Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes ({0})
- Drucksache 15/743 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Thema Neuordnung der Förderbanken beschäftigt uns, wie Sie wissen, schon geraume Zeit. Ich
bin sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine
gute Lösung zur weiteren Verbesserung der Förderung
von Existenzgründungen und des Mittelstandes darstellt.
Mit dem Gesetz verfolgen wir zwei Zielsetzungen:
zum einen die Verwirklichung der im Koalitionsvertrag
vereinbarten Zusammenführung der Kreditanstalt für
Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank, zum
anderen die Umsetzung der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 27. März vergangenen Jahres
zur Anstaltslast und Gewährträgerhaftung im Bereich
der Förderbanken des Bundes.
Die Verschmelzung der DtA mit der KfW macht es
möglich, unser Förderangebot für den Mittelstand effizienter zu gestalten. Sie erlaubt eine Straffung und Neugestaltung der Programme. Lassen Sie mich die Eckpunkte dieses Teils des Gesetzentwurfs zunächst kurz
darstellen:
Die Anteile der DtA werden als Sacheinlage in die
KfW eingebracht, das heißt ohne Zahlung eines Kaufpreises. Der Förderung werden demzufolge keine Mittel entzogen. Für den Finanzminister ist das mit Blick auf den
Haushalt, wie Sie verstehen, eine bedauerliche Entscheidung. Ich habe sie dennoch bewusst getroffen, weil wir in
dem Punkt übereinstimmen, dass alles getan werden
muss, was dazu beiträgt, die Bedingungen des Mittelstandes und insbesondere seine Kreditversorgung zu verbessern. Die Sacheinlage steht den bisherigen Anteilseignern
der DtA zu. Das Verhältnis von 80 : 20 bei den Anteilen
von Bund und Ländern am Grundkapital der Kreditanstalt
für Wiederaufbau bleibt unverändert.
In der KfW entsteht eine Mittelstandsbank mit eigenem Marktauftritt und Logo, die alle mittelstandsrelevanten Förderaktivitäten bündelt. Ein Mittelstandsrat
konkretisiert als Exekutivgremium den staatlichen Förderauftrag. Mit dieser Regelung kommen wir einer Forderung der EU-Kommission ebenso wie einer entsprechenden Anregung des Bundesrechnungshofes entgegen.
Der Bundesminister für Finanzen und der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit wechseln sich künftig
jährlich im Vorsitz des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau ab. Die Rechtsaufsicht über die
KfW übt wie bisher der Bundesminister für Finanzen im
Benehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit aus. Der Verwaltungsrat der KfW soll um Mitglieder des Bundestages erweitert werden, so wie es
bereits bei der DtA gewesen ist. Fünf Mitglieder des
Bundesrates sind ja bereits im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau vertreten.
Bonn wird neuer Standort der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten der
Redetext
DtA gehen auf die KfW über. Es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen.
Nun zum zweiten Anliegen des Gesetzes, der Umsetzung der so genannten Monti-II-Vereinbarung. Sie enthält zwei wesentliche Komponenten: zum einen eine
klare Aufgabenabgrenzung der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Landwirtschaftlichen Rentenbank für
den Förderbereich und zum anderen eine Verlagerung
von Tätigkeiten aus der KfW, die den Förderkriterien
nicht genügen, in eine selbstständige Wettbewerbstochter. Diese muss spätestens im Jahr 2008 ihr Geschäft aufnehmen. Die KfW wird dann für Teile der Export- und
Projektfinanzierung auf Anstaltslast und Refinanzierungsgarantie seitens des Bundes verzichten müssen. Die
staatlichen Garantien beschränken sich dann nur noch
auf den Förderbereich. Die Wettbewerbstochter wird
steuerpflichtig und dem Kreditwesengesetz unterworfen
sein.
Meine Damen und Herren, durch die Verschmelzung
der DtA mit der KfW wird das Förderangebot des Bundes effizienter und transparenter. Wir haben in diesem
Bereich noch viel zu viele Förderprogramme; das Ganze
ist sehr unübersichtlich. Das kann jetzt geändert werden.
Es wird ein umfassendes und bedarfsgerechtes Produktund Leistungsspektrum für Existenzgründer und den
Mittelstand angeboten werden. Ich denke, es liegt im gemeinsamen Interesse - bei der Diskussion über diese
Frage gibt es einmal keinen Streit zwischen den Fraktionen dieses Hauses -, dass wir diese Regelung so schnell
wie möglich einführen. Sie soll rückwirkend zum
1. Januar dieses Jahres in Kraft treten. Beide Banken arbeiten bereits intensiv an der Programmzusammenführung und -bereinigung, um dem Mittelstand nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zügig neue
Programmstrukturen anbieten zu können.
({0})
Das Gesetz müsste bis zur Sommerpause im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sein, damit es rückwirkend
zum 1. Januar in Kraft treten kann. Ich bitte Sie, die inhaltlichen und zeitlichen Ambitionen dieses Gesetzesvorhabens zu unterstützen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich erteile Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfes steht der Zusammenschluss der Kreditanstalt für Wiederaufbau und
der Deutschen Ausgleichsbank. Bevor ich auf dieses
Thema im Einzelnen eingehe und die Positionen der
CDU/CSU-Fraktion vortrage, gestatten Sie mir zwei
Vorbemerkungen.
Die erste Vorbemerkung: Beide Kreditinstitute, die
heute zur Diskussion stehen, haben in ihrer jeweils über
50-jährigen Geschichte hervorragende Arbeit für die
Wirtschaftsförderung in Deutschland geleistet.
({0})
Andere Staaten beneiden uns um unser Förderinstrumentarium auf Bundesebene. Deshalb sollte man den Mitarbeitern und den Geschäftsführungen beider Banken
gerade heute ein herzliches Dankeschön aussprechen.
({1})
Die zweite Vorbemerkung: Ein wichtiges Instrument
der Wirtschaftsförderung ist nach wie vor das ERPSondervermögen, für das wir bekanntlich sogar einen
besonderen Unterausschuss haben. Ich glaube, gerade bei
der heutigen allgemeinen politischen Diskussion ist es
gut, einmal darauf hinzuweisen, wie dieses ERP-Vermögen entstanden ist. Die Vereinigten Staaten haben der
Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den Wiederaufbau zu ermöglichen. Das viel zitierte Wirtschaftswunder hat hier eine entscheidende Ursache. Die Amerikaner haben dann auf die Tilgung der
Darlehen, die sie damals gewährt haben, verzichtet. Das
Geld durfte hier bleiben und daraus ist das ERP-Vermögen entstanden. Es umfasst heute rund 12 Milliarden
Euro und ist damit nach wie vor - ich betone es noch einmal - ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung.
({2})
Ich komme jetzt zu dem geplanten Zusammenschluss der beiden Institute. Ich sage sehr deutlich: Zwei
konkurrierende Institute haben, auch im öffentlichen Bereich, nicht nur Nachteile. Das Nebeneinander hat auch
dazu geführt, dass sich beide Institute sehr bemüht haben, gut zu sein.
({3})
Dennoch glaube ich - da stimme ich dem Minister und
dem vorliegenden Gesetzentwurf zu -, dass mehr
Gründe dafür sprechen, die Institute zusammenzuführen.
Die Synergieeffekte kann man eigentlich nur nutzen,
wenn man die beiden Institute zu einem Haus vereinigt.
Die Konzentration der Programme ist nämlich nur unter
einem Dach möglich.
Wir haben über diese Fragen in der letzten Legislaturperiode schon einmal diskutiert. Da habe ich von dieser
Stelle aus deutlich erklärt: So nicht, Herr Minister. - Damals haben Sie folgende Lösung vorgeschlagen - diese
wäre für Sie die bessere gewesen; als Finanzminister
hätte ich mich auch für diese Lösung eingesetzt -: Die
KfW sollte die Deutsche Ausgleichsbank kaufen. In der
Diskussion war ein Preis von 2,7 Milliarden DM. Davon
sollten Sie als Hauptanteilseigner 1,5 Milliarden DM
bekommen. Dieses Geld hätten Sie gut gebrauchen
können. Aber wir waren dagegen, weil dieses Geld der
Wirtschaftsförderung entzogen worden wäre. Der heute
vorgeschlagene Weg ist aus unserer Sicht der richtige
Weg. Es gibt keinen Kauf, sondern eine Fusion. In diesem Punkt stimmen wir überein.
Es gibt aber vier Punkte, bei denen wir noch Diskussionsbedarf sehen. Der erste Punkt ist die Bezeichnung
„Mittelstandsbank“. Ich gestehe zu, dass dieser Name
sehr plakativ ist. Aber er könnte und wird vielleicht einen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit hinterlassen.
({4})
Letztlich ist die Mittelstandsbank keine Bank.
({5})
Sie ist vielmehr eine Abteilung der KfW, und zwar die
Abteilung, in der alle öffentlichen Förderungen für den
Mittelstand zusammengefasst werden sollen. Wir wollen
einmal abwarten, wie sich die Verbände der Kreditinstitute zu diesem Namen stellen. Für mich und für alle
Fachleute steht fest: Die eigentlichen Mittelstandsbanken in Deutschland sind nun einmal die Sparkassen und
Genossenschaftsbanken. Das weiß jeder, der vor Ort tätig ist.
({6})
Warten wir einmal das Anhörungsverfahren ab.
Nun zum zweiten Punkt, der für uns sehr wichtig ist.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, Herr Minister, dass es
grundsätzlich beim Hausbankenprinzip bleibt. Als
Nichtjurist mache ich mir immer Sorgen, wenn der Begriff „grundsätzlich“ fällt; jeder Jurist weiß, dass das ein
Einfalltstor ist. In dem Gesetzentwurf heißt es, dass mit
Zustimmung des Verwaltungsrates von diesem Grundsatz abgewichen werden kann. Nun stellt die EU sicher,
dass man das aufgrund der Wettbewerbsproblematik
nicht im großen Umfang machen kann. Aber einige versuchen, das Hausbankenprinzip aufzuweichen, weil die
Mittel von KfW und Deutscher Ausgleichsbank in den
letzten Jahren deutlich weniger in Anspruch genommen
sind. Allein bei den Existenzgründungen ist die Inanspruchnahme in zwei Jahren um knapp 40 Prozent zurückgegangen. Wir bedauern das gemeinsam.
Die Ursachen liegen allerdings nicht darin, dass die
Geschäftsbanken nicht vernünftig handeln würden. Für
den Rückgang der Förderung gibt es unterschiedliche
Gründe. Natürlich leben wir nicht in einer Zeit, in der es
sehr verlockend ist, sich selbstständig zu machen. Natürlich leben wir auch nicht in einer Zeit, in der die Firmen
viele Investitionen tätigen und entsprechend viele KfWMittel benötigen. Wir haben außerdem ein so niedriges
Zinsniveau, dass es sich oft gar nicht lohnt, diese Mittel
einzusetzen.
Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, über den wir
nachdenken müssen. Für die Kreditinstitute rechnet sich
oft die Inanspruchnahme dieser Mittel nicht. Wir müssen
uns überlegen, wie wir dieses Instrumentarium auch für
die Kreditinstitute, denen es nicht mehr so gut geht wie
vor zehn Jahren, attraktiver machen können. Wir sind
schon auf dem Wege dorthin.
Der dritte Punkt, über den man meines Erachtens
noch einmal nachdenken muss, ist die Zusammensetzung des Mittelstandsrates. Auch das ist ein interessanter Begriff. Wenn es in diesem Mittelstandsrat darum gehen soll, mit Fachleuten über die Mittelstandspolitik zu
diskutieren, dann erscheint mir die vorgesehene Zusammensetzung ein bisschen problematisch. Letztlich haben
die Regierungsvertreter dort die Mehrheit.
({7})
Wir können zwar noch nicht genau übersehen, wen Sie
alles vorschlagen werden. Ich glaube aber, dass es wichtig ist - vielleicht kann nachher ein Mitglied der Regierungsfraktionen etwas dazu sagen -, dass in diesem Mittelstandsrat die Kreditinstitute vertreten sind.
Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Wenn man
über Mittelstandspolitik in einem Gremium einer Bank
diskutiert, dann muss man sich den Sachverstand aus
wichtigen Bereichen des Mittelstandes - ich denke beispielsweise an das Handwerk - hereinholen.
({8})
Sie haben dazu nichts gesagt. Es hat überhaupt keinen
Sinn, ein Gremium zu schaffen, in dem die Regierungsvertreter die Mehrheit haben, und dann zu glauben, es
laufe alles in geordneten Bahnen. Das ist keine Lösung.
Der letzte Punkt, bei dem wir noch einen Diskussionsbedarf sehen, ist der Verwaltungsrat der erweiterten KfW.
Bisher sind in den Gremien der KfW keine Abgeordneten. Bei der Deutschen Ausgleichsbank sind in den entscheidenden Gremien sechs Abgeordnete. Die KfW hat
oft mit Neid darauf geschaut, dass diese Abgeordneten
einiges bewirken konnten.
Deshalb ist jetzt vorgesehen, in den Verwaltungsrat
der KfW drei Abgeordnete aufzunehmen. Nur, wir sollten überlegen, ob die Zahl drei wirklich die richtige Größenordnung ist. Wir sollten diese Frage auch einmal unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung aller betrachten
und über die genaue Größe vielleicht noch einmal diskutieren.
Lassen Sie mich abschließend für meine Fraktion Folgendes bemerken: Der vorgesehene Weg, die beiden Institute zu fusionieren, ist aus unserer Sicht richtig. Das
hohe Anspruchsniveau, das mit dem Gedanken der Mittelstandsbank verbunden wird, scheint uns über diesen
Weg nicht erfüllbar zu sein. Wir werden unseren Beitrag
dazu leisten, dass der vorliegende Gesetzentwurf zügig
verabschiedet wird, natürlich nach einem ordentlichen
Anhörungsverfahren und nach ordentlichen Beratungen.
Ich habe einmal in die früheren Protokolle des Bundestages geschaut: Wichtige Entscheidungen über die
Gestaltung der öffentlichen Förderinstitute wurden
hier im Hause fast immer mit einer großen Mehrheit
getroffen. Ich glaube, das ist gut so für den wichtigen
Bereich der Wirtschaftsförderung. Die Signale stehen
bei uns auf Zustimmung. Dennoch haben wir weiteren
Diskussionsbedarf.
Danke schön.
({9})
Ich erteile Kollegin Christine Scheel, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bernhardt, es ist wirklich sehr zu begrüßen, dass
sich die Union unserem Ansinnen anschließt. Es ist
selbstverständlich, dass wir darüber in geordneten parlamentarischen Verfahren, wie wir das immer tun,
({0})
diskutieren werden. Natürlich ist auch sichergestellt,
dass wir in diesem Zusammenhang eine Sachverständigenanhörung durchführen werden und man sich über den
einen oder anderen Punkt, den Sie angesprochen haben,
verständigen wird.
({1})
Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land ist es in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden,
({2})
an Kredite zu kommen. Das hat verschiedene Ursachen;
wir haben schon oft darüber diskutiert. Ganz ursächlich
dafür ist der Wandel der Finanzmärkte. Er stellt neue
Anforderungen an die Finanzierung der kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Hinzu kommt - das darf man nicht unterschätzen -,
dass die Banken selbst mit strukturellen Problemen zu
kämpfen haben, die ihnen - teilweise selbst verschuldet,
teilweise aufgrund der weltwirtschaftlichen Situation ({3})
die Bilanzen verhageln. Nicht zuletzt besteht zumindest
im internationalen Vergleich im deutschen Mittelstand
eine sehr niedrige Eigenkapitalausstattung.
Auch die Globalisierung der Finanzmärkte darf nicht
dazu führen, dass kleine und mittlere Unternehmen auf
der Strecke bleiben. Hier ist es die Aufgabe der Politik,
ihnen einen ausreichenden Zugang zu Krediten offen zu
halten und Möglichkeiten zur Schaffung von Eigenkapital anzubieten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - denn es gehört in gewisser Weise zusammen -,
dass der Konsultationsprozess zu Basel II ein gutes, weil
erfolgreiches Beispiel für diese Bemühungen ist. Wir haben uns gemeinsam und parteiübergreifend - auch hier
im Bundestag - dafür stark gemacht, dass bei den neuen
Eigenkapitalregelungen die besonderen Bedingungen im
Mittelstand ausreichend berücksichtigt werden. Gerade
im Zusammenhang mit Basel II ist ein umfangreiches
Mittelstandspaket vereinbart worden, das Retailportfolios, Risikoabschläge für mittelständische Unternehmen und die Verbilligung von Langlaufkrediten für
kleine und mittlere Unternehmen umfasst.
Damit ist gesichert, dass der Mittelstand nicht benachteiligt ist. Natürlich werden sich die Finanzierungskosten trotzdem zukünftig mehr am jeweiligen Risiko
des Kreditnehmers bzw. der Kreditnehmerin messen.
Aber das ist gewollt und kann letztendlich durchaus zu
einer Verbilligung von Krediten - auch das muss man sehen - führen.
Ein weiterer Punkt ist, dass wir die innovativen Möglichkeiten, die der Wandel an den Finanzmärkten mit
sich bringt, auch dem Mittelstand erschließen. Zum
Beispiel werden im Rahmen des Gesetzes die Möglichkeiten der Banken erweitert, Kredite an kleine Unternehmen durch Verbriefung zu refinanzieren. Es geht
letztendlich darum, dass ganze Kreditportfolios von Unternehmen, die allein zu klein dazu wären, an den Kapitalmarkt gebracht werden können. Wir gehen davon aus,
dass die Banken ihren damit vergrößerten Kreditvergabespielraum nutzen, um den mittelständischen Unternehmen wieder mehr Kredite einzuräumen. Denn allen
Finanzinstituten muss klar sein, dass der Mittelstand der
Wachstumsmotor unserer Volkswirtschaft ist.
({4})
Nicht zuletzt stellen die sehr schwierigen Finanzierungsbedingungen höhere Anforderungen an die Förderinstitutionen. Deswegen wollen wir den Zugang von
kleinen und mittleren Unternehmen zu geeigneten
Finanzierungsquellen fördern. Ganz oben auf der
Agenda stehen zielgruppenspezifische Beratungsangebote, die ein sehr klares und übersichtliches Förderangebot beinhalten.
Deshalb bin ich sehr froh, dass wir jetzt die lang geplante Fusion - oder wie man es auch immer nennen
soll - von Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, und
Deutscher Ausgleichsbank, DtA, umsetzen. Nach außen
treten KfW und DtA - das bitte ich zu berücksichtigen,
Herr Bernhardt - schon jetzt zusammen als Mittelstandsbank auf. Die Internetplattform, die Telefonberatung und
die Antragsformulare sind einheitlich.
({5})
Es ist gut, dass das endlich beschleunigt vorangegangen
ist.
Mit dem Förderbankenneustrukturierungsgesetz werden die beiden Häuser - der Minister hat darauf hingewiesen - formell verschmelzen. Die beiden Banken können ihr Wissen jetzt bündeln. Als neue Mittelstandsbank
des Bundes innerhalb der KfW-Gruppe können sie ihre
Ressourcen zu einem einheitlichen Förderangebot zusammenführen. Das ist auch gut so.
Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Das Förderangebot des Bundes für den Mittelstand wird effizienter
und transparenter. Gründer und mittelständische Unternehmen haben es leichter, sich zu orientieren. Außerdem
- auch das muss man sehen - wird die neue Mittelstandsbank kompetenter Ansprechpartner für alle Finanzierungsfragen sein können. Hier kann sie nahtlos an das
sehr umfassende Beratungs- und Betreuungswissen der
Deutschen Ausgleichsbank anknüpfen. Sie kann das
Spektrum dieser Beratungsleistungen von der Gründung
bis zum Generationenwechsel dementsprechend gut ausfüllen.
Künftig gibt es eben nur noch einen Ansprechpartner
auf dieser Ebene der zwei Banken für die Mittelstandsförderung. Das ermöglicht auch - das darf man nicht unterschätzen - ein einfacheres und kostengünstigeres Antragsverfahren. Die Bearbeitungskosten der Banken
sinken, sodass sie in Zukunft mehr Interesse an der
Durchleitung von Förderkrediten haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit dies
keine leeren Versprechungen bleiben, durchforsten derzeit Arbeitsgruppen innerhalb dieser Banken die Förderprogramme beider Institutionen und strukturieren
sie neu. Überschneidungen sollen damit beseitigt, Prozesse gestrafft werden. Die Kreditprogramme werden
übersichtlicher. Die Vielzahl der Fördermöglichkeiten in
Deutschland ist heute selbst für die Hausbanken oftmals
unüberschaubar. Die Informationen kommen nicht an,
die Leute sind in der Beratung überfordert. All dies soll
besser werden, sowohl für die vermittelnden Banken als
auch für die Kreditnehmer.
({6})
Es wird in der neuen KfW einen Mittelstandsrat geben. Dieser wird künftig über Vorschläge des Vorstandes
zur Förderung des Mittelstandes beraten und auch beschließen. Herr Bernhardt hat auf die Zusammensetzung
hingewiesen. Darüber können wir natürlich diskutieren.
Für uns Grüne war es zum Beispiel wichtig, dass es in
dem Mittelstandsrat einen Vertreter der Umweltseite
gibt, sodass sichergestellt wird, dass bei dessen Entscheidungen auch die nationale Nachhaltigkeitsstrategie
ausreichende Berücksichtigung findet. Wir setzen uns
dafür ein, dass sich die neue KfW verpflichtet, bei ihrer
gesamten Geschäftstätigkeit die nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu berücksichtigen.
({7})
Ich komme zum Schluss. Neben der Einrichtung der
neuen Mittelstandsbank wollen wir, sozusagen flankierend, das Förderinstrumentarium des Bundes stärken.
Neben dem Angebot innovativer Instrumente wie Globaldarlehen und Verbriefungen müssen die etablierten
Instrumente wie zinsverbilligte Programmkredite und
Eigenkapitalfinanzierungen weiterentwickelt werden.
Die wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der mittelständischen Unternehmen wird in erster Linie nämlich
sein, zu mehr Eigenkapital zu kommen. Laut einer Studie der KfW entwickelt sich der Eigenkapitalmangel im
deutschen Mittelstand zunehmend zu einem Innovations- und Wachstumshindernis. Deswegen müssen wir
daran arbeiten, dass Instrumente geschaffen werden, damit sich die Situation im positiven Sinne entwickelt.
Über diese Vorschläge können wir froh sein. Ich denke,
wir müssen alles tun, um unseren deutschen Mittelstand
zu stärken.
Danke schön.
({8})
Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eine Konzentration der Fördermaßnahmen des
Bundes unter einem Dach und eine Entzerrung der einzelnen Programme sind seit langem überfällig. Die Diskussion darüber führen wir mittlerweile über zehn Jahre
hinweg.
Der vorgeschlagene Weg ist aber nicht der einzig
mögliche.
({0})
Herr Bundesfinanzminister, Sie wissen, dass die FDP
schon in der alten Koalition den Weg bevorzugt hat, die
Mittelstandsförderung unter dem Dach der Deutschen
Ausgleichsbank zu konzentrieren und die anderen Maßnahmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu belassen. Dies hätte eine klare Aufgabentrennung bedeutet.
Dadurch hätte man das gewachsene Vertrauen, das die
Deutsche Ausgleichsbank im Mittelstand auch durch
ihre Tätigkeit vor Ort gewonnen hat, bei der weiteren
Förderung des klein strukturierten Mittelstands nutzen
können. Sie haben nun einen anderen Weg gewählt, der
durchaus gangbar ist; das will ich ohne weiteres bestätigen. Wir als FDP-Fraktion werden am Ende der Beratungen entscheiden, ob wir dem zustimmen oder nicht.
({1})
Verbunden mit diesem Weg ist die Entscheidung - das
ist bei Ihnen zu lesen -, unter dem Dach der KfW eine
Abteilung einzurichten, die als Mittelstandsbank bezeichnet wird. Ich habe dabei ein wenig Bedenken; denn
das führt, wie der Kollege Bernhardt schon gesagt hat,
zu einem Ablenken von den eigentlichen Fragestellungen und Aufgaben der Mittelstandsbanken, die in erster
Linie im Bereich der Sparkassen- und Volksbankenorganisationen beheimatet sind. Die Förderbank des Bundes
ist keine Mittelstandsbank im Sinne einer Hausbank; sie
unterstützt vielmehr die Tätigkeit der Hausbanken. Das
muss deutlich werden.
({2})
Beim Erfinden von Etiketten und Bezeichnungen hat
die Bundesregierung schon die Qualität einer Werbeagentur angenommen.
({3})
Ich erinnere nur an ihre Bezeichnungen Small-BusinessAct, Ich-AG, Personal-Service-Agenturen, Ökosteuer,
JUMP usw. Ich könnte diese Aufzählung noch weiterführen. Es kommt aber nicht auf die Bezeichnungen an,
sondern auf den Inhalt; darauf möchte ich hier hinweisen.
({4})
So schön die Bezeichnungen auch sind, wenn der Inhalt
nichts taugt, dann ist das Ganze nichts wert.
({5})
Also wollen wir uns auf den Inhalt konzentrieren. Wenn
dieser Vorschlag zu etwas Besserem führt als zu dem,
was wir heute haben, dann wird er unsere Unterstützung
finden.
Zum Mittelstandsrat will ich noch eine Bemerkung
machen. Es ist interessant, dass wieder ein neues Gremium geschaffen werden soll, das Sachkompetenz vermitteln soll, wobei aber nicht garantiert ist, dass es wirklich sachkompetent ist. In Ihrer Begründung steht:
Einen zentralen Stellenwert in der Mittelstandsförderung erhält der Mittelstandsrat als neues gesetzliches Gremium.
Der letzte Satz lautet:
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit
wird in diesem Gremium die Mehrheit der Mitglieder stellen.
Wenn ich das so lese, dann stellen sich mir einige Fragen, zum Beispiel, ob die Behandlung von Problemen
des Mittelstandes, deren Lösung wirklich Kompetenz erfordert, im Hause des Wirtschaftsministeriums richtig
angesiedelt ist. Dort gibt es natürlich kompetente Leute.
({6})
Die Praktiker im Mittelstand und bei den Mittelstandsbanken, nämlich bei den Sparkassen, sowie den Banken
insgesamt verstehen von den praktischen Problemen und
auch von den Finanzierungsproblemen des Mittelstandes
weit mehr als die Angehörigen eines Ministeriums,
({7})
die ihre Informationen immer nur gefiltert aufnehmen
können und deswegen keine eigenen persönlichen Eindrücke von den Problemen haben.
({8})
Deswegen sollten wir im Finanzausschuss - ich weiß
gar nicht, wo die Frau Vorsitzende des Finanzausschusses jetzt hingegangen ist - darüber beraten, ob das eine
kluge Lösung ist oder ob es nicht, wenn man schon einen
solchen Rat einsetzt, besser wäre, ihn im Wesentlichen
mit Praktikern zu besetzen. Ich hätte nichts dagegen,
wenn der Bundeswirtschaftsminister den Vorsitz führen
würde, dann könnte er nämlich auch noch etwas über die
Probleme des Mittelstandes lernen. Ich hielte es für eine
Fehlentwicklung, ihn einseitig mit Beamten zu besetzen.
({9})
Es ist interessant, dass zwar der Bundesfinanzminister
anwesend ist, der Bundeswirtschaftsminister aber nicht.
({10})
Es scheint in dieser Frage eben doch eine gewisse Rangordnung zu geben.
({11})
Solange der Bundeswirtschaftsminister „Müller“ hieß
und nicht der SPD angehört hat, war eine Einigung nicht
möglich. Sie ist erst möglich, seitdem Herr Clement dieses Amt ausübt. Das sind aber keine wichtigen Fragen.
({12})
Herr Bundesfinanzminister, wir werden dieses Gesetz
im Detail beraten und möglicherweise Änderungsvorschläge einbringen. Danach werden wir entscheiden, ob
wir dem Gesetz insgesamt zustimmen oder nicht. Ich
halte den Weg einer Konzentration der Förderungsmaßnahmen des Bundes im Prinzip aber für richtig.
