jedoch, eine Fixierung nur auf die Maastricht-Kriterien sei nicht gewollt. ({1}) Sie müssen schon zugeben: Man ist verwirrt. ({2}) Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb am gleichen Tag: „Uns ist kein Plan für eine Lockerung des europäischen Wachstums- und Stabilitätspaktes bekannt“, betonte eine Sprecherin des Hauses Eichel. Am Vortag hatte Schröder hingegen die Debatte über eine Korrektur des Sparkurses als berechtigt bezeichnet und eine europäische Initiative zu diesem Thema angekündigt. Weiter im Text: Differenzen in den Aussagen zwischen Eichel und Schröder seien nicht zu erkennen. Sie - die Sprecherin Patricia Lips könne sich die Sache nur so erklären, dass der Kanzler missverstanden worden sei. Es ist schon ein Kreuz mit bestimmten Ämtern. ({3}) Dieses Missverständnis setzt sich mit der Regierungserklärung des Bundeskanzlers vom 14. März fort. Ich zitiere: Deshalb halten wir am Ziel der Haushaltskonsolidierung und am Stabilitätspakt, den wir vereinbart haben, fest. Nur: - jetzt kommt es Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiert werden. Sie haben Recht, Herr Schäfer: Es geht hier um die Wirkung der Worte. Das Signal, das Sie nach draußen senden, ist völlig verwirrend, und das Schauspiel, das Sie hier abgeliefert haben, war und ist entwürdigend. ({4}) Sind Sie sich eigentlich darüber im Klaren, dass Sie mit diesen öffentlichen Debatten in den anderen Ländern von Dankbarkeit über Häme über den deutschen Musterschüler bis hin zur Ungläubigkeit über Deutschland so ziemlich alles ernten, was die Diskussion in Europa noch zusätzlich anheizen wird? Die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland ist verheerend und nachweislich hausgemacht. In einer Entscheidung des Europäischen Rates wird im Januar dieses Jahres ausgeführt, dass die Überziehung des Etats und die Einnahmeausfälle in Deutschland nur zum Teil mit konjunkturellen Faktoren erklärt werden können. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen - diese Entscheidung bewertet immerhin Ihre Politik -: Ein wenig mehr Selbstkritik und stille Einkehr hinsichtlich Ihrer eigenen Politik der vergangenen viereinhalb Jahre ist an dieser Stelle sicher angebracht. ({5}) Frau Hermenau, Sie haben vorhin sinngemäß gesagt, dass sich dieses Land seit 1999 auf dem richtigen Weg befindet. Der „Economist“ stellte bereits vergangenes Jahr zur rot-grünen Politik fest: Durch die Konjunkturschwäche Deutschlands wird Westeuropa im kommenden Jahr das niedrigste Wachstum einer Weltregion aufweisen. Durch die Fehler dieser Regierung zieht Deutschland zurzeit die Wirtschaft der Europäischen Union in die Tiefe. Das ist die Antwort, die nicht nur wir Ihnen auf Ihre Aussage geben. Die Situation ist schlimm und bedauerlich. Wir wünschten, sie wäre anders. ({6}) Der Generaldirektor für den Binnenmarkt in der EU sagt im aktuellen „Focus“: Die deutsche Wachstumsschwäche droht die gesamte europäische Konjunktur in den Abgrund zu ziehen. ({7}) - Sie sollten in Ihren Zwischenrufen weniger zynisch sein. Es geht hier um sehr viel. - Diese Aussagen machen doch mehr als deutlich, dass wir zwischenzeitlich nicht mehr Betroffene, sondern vielmehr selbst Teil des Problems geworden sind. Es stünde Ihnen deshalb gut an, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, nun nicht noch zusätzlich den Eindruck zu hinterlassen - es tut mir Leid, dies sagen zu müssen; aber so ist es -, Sie würden versuchen, Ihr eigenes Unvermögen auszutricksen, indem Sie sich daran beteiligen, die Stabilität unserer Währung neu zu definieren. In Ihrem Antrag sagen Sie noch mehr. Sie sprechen nämlich davon, dass die Bundesregierung mit ihrer Annahme des Defizitverfahrens für 2002 ein wichtiges Bekenntnis zum Pakt in seiner bestehenden Form abgegeben habe. Ich sage es Ihnen ganz deutlich: Die Regierung hat nicht ein Bekenntnis abgegeben, sondern sie ist einer puren Selbstverständlichkeit nachgekommen. Ich erinnere an das Verhalten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem blauen Brief vor einem Jahr: Rollläden runter, Augen und Ohren zu, Annahme verweigert - frei nach dem Motto: Wir doch nicht! - Wo war also Ihr wichtiges Bekenntnis zur Stabilität unserer Währung zum damaligen Zeitpunkt, als Sie den berechtigten blauen Brief nicht annahmen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, durch Ihren heutigen Antrag sind Sie nicht glaubwürdiger geworden. ({8}) Eines wird in der Abfolge deutlich: Nicht nur Ihre jüngsten Äußerungen in der Presse, sondern auch die gesamte Entwicklung zeigt auf, dass bei Ihnen fast schon System dahinter steckt, das System, den Stabilitätspakt sehr beharrlich und mit allerlei beschönigenden Redewendungen durch neue Interpretationen im öffentlichen Bewusstsein zu entwerten, Regeln nach Kassenlage zu umgehen oder Verantwortung abzuschieben. Herr Eichel, dies haben Sie heute wieder eindrucksvoll getan. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen ein starkes Europa. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt bildet die Grundlage der finanzpolitischen Solidarität und des Vertrauens nicht nur zwischen den Staaten der Eurogruppe, sondern vor allem auch auf den Finanzmärkten weltweit. Die Äußerungen in Ihrem Antrag sind entweder überflüssig oder Sie wollen doch mehr, als der Pakt schon heute zulässt. Genau dies ist zu befürchten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Patricia Lips (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003582, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Ich sage nur noch ein paar Sätze. - Nehmen Sie uns diese Befürchtung! Machen Sie Ihre Hausaufgaben im Strukturbereich! Das ist das Einzige, was diesem Land hilft. Unser Antrag wird Ihnen dabei eine psychologisch wichtige Stütze bieten. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Lips, dies war Ihre erste Rede hier in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich und wünsche Ihnen politisch und persönlich alles Gute. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/541 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir stimmen über Tagesordnungspunkt 4 b ab, über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Ent- schließung des Europäischen Parlaments zu der jährli- chen Bewertung der Durchführung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme, Drucksache 15/737. Der Aus- schuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der CDU/CSU und Enthal- tung der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf: 18. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Verfassungsorganen des Bundes - Drucksache 15/805 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch und des Sozialgerichtsgesetzes - Drucksache 15/812 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 30. Juli 2002 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über die deutsch-französischen Gymnasien und das deutsch-französische Abitur - Drucksache 15/717 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Antrags des Bundesministeriums der Finanzen Entlastung der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2002 - Vorlage der Haushaltsrechnung und Vermögensrechnung des Bundes ({3}) - - Drucksache 15/770 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ZP 2 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Barbara Wittig, Dr. Dieter Wiefelspütz, Wilhelm Schmidt ({4}), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD, den Abgeordneten Hartmut Büttner, Dr. Angela Merkel, Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU, den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({5}), Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie den Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ({6}) - Drucksache 15/806 - Überweisungsvorschlag: Innenausschuss b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des ErneuerbareEnergien-Gesetzes - Drucksache 15/810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 i sowie die Zusatzpunkte 3 a bis 3 d auf. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen zunächst zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19 a: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Melderechtsrahmengesetzes - Drucksache 15/536 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({9}) - Drucksache 15/822 Berichterstattung: Abgeordnete Gabriele Fograscher Ralf Göbel Silke Stokar von Neuforn Gisela Piltz Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/822, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und der CDU/ CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Votum wie in der zweiten Beratung angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 19 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des gesellschaftsrechtlichen Spruchverfahrens ({10}) - Drucksache 15/371 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({12}) - Drucksache 15/838 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Brinkmann ({13}) Dr. Jürgen Gehb Hans-Christian Ströbele Rainer Funke Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/838, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit ({14}) - zu der Verordnung der Bundesregierung Achtundfünfzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung - zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste - Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung - zu der Verordnung der Bundesregierung Einhundertsechsundvierzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 15/291, 15/292, 15/293, 15/763 Berichterstattung: Abgeordneter Erich G. Fritz Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verordnungen auf den Drucksachen 15/291, 15/292 und 15/293 nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen jetzt zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 d auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({15}) Sammelübersicht 26 zu Petitionen - Drucksache 15/764 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 26 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({16}) Sammelübersicht 27 zu Petitionen - Drucksache 15/765 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 27 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({17}) Sammelübersicht 28 zu Petitionen - Drucksache 15/766 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 28 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 29 zu Petitionen - Drucksache 15/767 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 29 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 30 zu Petitionen - Drucksache 15/768 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 30 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 19 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({20}) Sammelübersicht 31 zu Petitionen - Drucksache 15/769 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 31 ist mit den Stimmen der Koalition und der FDP bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 32 zu Petitionen - Drucksache 15/829 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 32 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 33 zu Petitionen - Drucksache 15/830 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 33 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 34 zu Petitionen - Drucksache 15/831 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 34 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Wir kommen zu Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 35 zu Petitionen - Drucksache 15/832 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 35 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Die Fraktion der CDU/CSU hat gebeten, die Sitzung jetzt zu unterbrechen, damit sie eine Fraktionssitzung abhalten kann. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. Die Sitzung ist unterbrochen. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zur Berufung des früheren Bundeswirtschaftsministers Werner Müller zum Vorstandsvorsitzenden des RAG-Konzerns Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion das Wort. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Zeugen eines unglaublichen Skandals. ({0}) Ich möchte meine Rede mit einem entsprechenden Zitat beginnen: Ex-Wirtschaftsminister Müller hat dem Ansehen der Regierung erheblichen Schaden zugefügt ({1}) und Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen. Dies sagte der damalige Regierungssprecher UweKarsten Heye, der mit diesen Worten den Wechsel des EU-Kommissars Bangemann in den Verwaltungsrat einer Telekommunikationsgesellschaft kommentiert hat. Bangemann war lediglich zuständig für die Deregulierung eines Marktes. Hier haben wir aber einen ungleich dramatischeren Fall. Herr Müller hat die Verlängerung der Steinkohlesubventionen in Brüssel persönlich ausgehandelt. Er hat diese Milliardensubvention an die Ruhrkohle AG auszahlen lassen. ({2}) Sein Haus sprach sich für die Fusion von Eon und Ruhrgas - das neue Unternehmen hat einen Marktanteil von 85 Prozent - entgegen der Entscheidung des Kartellamts und entgegen der Empfehlung der Monopolkommission aus. Die Delegation auf den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium wirkt vor diesem Hintergrund umso peinlicher. Das ist die Dimension des Skandals. ({3}) Im Eilverfahren wurde die Fusion, die zu einem Unternehmen mit 85 Prozent Marktanteil führte, noch vor der Bundestagswahl durchgezogen. Der Eon-Vorstandsvorsitzende Hartmann ist gleichzeitig der Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrkohle AG; denn über 40 Prozent der Anteile an der Ruhrkohle AG hält Eon. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. ({4}) Im Soldatengesetz und im Beamtenrecht gibt es Konkurrenzklauseln. Es gibt Tätigkeitsverbote für Beamte und Mitarbeiter oder zumindest Übergangsfristen für den Fall, dass sie im Anschluss an ihre Tätigkeit im öffentlichen Dienst auf dem gleichen Feld tätig werden. Bei dem, was hier passiert, gibt es noch nicht einmal eine Schamfrist. Wie will ich das einem kritischen jungen Menschen erklären? Bei ihm muss doch der Verdacht aufkommen, hier werde quasi ein ordnungspolitischer Judaslohn für vorherige Entscheidungen kassiert, indem er anschließend dort Vorstandsvorsitzender wird. ({5}) Wie verkommen ist die deutsche Politik, dass in ihr so etwas möglich ist und die Regierung dazu schweigt! Wenn es um einen harmloseren Fall geht, der andere betrifft, wird wochenlang eine Kampagne geführt. Wenn es um die eigenen Leute geht und Herr Müller dort untergebracht wird, herrscht Funkstille und dann ist alles in Ordnung und prima. Gemäß Umfragen aller demoskopischen Institute trauen 50 Prozent der Bevölkerung allen Parteien nichts Rechtes mehr zu. Durch Ihr Verhalten ist wieder ein Stein gelegt worden, mit dem das Vertrauen in die deutsche Politik erheblich beschädigt wird. Das ist ein mieser Stil! ({6}) Es ist ein pharisäerhaftes Verhalten der Regierung, sich im Fall Bangemann aufzublasen - der Regierungssprecher drohte sogar rechtliche Konsequenzen an - und hier Mist hoch fünf zu machen und dazu zu schweigen. Man findet dies in Ordnung und sogar die grünen Obermoralisten finden es gut, dass Herr Müller wieder einen Job hat. Das ist wirklich keine angemessene Verhaltensweise. ({7}) Es zeigt sich, wie ein Filz aus Montanmitbestimmung, Gewerkschaften, Sozialdemokraten und von Subventionen des Staates abhängigen Unternehmen ({8}) hier ein Netzwerk installiert, das eine der Ursachen dafür ist, weshalb wir nicht nur im Ansehen, sondern auch bei der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht mehr frühere Größenordnungen erreichen können. Dies ist die teuerste ABM-Maßnahme, die es je in Deutschland gab. ({9}) Eine solche Politik ist problematisch. Die Steinkohlesubventionen müssten aufgrund dieses Verhaltens sofort gestrichen werden. Sie werden volkswirtschaftlich unsinnig verwendet. Wir haben nicht hinreichend Geld für Bildung und Ähnliches; aber im Steinkohlebereich wird die Gewährung von Subventionen verlängert. Zudem gibt es einen Deal: Die Holländer, die Italiener und die Franzosen dürfen die Zahlung von Dieselsubventionen an ihre Spediteure zulasten der deutschen Spediteure bzw. Brummifahrer verlängern, damit wir die Gewährung der unsinnigen Steinkohlesubventionen fortführen können. Derjenige, der dafür die Verantwortung trägt und ermöglicht hat, dass die Ruhrkohle AG mithilfe von Milliardensubventionen arbeiten kann, hat sich quasi vorher durch die Gewährung von Subventionen für die Steinkohle seine eigenen Vorstandsbezüge gesichert. ({10}) Das ist keine Rechtsfrage; das mag rechtlich nicht angreifbar sein. ({11}) Aber dies ist ein hundsmiserabler Stil. Wie wollen wir Vertrauen in den Staat und in die Politik schaffen, wenn oberste Führungskräfte in Deutschland, Minister des Bundes, solch eine Verhaltensweise an den Tag legen? Das ist unglaublich. Das ist ein Tiefgang, wie wir ihn in Deutschland noch nie erlebt haben. ({12}) Die Regierung schweigt. Wenn ein solches Vorgehen mit dem Filz aus Gewerkschaften, Mitbestimmung und der Ruhrkohle zu tun hat, ist es offenbar in Ordnung. Bei anderen Dingen hat man ganz schnell eine hohe Tonlage und kritisiert es. ({13}) Wenn Herr Müller Anstand hätte, würde er diese Berufung nicht annehmen und sagen: Das geht nicht. So kann man nicht vorgehen. Ich kann nicht jahrelang in diesem Bereich tätig sein und für ein Mammutunternehmen die Weichen stellen und mich dann anschließend in das offenbar selbst vorbereitete Nest setzen. ({14}) Das ist eine moralische Katastrophe. Das ist zutiefst unanständig und hat mit Ordnungspolitik, mit der Grundausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil! ({15}) Ich finde es äußerst bedauerlich. Die Regierung hat jetzt die Chance, dazu eine Erklärung abzugeben. Beim Fall Bangemann haben Sie die Backen dick aufgeblasen. Bei diesem Fall ging es um vielleicht 5 Prozent von dem, was jetzt vor uns liegt. Wenn es die Roten betrifft, ist alles in Ordnung. Wenn es um die anderen geht, ist es schändlich. Pfui Teufel! ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Wilhelm Schmidt von der SPD-Fraktion.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Herrn Brüderle etwas über Moral und Stilfragen zu hören ist fast witzig. Denn Sie sind diejenigen, die uns am allerwenigsten belehren sollten. ({0}) Ich könnte Ihnen lange Storys über Herrn Friderichs, Herrn Bangemann, Herrn Möllemann und Herrn Haussmann erzählen. Alle sind aus Ihren Reihen. ({1}) Herr Rexrodt ist sicherheitshalber gar nicht hier, damit er auf seine intensive Verflechtung mit der Wirtschaft nicht angesprochen werden kann. Sie sollten uns also gar nichts erzählen. Ferner denke ich, dass wir im Bundestag wahrhaftig Besseres zu tun haben. Es gab gestern eine Aktuelle Stunde der CDU/CSU. Auch die war wieder ziemlich aufgeblasen. Zum wiederholten Male wurden Haushaltsfragen auf den Tisch gepackt, die Sie alle längst geregelt wissen. ({2}) Wir haben heute Morgen über den Stabilitäts- und Wachstumspakt gesprochen; auch das war eine überflüssige Debatte, wie sich erwiesen hat. Sie versuchen, von Ihrer Konzeptionslosigkeit und Schwäche abzulenken. ({3}) Deshalb kommen Sie auf das Thema „Berufung von Herrn Müller zum Vorstandsvorsitzenden der RAG“ für die Aktuelle Stunde. Ich kann nur sagen: Es entlarvt Sie und stinkt ohne Ende zum Himmel. Wir haben Ihnen daher nur Folgendes zu erklären: Erstens ist der Vorgang rechtlich einwandfrei. Zweitens, sind der Bundestag und die Bundesregierung nicht die Oberaufseher deutscher Unternehmen. Drittens ist es gut, dass wir uns auch dieser Debatte widmen, aber nicht in dem Maße, wie Sie es wünschen; denn Sie blasen ein parlamentarisches Instrument auf. ({4}) Draußen im Land fragen die Menschen: Haben die nichts Besseres zu tun? Wir sagen eindeutig: Ja, wir schon, die FDP offensichtlich nicht. Da sich die CDU/ CSU mit fünf Rednern beteiligt, hat offensichtlich auch die andere Oppositionspartei nichts Besseres zu tun. Kehren Sie vor Ihrer eigenen Haustür! Lassen Sie diesen Unsinn! Lassen Sie uns zu seriöser Politik, zu der Sie offensichtlich nicht fähig sind, möglichst bald zurückkehren. ({5}) Dann werden wir der Sache entsprechend Rechnung tragen. ({6}) - Ihre Zwischenrufe kennen wir alle schon. Auch das macht die Sache nicht besser. Wir werden uns dieser Aktuellen Stunde nicht widmen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, die Sache ist wirklich nicht witzig, ({0}) aber sie stinkt zum Himmel; ({1}) so nehme ich Ihre beiden Begriffe auf. Ich wundere mich nicht, dass nur einer von Ihnen redet. Die anderen wollten es nicht, weil es ihnen zu peinlich ist. ({2}) Ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, dass Sie eines Tages die Messlatte gleichmäßig anlegen werden und nicht wie jetzt einmal so und einmal anders. ({3}) Deswegen darf ich noch einmal auf den Fall Bangemann abstellen: Im Jahr 1999 wollte Bangemann zur Telefónica nach Spanien. Heide Simonis, Ihre tüchtige Ministerpräsidentin, sah in Bangemanns Verhalten eine „Verrohung der Sitten“. Manche handeln so undurchschaubar wie eh und je und sind vor allem daran interessiert, irgendwie irgendetwas für sich herauszuholen. So lautet der Originalton von Heide Simonis. Ich könnte jetzt viele andere nennen, zum Beispiel Verheugen: Es gab eine Sondersitzung der 15 EU-Botschafter, um ein Verfahren gegen Bangemann anzustrengen, damit ihm die Pensionsansprüche aberkannt würden. Das war die breite Stimmungslage in der deutschen Sozialdemokratie. ({4}) In der „Süddeutschen Zeitung“ von damals gab es eine schöne Zusammenfassung; dort heißt es in Bezug auf Ihre Fraktion und Partei: Empörung löste vor allem aus, dass er damit genau in jenem Bereich arbeiten wird, für den er bei der EU seit 1992 die Verantwortung hatte. ({5}) Wenn das damals galt, dann gilt das auch heute. ({6}) Ihr Minister ist aus der Veba, heute Eon, gekommen und hat vier Jahre als Minister gearbeitet, und zwar erkennbar monopolnah und liberalisierungsfeindlich. Die Liberalisierung der Elektrizitätsmärkte hat in allen Bereichen schweren Schaden genommen. ({7}) Er war sehr „nützlich“. Dann kam das Kartellverfahren bzw. die Ministererlaubnis. Wir haben ihm schon vor der Erteilung der Ministererlaubnis gesagt, er möge definitiv erklären, dass er bei keinem der in diesem Verfahren Beteiligten später in Lohn und Brot sein wird. Das haben wir ihm öffentlich hier im Haus gesagt. Das Ergebnis war: Er stand vor einem Problem und hat das nicht selber gemacht, sondern seinem Staatssekretär Tacke übertragen. Es wurde eine bis heute rechtswidrige Ministererlaubnis erteilt. Das Verfahren ist nur beendet worden, weil gekauft wurde, weil die Kläger gegen diese rechtswidrige Entscheidung abgefunden wurden. Federführend verantwortlich, Frau Kollegin Hustedt, war Minister Müller. Jetzt gibt es das Schweigen der Grünen, ({8}) „Das Schweigen der Lämmer“, das Schweigen der Grünen, das Schweigen der grünen Lämmer: Wo sind Sie mit Ihrem Sauberkeitsanspruch geblieben? Das Problem wird noch viel größer: Überlegen Sie, was ein normaler Beamter zu bedenken hat. Dieser Minister war nicht einmal Abgeordneter, er war nur Minister, eigentlich war er Beamter, und was für einer. In § 69 a Bundesbeamtengesetz - Tätigkeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses - steht: Ein Ruhestandsbeamter oder früherer Beamter mit Versorgungsbezügen, der nach Beendigung des Beamtenverhältnisses innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren ... außerhalb des öffentliches Dienstes eine Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit aufnimmt, die mit seiner dienstlichen Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Beendigung des Beamtenverhältnisses im Zusammenhang steht und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können, hat die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit der letzten obersten Dienstbehörde anzuzeigen. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Die Bundesregierung muss sich dazu äußern, ob sie das, was hier passiert, begrüßt oder nicht. ({9}) Die Berufung erfolgt nicht wegen der schönen Augen von Herrn Müller, sondern weil er für das Unternehmen Ruhrkohle AG aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Minister und der damit verbundenen besten Beziehungen zum Haus mit Blick auf die nächsten Subventionsentscheidungen nützlich sein soll. Das ist eine dienstliche Angelegenheit. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Monopolminister Müller ist nun nach einer vierjährigen Entleihung - eine Zeit, in der er die Energiemonopole gestärkt hat hoch bezahlt in die Monopole zurückgekehrt. ({11}) Genau diese Kurve ist er gefahren. Das hat nichts damit zu tun, dass wir eine Wechselbeziehung zwischen Politik und Wirtschaft wollen. So grob, so plump, so durchsichtig und so voller Beziehungsgeflecht, das der Steuerzahler zu bezahlen hat, haben wir das in diesem Lande noch nicht erlebt. Das ist ein Anschlag auf Sauberkeit. ({12}) Wenn ich höflich bin, ({13}) sage ich: Es riecht nach einer verfeinerten Art von Korruption. Wenn ich brutal bin, müsste ich sagen: Dies ist auf höchster Ebene korruptes Verhalten. Anders kann man das nicht bewerten. ({14}) Ich bitte Sie darum, das zu klären. Das ist noch nicht das Ende der Debatte. Sie brauchen nicht zu glauben, dass das Thema schnell an Ihnen vorbeiginge, nur weil Sie lediglich einen Redner in die Debatte schicken. Das Thema bleibt. Ob sich die Ruhrkohle AG mit einer solchen Entscheidung einen Gefallen in Bezug auf die Durchsetzung ihrer berechtigten Ziele getan hat, wird die Zukunft zeigen. ({15}) Es ist ein unerträglicher Vorgang. Herr Schmidt, wenn ich Ihnen das noch sagen darf: Was mich besonders stört ({16}) - nein, ganz nachdenklich -, ist, dass dieses Thema Ihre Partei angeblich oder tatsächlich überhaupt nicht zu interessieren scheint. In Europa sollen demnächst Kommissare eine Auszeit von mindestens einem Jahr nehmen müssen. Das ist so eine Art Schamfrist. Sie müssen wenigstens eine Kurve fahren. Warum machen wir in Deutschland nichts Vergleichbares? Warum sagen wir nicht, dass eine neue Tätigkeit in einer so unmittelbaren Nähe zur vorhergehenden Tätigkeit nicht erlaubt ist? So jemand muss auf die Wartebank.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Schauerte, die Zeit ist abgelaufen.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Mindestens das wäre nötig. Denken Sie einmal darüber nach. Wir denken über Corporate Governance, über Transparenz, über eine neue Unternehmenskultur nach und dann kommen Sie hier mit einer Parteibuchwirtschaft und einer Klüngelwirtschaft, die alles platt macht. Es ist peinlich, peinlich, peinlich! ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Michaele Hustedt, Bündnis 90/ Die Grünen. ({0})

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme gleich noch zu Ihnen, Herr Schauerte. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier, ob es verwerflich ist, dass der ehemalige Wirtschaftsminister jetzt Chef der RAG wird. In der Tat sind die Grünen in solchen Dingen moralisch sehr rigide. Ich persönlich zum Beispiel achte sehr penibel darauf, dass ich an meinem Engagement für Erneuerbare Energien nichts, aber auch gar nichts verdiene. Weder sitze ich in Aufsichtsräten noch investiere ich zum Beispiel in Windparks oder dergleichen mehr, obwohl viele auf mich zukommen. ({0}) - Ich weiß. Deswegen diskutiere ich gern über solche Dinge. Immerhin ist gerade das Verhältnis zwischen Energiewirtschaft und Politik ({1}) noch aus der Monopolzeit ({2}) außerordentlich problematisch - da stimme ich Ihnen zu - und sie sind außerordentlich eng verwoben. Allerdings diskutiere ich nicht mit der FDP in solch einer Aktuellen Stunde über eine solche Vorlage. Sie weinen scheinheilige Krokodilstränen und zetteln hier eine verlogene Debatte an. ({3}) und bei der SPD) Es sind doch Sie, die in der Theorie immer ideologisch fordern, wir brauchen fließende Übergänge zwischen Wirtschaft und Politik, einen Austausch der Eliten. Und es sind Sie, die das nicht nur fordern, sondern in hohem Maße auch praktizieren. Sie haben den Namen Bangemann schon selbst ins Spiel gebracht, wohl wissend, dass dies das beste Beispiel ist. Der kurzfristige Wechsel von der EU-Kommission zur spanischen Firma Teléfonica war seinerzeit ein Riesenskandal. Ich möchte weitere Beispiele nennen. Sie kennen doch bestimmt den Nachwuchsstar und Hoffnungsträger der FDP in Nordrhein-Westfalen, Andreas Reichel, damals Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Ich frage Sie: Wo ist der gelandet, nachdem die FDP nicht mehr in den Landtag gekommen war? ({4}) Er ist Pressesprecher bei der RAG geworden. Und was hat er - das unterscheidet ihn von Frau Röstel - außerMichaele Hustedt dem gemacht? Gleichzeitig war er Schatzmeister bei Herrn Möllemann. ({5}) Inzwischen ist er zurückgetreten wegen der illegalen Finanzgeschäfte von Möllemann. Ein anderes Beispiel: Ihr Bundestagskollege Rexrodt sitzt in sieben Aufsichtsräten. Unter anderem ist er Teilhaber der PR-Agentur WMP Wirtschaft, Medien und Politik, bei der er pro Jahr rund 740 000 DM, etwa die Hälfte in Euro, verdient. ({6}) Wen berät diese Firma? Sie berät zum Beispiel Firmen wie Eon und BP. Erinnern wir uns an die Debatte über die Eon-Ruhrgas-Fusion im Wirtschaftsausschuss, Herr Brüderle. Damals sind die Grünen aufgestanden und haben gesagt: Wir wollen über diese weit reichende Angelegenheit diskutieren. Ich bin persönlich auf Sie zugegangen. Daraufhin hat Herr Rexrodt, der an der Beratung von Eon verdient, während er gleichzeitig Mitglied des Bundestages ist, eingegriffen und jede Diskussion im Wirtschaftsausschuss unterbunden. ({7}) Öffentlich hat er sich dann geäußert, dass er die Fusion von Eon und Ruhrgas voll unterstützt. ({8}) So ist die Realität: Sie bekleiden die Posten nicht nacheinander, sondern gleichzeitig - und beginnen dann hier eine so scheinheilige Debatte. ({9}) Jetzt einmal - Herr Schauerte weiß schon, was nun kommt - zur CDU: ({10}) Wie war das denn da? Ich weiß, dass Sie, Herr Schauerte, dieser Fusion kritisch gegenübergestanden haben. Aber auch Sie haben einen Maulkorb verpasst bekommen, nämlich von Ihrem Kollegen Wissmann. Herr Wissmann ist, wie Sie wissen, Teilhaber einer Kanzlei, die BP vertritt. BP wiederum hat an der Fusion von Eon und Ruhrgas mit verdient, weil sie die Aral-Tankstellen bekommen hat. Deshalb sage ich: Die Debatte, die Sie hier führen, ist hochgradig scheinheilig. ({11}) Einen Anlass für eine Aktuelle Stunde bietet das Ganze in keinem Fall. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! Liebe Kollegin Hustedt, Sie haben lange über alle möglichen Sachverhalte referiert, ohne sie korrekt zu schildern. Ich erinnere Sie zum Beispiel daran, dass der Kollege Rexrodt nicht Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist. ({0}) In die Debatte eingegriffen hat er seinerzeit bestimmt nicht. Liebe Frau Hustedt, Sie haben es versäumt, sich klar zu der Frage zu äußern, wie die Grünen dazu stehen, dass Herr Müller zur RAG wechselt. Weil Sie es damit haben bewenden lassen, Ihre persönliche Befindlichkeit zu äußern, will ich Ihnen ein bisschen auf die Sprünge helfen: Ihr Kollege Hubert Ulrich, mittelstandspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, hat sich - ich meine, es war in der „Süddeutschen Zeitung“ ganz klar gegen diese neue Jobvermittlung zugunsten von Herrn Müller gewandt. ({1}) Genau das ist Gegenstand der heutigen Debatte. Die Präsenz hier im Plenum zeigt, wie sehr das Thema die SPD und die Grünen interessiert. Das finde ich mehr als beschämend. ({2}) Im Kern geht es um die Frage: Wem nützt diese Nominierung von Herrn Müller als Chef der RAG? In dem Zusammenhang ist es natürlich interessant, zu wissen, wie es mit der Steinkohlesubvention weitergeht. 2,6 Milliarden Euro allein in diesem Jahr sind kein Pappenstiel; das ist eine Subventionierung von derzeit ungefähr 80 000 Euro pro Arbeitsplatz. Die Bundesregierung hat absolut keinen Plan. Sie weiß noch nicht einmal, wie es nach dem Jahr 2005 weitergehen soll. ({3}) Das ist mehr als unverantwortlich. Wer glaubt, dass Herr Müller als RAG-Chef ein Konzept zum Abbau von Subventionen vorlegen wird, der wird eines Besseren belehrt werden. Sie spielen sich einander die Bälle zu, von der einen wie der anderen Richtung. Genau das ist es, womit wir unsere Zukunft verspielen. ({4}) Angesichts des Ministerentscheids des vergangenen Jahres, an dem Herr Müller ganz entscheidend mitgewirkt hat, kann ich aus heutiger Sicht nur sagen - das ist meine Überzeugung -: Wir sollten auf Ministerentscheide verzichten ({5}) und solche Eingriffe in das Marktgeschehen nicht länger zulassen. Dafür gibt es das Bundeskartellamt, das ja seinen Aufsichtspflichten auch hervorragend gerecht wird. Dort sollte man tätig werden. Das Instrument des Ministerentscheids ermöglicht, dass die Politik direkt auf Marktentscheidungen einwirken kann. Ich bin davon überzeugt, das es besser wäre, wenn man dies abschaffen würde. Zu einem weiteren Punkt: Denken Sie einmal zurück, wofür sich Herr Müller als Minister eingesetzt hat! Er hat auf EU-Ebene in Brüssel immer dafür gekämpft - das hat Rainer Brüderle eben richtig gesagt -, dass die Subventionen auch weiterhin gezahlt werden dürfen. Im Gegenzug wurden - das war eine der Auswirkungen Frankreich und Italien Sonderregelungen bei der Mineralölsteuer zugestanden. ({6}) Darüber hinaus war Herr Müller verantwortlich für weitere Subventionen. Ich erinnere nur an das Erneuerbare-Energien-Gesetz, mit dem er ein weiteres riesengroßes Subventionsfass aufgemacht hat. Diese Zusammenhänge muss man sehen. ({7}) Ich glaube nicht, dass er nun in der Lage sein wird, Subventionen abzubauen und sich auf neue Herausforderungen einzustellen, die ein zukunftsfähiges Wirtschaften ermöglichen. Das hat direkte Auswirkungen auf die Politik, beeinflusst unseren Haushalt und wird uns zum Nachteil gereichen. Herr Müller ist eben kein „Mann für alle Fälle“, wie das neulich eine Zeitung getitelt hat. Jedenfalls ist er kein Mann für den Bergbau. Herr Müller ist ein Mann mit Vergangenheit und verkörpert die Vergangenheit noch heute. Ich glaube, dass der Tatbestand seiner Berufung für die Politik insgesamt ein weiteres Maluszeichen ist. Ich gebe Herrn Brüderle wie auch den Vorrednern von der CDU/CSU-Fraktion völlig Recht: Wir alle nehmen so Schaden. Ich kann deswegen an den Bundeskanzler, dem nachgesagt wird, ein besonders gutes Verhältnis zu Herrn Müller zu haben, nur appellieren, Herrn Müller zu raten, davon abzusehen, diese Position für sich zu reklamieren. Dies würde Schaden vermeiden helfen. Ich kann nur hoffen, dass es demnächst zu einem radikalen Subventionsabbau kommen wird. ({8}) Wir von der FDP-Fraktion legen schon seit langem zukunftsfähige Konzepte dazu vor und fahren in dieser Frage einen stringenten Kurs. Vielen Dank ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Per se ist ein Wechsel von der Politik in die Wirtschaft oder umgekehrt nicht schlecht. Mehr noch: Wir brauchen in Deutschland dringend eine gegenseitige Befruchtung und einen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft. Wohin es führt, wenn der wirtschaftliche Sachverstand in der Politik zu kurz kommt, sieht man eindrucksvoll an dem Kurs der rot-grünen Bundesregierung: Mit einer Mischung aus Murks und Marx und dem Herumdoktern an Symptomen, ohne eine klare wirtschaftspolitische Linie, führen Sie Deutschland nicht nur außenpolitisch, sondern auch wirtschaftlich ins Abseits. ({0}) Wirtschaftspolitische Kompetenz, Erfahrung oder gar Führungserfahrung? - Fehlanzeige auf der ganzen Linie! Kompetenz - dieses Wort muss man in diesem Fall in Anführungszeichen setzen - beschränkt sich bei Ihnen auf die Beteiligung von Gewerkschaftsfunktionären. Wirtschaftlicher Sachverstand und frisches Blut sind hier überfällig. Herr Müller verfügt ohne Zweifel über einen gewissen Erfahrungsschatz in Politik und Wirtschaft. Er kann Kilowatt und Kilowattstunde unterscheiden, vielleicht auch Bilanzen lesen und er weiß, wie Politik funktioniert. Das ist gut und das kritisiere ich nicht - im Gegenteil. Es hat aber doch ein sehr starkes Gschmäckle, wie man es im Schwäbischen sagen würde, wenn jemand, der die Rahmenbedingungen bis vor wenigen Monaten wenn nicht gesetzt, so doch zumindest politisch zu verantworten hatte - Eon und der Zusammenhang mit der Kohleförderung wurden genannt -, ein paar Monate später an die Spitze gerade des Unternehmens berufen wird, das der größte Profiteur der gesamten Aktivitäten im Ministerium war. ({1}) Es mag sein, dass dies keine Rechtsfrage ist: zumindest aber moralisch wäre es dringend geboten, zu sagen, dass man ein solches Amt nicht antritt. In jedem Unternehmen gibt es Konkurrenzausschlussklauseln, die so etwas verbieten. Wenn jemand in einem Unternehmen der Energieversorgung als Vorstand tätig war, kann er nicht ohne Weiteres ein halbes Jahr später in einem Konkurrenzunternehmen die gleiche Vorstandstätigkeit ausüben. Das gebietet das Recht; vor allem aber gebietet dies auch der moralische Anstand. Neben diesem moralischen Aspekt stellt sich für die Ruhrkohle Aktiengesellschaft allerdings auch die Frage, ob Herr Müller der richtige Mann ist. Mit stetig wachsender Tendenz werden bereits heute zwei Drittel des Umsatzes der RAG in den Geschäftsfeldern Chemie und Immobilien erwirtschaftet. Nur ein Drittel des Umsatzes wird im Geschäftsfeld Kohle und Bergbau im weiteren Sinne erwirtschaftet. Hier stellt sich doch zu Recht die Frage, ob der andere einschlägige Kandidat, der jetzt schon für den größeren Geschäftsbereich verantwortlich ist, nicht die bessere Wahl für die Ruhrkohle Aktiengesellschaft gewesen wäre. ({2}) Das muss das Unternehmen aber selbst entscheiden. Auch der nächste Punkt sollte Sie interessieren; er muss ausgeräumt und geklärt werden. Es liegt doch die Vermutung nahe, dass dieser Deal von langer Hand ausgeheckt und vorbereitet wurde. Kann es nicht sein, dass die SPD über ihre fünfte Kolonne - die Gewerkschaften und die Montanmitbestimmung hier ihre Finger im Spiel hatte und jetzt ihr parteipolitisch motiviertes Süppchen kochen will? ({3}) - Frau Kumpf, Sie gehören auch zu der Spezies, die außer ihrer Gewerkschaftserfahrung wenig in den Bundestag einzubringen hat. Es ist doch auffällig, wie offensichtlich die Gewerkschaften den Herrn Müller hier auf den Thron gehoben haben. Dies muss geklärt werden. Es ist Ihre und nicht unsere Aufgabe, dies zu tun. Dem können Sie nicht ausweichen, indem Sie sich nicht an der Debatte beteiligen und indem Sie versuchen, diesem Thema aus dem Weg zu gehen. ({4}) Abschließend fordere ich die Bundesregierung auf - Frau Kopp hat es bereits angesprochen -, schnellstmöglich ernsthafte Verhandlungen über den Anschluss an den Kohlekompromiss über das Jahr 2005 hinaus zu führen und diesem Haus endlich einmal Vorschläge zu unterbreiten. ({5}) Die Beschäftigten der RAG haben Anspruch auf Planungssicherheit - nicht nur Herr Müller, der diese in Form eines Fünfjahresvertrages als Vorstandsvorsitzender erhält. Die Kumpels, die in diesem Bereich beschäftigt sind, haben Anspruch auf eine verlässliche Perspektive. Sie müssen wissen, wie es angesichts der Degression mit ihrem Arbeitsplatz weitergeht. Sie sind gefordert, hier endlich Vorschläge zu machen; dem können Sie nicht mehr ausweichen. Sie müssen sich an dieser Diskussion und Debatte beteiligen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans Michelbach von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es gibt keinen Zweifel: Die Berufung des früheren Wirtschaftsministers Werner Müller zum neuen Vorstandschef des Chemie- und Bergbaukonzerns RAG ist ein schlimmer Bärendienst für die gesamte deutsche Wirtschaft ({0}) und zeugt von Unsensibilität. Das Verflechtungskartell, das zu dieser Berufung beigetragen hat, muss aufgelöst werden. Personeller Austausch von Wirtschaft und Politik? - Ja, aber keine undurchsichtige Kungelei. Wir müssen daran interessiert sein, dass diejenigen aus dem Unternehmertum, aus dem Mittelstand, die sich politisch engagieren, ihre Aktivitäten so durchsichtig gestalten, wie wir das mit der Veröffentlichung im Bundestagshandbuch machen. Ein Deckmantel an Verflechtungen, wie er bei Herrn Werner Müller zu beobachten ist, kann dagegen nicht gutgeheißen werden. Diese heutige Debatte ({1}) ist wichtig und notwendig. Wir brauchen Sauberkeit in der Wirtschaft und in der Politik. ({2}) Darauf haben unsere Bürger Anspruch. Dies darf nicht einfach abgetan werden; denn der Bürger und die mittelständischen Betriebe zahlen sonst die Zeche. ({3}) Die unternehmerische Ethik - Vorbild für die soziale Marktwirtschaft - wird durch solche Vorgänge schwerwiegend beschädigt. ({4}) Natürlich ist es in Ordnung, wenn sich jemand aus der Politik ehrenamtlich engagiert. Das Engagement muss nur bekannt gemacht werden. ({5}) Ganz anders aber war es bei diesem Verflechtungskartell. Als Mittelständler bin ich über diese unsaubere Postenschieberei zutiefst betroffen. Dem Unternehmertum wird nachhaltiger Schaden zugefügt. Alle Kräfte dieses Hauses sollten daran interessiert sein, dass diese Sachen aufgedeckt, beim Namen genannt und rückgängig gemacht werden. Deshalb bin ich für die heutige Gelegenheit ausgesprochen dankbar. Anlass, kritische Fragen zu stellen, gibt es genug: Hat Herr Müller seinen neuen Chefsessel durch eine Schmierenkomödie erreicht? Ist es inzwischen so weit gekommen, dass in Deutschland Mitglieder der Bundesregierung käuflich sind? Hat sich Herr Müller einen wohldotierten Arbeitsplatz in der Energieindustrie schon zu seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister durch Willfährigkeit gesichert? ({6}) Ist Müllers neue Position ein Dankeschön aus der Energiebranche an den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister, weil er ihnen seinerzeit gefällig war? ({7}) - Herr Schmidt, Sie fordern Beweise. Solche Fragen werden doch noch erlaubt sein. Darauf erwarten wir Antworten. ({8}) Wenn Sie es ehrlich meinen, dann schlage ich Ihnen vor, diese Fragen dem Bundeskanzleramt zu stellen. Die Ministererlaubnis, die von Bundeswirtschaftsminister Müller erteilt wurde, stinkt geradezu zum Himmel. Diese Sache, die wie geschaffen ist für ein Drehbuch zum Thema Genossenfilz und Gewerkschaftskungelei in einer Konzernwirtschaft, muss geklärt werden. Sonst erhält unser Land den Geschmack einer Bananenrepublik. Das können wir nicht dulden, daran können wir kein Interesse haben. ({9}) Ich kann deutlich sagen: Bundeskanzler Schröder und Bundeswirtschaftsminister Clement tragen daran eine klare Mitschuld. Sie haben dieses Verflechtungskartell gutgeheißen und unterstützt. Die Paten hierfür sitzen im Bundeskanzleramt. Das zeigt das wahre Gesicht dieser Regierung. Die Reaktion der SPD zeigt, dass Sie betroffen sind und zunächst einmal keine Klärung wollen. Das habe ich auch früher schon festgestellt, als der Bundeskanzler bei der 60-Millionen-Abfindung von Herrn Esser von Mannesmann kein kritisches Wort hervorgebracht hat. Wir müssen deutlich machen, dass die insbesondere im Bundeswirtschaftsministerium beschlossenen Beihilfen und zukünftigen Subventionen zulasten der Steuerzahler, zulasten der Haushaltskonsolidierung und zulasten der Zukunftsfinanzierung unseres Landes gehen. Deswegen ist dies ein wichtiger Anlass, darüber zu reden, ob hier ein Verstoß gegen solche Regelungen vorliegt. ({10}) Die Bundesregierung ist gut beraten, ein beamtenrechtliches Verfahren gegen Herrn Müller anzustrengen. Das kann man und das muss man verlangen, um Sauberkeit und Durchsichtigkeit in dieser Frage herzustellen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Rolf Bietmann von der CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Rolf Bietmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003506, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen verkündete ausgerechnet die IG Bergbau-Chemie-Energie als erste die Nachricht, man habe mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister einen geeigneten Vorstandsvorsitzenden gefunden. Die erstaunte Öffentlichkeit musste zur Kenntnis nehmen, dass in einem der größten deutschen Unternehmen nicht die Eigentümerseite, sondern die Gewerkschaften den Vorstandsvorsitzenden proklamieren. Wirft aber der geneigte Betrachter einen genaueren Blick auf die Eigentümerseite, dann schlägt bei Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge sein Erstaunen in fragendes Entsetzen um; denn mit RWE und Eon hat die RAG genau die Eigentümer, die in den zurückliegenden Jahren den größten energiewirtschaftlichen Milliardendeal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verabredet haben. Dieser Milliardendeal war von der Zustimmung eben des Ministeriums abhängig, dessen Minister heute an die Spitze des durch die Zustimmung neu gestalteten RAG-Konzerns rückt. Es ist unbestreitbar völlig unvertretbar, dass ein ehemaliger Bundeswirtschaftsminister die Führung eines Konzerns übernimmt, der in der jetzigen Struktur mit seiner neuen Tochter Degussa nur deshalb zustande gekommen ist, weil im Interesse der heutigen Eigentümer des Unternehmens eine Ministererlaubnis erteilt wurde, die alle Bedenken der Kartellbehörde und der Verbraucherverbände hinsichtlich einer Monopolbildung im Energiemarkt in den Wind geschlagen hat. ({0}) - Das ist ein politisch skandalöser Fall, Frau Hustedt. Die Politik - das sage ich an die Grünen gerichtet nimmt schweren Schaden, wenn in den deutschen Medien der Eindruck kommentiert wird, die Amtshandlung der Erteilung der Ministererlaubnis könnte in einem Zusammenhang mit der Berufung des Ministers zum Vorstandsvorsitzenden des von der Entscheidung betroffenen Konzerns stehen. Dieser Vorgang wird das Vertrauen in die Politik, insbesondere aber das Vertrauen in die rotgrüne Bundesregierung, weiter schwer erschüttern. Lassen Sie mich noch etwas ausführen. Der Kollege Schauerte hat auf die im Beamtenrecht vorgesehene Regelung hingewiesen, dass innerhalb von fünf Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis keine Tätigkeiten aufgenommen werden dürfen, die möglicherweise zu Interessenkollisionen führen. Für Minister gilt zwar das Ministergesetz, das keine entsprechende Regelung beinhaltet. Aber eigentlich müssten gerade für die Spitzenstaatsdiener solche Interessenkollisionen ausgeschlossen werden. Was für den einfachen deutschen Beamten gilt, muss erst recht für die Minister gelten. ({1}) Wenn man sich dann gut meinend fragt, ob es einen zwingenden sachlichen Grund für die Berufung von Herrn Müller gibt, dann stößt man auf die Begründung, er sei ein ausgewiesener Energieexperte. Diese Begründung ist aber absolut untauglich; ({2}) denn ein Blick auf die Ausrichtung der RAG zeigt, dass 75 Prozent des Umsatzes der neu gestalteten RAG nichts mehr mit Energie zu tun haben, weil der Schwerpunkt dieses Konzerns auf der Chemie und - man höre und staune - auf Immobilien liegt. Mir ist aber von den Qualitäten des Herrn Müller im Immobiliensektor oder in der Chemie wahrhaft nichts bekannt. Einzig richtig an dem Erklärungsversuch ist die Tatsache, dass Herr Müller - damit kommen wir zur Politik aus Treue gegenüber der ihn berufenden Gewerkschaft und sicherlich auch der nordrhein-westfälischen SPD alles daransetzen wird, den defizitären Bereich der Steinkohle über das Jahr 2005 hinaus durch milliardenschwere Subventionen zulasten der Steuerzahler künstlich am Leben zu halten. Diese Subventionspolitik ist gesamtwirtschaftlich nicht vertretbar und schädigt den Standort Deutschland dauerhaft. ({3}) Aber so zynisch es auch klingen mag: Hier schließt sich wieder der Kreis. Denn letztlich zahlt der Steuerzahler den Preis für einen politisch gewollten gigantischen Wirtschafts- und wohl auch Personaldeal. CDU und CSU - da können Sie noch so viel kritisieren - fordern die Bundesregierung auf, diesen Vorgang wirklich schonungslos offen zu legen und dem Deutschen Bundestag Auskunft über erkennbare Interessenkollisionen eines früheren Mitglieds der rot-grünen Bundesregierung zu geben. Verweigern Sie sich dem, haben Sie jeden Anspruch auf moralisch bewertende Kritik in der Politik verloren. So wie im Fall Müller, meine Damen und Herren, geht es in Deutschland wahrhaft nicht. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill von der CDU/CSU-Fraktion.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Schweigen der Sozialdemokraten sagt mehr, als wenn hier fünf Verteidigungsreden gehalten worden wären. Sie haben in dieser Auseinandersetzung offensichtlich schlechte Karten. ({0}) Sehen Sie sich an, was die Kollegin Hustedt und der Kollege Schmidt hier vorgetragen haben: Man zeigt mit Empörung auf einen Fall, den man für besonders schlimm hält, und rechtfertigt damit das eigene Verhalten. Das ist der Vorgang, der hier heute stattgefunden hat. Darf ich also davon ausgehen, dass Frau Hustedt und auch Herr Schmidt der Meinung sind, weil es den Fall Bangemann gibt, den sie als so schlimm bezeichnet haben, dürfe man sich gleichermaßen wie die FDP verhalten? ({1}) Frau Hustedt, ich rate Ihnen dringend, das, was Sie hier zur WMP vorgetragen haben, sofort wieder zu vergessen. Denn der Medienberater der Länder Brandenburg und Berlin, Mitarbeiter von WMP, ist jemand, der auf Kosten des Berliner Senats und der Berliner Bürger großzügige PR für Berlin und Brandenburg macht. Wenn Sie schon solche Gesellschaften nennen, dann sollten Sie auch nicht vergessen, dass einer Ihrer schönen Abende zum EEG von einer Rechtsanwaltskanzlei gesponsert worden ist. ({2}) Ich finde außerdem, dass wir über die Fusion von Eon und Ruhrgas in diesem Zusammenhang gar nicht unbedingt reden sollten; das ist bei der Sache mit Herrn Müller jetzt gar nicht so sehr die Frage. Wir reden dann nämlich über den falschen Verursacher des Ganzen. Lange bevor der Antrag beim Bundeswirtschaftsminister und beim Bundeskartellamt eingegangen war, hat der Bundeskanzler auf einer Betriebsräteversammlung im Oktober 2001 öffentlich gesagt, er sei für eine Fusion von Eon und Ruhrgas. Die Begründung, die man dafür nennen kann, ist durchaus diskutabel. Sie ist unabhängig von der Diskussion über die Märkte im innerdeutschen Bereich, die Hartmut Schauerte und Hans Michelbach hier vorgetragen haben. Der Punkt ist: Diesen Fall hat nicht irgendeine anonyme SPD zu verantworten; die Sache hat einen Namen und der heißt Gerhard Schröder. Werner Müller ist ein Protegé des Bundeskanzlers. ({3}) Man könnte sich noch darüber unterhalten, ob Werner Müller an dieser Stelle richtig ist, wenn er eine Erfolgsbilanz als Manager und Politiker vorzulegen hätte. ({4}) Aber Herr Müller ist - das ist das Erste - Anfang der 90er-Jahre aus dem Vorstand der VKA mit einer Millionenabfindung entlassen worden, weil die Veba keinen Bedarf mehr für einen Manager von der Qualität des Herrn Müller hatte. ({5}) Das Zweite ist, dass sich Herr Müller, wie die Zeitungen hier und da berichteten, selber als Nachfolger von Herrn Harig, von Herrn Goll und anderen ins Gespräch hat bringen lassen. Und schließlich - das ist das Dritte - sollte man sich einmal die Erfolgsbilanz von Werner Müller in seinem Amt ansehen: Die 4,6 Millionen Arbeitslosen sind die Folge nicht irgendeiner Wirtschaftspolitik in diesem Lande, sondern sind die Folge seiner Wirtschaftspolitik. ({6}) Wo sind denn, so könnte man noch fragen - ich habe das in diesem Hause oft genug getan -, die Konzepte seiner Energiepolitik? Fragmente hat er vorgelegt und für das, was er draußen vertreten hat, hat er in diesem Hause keine Mehrheit auf dieser Seite des Hauses gehabt. Rot und Grün haben die energiepolitischen Ansichten dieses Mannes nie mitgetragen. ({7}) Wo also ist der Erfolg des Wirtschaftsministers Müller, der ihn berechtigen würde, in eine leitende Funktion einzutreten? Ein Letztes - es ist ja schon eine Reihe von Argumenten dazu vorgetragen worden -: Es gibt die gute Regel, wonach ehemalige Minister nicht in den Ausschuss gehen sollten, für den sie als Minister sozusagen zuständig waren, um die Beamten, die ehemaligen Mitarbeiter, nicht in Verlegenheit zu bringen. Jetzt geht ein Mann an die Spitze eines Konzerns, der auch mit Beamten verhandeln muss, die vorher im Ministerium seine Untergebenen waren. Wie sollen so objektive und faire Verhandlungen zustande kommen? Hier werden doch Menschen durch Personalauswahl unter Druck gesetzt. Ich möchte gar nicht herumstänkern, sondern lediglich feststellen: Das Ergebnis des hier zur Diskussion stehenden Deals ist, dass der RAG und damit auch der deutschen Steinkohle - die hier vertretenen Anliegen sind durchaus berechtigt - und den Kumpels der schlechteste aller Männer an die Spitze gesetzt worden ist. Man kann nur sagen: Schade, dass es so weit kommen konnte. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege sowie zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes - Drucksache 15/13 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({1}) - Drucksache 15/804 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Brüning Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin spricht für die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach politischem Streit in der Aktuellen Stunde kommen wir nunmehr zur abschließenden Beratung über einen Gesetzentwurf, der im federführenden Ausschuss im Konsens verabschiedet wurde. Das zeigt, dass wir angesichts der neuen Herausforderungen der Pflegeberufe imstande sind, zwei Schritte gemeinsam zu gehen: erstens die Pflegeberufe zu modernisieren und ihnen eine Zukunftsperspektive zu geben sowie zweitens durch moderne Finanzierungsinstrumente dafür zu sorgen, dass künftig die Einrichtungen, die nicht ausbilden, finanziell nicht mehr besser gestellt sind als diejenigen, die ausbilden. ({0}) Ich möchte mich zuallererst bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen und der Opposition für die konstruktive und gute Beratung bedanken. Wir haben auch im Dialog mit den Pflegeverbänden einiges an Verbesserungen auf den Weg gebracht. Ich möchte mich bedanken für die große Geduld, die die Kolleginnen und Kollegen bei den zahllosen Fachgesprächen hatten. Es ist ein guter Tag, wenn wir heute in zweiter und dritter Lesung über den vorliegenden Gesetzentwurf abschließend beraten und ihn verabschieden. ({1}) Das Gesetz wird nach 17 Jahren Stillstand in der Krankenpflegeausbildung von vielen, die in der Pflege aktiv sind und die sich mit der Situation in der Pflege auseinander setzen, für dringend erforderlich gehalten. Es ist auch deutlich geworden, dass es in dieser Zeit Entwicklungen in den Pflegewissenschaften gegeben hat. Diese sind wie der Aspekt der Eigenständigkeit der Pflege in das Gesetzgebungsverfahren eingeflossen. Mit der Novellierung der Krankenpflegeausbildung wollen wir langfristig Bedingungen dafür schaffen, dass erstens auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung unter veränderten Rahmenbedingungen sichergestellt ist. Wir wollen zweitens, dass der Pflegeberuf für junge Menschen attraktiver wird und dadurch einem allgemeinen Fachkräftemangel vorgebeugt wird. Es herrscht schon heute in einigen Gebieten ein großer Fachkräftemangel. Dies hängt auch damit zusammen, dass dieser Beruf gesellschaftlich nicht ausreichend gewürdigt und nicht für attraktiv gehalten wird. Mit der neuen anspruchsvollen Ausbildung, die wir nun festlegen, sind wir auf dem richtigen Weg. Wir wollen drittens ein erweitertes Verständnis der Pflege in der Ausbildung schaffen. Auch diesem Belang wird der Gesetzentwurf gerecht. Die Anhörung im Februar dieses Jahres hat gezeigt, dass alle Sachverständigen die Novellierung der Krankenpflegeausbildung für dringend notwendig erachten. Wir waren uns nach dieser Anhörung sowohl im Ministerium als auch im Fachausschuss über die wesentlichen Inhalte des Gesetzes einig: Erstens. Es bleibt bei zwei Berufsbildern für die Kranken- und Kinderkrankenpflege. Allerdings enthält die Ausbildung künftig weitgehend gemeinsame Ausbildungsanteile. Den besonderen Erfordernissen einer kindgerechten Versorgung tragen wir durch die Spezialisierung in der zweiten Phase Rechnung. Zweitens. Die neuen Berufsbezeichnungen „Gesundheits- und Krankenpfleger/in“ sowie „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in“ unterstreichen bereits sprachlich den erweiterten Ansatz in der Krankenpflege. Drittens. Die Ausbildungsziele werden den neuen Anforderungen angepasst. Dabei wird der eigenständige Aufgabenbereich der Pflege hervorgehoben. Es wird klargestellt, dass die Pflege nicht auf den kurativen Aspekt beschränkt ist. Krankenpflege beinhaltet fortan auch präventive, rehabilitative und palliative Maßnahmen. Krankenpflege unterliegt so einem umfassenden Ansatz. Es handelt sich um eine qualitativ hochwertige, anspruchsvolle Ausbildung, die in aller Regel von sehr engagierten Menschen gewählt wird. Dem wollen wir durch die Ausbildungsneuordnung mehr Raum geben. ({2}) Viertens. Die praktische Ausbildung findet nicht mehr nur in Krankenhäusern, sondern auch in geeigneten ambulanten oder stationären Pflege- oder Rehaeinrichtungen statt. Auch dies ist wichtig, denn gerade die ambulanten Einrichtungen sollen sich in Zukunft mehr entfalten können. Deswegen sollen sie auch für die Ausbildung zur Verfügung stehen. Die schulische und praktische Ausbildung steht fortan unter der Gesamtverantwortung der Schulen. Zudem gibt es verbindliche Regelungen zur Unterstützung der praktischen Ausbildung durch Praxisbegleitung der Schulen und Praxisanleitung in den Einrichtungen. Auf diesem Wege stellen wir eine sinnvolle Verbindung von Theorie und Praxis sicher, denn heute gehört beides zu einer guten Ausbildung. Ein wichtiger Punkt der Ausschussberatung waren die Mehrkosten, die den Krankenhäusern durch die verbesserte Ausbildung entstehen. Es bestand Einigkeit darüber, dass die Finanzierung dieser Mehrkosten durch die gesetzliche Krankenversicherung auf Dauer gewährleistet sein müsse. Nur so können wir die Ausbildungsbereitschaft der Krankenhäuser erhalten. Sie mit Mehrkosten zu belasten wäre gerade in einer Situation, in der wir darum werben müssen, dass mehr ausgebildet wird, kontraproduktiv. ({3}) In den Ausschussberatungen wurden entsprechende Änderungen des Gesetzentwurfes vorgeschlagen, die dies sicherstellen. Ich appelliere daher an dieser Stelle an die Krankenhäuser und deren Ausbildungsbereitschaft: Stellen Sie ein bedarfsgerechtes Ausbildungsangebot sicher. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam sehr wachsam sein, denn gerade im Moment erleben wir - dies wird uns auch aus der Praxis berichtet -, dass Ausbildungskapazitäten teilweise verringert werden. Wir sollten uns gemeinsam dafür stark machen, dass die Kapazitäten ausgeweitet werden. Durch die gemeinsamen Finanzierungspools und die Überleitungsvorschriften müssen wir jetzt die klare Botschaft vermitteln, dass es unser Wunsch ist, dass in Zukunft mehr und qualitativ hochwertig ausgebildet wird. ({4}) Die Erfahrungen mit der integrierten Ausbildung, wie wir sie heute beschließen, könnten gemeinsam mit der neuen bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung und den zur Erprobung generalistischer Ausbildungen vorhandenen Modellklauseln auch die Grundlage dafür sein, zu einem späteren Zeitpunkt verantwortlich über die weitere Entwicklung der Pflegeberufe zu entscheiden. Wir sind uns einig, dass es dringend notwendig ist, die Ausbildung der Pflegekräfte zu modernisieren. Wir haben beim Thema Ausbildungsnovellierung einen breiten Konsens erreicht. Es hat sich ausgezahlt, dass der Gesetzentwurf in enger Abstimmung mit Verbänden und mit den Bundesländern erarbeitet wurde. Wir schaffen in einem wichtigen Bereich einen modernen Ausbildungsrahmen und auch eine vernünftige Finanzierung für die Zukunft. Lassen Sie uns gemeinsam dafür werben, dass die Fachkräfte, die in der Pflege eine gute Arbeit leisten, auch in Zukunft eine Chance haben. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Brüning von der CDU/CSU-Fraktion.

