Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/4/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes ({0}) - Drucksache 15/743 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel, das Wort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Neuordnung der Förderbanken beschäftigt uns, wie Sie wissen, schon geraume Zeit. Ich bin sicher, dass der vorliegende Gesetzentwurf eine gute Lösung zur weiteren Verbesserung der Förderung von Existenzgründungen und des Mittelstandes darstellt. Mit dem Gesetz verfolgen wir zwei Zielsetzungen: zum einen die Verwirklichung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Zusammenführung der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank, zum anderen die Umsetzung der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 27. März vergangenen Jahres zur Anstaltslast und Gewährträgerhaftung im Bereich der Förderbanken des Bundes. Die Verschmelzung der DtA mit der KfW macht es möglich, unser Förderangebot für den Mittelstand effizienter zu gestalten. Sie erlaubt eine Straffung und Neugestaltung der Programme. Lassen Sie mich die Eckpunkte dieses Teils des Gesetzentwurfs zunächst kurz darstellen: Die Anteile der DtA werden als Sacheinlage in die KfW eingebracht, das heißt ohne Zahlung eines Kaufpreises. Der Förderung werden demzufolge keine Mittel entzogen. Für den Finanzminister ist das mit Blick auf den Haushalt, wie Sie verstehen, eine bedauerliche Entscheidung. Ich habe sie dennoch bewusst getroffen, weil wir in dem Punkt übereinstimmen, dass alles getan werden muss, was dazu beiträgt, die Bedingungen des Mittelstandes und insbesondere seine Kreditversorgung zu verbessern. Die Sacheinlage steht den bisherigen Anteilseignern der DtA zu. Das Verhältnis von 80 : 20 bei den Anteilen von Bund und Ländern am Grundkapital der Kreditanstalt für Wiederaufbau bleibt unverändert. In der KfW entsteht eine Mittelstandsbank mit eigenem Marktauftritt und Logo, die alle mittelstandsrelevanten Förderaktivitäten bündelt. Ein Mittelstandsrat konkretisiert als Exekutivgremium den staatlichen Förderauftrag. Mit dieser Regelung kommen wir einer Forderung der EU-Kommission ebenso wie einer entsprechenden Anregung des Bundesrechnungshofes entgegen. Der Bundesminister für Finanzen und der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit wechseln sich künftig jährlich im Vorsitz des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau ab. Die Rechtsaufsicht über die KfW übt wie bisher der Bundesminister für Finanzen im Benehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit aus. Der Verwaltungsrat der KfW soll um Mitglieder des Bundestages erweitert werden, so wie es bereits bei der DtA gewesen ist. Fünf Mitglieder des Bundesrates sind ja bereits im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau vertreten. Bonn wird neuer Standort der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten der Redetext DtA gehen auf die KfW über. Es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen. Nun zum zweiten Anliegen des Gesetzes, der Umsetzung der so genannten Monti-II-Vereinbarung. Sie enthält zwei wesentliche Komponenten: zum einen eine klare Aufgabenabgrenzung der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Landwirtschaftlichen Rentenbank für den Förderbereich und zum anderen eine Verlagerung von Tätigkeiten aus der KfW, die den Förderkriterien nicht genügen, in eine selbstständige Wettbewerbstochter. Diese muss spätestens im Jahr 2008 ihr Geschäft aufnehmen. Die KfW wird dann für Teile der Export- und Projektfinanzierung auf Anstaltslast und Refinanzierungsgarantie seitens des Bundes verzichten müssen. Die staatlichen Garantien beschränken sich dann nur noch auf den Förderbereich. Die Wettbewerbstochter wird steuerpflichtig und dem Kreditwesengesetz unterworfen sein. Meine Damen und Herren, durch die Verschmelzung der DtA mit der KfW wird das Förderangebot des Bundes effizienter und transparenter. Wir haben in diesem Bereich noch viel zu viele Förderprogramme; das Ganze ist sehr unübersichtlich. Das kann jetzt geändert werden. Es wird ein umfassendes und bedarfsgerechtes Produktund Leistungsspektrum für Existenzgründer und den Mittelstand angeboten werden. Ich denke, es liegt im gemeinsamen Interesse - bei der Diskussion über diese Frage gibt es einmal keinen Streit zwischen den Fraktionen dieses Hauses -, dass wir diese Regelung so schnell wie möglich einführen. Sie soll rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres in Kraft treten. Beide Banken arbeiten bereits intensiv an der Programmzusammenführung und -bereinigung, um dem Mittelstand nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zügig neue Programmstrukturen anbieten zu können. ({0}) Das Gesetz müsste bis zur Sommerpause im Bundesgesetzblatt veröffentlicht sein, damit es rückwirkend zum 1. Januar in Kraft treten kann. Ich bitte Sie, die inhaltlichen und zeitlichen Ambitionen dieses Gesetzesvorhabens zu unterstützen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegen Otto Bernhardt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelpunkt des vorliegenden Gesetzentwurfes steht der Zusammenschluss der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank. Bevor ich auf dieses Thema im Einzelnen eingehe und die Positionen der CDU/CSU-Fraktion vortrage, gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Die erste Vorbemerkung: Beide Kreditinstitute, die heute zur Diskussion stehen, haben in ihrer jeweils über 50-jährigen Geschichte hervorragende Arbeit für die Wirtschaftsförderung in Deutschland geleistet. ({0}) Andere Staaten beneiden uns um unser Förderinstrumentarium auf Bundesebene. Deshalb sollte man den Mitarbeitern und den Geschäftsführungen beider Banken gerade heute ein herzliches Dankeschön aussprechen. ({1}) Die zweite Vorbemerkung: Ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung ist nach wie vor das ERPSondervermögen, für das wir bekanntlich sogar einen besonderen Unterausschuss haben. Ich glaube, gerade bei der heutigen allgemeinen politischen Diskussion ist es gut, einmal darauf hinzuweisen, wie dieses ERP-Vermögen entstanden ist. Die Vereinigten Staaten haben der Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt, um den Wiederaufbau zu ermöglichen. Das viel zitierte Wirtschaftswunder hat hier eine entscheidende Ursache. Die Amerikaner haben dann auf die Tilgung der Darlehen, die sie damals gewährt haben, verzichtet. Das Geld durfte hier bleiben und daraus ist das ERP-Vermögen entstanden. Es umfasst heute rund 12 Milliarden Euro und ist damit nach wie vor - ich betone es noch einmal - ein wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung. ({2}) Ich komme jetzt zu dem geplanten Zusammenschluss der beiden Institute. Ich sage sehr deutlich: Zwei konkurrierende Institute haben, auch im öffentlichen Bereich, nicht nur Nachteile. Das Nebeneinander hat auch dazu geführt, dass sich beide Institute sehr bemüht haben, gut zu sein. ({3}) Dennoch glaube ich - da stimme ich dem Minister und dem vorliegenden Gesetzentwurf zu -, dass mehr Gründe dafür sprechen, die Institute zusammenzuführen. Die Synergieeffekte kann man eigentlich nur nutzen, wenn man die beiden Institute zu einem Haus vereinigt. Die Konzentration der Programme ist nämlich nur unter einem Dach möglich. Wir haben über diese Fragen in der letzten Legislaturperiode schon einmal diskutiert. Da habe ich von dieser Stelle aus deutlich erklärt: So nicht, Herr Minister. - Damals haben Sie folgende Lösung vorgeschlagen - diese wäre für Sie die bessere gewesen; als Finanzminister hätte ich mich auch für diese Lösung eingesetzt -: Die KfW sollte die Deutsche Ausgleichsbank kaufen. In der Diskussion war ein Preis von 2,7 Milliarden DM. Davon sollten Sie als Hauptanteilseigner 1,5 Milliarden DM bekommen. Dieses Geld hätten Sie gut gebrauchen können. Aber wir waren dagegen, weil dieses Geld der Wirtschaftsförderung entzogen worden wäre. Der heute vorgeschlagene Weg ist aus unserer Sicht der richtige Weg. Es gibt keinen Kauf, sondern eine Fusion. In diesem Punkt stimmen wir überein. Es gibt aber vier Punkte, bei denen wir noch Diskussionsbedarf sehen. Der erste Punkt ist die Bezeichnung „Mittelstandsbank“. Ich gestehe zu, dass dieser Name sehr plakativ ist. Aber er könnte und wird vielleicht einen falschen Eindruck in der Öffentlichkeit hinterlassen. ({4}) Letztlich ist die Mittelstandsbank keine Bank. ({5}) Sie ist vielmehr eine Abteilung der KfW, und zwar die Abteilung, in der alle öffentlichen Förderungen für den Mittelstand zusammengefasst werden sollen. Wir wollen einmal abwarten, wie sich die Verbände der Kreditinstitute zu diesem Namen stellen. Für mich und für alle Fachleute steht fest: Die eigentlichen Mittelstandsbanken in Deutschland sind nun einmal die Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Das weiß jeder, der vor Ort tätig ist. ({6}) Warten wir einmal das Anhörungsverfahren ab. Nun zum zweiten Punkt, der für uns sehr wichtig ist. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, Herr Minister, dass es grundsätzlich beim Hausbankenprinzip bleibt. Als Nichtjurist mache ich mir immer Sorgen, wenn der Begriff „grundsätzlich“ fällt; jeder Jurist weiß, dass das ein Einfalltstor ist. In dem Gesetzentwurf heißt es, dass mit Zustimmung des Verwaltungsrates von diesem Grundsatz abgewichen werden kann. Nun stellt die EU sicher, dass man das aufgrund der Wettbewerbsproblematik nicht im großen Umfang machen kann. Aber einige versuchen, das Hausbankenprinzip aufzuweichen, weil die Mittel von KfW und Deutscher Ausgleichsbank in den letzten Jahren deutlich weniger in Anspruch genommen sind. Allein bei den Existenzgründungen ist die Inanspruchnahme in zwei Jahren um knapp 40 Prozent zurückgegangen. Wir bedauern das gemeinsam. Die Ursachen liegen allerdings nicht darin, dass die Geschäftsbanken nicht vernünftig handeln würden. Für den Rückgang der Förderung gibt es unterschiedliche Gründe. Natürlich leben wir nicht in einer Zeit, in der es sehr verlockend ist, sich selbstständig zu machen. Natürlich leben wir auch nicht in einer Zeit, in der die Firmen viele Investitionen tätigen und entsprechend viele KfWMittel benötigen. Wir haben außerdem ein so niedriges Zinsniveau, dass es sich oft gar nicht lohnt, diese Mittel einzusetzen. Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, über den wir nachdenken müssen. Für die Kreditinstitute rechnet sich oft die Inanspruchnahme dieser Mittel nicht. Wir müssen uns überlegen, wie wir dieses Instrumentarium auch für die Kreditinstitute, denen es nicht mehr so gut geht wie vor zehn Jahren, attraktiver machen können. Wir sind schon auf dem Wege dorthin. Der dritte Punkt, über den man meines Erachtens noch einmal nachdenken muss, ist die Zusammensetzung des Mittelstandsrates. Auch das ist ein interessanter Begriff. Wenn es in diesem Mittelstandsrat darum gehen soll, mit Fachleuten über die Mittelstandspolitik zu diskutieren, dann erscheint mir die vorgesehene Zusammensetzung ein bisschen problematisch. Letztlich haben die Regierungsvertreter dort die Mehrheit. ({7}) Wir können zwar noch nicht genau übersehen, wen Sie alles vorschlagen werden. Ich glaube aber, dass es wichtig ist - vielleicht kann nachher ein Mitglied der Regierungsfraktionen etwas dazu sagen -, dass in diesem Mittelstandsrat die Kreditinstitute vertreten sind. Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Wenn man über Mittelstandspolitik in einem Gremium einer Bank diskutiert, dann muss man sich den Sachverstand aus wichtigen Bereichen des Mittelstandes - ich denke beispielsweise an das Handwerk - hereinholen. ({8}) Sie haben dazu nichts gesagt. Es hat überhaupt keinen Sinn, ein Gremium zu schaffen, in dem die Regierungsvertreter die Mehrheit haben, und dann zu glauben, es laufe alles in geordneten Bahnen. Das ist keine Lösung. Der letzte Punkt, bei dem wir noch einen Diskussionsbedarf sehen, ist der Verwaltungsrat der erweiterten KfW. Bisher sind in den Gremien der KfW keine Abgeordneten. Bei der Deutschen Ausgleichsbank sind in den entscheidenden Gremien sechs Abgeordnete. Die KfW hat oft mit Neid darauf geschaut, dass diese Abgeordneten einiges bewirken konnten. Deshalb ist jetzt vorgesehen, in den Verwaltungsrat der KfW drei Abgeordnete aufzunehmen. Nur, wir sollten überlegen, ob die Zahl drei wirklich die richtige Größenordnung ist. Wir sollten diese Frage auch einmal unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung aller betrachten und über die genaue Größe vielleicht noch einmal diskutieren. Lassen Sie mich abschließend für meine Fraktion Folgendes bemerken: Der vorgesehene Weg, die beiden Institute zu fusionieren, ist aus unserer Sicht richtig. Das hohe Anspruchsniveau, das mit dem Gedanken der Mittelstandsbank verbunden wird, scheint uns über diesen Weg nicht erfüllbar zu sein. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten, dass der vorliegende Gesetzentwurf zügig verabschiedet wird, natürlich nach einem ordentlichen Anhörungsverfahren und nach ordentlichen Beratungen. Ich habe einmal in die früheren Protokolle des Bundestages geschaut: Wichtige Entscheidungen über die Gestaltung der öffentlichen Förderinstitute wurden hier im Hause fast immer mit einer großen Mehrheit getroffen. Ich glaube, das ist gut so für den wichtigen Bereich der Wirtschaftsförderung. Die Signale stehen bei uns auf Zustimmung. Dennoch haben wir weiteren Diskussionsbedarf. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Christine Scheel, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bernhardt, es ist wirklich sehr zu begrüßen, dass sich die Union unserem Ansinnen anschließt. Es ist selbstverständlich, dass wir darüber in geordneten parlamentarischen Verfahren, wie wir das immer tun, ({0}) diskutieren werden. Natürlich ist auch sichergestellt, dass wir in diesem Zusammenhang eine Sachverständigenanhörung durchführen werden und man sich über den einen oder anderen Punkt, den Sie angesprochen haben, verständigen wird. ({1}) Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer in diesem Land ist es in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden, ({2}) an Kredite zu kommen. Das hat verschiedene Ursachen; wir haben schon oft darüber diskutiert. Ganz ursächlich dafür ist der Wandel der Finanzmärkte. Er stellt neue Anforderungen an die Finanzierung der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Hinzu kommt - das darf man nicht unterschätzen -, dass die Banken selbst mit strukturellen Problemen zu kämpfen haben, die ihnen - teilweise selbst verschuldet, teilweise aufgrund der weltwirtschaftlichen Situation ({3}) die Bilanzen verhageln. Nicht zuletzt besteht zumindest im internationalen Vergleich im deutschen Mittelstand eine sehr niedrige Eigenkapitalausstattung. Auch die Globalisierung der Finanzmärkte darf nicht dazu führen, dass kleine und mittlere Unternehmen auf der Strecke bleiben. Hier ist es die Aufgabe der Politik, ihnen einen ausreichenden Zugang zu Krediten offen zu halten und Möglichkeiten zur Schaffung von Eigenkapital anzubieten. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - denn es gehört in gewisser Weise zusammen -, dass der Konsultationsprozess zu Basel II ein gutes, weil erfolgreiches Beispiel für diese Bemühungen ist. Wir haben uns gemeinsam und parteiübergreifend - auch hier im Bundestag - dafür stark gemacht, dass bei den neuen Eigenkapitalregelungen die besonderen Bedingungen im Mittelstand ausreichend berücksichtigt werden. Gerade im Zusammenhang mit Basel II ist ein umfangreiches Mittelstandspaket vereinbart worden, das Retailportfolios, Risikoabschläge für mittelständische Unternehmen und die Verbilligung von Langlaufkrediten für kleine und mittlere Unternehmen umfasst. Damit ist gesichert, dass der Mittelstand nicht benachteiligt ist. Natürlich werden sich die Finanzierungskosten trotzdem zukünftig mehr am jeweiligen Risiko des Kreditnehmers bzw. der Kreditnehmerin messen. Aber das ist gewollt und kann letztendlich durchaus zu einer Verbilligung von Krediten - auch das muss man sehen - führen. Ein weiterer Punkt ist, dass wir die innovativen Möglichkeiten, die der Wandel an den Finanzmärkten mit sich bringt, auch dem Mittelstand erschließen. Zum Beispiel werden im Rahmen des Gesetzes die Möglichkeiten der Banken erweitert, Kredite an kleine Unternehmen durch Verbriefung zu refinanzieren. Es geht letztendlich darum, dass ganze Kreditportfolios von Unternehmen, die allein zu klein dazu wären, an den Kapitalmarkt gebracht werden können. Wir gehen davon aus, dass die Banken ihren damit vergrößerten Kreditvergabespielraum nutzen, um den mittelständischen Unternehmen wieder mehr Kredite einzuräumen. Denn allen Finanzinstituten muss klar sein, dass der Mittelstand der Wachstumsmotor unserer Volkswirtschaft ist. ({4}) Nicht zuletzt stellen die sehr schwierigen Finanzierungsbedingungen höhere Anforderungen an die Förderinstitutionen. Deswegen wollen wir den Zugang von kleinen und mittleren Unternehmen zu geeigneten Finanzierungsquellen fördern. Ganz oben auf der Agenda stehen zielgruppenspezifische Beratungsangebote, die ein sehr klares und übersichtliches Förderangebot beinhalten. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir jetzt die lang geplante Fusion - oder wie man es auch immer nennen soll - von Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, und Deutscher Ausgleichsbank, DtA, umsetzen. Nach außen treten KfW und DtA - das bitte ich zu berücksichtigen, Herr Bernhardt - schon jetzt zusammen als Mittelstandsbank auf. Die Internetplattform, die Telefonberatung und die Antragsformulare sind einheitlich. ({5}) Es ist gut, dass das endlich beschleunigt vorangegangen ist. Mit dem Förderbankenneustrukturierungsgesetz werden die beiden Häuser - der Minister hat darauf hingewiesen - formell verschmelzen. Die beiden Banken können ihr Wissen jetzt bündeln. Als neue Mittelstandsbank des Bundes innerhalb der KfW-Gruppe können sie ihre Ressourcen zu einem einheitlichen Förderangebot zusammenführen. Das ist auch gut so. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Das Förderangebot des Bundes für den Mittelstand wird effizienter und transparenter. Gründer und mittelständische Unternehmen haben es leichter, sich zu orientieren. Außerdem - auch das muss man sehen - wird die neue Mittelstandsbank kompetenter Ansprechpartner für alle Finanzierungsfragen sein können. Hier kann sie nahtlos an das sehr umfassende Beratungs- und Betreuungswissen der Deutschen Ausgleichsbank anknüpfen. Sie kann das Spektrum dieser Beratungsleistungen von der Gründung bis zum Generationenwechsel dementsprechend gut ausfüllen. Künftig gibt es eben nur noch einen Ansprechpartner auf dieser Ebene der zwei Banken für die Mittelstandsförderung. Das ermöglicht auch - das darf man nicht unterschätzen - ein einfacheres und kostengünstigeres Antragsverfahren. Die Bearbeitungskosten der Banken sinken, sodass sie in Zukunft mehr Interesse an der Durchleitung von Förderkrediten haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit dies keine leeren Versprechungen bleiben, durchforsten derzeit Arbeitsgruppen innerhalb dieser Banken die Förderprogramme beider Institutionen und strukturieren sie neu. Überschneidungen sollen damit beseitigt, Prozesse gestrafft werden. Die Kreditprogramme werden übersichtlicher. Die Vielzahl der Fördermöglichkeiten in Deutschland ist heute selbst für die Hausbanken oftmals unüberschaubar. Die Informationen kommen nicht an, die Leute sind in der Beratung überfordert. All dies soll besser werden, sowohl für die vermittelnden Banken als auch für die Kreditnehmer. ({6}) Es wird in der neuen KfW einen Mittelstandsrat geben. Dieser wird künftig über Vorschläge des Vorstandes zur Förderung des Mittelstandes beraten und auch beschließen. Herr Bernhardt hat auf die Zusammensetzung hingewiesen. Darüber können wir natürlich diskutieren. Für uns Grüne war es zum Beispiel wichtig, dass es in dem Mittelstandsrat einen Vertreter der Umweltseite gibt, sodass sichergestellt wird, dass bei dessen Entscheidungen auch die nationale Nachhaltigkeitsstrategie ausreichende Berücksichtigung findet. Wir setzen uns dafür ein, dass sich die neue KfW verpflichtet, bei ihrer gesamten Geschäftstätigkeit die nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu berücksichtigen. ({7}) Ich komme zum Schluss. Neben der Einrichtung der neuen Mittelstandsbank wollen wir, sozusagen flankierend, das Förderinstrumentarium des Bundes stärken. Neben dem Angebot innovativer Instrumente wie Globaldarlehen und Verbriefungen müssen die etablierten Instrumente wie zinsverbilligte Programmkredite und Eigenkapitalfinanzierungen weiterentwickelt werden. Die wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der mittelständischen Unternehmen wird in erster Linie nämlich sein, zu mehr Eigenkapital zu kommen. Laut einer Studie der KfW entwickelt sich der Eigenkapitalmangel im deutschen Mittelstand zunehmend zu einem Innovations- und Wachstumshindernis. Deswegen müssen wir daran arbeiten, dass Instrumente geschaffen werden, damit sich die Situation im positiven Sinne entwickelt. Über diese Vorschläge können wir froh sein. Ich denke, wir müssen alles tun, um unseren deutschen Mittelstand zu stärken. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Hermann Otto Solms, FDP-Fraktion.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Konzentration der Fördermaßnahmen des Bundes unter einem Dach und eine Entzerrung der einzelnen Programme sind seit langem überfällig. Die Diskussion darüber führen wir mittlerweile über zehn Jahre hinweg. Der vorgeschlagene Weg ist aber nicht der einzig mögliche. ({0}) Herr Bundesfinanzminister, Sie wissen, dass die FDP schon in der alten Koalition den Weg bevorzugt hat, die Mittelstandsförderung unter dem Dach der Deutschen Ausgleichsbank zu konzentrieren und die anderen Maßnahmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu belassen. Dies hätte eine klare Aufgabentrennung bedeutet. Dadurch hätte man das gewachsene Vertrauen, das die Deutsche Ausgleichsbank im Mittelstand auch durch ihre Tätigkeit vor Ort gewonnen hat, bei der weiteren Förderung des klein strukturierten Mittelstands nutzen können. Sie haben nun einen anderen Weg gewählt, der durchaus gangbar ist; das will ich ohne weiteres bestätigen. Wir als FDP-Fraktion werden am Ende der Beratungen entscheiden, ob wir dem zustimmen oder nicht. ({1}) Verbunden mit diesem Weg ist die Entscheidung - das ist bei Ihnen zu lesen -, unter dem Dach der KfW eine Abteilung einzurichten, die als Mittelstandsbank bezeichnet wird. Ich habe dabei ein wenig Bedenken; denn das führt, wie der Kollege Bernhardt schon gesagt hat, zu einem Ablenken von den eigentlichen Fragestellungen und Aufgaben der Mittelstandsbanken, die in erster Linie im Bereich der Sparkassen- und Volksbankenorganisationen beheimatet sind. Die Förderbank des Bundes ist keine Mittelstandsbank im Sinne einer Hausbank; sie unterstützt vielmehr die Tätigkeit der Hausbanken. Das muss deutlich werden. ({2}) Beim Erfinden von Etiketten und Bezeichnungen hat die Bundesregierung schon die Qualität einer Werbeagentur angenommen. ({3}) Ich erinnere nur an ihre Bezeichnungen Small-BusinessAct, Ich-AG, Personal-Service-Agenturen, Ökosteuer, JUMP usw. Ich könnte diese Aufzählung noch weiterführen. Es kommt aber nicht auf die Bezeichnungen an, sondern auf den Inhalt; darauf möchte ich hier hinweisen. ({4}) So schön die Bezeichnungen auch sind, wenn der Inhalt nichts taugt, dann ist das Ganze nichts wert. ({5}) Also wollen wir uns auf den Inhalt konzentrieren. Wenn dieser Vorschlag zu etwas Besserem führt als zu dem, was wir heute haben, dann wird er unsere Unterstützung finden. Zum Mittelstandsrat will ich noch eine Bemerkung machen. Es ist interessant, dass wieder ein neues Gremium geschaffen werden soll, das Sachkompetenz vermitteln soll, wobei aber nicht garantiert ist, dass es wirklich sachkompetent ist. In Ihrer Begründung steht: Einen zentralen Stellenwert in der Mittelstandsförderung erhält der Mittelstandsrat als neues gesetzliches Gremium. Der letzte Satz lautet: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit wird in diesem Gremium die Mehrheit der Mitglieder stellen. Wenn ich das so lese, dann stellen sich mir einige Fragen, zum Beispiel, ob die Behandlung von Problemen des Mittelstandes, deren Lösung wirklich Kompetenz erfordert, im Hause des Wirtschaftsministeriums richtig angesiedelt ist. Dort gibt es natürlich kompetente Leute. ({6}) Die Praktiker im Mittelstand und bei den Mittelstandsbanken, nämlich bei den Sparkassen, sowie den Banken insgesamt verstehen von den praktischen Problemen und auch von den Finanzierungsproblemen des Mittelstandes weit mehr als die Angehörigen eines Ministeriums, ({7}) die ihre Informationen immer nur gefiltert aufnehmen können und deswegen keine eigenen persönlichen Eindrücke von den Problemen haben. ({8}) Deswegen sollten wir im Finanzausschuss - ich weiß gar nicht, wo die Frau Vorsitzende des Finanzausschusses jetzt hingegangen ist - darüber beraten, ob das eine kluge Lösung ist oder ob es nicht, wenn man schon einen solchen Rat einsetzt, besser wäre, ihn im Wesentlichen mit Praktikern zu besetzen. Ich hätte nichts dagegen, wenn der Bundeswirtschaftsminister den Vorsitz führen würde, dann könnte er nämlich auch noch etwas über die Probleme des Mittelstandes lernen. Ich hielte es für eine Fehlentwicklung, ihn einseitig mit Beamten zu besetzen. ({9}) Es ist interessant, dass zwar der Bundesfinanzminister anwesend ist, der Bundeswirtschaftsminister aber nicht. ({10}) Es scheint in dieser Frage eben doch eine gewisse Rangordnung zu geben. ({11}) Solange der Bundeswirtschaftsminister „Müller“ hieß und nicht der SPD angehört hat, war eine Einigung nicht möglich. Sie ist erst möglich, seitdem Herr Clement dieses Amt ausübt. Das sind aber keine wichtigen Fragen. ({12}) Herr Bundesfinanzminister, wir werden dieses Gesetz im Detail beraten und möglicherweise Änderungsvorschläge einbringen. Danach werden wir entscheiden, ob wir dem Gesetz insgesamt zustimmen oder nicht. Ich halte den Weg einer Konzentration der Förderungsmaßnahmen des Bundes im Prinzip aber für richtig. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Stephan Hilsberg, SPDFraktion, das Wort. ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! ({0}) - Ich werde es hier ganz staatstragend gestalten. Man freut sich sehr, dass ein solches Projekt von zentraler Bedeutung diese einhellige Zustimmung nicht nur bei der Koalition, sondern letztlich auch bei der Opposition findet. Es muss also wirklich richtig sein. ({1}) Herr Solms, Ihre Bemerkung - Sie begrüßten dieses Anliegen prinzipiell und sagten, Sie hätten sich schon vor zehn Jahren darum bemüht - provoziert mich dann doch zu einer kleinen Reflexion. Genau das ist nämlich der Unterschied zwischen der alten Kohl-Regierung und der Schröder-Regierung: Sie haben sich bemüht und wir haben es gestemmt. Wir führen die Reform, die Sie nur versucht und angestrebt haben, durch. ({2}) Die Vorteile dieser Mittelstandsbank liegen auf der Hand. Dazu ist bereits eine Menge gesagt worden. Ich nenne nur die Stichworte Entbürokratisierung und Förderung aus einer Hand. Die Bundesförderbanken machen sich zukünftig keine Konkurrenz mehr. Das spielt eine große Rolle. Es gibt so etwas wie eine Fusionsrendite. Für den Mittelstand ist es ausgesprochen zu begrüßen, dass kein Kaufpreis gezahlt wird, sondern dass die Deutsche Ausgleichsbank mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau unmittelbar verschmolzen wird. Dieser Verschmelzungsvorgang führt nämlich dazu, dass das zur Verfügung stehende Eigenkapital nicht vermindert wird, sodass die Synergieeffekte größer werden. Ob man angesichts der Bankenentwicklung in den letzten Jahren noch von einem Kaufpreis hätte reden können, wie das in der letzten Legislaturperiode noch der Fall war, war ohnehin mit einem Fragezeichen zu versehen. Das war der eine Teil des Förderbankenneustrukturierungsgesetzes. Der andere Teil ist nicht weniger wichtig, vielleicht sogar von größerer Tragweite. Dabei geht es nämlich um die Erfüllung einer Verpflichtung des Bundes gegenüber der Europäischen Kommission, die sich aus einer Verständigung über die öffentlich-rechtlichen Banken in der Bundesrepublik ergibt. Wie Sie wissen, war eine Beschwerde gegen die Landeszentralbanken und die Sparkassen Anlass dieser langwierigen und nicht ganz einfachen Verhandlungen. Es ging also nicht gegen die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Landwirtschaftliche Rentenbank, die das alles betrifft. Die Europäische Kommission hat diesen Vorgang zum Anlass genommen, das gesamte öffentlich-rechtliche Bankenwesen in Deutschland einer Überprüfung zu unterziehen. Dieses Thema, obwohl es im Text knochentrocken behandelt wird, hat doch erheblichen Konfliktstoff in sich geborgen. Es ist von erheblicher Auswirkung für die weitere Förderung, für die Wirtschaftstätigkeit und all das, was öffentlich gefördert werden muss und mit dem Begriff der Daseinsvorsorge umschrieben wird. Im Wesentlichen geht es um einen Hauptinteressenkonflikt: die Förderung des Wettbewerbs als den Vater der Innovation und der Produktivitätserhöhung auf der einen Seite und die nach wie vor sinnvolle öffentliche Förderung der Finanzierung nicht staatlicher Aktivitäten auf der anderen Seite. Der Wettbewerb kann eben nicht uneingeschränkt die Funktion, die der Staat haben und auch behalten muss, übernehmen. Diese Fragen kann man nicht einfach dem Wettbewerb überlassen. Das hat früher gegolten und wird auch in Zukunft gelten. ({3}) - Die Frage ist positiv beantwortet. Ich möchte mich bei Herrn Minister Eichel, aber auch Herrn Staatssekretär Koch-Weser bedanken, dass sie hier einen sehr vernünftigen Kompromiss zustande gebracht haben. Dieser Kompromiss ist insbesondere für den Bund vorteilhaft; denn für die Kreditanstalt für Wiederaufbau und auch die Landwirtschaftliche Rentenbank bleibt es bei der staatlichen Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung. Das heißt, dass diese Banken weiterhin in der Lage sein werden, zu absolut günstigen Bedingungen Refinanzierungsmittel auf dem öffentlichen Kapitalmarkt aufzunehmen. ({4}) Das bedeutet, dass sie weiterhin mit AAA gewertet sein werden, dass für sie die Förderbedingungen generell sehr günstig sein werden und sie für die staatlichen Förderaufgaben nach wie vor höchst effizient bleiben werden. Der andere Punkt - Herr Schauerte, Sie schauen mich so ungläubig an - besteht darin, dass die Aktivitäten bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, beispielsweise Exportfinanzierung, die nicht unmittelbar in diesen Förderbereich hineingehören, also reine Wettbewerbsaktivitäten, ausgegliedert werden müssen. Hier besteht keine Anstaltslast mehr. Dies ist der Unterschied. Ich glaube, mit diesem Kompromiss kann man gut leben, vor allen Dingen, weil wir für die anderen Bereiche die staatlichen Garantien beibehalten haben. Der Vorwurf lautete - das wird sich bei der Beobachtung des weiteren Gangs der Dinge herausstellen -, die privaten Geschäftsbanken seien aufgrund von welchen Vorgängen auch immer - Quersubventionierungen und anderes - nicht in der Lage, im Wettbewerb, beispielsweise bei der Export- oder Wohnungsfinanzierung, mitzuhalten, weil die öffentliche Hand zu stark fördere. Ob dieser Vorwurf stimmt, wird sich erst dann herausstellen, wenn sich die Geschäftsbanken tatsächlich auf dieses Feld begeben. Bei der Exportfinanzierung beispielsweise wage ich das zu bezweifeln. Im Übrigen ist es so, dass die Ausgangslage der künftigen Bank, die eine Exportfinanzierung zu leisten hat, dermaßen exzellent ist, dass sie sich vor Wettbewerb an dieser Stelle überhaupt nicht zu fürchten braucht. Sie ist gut aufgestellt und auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau kann beste Zahlen vorweisen. Damit können wir sehr zufrieden sein. Herr Bernhardt hat im Zusammenhang mit der neuen Mittelstandsbank und dem Mittelstandsrat ein Problem aufgeworfen. Wir sehen die Probleme in dieser Art nicht. Für uns stellen sie sich nicht, aber wir können selbstverständlich im Ausschuss miteinander darüber reden. Was mir sehr gut gefallen hat, obwohl ich aus dem Osten komme, ist der Hinweis auf das ERP und die historischen Wurzeln der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die mit den USA eng verbunden ist; das ist gar keine Frage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Hilsberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hilsberg, Sie reden dieser Fusion das Wort. Ihre Meinung wird fraktionsübergreifend geteilt. Sie haben vor allen Dingen auf verschiedene Verbesserungen verwiesen. Nun ist in Zukunft der bisher bekannte Wettbewerb zwischen KfW einerseits und Deutscher Ausgleichsbank andererseits nicht mehr vorhanden. Das muss sich irgendwo positiv niederschlagen. Wo, meinen Sie, liegen für die mittelständischen Unternehmer durch diese Fusion die Vergünstigungen? Können sie davon ausgehen, dass die Zinsen gesenkt werden, nachdem es nur noch einen Anbieter und somit weniger Bürokratie gibt, und dass es in Zukunft seitens dieser neuen Bank mehr Verständnis für den Mittelstand geben wird, als das in der Vergangenheit bislang der Fall war? ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hinsken, das war der Teil der Rede, den ich bereits vor fünf Minuten abgehandelt hatte. Aber Sie können die Frage selbstverständlich auch jetzt stellen. Sie hängt mit den Stichworten Entbürokratisierung, Synergieeffekte und Fusionsrendite zusammen. Die „Financial Times Deutschland“ spricht von Synergieeffekten in Höhe von 75 Millionen Euro, allein was die Tätigkeit der Bank betrifft. Das alles sind Vorteile, die sich unmittelbar auf den Mittelstand auswirken. ({0}) Alles andere wird eine Frage der unmittelbar konkreten Tätigkeit der künftigen Mittelstandsbank selber sein, und es wird auch unsere Aufgabe sein, ({1}) so wie es immer die Aufgabe des Parlaments ist, zu sehen, ob sich die Erwartungen, die man an diese neue Institution hat, auch tatsächlich erfüllen. ({2}) Insofern haben wir in Zukunft genug Stoff, uns über diese Fragen zu unterhalten. ({3}) Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was ich zu den USA gesagt habe. ({4}) Ich als ehemaliger DDR-Bürger hätte es sehr gern gesehen, wenn das Angebot der Marshall-Programme seinerzeit auch für Ostbetriebe gegolten hätte. Dass das nicht der Fall war, ist der Politik im Kalten Krieg geschuldet. Das ist etwas, worauf man gemeinsam aufbauen kann. Auf der anderen Seite gilt auch das, was der Kanzler in einem anderen Zusammenhang gestern gesagt hat. Für die künftige Finanzpolitik im Interesse Deutschlands kann gegenüber den USA nicht die Devise gelten: Hand an die Hosennaht! Das ist die falsche Devise. Ich nehme nicht an, dass Sie das als Folge implizieren wollten. ({5}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Die gravierenderen Auswirkungen, wenn sie überhaupt vorhanden sind, treffen nach meiner Einschätzung eher die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken. Auch dies wird ein Punkt sein, über den man im Ausschuss zu reden hat. Aber immerhin ist doch in vielen Kleinigkeiten ein Fortschritt zu bemerken. Dieses jetzt vorliegende Gesetz schafft beispielsweise den Begriff der Körperschaft für die Kreditanstalt für Wiederaufbau ab. Der ist 1948 eingeführt worden und war schon damals falsch. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau war niemals eine Körperschaft, sondern sie war immer eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Reform dieses Begriffs hat 55 Jahre gedauert. Die gemeinsame Mittelstandsbank zu schaffen hat, soweit ich das sehen kann, seit dem Kabinettsbeschluss in der letzten Legislaturperiode zwei Jahre gedauert. Das zeugt von einer erheblichen Dynamik der Reform, die wir vorhaben. Ich lade Sie alle ein, auch die Damen und Herren von der Opposition, an dieser Reform mitzuwirken. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Frau Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/CSU-Fraktion.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn man an die euphorischen Worte von Rot-Grün in den letzten Wochen denkt, als von der Integration der Deutschen Ausgleichsbank in die KfW gesprochen wurde, dann hat man manchmal das Gefühl, hier sei das berühmte Ei des Kolumbus gefunden worden. Aber dem ist mitnichten so. Wir freuen uns zwar, dass es endlich nach „nur“ drei Jahren gelungen ist, ({0}) einen internen Kompetenzstreit zwischen Wirtschaftsminister und Finanzminister aus dem Weg zu räumen, damit jetzt endlich an der DtA ein neues Schild mit der Aufschrift Mittelstandsbank angebracht werden kann. Das hat nämlich so lange gedauert, weil sich der Finanzminister und der Wirtschaftsminister nicht einigen konnten, wer Vorsitzender des Verwaltungsrates wird. Das war der Grund, warum die notwendige Fusion so lange verschleppt worden ist. Wir wünschen uns alle unisono hier im Saal, dass wirklich die Synergieeffekte, die man sich verspricht, und eine bessere Verzahnung der Förderpolitik eintreten werden. Wir erhoffen uns auch, dass endlich viele bürokratische Förderprogramme hier konzentriert und zukünftig einfacher und transparenter an den Bürger vermittelt werden. Aber das Grundproblem, das wir bei der Mittelstandsfinanzierung haben, wird mit diesem Schritt in keiner Art und Weise gelöst. Es heißt so schön: Eine tolle Lösung, schade dass sie nicht zum Problem passt. ({1}) Um das zu begreifen, meine Damen und Herren, muss man einen Blick auf die Lage unseres Mittelstands werfen und die Gründe für die Finanzklemme diskutieren. Für 45 Prozent der Unternehmen in unserem Land haben sich die Finanzierungsbedingungen in den letzten Jahren vehement verschlechtert. ({2}) Rund ein Drittel hat Probleme, überhaupt noch einen Kredit aufnehmen zu können. Gleichzeitig verzeichnen wir einen immensen Einbruch bei der Umsatzrentabilität, und zwar auf breiter Front. Allein 30 Prozent der Unternehmen haben im Bilanzjahr 2001 fast überhaupt keinen Gewinn mehr gemacht, man kann wirklich sagen, dass unsere mittelständischen Unternehmen arm dran sind; das gilt auch im europäischen Vergleich. Wenn Sie die Umsatzrenditezahlen, die uns aus dem Jahr 2000 vorliegen, international vergleichen, zeigt sich folgendes Bild: Der Jahresüberschuss nach Steuern betrug in Spanien im Jahr 2000 7,2 Prozent, in der Schweiz 7 Prozent, in Dänemark 5,7 Prozent, in den USA 5,4 Prozent und in Deutschland magere 3,4 Prozent. Ich glaube, diese Zahl spricht für sich. Wenn Sie dann auch noch die magere Eigenkapitalquote berücksichtigen, mit der wir im internationalen Vergleich wirklich am unteren Ende liegen - sie liegt teilweise bei 0 bis 2,9 Prozent -, ({3}) zeigt sich, dass 97 Prozent mit Fremdkapital arbeiten müssen, weil sie sonst überhaupt nicht über die Runden kämen. ({4}) Wir haben es auf der einen Seite mit einem steigenden Finanzierungsbedarf und auf der anderen Seite mit einer sinkenden Eigenkapitalbasis zu tun. Hier öffnet sich eine Schere, die für die Zukunft unserer Betriebe ganz gefährlich werden kann. Hier müssen eigentlich die Alarmglocken läuten. ({5}) Was tun Sie gegen dieses Manko? 38 000 Firmenpleiten gab es im letzten Jahr. Diese Zahl umfasst nur diejenigen, die einen Insolvenzantrag gestellt haben, das muss man in diesem Zusammenhang immer im Auge behalten. Diejenigen, die still und leise ihre Tür zuschließen, weil sie einfach nicht mehr existieren können, weil sie keine Aufträge mehr erhalten, werden in keiner Statistik erfasst. Allein die Zahl von 38 000 ist ein Nachkriegsrekord. Betrachten wir die Zahlen, die jetzt von der Kreditreform herausgegeben worden sind, dann ist davon auszugehen, dass noch einmal mit 10 bis 15 Prozent Insolvenzen mehr als im letzten Jahr zu rechnen ist. Man muss sich auch fragen: Was ist mit den Unternehmen, die am Markt geblieben sind? Ihre Investitionsbereitschaft ist auf breiter Ebene auf einem historischen Tiefstand. Nur knapp ein Viertel aller Mittelständler ist noch bereit zu investieren. Über Neueinstellungen will ich überhaupt nicht reden. ({6}) Wenn man sich die Zahl der Unternehmensgründungen ansieht, fällt auf, dass der Unternehmenssaldo dramatisch zusammengebrochen ist. Seit dem Amtsantritt von Rot-Grün hat sich die Zahl der Nettogründungen sage und schreibe halbiert. Mittlerweile gibt es noch einen Positivgründungssaldo von gut 33 000 Unternehmen, das sind fast 35 000 weniger als vor vier Jahren. ({7}) - Wenn Sie, Frau Skarpelis-Sperk, davon ausgehen, dass jedes dieser Unternehmen Arbeitsplätze schafft, auch wenn es nur ein bis drei Arbeitsplätze sind - gehen wir von einem Minimum aus -, dann fehlen noch einmal 120 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich. ({8}) Jetzt haben Sie den neuen Namen „Mittelstandsbank“ geprägt. Wir sind für den Zusammenschluss von KfW und DtA, es ist gut, dass er stattgefunden hat. Ich kann nur Lobenswertes über die DtA und die KfW sagen. Beide Banken haben aber schon existiert, es handelt sich also um nichts Neues, wie hier suggeriert wird. Die neue Mittelstandsbank hilft uns bei den Finanzierungsproblemen der mittelständischen Betriebe nicht weiter. Sicher sind Staatskredite wichtig und sie helfen auch, aber sie helfen nicht dabei, die wirklichen Probleme in unserem Land anzugehen. Die Vergabe von Staatskrediten darf nicht der einzige Weg sein, den Sie einschlagen. Sie müssen auch den Mut haben, andere Wege zu gehen. Gehen wir davon aus - das erhoffen Sie sich -, dass die kleinen und mittelständischen Betriebe zukünftig Schlange stehen, um von der Mittelstandsbank Fremdkapital, das sie zu geben bereit ist, zu bekommen. Denken Sie aber auch an die Hausbanken, dort stehen die Mittelständler nämlich vor der Tür. Die Hausbanken sind diejenigen, die den Kreditwunsch prüfen und durchleiten. Hier liegt das Problem, bei den Hausbanken muss zukünftig angesetzt werden. ({9}) Man muss sich auch die Frage stellen, warum die privaten Banken in letzter Zeit so zurückhaltend bei der Kreditvergabe vorgehen. Gehen wir dem doch auf den Grund! Die Ursachen dafür sind die schlechte wirtschaftliche Ausgangslage in unserem Land und das damit verbundene hohe Ausfallrisiko, das die Banken zu tragen haben. Wir wissen schließlich, was in letzter Zeit durch die vielen Insolvenzen von sehr vielen kleinen und mittelständischen Kreditnehmern auf die Banken zugekommen ist. ({10}) Es wird immer wieder sehr leichtfertig Bankenschelte betrieben. Man muss aber auch nach den Gründen für die restriktive Haltung fragen, die die Banken sehr oft einnehmen. Ich glaube nicht, dass man jedem Manager eine böse Absicht unterstellen kann. ({11}) Vielmehr beruht diese Haltung sehr oft auf handfesten betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulationen der Kreditinstitute, die auch notwendig sind. ({12}) Ich glaube, es ist durchaus verständlich, dass die Privatbanken angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage, die Sie mit zu verantworten haben, meine Damen und Herren von der Regierung, ({13}) genau prüfen, ob sie einen Kredit gewähren können. In dieser Situation nützt ein einfaches Logo, wie es mit der neuen Bezeichnung „Mittelstandsbank“ eingeführt wurde, überhaupt nichts. Wir sind für den Zusammenschluss. Das haben wir bereits festgestellt. Wir sind aber dagegen, dass etwas suggeriert wird, was gar nicht eintreten wird. ({14}) Sie schüren bei den Mittelständlern Hoffnungen auf eine Reform, durch die sie schneller Kredite und bessere Finanzierungsmöglichkeiten bekommen als früher. Aber das ist nicht der Fall. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Wahrheit sagen. ({15}) Wenn es Ihnen wirklich darum geht, bessere Finanzierungsmöglichkeiten für den deutschen Mittelstand zu schaffen, dann müssen Sie die Rahmenbedingungen ändern. Wir müssen erreichen, dass die geringe Eigenkapitalausstattung der Betriebe überwunden wird. Denn die Hauptfinanzierungsquelle der Mittelständler ist die Einbehaltung der Gewinne im Unternehmen. Deswegen ist die Stärkung der Innenfinanzierung bzw. der Selbstfinanzierung der Unternehmen notwendig. Das erfordert wiederum eine bessere Eigenkapitalausstattung und bessere Möglichkeiten, kostengünstig Fremdkapital aufzunehmen. Sie müssen damit aufhören, alternative Finanzierungsformen stiefmütterlich zu behandeln. Auch in diesem Bereich müssen Sie neue Wege gehen. Wir brauchen einen starken Finanzplatz. In diesem Zusammenhang haben wir einen entsprechenden Antrag vorgelegt, der über 50 Punkte enthält. Lesen Sie unseren Antrag! Unser Weg ist richtig und gut. Ideen wie die Versendung von Kontrollmitteilungen über 300 Millionen Konten werden Sie darin vergeblich suchen. ({16}) Die Umsätze und die Binnennachfrage müssen gesteigert werden. Das ist nur möglich, wenn Sie es zulassen, dass die Menschen wieder mehr Geld in der Tasche haben. ({17}) Die von Ihnen vorgenommenen Maßnahmen wie die Erhöhung der Sozialbeiträge und die Rücknahme von Steuersenkungen, die bereits im Gesetzesblatt aufgeführt waren, sind nicht der richtige Weg. Damit es klar wird: Eine Ankurbelung der Binnennachfrage kann meiner Meinung nach nicht nach dem Muster à la Müntefering „Mehr für den Staat - weniger für den privaten Verbrauch“ erfolgen. Das ist so grundlegend falsch, dass mich diese Aussage noch immer erschüttert. ({18}) Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass die Gesundheitsministerin im Dezember vergangenen Jahres versichert hat: Nach der Anhebung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent ist erst einmal Ruhe. Sie hat in der Tat Recht gehabt, aber in Bezug auf einen anderen Bereich. In vielen Tausend Unternehmen ist Ruhe. Die Kunden bleiben weg; die Produktionsräder stehen still und die Mitarbeiter bleiben nach betriebsbedingten Kündigungen zu Hause. Diese Ruhe werden Sie noch verstärken, wenn Sie die Sozialbeiträge weiter erhöhen. ({19}) Ein Mittelständler muss inzwischen knapp 23 Prozent des Unternehmensumsatzes für Personalkosten - für Löhne, Gehälter und Lohnnebenkosten - ausgeben. Für Großunternehmen beträgt der Personalaufwand hingegen nur 17,5 Prozent. Das heißt, Sie müssen die strukturellen Reformen angehen, um dem Mittelstand zu helfen. Wir brauchen eine größere Flexibilität im Arbeitsrecht. Darauf muss ich nicht näher eingehen; unsere Vorschläge liegen bereits vor. Wenn man heutzutage viel herumkommt, dann hört man oft die Frage: Wo geht es zum Aufschwung? Antwort: Immer den Bach runter! Damit muss endlich Schluss sein. ({20}) Wir brauchen endlich weniger Belastung, weniger Steuern, weniger Bürokratie und stattdessen mehr Flexibilität. Wenn Sie das umsetzen, dann lösen Sie auch die Finanzierungsprobleme der Mittelständler. ({21}) Wir müssen die Unternehmer mehr motivieren, wieder unternehmerisch tätig zu werden. Wenn Sie § 17 des Einkommensteuergesetzes dahin gehend ändern, dass der Privatmann durch steuerliche Erleichterungen zu Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen animiert wird, dann sind wir wieder einen Schritt vorangekommen. ({22}) Wenn das private Chancenkapital noch durch eine effizient arbeitende Mittelstandsbank unterstützt wird, umso besser. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Dr. Sigrid SkarpelisSperk, SPD-Fraktion.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der erste Teil der heutigen Debatte war ruhig, sachlich und der Lösung der Probleme der aus der Fusion von KfW und Deutscher Ausgleichsbank hervorgehenden neuen Förderbank verpflichtet. Die letzte Rede war leider nur noch blanke Polemik und hatte mit den eigentlichen Inhalten nur wenig zu tun. ({0}) Es ist zwar wichtig, die Frage zu stellen, wie es dem Mittelstand in diesem Land geht. Aber es wäre noch wichtiger, zu fragen, welche Instrumente wir angesichts der unbezweifelbar schwierigen internationalen Lage und der daraus resultierenden Konsequenzen für den Mittelstand anbieten, um ihm bei der Lösung seiner Finanzierungsprobleme zu helfen. Stattdessen werden Vorschläge gemacht, die - ich sage das ganz offen - schlicht abenteuerlich sind. Zu diesem Schluss komme ich, Frau Kollegin Wöhrl, wenn ich bedenke, was Sie über die Fremdfinanzierung gesagt haben. Jeder, der sich mit der Lage in Deutschland befasst, weiß, dass es in unserem Land seit mehr als 150 Jahren eine einzigartige Kultur der Fremdfinanzierung gibt, weil die Bankkredite in Deutschland wesentlich günstiger sind als in allen anderen europäischen Ländern. Wenn Sie sich anschauen, welche Zinsen kleine und mittelständische Unternehmen in Frankreich oder in Großbritannien zu zahlen haben, dann werden Sie sich wundern. Aufgrund der besseren Bedingungen in Deutschland konnten sich große sowie kleine und mittelständische Unternehmen günstiger fremdfinanzieren. Sie haben lange Ausführungen zu den Steuern gemacht. Auch wir wissen, dass das hohe Maß der Fremdfinanzierung in Deutschland etwas mit den steuerlichen Bedingungen zu tun hat. Frau Kollegin Wöhrl, zu Ihren Regierungszeiten haben Sie die steuerliche Privilegierung der Fremdfinanzierung der Unternehmen nicht beseitigt. Das ist erst durch uns erfolgt. ({1}) Statt nackter Polemik wäre es angemessener gewesen, darüber zu diskutieren, wie wir einen Strukturwandel herbeiführen können und was wir angesichts der internationalen Veränderungen, der Entwicklung auf den Kapitalmärkten und des verschärften Bankenwettbewerbs über die Förderbanken gezielt für den Mittelstand tun können. In der Tat haben wir hier genügend Probleme, sodass wir der Polemik nicht bedürfen. Es ist nicht hilfreich - ich sage das nachdrücklich -, Horrorszenarien zu entwerfen und den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Es wird auch nicht besser, wenn Sie das ständig wiederholen. ({2}) Ich glaube, die Mittelstandsbank steht vor großen, neuartigen Herausforderungen. Wir alle setzen unser Vertrauen darin, dass sie in der jetzigen schwierigen Phase dem Mittelstand hilft. Sie haben ja Recht, Frau Kollegin Wöhrl, wenn Sie darauf hinweisen, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Welt, auch in Europa und insbesondere in Deutschland, in den letzten Monaten noch einmal deutlich eingetrübt habe. Es hat in der Tat gravierende Verschlechterungen in der Weltwirtschaft gegeben. Der Krieg im Irak ist dabei nur eine, allerdings wichtige Ursache. Dieser Krieg verstärkt die Unsicherheit auf den weltweiten Kapitalmärkten, bei den Verbrauchern und bei den Unternehmen. Investitionen wie große Neuanschaffungen werden zurückgestellt. Die Unternehmensfinanzierung ist für viele Firmen seit dem Jahr 2002 noch einmal schwieriger geworden. Darauf weist auch eine neuere Untersuchung der Kreditanstalt für Wiederaufbau hin: Für 45 Prozent der Unternehmen ist die Kreditaufnahme schwieriger; rund ein Drittel der Unternehmen hat Probleme, überhaupt noch einen Kredit zu erhalten. Das bedeutet, die meisten deutschen Unternehmen stecken in deutlichen Schwierigkeiten, schon ihre ganz normale wirtschaftliche Tätigkeit zu finanzieren, geschweige denn, dass sie bereit sind, unternehmerische Wagnisse einzugehen. Wachstumspotenziale werden dadurch verschenkt, viele Arbeitsplätze nicht geschaffen, Innovationen und Dynamik behindert. Es ist dringend notwendig - diesen Appell habe ich bei der Opposition und übrigens auch bei Ihnen, Herr Solms, vermisst; offensichtlich kann man in diesem Haus über die anstehenden Probleme nicht mehr reden -, dass sich die Kreditinstitute, allen voran die deutschen Großbanken, auf ihre volkswirtschaftliche Verantwortung besinnen und daran denken, dass Kundenpflege nicht nur in guten Zeiten wichtig ist, sondern sich eine solide Geschäftsbeziehung gerade in stürmischen Zeiten bewähren muss. ({3}) Ich sage nachdrücklich: Wir werden das, was sich hier an Verschlechterungen im deutschen Bankensystem vollzieht, durch noch so große Subventionen im öffentlichen Bereich nicht konterkarieren können. Die Banken müssen überlegen, ob sie ihrer Verantwortung für die deutsche Wirtschaft noch gerecht werden. ({4}) Dabei ist uns sehr wohl klar, dass die Ursachen dieser negativen Entwicklung nicht allein bei der Risikoscheu insbesondere der großen Banken zu finden sind. Es gibt noch andere wesentliche, wirklich dramatische Entwicklungen auf dem Bankensektor; auch das sehen wir. Zunächst ist der internationale Wettbewerb im Bankensektor zu nennen. Dieser hat stark zugenommen; die deutschen Banken befinden sich unter erheblichem Konkurrenzdruck. Gott sei Dank ist die Bankenstruktur - Privatbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen - noch sehr gesund. Das ist hilfreich und hat in der Vergangenheit eine gute Kreditversorgung gewährleistet. Wir müssen aufpassen, dass diese gute Kreditversorgung zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen allen Regionen erhalten bleibt. ({5}) Ich glaube, dass die Finanzaufsicht und der Bundesfinanzminister diesen Prozess mit großer Geduld und Aufmerksamkeit beobachten und alles tun werden, um dieses Bankensystem im Interesse der deutschen Wirtschaft so zu erhalten. Auch die Sparkassen, die typischerweise die kleinen und mittleren Unternehmen bedienen, sind vor allem durch den von der EU erzwungenen Wegfall der Gewährträgerhaftung angeschlagen. Dies ist übrigens - das muss man einmal deutlich sagen - nicht von der politischen Seite ausgegangen. Die privaten Großbanken sind nach Brüssel gegangen und haben geklagt. Insofern haben sie einen nicht unerheblichen Teil der Finanzierungsprobleme der kleinen und mittleren Unternehmen mit verursacht. ({6}) Jetzt schränken die Sparkassen die Kreditvergabe an ihre traditionellen Kunden, die kleinen und mittleren Unternehmen, ein, auch wenn noch immer sie es sind - das wollen wir positiv bemerken -, die den Mittelstand zu einem überwiegenden Teil finanzieren. Aber die schlechte konjunkturelle Lage begrenzt natürlich das Neugeschäft. In dieser schwierigen Lage, in der sich das Bankensystem befindet, kommen auf die neue Bank entscheidende wichtige neue Aufgaben zu. Sie muss den Banken und Sparkassen helfen - gewappnet mit ihrem Ansehen und Know-how -, auf den europäischen und internationalen Finanzmärkten den Mittelstand weiter angemessen zu finanzieren. Wir müssen die bewährten, klassischen Förderinstrumente wie die Gründerfinanzierung, die Umweltfinanzierung, Eigenkapitalhilfen - insbesondere für dynamische Unternehmen aus dem Technologiesektor - den neuen, unsicheren Zeiten anpassen. Neue, innovative Förderansätze müssen entwickelt und über den Markt umgesetzt werden. In dieser ersten Aufgabe sind mit dem Globaldarlehen und den Verbriefungsprogrammen schon zwei wichtige Säulen errichtet, die, wenn sie permanent umgesetzt werden, dem Bankensystem, insbesondere aber den kleinen Sparkassen und Genossenschaftsbanken, helfen können, ihre Liquiditätsprobleme zu überwinden. Sie haben damit günstigere Finanzierungsmöglichkeiten, die sie in maßgeschneiderte Einzelkredite zu günstigen Einstandskonditionen an die Kreditnehmer umwandeln können. Allein mit diesem Instrument konnten schon 1,8 Milliarden Euro zusätzlich für die Mittelstandsförderung bereitgestellt werden. Mit dem innovativen Verbriefungsprogramm werden Risiken von Mittelstandskrediten auf den Kapitalmarkt übertragen. Dadurch werden bei den Banken und Sparkassen wieder Eigenmittel frei, die als Kredite ausgehändigt werden können. Ich meine, dies ist ein wirklich intelligentes Programm, das die deutsche Kreditwirtschaft, auch die kleineren Kreditinstitute, wesentlich mehr als bisher nutzen sollte. Wir sehen mit Bedauern, dass dieses Programm bisher nur in einem geringen Umfang genutzt wird. Wir erhoffen uns von einer Nutzung in einem größeren Umfang neue Spielräume für die Unternehmen. Hinzu kommt, als dritte Säule, die Senkung der Bearbeitungs- und Prozesskosten. Herr Kollege Bernhardt, Sie haben hier das Problem der Margen angesprochen. In diesem Bereich ist bereits - Sie wissen das auch durch unsere Diskussionen - einiges getan worden. Wir müssen aufpassen, dass die Kosten für die kleinen und mittleren Unternehmen durch die Erhöhung der Margen und durch die Umlagen wegen der Risiken nicht allzu sehr steigen; denn wenn das Finanzkapital bei der Vergabe von Beteiligungen ängstlich geworden ist, dann kann die öffentliche Hand dafür keinen vollen Ausgleich schaffen. ({7}) Ich finde es hervorragend, dass das „Kapital für Arbeit“ und die Vergabe von Mikrodarlehen - die KfW und die DtA sind dafür verantwortlich - fortgesetzt werden. Dadurch kommen kleine Unternehmen an das nötige Geld, um neue Arbeitsplätze zu schaffen und innovativ vorzugehen. Ich komme zum Schluss. Die zuständigen Abgeordneten im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit, besonders im Unterausschuss „ERP-Wirtschaftspläne“, werden Sie in der Diskussion und in der Entwicklung gerne begleiten. Als Vorsitzende dieses Unterausschusses wünsche ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen der neuen Mittelstandsbank des Bundes und ihren erfahrenen und kooperativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin, Bonn und Frankfurt weiterhin ein gutes Gedeihen, viel Elan, Kreativität und natürlich auch Geduld beim Zusammenwachsen. Der Mittelstand braucht die neue Mittelstandsbank ({8}) und wir in der Politik verlassen uns auf ihre Unterstützung. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 15/743 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr, Dr. Dieter Thomae und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung - Drucksache 15/542 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Seehofer, Andreas Storm, Annette WidmannMauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Aufhebung der gesundheitspolitischen Maßnahmen im Beitragssatzsicherungsgesetz - Drucksache 15/652 ({1}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Tourismus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({3})

