Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/19/2003

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Interfraktionell sind für die verbundene Tagesordnung dieser Woche weitere Änderungen vereinbart worden: Nach Einzelplan 04 - Bundeskanzleramt - soll zunächst der Einzelplan 15 - Gesundheit und Soziale Sicherung - beraten werden. Der Einzelplan 16 - Umwelt - soll bereits heute als letzter Tagesordnungspunkt aufgerufen werden. Der Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - soll dafür erst am Donnerstag nach Einzelplan 09 - Wirtschaft und Arbeit - aufgerufen werden. Darüber hinaus soll die Tagesordnung um einige Zusatzpunkte erweitert werden, die aus der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste ersichtlich sind: 1 Beratung des Antrags der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 17. Januar 2003 und der Resolution 1371 ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksache 15/696 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus Heil, Klaus Brandner, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Michaele Hustedt, Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Bestimmungen der Post-Universaldienstleistungsverordnung verbraucherfreundlich durchsetzen - Drucksache 15/615 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 17. Januar 2003 und der Resolution 1371 ({4}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksachen 15/..., 15/... Berichterstattung: ..... - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 15/... Berichterstattung: ..... Des Weiteren mache ich auf nachträgliche Überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur Mitberatung überwiesen werden. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern ({6}) - Drucksachen 15/420, 15/522 überwiesen: Innenausschuss ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Redetext Präsident Wolfgang Thierse Der in der 28. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP: Für eine internationale Sicherheitsinitiative für Nordostasien - Drucksache 15/469 - ({8}) ({9}) überwiesen: Auswärtiger Ausschuss ({10}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Der in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur Mitberatung überwiesen werden. Antrag der Abgeordneten Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Dr. Claudia Winterstein, Jürgen Türk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Das neue Gesicht Europas - Kernelemente einer europäischen Verfassung - Drucksache 15/577 überwiesen: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({11}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Die genannten Umstellungen führen dazu, dass für Freitag vorerst keine Plenarberatungen vorgesehen sind. Angesichts der Entwicklungen im Irak können kurzfristige Änderungen jedoch nicht ausgeschlossen werden, sodass die Präsenzpflicht für Freitag zunächst bestehen bleibt. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesordnungspunkt I - fort: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 ({12}) - Drucksachen 15/150, 15/402 ({13}) Ich rufe dazu Tagesordnungspunkt I. 13 auf: Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - Drucksachen 15/554, 15/572 Berichterstattung: Abgeordnete Bernhard Kaster Gerhard Rübenkönig Alexander Bonde Anja Hajduk Dr. Günter Rexrodt Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU, ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP sowie ein Änderungsantrag der Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Ich weise darauf hin, dass wir im Anschluss an die Aussprache über den Einzelplan 04 namentlich abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache vier Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Michael Glos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({14})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag tritt heute in einer, wie ich meine, weltpolitisch ernsten Stunde zusammen, um über den Etat des Bundeskanzlers, das heißt über die Politik der Bundesregierung, zu beraten. Wir wissen, dass die Lage im Irak sehr ernst ist. Wir hoffen bis zuletzt, dass Saddam Hussein es noch begreift; aber es ist furchtbar bedrückend, wenn man ohnmächtig zusehen muss, wie ein Krieg herannaht. ({0}) Wir alle wissen aber auch - ich glaube, in diesem Punkt ist sich der Deutsche Bundestag einig -: Die Menschen im Irak brauchen wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft. ({1}) Sie haben genauso wie wir das Recht, in Freiheit zu leben. ({2}) Uns alle eint selbstverständlich der Wunsch, dass das mit friedlichen Mitteln erreicht wird oder - so muss man inzwischen ehrlicherweise sagen - erreicht worden wäre. Der Schlüssel zu einer friedlichen Lösung lag und liegt bei dem Diktator Saddam Hussein. Sein Regime trägt die Verantwortung dafür, dass zwei Angriffskriege stattgefunden haben und dass gegenüber dem eigenen Volk skrupellos Gewalt angewendet worden ist. Wir wissen auch, dass sich der Diktator seit zwölf Jahren weigert, der Verpflichtung der Völkergemeinschaft nachzukommen, offen zu legen, wie er seine Massenvernichtungswaffen vernichtet hat. Er muss eindeutig klarstellen, dass von dort künftig keine Gefahr mehr ausgeht. Diktatoren wie Saddam Hussein oder Slobodan Milosevic tun sich mit der Sprache der Diplomaten und der Diplomatie ungeheuer schwer. Sie kümmern sich nicht um humanitäre Argumente und sie kümmern sich auch nicht um die Not der Menschen im eigenen Land. ({3}) Ich weiß, dass niemand in Deutschland Krieg wollte oder gar Krieg will; aber es ist doch immer so: Wenn ein Waffengang als letztes Mittel, als Ultima Ratio, ausgeschlossen wird, dann besteht die große Gefahr, dass Diktatoren das missverstehen. Sie betrachten das dann oft als einen Freibrief und - das hat die Weltgeschichte immer wieder gezeigt - klammern sich bis zuletzt daran. ({4}) Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung zu Beginn dieser Legislaturperiode - sie ist in anderen Teilen vielleicht ein Stück überholt; dazu werden wir noch kommen - Ihre tief empfundene Dankbarkeit für das Engagement der Vereinigten Staaten beim Sieg über die Nazibarbarei zum Ausdruck gebracht. Das war richtig und das ist, glaube ich, heute noch aktuell. Wir bedauern die Zuspitzung dieser Krise; aber hier haben diplomatische Mittel versagt. Saddam hat sich auch über die Resolution 1441 hinweggesetzt. Er hat den Druck, insbesondere den diplomatischen Druck, niemals ernst genommen. Dass die Waffeninspektoren überhaupt arbeiten konnten, lag doch daran, dass ein gewaltiger Aufmarsch von Soldaten am Golf stattgefunden hat und dass Saddam den Druck gespürt hat. ({5}) Einem Diktator muss eine entschlossene Gemeinschaft gegenüberstehen. Wenn man die Hoffnung nährt, die Weltgemeinschaft sei sich nicht einig, dann setzt ein Diktator auf die allerletzte Karte. Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie mit Ihrer Politik bei dem Diktator nicht auch ein Stück Hoffnung genährt haben. ({6}) - Herr Präsident, es wird in diesem Hause - das ist ein demokratisches Forum - doch noch möglich sein, Fragen zu stellen. Der Herr Bundeskanzler hat anschließend Gelegenheit zu antworten. Er braucht Ihr Geschrei nicht. Wenn er bei seiner Politik auf alle Schreihälse von Ihrer Seite angewiesen wäre, dann würde es um unser Land noch sehr viel trüber stehen. ({7}) Ich fand es bedrückend, dass im Sicherheitsrat von den Deutschen Stimmen gegen die USA gesammelt worden sind. ({8}) Ganz abgesehen davon tue aber auch ich mich sehr schwer, in allen Punkten das nachzuvollziehen, was Bush derzeit tut. Sie können jetzt die Frage stellen - das wäre viel gescheiter, als hier zu schreien -, was wir getan hätten. Wenn eine Unionsregierung gewählt worden wäre - im September war es knapp davor -, dann hätte sie von Beginn an den Dialog mit unseren europäischen und amerikanischen Verbündeten gesucht und hätte alles dazu getan, zwischen den französischen Interessen auf der einen Seite und den amerikanischen Interessen auf der anderen Seite auszugleichen, so wie Regierungen vor Ihnen, Herr Bundeskanzler - das waren nicht nur die Regierung Adenauer oder die Regierung Kohl, sondern das waren genauso die Regierung Willy Brandt oder die Regierung Helmut Schmidt -, das auch immer wieder fertig gebracht haben. ({9}) Jetzt kommt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dieser Krieg auf uns zu. Wir wissen, dass schon jetzt, ob wir das wollen oder nicht, deutsche Soldaten involviert sind. Deswegen meine herzliche Bitte: Herr Bundeskanzler, tun Sie alles dafür - Sie haben das gestern, als wir im Bundeskanzleramt geredet haben, versprochen -, dass die Soldaten in der Frage, ob der Deutsche Bundestag ihren Einsatz genehmigt hat oder nicht, aus der rechtlichen Grauzone herauskommen! Es ist, finde ich, eine Zumutung für die Soldatinnen und Soldaten, wenn man anders handelt. Ich habe dazu noch einmal nachlesen lassen oder nachgelesen. ({10}) - Gott im Himmel! Entschuldigung! Dafür haben wir doch Juristen. Ich bin keiner. Aber ich habe wenigstens als Vater dafür gesorgt, dass sich die Zahl der Juristen vermehrt hat. Man wird doch deren Rat noch einholen dürfen. ({11}) Demnach sagt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1994 eindeutig: Ohne Zustimmung des Bundestages dürfen Soldaten nur eingesetzt werden, „sofern die Soldaten dabei nicht in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind“. Ich kann nicht sehen, wie das, wenn es zum Krieg kommt, bei einem Einsatz der FuchsSpürpanzer und der Soldaten in den AWACS-Flugzeugen bei der Luftraumüberwachung möglich sein sollte. Herr Bundeskanzler, es gibt verschiedene Gründe. Ich kann Sie natürlich politisch verstehen. Ich kann verstehen, dass man sich schwer tut, wenn man auf die Zustimmung - beinahe hätte ich gesagt - solcher Leute angewiesen ist. ({12}) - Entschuldigung, ich habe mich auf Ihr Verhalten vorhin bezogen. Verhalten Sie sich doch bitte so, dass ich von Kolleginnen und Kollegen sprechen kann! Tun Sie das doch bei dieser Debatte! ({13}) Ich glaube nicht, dass Ihr Verhalten dem Ernst der Lage angemessen ist. ({14}) Lassen Sie mich einige Aussagen anführen. Wiefelspütz wird in den Tickermeldungen aus einem dpa-Gespräch zitiert: Wenn wir einen zustimmungsbedürftigen Sachverhalt schaffen würden, wären wir doch mit einem Bein in diesem Krieg. Genau das wolle Bundeskanzler Schröder ({15}) verhindern. Natürlich hätten die AWACS-Maschinen die Fähigkeit, auch Iraks Luftraum zu beobachten und kriegsrelevante Informationen an die USA weiterzugeben. Aber das darf eben nicht genutzt werden. Ich kann mir schwer vorstellen, wie das laufen soll. Ich zitiere aus den Meldungen eine führende Politikerin der Grünen: ... Christine Scheel bezeichnete Bushs Vorgehen als rechtswidrig. Ich gehe davon aus, dass es gegen das Völkerrecht verstößt ... Weiter heißt es: Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef HansChristian Ströbele sagte, er halte die Nutzung der US-Stützpunkte in Deutschland im Kriegsfall für verfassungswidrig. Und so weiter. Ich sage das nur, weil ich deutlich machen möchte, dass die Schwierigkeiten auf der Regierungsseite klar sind. Deswegen muss aber Recht immer Recht bleiben und unsere Verfassung muss selbstverständlich eingehalten werden. ({16}) Herr Bundeskanzler, Ihre Außenpolitik gefährdet wichtige Institutionen, denen unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, seine Sicherheit verdankt. Sie verantworten ein Stück weit die aufbrechende Spaltung der Europäischen Union. ({17}) Das ist für mich ein ungeheuer bedrückendes Erlebnis. Sie verantworten mit die Zerwürfnisse in der NATO und die nachhaltige Entfremdung in den transatlantischen Beziehungen. ({18}) Meine Angst ist, dass damit Gefahren weit über den Tag hinaus für unser Land entstehen. Die globalen Aufgaben - der Kampf gegen den Hunger, der Schutz der Umwelt, mehr Entwicklungschancen - können doch nur gelöst werden, wenn die westlichen und auch die europäischen Staaten zusammenstehen. In dieser außen- und europapolitisch schwierigen Zeit steht Deutschland zudem noch - das treibt uns auf der anderen Seite um, Herr Poß - auf brüchigen ökonomischen Fundamenten. Bei unseren Nachbarn geht das Wort von Deutschland als dem kranken Mann in Europa um. Wirtschaftsexperten sprechen vom Sanierungsfall Deutschland. ({19}) Die Kurse unserer Banken und Versicherungsgesellschaften sind im Keller. Die Menschen in diesem Land machen sich Sorgen um ihre private Altersversorgung und die Sicherheit ihrer Sparguthaben. ({20}) Das ist doch die bedrückende Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zur Stunde. ({21}) Der Haushalt ist - das habe ich gelernt; ich war früher im Haushaltsausschuss - das Schicksalsbuch der Nation. Man darf dieses Schicksalsbuch in seinen Zahlenfundamenten nicht zum Märchenbuch oder gar zum Lügenbuch machen. ({22}) Dafür muss man sorgen, wenn man Vertrauen zurückgewinnen will. Die haushaltspolitischen Perspektiven sind düster. Der Haushalt 2003 ist ein Spiegelbild der Lage in Deutschland. Ohne Sanierung drohen Abstieg und Pleite. Sanieren kann nur - Herr Bundeskanzler, das möchte ich Ihnen sagen -, wer vorher schonungslos die Wahrheit auf den Tisch legt. ({23}) Wenn es keine schonungslose Diagnose gibt, dann ist auch die Bereitschaft zu einer harten Therapie nicht gegeben. Deswegen befürchte ich, dass Sie sich schwer tun werden, all das durchzusetzen, was Sie am vergangenen Freitag angekündigt haben. ({24}) Tatsache ist: Die Massenarbeitslosigkeit hat eine noch nie gekannte Höhe erreicht. ({25}) 4,7 Millionen Arbeitslose gab es im Februar; das ist die dritthöchste Zahl aller Zeiten. Jeder zweite Arbeitnehmer macht sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz. Tatsache ist: Deutschlands Wirtschaft ist zum Schlusslicht in Europa geworden und stagniert seit Monaten. ({26}) - Ich nehme den Zwischenruf von der SPD auf, ich würde das Land schlecht reden: Das ist die übliche Masche. Ich möchte, wenn Sie darauf besser hören, damit beginnen, Genossen zu zitieren. Genosse Ernst Welteke, der früher Finanzminister in Hessen war und jetzt Präsident der Bundesbank ist, sagt, Deutschland sei seit zwei Jahren in einer Phase der Quasistagnation. Genosse Florian Gerster, früher Sozialminister in RheinlandPfalz, spricht in seiner Eigenschaft als Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ebenfalls von einer Phase der Stagnation. Deswegen ist es Unfug, wenn Sie dazwischenrufen, wir würden das Land schlecht reden. ({27}) Hören Sie sich doch zumindest die Tatsachen an! Tatsache ist: Das Defizit im Bundeshaushalt hat zu einem Verfahren wegen Verletzung des Stabilitätspakts geführt. Tatsache ist: Obwohl die angebliche Rückführung der Neuverschuldung noch vor wenigen Wochen zum Markenzeichen rot-grüner Politik erklärt worden ist und Herr Eichel schon für 2004 einen ausgeglichenen Haushalt versprochen hat, ist dies alles in weiter