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPDFraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident!
({0})
- Ich werde es hier ganz staatstragend gestalten. Man
freut sich sehr, dass ein solches Projekt von zentraler Bedeutung diese einhellige Zustimmung nicht nur bei der
Koalition, sondern letztlich auch bei der Opposition findet. Es muss also wirklich richtig sein.
({1})
Herr Solms, Ihre Bemerkung - Sie begrüßten dieses
Anliegen prinzipiell und sagten, Sie hätten sich schon
vor zehn Jahren darum bemüht - provoziert mich dann
doch zu einer kleinen Reflexion. Genau das ist nämlich
der Unterschied zwischen der alten Kohl-Regierung und
der Schröder-Regierung: Sie haben sich bemüht und wir
haben es gestemmt. Wir führen die Reform, die Sie nur
versucht und angestrebt haben, durch.
({2})
Die Vorteile dieser Mittelstandsbank liegen auf der
Hand. Dazu ist bereits eine Menge gesagt worden. Ich
nenne nur die Stichworte Entbürokratisierung und
Förderung aus einer Hand. Die Bundesförderbanken
machen sich zukünftig keine Konkurrenz mehr. Das
spielt eine große Rolle. Es gibt so etwas wie eine
Fusionsrendite. Für den Mittelstand ist es ausgesprochen
zu begrüßen, dass kein Kaufpreis gezahlt wird, sondern
dass die Deutsche Ausgleichsbank mit der Kreditanstalt
für Wiederaufbau unmittelbar verschmolzen wird. Dieser Verschmelzungsvorgang führt nämlich dazu, dass das
zur Verfügung stehende Eigenkapital nicht vermindert
wird, sodass die Synergieeffekte größer werden. Ob man
angesichts der Bankenentwicklung in den letzten Jahren
noch von einem Kaufpreis hätte reden können, wie das
in der letzten Legislaturperiode noch der Fall war, war
ohnehin mit einem Fragezeichen zu versehen.
Das war der eine Teil des Förderbankenneustrukturierungsgesetzes. Der andere Teil ist nicht weniger wichtig,
vielleicht sogar von größerer Tragweite. Dabei geht es
nämlich um die Erfüllung einer Verpflichtung des Bundes gegenüber der Europäischen Kommission, die sich
aus einer Verständigung über die öffentlich-rechtlichen
Banken in der Bundesrepublik ergibt. Wie Sie wissen,
war eine Beschwerde gegen die Landeszentralbanken
und die Sparkassen Anlass dieser langwierigen und nicht
ganz einfachen Verhandlungen. Es ging also nicht gegen
die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Landwirtschaftliche Rentenbank, die das alles betrifft. Die Europäische Kommission hat diesen Vorgang zum Anlass
genommen, das gesamte öffentlich-rechtliche Bankenwesen in Deutschland einer Überprüfung zu unterziehen.
Dieses Thema, obwohl es im Text knochentrocken behandelt wird, hat doch erheblichen Konfliktstoff in sich
geborgen. Es ist von erheblicher Auswirkung für die
weitere Förderung, für die Wirtschaftstätigkeit und all
das, was öffentlich gefördert werden muss und mit dem
Begriff der Daseinsvorsorge umschrieben wird.
Im Wesentlichen geht es um einen Hauptinteressenkonflikt: die Förderung des Wettbewerbs als den Vater
der Innovation und der Produktivitätserhöhung auf der
einen Seite und die nach wie vor sinnvolle öffentliche
Förderung der Finanzierung nicht staatlicher Aktivitäten auf der anderen Seite. Der Wettbewerb kann eben
nicht uneingeschränkt die Funktion, die der Staat haben
und auch behalten muss, übernehmen. Diese Fragen
kann man nicht einfach dem Wettbewerb überlassen.
Das hat früher gegolten und wird auch in Zukunft gelten.
({3})
- Die Frage ist positiv beantwortet. Ich möchte mich bei
Herrn Minister Eichel, aber auch Herrn Staatssekretär
Koch-Weser bedanken, dass sie hier einen sehr vernünftigen Kompromiss zustande gebracht haben. Dieser
Kompromiss ist insbesondere für den Bund vorteilhaft;
denn für die Kreditanstalt für Wiederaufbau und auch die
Landwirtschaftliche Rentenbank bleibt es bei der staatlichen Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung. Das
heißt, dass diese Banken weiterhin in der Lage sein werden, zu absolut günstigen Bedingungen Refinanzierungsmittel auf dem öffentlichen Kapitalmarkt aufzunehmen.
({4})
Das bedeutet, dass sie weiterhin mit AAA gewertet sein
werden, dass für sie die Förderbedingungen generell
sehr günstig sein werden und sie für die staatlichen Förderaufgaben nach wie vor höchst effizient bleiben werden.
Der andere Punkt - Herr Schauerte, Sie schauen mich
so ungläubig an - besteht darin, dass die Aktivitäten bei
der Kreditanstalt für Wiederaufbau, beispielsweise Exportfinanzierung, die nicht unmittelbar in diesen Förderbereich hineingehören, also reine Wettbewerbsaktivitäten, ausgegliedert werden müssen. Hier besteht keine
Anstaltslast mehr. Dies ist der Unterschied. Ich glaube,
mit diesem Kompromiss kann man gut leben, vor allen
Dingen, weil wir für die anderen Bereiche die staatlichen
Garantien beibehalten haben.
Der Vorwurf lautete - das wird sich bei der Beobachtung des weiteren Gangs der Dinge herausstellen -, die
privaten Geschäftsbanken seien aufgrund von welchen
Vorgängen auch immer - Quersubventionierungen und
anderes - nicht in der Lage, im Wettbewerb, beispielsweise bei der Export- oder Wohnungsfinanzierung, mitzuhalten, weil die öffentliche Hand zu stark fördere. Ob
dieser Vorwurf stimmt, wird sich erst dann herausstellen,
wenn sich die Geschäftsbanken tatsächlich auf dieses
Feld begeben. Bei der Exportfinanzierung beispielsweise
wage ich das zu bezweifeln.
Im Übrigen ist es so, dass die Ausgangslage der künftigen Bank, die eine Exportfinanzierung zu leisten hat,
dermaßen exzellent ist, dass sie sich vor Wettbewerb an
dieser Stelle überhaupt nicht zu fürchten braucht. Sie ist
gut aufgestellt und auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau kann beste Zahlen vorweisen. Damit können wir
sehr zufrieden sein.
Herr Bernhardt hat im Zusammenhang mit der neuen
Mittelstandsbank und dem Mittelstandsrat ein Problem
aufgeworfen. Wir sehen die Probleme in dieser Art nicht.
Für uns stellen sie sich nicht, aber wir können selbstverständlich im Ausschuss miteinander darüber reden. Was
mir sehr gut gefallen hat, obwohl ich aus dem Osten
komme, ist der Hinweis auf das ERP und die historischen Wurzeln der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die
mit den USA eng verbunden ist; das ist gar keine Frage.
Kollege Hilsberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hinsken?
Ja, bitte.
Herr Kollege Hilsberg, Sie reden dieser Fusion das
Wort. Ihre Meinung wird fraktionsübergreifend geteilt.
Sie haben vor allen Dingen auf verschiedene Verbesserungen verwiesen. Nun ist in Zukunft der bisher bekannte
Wettbewerb zwischen KfW einerseits und Deutscher
Ausgleichsbank andererseits nicht mehr vorhanden. Das
muss sich irgendwo positiv niederschlagen.
Wo, meinen Sie, liegen für die mittelständischen Unternehmer durch diese Fusion die Vergünstigungen?
Können sie davon ausgehen, dass die Zinsen gesenkt
werden, nachdem es nur noch einen Anbieter und somit
weniger Bürokratie gibt, und dass es in Zukunft seitens
dieser neuen Bank mehr Verständnis für den Mittelstand
geben wird, als das in der Vergangenheit bislang der Fall
war?
({0})
Herr Hinsken, das war der Teil der Rede, den ich bereits vor fünf Minuten abgehandelt hatte. Aber Sie können die Frage selbstverständlich auch jetzt stellen. Sie
hängt mit den Stichworten Entbürokratisierung, Synergieeffekte und Fusionsrendite zusammen. Die „Financial
Times Deutschland“ spricht von Synergieeffekten in
Höhe von 75 Millionen Euro, allein was die Tätigkeit
der Bank betrifft. Das alles sind Vorteile, die sich unmittelbar auf den Mittelstand auswirken.
({0})
Alles andere wird eine Frage der unmittelbar konkreten
Tätigkeit der künftigen Mittelstandsbank selber sein, und
es wird auch unsere Aufgabe sein,
({1})
so wie es immer die Aufgabe des Parlaments ist, zu sehen, ob sich die Erwartungen, die man an diese neue Institution hat, auch tatsächlich erfüllen.
({2})
Insofern haben wir in Zukunft genug Stoff, uns über
diese Fragen zu unterhalten.
({3})
Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was ich zu
den USA gesagt habe.
({4})
Ich als ehemaliger DDR-Bürger hätte es sehr gern gesehen, wenn das Angebot der Marshall-Programme seinerzeit auch für Ostbetriebe gegolten hätte. Dass das
nicht der Fall war, ist der Politik im Kalten Krieg geschuldet. Das ist etwas, worauf man gemeinsam aufbauen kann. Auf der anderen Seite gilt auch das, was der
Kanzler in einem anderen Zusammenhang gestern gesagt hat. Für die künftige Finanzpolitik im Interesse
Deutschlands kann gegenüber den USA nicht die Devise
gelten: Hand an die Hosennaht! Das ist die falsche Devise. Ich nehme nicht an, dass Sie das als Folge implizieren wollten.
({5})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die gravierenderen Auswirkungen, wenn sie überhaupt vorhanden
sind, treffen nach meiner Einschätzung eher die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken. Auch dies wird ein
Punkt sein, über den man im Ausschuss zu reden hat.
Aber immerhin ist doch in vielen Kleinigkeiten ein Fortschritt zu bemerken.
Dieses jetzt vorliegende Gesetz schafft beispielsweise
den Begriff der Körperschaft für die Kreditanstalt für
Wiederaufbau ab. Der ist 1948 eingeführt worden und
war schon damals falsch. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau war niemals eine Körperschaft, sondern sie war
immer eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Reform dieses Begriffs hat 55 Jahre gedauert. Die gemeinsame Mittelstandsbank zu schaffen hat, soweit ich das
sehen kann, seit dem Kabinettsbeschluss in der letzten
Legislaturperiode zwei Jahre gedauert. Das zeugt von einer erheblichen Dynamik der Reform, die wir vorhaben.
Ich lade Sie alle ein, auch die Damen und Herren von der
Opposition, an dieser Reform mitzuwirken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort Frau Kollegin Dagmar Wöhrl,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wenn man an die euphorischen Worte von Rot-Grün in
den letzten Wochen denkt, als von der Integration der
Deutschen Ausgleichsbank in die KfW gesprochen
wurde, dann hat man manchmal das Gefühl, hier sei das
berühmte Ei des Kolumbus gefunden worden. Aber dem
ist mitnichten so. Wir freuen uns zwar, dass es endlich
nach „nur“ drei Jahren gelungen ist,
({0})
einen internen Kompetenzstreit zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister aus dem Weg zu räumen, damit jetzt endlich an der DtA ein neues Schild mit der
Aufschrift Mittelstandsbank angebracht werden kann.
Das hat nämlich so lange gedauert, weil sich der Finanzminister und der Wirtschaftsminister nicht einigen konnten, wer Vorsitzender des Verwaltungsrates wird. Das
war der Grund, warum die notwendige Fusion so lange
verschleppt worden ist.
Wir wünschen uns alle unisono hier im Saal, dass
wirklich die Synergieeffekte, die man sich verspricht,
und eine bessere Verzahnung der Förderpolitik eintreten
werden. Wir erhoffen uns auch, dass endlich viele bürokratische Förderprogramme hier konzentriert und zukünftig einfacher und transparenter an den Bürger vermittelt werden.
Aber das Grundproblem, das wir bei der Mittelstandsfinanzierung haben, wird mit diesem Schritt in keiner
Art und Weise gelöst. Es heißt so schön: Eine tolle Lösung, schade dass sie nicht zum Problem passt.
({1})
Um das zu begreifen, meine Damen und Herren, muss
man einen Blick auf die Lage unseres Mittelstands werfen und die Gründe für die Finanzklemme diskutieren.
Für 45 Prozent der Unternehmen in unserem Land haben sich die Finanzierungsbedingungen in den letzten
Jahren vehement verschlechtert.
({2})
Rund ein Drittel hat Probleme, überhaupt noch einen
Kredit aufnehmen zu können. Gleichzeitig verzeichnen
wir einen immensen Einbruch bei der Umsatzrentabilität, und zwar auf breiter Front. Allein 30 Prozent der
Unternehmen haben im Bilanzjahr 2001 fast überhaupt
keinen Gewinn mehr gemacht, man kann wirklich sagen,
dass unsere mittelständischen Unternehmen arm dran
sind; das gilt auch im europäischen Vergleich.
Wenn Sie die Umsatzrenditezahlen, die uns aus dem
Jahr 2000 vorliegen, international vergleichen, zeigt sich
folgendes Bild: Der Jahresüberschuss nach Steuern betrug in Spanien im Jahr 2000 7,2 Prozent, in der Schweiz
7 Prozent, in Dänemark 5,7 Prozent, in den USA
5,4 Prozent und in Deutschland magere 3,4 Prozent. Ich
glaube, diese Zahl spricht für sich.
Wenn Sie dann auch noch die magere Eigenkapitalquote berücksichtigen, mit der wir im internationalen
Vergleich wirklich am unteren Ende liegen - sie liegt
teilweise bei 0 bis 2,9 Prozent -,
({3})
zeigt sich, dass 97 Prozent mit Fremdkapital arbeiten
müssen, weil sie sonst überhaupt nicht über die Runden
kämen.
({4})
Wir haben es auf der einen Seite mit einem steigenden
Finanzierungsbedarf und auf der anderen Seite mit einer
sinkenden Eigenkapitalbasis zu tun. Hier öffnet sich eine
Schere, die für die Zukunft unserer Betriebe ganz gefährlich werden kann. Hier müssen eigentlich die Alarmglocken läuten.
({5})
Was tun Sie gegen dieses Manko? 38 000 Firmenpleiten gab es im letzten Jahr. Diese Zahl umfasst nur
diejenigen, die einen Insolvenzantrag gestellt haben, das
muss man in diesem Zusammenhang immer im Auge behalten. Diejenigen, die still und leise ihre Tür zuschließen, weil sie einfach nicht mehr existieren können, weil
sie keine Aufträge mehr erhalten, werden in keiner Statistik erfasst. Allein die Zahl von 38 000 ist ein Nachkriegsrekord. Betrachten wir die Zahlen, die jetzt von
der Kreditreform herausgegeben worden sind, dann ist
davon auszugehen, dass noch einmal mit 10 bis
15 Prozent Insolvenzen mehr als im letzten Jahr zu rechnen ist.
Man muss sich auch fragen: Was ist mit den Unternehmen, die am Markt geblieben sind? Ihre Investitionsbereitschaft ist auf breiter Ebene auf einem historischen Tiefstand. Nur knapp ein Viertel aller
Mittelständler ist noch bereit zu investieren. Über Neueinstellungen will ich überhaupt nicht reden.
({6})
Wenn man sich die Zahl der Unternehmensgründungen ansieht, fällt auf, dass der Unternehmenssaldo
dramatisch zusammengebrochen ist. Seit dem Amtsantritt von Rot-Grün hat sich die Zahl der Nettogründungen sage und schreibe halbiert. Mittlerweile gibt es noch
einen Positivgründungssaldo von gut 33 000 Unternehmen, das sind fast 35 000 weniger als vor vier Jahren.
({7})
- Wenn Sie, Frau Skarpelis-Sperk, davon ausgehen, dass
jedes dieser Unternehmen Arbeitsplätze schafft, auch
wenn es nur ein bis drei Arbeitsplätze sind - gehen wir
von einem Minimum aus -, dann fehlen noch einmal
120 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich.
({8})
Jetzt haben Sie den neuen Namen „Mittelstandsbank“
geprägt. Wir sind für den Zusammenschluss von KfW
und DtA, es ist gut, dass er stattgefunden hat. Ich kann
nur Lobenswertes über die DtA und die KfW sagen.
Beide Banken haben aber schon existiert, es handelt sich
also um nichts Neues, wie hier suggeriert wird. Die neue
Mittelstandsbank hilft uns bei den Finanzierungsproblemen der mittelständischen Betriebe nicht weiter.
Sicher sind Staatskredite wichtig und sie helfen auch,
aber sie helfen nicht dabei, die wirklichen Probleme in
unserem Land anzugehen. Die Vergabe von Staatskrediten darf nicht der einzige Weg sein, den Sie einschlagen.
Sie müssen auch den Mut haben, andere Wege zu gehen.
Gehen wir davon aus - das erhoffen Sie sich -, dass
die kleinen und mittelständischen Betriebe zukünftig
Schlange stehen, um von der Mittelstandsbank Fremdkapital, das sie zu geben bereit ist, zu bekommen. Denken Sie aber auch an die Hausbanken, dort stehen die
Mittelständler nämlich vor der Tür. Die Hausbanken sind
diejenigen, die den Kreditwunsch prüfen und durchleiten. Hier liegt das Problem, bei den Hausbanken muss
zukünftig angesetzt werden.
({9})
Man muss sich auch die Frage stellen, warum die privaten Banken in letzter Zeit so zurückhaltend bei der
Kreditvergabe vorgehen. Gehen wir dem doch auf den
Grund! Die Ursachen dafür sind die schlechte wirtschaftliche Ausgangslage in unserem Land und das damit verbundene hohe Ausfallrisiko, das die Banken zu
tragen haben. Wir wissen schließlich, was in letzter Zeit
durch die vielen Insolvenzen von sehr vielen kleinen und
mittelständischen Kreditnehmern auf die Banken zugekommen ist.
({10})
Es wird immer wieder sehr leichtfertig Bankenschelte
betrieben. Man muss aber auch nach den Gründen für
die restriktive Haltung fragen, die die Banken sehr oft
einnehmen. Ich glaube nicht, dass man jedem Manager
eine böse Absicht unterstellen kann.
({11})
Vielmehr beruht diese Haltung sehr oft auf handfesten
betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulationen der Kreditinstitute, die auch notwendig sind.
({12})
Ich glaube, es ist durchaus verständlich, dass die Privatbanken angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage, die Sie mit zu verantworten haben, meine
Damen und Herren von der Regierung,
({13})
genau prüfen, ob sie einen Kredit gewähren können. In
dieser Situation nützt ein einfaches Logo, wie es mit der
neuen Bezeichnung „Mittelstandsbank“ eingeführt
wurde, überhaupt nichts.
Wir sind für den Zusammenschluss. Das haben wir
bereits festgestellt. Wir sind aber dagegen, dass etwas
suggeriert wird, was gar nicht eintreten wird.
({14})
Sie schüren bei den Mittelständlern Hoffnungen auf eine
Reform, durch die sie schneller Kredite und bessere
Finanzierungsmöglichkeiten bekommen als früher. Aber
das ist nicht der Fall. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie
die Wahrheit sagen.
({15})
Wenn es Ihnen wirklich darum geht, bessere Finanzierungsmöglichkeiten für den deutschen Mittelstand zu
schaffen, dann müssen Sie die Rahmenbedingungen ändern. Wir müssen erreichen, dass die geringe Eigenkapitalausstattung der Betriebe überwunden wird. Denn die
Hauptfinanzierungsquelle der Mittelständler ist die Einbehaltung der Gewinne im Unternehmen. Deswegen ist
die Stärkung der Innenfinanzierung bzw. der Selbstfinanzierung der Unternehmen notwendig. Das erfordert
wiederum eine bessere Eigenkapitalausstattung und bessere Möglichkeiten, kostengünstig Fremdkapital aufzunehmen.
Sie müssen damit aufhören, alternative Finanzierungsformen stiefmütterlich zu behandeln. Auch in diesem Bereich müssen Sie neue Wege gehen.
Wir brauchen einen starken Finanzplatz. In diesem
Zusammenhang haben wir einen entsprechenden Antrag
vorgelegt, der über 50 Punkte enthält. Lesen Sie unseren
Antrag! Unser Weg ist richtig und gut. Ideen wie die
Versendung von Kontrollmitteilungen über 300 Millionen Konten werden Sie darin vergeblich suchen.
({16})
Die Umsätze und die Binnennachfrage müssen gesteigert werden. Das ist nur möglich, wenn Sie es zulassen,
dass die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche haben.
({17})
Die von Ihnen vorgenommenen Maßnahmen wie die
Erhöhung der Sozialbeiträge und die Rücknahme von
Steuersenkungen, die bereits im Gesetzesblatt aufgeführt
waren, sind nicht der richtige Weg.
Damit es klar wird: Eine Ankurbelung der Binnennachfrage kann meiner Meinung nach nicht nach dem
Muster à la Müntefering „Mehr für den Staat - weniger
für den privaten Verbrauch“ erfolgen. Das ist so grundlegend falsch, dass mich diese Aussage noch immer erschüttert.
({18})
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass die Gesundheitsministerin im Dezember vergangenen Jahres
versichert hat: Nach der Anhebung der Rentenbeiträge
auf 19,5 Prozent ist erst einmal Ruhe. Sie hat in der Tat
Recht gehabt, aber in Bezug auf einen anderen Bereich.
In vielen Tausend Unternehmen ist Ruhe. Die Kunden
bleiben weg; die Produktionsräder stehen still und die
Mitarbeiter bleiben nach betriebsbedingten Kündigungen zu Hause. Diese Ruhe werden Sie noch verstärken,
wenn Sie die Sozialbeiträge weiter erhöhen.
({19})
Ein Mittelständler muss inzwischen knapp 23 Prozent
des Unternehmensumsatzes für Personalkosten - für
Löhne, Gehälter und Lohnnebenkosten - ausgeben. Für
Großunternehmen beträgt der Personalaufwand hingegen nur 17,5 Prozent. Das heißt, Sie müssen die strukturellen Reformen angehen, um dem Mittelstand zu helfen.
Wir brauchen eine größere Flexibilität im Arbeitsrecht. Darauf muss ich nicht näher eingehen; unsere
Vorschläge liegen bereits vor.
Wenn man heutzutage viel herumkommt, dann hört
man oft die Frage: Wo geht es zum Aufschwung? Antwort: Immer den Bach runter! Damit muss endlich
Schluss sein.
({20})
Wir brauchen endlich weniger Belastung, weniger Steuern, weniger Bürokratie und stattdessen mehr Flexibilität. Wenn Sie das umsetzen, dann lösen Sie auch die
Finanzierungsprobleme der Mittelständler.
({21})
Wir müssen die Unternehmer mehr motivieren, wieder
unternehmerisch tätig zu werden. Wenn Sie § 17 des Einkommensteuergesetzes dahin gehend ändern, dass der
Privatmann durch steuerliche Erleichterungen zu Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen animiert wird,
dann sind wir wieder einen Schritt vorangekommen.
({22})
Wenn das private Chancenkapital noch durch eine effizient arbeitende Mittelstandsbank unterstützt wird, umso
besser.
Vielen Dank.
({23})
Ich erteile das Wort Kollegin Dr. Sigrid SkarpelisSperk, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
erste Teil der heutigen Debatte war ruhig, sachlich und
der Lösung der Probleme der aus der Fusion von KfW
und Deutscher Ausgleichsbank hervorgehenden neuen
Förderbank verpflichtet. Die letzte Rede war leider nur
noch blanke Polemik und hatte mit den eigentlichen Inhalten nur wenig zu tun.
({0})
Es ist zwar wichtig, die Frage zu stellen, wie es dem
Mittelstand in diesem Land geht. Aber es wäre noch
wichtiger, zu fragen, welche Instrumente wir angesichts
der unbezweifelbar schwierigen internationalen Lage
und der daraus resultierenden Konsequenzen für den
Mittelstand anbieten, um ihm bei der Lösung seiner Finanzierungsprobleme zu helfen. Stattdessen werden Vorschläge gemacht, die - ich sage das ganz offen - schlicht
abenteuerlich sind. Zu diesem Schluss komme ich, Frau
Kollegin Wöhrl, wenn ich bedenke, was Sie über die
Fremdfinanzierung gesagt haben. Jeder, der sich mit
der Lage in Deutschland befasst, weiß, dass es in unserem Land seit mehr als 150 Jahren eine einzigartige Kultur der Fremdfinanzierung gibt, weil die Bankkredite in
Deutschland wesentlich günstiger sind als in allen anderen europäischen Ländern. Wenn Sie sich anschauen,
welche Zinsen kleine und mittelständische Unternehmen
in Frankreich oder in Großbritannien zu zahlen haben,
dann werden Sie sich wundern. Aufgrund der besseren
Bedingungen in Deutschland konnten sich große sowie
kleine und mittelständische Unternehmen günstiger
fremdfinanzieren.
Sie haben lange Ausführungen zu den Steuern gemacht. Auch wir wissen, dass das hohe Maß der Fremdfinanzierung in Deutschland etwas mit den steuerlichen
Bedingungen zu tun hat. Frau Kollegin Wöhrl, zu Ihren
Regierungszeiten haben Sie die steuerliche Privilegierung der Fremdfinanzierung der Unternehmen nicht beseitigt. Das ist erst durch uns erfolgt.
({1})
Statt nackter Polemik wäre es angemessener gewesen,
darüber zu diskutieren, wie wir einen Strukturwandel
herbeiführen können und was wir angesichts der internationalen Veränderungen, der Entwicklung auf den Kapitalmärkten und des verschärften Bankenwettbewerbs
über die Förderbanken gezielt für den Mittelstand tun
können. In der Tat haben wir hier genügend Probleme,
sodass wir der Polemik nicht bedürfen. Es ist nicht hilfreich - ich sage das nachdrücklich -, Horrorszenarien zu
entwerfen und den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Es wird auch nicht besser, wenn Sie das ständig wiederholen.
({2})
Ich glaube, die Mittelstandsbank steht vor großen,
neuartigen Herausforderungen. Wir alle setzen unser
Vertrauen darin, dass sie in der jetzigen schwierigen
Phase dem Mittelstand hilft. Sie haben ja Recht, Frau
Kollegin Wöhrl, wenn Sie darauf hinweisen, dass sich
die wirtschaftliche Lage in der Welt, auch in Europa und
insbesondere in Deutschland, in den letzten Monaten
noch einmal deutlich eingetrübt habe. Es hat in der Tat
gravierende Verschlechterungen in der Weltwirtschaft
gegeben. Der Krieg im Irak ist dabei nur eine, allerdings wichtige Ursache. Dieser Krieg verstärkt die Unsicherheit auf den weltweiten Kapitalmärkten, bei den
Verbrauchern und bei den Unternehmen. Investitionen
wie große Neuanschaffungen werden zurückgestellt.
Die Unternehmensfinanzierung ist für viele Firmen
seit dem Jahr 2002 noch einmal schwieriger geworden.
Darauf weist auch eine neuere Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau hin: Für 45 Prozent der Unternehmen ist die Kreditaufnahme schwieriger; rund ein
Drittel der Unternehmen hat Probleme, überhaupt noch
einen Kredit zu erhalten. Das bedeutet, die meisten deutschen Unternehmen stecken in deutlichen Schwierigkeiten, schon ihre ganz normale wirtschaftliche Tätigkeit zu
finanzieren, geschweige denn, dass sie bereit sind, unternehmerische Wagnisse einzugehen. Wachstumspotenziale werden dadurch verschenkt, viele Arbeitsplätze
nicht geschaffen, Innovationen und Dynamik behindert.