Monika Brüning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003511, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege, das wir heute in abschließender Lesung beraten, ist angesichts der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung und der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung. Die Pflege kranker und schwacher Menschen ist elementarer Bestandteil jeder sozialen Gesellschaft. Das berufliche Pflegen ist somit nicht nur ein Beruf, sondern auch ein gesellschaftlicher Auftrag. Dieser Auftrag ergibt sich aus der Verpflichtung zur Fürsorge für Hilfsbedürftige und ist Ausfluss des im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzips. Die Krankenpflege blickt auf eine lange Tradition zurück. Schon im alten Griechenland gab es Heilpläne, die Elemente der heutigen Krankenpflege enthielten. Eine ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung der abendländischen Pflege und insbesondere der Krankenpflege hat das mit der Entstehung des Christentums verbundene Ideal der Nächstenliebe. Dieser Nächstenliebe entsprang die praktische Karitas, der Dienst am Menschen, eine wichtige Grundlage der Krankenpflege, die heute aufgrund von Finanzmangel leider häufig vernachlässigt wird. Die organisierte Krankenpflege in Krankenhäusern hat ihren Ursprung im frühen Mittelalter. Bereits vor über 500 Jahren, im Jahre 1452, entstand die erste deutsche Hebammenordnung zur Festschreibung einer Ausbildung im Kranken- und Pflegebereich. Im Jahre 1782 wurde in Deutschland die erste Krankenpflegeschule, damals Krankenwärterschule genannt, gegründet. Zunächst bildete sie nur Männer aus. Ab 1801 existierte eine weitere Schule für Frauen. Damals herrschte ein großer Mangel an ausgebildetem Pflegepersonal; denn immer mehr Menschen ließen sich im Krankenhaus behandeln. Auch heute konstatieren wir in Deutschland einen Mangel im Pflegebereich, der angesichts von drohenden Nullrunden, die mittlerweile Gott sei Dank zurückgenommen wurden, hoffentlich bald etwas abgeschwächt wird. ({0}) In Deutschland benötigt ein stetig steigender Bevölkerungsanteil professionelle Pflege. Ende 1999 waren über 2 Millionen Menschen im Sinne des Krankenpflegegesetzes pflegebedürftig. Davon wurde knapp die Hälfte - immerhin über 1 Million Menschen - von Fachkräften der Krankenpflege versorgt. Der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften wird in den kommenden Jahren stark ansteigen. Für 2020 prognostiziert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung einen Anstieg der Zahl pflegebedürftiger Menschen auf 3,3 Millionen und für 2050 auf sogar 4,7 Millionen. Das bedeutet, dass in knapp 15 Jahren ein Anteil an der Bevölkerung pflegebedürftig sein wird, der etwa der Bevölkerung der Stadt Berlin entspricht. Die hohe Personalfluktuation und die vielfach mangelnde Attraktivität der Krankenpflege tun ein Übriges, dass sich die Schere zwischen dem Bedarf an Pflegepersonal und dem Bestand an vorhandenem qualifizierten Personal weiter öffnet. Die Verweildauer der ausgebildeten Pflegekräfte im Beruf ist kurz. Bei der Alterszusammensetzung der berufstätigen Pflegekräfte ist auffällig, dass ab dem mittleren Lebensalter von etwa 30 bis 40 Jahren nur wenige anzutreffen sind. Grund dafür sind eine hohe Drop-outRate in den Pflegeberufen und die nach dem Berufseintritt immer früher auftauchenden Burn-out-Syndrome. Diese Fluktuation führt unter anderem dazu, dass die durch Erfahrung erworbene Kompetenz für den Beruf verloren geht. Maßnahmen, die den Verbleib im Beruf fördern, sind auch aus ökonomischer Sicht zu unterstützen; denn eine dreijährige Ausbildung kostet insgesamt circa 50 000 Euro pro Person. Daher muss dringend über geeignete Maßnahmen nachgedacht werden, um die Bereitschaft, im Beruf zu verbleiben oder in ihn zurückzukehren, zu erhöhen. Die entsprechenden Maßnahmen sollten insbesondere die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Blick haben. ({1}) Außerdem muss ein höherer Anteil junger Menschen für den Pflegeberuf geworben werden. Nur so kann der wachsende Bedarf an Pflegekräften gedeckt werden. Das wird jedoch nur möglich sein, wenn die Attraktivität des Berufsbildes erhöht wird. Das Krankenpflegegesetz von 1985 ist nicht mehr geeignet, diese gravierenden Probleme zu lösen. Es entspricht nicht mehr den Erfordernissen, die der demographische Wandel an die Krankenpflege stellt. Auch das Aufgabenspektrum im Pflegebereich hat deutlich zugenommen. Schließlich haben sich die medizinischen und technischen Möglichkeiten weiterentwickelt. Das mittlerweile 18 Jahre alte Gesetz soll nun endgültig den neueren Anforderungen angepasst werden. Insbesondere die Finanzierung der Ausbildung neuer Fachkräfte stellt ein Problem dar. Der Faktor Ausbildung ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wettbewerbsnachteil der ausbildenden Krankenhäuser geworden. ({2}) Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt daher die Einführung der Fondsfinanzierung. Die Ausbildungsstätten befinden sich überwiegend in der Trägerschaft von Krankenhäusern. Die Finanzierung einer Krankenpflegeschule erfolgte bisher anteilig aus dem Budget des jeweiligen Krankenhauses. Nach der neuen Regelung erhalten die ausbildenden Schulen nunMonika Brüning mehr gesonderte Zahlungen aus dem so genannten Ausgleichsfonds, an dem sich alle Häuser beteiligen müssen. Wir begrüßen sehr, dass auf unseren Hinweis hin auch die Finanzierung der Ausbildung in den Krankenhäusern für die Zeit bis 2005 gesichert wurde. Dies geschieht durch die gleichzeitige Änderung der Bundespflegesatzverordnung und des Krankenhausentgeltgesetzes. Ohne diese Änderungen wären die Folgen dramatisch gewesen. In den Jahren 2003 und 2004 wären mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger neue Ausbildungsplätze bereitgestellt worden. Eine große Errungenschaft in unserem Sozialstaat ist die Möglichkeit, sich als Pflegebedürftiger in den gewohnten vier Wänden pflegen zu lassen. Wie Sie alle wissen, wird diese Möglichkeit vermehrt in Anspruch genommen. Daher ist es richtig und wichtig, dass die Ausbildung teilweise auch im ambulanten Bereich stattfindet. Einen wesentlichen Punkt in diesem Zusammenhang hat die rot-grüne Mehrheit aber nicht aufgegriffen: die Einbeziehung ambulanter Dienste in die Finanzierung der Krankenpflegeausbildung. ({3}) Wo bleibt die Beteiligung derjenigen an den Kosten der Ausbildung, die vom Einsatz der Krankenpflegeschülerinnen und -schüler in ihren Einrichtungen direkt profitieren? Ich habe auf diesen Punkt bereits in der ersten Lesung im Dezember 2002 und in den Ausschusssitzungen hingewiesen. Leider ist insoweit kein Fortschritt zu erkennen. Das geltende Gesetz über die Krankenpflegeausbildung ist seit knapp 18 Jahren in Kraft. Die verstrichene Zeit hat viele Veränderungen mit sich gebracht. Ich bitte Sie alle daher, mit weiteren Anpassungen dieses Gesetzes an die Realitäten im Krankenpflegebereich nicht noch einmal 18 Jahre zu warten; denn die Krankenpflege unterliegt einem ständigen Wandel. Die nächsten Herausforderungen stehen schon vor der Tür. Es ist insbesondere erforderlich, eine bedarfsgerechte Steuerung in den Berufen sicherzustellen und damit eine gute und dem aktuellen medizinischen Stand entsprechende Betreuung der Kranken und Pflegebedürftigen zu gewährleisten. Diese Steuerung muss zeitnah geschehen. So sollten beispielsweise die operativen technischen Assistenten möglichst bald eine staatlich anerkannte Berufsbezeichnung erhalten und sollte die entsprechende Ausbildung gesetzlich geregelt werden. ({4}) Aufgrund der sich ständig erweiternden pflegerischen und medizinischen Erkenntnisse ist auch über eine stärkere wissenschaftliche Ausrichtung der Pflegeberufe nachzudenken. Die Pflegeausbildungen können nicht noch weitere Jahrzehnte außerhalb des öffentlichen Schul- und Hochschulwesens oder ohne klare Anbindung daran fortgeführt werden. Darüber hinaus sind auch die Pflegeberufe in größere gesellschaftliche Zusammenhänge zu stellen. Bei aller Beschäftigung mit finanziellen Aspekten der Ausbildung der Pflegekräfte dürfen aber die Belange der Pflegebedürftigen nicht aus dem Blick geraten. Lassen Sie mich daher noch auf einen weiteren Aspekt der Pflegeausbildung zu sprechen kommen, der zunehmend an Bedeutung gewinnt: die transkulturelle Pflege. Die Ausbildung der Pflegekräfte berücksichtigt den kulturellen Einfluss auf die Pflegebeziehung und die Genesung nur in geringem Umfang. In Deutschland leben zurzeit 7,3 Millionen Menschen ausländischer Abstammung. Die Tendenz ist steigend. Auch sie werden krank und müssen gepflegt werden. Eine angemessene Pflege muss den kulturellen Hintergrund des Patienten berücksichtigen. Krankenschwestern und Krankenpfleger müssen sich vermehrt in andere Kulturen hineindenken. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie viel unterschiedliche Kulturen heutzutage allein beim Personal eines Krankenhauses vertreten sein können. In dem mir bekannten Krankenhaus handelt es sich immerhin um Menschen aus 22 verschiedenen Nationen, die sich im Arbeitsprozess 24 Stunden lang um die Bedürfnisse von durchschnittlich 400 Patienten kümmern. Diese kulturelle Vielfalt stellt eine enorme Bereicherung für die Betreuung der Patienten dar. Sie verbessert die sprachliche Verständigung mit den Patienten. Darüber hinaus vereinfacht sie Anamnese und Kontrolle der Behandlungserfolge. Wir müssen uns sehr bald sehr ernsthaft Gedanken über kulturvergleichendes Denken machen. Methodisch muss dies auch in der Grund-, Fortund Weiterbildung gelehrt und dann genutzt werden. Schwierigkeiten bestehen allgemein darin, dass ein Mensch umso stärker vom Pflegepersonal abhängig wird, je höher sein Pflegebedarf ist. Seine persönliche Integrität und Intimsphäre könnten erheblich gefährdet werden, wenn persönliche Grenzen nicht respektiert und Nähe und Distanz einseitig von den Pflegenden her bestimmt werden. Es gilt, die Würde des Patienten zu achten und zu wahren. Daher müssen die Pflegekräfte zukünftig noch mehr zur Interaktion und Kommunikation befähigt werden, um der Individualität des Patienten angemessen begegnen zu können. Ich möchte mit einem Zitat von James Allen schließen: Die Zukunft beginnt heute. Leben heißt denken und handeln. Denken und handeln aber heißt verändern. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Selg von Bündnis 90/Die Grünen.

Petra Selg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003635, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier heute über einen Gesetzentwurf zur Änderung der Krankenpflegeausbildung zu entscheiden. Das betrifft mich ganz persönlich, die ich den Beruf seit 24 Jahren ausübe, und mit mir viele Kolleginnen und Kollegen draußen. Wir alle hoffen nämlich, dass es in Zukunft mehr Kollegen werden, wenn wir die Attraktivität dieses Berufes steigern. Ich habe 17 Jahre darauf gewartet, dass ein solches Gesetz kommt. Ich bin sehr dankbar und froh darüber, dass es jetzt endlich so weit ist. In einer Fachzeitschrift stand, dass mehr als 40 000 Stellen im Pflegebereich aus verschiedenen Gründen nicht besetzt werden können. Das sind alarmierende Zahlen. Der zitierte Artikel zeigt dabei auf, dass es vielfältige Ursachen für einen zunehmenden Personalmangel gibt, und macht deutlich, dass eine Verbesserung der Situation in der Krankenpflege eigentlich nur über eine Steigerung des Ansehens der Pflegeberufe zu erreichen ist. Dazu muss man aber bei der Ausbildung ansetzen. Genau das tun wir heute mit diesem Gesetzentwurf. ({0}) Fraktionsübergreifend bestand große Einigkeit, was ja leider hier nur zu selten vorkommt. ({1}) - Natürlich gibt es ab und zu auch andere Gesetze; das weiß auch ich. - Die Anhörung zu diesem Gesetzentwurf hat gezeigt, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt. Auf die Finanzierung und andere Dinge, bei denen dieses Gesetz ganz klar Lücken offen lässt, möchte ich jetzt gar nicht näher eingehen. Aber, liebe Frau Brüning, auch Sie wissen, dass viele dieser Dinge eigentlich in die Kompetenz der Länder fallen. So hoffe ich, dass wir auch in diesem Punkte weiter vorankommen. ({2}) Wir legen dafür hier den Grundstein, die Gespräche müssen dann aber weitergehen. Pflegen kann jeder - das hört man leider immer noch allzu oft in unserer Gesellschaft. Dagegen käme wohl keiner auf die Idee, zu sagen, Haare schneiden oder ein Auto reparieren könne jeder. Dabei reduziert sich das Verständnis des Wortes „Pflege“ in der Gesellschaft leider häufig immer noch nur auf Pflege im letzten Abschnitt des Lebens, nämlich die Altenpflege. Ich glaube deshalb, dass wir dringend einen Bewusstseinswandel bezüglich des Wortes „Pflege“ herbeiführen müssen, denn dabei geht es um mehr als nur um zielbestimmte Erhaltung körperlicher Funktionen. Pflege umfasst viele psychische und soziale Elemente und sollte deshalb ganzheitlich als ein Beruf verstanden werden, der sich um Menschen in verschiedenen Lagen kümmert. Angesichts des Personalmangels, der in der Krankenpflege herrscht - das ist ein Berufszweig mit einer Arbeitslosenquote von gerade einmal 2,5 Prozent, Tendenz fallend -, ist es heute besonders wichtig, dass wir den hohen Arbeitsbelastungen in diesem Beruf - da ist wiederum die Tendenz steigend, man braucht nur an die DRGs oder an die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft zu denken - gerecht werden. Das tun wir mit diesem Gesetzentwurf, indem wir eine gute Ausbildung ermöglichen und damit die Attraktivität des Berufes steigern. Vieles von dem, was durch dieses neue Gesetz erreicht wird, wurde vorher schon genannt: Es sind mehr Unterrichtsstunden vorgesehen; die Schulen werden selbstständiger, weil sie die Gesamtverantwortung für die praktische und theoretische Ausbildung bekommen; wir werden Modellprojekte einrichten, in denen gemeinsame Konzepte für Kranken- und Altenpflege entwickelt werden; wir steigern die Durchlässigkeit in den tertiären Bereich, indem Pflegende zu Studiengängen zugelassen werden. All das sind Dinge, die dringend notwendig sind. Pflege wird in Zukunft nicht mehr nur als stationäre Pflege in Krankenhäusern stattfinden, sondern auch in der Prävention, in der Rehabilitation und vor allen Dingen im ambulanten Bereich, der in Zukunft immer wichtiger werden wird. Ein bisschen Wasser muss ich allerdings in den Wein gießen. Nach 24 Jahren eigener Berufserfahrung möchte ich hier nicht behaupten, dass alles ganz wunderbar sei. ({3}) Aber ich denke, nach 17 Jahren ist dies ein erster Schritt in die richtige Richtung, und wir werden das weiterentwickeln. In § 3 wir ein Ausbildungsziel festgelegt, das einen umfangreichen eigenverantwortlichen Aufgabenbereich vorsieht. Das verleiht dem Beruf endlich mehr Gewicht. Besonders wichtig finde ich, dass wir hier voranschreiten; denn gerade in der Krankenpflege gibt es Tätigkeiten, die examinierten Kräften vorbehalten werden müssten, so wie es bei den Hebammen und vielen anderen Heilberufen bereits der Fall ist. Ich denke, wir brauchen diese Regelung der der Pflege vorbehaltenen Tätigkeiten ganz dringend, um eine Abgrenzung nicht nur nach oben zu den Ärzten - denn wir sind als Pflegekräfte nicht die Gehilfen des Arztes, wie es in manchen Fernsehsendungen gern dargestellt wird -, sondern auch nach unten zu den geringer qualifizierten Kräften zu schaffen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben heute Morgen fraktionsübergreifend - das finde ich ganz hervorragend - begonnen, Gespräche mit dem Ministerium und dem Deutschen Pflegerat darüber zu führen, wie man diese Aufgaben definieren könnte. Wir werden das weiterentwickeln. Diese Entwicklung ist dringend notwendig. Weitere Gespräche dazu wird es im September geben. Ich lade Sie alle herzlich dazu ein, an einer Weiterentwicklung und somit an der Steigerung der Attraktivität dieses Berufs, der in unserer Gesellschaft unglaublich wichtig ist, mitzuwirken. Danke. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDPFraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich erfreulich, dass es in diesen gesundheitspolitisch sehr stürmischen Zeiten ein Thema gibt, das nicht streitig ist. Auch wir begrüßen, dass es mit dem Krankenpflegegesetz zu einer Modernisierung der Krankenpflegeausbildung kommt. Das war lange überfällig. Kollegin Selg hat das gerade sehr plastisch dargestellt. Das Gesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Qualität der Ausbildung wird steigen. Das werden wir durch unser Abstimmungsverhalten unterstützen; wir stimmen dem Gesetz zu. Die fachlichen Kompetenzen werden auf gesundheitsfördernde, präventive, rehabilitative und palliative Inhalte ausgeweitet. Vor allem durch die Ausdehnung der praktischen Ausbildung im ambulanten Bereich wird den modernen Herausforderungen an die Krankenpflege Rechnung getragen. Ein Problem gibt es allerdings. Mit der Zusammenführung der Krankenpflege- und der Kinderkrankenpflegeausbildung in den ersten Ausbildungsjahren - hier muss konsequenterweise auch die Altenpflegeausbildung mit einbezogen werden - wird der Weg in eine einheitliche Grundausbildung für die Pflegeberufe eingeschlagen. In der Anhörung ist die berechtigte Frage aufgeworfen worden, inwieweit damit den diversifizierten Anforderungen an die einzelnen Berufsbilder Rechnung getragen wird. Die Fachverbände sind hier sehr unterschiedlicher Meinung. Ich finde, wir sollten den heute eingeschlagenen Weg auf jeden Fall nach einem bestimmten Erfahrungszeitraum kritisch überprüfen. Ein weiteres Manko des Gesetzentwurfes ist bereits angesprochen worden, nämlich die Regelung der Finanzierung des entstehenden Mehraufwandes. Vor allem die Ausbildung in ambulanten Einrichtungen außerhalb der Krankenhäuser muss von diesen selbst geschultert werden. Der Gesetzentwurf sieht eine Anhebung des Stellenschlüssels vor, der die Krankenkassen mit 100 Millionen Euro zusätzlich belastet. Die Krankenhäuser bezweifeln, dass diese Summe reichen wird. Wir können nur hoffen, dass diese neuen finanziellen und logistischen Belastungen sie nicht dazu veranlassen, sich aus der Krankenpflegeausbildung immer stärker zurückzuziehen. Auch diese Entwicklung müssen wir sorgfältig verfolgen und zu gegebener Zeit wieder auf den Prüfstand stellen. Eine bessere Ausbildung nutzt wenig, wenn Ausbildungsplätze gestrichen werden. Es ist auch stark zu bezweifeln, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ob Sie mit dem Gesetz Ihre Zielvorgabe einer Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe erreichen werden. Das verlangt nämlich mehr als eine Ausbildungsreform oder eine Namensänderung von der heute offensichtlich nicht mehr geliebten Bezeichnung „Schwester“ hin zu „Pflegerin“ und auch mehr als einen zusätzlich eingebrachten Entschließungsantrag, der beabsichtigt, die akademische Weiterqualifizierung zu fördern. Es verlangt vor allem, Frau Staatssekretärin - da reichen Appelle nicht aus -, die Arbeitsbedingungen für die Pflegeberufe und die medizinischen Berufe in den Krankenhäusern zu verbessern. Qualifikation ist das eine, die Stationen mit ausreichend Personal auszustatten und dieses angemessen zu bezahlen das andere. Was nutzt unserem Gesundheitswesen qualifiziertes Personal, wenn dieses aus Erschöpfung und Resignation den Arbeitsplatz nach kurzer Berufstätigkeit verlässt? Was nutzt qualifiziertes Personal, wenn von der Politik verordnete Nullrunden die Krankenhäuser zu weiterem Stellenabbau zwingen? Der Blick zurück auf die gestrige Sitzung des Vermittlungsausschusses ist aus Sicht der FDP erfreulich. Es hat sich gelohnt zu kämpfen. Wir haben nämlich erreicht, dass neben den Krankenhäusern, die sich im Jahr 2003 freiwillig am Fallpauschalensystem beteiligen, auch die Krankenhäuser von der Nullrunde befreit sind, deren Leistungen insgesamt aus medizinischen Gründen oder wegen einer Häufung von schwer kranken Patienten mit dem Fallpauschalenkatalog noch nicht sachgerecht vergütet werden können. ({0}) Schon im Hinblick auf den demographischen Faktor werden Pflegekräfte in Zukunft mehr gebraucht denn je; Frau Staatssekretärin hat schon darauf hingewiesen. Die Herausforderungen, die sich aus dem demographischen Faktor ergeben, sind so groß, dass sie durch dieses Gesetz wohl kaum gemeistert werden können. Es bedarf eines grundlegend neuen Reformkurses. Sonst laufen wir in einen Pflegenotstand und nicht zuletzt in einen Versorgungsnotstand, dessen Dramatik wir alle nicht ignorieren sollten. ({1}) Ich hoffe, Frau Staatssekretärin, dass Sie dies bei Ihrer angekündigten Gesundheitsreform mit bedenken. Wenn man auf die Ergebnisse der Rürup-Kommission, die gestern vorgestellt wurden, schaut ({2}) und wenn man die persönliche Bewertung der Gesundheitsministerin hört, dann muss man sagen, dass nichts Gutes zu erwarten ist. Mit dem Y-Modell wird der Öffentlichkeit ein X für ein U vorgemacht, ({3}) frei nach Goethes Faust: Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. ({4}) - Herr Kirschner, es fehlt allen Beteiligten offensichtlich der Mut ({5}) - darin müssten wir uns eigentlich einig sein -, anstelle eines Sammelsuriums von faulen professoralen Kompromissformeln eine wirklich nachhaltige und in sich geschlossene Konzeption vorzulegen. ({6}) Meine Damen und Herren von Rot-Grün, mit einem solchen Verhalten wird seit Jahren Chance um Chance verspielt. Es muss endlich eine klare, grundsätzliche Kursentscheidung geben. ({7}) Man darf sich nicht mit dem Y-Modell aus der Verantwortung stehlen. Es darf sich niemand mehr in diesem Hause vor klaren und reformfreudigen Positionen drücken. ({8}) Ich hoffe, dass die Diskussion im Mai/Juni zu einem guten Ergebnis führen wird, das genauso gut ist wie das Gesetz, das wir heute verabschieden. Es wäre schön, Sie würden häufiger Gesetzentwürfe einbringen, denen wir zustimmen können. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Erika Lotz [SPD]: Da müsst ihr auch mitspielen!

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Margrit Spielmann, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich und mit mir meine Fraktion sind natürlich froh, dass wir heute die Neuordnung der Krankenpflegeberufe beschließen. Mit dieser Neuordnung beschreiten wir - das wurde schon gesagt - einen Weg zu mehr Qualität und zu der unbedingt notwendigen Anpassung der Krankenpflegeausbildung an die heutige Pflegewirklichkeit. Dies ist angesichts der immensen Bedeutung, die der Gesundheits- und Krankenpflege in unserer Gesellschaft zukommt, von besonderer Dringlichkeit. Ich sage auch: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich möchte zu Beginn einen Dank an all jene aussprechen, die sich in besonderer Weise für diese Neuordnung eingesetzt haben, die den großen Abstimmungsbedarf, den wir gemeinsam zu schultern hatten, stets mit Weitsicht vorbereitet und realisiert haben und die stets das Ziel im Auge hatten, eine praktikable Novellierung der Krankenpflegeberufe auf den Tisch zu legen. Wir wollten - darauf konzentrierte sich unser gemeinsames Handeln - mehr berufliche Handlungskompetenz im Sinne von prozesshafter und zielgerichteter Pflege, mehr Koordinierung und Kooperation, aber auch mehr Beratung und Anleitung aller an der Pflege Beteiligten erreichen. Wir wollten ferner die Gestaltung von vernetzten pflegerischen Prozessen in Angriff nehmen, und zwar auf den unterschiedlichsten Ebenen. Deshalb bin auch ich froh - ich betone das ebenso -, dass wir diesen Gesetzentwurf fraktionsübergreifend sehr sachlich und immer zielorientiert beraten haben. ({0}) - Vielen Dank, Herr Kollege Parr. Lassen Sie mich ein paar wichtige Punkte der Reform genauer betrachten. Zunächst etwas zum Ausbildungsziel und zur Neufassung: Der neue Ansatz in der Pflege unterstreicht, wie schon Frau Selg sagte, den präventiven, gesundheitsfördernden, rehabilitativen und palliativen Anspruch als wichtige Aspekte einer ganzheitlich ausgerichteten Pflege. Wichtige Erkenntnisse der Pflegewissenschaft haben Einzug in die Ausbildung gehalten. Der eigenständige Bereich der Pflege wird explizit betont. Damit wird nicht nur den stark veränderten Rahmenbedingungen in der Pflege Rechnung getragen. Vielmehr wird damit auch das eigene Berufsverständnis vieler Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger umgesetzt, die ihre Aufgabe längst nicht mehr allein auf den kurativen Aspekt begrenzt sehen. Krankenpflegerinnen und -pfleger nehmen schon jetzt ihre Rolle zum Beispiel als Berater und Anleiter von Patienten und Angehörigen wahr. Sie sind Organisator bei der Gestaltung der pflegerischen Arbeit und des gesamten pflegerischen Prozesses. Die neue Berufsbezeichnung „Gesundheits- und Krankenpfleger“ macht diese Neuausrichtung, so meinen wir, auch nach außen hin deutlich. Ich hoffe sehr, dass sich diese Bezeichnung, auch wenn sie zugegebenermaßen ziemlich lang ist, schnell durchsetzen wird. Denn ich bin sicher, dass es damit leichter sein wird, die Neuausrichtung nach allen Seiten hin deutlich zu machen. ({1}) Wir brauchen selbstbewusste Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger, die ihren Beruf eigenverantwortlich, selbstständig und in guter Zusammenarbeit mit einem oftmals multiprofessionellen Team ausführen können. Dafür soll die Ausbildung den Weg bereiten. Ich halte es für gut und richtig, dass wir weiterhin zwei Berufsbilder mit unterschiedlichen Berufsbezeichnungen für die allgemeine Krankenpflege und die Kinderkrankenpflege haben. Die Ausbildung sieht künftig - darauf wurde schon hingewiesen - einen gemeinsamen Teil mit anschließender Differenzierungsphase vor. So können wir weiterhin den ganz speziellen Anforderungen, die an die zukünftigen Gesundheits- und KinderDr. Margrit Spielmann krankenpflegerinnen und -pfleger gestellt werden, gerecht werden. Ich halte die Aufrechterhaltung der Differenzierung der Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger gerade vor dem Hintergrund unserer Forderung nach einer guten, kindgerechten medizinischen Betreuung im ambulanten, im rehabilitativen, aber auch im palliativen Bereich für besonders wichtig. Die Pflege und Versorgung kranker Kinder bedarf einer speziellen Ausbildung. ({2}) Sie bedarf aber auch vor dem Hintergrund unseres Antrages im vergangenen Jahr in Zukunft unserer Aufmerksamkeit und der Formulierung entsprechender gesundheitspolitischer Ziele zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Im vorliegenden Gesetzentwurf, Herr Parr, sind Modellklauseln vorgesehen, sodass generalistische Ausbildungsmodelle durchaus erprobt werden können und auch sollen. An weitergehende Reformen der Pflegeberufe gerade auch im Hinblick auf eine europarechtliche Angleichung ist damit sehr wohl gedacht. Wir können diese Reformen somit in Angriff nehmen, sollten aber zunächst ausreichend Erfahrungen mit diesem Gesetz sammeln und vor allen Dingen die Neuregelungen im Altenpflegegesetz genauer betrachten. Durch die Novellierung der Krankenpflegeausbildung wird vorgesehen - auch dies sagte die Staatssekretärin schon sehr differenziert -, dass ein Teil der Ausbildung außerhalb des Krankenhauses in ambulanten, teilstationären und stationären Pflegeeinrichtungen oder in Rehabilitationseinrichtungen durchgeführt wird. Damit wird für die angehenden Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger die Möglichkeit geschaffen, während ihrer Ausbildung umfassende Kenntnisse und Erfahrungen sowohl in der Prävention und der Rehabilitation als auch in der palliativen Medizin zu sammeln. Der ganzheitliche Ansatz der Pflege wird mit dem Ausbildungseinsatz in den unterschiedlichsten Gesundheitseinrichtungen unterstrichen. Hier, so meine ich, bedarf es sicher eines guten Abstimmungsprozesses zwischen allen an der Ausbildung Beteiligten. Pflege leistet damit - ich denke, das ist etwas ganz Wichtiges - einen wesentlichen Beitrag zur Vernetzung von Gesundheitseinrichtungen. Der Ausbildungseinsatz im ambulanten Bereich ist auch deshalb so immens wichtig, da wir in diesem Bereich weiterhin einen steigenden Bedarf an professionellen Gesundheits- und Krankenpflegern haben. Viele Menschen in diesem Land könnten heute ohne professionelle Unterstützung durch Krankenpflegerinnen oder Krankenpfleger nicht mehr in den eigenen vier Wänden wohnen. Die ambulanten Pflegedienste leisten dort einen unermesslich großen Beitrag zur Erhaltung der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Das möchte ich hier noch einmal betonen und ihnen unsere Hochachtung dafür aussprechen. ({3}) Man sollte über die in der Tat oftmals schlechte finanzielle Ausstattung noch einmal beraten. Deshalb möchte ich einen Appell an die Zuständigen in den Ländern richten: Nur gemeinsam können wir es schaffen, genügend motivierten Nachwuchs für den Beruf zum Gesundheits- und Krankenpfleger heranzuziehen. Es ist wichtig, Herr Parr, dass die Länder die Attraktivität der Krankenpflegeberufe auch dadurch steigern, dass sie für ausgebildete Pflegefachkräfte ohne Hochschulreife den Zugang zu Pflegestudiengängen auf Hoch- und Fachhochschulebene ermöglichen. ({4}) Weiterhin sollte durch ergänzende Bildungsangebote die Chance eröffnet werden, die Fachhochschulreife während der Ausbildung zu erwerben. Das ist übrigens auch ein ausdrücklicher Wunsch der Pflegeverbände. Die beste Gewähr - das haben wir vielleicht alle am eigenen Leib gespürt - und sozusagen das Fundament für eine erfolgreiche pflegerische Versorgung ist eine gute qualifizierte Ausbildung. Ich bin zuversichtlich, dass die Novellierung, die wir heute besprechen, genau dazu beitragen wird. Packen wir es an! Ich hoffe, wir tun es gemeinsam. Herzlichen Dank für den konstruktiven Dialog zu diesem Gesetz. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Werner Lensing, CDU/CSU-Fraktion.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer von Ihnen kennt nicht die viel zitierte und dem Philosophen Arthur Schopenhauer zugeschriebene Aussage und korrekte Feststellung: Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. Ich denke, vor dem Hintergrund dieser Lebenserfahrung offenbart sich die besondere Aufgabe derjenigen, die sich um Kranke und Schwache sorgen. Diese handeln zumindest nicht nur aus beruflichen Gründen, sondern vornehmlich aus Gründen der eigenen Berufung. Schon deswegen haben diese unsere volle Aufmerksamkeit und Unterstützung bei der Vorbereitung und Ausbildung ihrer schwierigen Tätigkeit verdient. Infolgedessen muss es eine zwingende und unverwechselbare Aufgabe der Politik sein, einen eigenen Anteil zu einer Qualitätsverbesserung der Ausbildung sowie zu einer gesteigerten Attraktivität der pflegerischen Berufe einzubringen. Daher teile ich die Auffassung vieler, nach der das Krankenpflegerecht an die veränderten Verhältnisse anzupassen ist. Das gilt besonders mit Blick auf die Tatsache, Pflegeleistungen nicht mehr nur auf die Krankenhäuser zu konzentrieren, sondern zunehmend auch auf den ambulanten Bereich und die häusliche Pflege auszudehnen. ({0}) Ich befürworte die Differenzierung der Pflegeausbildung in einen allgemeinen Teil und in eine Differenzierungsphase, in der die praktische und schulische Ausbildung auf die Abschlüsse in den einzelnen Berufsfeldern hin spezialisiert wird. Das ist heute schon zu Recht angeklungen. Dies darf aber nicht zu einer generalisierten Ausbildung führen, im Gegenteil: Auf eine Basisausbildung, welche die Pflege von Menschen aller Altersklassen und Versorgungsbereiche umfasst, sollten Stufen folgen, die ein solides Wissen - natürlich auf dem Stand der neuesten Forschung - in den speziellen Fachbereichen vermitteln. Wir begrüßen seitens der CDU/CSU, dass an dem Grundsatz festgehalten wird, die Ausbildung praxisnah durchzuführen. Als richtungsweisend erachte ich persönlich die Etablierung einer gegebenenfalls theoriegeminderten, verkürzten Ausbildungsform in der Krankenpflege. Hätten wir für unsere dualen Ausbildungsberufe ein modulares System, könnten wir etwa 100 000 mehr praktisch begabten Jugendlichen einen Ausbildungsplatz verschaffen. Die Ausbildung in den Gesundheitsberufen ist selbstverständlich eine berufliche Ausbildung. Die Standards der Ausbildung an Krankenpflegeschulen sollten deshalb auch den Anforderungen entsprechen, die an die berufliche Bildung gestellt werden, unter anderem im Hinblick auf die Einbeziehung allgemeinbildender Fächer und der Sprachen. Das gilt nicht zuletzt für alle Lehrerinnen und Lehrer, die nach der Rahmenverordnung der Kultusministerkonferenz und nach den Prüfungsordnungen für Lehrer in den einzelnen Ländern auszubilden sind. Ein wesentlicher Punkt sollte dabei sein, dass der allgemein bildende und der fachtheoretische Unterricht durch Lehrkräfte mit Universitätsabschluss der entsprechenden Fachrichtung zu sichern sind. Überdies erscheint es sinnvoll, Ausbildungsverbünde herzustellen, in denen eine Krankenpflegeschule für mehrere Krankenhäuser zuständig ist, die dann auch die praktische Ausbildung übernehmen. Die Zentralisierung der schulischen Ausbildung könnte dazu beitragen, Schulgrößen zu schaffen, die den effizienten und sinnvollen Einsatz von Lehrkräften zulassen. Bekanntlich arbeiten größere Schulen wirtschaftlicher. Die Zuständigkeit solcher Schulen für mehrere Krankenhäuser kann durch eine Rotation der Auszubildenden Probleme vermeiden helfen, die sich in der praktischen Ausbildung aus der zunehmenden Spezialisierung der Krankenhäuser ergeben könnten. In den neuen Bundesländern sind solche zentralen Ausbildungsverbünde in der Praxis bereits erprobt. Frau Staatssekretärin, ich möchte auch erwähnen, wo wir bei aller Übereinstimmung auch Nachteile erkennen. Ich frage daher: Wieso sollte ein junger Mensch mit Hauptschulabschluss in Anlehnung an den anerkannten Weg der dualen Ausbildung nicht sofort eine Ausbildung zur Pflegerin bzw. zum Pfleger beginnen können? Kranke hingebungsvoll und verantwortlich pflegen zu können ist nicht allein an ein hohes theoretisches Wissen, sondern vor allem an die soziale Kompetenz und die Zuverlässigkeit eines jeden gebunden. Ich fordere deshalb: Schneiden wir endlich den alten Zopf ab, der seit mindestens einer Generation geflochten wird, und lassen Sie uns für die Krankenschwestern und Krankenpfleger einen wirklich attraktiven Weg zur beruflichen Weiterqualifizierung finden. Dazu gehört auch, über die Frage nachzudenken: Warum sollte eine erfahrene OP-Schwester nicht die direkte Zulassung zu einem Medizinstudium erhalten? Sie weiß doch am ehesten, was sie im Studium zu erwarten hat. Die Durchlässigkeit, die es in anderen Berufen schon längst gibt, muss auch endlich in den Kranken- und Pflegeberufen Einzug halten, zumal die Pflegeberufe über ein enormes Zukunftspotenzial verfügen. Mein Fazit: Erstens. Die gegenwärtigen Reformbestrebungen sind durchaus geeignet, die Struktur der Krankenpflegeschulen und der sonstigen Schulen für Gesundheitsfachberufe zu verbessern. Zweitens. Noch immer fehlt der mutige Schritt, eingefahrene Wege zu verlassen und das Berufsfeld der Krankenpflege für die Schwestern und Pfleger dynamischer und durchlässiger zu gestalten. Drittens. Nur durch ein vielfältiges Angebot an Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung kann aus dem Einstieg in die Pflegetätigkeit ein Start in die gesundheitsberufliche Karriere werden. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Berufe in der Krankenpflege sowie zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, Drucksache 15/13. Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung empfiehlt unter Nummer 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/804, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Ent- haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- ratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom- men. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit demselben Stimmenergebnis angenommen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Unter Nummer 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 5/804 empfiehlt der Ausschuss, eine Ent- schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der CDU/CSU und der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Abschluss der europäischen Übernahmerichtlinie anstreben - Drucksache 15/539 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote KOM ({2}) 534 endg.; Ratsdok. 12846/02 - Drucksachen 15/339 Nr. 2.7, 15/606 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schulz ({3}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Leo Dautzenberg, CDU/CSU-Fraktion.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Kapitalmarktes ist in diesem Hause und auch in anderen europäischen Parlamenten ein fraktionsübergreifendes Ziel. Nur wenn wir dieses Ziel erreichen, können wir das Potenzial der Wirtschafts- und Währungsunion voll ausschöpfen und damit die Dynamik der europäischen und vor allem der deutschen Wirtschaft stärken. Uns allen ist klar, dass die Beseitigung von privatrechtlichen Übernahmehindernissen ein wesentlicher Teil dieser Bemühungen zur Vervollständigung des EUBinnenmarktes ist. Der neudeutsche Begriff des so genannten „level playing field“ beschreibt den Zustand, der mit Blick auf das europäische Übernahmerecht unser Ziel sein muss: gleiche Bedingungen für grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen und Fusionen in Europa, unabhängig vom Herkunftsland der beteiligten Unternehmen. Schlussendlich muss die Entscheidung über ein Übernahmeangebot immer von den Anteilseignern gemäß ihren Kapitalanteilen getroffen werden und von sonst niemandem. Wir sollten hier nicht den Fehler begehen, die Festlegung von langfristigen gesetzlichen Rahmenbedingungen von derzeitigen oder kurz- bzw. mittelfristigen Marktverhältnissen abhängig zu machen. Vielmehr stellt eine vernünftige Regelung in diesem Bereich eine Maßnahme dar, die zur Überwindung der derzeitigen Kapitalmarktschwäche beitragen kann. ({0}) Vor diesem Hintergrund ist der von der EU-Kommission präsentierte Vorschlag zur Regelung öffentlicher Übernahmeangebote zu bewerten und zu kritisieren. Bevor ich auf die im Entwurf enthaltenen Punkte im Detail eingehe, scheint mir wichtig, noch einmal klarzustellen, dass sich die geplante Richtlinie lediglich auf privatrechtliche Übernahmehindernisse bezieht und Fragen zum niedersächsischen VW-Gesetz oder zu von staatlichen Stellen gehaltenen so genannten Goldenen Aktien - „golden shares“ - nicht Gegenstand dieser Richtlinie sind. Diese Fragen des öffentlichen Rechts sollen in Zukunft durch Vertragsverletzungsverfahren systematisch überprüft werden. In dieser Richtlinie wird hierzu lediglich eine öffentliche Verlautbarung entsprechender Rechte gefordert. Nun aber zu der Frage, die für die Beurteilung des Richtlinienvorschlags entscheidend ist: Würde eine Umsetzung des Richtlinienentwurfs im Falle öffentlicher Übernahmeangebote gleiche Voraussetzungen für alle Unternehmen in der Europäischen Union schaffen? Zur Beantwortung dieser Frage darf ich die Bundesregierung zitieren: Der Kommissionsvorschlag der Übernahmerichtlinie wird in seiner jetzigen Fassung dem Anspruch, ein einheitliches „level playing field“ und damit faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, nicht gerecht. So äußerte sich das Bundesministerium der Finanzen in seinen Stellungnahmen sowohl dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages als auch den deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament gegenüber. Diese Meinung wird in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 15/606 bekräftigt. Auch der Antrag von CDU/CSU - Drucksache 15/539 unterstützt ausdrücklich diese Haltung. Einigkeit zwischen den Fraktionen besteht nicht nur in der Beurteilung, sondern auch in der Begründung derselben. Der Knackpunkt aus deutscher Sicht ist - aufgrund des interfraktionellen Konsens in dieser Frage muss ich das nicht weiter ausführen -, dass die im deutschen Unternehmensrecht vorgesehenen Schutzmechanismen wie Vinkulierung oder Vorratsbeschlüsse abgeschafft werden sollen, während Schutzmechanismen, die in anderen Staaten üblich sind - ich nenne als Beispiel Mehrfachstimmrechte -, in Zukunft lediglich einem Prüfauftrag unterzogen werden sollen. Dies widerspricht dem angestrebten Ziel, einen einheitlichen Rechtsrahmen herzustellen. Die Begründungen, die von der Kommission für diese Ungleichheit vorgebracht werden, sind dabei alles andere als überzeugend. ({1}) Dies wird auch in anderen nationalen Parlamenten und im Europäischen Parlament so gesehen. Außerdem bin ich der Ansicht - ich denke, das trifft auf alle Mitglieder des Hauses zu -, dass die Kommission die von deutscher Seite erbrachten Vorleistungen zu wenig honoriert hat. Trotz all dieser Übereinstimmungen in den grundlegenden Kritikpunkten hielten und halten wir die Beschlussempfehlung, die von den Vertretern von SPD und Grünen im Finanzausschuss verabschiedet wurde, nicht für zustimmungsfähig, und zwar aus zwei Gründen: Der erste Grund ist, dass die Empfehlung von RotGrün nicht den Stand der Verhandlungen berücksichtigt, der zwischen Vertretern der Kommission auf der einen und des Europäischen Parlaments auf der anderen Seite seit Vorstellung des Richtlinienentwurfs erreicht wurde. Dieser Annäherungsprozess zwischen Parlament und Kommission in dieser Frage ist übrigens eminent wichtig. Das hat uns die Erfahrung aus dem Jahr 2001 gelehrt, als die damals formulierte Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament ganz knapp abgelehnt wurde. Deshalb sollten wir als Deutscher Bundestag unseren Beitrag zu dieser Annäherung leisten, indem wir die Kommission in die richtige Richtung lenken. Der zuständige Kommissar Bolkestein ist mittlerweile offensichtlich dazu bereit, auch die in anderen Staaten üblichen Übernahmehemmnisse in die Richtlinie einzubeziehen. Wie der Berichterstatter im Europäischen Parlament, der Kollege Klaus-Heiner Lehne, geäußert hat, sollen nach einer Übergangsfrist bis 2010 nur noch so genannte Doppelstimmrechte erhalten bleiben. Wie Sie an der Jahreszahl sehen, ist die Beschlussempfehlung von Rot-Grün - sie geht vom Jahr 2008 aus - in diesem Punkt nicht auf dem neuesten Stand. ({2}) Wir würden uns jedoch freuen, wenn Sie diesbezüglich hellseherische Fähigkeiten gezeigt haben und es zu einer Verkürzung des Zeitraums kommt. Unser Antrag unterstützt in diesem Punkt die Position des Europäischen Parlaments. Mit ihm erhöhen wir den Druck auf alle Seiten - insbesondere auf die Kommission -, sich stärker hin zu einem echten „level playing field“ zu bewegen. Der zweite Grund, der gegen die Empfehlung von SPD und Grünen, aber für unseren Antrag spricht, besteht darin, dass unser Papier auch auf Punkte eingeht, die jenseits der Problematik des „level playing field“ zu kritisieren und zu klären sind. Dementsprechend sind wir der Auffassung, dass ein Beschluss des Deutschen Bundestages die Bundesregierung in ihrem berechtigten Anliegen unterstützen muss, europäische Unternehmen vor Übernahmen aus solchen Drittstaaten zu schützen, die ein weit weniger liberales Übernahmerecht haben, als es sich die Staaten der EU mit dieser Richtlinie zu geben gedenken. ({3}) Die Richtlinie darf nur bei Unternehmen aus den Drittstaaten Anwendung finden, die sich reziprok auch für Übernahmewünsche aus der EU öffnen. Diese Reziprozität muss schon deswegen gegeben sein, damit es nicht so weit kommt, dass für unsere Unternehmen die Richtlinie gilt, die Unternehmen aus den Drittstaaten aber nicht diese Übernahmevoraussetzungen haben. Im Antrag von Rot-Grün ist zu diesem Punkt nichts zu finden, sodass die Bundesregierung bei den anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene bisher nicht ihr volles Gewicht einbringen konnte, da ihr die Unterstützung des gesamten Hauses in diesem Punkt fehlt. ({4}) Ebenso wenig beziehen sich SPD und Grüne in ihrer Empfehlung auf sonstige strittige Detailfragen. Aber vielleicht haben Sie bei Abfassung des Antrags den Richtlinienentwurf noch nicht richtig gelesen. So ist beispielsweise die von der Kommission vorgeschlagene Regelung über die Bestimmung der bei grenzüberschreitenden Übernahmen zuständigen Aufsichtsbehörde viel zu kompliziert. Hier gilt es, eine Regelung zu finden, nach der das Unternehmen des Ziellandes der Aufsicht unterliegt. Darüber hinaus ist die Preisreferenzperiode, die in der Richtlinie vorgesehen ist, viel zu lang. Es kann nicht sein, dass Durchschnittspreise für eine zu lange Zeitachse ermittelt werden, wodurch gewisse Gegebenheiten nicht widergespiegelt werden. Wenn wir die momentane Phase betrachten, dann wissen wir, dass eine viel zu lange Referenzperiode für bestimmte Übernahmen schädlich wäre. Diese Liste der Detailfragen ließe sich bis hin zur Frage des Squeeze-out, also der Abfindung von Kleinaktionären, zu der Sie nichts gesagt haben, fortsetzen. Von daher ist unser Antrag, der bei diesen Verhandlungen eine Grundlage und Unterstützung für die Bundesregierung darstellt, weiter gehend und konkreter. Deshalb darf ich Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Leo Dautzenberg, ich habe dich sehr wohl verReinhard Schultz ({0}) standen. Das Wichtigste an deiner Botschaft war, dass wir auch vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen und unabhängig davon, dass es zwei verschiedene Texte zur Abstimmung gibt, beim europäischen Übernahmerecht - ein wichtiges Thema - relativ nah beieinander sind; dies war bereits im Ausschuss erkennbar. Insofern denke ich, dass das, was der Bundestag mit seinem Gewicht in die Waagschale wirft, in der Sache Unterstützung findet. Das wird auf der europäischen Ebene auch so ankommen. Natürlich bedeutet die Richtlinie im Hinblick auf mögliche feindliche Übernahmen einen großen Fortschritt. Die Regelungen zu öffentlichen Übernahmeangeboten, wesentlichen Dingen des Minderheitenschutzes und grundsätzlichen Fragen der Objektivierung der Bewertung von Minderheitenanteilen stellen positive Ansätze dar. Die Bundesregierung hat sich in diesen Fragen gut positioniert. Wir sind nicht grundsätzlich gegen grenzüberschreitende Übernahmen. ({1}) Wir sind im Gegenteil dafür, dass die Übernahme von Unternehmen, also der Kauf und Verkauf von Unternehmen und Unternehmensanteilen, erleichtert wird. Das haben wir durch ein modernes Unternehmensteuerrecht, durch das der steuerfreie Übergang einer Unternehmensbeteiligung auf ein anderes Unternehmen ermöglicht wird, nachgewiesen. Es stellt sich letztendlich die Frage, wie dies im internationalen Verkehr gestaltet wird. Es geht nicht darum, wie man die Änderungen der Beherrschungs- und Machtverhältnisse, die mit einer Veränderung der Anteilsmehrheit verbunden sind, politisch bewertet, sondern es geht darum, ob Minderheitsaktionäre generell geschädigt werden oder ob durch die mangelnde Transparenz ein weiterer politischer Schaden entsteht. Insofern geht es uns nicht um die Verteidigung von Besitzständen, die sich in Unternehmenssatzungen und von mir aus auch in das Aktienrecht oder in andere Rechtsfelder eingeschlichen haben. Uns geht es ausschließlich darum, dass man vernünftig bewertet, wie Unternehmensübergänge zustande kommen. Dabei sind natürlich auch Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen. Wenn ein bisheriger Mehrheitsaktionär seine Mehrheit verkauft und sich auf eine qualifizierte Minderheitsposition zurückzieht - „qualifiziert“ heißt, dass er aus guten Gründen selbst Unternehmer bleibt -, kann ein Vertrag darüber abgeschlossen werden, wie die neue Mehrheit mit ihrer Mehrheit umzugehen hat und welche Sonderrechte die Minderheit hat. Dies ist ein völlig freier Vertrag, der, wenn Restriktionen damit verbunden sind, in der Regel sogar Einfluss auf den Kaufpreis hat, der für die Mehrheitsbeteiligung zu entrichten ist. Man kann nicht einfach blind sagen, dass jede Art einer Stimmrechtsbeschränkung, einer Beschränkung des Mehrheitsstimmrechts usw. immer automatisch damit verbunden ist, dass der freie Kapitalverkehr, die Niederlassungsfreiheit oder was auch immer beschränkt ist; denn oft sind damit erworbene Eigentumsrechte verbunden, die sich im Preis niedergeschlagen haben. Ich könnte Ihnen zig Beispiele von internationalen und nationalen Unternehmensübergängen aus jüngster Zeit aufzeigen, bei denen die Preisfindung nicht zuletzt auch davon abhing, welche Rolle der dann verbliebene Minderheitseigner unternehmerisch spielen konnte. ({2}) Ein anderer wichtiger Punkt ist - darin sind wir uns völlig einig -, dass nicht innerhalb von Europa Spielregeln geschaffen werden sollten, die die Bestimmungen in Deutschland, die sich traditionell aus Unternehmenssatzungen entwickelt haben oder aber durch den Bundestag beschlossen worden sind, außer Kraft setzen, während zum Beispiel in Skandinavien oder Frankreich die Bestimmungen ungeschmälert erhalten bleiben. Wenn zum Beispiel die Richtlinie nach dem neuesten Stand in Kraft gesetzt würde, dann würde eine Wagenburg aus nationalem Recht und selbst geschaffenem Unternehmensrecht in einigen Ländern geradezu zementiert, während bei uns Mauern abgerissen würden, wodurch Unternehmensübergänge erleichtert würden. Wir wollen innerhalb Europas ein faire Situation. Es geht aber natürlich nicht nur um Europa; darauf werden auch die Redner nach mir hinweisen. In der Vergangenheit gab es eine Reihe von interessanten Unternehmensübergängen, insbesondere zwischen den Vereinigten Staaten und Europa bzw. Deutschland. Das Übernahmerecht in den Vereinigten Staaten ist relativ starr. Amerikanische Unternehmen werden geschützt. Ein amerikanisches Management, das sich gut positioniert, kann durch Vorgänge auf dem Kapitalmarkt nicht in eine Lage gebracht werden, in der es zu einer feindlichen Übernahme kommen könnte. Das ist nicht gut. ({3}) - Natürlich hat es welche gegeben, aber es waren keine feindlichen Übernahmen. Die großen Unternehmensübergänge, die zum Beispiel deutsche Unternehmen in Amerika zustande gebracht haben, waren vielleicht im Ergebnis für einige Beteiligte nicht sehr freundlich - ich erinnere an das Beispiel Chrysler -, aber es waren freundschaftlich ausgehandelte Übergänge. Dazu bedurfte es keiner Verteidigungsmechanismen. Eine feindliche Übernahme gegen den Willen des Managements ist in den Vereinigten Staaten praktisch nicht möglich. Ein europäisches Übernahmerecht aber, das letztendlich für alle und international gilt, wäre ein Einfallstor für diejenigen, die sich außerhalb der EU hinter nationalem Recht verschanzt haben, um hier beliebig einzufallen. Insofern, lieber Herr Dautzenberg, ist natürlich der Hinweis völlig richtig, dass wir Reziprozität brauchen. Dies darf aber nicht nur bilateral der Fall sein; dafür ist das Thema zu komplex. Bevor eine solche Richtlinie in Kraft gesetzt wird, brauchen wir nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch auf globaler Ebene eine Harmonisierung des Übernahmerechts zwischen den wichtigsten Industriestaaten innerhalb der OECD. Reinhard Schultz ({4}) Das sind die Gründe, weswegen wir die Übernahmerichtlinie in der jetzigen Fassung nicht mittragen und uns auch gegen diesen Punkt besonders wehren. Wir können uns nicht auf sämtliche Details einlassen; denn das bedeutete für unseren Standort ein hohes Risiko. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.