Ferne. Tatsache ist, die Krise der Sozialversicherungen ist nicht mehr zu leugnen: Die Pflegeversicherung ist ein Pflegefall. Die Krankenversicherung liegt auf der Intensivstation. ({28}) Das System der Altersversorgung leidet an Altersschwäche. In der Arbeitsmarktpolitik herrscht Vollbeschäftigung, allerdings nur bei den deutschen Arbeitsämtern. ({29}) Herr Bundeskanzler, das alles - ob Sie es gerne hören oder nicht - ist Ergebnis Ihrer Politik. All das hätten Sie am Freitag bilanzieren müssen. Vielleicht wäre dann die Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen bis hinüber in den Gewerkschaftsflügel der SPD vorgedrungen. ({30}) Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Ankündigungen, die unter dem Stichwort „Agenda 2010“ großspurig erfolgt sind, wirklich umgesetzt werden. In Wirklichkeit war es ein Stück Offenbarungseid, ein Eingeständnis des Scheiterns des bisherigen Kurses. ({31}) Das hat es eigentlich noch nie gegeben, dass das, was in der Regierungserklärung angekündigt worden ist, bereits nach einem halben Jahr so stark korrigiert werden musste. ({32}) Diese Rede, Frau Göring-Eckardt, war doch eine flehende, nach innen gerichtete Bitte an die Reihen hier, endlich das zu tun, was notwendig ist. ({33}) Ich könnte jetzt, wenn ich noch mehr Zeit hätte, die Pressestimmen zitieren, die es direkt nach dieser Rede gegeben hat. ({34}) Eine genügt. Das „Handelsblatt“, das ansonsten RotGrün gegenüber nicht sehr kritisch ist, hat geschrieben: „mehr Murks als Mut“. Das war das Resümee. Wie gesagt, ich habe jede Menge Zitate dabei. Sie haben sich vorher von Ihrer eigenen Propagandaabteilung - das ist legitim - hochstilisieren lassen. Diese Rede ist in solche Sphären gehoben worden, dass es gar nicht gut gehen konnte. Ich kann zu diesem so genannten großen Wurf nur sagen: Gewogen und für zu leicht befunden, Herr Bundeskanzler. Das war das Urteil der Experten über das, was Sie vorgelegt haben. ({35}) Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Ich erinnere mich sehr intensiv an die Zeit der Bundestagswahl, ({36}) an die Fernsehduelle, die da stattgefunden haben, und auch an Ihre Großspurigkeit, mit der Sie den Kanzlerkandidaten der Union, Ministerpräsident Stoiber, dabei behandelt haben. Sie haben zu ihm gesagt: „Herr Ministerpräsident, Sie wollen Bundeskanzler werden - Sie können es nicht.“ ({37}) Schauen Sie sich an, wo wir nach einem halben Jahr stehen! Ich kann nur sagen: Herr Bundeskanzler, Sie können es nicht! ({38}) Geben Sie Ihr Mandat an die Wählerinnen und Wähler in der Bundesrepublik Deutschland zurück! Neuwahlen wären die sauberste Lösung. ({39}) Herr Bundeskanzler, für das, was Sie angekündigt haben, haben Sie doch überhaupt keine Legitimation von den Wählerinnen und Wählern. ({40}) - Nein, Sie haben keine Legitimation. Ich bringe ein paar Beispiele. Sie haben am Freitag gesagt, Sie wollen die Arbeitslosenhilfe auf das Sozialhilfeniveau herunterfahren. Vor der Wahl versprach die SPD „keine Absenkung der künftigen Leistungen auf Sozialhilfeniveau“. ({41}) Ein weiteres Beispiel. Am Freitag wollten Sie den Kündigungsschutz für Kleinbetriebe ab fünf Mitarbeiter besser handelbar machen. Vor der Wahl lobte die SPD die Geltung des Kündigungsschutzes in Betrieben ab fünf Mitarbeitern als Beitrag zum sozialen Frieden. ({42}) Wenn Politik nicht auf Wahrheit gebaut ist, dann wird sie bei den Menschen keinen Erfolg haben. ({43}) Wir erleben schon über eine lange Zeit die Argumentation mit Ausflüchten. Zunächst war es die nachlassende US-Konjunktur, dann der 11. September, dann der vermeintlich zu restriktive europäische Stabilitätspakt, dann die mangelnde Unterstützung seitens der Europäischen Zentralbank. Künftig wird wohl immer wieder der Irak als Grund herangezogen werden, warum man die selbst gesteckten Ziele nicht erreichen kann. Ich sage Ihnen - da stehe ich nicht allein; das sagen Ihnen auch die Wirtschaftsexperten -: Die Ursachen unserer deutschen Misere sind binnenwirtschaftlicher Natur. Es sind hausgemachte Fehler der Regierung Schröder: die Rekorddefizite in den öffentlichen Haushalten, die offensichtlich unaufhaltsam steigenden Lohnnebenkosten und die totale Verkrustung des Arbeitsmarktes. All das ist binnenwirtschaftlich bedingt. Diese Realitätsverweigerung, die da besteht, erinnert mich an einen Leichtathletiktrainer, der als Ausrede für die Niederlage seiner Läufer sagt, es habe schlechtes Wetter geherrscht. Dabei vergisst er, zu sagen, dass die anderen Läufer in der gleichen Witterung haben starten müssen. Der angekündigte zaghafte Kurswechsel war überfällig. Wir wollen, dass Deutschland wieder aufs Siegertreppchen kommt. ({44}) Das ist nur möglich, wenn die notwendigen Reformen auch durchgesetzt werden. ({45}) Durchsetzen müssen Sie diese Reformen in allererster Linie in den eigenen Reihen. Es sind nur ganz wenige Maßnahmen dabei, die im Bundesrat zustimmungspflichtig sind. Die allermeisten Maßnahmen können Sie mit Ihrer rot-grünen Mehrheit durchsetzen, wenn Sie diese Mehrheit denn haben. Die Opposition ist kein Hilfsaggregat und kein Hilfsmotor ({46}) für eine Regierung, die mit dem Rücken zur Wand steht. Deswegen kann ich nur sagen: Viel Glück und gute Reise! Setzen Sie durch, was Sie angekündigt haben! Bei Maßnahmen - wie zum Beispiel bei der Flutopferhilfe -, bei der die Bundesratsmehrheit gebraucht wird, um das Abkassieren der Kommunen wieder einzustellen, werden Sie unsere Unterstützung bekommen. ({47}) Herr Bundeskanzler, was Ihnen persönlich fehlt - das ist ein großes Problem nicht nur für Sie und diese Regierung, sondern inzwischen auch für unser Land -, ist die Geradlinigkeit. ({48}) Geradlinigkeit ist eine Grundvoraussetzung für Vertrauen. Vor der Wahl galt die Politik der ruhigen Hand; nach der Wahl hat die hektische Hand eingesetzt, die planlos gehandelt hat. Ein hakenschlagender Hase auf der Flucht hat sehr viel mehr Geradlinigkeit, als es die rot-grüne Politik in den letzten Jahren jemals hatte. ({49}) Unserem Land - Herr Bundeskanzler, das sage ich aus tiefer Überzeugung - fehlt die politische Führung. Darunter versteht man das, woran sich die Menschen festhalten können: die Kalkulierbarkeit der Regierenden. Aus dieser Kalkulierbarkeit entwickelt sich Vertrauen. Ich nenne als Beispiel das Hickhack über die Steuererhöhungen - erst waren es 48; am Schluss waren es noch 33 -, von denen Sie gewusst haben, dass sie im Bundesrat am Ende keine Mehrheit finden werden. Man hat trotzdem nach dem Motto „Was zwischendurch geschieht, ist uns egal“ ungeheuer viel Vertrauenskapital zerstört. Die geplante 50-prozentige Steuererhöhung auf Firmenwagen beispielsweise wird zwar keinen Euro in die Kasse bringen; aber sie hat zutiefst Verunsicherung ausgelöst, unserer Automobilwirtschaft geschadet und Kaufzurückhaltung bewirkt. Ein weiteres Beispiel: Sie haben über Monate aufrechterhalten - ich habe gehört, dass es jetzt richtigerweise doch nicht Bestandteil des entsprechenden Gesetzentwurfes ist -, den deutschen Bankkunden gläsern machen zu wollen. Sie haben ihn damit verunsichert. Ich finde, eine Politik, die auf die Verunsicherung der Wähler setzt, kann keinen Erfolg haben. ({50}) Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch den Wählerinnen und Wählern in Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die haben Ihnen dafür die entsprechende Quittung gegeben. ({51}) Wenn jetzt eine Änderung Ihrer Politik erfolgen soll, dann ist das doch nicht einer besseren Einsicht zu verdanken, sondern ausschließlich den Wählerinnen und Wählern in den drei genannten Bundesländern, die Ihnen die rote Karte gezeigt haben. Auch in Ihrer Partei mehren sich die Stimmen, die Ihre Politik infrage stellen. Ich kann nur feststellen: Ich wünsche mir, Ihnen und unserem Land, dass das, was Sie angekündigt haben, gelingt. Eckpunkte der Reformen, zum Beispiel der Reform des Gesundheitswesens, haben wir vorher angekündigt. Sie haben richtigerweise - dafür bedanke ich mich ausdrücklich - Horst Seehofer wieder freigesprochen. Was hat der Mann, der als unsozial bezeichnet worden ist, in all den Jahren über sich ergehen lassen müssen! ({52}) Sie haben die 98-er und die folgende Wahl gewonnen, indem Sie immer wieder die Geschichte von den unterschiedlichen Zähnen der Armen und der Reichen erzählt haben. Jetzt haben Sie endlich das gefordert, was Seehofer vorgeschlagen hat: eine Beteiligung der Menschen an den kleinen Risiken, mehr Verantwortungsübernahme durch den Einzelnen. Das ist der richtige Weg. Von der demographischen Formel in der Rente bis hin zu Lockerungen auf dem Arbeitsmarkt könnte ich Ihnen nacheinander aufzählen, was alles bereits in unserem Wahlprogramm stand. Ich kann es Ihnen nur immer wieder zur Lektüre empfehlen. Sie haben daraus abgekupfert. Sie haben bei dem, was Sie erklärt haben, auch die Beschlüsse unserer Fraktion einbezogen. Das alles ist richtig. Deswegen fordere ich Sie auf: Haben Sie den Mut, sich für die Polemik und die Schmutzkübel zu entschuldigen, die Sie zuvor über die Union gegossen haben! ({53}) Auch das gehört zu einem Neuanfang. Kündigungsschutz genießt bei Ihnen offensichtlich nur Minister Eichel. Es gibt kaum einen Minister, der so versagt hat, der so danebenliegt und der sich offensichtlich immer noch im Amt wohl fühlt. Das kann nur damit zusammenhängen, dass gegenwärtig offensichtlich niemand bereit ist, dieses Amt zu übernehmen. Verehrter Herr Minister Eichel, wenn ich Ihr Sündenregister aufzählen sollte, würde es meine Redezeit sprengen. Ich möchte nur so viel sagen: Eine weitere Ursache der Kaufkraftschwäche und des mangelnden Vertrauens bei uns im Land ist die Tatsache, dass nach Schätzungen der „Financial Times Deutschland“ inzwischen 1 000 Milliarden Euro durch den Schornstein der Börse gejagt worden sind. Diese bedrückende Zahl ist nicht nur Buchgeld, sondern schwächt auch die Kaufkraft. ({54}) - Das geht Sie nichts an. Ich habe an der Telekom-Aktie weniger Geld verloren als andere Leute, weil ich ein misstrauischer Mensch bin. ({55}) Der rot-grünen Regierung habe ich von Anfang an misstraut. Herr Bundeskanzler, es lag doch in der Verantwortung Ihres Finanzministers. Er hat doch den Menschen von Herrn Krug die dritte Tranche der Telekom-Aktien für 66,50 Euro aufschwatzen lassen. Sie haben also über Werbeagenturen einen Schwätzer eingestellt, um die Leute zu belatschern. Dabei sind allein 15 Milliarden Euro verloren gegangen. Damit haben Sie ein schlechtes Beispiel für Ehrlichkeit, Klarheit und Wahrheit an der Börse gegeben. Und es waren die kleinen Leute, die das Geld verloren haben. ({56}) Eine Umverteilung von der Verkäuferin oder von einem Industriearbeiter, die mit einer Aktie, die der Bund anbietet, auch privat vorsorgen wollen, hin zu einer angeblichen Haushaltssanierung ist das, was man unter Umverteilung von unten nach oben versteht. Auch hier sind Wahrheit und Klarheit die Voraussetzungen, um Vertrauen zurückzugewinnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zur Verantwortung der Opposition. ({57}) Aufgabe der Opposition in einem demokratischen Land ist es, Fehlentwicklungen offen zu legen und so weit wie möglich zu korrigieren. ({58}) Wir können nicht die Probleme des Landes lösen ({59}) ohne Mehrheit im Deutschen Bundestag. Das ist nicht möglich, das war nie möglich und das wird nie möglich sein. ({60}) Ich sage noch einmal: Wo wir unbedingt gebraucht werden und wenn es vernünftig ist, werden wir helfen. Wir haben das zum Beispiel schon bei der Wiedereinführung einer vernünftigen Lösung für die so genannten geringfügigen Arbeitsverhältnisse gezeigt und wir werden das auch in anderer Art und Weise tun. Aber Politik ist natürlich immer wieder ein Bohren dicker Bretter mit einem dünnen Bohrer, um Max Weber zu zitieren. ({61}) Das ist in der Wirtschaftspolitik und in der Sozialpolitik erforderlich. Max Weber fordert auch eine Politik mit Leidenschaft und Augenmaß. Herr Bundeskanzler, ein Letztes: Wer eine Kundgebung in einer niedersächsischen Provinzstadt - Goslar hat sie, glaube ich, geheißen ({62}) für die passende Bühne der Weltpolitik hält, der hat es ungeheuer schwer, in Deutschland und darüber hinaus ernst genommen zu werden. ({63}) Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Hause und dort, wo Sie uns zuschauen: Deutschland braucht Glaubwürdigkeit und Vertrauen, gerade in dieser schwierigen Zeit. Wenn wir mehr Zukunftschancen für die Deutschen schaffen wollen, wenn wir wollen, dass die von Konrad Adenauer und Helmut Kohl aufgebauten außen- und europapolitischen Sicherheitsfundamente in der Zukunft weiter halten, dann müssen Vertrauen und Kalkulierbarkeit in die Politik zurückkehren. Daran haben wir ein gemeinsames Interesse. Herr Bundeskanzler, wenn Sie dies tun, werden wir Sie dabei unterstützen. Herzlichen Dank. ({64})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Franz Müntefering, SPD-Fraktion. ({0})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Irak droht Krieg. Herr Glos hat das eben einen Waffengang genannt. Das hörte sich nach Spaziergang an. Krieg ist aber Zerstörung, Krieg ist Tod, Krieg ist Elend, Krieg ist Armut. Herr Glos, wenn Sie sagen, die Menschen im Irak haben ein Recht, in Freiheit zu leben, sage ich: Ja, sie haben vor allem ein Recht, zu leben, und deshalb wollen wir keinen Krieg im Irak. ({0}) Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts - das bleibt richtig. Deshalb ist und bleibt die Politik von Gerhard Schröder, Joschka Fischer und dieser Koalition richtig, sich darum zu bemühen, das Gewaltpotenzial, das es im Irak bei Saddam Hussein zweifellos gibt, im Griff zu behalten und das Problem auf friedlichem Wege zu lösen. Dies war und ist durch eine intensive, lange Inspektion möglich. Krieg im Irak ist nicht nötig und deshalb wollen wir ihn nicht. ({1}) Auch wenn sich in den nächsten Stunden und Tagen herausstellen sollte, dass es diesen Krieg doch gibt, so war es richtig - und wir sind stolz damit -, dass wir in der Koalition zusammen mit vielen Menschen in unserem Lande den ehrenwerten Versuch unternommen haben, alles daranzusetzen, was in unseren Kräften stand und steht, um diesen Krieg zu verhindern. ({2}) Frau Merkel, nun sind Sie an der Reihe; heute ist für Sie die Stunde der Wahrheit. Lauwarm geht nicht mehr! ({3}) Sie müssen sich heute entscheiden und vor dem Deutschen Bundestag und dem deutschen Volk sagen, ob Sie angesichts der Situation im Irak die Politik der Bundesregierung unterstützen oder ob Sie den Antrag stellen, dass sich Deutschland an dem Krieg im Irak mit Soldaten beteiligen solle. ({4}) - Regen Sie sich nicht auf! In diese Alternative haben Sie sich hineinmanövriert. ({5}) Entweder unterstützen Sie das, was die Bundesregierung tut, oder Sie unterstützen, wie Sie es gestern angedeutet haben, Frau Merkel, das, was der US-Präsident gesagt hat. ({6}) Wenn Sie bei dem mitmachen wollen, was die