Es ist dringend notwendig - diesen Appell habe ich
bei der Opposition und übrigens auch bei Ihnen, Herr
Solms, vermisst; offensichtlich kann man in diesem
Haus über die anstehenden Probleme nicht mehr reden -,
dass sich die Kreditinstitute, allen voran die deutschen
Großbanken, auf ihre volkswirtschaftliche Verantwortung besinnen und daran denken, dass Kundenpflege
nicht nur in guten Zeiten wichtig ist, sondern sich eine
solide Geschäftsbeziehung gerade in stürmischen Zeiten
bewähren muss.
({3})
Ich sage nachdrücklich: Wir werden das, was sich hier
an Verschlechterungen im deutschen Bankensystem
vollzieht, durch noch so große Subventionen im öffentlichen Bereich nicht konterkarieren können. Die Banken
müssen überlegen, ob sie ihrer Verantwortung für die
deutsche Wirtschaft noch gerecht werden.
({4})
Dabei ist uns sehr wohl klar, dass die Ursachen dieser
negativen Entwicklung nicht allein bei der Risikoscheu
insbesondere der großen Banken zu finden sind. Es gibt
noch andere wesentliche, wirklich dramatische Entwicklungen auf dem Bankensektor; auch das sehen wir.
Zunächst ist der internationale Wettbewerb im
Bankensektor zu nennen. Dieser hat stark zugenommen; die deutschen Banken befinden sich unter erheblichem Konkurrenzdruck. Gott sei Dank ist die Bankenstruktur - Privatbanken, Genossenschaftsbanken und
Sparkassen - noch sehr gesund. Das ist hilfreich und hat
in der Vergangenheit eine gute Kreditversorgung gewährleistet. Wir müssen aufpassen, dass diese gute Kreditversorgung zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen allen Regionen erhalten bleibt.
({5})
Ich glaube, dass die Finanzaufsicht und der Bundesfinanzminister diesen Prozess mit großer Geduld und
Aufmerksamkeit beobachten und alles tun werden, um
dieses Bankensystem im Interesse der deutschen Wirtschaft so zu erhalten.
Auch die Sparkassen, die typischerweise die kleinen
und mittleren Unternehmen bedienen, sind vor allem
durch den von der EU erzwungenen Wegfall der Gewährträgerhaftung angeschlagen. Dies ist übrigens - das
muss man einmal deutlich sagen - nicht von der politischen Seite ausgegangen. Die privaten Großbanken sind
nach Brüssel gegangen und haben geklagt. Insofern haben sie einen nicht unerheblichen Teil der Finanzierungsprobleme der kleinen und mittleren Unternehmen
mit verursacht.
({6})
Jetzt schränken die Sparkassen die Kreditvergabe an
ihre traditionellen Kunden, die kleinen und mittleren Unternehmen, ein, auch wenn noch immer sie es sind - das
wollen wir positiv bemerken -, die den Mittelstand zu
einem überwiegenden Teil finanzieren. Aber die
schlechte konjunkturelle Lage begrenzt natürlich das
Neugeschäft.
In dieser schwierigen Lage, in der sich das Bankensystem befindet, kommen auf die neue Bank entscheidende wichtige neue Aufgaben zu. Sie muss den Banken
und Sparkassen helfen - gewappnet mit ihrem Ansehen
und Know-how -, auf den europäischen und internationalen Finanzmärkten den Mittelstand weiter angemessen
zu finanzieren. Wir müssen die bewährten, klassischen
Förderinstrumente wie die Gründerfinanzierung, die
Umweltfinanzierung, Eigenkapitalhilfen - insbesondere
für dynamische Unternehmen aus dem Technologiesektor - den neuen, unsicheren Zeiten anpassen. Neue, innovative Förderansätze müssen entwickelt und über den
Markt umgesetzt werden.
In dieser ersten Aufgabe sind mit dem Globaldarlehen
und den Verbriefungsprogrammen schon zwei wichtige
Säulen errichtet, die, wenn sie permanent umgesetzt
werden, dem Bankensystem, insbesondere aber den kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, helfen können, ihre Liquiditätsprobleme zu überwinden. Sie haben
damit günstigere Finanzierungsmöglichkeiten, die sie in
maßgeschneiderte Einzelkredite zu günstigen Einstandskonditionen an die Kreditnehmer umwandeln können. Allein mit diesem Instrument konnten schon
1,8 Milliarden Euro zusätzlich für die Mittelstandsförderung bereitgestellt werden.
Mit dem innovativen Verbriefungsprogramm werden Risiken von Mittelstandskrediten auf den Kapitalmarkt übertragen. Dadurch werden bei den Banken und
Sparkassen wieder Eigenmittel frei, die als Kredite ausgehändigt werden können. Ich meine, dies ist ein wirklich intelligentes Programm, das die deutsche Kreditwirtschaft, auch die kleineren Kreditinstitute, wesentlich
mehr als bisher nutzen sollte. Wir sehen mit Bedauern,
dass dieses Programm bisher nur in einem geringen Umfang genutzt wird. Wir erhoffen uns von einer Nutzung
in einem größeren Umfang neue Spielräume für die Unternehmen.
Hinzu kommt, als dritte Säule, die Senkung der Bearbeitungs- und Prozesskosten. Herr Kollege Bernhardt,
Sie haben hier das Problem der Margen angesprochen. In
diesem Bereich ist bereits - Sie wissen das auch durch unsere Diskussionen - einiges getan worden. Wir müssen
aufpassen, dass die Kosten für die kleinen und mittleren
Unternehmen durch die Erhöhung der Margen und durch
die Umlagen wegen der Risiken nicht allzu sehr steigen;
denn wenn das Finanzkapital bei der Vergabe von
Beteiligungen ängstlich geworden ist, dann kann die öffentliche Hand dafür keinen vollen Ausgleich schaffen.
({7})
Ich finde es hervorragend, dass das „Kapital für Arbeit“ und die Vergabe von Mikrodarlehen - die KfW und
die DtA sind dafür verantwortlich - fortgesetzt werden.
Dadurch kommen kleine Unternehmen an das nötige
Geld, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und innovativ
vorzugehen.
Ich komme zum Schluss. Die zuständigen Abgeordneten im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, besonders
im Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“, werden Sie
in der Diskussion und in der Entwicklung gerne begleiten. Als Vorsitzende dieses Unterausschusses wünsche
ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen der neuen
Mittelstandsbank des Bundes und ihren erfahrenen und
kooperativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin, Bonn und Frankfurt weiterhin ein gutes Gedeihen,
viel Elan, Kreativität und natürlich auch Geduld beim
Zusammenwachsen. Der Mittelstand braucht die neue
Mittelstandsbank
({8})
und wir in der Politik verlassen uns auf ihre Unterstützung.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/743 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 15 a und
15 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst
Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Dr. Dieter
Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung
des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze
in der gesetzlichen Krankenversicherung und
in der gesetzlichen Rentenversicherung
- Drucksache 15/542 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
Aufhebung der gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz
- Drucksache 15/652 ({1}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Weihnachten hat die Bundesregierung ein Vorschaltgesetz im
Schweinsgalopp durch den Bundestag gepeitscht und
behauptet, sie kann die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil halten, indem sie gravierende
Eingriffe in die Substanz der Leistungserbringer im Gesundheitswesen vornimmt.
({0})
Die Bilanz kurz vor Ostern ist jedoch traurig:
({1})
Zum Jahreswechsel sind die Beiträge von 14,0 Prozent
auf fast 14,4 Prozent im Durchschnitt gestiegen.
({2})
Das ist bereits ein historischer Rekord. Hinzu kommt,
dass die ersten Krankenkassen schon zum 1. April die
Beitragssätze erhöht haben. Frau Kollegin SchaichWalch, zuständige stellvertretende Vorsitzende der SPDFraktion, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der
Beitragssatz noch in diesem Jahr auf mindestens
14,8 Prozent ansteigen wird.
({3})
Damit ist Frau Ministerin Schmidt mit ihrer Notstandsgesetzgebung grandios gescheitert.
({4})
Sie ist auf dem besten Weg zu einem traurigen Rekord;
denn in nicht einmal drei Jahren Amtszeit hat sie es geschafft, dass die Krankenversicherungsbeiträge bis zum
Ende dieses Jahres um rund 1,5 Prozentpunkte gestiegen
sein werden.
Das Beitragssatzsicherungsgesetz ist nunmehr drei
Monate in Kraft. Die fatalen Folgen, vor denen wir von
Anfang an gewarnt haben, sind nun für jedermann ersichtlich.
({5})
Krankenhäuser, Arztpraxen, Zahnärzte leiden unter den
erzwungenen Nullrunden. Gerade in den Krankenhäusern sind Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet. Das
Ganze geht am Ende zulasten der medizinischen Versorgung der Patienten.
Noch schlimmer hat es die Zahntechniker getroffen.
Hier sind mittelständische Existenzen gefährdet, weil
das Gesetz in die Substanz eingreift: eine Preisabsenkung um 5 Prozent.
So richtig ans Eingemachte geht es bei den Apotheken. Die Abrechnungen der ersten drei Monate dieses
Jahres bestätigen unsere wiederholten Warnungen. Der
Gewinn der Apotheken vor Steuern ist im Durchschnitt
um 35 bis 40 Prozent eingebrochen. Das ist auch kein
Wunder; denn die Apotheken werden durch das Beitragssatzsicherungsgesetz in einer Dimension von insgesamt mindestens 900 Millionen Euro in diesem Jahr belastet.
Da hilft es auch nichts, wenn man darauf hinweist
- wie dies die Staatssekretärin vorhin im Fernsehen getan hat -, dass die Umsätze zuletzt wieder gestiegen
sind. Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie
verwechseln immer noch Umsatz und Gewinn.
({6})
Sie bringen das Kunststück fertig, dass Sie mit Ihrer Politik die Apotheken in weiten Teilen unseres Landes an
den Rand des Ruins treiben, obwohl die Umsätze in den
ersten Wochen dieses Jahres leicht gestiegen sind.
12 000 Arbeitsplätze sind im Apothekenbereich allein
im ersten Quartal verloren gegangen.
({7})
Mit den im Gesetz verordneten Zwangsrabatten greifen Sie tief in die Einkommen der Apotheken ein. Das
betrifft nicht nur die Apotheker, sondern auch die Beschäftigten. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man in
diesem Land Arbeitslosigkeit produziert.
Was dahinter steht, muss klar sein: Dieses Vorschaltgesetz ist nur die Ouvertüre zu dem, was Sie mit der Gesundheitsreform planen, nämlich den Einstieg in die
vollständige Zerschlagung unserer bewährten Apothekenlandschaft.
({8})
Das Beitragssatzsicherungsgesetz war nur der erste
Streich. Wenn es nach Ihnen geht, folgt der zweite sogleich, nämlich die Freigabe des Versandhandels und
insbesondere die Aufgabe des Mehrbesitzverbots. Dies
würde bedeuten, dass die flächendeckende, wohnortnahe
Versorgung unserer Bevölkerung mit Arzneimitteln gefährdet ist. Unser Apothekensystem, um das man uns im
Ausland beneidet, ist durch eine qualitativ hochwertige
und sichere Beratung gekennzeichnet. Das würden Sie
aufs Spiel setzen, wenn Sie den Weg für ein System öffnen, bei dem die Apothekenlandschaft durch Ketten dominiert wird.
({9})
Dies ist nicht graue Theorie. Die Erfahrungen aus
Norwegen sollten uns ein warnendes Beispiel sein.
Nachdem dort vor zwei Jahren das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben wurde, sind heute drei von vier
Apotheken in Norwegen im Besitz von zwei großen
Apothekenketten, hinter denen Großhandelsunternehmen stehen.
Wer unter dem Deckmantel von Liberalisierung und
Wettbewerb ein Umpflügen der Apothekenlandschaft
will, der muss dies klar aussprechen. Ich sage hier eines
deutlich: Mit der Union wird es Apothekendiscounter
und einen ungehemmten Versandhandel definitiv nicht
geben.
({10})
Zurück zum Beitragssatzsicherungsgesetz. Sie haben
weitere Maßnahmen durchgesetzt, die die Situation im
Gesundheitswesen nicht verbessern, sondern dramatisch
verschärfen. Ein Beispiel ist die willkürliche Anhebung
der Versicherungspflichtgrenze. Sie führt dazu, dass
den privaten Kassen der Nachwuchs abgeschnitten wird,
ohne dass die Strukturprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung auch nur näherungsweise gelöst werden. Wenn man Ihrem Berater, Professor Lauterbach aus
Köln, folgt, der eine Bürgerversicherung im Blick hat,
dann mag das ja sogar Sinn machen. Ich hoffe nur, dass
das Wort des Bundeskanzlers, er wolle diesen Weg nicht
gehen, am Ende eingehalten wird.
({11})
Wenn man dieses Wort ernst nimmt, kommt man zu dem
Schluss, dass die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze im Beitragssatzsicherungsgesetz im Gegensatz zu
dem steht, was der Bundeskanzler selber vor einigen Tagen verkündet hat.
({12})
Sie haben mit Ihren willkürlichen und völlig konzeptionslosen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen in die
Gesundheitspolitik nachhaltig erschüttert.
Die Frage ist aber, warum die Therapie falsch ist, die
Sie uns hier in den letzten Monaten verordnet haben. Die
Therapie ist deswegen falsch, weil Ihre Diagnose hinten
und vorne nicht stimmt. Wir haben im Gesundheitswesen nicht in erster Linie ein Problem auf der Ausgabenseite, sondern ein Problem auf der Einnahmeseite.
({13})
Im vergangenen Jahr sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - ich lasse jetzt die Verwaltungsausgaben einmal außen vor - im Durchschnitt um
3 Prozent gestiegen. Wenn man eine qualitativ hochwerAndreas Storm
tige Versorgung der Menschen mit dem medizinisch
Notwendigen möchte - das zeichnet ja ein leistungsfähiges Gesundheitssystem aus -, dann muss man dafür sorgen, dass dieses System auch einen Ausgabenanstieg
von 3 Prozent verkraften kann. Problematisch ist deshalb
der Einbruch bei den Einnahmen. Die sind lediglich um
0,5 Prozent gestiegen.
Das hat zwei Ursachen: zum einen die dramatische
Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - nehmen Sie die
Zahlen von gestern -: Wiederum fast eine halbe Million Arbeitslose mehr als im Jahr zuvor entspricht spiegelbildlich einem dramatischen Einbruch bei der Beschäftigung. Da nimmt es nicht wunder, dass die
Beitragsbasis nicht nur der Krankenversicherung, sondern aller Sozialversicherungszweige wegbricht. Zum
Zweiten ein politisch bedingter Verschiebebahnhof zulasten der Krankenkassen. Der Sachverständigenrat hat
es im vergangenen November in seinem Jahresgutachten nachgewiesen: Allein 0,4 Beitragssatzpunkte sind
auf Maßnahmen im Zuge dieses Verschiebebahnhofs
zurückzuführen.
Beenden Sie deswegen den Irrweg, mit unbrauchbaren Instrumenten auf der Ausgabenseite etwas bewirken
zu wollen!
({14})
Die Finanzierungsbasis muss neu geordnet werden.
Die Unionsfraktion hat im Februar einen Plan vorgelegt,
wie die Beiträge um 2 Prozentpunkte abgesenkt werden
können, nämlich indem die Finanzierungsbasis der
Krankenkassen neu geordnet wird.
({15})
Versicherungsfremde Leistungen sollen mit Steuermitteln finanziert werden, die Eigenbeteiligung der Versicherten soll erhöht und ein Leistungsbereich soll über
eine Zusatzversicherung und nicht mehr über lohnbezogene Beiträge finanziert werden.
Auf der Ausgabenseite muss man durch marktwirtschaftliche Instrumente Effizienzreserven erschließen,
also indem man durch mehr Transparenz und Wettbewerb dafür sorgt, dass die Reserven freigelegt werden,
die auch tatsächlich freigelegt werden können. Wir brauchen aber keine ungeordneten Eingriffe in die Substanz
der Leistungserbringer; das zieht ein Arbeitsplatzfiasko
im Gesundheitswesen nach sich und gefährdet gleichzeitig die Versorgung der Menschen.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in diesem
Sinne folgendermaßen schließen: Wenn Sie wollen, dass
in diesem Jahr der Weg für eine grundlegende Gesundheitsreform frei wird, dann nehmen Sie dieses unsägliche Beitragssatzsicherungsgesetz so schnell wie möglich
zurück!
({16})
Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrter Herr Storm, das, was Sie hier
abgeliefert haben, ist schon ein Stück aus dem Tollhaus.
({0})
Sie legen zwei Anträge vor, die mit Sicherheit eine Wirkung haben: Sie führen zu steigenden Beiträgen.
({1})
Das Einzige, was wir geschafft haben - das war mühsam genug -,
({2})
war, bei den Leistungserbringern Geld in einer Größenordnung von 3 Milliarden Euro einzusammeln. Man
kann in diesem Haus gegen alles sein, aber die Gesetze
von Adam Riese kann man nicht außer Kraft setzen. Es
ist völlig klar, dass uns dann, wenn wir jetzt die beiden
Gesetze aufheben würden, 3 Milliarden Euro fehlen
würden. Das hieße, die Beitragssätze müssten um
0,3 Prozentpunkte angehoben werden.
({3})
Deswegen müssen Sie den Menschen sagen, dass Ihre
Lobbypolitik
({4})
und Ihre populistische Forderung nach Rücknahme dieser beiden Gesetze automatisch höhere Beiträge für sie
nach sich ziehen. Das gebietet die Redlichkeit.
({5})
Das ist nämlich das, was Sie im Moment verlangen. Interessanterweise haben Sie ja auch in beiden Anträgen
keine Vorschläge zur Gegenfinanzierung gemacht.
({6})
Interessanterweise haben Sie eben schon selbst gesagt, dass ein Großhändler, nämlich die Firma GEHE,
derzeit auf Einkaufstour in Norwegen ist, wo sie Apotheken einkauft. In Ihrem Antrag fordern Sie, den Großhandelsrabatt aufzuheben. Wenn Sie der Firma GEHE
und anderen 600 Millionen Euro geben,
({7})
führt das dazu, dass die noch mehr auf „Shoppingtour“
im Ausland gehen, und zwar bei steigenden Beiträgen
für die Menschen im Lande. Das ist Ihr Konzept.
({8})
Sie reden und handeln widersprüchlich. Sie reden davon, die Beitragssätze bei 13 Prozentpunkten einfrieren
zu wollen. Aber wo ist Ihr Konzept, wie Sie da hinkommen? Sie sagen sehr allgemein, Sie wollen die versicherungsfremden Leistungen steuerfinanzieren.
({9})
Aber auf Druck Ihrer eigenen Fraktion haben Sie die
Forderung einer Erhöhung der Tabaksteuer wieder zurückgezogen. Wo sollen denn die Steuermittel für die
versicherungsfremden Leistungen herkommen?
({10})
Gleichzeitig haben Sie in Ihren Reihen einen internen
Streit: Stoiber gegen Seehofer,
({11})
Storm gegen den Rest der Welt. Sie sind sich nicht einig,
welche Bereiche Sie aus dem Leistungskatalog herausnehmen wollen. Der eine sagt, den gesamten Zahnersatz,
der andere schlägt etwas anderes vor. Sorgen Sie doch
erst einmal in Ihren Reihen für ein klares Konzept, bevor
Sie uns Ratschläge erteilen!
({12})
Ich sage Ihnen noch etwas, was ich besonders beeindruckend finde, Herr Storm. Bei Apotheken bedeutet
mehr Umsatz auch deshalb mehr Gewinn, weil es in diesem Bereich keine freien Marktpreise gibt, sondern die
Arzneimittelpreisverordnung. Diese legt genau fest, was
bei wem landet. Ich habe Zahlen vom Dezember, vom
Januar und vom Februar, für die Bundesrepublik und für
Baden-Württemberg.
({13})
Diese Zahlen zeigen, dass der Apothekenmarkt zu Herstellerabgabepreisen bundesweit im Januar ein Umsatzplus von 5,5 Prozent und im Februar ein Umsatzplus von
9,4 Prozent hatte.
({14})
Die baden-württembergischen Zahlen der AOK und der
IKK weisen ein Umsatzplus von 14,4 Prozent aus. Das
heißt, dass die Apotheken trotz der Rabattstrukturen, die
wir neu eingeführt haben - aus gutem Grund, weil die
Ausgaben in diesem Bereich explodiert sind -, bundesweit noch immer ein Plus von 2,6 Prozent haben. Das
haben Sie verschwiegen.
Die ABDA-Zahlen, auf die Sie sich stützen, muss
man sich genau ansehen, denn hier wird ein kleines Rechenkunststück vorgeführt. Bei diesen Zahlen wurde zusätzlich der Herstellerrabatt abgezogen, sodass sie im
Minusbereich liegen. Diesen Rabatt aber zahlen die
Apotheken gar nicht, sondern er wird direkt zwischen
den Kassen und den Herstellern verrechnet. Lassen Sie
sich also nicht durch Zahlen der Leistungserbringer und
der Lobbyverbände aufs Glatteis führen.
({15})
Unsere Konzeption ist die einzige, die im Moment Sinn
macht. Wir wissen, dass die Umsetzung des Beitragssatzsicherungsgesetzes für alle Leistungserbringer
schwierig ist. Das ist gar keine Frage. Wir setzen die
Maßnahmen auch nicht gern durch. Aber es ist die einzige Chance, die Beiträge einigermaßen stabil zu halten.
Garantieren können wir es angesichts der konjunkturellen Lage alle miteinander nicht.
Wir werden ein Weiteres tun. Wir haben Ihnen bereits
unsere Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesen vorgelegt.
({16})
Ein Gesetzentwurf ist in Vorbereitung. Wir werden darüber im Ausschuss diskutieren. Wir werden auch zur Einnahmeseite Vorschläge machen. Herr Storm, da ist mehr
gefordert als Ihre Verweigerungshaltung, mit der Sie uns
im Moment gegenübertreten.
({17})
Sie hätten es gestern im Vermittlungsausschuss in der
Hand gehabt. Sie hätten im Bereich der Fallpauschalen
mehr tun können für die Krankenhäuser, die optieren.
Sie hätten auch mehr tun können, indem Sie den Kassen
eine Nullrunde abfordern, damit die Verwaltungsausgaben nicht steigen.
({18})
Das haben Sie beides nicht gemacht. Neinsagen im Vermittlungsausschuss, alles blockieren,
({19})
den Leistungserbringern nach dem Munde reden und
gleichzeitig niedrige Beiträge verlangen, das ist Ihr Konzept. Das ist ein unehrliches Konzept und deswegen
wird es nicht aufgehen.
({20})
Ich vermisse bei den Rednerinnen und Rednern, die
Sie heute hier aufbieten, den Kollegen Seehofer.
({21})
- Die Ministerin ist anwesend. Es ist ganz interessant,
dass Sie so getroffen sind. Immer mit der Ruhe, Herr
Zöller; ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert.
({22})
Gestern erklärte Herr Seehofer in der „Frankfurter
Rundschau“, dass er aufgrund der konjunkturellen Lage
einen Beitragssatzanstieg um 0,3 Prozent befürchte. Sie
bewirken mit Ihrem heute vorgelegten Gesetzentwurf
aber genau das, was er befürchtet. Wenn wir Ihrem Gesetz zustimmen würden, dann würden die Beitragssätze
sicherlich um 0,3 Prozentpunkte steigen. Es ist schon
seltsam: Herr Seehofer befürchtet einen Beitragssatzanstieg und gleichzeitig würden Sie mit Ihrem Gesetzentwurf genau das bewirken.
Seien Sie ehrlich! Sagen Sie den Menschen, wie man
zu niedrigeren Beitragssätzen kommen kann! Dies wird
nur gelingen, wenn wir den Leistungserbringern einiges
abverlangen, wenn wir die Einnahmeseite in Ordnung
bringen und wenn wir uns auch trauen, bei den Strukturen im Gesundheitswesen endlich aufzuräumen. Das
heißt für uns: mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und
auch mehr Qualität.
Sie sind herzlich eingeladen, auf diesem Weg mitzugehen. Wir erwarten von Ihnen mehr, als nur Nein zu sagen, und mehr als nur populistische Anträge.
Vielen Dank.
({23})
Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ddp meldet heute Morgen, dass die BKK für Heilberufe den Beitragssatz von 13,9 auf 14,8 Prozent und dass Ford-BKK
den Beitragssatz von 13,8 Prozent auf 14,5 Prozent angehoben haben. Allein der Begriff Beitragssatzsicherung
gaukelt uns etwas vor, was wir schon lange in der Gesundheitspolitik vermissen: Verlässlichkeit, Sicherheit
und Vertrauen.
Die Menschen spüren längst, dass in den letzten Wochen nichts mehr sicher ist und dass auf immer weniger
Verlass ist. Das Vertrauen in die Bundesregierung geht
mehr und mehr verloren.
({0})
- Ich sage Ihnen gleich, was die FDP macht. - Das ist
ausgerechnet in Zeiten der Fall, in denen die Motivationslage der Beschäftigten im Gesundheitswesen ohnehin
gegen null tendiert. Immer wieder müssen die Akteure
im Gesundheitswesen und die Patienten für Ihre verfehlte Politik den Kopf hinhalten.
({1})
Zwangsrabatte, Minusrunden, Preisabsenkungen und
Manipulationen an der Versicherungspflichtgrenze sind
Musterbeispiele von Regulierungswut nach staatlichem
Gutdünken, die keinen Ausweg aus der Misere aufzeigen.
({2})
Diese Ergebnisse sind Gift für den notwendigen Umbau des Gesundheitssystems. Es muss endlich mit Gesetzen Schluss sein, die eben nicht in eine mittel- und langfristig konsequente ordnungspolitische Linie eingebettet
sind.
({3})
Auf der Grundlage freiheitlicher Strukturen müssen Eigenverantwortung, Wettbewerb und Transparenz die entscheidende Rolle spielen. Von diesen Zielen, Frau Ministerin, ist Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz weit entfernt.
Deswegen fordere ich Sie auf: Ziehen Sie es zurück!
Insbesondere diejenigen Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, die hier bereits im Dezember in persönlichen Erklärungen mehr als nur ihr Unbehagen zum Ausdruck gebracht haben,
({4})
sollten einmal über die heutige Situation nachdenken;
denn die Folgen dieses Gesetzes sind schon nach den
ersten drei Monaten klar erkennbar: Die Umwälzung der
geringeren Spannen bei den Großhandelsrabatten auf die
Apotheken findet so statt, wie vorausgesagt. Die Apotheken beklagen dramatische Einkommensverluste.
Erste Entlassungen sind erfolgt.
Dies ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Freiberuflichkeit - heute die Apotheker und morgen die niedergelassene Ärzteschaft. Dieser Eindruck verstärkt sich
umso mehr, wenn man dem Glauben schenkt, was als
Nächstes seitens der Bundesregierung geplant ist: die
Freigabe des Versandhandels und die Aufhebung des
Fremd- und Mehrbesitzverbots. Diese Schritte haben
noch einmal gravierende Folgen für die Apothekerschaft. Hier wird ein ganzer mittelständischer Berufsstand in seiner Existenz bedroht, ohne dass plausibel
wird, was Sie mit Ihren Änderungen verbessern wollen.
({5})
- Je mehr Sie schreien, desto mehr zeigen Sie, wie dünnhäutig Sie geworden sind. Sie wissen doch nicht, welche
Wege die richtigen sind.
Zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion - den Gesetzentwurf haben wir gemeinsam eingebracht -: Sie fordern
die Zurücknahme des gesamten Gesetzes. Dem stimmen
wir natürlich zu. Nullrunden in den Krankenhäusern sowie bei Vergütungen von Ärzten und Zahnärzten,
Zwangsrabatte und Preisabsenkungen bei den Zahntechnikern lehnen wir natürlich genauso wie Sie ab. Wir denken jedoch, dass die Rückführung in den Zustand vom
31. Dezember 2002 allein nicht die Lösung sein kann.
Wir brauchen eine grundlegende Reform vor allem auf
der Finanzierungsseite des Gesundheitssystems. Nur dadurch können wir willkürliche und arbeitsplatzgefährdende Kostendämpfungsmaßnahmen aufheben.