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Weihnachten hat die Bundesregierung ein Vorschaltgesetz im Schweinsgalopp durch den Bundestag gepeitscht und behauptet, sie kann die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil halten, indem sie gravierende Eingriffe in die Substanz der Leistungserbringer im Gesundheitswesen vornimmt. ({0}) Die Bilanz kurz vor Ostern ist jedoch traurig: ({1}) Zum Jahreswechsel sind die Beiträge von 14,0 Prozent auf fast 14,4 Prozent im Durchschnitt gestiegen. ({2}) Das ist bereits ein historischer Rekord. Hinzu kommt, dass die ersten Krankenkassen schon zum 1. April die Beitragssätze erhöht haben. Frau Kollegin SchaichWalch, zuständige stellvertretende Vorsitzende der SPDFraktion, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Beitragssatz noch in diesem Jahr auf mindestens 14,8 Prozent ansteigen wird. ({3}) Damit ist Frau Ministerin Schmidt mit ihrer Notstandsgesetzgebung grandios gescheitert. ({4}) Sie ist auf dem besten Weg zu einem traurigen Rekord; denn in nicht einmal drei Jahren Amtszeit hat sie es geschafft, dass die Krankenversicherungsbeiträge bis zum Ende dieses Jahres um rund 1,5 Prozentpunkte gestiegen sein werden. Das Beitragssatzsicherungsgesetz ist nunmehr drei Monate in Kraft. Die fatalen Folgen, vor denen wir von Anfang an gewarnt haben, sind nun für jedermann ersichtlich. ({5}) Krankenhäuser, Arztpraxen, Zahnärzte leiden unter den erzwungenen Nullrunden. Gerade in den Krankenhäusern sind Tausende von Arbeitsplätzen gefährdet. Das Ganze geht am Ende zulasten der medizinischen Versorgung der Patienten. Noch schlimmer hat es die Zahntechniker getroffen. Hier sind mittelständische Existenzen gefährdet, weil das Gesetz in die Substanz eingreift: eine Preisabsenkung um 5 Prozent. So richtig ans Eingemachte geht es bei den Apotheken. Die Abrechnungen der ersten drei Monate dieses Jahres bestätigen unsere wiederholten Warnungen. Der Gewinn der Apotheken vor Steuern ist im Durchschnitt um 35 bis 40 Prozent eingebrochen. Das ist auch kein Wunder; denn die Apotheken werden durch das Beitragssatzsicherungsgesetz in einer Dimension von insgesamt mindestens 900 Millionen Euro in diesem Jahr belastet. Da hilft es auch nichts, wenn man darauf hinweist - wie dies die Staatssekretärin vorhin im Fernsehen getan hat -, dass die Umsätze zuletzt wieder gestiegen sind. Meine Damen und Herren von der Regierung, Sie verwechseln immer noch Umsatz und Gewinn. ({6}) Sie bringen das Kunststück fertig, dass Sie mit Ihrer Politik die Apotheken in weiten Teilen unseres Landes an den Rand des Ruins treiben, obwohl die Umsätze in den ersten Wochen dieses Jahres leicht gestiegen sind. 12 000 Arbeitsplätze sind im Apothekenbereich allein im ersten Quartal verloren gegangen. ({7}) Mit den im Gesetz verordneten Zwangsrabatten greifen Sie tief in die Einkommen der Apotheken ein. Das betrifft nicht nur die Apotheker, sondern auch die Beschäftigten. Das ist ein Musterbeispiel dafür, wie man in diesem Land Arbeitslosigkeit produziert. Was dahinter steht, muss klar sein: Dieses Vorschaltgesetz ist nur die Ouvertüre zu dem, was Sie mit der Gesundheitsreform planen, nämlich den Einstieg in die vollständige Zerschlagung unserer bewährten Apothekenlandschaft. ({8}) Das Beitragssatzsicherungsgesetz war nur der erste Streich. Wenn es nach Ihnen geht, folgt der zweite sogleich, nämlich die Freigabe des Versandhandels und insbesondere die Aufgabe des Mehrbesitzverbots. Dies würde bedeuten, dass die flächendeckende, wohnortnahe Versorgung unserer Bevölkerung mit Arzneimitteln gefährdet ist. Unser Apothekensystem, um das man uns im Ausland beneidet, ist durch eine qualitativ hochwertige und sichere Beratung gekennzeichnet. Das würden Sie aufs Spiel setzen, wenn Sie den Weg für ein System öffnen, bei dem die Apothekenlandschaft durch Ketten dominiert wird. ({9}) Dies ist nicht graue Theorie. Die Erfahrungen aus Norwegen sollten uns ein warnendes Beispiel sein. Nachdem dort vor zwei Jahren das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben wurde, sind heute drei von vier Apotheken in Norwegen im Besitz von zwei großen Apothekenketten, hinter denen Großhandelsunternehmen stehen. Wer unter dem Deckmantel von Liberalisierung und Wettbewerb ein Umpflügen der Apothekenlandschaft will, der muss dies klar aussprechen. Ich sage hier eines deutlich: Mit der Union wird es Apothekendiscounter und einen ungehemmten Versandhandel definitiv nicht geben. ({10}) Zurück zum Beitragssatzsicherungsgesetz. Sie haben weitere Maßnahmen durchgesetzt, die die Situation im Gesundheitswesen nicht verbessern, sondern dramatisch verschärfen. Ein Beispiel ist die willkürliche Anhebung der Versicherungspflichtgrenze. Sie führt dazu, dass den privaten Kassen der Nachwuchs abgeschnitten wird, ohne dass die Strukturprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung auch nur näherungsweise gelöst werden. Wenn man Ihrem Berater, Professor Lauterbach aus Köln, folgt, der eine Bürgerversicherung im Blick hat, dann mag das ja sogar Sinn machen. Ich hoffe nur, dass das Wort des Bundeskanzlers, er wolle diesen Weg nicht gehen, am Ende eingehalten wird. ({11}) Wenn man dieses Wort ernst nimmt, kommt man zu dem Schluss, dass die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze im Beitragssatzsicherungsgesetz im Gegensatz zu dem steht, was der Bundeskanzler selber vor einigen Tagen verkündet hat. ({12}) Sie haben mit Ihren willkürlichen und völlig konzeptionslosen Maßnahmen das Vertrauen der Menschen in die Gesundheitspolitik nachhaltig erschüttert. Die Frage ist aber, warum die Therapie falsch ist, die Sie uns hier in den letzten Monaten verordnet haben. Die Therapie ist deswegen falsch, weil Ihre Diagnose hinten und vorne nicht stimmt. Wir haben im Gesundheitswesen nicht in erster Linie ein Problem auf der Ausgabenseite, sondern ein Problem auf der Einnahmeseite. ({13}) Im vergangenen Jahr sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung - ich lasse jetzt die Verwaltungsausgaben einmal außen vor - im Durchschnitt um 3 Prozent gestiegen. Wenn man eine qualitativ hochwerAndreas Storm tige Versorgung der Menschen mit dem medizinisch Notwendigen möchte - das zeichnet ja ein leistungsfähiges Gesundheitssystem aus -, dann muss man dafür sorgen, dass dieses System auch einen Ausgabenanstieg von 3 Prozent verkraften kann. Problematisch ist deshalb der Einbruch bei den Einnahmen. Die sind lediglich um 0,5 Prozent gestiegen. Das hat zwei Ursachen: zum einen die dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt - nehmen Sie die Zahlen von gestern -: Wiederum fast eine halbe Million Arbeitslose mehr als im Jahr zuvor entspricht spiegelbildlich einem dramatischen Einbruch bei der Beschäftigung. Da nimmt es nicht wunder, dass die Beitragsbasis nicht nur der Krankenversicherung, sondern aller Sozialversicherungszweige wegbricht. Zum Zweiten ein politisch bedingter Verschiebebahnhof zulasten der Krankenkassen. Der Sachverständigenrat hat es im vergangenen November in seinem Jahresgutachten nachgewiesen: Allein 0,4 Beitragssatzpunkte sind auf Maßnahmen im Zuge dieses Verschiebebahnhofs zurückzuführen. Beenden Sie deswegen den Irrweg, mit unbrauchbaren Instrumenten auf der Ausgabenseite etwas bewirken zu wollen! ({14}) Die Finanzierungsbasis muss neu geordnet werden. Die Unionsfraktion hat im Februar einen Plan vorgelegt, wie die Beiträge um 2 Prozentpunkte abgesenkt werden können, nämlich indem die Finanzierungsbasis der Krankenkassen neu geordnet wird. ({15}) Versicherungsfremde Leistungen sollen mit Steuermitteln finanziert werden, die Eigenbeteiligung der Versicherten soll erhöht und ein Leistungsbereich soll über eine Zusatzversicherung und nicht mehr über lohnbezogene Beiträge finanziert werden. Auf der Ausgabenseite muss man durch marktwirtschaftliche Instrumente Effizienzreserven erschließen, also indem man durch mehr Transparenz und Wettbewerb dafür sorgt, dass die Reserven freigelegt werden, die auch tatsächlich freigelegt werden können. Wir brauchen aber keine ungeordneten Eingriffe in die Substanz der Leistungserbringer; das zieht ein Arbeitsplatzfiasko im Gesundheitswesen nach sich und gefährdet gleichzeitig die Versorgung der Menschen. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, in diesem Sinne folgendermaßen schließen: Wenn Sie wollen, dass in diesem Jahr der Weg für eine grundlegende Gesundheitsreform frei wird, dann nehmen Sie dieses unsägliche Beitragssatzsicherungsgesetz so schnell wie möglich zurück! ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Caspers-Merk. ({0})