Vereinigten Staaten tun, dann stellen Sie einen Antrag. Sie werden für ihn keine Mehrheit bekommen, selbst in den eigenen Reihen nicht. Aber dann ist in Deutschland klar, wer hier was will. Hören Sie auf mit Lauwarm! ({7}) Am Freitag, dem 14. März, hat der Bundeskanzler hier die Prinzipien und Leitlinien sowie eine Reihe konkreter Maßnahmen für die wesentlichen politischen Projekte der nächsten Zeit angesprochen: Gesundheitsreform, Gemeindefinanzreform, Mittelstand, Wachstum, Arbeitnehmerrechte, Innovation, Jugend. An diesem Freitag gab es von der Opposition zwei Antworten: eine Antwort Merkel, eine Antwort Stoiber. Was die Meinung der Union ist, ist dabei nicht richtig klar geworden. Klar geworden ist nur, dass es in Ihrer Fraktion über das Verhalten von Herrn Stoiber Unmut gibt. Dies beschrieb Herr Seehofer in seinem „Focus“-Interview, als er sagte, bei den Kollegen in der CDU/CSUFraktion herrsche großer Unmut, denn Stoiber habe in der Rentenpolitik, beim Arbeitslosengeld und beim Kündigungsschutz Positionen bezogen, die nicht abgestimmt seien. Dies wurde von Herrn Arentz, dem „Enkel“ von Norbert Blüm, unterstrichen, indem er sagte, die Idee des CSU-Vorsitzenden, das Gesetz erst in Betrieben ab 20 Mitarbeitern anzuwenden, nähme schlagartig 80 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland den Kündigungsschutz. Konsequenterweise hat Herr Bosbach - Ihr Stellvertreter, Frau Merkel - geäußert, die CDU/CSU-Fraktion könne jetzt nicht die Frage beantworten, was sie von den Ankündigungen des Bundeskanzlers mittragen werde und was nicht. Das ist Ihr Problem: Sie haben seit einem halben Jahr gefordert, die Regierungsparteien und die Koalition sollten auf den Tisch legen, was sie wollen. Nun haben wir es auf den Tisch gelegt, aber nun wissen Sie nicht Bescheid, was Sie wollen. Sortieren Sie sich einmal und geben Sie eine klare Antwort! Jetzt ist die Zeit, in der man dies nicht mehr länger verschieben kann. ({8}) Wir werden noch vor dem Sommer - es bleibt bei unserem Zeitplan - zu den drei großen Paketen Gesundheit, Gemeindefinanzreform sowie Mittelstand und Wachstum unsere Konzepte auf den Tisch legen. Dann werden Sie als Opposition gefragt sein, was Sie wirklich wollen. Im Augenblick ist das nicht zu erkennen, aber das stört uns nicht. Wir arbeiten daran, die Gesetzentwürfe in den nächsten Wochen vorzulegen. Dann werden Sie sich entscheiden müssen. Aber nicht nur Sie, sondern auch die übrige interessierte Öffentlichkeit hat die Rede vom vergangenen Freitag ohne eine eigene klare Meinung und zum Teil auch mit der Absicht aufgenommen, Dinge, die gesagt worden sind, zu verzerren oder falsch darzustellen. In der „Bild am Sonntag“ wurde auf den Seiten 2 und 3 das Beispiel einer Familie und ihrer Betroffenheit durch unsere Ankündigung in Bezug auf das Arbeitslosengeld dargestellt. ({9}) Zu Familienvater Lange, Alter 46, schreibt die „Bild am Sonntag“: Verliert Lange seinen Job, erhält er zwölf statt bisher maximal 32 Monate lang Arbeitslosengeld. Ein 46-Jähriger aber bekommt heute nicht 32, sondern maximal 18 Monate lang Arbeitslosengeld. Das muss man nur wissen und wenn man es weiß, darf man nichts Falsches schreiben. ({10}) Weiterhin steht in der „Bild am Sonntag“, dass Gabriele Lange, die Ehefrau von Herrn Lange, 44 Jahre alt, wenn sie arbeitslos wird, künftig nur noch zwölf Monate lang Arbeitslosengeld bekommt. Ein 44-Jähriger bekommt aber in Deutschland nie länger als zwölf Monate lang Arbeitslosengeld. Auch das muss man wissen und darf nicht lügen, auch sonntags nicht. Das gilt auch für die „Bild“-Zeitung. ({11}) Die Kürzung des Arbeitslosengeldes fällt Sozialdemokraten nicht leicht. Darüber gibt es bei uns eine intensive Diskussion, was auch angemessen ist. Man muss sich aber vor Augen führen: Im Jahre 2001 - das wird 2002 nicht anders gewesen sein - haben 80 Prozent derer, die in Deutschland Arbeitslosengeld bekommen, dieses zwölf Monate lang oder kürzer bekommen, 7 Prozent haben es länger als 24 Monate lang bekommen. Vor diesem Hintergrund sind die Fragen, wer in diesem Land was bezahlt und was zu tun ist, damit die sozialen Sicherungssysteme dauerhaft zu erhalten sind, erlaubt. Wir werden darauf eine vernünftige Antwort geben, wie der Kanzler sie bereits angesprochen hat. Unser Gesetzentwurf ist vertretbar und wir werden ihn auch so beschließen. ({12}) Uns geht es darum, Arbeit zu schaffen, Wohlstand zu sichern und soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau dauerhaft möglich zu machen. Dazu brauchen wir einen Haushalt, der diesen Ansprüchen genügt. Der Haushalt 2003 ist ein solcher. ({13}) Man kann das an einem Punkt klar machen: 1998 musste der Bundesfinanzminister von jeder Mark Steuern, die er einnahm, 22 Prozent für Zinszahlungen aufwenden. Diese Quote ist unter Hans Eichel auf 19 Prozent reduziert worden. Das ist noch nicht das Ergebnis, das wir letztlich brauchen, aber er muss von jedem Euro, den er einnimmt, 3 Prozent weniger an Zinsen zahlen, als Sie das 1998 noch mussten. ({14}) Deshalb sage ich Hans Eichel - ein Finanzminister muss ja sehr viel aushalten - hier einmal Danke schön für die Arbeit in diesen vier Jahren und auch für das, was jetzt zu leisten ist. ({15}) - Ach ja, das wissen Sie doch. Wir alle stecken voller Ideen dazu, was man noch tun könnte, aber der Finanzminister ist derjenige, der uns sagen muss, was geht und was nicht. Da sind wir auch ehrlich miteinander. Wir bedrängen ihn auch, aber wir brauchen auf diesem Stuhl jemanden, der uns jeden Tag morgens und abends und zwischendurch auch noch einmal sagt: Wir müssen in diesem Land auch sparen, denn wir wollen, dass unsere Kinder und Kindeskinder von uns noch etwas anderes erben als Schuldscheine und Hypotheken, Herr Austermann. ({16}) Stoiber ist am Freitag mit Spendierhosen durch den Bundestag marschiert. Lesen Sie einmal nach, was er alles gesagt hat. Er ist schon ein Phänomen und hat eine Rede der besonderen Art gehalten. Er fordert erstens zu sparen, aber zweitens mehr auszugeben. Die Quadratur des Kreises ist eine Kleinigkeit gegenüber dem, was Herr Stoiber da erzählt hat. ({17}) - Frau Merkel lacht dankbar. ({18}) Es geht darum, die Kommunen in diesem Land in die Situation zu versetzen, ihren Aufgaben gerecht werden zu können. ({19}) Stadt und Gemeinde sind mehr als die bloße Ansammlung vieler Häuser. ({20}) Wenn wir über Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung sprechen - Frau Merkel, auch Sie haben dieses Thema angesprochen; es ist also von gemeinsamem Interesse -, dann kommt es darauf an, Zeichen zu setzen, wohin hier die Reise gehen soll. Wir dürfen Kommunalpolitik nicht als ein Untergeschoss der Politik auffassen; sie ist vielmehr eine tragende Säule der Demokratie. Das ist ganz klar. ({21}) Weil das so ist, tun wir alles dafür, dass die finanzielle Situation der Kommunen gestärkt wird. ({22}) - Ihre Politik ist kommunalfeindlich. ({23}) Sie haben am Freitag im Bundesrat das Steuervergünstigungsabbaugesetz abgelehnt. Dieses Gesetz - es enthält unter anderem die Erhöhung der Körperschaftsteuer hätte den Kommunen in diesem Jahr 300 Millionen Euro mehr gebracht. Sie haben am Freitag letzter Woche den Kommunen für dieses Jahr also 300 Millionen Euro verweigert. Das ist Ihre Politik. ({24}) Sie haben durch Ihre Entscheidung am Freitag den Kommunen zusätzliche Gelder in Höhe von 2,6 Milliarden Euro für das nächste Jahr verweigert. Auch das ist Ihre Politik. Bis zum Ende dieser Legislaturperiode hätte es durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz 6,5 bis 7 Milliarden Euro mehr für die Städte und Gemeinden gegeben. Das wollen wir erreichen. Sie jedoch verweigern das. Deshalb ist Ihre Politik kommunalfeindlich. ({25}) Heute Morgen habe ich gehört, dass Ministerpräsident Müller aus dem Saarland gesagt hat, die Erhöhung der Mehrwertsteuer könne die Lösung sein. Ich bin gespannt. Denn im Moment geht es darum - das ist ein interessanter Punkt -, im Bundesrat die Zustimmung für die Wiederbelebung der Körperschaftsteuer zu bekommen. Die großen Unternehmen mussten in unserer Regierungszeit bisher weniger Steuern zahlen als jemals zuvor. Manchen von uns ist es schwer gefallen, das mitzutragen. ({26}) - Es ist interessant, was Sie sagen. Mit Ihrem Zwischenruf zeigen Sie doch, dass Sie der Meinung sind, die Unternehmen sollten Körperschaftsteuer zahlen. Wenn Sie das wollen, warum lehnen Sie dann unseren Vorschlag am Freitag im Bundesrat ab? Beschließen Sie das doch mit uns! Das ist doch ganz einfach. ({27}) Durch die Wiederbelebung der Körperschaftsteuer wollen wir versuchen, den breiten Schultern mehr aufzuladen, als sie bisher tragen. ({28}) Das haben wir im Gesetz so vorgesehen. Sie sind dagegen. Sie wollen diejenigen schützen, die in diesem Land dringend wieder Steuern zahlen müssten. Stimmen Sie der Erhöhung der Körperschaftsteuer zu! Das ist unser Anliegen. ({29}) Sprechen Sie doch einmal mit Ihren Oberbürgermeistern und Bürgermeistern; ein paar von ihnen müssten Sie ja noch kennen. ({30}) Lassen Sie sich von ihnen erklären, wie deren Haushalte eigentlich aussehen. Sie rechnen für die Jahre 2003 und 2004 in ihren Haushalten mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz und dass sie dadurch von uns Geld bekommen. Auch die Bürgermeister der CDU/CSU rechnen in ihren Haushalten schon längst mit den Regelungen, die in unserem Gesetz stehen. Sie verweigern es ihnen, Frau Oberbürgermeisterin von Kiel in spe. ({31}) Außerdem werden die Kommunen in diesem Jahr etwa 2 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung haben, weil wir sie vom Beitrag zur Flutopferhilfe entlasten. Auch aus der Abgeltungsteuer aufgrund der Quasi-Amnestie werden sie zusätzliches Geld haben. Es geht um 2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Ich bin gespannt, ob Sie dem zustimmen. Herr Glos hat sich, was die Flutopferhilfe anging, eben etwas verplappert; zumindest war es nicht logisch. Er hat gesagt, wir würden den Gemeinden das geben, was ihnen sowieso zusteht. Ich erinnere mich aber, dass Herr Glos, als wir die Entscheidung getroffen haben, gefordert hat, wir sollten eine Steuersenkung vornehmen. In dem Fall wäre das Geld weg gewesen. Den Gemeinden nun mehr als 1 Milliarde Euro zu geben ist nur möglich, weil wir in Sachen Flutopfer so entschieden haben, wie wir entschieden haben. Herr Glos, das müssten doch auch Sie begreifen, oder? ({32}) Wir werden bis zum Sommer entscheiden, wie wir bei der Gewerbesteuer weiter verfahren. Wir müssen entscheiden, was die Rolle und Funktion der Gewerbesteuer in Zukunft sein wird. Die Gemeinden brauchen eine größere Stabilität in ihren Haushalten. Daran arbeiten wir. Dafür wollen wir sorgen. Äußern aber auch Sie sich dazu. Bisher kann man nicht erkennen, was die CDU/ CSU eigentlich will. Wie soll Ihrer Meinung die Gewerbesteuer gestaltet werden? Wie soll die gewerbesteuerliche Organschaft aussehen? Wie sollen die freien Berufe einbezogen werden? Wir werden vorschlagen, dass auch die freien Berufe in Zukunft, wie immer diese Steuer dann heißt, in die Steuer einbezogen werden. Gewerbebetriebe müssen Gewerbesteuern zahlen. Das soll in Zukunft auch für die freien Berufe gelten. ({33}) Wir geben den Kommunen und dem privaten Bereich einen Kreditrahmen für Investitionen. Darüber sprechen Sie nicht viel. Es ist auch vor allen Dingen unsere Aufgabe, darüber zu sprechen. Dabei geht es um einen dicken Batzen, nämlich um den Kreditrahmen für die Kommunen im Umfang von 7 Milliarden Euro. Sie sagen, dass das nicht allen Kommunen hilft, weil viele von ihnen nicht die Möglichkeit haben, weitere Kredite aufzunehmen. Ich sage Ihnen: Das wissen wir; das ist richtig. Es ist auch kein Trost für diejenigen, die ganz schwach sind. Die Hälfte der Kommunen in Deutschland ist aber in der Lage, solche Angebote zu nutzen, und sie werden sie auch nutzen. Mit Zinsverbilligungen werden wir den entsprechenden Impuls geben. Ich bin mir sicher: Mit dem, was wir den Kommunen durch ein solches zinsverbilligtes Kreditprogramm zur Verfügung stellen, werden wir viele zusätzliche private Investitionen auslösen. Wir wollen, dass für das Handwerk und die kleinen und mittleren Unternehmen in der Region Arbeit vor Ort entsteht. Wenn Sie so wollen, geht es um niederschwellige Bauarbeit, die man nicht mit riesigen Losen in ganz Europa ausschreiben muss und die dann von großen Unternehmen möglicherweise von irgendwoher in Europa geleistet wird. Wir wollen ein Programm, von dem die Handwerker und die kleinen und mittleren Unternehmen am Ort etwas haben und durch das die Menschen Arbeit erhalten. Das ist hiermit angelegt und das funktioniert auch. ({34}) Das gilt natürlich auch für die 8 Milliarden Euro im privaten Bereich. Die ersten Baransätze stehen in diesem Haushalt; Walter Schöler hat es gestern erläutert. Mit dem Haushalt, den wir heute beraten und über den wir morgen endgültig entscheiden, beschließen wir auch, ob es die KfW-Programme für die Kommunen und die Privaten gibt. Wer morgen gegen den Haushalt stimmt, der stimmt auch gegen diese Hilfe für die Kommunen und für die Privaten und dagegen, dass in Deutschland Arbeitsplätze entstehen. ({35}) - Wenn Herr Austermann „Lügenbeutel“ zu mir sagt, ist das fast ein Ehrentitel. Das nehme ich von Ihnen gerne an, Herr Austermann. ({36}) - Sie gefallen mir nämlich in besonderer Weise. Ich habe es mir in den letzten Tagen angeschaut. Sie können mich beschimpfen, wie Sie wollen. Das trifft mich nicht. Dabei bin ich voller Gelassenheit. ({37}) So sind diese Leute eben, wie Herr Glos das gerade gesagt hat. Machen Sie also ruhig weiter. ({38}) Meine Damen und Herren, wir werden hierbei aber nicht stehen bleiben. Auch im Bereich der energetischen Gebäudesanierung werden wir in diesem Jahr drauflegen. 160 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt. Auch darüber wird heute und morgen abgestimmt werden. Herr Minister Stolpe und Herr Trittin haben das in der Koalition miteinander vereinbart. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass wir dazu einladen und Impulse dafür geben, den Gebäudestand in Deutschland energetisch zu modernisieren. Das hört sich wie eine Kleinigkeit an. Wir stehen dabei aber vor einer riesigen Aufgabe. 60 bis 70 Prozent der Gebäude, die im Jahre 2060 in Deutschland stehen werden, stehen auch heute schon. Durch diese kommt es zu einem viel zu hohen Energieverbrauch. Wir nehmen die alte Idee von Arbeit und Umwelt, bei der wir in Deutschland schon einmal weiter waren, wieder auf und sagen: Jawohl, man kann mit einer vernünftigen energetischen Gebäudesanierung dafür sorgen, dass die Umwelt entlastet wird und dass die kleinen Handwerker und mittleren Unternehmen Arbeit erhalten. 