Andreas Pinkwart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003610, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meiner Vorredner haben gezeigt, dass das Thema Übernahme in der Darstellung immer mit Angst und Schrecken verbunden ist. Dies gilt besonders in einer Situation, in der wir feststellen müssen, dass gerade deutsche Unternehmen erheblich unterbewertet sind. Dies stellt im Moment das wesentliche Übernahmeproblem dar. Ich habe große Zweifel, ob das, was gestern im Vermittlungsausschuss vereinbart worden ist, einen Beitrag dazu leisten kann, dass dieses Problem entschärft wird. Im Gegenteil: Man muss befürchten, dass die deutschen Kapitalgesellschaften dadurch weiteren Schaden nehmen und sich deren Unterbewertung fortsetzt. ({0}) Ansonsten aber haben Übernahmen nicht nur negative Folgen, sondern können in positiver Hinsicht - wenn wir unsere Unternehmen hinreichend wettbewerbsfähig machen, können wir das so interpretieren - neue Unternehmenskonzepte, neue Ideen und frisches Kapital für die Unternehmen bedeuten. Damit wird im Ergebnis eine Stärkung des Finanzplatzes erreicht. Hiervon können nicht nur die Unternehmensleitung und die Aktionäre der beteiligten Unternehmen, sondern natürlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Unternehmen profitieren. Deshalb wäre es unserer Ansicht nach falsch, Übernahmen staatlich zu regulieren oder gar rechtliche Rahmenbedingungen zur Abwehr von Übernahmen, Mehrfachstimmrechte oder Stimmrechtsbeschränkungen einzuführen; denn dies beeinträchtigt einen funktionierenden Finanzplatz. Aus diesem Grunde haben wir in der vorvergangenen Legislaturperiode mit dem KonTraG von 1997 konsequenterweise die Mehrfachstimmrechte beseitigt. Im Kontext der anstehenden Liberalisierung auf diesem Gebiet in Europa ist es deshalb nur konsequent, darauf hinzuwirken, dass bei Schaffung eines einheitlichen europäischen Rahmens im Bereich der Unternehmensübernahmen auch in anderen Ländern bestehende Mehrfachstimmrechte unterbunden werden. ({1}) Das Gleiche gilt auch für die Reziprozität, die selbstverständlich sein sollte, wenn in Europa ein einheitliches und sehr liberales Übernahmerecht ermöglicht werden kann. Wir, die FDP-Fraktion, sind jedenfalls sehr daran interessiert, dass sich diese Übernahmemöglichkeiten eröffnen und sich die Chance bietet, unsere Unternehmen wettbewerbsfähig zu gestalten, auch gegenüber amerikanischen und asiatischen Unternehmen, damit sie bei einem rechtlichen Fairplay in Zukunft möglicherweise auch solche Unternehmen übernehmen können. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen.

Hubert Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003649, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren im Prinzip über den nächsten Schritt im Zusammenhang mit dem europäischen Binnenmarkt. Ein wesentlicher Schritt in den vergangenen zwei Jahrzehnten war die langsame Angleichung der Steuergesetzgebung. Ein weiterer wesentlicher Schritt war die Einführung des Euro. Nun sind wir dabei, die Kapitalmärkte europaweit zu harmonisieren. Auch das ist ein sehr wichtiger Schritt; denn ich denke, gerade offene Kapitalmärkte tragen dazu bei, dass die Unternehmenslandschaft mit dem notwendigen Kapital versorgt werden kann. Ohne Kapital kann nun einmal keine Volkswirtschaft funktionieren. Dabei geht es in starkem Maße darum, den deutschen Aktienmarkt zu fördern, der in den vergangenen Jahren bekanntlich enorm unter Druck geraten ist. Er ist stärker unter Druck geraten als beispielsweise der US-amerikanische Kapitalmarkt. Ich erinnere nur daran, dass der Dow Jones von 11 000 auf 8 000 Punkte gefallen ist. Der DAX ist von 8 000 auf 2 500 - zeitweise sogar auf 2 000 - Punkte gefallen. ({0}) Das heißt, der deutsche Aktienmarkt ist - das gilt auch für die anderen europäischen Aktienmärkte - nicht so stabil wie die US-amerikanischen Märkte. Das hat seine Gründe. ({1}) Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies schon einmal anders war, was die wenigsten wissen. 1914 beispielsweise hatte Deutschland mehr börsenorientierte Unternehmen als die USA. Durch die Weltkriege ist zwar sehr viel Schaden entstanden, aber das gilt für ganz Europa. Wir müssen daran arbeiten, dass sich die gegenwärtige Situation wieder bessert. Die großen Probleme vor allem der kleinen und mittleren Unternehmen liegen schließlich vor allem in der Kapitalbeschaffung. Bundesdeutsche Unternehmen sind heute zu einem großen Teil kreditfinanziert, angelsächsische Unternehmen hingegen aktienfinanziert. Wir müssen die Aktienfinanzierung fördern. ({2}) Diese hängt im starken Maße mit der Freizügigkeit, zumindest innerhalb der Europäischen Union, zusammen. Wie bereits von allen anderen Rednern angesprochen wurde, ist die Reziprozität sehr wichtig. Die US-amerikanischen Märkte sind völlig abgeschottet. Es geht nicht an, dass die europäischen Staaten ihre Märkte nach außen öffnen, während andere Staaten das unterlassen. Wie wir innerhalb Europas vorgehen, ist aber eine andere Frage, um die es heute im Rahmen der europäischen Übernahmerichtlinie geht. Dabei vertreten die einzelnen Nationalstaaten ihre speziellen Interessen. Was unser VW-Gesetz ist, sind in anderen Staaten die Doppelstimmrechte. Dabei muss stark differenziert werden. Zum Beispiel dürfen die Mehrfachstimmrechte in den skandinavischen Ländern nicht mit dem in Frankreich bestehenden Doppelstimmrecht gleichgesetzt werden. Letzteres bedeutet nur, dass derjenige, der seine Aktien länger als zwölf Monate hält, ein Doppelstimmrecht erhält. Damit wird das Zocken an den Aktienmärkten ein wenig eingeschränkt. In Skandinavien - die Familie Wallenberg ist ein bekanntes Beispiel - gibt es ein bis zu 40faches Stimmrecht. Das geht nicht an. Aber soweit mir bekannt ist, hat die Europäische Union diese skandinavischen Mehrfachstimmrechte inzwischen unterbunden. Um diese kann es deshalb nicht mehr gehen. Wir werden uns aber auch in Zukunft nur schwer gegen die Einführung dieser EU-Richtlinie wehren können. Ich nenne nur das Stichwort „Goldene Aktien“, die es heute noch in vielen europäischen Staaten gibt. In den nächsten Jahren werden aber 99 Prozent dieser Aktien verschwinden. Sie werden von der Kommission nur noch in einem sehr engen Rahmen zugelassen werden, zum Beispiel aus Gründen der nationalen Sicherheit. Auch unser VW-Gesetz wird - das dürfte Ihnen bekannt sein - seit mehreren Wochen von der Europäischen Kommission beklagt. Auch das wird fallen. ({3}) Da müssen wir uns etwas einfallen lassen. Insofern werden wir uns in Deutschland Gedanken machen müssen, wie wir unser Aktienrecht europäischem Niveau angleichen. In diesem Zusammenhang muss man durchaus über das französische System mit Doppelstimmrechten nachdenken. Denn dieses System scheint von der Kommission akzeptiert zu werden. Das wäre ein gewisser Ersatz für das heutige VW-Gesetz. Was mich aber am Antrag der CDU/CSU-Fraktion gewundert hat - das möchte ich schon einmal ansprechen -, ist der vorletzte Punkt. Da geht es um die so genannte Preisreferenzperiode. Wenn ich ernst nehme, was hier steht, dann fordert die CDU/CSU, dass eine Übernahme zum geringsten Preis erfolgen soll, wenn es zu einer feindlichen Übernahme kommt. ({4}) - Doch, das steht da drin. Gerade die Preisreferenzperiode bedeutet ja, dass derjenige, der sich in ein anderes Unternehmen einkauft, über einen längeren Zeitraum einen Preis bilden muss, und zwar über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten. Das ist eine sehr vernünftige, eine sehr gute Regelung, die mit dem heutigen deutschen Recht durchaus korrespondiert. Damit sind wir beim Squeeze-out, dem zweiten Schritt. Das bedeutet, dass durch diese von der EU vorgeschlagene Regelung insbesondere der deutsche Kleinaktionär einen fairen Marktpreis erhält. Genau das will die CDU/CSU konterkarieren. Es erschließt sich mir nicht, wohin Sie an dieser Stelle wollen. Das heißt - das wurde vom Kollegen von der SPD gesagt -, dass die derzeitige Übernahmerichtlinie, die noch nicht dazu führt, dass wir in Europa wirklich gleiches Recht haben, von den Koalitionsfraktionen zu Recht abgelehnt wird. Sie wird so lange abgelehnt, bis wir wirklich einen Vorschlag auf dem Tisch liegen haben, der innerhalb der Europäischen Union gleiche Bedingungen für alle schafft. Dann kann die Koalition einer solchen Vorgabe auch folgen. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass der Finanzausschuss mehrheitlich die Forderung der Bundesregierung stützt, und empfinde es als erfreulich, dass der Antrag der CDU/CSU zumindest Flankenschutz gewährt. ({0}) In ihren zentralen Forderungen stimmen beide Vorlagen überein. Die künftige Übernahmerichtlinie muss auch und gerade im Hinblick auf die Mehrstimmrechte ein einheitliches Level Playing Field für Übernahmen schaffen. Was meinen wir mit diesem Begriff? Es darf nicht sein, dass die Spielregeln für eine Übernahme in den verschiedenen Staaten unterschiedlich bleiben. ({1}) Diesem Ziel wurde der Kommissionsentwurf zur Übernahmerichtlinie vom vergangenen Herbst nicht gerecht. Seine Umsetzung würde ungleiche Ausgangs- und Wettbewerbsbedingungen für Unternehmensübernahmen in Europa schaffen. Durch die vorgesehene Regelung würden deutsche Unternehmen zum Verzicht auf Abwehrmöglichkeiten gegen feindliche Übernahmen gezwungen, während zugleich den Unternehmen anderer Mitgliedstaaten weiterhin gestattet wäre, sich durch Mehrstimmrechte effektiv gegen solche Übernahmen abzuschotten. Die Bundesregierung setzt sich bei den Verhandlungen daher primär für eine echte europäische Harmonisierung ein. Auch Mehrstimmrechte müssen im Übernahmefall außer Kraft gesetzt werden können. Zugleich sollte die Liberalisierung innerhalb von Europa aber Bietern aus Drittstaaten, die selbst über wirkungsvolle Abwehrinstrumente verfügen, nicht zugute kommen. Es geht also auch um ein internationales Level Playing Field. Unseren Bemühungen war leider nicht sofort Erfolg beschieden. Inzwischen hat die amtierende griechische Präsidentschaft aber erfreulicherweise den Gedanken einer echten Harmonisierung aufgegriffen und in einem neuen Vorschlag die Berücksichtigung der Mehrstimmrechte vorgeschlagen. Auch andere Mitgliedstaaten begrüßen diesen Vorschlag der Präsidentschaft genauso wie wir. Auch die Kommission und maßgebliche Stimmen im Europäischen Parlament stützen diesen griechischen Vorschlag. Auf deutlichen Widerstand stößt der neue Ansatz allerdings bei den skandinavischen Ländern, weil gerade dort Mehrstimmrechte weit verbreitet sind. Nun hat allerdings die Präsidentschaft angesichts der im Übrigen großen Zustimmung erkennen lassen, dass sie gewillt ist, ihrem Vorschlag zum Erfolg zu verhelfen. Das ist für die Beratungen in Brüssel nützlich. Allerdings weiß heute noch niemand, wie das Ergebnis sein wird. Sollte die von uns angestrebte europäische Harmonisierung nicht erreichbar sein, dann muss es den Mitgliedstaaten auch in Zukunft gestattet werden, ihre jeweiligen Abwehrmöglichkeiten beizubehalten. Für Deutschland hieße das: Es bleibt bei den bisherigen Regelungen des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes, also bei der Möglichkeit für die Vorstände und die Aufsichtsräte, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. An dieser Stelle möchte ich dem Berichterstatter zur Übernahmerichtlinie im Europäischen Parlament, dem Kollegen Lehne, sehr herzlich für seine konstruktive Zusammenarbeit danken. ({2}) Wir haben in vielen, wenn auch nicht in allen Fragen übereinstimmende Vorstellungen. Auch Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzausschuss, danke ich und bitte um weitere Unterstützung unserer Linie. Herr Kollege Dautzenberg, Sie haben eben das VW-Gesetz angesprochen. Mit Blick auf unser nationales Recht denke ich übrigens nicht, dass wir das VW-Gesetz in einen Zusammenhang mit der Diskussion über die Übernahmerichtlinie bringen sollten. Die Kommission stellt dieses Gesetz mit ihrem Abmahnschreiben vom März dieses Jahres infrage - Herr Dautzenberg, Sie haben das schon herausgearbeitet -, weil es angeblich primäres EU-Recht, die Regeln der Kapitalverkehrsfreiheit, verletze. Das ist aber nicht die Intention des VWGesetzes. Es geht dort vielmehr um eine nur aus der Historie verständliche Ordnung der Eigentumsverhältnisse und Verantwortlichkeiten aus der Zeit der Privatisierung der Gesellschaft. Die Belegschaft hatte nach dem Krieg die Volkswagenwerke aus dem Nichts und über viele Jahre mit großem Einsatz aufgebaut. Dies sollte sich bei der Privatisierung widerspiegeln, und zwar in der Einrichtung einer Volkswagen-Stiftung, die dem Allgemeinwohl verpflichtet war und noch immer ist, sowie in der Schaffung und Erhaltung der Volksaktie VW. Das ist der Sinn der beanstandeten Regelung und das werden wir der Kommission mit Nachdruck verständlich machen. Ich hoffe sowohl in diesem Bereich als auch bei unseren Bemühungen um eine faire Übernahmerichtlinie auf die volle Unterstützung dieses Hauses. Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben, und wünsche uns weiterhin gute Beratungen. Vielen Dank. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Stefan Müller, CDU/ CSU-Fraktion.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Es gibt derzeit im Wirtschaftsgebiet der Europäischen Union noch immer zum Teil gravierende Unterschiede bei den Rechtsvorschriften zur Firmenübernahme. Es wird Zeit, auch für den Bereich der Firmenübernahmen eine einheitliche europäische und vor allem eine ausgewogene Regelung zu finden, die den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der heutigen Zeit gerecht wird. Ziel - ich denke, darüber sind wir uns in diesem Hause einig - muss die Schaffung eines so genannten Level Playing Field für alle Mitgliedstaaten sein, bei dem durch den Abbau von Sondervorschriften Wettbewerbsgleichheit auf diesem Gebiet hergestellt wird. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Abschaffung von Rechtsbarrieren und die Schaffung eines vollständigen Level Playing Field auf europäischer Ebene. Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass Deutschland in der Vergangenheit schon sehr große Anstrengungen diesbezüglich unternommen hat. Nur, wir müssen auch feststellen, dass es nicht bei dem einseitigen Geben unsererseits bleiben darf. Spätestens seit der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone wissen wir, wie wichtig eine einheitliche Verordnung ist. ({0}) Natürlich ist es noch immer schmerzhaft, wenn ein alteingesessenes deutsches Unternehmen durch eine ausländische Firma übernommen wird. Aber daran werden wir uns in Zukunft vermutlich gewöhnen müssen, und zwar nicht nur - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden - auf europäischer Ebene. Entscheidend für unsere Wirtschaft und den Standort Deutschland ist dann nicht mehr, in wessen Hand sich ein Unternehmen befindet, sondern allein die Tatsache, wie viele Arbeitsplätze durch eine Übernahme gesichert bzw. geschaffen werden können. Vor diesem Hintergrund sollten auch die Widersacher einer Verordnung keine Angst vor einer diesbezüglichen Stefan Müller ({1}) Neuregelung haben; denn wenn wir es schaffen, den Wirtschaftsstandort Deutschland in Zukunft attraktiver zu gestalten, dann sehe ich in dieser neuen Richtlinie auch für unsere Unternehmen mehr Chancen als Risiken auf dem europäischen Markt. Ebenso muss es unser gemeinsames Ziel sein, diese Richtlinie so schnell wie möglich in Kraft zu setzen und zu einer tragfähigen gemeinsamen Lösung zu kommen. ({2}) Ich habe mir noch einmal angeschaut, wie lange wir in Europa schon über diese Richtlinie diskutieren. Bereits in den 80er-Jahren gab es die ersten Vorschläge für eine Harmonisierung der einzelnen Rechtsvorschriften; damals wurden die ersten Vorstöße gewagt, um zu einer Vereinheitlichung zu kommen. Letztlich hat es nun bis zum Oktober letzten Jahres gebraucht, bis von der Europäischen Kommission ein neuer Entwurf vorgelegt werden konnte. Dieser Entwurf stellt für die deutsche Seite sicherlich eine Verbesserung gegenüber den bisherigen Richtlinien und Vorschlägen dar, ist aber gleichwohl noch nicht befriedigend. Insbesondere in Bezug auf Art. 11, der die Unwirksamkeit der Beschränkung der Übertragung von Wertpapieren und Stimmrechten vorsieht, haben wir meiner Meinung nach noch erheblichen Diskussionsbedarf; denn solange in anderen Ländern die Möglichkeit besteht, sich gegen Übernahmen abzuschotten, kann auch von der deutschen Wirtschaft nicht verlangt werden, keine geeigneten Gegenmaßnahmen einzuleiten. Allein der Grundsatz der Waffengleichheit gebietet es, allen Unternehmen in Europa die gleichen Chancen zu bieten. ({3}) Die Kollegen in Brüssel haben immer noch mit erheblichem Widerstand insbesondere aus den drei skandinavischen Ländern zu kämpfen, denen auch die Einbeziehung ihrer Mehrfachstimmrechte in die Durchbrechungsregel deutlich zu weit geht und die bereits erheblichen Widerstand angekündigt haben. Auch Frankreich versucht, seine nationalen Regelungen der doppelten Stimmrechte nicht dieser Regelung zu unterwerfen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir trotz dieser Widerstände und Meinungsverschiedenheiten zu einem einheitlichen Standard in Europa kommen können. In diesem Prozess muss selbstverständlich auch gewürdigt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland die von mir schon angesprochenen Vorleistungen bereits erbracht hat. Uns muss auch von daher daran gelegen sein, auf ein zeitnahes Auslaufen von Sonderregelungen im Ausland hinzuwirken. ({4}) Ich stelle hier deutlich fest: Es ist für deutsche Unternehmen nicht hinzunehmen, wenn die skandinavischen Länder sowie Frankreich und die Niederlande durch Mehrfachstimmrechte bzw. Stiftungszertifikate eine einheitliche Regelung zulasten der deutschen Unternehmen unterlaufen. Besonders vor diesem Hintergrund halte ich es für außerordentlich wichtig, noch vor Ablauf der vorgesehenen Frist bis 2010 eine Überprüfung der einzelnen Sondertatbestände vorzunehmen und diese nach Möglichkeit schon vorher auslaufen zu lassen. ({5}) Natürlich fielen unter die Durchbrechungsregel - das ist auch schon angesprochen worden - auch die letzten verbleibenden deutschen Sonderregelungen wie beispielsweise die Vorratsbeschlüsse, was aber im Sinne einer Vereinheitlichung für uns hinnehmbar wäre und auch vorgesehen ist. Ich meine schon, dass Deutschland als größtes und wirtschaftlich bedeutendstes Mitgliedsland der Europäischen Union in diesem Prozess eine der treibenden Kräfte bleiben muss. Wir unterstützen daher - ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause einig grundsätzlich die Bemühungen der Europäischen Kommission auf diesem Gebiet. Sorge bereitet uns allerdings immer noch, dass die Kommission aus Gründen einer meiner Meinung nach zweifelhaften Kompromissbereitschaft an Art. 11, also an den Mehrheitsstimmrechten, festhalten möchte. Ich halte es für wenig zielführend, dass die Kommission angekündigt hat, sie werde nach fünf Jahren die Umsetzung der Richtlinie überprüfen. In diesem Punkt stimme ich einmal mit der Bundesregierung überein, dass eine Überprüfung nach fünf Jahren grundsätzlich nichts an nachteiligen Auswirkungen insbesondere für die deutschen Unternehmen zu ändern vermag. ({6}) Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in diesem Zeitraum schon erhebliche Veränderungen zum Nachteil unserer Wirtschaft eingetreten sein könnten. Eine angekündigte Überprüfung nach fünf Jahren bedeutet auch nicht, dass die betroffenen Länder dann von ihrer heute schon artikulierten Meinung abgehen werden. Nach Ansicht der Kommission haben Doppel- und Mehrfachstimmrechte lediglich eine Bedeutung für die Unternehmensfinanzierung. Es gäbe demnach keinen Beweis dafür, dass etwaige negative Auswirkungen auch im Falle von Unternehmensübernahmen stattfänden. An dieser Stelle muss noch einmal deutlich festgehalten werden, dass diese Erkenntnis der Kommission ganz im Gegensatz zu dem steht, was die Kommission selbst in einem von ihr in Auftrag gegebenen Gutachten vom 10. Januar 2002 veröffentlicht hat, in dem Aktien mit Doppel- und Mehrstimmrechten eindeutig als Haupthindernis für Übernahmeangebote eingestuft wurden. Der Kommission ist daher zu empfehlen, auf eine spätere Überprüfung zu verzichten und den Anregungen der Experten schon heute Folge zu leisten. ({7}) Uns nützt keine Übernahmerichtlinie, deren materieller Teil zwar endlich einen europaweiten Fortschritt mit sich bringt, aber bewirkt, dass die Unternehmen mit formalen Hindernissen, beispielsweise mit unübersichtlichen Kompetenzzuweisungen bei den Aufsichtsbehörden, mehr Zeit als mit den Übernahmegesprächen selbst verbringen. Stefan Müller ({8}) Ich bin damit beim Thema Aufsichtsorgane. Es ist wichtig, dass sich auch aus dieser Richtlinie eine Vereinfachung ergibt, um einen unnötigen Wirrwarr und unnötige Kompetenzstreitigkeiten bei den Überwachungsbehörden zunichte zu machen. Deswegen bin ich schon der Meinung, dass die Zuständigkeiten für diese Übernahmen und für die Aufsicht den Aufsichtsbehörden des Landes, in dem sich das Zielunternehmen befindet, zuzuordnen sind. ({9}) Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion befinden wir uns mit einer einheitlichen Übernahmerichtlinie auf dem richtigen Weg zur Stärkung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes, der uns die Möglichkeit geben könnte, die Vorteile der Wirtschafts- und Währungsunion für uns voll zu nutzen. Wir fordern die Bundesregierung daher noch einmal nachdrücklich auf, sich noch deutlicher als bisher für die Belange der deutschen Unternehmen einzusetzen und alles dafür zu tun, unseren Firmen auf dem europäischen Markt dieselben Möglichkeiten zu bieten, die ausländische Unternehmen hier bei uns haben. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege HansJürgen Uhl, SPD-Fraktion. ({0})

Hans Jürgen Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003648, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich gleich zu Beginn feststellen: Der Entwurf für eine EU-Übernahmerichtlinie ist im Kern unausgewogen und schafft kein Level Playing Field, also keine fairen, keine gleichen Bedingungen. Herr Müller, ich kann das, was Sie gesagt haben, nur bestätigen: Das, was im Augenblick in der Mache ist, führt nicht zur Waffengleichheit. ({0}) Die Möglichkeiten der Abwehr feindlicher Übernahmen sollen bei Skandinaviern und Deutschen entfallen. Franzosen und Niederländer sollen Mehrfachstimmrechte und Stiftungslösungen, also ihre nationalen Abwehrinstrumente, behalten. Auch der zweite Anlauf von EU-Kommissar Bolkestein schafft keine fairen Wettbewerbsbedingungen, nicht innerhalb der EU und schon gar nicht gegenüber amerikanischen Unternehmen. Gerade in den USA gibt es eine Vielzahl von Instrumenten zur Abwehr feindlicher Übernahmen. In den Vereinigten Staaten wird dem Leitungsorgan der Zielgesellschaft ein weiter Spielraum für Abwehrmaßnahmen eingeräumt. Diese variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat zum Teil sehr stark. Das ist eine weitere Hürde für übernahmewillige Dritte. Tatsache ist: Von den zehn größten Übernahmefällen der letzten Jahre waren sieben transatlantisch. Das zeigt die Bedeutung des Übernahmerechts im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Die Folgen der geplanten EU-Regelung sind schnell zu beschreiben: Für amerikanische oder auch japanische Unternehmen wäre es ein Leichtes, europäische Konzerne feindlich zu übernehmen. Umgekehrt wäre dies kaum möglich. Deshalb meine ich: Die im Entwurf der EUÜbernahmerichtlinie vorgesehenen Art. 9 und Art. 11 sollten ersatzlos gestrichen werden. Damit wäre weiterhin gewährleistet, dass Abwehrmaßnahmen durch Aufsichtsrat und Vorstand beschlossen werden können. Gleichzeitig wäre dies ein Garant für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter. Ziel der Richtlinie muss sein, gleiche Bedingungen zu schaffen, und dies, ohne in gewachsene und bewährte Industrie- und Unternehmenskulturen einzugreifen. Dies gilt auch für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Information, Konsultation und Mitbestimmung haben in einer Reihe europäischer Länder eine lange Tradition, insbesondere bei uns in Deutschland. Das gehört zu unserer sozialen Orientierung und zu unserer politischen Demokratie. Fragen wir uns doch einmal: Wie wären denn struktureller Wandel und Rationalisierungsprozesse in unserem Land und auch in manch anderem Land in Europa abgelaufen, wenn wir nicht tagtäglich die Balance zwischen Kapital und Arbeit und damit auch die soziale Verantwortung für Arbeitsplätze und Standortregionen praktizieren müssten? ({1}) Nicht zuletzt aus diesem Grund enthält das deutsche Übernahmerecht einen Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats bei Verteidigungsmaßnahmen. Mit einer Übertragung des Entscheidungsrechts über Abwehrmaßnahmen auf die Hauptversammlung würde eine Gegenwehr gefährlich eingeschränkt. Anders gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft Herr Bolkestein. Der Brüsseler Entwurf greift mit seiner Stillhaltepflicht in gewachsene und zu Recht bestehende Mitbestimmungsstrukturen ein. Das müssen wir uns einmal praktisch vorstellen. Da muss ein Unternehmen Tausende Aktionäre innerhalb kürzester Zeit zusammenrufen, um deutlich zu machen, dass man feindlich übernommen werden kann. Die praktischen Probleme sowie auch die verheerende Wirkung in der Öffentlichkeit und auf dem Kapitalmarkt können wir uns alle wohl leicht ausmalen. Unser nationales deutsches Übernahmerecht ist gut. Unsere Verteidigungsrechte sind richtig. Es gibt keinen Grund, das zu ändern. Ebenso wirkungsvolle Verteidigungsmöglichkeiten haben in anderen EU-Staaten Tradition. Warum sollten sie alle so einfach über Bord geworfen werden? Fragen wir uns weiter: Warum sollen wir denn bewährte industrielle Beziehungen in Deutschland der neoliberalen Ideologie eines EU-Kommissars opfern? Meine Damen und Herren, wir führen hier keine akademische Diskussion über abstrakte Modellvorstellungen. Es geht um konkrete Gefahren für deutsche und europäische Unternehmen und damit um die Frage, ob betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten auch künftig mit einer sozialen Verpflichtung für Beschäftigung und Standortregionen verknüpft werden. Ich frage: Wollen wir das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes - Eigentum verpflichtet - weiterhin ernst nehmen oder wollen wir eine Unkultur des Heuerns und Feuerns wie in den USA? Das sind zwei verschiedene Welten mit unterschiedlichen historischen Bezügen. Das Sozialstaatsmodell Europa ist es wert, meine ich, verteidigt zu werden. ({2}) Weil wir jene Unkultur in Europa nicht wollen, muss die Chance für eine Balance zwischen Kapital- und Arbeitnehmerinteressen auch weiterhin gewahrt bleiben. Fakt ist: Große deutsche Industriekonzerne sind potenzielle Übernahmekandidaten. Das wird deutlich, wenn wir uns den Börsenwert anschauen. Der Börsenwert von Daimler-Chrysler, BMW und Volkswagen mit zusammen weit über 1 Million Beschäftigten und mit vielen Standorten in der ganzen Welt liegt unter dem Börsenwert des Handyherstellers Nokia. ({3}) Das zeigt: Da stimmt die Welt nicht. Die Börsenkapitalisierung von Toyota liegt auch weit über dem gemeinsamen Wert der drei deutschen Automobilkonzerne. ({4}) Deshalb dürfen wir es nicht allein den Kapitalmärkten überlassen, Entscheidungen über die Zukunft von Industriestandorten in Deutschland und Europa und damit über das Schicksal von Millionen von Beschäftigten und ihren Familien zu treffen. Für uns gilt: Industriepolitik ist Standortpolitik, Beschäftigungspolitik und auch Sozialpolitik. Deshalb - Herr Ulrich, das sage ich auch an Ihre Adresse - werden wir auch das VW-Gesetz verteidigen. Es wird nicht fallen. Es muss verteidigt werden, weil es vernünftig ist. ({5}) Weder Frankreich noch die USA kämen auf die Idee, ihre nationalen industriepolitischen Positionen aufzugeben. Warum sollten wir das tun? Die volkswirtschaftliche Bedeutung und die Vernunft fordern, dass unsere großen Industrieunternehmen auch weiterhin aus Deutschland und nicht aus Detroit, New York oder Tokio gesteuert werden. ({6}) Darum gehe ich davon aus, dass sich die Bundesregierung bei der kommenden Tagung des Rates deutlich für eine Lösung stark machen wird, die unsere deutschen und europäischen Unternehmen wirkungsvoll vor feindlichen Übernahmen schützt. Vielen Dank fürs Zuhören. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Uhl, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause. Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen persönlich und politisch alles Gute. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/539 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz- ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesre- gierung über den Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates betreffend Übernahmeangebote, Drucksache 15/606. Der Aus- schuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bundeseinheitliche Praxis bei der Einbürgerung von Unionsbürgern herstellen - Hindernisse beseitigen - Drucksache 15/762 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Umsetzung der deutsch-französischen Initiative zur Gewährung einer doppelten Staatsangehörigkeit - Drucksache 15/362 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die heutige Debatte gibt es einen einfachen und zugleich gewichtigen Grund: Als Bundesparlament haben wir neben der Schaffung von Bundesrecht auch die Aufgabe, auf seine einheitliche Umsetzung zu achten. Insbesondere dann, wenn die Ausführung geltenden Rechtes mit erheblichen Folgen für Bürgerinnen und Bürger verbunden ist, müssen, egal ob in Kiel oder München, gleiche Kriterien gelten. Im Rahmen der Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes im Jahre 1999 hat der Bundestag nicht zuletzt einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Kerngedankens der Europäischen Union, nämlich zum Erreichen des Ziels einer weitgehenden rechtlichen Gleichstellung geleistet. Im Ausländerrecht ist seitdem Folgendes festgeschrieben: Wir verzichten bei der Einbürgerung von Staatsangehörigen anderer EU-Länder auf die Abgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit, wenn in dieser Hinsicht seitens des Herkunftslandes ebenso verfahren wird. ({0}) Dieser Wille des Gesetzgebers findet sich auch in der Gesetzesbegründung, in der festgehalten wird, es gebe in diesen Fällen ein fehlendes öffentliches Interesse an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wörtlich heißt es dort weiter: Bei Ausländern, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union sind, besteht bereits eine weitgehende Inländergleichbehandlung. Das Interesse am Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit unter Aufgabe der bisherigen ist daher für EU-Ausländer gering, woraus sehr niedrige Einbürgerungsquoten resultieren. Im Hinblick auf das Ziel der europäischen Integration soll der Anreiz zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit dadurch verstärkt werden, dass der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit nicht gilt, wenn Gegenseitigkeit besteht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch ganz eindeutig: Wer das Zusammenwachsen Europas befördern will und zudem will, dass auf Dauer in Deutschland lebende EU-Bürger unbürokratisch die Möglichkeit zur rechtlichen Gleichstellung erhalten sollen, der muss sie in der Gemeinschaft der deutschen Staatsbürger willkommen heißen, ohne ihnen den Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit abzuverlangen. ({1}) Das ist, wenn ihr Herkunftsstaat mit deutschen Staatsangehörigen ebenso verfährt, nicht nur so gewollt, sondern geltendes Recht. Freilich - das ist der Grund für diese Debatte scheint das Wissen um diese Tatsachen in manchen, vor allem wohl süddeutschen Amtsstuben noch nicht hinreichend verbreitet zu sein. ({2}) Insbesondere in Bayern ist leider entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ({3}) einbürgerungswilligen EU-Bürgern die Beibehaltung ihrer Staatsangehörigkeit verweigert worden. Dies ist nicht nur völlig unverständlich, sondern ein Unding. ({4}) Inzwischen liegen zahlreiche Fälle unzutreffender Auslegungen des § 87 Abs. 2 des geltenden Ausländergesetzes vor, in dem genau diese Hinnahme von Mehrstaatigkeit bei EU-Bürgern, mit deren Ländern Gegenseitigkeit für deutsche Staatsangehörige besteht, geregelt ist. Dies hat nicht zuletzt zu diplomatischen Beschwerden seitens einiger Herkunftstaaten geführt. Deshalb ist an dieser Stelle im Deutschen Bundestag die Anmahnung einer einheitlichen Anwendung des Bundesrechtes durch die Behörden der Bundesländer dringend geboten. ({5}) Es ist nicht akzeptabel, dass Antragsteller in ein anderes Bundesland ziehen müssen, um einen vom Bundesgesetzgeber eingeräumten Anspruch geltend machen zu können. ({6}) So hat in der letzten Woche der Bayerische Verwaltungsgerichthof entscheiden müssen, dass ein griechischer EU-Bürger mit seinem Begehren, bei der Einbürgerung seine griechische Staatsangehörigkeit beibehalten zu können, Recht hatte. Dies war ihm zuvor von bayerischen Behörden verweigert worden. ({7}) Eigentlich könnte man sagen, die Staatsregierung in München sollte froh sein über jeden, der freiwillig ein Bayer werden will. Aber ganz im Ernst: Man kann doch wohl mindestens erwarten, dass geltendes deutsches Recht auch in Bayern zur Anwendung kommt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Bundesebene ist der Weg zu einer menschennahen Einbürgerungspolitik nicht mit dem Beschluss des neuen Staatsangehörigkeitsrechts beendet worden. ({9}) Bis Ende des letzten Jahres galt aus deutscher Sicht die wechselseitige Hinnahme von Mehrstaatigkeit innerhalb der Europäischen Union für Griechenland, Großbritannien, Irland und Portugal sowie eingeschränkt für die Niederlande. In der deutsch-französischen Erklärung zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrages Anfang dieses Jahres haben Staatspräsident Chirac und

Not found (Kanzler:in)

„Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern auch die Staatsbürgerschaft beider Länder ermöglichen, soweit sie das wünschen.“ Aus diesem Grund ist die SPD-Bundestagsfraktion der Bundesregierung dankbar, dass sie das vor 40 Jahren entstandene Europaratsübereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit aufgekündigt hat. Seitdem besteht die wechselseitige Möglichkeit des Beibehalts der bisherigen Staatsangehörigkeit ({0}) auch mit Blick auf Frankreich, Belgien, Italien und Schweden. Derzeit erfüllen nur noch fünf der 14 anderen EU-Mitgliedstaaten die entsprechenden Voraussetzungen nicht. Dies sind Dänemark, Finnland, Luxemburg, Österreich und Spanien. ({1}) Ich hoffe namens meiner Fraktion, dass bald auch in diesen fünf Ländern bei dortigen Einbürgerungen von Deutschen die Möglichkeit zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit geschaffen wird und damit umgekehrt auch bei uns. Es war übrigens - das sage ich an die Reihen der CDU/CSU-Fraktion gewandt - der CDU-Abgeordnete Herbert Czaja, der vor 50 Jahren in einer Bundestagsdebatte Folgendes beklagte: Eine doppelte Staatsangehörigkeit, etwa die deutsche und die österreichische, ist unmöglich. ... Und das in der Zeit des Sich-Näherkommens der europäischen Völker! Eine noch immer durchaus aktuelle Aussage! 1953 sagte Carlo Schmid in derselben Debatte für die SPD-Fraktion: Wenn wir ein enges, ein etatistisches, nur vom Staate aus gesehenes Staatsangehörigkeitsrecht haben, werden wir versucht sein, auch in den Beziehungen von Staat zu Staat und von Volk zu Volk exklusiv zu denken. Haben wir aber ein individualistisches, das heißt weltbürgerliches Staatsangehörigkeitsrecht, dann werden wir auch in den Beziehungen von Staat zu Staat leichter gesinnt sein, weltbürgerlich zu denken. ({2}) Und fängt nicht jedes weltbürgerliche Denken - und das heißt doch auf unserem Kontinent: europäisches Denken - damit an, dass man es für möglich hält, dass einer mehrere Staatsangehörigkeiten besitzen kann? Meine Damen und Herren, Carlo Schmid hatte Recht. Genau davon, von der Orientierung am Menschen, ist das neue Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland geprägt. ({3}) Mit dem vorliegenden Antrag der Koalition bekräftigen und fordern wir zweierlei: Erstens. Wir fordern Bundesregierung und Bundesländer auf, dafür zu sorgen, dass die zuständigen deutschen Verwaltungsstellen auf der Grundlage der Gegenseitigkeit bei der Einbürgerung von Unionsbürgern der Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit unbürokratisch zustimmen, so wie das im Ausländergesetz vorgesehen ist. Zweitens. Im Staatsangehörigkeitgesetz - auch das ist uns sehr wichtig - ist die Möglichkeit vorgesehen, dass von unseren Behörden deutschen Bürgern, die sich in einem anderen Land einbürgern lassen wollen, die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit gestattet werden kann. Unser Antrag fordert, dass diese Beibehaltungsgenehmigung bei der Einbürgerung Deutscher in anderen EU-Staaten generell ermöglicht wird. ({4}) - Herr Geis, ich wundere mich, dass Sie einen so progressiven Vorschlag machen, aber ich werde Sie beim Wort nehmen. Ich lade alle herzlich ein, diese Debatte miteinander zu führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1913 hat der SPDAbgeordnete Otto Landsberg im Reichstag folgende Frage gestellt: „Sind denn die Menschen der Gesetze und der Verträge wegen da oder umgekehrt die Gesetze und Verträge der Menschen wegen?“ ({5}) - Das ist keine Phrase, das ist Bestandteil einer demokratischen und menschennahen Politik, Herr Geis. Wir machen Gesetze für die Menschen. ({6}) - Selbst für Herrn Grindel, auch wenn es manchmal schwer fällt. Die Antwort der Koalition auf die Frage von Otto Landsberg ist eindeutig: Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt. Ich würde es begrüßen, wenn sich im Zuge der anstehenden Beratungen im Innenausschuss auch die zwei übrigen Fraktionen dem Antrag der Koalition anschließen würden. Denn hier geht es nicht um eine Frage, die wir zum Gegenstand von Parteienstreit machen sollten. Hier geht es darum, als Gesetzgeber deutlich zu machen, dass Deutschland ein modernes, ein liberales und nicht zuletzt ein europäisches Land ist. ({7}) Ich hätte eigentlich noch zwei Minuten Redezeit. Frau Präsidentin, vielleicht kann mir diese Zeit bei der nächsten Rede angerechnet werden. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Edathy, das wird nicht funktionieren. Ich denke aber, die Kolleginnen und Kollegen sind dankbar, wenn ein Thema in kürzerer Zeit abgehandelt wird. Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel, CDU/CSU-Fraktion.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Staatsbürgerschaftsrecht ist keine kleine Münze. Es ist in einer Demokratie wichtig, dass klar abgrenzbar ist, wer zum Staatsvolk gehört und wer nicht. Dass unser Staatsangehörigkeitsrecht so kompliziert ist und dass jede zweite Einbürgerung mittlerweile unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft erfolgt - das bedeutet, es gibt nur eine halbe Hinwendung zu unserem Staatswesen -, ({0}) bleibt ein großes Problem und zeigt, wie richtig es war und ist, dass CDU und CSU das rot-grüne Staatsbürgerschaftsrecht abgelehnt haben. ({1}) Otto Schily hat bei der Verabschiedung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts 1999 - Herr Edathy, Ihre Zitate reichen sehr weit zurück; deshalb zitiere ich eine Aussage, die erst vier Jahre zurückliegt - beteuert: Die Herbeiführung möglichst vieler doppelter Staatsbürgerschaften ist nicht unser Ziel. - Die Wirklichkeit sieht heute anders aus. CDU und CSU haben damals auch die doppelte Staatsbürgerschaft für EU-Bürger kritisch gesehen, weil mehrere Pässe eben nicht Ausdruck für besondere europäische Integration sind. Wenn das richtig wäre, Herr Edathy, dann wäre Otto von Habsburg, der drei Staatsangehörigkeiten besitzt, auch ein dreimal so guter Europäer wie Joschka Fischer. - Ich wundere mich, dass jetzt nicht der Zwischenruf von den Grünen kommt: Da haben Sie völlig Recht. - Eine doppelte Staatsbürgerschaft schafft doppelte Loyalitäten. Das wollen wir nicht. ({2}) Eine verbesserte EU-Staatsbürgerschaft könnte in dieser Frage Klarheit schaffen. Wir werden abwarten, welches Ergebnis die Beratungen im Konvent hervorbringen. Nun zu den beiden vorliegenden Anträgen im Einzelnen. Der FDP-Antrag ist unserer Auffassung nach überflüssig. Durch die Kündigung des Übereinkommens des Europarats zur Verringerung der Mehrstaatigkeit durch Deutschland hat dieses Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich tatsächlich keine Wirkung mehr. Franzosen werden in Deutschland eingebürgert, ohne dass sie ihre alte Staatsbürgerschaft aufgeben müssen, und umgekehrt. Mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg gehen alle Bundesländer davon aus, dass insoweit Gegenseitigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 Ausländergesetz gegeben ist. Über dieses Problem der Gegenseitigkeit gibt es in der Tat unterschiedliche Auslegungen und auch Gerichtsentscheidungen. Mein Kollege Nobert Geis wird dazu noch das Notwendige sagen. Herr Burgbacher, da Sie diese baden-württembergische Praxis nicht für richtig halten, möchte ich Sie daran erinnern, dass die FDP an der baden-württembergischen Landesregierung beteiligt ist. In Stuttgart rechts blinken und hier in Berlin links abbiegen ist kein klarer Kurs. Das finde ich nicht richtig. Auch der Antrag von SPD und Grünen zielt auf Bayern und Baden-Württemberg und auf den Abbau weiterer bürokratischer Hemmnisse. Was Sie damit eigentlich meinen, Herr Edathy, ist hier völlig nebulös geblieben. Wahrscheinlich wollen Sie damit das so genannte Gegenseitigkeitserfordernis infrage stellen. Unabhängig von der Auslegung des § 87 Abs. 2 bleibt eines festzuhalten: Wenn man praktisch alle EU-Bürger zu doppelten Staatsbürgern machen würde, dann wäre das eben nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Ihnen geht es um zusätzliche Mehrstaatigkeit. Genau das wollen wir nicht; wir sind dagegen. ({3}) Man muss sich doch folgende Fragen stellen: Was ist nach der Osterweiterung? ({4}) Was ist zum Beispiel im Falle eines EU-Beitritts der Türkei? Wer so freigebig mit der Staatsbürgerschaft umgeht, der hat nicht begriffen, dass Integration etwas mit gemeinsamer Sprache, mit schulischem und kulturellem Miteinander und mit der Achtung von Gesetzen zu tun hat, aber nicht - das wäre viel zu billig - mit dem Doppelpass. ({5}) Integration ist viel mehr, Herr Edathy. ({6}) Es muss auch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, welche Konsequenzen der Doppelpass im Bereich der Bekämpfung von Kriminalität hätte. Ein Angehöriger der Mafia, der den Doppelpass besitzt, kann eben nicht abgeschoben werden. Für Ihren Antrag werden sich die Sicherheitsbehörden schwer bedanken. ({7}) In Ziffer 3 des Antrages von SPD und Grünen wird von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Fünf EUStaaten, nämlich Spanien, Finnland, Dänemark, Österreich und Luxemburg, lassen Mehrstaatigkeit grundsätzlich nicht zu. Da läuft Ihr Antrag sozusagen wegen Unmöglichkeit ins Leere. Ich will aber auch sagen - denn Sie, Herr Edathy, haben das angesprochen -, dass wir als CDU/CSU nicht bereit sind, auf die Beibehaltungsgenehmigung zu verzichten, weil es im Falle der Annahme einer neuen Staatsangehörigkeit schon richtig ist, den deutschen Staatsbürger an seine Bindungen an Deutschland zu erinnern. Problematisch ist in diesem Zusammenhang übrigens schon, dass es nach Ihrer Auffassung zwar den deutschfranzösischen Doppelpass geben soll, es aber wegen der geschilderten Rechtslage keinen Doppelpass im Hinblick auf Österreich, Spanien oder Dänemark geben kann. Hier schaffen Sie Europäer erster und zweiter Ordnung. Genau das sollte man nicht tun. Deshalb ist es richtig, auf eine einheitliche EU-Staatsbürgerschaft zu warten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Grindel, darf ich Sie einmal unterbrechen: Der Herr Kollege Edathy möchte eine Zwischenfrage stellen.