Die FDP nimmt natürlich mit Freude zur Kenntnis,
dass sich mittlerweile Begriffe wie mehr Eigenverantwortung, höhere Transparenz und mehr Wettbewerb als
liberale Zielvorgaben überall wiederfinden. Letztlich
bleibt aber die spannende Frage, was sich hinter diesem
Reformkonzept tatsächlich verbirgt.
Was sind wir in der Vergangenheit gescholten worden, als wir eine stärkere Eigenverantwortung durch
höhere Selbstbehalte gefordert haben! Nun spricht sich
sogar der Kanzler für Anreize im Hinblick auf die Versicherten aus, die zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit der Gesundheit und den Ressourcen führen sollen. Er gibt sich hart in der Sache: Die Linie sei
beschlossen; nur über Details könne noch gesprochen
werden. Nach solchen Sprüchen kennen wir bisher eigentlich nur ein Ergebnis: Die viel versprechenden
Überschriften bleiben; der Inhalt wird verunklart und
verwässert; die Ursprungslinie geht verloren. Das ist zu
wenig.
Wir können uns um die Beantwortung der Kernfrage
nicht länger drücken: Wer steuert zukünftig das System:
der Versicherte bzw. der Patient oder der Staat?
({6})
Die FDP hat sich klar positioniert. Wir wollen die Entscheidung, was über die eigentliche Grundversorgung
hinaus wie finanziert werden soll, den Versicherten und
den Krankenkassen im Wettbewerb überlassen. Lediglich der Arbeitgeberanteil wird eine festgeschriebene
Größe. Dann ist es Sache der Krankenkassen, unter dem
Dach eines Beitragssatzes von 13 Prozent zu entscheiden, welche Leistungen sie anbieten, ob und wie sie
Leistungen ausgliedern oder ob sie Zusatzleistungen zulasten der Arbeitnehmer finanzieren wollen. Warum soll
hier die Politik entscheiden, was Angebot und Nachfrage
besser regulieren können?
Es wird Leistungen geben, die die Versicherung im
Rahmen einer Pflicht zur Versicherung gewährleisten
muss, zum Beispiel beim Krankengeld, beim Schutz vor
Unfällen und bei der Zahnbehandlung. Es wird Leistungen geben, deren Streichung eine Krankenkasse erwägen
kann, um die Beiträge stabil zu halten, zum Beispiel die
Erstattung von Fahrtkosten. Die Versicherten - wir sollten ihnen einfach mehr zutrauen - werden schon das für
sie günstigste Paket aussuchen. Das tun sie ja auch in anderen Versicherungsbranchen.
Mit Bedauern stellen wir fest, dass die Gesundheitsministerin ihre Reformüberlegungen im Ausgabenbereich anscheinend bereits abgeschlossen hat. Damit
würden natürlich notwendige Kompromisse - Frau
Caspers-Merk, Sie haben den Vermittlungsausschuss angesprochen - schwieriger bis unmöglich werden. Die
FDP kann zum Beispiel der Schaffung eines völlig überflüssigen Zentrums für Qualität in der Medizin - der
Bundesärztekammerpräsident spricht von einer Bundesanstalt für Krankheitsverwaltung - nicht zustimmen. Das
ist der Ausbau von Staatskontrolle pur.
({7})
Ein zweites Beispiel: Wir können keine schleichende
Auszehrung der ambulanten fachärztlichen Versorgung akzeptieren.
({8})
Die Freiberuflichkeit ist ein wichtiges Element unserer
Grundordnung. Sie dürfen sie nicht antasten.
({9})
Es gibt zu unseren Reformvorschlägen, die ich Ihnen
dargestellt habe, nur die Alternative, wie sie heute in der
Meldung von ddp angedeutet wird: steigende Beiträge
bei rationierten Leistungen. Das müssen wir den Menschen erklären. Dann können wir sie auf neue Wege mitnehmen. Ich denke, wir sollten dem Einzelnen sehr viel
mehr zutrauen, als Sie das hier tun. Der Weg über den
Staat ist keine Lösung.
({10})
- Sie sprechen von Zumutungen und damit diskreditieren Sie alle vernünftigen Vorschläge zur Gesundheitsreform. Diese werden damit totgeschlagen und damit gehen Sie den falschen Weg.
({11})
Nun hat Kollegin Birgitt Bender, Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Läden kann man Osterhasen kaufen; aber bei der CDU/
CSU ist Weihnachten. Der Kollege Storm kommt als
Weihnachtsmann mit einem Sack voller Geschenke daher und packt sie aus.
({0})
Zunächst einmal haben wir innerhalb der Opposition
eine Koalition, was die Entlastung des Pharmagroßhandels angeht. Wenn Sie Wohltaten für die Apotheker ausschütten wollen, dann sollten Sie den Apothekern einmal
erklären, wieso die Aufhebung des Großhandelsrabattes
bei den Apotheken ankommen soll.
({1})
Der Großhandel wird Ihnen etwas anderes erzählen.
Im Übrigen hat die Frau Staatssekretärin zur Umsatzentwicklung bei den Apotheken unter Berücksichtigung
aller Rabatte bereits Ausführungen gemacht.
Aber die CDU/CSU hat noch mehr im Sack - wie ich
höre, Herr Parr, ist die FDP Seit an Seit -: Sie wollen die
Nullrunde bei den Krankenhäusern aufheben.
({2})
Sie wollen die Nullrunde bei den Ärzten und bei den
Zahnärzten aufheben. Sie wollen die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, die Halbierung des Sterbegeldes
und die Preisnachlässe bei Zahntechnikern und Apotheken, beim Pharmagroßhandel und bei der Pharmaindustrie rückgängig machen.
Nun ist die Bescherung immer schön für die Beschenkten; die freuen sich darüber. Der Applaus ist Ihnen auf vielen Veranstaltungen, die wir zum Teil gemeinsam abhalten, sicher; möge es denn so sein. Aber,
Herr Kollege Storm, was ist der Preis dafür? Der Preis
für Ihre Politik ist auf der einen Seite schneller Beifall
- gewiss -, aber auf der anderen Seite, dass der Krankenkassenbeitrag Ende des Jahres nicht bei knapp
15 Prozent liegen, sondern noch einmal um 0,3 Prozent
höher ausfallen wird.
Sie aber machen noch weitere Versprechungen. Den
Krankenhäusern versprechen Sie nicht nur die Aufhebung der Nullrunde, sondern zusätzliche 1,7 Milliarden Euro für zusätzliche Stellen. Da kann ich nur fragen:
Wie in aller Welt wollen Sie es erreichen, dass die Krankenversicherungsbeiträge auf 13 Prozent sinken? Das ist
mir völlig schleierhaft.
({3})
Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder
blenden Sie dieses Ziel einfach aus und betreiben Populismus - dann muss man den Leuten aber sagen, dass die
Rechnung dafür hinterher kommt; Sie glauben wohl, Sie
könnten dann auf die böse Regierung verweisen, aber so
dumm sind die Leute nicht ({4})
oder, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie
wollen tatsächlich einen Beitragssatz in Höhe von
13 Prozent erreichen. Dann aber müssen Sie zur Kompensation Ihrer Zusatzversprechen zumindest die Leistungen für Zahnersatz privatisieren.
({5})
Damit sind die Beiträge jedoch noch nicht einmal um ein
zehntel Prozent gesunken, aber Sie haben den Versicherten schon die zusätzlichen Kosten für die private Absicherung des Zahnersatzes aufgebrummt. Sie müssen den
Leuten klar sagen,
({6})
dass dieser zusätzlichen Belastung überhaupt keine Entlastung gegenübersteht.
({7})
Jetzt reden wir einmal darüber, wie es bei Ihnen um
weitere Maßnahmen bestellt ist, um die Beiträge zu senken. Ich höre mit Interesse, dass Sie auch für die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen sind.
Das ist schön. Ich bin aber neugierig, woher wir Ihrer
Meinung nach die dafür notwendigen Steuermittel in
Höhe von 4 Milliarden Euro nehmen sollen und in welchem Zeitraum das geschehen soll. Darüber werden wir
uns zu verständigen haben.
Ich habe noch nichts dazu gehört, ob Sie für eine erweiterte Beitragsbemessungsgrundlage durch Einbeziehung der Zins- und Mieteinkünfte sind, denn das
würde etwas bringen. Ich habe auch noch nichts dazu gehört, ob Sie für die Einbeziehung gut verdienender Alleinverdienerehen in die gesetzliche Krankenversicherung sind. Auch das würde etwas bringen. Ich höre
lediglich, dass Sie für Leistungsausgrenzungen sind. Als
Beispiel nennen Sie immer den Zahnersatz. Dazu habe
ich vorhin schon etwas gesagt.
({8})
Der Kanzler hat angekündigt,
({9})
das Krankengeld allein durch die Versicherten finanzieren zu lassen.
({10})
Dazu möchte ich gern wissen: Sind Sie dafür
({11})
oder bleibt es beim Mäkeln? Es handelt sich um eine klar
abgrenzbare Leistung. Das Krankengeld eignet sich gut
für eine Leistungsausgrenzung im Interesse einer kurzfristigen Senkung der Beiträge. Aber ich habe noch
nichts dazu gehört, ob Sie da eigentlich mitmachen, Frau
Widmann-Mauz.
({12})
Im Gegenteil, es wird immer daran herumgemäkelt.
Jetzt nehmen wir einmal an, wir machen das alles. Sie
brauchen für die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen doch insgesamt ein sehr viel größeres Finanzierungsvolumen.
({13})
Woher wollen Sie das Geld denn nehmen oder sieht Ihre
Taktik vielleicht so aus: Es wird nicht nur das Krankengeld, sondern außerdem noch der Zahnersatz aus der
Krankenversicherung herausgenommen? Oder gilt das
vielleicht sogar für die gesamte Zahnbehandlung, und
das Ganze noch mit deutlich erhöhten Zuzahlungen?
({14})
Das Ganze nennt man dann Eigenverantwortung. Ist das
Ihr Kurs? Dazu sage ich: Das ist eine Kampfansage an
das Solidarsystem. Das werden Sie mit uns nicht erreichen.
({15})
Die Leistungsanbieter schonen und ihnen nicht einmal Wettbewerb zumuten, aber alle Finanzierungsnotwendigkeiten über zusätzliche Belastungen der Versicherten und Kranken lösen, meine Damen und Herren
von der CDU/CSU und der FDP,
({16})
kann nicht der Weg sein. Das sage ich Ihnen sehr deutlich.
Herr Parr, Sie sagen, man brauche eine ordnungspolitische Linie. Dazu kann ich nur sagen: in der Tat. Unsere
ordnungspolitische Linie ist
({17})
der Wettbewerb im Solidarsystem.
({18})
Herr Dr. Thomae, wie ist es denn mit dem Wettbewerb? Ich meine immer gehört zu haben, die FDP sei für
Wettbewerb, für Deregulierung. Sie wolle, dass sich alle
entfalten können. Aber bei den Apothekern verteidigen
Sie ein mittelalterliches Zunftsystem. Das ist doch erstaunlich.
({19})
Sie müssen etwas mehr Konsistenz in Ihre Politik hineinbringen. Ich hoffe, dass wir dann wirklich zu einer
Reform kommen.
({20})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Zöller,
CDU/CSU-Fraktion.
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man gehört hat, was die Staatssekretärin und Frau Bender von den Grünen gesagt haben, kann
man nur zu dem Schluss kommen: Entweder haben Sie
Wahrnehmungsstörungen oder Sie sind arrogant. Ich
fürchte, beides trifft auf Sie zu.
({0})
Denn Sie wollen nicht mehr zur Kenntnis nehmen, wie
die Situation bei den Zahntechnikern und den Apothekern aussieht und was die nackten Zahlen sind. Das tut
mir Leid.
Frau Bender, Sie haben gefragt, was die Opposition
will. Ich muss im Gegenzug vielmehr Sie fragen, was
Sie wollen. Schließlich sind Sie an der Regierung. Deshalb müssen Sie das zuerst sagen.
({1})
Aber zurück zu Ihrem Gesetz, über das wir heute diskutieren. Sie haben eben über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über das Thema, das heute auf der Tagesordnung steht.
({2})
Sie wissen genau, dass Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz,
wie es so schön heißt, zu schnell und unüberlegt durchgepeitscht wurde.
({3})
Es ist hochinteressant, daran zu erinnern, welche Begründung Sie damals angeführt haben, warum dieses
Gesetz notwendig ist. Sie haben gesagt, man brauche das
Beitragssatzsicherungsgesetz, um angesichts der Defizite der Krankenkassen die Beitragssätze zu stabilisieren. Aber das Defizit haben doch nicht die Pflegekräfte,
die Apotheker oder die Zahntechniker zu vertreten; ausschließlich das Gesundheitsministerium ist dafür verantwortlich.
({4})
- Diesen Zwischenruf hätten Sie sich sparen können.
Das werde ich Ihnen nämlich beweisen: Die Gesundheitsministerin hat durch politische Fehlentscheidungen,
die zu Verschiebebahnhöfen und zur Verschlechterung
auf der Einnahmeseite geführt haben, dieses Defizit zu
verantworten. Die Spitzenverbände der Krankenkassen
haben darauf hingewiesen, dass sich allein im Jahr 2001
aus politischen Entscheidungen Mehrbelastungen von
über 5 Milliarden DM - damals gab es noch die alte
Währung - ergeben haben. Hierzu zählt zum Beispiel die
Absenkung der KV-Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger und vieles mehr. Das Defizit ist also allein auf politische Fehlentscheidungen zurückzuführen.
Können Sie mir einen Grund nennen, warum für diese
Fehlentscheidungen die Apotheker, die Zahntechniker
und die Pflegekräfte in Haftung genommen werden? Bevor man solche neuen Sparrunden verordnet, muss man
doch seine politischen Hausaufgaben machen. Wenn Sie
Ihre Hausaufgaben gemacht hätten, dann wüssten Sie,
dass andere Maßnahmen vorgezogen werden müssten.
Hierzu zählt zum Beispiel, die versicherungsfremden
Leistungen aus der GKV herauszunehmen, die Verschiebebahnhöfe, die in den letzten paar Jahren entstanden
sind, rückgängig zu machen, die Verwaltungskosten zu
senken oder die Mehrwertsteuersätze auf Arzneimittel
und im zahntechnischen Bereich zurückzunehmen. Erst
wenn Sie diese Schritte getan haben, kann man glaubhaft
über neue Sparrunden reden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz ist leider ein Paradebeispiel für
willkürliche Sparrunden.
({5})
Verschlechterung der Versorgungsqualität, Gefährdung
der wirtschaftlichen Grundlage der Leistungserbringer
sowie Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze sind Folgen
dieses Gesetzes. Am 11. November des letzten Jahres
haben auch etliche Kollegen von der rot-grünen Koalition erkannt,
({6})
dass es nicht der richtige Weg ist.
Sie aber haben darauf bestanden, das, was Sie vorgeschlagen haben, sei wirtschaftlich vernünftig und sozial
gerecht. Was an diesem Gesetz wirtschaftlich vernünftig
und sozial gerecht sein soll, müssen Sie mir einmal erklären. Ich vermute, es wird wohl ewig Ihr Geheimnis
bleiben. Ein Beispiel mag das belegen: An der Preisgestaltung im Arzneimittelbereich sind die Apotheken mit
rund 17 Prozent beteiligt. Die Einsparmaßnahmen bei
den Apothekern betragen aber 80 Prozent. Ist das wirtschaftlich vernünftig? Ist das sozial gerecht? Ich habe
den Verdacht, dass hier eine Strafaktion gegen die Apotheker läuft, weil sie 7,7 Millionen Unterschriften gegen
Ihr Gesetz zusammengetragen haben.
({7})
Es ist klar, dass Gesetzesänderungen in einer parlamentarischen Demokratie an der Tagesordnung sind,
weil eben auch auf gesellschaftliche Entwicklungen
Rücksicht genommen werden muss. In diesem Fall
haben wir es aber mit einem Gesetz zu tun, dessen
Scheitern und Sinnlosigkeit selbst zahlreiche Abgeordnete Ihrer Koalition frühzeitig vor der Abstimmung im
Bundestag erkannt haben,
({8})
was sich in persönlichen Erklärungen widerspiegelt. Ich
darf auszugsweise zitieren: „Wir bedauern, dass es nicht
mehr gelungen ist, eine Alternative für die jetzt festgeschriebene Lösung zu finden.“ - „Wir stimmen dem Gesetzentwurf ... nur mit Bedenken zu.“ - „Ich ... stimme
dem vorliegenden Gesetzentwurf nur schweren Herzens
zu ...“
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns allen ist
bekannt, dass es in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, die bedrohlichen Folgen dieses Gesetzes besonders für Apotheker, Krankenhäuser, Vertragsärzte
und auch Zahntechniker wahrheitsgemäß darzustellen
und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Die
erste Konsequenz wäre zum Beispiel, die Regelungen
zum Großhandelsrabatt zu korrigieren. Sie sagen, dass
das auf die Apotheker keine Auswirkungen haben wird.
Hierüber wird Sie der Kollege Bauer gleich völlig kostenlos aufklären.
Das Gesundheitsministerium hat uns damals wiederholt falsche Zahlen vorgetragen. Wir werden sehen, dass
die Auswirkungen auf die Apotheken doppelt so hoch
sein werden, wie Sie gesagt haben. Im Schnitt werden
die Apotheken Einkommenseinbußen in Höhe von
35 Prozent zu verzeichnen haben. Bei manchen werden
sie aber bis zu 70 Prozent hoch sein, da es auf den Standort der Apotheken ankommt. Das ist ein Kahlschlag ersten Ranges und grenzt fast an Enteignung.
({10})
- Es geht um Existenzen von Freiberuflern. Wie kann
die Koalition über die Bedenken, die in diesem Hause
vorgetragen werden, lachen?
({11})
Darüber hinaus haben Sie in planwirtschaftlicher Manier zahlreiche Zahntechniker an den Rand des Existenzminimums getrieben und auch in diesem Bereich
den Verlust von zahlreichen Arbeitsplätzen verursacht.
Das ging bei Ihnen nach dem Motto: Eichel erhöht die
Mehrwertsteuer, dafür bittet die Gesundheitsministerin
Schmidt die Zahntechniker zur Kasse. Was ist hier wirtschaftlich vernünftig? Was ist hier sozial gerecht?
Auch hierzu darf ich einen Kollegen von Ihnen zitieren, der gesagt hat:
Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, obwohl wir in
der überproportionalen Belastung des Zahntechnikerhandwerks ernsthafte Probleme sehen. Wenn
dieser Handwerkszweig zum einen durch die Mehrwertsteuererhöhung und zum anderen durch die
gesetzliche Absenkung der Preise um 5 Prozent belastet wird, werden zahlreiche Arbeits- und Ausbildungsplätze, ganz besonders in den neuen Bundesländern, auf diese Weise infrage gestellt.
({12})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, schade ist
nur, dass Sie nicht bereits damals Ihrer Erkenntnis gemäß gehandelt haben. Hätten Sie Ihre Erkenntnis damals
wirklich ernst gemeint, hätten Sie dieses Gesetz ablehnen müssen.
({13})
Die zwischenzeitliche Entwicklung der sozialpolitischen
Realität hat unsere Argumente und leider auch Ihre Bedenken bestätigt. Deshalb wäre es eigentlich eine logische Konsequenz, wenn Sie diesem Gesetzentwurf in der
zweiten und dritten Lesung zustimmen würden.
Lassen Sie mich mit einem Satz schließen: Einen Fehler zu machen ist menschlich, aber auf Fehlern zu bestehen ist töricht.
({14})
Ich erteile der Kollegin Marlies Volkmer, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl
am Gesetzentwurf als auch am Antrag der Opposition
fällt mir vor allem eines auf: Sämtliche Interessengruppen im Gesundheitswesen haben sich offensichtlich mit
Erfolg auch an Sie gewandt. Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, an so viel Lobbyarbeit
werden Sie sich verheben.
({0})
Das würde dann genauso wie während Ihrer Regierungszeit aussehen: Die Umsätze und die Gewinne - ich weiß
sehr wohl den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn ({1})
stiegen und stiegen, aber für den Zahnersatz bei den Versicherten reichte es nicht mehr.
({2})
Herr Kollege Zöller, der weitaus größte Teil der in der
Tat zu beklagenden Verschiebebahnhöfe zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung von mehr als 30 Milliarden Euro ist in Ihre Regierungszeit gefallen. Das vergessen Sie immer zu sagen.
({3})
Sie sollten Ihren Antrag zurückziehen. Sie verlangen
die Rücknahme sämtlicher Maßnahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes. Aber Sie sagen nicht, wie Sie
das gegenfinanzieren wollen.
({4})
Dabei beklagen Sie auf der anderen Seite die steigenden
Beitragssätze. Das ist eine völlig unseriöse Vorgehensweise.
({5})
Ich will die Aufforderung, Ihre Vorschläge zurückzuziehen, an zwei Beispielen deutlich machen.
Erstens. Sie behaupten, die Apotheken hätten erhebliche Einkommenseinbußen infolge des Beitragssatzsicherungsgesetzes.
({6})
Tatsächlich lagen bis zum 2. April keine einigermaßen
verwertbaren Zahlen über die konkreten Auswirkungen
des Gesetzes vor.
({7})
Sie formulierten Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag
also aufgrund von Hörensagen. Das nenne ich mangelnde Ernsthaftigkeit.
Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Widmann-Mauz?
Nein, danke schön. - Angesichts der Auswirkungen,
die Ihr Antrag im Erfolgsfalle für die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung hätte, ist Ihr Handeln
unverantwortlich. Schon die langfristigen Erhebungen
des Statistischen Bundesamtes zur Einkommensentwicklung der Berufsgruppen im Gesundheitswesen weisen
darauf hin: Die Beschwerden der Apotheken sind zumindest im Durchschnitt Jammern auf hohem Niveau.
Die Apotheken haben nicht nur in der Vergangenheit
von den steigenden Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung kräftig profitiert. Auch ganz
aktuell steigen trotz Erhöhung des Apothekenrabatts die
Umsätze.
({0})
Seit vorgestern wissen wir: Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg der Gesamtumsatz des deutschen Apothekenmarktes nach Angaben von IMS Health im Januar
2003 um 5,5 Prozent, im Februar sogar um 9,4 Prozent.
Selbstverständlich hat der Umsatz auch etwas mit dem
Gewinn zu tun.
({1})
Die Abrechnung je Apotheke mit der gesetzlichen Krankenversicherung stieg noch bis zu 2,3 Prozent. Diese
Zahlen geben keinen Anlass, das Beitragssatzsicherungsgesetz zurückzunehmen.
({2})
Der Versuch des Arzneimittelgroßhandels, seinen Anteil an der Stabilisierung der Arzneimittelausgaben auf
die Apotheken abzuwälzen, ist zumindest gebremst worden. Die Bundesregierung hat in nachdrücklichen Gesprächen die Zusage erhalten, dass der Großhandel eigene substanzielle Sparbeiträge erbringt.
({3})
Der Großhandelsabschlag lag nach Angaben des Apothekenverbandes vom 2. April in den Monaten Januar
und Februar 2003 bei 489 Millionen Euro.
({4})
Die Apotheken wurden also nicht mit dem gesamten
Großhandelsrabatt von 600 Millionen Euro belastet, wie
die Opposition in ihrem Gesetzentwurf behauptet.
Zur Frage der Auswirkungen auf die freiwillig gewährten Rabatte des Großhandels möchte ich anmerken: Vor dem Beitragssatzsicherungsgesetz wurde die
Existenz von Rabatten zum Teil bestritten oder deren
Bedeutung als marginal hingestellt. Plötzlich sollen an
diesem Phantom zahllose Existenzen hängen. Dabei
wird nicht redlich argumentiert; das bringt uns nicht weiter. Marktlich ausgehandelte Rabatte können und sollen
nicht Gegenstand der Abführung an die gesetzliche
Krankenversicherung sein. Die Apotheken haben jetzt
die Chance, ihre Marktmacht zu nutzen und neue Rabatte auszuhandeln.
Wir alle wissen, dass die jetzige Regelung mit dem
Beitragssatzsicherungsgesetz nur vorübergehender Natur
ist.
({5})
Mit einer Neuordnung der Vertriebsstrukturen und der
Preisbildung bei Arzneimitteln einschließlich der Rabattierungen muss eine zukunftsweisende verlässliche Lösung gefunden werden.
({6})
- Das wissen Sie doch; das ist nicht neu. Das ist schon
bei der Einbringung des Beitragssatzsicherungsgesetzes
von der Ministerin gesagt worden.
({7})
Zweitens. Was Sie den einen vorauseilend nach dem
Munde reden, das wollen Sie von den anderen gar nicht
hören: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat die
Union mehrfach gebeten, die Verlängerung des Optionsmodells zu ermöglichen und dem 12. SGB-V-Änderungsgesetz zuzustimmen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union,
Sie sind gegen die Nullrunde in allen Bereichen. Sie
könnten den Krankenhäusern, die vorzeitig bereit sind,
auf das neue Vergütungssystem umzustellen, also auf die
DRGs, zu der Ausnahme von der Nullrunde verhelfen.
({8})
Gleichzeitig könnten Sie zur Beschleunigung der überfälligen Änderung der Krankenhausfinanzierung beitragen. Sie haben vorhin selbst gesagt, Sie seien für mehr
Transparenz im Gesundheitswesen. Gerade die Einführung der DRGs ist ein ganz wesentlicher Schritt dahin.
({9})
Aber auch diese sinnvolle Regelung fällt Ihrem Gesamtkalkül zum Opfer. Sie wollen einfach blockieren, Sie
wollen nicht mitmachen; sonst würden Sie sich im Vermittlungsausschuss anders verhalten.
({10})
Die aktuelle Verschlechterung der Finanzsituation der
gesetzlichen Krankenversicherung - das wissen Sie so
gut wie wir alle - ist der gegenwärtigen konjunkturellen
Schwäche geschuldet.
({11})
Mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz haben wir eine
unvermeidliche Ausgabenbremse in die gesetzliche
Krankenversicherung eingebaut. Mit unserem neuen Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass zukünftig die Gesundheitsversorgung mit mehr Qualität
und Effizienz erbracht wird. Die Eckpunkte machen
klar, dass es mit lieb gewonnenen Besitzständen ein
Ende haben wird. Es ist schon klar, dass die Interessengruppen versuchen, in die günstigste Ausgangsposition
zu kommen. Das bestätigt aber nur unseren Ansatz.
Unser Gesundheitswesen muss effizient und von hoher Qualität, also nachhaltig sein. Nur so kann allen
unabhängig vom Einkommen auch das medizinisch
Notwendige zur Verfügung stehen. Wir wollen die Mitwirkungsrechte der Versicherten stärken und gesundheitsbewusstes und kostenbewusstes Verhalten belohnen. Das ist etwas ganz anderes als Ihre Vorstellung von
Eigenverantwortung des Patienten, Herr Parr. Ihre Vorstellung von Eigenverantwortung ist der Griff ins Portemonnaie.
({12})
- Herr Schröder hat nichts anderes gesagt.
({13})
Meine Damen und Herren von der Opposition, sparen
Sie Ihre Kräfte und wirken Sie bei der Modernisierung
mit!
({14})
- Lassen Sie diese Rückzugsgefechte und den Quatsch
mit der Staatsmedizin.
({15})
Ich habe Staatsmedizin erlebt. Das ist etwas völlig anderes als das, was im Gesundheitsstrukturgesetz vorgesehen ist.
({16})
Regen Sie sich nicht so auf! Schon nächste Woche haben
Sie im Vermittlungsausschuss Gelegenheit, konkrete Änderungen vorzuschlagen. Nutzen Sie sie und bringen Sie
doch bitte zur Abwechslung einmal einen Finanzierungsvorschlag mit!
({17})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Kollegin Volkmer, nachdem Sie
meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, sehe ich
mich veranlasst, einige Aussagen richtig zu stellen. Zunächst einmal behaupten Sie, es gebe keine verlässlichen
Daten, um eine Bewertung, was die Auswirkungen auf
die deutsche Apothekerschaft durch das Beitragssatzsicherungsgesetz anbelangt, vorzunehmen. Wenige Sätze
später aber bringen Sie dann Daten. Es kann nur eines
stimmen.