160 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt. Stimmen Sie morgen zu und tun Sie ein gutes Werk für das Handwerk vor Ort. ({39}) In unserem Haushalt gibt es ein Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien. Zu Zeiten von Helmut Kohl standen dafür 10 Millionen pro Jahr zur Verfügung; inzwischen sind es 190 Millionen. Dieses Thema hat hier in den vergangenen Jahren leider keine große Rolle gespielt. Vielleicht sollten wir uns das ein wenig genauer anschauen und die Naturkatastrophen der vergangenen Jahre nicht als Jahrhundertereignisse hinnehmen, so als wären alle Naturkatastrophen dieses Jahrhunderts sozusagen schon abgefeiert. Wir sollten begreifen, dass hiermit etwas auf die Zivilisation zukommt, womit wir uns auseinander zu setzen haben. In der letzten Legislaturperiode gab es im Deutschen Bundestag 16 Abstimmungen, bei denen es um die Frage ging, ob man mit Energie vernünftiger, sparsamer und rationeller umgehen kann und ob man die erneuerbaren Energien stärker als bisher fördern soll. 14-mal haben Sie dagegen gestimmt - das also zur Frage der Sensibilität in Sachen Umweltpolitik auf der rechten Seite des Hauses. ({40}) Der eigentliche Punkt für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist gestern noch einmal deutlich geworden, als wir hier über Bildung und Forschung gesprochen haben. Das war für Sie eine Lehrstunde. Diejenigen von Ihnen, die dabei waren, werden selbst gemerkt haben, wie Sie hier jämmerlich eingebrochen sind. Diejenigen, die nicht da waren, sollten es einmal nachlesen. Frau Merkel, ich empfehle Ihnen wirklich, nachzulesen, was sich hier gestern abgespielt hat. ({41}) Die Studierendenquote in Deutschland ist in den letzten Jahren während unserer Regierungszeit von 28,5 auf 35,6 Prozent je Jahrgang gestiegen. Diese Quote werden wir in dieser Legislaturperiode auf 40 Prozent steigern. ({42}) Wir als Koalition geben in dieser Legislaturperiode 8,5 Milliarden Euro für die Ganztagsbetreuung von Kleinkindern und Kindern im Grundschulalter aus. 4 Milliarden Euro werden für die Ganztagsschulen bereitgestellt. Ab nächstes Jahr werden es je 1,5 Milliarden Euro pro Jahr für die Kleinkinder sein. Herrn Stoiber und Herrn Glos aus Bayern sage ich: Krippe hat nicht nur etwas mit Weihnachten, sondern auch mit der Erziehung von Kindern unter drei Jahren zu tun. Tun Sie in diesem Punkt einmal etwas! ({43}) Die Mittel im Etat für Bildung und Forschung sind um 25 Prozent gestiegen. Wir haben dafür gesorgt, dass im Bereich der Biotechnologie der Ansatz von 180 Millionen Euro in 1998 auf 262 Millionen Euro in 2002 erhöht worden ist. Im Bereich der Informationstechnik wurde der Ansatz im selben Zeitraum von 478 Millionen Euro auf 612 Millionen Euro und im Bereich der Gesundheit von 295 Millionen Euro auf 400 Millionen Euro in diesem Jahr aufgestockt. So werden wir das auch weiter machen. Der Bundeskanzler hat am Freitag deutlich gemacht, dass Forschungseinrichtungen im nächsten Jahr mit einer Erhöhung der Mittel um 3 Prozent rechnen können. Wir wissen, dass sich die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nicht an unserer aktuellen Debatte über bestimmte sozialstaatliche Zusammenhänge messen lässt, sondern sie entscheidet sich letztlich an der Frage, ob unser Land innovativ ist, ob wir so viel in die Köpfe und Herzen der nachwachsenden Generation investieren, dass der Wohlstand und gleichzeitig die soziale Gerechtigkeit in Deutschland auch morgen und übermorgen auf hohem Niveau gesichert sind. Vor dieser Aufgabe stehen wir. Deshalb ist bei der Finanzierung die Innovation das Wichtigste. ({44}) Das, was wir zu leisten haben, dauert seine Zeit. Wir alle in Deutschland müssen uns bewusst sein - darüber müssen wir sprechen, obgleich wir uns fragen müssen, ob das taktisch klug ist -, dass die Reformpläne, die wir jetzt nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers beginnen und noch vor der Sommerpause auf den Tisch legen werden, die Dinge nicht so schnell verändern werden, wie wir wollen. Es ist ein Problem unserer Zeit, dass immer eine sofortige Umsetzung mit schnellen Ergebnissen erwartet wird. Am Wochenende hat sich jemand bei mir darüber beschwert, dass manches nicht klappt. Er war der Ansicht, dass die Minijobs nach dem Hartz-Konzept ein Flop seien, weil sie nicht funktionierten. Meine Antwort war: Guten Morgen! Diese Regelung tritt erst am 1. April dieses Jahres in Kraft. - Dies ist symptomatisch, weil viele Menschen glauben, die Dinge könnten sofort umgesetzt werden. Das Verhängnisvolle ist, dass nach einer Regierungserklärung oder einer Ankündigung diese Ideen auf den Seiten 1 und 2 von bedeutsamen Zeitungen aufgegriffen werden und damit bei den Menschen der Eindruck entsteht, dass diese Ideen schon am Abend desselben Tages realisiert sind. Das ist nicht so. Wir brauchen Zeit. Für das, was wir jetzt beginnen, brauchen wir etwa ein Jahr. In dieser Zeit werden wir es schaffen, von einem heute unvollkommenen Arbeitsmarkt mithilfe des Hartz-Konzeptes zu einem besser organisierten Arbeitsmarkt im Jahre 2004 zu kommen. Wir müssen es erreichen - wir werden mit der Umsetzung hoffentlich 2003 beginnen -, 2004 zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Lande zu schaffen. Dafür brauchen wir Ausdauer. Das müssen wir wissen. ({45}) Das kann keine Entschuldigung dafür sein, irgendetwas liegen zu lassen. Wir machen Tempo und werden auf Fortschritte drängen. Aber ich will ganz realistisch klar machen: Die angekündigten Reformen und ihre Umsetzung bis zum Sommer werden nicht dazu führen, dass alles in kürzester Zeit wieder in Ordnung kommt. Dabei sehe ich einmal von den Rahmenbedingungen in der Welt ab, die ebenfalls eine Rolle spielen. Abschließend möchte ich sagen: Es ist uns mit dem Fortschritt Ernst. Wir wollen Fortschritte in dem Sinne, dass sich dieses Land weiterentwickelt. Das bedeutet für uns Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Diesen Fortschritt werden wir in der Koalition sozialdemokratisch buchstabieren, wie es sich für Sozialdemokraten gehört: sozial und demokratisch. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({46})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Müntefering, Sie haben es für notwendig befunden, in Ihrer Rede auf ein Interview Bezug zu nehmen, das ich WDR 5 wenige Stunden nach der Rede des Bundeskanzlers gegeben habe. Sie haben gesagt, ich hätte mich in diesem Interview so geäußert: Die Union weiß nicht, was sie von den Vorschlägen des Bundeskanzlers mittragen kann und was nicht. Ich habe in diesem Interview gesagt, dass ich die Frage, was die Union letztendlich im Bundesrat mit unterstützen wird und was nicht, wenige Stunden nach der Rede des Bundeskanzlers deshalb nicht beantworten kann, weil wir weder wissen noch wissen können, was in den Gesetzentwürfen stehen wird, die die Koalition oder die Bundesregierung zur Umsetzung der Vorschläge vorlegen müssen. ({0}) Ich habe das in diesem Interview auch ausführlich begründet: Erstens. Wenige Minuten nach der Rede des Bundeskanzlers haben sich die ersten prominenten Sozialdemokraten, auch aus Ihren Reihen, zu Wort gemeldet und erbitterten Widerstand angekündigt, und zwar unter anderem unter Bezugnahme darauf, dass einige Vorschläge in krassem Gegensatz zu dem stehen, was die SPD im Bundestagswahlkampf versprochen hat. Zweitens. Wir haben genau aufgepasst, an welchen Stellen die SPD geklatscht hat und an welchen Stellen nicht. ({1}) Drittens. Wir haben doch Erfahrungen mit den Versprechungen, die Sie machen, wenn es heißt: Wir setzen die Vorschläge des Bundeskanzlers im Maßstab 1 : 1 um. Sie haben das dem deutschen Volk feierlich geschworen, als es zum Beispiel um die Vorschläge des Hartz-Konzeptes ging. Umgesetzt haben Sie einen Teil Hartz, einen Teil Wasser. Das haben Sie der Bevölkerung nicht versprochen. Wir wollen sehen, ob all das, was der Bundeskanzler gesagt hat, exakt so in den Gesetzentwürfen stehen wird, die diese Regierung vorlegen muss. ({2}) Der Bundeskanzler hat auch gesagt, die Arbeitslosenhilfe solle in der Regel auf dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Was heißt das? Wann soll sie das Sozialhilfeniveau haben und wann nicht? Die Antworten darauf können wir nur einem Gesetzentwurf entnehmen, den es zur Stunde nicht gibt. Wenn Sie uns danach fragen, was wir mittragen und was nicht, fällt die Beantwortung leicht: Wir werden das mittragen, was den Interessen des Landes dient und die Probleme löst. ({3}) Wir werden das ablehnen, was den Interessen der Menschen in unserem Land widerspricht. So einfach ist diese Frage zu beantworten. ({4}) Wenn Sie es als Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion des Bundestages notwendig haben, Zitate zu fälschen, ({5}) offenbart das Zweierlei: ihren Charakter und die Tatsache, dass Sie keine guten Argumente haben. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Müntefering, Sie haben Gelegenheit zur Antwort.

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Bosbach, das Zitat lautet: Wir können jetzt zu dieser Stunde natürlich gar nicht die Frage beantworten, was wir denn von den Ankündigungen des Bundeskanzlers mittragen werden und was nicht. ({0}) Das war an diesem 14. März. Mir ist an diesem Tag aufgefallen, dass es zwei Reden gegeben hat, und zwar von Frau Merkel und Herrn Stoiber, die sehr unterschiedlich waren. ({1}) Meine Kritik an Ihrer Reaktion ist gewesen und ist es auch jetzt: Sie haben zwei Dinge an diesem Freitag nicht geschafft. Sie hatten selbst keine eigene, in sich geschlossene abgestimmte Meinung ({2}) und Sie waren entgegen allen Ankündigungen nicht vorbereitet. ({3}) Sie haben uns ein halbes Jahr ermahnt: Nun legt einmal auf den Tisch, was ihr wollt! ({4}) Das hat die Koalition mit einer Vorankündigung von zwei Wochen getan. Ich war bass erstaunt, was anschließend Frau Merkel und Herr Stoiber gesagt haben, nämlich Dinge, die sich fundamental widersprachen und die bei Ihnen übrigens auch zu seltsamen Reaktionen geführt haben. ({5}) Was das Klatschen angeht, Herr Bosbach: Wenn in diesem Bundestag gesagt wird, dass es im Irak doch Krieg geben müsse, dann klatschen Sozialdemokraten nicht. Das ist klar. Wenn in diesem Bundestag gesagt wird, dass man leider das Arbeitslosengeld zusammenstreichen bzw. kürzen müsse und leider die Arbeitslosenhilfe gekürzt werden müsse, klatschen wir nicht. Weshalb sollen wir denn klatschen? Das ist eine Herausforderung, die sich an die Menschen richtet und uns bitter wehtut. Das wissen wir und damit gehen wir nicht leichtfertig um. Wenn wir das noch beklatschen würden, dann hätte ich das Gefühl, ich säße auf Ihrer Seite. ({6}) Sie haben, Herr Bosbach, als Herr Stoiber hier erklärt hat, er wolle und er werde vorschlagen, dass der Kündigungsschutz in Betrieben mit 20 und weniger Beschäftigten abgeschafft wird, zum Teil geklatscht. ({7}) - Das ist ja hochinteressant. Könnten Sie jetzt auch noch sagen, weshalb Sie nicht im Saal waren, als Herr Stoiber sprach? ({8}) Ich möchte Ihnen nur abschließend sagen: Sie waren nicht im Saal und auch nicht im Bilde. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Herrn Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ({0}) - Wenn Sie brav Bitte sagen, dann frage ich einmal, ob einer in unseren Reihen für Sie ein Paar Stöckelschuhe hat. Ich glaube, dass diese Diskussion heute in einem so ernsten Umfeld stattfindet, dass wir uns mit der entscheidenden Frage zu Beginn auseinander setzen sollten. Herr Kollege Müntefering, Sie haben heute eine Rede gehalten, die vor allen Dingen ein Kennzeichen hat. ({1}) Sie haben in dieser Rede eine Arbeitsteilung versucht, die wir in den Wahlkämpfen, im Bundestagswahlkampf und in den Landtagswahlkämpfen, schon zweimal erlebt haben. Die Arbeitsteilung, die Sie in diesem Hause und vor der deutschen Öffentlichkeit versuchen, sieht wie folgt aus: Erstens. Wer die Arbeit von Rot-Grün kritisiert, ist gegen Deutschland. ({2}) - Dass dabei noch einer von Ihnen klatscht, veranlasst mich zu der Bemerkung: Einer muss in jedem Saal der Dümmste sein, aber Sie müssen sich nicht freiwillig melden. ({3}) Zweitens. Wer wie wir in der Außen- und Sicherheitspolitik eine Haltung vertritt, die sich an der Zugehörigkeit zum Bündnis und der Völkergemeinschaft orientiert, der wird - das hat der Bundeskanzler selbst getan - zum Kriegswilligen gestempelt. Ich glaube, wir nehmen in unserer Zusammenarbeit und auch in dem Ansehen dieses Hauses in der Öffentlichkeit Schaden, wenn wir uns auf diese Art und Weise auseinander setzen. Wer RotGrün kritisiert, ist nicht gegen Deutschland, sondern gegen die Politik von Rot-Grün, und wer eine andere Außen- und Sicherheitspolitik will, ist kein Kriegswilliger, sondern ein genauso großer Friedensfreund wie Sie auf der Seite der Regierungsfraktionen. ({4}) Wir haben nicht zum ersten Mal über eine andere Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen. Wenn Sie nach Alternativen fragen, dann sollten diese auch aufgezeigt werden. ({5}) Im Januar kam es endlich zu einem Gipfel der Europäischen Union mit einer Erklärung der Staatschefs, in der ausdrücklich die militärische Intervention als letztes Mittel zur Beseitigung von Massenvernichtungswaffen im Irak gebilligt wurde. Hätten Sie diese Haltung von Anfang an vertreten, befänden wir uns heute nicht so nahe an einem Krieg. Dass wir heute einem Krieg so nahe sind, ist dem Versagen der Diplomatie zu verdanken, ausdrücklich auch dem Versagen der deutschen Außenpolitik dieser Regierung. ({6}) Da Sie sich in Ihren Zwischenrufen so heftig dagegen wehren, will ich einen Ihrer Genossen zitieren, ({7}) der sich heute auf europäischer Ebene zu diesem Thema geäußert hat. Es handelt sich um den früheren Kollegen in diesem Hause, Günter Verheugen. Ihr SPD-Kollege hat als EU-Kommissar heute Vormittag der Europäischen Union vorgeworfen, durch ihre Uneinigkeit in der Irakfrage an politischem Gewicht zu verlieren. Er hat festgestellt, der Einfluss Europas werde nicht geltend gemacht, weil alle wie ein Hühnerhaufen durcheinander liefen. Genau das haben wir kritisiert. Ein besonders schädliches Huhn, um in diesem Bild zu bleiben, war diese Regierung. ({8}) Wir alle wollen keinen Krieg, sondern den Frieden. Aber wir wollen auch Sicherheit in der Welt und wir wollen nicht, dass ein Diktator in unserer unmittelbaren Nachbarschaft im Besitz von Massenvernichtungswaffen ist. Der irakische Diktator Saddam Hussein weigert sich seit Jahren beharrlich, den einschlägigen Resolutionen zur Entwaffnung des Iraks nachzukommen. Er hat insgesamt gegen 17 Resolutionen der Vereinten Nationen verstoßen und damit vielfach das Völkerrecht gebrochen. Der irakische Diktator ist nicht das Opfer, sondern der Täter. Es ist mir wichtig, das in dieser Debatte zu betonen, weil in der öffentlichen Diskussion mittlerweile Opfer und Täter verwechselt werden. ({9}) Er ist ein Menschenverächter, der sein Volk unterdrückt, vergewaltigt, mordet und - das muss leider festgestellt werden - mit biologischen und chemischen Waffen geradezu vergast. Alle, die sich einer