Reinhard Grindel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003539, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte im Zusammenhang vortragen. Was steckt also in Wahrheit hinter dem Antrag von SPD und Grünen? Es geht Ihnen nicht um Integration. Es geht Ihnen schon gar nicht um Europa. Es geht Ihnen darum, mit allen Mitteln sicherzustellen und alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass es künftig wieder mehr in der Wahlkasse klingelt. ({0}) Weil Ihnen die alten sozialdemokratischen Wähler weglaufen, weil Fritz, Willi und Jupp längst CDU wählen, sollen das jetzt Pierre, Pjotr und Hassan ausgleichen. Mit uns ist das nicht zu machen! ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin Marieluise Beck.

Marieluise Beck-Oberdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002624

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich erinnere mich noch an die Zeiten, in denen wir hier die großen politischen Schlammschlachten um den Doppelpass geführt haben ({0}) und Herr Stoiber aus Bayern äußerte, die doppelte Staatsbürgerschaft sei gefährlicher als die RAF. Nun kann man drei Jahre nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vielleicht feststellen, dass das Abendland und auch Deutschland nicht untergegangen sind. ({1}) Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir heute etwas gelassener über diesen Sachverhalt sprechen können. Aber es scheint immer noch so zu sein, dass Sie sich - im Süden noch mehr -, wenn es um europapolitische Offenheit geht, ungeheuerlich schwer tun. Ich bin da allerdings ganz ruhig. Ich gehe davon aus, dass die Gerichte den Ländern Baden-Württemberg und Bayern schon zeigen werden, was Bundestreue bedeutet. Ich bin mir ganz sicher: Da die Rechtslage so eindeutig ist, wird die Frage des Doppelpasses für EU-Bürger auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit, wenn sie nicht politisch entschieden wird, eben durch die Gerichte geklärt. Das ist nicht schön für die Politik. Aber das scheint in diesem Fall unumgänglich zu sein. ({2}) Nun zu dem großen Popanz, den Sie in Bezug auf die Frage der Mehrstaatigkeit aufbauen. Wir haben in der Tat in den Jahren 2000 und 2001 eine hohe Zahl von Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit gehabt, und zwar bei etwa 40 Prozent der Einbürgerungen. Das hatte damit zu tun, dass wir Einbürgerungen von Kindern im Alter von null bis zehn Jahren vorgenommen haben, dass wir viele Altfälle aufgearbeitet haben und dass wir gerade in den Jahren 2000 und 2001 eine große Zahl von anerkannten Asylbewerbern, denen nicht zugemutet wird, zu dem Konsulat ihrer Verfolger zu gehen und dort ihre Staatsbürgerschaft aufzukündigen, eingebürgert haben, sodass man sagen kann: Für viele Menschen ist hier in Deutschland die Tür dafür geöffnet worden, nicht nur Bewohner, sondern auch Bürger zu sein. ({3}) - Das hat sehr viel mit der Frage der Hinnahme von Mehrstaatigkeit zu tun; ich habe Ihnen das gerade erklärt. Zum Glück sind es auch immer wieder Anwälte aus der Union, gerade aus Ihren Reihen, gewesen, die Iraner vertreten und gesagt haben: Könnt ihr uns nicht helfen? Seit fünf oder sieben Jahren betreuen sie Klienten, die vergeblich versuchen, aus der iranischen Staatsbürgerschaft entlassen zu werden. Jeder weiß, dass es keine Entlassung geben wird. Trotzdem trietzten die Behörden diese Menschen weiter und aufgrund der Halsstarrigkeit der Behörden gab es keine Einbürgerung in Deutschland. ({4}) - Diese Menschen sind auch so genannte Doppelstaater. Sie haben offensichtlich Probleme, sich mit modernen Entwicklungen auseinander zu setzen. In Deutschland gibt es inzwischen 700 000 Kinder aus binationalen Familien, die Doppelstaater sind, weil sie in Deutschland geboren wurden. Die Anzahl dieser Kinder wächst Jahr für Jahr, weil die Anzahl der binationalen Verbindungen wächst. Die Menschen sind nämlich deutlich kosmopolitischer als Sie von der Union. Sie scheren sich überhaupt nicht um die von Ihnen aufgeworfenen Loyalitätsfragen. Die Grenzen sind nicht nur für die Waren, sondern auch für die Menschen offen. Die Zahl der Menschen, die grenzüberschreitende Verbindungen eingehen, Ehen schließen und Kinder bekommen, nimmt zu. Alle Kinder aus diesen Verbindungen haben einen Doppelpass. Ich halte es für irrwitzig, davon zu sprechen, dass diese Kinder nur eine halbe Hinwendung zu Deutschland hätten und nur halb loyal sein könnten. Was Sie sagen, ist einfach Unsinn. ({5}) Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Die Doppelbödigkeit, die in dieser Debatte zum Ausdruck kommt, ärgert mich ausgesprochen stark. Bitte gehen Sie einmal darauf ein, weshalb Sie 1,2 Millionen Spätaussiedlern die deutsche Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung ihrer russischen oder polnischen Staatsbürgerschaft ermöglicht haben. ({6}) Ich habe damit nie ein Problem gehabt. Sie müssen nur beides mit gleicher Elle messen: ({7}) Bei dem einen von geteilter Loyalität zu sprechen und bei dem anderen nicht, geht nicht. ({8}) Hier geht es um einen deutsch-französischen Vorschlag. In Deutschland leben 112 000 Franzosen und 150 000 Deutsche leben in Frankreich. Das ist ein Stück Grenzüberschreitung. Sie sollten sich gegenseitig Bürgerrechte einräumen. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg des zusammenwachsenden Europas. ({9}) Eines fernen Tages werden wir dann vielleicht einmal eine europäische Staatsbürgerschaft haben. ({10}) Die rechtlichen Grundlagen sind nach der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eindeutig: Innerhalb der Europäischen Union ist bei Gegenseitigkeit Mehrstaatigkeit hinzunehmen. Bayern und Baden-Württemberg werden sich gegen solche Entwicklungen noch einige Zeit sträuben können. Da Deutschland aber ein Rechtsstaat ist, wird das sicherlich bald ein Ende haben. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher, FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatssekretärin Beck, ich beginne da, wo Sie aufgehört haben. Es ist völlig richtig - darauf zielt unser Antrag -: Wir wollen die doppelte Staatsangehörigkeit für Deutsche und Franzosen. Das, was in der Gemeinsamen deutsch-französischen Erklärung zum 40. Jahrestag des Élysée-Vertrags stand, soll umgesetzt werden. Ich zitiere: Wir müssen unseren Bürgerinnen und Bürgern auch die Staatsbürgerschaft beider Länder ermöglichen. Das heißt, dass es heute noch nicht so ist. Herr Edathy, Sie müssen den bestehenden Rechtszustand korrekt wahrnehmen. ({0}) - Seither ist überhaupt nichts geändert worden. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Vertrag gekündigt - das ist völlig richtig -, allerdings schon lange vorher. Frankreich - ich habe mich bei der Botschaft heute noch einmal erkundigt - hat diesen Vertrag noch nicht gekündigt. ({1}) - Nein. - Deshalb gilt er für Frankreich formal nach wie vor. Der gegenwärtige Zustand ist wie folgt: Einige Länder akzeptieren das, gewähren aber keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf die Doppelstaatsangehörigkeit. Das ist zum Beispiel bei Frankreich der Fall. Deshalb halten wir es für richtig, hier einen rechtlich einwandfreien ZuErnst Burgbacher stand herzustellen. Darum geht es uns mit unserem Antrag. ({2}) Ich sage auch ganz deutlich an die Kollegen von CDU/ CSU gerichtet: Wir wollen, dass Deutsche und Franzosen beide Staatsangehörigkeiten bekommen können ({3}) - Frau Staatssekretärin, Sie haben die Zahlen genannt, wie viele im jeweils anderen Land leben -; denn das ist bedeutsam für die deutsch-französische Freundschaft und das wollen wir auch dokumentieren. Herr Edathy, wir lehnen Ihren Antrag gar nicht von vornherein ab. Wir werden ihn im Ausschuss sehr offen diskutieren. Wir haben im Grunde das gleiche Ziel, haben aber unterschiedliche Ansichten hinsichtlich des augenblicklich herrschenden Rechtszustands. Wir sollten im Ausschuss ganz sachlich und ohne große Polemik ({4}) darangehen, die geltende Rechtslage zu klären. Im Staatsangehörigkeitsrecht, dem die FDP zugestimmt hat, steht sehr deutlich: Hinnahme doppelter Staatsangehörigkeit auf Gegenseitigkeit. Gegenseitigkeit kann aber nicht heißen, dass dies in dem einen Land geduldet wird und in dem anderen nicht. ({5}) Gegenseitigkeit muss ein rechtlich einwandfreier Zustand sein. Darauf legen wir Wert. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie und auch die Kolleginnen und Kollegen von der Union ganz herzlich, keinen falschen Zungenschlag in die Diskussion zu bringen. Wir sind in Europa zum Glück ein ganzes Stück weiter. In der europäischen Verfassung haben wir bereits die europäische Staatsangehörigkeit verankert. Angesichts der engen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich halte ich es für eine Selbstverständlichkeit, dass der Franzose, der bei uns lebt, die deutsche Staatsangehörigkeit und damit auch das Wahlrecht bekommt und umgekehrt für den Deutschen in Frankreich das Gleiche gilt. Wir sollten hier keine alten Diskussionen und Vorurteile aus der Schublade holen, sondern offen darangehen, die rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen. Ich denke, dass wir am Schluss zu einer gemeinsamen Lösung im Sinne der Menschen in unserem Land kommen können. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Norbert Geis, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann an die Rede von Herrn Burgbacher anknüpfen. Wir wollen ebenfalls, dass § 87 Abs. 2 Ausländergesetz, nach dem die Erlangung der doppelten Staatsangehörigkeit für Bürger der EU möglich ist, auch zwischen Deutschland und Frankreich Geltung haben soll, aber unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit, wie es im Gesetz steht. Diese Voraussetzungen sind nach meiner Auffassung - das haben Sie auch angedeutet - heute noch nicht gegeben. Ich möchte auch ausführen, warum ich der Auffassung bin, dass diese Voraussetzungen heute noch nicht vorliegen. Lassen Sie mich aber nun zum Antrag der SPD kommen. Mit dem Ansatz der FDP kann man sich sehr wohl auseinander setzen. Im Antrag der SPD dagegen geht es darum, die doppelte Staatsangehörigkeit generell einzuführen. - Das wollten Sie immer; Frau Beck hat es eben auch gesagt. - Dieses Ziel ist bereits Inhalt des ersten Koalitionsvertrages zwischen SPD und Grünen vom 22. Oktober 1998. Das kam auch in dem ersten Entwurf des Staatsangehörigkeitsrechts vom 13. Januar 1999 zum Ausdruck. Erst aufgrund der Unterschriftenaktion und des Wahlausgangs in Hessen - es ist gut, wenn man daran einmal erinnern darf - sind Sie zu der Überzeugung gekommen, dass das so nicht geht. Damit blieb es bei dem Grundsatz der Vermeidung der doppelten Staatsangehörigkeit. Sie haben es eingesehen und sich eines Besseren belehren lassen. Aber in Ihrem heutigen und jetzt zu diskutierenden Antrag beginnen Sie wieder mit dem alten Spiel. Sie wollen - Frau Beck, in Ihrem Redebeitrag haben Sie genau das Gleiche gesagt - im Grunde die doppelte Staatsangehörigkeit generell einführen. ({0}) Dabei machen wir nicht mit, weil wir der Meinung sind, dass die Staatsangehörigkeit Ausdruck einer besonderen Bindung des einzelnen Mitgliedes des jeweiligen Volkes zu seinem Staat ist. Deswegen gibt es die Staatsangehörigkeit überhaupt. Es gibt eine Loyalität des Staatsbürgers gegenüber seiner Staatsregierung, gegenüber seinem Staat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Edathy?

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte sehr.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Geis, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Gegenstand des vorliegenden Antrages von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im ersten Punkt ist, dass wir die Wahrung geltenden Rechtes im Verwaltungsvollzug der Länder sichern wollen? Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als § 87 Abs. 2 des Ausländergesetzes, der beschlossen ist, auch mit Leben zu füllen. Sind Sie außerdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir im zweiten Punkt etwas fordern, das gerade bei CDU und CSU auf Sympathie stoßen müsste? Wir wollen nämlich verstärkt darauf achten, dass Deutsche, die sich in anderen EU-Staaten, die bislang nicht die Mehrstaatigkeit akzeptieren, einbürgern lassen wollen, jedenfalls nicht aufgrund deutscher Verwaltungsentscheidungen gezwungen werden, die deutsche Staatsangehörigkeit aufzugeben.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann hätten Sie eigentlich einen Vorschlag für eine entsprechende Gesetzesänderung vorlegen müssen, bevor Sie Ihren Antrag gestellt haben. Sie können diesen Antrag doch nicht losgelöst sehen von Ihrer übrigen Politik im Bereich der Staatsangehörigkeit und des Ausländerrechts. ({0}) Es gibt genug Beispiele dafür, dass Sie die doppelte Staatsangehörigkeit nicht nur erleichtern, sondern prinzipiell ermöglichen wollen. Sie wollen prinzipiell jedem, der nach Deutschland kommt, die doppelte Staatsangehörigkeit anbieten. ({1}) Sie können diesen Antrag nicht von Ihrer Politik loslösen. Wenn Sie mir das nicht abnehmen, bitte ich Sie: Lesen Sie Ihren Koalitionsvertrag vom 22. Oktober 1998! ({2}) Lesen Sie Ihren ersten Entwurf zum Staatsangehörigkeitsrecht und lesen Sie die Begründung des Antrages, über den wir heute debattieren! Dann werden Sie mir Recht geben müssen. Es ist so; das halten wir fest. Aber wir wollen das nicht. ({3}) - Ich weiß ja, dass Sie sich jetzt dagegen wehren. Aber verhalten Sie sich doch danach. Sie wollen im Prinzip nicht nur die Erleichterung der doppelten Staatsangehörigkeit, sondern Sie wollen sie generell ermöglichen. Dagegen wehren wir uns, weil wir glauben, dass das mit dem deutschen Staatsangehörigkeitsrecht und mit unserem Demokratieverständnis nicht vereinbar ist. ({4}) Demokratie setzt das Volk voraus. Demokratie ist nicht die Herrschaft der Bevölkerung, sondern die Herrschaft des Volkes. ({5}) Das Volk bildet seinen Willen durch die Demokratie. Sie können sich als parlamentarische repräsentative Demokratie nicht einfach über das Volk hinwegsetzen, von dem Sie Ihre Legitimation beziehen. Das ist ein wichtiger Gedanke, den Sie einmal beherzigen sollten. Wir dürfen und müssen an der deutschen Staatsangehörigkeit festhalten. Deswegen ist es erforderlich, dass wir die doppelte Staatsangehörigkeit nicht in einem solchen Ausmaß zulassen, wie Sie es gern haben möchten. ({6}) Die doppelte Staatsangehörigkeit schafft nun einmal Loyalitätskonflikte. Die Aufspaltung in Nur-Deutsche, die auf Gedeih und Verderb mit Deutschland und mit dem Schicksal des deutschen Volkes verbunden sind, und in Auch-Deutsche mit einer zweiten Staatsangehörigkeit, die gehen können, wenn es brenzlig wird, hält auf Dauer kein Volk und keine Gesellschaft aus. Deswegen müssen wir daran festhalten. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme auf das zurück, was Herr Burgbacher gesagt hat. Wir sind für die Durchsetzung des § 87 Abs. 2 Ausländergesetz. § 87 Abs. 2 Ausländergesetz ist aber eine Ausnahme von der Regel. § 85 ist die Regel, die besagt, dass derjenige, der die deutsche Staatsangehörigkeit anstrebt, sie nur erlangen kann, wenn er die alte Staatsangehörigkeit, seine Herkunftsstaatsangehörigkeit, aufgibt. ({8}) § 87 macht davon eine Ausnahme; das ist richtig. In § 87 Abs. 2 heißt es: Ein EU-Bürger kann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben und seine alte Staatsangehörigkeit beibehalten, wenn Gegenseitigkeit verbürgt ist. ({9}) Diese Gegenseitigkeit haben wir im Verhältnis von Deutschland zu anderen EU-Ländern noch nicht. Unter Gegenseitigkeit verstehe ich Gleichwertigkeit. Das heißt, dass ein Deutscher, der im Ausland die ausländische Staatsangehörigkeit anstrebt, dort genauso schwere oder leichte Voraussetzungen haben muss wie ein Ausländer in Deutschland. Das ist aber nicht der Fall. In Deutschland ist es so, dass, wenn alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ein Anspruch auf Einbürgerung besteht. ({10}) In allen anderen EU-Ländern wird eine Ermessensentscheidung getroffen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. In manchen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, besteht noch nicht einmal die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, wenn die Ermessensentscheidung abschlägig ist. Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass eine Gegenseitigkeit noch nicht gegeben ist. Es muss unser Bestreben sein, zu dieser Gegenseitigkeit zu kommen. Dazu müssen bilaterale Verträge geschlossen werden und § 25 des Staatsangehörigkeitsrechts, der vorsieht, dass derjenige die deutsche Staatsangehörigkeit verliert, der eine fremde Staatsangehörigkeit annimmt, muss geändert werden. ({11}) Das alles ist bis jetzt noch nicht geschehen. Deswegen ist die Haltung von Bayern und Baden-Württemberg völlig korrekt und rechtens. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/762 und 15/362 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Statistiken reduzieren - Unternehmen entlasten - Bürokratie abbauen - Drucksache 15/752 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({0}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die FDP fünf Minuten Redezeit erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger, FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute erneut die Möglichkeit, über einen Antrag zum Bürokratieabbau zu debattieren. Dieser wird heute von der FDP-Bundestagsfraktion eingebracht. ({0}) Im Statistischen Bundesamt sind 2 800 Mitarbeiter beschäftigt, die jährlich circa 350 Bundesstatistiken erstellen. Dafür stellt der Bund ungefähr 500 Millionen Euro an Steuermitteln zur Verfügung. ({1}) Für jede einzelne Statistik gibt es darüber hinaus - auch das muss man wissen - eine eigene Rechtsgrundlage. Da kann ich nur sagen: Willkommen im Bürokratietollhaus Deutschland! ({2}) Deswegen hat die FDP-Bundestagsfraktion dieses Thema aufgegriffen. Wir haben, wie Sie wissen, auch eine Initiative dazu gestartet und eine Homepage unter www.wirmachenseinfacher.de eingerichtet. ({3}) Viele Bürgerinnen und Bürger haben uns hier in den letzten Wochen und Monaten Vorschläge unterbreitet. Eines der Themen, das immer wieder genannt wurde - das muss man zur Kenntnis nehmen -, war das Statistikunwesen in Deutschland. Es ist also vollkommen richtig, dass wir das Thema aufgegriffen haben, uns vorgenommen haben, mit diesem Antrag die Zahl der Statistiken zu reduzieren, und ({4}) die Bundesregierung aufgefordert haben, entsprechend tätig zu werden. ({5}) An Ihrer Stelle würde ich mich darüber nicht aufregen und ständig Zurufe machen; denn es ist kein unanständiges Anliegen. ({6}) Auch Ihr Minister Clement hat ganz klar gesagt, dass er Bürokratie abbauen will. ({7}) Er hat im vergangenen Jahr vollmundig angekündigt, dass er die Pflichten zum Abfassen statistischer Berichte überprüfen wolle und die Wirtschaft davon spürbar entlasten wolle. Es hieß, er wolle dazu ein Sofortprogramm vorlegen. Das Anliegen kann also gar nicht so unanständig sein, wenn Herr Clement das Gleiche will wie die FDP. Doch bei einem Sofortprogramm gehen wir davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen von RotGrün, dass es sofort ausgearbeitet wird. Bis jetzt haben Sie aber noch nichts vorgelegt. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, dem Deutschen Bundestag endlich eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten. ({8}) 62 jährliche und unterjährliche Erhebungen richten sich an die Unternehmen. Besonders für kleine und mittlere Unternehmen bedeuten statistische Erhebungen eine besondere Kostenbelastung. Die Aufstellungen von Monats-, Vierteljahres- und Jahresstatistiken werden von den Unternehmen, die zu diesen Auskünften verpflichtet sind, als sehr belastend empfunden. Gut jedes dritte Unternehmen empfindet die hieraus resultierende Belastung als hoch oder sehr hoch. ({9}) Insbesondere die mittleren Unternehmen fühlen sich in erster Linie durch die Pflichten zur Berichterstattung für die amtliche Statistik belastet. Allein bei den Lohnund Gehaltskosten werden vier Erhebungen durchgeführt. Das muss man sich einmal vorstellen! Dazu zählen die Kostenstrukturerhebung, die Verdiensterhebung, die Arbeitskostenerhebung und die Gehalts- und Lohnstrukturerhebung. Immer wieder kommt es dabei zu Doppelerhebungen. Häufig werden Daten abgefragt, die den Unternehmen gar nicht vorliegen und die sie mit sehr viel Aufwand ermitteln müssen. Wenn den Firmen dabei aber ein Fehler unterläuft und sie die gesetzlichen oder die von den Behörden gesetzten Fristen nicht einhalten, riskieren sie nach § 23 des Bundesstatistikgesetzes ein Bußgeld. Hier muss ich Ihnen sagen: Wir befinden uns in einer Situation, in der wir gerade die kleinen und mittleren Betriebe von dieser Vielzahl an Doppelerhebungen und teilweise auch unsinnigen Erhebungen entlasten müssen. Wir müssen ihnen Zeit zurückgeben, damit sie andere Dinge für ihre Betriebe tun können, die dringend notwendig sind. ({10}) Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: Die Bäcker erzählen mir, dass eine Erhebung vorgenommen wird. In dieser wird abgefragt, wie viel Öl für die Öfen und wie viel weißes und dunkles Mehl verbraucht und wie viele Brötchen und Brote damit gebacken werden. ({11}) - Genau, Herr Kuhn; es wird auch abgefragt, wie viele süße Teilchen und Kuchen damit gebacken werden. - Ich frage mich, wofür das alles abgefragt wird. Wenn das niemand erklären kann, dann - das muss ich Ihnen ganz klar sagen - sollten wir in der Politik gemeinsam agieren und dafür sorgen, dass das abgeschafft wird und die Unternehmen von einem solchen Unsinn entlastet werden. ({12}) Im Übrigen ist der Aufwand auch für die Behörden groß. Deswegen sagen wir ganz klar: Die Bundesregierung muss endlich aufhören, immer nur davon zu reden, dass sie hier etwas tun will. Sie muss endlich handeln. Sie muss Maßnahmen dafür ergreifen, dass Doppelerhebungen unter allen Umständen vermieden werden, und sie muss prüfen, ob Vollerhebungen zu Stichprobenerhebungen gemacht werden können. Außerdem sollte darauf geachtet werden, dass die Grenzen für unterjährige Berichtspflichten - unterhalb dieser sind die Unternehmen nicht berichtspflichtig - nicht abgeschafft, sondern angehoben werden. Wenn es der Bundesregierung mit dem Abbau von Bürokratie wirklich Ernst ist, dann muss sie schnell handeln. Clement ist im letzten Jahr als Tiger gestartet und zwischenzeitlich als Bettvorleger gelandet. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie die Chance wahr, die Sie durch den Antrag der FDP erhalten! Tun Sie das, was Sie genauso wie wir für richtig halten - jedenfalls erklären Sie das in der Presse -: Entlasten Sie die kleinen und mittleren Betriebe von Bürokratie! Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, SPD-Fraktion.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Statistik ist weder in der Politik noch in der Öffentlichkeit noch - das habe ich gerade von einem Kollegen gehört - im Studium an den Universitäten ein besonders beliebtes Thema. Vielen erscheint sie nur als eine kostspielige Erbsenzählerei auf Kosten der Steuerzahler und als ein Folterinstrument von Zahlenfetischisten und grauen Herren mit Ärmelschonern, die hinter noch graueren Schreibtischen sitzen. Noch viel schlimmer ist das durch viele Bonmots zum Ausdruck gebrachte und verbreitete Misstrauen bezüglich des Wahrheitsgehalts von Statistiken, so zum Beispiel in dem berühmten Churchill-Ausspruch, dass er nur an Statistiken glaubt, die er selbst gefälscht habe. Frau Kollegin, das Überraschende ist, dass Statistiken trotzdem sehr gefragt sind. Laut Johann Hahlen, dem Präsidenten des Statistischen Bundesamtes, hat besonders die Nachfrage aus der Wirtschaft und von Unternehmen nach Daten seines Amtes lawinenartig zugenommen. Das hat einen guten Grund: Trotz aller Vorurteile sind Statistiken ein Schlüsselinstrument für die Willensbildung in der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft; denn nur aufgrund einer zuverlässigen Datenbasis kann der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel erfasst und von Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlern in Wissenschaft, Unternehmen und Administration analysiert werden. Ohne zuverlässige Informationen können keine rationalen Entscheidungen getroffen werden. Das dürfen wir jetzt beim Finanzsystem und aufgrund einiger fürchterlicher Fehlentscheidungen auf den europäischen und internationalen Kapitalmärkten feststellen. Dies wissen Investmentgesellschaften, Banken, multinationale Ölkonzerne und Produzenten von Konsumgütern. Die ITBranche hat das für ihren Bereich auf die treffliche ForDr. Sigrid Skarpelis-Sperk mel gebracht: Garbage in, Garbage out. Auf Deutsch heißt das: Wenn ich mein System nur mit Informationsmist füttere, kann als Ergebnis auch nur Mist herauskommen. Nur die Politik in Deutschland hat das fast zwei Jahrzehnte unter Ihrer Amtszeit anders gesehen. Die deutsche Statistik ist in punkto Aktualität weit hinter die USA und leider auch deutlich hinter die EU-Partnerländer zurückgefallen. Als wir die Regierung übernommen haben, war es doch nachgerade peinlich, dass die Bundesbank und die Europäische Zentralbank von der deutschen Politik mit deutlichen Mahnungen eine Verbesserung der Datenbasis eingeklagt haben und die europäischen Finanzminister, der Ecofin-Rat, am 29. September 2000 einen Aktionsplan mit detaillierten Angaben beschließen mussten, welche Staaten in welchem Bereich nun endlich ihre Statistiken zu verbessern und anzupassen hätten. Seither gibt es vierteljährlich einen Bericht darüber, welche Staaten ihre Hausaufgaben gemacht haben und welche nicht. Dieser europäische Aktionsplan war und ist wichtig, weil eine genauere und innovative Erfassung und Analyse des rapiden gesellschaftlichen Wandels durch ein enges Zusammenwirken von unabhängiger Wissenschaft und unabhängiger Statistik die Politik zielgenauer machen. Nur so können die komplexen Wechselwirkungen zwischen Bevölkerungsentwicklung, Strukturänderungen der Wirtschaft, Ausbildungssystem, Beschäftigung und sozialer Sicherung richtig verstanden und aufbereitet werden, um darauf erfolgreiche Politik aufzubauen. So die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn. Fehlen nämlich zuverlässige Daten, so kommt es zu einer erheblichen Erhöhung der Unsicherheit. Das kann für alle, die Entscheidungen fällen müssen, sehr teuer werden. Die Enquete-Kommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ hat zum Beispiel in ihrem Schlussbericht im Juni 2002 parteiübergreifend und einstimmig, liebe Frau Kollegin, also mit Zustimmung der FDP-Vertreter, das unzureichende Datenmaterial bei der staatlichen Erfassung der Globalisierung beklagt: Die Enquete-Kommission hat ... immer wieder feststellen müssen, dass wichtige Daten zur Beurteilung von Globalisierungstatbeständen und -trends nicht in der notwendigen Form zur Verfügung standen. Zwar gibt es eine Fülle von statistischen Daten, die von vielen nationalen, internationalen und supranationalen Stellen veröffentlicht werden, aber allzu häufig sind sie nicht ausreichend aussagekräftig. … Für manche Fragen fehlen Daten völlig, andere Daten weisen Mängel in der Tiefengliederung auf. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass in einem demokratischen Staat eine allgemein zugängliche Informationsquelle wie die amtliche Statistik, die allen umsonst zur Verfügung steht, ein öffentliches Gut ist: ({0}) zuverlässig und grundsätzlich kostenlos für jeden Bürger, jedes Unternehmen und die Wissenschaft. Dessen Qualität und Zuverlässigkeit als Informationsinstrument sind für Politik, Wirtschaft, Verbände und jeden einzelnen Bürger zentral. Die britische Regierung hat deswegen in einem viel beachteten Grünbuch festgestellt, die amtliche Statistik sei „a matter of trust“, also eine Frage des Vertrauens. Damit dieses Vertrauen erhalten bleibt und das Datenangebot aktuell und zuverlässig ist, muss sich die amtliche Statistik in ihrem Angebot - jetzt kommen wir zum Kernpunkt - kontinuierlich an gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen anpassen. ({1}) Das haben Sie in Ihrer Regierungszeit versäumt, was Ihnen international bestätigt worden ist. ({2}) Es ist doch einfach blamabel, wenn einem Land wie Deutschland gesagt werden muss, es möge seine Hausaufgaben machen und bitte das Niveau von Portugal oder Griechenland anstreben. ({3}) Es ist doch absurd, wenn die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank anmahnen, die entsprechenden Daten zu liefern. Wir müssen die Fehler Ihrer Regierungszeit ausbügeln und uns dafür noch Vorwürfe anhören. ({4}) - Herr Schauerte, das gehört sich nicht. Sie haben in der Enquete-Kommission den Beschluss mitgetragen, aus dem ich Ihnen vorgelesen habe. Sprechen wir nun über die Belastungen. Wenn statistische Erhebungen gemacht werden, hat man zwei, sich zum Teil widersprechende Anforderungen unter einen Hut zu bringen. Die amtliche Statistik muss möglichst effizient sein und die Befragten möglichst gering belasten; darin sind wir alle einer Meinung. ({5}) Die Statistik muss sich zudem an den Bedürfnissen der Benutzer orientieren. Das ist nicht neu. Die rot-grüne Bundesregierung hat sich seit ihrer Amtsübernahme darum bemüht, die Statistik zu reformieren und den Anforderungen der Zeit anzupassen. Sie hat also jene Schritte, die in dem Antrag der FDP unter dem marktschreierischen Titel „Statistiken reduzieren - Unternehmen entlasten - Bürokratie abbauen“ gefordert werden, längst unternommen. ({6}) Was ist bisher auf Initiative der Bundesregierung erfolgt? Erstens. Sie hat längst - und zwar sofort nach ihrem Amtsantritt - grundsätzliche Überlegungen angestellt, wie die informationelle Infrastruktur in Deutschland verbessert werden kann. Dazu hatte die Forschungsministerin eine eigene Kommission eingerichtet, die ihren Bericht am 31. März 2001 übergeben hat. Zweitens. Zusätzlich hat im Juni 2002 der Statistische Beirat - das grundsätzlich berufene Gremium von Nutzern, Befragten und Produzenten der Bundesstatistik der Bundesregierung einen Bericht mit dem Titel „Empfehlungen zur Weiterentwicklung der amtlichen Statistik“ vorgelegt. In dem Bericht stellte der Beirat fest, dass bereits die Hälfte der 38 Empfehlungen aus dem Jahre 1999 umgesetzt war. Darunter fallen Maßnahmen zur rationelleren Gestaltung der statistischen Arbeit und Verbesserung der Rahmenbedingungen, zur Einschränkung und Einstellung bestehender Statistiken sowie Prüfaufträge zu Berichtssystemen. Sehr geehrte Frau Kollegin, dem Bericht zufolge ist alles, was Sie fordern, bereits umgesetzt worden. ({7}) Weitere 17 Empfehlungen waren noch in Bearbeitung. Alles zusammengenommen ist also weit mehr erfolgt, als mit den im FDP-Antrag erwähnten, in den vergangenen fünf Jahren abgeschafften neun Statistiken suggeriert wird. Frau Kollegin, Sie sind in der Statistik nicht auf der Höhe der Zeit! Nimmt man die Statistikbereinigungsgesetze des letzten Jahrzehnts, die Tests mit der bundeseinheitlichen Wirtschaftsnummer für Unternehmen, Betriebe und sonstige wirtschaftlich Tätige sowie das Kernprojekt „Vereinfachung der amtlichen Statistik“ aus dem im Februar 2003 von der Bundesregierung beschlossenen Masterplan Bürokratieabbau hinzu, so fragt man sich nach dem Sinn des von der FDP eingebrachten Antrags und der darin aufgelisteten Forderungen. ({8}) Viel wichtiger wäre es, sich auch in den Bundesländern gemeinsam mit uns für die Verabschiedung des Verwaltungsdatenverwendungsgesetzes - das ist ein schrecklich langer Name für ein Gesetz - einzusetzen. ({9}) Denn damit könnte ein gewaltiger Schritt zur Entlastung der Befragten - auch der kleinen und mittleren Unternehmen - erfolgen. Stattdessen gibt es ein dauerndes Hickhack mit den Bundesländern. Ich habe übrigens einen wunderschönen Brief aus dem Land BadenWürttemberg gelesen, in dem der zuständige Minister angeordnet hat: Diese Statistik darf nicht geändert werden; diese Änderung darf nicht vorgenommen werden und an dieser Stelle gibt es ein Problem. Die Bundesregierung ist insofern nicht an den Verzögerungen schuld. Das stelle ich nachdrücklich fest. Es gibt eine Fülle von Verzögerungen für die Reduzierung von Statistiken, für die Entlastung der Unternehmen und für den Bürokratieabbau generell, die nicht wir zu verantworten haben, sondern die in dem föderalen Hickhack begründet sind. ({10}) Mit diesem Verwaltungsdatenverwendungsgesetz sollte auch untersucht werden, ob sich Daten für Zwecke der Konjunkturstatistik eignen und ob dadurch Erhebungen ersetzt werden können. Außerdem ist geplant, die Handwerkszählung durch eine Auswertung des von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder geführten Statistikregisters zu ersetzen, um zum Beispiel rund 560 000 Handwerksunternehmen von dieser Totalbefragung zu entlasten. Des Weiteren ist noch die Vergabe einer Belastungsstudie im Gespräch. Diese ist bisher am Widerstand der Statistischen Landesämter gescheitert. Auch dafür ist der Bund nicht verantwortlich. Ich komme deswegen zu der Schlussfolgerung: Der Antrag der FDP geht an wesentlichen Problemen vorbei, ({11}) die bei der Erneuerung der Statistik in der kommenden Wissens- und Informationsgesellschaft auftreten. Die FDP vergisst, dass Wissen nicht eine Quantité négligeable ist, sondern zu einem Produktionsfaktor avanciert ist. In den Punkten, in denen der Antrag vernünftige Vorschläge enthält, sind diese nichts Neues und das meiste davon ist schon auf den Weg gebracht worden. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alexander Dobrindt. ({0})

Alexander Dobrindt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003516, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie am Wochenende alle wieder in ihren Wahlkreis gehen und mit den Bürgern und den Unternehmern reden, dann stellen Sie fest, dass neben der berechtigten allgemeinen Unzufriedenheit über diese Bundesregierung ein weiteres Thema immer wieder artikuliert wird, nämlich das Übermaß an bürokratischen Regelungen und im besonderen die Flut an statistischen Meldungen. Es geht dabei inzwischen um weit mehr als um die faktische Bewältigung dieser Statistiken, die immer auch mit finanziellen Belastungen verbunden sind. Nein, die statistische Auskunftspflicht in Deutschland hat sich zu einem psychologischen Problem entwickelt. Viele Betriebe sehen darin eine unzumutbare Gängelung durch den Staat, die die Unternehmen - ich spreche hier in erster Linie von den mittelständischen Unternehmen - Zeit und Geld kostet, was angesichts trüber Konjunkturprognosen oft sogar für den Fortbestand eines Betriebes entscheidend sein kann. Allein die Tatsache, dass sich der Deutsche Bundestag mit Bürokratieabbau und der Reduzierung von Statistiken beschäftigt, löst bei einer Reihe von Unternehmen reine Angstschweißreaktionen aus. Das muss uns auch nicht verwundern; denn in dem Maße, in dem wir zum wirtschaftlichen Schlusslicht in Europa geworden sind, haben wir uns zum Weltmeister der bürokratischen Hürden hochgearbeitet. Über 85 000 Gesetze, Verordnungen und Einzelvorschriften gibt es inzwischen in Deutschland. Diese Bundesregierung hat in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass es noch mehr und nicht weniger geworden sind. ({0}) Die Zahlen sprechen für sich: 400 neue Gesetze, 1 300 Rechtsverordnungen. Wenn man von der Einberufung einer weiteren Kommission spricht, dann schauen Sie sich einmal die Reaktion der Menschen an, die Sie erleben werden. Aber immerhin: Das Problem ist zum Teil erkannt worden und Minister Clement hat bei der Aussprache zur Regierungserklärung am 30. Oktober letzten Jahres verkündet: Wir müssen den Prozess der Überwindung von Überbürokratie in Deutschland wirklich mit neuen Ideen voranbringen. Der Wettbewerb der Ideen ist eröffnet. Wir von der Union haben inzwischen eine ganze Reihe von Ideen und zentralen Themen angesprochen, wie zum Beispiel die verstärkte Befristung von Gesetzen, die Einführung von Experimentier- und Öffnungsklauseln und die Einberufung eines Parlamentsausschusses, der die spezifische Aufgabe hat, ({1}) Bürokratieabschätzungen abzugeben und an den sich Bürger und Unternehmen wenden können, um auf nicht hinnehmbare bürokratische Gesetzesfolgen hinzuweisen. ({2}) Aber die Bürgerbeteiligung ist beim Thema Bürokratieabbau bei den Regierungsfraktionen gar nicht so erwünscht. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass in der letzten Version ihres Koalitionsvertrags genau dieses Thema herausgestrichen worden ist. In Bayern sind inzwischen Hunderte von Unternehmen und Bürgern dem Aufruf der Staatsregierung gefolgt und haben sich aktiv dem Thema Bürokratieabbau gewidmet. 700 Praxisvorschläge sind bisher erarbeitet worden. Das zentrale Ergebnis steht fest: In Deutschland gehen viel zu viele produktive Energien durch übermäßige Bürokratie verloren. ({3}) Das sind Energien, die wir dringend bräuchten, um die Wachstumskräfte in Deutschland wieder sprießen zu lassen. Bringen Sie doch endlich ein Bürokratiewucherabbaugesetz in den Bundestag ein. Das wäre der richtige Schritt. Das wäre ein entscheidender Beitrag, um die Arbeitslosigkeit von 4,6 Millionen Menschen zu bekämpfen. ({4}) Die Bundesregierung - ich komme schon zu Ihnen hat im letzten Jahr einen Masterplan für Bürokratieabbau versprochen. Inzwischen hat das Bundeskabinett Eckpunkte daraus verabschiedet. Auf der Internetseite des Innenministeriums lässt sich lesen, dass an dem umfassenden Sofortprogramm fünf Ministerien beteiligt sind. Anschließend ist zu lesen: Um Wachstum und Beschäftigung in Deutschland zu fördern, wird die Bundesregierung Bürokratie weiterhin konsequent abbauen. Solche Ankündigungen treiben dem Mittelstand und den Menschen in Deutschland, wie so oft während Ihrer Regierungszeit, den Angstschweiß ins Gesicht. Wenn Sie damit ausdrücken wollen, dass Sie so weitermachen wie bisher, dann scheinen Sie auch das Problem nicht wirklich verstanden zu haben. Wenn Sie Wachstum und Beschäftigung in Deutschland fördern wollen, dann ergreifen Sie endlich die notwendigen Maßnahmen. Heben Sie das Kündigungsschutzgesetz für Neueinstellungen bei Betrieben mit unter 20 Beschäftigten auf, lassen Sie die betrieblichen Bündnisse für Arbeit zu, stellen Sie die Kleinbetriebe von statistischen Auskunftspflichten weitgehend frei. Ich kann auch aus persönlichen Erfahrungen berichten. Vier Statistiken müssen parallel in meinem Unternehmen erfasst werden. Wenn man an geeigneter Stelle kritische Anmerkungen dazu macht, dann bekommt man die Antwort zu hören, dass man froh sein müsse, dass es nicht noch mehr seien. Wenn auch noch ein kleiner Fehler vorhanden ist, dann wird man aufgefordert, das beim nächsten Mal gefälligst richtig zu machen. So geht man mit Menschen bei uns um, die Arbeitsplätze schaffen und für Beschäftigung sorgen. ({5}) Derjenige, der Bürokratie schafft, muss sie auch wieder abbauen. Deswegen sind Sie aufgefordert, hier endlich tätig zu werden. Wie sieht es denn mit dem Zeitplan für den Masterplan Bürokratieabbau aus? Am 26. Februar dieses Jahres war der Beginn des Sofortprogramms. Es wurde anschließend eine entsprechende Geschäftsstelle im Innenministerium eingerichtet. Am 1. April dieses Jahres sind angeblich - darüber hätte ich heute gerne etwas gehört - mindestens drei Vorhaben zum Bürokratieabbau je Ressort genannt worden. Anschließend fand die erste Sitzung des Staatssekretärausschusses statt. Wir hätten auch hier gerne etwas darüber gehört, was das ist und was dieser Ausschuss tut. Das Ergebnis scheint eher dürftig zu sein. Die Belastungen des Mittelstandes mit Vorschriften - angefangen mit Brüssel bis hin zu den Kommunen lassen den Firmen immer weniger Luft zum Atmen. Alle 15 Minuten geht in der Bundesrepublik Deutschland ein Unternehmen in die Insolvenz. Wenn Sie nicht endlich die dringendsten Maßnahmen ergreifen, wird der Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, zusammenbrechen. ({6}) Ich darf abschließend nochmals Wirtschaftsminister Clement zitieren. Er hat am 30. Oktober letzten Jahres gesagt: „Was geht, ist eine deutliche Reduzierung statistischer Meldungen.“ Legen Sie los. Wir werden Sie daran nicht hindern. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fritz Kuhn.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den FDP-Antrag liest - um an die Ausführungen meines Vorredners anzuknüpfen -, dann stellt man fest, dass es dort um etwas anderes geht als das, wovon Sie, lieber Kollege, gesprochen haben. Es geht um das Statistikwesen in Deutschland und dessen Auswirkungen auf die Wirtschaftsbetriebe. Ihre Rede wäre vor drei Wochen angemessen gewesen; denn damals ging es generell um Bürokratieabbau. Aber das schadet ja nichts. Vielleicht haben Sie Ihre damalige Rede recycelt. Ich halte es für nicht zielführend, wenn die Opposition ständig sagt, wir machten alles falsch, während die Regierung das Gegenteil behauptet. Bei nüchterner Betrachtung stellt man fest, dass es um einen klassischen Zielkonflikt geht. Wir, die Politiker, sowie viele Unternehmer und Vertreter der Unternehmensverbände wollen qualifiziertes Datenmaterial zur Begleitung und Beurteilung dessen, was wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch richtig ist. Wir brauchen verlässliche Konjunkturdaten; deshalb ist es schlecht, wenn es statistische Fehlerquellen gibt oder wenn die Daten unzureichend sind. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite nervt es viele Betriebe in Deutschland - es geht um eine beträchtliche Zahl -, wenn sie regelmäßig Fragen beantworten und bei Fehlern mit den von Ihnen geschilderten Sanktionen rechnen müssen. Zum Teil sind die Fragen schwer zu beantworten. Man weiß ja aus eigener Lebenserfahrung, dass es einen ärgert, wenn einem eine Frage gestellt wird, die man nicht beantworten kann. Außerdem entstehen den Betrieben aufgrund der statistischen Erhebungen Kosten und Zeitverluste. Das ist der Zielkonflikt. Nun versucht die Regierung - ein entsprechender Gesetzentwurf liegt bereits auf dem Tisch; über ihn wird noch im Ausschuss beraten werden -, ein anderes Verfahren zu finden, in dessen Rahmen weniger Primärdaten und mehr Sekundärdaten, so genannte Verwaltungsdaten, erhoben werden, sodass man qualifizierte Informationen für die Konjunkturstatistiken hat und die Wirtschaft weniger nerven muss. Wir machen das auch. Das einzige Problem ist jetzt noch die Auseinandersetzung mit den Ländern über die Kostenverteilung. Diese wird noch einmal überprüft und gemeinsam mit den Ländern geklärt. So ist es und so wird es gemacht. Punkt. ({0}) Zum Abschluss möchte ich noch etwas an die Adresse der FDP sagen. Wenn man eine schlechte Strategie gewählt hat - ich war zwölf Jahre lang Vorsitzender einer Oppositionsfraktion; deswegen verstehe ich etwas von dem Geschäft -, dann ist man leicht versucht, folgendermaßen vorzugehen: Man schaut, was die Regierung ohnehin schon macht, stellt dann schnell einen Antrag und sagt, es müsse endlich etwas geschehen. Das ist eine Beschäftigungstherapie, mit der Sie öffentlich Eindruck machen wollen. Das ist aber nur hohler Wind und bringt in der Sache überhaupt nichts. ({1}) So verhält es sich auch mit Ihrem Antrag. Alle, die etwas davon verstehen, wissen, dass sich die Regierung dieses Themas angenommen hat und es längst vielfältige Gespräche zwischen Bundes- und Landesstatistikern gibt. Aber Sie tun so, als hätten Sie alles neu erfunden, und stellen einen Antrag. Da Sie offenbar so viel Zeit haben, Frau Homburger, kann ich das ja verstehen. Ich kann aber nicht verstehen, warum Sie das ganze Haus mit solchen überflüssigen Anträgen aufhalten. Diese Frage ist bisher nicht beantwortet. Danke schön. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Schauerte. ({0})