Aber im Grunde braucht man diese Daten gar nicht,
denn die Auswirkungen vor Ort sind ganz eklatant. Ich
möchte Ihnen einmal ein Beispiel aus einer Stadt und einem Landkreis in unserem Land nennen.
Ich frage Sie einfach einmal von Frau zu Frau, wie
Sie Folgendes bewerten: In der Stadt Bonn sind allein
seit Januar dieses Jahres 130 Entlassungen in den Apotheken vorgenommen worden.
({0})
Bis zur Jahresmitte wird es 220 Entlassungen, insbesondere bei den PTAs - das sind in erster Linie Frauen -, geben.
({1})
Im gesamten Rhein-Sieg-Kreis, und zwar links- und
rechtsrheinisch, gab es in den ersten zwei Monaten 160
Entlassungen. Davon waren vor allem Frauenarbeitsplätze betroffen, liebe Frau Volkmer. Das sind die ganz
konkreten Auswirkungen Ihres Gesetzes. In den neuen
Bundesländern, aus denen Sie kommen, ist es mindestens genauso dramatisch.
({2})
Es kann doch nicht sein, dass Sie sagen, zunächst einmal machen wir eine Struktur, die sich bewährt hat, kaputt und nehmen die Entlassungen und weiter steigende
Arbeitslosenzahlen in Kauf, um dann eine Neuordnung
vorzunehmen. So kann es nicht funktionieren.
Außerdem sind Sie uns eine Antwort auf die drängenden Fragen, die die Bevölkerung an die Kolleginnen und
Kollegen in Ihrer Fraktion richtet, schuldig geblieben.
Über 150 Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen haben sich in konkreten Schreiben an die
deutschen Apotheker gewandt und zum Ausdruck gebracht, dass sie mit diesem Gesetz und seinen Auswirkungen auf die Apothekerschaft nicht leben können.
({3})
Diese Kollegen haben einen Grund für ihre Anschreiben und Sie tun hier so, als sei nichts davon richtig. Klären Sie also diesen Dissens erst einmal in Ihrer eigenen
Fraktion; denn es ist dringend notwendig, dass wir zu einer Veränderung kommen.
Frau Kollegin, Ihre Zeit ist abgelaufen.
({0})
Gut, dann komme ich auch zum Ende.
({0})
Frau Kollegin Volkmer, bitte, Sie haben Gelegenheit
zu antworten.
({0})
Frau Widmann-Mauz, wenn Sie mir richtig zugehört
hätten, hätten Sie bemerkt, dass ich gesagt habe, dass bis
zum 2. April keine einigermaßen verwendbaren Daten
vorlagen. Sie haben Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag bereits im März eingebracht, da lagen uns die Daten
in der Tat noch nicht vor.
Damals konnten Sie nur vom Hörensagen oder von
Einzelbeispielen ausgehen, aber ich kann Ihnen auch anders lautende Einzelbeispiele vortragen. Betrachten Sie
beispielsweise die effektiven Arzneimittelausgaben
der GKV in Koblenz, hier gab es eine Steigerung zum
Vorjahr in Höhe von 3,92 Prozent.
({0})
Wenn Sie die effektiven Arzneimittelausgaben der GKV
in Rheinhessen zur Grundlage nehmen, dann sehen Sie,
dass diese eine Steigerung von 1,73 Prozent verzeichnen. Ich könnte Ihnen noch viele Beispiele nennen.
({1})
- Natürlich ist das eine Aussage. Sie werden doch nicht
behaupten wollen, dass das keine Auswirkungen auf die
Gewinne in den Apotheken hat.
({2})
Zu dem Thema Kündigungen will ich Ihnen sagen:
Es ist in der Tat so - das haben auch die Angestellten in
den Apotheken beklagt -, dass die Arbeitgeber vorauseilend Kündigungen vorgenommen haben. Wir müssen
aber bedenken: Das Gesetz gilt erst seit dem 1. Januar,
offensichtlich gelten in den Apotheken überhaupt keine
Kündigungsfristen. Auch darüber ist vielleicht einmal
nachzudenken.
({3})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht lehnte gestern einen
Eilantrag von vier Pharmaunternehmen ab, die das Gleiche wollten wie Sie in Ihrem Antrag, über den wir heute
sprechen, nämlich das rot-grüne Beitragssatzsicherungsgesetz aufheben.
Wir als PDS im Bundestag haben auch gegen dieses
Gesetz gestimmt, allerdings nicht, weil wir uns um die
Profite der großen Pharmakonzerne Sorgen machen,
sondern weil wir einen sozialen Staat wollen, einen
Staat, der nicht die Krankenkassen aussaugt und nicht
die Gesundheitslasten auf die Patientinnen und Patienten
und die Beschäftigten im Gesundheitswesen abwälzt.
({0})
Wir haben schon damals gesagt, dass sich die für
2003 vorgesehene Nullrunde bei der Finanzierung der
ambulanten und stationären Versorgung in jedem Fall
negativ auf die Behandlung kranker Menschen auswirken wird. Vor allen Dingen in den Krankenhäusern, in
denen es schon heute für Ärzte und Schwestern oft unerträgliche Arbeitsbelastungen gibt, werden Personalabbau, Arbeitsverdichtung und Tarifdruck weiter zunehmen. Das betrifft besonders jene Ärzte, die - das ist in
Ostdeutschland häufiger der Fall - seit längerem kein
angemessenes Einkommen erzielen. Die Frustration
wächst. Das kann für die Patientinnen und Patienten
nicht gut sein.
Die Behauptung, dass das bestehende Gesundheitssystem nicht länger finanzierbar sei, ist oft wiederholt
worden. Im Wochenbericht Nr. 7 dieses Jahres des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird jedoch
nachgewiesen, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt seit vielen Jahren relativ
konstant sei. Das heißt, selbst das von vielen kritisierte
System wäre unter den gegebenen Bedingungen finanzierbar.
Das auffällige Steigen der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung hat andere Ursachen.
Es ist auf das Zurückbleiben der gegenwärtigen Bemessungsgrundlagen der Beiträge, nämlich der Bruttolohnund -gehaltssumme, zurückzuführen. Dieser Rückgang
ist nicht gottgegeben, sondern teilweise von der Bundesregierung selbst verursacht. Ich nenne als Beispiele nur
die Auswirkungen der Umsetzung des Hartz-Konzepts,
Minijobs und Leiharbeit. Das hat negative Auswirkungen auf die Einnahmen der Krankenkassen. Jeder kann
sich an fünf Fingern abzählen, dass billige Leiharbeiter
weniger in die Krankenkassen einzahlen als die „teure“
Stammbelegschaft.
Mein Kollege Zöller von der CDU hat schon andere
politische Entscheidungen angeführt, die zu Einnahmeverlusten bei der gesetzlichen Krankenkasse geführt haben, zum Beispiel die Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger. Auch an
anderer Stelle - das sollte nicht unerwähnt bleiben - hat
die Bundesregierung tief in die Taschen der Versicherten
gegriffen. Ich nenne als konkretes Beispiel die Erhöhung
des Mehrwertsteuersatzes für Zahnersatz von 7 auf
16 Prozent. Nun könnte man in diesem Zusammenhang
die Frage stellen, ob es sich hierbei um eine Steuerharmonisierung im Rahmen der EU gehandelt habe. Aber
nein: Nachforschungen ergeben, dass in Europa außer in
Deutschland nur in Dänemark und Österreich der Standardmehrwertsteuersatz für Arzneimittel erhoben wird.
Frau Lötzsch, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Vielen Dank für
den Hinweis. - In vielen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien und Schweden, wird auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gar keine Steuer erhoben.
Die Grundsätze für unser Gesundheitssystem - das ist
mein letzter Satz, Herr Präsident - müssen lauten: erstens die solidarische Versicherung des Krankheitsrisikos;
zweitens die paritätische Finanzierung durch Unternehmen und Beschäftigte und drittens ein umfangreicher
Leistungskatalog für alle Menschen unabhängig von ihrem eigenen Krankenversicherungsbeitrag.
Das Einnahmeproblem muss gelöst werden. Die
Wege sind beschrieben.
Vielen Dank.
({0})
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolf Bauer
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine
Kollegen haben bereits eingehend erläutert, warum wir
das Gesetz der Koalition ablehnen. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass es für die Zielsetzung, die Beitragssätze einigermaßen in den Griff zu bekommen, untauglich ist. Insofern muss ich mich dazu nicht äußern.
Ich möchte aber - weil der Kollege Zöller um kostenlose Aufklärung gebeten hat - auf einige andere Punkte
eingehen. Jeder, der sich in marktwirtschaftlichen Fragen
einigermaßen auskennt, weiß, dass der pharmazeutische
Großhandel den von der Regierung geforderten Sparbeitrag gar nicht aufbringen kann. Das liegt daran, dass der
pharmazeutische Großhandel Gewinne in Höhe von
237 Millionen Euro erwirtschaftet. Aus dieser Summe
kann kein Sparbeitrag von 600 Millionen Euro geleistet
werden. Das geht beim besten Willen nicht.
({0})
Wenn die Staatssekretärin in diesem Zusammenhang
fragt: Wollen Sie denn der Firma GEHE noch weitere
600 Millionen Euro zukommen lassen?, dann ist das
reine Polemik. Das geht nicht an.
({1})
Ich wiederhole: Bei einem Gewinn von 237 Millionen Euro können nicht 600 Millionen Euro eingespart
werden. Was bleibt dem Großhandel denn anderes übrig,
als diesen Betrag an die Apotheken weiterzugeben? Es
geht nicht anders. Man kann zwar lange darüber streiten,
ob das so vorgesehen ist oder nicht, aber eines steht fest:
Die Aufstellung aller Aussagen vonseiten des Ministeriums bzw. der Staatssekretärin ist erschreckend. Ich habe
mir Folgendes notiert - die erste Aussage stammt von
Oktober -: Der Großhandel gibt die Belastung weiter.
Dann hieß es: Er gibt die Belastung nicht weiter. Nach
der Abstimmung hieß es wiederum: Er gibt sie teilweise
weiter. Dann wurde berichtet, dass er sie doch vollständig weitergibt. Daraufhin sagt die Staatssekretärin: Das
geht so nicht. Am 11. März dieses Jahres stellt sie dann
fest - das ist die Krönung -, dass sie dafür gar nicht zuständig sei, weil die Verträge zwischen Großhandel und
Apotheken privatrechtlicher Natur seien.
({2})
Angesichts dessen erklären Sie hier trotzdem, wie gut
das Ganze vorbereitet sei und wie hervorragend es laufe.
Des Weiteren wird ständig darauf herumgehackt, welche gewaltigen Einkünfte die Apotheken hätten; schließlich seien die Arzneimittelausgaben stark gestiegen. Bei
Ausgaben von 22 Milliarden Euro im Arzneimittelbereich hat sich der Gewinn der Apotheken - ich betone
das - um gerade einmal 19 Millionen Euro erhöht. Das
sind 0,085 Prozent. Angesichts dessen können Sie doch
nicht behaupten, die Apotheken seien an der Erhöhung
der Kosten im Arzneimittelsektor schuld. Wenn Sie das
behaupten, dann wollen Sie entweder die Wahrheit nicht
wissen oder Sie kapieren es in der Tat nicht.
({3})
So geht es jedenfalls nicht.
({4})
Ich sage noch einmal: Es gibt keine andere Möglichkeit für den Großhandel, als es weiterzugeben. Die daraus resultierenden Folgen sind bereits aufgezeigt worden: Die Zahl der Arbeitsplätze wird reduziert. Ich weiß
nicht, wie sich der für den Mittelstand zuständige Staatssekretär der Regierung dazu verhält. Ich habe ihn zwar
angeschrieben, habe aber bis heute keine Antwort bekommen.
({5})
Warten wir es ab.
Ich habe eben die unterschiedlichen Aussagen zu dem
Gesetzesvorhaben aufgelistet. Unter anderem war von
einem Tollhaus die Rede. Das trifft auch auf die Auskünfte zu, die hier gegeben worden sind. Bemerkenswert
ist für mich auch, dass genau einen Tag vor der Abstimmung im Bundestag in einer Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums unter der Überschrift „Apotheker
rechnen sich arm“ Folgendes dargelegt wurde: Die Apotheker behaupten, dass der Sparbeitrag des Großhandels
bei 0 Euro liege. Laut Ministerium soll der Sparbeitrag
aber bei 600 Millionen Euro liegen. Angesichts dessen
müssen wir uns darüber wundern, warum die Abstimmung so ausgefallen ist; denn die Kollegen, die mit
Bauchschmerzen zugestimmt haben, müssen das entweder nicht zur Kenntnis genommen haben oder sie haben
wider besseres Wissen zugestimmt. Vorher ist verkündet
worden, dass eine Weitergabe erfolge. Genau das ist das
Tollhaus, von dem die Staatssekretärin vorhin gesprochen hat. Das kann man aber so nicht stehen lassen.
Ich möchte gern noch auf Folgendes hinweisen
- schließlich hat uns die Bundesregierung noch mehr
Wirrwarr vorgesetzt -: Ich habe die Staatssekretärin gefragt, welche Auswirkungen das neue Rabattsystem - der
Rabatteinzug erfolgt über die apothekeneigenen Rechenzentren - auf die Kostenstruktur der Apotheken hat. Mir
ist gesagt worden: „Keine zusätzlichen Kosten durch
Abwicklung des Rabatteinzugs über Apothekenrechenzentren.“ Nun ist heute immer wieder behauptet worden,
es lägen keine Zahlen vor. Es ist aber nachgewiesen worden, dass dies nicht stimmt. Die Zahlen liegen vor. Verehrte Kollegin, Sie können heute in jeder Apotheke das
Abrechnungsformular des Rechenzentrums für Mitte Februar finden, dem Sie genau entnehmen können, welche
Veränderungen sich im Rabattsystem ergeben haben.
Das kann man dann immer einen halben Monat nach jedem abgeschlossenen Monat nachlesen. Insofern wissen
wir genau, dass sich das neue Rabattsystem in einer Größenordnung von 7,7 Millionen Euro auf die apothekeneigenen Rechenzentren auswirkt. Das sind für alle Apotheken etwa 10 Millionen Euro. Man muss sich doch
kundig machen, welche finanziellen Auswirkungen ein
Gesetz auf die Betriebe hat, bevor man es auf den Weg
bringt.
({6})
Das ist hier in keiner Weise geschehen. Das lässt sich
auch anhand vieler anderer Beispiele nachweisen.
Ich möchte auch noch - das ist zu schön; das ist heute
schon angeklungen - die Leserbriefe ansprechen. In der
Fragestunde am 19. Februar dieses Jahres hat die Staatssekretärin meinem Kollegen Spahn versprochen, Briefe
von Apothekern vorzulegen, die im Zusammenhang mit
dem Großhandelsrabatt die Arbeit des Ministeriums
durchaus positiv bewerten. Ich habe mir den Spaß gemacht, schriftlich nachzufragen, ob auch ich diese Briefe
haben kann. Daraufhin habe ich vorgestern einen Brief
bekommen, in dem die Staatssekretärin mir schreibt - ich
zitiere -, dass sie die Dankesbekundungen der Apotheker bezüglich der Gespräche mit dem Großhandel größtenteils telefonisch erhalten habe.
({7})
Ich vermute, dass der Kollege Spahn noch einige Zeit
auf die von ihm erbetene Auskunft warten muss.
Wir möchten Ihnen noch einmal Gelegenheit geben,
darüber nachzudenken, was Sie mit diesem Gesetz angerichtet haben. Die Abstimmungen innerhalb Ihrer Reihen
sind ja bekannt. Ich kann nur sagen: Wenn Sie das durchsetzen, was Sie jetzt vorhaben, dann werden Sie die gesamte Apothekenlandschaft sturmreif schießen für die
Übernahme durch Internetapotheken und Apothekenketten.
({8})
Ihre Pläne zur Aufgabe des Mehrbesitzverbotes und
zum Versandhandel gehen in die gleiche Richtung. Wollen Sie denn, dass es eines Tages statt „Fragen Sie Ihren
Arzt oder Apotheker!“ bei der Werbung im Fernsehen
heißt: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Postboten“? Offensichtlich verstehen Sie das unter einem Mehr an
Arzneimittelsicherheit. Es ist ein Trauerspiel.
({9})
Auch was die finanzielle Belastung im Zusammenhang mit dem Versandhandel angeht, können Sie nachfragen, so oft Sie wollen, Sie werden stets die Antwort
bekommen: Das wissen wir nicht genau. - Warum tut
man so etwas denn, wenn man nicht die finanziellen
Auswirkungen auf das System kennt?
({10})
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden
sich eines Tages fragen müssen, ob Sie das alles bewusst
betrieben haben.
({11})
Wir haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Sie
sich auf dem Weg in die Staatsmedizin befinden; das
können Sie abstreiten, so viel Sie wollen.
({12})
Bei den vielen anderen Punkten ist es doch nicht anders:
Sie bekämpfen die Facharztpraxen, Sie wollen eine Reglementierung über die Positivliste.
({13})
- Lesen Sie es doch nach!
Herr Kollege Bauer, kommen Sie bitte zum Schluss!
Das tut mir aber sehr Leid, dass ich jetzt Schluss machen muss.
Meine Damen und Herren, vielen Dank für das Zuhören.
({0})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr. Bauer, Ihre Berufskollegen Apotheker werden
sicher sehr zufrieden sein mit Ihrem Redebeitrag.
({0})
Im Übrigen hätten Sie, wenn Sie schon die Frau Staatssekretärin zitieren, den Brief von Frau Caspers-Merk zu
Ende lesen sollen. Es ist nämlich sehr wohl berichtet
worden, dass solche Briefe vorliegen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim ersten Lesen
des CDU/CSU-Antrages dachte ich mir: Das meinen die
doch nicht ernst.
({2})
Denn das Vorschaltgesetz entlastet die Krankenkassen;
das ist doch nicht zu bestreiten. Ich dachte, wenigstens
an dieser Stelle seien wir uns einig.
({3})
Aber das scheint so nicht der Fall zu sein. Zugegeben:
Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Pharmagroßhändler und
Hersteller werden etwas belastet.
({4})
Dafür aber werden die Patienten nicht belastet.
Dann erinnerte ich mich an die Zeit, als SchwarzGelb regierte - und da wusste ich: Der Antrag ist tatsächlich ernst gemeint.
({5})
- Wie hat man denn damals, in der guten alten Zeit, Herr
Kolb, versucht, die Beiträge stabil zu halten?
({6})
Damals - insofern gibt es schon einen Unterschied, und
das müssen die Leute auch wissen - wurden die Patienten und Patientinnen belastet,
({7})
unter anderem mit Medikamentenzuzahlungen, bei denen einem schwindelig werden konnte.
({8})
Das war christdemokratische und christsoziale Gesundheitspolitik. Die Zuzahlungen betrugen Ende 1996 - je
nach Packungsgröße - 3, 5 oder 7 DM,
({9})
1997 waren es schon 4, 6 und 8 DM. Mit dem 2. GKVNeuordnungsgesetz haben Sie die Zuzahlungen nochmals erhöht, auf 9, 11 und 13 DM.
Mit dem 1. GKV-Neuordnungsgesetz hatten Sie eine
ganz perfide Regelung verabschiedet: Die Zuzahlungen
sollten für die Versicherten, deren Krankenkassen ihre
Beiträge erhöhen, automatisch steigen. Die Patienten
wären gleich doppelt belastet worden, über höhere Beiträge und über höhere Zuzahlungen - als ob der Einzelne
etwas für seine Krankheit könnte!
({10})
Aber diesem Spuk haben wir ein Ende bereitet.
Der „Frankfurter Rundschau“ von gestern konnte ich
entnehmen, dass Herr Seehofer diesem Gedanken offensichtlich immer noch anhängt.
Die härteste Ihrer damaligen Maßnahmen, die Streichung des Zahnersatzes für nach 1979 Geborene,
scheint in Ihren Reihen noch immer Anhänger zu haben.
({11})
Die Streichung des Zahnersatzes wäre aus meiner Sicht
falsch.
({12})
Ich bin in diesem Fall gegen einen „Mut zur Lücke“. Es
darf nicht so sein, dass man am Lächeln eines Menschen
seinen sozialen Status erkennen kann.
({13})
Was die von Ihnen geforderten Maßnahmen mit Generationengerechtigkeit zu tun haben, wird mir unergründlich bleiben.
({14})
Wir zahlen heute die Zeche dafür, dass Sie zu Ihrer
Regierungszeit Versicherte nach dem Motto „Haste mal
‘ne Mark?“ belastet haben, statt die nötigen Strukturreformen anzugehen.
({15})
Wir haben uns doch schon einmal auf einen Kompromiss
geeinigt. Als Beispiel nenne ich die Positivliste, die Sie
schlicht „versenkt“ haben.
({16})
Dabei haben Sie aus meiner Sicht Wortbruch begangen;
denn diese Liste war Teil der Kompromissvereinbarung
von Lahnstein.
({17})
Heute wollen Sie das Beitragssatzsicherungsgesetz
rückgängig machen. Vor dem Bundesverfassungsgericht
sind Sie mit diesem Anliegen schon gescheitert.
({18})
Ich prophezeie Ihnen: Sie werden wieder scheitern.
Dass Sie nicht nur der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch der gesetzlichen Rentenversicherung Einnahmen verweigern wollen, ist schon schlimm.
Die Beitragsbemessungsgrenze wollen Sie wieder herabsetzen. Ich ahne schon, dass Ihre nächste Aktion die Beantragung einer Aktuellen Stunde zur Finanzsituation
der Rentenversicherung sein wird. Oder wollen Sie dann
den Vorschlag von Frau Merkel, kinderlose Versicherte
mit höheren Beiträgen zu belasten oder ihnen nur die
halbe Rente zuzugestehen, auf den Weg bringen?
Frau Kollegin Lotz, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Zöller?
Nein.
Die Umsetzung dieses Vorschlags von Frau Merkel
würde alle verfassungsrechtlichen Grundsätze sprengen
und ist mit uns nicht zu machen.
Sie werden verstehen, dass wir Ihren Antrag ablehnen. Herr Kollege Zöller, Sie wollten ja wissen, was wir
wollen. Ich sage es Ihnen: Wir wollen Ihren Antrag ablehnen.
({0})
Sie wissen, dass wir eine Reform des Gesundheitswesens auf den Weg bringen müssen. Wir müssen für die
notwendigen Strukturveränderungen sorgen.
({1})
Lassen Sie uns hier einen gemeinsamen Weg zum Wohle
von Patientinnen und Patienten finden! Sie wissen, wir
brauchen mehr Wettbewerb, mehr Qualität
({2})
und Transparenz für die Patientinnen und Patienten. Wir
müssen Fehl- und Überversorgungen abbauen und Unterversorgungen beseitigen. Wir haben Eckpunkte auf
den Weg gebracht. Lassen Sie uns, was die Umsetzung
der weiteren Vorschläge angeht, zu einem guten Ergebnis kommen! Wir laden Sie an dieser Stelle ein, mit uns
zusammenzuarbeiten.
Danke schön.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 15/542 und 15/652 ({0}) an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage
auf Drucksache 15/652 ({1}) nicht an den Ausschuss für
Tourismus überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes ({2})
- Drucksache 15/88 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({4})
- Drucksache 15/738 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Haupt
Andreas Scheuer
Sabine Bätzing
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Kerstin Griese von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute abschließend einen Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, der vom Bundesrat eingebracht worden ist. Wir haben über das Thema Jugendschutz schon häufiger debattiert. Dieses Thema ist in
dieser Woche ganz besonders aktuell; denn am 1. April
ist das neue Jugendschutzgesetz in Kraft getreten. Es ist
kein Aprilscherz. Es ist ein sehr gutes Gesetz, das am
Dienstag in Kraft getreten ist: unser neues Jugendschutzgesetz, das viele Fortschritte für den Schutz von Kindern
und Jugendlichen bietet und das auf die neuen Herausforderungen durch das Internet und durch die Medienvielfalt adäquat reagiert.
({0})
Wir sprechen über das Thema Jugendschutz in einer
Zeit, in der sich viele Kinder und Jugendliche gegen den
Krieg im Irak engagieren. Es ist auch eine Zeit, in der
wir uns intensiver mit der Frage beschäftigen müssen,
wie gerade Kinder mit dem umgehen, was sie in den
Medien an Gewalt, an Krieg und an Terror sehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen wahrscheinlich so wie mir: Ich bin von der Intensität, mit der
sich Kinder und Jugendliche mit der aktuellen Entwicklung beschäftigen, tief beeindruckt. Ich bin auch von
dem großen Engagement beeindruckt, mit dem sie sich
für friedliche Lösungen und gegen Gewalt einsetzen.
Das ist übrigens - das sei nur nebenbei bemerkt - ein gutes Argument gegen das Geschwätz von der unpolitischen Jugend.
({1})
Nach vielen Gesprächen, die ich dazu geführt habe,
bin ich sehr nachdenklich geworden in der Frage, was
wir Kindern in den täglichen Nachrichten eigentlich zumuten, zumal sie häufig auch allein vor dem Fernseher
sitzen.
Besonders beeindruckt hat mich der Besuch in einer
vierten Grundschulklasse in meinem Wahlkreis in Heiligenhaus. Dort haben Kinder - Viertklässler! - aus eigener Initiative fast 700 Unterschriften gegen den Krieg
gesammelt und mir überreicht. Sie wollten sehr viel darüber sprechen. Sie hatten ein ganz großes Bedürfnis,
über das, was sie an Gewalt im Krieg sehen, zu sprechen. Sie alle gucken fast täglich Nachrichten, viele leider ohne Eltern oder ältere Geschwister, die ihnen helfen
könnten, das Geschehene zu verarbeiten. Kinder und Jugendliche sind außerordentlich gut informiert und sehr
bewegt von dem, was sie über den Krieg und über die
Opfer von Gewalt erfahren. Es geht in diesem Fall leider
nicht um fiktive Gewalt, über die wir im Jugendmedienschutz so häufig sprechen, sondern um reale Gewalt, die
für Kinder und Jugendliche häufig noch viel schwerer zu
verarbeiten ist.
Angesichts eines Teils der Berichterstattung in den
Medien frage ich mich - das sollte man bei diesem
Thema auch einmal ansprechen -, ob es wirklich notwendig ist, in so reißerischer Form und mit so auf Sensation bedachten Live-Reportagen den Krieg quasi direkt
ins Wohnzimmer zu senden. Deshalb appelliere ich an
die Verantwortlichen der Medien, nicht nur in dieser aktuellen Situation, sondern auch grundsätzlich darüber
nachzudenken, wann was im Fernsehen gesendet wird.
({2})
Diese aktuellen Entwicklungen, die ich als Ausgangspunkt gewählt habe, zeigen mir noch einmal, wie wichtig es ist, dass Kinder sowie Eltern, Erzieherinnen und
Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer Medienkompetenz
entwickeln können. Es ist wichtig, dass Kinder lernen,
Fiktion und Realität zu unterscheiden, kritisch mit Medieninhalten umzugehen, dass Sie lernen, dass Medien
manipuliert werden können und dass das, was im Fernsehen gezeigt wird, nicht immer die Wahrheit ist. Es ist
sehr nötig, qualitativ gute, pädagogisch sinnvolle und
kindgerechte Angebote bereitzuhalten. Es gibt ein hohes
Maß an Mitempfinden und an Einfühlungsvermögen bei
jungen Menschen und wir sollten darauf setzen, Kinder
und Jugendliche zu schützen und zu stärken.