Wertegemeinschaft zugehörig fühlen, haben den Auftrag, geschlossen dem irakischen Diktator entgegenzutreten. Wäre diese Geschlossenheit der Völkergemeinschaft von Anfang an gewahrt worden, statt sie von beiden Seiten des Atlantiks infrage zu stellen, wären wir heute in einer besseren Situation. ({10}) Der irakische Diktator kann seinem Volk einen letzten Dienst erweisen. Er kann ihm Freiheit und Frieden verschaffen, indem er das Land verlässt. Wir Freien Demokraten bedauern, dass die diplomatischen Bemühungen zur Lösung der Krise bislang nicht erfolgreich waren. Die Verantwortung für diese Situation liegt auf beiden Seiten des Atlantiks. Ich betone ausdrücklich - wir haben das von Anfang an, mehrfach auch im Deutschen Bundestag, vertreten -: Ein - möglicherweise bevorstehender - militärischer Konflikt ohne klare Legitimation durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen kann nicht die Billigung der Freien Demokraten finden. ({11}) Wir haben uns stets am Völkerrecht orientiert. Wir wollen, dass wir in einem europäischen Bündnis, in einem Bündnis der Völkergemeinschaft handeln. Deswegen halten wir an unserer Haltung auch nach dem Bush-Ultimatum fest: Wir lehnen jeden nationalen Alleingang ohne entsprechende Resolution der Vereinten Nationen ab. ({12}) Für die Freien Demokraten ist und bleibt der Sicherheitsrat die völkerrechtliche Legitimationsinstanz für Konfliktlösungen. Damit sind wir bei einer sehr sensiblen Frage, über die auch außerhalb dieses Hauses von Mitgliedern dieses Parlaments diskutiert wird, und zwar nicht nur von dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Herrn Ströbele. Kollege Ströbele, der, wie gesagt, immerhin stellvertretender Vorsitzender einer Regierungsfraktion ist, vertritt die Auffassung, es handle sich bei der geplanten Intervention um einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“. ({13}) - Nein, Sie müssen genau zuhören, was gesagt wird. Das sind nämlich ganz feine Unterschiede. Ich würde mir als Oppositionspolitiker nicht anmaßen - gerade weil ich als Jurist weiß, wie unterschiedlich das Völkerrecht in den einzelnen Ländern interpretiert wird; ich sehe am Nicken, dass die Experten das genauso sehen -, die deutsche völkerrechtliche Mehrheitsmeinung zum alleinigen Maßstab für die Weltvölkerrechtsmeinung erklären. Hier muss man vorsichtig sein. Wir als Abgeordnete dürfen aber in einer solchen Situation wie der jetzigen ein klares Wort der beiden Verfassungsminister erwarten. Ich möchte von der Justizministerin und vom Innenminister von dieser Stelle aus hören, wie sie das bewerten; denn sie haben dem Parlament Rechenschaft abzulegen. ({14}) Sie sind für die Einhaltung der Verfassung zuständig. Von ihnen dürfen wir also erwarten, dass sie darlegen, wie die Bundesregierung das bewertet. Sie haben gesagt, lauwarm komme man nicht weiter. Ich kann dazu nur sagen: Das richtet sich vor allen Dingen an die Adresse der Regierung, die sich bisher vor einer klaren juristischen Bewertung drückt. ({15}) Wir müssen - das ist bereits angesprochen worden und das wird weiterhin angesprochen werden - noch über einen anderen Punkt reden. Es geht nicht nur um unsere Kritik an dem Verhalten der deutschen Außenpolitik und der deutschen Diplomatie, sondern auch um das, was uns möglicherweise konkret bevorsteht. Wir entscheiden in dieser Woche über die Verlängerung eines Mandats, das - wir alle hoffen, dass diese Einschätzung richtig ist - weit sicherer ist als das, worüber wir im Augenblick diskutieren. Herr Kollege Gerhardt und ich haben Ihnen, Herr Bundeskanzler, das bereits in dem gestrigen Gespräch dargelegt, zu dem Sie uns dankenswerterweise eingeladen hatten, um uns zu informieren. Es muss übrigens positiv erwähnt werden, dass es einen solchen Gesprächsfaden wieder gibt. Ich appelliere an Sie - ich hoffe, dass Sie das tun werden -, diesen Gesprächsfaden fortzusetzen. Man kann zwar in solchen Situationen wie der jetzigen vieles politisch unterschiedlich bewerten. Aber wir alle haben dieselbe Verpflichtung, nämlich das Beste für unser Land zu tun. Sie können sich aber nicht lauwarm um die Frage herumdrücken: Ist für den Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Aufklärungsflugzeugen ein entsprechendes Mandat dieses Parlaments notwendig oder nicht? Sie müssen gegenüber dem Deutschen Bundestag verbindlich klarstellen, welches Mandat diese Soldaten haben und wie die unkalkulierbaren Risiken aussehen, die sich im Laufe eines solchen Mandats ergeben können. Das ist keine akademische, sondern eine außerordentlich handfeste Frage, die uns natürlich auch in der Praxis beschäftigen muss. Alle Fraktionen haben Briefe von unseren Soldatinnen und Soldaten bekommen - einige haben hier diese Debatte verfolgt -, in denen sie fragen, wie sich der Deutsche Bundestag dazu stellt. Die Verfassungslage in Deutschland ist klar: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Die Verpflichtung jedes Abgeordneten ist, dafür zu sorgen, dass die Soldaten nicht in eine unklare Situation geraten. Zunächst einmal trägt jeder von uns - gleichgültig ob er der Opposition, einer der Regierungsfraktionen oder der Regierung angehört - Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Soldaten, der einen - im Zweifelsfall lebensgefährlichen - Auftrag wahrnimmt. ({16}) Man darf Soldaten wegen eines solchen Auftrags nicht in eine unklare Rechtslage schicken. Ich verweise auf ein Schreiben, das mir unser Experte Günther Nolting dankenswerterweise überlassen hat. Dieses Schreiben hat eine Truppenkameradschaft aus Geilenkirchen - sie stellt Mitglieder der Besatzung unserer AWACS-Flugzeuge - an uns gerichtet. Angehörige dieser Truppenkameradschaft schreiben uns, die deutschen Soldaten befänden sich aufgrund der direkten Unterstellung des Verbandes unter das NATO-Kommando ohne entsprechenden Parlamentsbeschluss kurzfristig in einem Kriegseinsatz, ohne dass die verfassungsmäßige Grundlage eingehalten und damit die rechtliche Absicherung gegeben sei. Wenn Sie eine Fürsorgepflicht gegenüber diesen Soldaten empfänden und der Meinung wären, diese Soldaten könnten in Schwierigkeiten geraten, dann müssten Sie sich dem Parlament stellen. Wir sind bereit, Ihnen das entsprechende Mandat zu geben, weil wir zu unseren Soldaten stehen. Aber Sie dürfen diese Soldaten auf keinen Fall in solche Schwierigkeiten bringen. Wir wissen doch auch, warum Sie sich dem Deutschen Bundestag nicht stellen wollen. Sie wollen das nicht, weil Ihre Regierung dann Probleme bekäme. Wir, die Abgeordneten, dürfen aber nicht zulassen, dass Soldaten in größte Schwierigkeiten geraten, nur um Ihnen, Herr Bundeskanzler, Schwierigkeiten mit Ihrer eigenen Koalition zu ersparen. ({17}) Zu diesem Teil möchte ich zum Schluss Folgendes sagen: Wir werden in einiger Zeit das, was Sie in diesen Monaten getan haben, nicht danach bewerten, ob Sie Stimmungen entsprochen haben. Das war schließlich Ihr eigentlicher Ansatz. Warum sonst haben Sie eine solche Frage der nationalen Sicherheit auf einer Wahlkampfveranstaltung in Goslar der Welt mitgeteilt? Es ist ein großer Qualitätsverlust auf dem Feld der deutschen Außenpolitik, dass solche historischen Fragen auf Wahlkampfveranstaltungen und nicht bei den Vereinten Nationen oder in Brüssel behandelt werden. ({18}) Das ist unerträglich. Sie werden irgendwann zurückblicken und dann geht es nicht um die Frage, ob Sie Stimmungen entsprochen haben. Dann geht es auch nicht um die Frage, ob Sie Beifall bekommen haben. Dann geht es nämlich um die Fragen: Was hat Ihre Regierung konkret erreicht und wo ist Ihre Regierung außenpolitisch tatsächlich angekommen? Ich fürchte - das ist nichts, worüber sich irgendjemand in diesem Hause freut -, dass wir irgendwann auf diese Zeit zurückblicken und feststellen werden: Es kam zu diesem Krieg, weil auch wir, die Deutschen, zur Uneinigkeit des Bündnisses beigetragen haben ({19}) und wir damit den Druck von Saddam Hussein genommen haben. Wir werden feststellen: Dieser Krieg hat stattgefunden; er hat Menschenleben gekostet und es gilt, jedes Menschenleben zu betrauern. Wir werden feststellen: Das NATO-Bündnis ist um Jahrzehnte zurückgeworfen worden. Dasselbe gilt für unser Ziel einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ich komme am Schluss dieses Teils meiner Ausführungen zu folgendem Ergebnis: Herr Bundeskanzler, Sie haben dieses Land nicht nur wirtschaftspolitisch ruiniert, sondern auch außenpolitisch in eine totale Sackgasse geführt. ({20}) Herr Bundeskanzler, das muss Ihnen ins Stammbuch geschrieben werden. Wir merken schon jetzt, wie sich die Vorzeichen verändert haben. In der öffentlichen Diskussion ist von Achsen die Rede - übrigens auch von zahlreichen Ihrer Kolleginnen und Kollegen -, und zwar von Achsen nicht mehr im Sinne von Bündnis. Die Achse, die jetzt gemeint ist, ist Berlin-Paris als Alternative zur früheren Achse mit Washington. Ich habe zu den Vereinigten Staaten das kritisch gesagt, was gesagt werden muss. Glauben Sie allen Ernstes, dass der deutschen Außenpolitik gedient ist, wenn eine Achse Berlin-Paris-London-Washington durch eine Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking ersetzt wird? Das wird nicht funktionieren! Man muss doch vorhersehen, was hiermit an historischem Schaden angerichtet wird! ({21}) Jetzt merken wir, wie Sie sich einlassen. Ich kann dieses Kapitel etwas kürzen, weil wir schon am Freitag ausführlich darüber gesprochen haben. ({22}) - Es ist sehr bemerkenswert, wie Sie dazwischenrufen. Es ist manchmal bedauerlich, dass die Qualität Ihrer Zwischenrufe nicht über die Fernsehgeräte zu den Zuschauerinnen und Zuschauern vordringt. Dass man sich bei einer solch ernsten Debatte so niveaulos einbringt, wie Sie das tun, wäre ganz bestimmt auch unserem Volk peinlich. ({23}) Wir merken jetzt, wie Sie sich darauf einrichten und Ausreden bringen. ({24}) Herr Bundeskanzler, Sie haben das am Freitag bereits intoniert. Bei der zweiten, der eigentlichen Regierungserklärung, die genauso länglich war wie Ihre, nämlich von Herrn Clement, ist das präzise ausgeführt worden. Spannend ist es, als Abgeordneter einmal beide Regierungserklärungen genau nachzulesen; denn sie stehen in einer interessanten Spannung zueinander. Sie machen jetzt genau das, was Sie in Wahrheit intellektuell nicht machen dürfen: Sie finden schon jetzt die Begründung dafür, dass Sie sowohl haushaltspolitisch als auch wirtschaftspolitisch alle Ihre Ziele, unsere Ziele, verfehlen werden. Sie sagen schon jetzt - am Freitag haben Sie damit angefangen; Herr Müntefering hat es wieder intoniert -: Wir werden die Arbeitslosigkeit leider nicht so verringern können - wegen der Weltlage. Wir werden die Stabilitätskriterien leider nicht einhalten können - wegen der Weltlage. - Das hat mit der Weltlage nichts zu tun. ({25}) Das hat auch mit Globalisierung nichts zu tun. Das hat etwas mit schlechter Politik und vor allem auch etwas mit katastrophalen Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft, verursacht durch die Bundesregierung, zu tun. ({26}) Nichts anderes werden Sie hier vortragen können; denn die anderen Länder in Europa kommen zurecht; sie haben bessere Ausgangsvoraussetzungen. ({27}) - Ach, Herr Kollege Eichel! Dass Sie auf der Regierungsbank an der Stelle empört aufschreien, kann ich nachvollziehen. Aber wer in diesem Hause soll Ihnen nach den Versprechungen, die Sie vier Wochen vor der Bundestagswahl gemacht haben, noch irgendetwas abnehmen, Herr Bundesfinanzminister? ({28}) Das schenken Sie sich besser; das können Sie wirklich einsammeln. Wir haben erreicht, dass wir über Wirtschaftspolitik reden, und das muss auch erfolgen. Wir sagen Ihnen: Es reicht nicht aus, dass Sie in der Wirtschaftspolitik nur das machen, was Sie am Freitag angekündigt haben, wobei Ihre eigenen Leute das, was Sie angekündigt haben, schon wieder einrollen. Sie müssen mutiger werden. ({29}) Sie müssen wirklich eine Ruck-Rede halten. Sie müssen Ihren Worten auch Taten folgen lassen. Sie müssen endlich begreifen: Der Weg der Münteferings - da predigt man in Wahrheit nur noch Klassenkampf -, ({30}) der Weg, der in der Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts begründet ist, führt in der Moderne nicht weiter. ({31}) Wir brauchen in einer Dienstleistungsgesellschaft endlich moderne Strukturen auf dem Arbeitsmarkt. Wir dürfen nicht mehr von Ihrem Weltbild des Hochofenarbeiters, der Dienstmagd und des Stallknechts ausgehen. Das ist von gestern. Deswegen brauchen wir niedrigere Steuern. Das schafft auch höhere Staatseinnahmen. Wir brauchen ein flexibles Arbeitsrecht. Das schafft Bewegung auf dem Arbeitsmarkt. Wir brauchen Privatisierung. Wir brauchen Subventionsabbau, ({32}) und zwar tatsächlich auch und gerade da, wo Sie sich wehren, zum Beispiel bei der Kohle. Wenn wir dieses Land nicht von der bürokratischen Staatswirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft umwandeln, dann bleibt es bei der Massenarbeitslosigkeit. Sie wird größer und nicht kleiner werden - leider. ({33}) Deswegen werden wir uns auch mit denen unter Ihnen auseinander setzen und auseinander setzen müssen, die aus den Gewerkschaften kommen; das sind 75 Prozent. Wir haben im Deutschen Bundestag mittlerweile nicht mehr das, was im Grundgesetz angelegt ist, nämlich einen fairen Interessenausgleich der Tarifparteien. Wenn 75 Prozent von Ihnen selber aus einer Gewerkschaft kommen, dann ist der im Grundgesetz angelegte Interessenausgleich zwischen den Tarifparteien in Wahrheit aufgehoben. ({34}) Sie vertreten nicht mehr Arbeitnehmerinteressen, sondern Funktionärsinteressen. Wir von der Opposition machen mehr für Arbeitnehmer und Arbeitslose als Sie mit Ihren roten Fahnen am 1. Mai. ({35}) Ich will zum Schluss noch eine aktuelle Bemerkung aufgreifen, Herr Bundesinnenminister, die ebenfalls hier hingehört - auch das muss in großer Klarheit und Nüchternheit hier vorgetragen werden -: Wie Sie, Herr Bundesinnenminister, als Verfassungsminister gestern eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kommentiert haben, nämlich als absurd, rechtsirrtümlich, falsch, als Fehler, so etwas haben wir noch nicht erlebt. ({36}) Ich sage Ihnen das in großer Klarheit, Herr Schily: Sie, Herr Kollege Beck von den Grünen und leider auch Herr Kollege Beckstein von der CSU haben das Verfahren gegen die NPD von Anfang an angestrengt, und zwar nicht aus juristischen, sondern aus politischen Opportunitätsgründen. Sie sind jetzt gescheitert. Deswegen möchte ich Sie bitten, Ihr eigenes Versagen in der Prozessführung nicht zu kaschieren, indem Sie jetzt das höchste deutsche Gericht attackieren. ({37}) Wir befinden uns in einer schwierigen Zeit; das wissen Sie alle. Dass sich diese Debatte heute überwiegend um Außenpolitik dreht, ist nahe liegend und nachvollziehbar. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir stehen an einem solchen Tag natürlich auch vor einer Generalbilanz dessen, was der Bundeskanzler mit seiner rot-grünen Regierungskoalition zu verantworten hat. Diese Regierungskoalition ist innenpolitisch, wirtschaftspolitisch, außen- und sicherheitspolitisch auf ganzer Länge gescheitert. Neuwahlen wären wirklich das Beste für unser Land. ({38})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Otto Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben mich persönlich angesprochen, aber falsch zitiert. Ich habe nämlich nicht das Bundesverfassungsgericht kritisiert, sondern ich habe mir die Meinung der Mehrheit des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zu Eigen gemacht. ({0}) Das muss in einer rechtlichen Auseinandersetzung möglich sein. Sie behaupten hier vor dem Deutschen Bundestag, was Sie vorher bereits öffentlich erklärt haben, es seien mir bei der Führung dieses Prozesses Fehler unterlaufen. ({1}) - Hören Sie doch einmal zu! - Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das konkretisieren würden. Konkretisieren Sie das bitte! Diese Meinung der FDP ist interessant. Ich habe immer respektiert, dass Sie die Auffassung vertreten haben - diese Auffassung kann man vertreten -, dass man eine Partei nur politisch bekämpfen und nicht von dem Verbotsverfahren Gebrauch machen soll. Diese Meinung habe übrigens auch ich ursprünglich vertreten. Ich habe mich dann auf der Grundlage der Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, anders entschieden. Ich bin auch heute noch der Meinung, dass eine Partei, die organisierten Antisemitismus vertritt, in der deutschen Parteienlandschaft keinen Platz haben darf. ({2}) Ich wundere mich schon, dass Sie nicht das zitieren, was die Mehrheit des Senats gesagt hat, dass es nämlich auch um die Würde und um die Wahrung des Art. 1 des Grundgesetzes geht, sodass man von allen Möglichkeiten Gebrauch machen sollte, die ein solches Verfahren bietet. Die Auffassung, die auch in einigen Kommentaren zum Ausdruck kommt, ein Verbotsverfahren könne nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die Exekutive in Form der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder vor Einleitung eines Verfahrens und während des Verfahrens auf die Beobachtung einer aggressiv verfassungsfeindlichen und antisemitischen Partei verzichtet, halte ich schlicht für falsch; das stimmt. ({3}) Deshalb ist das keine mangelnde Achtung vor dem Bundesverfassungsgericht. An Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht wird mich hier im Hause niemand überbieten. Aber ich nehme mir die Freiheit, die Mehrheitsmeinung des Senats zu teilen und die Minderheitsmeinung zu kritisieren. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Einen Moment, Herr Kollege Westerwelle. Der Kollege Christian Ströbele möchte auch noch eine Präsident Wolfgang Thierse Kurzintervention machen. Dann können Sie auf beide reagieren. ({0}) - Auf wen wollen Sie sich beziehen? Auf den Kollegen Westerwelle? ({1}) - Wenn Sie sich auf den Kollegen Westerwelle beziehen wollen, können Sie jetzt Ihre Kurzintervention machen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Westerwelle, Sie haben mich angesprochen und gesagt, ich würde deutsche Rechtsregeln bei der Beurteilung internationaler Konflikte zugrunde legen. ({0}) Deshalb möchte ich Ihnen sagen, wie es nach internationalen Rechtsregeln aussieht. ({1}) Die Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 3314 vom 14. Dezember 1974 definiert, was eine internationale Aggression und was ein Angriffskrieg sind. In Art. 1 steht ganz eindeutig: Aggression bedeutet Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat gegen die Souveränität, die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines anderen Staates... Dann kommt in Art. 2 ein wichtiger Satz: Wendet ein Staat als erster Waffengewalt unter Verletzung der Charta an, so stellt dies einen Beweis des ersten Anscheins für eine Angriffshandlung dar ... In Art. 5 heißt es: Ein Angriffskrieg ist ein Verbrechen gegen den Weltfrieden. Herr Kollege Westerwelle, auch nach dieser Definition der Vereinten Nationen, die dafür die zuständige Instanz sind und das festgelegt haben, sage ich: Es handelt sich, wenn morgen oder in den nächsten Tagen der Krieg beginnen sollte, unter diesen Umständen um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Sinne des Grundgesetzes und im Sinne der Resolution und der Definition der Vereinten Nationen. Herr Kollege Westerwelle, wir müssen uns mit diesem ganz wichtigen Punkt auch hier im Deutschen Bundestag auseinander setzen und dazu Stellung beziehen. Aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass - bei aller Auseinandersetzung und auch bei unterschiedlicher Rechtsauslegung in diesen Details - das Wichtigere ist und auch in Zukunft bleiben muss: Wie stehen wir zur Position der Bundesregierung, die auf die Verhinderung eines solchen Krieges angelegt ist, die auf die Verhinderung dieses Krieges in den letzten Monaten angelegt war und auf die Verhinderung und Abkürzung dieses Krieges auch in Zukunft angelegt sein wird? Das ist die Grundsatzfrage. ({2}) Da vermisse ich von Ihnen in der Tat eine klare Stellungnahme. ({3}) Sie, sowohl die CDU/CSU als auch die FDP, haben in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen, um der Bundesregierung in dieser ganz wichtigen Grundsatzfrage Knüppel zwischen die Beine zu werfen und alles zu tun, um die Position der Bundesregierung zu schwächen. Darüber sollten Sie nachdenken. Sie selber müssen erst einmal Tritt fassen und klar definieren: Stehen Sie in dieser Frage hinter der Bundesregierung oder wollen Sie die Bundesregierung bei dieser wichtigen Arbeit weiterhin diskreditieren und behindern? ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Westerwelle, bitte schön.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Ströbele, zunächst eine Antwort auf Ihren Beitrag. Ich habe nicht gesagt, Sie hätten sich im Völkerrecht ausschließlich auf die deutsche Meinung - nach meiner Einschätzung: die Mehrheitsmeinung - berufen. Ich habe an der betreffenden Stelle auf einen Zwischenruf geantwortet. Ich will Ihnen erläutern, was ich meine. Ich habe ebenfalls im Staatsrecht meine Ausbildung gemacht. ({0}) - Ich weiß gar nicht, was das Raunen soll. Wir von der FDP sind der Überzeugung, dass es auch in der Politik nicht schadet, wenn man mehr zu Ende gebracht hat als die Fahrschule. ({1}) Ich wusste nicht, dass man sich für eine Berufsausbildung im Bundestag entschuldigen muss. ({2}) - Bei Ihnen ja. Das ist wahr. Ich will mich mit Ihnen an dieser Stelle auseinander setzen, Herr Kollege Ströbele. Ich habe gesagt: Wir Abgeordnete haben zunächst einmal ein Recht darauf, zu erfahren, wie die beiden Verfassungsminister diesen Sachverhalt bewerten; ({3}) denn diese Minister haben einen entsprechenden Apparat mit Völkerrechtsjuristen. Sie müssen uns, den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, gegenüber mitteilen, ob die Auffassung, die Sie vertreten, die offizielle Meinung der Bundesregierung ist. ({4}) Im Übrigen will ich Ihnen sagen: Alles, was Sie gesagt haben, vertreten Sie bitte heute und morgen in Ihrer Koalition; das müssen Sie uns doch nicht sagen. Wenn Sie, Herr Kollege Ströbele, als Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu dem Ergebnis kommen, dass das ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist - wie Sie es hier gesagt haben -, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie dann, wenn Sie die Pflichten aus dem Grundgesetz kennen, die Sie als einzelner Abgeordneter haben, Sie entsprechend handeln müssen. Wenn Sie sagen, das sei ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg, dann haben Sie nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland andere Verpflichtungen, als sich einfach nur vor die Kameras zu begeben, Herr Kollege Ströbele. ({5}) Was Sie machen, reicht nicht. Das weiß auch jeder, der hier sitzt. Ich würde mir nicht herausnehmen, an der Stelle die Situation so zu bewerten. Ich würde vielmehr abwarten wollen - das ist schon immer Tradition in diesem Hause gewesen, beispielsweise Anfang der 90er-Jahre, damals mit anderer Rollenverteilung -, damit die Regierung als erste das Wort bekommt und ihre juristische und völkerrechtliche Meinung darlegen kann. Dann werden wir unsere Meinung öffentlich äußern. Andersherum kann es nicht gehen. Nun zum dem, was Sie, Herr Kollege Schily, angesprochen haben. Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen, Sie hätten die Mehrheit des Senates auf Ihrer Seite. Warum ging es überhaupt um die Verfahrenseinstellung? Warum konnte es überhaupt zu dieser Entscheidung kommen? - Weil Sie schlampig geklagt haben, Herr Kollege Schily, ({6}) und weil Sie im Laufe des Verfahrens von einem Fehler nach dem anderen überrascht worden sind. Wir sind die einzige Fraktion in diesem Hause, die dieses Verfahren ganz klar abgelehnt hat. Deswegen machen Sie uns bitte keine Vorwürfe. Was haben wir uns von Ihnen beschimpfen lassen müssen! Wir sind von zahlreichen Mitgliedern der Koalitionsfraktionen - beispielsweise von Herrn Stiegler und von Herrn Beck - als Anwälte und Freunde der Nazis in die rechtsradikale Ecke gestellt worden. Wir haben von Anfang an gesagt: Die NPD ist eine widerwärtige Partei. Man muss sie politisch bekämpfen, juristisch geht das schief. ({7}) Wir haben leider - „leider“ betone ich doppelt und dreifach - Recht behalten, weil es genau so gelaufen ist. Herr Präsident, da ich auf zwei umfangreiche Kurzinterventionen zu verschiedenen Themen eingehen muss, will ich noch eine letzte Bemerkung machen. Herr Kollege Schily, wenn wir uns darin einig sind, dass man den Rechtsradikalismus, übrigens auch den Linksextremismus, in Deutschland politisch bekämpfen muss, dann möchte ich, dass Sie Ihre Entscheidungen der letzten fünf Jahre, mit denen Sie die Zuschüsse des Bundes für die politischen, demokratischen Stiftungen einschließlich der Bundeszentrale für politische Bildung stetig zurückgeführt haben, ({8}) wieder aufheben. Mehr politische Bildung ist in diesen Zeiten gefragt und nicht weniger. Auf diesen Punkt einzugehen wäre eine angemessene Antwort von Ihnen in der Haushaltsdebatte gewesen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Krista Sager, Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben uns am letzten Freitag sehr ausgiebig mit den innenpolitischen Herausforderungen befasst. Auch morgen werden wir über die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sprechen und streiten, so wie wir gestern über die Haushaltspolitik gesprochen und gestritten haben. Ich denke, die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, dass wir uns hier in der Generaldebatte auf das Thema eines bevorstehenden Irakkrieges konzentrieren. Denn dieses Thema treibt die Menschen in diesem Land um und beunruhigt sie. Dazu sage ich eines, meine Damen und Herren von der Opposition: Wir werden auch darüber sprechen müssen, worin wir uns nicht einig sind. So einfach, wie Sie, Herr Westerwelle und Herr Glos, es sich heute hier gemacht haben, so einfach kann man es sich in dieser Frage nicht machen. ({0}) Das war wirklich billig. Dazu kann ich nur feststellen: Die Art und Weise, wie Sie hier wochen- und monatelang in der Irakpolitik herumlaviert haben, halten wir politisch für zu leicht, auch Sie, Herr Glos. Sie sind gewogen und für zu leicht befunden worden. ({1}) Wenn man sich Ihre Irakpolitik anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis: Eine Slalomstrecke ist im Vergleich dazu ein Vorbild an Geradlinigkeit. Im Vergleich mit Ihrer Irakpolitik ist ein Halm im Wind so stabil wie Stahlbeton. Das muss man feststellen, wenn man sich Ihre Politik hier anschaut. ({2}) Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land haben ein tiefes Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Die Menschen sind in diesen Tagen bedrückt und bestürzt. Viele empfinden wohl auch Wut und Enttäuschung. Aber eines betone ich ganz deutlich: Wut darf jetzt unser Handeln nicht bestimmen. Deswegen finde ich es gut, dass es zahlreiche Beispiele für ein echtes Mitgefühl mit den Menschen im Irak, mit den Menschen in dieser Region gibt. Ich sage aber auch: Dieses Mitgefühl muss ebenso die Menschen in den USA einschließen, die heute aufgrund der tiefen Verletzungen im Zusammenhang mit den Ereignissen des 11. September 2001 meinen, dass die USA ein Vorrecht hätten, jenseits jeder internationalen Ordnung und jeder internationalen Regelung zu handeln. Auch wenn man diese Position für falsch hält, müssen wir die Gefühle dieser Menschen in unser Mitgefühl einbeziehen. ({3}) Bei den notwendigen Entscheidungen, die wir jetzt treffen müssen, werden wir uns nicht von denjenigen irritieren lassen, die völkerrechtliche Diskussionen instrumentalisieren möchten, um der Bundesregierung nur ein Stöckchen hinzuhalten, um von ihren eigenen Problemen abzulenken. Wir werden uns davon leiten lassen, dass es jetzt auch darauf ankommt, die internationalen Strukturen und die internationale Ordnung zu restabilisieren. Das ist der Maßstab unserer Politik. ({4}) Wir werden einen Krieg erleben, der unnötig, nicht gerechtfertigt, falsch und überflüssig ist. Wir werden diesen Krieg nicht verhindern können, so fatal dies auch ist. Wir werden einen Krieg erleben, der gegen die Mehrheit im Sicherheitsrat, gegen die Mehrheit der Bevölkerung in der Europäischen Union und gegen den Willen von Millionen Menschen in dieser Welt geführt wird. Wir werden einen Krieg erleben, zu dem es eine Alternative gibt. Das ist das besonders Fatale: Es gibt eine Alternative zu diesem Krieg. Das ist die Fortsetzung der Abrüstung des Iraks mit friedlichen Mitteln. ({5}) Dieser Krieg ist eben nicht das letzte Mittel, Herr Glos, sondern offensichtlich ein gewolltes Mittel, weil man sich für eine falsche Strategie entschieden hat. Er ist ein gewollter Krieg, weil der Weg, der gangbar gewesen wäre, die Fortsetzung der Arbeit der Waffeninspekteure, willentlich abgebrochen und beendet worden ist. Das wäre nicht notwendig gewesen. ({6}) Es ist eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die Bedrohung, die vom Irak hätte ausgehen können, noch nie so gering war wie heute. Es ist eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die internationale Kontrolle des Irak noch nie so stark gewesen ist wie im Moment. Es ist ferner eine Tatsache, zu der Sie heute keine Stellung bezogen haben, dass die Arbeit der Waffeninspekteure erfolgreich gewesen ist, dass die Waffeninspekteure selber gesagt haben, dass sie erfolgreich arbeiten und dass ihre Arbeit nicht zu Ende ist. Es wäre notwendig gewesen, diese Arbeit fortzuführen. Gerade auf der Basis des Arbeitsprogramms von Blix wäre das eine gute Perspektive gewesen. ({7}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in diesem Konflikt immer eine klare Haltung gehabt. Sie hat unermüdlich für einen Strategiewechsel