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kuhn, wie unnütz hier die Zeit verbracht wird, hängt von jedem Debattenredner selbst ab. Sie hätten aus Ihrer Redezeit etwas machen können. ({0}) Ich bin für jede Gelegenheit dankbar, über dieses wichtige, aber auch ärgerliche Thema zu sprechen. Dabei gibt es für mich keine erste und zweite Vaterschaft. Wir alle wissen, dass es im Hinblick auf die Statistiken wie auf die Bürokratie insgesamt ein dickes Problem gibt. Ich erinnere nur daran, dass der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung den Bürokratieabbau zu einem seiner zentralen Anliegen gemacht hat. Das Ergebnis war das Gegenteil. Ich füge hinzu: mea culpa; auch in unserer Regierungszeit ist der Bürokratieabbau überhaupt nicht ausreichend gelungen. Niemand von uns hat Veranlassung, zufrieden zu sein. Aber das Problem ist eher größer als kleiner geworden. Ich verdeutliche dies an wenigen Zahlen, damit man ein Gefühl für dieses Problem bekommt: In der 8. Wahlperiode wurden 237 Gesetze verabschiedet, in der 9. Wahlperiode 97, in der 10. Wahlperiode 256, in der 11. Wahlperiode 293. Dann kam die Wiedervereinigung mit dem unvermeidlich hohen Anpassungsbedarf. In der 12. Wahlperiode schnellte die Zahl auf 460 hoch, in der 13. Wahlperiode sank die Zahl wieder auf 400. Dann kam Ihre erste Regierungsperiode, in der Sie die Zahl der Gesetze auf den absoluten Spitzenwert von 489 erhöhten. ({1}) Es ist aber nicht nur die Zahl der Gesetze, sondern es sind auch die damit einhergehenden Belastungen gestiegen, obwohl wir alle davon reden, dass hier eine Reduzierung notwendig ist. Das kann uns nicht zufrieden stellen. ({2}) Daher haben wir auch ein paar Probleme damit, jetzt Ihren Ankündigungen Glauben zu schenken. Unsere besten Wünsche, Hoffnungen und Gebete begleiten Sie. Wir möchten, dass auf diesem Gebiet etwas passiert. Im Moment stellen Sie auf Bundesebene die Regierung. ({3}) - Ja, das wird nicht mehr lange dauern. - Sie sind gegenüber der europäischen Ebene sprachfähig, was bei diesem Thema nicht zu unterschätzen ist. Hier sind wir als Opposition fast einflusslos; wir können kaum etwas gestalten. Aber wir haben eine Mitverantwortung in den Ländern. Hier könnte doch eine große Koalition zum wirksamen Abbau der Bürokratie zustande kommen. Wer hindert uns denn daran, dieses Thema wirklich ernst zu nehmen? Dass die Bürokratie eine unerträgliche Belastung darstellt, die sich auf vieles wie Mehltau legt, dass wir bei jeder Angstsituation in Deutschland einen unglaublichen zusätzlichen Wust an neuer Bürokratie produzieren, ohne irgendwo etwas wegzunehmen, kann uns doch nicht zufrieden machen. Wenn wir nur einmal nachvollziehen, was bei irgendwelchen Lebensmittelskandalen - ich denke hier nur an die BSE-Krise - und Gesundheitsproblemen an neuer Bürokratie entsteht und was wir in der Finanzwirtschaft an neuen Bürokratien aufbauen, wenn es eine große Pleite im Land gibt - das reicht bis hin zu Basel II und den damit zusammenhängenden Konsequenzen -, dann können wir uns doch nicht gemütlich zurücklehnen. Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, zu fragen, wie man überhaupt einen solchen Antrag stellen könne. Sie hätten den Antrag stellen können, wir hätten ihn stellen können, die FDP hat ihn stellen können. Wir müssen das Thema ernst nehmen. ({4}) - Nein, es fehlt noch der nötige Nachdruck. Ich schildere Ihnen ein paar Ansätze, die heute noch fehlen. Die CDC/CSU-Fraktion hat ein Programm mit dem Titel „Bürokratie abbauen - nicht reden, handeln und den mutigen Wurf wagen“ verabschiedet. In ihm geht es darum, geltende Vorschriften auf den Prüfstand zu stellen. In Zukunft muss geregelt sein, dass man für jede neue Vorschrift die Abschaffung zweier Vorschriften vorschlägt. Dies führt zu einem hohen Disziplinierungserfolg bei jedem, der ein neues Gesetz will. ({5}) - Wir können auch drei nehmen, wenn Ihnen das zu wenig ist. Ich will nur, dass wir an dieser Stelle irgendetwas machen. ({6}) Ich nenne Ihnen noch eine willkürliche Zahl: Wir wollen, dass alle Verordnungen, die vor dem 1. Januar 1980 erlassen wurden, zum 31. Dezember 2004 ersatzlos außer Kraft treten. Wissen Sie was? Würde man so verfahren, würde in Deutschland nichts passieren. Sie müssten schon beweisen, dass das Gegenteil der Fall ist. Beispielsweise hat das Saarland in diesem Bereich wirklich große Erfolge erzielt. Die neue Regierung von Ministerpräsident Müller hat dieses Problem angepackt und ist bisher weitergekommen, als man gedacht hat. Schicken Sie Ihre Mitarbeiter einmal dorthin, um sich das anzuschauen! Warum macht man auf der Bundesebene nicht etwas Ähnliches? Verfallsautomatismus: Alle Verwaltungsvorschriften sind künftig fünf Jahre nach ihrem In-Kraft-Treten daraufhin zu überprüfen, ob sie weiterhin Bestand haben sollen. Wir müssen entsprechende Selbstbindungen des Parlaments, des Gesetzgebers beschließen, damit auf diesem Gebiet wirklich einmal etwas passiert. ({7}) Wir sind zu bequem, wir lassen die Dinge laufen und wundern uns dann. Stichwort Genehmigungsverfahren: Was passiert beim Richterrecht? Um dort zu fundamentalen Änderungen zu kommen, müssen wir gemeinsam einen Ansatz verfolgen. Vernünftige Menschen dürften darüber eigentlich keinen ideologischen Streit führen. Anders verhält es sich, wenn man sagt: Dieser Staat ist neugierig; dieser Staat will immer mehr wissen; dieser Staat will immer mehr planen. Das war der Ansatz von Frau Skarpelis-Sperk, die im Grunde genommen die Auffassung vertreten hat, wir brauchten von allem mehr, bis zur Regierungsübernahme von Rot-Grün habe es zu wenig gegeben. Das war ihr Vorwurf, ein ganz interessanter Beitrag zum Thema Entbürokratisierung. Dann haben Sie ausgerechnet Griechenland als Beispiel genannt. Sie möchten nicht, dass zu diesem Land ein Vergleich gezogen wird, was ich bei Ihnen persönlich gar nicht verstehe. Das ist doch in Ordnung, es ist keine Diskriminierung anderer Länder! Wir können heute feststellen, dass diejenigen Länder, die weniger Bürokratie haben, arbeitsmarktpolitisch, wirtschaftspolitisch und wachstumsmäßig erfolgreicher als diejenigen sind, die viel Bürokratie haben. ({8}) Gerade deswegen sollten wir uns mit diesen Ländern einmal vergleichen und uns die Fragen stellen: Warum funktioniert es denn da und warum ist es bei uns so kompliziert? Ich will das nicht vertiefen. Uns in der Union wäre sehr lieb, wenn diese kleine Debatte dazu beitragen würde, dass wir anfangen, dieses Thema wirklich ernst zu nehmen. Wir haben bei keinem Thema in der Vergangenheit so viel gelogen wie bei dem des Bürokratieabbaus. Wir alle haben darüber geredet; aber wir alle sind die Lösung dieses Problems nicht wirklich konsequent angegangen und wir alle haben nicht mutig in die Strukturen eingegriffen, weil wir Politiker uns diesbezüglich fast ohnmächtig fühlten. Ich möchte nicht, dass das so weitergeht. Ich will, dass wir gemeinsam mit den Beamtenapparaten diesen Moloch ausdünnen, um die Bürokratie schlanker, effektiver und beherrschbarer zu machen. Fangen Sie damit an! Unsere Gebete, unsere Hoffnungen und unsere besten Wünsche begleiten Sie. Wir werden Sie nicht stören. Aber seien Sie einmal ein bisschen mutig! Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/752 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung auch so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Klaus Brandner, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Volker Beck ({0}), Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Nutzung von Geoinformationen in Deutschland voranbringen - Drucksache 15/809 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann verfahren wir auch so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Margrit Wetzel.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich vor, dass Sie am PC sitzen und „Datenservice“ anklicken. Die Frage „Nutzungsbedingungen akzeptieren?“ beantworten Sie mit Ja und es erscheint eine Karte „Bund, Länder, Regionen“. Per Mausklick kommen Sie immer tiefer in den Datensatz, bis Sie schließlich auf einer Karte Ihre Stadt, Ihren Landkreis oder Ihr Dorf sehen. Die Menüleiste bietet Ihnen wichtige Themenfelder an, offene Stellen auf dem Arbeitsmarkt, wichtige Daten aus der Land- und Forstwirtschaft, Klimadaten, Wetterdaten, Umweltdaten, Raumplanungsdaten, Verkehrsdaten, Navigationsdaten und Bodennutzungsdaten. Bund, Länder und Kommunen speisen tagesaktuell qualitätsgesicherte Daten ins Netz ein und Sie haben den Zugriff auf alle Daten, die Ihr Herz begehrt, und zwar als Überlagerung topographischer Karten anschaulich dargestellt. Habe ich damit bei Ihnen als Nutzer oder als Verbraucher Wünsche geweckt? Leider sind wir noch nicht so weit - leider. Glauben Sie, dass unsere moderne IT-Gesellschaft ohne diese Entwicklung auskommt? Wissen Sie, wie viele kleine und mittlere Unternehmen nur darauf warten, all die Techniken und Dienstleistungspakete rund um diesen Zukunftsmarkt zu entwickeln, und wie viele Arbeitsplätze damit geschaffen werden können? Wissen Sie, dass viele potenzielle Anbieter von Daten kaum über die Wünsche der Nutzer informiert sind und dass viele potenzielle Nutzer viel zu wenig darüber wissen, woher sie die benötigten Daten erhalten können? Der Umsatz der Geoinformationswirtschaft in Deutschland liegt unter 100 Millionen Euro, aber das zukünftig bei uns zu erschließende Marktpotenzial wird auf fast 7 Milliarden Euro geschätzt. Es lohnt also, sich mit diesem wichtigen Zukunftsmarkt zu befassen. Das haben wir als Parlament vor zwei Jahren das erste Mal getan, um die Aktivitäten der Bundesregierung und des von ihr eingesetzten Interministeriellen Ausschusses für Geoinformationswesen - kurz „IMAGI“ genannt - zu begleiten und zu unterstützen. Was alles inzwischen an Fortschritt und Verbesserung erreicht wurde, kann Staatssekretär Körper für das BMI viel authentischer vermitteln. Deshalb bleibt mir an dieser Stelle nur, einen überzeugten und ganz herzlichen Dank an all jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu richten, die in den Ministerien und Behörden so engagiert und motiviert und auch nachdrücklich an diesem Thema arbeiten. Sie haben es verdient, dass ihr Einsatz von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir als Koalitionsfraktionen wollen mit der heutigen Debatte auch zum Ausdruck bringen, dass wir das in höchstem Maß würdigen. ({0}) - Danke für die Unterstützung. Sie gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien. Nun zum Blick nach vorn; denn wir als Parlament wollen ja unterstützen. Bund, Länder und Kommunen sind die größten Halter und Erheber unterschiedlichster Geodaten. Nutzer oder Anwender orientieren sich aber weder an Ländergrenzen noch am föderalen System oder an der kommunalen Selbstverwaltung. Nutzer erwarten Transparenz, schnellen, einfachen und preiswerten Zugang zu allen Daten, die zudem kompatibel, miteinander verknüpfbar und für vielseitige Nutzungen verfügbar sein sollen. Weil wir immer wieder feststellen, dass das leider noch nicht umfassend möglich ist, sondern insbesondere die unterschiedlichen Zuständigkeiten zu Stolpersteinen werden, bitten wir die Bundesregierung, uns einen Bericht darüber zu geben, welche Probleme bei der Koordination des Geoinformationsmarkts auf Bundesund Länderebene noch bestehen. Wir wollen Transparenz und einfache Weitergabe von Daten möglich machen. Das Informationsfreiheitsgesetz, das wir so bald wie möglich in den Bundestag einbringen wollen, aber auch E-Pricing-Modelle mit einheitlichen Abgaberegelungen sollen die Eintrittsbarrieren beim Geoinformationsmarkt senken. Möglicherweise kann es über das Internet sogar zu einer unentgeltlichen Grundversorgung mit Geodaten kommen; das wollen wir zumindest gern geprüft wissen. Sicherlich besteht auch Konsens darüber, dass in das Notfallvorsorgeinformationssystem, dessen Geofachdaten überwiegend von den Ländern erfasst werden, alle notwendigen und wichtigen Daten einfach und schnell eingebracht werden und sowohl Bundes- als auch Länderbehörden zur Verfügung stehen müssen. Wir nehmen die Aktivitäten auf der Arbeitsebene von Bund und Ländern, die die Entwicklung des Geodatenmarkts voranbringen, mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis und bitten deshalb die Bundesregierung, diese Bemühungen durch die Einladung der Länder zu einer strategischen GDI-Deutschland-Konferenz zu unterstützen. Die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft - das hat auch die vom Bundeswirtschaftsminister in Auftrag gegebene Studie gezeigt - kann intensiviert werden und Nutzen für alle Beteiligten bringen. Dies sollte zum einen durch Public Private Partnership geschehen, in der sich Kreativität, Flexibilität und Marktnähe der kleinen und mittleren Unternehmen voll entfalten können. Zum anderen wird - davon gehen wir aus - der wechselseitige Austausch des IMAGI mit der Wirtschaft in einem Kuratorium neue Impulse und Transparenz für beide Seiten bringen und dazu führen, dass Angebot, Nachfrage und Entwicklung des Geoinformationsmarkts noch besser an den Bedürfnissen der Anwender und den Möglichkeiten der Anbieter ausgerichtet werden. Die Benennung eines Government-to-Business-Moderators als zentralen Ansprechpartner des Bundes für Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, der auch die nationalen Interessen Deutschlands in der Geoinformationswirtschaft vertritt, halten wir für hilfreich. In diesem Zusammenhang kann ich nur nachdrücklich auf die hervorragenden Erfahrungen verweisen, die wir beim Bundeswirtschaftsministerium gerade mit dem maritimen Koordinator gemacht haben. Dies kann ein Beispiel dafür sein, wie auch im Geoinformationsmarkt eine optimale Zusammenarbeit zwischen Behörden und der Wirtschaft erfolgen kann. Deshalb bitte ich das Haus ganz herzlich um Zustimmung zu unserem Antrag. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Vera Dominke.

Vera Dominke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003518, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit gestern liegt uns der Antrag von Rot-Grün „Nutzung von Geoinformationen in Deutschland voranbringen“ auf dem Tisch. Ein hehres Ziel, ein Ziel, dem auch wir uns verpflichtet fühlen, ein Ziel, dessen parlamentarische Behandlung die Fraktion der CDU/CSU in der letzten Legislaturperiode vor drei Jahren mit ihrer Großen Anfrage „Nutzung der Geoinformationen in Deutschland“ angeschoben hat. Worum geht es dabei? Geoinformationen sind ortsund raumbezogene Daten, die heute auf allen Ebenen, in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, und in unser aller täglichem Leben von Bedeutung sind: ob Radwanderkarte oder Raumplanung, ob Navigationssystem im PKW oder Landesverteidigung, ob Naturschutz oder Hochwasserkatastrophe - in nahezu allen Bereichen basieren die entscheidenden Daten und Systeme auf Geoinformationen. In der Geoinformation steckt ein gewaltiges wirtschaftliches Potenzial, das darauf wartet, in Deutschland stärker als bisher aktiviert zu werden. Vor zwei Jahren hatte die CDU/CSU-Fraktion einen Entschließungsantrag eingebracht, der konkrete und zielführende Maßnahmen hierzu beinhaltete. Rot-Grün verhinderte die Verabschiedung dieses Antrages. ({0}) Der Parlamentarische Staatssekretär Körper sprach damals mit großen Worten davon, wofür die Bundesregierung alles sorgen werde. ({1}) Heute, gerade einmal zwei Jahre später, scheint urplötzlich die Untätigkeit der Bundesregierung so dramatisch geworden zu sein, dass sich die Koalitionsfraktionen genötigt sehen, in nur zwei Tagen einen Eilantrag durchzupeitschen, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, tätig zu werden. ({2}) Das tut auch Not. Wurde vor zwei Jahren von Rot-Grün noch begrüßt, dass der IMAGI die Konzeption eines effizienten Geodatenmanagements des Bundes erarbeitet habe und gegenwärtig mit dessen Umsetzung befasst sei, wird in dem heute vorliegenden Antrag als deutlicher Fortschritt festgestellt, dass der IMAGI die bereits existierende Konzeption für das Datenmanagement zu einer Konzeption der Dateninfrastruktur weiterentwickelt und eine Strategie für die Umsetzung beschlossen hat. Von der vor zwei Jahren bevorstehenden tatsächlichen Umsetzung ist heute nicht mehr die Rede. Um zu allen Positionen dieses Antrages etwas zu sagen, reicht die Redezeit leider nicht aus. Aber auf einige Punkte will ich hier doch noch kurz hinweisen: An mehreren Stellen dieses Antrages schimmert durch, dass an der Länderkompetenz für das amtliche Vermessungswesen gerüttelt werden soll. Das ist mit uns nicht zu machen. ({3}) Die Forderung nach Einsetzung eines Kuratoriums, um die Wirtschaft stärker einzubeziehen, erscheint äußerst unausgegoren. Was soll ein solches Kuratorium tun? Wer soll ihm angehören? Welche Kompetenzen sind ihm zugedacht? Sinnvoller wäre es zum Beispiel, den IMAGI zu einer Arbeitsgruppe umzugestalten, in die Wissenschaft, Wirtschaft und, viel stärker als bisher, die Länder integriert werden, statt eine zusätzliche dritte Institution einzurichten. ({4}) Statt die Benennung eines G2B-Moderators zu fordern, wie es im Antrag steht - wer weiß schon, was das ist? -, sollte besser die Forderung, die auch der Dachverband DDGI stellt, nach einem hochrangigen Beauftragten umgesetzt werden. ({5}) - Das steht im Antrag noch nicht drin. Was ist mit der „partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit KMU im Bereich des Vertriebsstrukturenaufbaus“ gemeint? Was steckt in Wirklichkeit dahinter? Schließlich ein letztes Beispiel für die Unausgegorenheit dieses Antrages. Im Forderungskatalog für die Bundesregierung erscheint die baldige Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes. Meine Damen und Herren, seit wann verabschiedet die Bundesregierung Gesetze? Das fällt noch immer in die Kompetenz dieses Hauses. ({6}) Es liegt auf der Hand, dass dieser Antrag in keiner Weise beschlussreif ist. Er bedarf der gründlichen Beratung im Fachausschuss. Das Thema ist viel zu wichtig und zu bedeutsam, um es in einer Hopplahopp-Aktion durchzupeitschen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite des Hauses, warum eigentlich diese Eile? Was treibt Sie zu solcher Hektik? Warum fürchten Sie die Diskussion im Ausschuss? Honi soit qui mal y pense. Wir beantragen Ausschussüberweisung, um im Fachausschuss mit der gebotenen Gründlichkeit eine runde Sache zu erarbeiten, die die Geoinformationen in Deutschland wirklich vorwärts bringt. In seiner jetzigen Form können wir dem Antrag nicht zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Frau Kollegin Dominke, wir gratulieren Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede. ({0}) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Josef Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Geoinformationen stellen eine wichtige Datenbasis dar. Sie machen Planungen zielgenau und effektiv. Rot-Grün hat die Bedeutung der Geoinformationen stets erkannt und ernst genommen. Dafür, Frau Dominke, braucht es nicht die Aufforderung der Union. Ihre Ablehnung auch einzelner wichtiger Punkte dieses Antrags zeigt wiederum, dass Sie es mit dem Ausbau der Nutzung von Geoinformationen nicht sehr ernst meinen. Rot-Grün hingegen hat die Möglichkeiten der Erfassung von Geoinformationen stetig ausgeweitet. Vor allem in der Forschungsförderung wurde darauf Wert gelegt. Ich erinnere nur an den Ausbau der Satellitenbeobachtung, zum Beispiel über Envisat, oder auch die kontinuierliche Verdichtung von Messstationen, beispielsweise bei der Erfassung von Umweltdaten. In den verschiedensten Bereichen liefern Geoinformationen die entscheidende Planungsbasis. Dazu gehören so wichtige Felder wie der Hochwasserschutz und die Hochwasserwarnung, Waldschadensüberwachung, Gewässergüte, Luftreinhaltung oder andere Umweltschutzdaten, zum Beispiel auch für die Klimaforschung. Besonders bedeutsam sind Geoinformationen neben dem Umweltschutz aber auch für Planungen in der Landwirtschaft, für den Verkehr, in der Raumordnung und für vieles mehr. Aufgrund der heutigen, umfassend ausgeweiteten Möglichkeiten liegen eine Fülle von Daten vor, die aufgearbeitet und zur Verfügung gestellt werden müssen. Sie bieten eine hervorragende Basis für eine wirtschaftliche Nutzung mit der Option neuer Wertschöpfung und der Schaffung neuer qualifizierter Arbeitsplätze sowie innovativer Produkte. Zurzeit können längst nicht alle Geoinformationen genutzt werden. Aber in den letzten Jahren wurden die Verarbeitungs- und Nutzungsmöglichkeiten vor allem durch die Arbeit des Interministeriellen Ausschusses für Geoinformationswesen Zug um Zug verbessert. Diese Erfolge gilt es auszuweiten. Im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen werden dazu entsprechende Vorschläge gemacht. Sie dienen zur Unterstützung und Vertiefung der bisherigen Arbeit der Bundesregierung. Eine wichtige Aufgabe wird es sein, die Koordinierung des Geoinformationswesens auf Bundes- und Länderebene zu verstärken. Auch die unentgeltliche Grundversorgung mit Geodaten, zum Beispiel über das Internet, sollte deutlich ausgeweitet und verbessert werden. Die zügige Verabschiedung eines Informationsfreiheitsgesetzes wird weitere Möglichkeiten bieten. Aus der Sicht von Bündnis 90/Die Grünen hat der weitere Ausbau des deutschen Notfallvorsorge-Informationssystems eine besondere Bedeutung. Gerade die Hochwasserkatastrophen der letzten Monate zeigen, dass weitere Verbesserungen notwendig sind. Informationslücken gab es zum Beispiel beim fränkischen Hochwasser im Januar dieses Jahres. Verbesserungen lassen sich mit dem Ausbau der Datenerfassung, der Datenverarbeitung und der Datenauswertung schaffen. Eine verbesserte Datenlage zur Hochwasserwarnung hilft aktuelle Schäden vermeiden und ergibt zudem Erkenntnisse für einen verbesserten Hochwasserschutz. Damit das wirtschaftliche Potenzial von Geoinformationen wirklich genutzt werden kann, ist eine verstärkte Kooperation mit der Wirtschaft anzustreben. Vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, kostengünstig und unbürokratisch auf die für sie interessanten Geoinformationen zurückgreifen zu können. In dem von Rot-Grün heute vorgelegten Antrag zur Nutzung von Geoinformationen werden umfassende und detaillierte Vorschläge gemacht, um eine verstärkte Nutzung zu ermöglichen. Die Umsetzung dieser Vorschläge wird einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Notfallvorsorge und der Umweltbeobachtung, zur Umweltverbesserung sowie zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen mithilfe gezielter Planungen für Infrastrukturmaßnahmen oder von neuen Produkten und Dienstleistungen leisten. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Union, es mit dem Ausbau des Geoinformationssystems ernst meinen, dann können Sie unserem Antrag nur zustimmen; denn er wird weitere Verbesserungen ermöglichen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag enthält eine Reihe von richtigen und sinnvollen Aussagen und Forderungen, ({0}) denen natürlich auch die FDP zustimmen kann, zumal wir in der Vergangenheit eine ganze Reihe von entsprechenden Anträgen zu diesem Thema gestellt haben, die von Ihnen - so ähnlich konnte es Frau Dominke bei Anträgen der CDU/CSU-Fraktion erleben - natürlich global abgelehnt wurden. Frau Dr. Wetzel, ich schätze Ihr Engagement auf diesem Gebiet. Wir wollen alle gemeinsam zum Erfolg kommen. Aber mich stört das Déjà-vu-Erlebnis in dieser Angelegenheit: Bereits im Februar 2001 haben die Koalitionsfraktionen die Einrichtung des Interministeriellen Ausschusses für Geoinformationswesen begrüßt und eine bessere Koordinierung des Geoinformationswesens in Deutschland gefordert. Diese Forderung kommt im Punkt a Ihres Antrags erneut vor. Verbesserung der Anwenderfreundlichkeit und Erleichterung des Zugangs haben Sie schon vor zwei Jahren gefordert. Diese Forderung findet sich im Punkt b Ihres Antrags. Auch gegen den Ausbau des deutschen Notfallvorsorge-Informationssystems - das ist der Punkt c - haben wir inhaltlich nichts zu sagen. Aber angesichts der Hochwasserkatastrophen, die wir vor einigen Monaten erlebten, ist wohl klar, dass es wesentlich besser gewesen wäre, wenn gerade an dieser Stelle alles ein wenig schneller gegangen wäre. ({1}) Unter Punkt d Ihres Antrages wird die Einberufung einer Bund-Länder-Konferenz und unter Punkt e eine bessere Einbeziehung der Wirtschaft gefordert. Das ist zwar interessant, aber nicht gerade neu.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Flach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reichenbach?

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Gerold Reichenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003615, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, haben Sie zur Kenntnis genommen, dass das System schon seit geraumer Zeit im Netz ist und dass das Problem eher darin liegt, dass die Plattform nicht ausreichend von denen genutzt wird, die die Daten zur Verfügung stellen müssten, nämlich von denen, denen nach dem Grundgesetz der Katastrophenschutz obliegt?

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege, selbstverständlich nehme ich das zur Kenntnis; ich habe kein Problem damit. Für mich ist aber entscheidend, dass im Parlament offensichtlich immer wieder routinemäßig Forderungen erhoben werden, die aber in der Praxis - das sage ich in Richtung von Herrn Körper - nicht umgesetzt werden, sodass wir uns ständig mit den gleichen Themen befassen müssen. ({0}) Wir von der FDP wollen, dass die Vorschläge umgesetzt werden, damit die Menschen einen Nutzen von diesem System haben. Genau das passiert offensichtlich nicht. Ich könnte Ihnen vorlesen, was Sie uns nunmehr zum dritten Mal in diesem Parlament vorlegen, ohne dass sich etwas bewegt. ({1}) Die Verbesserung der Nutzbarkeit für die Wirtschaft haben Sie vor zwei Jahren gefordert. Neu ist die Forde3330 rung nach der Gründung von drei zusätzlichen Gremien; Sie wollen nämlich ein Kuratorium für IMAGI, einen G2B-Moderator und die Einrichtung zentraler Vertriebsstellen in den Fachbehörden des Bundes. Da zahlreiche Gremien bereits neu gegründet wurden - das ist das Einzige, was in den letzten Jahren gelaufen ist -, frage ich mich, was diese Forderung zur Vereinfachung und zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit beitragen soll. Ich halte dies aus Sicht der FDP eher für einen GremienGAU als für eine Verbesserung der Situation. ({2}) Nach dieser kurzen Zusammenfassung der im vorliegenden Antrag gestellten Forderungen frage ich Sie, Frau Dr. Wetzel: Was haben Sie eigentlich in den vergangenen zwei Jahren gemacht, dass Sie uns diese alten Schoten wieder auf den Tisch legen? ({3}) Die Koordination zwischen Bund und Ländern klappt offenbar immer noch nicht. Die Einwürfe der Kollegin Dominke lassen natürlich bei mir eine Art Warnlicht aufleuchten, dass es offensichtlich nicht besser wird. Worin liegt eigentlich das Problem? ({4}) Liegt es wirklich daran, dass sich die Länder nach wie vor nicht bewegen? Warum müssen wir uns immer wieder mit Forderungen dieser Art auseinander setzen? Ich erwarte von Herrn Körper, dass er uns einmal sagt, woran es hapert. ({5}) Wer ist denn wirklich schuld? Ich erwarte natürlich mit Spannung, was Sie uns gleich erzählen werden. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass Sie das Anträgeschreiben lassen und dass Sie handeln. Denn natürlich sind wir mit Ihnen der Meinung, dass wir Geoinformationen brauchen - und das schnell. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Körper. Er kann dann gleich auf Ihre Fragen antworten. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in dem vorliegenden Antrag wird ein guter Überblick über die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung gegeben, die seit der letzten Entschließung in diesem Zusammenhang im Geoinformationswesen erreicht wurden. In ihm wird der Entwicklungsstand der angestrebten und teilweise im Aufbau befindlichen Geodateninfrastruktur sehr deutlich aufgezeigt. Die Geodateninfrastruktur ist einer der zentralen Bausteine der Fortentwicklung der Konzeption des Geodatenmanagements des Bundes. Hingewiesen wird auch auf die zahlreichen, teilweise unter Einbeziehung der Länder durchgeführten Pilotprojekte. Man muss diesen Antrag also richtig lesen. ({0}) Ich finde es sehr erfreulich, dass das aufgebaute Metainformationssystem für Geodatenbestände des Bundes nach einem erfolgreichen Probelauf schon im Sommer dieses Jahres in den Wirkbetrieb gehen wird. Schon heute ist dieses Metainformationssystem, in dem man „Daten über Daten“ erhält, für jedermann über das Internet verfügbar. Dies ist eine sachdienliche Maßnahme, die wir durchgeführt haben. Im Augenblick ist dies noch in eingeschränkter Form möglich. Deshalb ist schon der zweite Schritt in Angriff genommen worden: In Kooperation mit einigen Ländern wird eine Verknüpfung der auf Landes- und kommunaler Ebene vorhandenen Metainformationssysteme entwickelt und erprobt. Dies ist ein weiterer, konkreter Schritt. Bei der Harmonisierung und Optimierung der administrativen Vorgaben für den Bezug und die Abgabe von Geodaten wurde ebenfalls ein großer Schritt nach vorne getan. Die Rahmenrichtlinie des IMAGI für „Entgelte und Abgabebedingungen für Geodaten“ wurde verabschiedet. Sie ist im Januar dieses Jahres in Kraft getreten und gilt für alle Bundesbehörden. Darin wird unter anderem eine Kategorisierung von Geodaten vorgenommen, die nach Grundversorgung, Standardversorgung und auftraggeberspezifischer Versorgung gegliedert wird. Verbunden sind diese Kategorien mit einer Festlegung der Entgelte. ({1}) - Frau Flach, wenn Sie etwas fragen wollen, dann stellen Sie eine Zwischenfrage! - Jeder Nutzer kann dem derzeit erstellten Geodatenkatalog des Bundes entnehmen, ob die für ihn interessanten Geodaten kostenfrei sind oder mit welchen Kosten er beim Bezug der Geodaten zu rechnen hat. Zur Förderung und Weiterentwicklung der Anwenderfreundlichkeit der Geodateninfrastruktur Deutschland möchte ich hervorheben, dass ganz intensiv an der Fertigstellung des Internetportals GeoPortal.Bund gearbeitet wird. Auch der weit größere, erweiterte Teil des Portals, aus dem nicht nur Metadaten, sondern auch Geodaten verfügbar sind, soll noch im Herbst öffentlich verfügbar sein. Schon im Sommer dieses Jahres wird auch das Onlinebestellsystem des Geodatenzentrums des Bundes, das der Öffentlichkeit auf der CeBIT vorgestellt wurde, freigegeben werden. Sie sehen, es geht voran und es wird konkret gehandelt. Das ist gut so. ({2}) Es gibt noch andere Initiativen und Entscheidungen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte. Den Forderungskatalog aus dem Antrag möchte ich insbesondere dazu nutzen, um auf die Verbesserungsfähigkeit der Koordinierung des Geoinformationssystems beim Aufbau der Geodateninfrastruktur hinzuweisen. Ich halte die lapidare, fast polemische Bemerkung der CDU-Kollegin zu den Zuständigkeiten von Bund und Ländern schlichtweg für falsch. ({3}) Für die Zwischenfrage des Kollegen Reichenbach bin ich sehr dankbar: Ein Geodateninformationssystem ist nur so gut wie die Daten, mit denen es unterfüttert wird. Dafür sind auch die Länder zuständig. Es darf nicht der Beliebigkeit der Länder überlassen bleiben, welche Informationen hinzukommen. Es geht in der Tat um eine verbesserte Koordinierung. Das ist der Kern dieses Antrages, den wir umsetzen wollen. ({4}) Ich will nicht über Schuld oder Nichtschuld sprechen. Das wäre völliger Käse. Ich will die Verantwortlichkeiten benennen, die es in diesem Zusammenhang gibt. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass es falsche Verantwortlichkeiten gibt. Die Länder sind mit im Boot und haben es mit in der Hand, ob es funktioniert oder nicht. Der Bund hat seine Hausaufgaben erledigt. Wir werden diese wichtigen Zugangsmöglichkeiten weiterentwickeln. ({5}) Dafür brauchen wir die Mitarbeit aller und keine polemischen Bemerkungen. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Marion Seib.

Marion Seib (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003011, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer oder was hat Sie, geehrte Damen und Herren von Rot-Grün, eigentlich aufgeweckt? Der Weckvorgang hat Sie offensichtlich so erschreckt, dass Sie glatt vergessen haben, dass wichtige Themen von nationaler Bedeutung zuerst im zuständigen Ausschuss diskutiert werden müssen. ({0}) Oder ist Ihnen vielleicht gar nicht mehr bewusst, welcher Ausschuss für das Thema Geodaten zuständig ist? Wollten Sie dem Wirtschaftsausschuss oder dem Innenausschuss das Thema nicht anvertrauen, sodass Sie sofort mit Hektik im Bundestag einen Antrag einbringen mussten? Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unserer Fraktion war umfassend und hat Anlass zur Hoffnung gegeben, weil Sie sich dort ausdrücklich zum Kabinettsbeschluss der Kohl-Regierung bekannt haben. Dieser Kabinettsbeschluss hat etwas vorangebracht. Wir können feststellen, dass IMAGI tätig war und dass sich die Länder selbstverständlich in der gebotenen Weise umfassend daran beteiligt haben. Die Politik der jetzigen Regierung hat das Thema leider nicht ausreichend befördert. Bei entsprechendem Einsatz des zuständigen Bundesinnenministers Schily für dieses wichtige Thema könnten wir schon über zwei Jahre weiter sein. ({1}) Die Harmonisierung und Optimierung der administrativen Vorgaben enden nun einmal nicht bei der Regelung der Entgelte und Abgabebedingungen für Geodaten. Es reicht auch nicht aus, die Einbeziehung der Länder in die Arbeit des IMAGI zu begrüßen. Vielmehr wäre es wichtig gewesen - Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich zitiere aus Ihrer Antwort -, die „nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes zuständigen Länder“ weiter zu fördern. Die Länder bringen sich seit Jahren über die Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen ein. Die Länder werden in Kürze mit Unterstützung des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie den satellitengestützten Positionierungsdienst - SAPOS - der AdV für Navigation und Vermessung bundeseinheitlich realisieren. Der Vertrag hierzu wurde vor kurzem auf der Hannover Messe unterzeichnet. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort darüber. Sie verlieren kein Wort über die für Notfall- und Katastrophendienste notwendigen georeferenzierten Hausnummern, die parzellenscharf nachgewiesen werden können. Auch hierzu liegt von den Ländern ein unterschriftsreifer Vertrag vor. Warum haben Sie in Ihrem Antrag kein Wort über die „Shuttle Radar Topography Mission“ verloren? Wo bleiben Ihre Aussagen über und die Finanzmittel für Galileo? Die Geodateninfrastruktur muss in einem dauerhaften Bezug zur Erde stehen. Wer Ihren Antrag nach fachlichen Gesichtspunkten durchforstet, dem bleiben nur folgende Rückschlüsse übrig: Erstens. Sie bejubeln die Leistungen, die durch mutige Entscheidungen der Kohl-Regierung angestoßen wurden. Zweitens. Sie bejubeln Metainformationssysteme für Geodatenbestände in Bundeszuständigkeit, obwohl dies heute bei einer modernen Verwaltung bereits zur Selbstverständlichkeit gehört, und zwar auch deshalb, weil es um eine zigfache Aufsplitterung in vielfältige Fachkompetenzen geht. Drittens. Sie bejubeln die Leistungen der Länder, lassen in Ihrem Antrag aber dennoch nichts unversucht, die Zentralisierung zu fördern. Viertens. Sie fordern einen so genannten G2B-Moderator. Damit wollen Sie das Projektmanagement implantieren, das Ihnen in der Studie empfohlen wurde. Sie bleiben aber die Auskunft über die Ausschreibungsbedingungen zur Besetzung dieser Stelle schuldig. Haben Sie etwa schon einen Bewerber in der Hinterhand? Fünftens. Ihre Forderung gegenüber Ihrer Regierung nach einer schnellen Realisierung der Datenbereitstellung lässt die Vermutung aufkommen, dass es hier auch um Vertriebsmonopole für Softwaresysteme geht. Wenn dem so wäre, bliebe die Frage offen, welche Ausschreibung wo gelaufen ist, um dieses Problem zu lösen. Sechstens. Die aus einer vom Wirtschaftsminister wahrscheinlich freihändig vergebenen nordrhein-westfälischen Studie abgeschriebenen Handlungsempfehlungen geben auch keine Auskunft darüber, wie beim Erfassen, Handeln und Verwalten der Geoinformationen die privaten Dienstleister und die Wissenschaft eingebunden werden sollen. Meine zentrale Forderung lautet deshalb: Der Interministerielle Ausschuss für Geoinformationswesen muss für Wirtschaft und Wissenschaft geöffnet werden. Dies brächte Transparenz. Deshalb, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wäre es besser gewesen, Sie hätten hier nicht nur Beschreibungen von Verwaltungssituationen geliefert, sondern klar dargestellt, auf welchen Wegen Sie die Länder fördern wollen, damit diese ihren Zuständigkeiten besser nachkommen können. Es wäre wichtig gewesen, bekannt zu geben, welche Instrumente Sie den Ländern dazu an die Hand geben wollen. Schade um die vertane Chance. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen, Drucksache 15/809, mit dem Titel „Nutzung von Geoinformationen in Deutschland voranbringen“. Wer von Ihnen stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenommen. Ich rufe die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Hans-Josef Fell, Undine Kurth ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien - Drucksache 15/807 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Hermann Scheer, Doris Barnett, Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Volker Beck ({1}), Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Initiative zur Gründung einer Internationalen Agentur zur Förderung der Erneuerbaren Energien ({2}) - Drucksache 15/811 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir auch so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Hermann Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge stehen in einem gedanklichen Zusammenhang, wie sich unschwer feststellen lässt. Ich möchte sowohl dazu, welchen Sinn die Konferenz hat, als auch zu IRENA, der Internationalen Agentur zur Förderung der Erneuerbaren Energien, einige begründende Worte sagen. Ich möchte auch sagen, warum wir vonseiten des Parlaments die Initiativen unterstützen und vorantreiben sollten. 1992, als die Agenda 21 verabschiedet worden ist, fehlte in diesem berühmten und ansonsten sehr wichtigen und guten Dokument die Bezugnahme auf das Weltenergieproblem, obwohl es das Schlüsselproblem für die Weltökologie und für die Entwicklung vieler Länder von entscheidender Bedeutung ist. Bekanntlich geht ohne Energie nichts. Es ist unvorstellbar und auch vom Potenzial her unmöglich, die Energieversorgung, wie sie heute dominant ist und bei der die Industrieländer die meiste Energie verbrauchen, auf die ganze Welt zu übertragen. Zehn Jahre später wurde auf der Rio-plus-10-Konferenz in Johannesburg dieser Mangel der Agenda 21 behoben. Es bildete sich sogar eine andere Art der Koalition der Willigen, eine Gruppe von Ländern - inzwischen sind es über 100 -, die gesagt haben: Wir müssen hier sogar mehr tun, als in dem Schlussdokument von Johannesburg vereinbart wurde. Aber die Situation ist nun einmal so: Auch wenn der Geist inzwischen williger geworden ist, sind die Initiativen, bezogen auf die internationale Situation, noch weitgehend schwach. Weltweit wächst der Energiebedarf immer noch wesentlich schneller als der Zuwachs der Nutzung Erneuerbarer Energien, obwohl es zwei objektive Grenzen des herkömmlichen Energieeinsatzes gibt, die mit der Reservelage und mit der Belastbarkeit der Ökosphäre zusammenhängen. Deswegen wird diese Konferenz im Wesentlichen vier Aufgaben haben: Erstens. Das Zutrauen in die weit unterschätzten Möglichkeiten der Erneuerbaren Energien muss gestärkt werden. ({0}) Zweitens. Es darf nicht nur darüber diskutiert werden, welche Nachteile finanzieller oder ökonomischer Art - vermeintliche ökonomische Belastungen - es unmöglich machen würden, beschleunigt Erneuerbare Energien einzuführen. Gesprochen werden muss auch über die ökonomischen Vorteile umfassender Art, damit sie den Entscheidungsträgern und den Gesellschaften dieser Welt klar werden. Angesichts der extremen Energieimportabhängigkeit von Drittweltländern, die sich diese gar nicht mehr leisten können, muss neben dem umweltpolitischen Aspekt auch über den entwicklungspolitischen Aspekt gesprochen werden. ({1}) Drittens. Da, wo Initiativen stattgefunden haben, müssen die Erfolge der Politik einem Vergleich unterzogen werden, damit im Sinne eines produktiven Weltföderalismus der eine vom anderen die guten Ansätze lernen kann. Viertens. Es muss darüber gesprochen werden, was aus eigener Kraft realisiert werden kann. Denn es ist undenkbar, die Weltenergieversorgung nur mit den herkömmlichen Methoden gesonderter Förderprogramme oder Subventionen auf Erneuerbare Energien umzustellen, was das eigentliche Ziel ist. Die Wirtschaftsordnungen müssen sich darauf entsprechend einrichten, gerade wenn sie die Vorteile erkennen. Was die Einrichtung einer Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien angeht, so ist dafür ein zwingendes Erfordernis gegeben, das international bisher noch nicht ausreichend erkannt worden ist. UN-Organisationen haben viele Aufträge, aber sie sind nicht auf diese Frage spezialisiert, auch nicht von ihrem Statut her. Es gibt im internationalen Institutionensystem eine Reihe von Regierungsorganisationen, die sich mit der Energieversorgung beschäftigen, etwa die Internationale Atomenergieagentur, die sich die Atomenergieförderung zur Aufgabe gemacht hat, oder die Internationale Energieagentur, deren eigentliche Aufgabe die Sicherheit der Versorgung mit fossilen Energien ist. Eine Regierungsorganisation - nur um diese geht es mir; Nichtregierungsorganisationen für erneuerbare Energien gibt es kontinental und weltweit - für diesen speziellen Bereich gibt es aber noch nicht. Es ist ein nicht mehr tragbarer Zustand, dass sich der Förderung der Energien, auf denen die Hoffnung der Welt liegt und liegen muss, keine institutionelle Kraft widmet, die dies vorantreibt. Mit der Einrichtung einer solchen Agentur geht es zunächst einmal darum, die „institutionelle Waffengleichheit“, um den Begriff hier einmal zu benutzen, herzustellen. Eine Agentur, die von ihren Statuten her auf Erneuerbare Energien konzentriert ist, wäre weltweit ebenso ein Signal, wie es in den 50erJahren, als man die Weltenergiezukunft noch bei der Atomenergie suchte, die 1957 gegründete Internationale Atomenergieagentur war. Wer die Notwendigkeit einer IRENA bestreitet, müsste konsequenterweise - das muss man allen sagen - gleichzeitig die Forderung erheben, die Internationale Atomenergieagentur aufzulösen, ({2}) zumindest soweit es um ihr technisches Entwicklungsprogramm geht. Wir leisten jährlich einen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 25 Millionen Euro. Die Hälfte des gesamten Budgets der IAEA geht in die technischen Entwicklungsprogramme, also in die Ausbildung und das Training von Wissenschaftlern und Experten - weltweit, bis nach Afrika, obwohl dort nie ein solches Kraftwerk stehen wird -, welche sich der Förderung der Atomenergie widmen. Eine solche Agentur muss wesentlich dazu beitragen, dass das überwunden wird, was eine weltweite Einführung Erneuerbarer Energien hauptsächlich verhindert. Man braucht für eine weltweite Einführung Erneuerbarer Energien aufgrund ihres dezentralen Charakters nämlich viele Menschen, die damit umzugehen gelernt haben. Es muss die Ausbildung von Ingenieuren, Architekten, Handwerkern und Wissenschaftlern - das, was man international die „human capacity“ nennt - vorangetrieben werden. Das ist eine globale Ausbildungsaufgabe. Es geht nicht um Projektförderung oder die Finanzierung; dafür gibt es schon Institutionen. Es geht darum, dass man subsidiär dort tätig wird, wo bisher nichts geschehen ist. Es gibt zwar hier und dort Initiativen, aber wenn man die globale Landkarte betrachtet, ist in dieser Schlüsselfrage eigentlich bisher noch nicht viel geschehen. Deshalb bedürfen wir einer solchen Initialzündung. Mit dieser deutschen, aber weltweit angelegten Initiative machen wir einen großen Schritt nach vorne. Sie ist international angelegt. Alle Länder sind eingeladen, dort Mitglied zu werden, auch wenn dem am Anfang nicht alle folgen werden. Bei der IAEA waren es am Anfang 17 Mitglieder, nun sind es 130. Diese Entwicklung wird bei der Agentur für Erneuerbare Energien mindestens genauso positiv sein. Danke schön. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Abgeordnete Kristina Köhler.

Dr. Kristina Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003569, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die entscheidende Frage in der heutigen Debatte ist nicht, ob es sinnvoll ist, den Transfer Erneuerbarer Energien in Entwicklungs- und Schwellenländer zu fördern. Natürlich ist das sinnvoll; ({0}) denn die Sicherstellung einer Versorgung mit nachhaltiger Energie in diesen Ländern ist eine der grundlegenden Voraussetzungen für deren wirtschaftliche und soziale Entwicklung, für Armutsbekämpfung und Friedenssicherung sowie für die Erschließung künftiger Exportmärkte, wovon nicht zuletzt die westlichen Industrienationen profitieren werden. Die entscheidende Frage ist Kristina Köhler ({1}) vielmehr, mit welchen Instrumenten und mit welchen Kosten-Nutzen-Relationen wir das tun wollen. ({2}) Wir müssen also die verschiedenen Instrumente miteinander vergleichen und gegeneinander abwägen. Genau das vermisse ich in Ihrem Antrag. Wenn es Ihnen tatsächlich um Klimaschutz, Ressourcenschonung, Armutsbekämpfung und eine langfristige Energieversorgung gehen würde, wie Sie in Ihrem Antrag schreiben, dann würde sich die von Ihnen geplante Agentur nicht ausschließlich dem Transfer Erneuerbarer Energien widmen. ({3}) Der Aufbau einer Versorgung mit Erneuerbaren Energien ist Teil eines nachhaltigen Energieversorgungskonzeptes, aber eben nicht mehr als ein Teil. Die einseitige Ausrichtung auf Erneuerbare Energien ist der falsche Weg, um eine nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen. ({4}) Was ist beispielsweise mit den immensen CO2-Einsparpotenzialen, die durch die Weiterentwicklung fossiler Technologien erreicht werden können, was teilweise wesentlich kostengünstiger ist als der Ausbau bei den Erneuerbaren Energien? Wollen Sie dies den Entwicklungsländern vorenthalten? ({5}) Was ist mit den konventionellen Energien, die Ressourcen schonend und wirtschaftlich eingesetzt werden können, was in den Entwicklungsländern sehr sinnvoll sein könnte? Davon ist in Ihrem Antrag kein Wort zu finden. Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz gehören auch zu einer nachhaltigen Energiepolitik und dürfen nicht hinter ideologischen Scheuklappen und einer unkritischen Euphorie für Erneuerbare Energien verschwinden. ({6}) Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz werden wir aber nur mit einem Energiemix erreichen sowie mit einer an Effizienzgesichtspunkten orientierten Förderung Erneuerbarer Energien. Wir wollen doch nicht auf internationaler Ebene die Fehler wiederholen, die wir in Deutschland mit unserer Subventionspolitik beispielsweise bei der Windenergie machen. Diese Art der Subventionspolitik ist kein Exportschlager. ({7}) Neben einer differenzierten Betrachtungsweise vermisse ich bei Ihnen auch eine realistische Bestandsaufnahme. Eine Initiative zur Gründung einer internationalen Agentur zur Förderung Erneuerbarer Energien ist ja nun kein sonderlich origineller Gedanke. ({8}) Es gibt weltweit sehr viele Institutionen und Projekte, die sich dieser Frage widmen. Ich möchte Ihnen nur fünf davon nennen: Es gibt erstens das Deutsche Windenergie-Institut, das sich der Aus- und Weiterbildung im Ausland widmet. Zweitens gibt es das Internationale Transferzentrum für Umwelttechnik, das sich seit 1996 genau dem widmet, was Sie für diese Agentur vorsehen. Drittens gibt es die Vereinten Nationen, die im Rahmen der UNEP-Programme an der Erforschung und Durchsetzung Erneuerbarer Energien arbeiten. Viertens gibt es das 1990 gegründete UNEP Collaborating Centre on Energy and Environment, das sich dem Wissenstransfer über Erneuerbare Energien widmet. Fünftens gibt es das von der UN initiierte AREED-Projekt in Afrika, durch das regionale Unternehmen, die sich im Bereich der Erneuerbaren Energien engagieren wollen, unterstützt werden. ({9}) Statt mit IRENA nun eine zusätzliche, kostenintensive Institution zu schaffen, wäre es sehr viel sinnvoller, diese bestehenden Institutionen besser miteinander zu vernetzen und ihre Agenda, wo nötig, zu erweitern. ({10}) Dieser Meinung ist übrigens auch das Darmstädter ÖkoInstitut. ({11}) Zugegeben: Eine neue Agentur zu schaffen lässt sich natürlich sehr viel publikumswirksamer inszenieren, als eine Institution auszubauen, die es bereits gibt. IRENA ist ja auch ein sehr schöner Name. Wir sollten uns von schönen Namen aber nicht zu viel versprechen. Dies zeigt ebenfalls die vor allen Dingen durch Wohlklang beeindruckende Task Force Erneuerbare Energien, die 2001 von der G 8 auf der Weltenergiekonferenz in Buenos Aires initiiert wurde. Damals wurde ein Finanzbedarf bis zum Jahre 2020 von mehreren 100 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Schauen wir in den Koalitionsvertrag, stellen wir fest, dass Sie für den Ausbau Erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz in den Entwicklungsländern in den nächsten fünf Jahren jeweils 500 Millionen Euro veranschlagen. Dies ist nun wirklich nur ein äußerst kleiner Bruchteil der von der Task Force Erneuerbare Energien veranschlagten Summe. An dieser Stelle zeigt sich, wie weit der rotgrüne Anspruch und die finanzielle Wirklichkeit auseinander klaffen. ({12}) Wenn Nachhaltigkeit mehr sein soll als eine Worthülse, dann müssen wir die umwelt- und entwicklungspolitischen Instrumente einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehen. Einer solchen Analyse hält IRENA nicht stand. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorbereitungen für die Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien, zu der Bundeskanzler Schröder in Johannesburg eingeladen hat, laufen auf Hochtouren. Über 100 Länder haben schon signalisiert, dass sie dabei sein wollen. Mit ihnen zusammen werden wir die Agenda dieser internationalen Konferenz festlegen. Ich glaube, das ist ein bedeutender Hoffnungsschimmer. Wenn wir in die Zeit nach dem großen Aufbruch in Rio zurückblicken, stellen wir fest, dass die Umweltkonferenzen deutlich an Dynamik verloren haben. Nunmehr haben wir einen neuen Ansatz gewählt, indem wir sagen: Lasst uns diejenigen zusammensuchen, die nicht immer über die Lasten klagen, wenn es um den Klimaschutz geht, sondern die sich - zum Beispiel für die wirtschaftliche Entwicklung - auch etwas davon versprechen. ({0}) Bundeskanzler Schröder hat der Staatengemeinschaft diesen Ansatz angeboten. Dieser wird auch aufgegriffen, aber leider nicht von Ihnen. Ich finde es sehr bedauerlich und schade, dass Sie sich an der IRENA abgekämpft - dazu sage ich gleich noch etwas -, zur Konferenz aber kein einziges Wort gesagt haben. ({1}) Ich möchte Sie ausdrücklich dazu einladen, dass wir als Parlament diese Konferenz gemeinsam begrüßen, auf den Weg bringen und positiv begleiten. ({2}) Mit dieser Konferenz wollen wir zeigen, dass sich Klimaschutz auch wirtschaftlich lohnt und er eine Chance für die wirtschaftliche Entwicklung bietet. Er bietet die Chance, vom Öl wegzukommen; das ist aktuell eine sehr wichtige Diskussion. Wir müssen die Abhängigkeit von krisengeschüttelten Regionen überwinden. Im „long run“ wollen wir erst 50 Prozent und dann 100 Prozent der Bevölkerung mit Strom, Wärme und Treibstoff von heimischen Erneuerbaren Energieträgern versorgen. Wir wollen auch aufzeigen, dass die Erneuerbaren Energien ein großes Potenzial zur Bekämpfung der Armut haben. Viele Menschen in der Welt sind eben noch nicht an große Energieversorgungssysteme angeschlossen. Die dezentralen Erneuerbaren Energien bieten eine gute Chance, diese Menschen preiswert in den Genuss von Strom und Wärme kommen zu lassen. ({3}) Wir hoffen, dass diese Konferenz eine Aufbruchstimmung initiiert, damit die Staaten zusammenarbeiten und Bremser keine Chance mehr haben, um so den Klimaschutz voranzutreiben. In diesem Zusammenhang halte ich die IRENA für ein absolut notwendiges Instrument. Sie verlangen, die Instrumente abzuwägen. Was haben wir denn gemacht? Seit Jahren wägen wir die Instrumente ab, und zwar so lange, bis sie auf dem Niveau sind, in dem Sie jetzt in die Diskussion einsteigen. Wir sind nach den Jahren der Abwägung zu dem Ergebnis gekommen: Zusätzlich zu den bestehenden Institutionen bedarf es einer IRENA, gerade weil es für den atomaren und den fossilen Bereich vergleichbare Institutionen gibt. Damit ziehen wir gleich und machen deutlich: Bei der weltweiten Vertretung der Konzepte der Erneuerbaren Energien soll Waffengleichheit herrschen. ({4}) Eine entsprechende Institution für die fossilen Energien - falls Sie das nicht wissen - gibt es doch längst. Die IRENA soll in bilateralen Gesprächen gegründet werden. Wir werden versuchen, möglichst viele Staaten davon zu überzeugen, diese internationale Agentur mit uns zusammen zu gründen. Sie soll vor allen Dingen dazu dienen, den Technologie- und den Know-howTransfer zu organisieren. Hermann Scheer hat eben vollkommen richtig gesagt, dass es einen großen Unterschied macht, ob man große Kraftwerke baut oder dezentral Erneuerbare Energien einsetzen möchte. Es bedarf umfassender Schulungsprogramme für die Menschen vor Ort, damit sie eine Biogasanlage auch fahren können; denn so einfach ist das nicht. Die IRENA soll darüber hinaus dazu dienen, den Drive, der von dieser Konferenz ausgeht, kontinuierlich weiterzutragen, damit auf diese Weise neue Impulse und Debatten über die richtigen Instrumente angeregt werden. Es ist nun nicht mehr die Zeit, darüber zu diskutieren, ob wir eine IRENA brauchen, sondern es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln, um mit den Ländern der Welt, die mit uns gemeinsam vorangehen wollen, diese Institution zu gründen. Danke. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt die Abgeordnete Angelika Brunkhorst.