Marion Caspers-Merk (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000325

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Storm, das, was Sie hier abgeliefert haben, ist schon ein Stück aus dem Tollhaus. ({0}) Sie legen zwei Anträge vor, die mit Sicherheit eine Wirkung haben: Sie führen zu steigenden Beiträgen. ({1}) Das Einzige, was wir geschafft haben - das war mühsam genug -, ({2}) war, bei den Leistungserbringern Geld in einer Größenordnung von 3 Milliarden Euro einzusammeln. Man kann in diesem Haus gegen alles sein, aber die Gesetze von Adam Riese kann man nicht außer Kraft setzen. Es ist völlig klar, dass uns dann, wenn wir jetzt die beiden Gesetze aufheben würden, 3 Milliarden Euro fehlen würden. Das hieße, die Beitragssätze müssten um 0,3 Prozentpunkte angehoben werden. ({3}) Deswegen müssen Sie den Menschen sagen, dass Ihre Lobbypolitik ({4}) und Ihre populistische Forderung nach Rücknahme dieser beiden Gesetze automatisch höhere Beiträge für sie nach sich ziehen. Das gebietet die Redlichkeit. ({5}) Das ist nämlich das, was Sie im Moment verlangen. Interessanterweise haben Sie ja auch in beiden Anträgen keine Vorschläge zur Gegenfinanzierung gemacht. ({6}) Interessanterweise haben Sie eben schon selbst gesagt, dass ein Großhändler, nämlich die Firma GEHE, derzeit auf Einkaufstour in Norwegen ist, wo sie Apotheken einkauft. In Ihrem Antrag fordern Sie, den Großhandelsrabatt aufzuheben. Wenn Sie der Firma GEHE und anderen 600 Millionen Euro geben, ({7}) führt das dazu, dass die noch mehr auf „Shoppingtour“ im Ausland gehen, und zwar bei steigenden Beiträgen für die Menschen im Lande. Das ist Ihr Konzept. ({8}) Sie reden und handeln widersprüchlich. Sie reden davon, die Beitragssätze bei 13 Prozentpunkten einfrieren zu wollen. Aber wo ist Ihr Konzept, wie Sie da hinkommen? Sie sagen sehr allgemein, Sie wollen die versicherungsfremden Leistungen steuerfinanzieren. ({9}) Aber auf Druck Ihrer eigenen Fraktion haben Sie die Forderung einer Erhöhung der Tabaksteuer wieder zurückgezogen. Wo sollen denn die Steuermittel für die versicherungsfremden Leistungen herkommen? ({10}) Gleichzeitig haben Sie in Ihren Reihen einen internen Streit: Stoiber gegen Seehofer, ({11}) Storm gegen den Rest der Welt. Sie sind sich nicht einig, welche Bereiche Sie aus dem Leistungskatalog herausnehmen wollen. Der eine sagt, den gesamten Zahnersatz, der andere schlägt etwas anderes vor. Sorgen Sie doch erst einmal in Ihren Reihen für ein klares Konzept, bevor Sie uns Ratschläge erteilen! ({12}) Ich sage Ihnen noch etwas, was ich besonders beeindruckend finde, Herr Storm. Bei Apotheken bedeutet mehr Umsatz auch deshalb mehr Gewinn, weil es in diesem Bereich keine freien Marktpreise gibt, sondern die Arzneimittelpreisverordnung. Diese legt genau fest, was bei wem landet. Ich habe Zahlen vom Dezember, vom Januar und vom Februar, für die Bundesrepublik und für Baden-Württemberg. ({13}) Diese Zahlen zeigen, dass der Apothekenmarkt zu Herstellerabgabepreisen bundesweit im Januar ein Umsatzplus von 5,5 Prozent und im Februar ein Umsatzplus von 9,4 Prozent hatte. ({14}) Die baden-württembergischen Zahlen der AOK und der IKK weisen ein Umsatzplus von 14,4 Prozent aus. Das heißt, dass die Apotheken trotz der Rabattstrukturen, die wir neu eingeführt haben - aus gutem Grund, weil die Ausgaben in diesem Bereich explodiert sind -, bundesweit noch immer ein Plus von 2,6 Prozent haben. Das haben Sie verschwiegen. Die ABDA-Zahlen, auf die Sie sich stützen, muss man sich genau ansehen, denn hier wird ein kleines Rechenkunststück vorgeführt. Bei diesen Zahlen wurde zusätzlich der Herstellerrabatt abgezogen, sodass sie im Minusbereich liegen. Diesen Rabatt aber zahlen die Apotheken gar nicht, sondern er wird direkt zwischen den Kassen und den Herstellern verrechnet. Lassen Sie sich also nicht durch Zahlen der Leistungserbringer und der Lobbyverbände aufs Glatteis führen. ({15}) Unsere Konzeption ist die einzige, die im Moment Sinn macht. Wir wissen, dass die Umsetzung des Beitragssatzsicherungsgesetzes für alle Leistungserbringer schwierig ist. Das ist gar keine Frage. Wir setzen die Maßnahmen auch nicht gern durch. Aber es ist die einzige Chance, die Beiträge einigermaßen stabil zu halten. Garantieren können wir es angesichts der konjunkturellen Lage alle miteinander nicht. Wir werden ein Weiteres tun. Wir haben Ihnen bereits unsere Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesen vorgelegt. ({16}) Ein Gesetzentwurf ist in Vorbereitung. Wir werden darüber im Ausschuss diskutieren. Wir werden auch zur Einnahmeseite Vorschläge machen. Herr Storm, da ist mehr gefordert als Ihre Verweigerungshaltung, mit der Sie uns im Moment gegenübertreten. ({17}) Sie hätten es gestern im Vermittlungsausschuss in der Hand gehabt. Sie hätten im Bereich der Fallpauschalen mehr tun können für die Krankenhäuser, die optieren. Sie hätten auch mehr tun können, indem Sie den Kassen eine Nullrunde abfordern, damit die Verwaltungsausgaben nicht steigen. ({18}) Das haben Sie beides nicht gemacht. Neinsagen im Vermittlungsausschuss, alles blockieren, ({19}) den Leistungserbringern nach dem Munde reden und gleichzeitig niedrige Beiträge verlangen, das ist Ihr Konzept. Das ist ein unehrliches Konzept und deswegen wird es nicht aufgehen. ({20}) Ich vermisse bei den Rednerinnen und Rednern, die Sie heute hier aufbieten, den Kollegen Seehofer. ({21}) - Die Ministerin ist anwesend. Es ist ganz interessant, dass Sie so getroffen sind. Immer mit der Ruhe, Herr Zöller; ich will nicht, dass Ihnen etwas passiert. ({22}) Gestern erklärte Herr Seehofer in der „Frankfurter Rundschau“, dass er aufgrund der konjunkturellen Lage einen Beitragssatzanstieg um 0,3 Prozent befürchte. Sie bewirken mit Ihrem heute vorgelegten Gesetzentwurf aber genau das, was er befürchtet. Wenn wir Ihrem Gesetz zustimmen würden, dann würden die Beitragssätze sicherlich um 0,3 Prozentpunkte steigen. Es ist schon seltsam: Herr Seehofer befürchtet einen Beitragssatzanstieg und gleichzeitig würden Sie mit Ihrem Gesetzentwurf genau das bewirken. Seien Sie ehrlich! Sagen Sie den Menschen, wie man zu niedrigeren Beitragssätzen kommen kann! Dies wird nur gelingen, wenn wir den Leistungserbringern einiges abverlangen, wenn wir die Einnahmeseite in Ordnung bringen und wenn wir uns auch trauen, bei den Strukturen im Gesundheitswesen endlich aufzuräumen. Das heißt für uns: mehr Transparenz, mehr Wettbewerb und auch mehr Qualität. Sie sind herzlich eingeladen, auf diesem Weg mitzugehen. Wir erwarten von Ihnen mehr, als nur Nein zu sagen, und mehr als nur populistische Anträge. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Detlef Parr, FDP-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ddp meldet heute Morgen, dass die BKK für Heilberufe den Beitragssatz von 13,9 auf 14,8 Prozent und dass Ford-BKK den Beitragssatz von 13,8 Prozent auf 14,5 Prozent angehoben haben. Allein der Begriff Beitragssatzsicherung gaukelt uns etwas vor, was wir schon lange in der Gesundheitspolitik vermissen: Verlässlichkeit, Sicherheit und Vertrauen. Die Menschen spüren längst, dass in den letzten Wochen nichts mehr sicher ist und dass auf immer weniger Verlass ist. Das Vertrauen in die Bundesregierung geht mehr und mehr verloren. ({0}) - Ich sage Ihnen gleich, was die FDP macht. - Das ist ausgerechnet in Zeiten der Fall, in denen die Motivationslage der Beschäftigten im Gesundheitswesen ohnehin gegen null tendiert. Immer wieder müssen die Akteure im Gesundheitswesen und die Patienten für Ihre verfehlte Politik den Kopf hinhalten. ({1}) Zwangsrabatte, Minusrunden, Preisabsenkungen und Manipulationen an der Versicherungspflichtgrenze sind Musterbeispiele von Regulierungswut nach staatlichem Gutdünken, die keinen Ausweg aus der Misere aufzeigen. ({2}) Diese Ergebnisse sind Gift für den notwendigen Umbau des Gesundheitssystems. Es muss endlich mit Gesetzen Schluss sein, die eben nicht in eine mittel- und langfristig konsequente ordnungspolitische Linie eingebettet sind. ({3}) Auf der Grundlage freiheitlicher Strukturen müssen Eigenverantwortung, Wettbewerb und Transparenz die entscheidende Rolle spielen. Von diesen Zielen, Frau Ministerin, ist Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz weit entfernt. Deswegen fordere ich Sie auf: Ziehen Sie es zurück! Insbesondere diejenigen Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die hier bereits im Dezember in persönlichen Erklärungen mehr als nur ihr Unbehagen zum Ausdruck gebracht haben, ({4}) sollten einmal über die heutige Situation nachdenken; denn die Folgen dieses Gesetzes sind schon nach den ersten drei Monaten klar erkennbar: Die Umwälzung der geringeren Spannen bei den Großhandelsrabatten auf die Apotheken findet so statt, wie vorausgesagt. Die Apotheken beklagen dramatische Einkommensverluste. Erste Entlassungen sind erfolgt. Dies ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Freiberuflichkeit - heute die Apotheker und morgen die niedergelassene Ärzteschaft. Dieser Eindruck verstärkt sich umso mehr, wenn man dem Glauben schenkt, was als Nächstes seitens der Bundesregierung geplant ist: die Freigabe des Versandhandels und die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots. Diese Schritte haben noch einmal gravierende Folgen für die Apothekerschaft. Hier wird ein ganzer mittelständischer Berufsstand in seiner Existenz bedroht, ohne dass plausibel wird, was Sie mit Ihren Änderungen verbessern wollen. ({5}) - Je mehr Sie schreien, desto mehr zeigen Sie, wie dünnhäutig Sie geworden sind. Sie wissen doch nicht, welche Wege die richtigen sind. Zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion - den Gesetzentwurf haben wir gemeinsam eingebracht -: Sie fordern die Zurücknahme des gesamten Gesetzes. Dem stimmen wir natürlich zu. Nullrunden in den Krankenhäusern sowie bei Vergütungen von Ärzten und Zahnärzten, Zwangsrabatte und Preisabsenkungen bei den Zahntechnikern lehnen wir natürlich genauso wie Sie ab. Wir denken jedoch, dass die Rückführung in den Zustand vom 31. Dezember 2002 allein nicht die Lösung sein kann. Wir brauchen eine grundlegende Reform vor allem auf der Finanzierungsseite des Gesundheitssystems. Nur dadurch können wir willkürliche und arbeitsplatzgefährdende Kostendämpfungsmaßnahmen aufheben. Die FDP nimmt natürlich mit Freude zur Kenntnis, dass sich mittlerweile Begriffe wie mehr Eigenverantwortung, höhere Transparenz und mehr Wettbewerb als liberale Zielvorgaben überall wiederfinden. Letztlich bleibt aber die spannende Frage, was sich hinter diesem Reformkonzept tatsächlich verbirgt. Was sind wir in der Vergangenheit gescholten worden, als wir eine stärkere Eigenverantwortung durch höhere Selbstbehalte gefordert haben! Nun spricht sich sogar der Kanzler für Anreize im Hinblick auf die Versicherten aus, die zu einem eigenverantwortlichen Umgang mit der Gesundheit und den Ressourcen führen sollen. Er gibt sich hart in der Sache: Die Linie sei beschlossen; nur über Details könne noch gesprochen werden. Nach solchen Sprüchen kennen wir bisher eigentlich nur ein Ergebnis: Die viel versprechenden Überschriften bleiben; der Inhalt wird verunklart und verwässert; die Ursprungslinie geht verloren. Das ist zu wenig. Wir können uns um die Beantwortung der Kernfrage nicht länger drücken: Wer steuert zukünftig das System: der Versicherte bzw. der Patient oder der Staat? ({6}) Die FDP hat sich klar positioniert. Wir wollen die Entscheidung, was über die eigentliche Grundversorgung hinaus wie finanziert werden soll, den Versicherten und den Krankenkassen im Wettbewerb überlassen. Lediglich der Arbeitgeberanteil wird eine festgeschriebene Größe. Dann ist es Sache der Krankenkassen, unter dem Dach eines Beitragssatzes von 13 Prozent zu entscheiden, welche Leistungen sie anbieten, ob und wie sie Leistungen ausgliedern oder ob sie Zusatzleistungen zulasten der Arbeitnehmer finanzieren wollen. Warum soll hier die Politik entscheiden, was Angebot und Nachfrage besser regulieren können? Es wird Leistungen geben, die die Versicherung im Rahmen einer Pflicht zur Versicherung gewährleisten muss, zum Beispiel beim Krankengeld, beim Schutz vor Unfällen und bei der Zahnbehandlung. Es wird Leistungen geben, deren Streichung eine Krankenkasse erwägen kann, um die Beiträge stabil zu halten, zum Beispiel die Erstattung von Fahrtkosten. Die Versicherten - wir sollten ihnen einfach mehr zutrauen - werden schon das für sie günstigste Paket aussuchen. Das tun sie ja auch in anderen Versicherungsbranchen. Mit Bedauern stellen wir fest, dass die Gesundheitsministerin ihre Reformüberlegungen im Ausgabenbereich anscheinend bereits abgeschlossen hat. Damit würden natürlich notwendige Kompromisse - Frau Caspers-Merk, Sie haben den Vermittlungsausschuss angesprochen - schwieriger bis unmöglich werden. Die FDP kann zum Beispiel der Schaffung eines völlig überflüssigen Zentrums für Qualität in der Medizin - der Bundesärztekammerpräsident spricht von einer Bundesanstalt für Krankheitsverwaltung - nicht zustimmen. Das ist der Ausbau von Staatskontrolle pur. ({7}) Ein zweites Beispiel: Wir können keine schleichende Auszehrung der ambulanten fachärztlichen Versorgung akzeptieren. ({8}) Die Freiberuflichkeit ist ein wichtiges Element unserer Grundordnung. Sie dürfen sie nicht antasten. ({9}) Es gibt zu unseren Reformvorschlägen, die ich Ihnen dargestellt habe, nur die Alternative, wie sie heute in der Meldung von ddp angedeutet wird: steigende Beiträge bei rationierten Leistungen. Das müssen wir den Menschen erklären. Dann können wir sie auf neue Wege mitnehmen. Ich denke, wir sollten dem Einzelnen sehr viel mehr zutrauen, als Sie das hier tun. Der Weg über den Staat ist keine Lösung. ({10}) - Sie sprechen von Zumutungen und damit diskreditieren Sie alle vernünftigen Vorschläge zur Gesundheitsreform. Diese werden damit totgeschlagen und damit gehen Sie den falschen Weg. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollegin Birgitt Bender, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den Läden kann man Osterhasen kaufen; aber bei der CDU/ CSU ist Weihnachten. Der Kollege Storm kommt als Weihnachtsmann mit einem Sack voller Geschenke daher und packt sie aus. ({0}) Zunächst einmal haben wir innerhalb der Opposition eine Koalition, was die Entlastung des Pharmagroßhandels angeht. Wenn Sie Wohltaten für die Apotheker ausschütten wollen, dann sollten Sie den Apothekern einmal erklären, wieso die Aufhebung des Großhandelsrabattes bei den Apotheken ankommen soll. ({1}) Der Großhandel wird Ihnen etwas anderes erzählen. Im Übrigen hat die Frau Staatssekretärin zur Umsatzentwicklung bei den Apotheken unter Berücksichtigung aller Rabatte bereits Ausführungen gemacht. Aber die CDU/CSU hat noch mehr im Sack - wie ich höre, Herr Parr, ist die FDP Seit an Seit -: Sie wollen die Nullrunde bei den Krankenhäusern aufheben. ({2}) Sie wollen die Nullrunde bei den Ärzten und bei den Zahnärzten aufheben. Sie wollen die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze, die Halbierung des Sterbegeldes und die Preisnachlässe bei Zahntechnikern und Apotheken, beim Pharmagroßhandel und bei der Pharmaindustrie rückgängig machen. Nun ist die Bescherung immer schön für die Beschenkten; die freuen sich darüber. Der Applaus ist Ihnen auf vielen Veranstaltungen, die wir zum Teil gemeinsam abhalten, sicher; möge es denn so sein. Aber, Herr Kollege Storm, was ist der Preis dafür? Der Preis für Ihre Politik ist auf der einen Seite schneller Beifall - gewiss -, aber auf der anderen Seite, dass der Krankenkassenbeitrag Ende des Jahres nicht bei knapp 15 Prozent liegen, sondern noch einmal um 0,3 Prozent höher ausfallen wird. Sie aber machen noch weitere Versprechungen. Den Krankenhäusern versprechen Sie nicht nur die Aufhebung der Nullrunde, sondern zusätzliche 1,7 Milliarden Euro für zusätzliche Stellen. Da kann ich nur fragen: Wie in aller Welt wollen Sie es erreichen, dass die Krankenversicherungsbeiträge auf 13 Prozent sinken? Das ist mir völlig schleierhaft. ({3}) Es gibt zwei Interpretationsmöglichkeiten: Entweder blenden Sie dieses Ziel einfach aus und betreiben Populismus - dann muss man den Leuten aber sagen, dass die Rechnung dafür hinterher kommt; Sie glauben wohl, Sie könnten dann auf die böse Regierung verweisen, aber so dumm sind die Leute nicht ({4}) oder, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie wollen tatsächlich einen Beitragssatz in Höhe von 13 Prozent erreichen. Dann aber müssen Sie zur Kompensation Ihrer Zusatzversprechen zumindest die Leistungen für Zahnersatz privatisieren. ({5}) Damit sind die Beiträge jedoch noch nicht einmal um ein zehntel Prozent gesunken, aber Sie haben den Versicherten schon die zusätzlichen Kosten für die private Absicherung des Zahnersatzes aufgebrummt. Sie müssen den Leuten klar sagen, ({6}) dass dieser zusätzlichen Belastung überhaupt keine Entlastung gegenübersteht. ({7}) Jetzt reden wir einmal darüber, wie es bei Ihnen um weitere Maßnahmen bestellt ist, um die Beiträge zu senken. Ich höre mit Interesse, dass Sie auch für die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen sind. Das ist schön. Ich bin aber neugierig, woher wir Ihrer Meinung nach die dafür notwendigen Steuermittel in Höhe von 4 Milliarden Euro nehmen sollen und in welchem Zeitraum das geschehen soll. Darüber werden wir uns zu verständigen haben. Ich habe noch nichts dazu gehört, ob Sie für eine erweiterte Beitragsbemessungsgrundlage durch Einbeziehung der Zins- und Mieteinkünfte sind, denn das würde etwas bringen. Ich habe auch noch nichts dazu gehört, ob Sie für die Einbeziehung gut verdienender Alleinverdienerehen in die gesetzliche Krankenversicherung sind. Auch das würde etwas bringen. Ich höre lediglich, dass Sie für Leistungsausgrenzungen sind. Als Beispiel nennen Sie immer den Zahnersatz. Dazu habe ich vorhin schon etwas gesagt. ({8}) Der Kanzler hat angekündigt, ({9}) das Krankengeld allein durch die Versicherten finanzieren zu lassen. ({10}) Dazu möchte ich gern wissen: Sind Sie dafür ({11}) oder bleibt es beim Mäkeln? Es handelt sich um eine klar abgrenzbare Leistung. Das Krankengeld eignet sich gut für eine Leistungsausgrenzung im Interesse einer kurzfristigen Senkung der Beiträge. Aber ich habe noch nichts dazu gehört, ob Sie da eigentlich mitmachen, Frau Widmann-Mauz. ({12}) Im Gegenteil, es wird immer daran herumgemäkelt. Jetzt nehmen wir einmal an, wir machen das alles. Sie brauchen für die von Ihnen vorgeschlagenen Maßnahmen doch insgesamt ein sehr viel größeres Finanzierungsvolumen. ({13}) Woher wollen Sie das Geld denn nehmen oder sieht Ihre Taktik vielleicht so aus: Es wird nicht nur das Krankengeld, sondern außerdem noch der Zahnersatz aus der Krankenversicherung herausgenommen? Oder gilt das vielleicht sogar für die gesamte Zahnbehandlung, und das Ganze noch mit deutlich erhöhten Zuzahlungen? ({14}) Das Ganze nennt man dann Eigenverantwortung. Ist das Ihr Kurs? Dazu sage ich: Das ist eine Kampfansage an das Solidarsystem. Das werden Sie mit uns nicht erreichen. ({15}) Die Leistungsanbieter schonen und ihnen nicht einmal Wettbewerb zumuten, aber alle Finanzierungsnotwendigkeiten über zusätzliche Belastungen der Versicherten und Kranken lösen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, ({16}) kann nicht der Weg sein. Das sage ich Ihnen sehr deutlich. Herr Parr, Sie sagen, man brauche eine ordnungspolitische Linie. Dazu kann ich nur sagen: in der Tat. Unsere ordnungspolitische Linie ist ({17}) der Wettbewerb im Solidarsystem. ({18}) Herr Dr. Thomae, wie ist es denn mit dem Wettbewerb? Ich meine immer gehört zu haben, die FDP sei für Wettbewerb, für Deregulierung. Sie wolle, dass sich alle entfalten können. Aber bei den Apothekern verteidigen Sie ein mittelalterliches Zunftsystem. Das ist doch erstaunlich. ({19}) Sie müssen etwas mehr Konsistenz in Ihre Politik hineinbringen. Ich hoffe, dass wir dann wirklich zu einer Reform kommen. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man gehört hat, was die Staatssekretärin und Frau Bender von den Grünen gesagt haben, kann man nur zu dem Schluss kommen: Entweder haben Sie Wahrnehmungsstörungen oder Sie sind arrogant. Ich fürchte, beides trifft auf Sie zu. ({0}) Denn Sie wollen nicht mehr zur Kenntnis nehmen, wie die Situation bei den Zahntechnikern und den Apothekern aussieht und was die nackten Zahlen sind. Das tut mir Leid. Frau Bender, Sie haben gefragt, was die Opposition will. Ich muss im Gegenzug vielmehr Sie fragen, was Sie wollen. Schließlich sind Sie an der Regierung. Deshalb müssen Sie das zuerst sagen. ({1}) Aber zurück zu Ihrem Gesetz, über das wir heute diskutieren. Sie haben eben über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über das Thema, das heute auf der Tagesordnung steht. ({2}) Sie wissen genau, dass Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz, wie es so schön heißt, zu schnell und unüberlegt durchgepeitscht wurde. ({3}) Es ist hochinteressant, daran zu erinnern, welche Begründung Sie damals angeführt haben, warum dieses Gesetz notwendig ist. Sie haben gesagt, man brauche das Beitragssatzsicherungsgesetz, um angesichts der Defizite der Krankenkassen die Beitragssätze zu stabilisieren. Aber das Defizit haben doch nicht die Pflegekräfte, die Apotheker oder die Zahntechniker zu vertreten; ausschließlich das Gesundheitsministerium ist dafür verantwortlich. ({4}) - Diesen Zwischenruf hätten Sie sich sparen können. Das werde ich Ihnen nämlich beweisen: Die Gesundheitsministerin hat durch politische Fehlentscheidungen, die zu Verschiebebahnhöfen und zur Verschlechterung auf der Einnahmeseite geführt haben, dieses Defizit zu verantworten. Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben darauf hingewiesen, dass sich allein im Jahr 2001 aus politischen Entscheidungen Mehrbelastungen von über 5 Milliarden DM - damals gab es noch die alte Währung - ergeben haben. Hierzu zählt zum Beispiel die Absenkung der KV-Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger und vieles mehr. Das Defizit ist also allein auf politische Fehlentscheidungen zurückzuführen. Können Sie mir einen Grund nennen, warum für diese Fehlentscheidungen die Apotheker, die Zahntechniker und die Pflegekräfte in Haftung genommen werden? Bevor man solche neuen Sparrunden verordnet, muss man doch seine politischen Hausaufgaben machen. Wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht hätten, dann wüssten Sie, dass andere Maßnahmen vorgezogen werden müssten. Hierzu zählt zum Beispiel, die versicherungsfremden Leistungen aus der GKV herauszunehmen, die Verschiebebahnhöfe, die in den letzten paar Jahren entstanden sind, rückgängig zu machen, die Verwaltungskosten zu senken oder die Mehrwertsteuersätze auf Arzneimittel und im zahntechnischen Bereich zurückzunehmen. Erst wenn Sie diese Schritte getan haben, kann man glaubhaft über neue Sparrunden reden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr Beitragssatzsicherungsgesetz ist leider ein Paradebeispiel für willkürliche Sparrunden. ({5}) Verschlechterung der Versorgungsqualität, Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlage der Leistungserbringer sowie Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze sind Folgen dieses Gesetzes. Am 11. November des letzten Jahres haben auch etliche Kollegen von der rot-grünen Koalition erkannt, ({6}) dass es nicht der richtige Weg ist. Sie aber haben darauf bestanden, das, was Sie vorgeschlagen haben, sei wirtschaftlich vernünftig und sozial gerecht. Was an diesem Gesetz wirtschaftlich vernünftig und sozial gerecht sein soll, müssen Sie mir einmal erklären. Ich vermute, es wird wohl ewig Ihr Geheimnis bleiben. Ein Beispiel mag das belegen: An der Preisgestaltung im Arzneimittelbereich sind die Apotheken mit rund 17 Prozent beteiligt. Die Einsparmaßnahmen bei den Apothekern betragen aber 80 Prozent. Ist das wirtschaftlich vernünftig? Ist das sozial gerecht? Ich habe den Verdacht, dass hier eine Strafaktion gegen die Apotheker läuft, weil sie 7,7 Millionen Unterschriften gegen Ihr Gesetz zusammengetragen haben. ({7}) Es ist klar, dass Gesetzesänderungen in einer parlamentarischen Demokratie an der Tagesordnung sind, weil eben auch auf gesellschaftliche Entwicklungen Rücksicht genommen werden muss. In diesem Fall haben wir es aber mit einem Gesetz zu tun, dessen Scheitern und Sinnlosigkeit selbst zahlreiche Abgeordnete Ihrer Koalition frühzeitig vor der Abstimmung im Bundestag erkannt haben, ({8}) was sich in persönlichen Erklärungen widerspiegelt. Ich darf auszugsweise zitieren: „Wir bedauern, dass es nicht mehr gelungen ist, eine Alternative für die jetzt festgeschriebene Lösung zu finden.“ - „Wir stimmen dem Gesetzentwurf ... nur mit Bedenken zu.“ - „Ich ... stimme dem vorliegenden Gesetzentwurf nur schweren Herzens zu ...“ ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, uns allen ist bekannt, dass es in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, die bedrohlichen Folgen dieses Gesetzes besonders für Apotheker, Krankenhäuser, Vertragsärzte und auch Zahntechniker wahrheitsgemäß darzustellen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Die erste Konsequenz wäre zum Beispiel, die Regelungen zum Großhandelsrabatt zu korrigieren. Sie sagen, dass das auf die Apotheker keine Auswirkungen haben wird. Hierüber wird Sie der Kollege Bauer gleich völlig kostenlos aufklären. Das Gesundheitsministerium hat uns damals wiederholt falsche Zahlen vorgetragen. Wir werden sehen, dass die Auswirkungen auf die Apotheken doppelt so hoch sein werden, wie Sie gesagt haben. Im Schnitt werden die Apotheken Einkommenseinbußen in Höhe von 35 Prozent zu verzeichnen haben. Bei manchen werden sie aber bis zu 70 Prozent hoch sein, da es auf den Standort der Apotheken ankommt. Das ist ein Kahlschlag ersten Ranges und grenzt fast an Enteignung. ({10}) - Es geht um Existenzen von Freiberuflern. Wie kann die Koalition über die Bedenken, die in diesem Hause vorgetragen werden, lachen? ({11}) Darüber hinaus haben Sie in planwirtschaftlicher Manier zahlreiche Zahntechniker an den Rand des Existenzminimums getrieben und auch in diesem Bereich den Verlust von zahlreichen Arbeitsplätzen verursacht. Das ging bei Ihnen nach dem Motto: Eichel erhöht die Mehrwertsteuer, dafür bittet die Gesundheitsministerin Schmidt die Zahntechniker zur Kasse. Was ist hier wirtschaftlich vernünftig? Was ist hier sozial gerecht? Auch hierzu darf ich einen Kollegen von Ihnen zitieren, der gesagt hat: Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu, obwohl wir in der überproportionalen Belastung des Zahntechnikerhandwerks ernsthafte Probleme sehen. Wenn dieser Handwerkszweig zum einen durch die Mehrwertsteuererhöhung und zum anderen durch die gesetzliche Absenkung der Preise um 5 Prozent belastet wird, werden zahlreiche Arbeits- und Ausbildungsplätze, ganz besonders in den neuen Bundesländern, auf diese Weise infrage gestellt. ({12}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, schade ist nur, dass Sie nicht bereits damals Ihrer Erkenntnis gemäß gehandelt haben. Hätten Sie Ihre Erkenntnis damals wirklich ernst gemeint, hätten Sie dieses Gesetz ablehnen müssen. ({13}) Die zwischenzeitliche Entwicklung der sozialpolitischen Realität hat unsere Argumente und leider auch Ihre Bedenken bestätigt. Deshalb wäre es eigentlich eine logische Konsequenz, wenn Sie diesem Gesetzentwurf in der zweiten und dritten Lesung zustimmen würden. Lassen Sie mich mit einem Satz schließen: Einen Fehler zu machen ist menschlich, aber auf Fehlern zu bestehen ist töricht. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Marlies Volkmer, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl am Gesetzentwurf als auch am Antrag der Opposition fällt mir vor allem eines auf: Sämtliche Interessengruppen im Gesundheitswesen haben sich offensichtlich mit Erfolg auch an Sie gewandt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, an so viel Lobbyarbeit werden Sie sich verheben. ({0}) Das würde dann genauso wie während Ihrer Regierungszeit aussehen: Die Umsätze und die Gewinne - ich weiß sehr wohl den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn ({1}) stiegen und stiegen, aber für den Zahnersatz bei den Versicherten reichte es nicht mehr. ({2}) Herr Kollege Zöller, der weitaus größte Teil der in der Tat zu beklagenden Verschiebebahnhöfe zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung von mehr als 30 Milliarden Euro ist in Ihre Regierungszeit gefallen. Das vergessen Sie immer zu sagen. ({3}) Sie sollten Ihren Antrag zurückziehen. Sie verlangen die Rücknahme sämtlicher Maßnahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes. Aber Sie sagen nicht, wie Sie das gegenfinanzieren wollen. ({4}) Dabei beklagen Sie auf der anderen Seite die steigenden Beitragssätze. Das ist eine völlig unseriöse Vorgehensweise. ({5}) Ich will die Aufforderung, Ihre Vorschläge zurückzuziehen, an zwei Beispielen deutlich machen. Erstens. Sie behaupten, die Apotheken hätten erhebliche Einkommenseinbußen infolge des Beitragssatzsicherungsgesetzes. ({6}) Tatsächlich lagen bis zum 2. April keine einigermaßen verwertbaren Zahlen über die konkreten Auswirkungen des Gesetzes vor. ({7}) Sie formulierten Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag also aufgrund von Hörensagen. Das nenne ich mangelnde Ernsthaftigkeit.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Volkmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Widmann-Mauz?

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke schön. - Angesichts der Auswirkungen, die Ihr Antrag im Erfolgsfalle für die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung hätte, ist Ihr Handeln unverantwortlich. Schon die langfristigen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zur Einkommensentwicklung der Berufsgruppen im Gesundheitswesen weisen darauf hin: Die Beschwerden der Apotheken sind zumindest im Durchschnitt Jammern auf hohem Niveau. Die Apotheken haben nicht nur in der Vergangenheit von den steigenden Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung kräftig profitiert. Auch ganz aktuell steigen trotz Erhöhung des Apothekenrabatts die Umsätze. ({0}) Seit vorgestern wissen wir: Im Vergleich zum Vorjahresmonat stieg der Gesamtumsatz des deutschen Apothekenmarktes nach Angaben von IMS Health im Januar 2003 um 5,5 Prozent, im Februar sogar um 9,4 Prozent. Selbstverständlich hat der Umsatz auch etwas mit dem Gewinn zu tun. ({1}) Die Abrechnung je Apotheke mit der gesetzlichen Krankenversicherung stieg noch bis zu 2,3 Prozent. Diese Zahlen geben keinen Anlass, das Beitragssatzsicherungsgesetz zurückzunehmen. ({2}) Der Versuch des Arzneimittelgroßhandels, seinen Anteil an der Stabilisierung der Arzneimittelausgaben auf die Apotheken abzuwälzen, ist zumindest gebremst worden. Die Bundesregierung hat in nachdrücklichen Gesprächen die Zusage erhalten, dass der Großhandel eigene substanzielle Sparbeiträge erbringt. ({3}) Der Großhandelsabschlag lag nach Angaben des Apothekenverbandes vom 2. April in den Monaten Januar und Februar 2003 bei 489 Millionen Euro. ({4}) Die Apotheken wurden also nicht mit dem gesamten Großhandelsrabatt von 600 Millionen Euro belastet, wie die Opposition in ihrem Gesetzentwurf behauptet. Zur Frage der Auswirkungen auf die freiwillig gewährten Rabatte des Großhandels möchte ich anmerken: Vor dem Beitragssatzsicherungsgesetz wurde die Existenz von Rabatten zum Teil bestritten oder deren Bedeutung als marginal hingestellt. Plötzlich sollen an diesem Phantom zahllose Existenzen hängen. Dabei wird nicht redlich argumentiert; das bringt uns nicht weiter. Marktlich ausgehandelte Rabatte können und sollen nicht Gegenstand der Abführung an die gesetzliche Krankenversicherung sein. Die Apotheken haben jetzt die Chance, ihre Marktmacht zu nutzen und neue Rabatte auszuhandeln. Wir alle wissen, dass die jetzige Regelung mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz nur vorübergehender Natur ist. ({5}) Mit einer Neuordnung der Vertriebsstrukturen und der Preisbildung bei Arzneimitteln einschließlich der Rabattierungen muss eine zukunftsweisende verlässliche Lösung gefunden werden. ({6}) - Das wissen Sie doch; das ist nicht neu. Das ist schon bei der Einbringung des Beitragssatzsicherungsgesetzes von der Ministerin gesagt worden. ({7}) Zweitens. Was Sie den einen vorauseilend nach dem Munde reden, das wollen Sie von den anderen gar nicht hören: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat die Union mehrfach gebeten, die Verlängerung des Optionsmodells zu ermöglichen und dem 12. SGB-V-Änderungsgesetz zuzustimmen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie sind gegen die Nullrunde in allen Bereichen. Sie könnten den Krankenhäusern, die vorzeitig bereit sind, auf das neue Vergütungssystem umzustellen, also auf die DRGs, zu der Ausnahme von der Nullrunde verhelfen. ({8}) Gleichzeitig könnten Sie zur Beschleunigung der überfälligen Änderung der Krankenhausfinanzierung beitragen. Sie haben vorhin selbst gesagt, Sie seien für mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Gerade die Einführung der DRGs ist ein ganz wesentlicher Schritt dahin. ({9}) Aber auch diese sinnvolle Regelung fällt Ihrem Gesamtkalkül zum Opfer. Sie wollen einfach blockieren, Sie wollen nicht mitmachen; sonst würden Sie sich im Vermittlungsausschuss anders verhalten. ({10}) Die aktuelle Verschlechterung der Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung - das wissen Sie so gut wie wir alle - ist der gegenwärtigen konjunkturellen Schwäche geschuldet. ({11}) Mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz haben wir eine unvermeidliche Ausgabenbremse in die gesetzliche Krankenversicherung eingebaut. Mit unserem neuen Gesetz zur Modernisierung des Gesundheitssystems werden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass zukünftig die Gesundheitsversorgung mit mehr Qualität und Effizienz erbracht wird. Die Eckpunkte machen klar, dass es mit lieb gewonnenen Besitzständen ein Ende haben wird. Es ist schon klar, dass die Interessengruppen versuchen, in die günstigste Ausgangsposition zu kommen. Das bestätigt aber nur unseren Ansatz. Unser Gesundheitswesen muss effizient und von hoher Qualität, also nachhaltig sein. Nur so kann allen unabhängig vom Einkommen auch das medizinisch Notwendige zur Verfügung stehen. Wir wollen die Mitwirkungsrechte der Versicherten stärken und gesundheitsbewusstes und kostenbewusstes Verhalten belohnen. Das ist etwas ganz anderes als Ihre Vorstellung von Eigenverantwortung des Patienten, Herr Parr. Ihre Vorstellung von Eigenverantwortung ist der Griff ins Portemonnaie. ({12}) - Herr Schröder hat nichts anderes gesagt. ({13}) Meine Damen und Herren von der Opposition, sparen Sie Ihre Kräfte und wirken Sie bei der Modernisierung mit! ({14}) - Lassen Sie diese Rückzugsgefechte und den Quatsch mit der Staatsmedizin. ({15}) Ich habe Staatsmedizin erlebt. Das ist etwas völlig anderes als das, was im Gesundheitsstrukturgesetz vorgesehen ist. ({16}) Regen Sie sich nicht so auf! Schon nächste Woche haben Sie im Vermittlungsausschuss Gelegenheit, konkrete Änderungen vorzuschlagen. Nutzen Sie sie und bringen Sie doch bitte zur Abwechslung einmal einen Finanzierungsvorschlag mit! ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Annette Widmann-Mauz, CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Volkmer, nachdem Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, sehe ich mich veranlasst, einige Aussagen richtig zu stellen. Zunächst einmal behaupten Sie, es gebe keine verlässlichen Daten, um eine Bewertung, was die Auswirkungen auf die deutsche Apothekerschaft durch das Beitragssatzsicherungsgesetz anbelangt, vorzunehmen. Wenige Sätze später aber bringen Sie dann Daten. Es kann nur eines stimmen. Aber im Grunde braucht man diese Daten gar nicht, denn die Auswirkungen vor Ort sind ganz eklatant. Ich möchte Ihnen einmal ein Beispiel aus einer Stadt und einem Landkreis in unserem Land nennen. Ich frage Sie einfach einmal von Frau zu Frau, wie Sie Folgendes bewerten: In der Stadt Bonn sind allein seit Januar dieses Jahres 130 Entlassungen in den Apotheken vorgenommen worden. ({0}) Bis zur Jahresmitte wird es 220 Entlassungen, insbesondere bei den PTAs - das sind in erster Linie Frauen -, geben. ({1}) Im gesamten Rhein-Sieg-Kreis, und zwar links- und rechtsrheinisch, gab es in den ersten zwei Monaten 160 Entlassungen. Davon waren vor allem Frauenarbeitsplätze betroffen, liebe Frau Volkmer. Das sind die ganz konkreten Auswirkungen Ihres Gesetzes. In den neuen Bundesländern, aus denen Sie kommen, ist es mindestens genauso dramatisch. ({2}) Es kann doch nicht sein, dass Sie sagen, zunächst einmal machen wir eine Struktur, die sich bewährt hat, kaputt und nehmen die Entlassungen und weiter steigende Arbeitslosenzahlen in Kauf, um dann eine Neuordnung vorzunehmen. So kann es nicht funktionieren. Außerdem sind Sie uns eine Antwort auf die drängenden Fragen, die die Bevölkerung an die Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion richtet, schuldig geblieben. Über 150 Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen haben sich in konkreten Schreiben an die deutschen Apotheker gewandt und zum Ausdruck gebracht, dass sie mit diesem Gesetz und seinen Auswirkungen auf die Apothekerschaft nicht leben können. ({3}) Diese Kollegen haben einen Grund für ihre Anschreiben und Sie tun hier so, als sei nichts davon richtig. Klären Sie also diesen Dissens erst einmal in Ihrer eigenen Fraktion; denn es ist dringend notwendig, dass wir zu einer Veränderung kommen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, Ihre Zeit ist abgelaufen. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gut, dann komme ich auch zum Ende. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Volkmer, bitte, Sie haben Gelegenheit zu antworten. ({0})