in Richtung auf eine friedliche Lösung gearbeitet. Das ist richtig gewesen. Die Bundesregierung hat das nicht getan, weil sie den grausamen Charakter des Regimes im Irak übersehen hat, und sie hat es nicht getan, weil sie das Leid der Opfer dieses Regimes übersehen hat, sondern sie hat es getan, weil sie die massiven Risiken und Gefahren dieses Krieges gesehen hat. Ich werfe der Opposition in diesem Hause vor, dass sie sich mit diesen Gefahren und Risiken bis zum heutigen Tage nicht ernsthaft auseinander gesetzt hat. ({8}) Es besteht ja nicht nur das Risiko für die zahllosen unschuldigen Opfer. Das allein ist schon schlimm genug, wenn man eine Alternative zum Krieg hat. Es besteht doch auch die Gefahr der zunehmenden Destabilisierung dieser Region. Es besteht doch auch die Gefahr, dass die Antiterrorallianz auseinander bricht. Es besteht auch die Gefahr, dass der Terrorismus mehr Zulauf bekommt und nicht weniger. Es besteht auch die Gefahr, dass fundamentalistische Bewegungen möglicherweise pro-westliche Regierungen hinwegfegen können. Der Islamismus hat infolge dieses Konfliktes in Pakistan schon jetzt Zulauf bekommen. Es ist doch eine Gefahr, dass Fundamentalisten tatsächlich in den Besitz von Massenvernichtungswaffen und auch in den Besitz der Atombombe geraten können. Wir müssen auch überlegen, was es für die Sicherheit in der Welt heißt, wenn so genannte Schurkenstaaten sich anschauen, wie der Irak und wie Nordkorea behandelt werden. Da besteht doch die Gefahr, dass ein Land wie der Iran erst recht versuchen wird, an die Bombe heranzukommen. Diese Bemühungen werden nicht weniger werden, wenn hier von der US-Regierung von vornherein gesagt wird: Wir verfolgen eine Präventiv2722 kriegsstrategie, um die arabische Region zu ordnen und Schurkenstaaten aufzumischen. Das führt nicht zu mehr Stabilität und nicht zu mehr Sicherheit in der Welt. ({9}) Meine Damen und Herren, die größte Gefahr von allen ist doch die, dass die Menschen in der islamischen und in der arabischen Welt den Eindruck bekommen, es solle ein christlicher Kreuzzug gegen sie eröffnet werden, es gehe hier um eine Konfrontation der Kulturen. Ich bin froh, dass Millionen Menschen auf der Welt gegen diesen Krieg demonstriert haben, und ich bin auch ausgesprochen dankbar dafür, dass der Papst sich so eindeutig gegen diesen Krieg positioniert hat. ({10}) Dadurch besteht die Chance, dass die Menschen in der islamischen und in der arabischen Welt erkennen, dass es hier nicht um einen Kreuzzug und nicht um einen Konflikt der Kulturen geht. Ich bin auch besonders dankbar für den Einsatz der Bundesregierung. ({11}) Die Bundesregierung hat viel Respekt bekommen für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung. Sie hat mit ihrem Einsatz für eine friedliche Lösung aber auch deutlich gemacht, dass es hier nicht um einen Konflikt der Kulturen geht, sondern dass auch in der westlichen Welt, in der christlichen Welt, Menschen in diesem Krieg Unrecht sehen und ihn verhindern wollen. ({12}) Wir sind in Europa als unmittelbare Nachbarn der islamischen Welt auch unmittelbar betroffen. Es ist doch eine Lehre des alten Europa, dass man mit seinen unmittelbaren Nachbarn in Frieden und in Sicherheit leben muss und dass das nur eine gemeinsame Sicherheit und nicht eine Sicherheit gegen die anderen sein kann. ({13}) Meine Damen und Herren, jetzt werfen wir einmal einen Blick auf die Motive der Opposition. Die Motive der Bundesregierung habe ich dargestellt; es sind ehrenwerte und gute Motive, auch wenn sie letztlich nicht erfolgreich gewesen ist. ({14}) Aber welches sind die Motive der Opposition? Die FDP erklärt uns, sie lehne den Krieg ab, weil er wahrscheinlich ohne UN-Legitimation geführt werden solle. In derselben Erklärung hat sie sich zu dem Ziel des Regimewechsels positiv geäußert. Ich frage die Vertreter der FDP, wie sie sich zu diesem Krieg verhalten hätten, wenn es eine UN-Resolution gegeben hätte, die diesen Krieg legitimiert. Diese Frage haben Sie hier nicht beantwortet. ({15}) Sie haben sich zu dem Ziel des Regimewechsels und damit auch zu der Strategie eines Präventivkriegs, der zu diesem Regimewechsel führen soll, positiv geäußert. Das Einzige, was Sie stört, ist, dass es keine UN-Resolution gibt, die das legitimiert. Das müssten Sie den Menschen aber auch einmal so deutlich sagen; denn damit erklären Sie im Grunde genommen, Sie hätten sich im Sicherheitsrat für eine kriegslegitimierende Resolution eingesetzt, wenn Sie dazu Gelegenheit gehabt hätten. Das wäre in Bezug auf Ihre Position die Wahrheit gewesen. ({16}) Herr Westerwelle, das hätte ich von Ihnen wirklich erwartet, zumal Sie sagten, man hätte sich hier für die Einheit Europas besonders stark machen sollen. Welche Einheit Europas meinten Sie denn? Wäre das nicht die Einheit Europas auf Grundlage der Position von Tony Blair gewesen? Darüber hätten Sie den Menschen hier reinen Wein einschenken müssen. So viel zu dem von Ihnen gebrauchten Begriff „lauwarm“! Was Sie hier gesagt haben, stellte in Wirklichkeit eine lauwarme politische Erklärung dar, weil Sie die entscheidende Antwort schuldig geblieben sind. ({17}) Meine Damen und Herren, die FDP ist in dieser Frage wieder nur in einer einzigen Hinsicht berechenbar: Sie hängt ihr Fähnchen wie immer in den Wind. ({18}) Am 13. März letzten Jahres forderte Herr Westerwelle die Bundesregierung auf, unverzüglich in Washington gegen einen möglichen US-Angriff auf den Irak zu intervenieren. Im März letzten Jahres forderte er Außenminister Fischer auf, zügigst - also nicht erst im April, sondern noch im März - nach Washington zu fahren, ({19}) und begründete dies damit, dass die deutsch-amerikanische Freundschaft es auch verlange, gegen Amerika offene kritische Worte zu finden. Zugleich erklärte er im März letzten Jahres, er habe den Eindruck, dass sich die Bundesregierung bereits mit einem Alleingang der USA gegen den Irak abgefunden habe. Schließlich verlangte er, Fischer müsse in den USA klar machen, dass die Europäer ein militärisches Vorgehen gegen Saddam Hussein ablehnten. - Soweit Herr Westerwelle im März letzten Jahres. ({20}) Im Herbst letzten Jahres hat er dann behauptet, die Bundesregierung habe sich viel zu früh festgelegt. Was ist denn das für eine Position! ({21}) Herr Westerwelle, ich habe in den letzten Monaten nicht erkennen können, in welchem europäischen Hühnerhof Sie am liebsten mitgegackert hätten. Das war ganz offensichtlich unklar. ({22}) Bei Ihnen ist nur auf eines Verlass: Sie sind wendig wie ein Wetterhahn und schwankend wie ein Rohr im Wind. ({23}) Im März letzten Jahres sind Sie für ein bisschen Frieden eingetreten, im Herbst für ein bisschen Krieg und heute sind Sie für ein bisschen „Ich weiß nicht mehr recht“. ({24}) Das Einzige, was bei Ihnen immer sicher ist, ist, dass Sie bei jeder Gelegenheit den Versuch machen werden, der Bundesregierung ein neues Stöckchen hinzuhalten. Aber Stöckchen-Hinhalten ist kein Ersatz für eine verantwortungsvolle politische Position in einer so wichtigen Frage. ({25}) Überboten wurde dieses traurige Bild der FDP in den letzten Monaten in der Tat nur ({26}) von dem traurigen Bild, das die CDU/CSU abgeliefert hat, allen voran ihre Vorsitzende Angela Merkel. ({27}) Über Herrn Stoiber muss man schon fast kein Wort mehr verlieren. Im Wahlkampf hat er sich mit der Forderung überschlagen, im Falle eines Krieges müsse es ein Überflugverbot geben. Wir wissen inzwischen, dass Herr Stoiber für viele Überraschungen gut ist, sicher auch in der Zukunft. ({28}) In der Irakfrage hat er sich wie ein Hase im Zickzack durch die Furchen bewegt. Man musste ja schon Angst haben, dass Herr Stoiber aus Versehen auf dem Schoß von Christian Ströbele landet. Das ist Christian Ströbele zum Glück erspart geblieben. ({29}) Herr Glos, Sie haben heute hier von Geradlinigkeit gesprochen. Der Einzige, der sich in den letzten Tagen halbwegs geradlinig geäußert hat, ist der saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller. ({30}) Er hat gesagt, die Position „Egal was passiert, wir stehen an der Seite von Amerika!“ sei nicht seine Haltung. Aber genau dies ist in den vergangenen Wochen und Monaten die Haltung von großen Teilen der CDU gewesen. Vor allen Dingen war es die Position von Angela Merkel. ({31}) Frau Merkel, an Ihrer Position ist wirklich peinlich und beschämend, dass Sie zu feige sind, den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein über das einzuschenken, was Sie wirklich wollen. ({32}) Es ist peinlich und unerträglich, wie Sie bis zum gestrigen Tage herumgeeiert sind. Gestern haben Sie gesagt, Sie unterstützten das Ultimatum der USA. Es bedurfte dreier Nachfragen, was das denn bezogen auf Ihre Haltung zum Krieg bedeutet. Dann haben Sie endlich gesagt, ja, Sie unterstützten das Ultimatum mit allen Folgen. Das ist aber wirklich zu wenig, wenn es darum geht, den Bürgerinnen und Bürgern die Wahrheit zu sagen. Warum stellen Sie sich nicht hin und sagen ehrlich: Ich bin dafür, dass die Arbeit der Waffeninspekteure beendet wird, ich bin dafür, dass an die Stelle der Arbeit der Waffeninspekteure der Krieg gegen den Irak tritt. - Das ist die Frage, um die es geht. Da hätten Sie ehrlich sein müssen. ({33}) Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit manch schwierige Frage beantworten müssen. Wir haben uns mancher Auseinandersetzung gestellt und auch in schwierigen Fällen Verantwortung übernommen: in der Kosovo-Frage, in der Afghanistan-Frage, auch in der Frage, wie man eine weitere Eskalation in Mazedonien verhindern kann. Wir haben uns diesen Fragen gestellt und auf all diese Fragen klare Antworten gegeben, genauso wie wir jetzt zum Irakkrieg ganz klar Nein sagen. Eine solch klare Aussage aber ist von der CDU eben nicht gekommen. ({34}) Frau Merkel, Sie haben in den letzten Wochen gebetsmühlenartig gesagt, eine zweite Resolution wäre hilfreich. Verschwiegen haben Sie aber, dass diese zweite Resolution, um die es die ganze Zeit schon ging, von den USA und Großbritannien als kriegslegitimierend verstanden worden wäre. Als Sie gesagt haben, eine zweite Resolution wäre hilfreich, hätten Sie für die Bürgerinnen und Bürgern klar hinzufügen müssen: Ja, ich, Angela Merkel, würde im Sicherheitsrat einer kriegslegitimierenden Resolution zustimmen. - Diese klare Antwort sind Sie den Bürgerinnen und Bürgern schuldig geblieben. ({35}) Sie haben wochen- und monatelang versucht, den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung sei mit ihrer Haltung zum Irakkrieg isoliert. Ich frage Sie: Wen, glauben Sie, vertreten Sie mit Ihrer Position eigentlich noch in diesem Land? Sie haben landauf, landab verkündet, Sie hätten den Eindruck, dass die Bundesregierung isoliert sei, und zwar zu einem Zeitpunkt, als sich die Bundesregierung mit aller Kraft bemüht hat, der Arbeit der Waffeninspekteure eine Chance zu geben. Ohne die deutsch-französische Initiative hätte es im Sicherheitsrat nicht die Haltung gegeben, der Arbeit der Waffeninspekteure die Zeit und die Ressourcen zu geben, die sie gebraucht haben. Ohne die deutsch-französische Initiative hätte es keinen Beschluss der EU-Außenminister und keinen Beschluss der europäischen Regierungschefs gegeben, die damit bewirken wollten, dass es durch die Arbeit der Waffeninspekteure zu einer friedlichen Abrüstung kommt. Und was haben Sie gemacht? - Sie haben diese Bemühungen hintertrieben. Sie sind durch Ihre Anbiederei in den USA der Bundesregierung in den Rücken gefallen. ({36}) Dabei haben Sie ganz genau gewusst, worum es in dieser Frage geht; das ist für mich das eigentlich Schlimme. Sie können sich nicht damit herausreden, Sie hätten nicht gewusst, worum es geht. Sie haben bei Ihrem Handeln immer das innenpolitische Kalkül gehabt, das Sie der Bundesregierung versucht haben unterzuschieben. ({37}) Sie haben gehofft, dass die Bundesregierung im UNO-Sicherheitsrat am Ende mit Syrien alleine dasteht. Sie waren tief enttäuscht, als sich gezeigt hat, dass der Sicherheitsrat nicht aus einem Haufen käuflicher Länder besteht, sondern dass die Länder - das gilt auch für die kleinen Länder und die Länder Lateinamerikas und Afrikas - Rückgrat gezeigt haben. ({38}) Es wäre Ihnen am liebsten gewesen, wenn das eingetreten wäre, von dem viele ausgegangen sind, nämlich dass diese Länder am Ende nationalen, strategischen, materiellen und finanziellen Interessen den Vorrang gegeben hätten. Sie haben bei der Frage, was die Wahl der richtigen Strategie in Bezug auf den Irak angeht, von Anfang an gewusst, worum es geht. Herr Schäuble hat das Thema am Anfang der Legislaturperiode angesprochen und hat hier ganz deutlich gesagt, es habe nach dem 11. September in den USA einen Strategiewechsel gegeben dahin gehend, Präventivkriege führen zu wollen, um so genannte Schurkenstaaten unter Kontrolle zu bringen und diese als Brückenköpfe für eine politische Neuordnung der arabischen Welt zu nutzen. ({39}) Er hat weiter gesagt - das können Sie nachlesen -, man müsse sich mit dieser Strategie der USA auseinander setzen. ({40}) Die Bundesregierung hat sich - im Gegensatz zu Ihnen - mit dieser Strategie auseinander gesetzt und hat festgestellt, dass sie hoch gefährlich ist. Deswegen haben wir uns dieser Strategie nicht angeschlossen und werden es auch nicht tun. Sie dagegen haben sich mit dieser Strategie nicht auseinander gesetzt, obwohl Sie genau wussten, worum es geht. Jetzt haben Sie sich im Grunde zu Helfershelfern gemacht, indem Sie sagten, Sie teilten das Ultimatum mit allen Konsequenzen. ({41})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sager, ich möchte Sie nach der Belegstelle für das Zitat fragen, das Sie mir eben in den Mund gelegt haben. Ich bin einigermaßen überrascht, welche bemerkenswerten Ausführungen ich nach dem, was Sie gesagt haben, gemacht haben soll. Ich kenne diese nicht und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Belegstelle hierfür nennen würden.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schäuble, ich habe Sie nicht zitiert. ({0}) - Hören Sie bitte zu! - Ich habe Sie nicht zitiert, sondern habe lediglich gesagt, dass Sie in dieser Debatte auf diese entscheidende Frage hingewiesen haben. Das habe ich im Protokoll nachgelesen und ich bin gerne bereit, Ihnen diese Stelle herauszusuchen. Im Herbst letzten Jahres haben Sie gesagt, es gebe in den USA vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. September eine Strategiedebatte, die in Richtung eines Präventivkriegs gehe. ({1}) Mit dieser Strategie müsse man sich auseinander setzen. Das haben Sie sogar eingefordert. Aber Sie selber haben das, was Sie gefordert haben, nicht erfüllt. ({2}) Und obwohl Sie sich mit dieser Strategie nie ernsthaft auseinander gesetzt haben, sind sie ihr im Grunde genommen jetzt hinterhergelaufen. Das ist das Schlimme. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage des Kollegen Schäuble?