Angelika Brunkhorst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003675, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Sinne einer guten internationalen Politikkoordinierung bestehen bei der FDP gegen die Internationale Konferenz zur Förderung Erneuerbarer Energien, die für nächstes Jahr in Bonn geplant ist, prinzipiell keine Bedenken. Ich muss allerdings dazu sagen, dass uns die Eile und die Kombination mit dem Antrag zur IRENA, der Internationalen Agentur zur Förderung Erneuerbarer Energien, stutzig macht. Wir fragen uns in diesem Zusammenhang: Gibt es nicht schon genügend außerparlamentarische Gremien in Deutschland, deren Bedeutung oftmals wirklich fragwürdig ist? Die FDP kritisiert, dass unter dieser Regierung verstärkt eine Entparlamentarisierung politisch wichtiger Entscheidungsbereiche stattfindet. ({0}) Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen haben uns also mit der IRENA noch kurz vor Ostern ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert. Das stellt sich für uns so dar: Wir müssen noch schnell einen Antrag machen, damit wir das Parlament im Boot haben und frei nach dem Märchen vom Hasen und dem listigen Igel sagen können: Wir sind schon hier. Ich meine, es mangelt Ihnen an der gebotenen Sorgfalt. ({1}) Erstens. Die Einrichtung dieser Internationalen Agentur ist präjudizierend für ähnliche Einrichtungen in anderen Politikbereichen. ({2}) Eine Gründung ist mit erheblichem Finanzbedarf verbunden, und zwar bei einem ständig sinkenden Umweltbudget. Zweitens. Die Frage, ob man die IRENA überhaupt braucht oder ob diese Funktion nicht von dem ohnehin geplanten Begleitkreis für die internationale Konferenz in Bonn übernommen werden kann, stellt sich hier ganz dringend. Da die Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen, Frau Hustedt, eben erklärt hat, IRENA sei so wichtig, frage ich mich: Warum wurde der Antrag nicht dem üblichen Beratungsverfahren im Umweltausschuss unterzogen? Drittens. Eine Spezialagentur für spezifische Energiearten leidet aus Sicht der Liberalen an demselben Mangel wie das EEG insgesamt: Es werden selektiv einzelne Energieformen bevorzugt. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung der Energieträger, die wir uns angesichts der anstehenden Probleme der globalen Klima- und Energiepolitik nicht leisten können. Lassen Sie mich das präzisieren: Zum einen wissen wir nicht, was IRENA eigentlich kosten soll. Das wollen Sie der Regierung überlassen. Dieses Vorgehen ist nicht rechtmäßig. Ich denke, wenn der Bundestag über die Einrichtung der Agentur abstimmen soll, müssen Sie dem Parlament einen bezifferbaren Vorschlag machen. ({3}) Zum anderen ist der Antrag, wie ich meine, parlamentarisch unangemessen, weil Sie es ohne weiteres der Regierung überlassen wollen, die Agentur einzusetzen. Eine weitere Spezifizierung findet nicht statt. ({4}) Ich denke, das ist der Bedeutung des Themas nicht angemessen. ({5}) Die Liberalen werden einen solchen Blankoscheck auf keinen Fall ausstellen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat die Kollegin Anke Hartnagel.

Anke Hartnagel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003138, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin etwas erstaunt darüber, wie die Debatte gegenwärtig vonseiten der CDU/ CSU und der FDP geführt wird. Ich kann mich daran erinnern, dass in der jüngsten Sitzung des Umweltausschusses festgehalten wurde, man wolle gemeinsam an die Überarbeitung des EEG herangehen und man sei sich einig über die Bedeutung der nachhaltigen Energien. Aber die Argumente in dieser Diskussion verfolgen die entgegengesetzte Richtung. Das verstehe ich nicht. ({0}) - Ich glaube schon. Es hat durchaus mit nachhaltigen Energien zu tun. Es geht darum, die Versorgung mit nachhaltigen Energien auf internationaler Ebene - ob in Osteuropa oder in Entwicklungsländern - mit vernünftigen Konzepten umzusetzen. ({1}) Darum geht es. ({2}) Das bedeutet eigentlich, dass Sie, wenn Sie das EEG überarbeiten wollen, den nachhaltigen Energien eine große Priorität einräumen wollen. Aus Ihren Ausführungen geht das aber nicht hervor. Ich verstehe auch Ihre Äußerung nicht, Frau Brunkhorst, dass das Parlament nicht beteiligt werde. Schließlich können wir die Agentur gar nicht einsetzen. Ich denke, dass es richtig ist, einen Antrag einzubringen, in dem die Regierung aufgefordert wird, dies zu tun. Davon sollten wir nicht abrücken. Eine Entpolitisierung kann ich nicht erkennen; denn die Parlamentarier sind sehr wohl an der Vorbereitung beteiligt. Insofern weiß ich nicht, worin die Entpolitisierung bestehen soll. Ich möchte noch einige Ausführungen machen. Die Förderung regenerativer Energien ist untrennbar mit der Armutsbekämpfung verknüpft. Wir, die Industrieländer, tragen dabei eine große Verantwortung. Deswegen ist es notwendig, dass wir uns gemeinsam mit den Entwicklungsländern an einen Tisch setzen. Die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns der Weltgemeinschaft wurde gerade in Johannesburg wieder deutlich. Bundeskanzler Schröder hat dort zu einer internationalen Konferenz nach Deutschland eingeladen. Schon im kommenden Frühjahr - ich begrüße es, dass es so schnell geht - wird diese Konferenz stattfinden. Das heißt, diese Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr. ({3}) Die deutschen Erfolge bei der Förderung Erneuerbarer Energien sind nicht ohne Grund auf dem Johannesburger Gipfel als weltweit beispielhaft bewertet worden. Zur Konferenz: Wichtig für das Parlament ist - ich habe das eben bereits ausgeführt -, dass neben der Deutschen Energie-Agentur, deutschen Organisationen und Unternehmen, die auf dem Gebiet der Erneuerbaren Energien tätig sind, Umweltschutzverbänden und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller Fraktionen in die weitere Vorbereitung der Konferenz einbezogen werden. Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben also die Möglichkeit der kritischen und konstruktiven Begleitung zur Vorbereitung der Konferenz. Nutzen wir diese Chance, liebe Kolleginnen und Kollegen, anstatt uns zu beklagen, dass wir nicht beteiligt würden! ({4}) Mit dieser Konferenz geben wir einen internationalen Anstoß zum weltweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien. Zukunftsenergien sind das Mittel, Armut zu bekämpfen und gleichzeitig Klima und Umwelt zu schützen. Denn eines muss uns allen klar sein: Zwei Milliarden Menschen haben derzeit keinen Zugang zu Energie. Das muss man sich vorstellen. Dieser Zugang ist aber unerlässlich für den wirtschaftlichen Fortschritt, die Entwicklung eines Gesundheitswesens und eines Bildungssystems, kurz gesagt: für die Bekämpfung der Armut. Erst wenn es den Entwicklungsländern gelingt, ihre heimische Erneuerbare Energie zu nutzen, werden Sie aus der Energie- und damit aus der Armutsfalle herauskommen. Um auch dies klar zu sagen: Atomenergie kann hierbei nicht die Lösung sein. ({5}) Auch fossile Energien sind keine Alternative. Wie sich die Abhängigkeit gerade vom Öl auswirkt, können wir momentan täglich am Fernseher verfolgen. Wenn die Weltgemeinschaft die globale Energiewende mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einleitet, können Konflikte um erschöpfliche - sprich: fossile - Energieträger vermieden werden. Das verdeutlicht: Erneuerbare Energien haben eine friedenstiftende Wirkung. ({6}) Lassen Sie mich noch einen Punkt unterstreichen. Es kann nicht darum gehen, dass die Industrieländer den Entwicklungsländern ihre Technologien aufdrängen. Wir können und müssen voneinander lernen. Ein Export von Know-how ist natürlich wichtig, aber er macht nur Sinn, wenn die ökonomischen, ökologischen und kulturellen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern berücksichtigt werden. Darum ist es auch so wichtig, dass auf der Konferenz nicht nur die Regierungsvertreter aller beteiligten Länder zusammenkommen, sondern auch Nichtregierungsorganisationen und Interessenvertreter der privaten Wirtschaft. Darüber hinaus ist es ein ebenso wichtiger Schritt, dass parallel zur Konferenz die Initiative für eine Internationale Agentur für Erneuerbare Energien, die IRENA, realisiert wird. Ich komme zum Schluss und möchte nur noch eine Bemerkung machen. Wir können all diese Probleme und Vorhaben, die wir jetzt dargelegt haben, nur bewältigen und die globale Energiewende nur dann vorantreiben, wenn wir uns gemeinsam anstrengen. Die Konferenz und die internationale Agentur sind entscheidende Schritte auf diesem Wege. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, das zu bedenken und in Ihre Überlegungen einzubeziehen. Vielen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ralf Brauksiepe. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit zunehmendem Abstand zur Kioto-Konferenz wird immer deutlicher, wie bedeutsam die damals gefassten Beschlüsse waren, die ganz wesentlich von der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel geprägt und initiiert worden sind. ({0}) In der Kontinuität dieser Politik sind wir auch heute fest entschlossen, die vorhandenen Potenziale für den Ausbau Erneuerbarer Energien weltweit zu nutzen. Angesichts von zwei Milliarden Menschen, die weltweit keinen regelmäßigen Zugang zu Energie haben, haben wir dazu gar keine Alternative. Deswegen, Frau Kollegin Hustedt, ist der Begriff der „Waffengleichheit“, den Sie hier eingeführt haben, der völlig falsche Ansatz. Es geht nicht darum, die einen Energieträger als Waffe gegen die anderen einzusetzen. Wir brauchen sie alle, wenn wir zwei Milliarden Menschen ohne Zugang zu Energie mit Energie versorgen wollen. Das ist unser Ansatz. ({1}) Dabei ist es notwendig, mit dem gebotenen Augenmaß vorzugehen. Ich verstehe, dass Sie uns nicht glauben, aber ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen, was beispielsweise die Europäische Kommission in der Vorbereitung des Johannesburg-Gipfels im letzten Jahr völlig zu Recht festgestellt hat. Dort heißt es, dass - ich zitiere der erwartete Anstieg des Energieverbrauchs in den Entwicklungsländern nicht hauptsächlich durch die erneuerbaren Energien abgedeckt werden kann, die für viele dieser Länder derzeit unerschwinglich sind. Deswegen ist es so notwendig, sämtliche Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz bei allen Energieträgern weltweit entschlossen zu nutzen. Zur Vollständigkeit dieser Situationsbeschreibung gehört eben auch, dass die fossilen Energieträger, die in vielen Entwicklungsländern unter günstigen geologischen Rahmenbedingungen reichlich vorhanden sind, bei der Energieversorgung der Menschen gerade auch in den Entwicklungsländern eine unverzichtbare Rolle spielen und auch in Zukunft spielen werden. Deswegen kann es nicht darum gehen, eine ideologisch geprägte Debatte über Wert oder Unwert einzelner Energieträger zu führen. ({2}) Entscheidend ist doch vielmehr, dass die Energieversorgung einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung auf Nachhaltigkeit aufgebaut wird. Nachhaltigkeit ist aber kein Synonym für Erneuerbare Energien. Auch hier verweise ich Sie auf das, was die Europäische Kommission, die Sie in Ihre Planungen einbeziehen wollen, dazu festgestellt hat: Die traditionelle Form des Einsatzes von Biomasse in weiten Teilen Afrikas ist eben nicht nachhaltig. Ähnliches kann man über die Wasserkraft sagen. Außerdem wird kein verantwortlicher Politiker ernsthaft den Versuch unternehmen wollen, den Entwicklungsländern, die sich selbst preiswert mit fossilen Energieträgern versorgen können, die Nutzung der vorhandenen Potenziale auszureden. Es geht hier also auch um die Entwicklung und Verbreitung von Technologien für eine möglichst saubere Nutzung von Kohle, Öl und Gas. Frau Kollegin Hartnagel, Sie waren in der letzten Legislaturperiode ja noch nicht Mitglied des AwZ. Deshalb sage ich Ihnen: Der AwZ hat zum Beispiel Anhörungen zum Thema Megacities durchgeführt, die ein immer größer werdendes Problem in den Entwicklungsländern sind. Man wird nicht alle Megacities nur mit Erneuerbaren Energien versorgen können. Hier braucht man einen sinnvollen Energiemix. Genau um den geht es uns. ({3}) Jetzt komme ich auf die für das nächste Jahr geplante internationale Konferenz für Erneuerbare Energien zu sprechen. Frau Kollegin Hustedt, in meiner Fraktion sind fast fünfmal so viele Abgeordnete wie in Ihrer. Deswegen muss nicht jeder von uns - ich bitte um Ihr Verständnis - das gesamte Thema abarbeiten. Ich möchte Ihnen nur so viel dazu sagen: Wir unterstützen grundsätzlich diese Konferenz und sind auch bereit, in dem von Ihnen angeregten nationalen Begleitkomitee engagiert mitzuarbeiten, weil wir uns aus Erfahrung versprechen, dass solche Konferenzen auch dringend benötigte Impulse für das politische Handeln in der Zeit danach setzen werden. ({4}) Ich möchte Ihnen aber auch deutlich sagen, was uns an Ihrem Antrag zu dieser internationalen Konferenz stört. Hieran wird wieder die Tatsache sehr deutlich - das werfe ich Ihnen vor -, dass Sie alle wichtigen globalen Fragen letztlich immer unter innenpolitischen Aspekten beantworten. ({5}) Das begann ja mit dem von Ihnen gerühmten Besuch des Bundeskanzlers in Johannesburg. Der wahlkämpfende Bundeskanzler hat seine damalige Rede ganz bewusst in deutscher Sprache gehalten, obwohl Deutsch keine Konferenzsprache war. Er hat dies nicht getan, weil er nicht in der Lage gewesen wäre - das war nicht das Problem -, einen fünfminütigen englischsprachigen Text vom Blatt abzulesen. Er hat das vielmehr getan, weil sich seine Rede nicht in erster Linie an die Teilnehmer der Konferenz in Johannesburg, sondern an die deutsche Öffentlichkeit gerichtet hat. Die Art und Weise, wie Sie Klimapolitik betreiben, ist das Problem. ({6}) Daher müssen wir Ihren Antrag ablehnen, in dem Sie behaupten - ich weiß, das tut weh -, dass der Bundeskanzler mit dieser Art des Auftretens großen Anklang gefunden hätte. Seine Art hat auf die Teilnehmer dieser Konferenz eher abstoßend gewirkt. Für uns ist es auch nicht akzeptabel - um es ganz deutlich zu sagen -, dass Sie versuchen, durch die Schaffung oder die Nutzung solcher internationalen Ereignisse davon abzulenken, dass Sie Ihre Hausaufgaben nicht erledigen. ({7}) Zum Abschluss möchte ich Ihnen ein paar einschlägige und beeindruckende Zahlen zu den Ausgaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Bereich der bilateralen technischen und finanziellen Zusammenarbeit im Jahr 1998 und - damit Sie vergleichen und sehen können, wohin es geht - im Jahr 2003 nennen. Die Ausgaben für den Umwelt- und Ressourcenschutz im Entwicklungshilfehaushalt betrugen 1998 420 Millionen Euro, 2003 nur noch 372 Millionen Euro. Für Bildung wurden 1998 146 Millionen Euro ausgegeben. 2003 sind es nur noch 111 Millionen Euro. Die Ausgaben für die Bevölkerungspolitik betrugen 1998 69 Millionen Euro, 2003 nur noch 58 Millionen Euro. ({8}) Die Ausgaben für Energieerzeugung und -versorgung in der Entwicklungszusammenarbeit - das ist ein ganz wichtiger Kernbereich - betrugen 1998 133 Millionen Euro. Im Haushalt 2003 sind nur noch 72 Millionen Euro eingestellt. Das ist die bittere Realität Ihrer Politik. Wir werden es nicht zulassen, dass Sie von diesem Versagen durch internationale Konferenzen und festliche Empfänge ablenken. Nicht Reden, sondern Handeln ist gefragt. Darauf kommt es an und daran werden wir Sie messen. Vielen Dank. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/807 mit dem Titel „Internationale Konferenz für Erneuerbare Energien“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 15/811 mit dem Titel „Initiative zur Gründung einer Internationalen Agentur zur Förderung der Erneuerbaren Energien“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? ({0}) Enthaltungen? - Auch dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen ({1}), Albert Deß, Helmut Heiderich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Hürden für die Biotechnik abbauen - Drucksache 15/803 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Widerspruch erhebt sich dagegen nicht. Dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Abgeordnete Helmut Heiderich.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn der heutigen Plenarsitzung hat der Bundestag über die technologische Leistungsfähigkeit unseres Landes debattiert. Dabei sind von führenden Personen der rot-grünen Koalition deutliche und hehre Worte vorgetragen worden. Zwei Beispiele: „Aus unserem Land muss mehr an technologischen Innovationen kommen“, äußerte Ex-Grünen-Chef Kuhn. „Wir wissen, dass Technologie in großem Stil gekauft werden muss, weil wir sie nicht mehr selbst haben“, sagte SPD-Fraktionschef Müntefering. Seine Folgerung lautete: „Eine breite Aufbruchstimmung für technologische Innovationen ist deshalb notwendig.“ In diesem Ton ging es eine ganze Zeit lang weiter. Solche Worte hören wir zwar gern, aber wir hören sie auch schon seit langem. ({0}) Dann allerdings, wenn es um die Umsetzung, um praktisches Handeln, geht - auch das ist heute Morgen schon gesagt worden -, bleibt von alledem relativ wenig übrig. Negativstes Beispiel dafür ist die Biotechnik. Mehrfach hat Ihr Bundeskanzler die Biotechnologie als die Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts bezeichnet. Doch zumindest im Bereich der Biotechnik halten Sie diesen Beritt verschlossen. Sie haben diese Technologie weggeschlossen und unternehmen alles, um den Schlüssel versteckt zu halten. Dabei hat Ihre Bundesregierung selbst im europäischen Ministerrat erklärt, das Moratorium zur Forschung und Entwicklung gentechnisch verbesserter Pflanzen sei rechtswidrig. Die Bundesregierung hat die europäische Vereinbarung von Lissabon, in der gesamten Biotechnik bis zum Jahre 2010 weltweit führend zu sein, mit ausgehandelt und ohne Wenn und Aber unterschrieben. Doch das politische Handeln sieht völlig anders aus: Das Moratorium, also der Stopp von Forschung, Entwicklung und wirtschaftlicher Anwendung, hat die Aufbruchstimmung und die Aufholjagd der 90er-Jahre in Deutschland wie in Europa beendet. So ist nach Feststellung der EU zum Beispiel die Zahl der Freisetzungsanträge in der Forschung seit 1998 um sage und schreibe 76 Prozent zurückgegangen. In Deutschland ist sie sogar noch stärker zurückgegangen. Die EU-Kommission stellte in ihrem Forschungsfortschrittsbericht vom März 2003 - er ist nur wenige Tage alt - fest, dass die neu gegründeten, jungen Unternehmen der Biotechnikbranche - darauf haben auch die Regierungsfraktionen heute Morgen hingewiesen - stark einbrechen, Insolvenz erleiden oder gänzlich ins Ausland verschwinden. Deshalb, so meinen wir, muss sich die Bundesregierung intensiv für die umgehende Aufhebung des Moratoriums einsetzen. ({1}) Sie darf diese Aufhebung nicht wieder an neue, aufschiebende Bedingungen knüpfen, wie es Ministerin Künast vor wenigen Tagen mit der Feststellung andeutete, erst müssten alle EU-Richtlinien, die es in diesem Aufgabenfeld gebe, in Kraft sein, dann könne man darüber reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre tatsächlich das Ende jeder positiven Entwicklung in diesem Technologiebereich. ({2}) Man denke nur daran, dass die Bundesregierung die Umsetzung der EU-Richtlinie seit 1998 vor sich herschiebt. Dazu hat die EU in ihrem Fortschrittsbericht gesagt, dies bremse jede weitere Entwicklung in diesem Bereich. Am 24. April 2003, also in genau 14 Tagen, veranstaltet die EU-Kommission eine Tagung über die neuesten Forschungsergebnisse zur Koexistenz von gentechnischem und nicht gentechnischem Pflanzenbau. Auch das ist ein Grund, weshalb wir diesen Antrag heute in das Plenum eingebracht haben. Die Bundesregierung ist nun gefordert, eine zügige Verabschiedung von Leitlinien auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse zu fordern und zu fördern. Sie ist jedoch nicht gefordert, Detailfragen, zum Beispiel nach den Einzelheiten der Haftungsregelungen, zur Vorbedingung für die weitere Entwicklung zu machen. Es würde Jahre dauern, bis sich die gesamte EU auf detaillierte Bestimmungen tatsächlich einigen könnte. In diesem Bereich muss jetzt nach dem Subsidiaritätsprinzip gehandelt werden, zumal wir in Deutschland bereits ein umfassendes und ausreichendes Haftungsrecht für all diese Fragen haben. ({3}) - Verehrte Frau Höfken, interessanterweise hat das sogar Ihr Kollege Trittin festgestellt und bestätigt. Wie ich einer Meldung des VWD vom 24. März dieses Jahres entnehme - sie ist also ganz aktuell -, hat er Folgendes gesagt - ich zitiere -: Auch für die EU-weite Regelung von Schäden durch gentechnisch veränderte Organismen ({4}) sei von deutscher Seite kein Bedarf. In Deutschland … sei dieser Bereich durch die zivilrechtliche Haftung geregelt. ({5}) Also, auch Herr Trittin hat gelegentlich einmal Recht. Ich glaube, dort hat er eine richtige Äußerung getroffen. Ich meine, an dieser Stelle eine neue Diskussion und eine Verzögerungsdebatte zu eröffnen würde Deutschland und die Europäische Union von ihren selbst gesteckten Zielen für den Zeitraum bis 2010 vollends abbringen. Wo heute Forschung und Entwicklung verschwinden - dessen müssen wir uns doch immer bewusst sein -, verschwinden morgen auch die Arbeitsplätze. ({6}) Ich meine, Sie müssten aus Erfahrung klug geworden sein. Es kann auch nicht hingenommen werden - ich greife ein tagesaktuelles Thema auf -, was die - ich sage das ganz bewusst - Krawallorganisation Greenpeace vorgestern wieder angestellt hat. Erstmals hat das Robert Koch-Institut nach ausführlicher wissenschaftlicher und rechtlicher Prüfung den Versuchsanbau eines pilzresistenten GVO-Weizens genehmigt, und das - bitte hören Sie gut zu! - für ein Areal von zehn mal 19,5 Metern; das entspricht der Größe eines Vorgartens. So viel ist vom großflächigen Programm des Kanzlers von der EXPO 2000 offensichtlich übrig geblieben. Damals war von dem Anbau auf einer Fläche von 10 000 Hektar die Rede. Diesen Anbau hat man der Industrie auch zugesichert. Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren Regierungshandeln in diesem Land. Aber - deswegen habe ich es eben gesagt - Greenpeace hat dieses Versuchsfeld bereits wieder zerstört und unbrauchbar gemacht. ({7}) Das geschah mit der interessanten und, wie ich finde, unglaublichen Begründung, die von uns, dem Gesetzgeber, geschaffenen rechtlichen Regeln seien für Greenpeace nicht ausreichend. ({8}) Greenpeace hat sein eigenes Rechtsverständnis, welches über dem des Deutschen Bundestages steht! Greenpeace meint aus diesem Verständnis heraus, man könne Felder verwüsten und das Eigentum anderer Leute beschädigen. Ich glaube, das kann so nicht hingenommen werden. ({9}) Ich fordere auch von Ihnen, von den Fraktionen der Grünen, der SPD, aber auch von der Bundesregierung, dass Sie sich von diesem Handeln deutlich distanzieren und klar sagen, dass es in Deutschland nicht so weitergehen darf. Man darf nicht immer wieder das Argument hervorholen - es kam heute Morgen vom Kollegen Fell, der gerade gegangen ist -, die Bevölkerung wolle keine Gentechnik und deswegen brauche man sie nicht weiterzuentwickeln. Dies ist falsch, weil wir seit Jahren Tausende Tonnen an gentechnisch erzeugten Futtermitteln nach Deutschland importieren und in der Landwirtschaft und in der Industrie einsetzen. ({10}) - Ich habe Sie akustisch leider nicht verstehen können. ({11}) - Verbraucher haben die bestellt - richtig -, ({12}) nämlich Verbraucher, die als Landwirte diese Mittel einsetzen; ich komme gleich noch darauf zurück. Verehrter Herr Kollege, Sie werden heute kaum noch einen Käse aus dem Regal nehmen können, der nicht mit gentechnisch hergestelltem Lab erzeugt worden ist; Sie wissen das alles. ({13}) Sie wissen, dass Produkte der Gentechnik längst im Lande vorhanden sind. Sie behaupten aber immer, das sei etwas, was man in diesem Land nicht einführen dürfe. Durch das Moratorium, das durch Ihre Bundesregierung mit verursacht ist, haben die Bürger bis heute keinerlei praktischen Vergleich zwischen Produktlinien unHelmut Heiderich terschiedlicher Art. Deswegen kann man mit diesem Argument im Prinzip gar nicht kommen. Obwohl dieser Vergleich bis heute nicht möglich ist, zeigen die Umfragen aus neuester Zeit, dass die Akzeptanz der Gentechnik zunehmend größer wird. Das zeigen nicht nur die Umfragen in Deutschland; das zeigen auch Umfragen in der EU im Übrigen. Sie kennen die letzte Allensbach-Studie zu diesem Thema. Auch in der grünen Gentechnik - das ist darin ausdrücklich abgefragt worden - sehen die Menschen inzwischen mehr Vorteile als Nachteile. Wir sind deshalb als Entscheidungsträger aufgerufen, dem aktuellen Argument des EU-Forschungskommissars Busquin vom vergangenen Freitag zu folgen. Busquin hat das folgendermaßen formuliert - ich zitiere -: Neue gentechnische Verfahren bieten ein immer größeres Potenzial für die umweltfreundliche, verbraucherorientierte Sortenzüchtung. Diesem Argument braucht man nichts hinzuzufügen. In den 90er-Jahren - ich will noch einmal daran erinnern - haben wir mit dem Bio-Regio-Wettbewerb eine tolle Aufholjagd geschafft: Neue Unternehmen entstanden, Netzwerke wurden geknüpft, private und öffentliche Forschungsaktivitäten waren weltweit an der Spitze dabei. Auch hierbei lässt es die Bundesregierung an Fortsetzung fehlen. Insbesondere fehlt es an Konzepten, um die bisher erreichten Erfolge zu verstetigen und den Spitzenleistungen, die in einzelnen Regionen erreicht worden sind, auch international das Mithalten im Wettbewerb zu ermöglichen. Dies ist nicht nur eine Frage des Geldes, das ist auch eine Frage der Konzeption und es ist eine Frage des Sichkümmerns um die Probleme. Ich möchte Sie von hier aus dazu aufrufen: Suchen Sie jetzt nicht wieder nach Ausreden, um Entwicklungen zu verhindern, führen Sie nicht wieder Diskussionen auf grundsätzlichen ideologischen Ebenen, sondern handeln Sie, um die von uns und von Ihnen selbst gesteckten Ziele der europäischen Agenda 2010 - das Wort ist inzwischen Mode geworden - zu erreichen, ({14}) damit wir Zukunftsentwicklung und Arbeitsplätze bei uns im Lande schaffen und von den Entwicklungen in anderen Regionen des Erdballs nicht weiter abgehängt werden! Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie stimmen dementsprechend unserem Antrag zu. Vielen Dank. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Matthias Berninger das Wort. Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um gleich mit einer Legendenbildung aufzuräumen: Herr Kollege Heiderich, nicht das Moratorium hat den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa gestoppt, sondern eine klare Entscheidung der Verbraucher. Dieses Moratorium ist auf Druck einiger Regierungen in Brüssel zustande gekommen, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher die schleichende Einführung der grünen Gentechnik, die in anderen Teilen der Welt möglich war, in Europa nicht wollten. ({0}) Ich bin froh darüber, dass wir in der erweiterten Europäischen Union einen Binnenmarkt von beinahe einer halben Milliarde Menschen haben, die es sich nicht gefallen lassen, dass irgendwelche großtechnologischen Unternehmen ihnen Dinge vorsetzen, sondern die als Verbraucherinnen und Verbraucher ihren klaren Willen zum Ausdruck bringen. - Das also führte vor einigen Jahren zu dem Moratorium. Im Übrigen ist es nur ein De-facto-Moratorium, weil die Kommission rein rechtlich jederzeit die Möglichkeit hätte, es zu umgehen. Sie ist aber klug beraten, es nicht zu tun. Sie weiß, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa als Verbraucherinnen und Verbraucher überhaupt kein Interesse daran haben, dass große multinationale Konzerne ihre Belange in den Vordergrund schieben. ({1}) Ein zweiter wichtiger Punkt: Sie haben gesagt, die Akzeptanz für die grüne Gentechnik werde größer. Ein Blick in die Reihen der Union macht zweierlei deutlich: Die Akzeptanz ist nicht so besonders groß, denn es ist kaum jemand da. ({2}) Bemerkenswerter ist aber, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus dem Agrarausschuss verstecken. Ich suche sie hier vergeblich. ({3}) - Die von der Union. - Ich weiß auch, warum sie sich verstecken: Weil die Position, die die Union in ihrem Antrag formuliert, nicht einmal vom Deutschen Bauernverband getragen wird. ({4}) Die Schleusen für die grüne Gentechnik zu öffnen würde bedeuten, dass man die Interessen derjenigen Parl. Staatssekretär Matthias Berninger Landwirte, die gentechnikfrei produzieren wollen - die Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland wollen gentechnikfrei produzieren -, den Interessen derjenigen opfert, die sagen, dass sie das Neue einmal ausprobieren wollen. Die Bundesregierung setzt auf Wahlfreiheit. ({5}) Um Wahlfreiheit sicherzustellen, muss man aber gerade bei der Einführung der Gentechnik dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die sich für gentechnikfreien Anbau entscheiden, das auch tun können, ohne wirtschaftlichen Schaden zu erleiden. ({6}) Nehmen Sie die große Gruppe der Landwirte, die heute beispielsweise Raps anbaut, welcher dann nachher in Margarine verarbeitet wird. Große Konzerne wie Unilever zum Beispiel haben sich ja entschieden, gentechnikfreie Margarine auf den Markt zu bringen. Wenn in einer Region, die für Unilever produziert, jemand damit anfangen würde, gentechnisch veränderten Raps in großem Stil anzubauen, weil er wie der Kollege von der Union der Meinung ist, man müsse jetzt einmal richtig loslegen, haben alle anderen ein massives wirtschaftliches Problem. Das ist der Grund, warum Bundesministerin Künast sehr klar sagt: Die Fragen, wie die Koexistenz von gentechnikfreier und auf Gentechnik basierender Produktion verbindlich geregelt wird und wie klar dokumentiert wird, wo gentechnisch veränderte Organismen angebaut werden, sind so wichtig und zentral, dass sie erst geklärt werden müssen, bevor man das Moratorium aufhebt. ({7}) Diese Auffassung wird von vielen europäischen Regierungen geteilt. Ich will noch eines hinzufügen: Hierbei handelt es sich nicht, wie Sie meinen, um eine Verzögerungstaktik; vielmehr hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben bezüglich der Frage, wie Koexistenz realisiert werden kann, gemacht. Wir haben uns im Gegensatz zu Ihnen massiv dafür eingesetzt, dass klare Kennzeichnungsregeln eingeführt werden. Ich freue mich, wenn sich Europäisches Parlament und Kommission auf klare Grenzwerte für die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Organismen verständigen. Dazu noch eine Bemerkung: Als wir die Kennzeichnungspflicht eingeführt haben, sagte die Gentechniklobby, das sei kein Problem, und forderte, alle gentechnikfreien Produkte zu kennzeichnen, die gentechnisch produzierten sollten stattdessen einfach so auf den Markt kommen. Sie wäre also damit einverstanden gewesen, alle gentechnikfreien Produkte zu kennzeichnen. ({8}) Nach der gleichen Philosophie soll nun der Anbau betrieben werden: Jeder soll zwar gentechnikfrei anbauen können, aber derjenige, der das unbedingt will, soll selber dafür sorgen, dass seine Produkte nicht von gentechnisch veränderten Produkten beeinflusst werden. Das kann es ja wohl nicht sein: Obwohl die breite Mehrheit der Landwirte für gentechnikfreien Anbau ist, soll sie von einer Minderheit, die zusammen mit Monsanto und anderen großen Unternehmen versucht, die Gentechnik einzuführen, gezwungen werden, ihre Produktionsmethoden zu verändern und wirtschaftlichen Schaden hinzunehmen. Das ist unausgewogen ({9}) und widerspricht den Verbraucherrechten und auch dem Recht auf Wahlfreiheit. Das ist der Grund, warum wir hier eine Regelung vonseiten der Kommission erwarten und gemeinsam mit der Kommission für eine einheitliche europäische Regelung eintreten. Egal, was wir machen und wie wir handeln, immer erhebt die Opposition die Forderung nach einheitlichen europäischen Regelungen. In ihrem Antrag zur Freigabe der Gentechnik heißt es dann aber plötzlich: Subsidiarität sei nötig, wir sollten einmal Tempo machen und nicht auf europäische Regelungen warten. ({10}) Diese Doppelzüngigkeit kritisiere ich. Sie ist auch der Grund dafür, warum ich glaube, dass Sie mit Ihrer Politik nicht die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft, sondern die Interessen einer Agrarindustrie vertreten, die in großen Strukturen organisiert ist. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir ein solches Vorgehen ablehnen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Christel HappachKasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Berninger, Sie haben, wie ich meine, an den Problemen Deutschlands vorbei- und ausschließlich für eine rot-grüne Klientel geredet. ({0}) Sie verspielen mit Beiträgen wie dem, den Sie gerade abgegeben haben, Deutschlands Zukunft. Ich will das durchaus näher begründen: Deutschland droht gemeinsam mit elf anderen Ländern eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, wenn nicht umgeDr. Christel Happach-Kasan hend die EU-Richtlinie über die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen umgesetzt wird. So lautete eine Meldung von heute. Schade, dass Sie nicht näher darauf eingegangen sind. Auch wenn dies nicht das erste Klageverfahren wäre, stellt sich für mich die Frage, welchen Sinn es macht, diese Klage abzuwarten, statt endlich die Richtlinie umzusetzen. Die Bundesregierung konnte in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage keine einzige Schädigung von Mensch oder Umwelt durch transgene Pflanzen benennen. Sie haben die Antwort unterschrieben, Kollege Berninger. Die grüne Gentechnik führt somit nicht zu Gesundheits- oder Umweltschäden. Das ist eine gute Nachricht, wenn auch nicht für Rot-Grün. Schließlich werden in sieben Ländern auf fast 60 Millionen Hektar transgene Pflanzen angebaut. Es gibt somit ausreichende und offensichtlich gute Erfahrungen im Umgang mit transgenen Pflanzen. ({1}) Der Anbau von goldenem Reis in Asien kann helfen, Menschen vor Erblindung zu schützen. ({2}) Goldener Reis ist eine transgene Sorte. Es gibt somit sehr gute Gründe, den Anbau von transgenen Pflanzen zu fördern, statt ihn zu verhindern. ({3}) In der Öffentlichkeit - auch dazu hätte ich Ausführungen von einem Vertreter der Bundesregierung erwartet setzt sich allmählich die Meinung durch, dass gentechnisch veränderte Pflanzen kein erhöhtes Risiko bedeuten. Auch der äußerst diskrete Umgang der Bundesregierung mit den Ergebnissen einer Allensbach-Studie, die Ende 2001 veröffentlich wurde und dies belegt, kann daran nichts ändern. Es gibt somit auch eine öffentliche Akzeptanz für einen verantwortungsvollen Umgang mit transgenen Pflanzen. Der Zickzackkurs der Bundesregierung bei der grünen Gentechnik ist nicht zu übersehen. Schröder wollte den kritischen Dialog, herausgekommen ist eine Fundamentalopposition. Aber inzwischen plant Ministerin Künast den geordneten Rückzug. Die Forderung nach Nulltoleranz für zufällige Beimischungen wird von ihr nicht aufrechterhalten. Gut so! Der Schwellenwert von 0,9 Prozent ist akzeptiert. Nun will die Ministerin über Haftungsregelungen eine neue Hürde aufbauen. Dabei ist Deutschland auch in dieser Frage kein rechtsfreier Raum. Kollege Heiderich hat darauf hingewiesen. Es wird zu prüfen sein, inwieweit unterschiedliche Züchtungsmethoden unterschiedliche rechtliche Regelungen erfordern. Ministerin Künast hat im „Spiegel“ erklärt, dass Verbraucher, die sich für gentechnikfreie Lebensmittel entscheiden, auf keinen Fall mehr zahlen sollen - eine tolle Forderung. Dabei weiß sie genau, dass schon jetzt das Gegenteil gilt. GVO-freies Soja kostet pro Tonne zwischen 5 und 25 Euro mehr als anderes Soja, so die Antwort der Bundesregierung auf meine Anfrage. Trotzdem sagt Ministerin Künast im „Spiegel“ solchen Unsinn. ({4}) Die grüne Gentechnik - das zeigt der Zickzackkurs der Regierung - ist für Rot-Grün ein äußerst schwieriges Thema. Die SPD wird an ihrem Erfolg beim Abbau der Arbeitslosigkeit gemessen - bisher Fehlanzeige. Die Grünen bedienen mit etwas mehr Erfolg die Klientel der Bedenkenträger. Zusammen reicht es weder in Hessen noch in Niedersachsen zur Regierung. Neue Arbeitsplätze können in einem Hochlohnland wie Deutschland insbesondere in der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien entstehen. Wir brauchen neue Arbeitsplätze; das sollte in diesem Hause jedem klar sein. Bei der roten Gentechnik haben in Hessen gerade die Grünen dafür gekämpft, dass Deutschland seine Forschungsergebnisse nur zu einem geringen Anteil zur Entwicklung von marktfähigen Produkten nutzen konnte. Bei der grünen Gentechnik tun sich die Grünen dabei hervor, die Entwicklung von Produkten und auch die notwendige Forschung ins Ausland zu verdrängen. Dafür gibt es konkrete Beispiele. Ich fordere meine Kollegen aus Schleswig-Holstein auf, für Arbeitsplätze in unserem gemeinsamen Bundesland zu kämpfen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit, Sie sind schon weit drüber.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich komme zum Schluss. - Ein führendes norddeutsches Pflanzenzuchtunternehmen, das in SchleswigHolstein und in Mecklenburg-Vorpommern jeweils einen Standort hatte, hat die Entwicklung transgener Sorten nach Kanada ausgelagert. ({0}) Kämpfen Sie für Arbeitsplätze in unserem Land! Mit Ihrer Politik kann es nicht gelingen, Arbeitsplätze bei uns zu erhalten. Die SPD wird sich entscheiden müssen, ob sie ihre Politik an den Interessen der Menschen im Lande oder an denen ihres grünen Koalitionspartners ausrichtet. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Matthias Weisheit.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag ist von der Überschrift her eine Mogelpackung; denn in der Überschrift steht Biotechnik, im Antrag selber ist ausschließlich von grüner Gentechnik die Rede. ({0}) - Doch, natürlich, aber Biotechnik ist sehr viel weitergehend als grüne Gentechnik. Sie hätten anstandshalber doch wenigstens hineinschreiben können, um was es Ihnen geht. Weil Sie das nicht getan haben, ist es eine Mogelpackung. Sie haben mit dem Lab und den Fermenten ein biotechnologisches Beispiel gebracht, Herr Heiderich; dafür war ich Ihnen richtig dankbar. Das ruft in der Tat in der Bevölkerung keine Probleme hervor. Aber bei dem, was an Saatgut und Pflanzen auf den Acker kommt, sieht es schon anders aus. Europaweite Umfragen zeigen, dass die Skepsis und die Ablehnung der grünen Gentechnik im Vergleich zur Befürwortung weit überwiegen. ({1}) Ich komme zum nächsten Punkt. Die zur Verabschiedung anstehende EU-Kennzeichnungs- und Rückverfolgbarkeitsverordnung ist ein wichtiger Fortschritt, weil sie eine Kennzeichnung auch für gentechnisch veränderte Futtermittel vorschreibt. Vom In-Kraft-Treten dieser Verordnung hängt die von Ihnen, Frau HappachKasan, angemahnte Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie ab, die im Vergleich zur alten, bereits abgelösten Regelung hinsichtlich der Monitoring-Anforderungen einen erhöhten Sicherheitsstandard bietet. Sobald die EU-Rückverfolgbarkeitsverordnung steht, werden wir diese Richtlinie umsetzen. Es sind zwar noch kleinere Auseinandersetzungen mit dem Parlament zu erwarten. Aber ich hoffe, dass die noch offenen Fragen gelöst werden können. Anschließend, wenn also diese Voraussetzungen erfüllt sind, und nicht vorher kann man die Richtlinie umsetzen und das De-facto-Moratorium aufheben. Lassen Sie mich noch etwas zur Haftungsfrage sagen. Die in Ihrem Antrag vertretene Ansicht, dass sich das Haftungsrisiko nur auf wirtschaftliche Schäden beschränkt und dass die Frage des Haftungsrisikos bei uns gelöst sei, kann ich nicht teilen. Die Zulassungsverfahren dienen dazu, Schäden für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt zu vermeiden. Man kann sie aber nicht völlig ausschließen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den vom Bundestag in Auftrag gegebenen Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung „Risikoabschätzung und Nachzulassungsmonitoring transgener Pflanzen“ vom November 2000. Darin heißt es, dass es sich bei den Umweltwirkungen von Freisetzungen um „unspezifische biologische Phänomene handelt, die von einer Vielzahl wechselwirkender Faktoren abhängig sind und die trotz teilweise jahrzehntelanger Forschung in vielen Aspekten nur unvollständig verstanden sind“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Helmut Heiderich ({2}) Wenn dem so ist, dann ist die Frage nach der Haftung nicht ganz so einfach zu beantworten. Umweltschäden lassen sich nicht von vornherein ausschließen. Ich bin daher der Meinung, dass wir bei der Haftung auf europäische Regelungen drängen müssen und dass wir uns nicht auf nationale Regelungen beschränken dürfen. Ich finde es übrigens ganz toll, dass Sie im Zusammenhang mit der Koexistenz das Subsidiaritätsprinzip anwenden wollen. Wenn wir das machen würden, dann wären Sie die Ersten, die schreien würden: Wettbewerbsnachteile für die deutsche Landwirtschaft! Das kann nicht unser Ziel sein. Das Ziel muss vielmehr sein, Mindestvereinbarungen auf europäischer Ebene zu haben. Zum Beispiel machen Pollen nicht an den Grenzen halt. Für den im Elsass angebauten Raps oder Mais existiert die Grenze am Rhein nicht. Die Pollen können einfach zu uns herüberfliegen. Beispiele von größeren Dimensionen: Staub gelangt ab und zu von der Sahara über das Mittelmeer und die Alpen bis zu mir nach Hause. Über London befinden sich immer wieder gewaltige Pollenkonzentrationen von Raps, obwohl in London und in der direkten Umgebung kein Raps angebaut wird. Im Hinblick auf Haftungsregelungen muss man also internationale - zumindest europäische - Vereinbarungen treffen und kann diese Fragen nicht bloß auf der nationalen Ebene regeln. ({3}) Ihrer Forderung nach Aufhebung des Moratoriums und der Wiederaufnahme der Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen können wir so lange nicht entsprechen, solange die Verordnung zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit noch kein geltendes Recht ist und die Freisetzungsrichtlinie noch nicht umgesetzt ist. ({4}) - Ich habe doch gesagt, dass man sie jetzt umsetzen kann. ({5}) - Doch, wir werden sie umsetzen; Sie werden sich noch wundern. ({6}) Auch steht noch die Klärung von Fragen bezüglich Koexistenz und Haftung aus. Es geht nicht nur um Rechtssicherheit für die Gentechnikbranche, sondern auch um Klarheit und Rechtssicherheit für Bauern und Verbraucher. Mich wundert es schon, dass auf dem vorliegenden Antrag die Namen aller CDU/CSU-Verbraucherschützer stehen, die ansonsten sehr kritisch sind, was den Verbraucherschutz angeht. In diesem Zusammenhang haben sie ihre Vorbehalte wohl völlig vergessen. Es muss klar sein: Wenn ich als Verbraucher - aus welchem Grund auch immer - keine gentechnisch veränderten Produkte haben will, dann muss ich mich darauf verlassen können, dass in dem Lebensmittel, in dem Produkt, das ich einkaufe, kein gentechnisch veränderter Organismus enthalten ist. ({7}) - Natürlich beinhalten solche Produkte zugegebenermaßen gentechnisch veränderte Organismen bis zu dem festgelegten Grenzwert von 0,9 Prozent. Auf genau diese Argumentation konnte man warten: Ein bisschen lasst ihr ja zu; dann könnt ihr es ja ganz zulassen. Das ist die Strategie, die einmal ein Konzern gefahren hat: Sie wollten sich auf die Gentechnik einlassen und haben versucht, solche Produkte zu verkaufen. Das ist ihnen nicht gelungen. Deshalb haben sie dies schnell wieder eingestellt. Durch die Hintertür geht das nicht. Für den Verbraucher muss klar sein, welche Produkte er kauft. ({8}) Mich wundert es, wie gesagt, dass die Namen aller Verbraucherschützer der CDU/CSU auf dem Antrag stehen. Dass Ihr Name, Herr Heiderich, darauf steht, hat mich natürlich nicht gewundert. Es bleibt noch ein Punkt, der mich angesichts Ihrer Forderungen etwas stutzig gemacht hat: die klare Unterstützung der Biotechbranche. Zunächst einmal ist das wieder eine Mogelpackung. Nach Lesen des Antrages stellt sich die klare politische Unterstützung der grünen Gentechnikbranche bzw. von ein paar Saatgutherstellern heraus, die sich darauf spezialisiert haben. Dies zu tun, so meine ich, ist weder Sache einer Regierung noch Sache des Parlamentes. Wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen - wir sind gerade dabei -, dann muss die Branche selber für Akzeptanz sorgen. Das ist wohl der richtige Weg. ({9}) Wenn Sie die Unterstützung so verstehen sollten - auch das könnte man herauslesen -, dass die Regierung zur Werbeagentur für diese Branche werden soll, ({10}) dann wäre das schon aus sachlichen Gründen ein Grund genug, Ihren Antrag abzulehnen. Ich hätte noch eine Redezeit von zwei Minuten. Ich verzichte darauf, weil ich den vorliegenden Antrag von vornherein für nicht beratungswürdig gehalten habe. Wir müssen aber darüber beraten. Ich danke für die Aufmerksamkeit und verschenke die restlichen zwei Minuten meiner Redezeit. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/803 mit dem Titel „Hürden für die Biotechnik abbauen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2001 ({0}) - Drucksache 15/230 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({1}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Rüstungsexportbericht 2001, den ich Ihnen hier kurz vorstellen will, ist der dritte seiner Art. Mit ihm legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag Rechenschaft über die Rüstungsexportpolitik des Jahres 2001 ab. Diese Debatte findet vor dem Hintergrund des Krieges im Irak statt. Dies verleiht dem Rüstungsexportbericht besondere Aktualität. Der neue Bericht zeigt, dass die Bundesregierung im Jahre 2001 wieder eine verantwortungsvolle Rüstungspolitik verfolgt hat, gerade auch mit Blick auf Staaten in der Konfliktregion, deren Politik zur besonderen Sorge Anlass gibt. Bei aller Zurückhaltung sind jedoch gleichzeitig die bündnispolitischen Verpflichtungen unseres Landes zu berücksichtigen. Deutschland muss, insbesondere im Rahmen von EU und NATO, als verlässlicher Kooperationspartner für gemeinsame Rüstungsprojekte zur Verfügung stehen und übernommene Verpflichtungen in diesem Rahmen erfüllen. Diese Haltung, die Offenheit gegenüber EU-, NATO- und der NATO gleichgestellten Ländern - dabei handelt es sich um Australien, Japan, Neuseeland und die Schweiz - einerseits und die Zurückhaltung gegenüber sonstigen Ländern andererseits, prägt das mit dem Rüstungsexportbericht 2001 unterbreitete Zahlenmaterial. Der Bericht soll die Exportkontrollpolitik der Bundesregierung transparent machen. Die Darstellung der rechtlichen und politischen Entscheidungsgrundlagen für die Rüstungspolitik steht dabei im Mittelpunkt. Diese Darstellung wird durch tabellarisch aufbereitetes Zahlenmaterial sowohl zu erteilten Ausfuhrgehmigungen als auch zu tatsächlichen Ausfuhren ergänzt. Im Interesse der Transparenz ermöglicht der Bericht zudem einen Überblick über die Entwicklung der Genehmigungen und tatsächlichen Ausfuhren in den Jahren 1996 bis 2001. Das Bild wird, wie schon im Vorjahr, durch eine Strafverfolgungsstatistik, Abschnitte über an andere Länder geleistete militärische Ausrüstungshilfen sowie über neu abgeschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüstungsgüterbereich mit deutscher Beteiligung ergänzt. Ein besonderes Kapitel des Rüstungsexportberichts ist der Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Kleinwaffen gewidmet. Damit würdigt die Bundesregierung die herausgehobene Bedeutung der Kleinwaffenproblematik. Im Jahr 2001 hat zu diesem Thema eine große UN-Konferenz in New York stattgefunden, bei der wir uns zusammen mit unseren europäischen Partnern für eine stringente Exportpolitik bei dieser Waffenkategorie eingesetzt haben. Im Nachgang beteiligt sich Deutschland maßgeblich an verschiedenen internationalen Initiativen zu dieser Problematik. Diese Bemühungen werden auf der UN-Folgekonferenz im Juli 2003 in New York ihre Fortsetzung finden. Ich möchte nun kurz auf die Zahlen des Berichts eingehen. Mir ist natürlich bewusst, dass es nie ganz unproblematisch ist, mit Statistiken einen Nachweis führen zu wollen - vor knapp zwei Stunden haben wir hier eine Parlamentsdebatte zu anderen Fragen der Statistikführung gehabt -; das gilt insbesondere dann, wenn die Datenbasis schmal und daher anfällig für zufällige Schwankungen ist. Dies ist bei den Zahlen des Rüstungsexportsberichts der Fall. Sie zeigen allerdings - insoweit lässt sich in der Tat eine klare Aussage treffen -, dass der Anteil der Rüstungsexporte an den deutschen Gesamtausfuhren sehr gering - um nicht zu sagen: außerordentlich gering - ist. Das Zahlenwerk lässt aber darüber hinaus den restriktiven Ansatz unserer Exportkontrollpolitik erkennen. Bei den Kriegswaffen, also den Rüstungsgütern, die, grob gesprochen, als Waffen angesehen werden können, liegen statistische Daten für die tatsächlich erfolgten Ausfuhren vor. Der Anteil der tatsächlich erfolgten Ausfuhren lag im Jahr 2001 bei nur 0,06 Prozent. Er ist damit gegenüber dem Vorjahr erneut gesunken, und zwar um 0,11 Prozent. Der Gesamtwert aller ausgeführten Kriegswaffen betrug 718,4 Millionen DM. Da sich der Bericht auf das Jahr 2001 bezieht, spreche ich nicht von Euro, sondern von D-Mark. Auch dieser Wert ist gegenüber dem Vorjahr, also dem Jahr 2000, erneut zurückgegangen, und zwar um 46 Prozent. Bei den Genehmigungen für Ausfuhren liegen für alle Rüstungsgüter, also sowohl für Kriegswaffen als auch für alle sonstigen Rüstungsgüter, statistische Angaben vor. Im Berichtsjahr wurden Einzelausfuhrgenehmigungen im Wert von 7,209 Milliarden DM erteilt. Dieser Wert liegt deutlich über dem Wert des Vorjahres. Die Genehmigungswerte für die Ausfuhr in EU-, NATO- und gleichgestellte Länder blieben dabei praktisch unverändert. Dagegen haben sich die Genehmigungswerte für Ausfuhren in die anderen Länder, die so genannten Drittländer, mehr als verdoppelt. Dafür kann ich eine Erklärung liefern: Diese Steigerung beruht im Wesentlichen auf einer Genehmigung für die Lieferung von drei U-Booten an Südkorea. Auch hinter dieser Verdoppelung verbirgt sich also kein großartiger, schlimmer Tatbestand, sondern er ist damit einfach erklärt. Auch für Sammelausfuhrgenehmigungen ist ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Diese Genehmigungen werden für Ausfuhren im Rahmen von Kooperationsprojekten mit EU- und NATO-Ländern erteilt. Sie ermöglichen den vereinfachten Warenaustausch zwischen den Kooperationspartnern und stellen somit unter anderem ein wichtiges Instrument für die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Rüstungsindustrie dar. Der Anstieg beruht unter anderem auf den Fortschritten im Eurofighter-Programm, für das verstärkt auf Sammelausfuhrgenehmigungen zurückgegriffen wurde. Der Rüstungsexportbericht beschäftigt sich erneut mit den viel beachteten internationalen Vergleichsstatistiken, die ein Länderranking vornehmen. Unsere Untersuchungen führen zu dem Ergebnis, dass bislang ein seriöser Vergleich der bedeutenden Exportländer nicht möglich ist. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Statistiken unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden und in der Bewertung einzelner Ausfuhren sehr unterschiedlichen Regeln folgen. Transparenz und Vergleichbarkeit setzen insoweit eine gewisse internationale Harmonisierung voraus. Wir unterstützen entsprechende Bestrebungen, doch sind greifbare Ergebnisse in diesem Zusammenhang nur in kleinen Schritten zu erwarten. ({0}) Bei aller somit gebotenen Vorsicht - - Frau Kollegin, wenn Sie etwas leiser telefonieren könnten, dann müsste ich Ihr Gespräch nicht mithören. ({1}) - Ich halte das für eine schwierige Materie. Eine schwierige Materie muss man hier nicht echauffiert oder sonst wie vortragen. ({2}) Es geht vielmehr darum, die Fakten darzustellen. ({3}) Im Übrigen: Wenn die Kollegin Interesse hätte, dann würde sie zuhören und nicht telefonieren. Das ist ja auch ein Problem. Bei aller somit gebotenen Vorsicht dürfte Deutschland nach meiner Einschätzung aber um einiges hinter den USA, Russland, Frankreich und wohl auch Großbritannien liegen. Das schließt nicht aus, dass hier auch noch andere Länder zu nennen wären, deren Statistiken sich aber einer vergleichenden Betrachtung gänzlich entziehen. ({4}) - Stimmt, Herr Kollege Polenz. Hauptempfänger deutscher Rüstungsgüter sind in allererster Linie unsere EU- und NATO-Partner. Mehr als 80 Prozent des Gesamtwertes der erteilten Genehmigungen entfallen auf Ausfuhren in EU-, NATO- und gleichgestellte Länder. Dies lässt zum einen die grundsätzlich restriktive Genehmigungspolitik gegenüber den anderen Ländern erkennen. Zum anderen wird dadurch aber auch die Einbindung Deutschlands in partnerschaftliche Kooperationen deutlich, was sich insbesondere an dem hohen Wert für Sammelausfuhrgenehmigungen ablesen lässt. Wie gesagt, die Berufung auf Statistiken ist nie ganz unproblematisch. Der Rüstungsexportbericht, den ich Ihnen hier kurz vorgestellt habe, zeigt nach meiner Überzeugung aber durchaus, dass die Bundesregierung eine überlegte und äußerst zurückhaltende Exportkontrollpolitik betrieben und damit die Vorgaben der von ihr geschaffenen politischen Grundsätze erfüllt hat. Dass sie damit auch ihre aus der Kooperation mit anderen Ländern erwachsenen Verpflichtungen zu berücksichtigen hatte, habe ich bereits erwähnt. Meine Damen und Herren, wir sind gut beraten, wenn wir diese Politik auch in Zukunft mit Augenmaß fortsetzen. Genau das werden wir auch tun. Ich danke Ihnen herzlich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Erich Fritz von der CDU/ CSU-Fraktion.