Dr. Marlies Volkmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Widmann-Mauz, wenn Sie mir richtig zugehört hätten, hätten Sie bemerkt, dass ich gesagt habe, dass bis zum 2. April keine einigermaßen verwendbaren Daten vorlagen. Sie haben Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag bereits im März eingebracht, da lagen uns die Daten in der Tat noch nicht vor. Damals konnten Sie nur vom Hörensagen oder von Einzelbeispielen ausgehen, aber ich kann Ihnen auch anders lautende Einzelbeispiele vortragen. Betrachten Sie beispielsweise die effektiven Arzneimittelausgaben der GKV in Koblenz, hier gab es eine Steigerung zum Vorjahr in Höhe von 3,92 Prozent. ({0}) Wenn Sie die effektiven Arzneimittelausgaben der GKV in Rheinhessen zur Grundlage nehmen, dann sehen Sie, dass diese eine Steigerung von 1,73 Prozent verzeichnen. Ich könnte Ihnen noch viele Beispiele nennen. ({1}) - Natürlich ist das eine Aussage. Sie werden doch nicht behaupten wollen, dass das keine Auswirkungen auf die Gewinne in den Apotheken hat. ({2}) Zu dem Thema Kündigungen will ich Ihnen sagen: Es ist in der Tat so - das haben auch die Angestellten in den Apotheken beklagt -, dass die Arbeitgeber vorauseilend Kündigungen vorgenommen haben. Wir müssen aber bedenken: Das Gesetz gilt erst seit dem 1. Januar, offensichtlich gelten in den Apotheken überhaupt keine Kündigungsfristen. Auch darüber ist vielleicht einmal nachzudenken. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht lehnte gestern einen Eilantrag von vier Pharmaunternehmen ab, die das Gleiche wollten wie Sie in Ihrem Antrag, über den wir heute sprechen, nämlich das rot-grüne Beitragssatzsicherungsgesetz aufheben. Wir als PDS im Bundestag haben auch gegen dieses Gesetz gestimmt, allerdings nicht, weil wir uns um die Profite der großen Pharmakonzerne Sorgen machen, sondern weil wir einen sozialen Staat wollen, einen Staat, der nicht die Krankenkassen aussaugt und nicht die Gesundheitslasten auf die Patientinnen und Patienten und die Beschäftigten im Gesundheitswesen abwälzt. ({0}) Wir haben schon damals gesagt, dass sich die für 2003 vorgesehene Nullrunde bei der Finanzierung der ambulanten und stationären Versorgung in jedem Fall negativ auf die Behandlung kranker Menschen auswirken wird. Vor allen Dingen in den Krankenhäusern, in denen es schon heute für Ärzte und Schwestern oft unerträgliche Arbeitsbelastungen gibt, werden Personalabbau, Arbeitsverdichtung und Tarifdruck weiter zunehmen. Das betrifft besonders jene Ärzte, die - das ist in Ostdeutschland häufiger der Fall - seit längerem kein angemessenes Einkommen erzielen. Die Frustration wächst. Das kann für die Patientinnen und Patienten nicht gut sein. Die Behauptung, dass das bestehende Gesundheitssystem nicht länger finanzierbar sei, ist oft wiederholt worden. Im Wochenbericht Nr. 7 dieses Jahres des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird jedoch nachgewiesen, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt seit vielen Jahren relativ konstant sei. Das heißt, selbst das von vielen kritisierte System wäre unter den gegebenen Bedingungen finanzierbar. Das auffällige Steigen der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung hat andere Ursachen. Es ist auf das Zurückbleiben der gegenwärtigen Bemessungsgrundlagen der Beiträge, nämlich der Bruttolohnund -gehaltssumme, zurückzuführen. Dieser Rückgang ist nicht gottgegeben, sondern teilweise von der Bundesregierung selbst verursacht. Ich nenne als Beispiele nur die Auswirkungen der Umsetzung des Hartz-Konzepts, Minijobs und Leiharbeit. Das hat negative Auswirkungen auf die Einnahmen der Krankenkassen. Jeder kann sich an fünf Fingern abzählen, dass billige Leiharbeiter weniger in die Krankenkassen einzahlen als die „teure“ Stammbelegschaft. Mein Kollege Zöller von der CDU hat schon andere politische Entscheidungen angeführt, die zu Einnahmeverlusten bei der gesetzlichen Krankenkasse geführt haben, zum Beispiel die Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger. Auch an anderer Stelle - das sollte nicht unerwähnt bleiben - hat die Bundesregierung tief in die Taschen der Versicherten gegriffen. Ich nenne als konkretes Beispiel die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Zahnersatz von 7 auf 16 Prozent. Nun könnte man in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob es sich hierbei um eine Steuerharmonisierung im Rahmen der EU gehandelt habe. Aber nein: Nachforschungen ergeben, dass in Europa außer in Deutschland nur in Dänemark und Österreich der Standardmehrwertsteuersatz für Arzneimittel erhoben wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Lötzsch, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich bin gleich fertig, Herr Präsident. Vielen Dank für den Hinweis. - In vielen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien und Schweden, wird auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gar keine Steuer erhoben. Die Grundsätze für unser Gesundheitssystem - das ist mein letzter Satz, Herr Präsident - müssen lauten: erstens die solidarische Versicherung des Krankheitsrisikos; zweitens die paritätische Finanzierung durch Unternehmen und Beschäftigte und drittens ein umfangreicher Leistungskatalog für alle Menschen unabhängig von ihrem eigenen Krankenversicherungsbeitrag. Das Einnahmeproblem muss gelöst werden. Die Wege sind beschrieben. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolf Bauer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Meine Kollegen haben bereits eingehend erläutert, warum wir das Gesetz der Koalition ablehnen. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass es für die Zielsetzung, die Beitragssätze einigermaßen in den Griff zu bekommen, untauglich ist. Insofern muss ich mich dazu nicht äußern. Ich möchte aber - weil der Kollege Zöller um kostenlose Aufklärung gebeten hat - auf einige andere Punkte eingehen. Jeder, der sich in marktwirtschaftlichen Fragen einigermaßen auskennt, weiß, dass der pharmazeutische Großhandel den von der Regierung geforderten Sparbeitrag gar nicht aufbringen kann. Das liegt daran, dass der pharmazeutische Großhandel Gewinne in Höhe von 237 Millionen Euro erwirtschaftet. Aus dieser Summe kann kein Sparbeitrag von 600 Millionen Euro geleistet werden. Das geht beim besten Willen nicht. ({0}) Wenn die Staatssekretärin in diesem Zusammenhang fragt: Wollen Sie denn der Firma GEHE noch weitere 600 Millionen Euro zukommen lassen?, dann ist das reine Polemik. Das geht nicht an. ({1}) Ich wiederhole: Bei einem Gewinn von 237 Millionen Euro können nicht 600 Millionen Euro eingespart werden. Was bleibt dem Großhandel denn anderes übrig, als diesen Betrag an die Apotheken weiterzugeben? Es geht nicht anders. Man kann zwar lange darüber streiten, ob das so vorgesehen ist oder nicht, aber eines steht fest: Die Aufstellung aller Aussagen vonseiten des Ministeriums bzw. der Staatssekretärin ist erschreckend. Ich habe mir Folgendes notiert - die erste Aussage stammt von Oktober -: Der Großhandel gibt die Belastung weiter. Dann hieß es: Er gibt die Belastung nicht weiter. Nach der Abstimmung hieß es wiederum: Er gibt sie teilweise weiter. Dann wurde berichtet, dass er sie doch vollständig weitergibt. Daraufhin sagt die Staatssekretärin: Das geht so nicht. Am 11. März dieses Jahres stellt sie dann fest - das ist die Krönung -, dass sie dafür gar nicht zuständig sei, weil die Verträge zwischen Großhandel und Apotheken privatrechtlicher Natur seien. ({2}) Angesichts dessen erklären Sie hier trotzdem, wie gut das Ganze vorbereitet sei und wie hervorragend es laufe. Des Weiteren wird ständig darauf herumgehackt, welche gewaltigen Einkünfte die Apotheken hätten; schließlich seien die Arzneimittelausgaben stark gestiegen. Bei Ausgaben von 22 Milliarden Euro im Arzneimittelbereich hat sich der Gewinn der Apotheken - ich betone das - um gerade einmal 19 Millionen Euro erhöht. Das sind 0,085 Prozent. Angesichts dessen können Sie doch nicht behaupten, die Apotheken seien an der Erhöhung der Kosten im Arzneimittelsektor schuld. Wenn Sie das behaupten, dann wollen Sie entweder die Wahrheit nicht wissen oder Sie kapieren es in der Tat nicht. ({3}) So geht es jedenfalls nicht. ({4}) Ich sage noch einmal: Es gibt keine andere Möglichkeit für den Großhandel, als es weiterzugeben. Die daraus resultierenden Folgen sind bereits aufgezeigt worden: Die Zahl der Arbeitsplätze wird reduziert. Ich weiß nicht, wie sich der für den Mittelstand zuständige Staatssekretär der Regierung dazu verhält. Ich habe ihn zwar angeschrieben, habe aber bis heute keine Antwort bekommen. ({5}) Warten wir es ab. Ich habe eben die unterschiedlichen Aussagen zu dem Gesetzesvorhaben aufgelistet. Unter anderem war von einem Tollhaus die Rede. Das trifft auch auf die Auskünfte zu, die hier gegeben worden sind. Bemerkenswert ist für mich auch, dass genau einen Tag vor der Abstimmung im Bundestag in einer Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums unter der Überschrift „Apotheker rechnen sich arm“ Folgendes dargelegt wurde: Die Apotheker behaupten, dass der Sparbeitrag des Großhandels bei 0 Euro liege. Laut Ministerium soll der Sparbeitrag aber bei 600 Millionen Euro liegen. Angesichts dessen müssen wir uns darüber wundern, warum die Abstimmung so ausgefallen ist; denn die Kollegen, die mit Bauchschmerzen zugestimmt haben, müssen das entweder nicht zur Kenntnis genommen haben oder sie haben wider besseres Wissen zugestimmt. Vorher ist verkündet worden, dass eine Weitergabe erfolge. Genau das ist das Tollhaus, von dem die Staatssekretärin vorhin gesprochen hat. Das kann man aber so nicht stehen lassen. Ich möchte gern noch auf Folgendes hinweisen - schließlich hat uns die Bundesregierung noch mehr Wirrwarr vorgesetzt -: Ich habe die Staatssekretärin gefragt, welche Auswirkungen das neue Rabattsystem - der Rabatteinzug erfolgt über die apothekeneigenen Rechenzentren - auf die Kostenstruktur der Apotheken hat. Mir ist gesagt worden: „Keine zusätzlichen Kosten durch Abwicklung des Rabatteinzugs über Apothekenrechenzentren.“ Nun ist heute immer wieder behauptet worden, es lägen keine Zahlen vor. Es ist aber nachgewiesen worden, dass dies nicht stimmt. Die Zahlen liegen vor. Verehrte Kollegin, Sie können heute in jeder Apotheke das Abrechnungsformular des Rechenzentrums für Mitte Februar finden, dem Sie genau entnehmen können, welche Veränderungen sich im Rabattsystem ergeben haben. Das kann man dann immer einen halben Monat nach jedem abgeschlossenen Monat nachlesen. Insofern wissen wir genau, dass sich das neue Rabattsystem in einer Größenordnung von 7,7 Millionen Euro auf die apothekeneigenen Rechenzentren auswirkt. Das sind für alle Apotheken etwa 10 Millionen Euro. Man muss sich doch kundig machen, welche finanziellen Auswirkungen ein Gesetz auf die Betriebe hat, bevor man es auf den Weg bringt. ({6}) Das ist hier in keiner Weise geschehen. Das lässt sich auch anhand vieler anderer Beispiele nachweisen. Ich möchte auch noch - das ist zu schön; das ist heute schon angeklungen - die Leserbriefe ansprechen. In der Fragestunde am 19. Februar dieses Jahres hat die Staatssekretärin meinem Kollegen Spahn versprochen, Briefe von Apothekern vorzulegen, die im Zusammenhang mit dem Großhandelsrabatt die Arbeit des Ministeriums durchaus positiv bewerten. Ich habe mir den Spaß gemacht, schriftlich nachzufragen, ob auch ich diese Briefe haben kann. Daraufhin habe ich vorgestern einen Brief bekommen, in dem die Staatssekretärin mir schreibt - ich zitiere -, dass sie die Dankesbekundungen der Apotheker bezüglich der Gespräche mit dem Großhandel größtenteils telefonisch erhalten habe. ({7}) Ich vermute, dass der Kollege Spahn noch einige Zeit auf die von ihm erbetene Auskunft warten muss. Wir möchten Ihnen noch einmal Gelegenheit geben, darüber nachzudenken, was Sie mit diesem Gesetz angerichtet haben. Die Abstimmungen innerhalb Ihrer Reihen sind ja bekannt. Ich kann nur sagen: Wenn Sie das durchsetzen, was Sie jetzt vorhaben, dann werden Sie die gesamte Apothekenlandschaft sturmreif schießen für die Übernahme durch Internetapotheken und Apothekenketten. ({8}) Ihre Pläne zur Aufgabe des Mehrbesitzverbotes und zum Versandhandel gehen in die gleiche Richtung. Wollen Sie denn, dass es eines Tages statt „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!“ bei der Werbung im Fernsehen heißt: „Fragen Sie Ihren Arzt oder Postboten“? Offensichtlich verstehen Sie das unter einem Mehr an Arzneimittelsicherheit. Es ist ein Trauerspiel. ({9}) Auch was die finanzielle Belastung im Zusammenhang mit dem Versandhandel angeht, können Sie nachfragen, so oft Sie wollen, Sie werden stets die Antwort bekommen: Das wissen wir nicht genau. - Warum tut man so etwas denn, wenn man nicht die finanziellen Auswirkungen auf das System kennt? ({10}) Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden sich eines Tages fragen müssen, ob Sie das alles bewusst betrieben haben. ({11}) Wir haben Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Sie sich auf dem Weg in die Staatsmedizin befinden; das können Sie abstreiten, so viel Sie wollen. ({12}) Bei den vielen anderen Punkten ist es doch nicht anders: Sie bekämpfen die Facharztpraxen, Sie wollen eine Reglementierung über die Positivliste. ({13}) - Lesen Sie es doch nach!

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bauer, kommen Sie bitte zum Schluss!

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das tut mir aber sehr Leid, dass ich jetzt Schluss machen muss. Meine Damen und Herren, vielen Dank für das Zuhören. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Erika Lotz von der SPD-Fraktion.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Bauer, Ihre Berufskollegen Apotheker werden sicher sehr zufrieden sein mit Ihrem Redebeitrag. ({0}) Im Übrigen hätten Sie, wenn Sie schon die Frau Staatssekretärin zitieren, den Brief von Frau Caspers-Merk zu Ende lesen sollen. Es ist nämlich sehr wohl berichtet worden, dass solche Briefe vorliegen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim ersten Lesen des CDU/CSU-Antrages dachte ich mir: Das meinen die doch nicht ernst. ({2}) Denn das Vorschaltgesetz entlastet die Krankenkassen; das ist doch nicht zu bestreiten. Ich dachte, wenigstens an dieser Stelle seien wir uns einig. ({3}) Aber das scheint so nicht der Fall zu sein. Zugegeben: Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Pharmagroßhändler und Hersteller werden etwas belastet. ({4}) Dafür aber werden die Patienten nicht belastet. Dann erinnerte ich mich an die Zeit, als SchwarzGelb regierte - und da wusste ich: Der Antrag ist tatsächlich ernst gemeint. ({5}) - Wie hat man denn damals, in der guten alten Zeit, Herr Kolb, versucht, die Beiträge stabil zu halten? ({6}) Damals - insofern gibt es schon einen Unterschied, und das müssen die Leute auch wissen - wurden die Patienten und Patientinnen belastet, ({7}) unter anderem mit Medikamentenzuzahlungen, bei denen einem schwindelig werden konnte. ({8}) Das war christdemokratische und christsoziale Gesundheitspolitik. Die Zuzahlungen betrugen Ende 1996 - je nach Packungsgröße - 3, 5 oder 7 DM, ({9}) 1997 waren es schon 4, 6 und 8 DM. Mit dem 2. GKVNeuordnungsgesetz haben Sie die Zuzahlungen nochmals erhöht, auf 9, 11 und 13 DM. Mit dem 1. GKV-Neuordnungsgesetz hatten Sie eine ganz perfide Regelung verabschiedet: Die Zuzahlungen sollten für die Versicherten, deren Krankenkassen ihre Beiträge erhöhen, automatisch steigen. Die Patienten wären gleich doppelt belastet worden, über höhere Beiträge und über höhere Zuzahlungen - als ob der Einzelne etwas für seine Krankheit könnte! ({10}) Aber diesem Spuk haben wir ein Ende bereitet. Der „Frankfurter Rundschau“ von gestern konnte ich entnehmen, dass Herr Seehofer diesem Gedanken offensichtlich immer noch anhängt. Die härteste Ihrer damaligen Maßnahmen, die Streichung des Zahnersatzes für nach 1979 Geborene, scheint in Ihren Reihen noch immer Anhänger zu haben. ({11}) Die Streichung des Zahnersatzes wäre aus meiner Sicht falsch. ({12}) Ich bin in diesem Fall gegen einen „Mut zur Lücke“. Es darf nicht so sein, dass man am Lächeln eines Menschen seinen sozialen Status erkennen kann. ({13}) Was die von Ihnen geforderten Maßnahmen mit Generationengerechtigkeit zu tun haben, wird mir unergründlich bleiben. ({14}) Wir zahlen heute die Zeche dafür, dass Sie zu Ihrer Regierungszeit Versicherte nach dem Motto „Haste mal ‘ne Mark?“ belastet haben, statt die nötigen Strukturreformen anzugehen. ({15}) Wir haben uns doch schon einmal auf einen Kompromiss geeinigt. Als Beispiel nenne ich die Positivliste, die Sie schlicht „versenkt“ haben. ({16}) Dabei haben Sie aus meiner Sicht Wortbruch begangen; denn diese Liste war Teil der Kompromissvereinbarung von Lahnstein. ({17}) Heute wollen Sie das Beitragssatzsicherungsgesetz rückgängig machen. Vor dem Bundesverfassungsgericht sind Sie mit diesem Anliegen schon gescheitert. ({18}) Ich prophezeie Ihnen: Sie werden wieder scheitern. Dass Sie nicht nur der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch der gesetzlichen Rentenversicherung Einnahmen verweigern wollen, ist schon schlimm. Die Beitragsbemessungsgrenze wollen Sie wieder herabsetzen. Ich ahne schon, dass Ihre nächste Aktion die Beantragung einer Aktuellen Stunde zur Finanzsituation der Rentenversicherung sein wird. Oder wollen Sie dann den Vorschlag von Frau Merkel, kinderlose Versicherte mit höheren Beiträgen zu belasten oder ihnen nur die halbe Rente zuzugestehen, auf den Weg bringen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lotz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller?