({3})
„Gute Seiten, schlechte Seiten“, so könnte man in Anlehnung an eine beliebte Fernsehserie zusammenfassend
über das Internet sagen. Im Internet gibt es gute Seiten
und schlechte Seiten. Wir brauchen mehr gute Seiten für
Kinder und Jugendliche. Ich will hier einmal ein sehr gutes Beispiel nennen, ausdrücklich auch deshalb, weil es
ehrenamtlich betrieben wird und meines Erachtens einer
Förderung bedarf. Die Kindersuchmaschine mit der Internetadresse www.blinde-kuh.de bietet kindgerechte Informationen und hat sehr schnell auch auf den Irakkrieg
reagiert. Kinder können dort nach Themen suchen, die
sie interessieren. Wenn sie ein Thema eingeben, zu dem
es keine Informationen gibt, geschieht direkt interaktiv
eine Bearbeitung durch die Menschen, die diese Suchmaschine betreiben; sie stellen neue Informationen dazu
ein. Man findet dort auch einen Zusammenschluss unter
der Internetadresse www.seitenstark.de. Das ist eine Kooperation von Kinderseiten im Internet.
Dieses Engagement will ich ausdrücklich würdigen;
denn ich halte das für einen sinnvollen Beitrag zum Kinder- und Jugendmedienschutz. Das hilft den Kindern,
den Umgang mit dem Internet zu lernen. Auf diese
Weise haben Eltern und Erziehende die Gewissheit, dass
ihre Kinder dort gute Seiten finden und nicht mit Gewalt
oder Pornographie konfrontiert werden.
({4})
Noch etwas ist in dieser Woche in Kraft getreten,
nämlich das neue Waffenrecht. Da wir hier auch insgesamt über das Thema „Gewalt und Jugendliche“ diskutieren, muss man es erwähnen. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - damit komme
ich auch auf Ihren Bundesratsentwurf zu sprechen -,
dass ich mich in der Debatte sehr gewundert habe. Sie
von der Opposition setzen im Bereich Jugendschutz ausschließlich auf Verbote, haben aber in der Debatte um
das Waffenrecht unser Anliegen, Kinder und Jugendliche stärker von Waffen fernzuhalten, abgelehnt, weil Sie
das für eine Einschränkung der Freiheit und für den halben Weltuntergang halten.
({5})
Ich finde es gut und richtig, dass seit dieser Woche
auch der Besitz von Pumpguns, Wurfsternen und gefährlichen Messern verboten ist; denn auch das ist für den
Jugendschutz sicherlich wichtig. Ich finde es ebenfalls
richtig, dass die Altersgrenzen für den Erwerb und den
Besitz von Schusswaffen angehoben wurden; allerdings
kann ich mich noch sehr genau an den Protest aus Ihren
Reihen, aber auch von zahlreichen Vereinen erinnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU, die
die Änderungsvorschläge des Bundesrates, die uns heute
vorliegen, unterstützt - die FDP tut das meines Wissens
ja nicht -, geht mit diesem Bundesratsentwurf meines
Erachtens in die falsche Richtung und nimmt nicht zur
Kenntnis, welche Fortschritte mit dem neuen Jugendschutzgesetz schon erreicht worden sind. Seit Dienstag
dieser Woche ist es in Kraft; wir sollten erst einmal sehen, was sich bewährt und wo dann eventuell noch Änderungen notwendig sind. Wir haben sehr viele positive
Reaktionen auf das neue Jugendschutzgesetz bekommen.
Ich will hier einige wichtige Bestandteile nennen.
Zeitgleich mit dem neuen Jugendschutzgesetz ist ja auch
der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft getreten. Damit ist der Jugendschutz in Deutschland auf
eine gesetzliche Grundlage gestellt, die die richtigen
Antworten auf die technischen Entwicklungen und die
gesellschaftlichen Veränderungen gibt - soweit sie ein
Gesetz überhaupt geben kann. Ich sage das bewusst,
denn ein Gesetz allein reicht nicht aus. Vielmehr brauchen wir weitere Bemühungen, um Medienkompetenz
zu fördern, aber auch zur Verbesserung von Bildung und
Betreuung, damit Deutschland ein kinderfreundlicheres
Land wird. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben hier einen Schwerpunkt gesetzt und
werden in dieser Wahlperiode vieles auf den Weg bringen, um Kinder und Jugendliche zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass
auch die Opposition einige der neuen Regelungen des
Jugendschutzes begrüßt. Wir sind uns ja einig, dass das
Verbot, an Jugendliche unter 16 Jahren Tabak und Zigaretten abzugeben, positiv ist. Mit diesem Abgabeverbot
nehmen wir auch die Händler und die Automaten- und
Zigarettenindustrie in die Verantwortung. Zigarettenautomaten sind - nach einer überaus langen Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2007 - nur noch zulässig, wenn
eine Bedienung durch Kinder und Jugendliche unter
16 Jahren ausgeschlossen ist. Neu ist jetzt auch das Verbot, in Kinos vor 18 Uhr Werbefilme für Tabak und Alkohol zu zeigen.
Für einen besonders wichtigen Schritt im Zuge unseres neuen Jugendschutzgesetzes halten wir die Einführung von Alterskennzeichnungen auf allen Medien,
also auch auf Computerspielen, die auf CD-ROMs,
DVDs oder Videos sind. Nur der Altersstufe entsprechend freigegebene Angebote dürfen Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Mit dem
1. April diesen Jahres sind diese Alterskennzeichnungen
der USK verbindlich: Der Verkäufer muss kontrollieren,
ob das Alter des Käufers und der Aufkleber auf dem
Spiel zusammenpassen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bekommt das Recht, Spiele
schneller und aus eigener Initiative zu prüfen. Auch das
halte ich für einen guten und richtigen Schritt.
({6})
Interessant ist auch - der Jugendschutz ist ja ein Bereich, bei dem wir alle gefordert sind, darauf zu achten,
dass er umgesetzt wird, und auch einmal Händler, Wirte
oder Kellner darauf anzusprechen, ob sie es denn tatsächlich richtig handhaben -, dass DVDs oder CDROMs, die Fachzeitschriften beiliegen, entweder kein
jugendgefährdendes Material enthalten dürfen oder altersgekennzeichnet sein müssen.
Sehr wichtig ist, obwohl das immer wieder anders behauptet wird, dass jetzt die Regelungen für schwer jugendgefährdende Medien verschärft worden sind: Trägermedien, also Videos, DVDs und Spiele, die den Krieg
verherrlichen oder Menschen in einer Weise darstellen,
die die Menschenwürde verletzt, oder die Jugendliche in
einer unnatürlichen, geschlechtsbetonten Körperhaltung
zeigen, sind mit Indizierungsfolgen belegt. Das heißt
praktisch: Durch Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverbote
werden sie aus dem Verkehr gezogen. Das haben wir
durch das neue Jugendschutzgesetz bereits geregelt.
Wichtig ist, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien alle neuen Medien indizieren und auch
dann tätig werden kann, wenn kein Antrag gestellt wird.
Wir haben es ja in den letzten Wochen schon erlebt, dass
sie bei der Indizierung von Spielen sehr viel schneller tätig werden konnte.
Der 1. April dieses Jahres, der Tag des In-Kraft-Tretens des neuen Jugendschutzgesetzes, war ein guter Tag
für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland. Lassen Sie uns gemeinsam die Umsetzung des neuen Gesetzes beobachten! Lassen Sie uns Kinder und Jugendliche
schützen und stärken, statt sie immer nur mit Verboten
zu belegen! Wir nehmen nämlich Kinder und Jugendliche ernst und haben einen modernen und zeitgerechten
Jugendschutz geschaffen, um die Situation zu verbessern. Der Bundesratsentwurf führt allein dazu, dass noch
mehr Verbote ausgesprochen werden, und ist in einigen
Punkten übrigens auch nicht sachgerecht, zum Beispiel
in Bezug auf die Indizierung und das Verbot von schwer
jugendgefährdenden Medien. Deshalb bitte ich Sie, unser neues Jugendschutzgesetz zu begrüßen und den Bundesratsentwurf abzulehnen.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Scheuer von
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Frau Kollegin Griese, einige Punkte des Jugendschutzgesetzes vom Juni 2002 tragen wir selbstverständlich mit. Sie missachten jedoch unsere Anliegen
und das ist schade. Ein Entgegenkommen von Ihrer Seite
haben wir trotz des Appells zu einem parteiübergreifenden Konsens bei unseren Vorschlägen nicht erfahren.
Deswegen bringen wir nun eine eigene Initiative ein.
Mit der Veränderung des Jugendschutzgesetzes wollen wir ein Mehr an Verlässlichkeit, Transparenz und
Vereinfachung in Sachen Schutzsystem für unsere jungen Menschen erreichen. Zudem wollen wir den Eltern
in deren Erziehungsaufgaben entgegenkommen und sie
damit unterstützen.
({0})
Die Koalitionsparteien glänzen in den verschiedenen
Politikbereichen, beispielsweise in der Wirtschafts-,
Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, ja generell nicht mit bürokratischer Vereinfachung und dem Abbau von Regelungsdichte. Dennoch kommen bei dem Entwurf des
Bundesrates rot-grüne Argumente, dass wir damit einen
Wust an Regelungen und Verboten im Jugendschutz
schaffen. Das ist die rot-grüne Begründung zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Plötzlich hat man bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, anscheinend eine liberale Ader entdeckt. Aber mit dieser
Haltung geben Sie beim Thema Jugendschutz auf.
Generell befürworten wir Prinzipien, auf deren Basis
die Menschen selbst entscheiden können. Nur da, wo das
Ganze aus dem Ruder läuft, sich falsche Entwicklungen
abzeichnen oder Wildwuchs herrscht, sollte und muss
der Staat eingreifen. Das gehört zu den Pflichtaufgaben.
Wir kommen beim Thema Jugendschutz nicht weiter,
wenn sich die Politiker nicht auf die neue Situation im
Bereich der Medien und der Kommunikation einstellen. Neben all den positiven, praktischen und unterhaltsamen Komponenten auf diesem Sektor gibt es Entwicklungen, vor denen wir gerade unsere jungen Menschen
schützen müssen. Das im Juni 2002 verabschiedete Jugendschutzgesetz greift aus unserer Sicht hier zu kurz
und weist Lücken auf. Wir sollten nicht Gesetze verabschieden, die wie das vom Juni von vornherein der allgemeinen Entwicklung hinterherhinken. Unsere Aufgabe
ist es, nach vorne zu schauen und zukunftsfähige Regelungen vorzusehen.
Genau das wird auch in Expertenbeurteilungen zum
Ausdruck gebracht. Frau Kollegin Griese, Sie sprechen
von positiven Rückmeldungen.
({1})
Ich habe da andere, zum Beispiel von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, BAJ:
Das am 14. Juni 2002 im Deutschen Bundestag mit
den Regierungsfraktionen verabschiedete Jugendschutzgesetz erfüllt die von den Jugendschutzorganisationen vorgetragenen Erwartungen an eine konzeptionelle und systematische Modernisierung des
Kinder- und Jugendschutzes im Bereich des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit nicht, im Bereich des Jugendmedienschutzes nur teilweise.
Ein vernichtendes Urteil über ein Gesetz, das eigentlich
eine Verbesserung darstellen sollte.
Weiter heißt es:
Die Veränderungen im Freizeitverhalten junger
Menschen wurden dagegen für das neue Gesetz
nicht weiter reflektiert.
Es entstand kein integriertes neues Gesetz und schon
gar nicht wurde dem von Fachleuten geäußerten Wunsch
nach Zusammenführung sämtlicher Jugendschutzvorschriften entsprochen. Auch hat das Jugendschutzgesetz
entgegen dem Anspruch des Titels nicht die Funktion eines zentralen Gesamtgesetzes für den Jugendschutz, von
dem aus man den Weg in verstreute Einzelvorschriften
gewiesen bekommt.
Ein Beispiel: In Untervorschriften und -gesetzen sind
zwar einzelne Themenbereiche geregelt, aber verstreut
und verteilt. Das erfüllt vielleicht die Erwartungen und
Ansprüche von Juristen, aber es ist nicht praxis- und
handlungsorientiert für Otto Normalbürger.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, wir müssen
als Deutscher Bundestag Zeichen setzen, zum Beispiel
bei der medialen Darstellung von Kindern und Jugendlichen in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung.
({2})
Kinder und Jugendliche sind keine Sexualobjekte für
Spinner mit pädophiler Neigung.
({3})
Wenn wir da nicht eindeutig einen Riegel vorschieben,
entstehen solche Angebote, gegen die, wie zum Beispiel
kürzlich in Leipzig, die Staatsanwaltschaft nicht in voller
Härte eingreifen kann. Zuwiderhandlungen gegen
Schutzvorschriften müssen hart bestraft werden. Es darf
keine Jugendschutzvergehen zum Sonderpreis geben.
({4})
Deshalb ist in unserem Vorschlag die deutliche Erhöhung des Bußgeldrahmens enthalten.
Damit es ein sinnvolles und kompaktes Schutzpaket
wird, wollen wir ferner unter anderem ein Verbot von
Videoverleihautomaten - der zuständige Verband des
Videofachhandels will ebenfalls dagegen vorgehen; dieses Zeichen sollte die Politik erkennen - und ein Verbot
von Killerspielen sowie die Rückkehr zum Begriff der
erziehungsberechtigten Person.
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es ist uns
schon schleierhaft, warum Sie eher den Schutz lockern
wollen und sich mit sehr wackligen Argumenten gegen
Verbesserungen wehren, anstatt unseren jungen Menschen ein kompaktes Schutzsystem zu bieten.
Frau Kollegin Humme, Sie haben am Mittwoch im
Ausschuss bei dem Gedankenaustausch mit unseren polnischen Gästen in Ihrem Statement das Thema Jugendschutz mit derartig hanebüchenen Argumenten angesprochen. Sie wollen die Medienkompetenz stärken.
Das wollen auch wir - nur auf komplett andere Weise.
Sie haben gesagt, dass die jungen Menschen selbstbewusst mit Medien umgehen sollen. Okay, das ist wünschenswert; das wollen auch wir. Aber Sie haben auch
gesagt, dass die jungen Menschen lernen müssen, mit
Gewaltvideos effizient und kritisch umzugehen.
({5})
Diese Aussage ist wirklich sehr bedenklich und an der
Sache vorbei.
({6})
Beim Thema Elternprivileg sind wir der Meinung:
Die FSK-Kennzeichnung muss wieder etwas wert sein,
weil wir uns sonst gleich davon verabschieden können.
Wer von den Eltern hat denn die Zeit, sich vorher eingehend mit den Filmen zu beschäftigen, Fachliteratur zu
wälzen und Journale zu aktuellen Kinofilmen zu lesen?
Viele Eltern können eben nicht wie die Experten wissenschaftlich bis ins Kleinste einschätzen, was für die Kinder oder Jugendlichen gut oder schlecht ist. Sie erwarten
Hilfestellungen bei der Beurteilung von uns und von den
entsprechenden Institutionen. Genau das wollen auch
wir, und nichts anderes.
Beim Jugendschutz sollte man sich parteiübergreifend
eigentlich schon einigen können. Das ist nun wirklich
kein so streng abgegrenztes Thema. Doch selbst hier
wollen Sie keinen Konsens. Wir sind konstruktiv und
bringen unsere Vorschläge ein. Sie aber behandeln das
Thema auf dem Rücken der jungen Menschen.
({7})
Für Sie, Frau Kollegin Griese, heißt es bei jedem Thema:
Mehrheit ist Mehrheit und der Rest ist uns egal. Schade,
dass Sie unsere Anliegen nicht aufnehmen. Das Gesetz
heißt nämlich Jugendschutzgesetz und nicht - das haben
Sie daraus gemacht - Jugendschutzabbaugesetz.
({8})
Sie stehlen sich durch die Nichtbeachtung der neuen
Entwicklungen aus der Verantwortung und räumen das
Feld auf diesem Gebiet. Die jungen Menschen werden
den schädlichen Einflüssen überlassen. Sie werden bei
den vielen anstehenden Großthemen ohnehin auf uns zugehen müssen; denn unsere Konzepte in den verschiedenen Politikbereichen liegen seit langem auf dem Tisch.
Ich hoffe, dass im Zuge des Vermittlungsverfahrens vielleicht auch das hier zur Debatte stehende Thema aus unserer Sicht besser behandelt werden kann.
Sie werden sich sicher wegen der jugend- und gesellschaftspolitischen Auswirkungen Ihres Jugendschutzabbaugesetzes vom Juni 2002 in der Zukunft noch rechtfertigen müssen, wenn Sie unsere Vorschläge hier und
heute nicht mittragen. Das wird für Sie ein Problem werden. Ich sage Ihnen heute schon voraus: Wir werden sehr
genau hinschauen.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Scheuer, uns trennen bisweilen wirklich Welten. Manchmal kann man eben nicht zusammenkommen. Aber ich
denke, es wird langsam Zeit, dass Sie aus Ihrer Nörgelecke herauskommen.
({0})
Wir begrüßen ausdrücklich das neue Jugendschutzgesetz, das am 1. April in Kraft getreten ist. Es ist ein gutes
und umfangreiches Gesetz, das Kinder und Jugendliche
dort schützt, wo es nötig ist, das ihnen aber auch Raum
für eigenverantwortliches Handeln lässt. Erziehenden
gibt es verlässliche Rahmenbedingungen und stärkt
gleichzeitig die Elternkompetenz. Für Vollzugsbehörden,
Anbieter und Gewerbetreibende stellt es ein transparentes und einheitliches gesetzliches Regelwerk dar.
Die Zusammenführung des Gesetzes zum Schutz der
Jugend in der Öffentlichkeit mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist auch von der breiten Öffentlichkeit positiv aufgenommen worden. Dass die Aufsicht
über Fernsehen und Internet erstmalig in einer Hand
liegt und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften künftig neben Büchern und CDs auch Computerspiele, Kassetten und DVDs kontrolliert, ist eine zentrale Neuerung.
In der größten lippischen Tageszeitung hieß es am
vergangenen Dienstag im überregionalen Teil zum InKraft-Treten des neuen Gesetzes:
Wenn Joachim von Gottberg bislang an Hochschulen
über Jugendmedienschutz referierte, legten die Studierenden spätestens nach dem fünften Gesetz stöhnend den Griffel aus der Hand. Der Geschäftsführer
der „Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen“ …
empfand die Aufsicht über jugendgefährdende Medien in Deutschland stets als „heillos zersplittert“.
Landesmediengesetze, Telekommunikationsgesetz,
Mediendienste-Staatsvertrag: Die Zahl der Bestimmungen ist ebenso groß wie die Zahl der Einrichtungen, die über Jugendschutz in den Medien wachen. Das soll jetzt anders werden.
Es wird jetzt anders werden, weil zum ersten Mal der
Jugendschutz im Internet angepackt wurde und weil gerade im Bereich der neuen Medien ein wirksamer Kinder- und Jugendmedienschutz gewährleistet sein muss.
({1})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie
empfinden das neue Jugendschutzgesetz als lückenhaft
und werfen Rot-Grün verpasste Chancen vor - das habe
ich gestern gelesen -, zum Beispiel im Hinblick auf das
Vermiet- und Verleihverbot von gewalt- und kriegsverherrlichenden Spielen, für die Sie ein generelles Verbot
fordern. Dabei verkennen Sie komplett, dass durch das
neue Jugendschutzgesetz der Schutz von Kindern und
Jugendlichen gerade im Hinblick auf kriegs- und gewaltverherrlichende Filme und Computerspiele nachhaltig
verbessert worden ist.
({2})
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Die Zuständigkeit der Bundesprüfstelle ist auf den Onlinebereich
ausgedehnt worden. Damit kann jetzt einer Gefährdung,
die von gewaltverherrlichenden Spielen ausgeht, effektiver entgegengetreten werden. Die Verbote von schwer jugendgefährdenden Medien, insbesondere die mit Gewaltdarstellungen, wurden erweitert und verschärft. So sind
auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle Bücher, Videos, CDs, CD-ROMs und DVDs verboten, die
den Krieg verherrlichen. Computerspiele und Bildschirmspielgeräte müssen seit dem 1. April mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet sein. Videospiele dürfen nur
an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, die das erlaubte Alter haben. Diese altersgerechte Kennzeichnungspflicht gibt zum Beispiel Eltern - ich habe es eben
schon einmal gesagt - eine wichtige Einschätzungshilfe
an die Hand und stärkt ihre Kompetenz. Ich finde das
ganz wichtig.
({3})
Der Jugendschutz ist eindeutig verbessert worden.
Dieses Gesetz ist im Gegensatz zu anders lautenden Behauptungen hinreichend und ausreichend diskutiert worden, nämlich über zwei Jahre. Es ist intensiv mit Fachleuten beraten worden. Ich sage das bewusst in Richtung
Opposition, weil es Ihnen immer je nach Bedarf entweder zu schnell oder zu langsam geht. Zwischen Ländern
und Bund besteht Einvernehmen, die neuen Vorschriften
innerhalb der nächsten fünf Jahre zu evaluieren.
Was den auf Initiative Bayerns eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes
angeht, den wir heute ablehnen werden,
({4})
lässt sich getrost sagen: Er ist längst überholt, enthält vor
allem eine Unmenge an Verboten, stellt das Verhältnismäßigkeitsgebot durch unterschiedliche Bußgeldrahmen auf den Kopf und widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz.
({5})
Er trägt auch nicht zur Verbesserung des Jugendschutzes
bei. Vermutlich hat er darum nicht einmal im Fachausschuss des Bundesrates eine Mehrheit gefunden.
Kurzum, Herr Scheuer, aus meiner grünen Sicht wäre
dieses Papier am besten als Baum im Wald stehen geblieben.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Haupt von der
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das in diesen Tagen in Kraft getretene reformierte Jugendschutzgesetz hat begrüßenswerte Neuerungen gebracht. Aber es hat - das sage ich
hier ganz deutlich; ich gebe dem Kollegen Scheuer
Recht - noch viele Wünsche offen gelassen.
Frau Dümpe-Krüger, Sie haben die Geschwindigkeit
der Beratungen angesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen:
Das Gesetzgebungsverfahren hatte eine Geschwindigkeit, die ich nur mit der des Transrapid vergleichen kann.
({0})
Der vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesrates ist deshalb aus dieser Sicht grundsätzlich verständlich. Damit
wird auf einige problematische Punkte des novellierten
Jugendschutzgesetzes hingewiesen. Es enthält unterstützenswerte Elemente, ist aber nach Auffassung der FDP
in seiner Gesamtheit nicht zielführend.
Lassen Sie mich in der Kürze der mir zur Verfügung
stehenden Zeit auf einige Punkte sachlich eingehen. Das
Verbot der Darstellung von Kindern in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Beispiel sehe ich
mit Sympathie.
({1})
Hier nähern wir uns zu sehr der Grauzone zum sexuellen
Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Der Gesetzgeber kann gar nicht deutlich genug machen, dass auch
die Informations- und die Kunstfreiheit nicht einmal ansatzweise als Vorwand dafür dienen dürfen, Kinder und
Jugendliche auch nur in die Nähe dieser Grauzone zu
bringen.
({2})
Das generelle Verleihverbot von jugendgefährdenden Medien trägt nach unserer Sicht nichts zum Jugendschutz bei. Dieses Verbot beträfe auch Erwachsene und
ist aus unserer Sicht weder zweckmäßig noch verhältnismäßig. Es kann doch nicht sein, dass jugendgefährdende
Trägermedien zwar verkauft werden und im Internet zugänglich sein können, der Verleih - auch an Erwachsene - aber verboten ist. Hierbei handelt es sich lediglich
um die Diskriminierung eines Wirtschaftszweiges, nicht
aber um eine Förderung des Jugendschutzes.
Das Gleiche gilt für das Automatenverbot für Bildträger. Das novellierte Jugendschutzgesetz schreibt technische Vorrichtungen vor, die verhindern sollen, dass die
entsprechenden Automaten von Kindern und Jugendlichen falschen Alters bedient werden können. Konsequent wäre hier ein generelles Automatenverkaufsverbot
etwa auch für Zigaretten gewesen. Aber das will der
Bundesrat aus guten Gründen nicht.
Die Abschaffung des Elternprivilegs bei Kinobesuchen ist aus liberaler Sicht abzulehnen.
({3})
Es widerspricht auch dem Anliegen der Bundesratsinitiative, die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung und
-kompetenz zu stärken. Dass man den Eltern die individuelle Entscheidung nehmen will, zeugt von einem Menschenbild, in dem dem Gesetzgeber oder der FSK mehr
zugetraut wird als den Eltern, die über den Entwicklungsstand ihrer Kinder eigentlich am besten Bescheid
wissen.
({4})
Allerdings - ich sagte ja, dass ich mich sachlich damit
auseinander setzen möchte, Kollege Scheuer - thematisiert der Antrag damit einen echten Schwachpunkt der
alten sowie der neuen, novellierten Jugendschutzbestimmungen. Die Altersgruppendifferenzierung im Rahmen
der FSK ist den tatsächlichen kindlichen Entwicklungsschritten überhaupt nicht angepasst.
Die FDP ist der vermutlich auch bei anderen Fraktionen zustimmungsfähigen Auffassung, dass sich Kinder
im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren erheblich
stärker verändern als Jugendliche zwischen 16 und
18 Jahren. Dementsprechend wäre zumindest eine zusätzliche Altersgrenze zwischen sechs und zwölf Jahren
zu erwägen. Im Übrigen erscheinen mir die Probleme
der Rückwirkung einer solchen Neuklassifizierung bei
etwas gutem Willen der Beteiligten durchaus lösbar.
({5})
Der Bundesrat schlägt in Bezug auf Bildschirmspielgeräte die Rückkehr zur alten Regelung vor, die Kindern
und Jugendlichen das entgeltliche Spielen verbot und so
der Gefahr des Verspielens größerer Geldsummen begegnete. Die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes dagegen setzt an einer Alterskennzeichnung an. Dies ermöglicht eine differenzierte Freigabe, lässt aber die
Entgeltproblematik offen. In der Abwägung beider Aspekte bevorzugen wir die Alterskennzeichnung, das
heißt die Bewertung von Inhalten. Allerdings ist aus unserer Sicht überlegenswert, auch die Entgeltproblematik
im Jugendschutzgesetz neu zu regeln.
Wir können aber nur dazu mahnen, bei allen berechtigten Schutzvorschlägen immer daran zu denken, dass
Jugendliche irgendwann, spätestens mit 18, selbst reif
sein müssen, verantwortungsbewusste Entscheidungen
zu treffen. Jugendschutz muss deshalb immer noch eine
andere Dimension ins Blickfeld nehmen: Er muss die
Kinder und Jugendlichen in die Lage versetzen, mit Gefahren umzugehen und sie selbst zu meiden.
Der Jugendschutz muss in einem produktiven Spannungsverhältnis zu der aus unserer Sicht notwendigen
Freiheit der Kinder und Jugendlichen gesehen werden, die für ihre Kompetenzentwicklung so unabdingbar
ist. In diesem Zusammenhang muss auch das Recht der
Kinder und Jugendlichen auf ihre eigene Kultur, auf
kindgerechte Medien und Medieninhalte hervorgehoben
werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorschläge des
Bundesrates zur Novellierung des Jugendschutzes machen deutlich, dass es auf diesem Gebiet weiterhin großen Handlungsbedarf gibt. Insgesamt scheint es aus
Sicht der FDP aber besser, erst einmal Erfahrungen mit
dem reformierten Gesetz zu sammeln, bevor neue Änderungen vorgeschlagen werden.
Danke.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Wieczorek von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Eine positive Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen zu erreichen und für den notwendigen Schutz vor negativen Einflüssen zu sorgen ist eine
Schwerpunktaufgabe. Ich spreche niemandem in diesem
Hause ab, nach bestem Gewissen an dieser Aufgabe mitzuwirken.
Ein Hauptziel bei der Erarbeitung des neuen Jugendschutzgesetzes, das am Dienstag dieser Woche in Kraft
getreten ist, war, Regelungen zu finden, die der rasanten
Entwicklung der neuen Medien Rechnung tragen und
einerseits dem berechtigten Informationsbedürfnis sowie
andererseits der Minimierung der daraus resultierenden
Gefährdungen und Beeinflussungen für Kinder und Jugendliche gerecht werden.