Erich G. Fritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Begriffe Aktualität und Transparenz benutzt. Aktuell ist dieser Bericht nun wirklich nicht. Er war im Mai im Ministerium fertig. Im Juni konnten wir die Zahlen von SIPRI lesen; da war schon klar, dass Deutschland im Jahr 2001 mit Ausfuhren in Höhe von 675 Millionen US-Dollar der fünftgrößte Rüstungsexporteur gewesen ist. Im Dezember haben wir dann den Bericht der Bundesregierung bekommen. Seit dem 18. Dezember liegt er jetzt dem Bundestag vor. Dieser Rüstungsexportbericht 2001 kommt also schon sehr spät, noch später als die ersten beiden Berichte, die auch schon spät vorgelegt wurden. Woran mag das gelegen haben? Der eigentliche Vorlagetermin wäre zur Zeit der Bundestagswahl gewesen. Das passte vielleicht nicht ganz gut. Rot-Grün konnte und wollte den Wählern und Wählerinnen wahrscheinlich nicht so einfach sagen, dass das, was sie zur Rüstungsexportpolitik versprochen hatten, in ihrer Regierungszeit nicht umgesetzt wurde. Es wird weiter gemacht wie bisher, was ja nichts anderes belegt, als dass auch in der Vergangenheit in diesem Bereich bereits eine sehr verantwortungsvolle und restriktive Politik gemacht wurde. Dem Rüstungsexportbericht zufolge sind die Einzelgenehmigungen von 5,6 Milliarden DM im Jahr 2000 auf 7,2 Milliarden DM im Jahr 2001 gestiegen. Die Sammelausfuhrgenehmigungen sind von 3,7 Milliarden DM in 2000 auf 7,5 Milliarden DM in 2001 gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil der Exporte, die nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigt werden müssen, damit um 29 Prozent. Sie haben zum Verhältnis zwischen Genehmigungen und Ausfuhren etwas gesagt, das wir gerne zugestehen wollen. Die deutschen Rüstungsexporte bewegen sich also weiter auf einem durchaus gewohnten Niveau. Deutschland rangiert nach wie vor an fünfter Stelle nach den USA, Russland, Frankreich und Großbritannien. Ich will im Folgenden einmal versuchen, die Aussagen im Rüstungsexportbericht mit Ihren eigenen Ansprüchen zu vergleichen. Die Kriterien Menschenrechtsstatus, innergesellschaftliche Lage und regionale Sicherheit im Empfängerland haben im Jahr 2001 sicher keine ausreichende Berücksichtigung gefunden. So hat es auch diesmal Lieferungen in die Türkei oder nach Israel gegeben. Die Türkei ist das fünftwichtigste Bestimmungsland bei erteilten Einzelgenehmigungen und achtgrößter Empfänger kommerzieller Ausfuhren von Kriegswaffen. Israel ist der neuntgrößte Empfänger kommerzieller Ausfuhren von Kriegswaffen. Es wurden außerdem Ausfuhrlizenzen für Kleinwaffen wie Sturm- und Maschinengewehre, Pistolen und Munition erteilt, auch in offensichtliche Krisengebiete wie Bangladesch mit 129 Genehmigungen und Nepal mit neun Genehmigungen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat den rot-grünen Versuch, der Öffentlichkeit mit der Verabschiedung der politischen Grundsätze für den Import von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern weiszumachen, es gäbe wenige exklusive Kriterien, ohnehin von Anfang an als eine sehr populistische Maßnahme angesehen. Es geht nämlich in jedem Einzelfall um eine Abwägung, ob es außenpolitisch sinnvoll ist, eine Genehmigung zu erteilen oder nicht. Darum kommt niemand herum, selbst wenn er sich noch so schöne Kriterien gibt. Einen vollständigen objektiven Entscheidungskatalog kann es demnach nicht geben. Wie inkonsequent die Politik von Rot-Grün ist und wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinander liegen, zeigen die genannten Lieferungen. Ein weiteres Beispiel ist Taiwan. Das Exportverbot, so können wir Pressemitteilungen vom 29. Januar 2003 entnehmen, ist nicht so restriktiv, wie es die Bundesregierung vorgibt. Während die Bundesregierung den Wunsch des Kieler U-Boot-Herstellers HDW und seines US-Partners nach Lieferung von U-Booten bzw. U-BootAntrieben nach Taiwan abgelehnt und dabei auf ihre Ein-China-Politik verwiesen hat, - die wir teilen -, ist zur gleichen Zeit die Zahl der Genehmigungen für die Lieferung von Rüstungsgütern von 17 Genehmigungen in 2000 auf 34 Genehmigungen in 2001 angestiegen. Wohlgemerkt: Es mag gute Gründe für diese Genehmigungen geben und wir wollen sie gar nicht kritisieren. Es geht nur darum, dass immer bestimmte Ansprüche erhoben und hehre Ziele formuliert werden, die in der Praxis oft nicht so eingehalten werden, wie Sie es den Menschen weismachen wollen. Bei den Entwicklungsländern - auch dieser Frage muss man nachgehen - stimmt tatsächlich das, was der Staatssekretär vorgetragen hat. Die meisten Exporte gehen zwar in NATO-Staaten und NATO-vergleichbare Staaten, in Industrieländer und an osteuropäische Übergangsstaaten; aber immerhin gibt es auch Kriegswaffenlieferungen im Wert von 3,9 Millionen DM - zugegebenermaßen keine bedeutende Größenordnung - in Entwicklungsländer. Zu diesen Ländern gehören Südafrika, Tansania, Thailand oder Ecuador, bei denen eine Lieferung nicht ganz unproblematisch ist. Im Übrigen ist in der Zukunft mit einem Anstieg von Kriegswaffenexporten in Drittländer zu rechnen. Es sind nämlich bereits Verträge abgeschlossen worden, die bisher nur keinen Niederschlag im Rüstungsexportbericht gefunden haben. Diese Exporte beschränken sich aber - Gott sei Dank - auf den Marinebereich, sodass sich Befürchtungen, die man unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten anführen kann, nicht stellen. Als Empfängerländer sind Südafrika und Malaysia zu nennen. Zur Frage der Transparenz. Im Rüstungsexportbericht bleibt nach wie vor vieles im Dunklen. Der Bericht schlüsselt zwar genehmigte Listenpositionen sowie Anzahl und Gesamtwert der Genehmigungen nach Empfängerländern auf - das ist Anlage 5 -, aber eine weitere Aufschlüsselung innerhalb der Listenpositionen erfolgt nur teilweise. Unzureichend sind auch die Informationen hinsichtlich der genauen Beschreibung und der Stückzahl der genehmigten und tatsächlich gelieferten Güter sowie hinsichtlich des Endverbleibs. Angesichts dessen, dass die Kollegen von den Grünen und der SPD vor der Bundestagswahl dazu gesagt haben, man wolle das sehr verfeinern und verbessern - ich denke nur an die Äußerungen von Herrn Wend, im Wirtschaftsausschuss -, muss ich feststellen: Nichts ist in dieser Hinsicht passiert. Damit es in dieser Frage kein Missverständniss gibt, möchte ich betonen: Das sind keine Forderungen, die die CDU/CSU-Fraktion erhoben hat. Es sind vielmehr Ihre eigenen Kriterien, an denen ich Sie messe. ({0}) Wir sind der Meinung, dass wir in der Rüstungsexportkontrollpolitik vor allen Dingen gegenüber der Öffentlichkeit klarstellen müssen: Es ist ein Politikbereich, in dem sich Außenpolitik, nationale Interessen und Bündnisinteressen mit wirtschaftlichen Interessen verbinden, die wirtschaftlichen Interessen aber nicht im Vordergrund stehen dürfen. Aber vom Umsatz her, der in diesem Bereich erzielt wird, und dessen Bedeutung für die Außenwirtschaft kann wirklich niemand behaupten, dass wir darauf abstellen würden. Sie aber stellen immer eine überhöhte Moral auf, der Sie regelmäßig nicht gerecht werden. Das ist kein guter Weg, weil Sie auf diese Weise falsche Signale geben. Wir fordern - Herr Staatssekretär, das ist die Antwort auf Ihre Frage - eine gemeinsame europäische Rüstungspolitik. Das tun wir nicht erst seit heute. Ich finde es schön, dass sich die Bundesregierung in dieser Woche durch mehrere Äußerungen dazu bekannt hat, unter den neuen sicherheitspolitischen Bedingungen einiges von dem zu tun, was sie bisher versäumt hat. Ich halte es auch für sinnvoll, über die Einrichtung einer europäischen Rüstungsagentur nachzudenken. Das halte ich für einen sinnvollen Ansatz, der im Übrigen von der CDU/ CSU-Fraktion - ich nenne nur Karl Lamers; aber auch andere haben daran mitgewirkt - entwickelt worden ist. Wir brauchen über die Dual-Use-Verordnung hinaus eine gemeinsame europäische Exportregelung. Die bisherigen Selbstverpflichtungen reichen nicht aus. Wir brauchen eine einheitliche Struktur bei der europäischen Rüstungsindustrie. Denn wir müssen feststellen, dass es in einigen Ländern - Deutschland gehört nicht dazu -, entsprechend der ursprünglichen Ausrichtung der Rüstungswirtschaft, noch immer Überkapazitäten gibt und dass dies nach wie vor zu einem Exportdruck führt. Diese müssen wir gemeinsam abbauen. Wir müssen die Bedürfnisse auf das ausrichten, was im Bündnis und was für eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und eine europäische Verteidigungspolitik nötig ist. Um das alles müssen wir uns ernsthaft bemühen; denn es geht auch darum, ob man entscheidenden politischen Einfluss behält. Ich denke zum Beispiel an die Ausstattung der neuen NATO-Mitglieder. Wir haben uns zwar sehr für deren Mitgliedschaft eingesetzt, haben es aber nicht geschafft, dass der Auftrag für die Modernisierung der polnischen Luftwaffe an die EADS geht. Er ist an Lockheed Martin gegangen. Dabei kommt die Frage auf, ob wir nicht aus künstlicher Zurückhaltung heraus Chancen versäumen, die nicht nur wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet hätten, sondern auch politische Einflussnahme und Gestaltung möglich gemacht hätten. Zusammenfassend möchte ich sagen: Es müsste doch möglich sein, wenn Nichtregierungsorganisationen das schaffen, dass auch eine Regierung in der Lage ist, den Bundestag zeitnah über die Exportpolitik zu informieren. Ich hoffe, dass die nächsten beiden Berichte nicht erst in eineinhalb Jahren folgen, sondern in wenigen Monaten. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei vom Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle empfinden sicher Freude und Erleichterung über den Kollaps des Saddam-Hussein-Regimes und über das Ende der Kämpfe um Bagdad. Angesichts der vielen Tausenden Verletzten und Toten, die diese Invasion gekostet hat, und angesichts der vielen frühen Fehler, die zum Wachsen dieses Regimes und zur Katastrophe dieWinfried Nachtwei ses Krieges beigetragen haben, ist die Freude für viele aber durch Zorn getrübt. Der Angriff auf den Irak wurde mit seiner Kriegspolitik und seinem Streben nach Massenvernichtungswaffen begründet. Doch woher hatte der Irak diese Fähigkeiten? Der Irak konnte seine zerstörerischen Fähigkeiten nur aufbauen, weil ihm in den 80er-Jahren Staaten in Ost und West, von der Sowjetunion über die USA und Frankreich bis zur Bundesrepublik, entscheidend dabei halfen. Wenn wir Krisen- und Kriegsvorbeugung heute ernst nehmen, müssen wir auch eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreiben. Das ist kein Moralismus, sondern ein weitsichtiger Realismus. ({0}) Angesichts der engen europäischen und transatlantischen Verflechtungen wird die internationale Exportkontrolle immer wichtiger. Sie von der Opposition drängeln immer wieder - heute haben Sie das natürlich nicht getan -, wir müssten die Regeln für die deutschen Rüstungsexporte lockern, um kooperationsfähig zu sein. Das führt in die falsche Richtung. ({1}) In einem größeren und zusammenwachsenden Europa brauchen wir eine europäische Rüstungsexportpolitik, die sich am Anspruch der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Kriegsverhütung, orientiert.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Nachtwei, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Polenz?

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Er ist doch gleich an der Reihe, seine Rede zu halten. In die kann er alles, was er sagen möchte, hineinpacken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Es wird keine Zwischenfrage zugelassen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie die so genannten Denial-Konsultationen zeigen, gibt es durchaus Staaten, die mit bestimmten Exportgenehmigungen noch zurückhaltender als die Bundesrepublik umgehen. Mit den überarbeiteten politischen Grundsätzen haben wir einen guten Rahmen für die Rüstungsexporte geschaffen. Als Parlamentarier nehmen wir zur Kenntnis, dass sich das Export- und Genehmigungsvolumen im Berichtszeitraum in der bisherigen Bandbreite bewegt. Bei der tatsächlichen Ausfuhr von Kriegswaffen haben wir einen erfreulichen Tiefstand erreicht; sie liegt so tief wie seit vielen Jahren nicht mehr. 93 Prozent der tatsächlichen Ausfuhr von Kriegswaffen gehen in NATO- und EU-Staaten. Bei den Genehmigungen zur Ausfuhr von Rüstungsgütern insgesamt gab es einen Anstieg um insgesamt 29 Prozent. Der Grund, die Lieferung von drei U-Booten an Südkorea, ist vorhin genannt worden. Im Jahre 2001 machte die Ausfuhr von Rüstungsgütern 0,06 Prozent des deutschen Gesamtexportes aus. Laut einer Statistik des Londoner Instituts für Strategische Studien hatte Deutschland im Jahre 2000 einen Marktanteil von 2 Prozent an den internationalen Waffenlieferungen. Das sind Belege dafür, dass die Bundesrepublik eine im internationalen Vergleich restriktive Rüstungsexportpolitik betreibt. ({0}) In Teilbereichen - in etlichen Empfängerländern und vor allem im Bereich der Kleinwaffen - tun sich aber nichtsdestoweniger Probleme auf: Zum Beispiel wurden in der Kohl-Ära Lizenzen für Kleinwaffenproduktionen, die nicht mehr rückholbar sind, grob fahrlässig nach Saudi-Arabien vergeben. Hieraus ergeben sich deutliche Konsequenzen für künftige Lizenzvergaben. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass es aktuell Lieferungen von kleinen Waffen und kleinen Kriegswaffen an dieses saudi-arabische System gibt. ({1}) Ein anderes Beispiel sind die Kleinwaffen. Es ist ausgesprochen zu begrüßen, dass die Bundesregierung 400 000 ausgemusterte G-3-Gewehre der Bundeswehr in den nächsten Jahren zerstören wird. Beunruhigend ist aber der deutliche Anstieg der Exporte von Kleinwaffen. Es wirkt für mich auch nicht beruhigend, dass ein erheblicher Teil der Handfeuerwaffen in die USA, die Heimat von Michael Moore, geht. ({2}) Eine restriktive und transparente Rüstungsexportpolitik braucht einen wirksamen Rechtsrahmen. Heute ist es so, dass im Außenwirtschaftsgesetz und im Kriegswaffenkontrollgesetz unterschiedliche Genehmigungsstandards stehen. Die Ausfuhr von Kriegswaffen ist verboten, es sei denn, es gibt dafür eine ausdrückliche Genehmigung. Nach dem Außenwirtschaftsgesetz ist die Ausfuhr von Rüstungsgütern, die nicht als Kriegswaffen definiert sind, jedoch grundsätzlich zu genehmigen. Die Bundesregierung muss häufig vor Gericht nachweisen, dass der beantragte Export zu einer konkreten Störung des Zusammenlebens der Völker führt oder die auswärtigen Beziehungen erheblich stört. Diese Praxis ist unserer Auffassung nach untragbar. Die Freiheit des Handels darf nicht für Rüstungsgüter gelten. Wir brauchen eine Regelung, wonach jegliche Ausfuhr von Rüstungsgütern einer Genehmigung bedarf. ({3}) Lassen Sie mich zum Schluss noch auf das bisher vorliegende Format der deutschen Rüstungsexportberichte eingehen. Hier hat sich in den vergangenen Jahren sicherlich einiges verbessert. Aus bündnisgrüner Sicht ist der Informationsgehalt des Berichts jedoch immer noch verbesserungsfähig. Unser Ziel ist es, dass sich der deutsche Exportbericht mindestens an den jeweils transparentesten Beispielen anderer EU- oder NATO-Partnern anlehnt. Vor dem Hintergrund der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen wird es zunehmend wichtiger, dass künftige Rüstungsexportberichte verstärkt auf den Bereich von Dual-Use-Exporten eingehen. Restriktive Rüstungsexportkontrolle, vertragsgestützte Abrüstungsund Rüstungskontrolle sowie Nichtverbreitung sind zentrale Elemente einer vorbeugenden und gemeinsamen Sicherheitspolitik. Sie angesichts des abschreckenden Beispiels des Irakkriegs zu stärken ist das Gebot der Stunde. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Harald Leibrecht von der FDP-Fraktion.

Harald Leibrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003581, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im internationalen Rüstungshandel der 90er-Jahre ... spielen Deutschland und die deutsche Industrie nur eine marginale Rolle ... Anders als die öffentliche Diskussion oft nahe legt, gilt dies insbesondere für den Export konventioneller Waffensysteme in Entwicklungsländer. Zu diesem Ergebnis kam die Stiftung Wissenschaft und Politik im Juni 2001. Diese Aussage hat natürlich unverändert Gültigkeit. Das wird seitens der FDP ausdrücklich begrüßt. ({0}) Wir waren und sind der Auffassung, dass Rüstungsexporte weltweit reduziert und Rüstungsexportkontrollen auf regionaler und internationaler Ebene konsequent ausgebaut werden müssen. Wir reden heute über den Rüstungsexportbericht 2001. Herr Andres, besonders aktuell ist er nicht; das haben wir schon gehört. Die gerade zitierte Aussage der Stiftung Wissenschaft und Politik bezog sich auf die 90er-Jahre, also auf die Zeit, als Deutschland noch von CDU/CSU und der FDP regiert wurde. Wir alle können uns noch sehr gut daran erinnern, wie es damals vonseiten der SPD und der Grünen massive Kritik ob der extensiven Rüstungsexportbewilligungen der Bundesregierung gab. Was hat sich seither geändert? ({1}) Gibt es unter Rot-Grün weniger Rüstungsexporte? Es hat sich zwar etwas geändert, aber es gibt nicht weniger Rüstungsexporte. Geändert hat sich vor allem, dass die Rüstungsexportpolitik von Rot-Grün inkonsequent ist. Dadurch kommt es immer wieder zu größeren außenpolitischen Irritationen. Man könnte bei der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung durchaus den Eindruck bekommen, dass bei Kaufanfragen seitens der NATO-Partner ein besonders strenger Maßstab angelegt wird. Ich erinnere nur an die türkische Anfrage zum Kampfpanzer Leopard 2, die nach langem Hin und Her letztendlich zur Ablehnung durch die Bundesregierung führte. Demgegenüber erhielt die Republik Korea Rüstungsgüter in Milliardenhöhe. Ich möchte hier nur am Rande anmerken, dass die Türkei damals mit Nebelwurfkörpern und anderen Kleinteilen abgespeist wurde. Ich glaube, das sagt viel über das Verständnis dieser Regierung von NATO-Partnerschaft aus. ({2}) In diesem Zusammenhang kann auch die obskure Art und Weise der Lieferung der „Patriot“-Raketen, die auf dem Weg nach Israel einen Umweg über Holland machen mussten, nicht mehr verwundern. Rüstungsexporte werden auf absehbare Zeit weiter stattfinden. Das ist uns klar; davon bin ich überzeugt. Aber natürlich bin ich darüber nicht erfreut. Deutschland muss und wird auf diesem Pfad unverändert eine marginale Rolle spielen. Das ist aber beileibe kein rot-grünes Verdienst. Wäre diese Bundesregierung verantwortungsbewusst, hätte sie längst eine engere Zusammenarbeit mit allen EU-Partnern auf den Gebieten der Rüstungsentwicklung, der Rüstungsproduktion, beim Rüstungsexport, bei der Rüstungskontrolle wie auch bei der Abrüstung angestrebt. Herr Andres, Sie haben vorhin zu Recht bemängelt, dass es viel zu wenig Zusammenarbeit und gemeinsam formulierte Kriterien gibt. ({3}) Aber Sie stellen schließlich die Regierung. Sie können insofern Abhilfe schaffen und das Thema mit Ihren Kollegen in anderen EU-Staaten erörtern. ({4}) Rüstung muss in ihrer Gesamtheit gesehen werden statt in einzelnen Teilen. Ich glaube, dass auch Deutschland hierbei zu Kompromissen bereit sein muss. Als Mitglied der EU muss Deutschland eine europäische Rüstungsindustrie anstreben und als Grundlage hierfür einheitliche europäische Kriterien für den Rüstungsexport schaffen. Es reicht nicht, wenn die Regierung beim Thema Rüstungsexport den Mund voll nimmt, aber nicht entsprechend handelt. Die Bundesregierung muss sich auch den Vorwurf der „taz“ gefallen lassen, die am 4. Februar feststellte: „Der deutsche Rüstungsexport boomt weiter.“ Diese Aussage wie auch der Bericht, dessen Lektüre ich empfehle, machen deutlich, wie sehr die Wähler in diesem Bereich von der rot-grünen Regierung enttäuscht sind. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Pflug von der SPD-Fraktion.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte ursprünglich geglaubt, der vorliegende Bericht sei ziemlich unstrittig. Ich habe mich aber eines Besseren belehren lassen müssen. Der Kollege Fritz hat angemahnt, dass dieser Bericht zu spät kommt. ({0}) Zugegeben, Herr Kollege Fritz, er kommt relativ spät. Aber ich habe mich bei dieser Gelegenheit gefragt, wann wir wohl den ersten Bericht der Regierung Kohl zu ihren Rüstungsmaßnahmen vorgelegt bekommen. Darauf warten wir bis heute. ({1}) Im Übrigen diskutieren wir die Berichte - derzeit liegt uns der dritte Bericht vor - nur deshalb, weil wir damals aufgrund des Antrags der Türkei auf Panzerlieferung die Konsequenzen gezogen haben, dass dafür politische Grundsätze formuliert werden müssen. Das haben wir auch getan. ({2}) - Aber sie sind dann, wie ich meine, durchaus vernünftig überarbeitet worden. Herr Kollege Fritz, auch Sie hätten 1992, als Ihre Regierung Panzer nach Saudi-Arabien geliefert hat, einen guten Anlass gehabt, die Grundsätze zu überarbeiten. Es hätte sich sicherlich eine spannende Diskussion ergeben, wenn uns daraufhin ein Rüstungsbericht vorgelegt worden wäre. ({3}) Es wäre gut, wenn er uns jetzt noch nachgeliefert würde. Ich kann Ihnen für die Koalition versichern, dass wir sogar noch heute, nach elf Jahren, über diesen Bericht diskutieren würden. ({4}) Man muss das schon richtig würdigen. Auch dass der Kollege Leibrecht von der FDP plötzlich die „taz“ zitiert, halte ich für durchaus bemerkenswert. Man gewinnt den Eindruck, dass damit versucht wird, bei einer unstrittigen Materie noch irgendetwas zu finden, an dem man herummäkeln kann. Aus unserer Sicht - das möchte ich betonen - hat die Bundesregierung mit der Verabschiedung der politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern für eine erhebliche Verbesserung der Transparenz in der Rüstungspolitik gesorgt. ({5}) Die Entscheidungen über Rüstungsexportvorhaben werden durchaus unter außen-, sicherheits- und bündnispolitischen Interessen unter Beachtung der Menschenrechte gewürdigt, Herr Kollege Fritz. Ihre Bemerkung, dass Ihre Ausführungen keine Forderung der Unionsfraktion darstellen, habe ich zunächst nicht verstanden. Ich war völlig verwirrt und habe zunächst geglaubt, Ihr Redebeitrag entspreche der Politik der CDU/CSU. Sie haben das aber richtig gestellt; Sie haben sich gewissermaßen als neutraler Beobachter geäußert. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es sich um einen Abwägungsvorgang zwischen den von mir genannten verschiedenen Belangen - der Außen- und Sicherheitspolitik und den bündnispolitischen Interessen unter Beachtung der Menschenrechte wie auch der ökonomischen Interessen handelt. Die Forderung, auch die ökonomischen Interessen zu beachten, ist Ihnen sicherlich nicht fremd. Mit Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Bedeutung sind, wird der Bundessicherheitsrat befasst. Zusätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertretenen Ressorts nimmt nun auch - das ist ebenfalls neu - das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung teil, um besonderen entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien eine optimale Balance bei diesem sicherlich nicht einfachen Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es nach unserer Meinung gelungen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzliche politische Kriterien anzupassen und dabei gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Mehr Transparenz und klare Kriterien sind kein Nachteil, sondern ein guter Vertrauensschutz für die deutsche Wirtschaft, auch hinsichtlich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unternehmen in einer doch stark zusammenwachsenden internationalen Rüstungswirtschaft. ({6}) Entgegen der in solchen Debatten immer wieder vorgetragenen Kritik - gerade vonseiten der Opposition - haben sich die Richtlinien nach unserer Auffassung durchaus bewährt. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass der letzte Bericht in der Folge der Aussprachen in den zuständigen Ausschüssen verbessert wurde. Zusätzliche Informationen wurden damals aufgenommen. So wird zum Beispiel über eine Strafverfolgungsstatistik, über militärische Ausrüstungshilfen, die andere Länder erhielten, sowie über neu abgeschlossene regierungsamtliche Kooperationen im Rüstungsbereich mit deutscher Beteiligung berichtet. Ebenfalls neu ist im Rüstungsexportbericht ein Kapitel über die Genehmigungspolitik bei der Ausfuhr von Kleinwaffen. Ich will Ihnen ersparen, die Zahlen noch einmal aufzulisten. Der Staatssekretär hat das gemacht. Ich halte fest, dass aus unserer Sicht gerade die neuen Kriterien beachtet worden sind und dieses auch für das Parlament ein wesentlicher Fortschritt ist. Der Rüstungsexportbericht belegt, dass die Bundesregierung entsprechend ihrem Bekenntnis in ihren politischen Grundsätzen eine restriktive Exportkontrollpolitik betrieben hat. Herr Andres hat darauf aufmerksam gemacht. Sie verfolgt gleichzeitig eine Politik, die dem Gedanken der Kooperation, insbesondere mit unseren europäischen Nachbarn, Rechnung trägt. Deshalb findet diese Politik auch unsere volle Zustimmung. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ruprecht Polenz von der CDU/CSU-Fraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zwei kurze Vorbemerkungen machen. Herr Kollege Pflug, ich teile Ihre Leidenschaft für rückwärts gewandte Debatten nicht. Wir sollten uns doch einig sein, dass wir gemeinsam den Wunsch haben, über die nächsten Berichte zeitnäher zu diskutieren. Das sollte machbar sein. ({0}) Die zweite Vorbemerkung: Ich würde gerne sehen, dass ein Wunsch der Kirchen bei der Erstellung der künftigen Berichte aufgegriffen wird. Die haben vorgeschlagen, dass bei Rüstungsexporten außerhalb der NATO in dem Bericht die zugrunde liegenden außenund sicherheitspolitischen Gesichtspunkte erläutert werden sollten. Das wäre auch ein Beitrag zu etwas mehr Transparenz. ({1}) Der Bericht hat ja eine recht gemischte Presse bekommen. Man musste bis Dezember zurückgehen, um sich das Presseecho anzuschauen. Der „Stern“ hat geschrieben: „Die rot-grüne Bundesregierung von Kanzler Gerhard Schröder hat im Jahr 2001 den Waffenexport spürbar erleichtert.“ Das „Handelsblatt“ hatte die Schlagzeile: „Rot-Grün auf Zickzackkurs - 34 Rüstungsexporte nach Taiwan.“ Die „Frankfurter Rundschau“ hat geschrieben: „Weniger Kriegswaffen exportiert.“ ({2}) Die Schlagzeilen spiegeln die Wirklichkeit. Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ist keineswegs so klar und stringent, wie es die Vorredner hier gern dargestellt hätten. ({3}) Ich meine auch, dass wir jetzt nicht künstlich Unterschiede herbeireden sollten, die es in der Sache nicht gibt. Deshalb will ich doch festhalten: Wir haben eine breite Übereinstimmung im Bundestag, dass Deutschland eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreiben soll. ({4}) Die vorhin nicht zugelassene Zwischenfrage, Herr Kollege Nachtwei, wäre gewesen, dass Sie bitte eine Quelle für Forderungen der Union hätten benennen sollen, die Restriktionen zu lockern. Die hätten Sie wahrscheinlich nicht benennen können, ({5}) denn dem Rüstungsexportbericht liegt der Verhaltenskodex der Europäischen Union zur Waffenausfuhr zugrunde. Dieser Kodex stammt vom 8. Juni 1998 und wurde von der damaligen CDU/CSU-geführten Bundesregierung maßgeblich mit herbeigeführt. Der europäische Code of Conduct ist dann durch die politischen Grundsätze ergänzt worden, auf die Sie von der Regierungsseite alle so stolz sind. Unklar bleibt allerdings auch bei der Lektüre des Berichts, ob sich für die Genehmigungspraxis aus diesen politischen Grundsätzen irgendetwas konkret ergeben hat, was sich nicht auch aus dem europäischen Verhaltenskodex sowieso ergeben hätte. Es gibt dazu im Bericht keine Angaben. Nur an einer Stelle wird auf die besondere Bedeutung des Punktes III.7 der Grundsätze hingewiesen. Nach dem 11. September sei deutlich geworden, dass bei Exportentscheidungen auch berücksichtigt werden müsse, ob das Empfängerland bisher den Terrorismus oder die internationale Kriminalität unterstützt habe. Wenn dem so sei, dürfe in solche Länder nicht exportiert werden. Ich bin ziemlich sicher, dass das auch die europäischen Verhaltenskodizes nicht erlauben. ({6}) Falls die politischen Grundsätze der Bundesregierung tatsächlich etwas anderes bewirken würden, als der europäische Verhaltenskodex sowieso vorschreibt, dann könnte es - damit möchte ich mich jetzt auseinander setzen - Probleme mit dem Ziel geben, die Rüstungspolitik der Europäer stärker als bisher zu koordinieren. Dieses Ziel ist sinnvoll; denn die Leistungs- und WettbewerbsRuprecht Polenz fähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie lässt sich nur so erhalten und verbessern. Wir brauchen mehr Kooperation, Zusammenschlüsse und Fusionen innerhalb der europäischen Rüstungsindustrie. Das bedeutet, dass die Konzerne umgebaut werden müssen. Bisher hat man in Projekten gedacht und die Aufgaben auf Firmen in verschiedenen Ländern verteilt. In Zukunft wird man innerhalb der länderübergreifenden Konzerne Strukturen verändern und Kompetenzzentren schaffen, in denen bestimmte Fähigkeiten - zum Beispiel die Mikroelektronik oder die Stealth-Technik gebündelt werden. Die Zulieferung erfolgt dann innerhalb europäischer Firmen und nicht mehr zwischen europäischen Ländern. Es wird nur der Firmenstandort - darauf kommt es mir an - diese Umstrukturierung überleben, der zulieferfähig ist. In Zukunft wird es also konzerninterne Zulieferungen von Rüstungsgütern nach Großbritannien, Spanien oder Frankreich geben. Die Entscheidung über eine eventuelle Ausfuhr in Drittländer wird dann in diesen Ländern getroffen, und zwar im Rahmen des europäischen Code of Conduct und nicht nach den politischen Grundsätzen der Bundesregierung. ({7}) Eine europäische Verteidigungsunion und ein europäischer Beschaffungsmarkt sind nur machbar, wenn ein Teil der nationalen Souveränität im Vertrauen auf gleich gerichtete Interessen innerhalb Europas aufgegeben wird und wenn es einen europäischen Binnenmarkt für Rüstungsgüter gibt. Daran wird kein Weg vorbeigehen. ({8}) Nur dieser Weg wird dazu führen, dass Europa für seine Verteidigung auch die Basis einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie erhalten kann, dass wir in Europa schrittweise unnötige Doppel- und Dreifachstrukturen im Verteidigungsbereich zugunsten gemeinsamer Einrichtungen aufgeben können, dass angesichts knapper Kassen die Haushalte entlastet werden können und dass der europäische Pfeiler innerhalb der NATO tragfähiger und belastbarer gestaltet werden kann. Das bedeutet aber für die Rüstungsindustrie und die Rüstungsexportpolitik den Verzicht auf einen deutschen Sonderweg innerhalb Europas. Wir brauchen - damit komme ich zum letzten Punkt auch mehr Stetigkeit in der Rüstungsexportpolitik nach dem Motto: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn die Ausfuhr von Rüstungsgütern in ein Drittland genehmigt worden ist, dann müssen damit grundsätzlich auch die späteren Lieferungen von Ersatzteilen und notwendigem Zubehör genehmigt werden. Denn welche Folgen hat es, wenn das anders gehandhabt wird, weil zum Beispiel das Bestimmungsland Jahre später auf einmal zu einer Krisenregion gehört? Gerade das ist ja der Fall, für den das betreffende Land mit der Waffenbeschaffung vorsorgen wollte. Wenn dann die Ersatzteile nicht geliefert werden können, dann wird sich künftig nicht nur das betreffende Land andere Lieferanten suchen. Das wird sich auch bei anderen Interessenten herumsprechen, die sich dann dreimal überlegen werden, ob sie ein solches Risiko eingehen oder von vornherein auf eine Bestellung verzichten. Das sind Zielkonflikte, um die Sie sich nicht herummogeln können nach dem Motto, Herr Staatssekretär: Der Rüstungsexportbericht ist für die Grünen und im Verteidigungsausschuss kümmern wir uns um eine europäische Rüstungsagentur und nicht mehr um das, was wir Herrn Nachtwei und seinen Kollegen versprochen haben. ({9}) Zu der Forderung nach mehr Stetigkeit gehört auch, dass nicht nur die Entscheidungen selbst nach sachlichen Gründen getroffen werden müssen. Auch die Entscheidungsverfahren dürfen nicht durch sachwidrige Erwägungen bestimmt werden. So ist der Termin einer Bundestagswahl kein sachlich erhebliches Kriterium für Rüstungsexporte; schon gar nicht darf der Termin eines grünen Parteitages irgendwelchen Einfluss auf den Zeitpunkt der Entscheidung über Rüstungsexporte haben. Es gibt aber immer wieder Klagen darüber - dies spricht sich herum -, dass signalisiert werde, der Antrag könne erst nach einem grünen Parteitag positiv beschieden werden. ({10}) Ich fasse zusammen, meine Damen und Herren: Es besteht bei uns allen eine grundsätzliche Übereinstimmung darin, dass Deutschland weiterhin eine restriktive Rüstungsexportpolitik betreiben muss. Dabei können wir aber keinen Sonderweg in Europa einschlagen, wenn wir auf dem Weg zu einer europäischen Rüstungsindustrie weiter vorankommen wollen. Vielen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 15/230 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung - Drucksache 15/800 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Horst Schmidbauer von der SPD-Fraktion das Wort.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Sehen Sie es mir bitte nach, dass wir am heutigen Tag eine gewisse Genugtuung empfinden. Wir haben über viele Jahre Hindernisse ausgeräumt und Steine beseitigt, die den Weg zu einer Positivliste auch in Deutschland verbauten. Wir sind sicher, dass am heutigen Tage auch in Deutschland eine Erfolgsstory für die Positivliste beginnt. ({0}) Wir empfinden Genugtuung, weil wir gleich dreimal positive Wirkung erzielen: Wir stellen auf dem schwierigen Sektor der Arzneimittel in Deutschland Transparenz her, wir bewirken eine Qualitätsverbesserung und wir können mit der Positivliste letztendlich auch Geld sparen. ({1}) Diese Genugtuung empfindet sicherlich auch jemand, der heute hier nicht anwesend ist, sondern sich wahrscheinlich in Heidelberg aufhält. Es handelt sich um Professor Ulrich Schwabe, der für die Kommission verantwortlich war. Es ist ihm sicherlich sehr wichtig, dass sein Lebenswerk jetzt mit dieser Positivliste gekrönt wird. Wir haben natürlich nicht vergessen, Kollege Zöller, dass Sie von der CDU/CSU mit Herrn Seehofer an der Spitze Professor Schwabes Lebenswerk seinerzeit zerstört haben. ({2}) Professor Schwabe hatte die Positivliste 1995 fertig. ({3}) Sie haben seinerzeit einen Rechtsbruch begangen. ({4}) Obwohl die Positivliste beschlossen war, haben Sie sie durch den Staatssekretär schreddern lassen. ({5}) Diese geschredderte Positivliste haben Sie seinerzeit - diese makabre Geschichte zeigt auch Ihr Parlamentarismusverständnis - dem Geschäftsführer eines Pharmaverbandes als Geburtstagsgeschenk übergeben. Das war am 15. Mai 1995. Diesen Tag sollte man nicht vergessen. Wir haben Anlass, Professor Schwabe für seine Kommissionsarbeit zu danken. Er hat es in einer Zeit, in der wir in diesem Parlament mit Kommissionen nicht durchgehend positive Erfahrungen machen, erreicht, dass die Kommission zur Erarbeitung der Positivliste einen einstimmigen Beschluss gefasst hat. ({6}) Da die Kommission nicht unbedingt homogen zusammengesetzt ist, spricht dies für den verantwortlichen Leiter dieser Kommission, für Professor Schwabe, der es mit seiner fachlichen Kompetenz und seiner hohen persönlichen Integrität fertig gebracht hat, dass diese Positivliste einstimmig auf den Weg gebracht worden ist. Damit bekommt sie Gewicht und dem Anliegen wird Nachdruck verliehen. ({7}) Es gibt eine weitere große Gruppe, die das Einbringen eines Gesetzentwurfs, der die Einführung einer Positivliste vorsieht, in den Deutschen Bundestag mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt, nämlich die deutsche Ärzteschaft. ({8}) Ich darf in Erinnerung rufen, dass die deutsche Ärzteschaft auf mehreren Ärztetagen seit 1999 die Positivliste gefordert hat. ({9}) Ich zitiere aus dem Beschluss des 102. Deutschen Ärztetages 1999: Die Delegierten des 102. Deutschen Ärztetages unterstützen eine am jeweiligen aktuellen Wissensstand orientierte Liste verordnungsfähiger Arzneimittel als ein wirkungsvolles Mittel zur rationellen Arzneitherapie. Begründung: Eine derartige, von einer unabhängigen Kommission zu erarbeitende Liste trägt zu einer Arzneimittelverordnung bei, die allen Patienten eine an den Maßstäben von Notwendigkeit, Sicherheit und Kostenbewusstsein orientierte Therapie garantiert. Eine derartige Positivliste führt zudem zur besseren Abstimmung zwischen stationärer und ambulanter Arzneimitteltherapie. ({10}) Diese Forderung zieht sich wie ein rotes Band bis zum letzten Ärztetag. Ich bin froh darüber, dass wir damit einem wichtigen Anliegen der Ärzteschaft in Deutschland endlich Rechnung tragen können. ({11}) Ich möchte aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitieren: Die durch Information bewirkte Transparenz dient damit zugleich der Qualität und Vielfalt der Produkte und einer am Nachfrageverhalten orientierten Preisbildung von Seiten der Anbieter. Ist der Markt unübersichtlich und fallen - wie im System der gesetzlichen Krankenversicherung Nachfrage, Anspruchsberechtigung und Kostentragung auseinander, kann ein - an den Regeln des Marktes gemessen - rationales Verhalten der beteiligten Personen auch dadurch bewirkt werden, dass die Angebotsvielfalt strukturiert wird, indem die Klassifizierung in identische, teilidentische oder vom Nutzen her ähnliche Produkte erkennbar wird. Dann ermöglicht ein Preisvergleich, der auf eine Standardmenge bezogen wird, eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Kosten-Nutzen-Relation. ({12}) Die Orientierung an den Bedingungen des Preiswettbewerbs ist der vom Gesetzgeber vorgesehene Weg, um den Gesetzesadressaten die Beachtung des ihnen rechtlich vorgegebenen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit zu ermöglichen. Dies dient dazu, das Leistungssystem der Krankenversicherung funktionsfähig zu halten. Weiter heißt es: Die Berufsfreiheit der Pharmaunternehmen wird nicht berührt. Ich habe aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel zitiert. Ich sage ganz deutlich: Das Bundesverfassungsgericht hat uns das Gebot auferlegt, Transparenz in Deutschland herzustellen und die Qualität erfassbar und nachvollziehbar zu machen. In diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts steht ganz deutlich, dass im Interesse der Funktionsfähigkeit des solidarischen Systems für die Krankenkassen ein Wirtschaftlichkeitsgebot besteht. Diesem Gebot haben wir uns zu stellen. ({13}) Zusammengefasst: Ich glaube, wir schaffen damit endlich Transparenz in Deutschland. Die Anzahl der Arzneimittel in Deutschland soll von 40 000 auf 20 000 zurückgehen. Damit sorgen wir für einen überschaubaren Bereich. ({14}) Ich kann dieses Gejammer und Getöse nicht mehr hören; schließlich sind wir mit diesen 20 000 Arzneimitteln in Europa nach wie vor an der oberen Grenze. Ich möchte auf zwei andere europäische Länder verweisen: In Großbritannien gibt es 14 021 Arzneimittel und in Schweden 3 502. ({15}) Angesichts dessen haben wir allen Anlass dazu, zu sagen: Wir bringen das Minimum dessen auf den Weg, was wir an Transparenz schaffen müssen. ({16}) Zur Qualität: Der Nutzen von Arzneimitteln ist anhand kontrollierter Studien zweifelsfrei belegt. Wir sind den Menschen angesichts der schwierigen Situation mangelnder Transparenz Hilfe schuldig. Allem Gejammer zum Trotz wird es dabei bleiben, dass wir Geld sparen werden. ({17}) 1,7 Milliarden Euro werden ersetzt. Wir wissen natürlich, dass ein Substitutionseffekt da ist, ({18}) dass auch andere Arzneimittel verordnet werden. Aber ich denke, man kann sich auf die Fachleute verlassen. Die Fachleute sagen: Netto bleiben 800 Millionen Euro übrig. Das ist ein Betrag, den wir zu berücksichtigen haben. Es geht nicht nur um Transparenz und Qualität, sondern auch um einen wirtschaftlichen Effekt. ({19}) Wegen der medizinischen Notwendigkeit, der Sicherheit und der günstigen Kosten ist es wichtig, dass wir die Arzneimittel-Positivliste jetzt auf den Weg bringen. Es ist ein guter Weg, der auch rechtlich sauber und abgesichert ist. Wenn alle dem Gebot des Bundesverfassungsgerichts folgen würden, dann hätten wir auch keine Probleme im Land. Vielen Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es wäre jetzt natürlich ganz reizvoll, wie in der vorigen Woche auch, auf die SPD einzugehen, aber, Herr Schmidbauer, nur eine Bemerkung dazu: Ich habe immer gedacht, dass wir Politik für Bürger machen. Seit wann machen wir denn Politik, um Lebenswerke zu vollenden? Das ist wirklich etwas Neues. ({0}) Sie wissen genauso wie ich, dass die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer mit der Einführung der Positivliste gescheitert ist. Sie hat nachher zwar die Grundlage dafür geschaffen, aber mit der Einschränkung, dass eine Positivliste im Bundesrat zustimmungsbedürftig ist. Nun gibt es eine Rechtsförmlichkeitsprüfung des Bundesjustizministeriums. Sie bestätigt letztlich auch, dass die Zustimmung des Bundesrats notwendig ist. Wenn Sie uns jetzt Rechtsbruch vorwerfen, dann ist das schon interessant; denn Ihre Gesundheitsministerin will mit einem Trick versuchen, am Bundesrat vorbeizukommen. Wenn überhaupt, dann ist das der Rechtsbruch. ({1}) Aber lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob die fragwürdige Konstruktion, die jetzt vorgesehen ist, jemals Gesetz wird. Viel interessanter ist, was die Bundesgesundheitsministerin eigentlich damit erreichen will. Mittlerweile wird zugegeben - ursprünglich war das nicht so -, dass es nicht nur um Qualitätssteigerung, sondern auch um Kostendämpfung geht. Das ist auch in Ordnung; wir haben nichts dagegen. Nur ist das Instrument der Positivliste - wie übrigens alle anderen Instrumente, die Sie bisher vorgestellt haben - völlig unbrauchbar. ({2}) Es ist völlig uninteressant, wie viele Medikamente letztlich auf dem Markt sind; wichtig ist nur, dass wir dem Arzt die Möglichkeit geben, das einzusetzen, was für die Therapie seines Patienten letztlich das Richtige ist. ({3}) Besser, als es in der gestrigen Ausgabe der „FAZ“ zum Thema Positivliste formuliert worden ist, kann man es gar nicht formulieren - das erinnert an das, was Sie zum Lebenswerk gesagt haben, Herr Schmidbauer -: Herzensangelegenheiten … vernebeln die Sinne und verschleiern den Blick auf die Realität. ({4}) Wir könnten noch lange über die Zahlen und das Einsparvolumen streiten, das erreicht werden soll. Da es ein schöner Abend ist, will ich davon absehen. Nur noch so viel - das ist vielleicht ganz interessant -: Nach meinen Informationen soll bei einer Anhörung des BMGS am 17. März 2003 der neue Abteilungsleiter Franz Knieps gesagt haben, dass jedwede wirtschaftliche Betrachtungsweise der Positivliste weitgehend Spekulation ist. ({5}) Das stimmt auch wieder nicht mit dem überein, was hier gesagt worden ist. Woher will das Gesundheitsministerium wissen, welche Substitutionseffekte sich einstellen? ({6}) Erstens steht fest, dass mit der Einführung der Positivliste schwach wirkende Arzneimittel durch stärkere ersetzt werden. ({7}) Soll dann etwa auf Spatzen nur noch mit Kanonen geschossen werden? Ist das eine sinnvolle Gesundheitspolitik? Induzierte Substitutionseffekte, die der Erkrankungsschwere nicht angemessen sind, sind als Qualitätsverschlechterung und nicht als Qualitätsverbesserung anzusehen. ({8}) Zweitens steht fest, dass die Nebenwirkungen eines Arzneimittels mit der Stärke seiner Wirkstoffe überproportional steigen. ({9}) Ich weiß nicht, warum Sie das wollen. Das kann doch auch nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Drittens steht fest, dass Ärzte und Patienten in aller Regel auf teurere Medikamente ausweichen und dass es unter dem Strich keine Ersparnis gibt. Was da möglicherweise an zusätzlichen Kosten auf uns zukommt, ist gar nicht bekannt. Offensichtlich soll es auch gar nicht bekannt gemacht werden. Ich will Ihnen damit nur sagen: Das Problem - ich habe es eben schon einmal angesprochen - kann relativ einfach gelöst werden. Warum soll der Arzt nicht entscheiden, welches Medikament für seinen Patienten das richtige und sinnvollste ist? So einfach ist das letztendlich. ({10}) Ihr Gesetzentwurf ist übrigens auch ein typisches Beispiel dafür, was die SPD unter Stärkung der Patientenrechte versteht. Wir können hier einmal demonstrieren, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Arzt und Patient müssen die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer Therapie haben, denn die, welche für den einen Patienten eine zweckmäßige therapeutische Alternative ist, kann für einen anderen, Herr Schmidbauer, zum Beispiel ein allergiebedingtes Risiko beinhalten, das bis hin zum allergischen Schock führen kann. Man muss doch einfach berücksichtigen, dass man nicht alles per Listenmedizin regeln kann. ({11}) Mehr als bedenklich ist auch, dass über eine solch komplizierte Materie nicht Spezialisten, sondern demDr. Wolf Bauer nächst Parlamentarier entscheiden müssen. Es handelt sich ja hier um ein Gesetz, das letztendlich vom Parlament beschlossen werden muss. Das ist eine sehr fragwürdige Konstruktion. Sie wissen doch genau wie wir auch, dass sehr viele Facharztgruppen dagegen Sturm laufen: Nehmen Sie die Internisten, Diabetologen, Kinderärzte, Dermatologen, Orthopäden usw. ({12}) Sie tun das zu Recht, denn sie befürchten, dass sie ihre Patienten nicht mehr optimal und individuell versorgen können. Durch die Ausgrenzung von Arzneimitteln werden insbesondere chronisch Kranke betroffen, die ihre Arzneimittel dann aus eigener Tasche bezahlen müssen. ({13}) Wollen die Koalitionsfraktionen wirklich, dass unsere GKV-Versicherten immer mehr zu Patienten zweiter Klasse werden? Offensichtlich wird das angestrebt. ({14}) In der „Ärzte Zeitung“ von heute wird nicht nur ganz speziell davor gewarnt, einen Wirkstoff wie zum Beispiel Benfotiamin für Diabetiker auszugrenzen, sondern es wird auch ganz allgemein gesagt - ich zitiere -: Es sei ein Rückschritt in der Diabetesbehandlung zu erwarten, wenn die Positivliste Wirklichkeit werde … Weil wir gerade bei den Antidiabetica sind, lassen Sie mich noch auf Folgendes hinweisen: Acarbose - bekannter unter dem speziellen Namen Glucobay - wird im Entwurf der Positivliste von 2001 noch aufgeführt. Seit April 2002 wird es in den jeweiligen Entwürfen nicht mehr aufgeführt, obwohl sich die Aufnahmekriterien im Gesetz in der Zwischenzeit nicht verändert haben. Interessanterweise ist allerdings die Acarbosebehandlung wichtiger Bestandteil aller existierenden Leitlinien zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Also auch das stimmt nicht überein. ({15}) Interessanterweise werden Patienten, die Acarbose verordnet bekommen, nicht von Disease-ManagementProgrammen ausgeschlossen. Auf der einen Seite wollen Sie zwar diese Disease-Management-Programme, ({16}) auf der anderen Seite konterkarieren Sie sie aber mit der Positivliste. An diesem Beispiel ist auch zu erkennen, dass die Positivliste und Disease-Management-Programme nicht aufeinander abgestimmt sind. Die Kompatibilität ist nicht gewährleistet. Das Durcheinander wird komplett, wenn demnächst noch das Zentrum für Qualität in der Medizin hinzukommt. Man kann sich hier wirklich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch in diesem Bereich im Gesundheitsministerium die eine Abteilung nicht weiß, was die andere vorhat bzw. tut. Das wiederum liegt natürlich an der Führungsschwäche der Leitung, die ja mittlerweile hier vertreten ist. ({17}) Alles muss heute auf Evidenz basieren: Immer mehr Reglementierung, immer mehr Bürokratismus, immer mehr Einfluss des Staates sind demzufolge die evidenzbasierten Leitlinien der Gesundheitspolitik von RotGrün. Auf dem Arzneimittelmarkt brauchen wir aber wie im gesamten Gesundheitswesen statt mehr Regulierung mehr Wettbewerb. Zusammen mit mehr Transparenz und Eigenverantwortung des Einzelnen wird sich auch hier Qualität durchsetzen und damit auch das effizienteste Arzneimittel. Auch brauchen wir nicht immer neue Institutionen und Kommissionen. Bei der Vielfalt - das hat ja auch bei Ihnen eben ein wenig angeklungen - ist dann demnächst wohl eine Kommissionskoordinierungskommission erforderlich. ({18}) Welche Institutionen haben wir bereits und welche sollen noch kommen, immer vorausgesetzt, dass Rot-Grün mit seiner Regulierungswut so weitermacht? Es beginnt mit einer Ethikkommission, dann haben wir ein Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Arzneimittel zulässt; wir haben den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen; wir haben die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und letztendlich eine Kommission, die die Negativliste aufstellt. ({19}) Die letztgenannte Kommission soll jetzt umgewandelt werden in ein Institut für Arzneimittelverordnung, das die Positivliste herausgibt. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information wird die Positivliste erarbeiten. Allein dieser Bürokratismus wird 540 000 Euro kosten. Auch das ist letztlich kein Einsparpotenzial. ({20}) Ich will gar nicht davon sprechen, dass demnächst das Zentrum für Qualität in der Medizin hinzukommen soll. Meine Damen, meine Herren von der linken Seite des Hauses, der Masterplan Bürokratieabbau dieser Bundesregierung lässt bei all dem, was wir hier zu erwarten haben, grüßen! ({21}) Nicht zuletzt aus dieser Auflistung ist unschwer zu erkennen, dass eine zeitnahe Aktualisierung der Positivliste mehr als problematisch ist. Nicht alle gerade zugelassenen patentgeschützten Arzneimittel sind auf der Positivliste zu finden. Ich sage es noch einmal: Zugelassen sind sie, aber aufgeführt nicht. Das BMGS führt damit das bewährte Zulassungsinstrumentarium, ja die Existenzberechtigung seiner eigenen Behörde, nämlich des BfArM, ad absurdum. ({22}) Es ließe sich auch zu diesem Bereich noch viel sagen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Positivliste - das wird von vielen bestätigt - Arbeitsplätze gefährdet und wahrscheinlich zum Arbeitsplatzabbau führen wird. Sie müssen daran denken, dass vor allem mittelständische Betriebe betroffen sind, ({23}) weil sie durch eine eingeschränkte Produktpalette besonders darunter leiden. Ich komme nun noch zu den Alternativen. Zuvörderst brauchen wir endlich das Gesamtkonzept für die Gesundheitspolitik, das wir seit Jahren immer wieder eingefordert haben. Das ist Aufgabe der Regierungskoalition bzw. der Bundesregierung selbst. Nun ist angekündigt, dass es demnächst kommen wird - ich hoffe, bald. ({24}) Es macht auch keinen Sinn, dass permanent Strukturen zerschlagen werden, ohne dass man weiß, was man dagegengesetzt haben will. Ich denke dabei zum Beispiel an das Budgetaufhebungsgesetz, das zwar durchgeboxt worden ist, bei dem aber keiner die Folgen kannte. Das Ganze ist ins Gegenteil umgeschlagen. Wenn ich von bewährten Strukturen spreche, dann meine ich natürlich auch die Negativliste. Wir können doch mit der Negativliste alle Probleme lösen, die ins Haus stehen, ({25}) und wir können sie damit effektiver lösen. So bleibt mir nur, noch einmal auf die „FAZ“ vom 9. April zurückzukommen, in der es heißt - da kann ich nur beipflichten -: Das gesamte Gesetz gehört in den Schredder und nicht ins Parlament. Vielen Dank. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgitt Bender von Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Positivliste werden die in Deutschland auf dem Markt befindlichen 40 000 Arzneimittel auf die reduziert, die wirksam und zweckmäßig einsetzbar sind und deswegen auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen. Es handelt sich um ein Instrument, das mehr Qualität, mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Transparenz bringt. Deswegen sollten wir uns darauf verständigen können. Ich sage ausdrücklich an die Adresse der Opposition: Ich denke nicht, dass die Positivliste im Jahre 2003 noch ein Thema für Kulturkämpfe sein sollte. ({0}) Wir sind nicht mehr im Jahre 1995. Das Schreddern mag damals für Sie wichtig gewesen sein, aber heute sollten Sie das mit etwas kühlerem Kopf betrachten. ({1}) Herr Kollege Bauer, die Positivliste ist nun gerade kein Beispiel für die von Ihnen immer wieder beschworene Staatsmedizin, ({2}) sondern sorgt schlicht und ergreifend für mehr Rationalität im Leistungsgeschehen. ({3}) Vielleicht sollte es Ihnen zu denken geben, dass die Ärzte dafür sind. ({4}) Sie hören doch sonst so gerne auf die Leistungserbringer. Im Übrigen stimmt auch Ihr Einwand nicht, alles würde teurer, weil immer nur nach teureren Medikamenten gegriffen würde, wenn ein bestimmter Wirkstoff nicht mehr auf der Positivliste zu finden sei. Woher nehmen Sie das? Auf der Positivliste befinden sich Wirkstoffe nicht nur mit einem breiten Wirkungsspektrum, sondern auch unterschiedlicher Preisklassen. Es gibt sogar ein Nebeneinander der klassischen Schulmedizin und der alternativen Arzneimittel. Das heißt, hier bestehen therapeutische Alternativen. Es gibt überhaupt keinen Anlass, anzunehmen, dass ausgerechnet durch die Positivliste alles teurer würde. Im Gegenteil, wir versprechen uns davon Einsparungen. Dementsprechend befürchtet die Pharmaindustrie Einbußen. Wahr ist, dass einige Betriebe tatsächlich Einbußen erleiden werden; das ist nicht zu bestreiten. Aber ich erinnere auch daran, dass die gesetzliche Krankenkasse natürlich kein Instrument der Wirtschaftsförderung darstellt. ({5}) Wir sollten uns aber auch vor Augen halten, dass der Widerstand der Pharmaindustrie gegen die Positivliste im Grunde genommen kurzsichtig ist; denn eine Verbesserung der Arzneimittelqualität in Deutschland ist wichtig für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Was ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten passiert? Deutschland war einmal berühmt dafür, die Apotheke der Welt zu sein. Aber in den letzten 20 Jahren hat die deutsche Arzneimittelindustrie stark an Boden verloren. Warum? Weil auf dem deutschen Markt alles absetzbar war und deswegen der Impuls für Innovationen fehlte. Selbst eine vom VFA in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass von den fünf Ländern, die deutlich höhere Forschungsaktivitäten als Deutschland zeigen, drei Länder eine Marktregulierung durch eine Positivliste kennen. Es geht also nicht darum, die Pharmaindustrie von dieser Positivliste zu verschonen. Es liegt eher in ihrem eigenen längerfristigen Interesse, dass dafür gesorgt wird, dass Qualität den Markt in Deutschland bestimmt. Auch die Versicherten und die Patientinnen und Patienten haben daran ein großes Interesse. ({6}) Wir folgen dem Beispiel dieser drei Länder und darüber hinaus dem Beispiel von Belgien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Portugal, Spanien und der Schweiz. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Weg so katastrophal sein soll, wie von der Opposition behauptet. Ich will hervorheben - das ist ein wichtiger Punkt -, dass die Positivliste auch die Therapievielfalt sichert. Sowohl die Arzneimittel der Schulmedizin als auch die alternativen Arzneimittel finden sich auf dieser Liste. Ich will deutlich sagen, dass die Polemik gegen die angebliche Schamanenmedizin - entsprechende Briefe haben uns dieser Tage erreicht - völlig fehl am Platz ist. Diejenigen, die solche Briefe schreiben, sollten sich vor Augen halten, dass diese Mittel von großen Teilen der Bevölkerung gewünscht und angewandt werden und dass sie in der Regel preiswerter und ärmer an Nebenwirkungen sind. Ich sage aber auch deutlich: Sie wirken. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch bemerken, dass der Vorschlag der Rürup-Kommission, nicht rezeptpflichtige Arzneimittel künftig von der Erstattung auszunehmen bzw. mit 100 Prozent Zuzahlung zu belegen, keine gute Idee ist. Allein die Frage, was gefährlich ist, entscheidet über die Rezeptpflicht. Das gehört zum Gefahrenabwehrrecht. Vielmehr entscheidet die Frage, was von Nutzen ist, darüber, ob die Kosten für ein Arzneimittel von der Krankenkasse getragen werden. Deswegen sollten wir hier keine Änderung vornehmen. Das Nebeneinander verschiedener Therapieansätze auch im Arzneimittelbereich schafft produktive Konkurrenz. Die Opposition behauptet doch immer, sie sei für Wettbewerb. Genau den gibt es hier. Deswegen ist die Positivliste ein wichtiger Baustein zur Verbesserung der Leistungen unseres Gesundheitswesens. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kollege Dr. Dieter Thomae hat wegen der ver- schobenen Debatte gebeten, seine Rede zu Protokoll ge- ben zu dürfen1). Ich bitte um Ihr Einverständnis. Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/800 an den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der §§ 1360, 1360 a BGB - Drucksache 15/403 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Als erste Rednerin hat die Kollegin Sabine Bätzing von der SPD-Fraktion das Wort.