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Die Umsetzung dieses Vorschlags von Frau Merkel würde alle verfassungsrechtlichen Grundsätze sprengen und ist mit uns nicht zu machen. Sie werden verstehen, dass wir Ihren Antrag ablehnen. Herr Kollege Zöller, Sie wollten ja wissen, was wir wollen. Ich sage es Ihnen: Wir wollen Ihren Antrag ablehnen. ({0}) Sie wissen, dass wir eine Reform des Gesundheitswesens auf den Weg bringen müssen. Wir müssen für die notwendigen Strukturveränderungen sorgen. ({1}) Lassen Sie uns hier einen gemeinsamen Weg zum Wohle von Patientinnen und Patienten finden! Sie wissen, wir brauchen mehr Wettbewerb, mehr Qualität ({2}) und Transparenz für die Patientinnen und Patienten. Wir müssen Fehl- und Überversorgungen abbauen und Unterversorgungen beseitigen. Wir haben Eckpunkte auf den Weg gebracht. Lassen Sie uns, was die Umsetzung der weiteren Vorschläge angeht, zu einem guten Ergebnis kommen! Wir laden Sie an dieser Stelle ein, mit uns zusammenzuarbeiten. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/542 und 15/652 ({0}) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage auf Drucksache 15/652 ({1}) nicht an den Ausschuss für Tourismus überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes ({2}) - Drucksache 15/88 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) - Drucksache 15/738 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Haupt Andreas Scheuer Sabine Bätzing Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Kollegin Kerstin Griese von der SPD-Fraktion das Wort.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute abschließend einen Entwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, der vom Bundesrat eingebracht worden ist. Wir haben über das Thema Jugendschutz schon häufiger debattiert. Dieses Thema ist in dieser Woche ganz besonders aktuell; denn am 1. April ist das neue Jugendschutzgesetz in Kraft getreten. Es ist kein Aprilscherz. Es ist ein sehr gutes Gesetz, das am Dienstag in Kraft getreten ist: unser neues Jugendschutzgesetz, das viele Fortschritte für den Schutz von Kindern und Jugendlichen bietet und das auf die neuen Herausforderungen durch das Internet und durch die Medienvielfalt adäquat reagiert. ({0}) Wir sprechen über das Thema Jugendschutz in einer Zeit, in der sich viele Kinder und Jugendliche gegen den Krieg im Irak engagieren. Es ist auch eine Zeit, in der wir uns intensiver mit der Frage beschäftigen müssen, wie gerade Kinder mit dem umgehen, was sie in den Medien an Gewalt, an Krieg und an Terror sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht Ihnen wahrscheinlich so wie mir: Ich bin von der Intensität, mit der sich Kinder und Jugendliche mit der aktuellen Entwicklung beschäftigen, tief beeindruckt. Ich bin auch von dem großen Engagement beeindruckt, mit dem sie sich für friedliche Lösungen und gegen Gewalt einsetzen. Das ist übrigens - das sei nur nebenbei bemerkt - ein gutes Argument gegen das Geschwätz von der unpolitischen Jugend. ({1}) Nach vielen Gesprächen, die ich dazu geführt habe, bin ich sehr nachdenklich geworden in der Frage, was wir Kindern in den täglichen Nachrichten eigentlich zumuten, zumal sie häufig auch allein vor dem Fernseher sitzen. Besonders beeindruckt hat mich der Besuch in einer vierten Grundschulklasse in meinem Wahlkreis in Heiligenhaus. Dort haben Kinder - Viertklässler! - aus eigener Initiative fast 700 Unterschriften gegen den Krieg gesammelt und mir überreicht. Sie wollten sehr viel darüber sprechen. Sie hatten ein ganz großes Bedürfnis, über das, was sie an Gewalt im Krieg sehen, zu sprechen. Sie alle gucken fast täglich Nachrichten, viele leider ohne Eltern oder ältere Geschwister, die ihnen helfen könnten, das Geschehene zu verarbeiten. Kinder und Jugendliche sind außerordentlich gut informiert und sehr bewegt von dem, was sie über den Krieg und über die Opfer von Gewalt erfahren. Es geht in diesem Fall leider nicht um fiktive Gewalt, über die wir im Jugendmedienschutz so häufig sprechen, sondern um reale Gewalt, die für Kinder und Jugendliche häufig noch viel schwerer zu verarbeiten ist. Angesichts eines Teils der Berichterstattung in den Medien frage ich mich - das sollte man bei diesem Thema auch einmal ansprechen -, ob es wirklich notwendig ist, in so reißerischer Form und mit so auf Sensation bedachten Live-Reportagen den Krieg quasi direkt ins Wohnzimmer zu senden. Deshalb appelliere ich an die Verantwortlichen der Medien, nicht nur in dieser aktuellen Situation, sondern auch grundsätzlich darüber nachzudenken, wann was im Fernsehen gesendet wird. ({2}) Diese aktuellen Entwicklungen, die ich als Ausgangspunkt gewählt habe, zeigen mir noch einmal, wie wichtig es ist, dass Kinder sowie Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer Medienkompetenz entwickeln können. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, Fiktion und Realität zu unterscheiden, kritisch mit Medieninhalten umzugehen, dass Sie lernen, dass Medien manipuliert werden können und dass das, was im Fernsehen gezeigt wird, nicht immer die Wahrheit ist. Es ist sehr nötig, qualitativ gute, pädagogisch sinnvolle und kindgerechte Angebote bereitzuhalten. Es gibt ein hohes Maß an Mitempfinden und an Einfühlungsvermögen bei jungen Menschen und wir sollten darauf setzen, Kinder und Jugendliche zu schützen und zu stärken. ({3}) „Gute Seiten, schlechte Seiten“, so könnte man in Anlehnung an eine beliebte Fernsehserie zusammenfassend über das Internet sagen. Im Internet gibt es gute Seiten und schlechte Seiten. Wir brauchen mehr gute Seiten für Kinder und Jugendliche. Ich will hier einmal ein sehr gutes Beispiel nennen, ausdrücklich auch deshalb, weil es ehrenamtlich betrieben wird und meines Erachtens einer Förderung bedarf. Die Kindersuchmaschine mit der Internetadresse www.blinde-kuh.de bietet kindgerechte Informationen und hat sehr schnell auch auf den Irakkrieg reagiert. Kinder können dort nach Themen suchen, die sie interessieren. Wenn sie ein Thema eingeben, zu dem es keine Informationen gibt, geschieht direkt interaktiv eine Bearbeitung durch die Menschen, die diese Suchmaschine betreiben; sie stellen neue Informationen dazu ein. Man findet dort auch einen Zusammenschluss unter der Internetadresse www.seitenstark.de. Das ist eine Kooperation von Kinderseiten im Internet. Dieses Engagement will ich ausdrücklich würdigen; denn ich halte das für einen sinnvollen Beitrag zum Kinder- und Jugendmedienschutz. Das hilft den Kindern, den Umgang mit dem Internet zu lernen. Auf diese Weise haben Eltern und Erziehende die Gewissheit, dass ihre Kinder dort gute Seiten finden und nicht mit Gewalt oder Pornographie konfrontiert werden. ({4}) Noch etwas ist in dieser Woche in Kraft getreten, nämlich das neue Waffenrecht. Da wir hier auch insgesamt über das Thema „Gewalt und Jugendliche“ diskutieren, muss man es erwähnen. In diesem Zusammenhang muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - damit komme ich auch auf Ihren Bundesratsentwurf zu sprechen -, dass ich mich in der Debatte sehr gewundert habe. Sie von der Opposition setzen im Bereich Jugendschutz ausschließlich auf Verbote, haben aber in der Debatte um das Waffenrecht unser Anliegen, Kinder und Jugendliche stärker von Waffen fernzuhalten, abgelehnt, weil Sie das für eine Einschränkung der Freiheit und für den halben Weltuntergang halten. ({5}) Ich finde es gut und richtig, dass seit dieser Woche auch der Besitz von Pumpguns, Wurfsternen und gefährlichen Messern verboten ist; denn auch das ist für den Jugendschutz sicherlich wichtig. Ich finde es ebenfalls richtig, dass die Altersgrenzen für den Erwerb und den Besitz von Schusswaffen angehoben wurden; allerdings kann ich mich noch sehr genau an den Protest aus Ihren Reihen, aber auch von zahlreichen Vereinen erinnern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die CDU/CSU, die die Änderungsvorschläge des Bundesrates, die uns heute vorliegen, unterstützt - die FDP tut das meines Wissens ja nicht -, geht mit diesem Bundesratsentwurf meines Erachtens in die falsche Richtung und nimmt nicht zur Kenntnis, welche Fortschritte mit dem neuen Jugendschutzgesetz schon erreicht worden sind. Seit Dienstag dieser Woche ist es in Kraft; wir sollten erst einmal sehen, was sich bewährt und wo dann eventuell noch Änderungen notwendig sind. Wir haben sehr viele positive Reaktionen auf das neue Jugendschutzgesetz bekommen. Ich will hier einige wichtige Bestandteile nennen. Zeitgleich mit dem neuen Jugendschutzgesetz ist ja auch der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in Kraft getreten. Damit ist der Jugendschutz in Deutschland auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, die die richtigen Antworten auf die technischen Entwicklungen und die gesellschaftlichen Veränderungen gibt - soweit sie ein Gesetz überhaupt geben kann. Ich sage das bewusst, denn ein Gesetz allein reicht nicht aus. Vielmehr brauchen wir weitere Bemühungen, um Medienkompetenz zu fördern, aber auch zur Verbesserung von Bildung und Betreuung, damit Deutschland ein kinderfreundlicheres Land wird. Wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben hier einen Schwerpunkt gesetzt und werden in dieser Wahlperiode vieles auf den Weg bringen, um Kinder und Jugendliche zu stärken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass auch die Opposition einige der neuen Regelungen des Jugendschutzes begrüßt. Wir sind uns ja einig, dass das Verbot, an Jugendliche unter 16 Jahren Tabak und Zigaretten abzugeben, positiv ist. Mit diesem Abgabeverbot nehmen wir auch die Händler und die Automaten- und Zigarettenindustrie in die Verantwortung. Zigarettenautomaten sind - nach einer überaus langen Übergangsfrist bis zum 1. Januar 2007 - nur noch zulässig, wenn eine Bedienung durch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ausgeschlossen ist. Neu ist jetzt auch das Verbot, in Kinos vor 18 Uhr Werbefilme für Tabak und Alkohol zu zeigen. Für einen besonders wichtigen Schritt im Zuge unseres neuen Jugendschutzgesetzes halten wir die Einführung von Alterskennzeichnungen auf allen Medien, also auch auf Computerspielen, die auf CD-ROMs, DVDs oder Videos sind. Nur der Altersstufe entsprechend freigegebene Angebote dürfen Kindern und Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Mit dem 1. April diesen Jahres sind diese Alterskennzeichnungen der USK verbindlich: Der Verkäufer muss kontrollieren, ob das Alter des Käufers und der Aufkleber auf dem Spiel zusammenpassen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bekommt das Recht, Spiele schneller und aus eigener Initiative zu prüfen. Auch das halte ich für einen guten und richtigen Schritt. ({6}) Interessant ist auch - der Jugendschutz ist ja ein Bereich, bei dem wir alle gefordert sind, darauf zu achten, dass er umgesetzt wird, und auch einmal Händler, Wirte oder Kellner darauf anzusprechen, ob sie es denn tatsächlich richtig handhaben -, dass DVDs oder CDROMs, die Fachzeitschriften beiliegen, entweder kein jugendgefährdendes Material enthalten dürfen oder altersgekennzeichnet sein müssen. Sehr wichtig ist, obwohl das immer wieder anders behauptet wird, dass jetzt die Regelungen für schwer jugendgefährdende Medien verschärft worden sind: Trägermedien, also Videos, DVDs und Spiele, die den Krieg verherrlichen oder Menschen in einer Weise darstellen, die die Menschenwürde verletzt, oder die Jugendliche in einer unnatürlichen, geschlechtsbetonten Körperhaltung zeigen, sind mit Indizierungsfolgen belegt. Das heißt praktisch: Durch Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverbote werden sie aus dem Verkehr gezogen. Das haben wir durch das neue Jugendschutzgesetz bereits geregelt. Wichtig ist, dass die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien alle neuen Medien indizieren und auch dann tätig werden kann, wenn kein Antrag gestellt wird. Wir haben es ja in den letzten Wochen schon erlebt, dass sie bei der Indizierung von Spielen sehr viel schneller tätig werden konnte. Der 1. April dieses Jahres, der Tag des In-Kraft-Tretens des neuen Jugendschutzgesetzes, war ein guter Tag für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland. Lassen Sie uns gemeinsam die Umsetzung des neuen Gesetzes beobachten! Lassen Sie uns Kinder und Jugendliche schützen und stärken, statt sie immer nur mit Verboten zu belegen! Wir nehmen nämlich Kinder und Jugendliche ernst und haben einen modernen und zeitgerechten Jugendschutz geschaffen, um die Situation zu verbessern. Der Bundesratsentwurf führt allein dazu, dass noch mehr Verbote ausgesprochen werden, und ist in einigen Punkten übrigens auch nicht sachgerecht, zum Beispiel in Bezug auf die Indizierung und das Verbot von schwer jugendgefährdenden Medien. Deshalb bitte ich Sie, unser neues Jugendschutzgesetz zu begrüßen und den Bundesratsentwurf abzulehnen. Danke schön. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Andreas Scheuer von CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Scheuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003625, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Griese, einige Punkte des Jugendschutzgesetzes vom Juni 2002 tragen wir selbstverständlich mit. Sie missachten jedoch unsere Anliegen und das ist schade. Ein Entgegenkommen von Ihrer Seite haben wir trotz des Appells zu einem parteiübergreifenden Konsens bei unseren Vorschlägen nicht erfahren. Deswegen bringen wir nun eine eigene Initiative ein. Mit der Veränderung des Jugendschutzgesetzes wollen wir ein Mehr an Verlässlichkeit, Transparenz und Vereinfachung in Sachen Schutzsystem für unsere jungen Menschen erreichen. Zudem wollen wir den Eltern in deren Erziehungsaufgaben entgegenkommen und sie damit unterstützen. ({0}) Die Koalitionsparteien glänzen in den verschiedenen Politikbereichen, beispielsweise in der Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, ja generell nicht mit bürokratischer Vereinfachung und dem Abbau von Regelungsdichte. Dennoch kommen bei dem Entwurf des Bundesrates rot-grüne Argumente, dass wir damit einen Wust an Regelungen und Verboten im Jugendschutz schaffen. Das ist die rot-grüne Begründung zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Plötzlich hat man bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, anscheinend eine liberale Ader entdeckt. Aber mit dieser Haltung geben Sie beim Thema Jugendschutz auf. Generell befürworten wir Prinzipien, auf deren Basis die Menschen selbst entscheiden können. Nur da, wo das Ganze aus dem Ruder läuft, sich falsche Entwicklungen abzeichnen oder Wildwuchs herrscht, sollte und muss der Staat eingreifen. Das gehört zu den Pflichtaufgaben. Wir kommen beim Thema Jugendschutz nicht weiter, wenn sich die Politiker nicht auf die neue Situation im Bereich der Medien und der Kommunikation einstellen. Neben all den positiven, praktischen und unterhaltsamen Komponenten auf diesem Sektor gibt es Entwicklungen, vor denen wir gerade unsere jungen Menschen schützen müssen. Das im Juni 2002 verabschiedete Jugendschutzgesetz greift aus unserer Sicht hier zu kurz und weist Lücken auf. Wir sollten nicht Gesetze verabschieden, die wie das vom Juni von vornherein der allgemeinen Entwicklung hinterherhinken. Unsere Aufgabe ist es, nach vorne zu schauen und zukunftsfähige Regelungen vorzusehen. Genau das wird auch in Expertenbeurteilungen zum Ausdruck gebracht. Frau Kollegin Griese, Sie sprechen von positiven Rückmeldungen. ({1}) Ich habe da andere, zum Beispiel von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, BAJ: Das am 14. Juni 2002 im Deutschen Bundestag mit den Regierungsfraktionen verabschiedete Jugendschutzgesetz erfüllt die von den Jugendschutzorganisationen vorgetragenen Erwartungen an eine konzeptionelle und systematische Modernisierung des Kinder- und Jugendschutzes im Bereich des Jugendschutzes in der Öffentlichkeit nicht, im Bereich des Jugendmedienschutzes nur teilweise. Ein vernichtendes Urteil über ein Gesetz, das eigentlich eine Verbesserung darstellen sollte. Weiter heißt es: Die Veränderungen im Freizeitverhalten junger Menschen wurden dagegen für das neue Gesetz nicht weiter reflektiert. Es entstand kein integriertes neues Gesetz und schon gar nicht wurde dem von Fachleuten geäußerten Wunsch nach Zusammenführung sämtlicher Jugendschutzvorschriften entsprochen. Auch hat das Jugendschutzgesetz entgegen dem Anspruch des Titels nicht die Funktion eines zentralen Gesamtgesetzes für den Jugendschutz, von dem aus man den Weg in verstreute Einzelvorschriften gewiesen bekommt. Ein Beispiel: In Untervorschriften und -gesetzen sind zwar einzelne Themenbereiche geregelt, aber verstreut und verteilt. Das erfüllt vielleicht die Erwartungen und Ansprüche von Juristen, aber es ist nicht praxis- und handlungsorientiert für Otto Normalbürger. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, wir müssen als Deutscher Bundestag Zeichen setzen, zum Beispiel bei der medialen Darstellung von Kindern und Jugendlichen in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung. ({2}) Kinder und Jugendliche sind keine Sexualobjekte für Spinner mit pädophiler Neigung. ({3}) Wenn wir da nicht eindeutig einen Riegel vorschieben, entstehen solche Angebote, gegen die, wie zum Beispiel kürzlich in Leipzig, die Staatsanwaltschaft nicht in voller Härte eingreifen kann. Zuwiderhandlungen gegen Schutzvorschriften müssen hart bestraft werden. Es darf keine Jugendschutzvergehen zum Sonderpreis geben. ({4}) Deshalb ist in unserem Vorschlag die deutliche Erhöhung des Bußgeldrahmens enthalten. Damit es ein sinnvolles und kompaktes Schutzpaket wird, wollen wir ferner unter anderem ein Verbot von Videoverleihautomaten - der zuständige Verband des Videofachhandels will ebenfalls dagegen vorgehen; dieses Zeichen sollte die Politik erkennen - und ein Verbot von Killerspielen sowie die Rückkehr zum Begriff der erziehungsberechtigten Person. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, es ist uns schon schleierhaft, warum Sie eher den Schutz lockern wollen und sich mit sehr wackligen Argumenten gegen Verbesserungen wehren, anstatt unseren jungen Menschen ein kompaktes Schutzsystem zu bieten. Frau Kollegin Humme, Sie haben am Mittwoch im Ausschuss bei dem Gedankenaustausch mit unseren polnischen Gästen in Ihrem Statement das Thema Jugendschutz mit derartig hanebüchenen Argumenten angesprochen. Sie wollen die Medienkompetenz stärken. Das wollen auch wir - nur auf komplett andere Weise. Sie haben gesagt, dass die jungen Menschen selbstbewusst mit Medien umgehen sollen. Okay, das ist wünschenswert; das wollen auch wir. Aber Sie haben auch gesagt, dass die jungen Menschen lernen müssen, mit Gewaltvideos effizient und kritisch umzugehen. ({5}) Diese Aussage ist wirklich sehr bedenklich und an der Sache vorbei. ({6}) Beim Thema Elternprivileg sind wir der Meinung: Die FSK-Kennzeichnung muss wieder etwas wert sein, weil wir uns sonst gleich davon verabschieden können. Wer von den Eltern hat denn die Zeit, sich vorher eingehend mit den Filmen zu beschäftigen, Fachliteratur zu wälzen und Journale zu aktuellen Kinofilmen zu lesen? Viele Eltern können eben nicht wie die Experten wissenschaftlich bis ins Kleinste einschätzen, was für die Kinder oder Jugendlichen gut oder schlecht ist. Sie erwarten Hilfestellungen bei der Beurteilung von uns und von den entsprechenden Institutionen. Genau das wollen auch wir, und nichts anderes. Beim Jugendschutz sollte man sich parteiübergreifend eigentlich schon einigen können. Das ist nun wirklich kein so streng abgegrenztes Thema. Doch selbst hier wollen Sie keinen Konsens. Wir sind konstruktiv und bringen unsere Vorschläge ein. Sie aber behandeln das Thema auf dem Rücken der jungen Menschen. ({7}) Für Sie, Frau Kollegin Griese, heißt es bei jedem Thema: Mehrheit ist Mehrheit und der Rest ist uns egal. Schade, dass Sie unsere Anliegen nicht aufnehmen. Das Gesetz heißt nämlich Jugendschutzgesetz und nicht - das haben Sie daraus gemacht - Jugendschutzabbaugesetz. ({8}) Sie stehlen sich durch die Nichtbeachtung der neuen Entwicklungen aus der Verantwortung und räumen das Feld auf diesem Gebiet. Die jungen Menschen werden den schädlichen Einflüssen überlassen. Sie werden bei den vielen anstehenden Großthemen ohnehin auf uns zugehen müssen; denn unsere Konzepte in den verschiedenen Politikbereichen liegen seit langem auf dem Tisch. Ich hoffe, dass im Zuge des Vermittlungsverfahrens vielleicht auch das hier zur Debatte stehende Thema aus unserer Sicht besser behandelt werden kann. Sie werden sich sicher wegen der jugend- und gesellschaftspolitischen Auswirkungen Ihres Jugendschutzabbaugesetzes vom Juni 2002 in der Zukunft noch rechtfertigen müssen, wenn Sie unsere Vorschläge hier und heute nicht mittragen. Das wird für Sie ein Problem werden. Ich sage Ihnen heute schon voraus: Wir werden sehr genau hinschauen. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger vom Bündnis 90/Die Grünen.

Jutta Dümpe-Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003519, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scheuer, uns trennen bisweilen wirklich Welten. Manchmal kann man eben nicht zusammenkommen. Aber ich denke, es wird langsam Zeit, dass Sie aus Ihrer Nörgelecke herauskommen. ({0}) Wir begrüßen ausdrücklich das neue Jugendschutzgesetz, das am 1. April in Kraft getreten ist. Es ist ein gutes und umfangreiches Gesetz, das Kinder und Jugendliche dort schützt, wo es nötig ist, das ihnen aber auch Raum für eigenverantwortliches Handeln lässt. Erziehenden gibt es verlässliche Rahmenbedingungen und stärkt gleichzeitig die Elternkompetenz. Für Vollzugsbehörden, Anbieter und Gewerbetreibende stellt es ein transparentes und einheitliches gesetzliches Regelwerk dar. Die Zusammenführung des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist auch von der breiten Öffentlichkeit positiv aufgenommen worden. Dass die Aufsicht über Fernsehen und Internet erstmalig in einer Hand liegt und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften künftig neben Büchern und CDs auch Computerspiele, Kassetten und DVDs kontrolliert, ist eine zentrale Neuerung. In der größten lippischen Tageszeitung hieß es am vergangenen Dienstag im überregionalen Teil zum InKraft-Treten des neuen Gesetzes: Wenn Joachim von Gottberg bislang an Hochschulen über Jugendmedienschutz referierte, legten die Studierenden spätestens nach dem fünften Gesetz stöhnend den Griffel aus der Hand. Der Geschäftsführer der „Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen“ … empfand die Aufsicht über jugendgefährdende Medien in Deutschland stets als „heillos zersplittert“. Landesmediengesetze, Telekommunikationsgesetz, Mediendienste-Staatsvertrag: Die Zahl der Bestimmungen ist ebenso groß wie die Zahl der Einrichtungen, die über Jugendschutz in den Medien wachen. Das soll jetzt anders werden. Es wird jetzt anders werden, weil zum ersten Mal der Jugendschutz im Internet angepackt wurde und weil gerade im Bereich der neuen Medien ein wirksamer Kinder- und Jugendmedienschutz gewährleistet sein muss. ({1}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie empfinden das neue Jugendschutzgesetz als lückenhaft und werfen Rot-Grün verpasste Chancen vor - das habe ich gestern gelesen -, zum Beispiel im Hinblick auf das Vermiet- und Verleihverbot von gewalt- und kriegsverherrlichenden Spielen, für die Sie ein generelles Verbot fordern. Dabei verkennen Sie komplett, dass durch das neue Jugendschutzgesetz der Schutz von Kindern und Jugendlichen gerade im Hinblick auf kriegs- und gewaltverherrlichende Filme und Computerspiele nachhaltig verbessert worden ist. ({2}) Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Die Zuständigkeit der Bundesprüfstelle ist auf den Onlinebereich ausgedehnt worden. Damit kann jetzt einer Gefährdung, die von gewaltverherrlichenden Spielen ausgeht, effektiver entgegengetreten werden. Die Verbote von schwer jugendgefährdenden Medien, insbesondere die mit Gewaltdarstellungen, wurden erweitert und verschärft. So sind auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle Bücher, Videos, CDs, CD-ROMs und DVDs verboten, die den Krieg verherrlichen. Computerspiele und Bildschirmspielgeräte müssen seit dem 1. April mit einer Altersfreigabe gekennzeichnet sein. Videospiele dürfen nur an Kinder und Jugendliche abgegeben werden, die das erlaubte Alter haben. Diese altersgerechte Kennzeichnungspflicht gibt zum Beispiel Eltern - ich habe es eben schon einmal gesagt - eine wichtige Einschätzungshilfe an die Hand und stärkt ihre Kompetenz. Ich finde das ganz wichtig. ({3}) Der Jugendschutz ist eindeutig verbessert worden. Dieses Gesetz ist im Gegensatz zu anders lautenden Behauptungen hinreichend und ausreichend diskutiert worden, nämlich über zwei Jahre. Es ist intensiv mit Fachleuten beraten worden. Ich sage das bewusst in Richtung Opposition, weil es Ihnen immer je nach Bedarf entweder zu schnell oder zu langsam geht. Zwischen Ländern und Bund besteht Einvernehmen, die neuen Vorschriften innerhalb der nächsten fünf Jahre zu evaluieren. Was den auf Initiative Bayerns eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes angeht, den wir heute ablehnen werden, ({4}) lässt sich getrost sagen: Er ist längst überholt, enthält vor allem eine Unmenge an Verboten, stellt das Verhältnismäßigkeitsgebot durch unterschiedliche Bußgeldrahmen auf den Kopf und widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz. ({5}) Er trägt auch nicht zur Verbesserung des Jugendschutzes bei. Vermutlich hat er darum nicht einmal im Fachausschuss des Bundesrates eine Mehrheit gefunden. Kurzum, Herr Scheuer, aus meiner grünen Sicht wäre dieses Papier am besten als Baum im Wald stehen geblieben. Danke schön. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Haupt von der FDP-Fraktion.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das in diesen Tagen in Kraft getretene reformierte Jugendschutzgesetz hat begrüßenswerte Neuerungen gebracht. Aber es hat - das sage ich hier ganz deutlich; ich gebe dem Kollegen Scheuer Recht - noch viele Wünsche offen gelassen. Frau Dümpe-Krüger, Sie haben die Geschwindigkeit der Beratungen angesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Gesetzgebungsverfahren hatte eine Geschwindigkeit, die ich nur mit der des Transrapid vergleichen kann. ({0}) Der vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesrates ist deshalb aus dieser Sicht grundsätzlich verständlich. Damit wird auf einige problematische Punkte des novellierten Jugendschutzgesetzes hingewiesen. Es enthält unterstützenswerte Elemente, ist aber nach Auffassung der FDP in seiner Gesamtheit nicht zielführend. Lassen Sie mich in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit auf einige Punkte sachlich eingehen. Das Verbot der Darstellung von Kindern in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Beispiel sehe ich mit Sympathie. ({1}) Hier nähern wir uns zu sehr der Grauzone zum sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Der Gesetzgeber kann gar nicht deutlich genug machen, dass auch die Informations- und die Kunstfreiheit nicht einmal ansatzweise als Vorwand dafür dienen dürfen, Kinder und Jugendliche auch nur in die Nähe dieser Grauzone zu bringen. ({2}) Das generelle Verleihverbot von jugendgefährdenden Medien trägt nach unserer Sicht nichts zum Jugendschutz bei. Dieses Verbot beträfe auch Erwachsene und ist aus unserer Sicht weder zweckmäßig noch verhältnismäßig. Es kann doch nicht sein, dass jugendgefährdende Trägermedien zwar verkauft werden und im Internet zugänglich sein können, der Verleih - auch an Erwachsene - aber verboten ist. Hierbei handelt es sich lediglich um die Diskriminierung eines Wirtschaftszweiges, nicht aber um eine Förderung des Jugendschutzes. Das Gleiche gilt für das Automatenverbot für Bildträger. Das novellierte Jugendschutzgesetz schreibt technische Vorrichtungen vor, die verhindern sollen, dass die entsprechenden Automaten von Kindern und Jugendlichen falschen Alters bedient werden können. Konsequent wäre hier ein generelles Automatenverkaufsverbot etwa auch für Zigaretten gewesen. Aber das will der Bundesrat aus guten Gründen nicht. Die Abschaffung des Elternprivilegs bei Kinobesuchen ist aus liberaler Sicht abzulehnen. ({3}) Es widerspricht auch dem Anliegen der Bundesratsinitiative, die Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung und -kompetenz zu stärken. Dass man den Eltern die individuelle Entscheidung nehmen will, zeugt von einem Menschenbild, in dem dem Gesetzgeber oder der FSK mehr zugetraut wird als den Eltern, die über den Entwicklungsstand ihrer Kinder eigentlich am besten Bescheid wissen. ({4}) Allerdings - ich sagte ja, dass ich mich sachlich damit auseinander setzen möchte, Kollege Scheuer - thematisiert der Antrag damit einen echten Schwachpunkt der alten sowie der neuen, novellierten Jugendschutzbestimmungen. Die Altersgruppendifferenzierung im Rahmen der FSK ist den tatsächlichen kindlichen Entwicklungsschritten überhaupt nicht angepasst. Die FDP ist der vermutlich auch bei anderen Fraktionen zustimmungsfähigen Auffassung, dass sich Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren erheblich stärker verändern als Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren. Dementsprechend wäre zumindest eine zusätzliche Altersgrenze zwischen sechs und zwölf Jahren zu erwägen. Im Übrigen erscheinen mir die Probleme der Rückwirkung einer solchen Neuklassifizierung bei etwas gutem Willen der Beteiligten durchaus lösbar. ({5}) Der Bundesrat schlägt in Bezug auf Bildschirmspielgeräte die Rückkehr zur alten Regelung vor, die Kindern und Jugendlichen das entgeltliche Spielen verbot und so der Gefahr des Verspielens größerer Geldsummen begegnete. Die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes dagegen setzt an einer Alterskennzeichnung an. Dies ermöglicht eine differenzierte Freigabe, lässt aber die Entgeltproblematik offen. In der Abwägung beider Aspekte bevorzugen wir die Alterskennzeichnung, das heißt die Bewertung von Inhalten. Allerdings ist aus unserer Sicht überlegenswert, auch die Entgeltproblematik im Jugendschutzgesetz neu zu regeln. Wir können aber nur dazu mahnen, bei allen berechtigten Schutzvorschlägen immer daran zu denken, dass Jugendliche irgendwann, spätestens mit 18, selbst reif sein müssen, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen. Jugendschutz muss deshalb immer noch eine andere Dimension ins Blickfeld nehmen: Er muss die Kinder und Jugendlichen in die Lage versetzen, mit Gefahren umzugehen und sie selbst zu meiden. Der Jugendschutz muss in einem produktiven Spannungsverhältnis zu der aus unserer Sicht notwendigen Freiheit der Kinder und Jugendlichen gesehen werden, die für ihre Kompetenzentwicklung so unabdingbar ist. In diesem Zusammenhang muss auch das Recht der Kinder und Jugendlichen auf ihre eigene Kultur, auf kindgerechte Medien und Medieninhalte hervorgehoben werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vorschläge des Bundesrates zur Novellierung des Jugendschutzes machen deutlich, dass es auf diesem Gebiet weiterhin großen Handlungsbedarf gibt. Insgesamt scheint es aus Sicht der FDP aber besser, erst einmal Erfahrungen mit dem reformierten Gesetz zu sammeln, bevor neue Änderungen vorgeschlagen werden. Danke. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Wieczorek von der SPD-Fraktion.