({0})
Dieses Ziel wurde mit dem neuen Jugendschutzgesetz
erreicht. Zusammen mit den Regelungen zum Jugendmedienschutz wird das Gesetz den neuen Erfordernissen
gerecht. Zum Inhalt des Gesetzes bestand zwischen Bundesregierung, Bundestag und - wie ich mich erinnere den Bundesländern gerade nach den tragischen Ereignissen von Erfurt Konsens. Völlig unverständlich ist deshalb, dass noch vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes
durch den Bundesrat ein neuer Gesetzentwurf auf den
parlamentarischen Weg gebracht wird und dieser die Unterstützung von CDU und CSU hier im Hause findet.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, die heute schon angesprochen wurde, bemerkt zu
diesem offensichtlichen Widerspruch - ich zitiere -:
Die Entschließung des Bundesrates vom vergangenen Juni, die die Grundlage des neuerlichen Änderungsantrages ist, trägt für uns noch Wahlkampfzüge.
({1})
Auch wenn ich Ihnen, wie eingangs erwähnt, grundsätzlich redliche Absichten zugestehe, glaube ich, dass diese
These nicht völlig aus der Luft gegriffen ist;
({2})
denn für mich ist diese Verhaltensweise der Union nicht
nachvollziehbar. Dass sich dieses Thema, der Schutz unserer Kinder und Jugendlichen, für wahltaktische Spiele
eigentlich verbieten müsste, liegt auf der Hand.
Besonders die Tatsache, dass die Auswirkungen des
neuen Gesetzes in einem Zeitraum von fünf Jahren analysiert werden sollen - das wurde schon angesprochen und dass bei eventuellen Auswirkungen, die wir uns
nicht wünschen, Korrekturen vorgesehen sind, lässt den
Sinn des Entwurfes noch fragwürdiger erscheinen. Für
mich steht fest, dass der Gesetzentwurf keine Verbesserung darstellt und dass er in vielen Punkten sogar einen
Rückschritt bedeuten würde.
({3})
Der Verdacht, dass bei der Einbringung des bayerischen Entwurfs sachliche Aspekte nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, wird für mich durch die Tatsache unterstrichen, dass sich die entsprechenden
Fachausschüsse im Bundesrat nicht für diesen Entwurf
ausgesprochen haben.
({4})
Die konkreten Änderungsvorschläge sind in den Ausschussberatungen, während der ersten Lesung im Plenum und auch am heutigen Tage ausführlich beraten und
kommentiert worden. Deshalb möchte ich mich nun auf
einige Widersprüche konzentrieren und auf die Ansätze
des Gesetzes und des Gesetzentwurfes eingehen, die sich
grundsätzlich unterscheiden:
Es macht zum Beispiel wenig Sinn, den Verleih von
Trägermedien mit jugendgefährdendem Inhalt auch an
Erwachsene grundsätzlich zu verbieten, für den Verkauf
diese Einschränkung aber nicht zu fordern. Gerade gekaufte DVDs oder Videos verbleiben viel länger in den
Haushalten und unterliegen somit einer geringeren Aufmerksamkeit durch die Erwachsenen. Die Gefahr, dass
Kinder und Jugendliche den Inhalt konsumieren oder sogar kopieren könnten, dürfte viel größer sein.
({5})
Das Verbot der Weitergabe an Kinder und Jugendliche
wird dem Jugendschutz gerecht und schränkt die Informationsfreiheit für Erwachsene nicht ein.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung, Killerspiele wie Gotcha, Paintball und Laserdome zu verbieten, sagen. Dieses Beispiel zeigt die Überflüssigkeit
des Gesetzentwurfs sehr anschaulich; denn durch eine
Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 24. Oktober 2001 wurde klargestellt, dass der Betrieb derartiger Spiele wegen des Verstoßes gegen die
Menschenwürde bereits nach der polizeilichen Generalklausel unzulässig ist.
({6})
Was wollen Sie also noch? Diese Spiele sind bereits
verboten. So lassen sich auch andere Punkte, in denen
sich der Gesetzentwurf des Bundesrates vom bestehen3172
Jürgen Wieczorek ({7})
den Jugendschutzgesetz unterscheidet, entkräften. Viele
Punkte sind schlicht und einfach überflüssig, weil die
Sachverhalte bereits durch das Jugendschutzgesetz oder,
wie soeben erwähnt, durch andere Klauseln abgedeckt
werden.
({8})
Eigentlich fordern Sie doch immer den Abbau von
Überregulierungen.
({9})
Sie wollen aber stärkere Restriktionen einbauen. Hierbei
sei nur an die heute angesprochene Erweiterung des
Bußgeldrahmens von 50 000 Euro auf 500 000 Euro erinnert. Ich denke, hier muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Wir haben den Bußgeldrahmen bereits
von 15 000 Euro auf die besagten 50 000 Euro erweitert.
Das ist mehr als eine Verdreifachung. Ich denke, das ist
angemessen und führt zu einer guten Abschreckung.
({10})
Das Gesetz und der zu beratende Entwurf unterscheiden sich schon im Ansatz grundsätzlich. Mit dem Gesetzentwurf legt die Union das Gewicht eindeutig auf
neue Regelungen und Verbote. Das ist aus meiner Sicht
in keiner Weise dazu geeignet, die Medienkompetenz
von Kindern und Jugendlichen zu stärken.
({11})
Auch wenn der Entwurf in dieser Hinsicht lückenhaft
ist, bleibt doch erkennbar, dass man aufseiten der CDU/
CSU meint, man könne die Probleme lösen, indem man
gewissermaßen eine Glocke über die jungen Menschen
stülpt. Man traut weder den Eltern noch anderen an der
Erziehung beteiligten Personen zu, erfolgreich Einfluss
auf die Kinder zu nehmen. Mit diesem Gesetzentwurf
zeigt die Union ihr Misstrauen gegenüber den Eltern.
({12})
Ich frage Sie: Wer, wenn nicht die Eltern des Kindes,
kann am besten entscheiden, was für das Kind verantwortbar ist, ob es zum Beispiel einen Film emotional
oder intellektuell verarbeiten kann oder nicht? Natürlich
kann nie ausgeschlossen werden, dass es eine kleine
Zahl von Eltern gibt, die dieser Verantwortung nicht gerecht werden.
Die Kollegen von der Union vergessen bei ihrer Begründung für die Gesetzesänderung außerdem, dass Kinder gleichen Alters - gerade im Alter zwischen sechs
und zwölf Jahren - sowohl geistig als auch körperlich
sehr unterschiedlich entwickelt sind.
({13})
Herr Haupt hat das schon angesprochen; dem ist zuzustimmen.
({14})
Auch deshalb ist es sinnvoll, den Eltern zuzutrauen, den
individuellen Entwicklungsstand ihrer Kinder richtig
einschätzen und entsprechende Entscheidungen treffen
zu können.
({15})
Interessant ist die Tatsache, dass die Familie gerade bei
der Union immer eine große Rolle als Leitbild spielt.
Warum sind Sie dann aber an dieser Stelle misstrauisch?
Beim Jugendschutz kann man nicht nur mit Verboten
operieren. Abgesehen davon, dass Verbotenes für Kinder
und Jugendliche immer eine besondere Verlockung darstellt, besteht die große Gefahr, dass die Kontrolle der
Einhaltung der Verbote kaum konsequent durchführbar
ist. Auch deshalb verfolgen wir im neuen Jugendschutzgesetz einen anderen Ansatz: Dort, wo Verbote und Regulierungen unumgänglich sind, wurden sie eingebaut.
Überall dort, wo Bürgerrechte unverhältnismäßig eingeschränkt worden wären und wo wir Beratung und eine
vertrauensvolle positive Einflussnahme als geeigneteres
und ausreichendes Mittel ansehen, haben wir auf Verbote
verzichtet.
({16})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich glaube, es ist heute weitgehend bewiesen, dass
eine Erziehung, die nahezu ausschließlich auf Verboten
und Restriktionen beruht, wenn überhaupt, nur von kurzfristigem Erfolg ist. Zudem wird dadurch die Entwicklung und Förderung der Talente der jungen Menschen
verhindert.
Viel wichtiger ist es, dass Eltern, Lehrer und weitere
nahe stehende Personen ein auf Vertrauen gegründetes
Verhältnis zu den Kindern aufbauen und pflegen. Nur
dadurch wird eine nachhaltige positive Erziehung und
Entwicklung zu vielseitigen und offenen Menschen erreicht, die auch über das Jugendalter hinaus negativen
Einflüssen und Anfechtungen besser widerstehen können.
Ich bin gleich fertig. - Deshalb ist es im Bereich der
neuen Medien wichtig, den Kindern und Jugendlichen
die Möglichkeit zu geben, sich damit umfassend vertraut
zu machen, sie vertrauensvoll auf Gefahren hinzuweisen
und nur dort, wo wirklich notwendig, Einschränkungen
durch Verbote vorzunehmen.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.
Okay.
({0})
Die CDU/CSU steht mit der Unterstützung des Bundesratsentwurfs weitgehend isoliert da. Ich fordere Sie auf:
Besinnen Sie sich!
Danke schön.
({1})
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Dörflinger
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich mit Blick auf das, was Kollegin Griese zu Beginn
ihres Beitrages gesagt hat, eine Vorbemerkung machen:
Ich glaube, es lohnt sich, einmal kritisch zu hinterfragen,
was sich vor dem Hintergrund des Irakkrieges gegenwärtig in den bundesdeutschen Medien abspielt.
({0})
Ich möchte hinzufügen: Nicht nur hinsichtlich der Wirkung auf Kinder und Heranwachsende, sondern auch
hinsichtlich der Wirkung auf Erwachsene sollten wir uns
kritisch die Frage stellen, ob - ich will es in einen kleinen und einfachen Satz fassen - nicht weniger oftmals
mehr wäre.
({1})
Auch wenn wir wenige Tage nach In-Kraft-Treten des
Jugendschutzänderungsgesetzes aufgrund einer Bundesratsinitiative über eine erneute Änderung diskutieren,
was vielleicht auf den ersten Blick anachronistisch erscheinen mag, ist es doch so - Herr Kollege, wenn Sie
die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz in ihrer Gänze zitiert hätten, dann
wären auch Sie auf diesen Punkt gestoßen -, dass auch
die BAG trotz der erfolgten Änderung und der Novellierung des Jugendschutzgesetzes beim Thema Jugendschutz durchaus Diskussionsbedarf einräumt.
Ich füge aber hinzu, dass die BAG die Auffassungen
der Union nicht in allen Punkten teilt. Auch wenn dieser
Gesetzentwurf - ich bin kein Prophet, aber davon gehe
ich aus - durch die Mehrheit der Koalition heute abgelehnt wird, sollte er doch Anlass sein, im Sinne der BAG
über den einen oder anderen Punkt noch einmal nachzudenken. Dabei muss nicht so sehr der Frage nachgegangen werden, ob der eine mit mehr oder der andere mit
weniger Verboten zum Erfolg kommt, sondern es muss
um die Frage gehen, ob das, was in der Novelle zum Jugendschutzgesetz vorgesehen ist, in der Praxis tauglich
ist. Diese Evaluierung sollte man nicht erst nach fünf
Jahren, sondern früher vornehmen. Dies gilt besonders
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich vor wenigen Tagen auf Anregung des thüringischen Ministerpräsidenten eine Initiative zum Thema Jugend- und Medienschutz gebildet hat. Auch das dokumentiert, dass es
bei diesem Thema noch Handlungsbedarf gibt.
({2})
Ist der Gesetzestext in allen Punkten praxistauglich?
Ich will vier Punkte nennen, in denen meiner Meinung
nach die Praxistauglichkeit nicht gewährleistet ist.
({3})
Erstens geht es um den Begriff der erziehungsbeauftragten Person. Bisher war im Jugendschutzgesetz vom
Erziehungsberechtigten die Rede. Das war klar. Der Begriff der erziehungsbeauftragten Person ist so klar nicht,
wenn Sie ihn nicht aus der Sicht desjenigen oder derjenigen sehen, der oder die sich damit beschäftigt, sondern
beispielsweise aus der Sicht eines Veranstalters oder eines Gewerbetreibenden. Auch diese Menschen müssen
mit diesem Rechtsbegriff im Gesetz umgehen und im
Zweifelsfall dafür geradestehen, wenn es zu einem Verstoß gegen das Jugendschutzgesetzt kommt, wofür sie
haftbar gemacht werden können.
Ich habe meine Zweifel - auch das steht in der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft zu diesem
Thema -, ob der Begriff der erziehungsbeauftragten Person tatsächlich praxistauglich ist. Meiner Meinung nach
ist er es selbst dann nicht, wenn, wie von Juristen angeführt wird, nicht nur eine mündliche, sondern eine
schriftliche Beauftragung vorliegt. Auch dann sehe ich
im Vollzug deutliche Defizite. Ich sage ganz klar: Solange wir keine bessere Lösung haben - ich wäre für
eine bessere Lösung, die sich tatsächlich als solche erwiese, durchaus offen -, müssen wir zunächst im Sinne
der Praxistauglichkeit bei der alten Lösung bleiben.
({4})
- Herr Kollege Tauss, ich weiß nicht, wovon Sie etwas
verstehen, aber ich weiß, dass Sie von dem Thema nichts
verstehen.
({5})
Es wäre für Sie, Ihre Fraktion und das Plenum des Deutschen Bundestags besser, wenn Ihre Unkenntnis nicht
auch noch im Protokoll dokumentiert würde.
Ich will einen zweiten Punkt nennen: das Elternprivileg. Wir haben in der Anhörung deutlich gemacht, dass
sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht grundsätzlich gegen die Parental Guidance stellt. Aber die Frage
ist auch hier: Ist es in der Praxis tauglich oder nicht? Sie,
Frau Griese, haben selber in Ihrem Beitrag die FSK-Altersklassifizierung angesprochen. Wir sind uns durchaus
einig, dass es sinnvoll wäre, die unterschiedlichen Entwicklungsstufen eines Kindes zwischen 6 und 12 Jahren,
die es zweifelsohne gibt, auch in der Altersdifferenzie3174
rung der FSK abzubilden, um so tatsächlich den Eltern
anschließend eine Handhabe für die Entscheidung zu geben, ob ein Film für ihren Sohn oder ihre Tochter geeignet ist oder nicht.
Wenn beispielsweise ein Sechsjähriger oder ein Siebenjähriger mit der Bitte zu seinen Eltern kommt, den
zweiten Teil des „Herrn der Ringe“ anschauen zu wollen, FSK ab 12, dann wäre ich als Vater in dieser Frage
überfordert,
({6})
weil ich den Film nicht kenne. Mit einer Altersdifferenzierung, die den Entwicklungsstufen des Kindes gerecht
wird, würde mir die Entscheidung wesentlich einfacher
fallen. Deswegen geht es auch in diesem Punkt um die
Praxistauglichkeit.
({7})
Beim dritten Punkt geht es auch um ein Problem, das
sich möglicherweise anschließend im Vollzug erweisen
wird. Wir wollen ein Verbot von Videoverleihautomaten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz unterstützt in ihrer Stellungnahme diese Forderung aus der einfachen Überlegung heraus, dass der
Jugendschutz und die Kontrolle der Abgabe von Videos
an Jugendliche natürlich innerhalb eines Ladengeschäftes wesentlich einfacher zu regeln ist als an einem Automaten, zu dem jeder anonym Zugang hat. Auch da stellt
sich die Frage: Wie sieht es anschließend mit der Haftung aus? Ist der Betreiber des Videoverleihautomaten
anschließend haftbar? Bei der Abgabe innerhalb eines
geschlossenen Ladengeschäftes ist die Frage eindeutig
zu beantworten. Es stellt sich also auch hier die Frage
nach der Praxistauglichkeit. Solange wir das nicht geklärt haben, plädieren wir für ein Verbot der Videoverleihautomaten.
({8})
- Herr Kollege Haupt, danke für den Zwischenruf.
Auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ist das bereits diskutiert worden. Es gab durchaus Unterstützung in den einzelnen Fraktionen für diesen
Vorschlag. Wir müssen dann beides tun. Wenn wir zu der
Überzeugung kommen, dass Zigarettenautomaten im Interesse von Kindern und Jugendlichen verboten werden
sollten, dann müssen wir das gleichfalls bei Videoverleihautomaten tun. Man kann nicht das eine tun und das
andere lassen.
({9})
Ein letzter Punkt: Ich habe erstaunlicherweise bei den
verschiedenen Beiträgen festgestellt, dass wir fraktionsübergreifend in diesem Punkt einen Konsens haben. Es
geht um die Darstellung von Kindern in unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung. Es gibt ein
deutliches Defizit im vorliegenden Gesetzentwurf, dem
wir durch die Bundesratsinitiative entgegenwirken wollen. Wir können uns lange über Presse- und Meinungsfreiheit und über die Freiheit der Kunst unterhalten. Als
ehemaliger Angehöriger dieser Berufsgruppe bin ich der
Letzte, der das kleinredet.
Aber der Gesetzgeber sollte beim Kinderschutz in der
Grauzone zwischen der Darstellung von Kindern in einer
unnatürlichen geschlechtsbetonten Körperhaltung und
der Kinderpornographie ganz eindeutig, klipp und klar
seinen Willen formulieren. Ich hätte mir gewünscht, dass
das in der Novelle zum Jugendschutzgesetz getan worden wäre. Aus unserer Sicht ist das nicht der Fall. Vielleicht bietet die heutige Debatte die Chance, nicht erst
nach Ablauf von fünf Jahren, sondern angesichts dessen,
was heute diskutiert worden ist, und angesichts dessen,
was die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz uns vorgelegt hat, schon in Bälde zu einer Überprüfung dieser gesetzlichen Bestimmungen in dem Sinne
zu kommen, dass wir mehr für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland tun.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes auf Drucksache 15/88. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt auf Drucksache 15/738, den Gesetzentwurf
abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
Damit entfällt die dritte Beratung.
Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt für den heutigen Tag, nämlich die Zusatzpunkte 7 bis 9, auf:
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas
Dörflinger, Siegfried Kauder ({0}),
Hans-Peter Repnik, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Rechtsverordnung nach der Luftverkehrsordnung umgehend erlassen - Rückübertragung
der Flugsicherung über süddeutschem Gebiet
- Drucksache 15/651 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Rehbock-Zureich, Reinhard Weis ({2}),
Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Volker
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Entlastung des süddeutschen Raumes vom
Fluglärm des Flughafens Zürich durchsetzen
- Drucksache 15/744 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Ernst Burgbacher, Horst Friedrich
({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Lärmschutz durch Rechtsverordnung über
süddeutschem Raum sichern - Flugsicherheit
gewährleisten
- Drucksache 15/755 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Beratung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich will es hier sehr deutlich sagen: Die
Bundesregierung bedauert das Scheitern des Staatsvertrags in der Schweiz.
({0})
Er wäre ein Kompromiss im gutnachbarlichen Sinne gewesen, der zu einer gerechten Verteilung der Belastungen geführt hätte, die vom Betrieb des Flughafens Zürich ausgehen.
Das schweizerische Parlament zwingt nun die deutsche Bundesregierung, ihre wiederholten Ankündigungen wahr zu machen und einseitig Maßnahmen im Interesse der süddeutschen Bevölkerung zu ergreifen. Die
Bundesregierung hat dabei immer betont, dass sie nicht
den Flughafen Zürich, sondern die Flüge über deutschem Gebiet einschränken will, um die Lasten gerecht
zu verteilen.
Unterstellt wird dabei allerdings, dass die Schweiz die
technischen Möglichkeiten auch tatsächlich ausschöpft,
die für einen Betrieb des Flughafens Zürich denkbar
sind. Nicht akzeptiert werden kann, dass die Schweiz
technisch machbare Lösungen nur deshalb nicht umsetzt,
weil sie ihre eigene Bevölkerung schützen will.
({1})
Meine Damen und Herren von der Opposition, ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie die Haltung und das Vorgehen der Bundesregierung mit Ihrem Entschließungsantrag unterstützen wollen. Das spricht übrigens für Ihre
Lernfähigkeit; denn zu Ihrer Regierungszeit haben Sie
sich herzlich wenig um die Belange der süddeutschen
Bevölkerung gekümmert.
({2})
Aber Ihr guter Wille allein reicht nicht; denn dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion fehlt das gebotene Augenmaß in puncto Realisierbarkeit. Die darin geforderten
Maßnahmen sind zum Teil auch technisch in sich widersprüchlich. Sie fordern zum Beispiel, dass Warteverfahren nur über schweizerischem Gebiet erfolgen dürften, aus ihnen heraus aber nicht über deutsches Gebiet
angeflogen werden dürfte. Es gibt jedoch keine dementsprechenden Anflugverfahren auf die Pisten 14 und 16,
die den Kriterien der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation entsprechen würden. Gleiches gilt für die Forderungen der Landräte der Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz, auf die die FDP in ihrem
Antrag verweist.
Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen - wie sollte es auch anders sein? - ist
demgegenüber auch im Hinblick auf die tatsächliche
Durchsetzbarkeit der Maßnahmen sauber formuliert.
({3})
Zudem enthält er wichtige Elemente wie Genehmigungsverfahren für die viel diskutierten Ausnahmen von
den Flugbeschränkungen und die Überwachung der Einhaltung der Flugbeschränkungen, die ich in den anderen
Anträgen schmerzlich vermisse.
Die Bundesregierung handelt, sie wird die Interessen
der süddeutschen Bevölkerung wirksam schützen und
für eine angemessene Verteilung der Belastungen sorgen. Damit die im Sinne einer weit reichenden Reduzierung zwingend notwendigen technischen Voraussetzungen am Flughafen Zürich geschaffen werden können,
werden der Schweizer Seite kurze Übergangsfristen eingeräumt.
Die Umsetzung erfolgt deshalb in zwei Stufen: In einer ersten Stufe wollen wir die Flugbewegungen zunächst auf unter 110 000 reduzieren. Die Verordnung,
die wir dazu erlassen, tritt am 17. April in Kraft. Mit dieser Verordnung werden folgende Maßnahmen sofort
wirksam: Die Nachtflugbeschränkungen werden wochentags abends und morgens um jeweils eine Stunde
auf 21 bis 7 Uhr Ortszeit ausgedehnt. Die Überflughöhen und Wartehöhen werden von 21 bis 7 Uhr auf
Flugfläche 120 - das sind circa 3 600 Meter über Nor3176
malnull - bzw. Flugfläche 180 - das sind circa
5 400 Meter über Normalnull - angehoben. Um den Betrieb am Flughafen nicht einschränken zu müssen, wird
sich der Flughafen für Landeanflüge von Osten und Süden öffnen müssen.
Wir wollen auch die derzeit gültigen Ausnahmeregelungen weiter einschränken. Die entsprechenden Maßnahmen sind bereits in der Verordnung enthalten und treten zum 10. Juli dieses Jahres in Kraft.
Die zweite Stufe greift nach einem Jahr mit einer
neuen Verordnung und reduziert die Flugbewegungen
dann weiter auf unter 80 000. Mit diesen konkreten
Maßnahmen werden die Interessen der süddeutschen Bevölkerung wirkungsvoll geschützt.
({4})
Lassen Sie mich noch etwas zu der Wahrnehmung der
Flugsicherung im Grenzgebiet anmerken. Aus flugsicherungsfachlicher Sicht ist dort die gegenwärtige Aufgabenteilung zwischen der deutschen und der schweizerischen Flugsicherung optimal. Aber ohne einen
Staatsvertrag fehlt hierfür die Rechtsgrundlage. Eine
fachlich gleichwertige Lösung wäre gegeben, wenn jetzt
die deutsche Flugsicherung 50 Jahre lang den schweizerischen Luftraum kontrollieren würde.
({5})
An diese Lösung will aber die Schweiz aus Gründen der
Souveränität nicht herangehen. Sie misst auch hierbei
mit zweierlei Maß. Wenn wir das Lärmproblem im Griff
haben, werden wir aber auch zu diesem Komplex geeignete Lösungen finden. Wir sind es der süddeutschen Bevölkerung schuldig, dass wir schnell wirkende Maßnahmen ergreifen, die zu einer gerechten Verteilung der
Lasten führen.
({6})
Ich betone noch einmal: Uns wäre ein Staatsvertrag sehr
viel lieber gewesen. Dass er nicht zustande gekommen
ist, hat nicht an uns gelegen. Jetzt müssen wir aber handeln.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Dörflinger
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie
mir eine kleine Bemerkung zu den auch eben wieder unternommenen Ausflügen in die politische Geschichte,
Frau Staatssekretärin.
({0})
Es wäre sinnvoll, bei Ihrer Suche in den Archiven der
Ministerien auch einen Blick in das Archiv des Bundeskanzleramts zu werfen und nachzulesen, wie sich der damalige Staatsminister im Bundeskanzleramt, Gunter
Huonker, zwischen 1980 und 1982 zu der geplanten Erweiterung der Pisten beim Flughafen Zürich-Kloten geäußert hat. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen!
({1})
Die heute vorliegenden Anträge unterscheiden sich in
vier zentralen Punkten, die aus unserer Sicht auch in der
angekündigten Rechtsverordnung nicht im ausreichenden Maße geregelt sind und auf die ich an dieser Stelle
näher eingehen möchte.
Erstens. Wir plädieren für eine sehr strenge Definition
und Regelung der Ausnahmetatbestände. Es geht nicht
an, dass die Festlegung, ob schlechtes oder gutes Wetter
herrscht, der Definitionshoheit der Flughafenbetreiberin
überlassen wird. Die im Staatsvertrag getroffenen Regelungen, die im Vorgriff auf das In-Kraft-Treten des
Staatsvertrages bereits zur Anwendung kamen, hatten zu
dem Zeitpunkt, als die Ausnahmetatbestände in Kraft
traten, einen schlagartigen Anstieg von Flugbewegungen
zur Folge, die sich auf die Ausnahmen beriefen. Dies
geht aus einer Übersicht hervor, die aus Quellen des Unique Airport Zürich und der Bürgerinitiative aus dem
Kreis Konstanz stammt. Das heißt, so stringent, wie Sie
meinen, können die im Staatsvertrag vorgesehenen Regelungen nicht gewesen sein. Deswegen sollten die in
der Rechtsverordnung festgelegten Regelungen effizienter sein als bisher.
Zweitens. Sie haben es zum Ende Ihrer Rede bereits
angesprochen, Frau Staatssekretärin. Nach meiner
Kenntnis bezieht sich die Rechtsverordnung an keiner
Stelle auf die Frage der Luftverkehrskontrolle. Aus
verfassungsrechtlichen Gründen ist es zwingend notwendig - darauf haben Sie hingewiesen; darin sind wir
uns auch einig -, in dieser Frage eine Regelung zu finden. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Gelegenheit
genutzt hätten, per Rechtsverordnung eine entsprechende Regelung zu treffen, statt in einer verfassungsrechtlich bedenklichen Situation die Dinge auf die lange
Bank zu schieben. Dahinter steht nicht nur die verfassungsrechtliche Diskussion, sondern angesichts der Ereignisse im Raum Überlingen und des einen oder anderen Fastzusammenstoßes geht es auch um die Sicherheit
der Bevölkerung in diesem Landstrich wie auch der Passagiere in den Flugzeugen, die Zürich-Kloten anfliegen.
Es hat mich sehr befremdet - das sage ich Ihnen in aller
Offenheit, Frau Staatssekretärin -, dass Sie vorhin die
Praxis der Flugsicherung in Südwestdeutschland
als - ich werde das im Protokoll genau nachlesen - optimal bezeichnet haben. Aus meiner Sicht und aus der der
betroffenen Bevölkerung ist die Praxis alles andere als
optimal.