Sabine Bätzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem gebührenden Respekt vor der Geset- zesinitiative des Bundesrates muss ich heute leider fest- stellen: Aus dem Süden gibt es nichts Neues. So hat der uns vorliegende Gesetzentwurf, der auf Initiative von Ba- den-Württemberg eingebracht wurde, denselben Wort- laut wie ein Gesetzentwurf aus der 14. Legislaturperiode, der der Diskontinuität verfiel. Hoffnungen, dass es sich hierbei um eine echte Verbesserung der Rechtsstellung von Ehepaaren handeln würde, müssen - leider - begra- ben werden. Aber lassen Sie mich von vorne anfangen: Vor dem Hintergrund des erforderlichen Bürokratieabbaus und der von uns allen kritisierten Paragraphendichte liegt es in der Verantwortung der Gesetzgeber, kritisch zu prü- fen, ob ein neues Gesetz überhaupt erforderlich ist. Von daher überlegt man zunächst immer: Welches Ziel soll das neue Gesetz verfolgen? Diese Frage habe auch ich mir gestellt. Zugegeben, der erste flüchtige Blick in den Gesetz- entwurf kann einem die Realität verklären. So könnte man meinen, dass mit diesem Gesetz wirklich etwas zur Verbesserung der Rechtsstellung des haushaltsfüh- renden Ehegatten im Verhältnis zum erwerbstätigen Partner getan wird, soll doch jedem Ehegatten ein „Recht auf angemessene Teilhabe an den Einkünften, die dem Unterhalt zu dienen bestimmt sind“, zuerkannt wer- den und ist doch daneben ein Anspruch auf Erteilung der Auskunft über die Einkommens- und Vermögenssitua- tion vorgesehen. Klingt plausibel! So plausibel, dass man Hoffnung schöpfen kann für die Ehen, in denen der erwerbstätige Partner bisher auf dem Portemonnaie sitzt und es nur widerwillig öffnet? - Nein, nicht wirklich. Denn bei genauerem Vergleich erkennt man, dass genau diese Möglichkeiten, wie sie hier gefordert werden, be- reits bestehen. Sie sind überflüssig. 1) Anlage 2 Die §§ 1360 und 1360 a BGB legen bereits ausdrücklich fest, dass die Ehegatten einander zum Unterhalt verpflichtet sind. ({0}) Darüber hinaus besagt sogar die ständige Rechtsprechung dazu, dass der angemessene Unterhalt der Familie alles umfasst, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushaltes zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten zu befriedigen, sogar einschließlich eines Taschengeldes. Die Rechtsstellung der Eheleute wird durch den Gesetzentwurf also de facto nicht verbessert. Auch die Umbenennung des Auskunftsanspruches führt zu keiner echten Verbesserung der bestehenden Rechtslage. ({1}) Ändert man also nur die Verpackung und gibt dem Kind einen anderen Namen oder was bringt der Gesetzentwurf den Ehepartnern wirklich? „Partner“ ist in diesem Zusammenhang ein gutes Stichwort. Denn benötigt eine Partnerschaft, eine intakte Ehe - nur über diese sprechen wir bei den Regelungen der §§ 1360 ff. BGB zusätzliche Regelungen und Eingriffe vom Staat? Trauen wir unseren Ehepaaren nicht mehr zu, ihre persönlichen Angelegenheiten - dazu zähle ich auch die familiären Finanzverhandlungen - in eigener Verantwortung mit dem nötigen Vertrauen und Respekt in ihren eigenen vier Wänden zu führen? ({2}) Ich gebe - wenn auch ungern - zu, dass es immer noch Ehen gibt, in denen den Frauen zu Monatsbeginn das knapp bemessene Haushaltsgeld auf dem Küchentisch abgezählt wird. Wenn es hoch kommt, gibt es dazu vielleicht noch ein Taschengeld. Zweifelsohne entspricht dies nicht der modernen Auffassung von einer partnerschaftlichen Beziehung. Aber werden wir diese Familiensituation durch neue Paragraphen verändern können, neue Paragraphen, die - ich betone es noch einmal - inhaltlich nichts Neues konkret regeln, sondern nur etwas klarstellen? Pure Worthülsen sollen also plötzlich den Alleinverdienern die Spendierhosen überstülpen. Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, aber daran habe ich große Zweifel. ({3}) Noch mehr Zweifel an dem Entwurf kommen jedoch auf, wenn man dessen Begründung und die anschließende Erläuterung zu den Auswirkungen des Gesetzes auf die Länderhaushalte liest. So wird in der Begründung gesagt, dass die Ehepartner durch die Gesetzesänderung dazu ermutigt würden, vor Gericht ihren Ehepartner zum Beispiel auf Kontenauskunft zu verklagen, da der Anspruch nun im Gesetz klargestellt sei. Wir haben vorhin von Vertrauen und Respekt in einer intakten Ehe gesprochen. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass man eine Auskunft von seinem Ehepartner vor Gericht einklagt? - Nein. Selbst der Bundesrat als Gesetzesinitiator glaubt daran in letzter Instanz nicht. In der Begründung ist er von seiner eigenen Argumentation noch halbwegs überzeugt, bei den finanziellen Auswirkungen weist er aber darauf hin, dass die Anzahl der entsprechenden Gerichtsverfahren und damit die Kosten aufgrund der vorgesehenen Änderungen kaum zunehmen werden. Da frage ich mich: Was denn nun? Ist dies alles nur schöne Fassade und Augenwischerei? Wenn es uns wirklich um eine Verbesserung der Situation der Hausfrauenehe geht, können wir es uns nicht erlauben, uns solche faulen Eier ins Nest zu legen. Damit werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht. Schritte, die zur Verbesserung der Rechtsstellung des haushaltsführenden Ehegatten im Verhältnis zum erwerbstätigen Partner beitragen, werden wir begrüßen. ({4}) Aber Regelungen mit alleinig klarstellendem Charakter sollten sich in unser bewährtes System einfügen. Partnerschaft, Vertrauen und Respekt sind die Grundlagen einer intakten Familie. Davon lebt eine Ehe. Sind sie nicht vorhanden, helfen auch keine Paragraphen und leeren Worthülsen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ute Granold von der CDU/CSU-Fraktion.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Kollegen! Der über das Land Baden-Württemberg und den Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung der §§ 1360 und 1360 a BGB trägt dem Gedanken der ehelichen Teilhabe am Familienunterhalt in verbesserter Weise Rechnung und stärkt so die Ehe in ihrem Wesen als gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Frau, verfassungsrechtlich geschützt in den Art. 6 und 3 Grundgesetz. Der Gesetzgeber hat bewusst auf ein Leitbild der Ehe verzichtet und es den Eheleuten überlassen, eine angemessene Regelung für das partnerschaftliche Zusammenleben zu finden. So ist es nur natürlich, dass eine Vielzahl von Lebensformen in unserer sich stetig wandelnden Gesellschaft mittlerweile Realität ist. Die Erwerbstätigkeit beider Ehepartner ist heute ein mehrheitlich gewählter Lebensentwurf. Neben Doppelverdiener- und Zuverdienerehen - in der Regel arbeiten hier die teilzeitbeschäftigten Ehefrauen mit - sind ein Drittel der Ehen so genannte Haushaltsführungsehen, in denen nur ein Ehepartner - in 80 Prozent der Fälle ist es der Mann - erwerbstätig ist. Den Familien- und Hausfrauen - natürlich auch den in diesem Beruf arbeitenden Männern, aber auch den Teilzeiterwerbstätigen - steht aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage ein Anspruch auf ein angemessenes Wirtschaftsgeld in eigenständiger Verwaltung, bemessen nach den ehelichen Lebensverhältnissen, zu. Aus der Verpflichtung zur ehelichen LebensUte Granold gemeinschaft leitet sich, von der Rechtsprechung anerkannt, ein Informationsanspruch in groben Zügen über den wesentlichen Bestand des Vermögens und der Einkünfte ab. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 28. Februar 2002 zum nachehelichen Ehegattenunterhalt festgestellt - ich zitiere -: Kindererziehung und Haushaltsführung stehen gleichwertig neben der Beschaffung des Einkommens. Daraus erfolgt der Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten während und nach der Ehe. ({0}) Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz schützt die Ehe als Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner. Kommen den Ehegatten gleiches Recht und gleiche Verantwortung bei der Ausgestaltung ihres Eheund Familienlebens zu, so sind auch die Leistungen, die sie jeweils im Rahmen der von ihnen in gemeinsamer Entscheidung getroffenen Arbeits- und Aufgabenzuweisungen erbringen, als gleichwertig anzusehen; so haben beide Ehegatten grundsätzlich auch Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten, das ihnen zu gleichen Teilen zuzuordnen ist. Dies gilt nicht nur für die Zeit des Bestehens der Ehe, sondern entfaltet seine Wirkung auch nach Trennung und Scheidung der Ehe. Die Konsequenz hieraus für den Gesetzgeber ist, was heute Gegenstand der Beratung ist. Was für Trennung und Scheidung bereits gesetzlich geregelt ist, muss auch während der Ehe gelten: Auskunftspflicht beider Partner über ihr Einkommen, um ihnen gleichberechtigt eine Übersicht über ihre finanzielle Situation zu ermöglichen. Transparenz in finanziellen Angelegenheiten ist ein kleiner Schritt zu mehr Partnerschaftlichkeit in der Ehe. Damit wird ein Signal gesetzt, das gesellschaftspolitisch vonnöten ist. Wer moniert, dass solche Selbstverständlichkeiten nicht in gesetzliche Regelungen aufgenommen werden sollen, muss sich fragen, warum andere Selbstverständlichkeiten, etwa dass Ehefrauen in der Ehe nicht vergewaltigt werden dürfen, vor noch nicht allzu langer Zeit in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurden. Die Erfahrung der Fachverbände in ihrer alltäglichen Beratungspraxis zeigt, dass die Familien- und Hausfrauen über die finanziellen Verhältnisse oft nicht oder nur unzureichend informiert sind, was sich im Übrigen bei späteren Trennungen in sich mittlerweile häufenden Auskunftsklagen bei Familiengerichten bestätigt. Noch gravierender ist, dass in nicht wenigen Fällen unzureichende finanzielle Mittel zur Haushaltsführung und zum persönlichen Bedarf zur Verfügung stehen. Gerade vor dem Hintergrund der Gleichwertigkeit von Familien- bzw. Hausfrauen und erwerbstätigen Ehegatten müsste zumindest die Klarstellung einer Selbstverständlichkeit hier ohne Debatte möglich sein, nämlich das Recht auf angemessene Teilhabe an den Einkünften, die dem Familienunterhalt zu dienen bestimmt sind - auch wenn nur einer der Ehegatten über solche Einkünfte verfügt. Im Steuerrecht beim Ehegattensplitting, im Versorgungsausgleich und beim Zugewinn ist die Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten gesetzlich geregelt. Wir haben jetzt die Chance, dies im Gesetz klarzustellen und die nicht Erwerbstätige - in der Regel ist es die Ehefrau rechtlich zu stärken, ihre Stellung als haushaltsführende Partnerin aufzuwerten, so wie es das Verfassungsgericht bereits festgeschrieben hat. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung: Lassen wir ganz schnell das entwürdigende Taschengeld für die Familien- und Hausfrauen in der Versenkung verschwinden! In einer partnerschaftlichen Ehe ist kein Platz für Bittsteller. Die Basis ist vielmehr Gleichberechtigung: Beteiligung statt Taschengeld; denn Letzteres bekommen Kinder. ({1}) Wir diskutieren dieser Tage über den Bericht der Bundesregierung zum Stand der Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen und das Bemühen um Gleichberechtigung und Gleichstellung. Heute haben wir die Möglichkeit, einen kleinen Beitrag zu leisten, ein Signal zu setzen, eine gesetzliche Klarstellung vorzunehmen, die nichts kostet, die aber einen großen Erfolg bringt: nämlich endlich die Aufwertung der Hausfrauentätigkeit. Gleichberechtigung ist doch nur dann wirklich gewährleistet, wenn Gleichwertigkeit besteht und die Rahmenbedingungen stimmen. Der Beitrag des haushaltsführenden Ehegatten in der Partnerschaft ist ebenso viel wert wie der des in Teilzeit oder Vollzeit tätigen Ehegatten. ({2}) Wir haben uns als Politiker und Gesetzgeber um alle Lebensformen zu kümmern, damit die Wahlfreiheit auch wirklich eine solche ist. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Irmingard ScheweGerigk vom Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorgelegte Gesetzentwurf bezieht sich auf Ehen, in denen eine traditionelle Rollenteilung zwischen den Geschlechtern besteht: Der Mann verdient das Geld, die Frau bleibt zu Hause. Der Entwurf zielt darauf ab, die Situation der nicht erwerbstätigen Ehegatten zu verbessern. Zu 75 Prozent sind das die Frauen. Erfreulicherweise - da gebe ich Ihnen Recht, Frau Bätzing - hat sich innerhalb der letzten Jahre einiges zum Positiven verändert; denn zunehmend teilen vor allem jüngere Paare gleichberechtigt ihre Aufgaben und ihr Einkommen - aber eben nur die jüngeren. Dennoch ist heute noch in 27 Prozent der Ehen nur ein Ehegatte erwerbstätig, in der Regel der Mann. 1997, als der Gesetzentwurf geschrieben wurde, waren es noch 31 Prozent. Aber auch wenn dieser Trend anhält, müssen wir alles dafür tun, den partnerschaftlichen Umgang der Ehegatten miteinander zu stärken. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, hier haben wir ein gemeinsames Ziel. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob der von Ihnen vorgeschlagene Weg auch zielführend ist. Obwohl Ehefrauen seit 1977 das Recht haben, ohne Zustimmung des Ehemannes berufstätig zu sein, übernimmt noch immer fast jede dritte Ehefrau ausschließlich Hausarbeit und Kindererziehung. In Zahlen ausgedrückt sind das in der Bundesrepublik Deutschland knapp 4 Millionen Frauen. Dies tun viele allerdings nicht freiwillig; denn Untersuchungen haben gezeigt, dass 70 Prozent der nicht erwerbstätigen Mütter gerne neben der Kindererziehung weiterhin ihrem Beruf nachgehen würden. ({0}) In vielen Familien ist durch diese Aufgabenteilung auch die Dominanz in den Familien klar festgeschrieben, ganz nach dem Motto: Wer das Geld hat, hat das Sagen. Fakt ist, dass jede zweite Hausfrau mit ihrer finanziellen Beteiligung nicht zufrieden ist. Hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an: Er will Hausfrauen in Finanzfragen rechtlich besser stellen. Frauen sollen ein Teilhaberecht an den Einkünften des Ehegatten sowie einen Anspruch auf Auskunft über den Verdienst des Partners haben. Durch das vorgesehene Teilhaberecht würde der nicht erwerbstätigen Ehegattin signalisiert, dass sie für ihren persönlichen Bedarf nicht nur Bittstellerin für ein Taschengeld ist, das ihr der Ehemann großzügig überlässt, sondern dass ihr selbstverständlich der angemessene Teil der Einkünfte zusteht. Problematisch könnte in diesem Zusammenhang jedoch die rechtliche Stellung gegenüber Gläubigern werden. Denn wird der Ehefrau ein symbolisches Teilhaberecht eingeräumt, würde es künftig Gläubigern der Ehefrau erleichtert, den Unterhaltsanspruch zu pfänden. Das müssen wir eingehend prüfen, wenn wir eine tatsächliche Verbesserung für die Frauen erreichen wollen. Das zweite Element des Entwurfs, das Auskunftsanspruchsrecht der nicht verdienenden Ehegattin, schätze ich als Vorteil für die Frauen ein. Derzeit existiert ein allgemeiner Informationsanspruch über das Einkommen und das Vermögen des Ehemannes. Der Ehemann kann aber darauf verweisen, dass sein Geld seine Sache sei. Mit der Einführung eines echten Auskunftsanspruchs soll dieses Informationsdefizit der nicht verdienenden Ehefrau aufgehoben werden. Eine getrennt lebende oder geschiedene Ehegattin besitzt dieses Recht und ich sehe nicht ein, weshalb eine Ehefrau weniger Rechte haben sollte. ({1}) Ich frage mich aber: Was passiert konkret in der Praxis, wenn ein Mann der Ehefrau nicht sagen will, wie hoch sein Einkommen ist, oder wenn er bewusst falsche Aussagen macht? Ein Recht auf Einsicht der Bankbelege hat die Ehefrau auch nach diesem Gesetzentwurf nicht. Hier bleibt den Frauen dann nur der Weg zum Gericht. Auch wenn vielleicht nicht viele Frauen diesen Schritt wagen, so ist es doch wichtig, dass faktisch die Möglichkeit besteht. Trotzdem bin ich sicher, dass sehr viel mehr Ehefrauen entsprechende Informationen einfordern werden, wenn sie wissen, dass sie auch das Recht dazu haben. Man kann nicht von symbolischem Recht sprechen, wie es zum Teil gemacht wird. Ich glaube, es ist eine Stärkung der Frauen in dieser Situation. Zusammenfassend kann man sagen: Das Ziel des Gesetzes, eine rechtliche Stärkung der nicht erwerbstätigen Ehefrauen, wird von meiner Fraktion unterstützt. Allerdings gibt es weiteren Klärungsbedarf, damit die Regelungen nicht zu einem Bumerang für die Frauen werden. Ich glaube, es wird wichtig sein, dass wir in den Ausschussberatungen mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern nach Wegen suchen, wie wir diesem Ziel nahe kommen. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit allen Kolleginnen des Hauses mit dem Ziel, die Rechte der nicht erwerbstätigen Ehefrauen zu stärken. Obwohl es immer weniger werden, was sicherlich erfreulich ist, bleibt dies ein wichtiges Ziel. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Laurischk von der FDP-Fraktion.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf des Bundesrates enthält eine klarstellende Änderung der §§ 1360 und 1360 a BGB, der zufolge die Position des nicht erwerbstätigen Ehegatten als haushaltsführender oder lediglich hinzuverdienender Partner verbessert und gestärkt werden soll. In der Regel handelt es sich dabei um Ehefrauen, wobei nicht zu verkennen ist, dass angesichts einer sich ändernden gesellschaftlichen Haltung zur Ehe auch zunehmend Männer den Haushalt führen oder lediglich hinzuverdienen, während die Ehefrau Hauptverdienerin ist. Aufgrund einer sich ständig verschärfenden Arbeitsmarktsituation wird dies in Zukunft noch häufiger der Fall sein, zumal Frauen in zunehmendem Maße gut ausgebildet sind. In § 1353 BGB steht die Definition der ehelichen Lebensgemeinschaft, worin auch die wechselseitige Verantwortung festgelegt ist. Daraus ist seitens der Rechtsprechung ein Auskunftsanspruch auf Unterrichtung über die wechselseitige Einkommenssituation in groben Zügen definiert worden. Im Unterschied hierzu gibt das Bürgerliche Gesetzbuch den getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten einen Auskunftsanspruch im Detail, der einklagbar und durchsetzbar ist. Die Auskunftsrechte von getrennt lebenden und geschiedenen Ehegatten sind also rechtlich stärker normiert. Man kann zu Recht große Zweifel haben, ob ein Auskunftsanspruch unter Ehegatten, wie im Bundesratsentwurf vorgeschlagen, in der Rechtspraxis umzusetzen ist. Ein Ehepartner, der Informationen über das Einkommen seines Partners haben will, würde sich im Interesse des Rechtsfriedens sehr überlegen, ob er oder sie zur Durchsetzung eines Auskunftsanspruchs den anderen tatsächlich verklagen will. Es bleibt also die Frage zu stellen, wo die Bedeutung der Gesetzesvorlage liegt und ob diese rechtspolitisch klug ist. ({0}) Wenn die Zielsetzung tatsächlich die ist, Ehepartnern die wechselseitigen Auskunftsklagen schmackhaft zu machen, ist eine Ergänzung der §§ 1360 und 1360 a BGB kritisch zu beurteilen. ({1}) Es kann nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Eheleute, die grundsätzlich zu vertrauensvollem und solidarischem Handeln aufgerufen sind, miteinander in Streit zu führen. Sollte aber Zielsetzung sein, ein Signal zu setzen, das die Eheleute in gemeinsamer Verantwortung umsetzen müssen, dann ist die vom Bundesrat vorgeschlagene Ergänzung der § § 1360 und 1360 a BGB möglicherweise sinnvoll. Die gesellschaftliche Realität sieht mittlerweile so aus, dass immer weniger Ehen geschlossen werden und Ehen immer häufiger geschieden werden. Außerdem ist die demographische Entwicklung in Deutschland eindeutig so, dass immer weniger Kinder geboren werden. Frauen werden zunehmend älter, bis sie sich erstmals entschließen, ein Kind zu bekommen. 40 Prozent der Akademikerinnen in Deutschland haben keine Kinder. Diese demographisch problematische Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass die so genannte Hausfrauen- und Hinzuverdienerehe für Frauen an Bedeutung verliert. Die Ehe bietet zunehmend nicht mehr den tragfähigen Boden, um Kinder zu erziehen, ohne die Doppelbelastung der Berufstätigkeit auf sich zu nehmen, weil die Entscheidung zu einer solchen Familienführung den Frauen - aber nicht nur ihnen - schwer fällt. Dabei ist sicherlich auch von erheblicher Bedeutung, dass Frauen eine Entscheidungsbasis für die Wahl brauchen, Hausfrau oder eine nur in geringem Umfang berufstätige Frau und Mutter sein zu wollen. Aber auch in einer ganz anderen familiären Situation brauchen sie klare Informationsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Unterhaltsansprüche, nämlich um die Entscheidung treffen zu können, wenn sie wegen der Versorgung alter Eltern oder sonstiger hilfsbedürftiger Familienmitglieder zu Hause bleiben wollen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine eindeutige Entscheidungsbasis aufgrund detaillierter Informationsmöglichkeiten über das Familieneinkommen brauchen Frauen und Männer nicht zuletzt auch bei einer eigenständigen und selbstbewussten Vermögensplanung, die nur dann ernsthaft möglich ist, wenn sie in Kenntnis aller wirtschaftlichen Faktoren getroffen werden kann. Der Gesetzentwurf aus Baden-Württemberg - ich freue mich über die Anwesenheit von Frau Ministerin Werwigk-Hertneck - berücksichtigt unter diesem Aspekt die Situation von Eheleuten, die gleichberechtigt in der Ehe leben wollen und sich nicht gegen die Ehe entscheiden wollen. Es bleibt zu hoffen, dass aus dem Bundesjustizministerium neue Vorschläge kommen. - Frau Bätzing, Sie hatten ja gerügt, dass nichts Neues vorgelegt worden sei. - Ich wünsche mir, dass die Bundesjustizministerin den Gesetzentwurf aus dem Bundesrat aktiv fördert und ihn nicht in der familienpolitischen Schublade liegen lässt. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Joachim Stünker von der SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns heute mit einem Gesetzentwurf des Bundesrates, der von Baden-Württemberg eingebracht worden ist. Dieser stimmt mit dem Gesetzentwurf überein, mit dem wir uns am 13. Oktober 2000, also noch in der letzten Wahlperiode, in erster Lesung beschäftigt haben. Damals herrschte Übereinstimmung darüber - das war in allen Reden nachzulesen; ich habe mir die Mühe gemacht -, dass niemand diesen Entwurf weiterverfolgen wollte. Der Entwurf war damals bereits in erster Lesung durchgefallen - und das, wie ich meine, zu Recht. ({0}) Seinerzeit hat die von uns allen sehr geschätzte Kollegin Margot von Renesse, die in ihrer zwölfjährigen Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, was die Gleichstellung von Mann und Frau angeht, sehr segensreich gewirkt hat, folgende Überschrift gefunden: Man will etwas für Frauen tun. Aber man will in Wirklichkeit nur so tun, als ob man etwas täte. ({1}) Man will das klarstellen, was schon lange geltendes Recht ist. Das ist in den Reden heute Abend auch wieder deutlich geworden, es sei denn, ich bin intellektuell nicht in der Lage gewesen, diesen zu folgen. All das, was vorgetragen wurde, ist schon heute geltendes Recht, geltende Rechtsprechung und in einer intakten Ehe kein Problem. Von daher stellt sich die Frage, warum man mit einem neuen Satz 3 im § 1360 BGB bestehendes Recht noch einmal klarstellen muss. ({2}) Eine solche Gesetzgebung ist letzten Endes unsinnig ({3}) und für das juristische Handwerk absolut fatal. ({4}) Es stellt sich die Frage nach der praktischen Relevanz einer solchen Klarstellung, die laut der Begründung in das Gesetz hineingeschrieben werden soll. Fragen wir also, ob es in der Lebenswirklichkeit praktische Gründe dafür gibt! Laut einer repräsentativen Umfrage des Forsa-Instituts, die im Auftrag der Zeitschrift „Frau im Spiegel“ durchgeführt wurde, wirtschaften nur noch 16 Prozent der deutschen Frauen mit Haushaltsgeld und lediglich 12 Prozent erhalten Taschengeld. In der Mehrzahl der Partnerschaften sind die Haushaltsfinanzen mittlerweile ein Gemeinschaftsthema geworden. ({5}) 85 Prozent der Frauen treffen gemeinsam mit ihrem Partner Entscheidungen über Anschaffungen, ({6}) 83 Prozent der Frauen sind über den Verdienst des Mannes im Bilde und 61 Prozent müssen keine Rechenschaft darüber ablegen, wofür sie Geld ausgeben. Das ist die moderne Ehe. ({7}) Sie haben heute ein tradiertes und überkommenes Bild von der Ehe dargestellt, wie es der Wirklichkeit im 21. Jahrhundert letzten Endes nicht mehr entspricht. ({8}) Denjenigen, die immer nach Entbürokratisierung rufen, sage ich Folgendes: Wir als Gesetzgeber sollten uns wirklich davor hüten, mit gesetzgeberischen Maßnahmen in die durch Art. 6 Grundgesetz geschützte Privatheit der intakten Ehe - darum geht es hier - hineinzuregieren.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Stünker, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. - Lassen Sie mich zum Abschluss noch zwei Dinge dazu sagen: Erste Anmerkung: Frau Ministerin, wenn Sie Ihren Gedanken, eine Klarstellung im § 1360 BGB vorzunehmen, logisch zu Ende denken, dann müssten Sie konsequenterweise zu der Meinung kommen, auch das eheliche Güterrecht entsprechend ändern zu wollen. Ihrer Begründung ist aber zu entnehmen, dass Sie genau das nicht wollen. Diesen Schritt wollen Sie letzten Endes nicht gehen. Das eine geht aber nicht ohne das andere. Meine zweite Anmerkung dazu: Ich war neun Jahre lang Familienrichter. Frau Kollegin Laurischk, es ist mir wirklich schleierhaft, wie sich die Gerichte einer solchen Regelung in der Praxis annehmen sollen. Wenn wir solche Prozesse fördern, sollten wir uns im Ergebnis auch über den nachehelichen Ehegattenunterhalt und über Auskunftsansprüche bei getrennt Lebenden unterhalten. ({0}) Für diese haben wir das alles im Gesetz geregelt. Mit dem Vorschlag, den Sie hier vorlegen, geben Sie den Frauen Steine statt Brot. ({1}) Sie tun genau das, was Frau von Renesse gesagt hat: Sie tun so, als würden Sie etwas tun. In Wirklichkeit ist das ein retardierter Vorschlag. Schönen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Norbert Röttgen von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf zum Familienrecht, der vom Bundesrat in den Bundestag eingebracht worden ist und auf eine Initiative des Landes Baden-Württemberg zurückgeht, geht es um eine gesellschaftspolitische Frage. Es geht um die Gesellschaftspolitik, weil dieser Gesetzentwurf die wirtschaftliche und finanzielle Anerkennung der Haushaltstätigkeit in der Ehe und damit in der Regel auch in der Familie beinhaltet. Diese Tätigkeit wird in vier von fünf Fällen von der Ehefrau geleistet; die Ehemänner sind immer noch in der Minderheit. ({0}) Das Interessante und ein wenig auch das Erschreckende an dieser Debatte ist, dass es offensichtlich Unterschiede in der Beurteilung der sozialen Wirklichkeit gibt. ({1}) Wir haben auch heute wieder unverbindliche Schönwetterreden über die Partnerschaft, den Wert der Haushaltstätigkeit und die Anerkennung, die ihr zukommt, gehört. ({2}) Auch Sie haben heute wieder eine solche Rede auf teilweise sehr bescheidenem Niveau gehalten, wie ich sagen muss. ({3}) Frau Bätzing hat gerühmt, dass die Ehefrau in der Wirklichkeit sogar ein Taschengeld bekommen könne. Welch eine Großtat im 21. Jahrhundert! Der Kollege Stünker hat erklärt, wir hätten nur noch moderne Ehen, in der alle gleichberechtigt partizipieren, alles sei bestens, es gebe überhaupt keine Defizite in der Anerkennung und daher auch keinen Handlungsbedarf. Das bestätigt im Grunde nur meine generelle These, dass die eigentlich strukturkonservative Fraktion auf der linken Seite dieses Hauses angesiedelt ist. Sie sind die Status-quo-Partei. ({4}) Wir haben uns überlegt: Lohnt es sich überhaupt, hier darüber zu reden? Wir waren der Auffassung, dass es gut ist, heute darüber zu debattieren. Ich wusste aber gar nicht, wie gut das ist. Frau Schewe-Gerigk, ich teile nicht alles, was Sie gesagt haben. ({5}) Dies gilt insbesondere für die Tatsache - ich will es einmal freundlich formulieren -, dass Sie sich ein Urteil darüber anmaßen, wie andere ihre Ehe führen sollen. Ich führe keine Alleinverdienerehe. Aber in der Familie meiner Frau gibt es ein solches Modell. Meine Schwägerin hat sich als promovierte Akademikerin aus freier Wahl dafür entschieden und sagt: Wir haben vier Kinder und das ist es, was ich mir wünsche. Ich finde, keiner sollte sich das Recht herausnehmen, darüber ein Urteil zu sprechen. Überlassen Sie diese autonome Entscheidung den Ehepartnern! ({6}) Das hat mich an Ihrem Beitrag gestört. Aber ich glaube, dass sich das nicht unbedingt im Gesetzentwurf auswirken muss; denn er gilt nur für diejenigen, die sich für eine solche Lebensweise entscheiden. Es gibt eine Diskrepanz zwischen den unverbindlichen Reden und der sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Wirklichkeit; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Reden Sie einmal mit Anwälten für Familienrecht! Sie werden Ihnen bestätigen, dass Ehefrauen quer durch alle Bevölkerungsschichten oft noch nicht einmal wissen, was ihr Ehemann im Monat verdient. In den Beratungen vor der Scheidung werden die Ehefrauen gefragt, ob sie die Steuererklärung nicht unterschrieben hätten, weil man dann die Höhe des Verdienstes hätte sehen müssen. Die Antwort ist dann, dass sie die Steuererklärung ohne hinzuschauen unterschrieben hätten. Das ist die Wirklichkeit, nicht nur, aber auch in Deutschland. Dass Sie in der SPD generationen- und geschlechtsübergreifend davor die Augen verschließen, ist eine erschreckende Tatsache; das muss ich schon sagen. ({7}) In dieser Sache hat es übrigens eine rechtliche Veränderung gegeben. Die Kollegin Granold hat aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitiert. Am 28. Februar 2002 hat das Bundesverfassungsgericht in dieser Sache geurteilt ({8}) und im Grunde genommen genau das beschlossen, was jetzt im Gesetzentwurf steht. Das sollten Sie sich einmal durchlesen. Das Bundesverfassungsgericht ist also mit seiner Wertung auf der Seite des Bundesrates. Das Verdienstvolle des Gesetzentwurfs des Bundesrates ist, dass die Ebene der schönen und folgenlosen Worte verlassen und das Mittel des Rechts gewählt wird, um der Anerkennung Ausdruck zu geben. Das ist das Entscheidende, das ist die wesentliche Veränderung. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers, auf die soziale Wirklichkeit und das Bewusstsein einzuwirken und Anerkennung zu verschaffen, sind begrenzt. Es ist die privatautonome Entscheidung der Eheleute, wie sie ihre Ehe gestalten. Man kann gesellschaftliche Anerkennung nicht rechtlich erzwingen. Aber das, was der Gesetzgeber kann, nämlich mit der Ausdrucksform des Rechts Anerkennung zu verschaffen, sollte er tun. Das ist unsere Auffassung. Darum befürworten wir diesen Gesetzentwurf. ({9}) Wir appellieren an die einzige Fraktion dieses Hauses, die den Gesetzentwurf ablehnt, sich konstruktiv an der Beratung zu beteiligen. Verweigern Sie bitte nicht nur deswegen die Unterstützung, weil Sie diesen Entwurf nicht eingebracht haben. ({10}) Lassen Sie uns hier zusammenarbeiten! Ich freue mich darüber - das will ich hier zum Ausdruck bringen -, dass alle anderen Fraktionen diesem Gesetzentwurf grundsätzlich - über Details muss geredet werden - positiv gegenüberstehen. Das ist ein gutes Signal. Es stimmt hoffnungsvoll, dass am Ende ein gutes Ergebnis herauskommt. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Justizministerin des Landes Baden-Württemberg, Corinna Werwigk-Hertneck. Corinna Werwigk-Hertneck, Ministerin ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ginge mit diesem Gesetzentwurf, wenn er Gesetz würde, ein Ruck durch die Machos oder handelt es sich dabei um „eine Art Gedichtvortrag zum Muttertag“, ({1}) wie es Margot von Renesse in der Bundestagsdebatte am 13. Oktober 2000 formuliert hat? Ich habe das Protokoll Ministerin Corinna Werwigk-Hertneck ({2}) auch gelesen, Herr Stünker. Darin steht etwas völlig anderes, als Sie ausgeführt haben. ({3}) Ich nehme es jungen Frauen nicht übel, wenn sie den idealen Traum der partnerschaftlichen Ehe postulieren. Aber ich bin doch etwas verwirrt, was die SPD zu diesem Thema wirklich meint; denn ich habe auch die Stellungnahme der Bundesregierung aus diesem Jahr sorgfältig gelesen, aus der ein anderes Ehebild hervorgeht. Danach muss sich diese Regelung - also der Gesetzesvorschlag des Bundesrates - nämlich in ein „bewährtes System des Familienunterhaltes einfügen. In diesem System stehen sich die Ehegatten nicht mit individualrechtlichen, auf die persönliche Nutzenmehrung gerichteten Ansprüchen gegenüber, sondern sie stellen ihre persönlichen Interessen hinter die Verwirklichung der gemeinsamen und partnerschaftlich bestimmten Ziele der Familie zurück“, ({4}) und zwar in der Regel auf Kosten der Frauen! Ich war 20 Jahre lang Fachanwältin für Familienrecht und habe selbst Beratungen durchgeführt. Was Sie sagten, Herr Dr. Röttgen, ist völlig richtig. Die Anwaltschaft kann die genannten Beispiele bestätigen. Das Bundesverfassungsgericht hat deswegen in Übereinstimmung mit der vorherigen Rechtsprechung eine angemessene Teilhabe gefordert; insofern haben Sie Recht, Herr Stünker. Aber wie wird eine solche Teilhabe erreicht? Es gibt keinen Auskunftsanspruch. Auch wenn zum Beispiel eine Professorenfrau, die zwar ihren Mann liebt und gerne mit ihm Weltreisen macht, aber immer noch mit 500 Euro Taschen- bzw. Haushaltsgeld auskommen muss, selbst wenn die Kinder bereits das Studium abgeschlossen haben, zaghaft nachfragt, wie viel ihr Mann verdient, dann ist es wichtig, dass er seine Gehaltsabrechnung vorzeigt. ({5}) Mit der im vorliegenden Gesetzentwurf getroffenen Klarstellung und der Bezugnahme auf § 1605 BGB wird diese Auskunftspflicht geregelt. Sicherlich fällt es vielen Männern schwer, ihre Verhältnisse offen zu legen. ({6}) Darauf hat übrigens auch eine sehr alte ehemalige Bundestagsabgeordnete, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, hingewiesen, als sie hörte, dass ich diesen Gesetzentwurf erneut auf die Tagesordnung des Bundesrates setzen ließ. Sie hat mir erzählt: Frau Kollegin, ich habe es schon 1957 versucht, aber die Männer wollten den Frauen damals noch keine Einsicht in die Unterlagen gewähren. Sie haben Recht, Herr Stünker: Die Hausfrauenehe entspricht längst nicht mehr allen ehelichen Lebensverhältnissen. Die Zahl der partnerschaftlichen Beziehungen nimmt zum Glück zu, aber es gibt noch sehr viele Ehen, in denen das anders ist. Wir Politikerinnen und Politiker sprechen immer wieder gerne davon, die Familien zu stärken. Dann müssen wir aber auch Frauen stärken, die sich ganz für die Familie entscheiden. Sonst bleiben es wieder einmal nur hohle Worte. ({7}) Herr Stünker, Ihre Meinung, dass auch die Errungenschaftsgemeinschaft erwogen und die Zugewinngemeinschaft daher wieder auf den Prüfstand gestellt werden müsste, teile ich nicht. Ich meine vielmehr, Ihre Argumentation entlarvt eine bestimmte Denkweise. Denn wenn man nur wissen will, wie viel Geld monatlich zur Verfügung steht, dann heißt das noch lange nicht, dass der gesamte gesetzliche Güterstand geändert werden muss. ({8}) Er muss vielleicht auf europäischer Ebene geändert werden. Ich trete sehr dafür ein, dass wir Überlegungen darüber anstellen, wie ein europäisches Gesetzbuch konzipiert werden könnte. Dabei geht es um äußerst wichtige familienrechtliche Fragen. Ich werbe dafür, das über den Bundesrat eingebrachte Gesetzesvorhaben - es ist sehr wichtig; deswegen bedanke ich mich dafür, dass ich als Beauftragte des Bundesrates hier sprechen kann - zu unterstützen und angemessen zu beraten. Sie, Frau Schewe-Gerigk, haben - wie auch Frau Renesse vor zweieinhalb Jahren - versprochen: Wir werden das Vorhaben wohlwollend und ernsthaft prüfen. Ich hoffe daher sehr, dass wir in den weiteren Beratungen ein Stückchen vorankommen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/403 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. April 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.