Jürgen Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003260, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Eine positive Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen zu erreichen und für den notwendigen Schutz vor negativen Einflüssen zu sorgen ist eine Schwerpunktaufgabe. Ich spreche niemandem in diesem Hause ab, nach bestem Gewissen an dieser Aufgabe mitzuwirken. Ein Hauptziel bei der Erarbeitung des neuen Jugendschutzgesetzes, das am Dienstag dieser Woche in Kraft getreten ist, war, Regelungen zu finden, die der rasanten Entwicklung der neuen Medien Rechnung tragen und einerseits dem berechtigten Informationsbedürfnis sowie andererseits der Minimierung der daraus resultierenden Gefährdungen und Beeinflussungen für Kinder und Jugendliche gerecht werden. ({0}) Dieses Ziel wurde mit dem neuen Jugendschutzgesetz erreicht. Zusammen mit den Regelungen zum Jugendmedienschutz wird das Gesetz den neuen Erfordernissen gerecht. Zum Inhalt des Gesetzes bestand zwischen Bundesregierung, Bundestag und - wie ich mich erinnere den Bundesländern gerade nach den tragischen Ereignissen von Erfurt Konsens. Völlig unverständlich ist deshalb, dass noch vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes durch den Bundesrat ein neuer Gesetzentwurf auf den parlamentarischen Weg gebracht wird und dieser die Unterstützung von CDU und CSU hier im Hause findet. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, die heute schon angesprochen wurde, bemerkt zu diesem offensichtlichen Widerspruch - ich zitiere -: Die Entschließung des Bundesrates vom vergangenen Juni, die die Grundlage des neuerlichen Änderungsantrages ist, trägt für uns noch Wahlkampfzüge. ({1}) Auch wenn ich Ihnen, wie eingangs erwähnt, grundsätzlich redliche Absichten zugestehe, glaube ich, dass diese These nicht völlig aus der Luft gegriffen ist; ({2}) denn für mich ist diese Verhaltensweise der Union nicht nachvollziehbar. Dass sich dieses Thema, der Schutz unserer Kinder und Jugendlichen, für wahltaktische Spiele eigentlich verbieten müsste, liegt auf der Hand. Besonders die Tatsache, dass die Auswirkungen des neuen Gesetzes in einem Zeitraum von fünf Jahren analysiert werden sollen - das wurde schon angesprochen und dass bei eventuellen Auswirkungen, die wir uns nicht wünschen, Korrekturen vorgesehen sind, lässt den Sinn des Entwurfes noch fragwürdiger erscheinen. Für mich steht fest, dass der Gesetzentwurf keine Verbesserung darstellt und dass er in vielen Punkten sogar einen Rückschritt bedeuten würde. ({3}) Der Verdacht, dass bei der Einbringung des bayerischen Entwurfs sachliche Aspekte nicht die entscheidende Rolle gespielt haben, wird für mich durch die Tatsache unterstrichen, dass sich die entsprechenden Fachausschüsse im Bundesrat nicht für diesen Entwurf ausgesprochen haben. ({4}) Die konkreten Änderungsvorschläge sind in den Ausschussberatungen, während der ersten Lesung im Plenum und auch am heutigen Tage ausführlich beraten und kommentiert worden. Deshalb möchte ich mich nun auf einige Widersprüche konzentrieren und auf die Ansätze des Gesetzes und des Gesetzentwurfes eingehen, die sich grundsätzlich unterscheiden: Es macht zum Beispiel wenig Sinn, den Verleih von Trägermedien mit jugendgefährdendem Inhalt auch an Erwachsene grundsätzlich zu verbieten, für den Verkauf diese Einschränkung aber nicht zu fordern. Gerade gekaufte DVDs oder Videos verbleiben viel länger in den Haushalten und unterliegen somit einer geringeren Aufmerksamkeit durch die Erwachsenen. Die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche den Inhalt konsumieren oder sogar kopieren könnten, dürfte viel größer sein. ({5}) Das Verbot der Weitergabe an Kinder und Jugendliche wird dem Jugendschutz gerecht und schränkt die Informationsfreiheit für Erwachsene nicht ein. Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung, Killerspiele wie Gotcha, Paintball und Laserdome zu verbieten, sagen. Dieses Beispiel zeigt die Überflüssigkeit des Gesetzentwurfs sehr anschaulich; denn durch eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2001 wurde klargestellt, dass der Betrieb derartiger Spiele wegen des Verstoßes gegen die Menschenwürde bereits nach der polizeilichen Generalklausel unzulässig ist. ({6}) Was wollen Sie also noch? Diese Spiele sind bereits verboten. So lassen sich auch andere Punkte, in denen sich der Gesetzentwurf des Bundesrates vom bestehen3172 Jürgen Wieczorek ({7}) den Jugendschutzgesetz unterscheidet, entkräften. Viele Punkte sind schlicht und einfach überflüssig, weil die Sachverhalte bereits durch das Jugendschutzgesetz oder, wie soeben erwähnt, durch andere Klauseln abgedeckt werden. ({8}) Eigentlich fordern Sie doch immer den Abbau von Überregulierungen. ({9}) Sie wollen aber stärkere Restriktionen einbauen. Hierbei sei nur an die heute angesprochene Erweiterung des Bußgeldrahmens von 50 000 Euro auf 500 000 Euro erinnert. Ich denke, hier muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Wir haben den Bußgeldrahmen bereits von 15 000 Euro auf die besagten 50 000 Euro erweitert. Das ist mehr als eine Verdreifachung. Ich denke, das ist angemessen und führt zu einer guten Abschreckung. ({10}) Das Gesetz und der zu beratende Entwurf unterscheiden sich schon im Ansatz grundsätzlich. Mit dem Gesetzentwurf legt die Union das Gewicht eindeutig auf neue Regelungen und Verbote. Das ist aus meiner Sicht in keiner Weise dazu geeignet, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken. ({11}) Auch wenn der Entwurf in dieser Hinsicht lückenhaft ist, bleibt doch erkennbar, dass man aufseiten der CDU/ CSU meint, man könne die Probleme lösen, indem man gewissermaßen eine Glocke über die jungen Menschen stülpt. Man traut weder den Eltern noch anderen an der Erziehung beteiligten Personen zu, erfolgreich Einfluss auf die Kinder zu nehmen. Mit diesem Gesetzentwurf zeigt die Union ihr Misstrauen gegenüber den Eltern. ({12}) Ich frage Sie: Wer, wenn nicht die Eltern des Kindes, kann am besten entscheiden, was für das Kind verantwortbar ist, ob es zum Beispiel einen Film emotional oder intellektuell verarbeiten kann oder nicht? Natürlich kann nie ausgeschlossen werden, dass es eine kleine Zahl von Eltern gibt, die dieser Verantwortung nicht gerecht werden. Die Kollegen von der Union vergessen bei ihrer Begründung für die Gesetzesänderung außerdem, dass Kinder gleichen Alters - gerade im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren - sowohl geistig als auch körperlich sehr unterschiedlich entwickelt sind. ({13}) Herr Haupt hat das schon angesprochen; dem ist zuzustimmen. ({14}) Auch deshalb ist es sinnvoll, den Eltern zuzutrauen, den individuellen Entwicklungsstand ihrer Kinder richtig einschätzen und entsprechende Entscheidungen treffen zu können. ({15}) Interessant ist die Tatsache, dass die Familie gerade bei der Union immer eine große Rolle als Leitbild spielt. Warum sind Sie dann aber an dieser Stelle misstrauisch? Beim Jugendschutz kann man nicht nur mit Verboten operieren. Abgesehen davon, dass Verbotenes für Kinder und Jugendliche immer eine besondere Verlockung darstellt, besteht die große Gefahr, dass die Kontrolle der Einhaltung der Verbote kaum konsequent durchführbar ist. Auch deshalb verfolgen wir im neuen Jugendschutzgesetz einen anderen Ansatz: Dort, wo Verbote und Regulierungen unumgänglich sind, wurden sie eingebaut. Überall dort, wo Bürgerrechte unverhältnismäßig eingeschränkt worden wären und wo wir Beratung und eine vertrauensvolle positive Einflussnahme als geeigneteres und ausreichendes Mittel ansehen, haben wir auf Verbote verzichtet. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jürgen Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003260, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, es ist heute weitgehend bewiesen, dass eine Erziehung, die nahezu ausschließlich auf Verboten und Restriktionen beruht, wenn überhaupt, nur von kurzfristigem Erfolg ist. Zudem wird dadurch die Entwicklung und Förderung der Talente der jungen Menschen verhindert. Viel wichtiger ist es, dass Eltern, Lehrer und weitere nahe stehende Personen ein auf Vertrauen gegründetes Verhältnis zu den Kindern aufbauen und pflegen. Nur dadurch wird eine nachhaltige positive Erziehung und Entwicklung zu vielseitigen und offenen Menschen erreicht, die auch über das Jugendalter hinaus negativen Einflüssen und Anfechtungen besser widerstehen können. Ich bin gleich fertig. - Deshalb ist es im Bereich der neuen Medien wichtig, den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich damit umfassend vertraut zu machen, sie vertrauensvoll auf Gefahren hinzuweisen und nur dort, wo wirklich notwendig, Einschränkungen durch Verbote vorzunehmen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überschritten.

Jürgen Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003260, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay. ({0}) Die CDU/CSU steht mit der Unterstützung des Bundesratsentwurfs weitgehend isoliert da. Ich fordere Sie auf: Besinnen Sie sich! Danke schön. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit Blick auf das, was Kollegin Griese zu Beginn ihres Beitrages gesagt hat, eine Vorbemerkung machen: Ich glaube, es lohnt sich, einmal kritisch zu hinterfragen, was sich vor dem Hintergrund des Irakkrieges gegenwärtig in den bundesdeutschen Medien abspielt. ({0}) Ich möchte hinzufügen: Nicht nur hinsichtlich der Wirkung auf Kinder und Heranwachsende, sondern auch hinsichtlich der Wirkung auf Erwachsene sollten wir uns kritisch die Frage stellen, ob - ich will es in einen kleinen und einfachen Satz fassen - nicht weniger oftmals mehr wäre. ({1}) Auch wenn wir wenige Tage nach In-Kraft-Treten des Jugendschutzänderungsgesetzes aufgrund einer Bundesratsinitiative über eine erneute Änderung diskutieren, was vielleicht auf den ersten Blick anachronistisch erscheinen mag, ist es doch so - Herr Kollege, wenn Sie die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz in ihrer Gänze zitiert hätten, dann wären auch Sie auf diesen Punkt gestoßen -, dass auch die BAG trotz der erfolgten Änderung und der Novellierung des Jugendschutzgesetzes beim Thema Jugendschutz durchaus Diskussionsbedarf einräumt. Ich füge aber hinzu, dass die BAG die Auffassungen der Union nicht in allen Punkten teilt. Auch wenn dieser Gesetzentwurf - ich bin kein Prophet, aber davon gehe ich aus - durch die Mehrheit der Koalition heute abgelehnt wird, sollte er doch Anlass sein, im Sinne der BAG über den einen oder anderen Punkt noch einmal nachzudenken. Dabei muss nicht so sehr der Frage nachgegangen werden, ob der eine mit mehr oder der andere mit weniger Verboten zum Erfolg kommt, sondern es muss um die Frage gehen, ob das, was in der Novelle zum Jugendschutzgesetz vorgesehen ist, in der Praxis tauglich ist. Diese Evaluierung sollte man nicht erst nach fünf Jahren, sondern früher vornehmen. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich vor wenigen Tagen auf Anregung des thüringischen Ministerpräsidenten eine Initiative zum Thema Jugend- und Medienschutz gebildet hat. Auch das dokumentiert, dass es bei diesem Thema noch Handlungsbedarf gibt. ({2}) Ist der Gesetzestext in allen Punkten praxistauglich? Ich will vier Punkte nennen, in denen meiner Meinung nach die Praxistauglichkeit nicht gewährleistet ist. ({3}) Erstens geht es um den Begriff der erziehungsbeauftragten Person. Bisher war im Jugendschutzgesetz vom Erziehungsberechtigten die Rede. Das war klar. Der Begriff der erziehungsbeauftragten Person ist so klar nicht, wenn Sie ihn nicht aus der Sicht desjenigen oder derjenigen sehen, der oder die sich damit beschäftigt, sondern beispielsweise aus der Sicht eines Veranstalters oder eines Gewerbetreibenden. Auch diese Menschen müssen mit diesem Rechtsbegriff im Gesetz umgehen und im Zweifelsfall dafür geradestehen, wenn es zu einem Verstoß gegen das Jugendschutzgesetzt kommt, wofür sie haftbar gemacht werden können. Ich habe meine Zweifel - auch das steht in der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft zu diesem Thema -, ob der Begriff der erziehungsbeauftragten Person tatsächlich praxistauglich ist. Meiner Meinung nach ist er es selbst dann nicht, wenn, wie von Juristen angeführt wird, nicht nur eine mündliche, sondern eine schriftliche Beauftragung vorliegt. Auch dann sehe ich im Vollzug deutliche Defizite. Ich sage ganz klar: Solange wir keine bessere Lösung haben - ich wäre für eine bessere Lösung, die sich tatsächlich als solche erwiese, durchaus offen -, müssen wir zunächst im Sinne der Praxistauglichkeit bei der alten Lösung bleiben. ({4}) - Herr Kollege Tauss, ich weiß nicht, wovon Sie etwas verstehen, aber ich weiß, dass Sie von dem Thema nichts verstehen. ({5}) Es wäre für Sie, Ihre Fraktion und das Plenum des Deutschen Bundestags besser, wenn Ihre Unkenntnis nicht auch noch im Protokoll dokumentiert würde. Ich will einen zweiten Punkt nennen: das Elternprivileg. Wir haben in der Anhörung deutlich gemacht, dass sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht grundsätzlich gegen die Parental Guidance stellt. Aber die Frage ist auch hier: Ist es in der Praxis tauglich oder nicht? Sie, Frau Griese, haben selber in Ihrem Beitrag die FSK-Altersklassifizierung angesprochen. Wir sind uns durchaus einig, dass es sinnvoll wäre, die unterschiedlichen Entwicklungsstufen eines Kindes zwischen 6 und 12 Jahren, die es zweifelsohne gibt, auch in der Altersdifferenzie3174 rung der FSK abzubilden, um so tatsächlich den Eltern anschließend eine Handhabe für die Entscheidung zu geben, ob ein Film für ihren Sohn oder ihre Tochter geeignet ist oder nicht. Wenn beispielsweise ein Sechsjähriger oder ein Siebenjähriger mit der Bitte zu seinen Eltern kommt, den zweiten Teil des „Herrn der Ringe“ anschauen zu wollen, FSK ab 12, dann wäre ich als Vater in dieser Frage überfordert, ({6}) weil ich den Film nicht kenne. Mit einer Altersdifferenzierung, die den Entwicklungsstufen des Kindes gerecht wird, würde mir die Entscheidung wesentlich einfacher fallen. Deswegen geht es auch in diesem Punkt um die Praxistauglichkeit. ({7}) Beim dritten Punkt geht es auch um ein Problem, das sich möglicherweise anschließend im Vollzug erweisen wird. Wir wollen ein Verbot von Videoverleihautomaten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz unterstützt in ihrer Stellungnahme diese Forderung aus der einfachen Überlegung heraus, dass der Jugendschutz und die Kontrolle der Abgabe von Videos an Jugendliche natürlich innerhalb eines Ladengeschäftes wesentlich einfacher zu regeln ist als an einem Automaten, zu dem jeder anonym Zugang hat. Auch da stellt sich die Frage: Wie sieht es anschließend mit der Haftung aus? Ist der Betreiber des Videoverleihautomaten anschließend haftbar? Bei der Abgabe innerhalb eines geschlossenen Ladengeschäftes ist die Frage eindeutig zu beantworten. Es stellt sich also auch hier die Frage nach der Praxistauglichkeit. Solange wir das nicht geklärt haben, plädieren wir für ein Verbot der Videoverleihautomaten. ({8}) - Herr Kollege Haupt, danke für den Zwischenruf. Auf Initiative der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ist das bereits diskutiert worden. Es gab durchaus Unterstützung in den einzelnen Fraktionen für diesen Vorschlag. Wir müssen dann beides tun. Wenn wir zu der Überzeugung kommen, dass Zigarettenautomaten im Interesse von Kindern und Jugendlichen verboten werden sollten, dann müssen wir das gleichfalls bei Videoverleihautomaten tun. Man kann nicht das eine tun und das andere lassen. ({9}) Ein letzter Punkt: Ich habe erstaunlicherweise bei den verschiedenen Beiträgen festgestellt, dass wir fraktionsübergreifend in diesem Punkt einen Konsens haben. Es geht um die Darstellung von Kindern in unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung. Es gibt ein deutliches Defizit im vorliegenden Gesetzentwurf, dem wir durch die Bundesratsinitiative entgegenwirken wollen. Wir können uns lange über Presse- und Meinungsfreiheit und über die Freiheit der Kunst unterhalten. Als ehemaliger Angehöriger dieser Berufsgruppe bin ich der Letzte, der das kleinredet. Aber der Gesetzgeber sollte beim Kinderschutz in der Grauzone zwischen der Darstellung von Kindern in einer unnatürlichen geschlechtsbetonten Körperhaltung und der Kinderpornographie ganz eindeutig, klipp und klar seinen Willen formulieren. Ich hätte mir gewünscht, dass das in der Novelle zum Jugendschutzgesetz getan worden wäre. Aus unserer Sicht ist das nicht der Fall. Vielleicht bietet die heutige Debatte die Chance, nicht erst nach Ablauf von fünf Jahren, sondern angesichts dessen, was heute diskutiert worden ist, und angesichts dessen, was die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz uns vorgelegt hat, schon in Bälde zu einer Überprüfung dieser gesetzlichen Bestimmungen in dem Sinne zu kommen, dass wir mehr für den Kinder- und Jugendschutz in Deutschland tun. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Jugendschutzgesetzes auf Drucksache 15/88. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt auf Drucksache 15/738, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt die dritte Beratung. Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt für den heutigen Tag, nämlich die Zusatzpunkte 7 bis 9, auf: ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Thomas Dörflinger, Siegfried Kauder ({0}), Hans-Peter Repnik, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Rechtsverordnung nach der Luftverkehrsordnung umgehend erlassen - Rückübertragung der Flugsicherung über süddeutschem Gebiet - Drucksache 15/651 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Reinhard Weis ({2}), Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin Andreae, Volker Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Beck ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Entlastung des süddeutschen Raumes vom Fluglärm des Flughafens Zürich durchsetzen - Drucksache 15/744 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Ernst Burgbacher, Horst Friedrich ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Lärmschutz durch Rechtsverordnung über süddeutschem Raum sichern - Flugsicherheit gewährleisten - Drucksache 15/755 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Beratung eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Iris Gleicke das Wort.

Iris Gleicke (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000687

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will es hier sehr deutlich sagen: Die Bundesregierung bedauert das Scheitern des Staatsvertrags in der Schweiz. ({0}) Er wäre ein Kompromiss im gutnachbarlichen Sinne gewesen, der zu einer gerechten Verteilung der Belastungen geführt hätte, die vom Betrieb des Flughafens Zürich ausgehen. Das schweizerische Parlament zwingt nun die deutsche Bundesregierung, ihre wiederholten Ankündigungen wahr zu machen und einseitig Maßnahmen im Interesse der süddeutschen Bevölkerung zu ergreifen. Die Bundesregierung hat dabei immer betont, dass sie nicht den Flughafen Zürich, sondern die Flüge über deutschem Gebiet einschränken will, um die Lasten gerecht zu verteilen. Unterstellt wird dabei allerdings, dass die Schweiz die technischen Möglichkeiten auch tatsächlich ausschöpft, die für einen Betrieb des Flughafens Zürich denkbar sind. Nicht akzeptiert werden kann, dass die Schweiz technisch machbare Lösungen nur deshalb nicht umsetzt, weil sie ihre eigene Bevölkerung schützen will. ({1}) Meine Damen und Herren von der Opposition, ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie die Haltung und das Vorgehen der Bundesregierung mit Ihrem Entschließungsantrag unterstützen wollen. Das spricht übrigens für Ihre Lernfähigkeit; denn zu Ihrer Regierungszeit haben Sie sich herzlich wenig um die Belange der süddeutschen Bevölkerung gekümmert. ({2}) Aber Ihr guter Wille allein reicht nicht; denn dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion fehlt das gebotene Augenmaß in puncto Realisierbarkeit. Die darin geforderten Maßnahmen sind zum Teil auch technisch in sich widersprüchlich. Sie fordern zum Beispiel, dass Warteverfahren nur über schweizerischem Gebiet erfolgen dürften, aus ihnen heraus aber nicht über deutsches Gebiet angeflogen werden dürfte. Es gibt jedoch keine dementsprechenden Anflugverfahren auf die Pisten 14 und 16, die den Kriterien der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation entsprechen würden. Gleiches gilt für die Forderungen der Landräte der Landkreise Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz, auf die die FDP in ihrem Antrag verweist. Der Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen - wie sollte es auch anders sein? - ist demgegenüber auch im Hinblick auf die tatsächliche Durchsetzbarkeit der Maßnahmen sauber formuliert. ({3}) Zudem enthält er wichtige Elemente wie Genehmigungsverfahren für die viel diskutierten Ausnahmen von den Flugbeschränkungen und die Überwachung der Einhaltung der Flugbeschränkungen, die ich in den anderen Anträgen schmerzlich vermisse. Die Bundesregierung handelt, sie wird die Interessen der süddeutschen Bevölkerung wirksam schützen und für eine angemessene Verteilung der Belastungen sorgen. Damit die im Sinne einer weit reichenden Reduzierung zwingend notwendigen technischen Voraussetzungen am Flughafen Zürich geschaffen werden können, werden der Schweizer Seite kurze Übergangsfristen eingeräumt. Die Umsetzung erfolgt deshalb in zwei Stufen: In einer ersten Stufe wollen wir die Flugbewegungen zunächst auf unter 110 000 reduzieren. Die Verordnung, die wir dazu erlassen, tritt am 17. April in Kraft. Mit dieser Verordnung werden folgende Maßnahmen sofort wirksam: Die Nachtflugbeschränkungen werden wochentags abends und morgens um jeweils eine Stunde auf 21 bis 7 Uhr Ortszeit ausgedehnt. Die Überflughöhen und Wartehöhen werden von 21 bis 7 Uhr auf Flugfläche 120 - das sind circa 3 600 Meter über Nor3176 malnull - bzw. Flugfläche 180 - das sind circa 5 400 Meter über Normalnull - angehoben. Um den Betrieb am Flughafen nicht einschränken zu müssen, wird sich der Flughafen für Landeanflüge von Osten und Süden öffnen müssen. Wir wollen auch die derzeit gültigen Ausnahmeregelungen weiter einschränken. Die entsprechenden Maßnahmen sind bereits in der Verordnung enthalten und treten zum 10. Juli dieses Jahres in Kraft. Die zweite Stufe greift nach einem Jahr mit einer neuen Verordnung und reduziert die Flugbewegungen dann weiter auf unter 80 000. Mit diesen konkreten Maßnahmen werden die Interessen der süddeutschen Bevölkerung wirkungsvoll geschützt. ({4}) Lassen Sie mich noch etwas zu der Wahrnehmung der Flugsicherung im Grenzgebiet anmerken. Aus flugsicherungsfachlicher Sicht ist dort die gegenwärtige Aufgabenteilung zwischen der deutschen und der schweizerischen Flugsicherung optimal. Aber ohne einen Staatsvertrag fehlt hierfür die Rechtsgrundlage. Eine fachlich gleichwertige Lösung wäre gegeben, wenn jetzt die deutsche Flugsicherung 50 Jahre lang den schweizerischen Luftraum kontrollieren würde. ({5}) An diese Lösung will aber die Schweiz aus Gründen der Souveränität nicht herangehen. Sie misst auch hierbei mit zweierlei Maß. Wenn wir das Lärmproblem im Griff haben, werden wir aber auch zu diesem Komplex geeignete Lösungen finden. Wir sind es der süddeutschen Bevölkerung schuldig, dass wir schnell wirkende Maßnahmen ergreifen, die zu einer gerechten Verteilung der Lasten führen. ({6}) Ich betone noch einmal: Uns wäre ein Staatsvertrag sehr viel lieber gewesen. Dass er nicht zustande gekommen ist, hat nicht an uns gelegen. Jetzt müssen wir aber handeln. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Dörflinger von der CDU/CSU-Fraktion.