({2})
Ich möchte noch einen dritten Punkt ansprechen. Leider wird in der Rechtsverordnung auch keine Aussage zu
den Warteräumen getroffen. Natürlich ist uns klar, dass
ein Flughafen wie Zürich-Kloten, der beispielsweise
auch von Norden angeflogen wird, logischerweise einen
Warteraum im Norden haben muss. Es kann nicht sein,
dass aus vier Himmelsrichtungen angeflogen wird, dass
die Flugzeuge aber alle notwendigen Warteschleifen
über Donaueschingen drehen, also im Norden des Flughafens Zürich-Kloten. Deswegen sagen wir: Die Flughafenbetreiberin ist in der Pflicht, eine Regelung betreffend
die Verlegung von Warteräumen in den Umkreis von Zürich-Kloten zu treffen, die erstens den Südanflug möglich macht und die zweitens sicherstellt, dass die notwendigen Warteräume im Süden des Flughafens genutzt
und betrieben werden können.
Ich möchte einen vierten Punkt ansprechen, auf den
Sie leider überhaupt nicht eingegangen sind. Es geht
nicht nur um die Anflüge auf Zürich-Kloten, sondern
auch um die Abflüge. Wenn Sie sich einmal vor Augen
führen, dass die Flugzeuge, die nach Norden abfliegen,
drei nautische Meilen vor der Grenze abdrehen und dass
der Lärm und die sonstigen Emissionen anschließend an
den Hängen des Südschwarzwaldes abprallen, wo es
eine der prädestiniertesten Ferienregionen in Deutschland gibt, dann werden Sie mir sicherlich zustimmen,
dass es nicht in unserem Interesse sein kann, dass wir
diese Praxis durch Nichtberücksichtigung in der Rechtsverordnung zwar nicht fortschreiben, aber quasi sanktionieren. Hier herrscht eindeutig Nachholbedarf.
({3})
- Herr Kollege, unser Antrag auf Drucksache 15/651
liegt vor. Dort können Sie alle unsere Positionen nachlesen, die wir in Bezug auf die angekündigte Rechtsverordnung vertreten.
Wir wissen uns in dem, was wir in unserem Antrag
formuliert haben, einig mit den Landkreisen Waldshut,
Schwarzwald-Baar und Konstanz, mit den Mehrheiten in
den dortigen Kreistagen und mit den fast einstimmig gefassten Beschlüssen der betroffenen Gemeinden wie beispielsweise denen der in meinem Wahlkreis liegenden
Gemeinden Hohentengen und Klettgau.
({4})
Frau Kollegin, nur als Hinweis: Die Gemeinde Klettgau
hat einen Bürgermeister, der der SPD angehört. Wir wissen uns auch mit den Bürgerinitiativen in diesen drei
Landkreisen einig.
Wir halten unseren Antrag für zielführender und weitergehender. Demzufolge bitten wir um Zustimmung.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben
soeben sozusagen die lautstarke Trompete des Bürgerprotestes eines Vorzeigemusikanten aus dem südwestdeutschen Raum gehört. Er hat sie durchaus kundig gespielt. Ich halte allerdings fest, dass die CDU/CSU heute
offensichtlich die Jungen voranschickt, während die Altvorderen, die über Jahrzehnte Verantwortung hatten, als
sie noch auf der Regierungsbank saßen, heute nicht anwesend sind.
({0})
Wir müssen uns heute auch ein bisschen mit der Geschichte der Bekämpfung des Fluglärms im südwestdeutschen Raum befassen. Ich kann Ihnen - Sie selber
haben auf die Geschichte zurückgegriffen; auch wir haben nachgeschaut - das nicht ersparen. Sie haben 1984,
als die CDU an der Regierung war, eine unverbindliche
Verwaltungsvereinbarung in Kraft gesetzt und sie
14 Jahre lang gegen alle stürmischen Proteste als das
Nonplusultra des Fluglärmschutzes im südwestdeutschen Raum verteidigt. Als Sie 1998 sozusagen auf der
Oppositionslandebahn 30 plus x gelandet sind, haben
Sie, nachdem wir das gefordert haben, die Notwendigkeit eines Staatsvertrages festgestellt. Als wir einen
Staatsvertrag ins Spiel gebracht haben, hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vertrages angezweifelt und hat
mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Mithilfe von Hessen haben Sie im Bundesrat den
Staatsvertrag, der zweifellos eine Verbesserung gebracht
hätte - für alle Beteiligten in dieser Region, vor allen
Dingen auch für die Bürgerinnen und Bürger im südwestdeutschen Raum -, in den Vermittlungsausschuss
geschoben und damit gewissermaßen abgewiesen. Man
fragt sich: Warum muss Hessen eigentlich Interessen der
Bürger in Südwestdeutschland vertreten?
({1})
Gibt es etwa Konkurrenzinteressen mit Flughäfen in
Hessen? Wie ich finde - dieser Eindruck drängt sich auf,
wenn man die Geschichte Ihres Protestes anschaut -, haben Sie ständig nach wechselnden Notenblättern getutet
und eigentlich keine klare Linie gehabt.
({2})
Rot-Grün hat dieses Problem ab 1999 konsequent angepackt. Wir haben gesagt: Wir wollen eine faire Lösung mit der Schweiz finden, weil wir anerkennen, dass
dieser Flughafen auch für die Bürgerinnen und Bürger
im südwestdeutschen Raum eine Funktion hat. Aber die
Lasten müssen fair verteilt werden. Es kann nicht sein,
dass der Fluglärm auf Deutschland abgeladen wird, wäh3178
rend das Geschäft in der Schweiz gemacht wird. Weil
wir die Schweiz lieben und sie als Partner schätzen,
wollten wir diese faire Lösung. Aber klar musste sein:
weniger Fluglärm für die deutschen Anwohner, klare
Regeln - damit nicht immer zuungunsten der Deutschen
entschieden wird - und eine faire Lastenverteilung.
Wir haben von Anfang an gesagt: Wenn es diesen
Staatsvertrag gibt, dann wollen wir auch eine deutliche
Absenkung der Zahl der Flugbewegungen festschreiben.
All dies haben wir vorgetragen und in den Staatsvertrag
eingebracht. Wie ich finde, hatten wir mit der Schweiz
einen außerordentlich fairen Kompromiss ausgehandelt.
Ich sage Ihnen ganz offen: Für uns Grüne war es hart, zu
diesem Kompromiss zu stehen, weil er den Schweizer
Bedürfnissen eigentlich weit entgegengekommen ist.
({3})
Wir haben zugestimmt, im Interesse einer guten
Nachbarschaft. Die Schweiz dagegen hat das in ihren
Parlamenten, im Ständerat und im Nationalrat, mit gewisser Arroganz einfach abgelehnt - obwohl es ein mehr
als faires Angebot war. Als im letzten Sommer erkennbar war, dass eine Vereinbarung scheitert, haben wir
Grünen sofort gesagt: Lasst uns einen anderen Weg beschreiten. Wir können das im Wege einer Rechtsverordnung machen. Dann ist das dort klar und eindeutig geregelt, wenn auch vielleicht etwas mehr zugunsten der
deutschen Anwohner und etwas mehr zulasten der
Schweizer Bevölkerung.
({4})
Diese Regelung war zweifellos notwendig. Dazu
hätte es aber nicht kommen müssen, wenn die Schweiz
kulanter gewesen wäre. Wie schon zu Recht gesagt
wurde, hat sich die Schweiz aber schon in der Übergangsphase, als das eine oder andere Neue ausprobiert
wurde, an keine Absprachen gehalten. Das hat das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in eine solche Regelung nachhaltig erschüttert. Von daher war uns klar:
Irgendwann müssen wir handeln. - Jetzt haben wir gehandelt: Wir haben einen Antrag eingebracht, der die
Rechtsverordnung klar umreißt und deutlich macht, um
was es uns geht.
Unsere Ziele: Wir wollen eine wirkungsvolle Regelung, insbesondere eine deutliche Absenkung der Zahl
der Flugbewegungen, eine Ausweitung der Ruhezeiten
- abends, am Wochenende und an Feiertagen - und eine
sukzessive Überführung der Warteräume auf das
Schweizer Gebiet. All diese Regelungen sollen nicht nur
auf dem Papier stehen - um dann unterlaufen zu werden -, sondern müssen nachvollziehbar sein, überprüft
werden können und gegebenenfalls auch sanktioniert
werden, wenn gegen sie verstoßen wird.
Wir werden heute sicherlich auch noch einen Vertreter der FDP hören, der sich eindeutig für den Lärmschutz ausspricht. Ich bin froh, dass wir im Hause bei
diesem Thema einen großen Konsens haben, dass wir etwas gegen den Fluglärm von diesem Schweizer Flughafen tun müssen. Ich hoffe sehr, dass dieser Konsens, den
wir heute feststellen, auch dann deutlich wird, wenn wir
das Fluglärmgesetz novellieren und neue Lärmgrenzwerte über deutschen Flughäfen festschreiben. Ich bin
gespannt, ob Sie auch dann vorne dabei sind
({5})
und mit uns auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger
kämpfen oder ob Sie dann plötzlich wirtschaftliche Argumente finden, mit denen Sie begründen wollen, warum das alles nicht möglich ist.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Hermann, manche Ihrer
Worte höre ich mit Staunen. Angesichts Ihrer Rede
drängt sich mir schon die Frage auf: Was ist eigentlich
aus den Grünen geworden?
({0})
Für all jene, die die Debatte verfolgen und die Materie
nicht so genau kennen, möchte ich noch einmal klar sagen: Es geht hier nicht darum, dem Sankt-Florian-Prinzip zur Durchsetzung zu verhelfen, überhaupt nicht!
Vielmehr geht es darum, dass die Lasten des Flughafens
Zürich, der für diesen Raum - wie Sie richtig sagen eine wirtschaftliche Bedeutung hat, gerecht verteilt werden. Mit der Lösung dieses Problems setzen wir uns
ebenso wie die Betroffenen auseinander.
Ich möchte an dieser Stelle den zahlreichen Kommunalpolitikern, den Bürgermeistern und auch den Bürgerinitiativen ausdrücklich danken. Sie haben äußerst verantwortlich gehandelt und nicht nur abgeblockt, sondern
auch konstruktive Verbesserungsvorschläge gemacht.
Insbesondere möchte ich den Landräten der betroffenen
Kreise, Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz,
danken. Sie haben uns Abgeordnete immer auf dem Laufenden gehalten und mit guten Vorschlägen unterstützt.
Zwei Bereiche sind wichtig.
Erstens: die Flugsicherungskontrolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der Union, ich warne ein
bisschen vor der Umsetzung Ihrer Forderung, die Flugverkehrskontrolle in die deutsche Verantwortung zurückzuführen. Wir bevorzugen einen anderen Weg. Wir wollen alles tun, damit sich die Flugsicherungskontrolle an
der Vorstellung eines Single European Sky, also eines
europäischen Luftraums, orientiert. Dabei geht es nicht
um nationale Grenzen, sondern um Flugströme, die berücksichtigt werden müssen. Wir sollten ganz schnell damit anfangen, die Flugsicherungskontrolle stärker auf
die Sicherheit unserer Passagiere auszurichten.
({1})
Zweitens. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Regierungsfraktionen, liebe Frau Staatssekretärin, wir
brauchen umgehend eine Rechtsverordnung.
({2})
Der derzeitige Zustand darf nicht anhalten. Ich betone:
Es geht uns einzig und allein um eine gerechte Verteilung.
({3})
Mir stehen nur etwa drei Minuten Redezeit zur Verfügung. Das entspricht etwa der Ruhezeit, die viele Menschen im süddeutschen Raum zwischen zwei Flügen haben. Viel länger ist es oft nicht. Ich will mich auf drei
Punkte beschränken.
Erstens. Angesichts der Topographie im süddeutschen
Raum - es gibt Berge, die sind über 1 000 Meter hoch darf die Flugfläche für Anflüge nicht 100, sondern sie
muss 150 betragen. Insbesondere der Raum, wo der Tourismus Wirtschaftsfaktor Nummer eins ist, leidet unter
diesem Lärm ganz besonders. Das können wir nicht hinnehmen.
({4})
Zweitens. Das Warteverfahren für den Flughafen
Zürich - Kollege Dörflinger hat es schon gesagt - darf
künftig nur über Schweizer Gebiet stattfinden. Von dieser Forderung werden wir nicht abrücken. Die Regelung
dieses Warteverfahrens muss so im Staatsvertrag stehen.
({5})
Drittens. Landeanflüge über deutschem Hoheitsgebiet dürfen wochentags zwischen 21 Uhr und 7 Uhr, von
Freitag 21 Uhr bis Montag 7 Uhr, und an deutschen Feiertagen von 7 Uhr bis 21 Uhr nicht stattfinden.
Diese drei Punkte müssen wir zum Wohle der betroffenen Bevölkerung im Staatsvertrag regeln.
({6})
Wenn Sie das nicht umsetzen, dann werden Sie unsere
Unterstützung nicht bekommen.
({7})
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Rehbock-Zureich von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Burgbacher, Herr Dörflinger, ich hätte mir natürlich
schon gewünscht, dass in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit ein Antrag gestellt worden wäre, der den berechtigten Interessen der Bevölkerung in den betroffenen
Landkreisen entsprochen hätte.
({0})
- Herr Burgbacher, das tun wir. Diese Verordnung ist ein
Schritt nach vorne.
Hier muss einmal gesagt werden, warum wir heute an
diesem Punkt stehen. Es wäre vielleicht besser gewesen,
wenn wir vor zehn Jahren an diesem Punkt gestanden
hätten.
({1})
Bis zum Jahr 1998 ist in diesem Bereich nichts geschehen. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die sich dieses Problems angenommen hat und die versucht hat, eine
einvernehmliche Lösung mit der Schweiz in Form eines
Staatsvertrages zu finden. Diesen hat das Schweizer Parlament abgelehnt.
({2})
Momentan stellt sich die Situation so dar, dass die Nutzung dieses Luftraumes durch eine einseitige Verordnung geregelt wird.
Ich möchte Ihnen, Herr Burgbacher, noch einmal die
Inhalte der Verordnung und die Vorstellungen der SPDFraktion zur Entlastung der Region darstellen. Ich stelle
mit Vergnügen fest, dass auch Sie das fordern, was die
Staatssekretärin vorhin genannt hat. Insofern gibt es in
manchen Punkten einen Konsens. Was manch andere
Punkte angeht, kann ich mich bloß wundern.
Ich möchte Ihnen die wichtigsten Eckwerte der Verordnung darstellen:
Es geht um eine substanzielle Reduzierung der Zahl
der Überflüge. In Schritten soll eine Zahl von unter
80 000 erreicht werden. Wenn weiteres Reduzierungspotenzial vorhanden ist, werden wir auch das einfordern.
Wir haben eine gerichtsfeste Lösung im Staatsvertrag
gehabt. Herr Dörflinger, angesichts dessen wundere ich
mich, dass Sie jetzt fordern, die Zahl der Überflüge in einer anderen Größenordnung zu reduzieren und völlige
Sonntagsruhe durchzusetzen. Das geht zulasten der Region. Die Forderung nach völliger Sonntagsruhe, die Sie
hier einbringen, ist sicherlich keine Forderung, die gerichtsfest werden kann, sondern eine populistische Forderung.
({3})
Sie gefährden damit die Gerichtsfestigkeit der Verordnung. Sie wissen, dass der Flughafen Kloten auf jeden
Fall die Gerichte bemühen wird.
({4})
- Das betraf den Staatsvertrag; die jetzt vorgesehene Regelung ist gerichtsfest.
({5})
Wenn man sich weit von dieser Grundlage entfernt, gefährdet man die Entlastung der Region, Herr Kauder.
({6})
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausnahmeregelung. Da sind wir mit der Entwicklung in der Region in
den letzten Monaten in keiner Weise zufrieden gewesen.
({7})
Hier muss und wird es eine Veränderung geben. Ausnahmen müssen vorher angemeldet werden. Sie werden
dann anders kontrolliert. Ganz wichtig ist - der Kollege
Hermann hat schon darauf hingewiesen -: Es wird auch
Sanktionen geben. Wir fordern ein, dass das in die Verordnung aufgenommen wird, damit die Ausnahmeregelungen auch eingehalten werden.
({8})
Die Anhebung der Mindestwartehöhen wird dazu führen, dass Warteräume in die Schweiz verlegt werden
müssen, und das ist richtig. Infolgedessen werden auch
die Anflugverfahren der Schweiz verändert werden müssen, und zwar so, dass Warteräume - sie sind dringend
notwendig - über Schweizer Gebiet sind. Der Weg geht
also dahin, Warteräume auf das Gebiet der Schweiz zu
verlegen.
Ein wichtiger Punkt in der Verordnung muss die
Flugsicherung sein. Herr Burgbacher, wir freuen uns,
dass auch Sie die Flugsicherheit als oberstes Prinzip sehen. Da haben Sie unsere Unterstützung. Die Flugsicherheit muss in der Tat bei allen Entwicklungen der Flugsicherung oberstes Prinzip sein. Ich stelle mir das so vor,
dass man entweder gemeinsame Lösungen findet oder
die Deutschen die Flugsicherung übernehmen. Sollte es
aber dazu kommen, dass die Schweizer die Flugsicherung weiterführen, dann geht das aus unserer Sicht nur
bei deutscher Kontrolle, Sicherung der Flugverfahren
und Einhaltung der Flugwarteräume.
Ich muss die FDP fragen, was nun eigentlich Sache
ist. Sie von FDP und CDU/CSU sprechen hier mit völlig
unterschiedlichen Stimmen. Der FDP-Wirtschaftsminister Döring verkündet vor Ort: Nun müssen wir weitere
Geheimverhandlungen aufnehmen, um wieder zu einem
ordentlichen Verhältnis zur Schweiz zu kommen.
({9})
Das kann es ja wohl nicht sein.
({10})
- Der Bundeskanzler hat das nicht gesagt. Der Herr
Couchepin hat das in der Schweiz verkündet.
({11})
Er hätte das gern. Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens, Herr Kauder. Wir wollen hier mal bei der
Wahrheit bleiben und nicht immer Halbwahrheiten verkünden.
({12})
- Genau! Es war der Herr Couchepin, der das gern hätte.
Der Bundeskanzler hat das ans Fachministerium zurückverwiesen.
({13})
Herr Couchepin hat sich vor der Presse nicht gemeinsam
mit dem Bundeskanzler geäußert und das ist ja ganz interessant.
Auch Sie in der CDU/CSU sprechen mit unterschiedlichen Stimmen. So spricht der Ministerpräsident Teufel
von 80 000 Anflügen pro Jahr, während Sie in Ihrem
Antrag eine Begrenzung auf 60 000 fordern.
({14})
Da lobt die FDP die Landräte. Es ist ja wunderbar, dass
Sie die Landräte loben, aber der Vorsitzende Ihrer Landtagsfraktion, der Herr Pfister, äußert sich folgendermaßen: Diese Probleme können auf Landkreisebene und
von den Landräten überhaupt nicht gelöst werden.
({15})
Die Ansätze von CDU/CSU und FDP sind einfach
populistisch und haben mit einer sachorientierten Lösung wenig zu tun; daran hatten Sie ja auch die vergangenen 16 Jahre wenig Interesse. Sie haben hier Chancen
verstreichen lassen und sind Ihrer Verantwortung auch in
der Vergangenheit nicht gerecht geworden. Auch jetzt
handeln Sie, Herr Dörflinger, nicht verantwortlich, indem Sie Werte in Ihren Antrag schreiben, die möglicherweise einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten können. Ich möchte wissen, wie dies in der Region bewertet
wird.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie
sind schon weit über der Zeit.
Ich komme zum letzten Satz. - Ich bitte Sie: Stimmen
Sie unserem Antrag zu, dann sind wir auf der sicheren
Seite und erreichen eine Entlastung für die Region.
Vielen Dank.
({0})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
und am heutigen Tage gebe ich das Wort dem Kollegen
Siegfried Kauder von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage es einer Dame ungern,
({0})
aber ich muss es heute tun: Frau Staatssekretärin, mit
borniertem Gerede werden Sie den Menschen im süddeutschen Raum nicht helfen können.
({1})
Es war nichts anderes als borniert, zu sagen, wir von der
CDU/CSU hätten keine konkreten Vorschläge gebracht.
Anscheinend haben Sie unseren Antrag nicht gelesen.
Sie von SPD und Grünen versuchen in der Tat, ein Vorhaben gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen;
das wird sie sich nicht gefallen lassen.
({2})
- Erzählen Sie mir nichts von diesen 16 Jahren, Frau
Kollegin Rehbock-Zureich. Sie wissen genauso gut wie
ich, dass es den Warteraum RILAX erst seit dem 18. Mai
2000 gibt.
({3})
Man muss mit Ihnen, Frau Kollegin RehbockZureich, Deutsch reden, damit die Bevölkerung im süddeutschen Raum begreift, was Sie möchten. Sie haben
sich in einem Zeitungsartikel folgendermaßen geäußert:
Man wolle, dass die Warteräume SAFFA und EKRIT in
die Schweiz verlegt werden. Sie wissen ganz genau, dass
es dann nur noch einen Warteraum RILAX über dem
Schwarzwald-Baar-Kreis gibt.
({4})
Wenn Sie es so gesagt haben, wie es in der Presse steht,
dann wiederholen Sie das doch heute auch hier. Das bedeutet nämlich, dass SAFFA und EKRIT in die Schweiz
verlegt werden, RILAX sich aber weiterhin über dem
Schwarzwald-Baar-Kreis befindet. Damit werden die
Menschen dort noch mehr als bisher belastet. Wir werden nicht zulassen, dass Rot-Grün Politik zum Nachteil
der Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis macht.
({5})
Meine Damen und Herren, man muss auch über den
Umgang der Bundesregierung mit den vom Fluglärm betroffenen Bürgern reden. Die Bürger haben gegen die
Einrichtung des Warteraums RILAX vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim geklagt. Die Bundesregierung hat vortragen lassen, dass diese Klage unzulässig
sei, weil die Bürger im Schwarzwald-Baar-Kreis keine
Angrenzer an den Kanton Zürich seien und deswegen in
ihren Rechten nicht betroffen sein könnten. Diesen Prozess hat die Bundesregierung mit Pauken und Trompeten
verloren, und zwar nicht nur deshalb, weil die Bürger
nicht angehört wurden, sondern auch, weil öffentliche
Belange gegen private nicht hinreichend abgewogen
worden sind. Auch das muss man den Menschen noch
sagen: Die Bundesregierung hat auf diesen verlorenen
Prozess mit der Einlegung von Rechtsmitteln reagiert,
statt zu erklären, dass es ihr Leid tue, betroffene Bürger
nicht angehört zu haben.
In der gleichen Situation befinden wir uns heute wieder. Die SPD bringt einen wachsweichen Antrag. Wie
nachher die Rechtsverordnung aussehen soll, wissen wir
bis heute nicht, ebenso wenig wann Sie die Bürger in
diesem Verfahren, das zu einer Rechtsverordnung führen
soll, anhören wollen, um deren Interessen zu berücksichtigen.
({6})
Herr Kollege Kauder, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rehbock-Zureich?
Bitte schön.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Herr Kollege Kauder, ich komme auf den Rechtsspruch für den Warteraum RILAX zurück. Wissen Sie
eigentlich, dass es darum ging, zwei verschiedene Urteile zu bewerten - ein Urteil im Norden Deutschlands,
wo dasselbe Verfahren angewandt wurde und ein
Gerichtsurteil bestätigt hat, dass das rechtens sei, und
das Urteil zum Warteraum RILAX im Süden Deutschlands, wo das Verfahren der Einbindung der Kommune
bemängelt wurde -, damit in Deutschland Rechtssicherheit besteht?
Frau Kollegin Rehbock-Zureich, ich verstehe Ihre
Frage nicht. Sie weichen dem Problem aus,
({0})
dass die Bundesregierung in einem Rechtsstreit, in dem
sich Bürger ihr Recht erkämpfen mussten, vortragen
lässt, sie hätten nicht einmal ein Rechtsschutzbedürfnis.
Das ist der Umgang der Bundesregierung mit den Bürgern; das ist die Informationspolitik, wie Sie sie auch
jetzt wieder pflegen.
Meine Damen und Herren, man braucht sich nur die
Argumente zu Eigen zu machen, die aus der Schweiz
kommen. Andreas Heiter - vielen nicht bekannt -, der
Flugsicherungsleiter im Tower in Zürich, hat bei einem
Besuch der Bürgerinitiative am 19. Juni 2001 erklärt, er
brauche RILAX nicht; er sei froh, wenn es RILAX nicht
gegeben hätte, denn dann hätte man die Probleme nicht.
Das sagt ein zuständiger Beamter in der Schweiz. Das
unterstützt unsere Forderung, Warteräume in die
Schweiz zu verlegen und sie nicht auf deutschem Gebiet
zu lassen.
({1})
Ebenso kann man den Verkehrsminister aus der
Schweiz, Herrn Moritz Leuenberger, zitieren, der am
18. Juni 2001 in der Sitzung des Ständerates Folgendes
zu den Warteräumen über Deutschland gesagt hat: Wäre
ich in Deutschland, hätte ich die Warteräume abgeschafft. Sie haben sie jetzt noch.
({2})
Sie sehen also, dass Schweizer Vertreter die Interessen der Deutschen besser artikulieren können, als die
deutsche Bundesregierung es tut.
Ich darf auch zitieren, was der damalige Staatssekretär Stephan Hilsberg in einem Brief an Kollegen
Dörflinger geschrieben hat: Für den Fall, dass der Ständerat den Staatsvertrag ebenfalls ablehnt, ist die DFS,
die Deutsche Flugsicherung, bereits angewiesen, eine
Rechtsverordnung vorzubereiten, die binnen sechs Monaten in Kraft treten sollte.
({3})
- Sie sind im Verzug, Frau Kollegin Rehbock-Zureich.
Jetzt haben wir den 4. April 2003.
({4})
Am 17. April soll die Rechtsverordnung in Kraft treten
und der Bürger weiß heute noch nicht, mit welchem Inhalt sie ergehen soll. Das ist Ihre U-Boot-Politik, die die
Bürger sich nicht gefallen lassen.
Lesen Sie sich bitte einmal Ihren völlig unkonkreten
Antrag durch, mit dem Sie die Bedürfnisse der Bürger
im Schwarzwald-Baar-Kreis zu befriedigen glauben. Da
sagen Sie beispielsweise, in den Ruhezeiten sollen die
Überflughöhen angehoben werden. Die Schweizer haben bisher erklärt, solche Überflughöhen seien nicht
möglich, weil dann der Landewinkel zu groß werde.
Aber wenn diese größeren Überflughöhen in Ruhezeiten
möglich sind, warum sollen sie dann nicht auch in den
übrigen Zeiten gelten? Das heißt, Sie werfen Nebelkerzen in die Bevölkerung, während Sie genau wissen, dass
Sie den Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis und im
süddeutschen Raum damit nicht dienen.
Die Menschen haben einen Anspruch auf Ruhe.
Schauen Sie sich einmal die Einflugskizzen an. Es kann
doch nicht sein, dass Maschinen aus dem Süden, aus
Neapel, Rom oder Mailand, die Zürich anfliegen, an Zürich vorbeifliegen, in 75 Kilometer Entfernung einen
großen Bogen drehen und an der schweizerisch-deutschen Grenze unser Gebiet überfliegen. Das ist technisch
auch nicht notwendig - auch das muss man Ihnen einmal
sagen, Frau Kollegin Rehbock-Zureich -, denn es gibt
noch einen weiteren Warteraum: RAPEX. RAPEX ist
der Warteraum über Rapperswil. Warum ist dieser
Warteraum ausgedünnt? - Weil es inzwischen den Warteraum RILAX über dem süddeutschen Raum gibt. Das
heißt, die Schweizer entlasten ihre Goldküste am Zürichsee. Den Begriff „Goldküste“ dürfen wir Deutschen verwenden, weil er nicht von uns stammt, sondern von der
„Neuen Zürcher Zeitung“.
Deswegen müssen wir die Schweiz mit einer Rechtsverordnung in die Pflicht nehmen, die Hand und Fuß hat
und nicht so wachsweich ist, wie Sie es wieder versuchen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/651, 15/744 sowie 15/755 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. April 2003, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.