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir eine kleine Bemerkung zu den auch eben wieder unternommenen Ausflügen in die politische Geschichte, Frau Staatssekretärin. ({0}) Es wäre sinnvoll, bei Ihrer Suche in den Archiven der Ministerien auch einen Blick in das Archiv des Bundeskanzleramts zu werfen und nachzulesen, wie sich der damalige Staatsminister im Bundeskanzleramt, Gunter Huonker, zwischen 1980 und 1982 zu der geplanten Erweiterung der Pisten beim Flughafen Zürich-Kloten geäußert hat. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen! ({1}) Die heute vorliegenden Anträge unterscheiden sich in vier zentralen Punkten, die aus unserer Sicht auch in der angekündigten Rechtsverordnung nicht im ausreichenden Maße geregelt sind und auf die ich an dieser Stelle näher eingehen möchte. Erstens. Wir plädieren für eine sehr strenge Definition und Regelung der Ausnahmetatbestände. Es geht nicht an, dass die Festlegung, ob schlechtes oder gutes Wetter herrscht, der Definitionshoheit der Flughafenbetreiberin überlassen wird. Die im Staatsvertrag getroffenen Regelungen, die im Vorgriff auf das In-Kraft-Treten des Staatsvertrages bereits zur Anwendung kamen, hatten zu dem Zeitpunkt, als die Ausnahmetatbestände in Kraft traten, einen schlagartigen Anstieg von Flugbewegungen zur Folge, die sich auf die Ausnahmen beriefen. Dies geht aus einer Übersicht hervor, die aus Quellen des Unique Airport Zürich und der Bürgerinitiative aus dem Kreis Konstanz stammt. Das heißt, so stringent, wie Sie meinen, können die im Staatsvertrag vorgesehenen Regelungen nicht gewesen sein. Deswegen sollten die in der Rechtsverordnung festgelegten Regelungen effizienter sein als bisher. Zweitens. Sie haben es zum Ende Ihrer Rede bereits angesprochen, Frau Staatssekretärin. Nach meiner Kenntnis bezieht sich die Rechtsverordnung an keiner Stelle auf die Frage der Luftverkehrskontrolle. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es zwingend notwendig - darauf haben Sie hingewiesen; darin sind wir uns auch einig -, in dieser Frage eine Regelung zu finden. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Gelegenheit genutzt hätten, per Rechtsverordnung eine entsprechende Regelung zu treffen, statt in einer verfassungsrechtlich bedenklichen Situation die Dinge auf die lange Bank zu schieben. Dahinter steht nicht nur die verfassungsrechtliche Diskussion, sondern angesichts der Ereignisse im Raum Überlingen und des einen oder anderen Fastzusammenstoßes geht es auch um die Sicherheit der Bevölkerung in diesem Landstrich wie auch der Passagiere in den Flugzeugen, die Zürich-Kloten anfliegen. Es hat mich sehr befremdet - das sage ich Ihnen in aller Offenheit, Frau Staatssekretärin -, dass Sie vorhin die Praxis der Flugsicherung in Südwestdeutschland als - ich werde das im Protokoll genau nachlesen - optimal bezeichnet haben. Aus meiner Sicht und aus der der betroffenen Bevölkerung ist die Praxis alles andere als optimal. ({2}) Ich möchte noch einen dritten Punkt ansprechen. Leider wird in der Rechtsverordnung auch keine Aussage zu den Warteräumen getroffen. Natürlich ist uns klar, dass ein Flughafen wie Zürich-Kloten, der beispielsweise auch von Norden angeflogen wird, logischerweise einen Warteraum im Norden haben muss. Es kann nicht sein, dass aus vier Himmelsrichtungen angeflogen wird, dass die Flugzeuge aber alle notwendigen Warteschleifen über Donaueschingen drehen, also im Norden des Flughafens Zürich-Kloten. Deswegen sagen wir: Die Flughafenbetreiberin ist in der Pflicht, eine Regelung betreffend die Verlegung von Warteräumen in den Umkreis von Zürich-Kloten zu treffen, die erstens den Südanflug möglich macht und die zweitens sicherstellt, dass die notwendigen Warteräume im Süden des Flughafens genutzt und betrieben werden können. Ich möchte einen vierten Punkt ansprechen, auf den Sie leider überhaupt nicht eingegangen sind. Es geht nicht nur um die Anflüge auf Zürich-Kloten, sondern auch um die Abflüge. Wenn Sie sich einmal vor Augen führen, dass die Flugzeuge, die nach Norden abfliegen, drei nautische Meilen vor der Grenze abdrehen und dass der Lärm und die sonstigen Emissionen anschließend an den Hängen des Südschwarzwaldes abprallen, wo es eine der prädestiniertesten Ferienregionen in Deutschland gibt, dann werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass es nicht in unserem Interesse sein kann, dass wir diese Praxis durch Nichtberücksichtigung in der Rechtsverordnung zwar nicht fortschreiben, aber quasi sanktionieren. Hier herrscht eindeutig Nachholbedarf. ({3}) - Herr Kollege, unser Antrag auf Drucksache 15/651 liegt vor. Dort können Sie alle unsere Positionen nachlesen, die wir in Bezug auf die angekündigte Rechtsverordnung vertreten. Wir wissen uns in dem, was wir in unserem Antrag formuliert haben, einig mit den Landkreisen Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz, mit den Mehrheiten in den dortigen Kreistagen und mit den fast einstimmig gefassten Beschlüssen der betroffenen Gemeinden wie beispielsweise denen der in meinem Wahlkreis liegenden Gemeinden Hohentengen und Klettgau. ({4}) Frau Kollegin, nur als Hinweis: Die Gemeinde Klettgau hat einen Bürgermeister, der der SPD angehört. Wir wissen uns auch mit den Bürgerinitiativen in diesen drei Landkreisen einig. Wir halten unseren Antrag für zielführender und weitergehender. Demzufolge bitten wir um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Winfried Hermann vom Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben soeben sozusagen die lautstarke Trompete des Bürgerprotestes eines Vorzeigemusikanten aus dem südwestdeutschen Raum gehört. Er hat sie durchaus kundig gespielt. Ich halte allerdings fest, dass die CDU/CSU heute offensichtlich die Jungen voranschickt, während die Altvorderen, die über Jahrzehnte Verantwortung hatten, als sie noch auf der Regierungsbank saßen, heute nicht anwesend sind. ({0}) Wir müssen uns heute auch ein bisschen mit der Geschichte der Bekämpfung des Fluglärms im südwestdeutschen Raum befassen. Ich kann Ihnen - Sie selber haben auf die Geschichte zurückgegriffen; auch wir haben nachgeschaut - das nicht ersparen. Sie haben 1984, als die CDU an der Regierung war, eine unverbindliche Verwaltungsvereinbarung in Kraft gesetzt und sie 14 Jahre lang gegen alle stürmischen Proteste als das Nonplusultra des Fluglärmschutzes im südwestdeutschen Raum verteidigt. Als Sie 1998 sozusagen auf der Oppositionslandebahn 30 plus x gelandet sind, haben Sie, nachdem wir das gefordert haben, die Notwendigkeit eines Staatsvertrages festgestellt. Als wir einen Staatsvertrag ins Spiel gebracht haben, hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg die Verfassungsmäßigkeit eines solchen Vertrages angezweifelt und hat mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Mithilfe von Hessen haben Sie im Bundesrat den Staatsvertrag, der zweifellos eine Verbesserung gebracht hätte - für alle Beteiligten in dieser Region, vor allen Dingen auch für die Bürgerinnen und Bürger im südwestdeutschen Raum -, in den Vermittlungsausschuss geschoben und damit gewissermaßen abgewiesen. Man fragt sich: Warum muss Hessen eigentlich Interessen der Bürger in Südwestdeutschland vertreten? ({1}) Gibt es etwa Konkurrenzinteressen mit Flughäfen in Hessen? Wie ich finde - dieser Eindruck drängt sich auf, wenn man die Geschichte Ihres Protestes anschaut -, haben Sie ständig nach wechselnden Notenblättern getutet und eigentlich keine klare Linie gehabt. ({2}) Rot-Grün hat dieses Problem ab 1999 konsequent angepackt. Wir haben gesagt: Wir wollen eine faire Lösung mit der Schweiz finden, weil wir anerkennen, dass dieser Flughafen auch für die Bürgerinnen und Bürger im südwestdeutschen Raum eine Funktion hat. Aber die Lasten müssen fair verteilt werden. Es kann nicht sein, dass der Fluglärm auf Deutschland abgeladen wird, wäh3178 rend das Geschäft in der Schweiz gemacht wird. Weil wir die Schweiz lieben und sie als Partner schätzen, wollten wir diese faire Lösung. Aber klar musste sein: weniger Fluglärm für die deutschen Anwohner, klare Regeln - damit nicht immer zuungunsten der Deutschen entschieden wird - und eine faire Lastenverteilung. Wir haben von Anfang an gesagt: Wenn es diesen Staatsvertrag gibt, dann wollen wir auch eine deutliche Absenkung der Zahl der Flugbewegungen festschreiben. All dies haben wir vorgetragen und in den Staatsvertrag eingebracht. Wie ich finde, hatten wir mit der Schweiz einen außerordentlich fairen Kompromiss ausgehandelt. Ich sage Ihnen ganz offen: Für uns Grüne war es hart, zu diesem Kompromiss zu stehen, weil er den Schweizer Bedürfnissen eigentlich weit entgegengekommen ist. ({3}) Wir haben zugestimmt, im Interesse einer guten Nachbarschaft. Die Schweiz dagegen hat das in ihren Parlamenten, im Ständerat und im Nationalrat, mit gewisser Arroganz einfach abgelehnt - obwohl es ein mehr als faires Angebot war. Als im letzten Sommer erkennbar war, dass eine Vereinbarung scheitert, haben wir Grünen sofort gesagt: Lasst uns einen anderen Weg beschreiten. Wir können das im Wege einer Rechtsverordnung machen. Dann ist das dort klar und eindeutig geregelt, wenn auch vielleicht etwas mehr zugunsten der deutschen Anwohner und etwas mehr zulasten der Schweizer Bevölkerung. ({4}) Diese Regelung war zweifellos notwendig. Dazu hätte es aber nicht kommen müssen, wenn die Schweiz kulanter gewesen wäre. Wie schon zu Recht gesagt wurde, hat sich die Schweiz aber schon in der Übergangsphase, als das eine oder andere Neue ausprobiert wurde, an keine Absprachen gehalten. Das hat das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in eine solche Regelung nachhaltig erschüttert. Von daher war uns klar: Irgendwann müssen wir handeln. - Jetzt haben wir gehandelt: Wir haben einen Antrag eingebracht, der die Rechtsverordnung klar umreißt und deutlich macht, um was es uns geht. Unsere Ziele: Wir wollen eine wirkungsvolle Regelung, insbesondere eine deutliche Absenkung der Zahl der Flugbewegungen, eine Ausweitung der Ruhezeiten - abends, am Wochenende und an Feiertagen - und eine sukzessive Überführung der Warteräume auf das Schweizer Gebiet. All diese Regelungen sollen nicht nur auf dem Papier stehen - um dann unterlaufen zu werden -, sondern müssen nachvollziehbar sein, überprüft werden können und gegebenenfalls auch sanktioniert werden, wenn gegen sie verstoßen wird. Wir werden heute sicherlich auch noch einen Vertreter der FDP hören, der sich eindeutig für den Lärmschutz ausspricht. Ich bin froh, dass wir im Hause bei diesem Thema einen großen Konsens haben, dass wir etwas gegen den Fluglärm von diesem Schweizer Flughafen tun müssen. Ich hoffe sehr, dass dieser Konsens, den wir heute feststellen, auch dann deutlich wird, wenn wir das Fluglärmgesetz novellieren und neue Lärmgrenzwerte über deutschen Flughäfen festschreiben. Ich bin gespannt, ob Sie auch dann vorne dabei sind ({5}) und mit uns auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger kämpfen oder ob Sie dann plötzlich wirtschaftliche Argumente finden, mit denen Sie begründen wollen, warum das alles nicht möglich ist. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ernst Burgbacher von der FDP-Fraktion.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Hermann, manche Ihrer Worte höre ich mit Staunen. Angesichts Ihrer Rede drängt sich mir schon die Frage auf: Was ist eigentlich aus den Grünen geworden? ({0}) Für all jene, die die Debatte verfolgen und die Materie nicht so genau kennen, möchte ich noch einmal klar sagen: Es geht hier nicht darum, dem Sankt-Florian-Prinzip zur Durchsetzung zu verhelfen, überhaupt nicht! Vielmehr geht es darum, dass die Lasten des Flughafens Zürich, der für diesen Raum - wie Sie richtig sagen eine wirtschaftliche Bedeutung hat, gerecht verteilt werden. Mit der Lösung dieses Problems setzen wir uns ebenso wie die Betroffenen auseinander. Ich möchte an dieser Stelle den zahlreichen Kommunalpolitikern, den Bürgermeistern und auch den Bürgerinitiativen ausdrücklich danken. Sie haben äußerst verantwortlich gehandelt und nicht nur abgeblockt, sondern auch konstruktive Verbesserungsvorschläge gemacht. Insbesondere möchte ich den Landräten der betroffenen Kreise, Waldshut, Schwarzwald-Baar und Konstanz, danken. Sie haben uns Abgeordnete immer auf dem Laufenden gehalten und mit guten Vorschlägen unterstützt. Zwei Bereiche sind wichtig. Erstens: die Flugsicherungskontrolle. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch von der Union, ich warne ein bisschen vor der Umsetzung Ihrer Forderung, die Flugverkehrskontrolle in die deutsche Verantwortung zurückzuführen. Wir bevorzugen einen anderen Weg. Wir wollen alles tun, damit sich die Flugsicherungskontrolle an der Vorstellung eines Single European Sky, also eines europäischen Luftraums, orientiert. Dabei geht es nicht um nationale Grenzen, sondern um Flugströme, die berücksichtigt werden müssen. Wir sollten ganz schnell damit anfangen, die Flugsicherungskontrolle stärker auf die Sicherheit unserer Passagiere auszurichten. ({1}) Zweitens. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, liebe Frau Staatssekretärin, wir brauchen umgehend eine Rechtsverordnung. ({2}) Der derzeitige Zustand darf nicht anhalten. Ich betone: Es geht uns einzig und allein um eine gerechte Verteilung. ({3}) Mir stehen nur etwa drei Minuten Redezeit zur Verfügung. Das entspricht etwa der Ruhezeit, die viele Menschen im süddeutschen Raum zwischen zwei Flügen haben. Viel länger ist es oft nicht. Ich will mich auf drei Punkte beschränken. Erstens. Angesichts der Topographie im süddeutschen Raum - es gibt Berge, die sind über 1 000 Meter hoch darf die Flugfläche für Anflüge nicht 100, sondern sie muss 150 betragen. Insbesondere der Raum, wo der Tourismus Wirtschaftsfaktor Nummer eins ist, leidet unter diesem Lärm ganz besonders. Das können wir nicht hinnehmen. ({4}) Zweitens. Das Warteverfahren für den Flughafen Zürich - Kollege Dörflinger hat es schon gesagt - darf künftig nur über Schweizer Gebiet stattfinden. Von dieser Forderung werden wir nicht abrücken. Die Regelung dieses Warteverfahrens muss so im Staatsvertrag stehen. ({5}) Drittens. Landeanflüge über deutschem Hoheitsgebiet dürfen wochentags zwischen 21 Uhr und 7 Uhr, von Freitag 21 Uhr bis Montag 7 Uhr, und an deutschen Feiertagen von 7 Uhr bis 21 Uhr nicht stattfinden. Diese drei Punkte müssen wir zum Wohle der betroffenen Bevölkerung im Staatsvertrag regeln. ({6}) Wenn Sie das nicht umsetzen, dann werden Sie unsere Unterstützung nicht bekommen. ({7}) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Rehbock-Zureich von der SPD-Fraktion.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Burgbacher, Herr Dörflinger, ich hätte mir natürlich schon gewünscht, dass in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit ein Antrag gestellt worden wäre, der den berechtigten Interessen der Bevölkerung in den betroffenen Landkreisen entsprochen hätte. ({0}) - Herr Burgbacher, das tun wir. Diese Verordnung ist ein Schritt nach vorne. Hier muss einmal gesagt werden, warum wir heute an diesem Punkt stehen. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn wir vor zehn Jahren an diesem Punkt gestanden hätten. ({1}) Bis zum Jahr 1998 ist in diesem Bereich nichts geschehen. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die sich dieses Problems angenommen hat und die versucht hat, eine einvernehmliche Lösung mit der Schweiz in Form eines Staatsvertrages zu finden. Diesen hat das Schweizer Parlament abgelehnt. ({2}) Momentan stellt sich die Situation so dar, dass die Nutzung dieses Luftraumes durch eine einseitige Verordnung geregelt wird. Ich möchte Ihnen, Herr Burgbacher, noch einmal die Inhalte der Verordnung und die Vorstellungen der SPDFraktion zur Entlastung der Region darstellen. Ich stelle mit Vergnügen fest, dass auch Sie das fordern, was die Staatssekretärin vorhin genannt hat. Insofern gibt es in manchen Punkten einen Konsens. Was manch andere Punkte angeht, kann ich mich bloß wundern. Ich möchte Ihnen die wichtigsten Eckwerte der Verordnung darstellen: Es geht um eine substanzielle Reduzierung der Zahl der Überflüge. In Schritten soll eine Zahl von unter 80 000 erreicht werden. Wenn weiteres Reduzierungspotenzial vorhanden ist, werden wir auch das einfordern. Wir haben eine gerichtsfeste Lösung im Staatsvertrag gehabt. Herr Dörflinger, angesichts dessen wundere ich mich, dass Sie jetzt fordern, die Zahl der Überflüge in einer anderen Größenordnung zu reduzieren und völlige Sonntagsruhe durchzusetzen. Das geht zulasten der Region. Die Forderung nach völliger Sonntagsruhe, die Sie hier einbringen, ist sicherlich keine Forderung, die gerichtsfest werden kann, sondern eine populistische Forderung. ({3}) Sie gefährden damit die Gerichtsfestigkeit der Verordnung. Sie wissen, dass der Flughafen Kloten auf jeden Fall die Gerichte bemühen wird. ({4}) - Das betraf den Staatsvertrag; die jetzt vorgesehene Regelung ist gerichtsfest. ({5}) Wenn man sich weit von dieser Grundlage entfernt, gefährdet man die Entlastung der Region, Herr Kauder. ({6}) Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Ausnahmeregelung. Da sind wir mit der Entwicklung in der Region in den letzten Monaten in keiner Weise zufrieden gewesen. ({7}) Hier muss und wird es eine Veränderung geben. Ausnahmen müssen vorher angemeldet werden. Sie werden dann anders kontrolliert. Ganz wichtig ist - der Kollege Hermann hat schon darauf hingewiesen -: Es wird auch Sanktionen geben. Wir fordern ein, dass das in die Verordnung aufgenommen wird, damit die Ausnahmeregelungen auch eingehalten werden. ({8}) Die Anhebung der Mindestwartehöhen wird dazu führen, dass Warteräume in die Schweiz verlegt werden müssen, und das ist richtig. Infolgedessen werden auch die Anflugverfahren der Schweiz verändert werden müssen, und zwar so, dass Warteräume - sie sind dringend notwendig - über Schweizer Gebiet sind. Der Weg geht also dahin, Warteräume auf das Gebiet der Schweiz zu verlegen. Ein wichtiger Punkt in der Verordnung muss die Flugsicherung sein. Herr Burgbacher, wir freuen uns, dass auch Sie die Flugsicherheit als oberstes Prinzip sehen. Da haben Sie unsere Unterstützung. Die Flugsicherheit muss in der Tat bei allen Entwicklungen der Flugsicherung oberstes Prinzip sein. Ich stelle mir das so vor, dass man entweder gemeinsame Lösungen findet oder die Deutschen die Flugsicherung übernehmen. Sollte es aber dazu kommen, dass die Schweizer die Flugsicherung weiterführen, dann geht das aus unserer Sicht nur bei deutscher Kontrolle, Sicherung der Flugverfahren und Einhaltung der Flugwarteräume. Ich muss die FDP fragen, was nun eigentlich Sache ist. Sie von FDP und CDU/CSU sprechen hier mit völlig unterschiedlichen Stimmen. Der FDP-Wirtschaftsminister Döring verkündet vor Ort: Nun müssen wir weitere Geheimverhandlungen aufnehmen, um wieder zu einem ordentlichen Verhältnis zur Schweiz zu kommen. ({9}) Das kann es ja wohl nicht sein. ({10}) - Der Bundeskanzler hat das nicht gesagt. Der Herr Couchepin hat das in der Schweiz verkündet. ({11}) Er hätte das gern. Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens, Herr Kauder. Wir wollen hier mal bei der Wahrheit bleiben und nicht immer Halbwahrheiten verkünden. ({12}) - Genau! Es war der Herr Couchepin, der das gern hätte. Der Bundeskanzler hat das ans Fachministerium zurückverwiesen. ({13}) Herr Couchepin hat sich vor der Presse nicht gemeinsam mit dem Bundeskanzler geäußert und das ist ja ganz interessant. Auch Sie in der CDU/CSU sprechen mit unterschiedlichen Stimmen. So spricht der Ministerpräsident Teufel von 80 000 Anflügen pro Jahr, während Sie in Ihrem Antrag eine Begrenzung auf 60 000 fordern. ({14}) Da lobt die FDP die Landräte. Es ist ja wunderbar, dass Sie die Landräte loben, aber der Vorsitzende Ihrer Landtagsfraktion, der Herr Pfister, äußert sich folgendermaßen: Diese Probleme können auf Landkreisebene und von den Landräten überhaupt nicht gelöst werden. ({15}) Die Ansätze von CDU/CSU und FDP sind einfach populistisch und haben mit einer sachorientierten Lösung wenig zu tun; daran hatten Sie ja auch die vergangenen 16 Jahre wenig Interesse. Sie haben hier Chancen verstreichen lassen und sind Ihrer Verantwortung auch in der Vergangenheit nicht gerecht geworden. Auch jetzt handeln Sie, Herr Dörflinger, nicht verantwortlich, indem Sie Werte in Ihren Antrag schreiben, die möglicherweise einer gerichtlichen Prüfung nicht standhalten können. Ich möchte wissen, wie dies in der Region bewertet wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Sie sind schon weit über der Zeit.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum letzten Satz. - Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann sind wir auf der sicheren Seite und erreichen eine Entlastung für die Region. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt und am heutigen Tage gebe ich das Wort dem Kollegen Siegfried Kauder von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sage es einer Dame ungern, ({0}) aber ich muss es heute tun: Frau Staatssekretärin, mit borniertem Gerede werden Sie den Menschen im süddeutschen Raum nicht helfen können. ({1}) Es war nichts anderes als borniert, zu sagen, wir von der CDU/CSU hätten keine konkreten Vorschläge gebracht. Anscheinend haben Sie unseren Antrag nicht gelesen. Sie von SPD und Grünen versuchen in der Tat, ein Vorhaben gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen; das wird sie sich nicht gefallen lassen. ({2}) - Erzählen Sie mir nichts von diesen 16 Jahren, Frau Kollegin Rehbock-Zureich. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es den Warteraum RILAX erst seit dem 18. Mai 2000 gibt. ({3}) Man muss mit Ihnen, Frau Kollegin RehbockZureich, Deutsch reden, damit die Bevölkerung im süddeutschen Raum begreift, was Sie möchten. Sie haben sich in einem Zeitungsartikel folgendermaßen geäußert: Man wolle, dass die Warteräume SAFFA und EKRIT in die Schweiz verlegt werden. Sie wissen ganz genau, dass es dann nur noch einen Warteraum RILAX über dem Schwarzwald-Baar-Kreis gibt. ({4}) Wenn Sie es so gesagt haben, wie es in der Presse steht, dann wiederholen Sie das doch heute auch hier. Das bedeutet nämlich, dass SAFFA und EKRIT in die Schweiz verlegt werden, RILAX sich aber weiterhin über dem Schwarzwald-Baar-Kreis befindet. Damit werden die Menschen dort noch mehr als bisher belastet. Wir werden nicht zulassen, dass Rot-Grün Politik zum Nachteil der Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis macht. ({5}) Meine Damen und Herren, man muss auch über den Umgang der Bundesregierung mit den vom Fluglärm betroffenen Bürgern reden. Die Bürger haben gegen die Einrichtung des Warteraums RILAX vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim geklagt. Die Bundesregierung hat vortragen lassen, dass diese Klage unzulässig sei, weil die Bürger im Schwarzwald-Baar-Kreis keine Angrenzer an den Kanton Zürich seien und deswegen in ihren Rechten nicht betroffen sein könnten. Diesen Prozess hat die Bundesregierung mit Pauken und Trompeten verloren, und zwar nicht nur deshalb, weil die Bürger nicht angehört wurden, sondern auch, weil öffentliche Belange gegen private nicht hinreichend abgewogen worden sind. Auch das muss man den Menschen noch sagen: Die Bundesregierung hat auf diesen verlorenen Prozess mit der Einlegung von Rechtsmitteln reagiert, statt zu erklären, dass es ihr Leid tue, betroffene Bürger nicht angehört zu haben. In der gleichen Situation befinden wir uns heute wieder. Die SPD bringt einen wachsweichen Antrag. Wie nachher die Rechtsverordnung aussehen soll, wissen wir bis heute nicht, ebenso wenig wann Sie die Bürger in diesem Verfahren, das zu einer Rechtsverordnung führen soll, anhören wollen, um deren Interessen zu berücksichtigen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kauder, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Rehbock-Zureich?

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Frau Kollegin.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kauder, ich komme auf den Rechtsspruch für den Warteraum RILAX zurück. Wissen Sie eigentlich, dass es darum ging, zwei verschiedene Urteile zu bewerten - ein Urteil im Norden Deutschlands, wo dasselbe Verfahren angewandt wurde und ein Gerichtsurteil bestätigt hat, dass das rechtens sei, und das Urteil zum Warteraum RILAX im Süden Deutschlands, wo das Verfahren der Einbindung der Kommune bemängelt wurde -, damit in Deutschland Rechtssicherheit besteht?

Siegfried Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003563, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Rehbock-Zureich, ich verstehe Ihre Frage nicht. Sie weichen dem Problem aus, ({0}) dass die Bundesregierung in einem Rechtsstreit, in dem sich Bürger ihr Recht erkämpfen mussten, vortragen lässt, sie hätten nicht einmal ein Rechtsschutzbedürfnis. Das ist der Umgang der Bundesregierung mit den Bürgern; das ist die Informationspolitik, wie Sie sie auch jetzt wieder pflegen. Meine Damen und Herren, man braucht sich nur die Argumente zu Eigen zu machen, die aus der Schweiz kommen. Andreas Heiter - vielen nicht bekannt -, der Flugsicherungsleiter im Tower in Zürich, hat bei einem Besuch der Bürgerinitiative am 19. Juni 2001 erklärt, er brauche RILAX nicht; er sei froh, wenn es RILAX nicht gegeben hätte, denn dann hätte man die Probleme nicht. Das sagt ein zuständiger Beamter in der Schweiz. Das unterstützt unsere Forderung, Warteräume in die Schweiz zu verlegen und sie nicht auf deutschem Gebiet zu lassen. ({1}) Ebenso kann man den Verkehrsminister aus der Schweiz, Herrn Moritz Leuenberger, zitieren, der am 18. Juni 2001 in der Sitzung des Ständerates Folgendes zu den Warteräumen über Deutschland gesagt hat: Wäre ich in Deutschland, hätte ich die Warteräume abgeschafft. Sie haben sie jetzt noch. ({2}) Sie sehen also, dass Schweizer Vertreter die Interessen der Deutschen besser artikulieren können, als die deutsche Bundesregierung es tut. Ich darf auch zitieren, was der damalige Staatssekretär Stephan Hilsberg in einem Brief an Kollegen Dörflinger geschrieben hat: Für den Fall, dass der Ständerat den Staatsvertrag ebenfalls ablehnt, ist die DFS, die Deutsche Flugsicherung, bereits angewiesen, eine Rechtsverordnung vorzubereiten, die binnen sechs Monaten in Kraft treten sollte. ({3}) - Sie sind im Verzug, Frau Kollegin Rehbock-Zureich. Jetzt haben wir den 4. April 2003. ({4}) Am 17. April soll die Rechtsverordnung in Kraft treten und der Bürger weiß heute noch nicht, mit welchem Inhalt sie ergehen soll. Das ist Ihre U-Boot-Politik, die die Bürger sich nicht gefallen lassen. Lesen Sie sich bitte einmal Ihren völlig unkonkreten Antrag durch, mit dem Sie die Bedürfnisse der Bürger im Schwarzwald-Baar-Kreis zu befriedigen glauben. Da sagen Sie beispielsweise, in den Ruhezeiten sollen die Überflughöhen angehoben werden. Die Schweizer haben bisher erklärt, solche Überflughöhen seien nicht möglich, weil dann der Landewinkel zu groß werde. Aber wenn diese größeren Überflughöhen in Ruhezeiten möglich sind, warum sollen sie dann nicht auch in den übrigen Zeiten gelten? Das heißt, Sie werfen Nebelkerzen in die Bevölkerung, während Sie genau wissen, dass Sie den Menschen im Schwarzwald-Baar-Kreis und im süddeutschen Raum damit nicht dienen. Die Menschen haben einen Anspruch auf Ruhe. Schauen Sie sich einmal die Einflugskizzen an. Es kann doch nicht sein, dass Maschinen aus dem Süden, aus Neapel, Rom oder Mailand, die Zürich anfliegen, an Zürich vorbeifliegen, in 75 Kilometer Entfernung einen großen Bogen drehen und an der schweizerisch-deutschen Grenze unser Gebiet überfliegen. Das ist technisch auch nicht notwendig - auch das muss man Ihnen einmal sagen, Frau Kollegin Rehbock-Zureich -, denn es gibt noch einen weiteren Warteraum: RAPEX. RAPEX ist der Warteraum über Rapperswil. Warum ist dieser Warteraum ausgedünnt? - Weil es inzwischen den Warteraum RILAX über dem süddeutschen Raum gibt. Das heißt, die Schweizer entlasten ihre Goldküste am Zürichsee. Den Begriff „Goldküste“ dürfen wir Deutschen verwenden, weil er nicht von uns stammt, sondern von der „Neuen Zürcher Zeitung“. Deswegen müssen wir die Schweiz mit einer Rechtsverordnung in die Pflicht nehmen, die Hand und Fuß hat und nicht so wachsweich ist, wie Sie es wieder versuchen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 15/651, 15/744 sowie 15/755 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 9. April 2003, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.