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Sager, nachdem ich jetzt doch beruhigt bin, dass ich offenbar etwas ganz anderes gesagt habe als das, was Sie gerade vorgetragen haben, ({0}) möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie bereit sind, zu bestätigen, dass ich sinngemäß Folgendes gesagt habe: Die Fragen, die sich die Amerikaner stellen, nämlich was zu tun ist in einer Zeit, in der die auf gegenseitige Vernichtungsfähigkeit gegründete Abschreckungsstrategie des Kalten Krieges nicht mehr ausreicht, um in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts Sicherheit zu gewährleisten, müssen wir aufnehmen? ({1}) Ob die Antworten, die die Amerikaner geben, richtig sind, ist eine ganz andere Frage. Mit den Fragen müssen wir uns aber beschäftigen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Schäuble, das, was ich zuerst gesagt habe, haben Sie offensichtlich nicht wahrnehmen können, weil Sie noch in Ihre Akte vertieft waren. ({0}) Tatsache ist, dass ich immer gesagt habe: Ich finde es richtig, dass Sie die Frage bezüglich der Auseinandersetzung mit der amerikanischen Regierungsstrategie aufgeworfen haben. Ich sage nur: Die Bundesregierung hat sich damit auseinander gesetzt und eine Antwort gefunden, während die CDU/CSU darauf zunächst keine Antwort gegeben hat. Jetzt haben Sie eine fatale Antwort gegeben, weil Sie diese Präventivschlagstrategie offensiv unterstützen, indem Sie sich zu diesem Ultimatum und seinen Folgen bekennen. ({1}) Herr Schäuble, ich will Ihnen auch gerne etwas zu dem, was Sie angesprochen haben, sagen. Natürlich müssen wir uns mit der veränderten Sicherheitslage in der Welt auseinander setzen. Ich habe gerade gesagt, dass die Bundesregierung das sehr deutlich getan hat, indem sie sich mit den Risiken der jetzigen Präventivschlagstrategie auseinander gesetzt hat. Der Fehler - auch der US-amerikanischen Regierung - in dieser Frage ist doch, dass übersehen wird, dass man den internationalen Terrorismus nicht durch Erstschläge gegen so genannte Schurkenstaaten bekämpfen kann, weil es beim Terrorismus nicht um Staaten, sondern um international operierende Netzwerke geht. Die entscheidende Frage wird sein, ob diese Netzwerke durch das, was wir in der Welt betreiben, stärker oder schwächer werden. Diese Frage haben Sie falsch beantwortet. ({2}) Meine Damen und Herren, wir werden uns aber auch damit auseinander setzen müssen, wie es jetzt weitergehen soll. Natürlich ist es fatal, dass hier ein Alleingang vorgenommen wird, jenseits der internationalen Strukturen und der internationalen Ordnung. Natürlich ist es auch fatal, dass die einzige militärische Supermacht auf der Welt alleine über Krieg und Frieden entscheidet. Ich sage eines aber ganz deutlich: Gerade weil wir nicht akzeptieren, dass die einzige militärische Supermacht auf der Welt alleine über Krieg und Frieden entscheidet, müssen wir jetzt verstärkt daran arbeiten, die internationalen Strukturen zu stabilisieren. Das heißt, wir müssen an den Fortschritten in der europäischen Integration hart arbeiten. Vor allen Dingen mit Blick auf die osteuropäischen Staaten ist das unbedingt notwendig. Die europäische Integration kann nicht erfolgreich fortgesetzt werden, wenn wir das NATO-Bündnis als eine Basis dafür nicht stabilisieren. Deswegen ist es auch richtig, dass die Bundesregierung all ihre Entscheidungen, die sie jetzt zu treffen hat, auch unter dem Gesichtspunkt trifft, ob die internationalen Strukturen stabilisiert oder destabilisiert werden. Wir werden den Dialog über die Sicherheitslage in der Welt verstärkt führen müssen, mit den europäischen Gesellschaften, mit den USA und mit den Menschen in den USA. Wir werden darüber reden müssen, dass am allerwenigsten eine interkulturelle Gesellschaft wie die USA Konflikte der Kulturen unbeschadet überstehen kann. Das halte ich für eine zentrale Aufgabe in dem Dialog, der uns bevorsteht. Wir müssen den Menschen in den USA deutlich machen, dass wir das Leid und den Schock, den sie am 11. September erlebt haben, nicht verkennen, dass dies aber nicht die Ausgangsbasis dafür sein kann, Leid über die Menschen in anderen Ländern zu bringen. Das kann nicht die richtige Strategie sein. Wir werden auch darüber reden müssen, dass das Leid, das die Menschen in den USA am 11. September erlebt haben, für eine politische Strategie von Kräften in der US-Administration missbraucht wurde, die ihre politische Strategie schon längst vor dem 11. September festgelegt hatten. ({3}) Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten das umsetzen müssen, was der Bundeskanzler am Freitag als Programm der Regierung dargestellt hat. Wir wissen, dass vieles von dem, was wir uns vorgenommen haben, den Menschen in diesem Lande etwas abverlangen wird. Wir wissen, dass dies nicht alles nur frohe Botschaften sind. Aber ich sage klar und deutlich: Wir werden diese Schritte gehen müssen, um unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftssicher zu machen. Wir werden diese Schritte gehen müssen, um die Lohnnebenkosten senken zu können und um Chancen für mehr Beschäftigung zu schaffen. Es geht nicht darum, eine dauerhafte Ausgrenzung von Menschen in diesem Land einzig und allein materiell zu kompensieren. Uns geht es darum, den Menschen in diesem Land wirklich die Chance auf Teilhabe und Beschäftigung zu geben. Das ist das Ziel unserer Politik und unserer Reformen. Aber wer glaubt, bei der Verkündigung solcher Schritte „Bravo“ rufen und klatschen zu müssen, der sollte seine Neigungen vielleicht lieber in irgendwelchen SM-Szenen statt in der Politik ausleben. ({4}) Die Umsetzung wird nämlich nicht immer sehr angenehm sein, aber sie ist eben notwendig. ({5}) Mit Blick auf die CDU/CSU sage ich: Was wir erlebt haben, ist ein buntes Schauspiel. Frau Merkel hat erklärt, der Bundeskanzler müsse endlich einmal konkret werden. Am Freitag war der Bundeskanzler konkret. Aber wir müssen feststellen, dass dies die CDU/CSU kalt erwischt hat. Kaum wird es in diesem Lande einmal konkret, laufen Sie umher wie ein aufgeschreckter Hühnerhaufen: Merkel gegen Stoiber, Stoiber gegen Merkel, Seehofer gegen Stoiber, Wulff und von Beust auf der Seite von Seehofer und Merkel, Koch und Schäuble für Stoiber. ({6}) Kein Mensch in diesem Lande kann noch erkennen, wohin Sie mit Ihrer Politik wollen. ({7}) Besonders interessant fand ich die Meldung von dpa, die Fraktion der CDU/CSU sei der Tanker und der Vorsitzende der CSU, Herr Stoiber, sei das Schnellboot. Ich als Hamburgerin habe mich darüber gewundert und gefragt: Wenn man einem großen Boot helfen will, in einem schwierigen Gewässer den Kurs zu finden, dann ist ein Bugsierer oder ein Schlepper besser. Ein Schnellboot bringt in diesem Falle nichts. Herr Stoiber hat sich offensichtlich das Schnellboot ausgesucht, weil er den Tanker schnell einholen, entern und die Brücke besetzen will. Bei Ihnen wollen offensichtlich viel zu viele auf die Brücke. Nur diejenige, die auf der Brücke steht, weiß nicht, wo es lang geht. ({8}) Solange Sie sich in der CDU/CSU nicht geeinigt haben, ob Sie nun ein Schub-Schub-Verband oder ein SchubSchlepp-Verband sein wollen, so lange sollten Sie von einer großen Fahrt Abstand nehmen. Ich befürchte, dass bei Ihnen niemand das Kapitänspatent besitzt. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Romer?

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. - Ich möchte Ihnen zum Schluss meiner Rede einen guten Tipp aus der christlichen Seefahrt geben, weil Sie ihn offensichtlich bitter nötig haben. In der christlichen Seefahrt gibt es eine sichere Regel, an die man sich auch in der Politik halten sollte: Rot und Grün markieren das sichere Fahrwasser. Schwarz und Gelb sind die Markierungen für Gefahren und Untiefen, davon sollte man sich fernhalten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es spricht jetzt der Herr Bundeskanzler Gerhard Schröder. ({0})

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel hat den Wunsch geäußert - was ich verstehe -, nach mir zu reden; deswegen haben wir die Geschäftsführer um Entschuldigung dafür gebeten, dass wir ihre Spielchen beenden wollen. ({0}) Das Thema ist wichtig genug. Es kann kein Zweifel daran bestehen: Ein Krieg im Irak wird immer wahrscheinlicher. Wir haben von Anfang an - das ist in dieser Debatte auch deutlich geworden - unsere feste Überzeugung klar gemacht, dass wir einen solchen Krieg verhindern wollen. ({1}) Wir haben das in den internationalen Gremien zum Ausdruck gebracht und auch gegenüber der Öffentlichkeit in diesem Hohen Hause wiederholt deutlich gemacht. Ich freue mich natürlich über die große Unterstützung, die diese Position sowohl von der Regierungskoalition als auch vom deutschen Volk erfährt. ({2}) Gerade in Europa, zumal in Deutschland, hat sich tief in das kollektive Bewusstsein der Menschen eingegraben - das ist von Generation zu Generation weitergegeben worden -, was Krieg für die Menschen bedeutet. Vielleicht liegt hier ein Unterschied in unserer Herangehensweise: Auch das gehört dazu, neben dem, was Frau Sager - ganz eindrucksvoll, wie ich fand - eben dargestellt hat, als sie über das Mitgefühl mit denjenigen gesprochen hat, die als Folge der Ereignisse vom 11. September politisch handeln und handeln müssen. Auch wenn ich das unterstreiche - dies bringt uns nicht ab von unserer festen und eindeutigen Position. Ich fand es aber gut und richtig, dass sie auch auf diesen Teil der politischen und menschlichen Dimension hingewiesen hat. ({3}) Mit den politischen Entscheidungen, die wir getroffen haben und von denen wir nichts abstreichen werden, haben wir alle miteinander für Klarheit gesorgt. Ich hoffe, die Union wird das jetzt in gleicher Weise tun. Ich füge aber hinzu: Wir brauchen auch Besonnenheit in der Argumentation. Emotionen - sie werden uns, aber nicht nur uns, sondern ganz viele Menschen im Land in den nächsten Tagen alle miteinander beschäftigen -, so verständlich sie angesichts des Bevorstehens oder gar des Beginns eines Krieges bei jedem sein mögen, dürfen das politische Handeln nicht dominieren. Das gilt nach außen und ich hoffe, das gilt auch nach innen. Die Positionen von Regierung und Opposition sind kontrovers. Das schafft Klarheit, aber wir sollten uns zusammennehmen und alle unseren Beitrag dazu leisten, dass die Debatte bei aller notwendigen Polemik, die gar nicht ausbleiben wird, fair verlaufen wird. Ich denke, das ist die Erwartung angesichts der schwierigen Situation der übergroßen Mehrheit der Menschen in unserem Land. Wir müssen dieser Erwartung gerecht werden. ({4}) Ich sagte: Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Haltung. Wir lehnen ein militärisches Vorgehen gegen den Irak ab. Die ganz normale Konsequenz ist, dass sich deutsche Soldaten an Kampfhandlungen nicht beteiligen werden. ({5}) Dies gilt sowohl für die deutschen Soldaten in den AWACS-Flugzeugen als auch für die deutschen ABCAbwehrkräfte in Kuwait. Dieses Thema wird, wie das auch hier angeklungen ist, in den nächsten Tagen natürlich kontrovers und aus verschiedenen Perspektiven diskutiert werden. Bevor ich etwas zur Sache sage, will ich deutlich machen: Ich fand es richtig, dass darauf hingewiesen worden ist - ich glaube sogar, es war Herr Ströbele, der es getan hat -, ({6}) dass die Frage von Krieg und Frieden die zentrale Frage ist, mit der wir uns auseinander setzen müssen. Es geht in erster Linie - immer noch und immer wieder - um die Frage, was wir dabei tun können, und nicht um die Diskussion über unterschiedliche Meinungen - die es nun einmal gibt - zu Fragen des Völkerrechts. ({7}) Die NATO-AWACS-Flugzeuge führen über dem Territorium der Türkei Routineflüge durch. Dies geschieht auf der Basis der Entscheidung des Verteidigungsplanungsausschusses der NATO vom 19. Februar 2003. Ihre ausschließliche Aufgabe ist die strikt defensive Luftraumüberwachung über der Türkei. Sie leisten - das geht aus den Rules of Engagement hervor - keinerlei Unterstützung für Einsätze im oder gegen den Irak. Durch die Zuordnung der AWACS-Flugzeuge zum Befehlsbereich des NATO-Oberbefehlshabers Europa, also des SACEUR, ist eine strikte Trennlinie zu den Aufgaben des Kommandeurs des US Central Commands, des amerikanischen Generals Franks, gezogen. Übrigens verfügt Herr Franks - so ist mir von unseren Fachleuten mitgeteilt worden - für Militäroperationen gegen den Irak über fast 100 eigene US-AWACS-Flugzeuge. Räumlich getrennt von diesen und mit gänzlich unterschiedlichem Auftrag überwachen also die NATO-Flugzeuge unter dem Kommando des NATO-Oberbefehlshabers Europa den Luftraum über der Türkei und sichern ihn. Hier liegt der Grund, warum wir davon überzeugt sind, dass es dazu keines Beschlusses des Deutschen Bundestags bedarf. ({8}) - Herr Schäuble, auf Ihren Zwischenruf bezogen: Ich habe gesagt, wir seien davon überzeugt. Ich habe nicht gesagt, Sie seien davon überzeugt. Wir sind davon überzeugt, dass das richtig ist, und dieser Überzeugung werden wir auch Rechnung tragen. ({9}) Auch die Aufgaben der deutschen ABC-Abwehrsoldaten sind klar begrenzt. Sie handeln auf der Basis eines Beschlusses des Deutschen Bundestags - anders wäre es auch nicht möglich -, nämlich auf der Basis des Beschlusses zu Enduring Freedom, wie Sie wissen. Dieses Mandat, das der Deutsche Bundestag gegeben hat, ist einziger und ausschließlicher Auftrag dieser Kräfte. Auch sie werden sich an Einsätzen gegen den Irak nicht beteiligen. Bestandteil dieses Mandats für Enduring Freedom ist allerdings auch die humanitäre Hilfe in Kuwait. Daher führen die deutschen ABC-Abwehrsoldaten zusammen mit kuwaitischen Stellen auch entsprechende Übungen durch. Noch einmal zur Klarstellung: Dafür gibt es ein Mandat in all den Punkten, in denen es benutzt wird. Dazu bedarf es deshalb auch keines neuen Mandats. ({10}) Lassen Sie mich noch ein Wort zur Frage der Sicherung amerikanischer Einrichtungen, zur Nutzung der Basen und zu den Überflugrechten sagen. Unsere Position zum Irakkrieg - ich habe sie noch einmal erläutert - haben wir politisch klar definiert. Aber diese klare Position, die sich von der unserer Bündnispartner - jedenfalls von jener der Vereinigten Staaten und Großbritanniens - unterscheidet, ändert nichts daran, dass es sich um Bündnispartner und befreundete Nationen handelt. ({11}) Zu diesem Bündnis, zur NATO, gehören Rechte und Pflichten. Diesen Pflichten, die sich aus dem NATO-Vertrag und den verschiedenen Stationierungsabkommen ergeben, werden wir auch jetzt Rechnung tragen. ({12}) Das ist der Grund, warum ich von Anfang an gesagt habe: Es mag zwar unterschiedliche völkerrechtliche Positionen geben, aber vor dem Hintergrund unserer Bündnisverpflichtungen werden wir die Nutzung der Basen weiter gestatten, Überflugrechte nicht versagen und natürlich die Anlagen unserer Freunde und, soweit nötig, auch ihrer Familien schützen und sichern. ({13}) Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas unterstreichen, das ich bereits öffentlich zum Ausdruck gebracht habe. Selbstverständlich ist es in einer Zeit zugespitzter internationaler Situation - was gibt es für eine größere Zuspitzung als einen Krieg im Nahen Osten, im Irak und um den Irak? - besonders wichtig, den Menschen in unserem Lande deutlich zu machen, dass die Sicherheitsorgane unseres Landes - des Bundes wie auch der Länder - keinen Zweifel daran aufkommen lassen werden - das wird sicherlich jede politische Führung unabhängig von ihrer parteipolitischen Färbung klar stellen -, dass alles Menschenmögliche getan wird, um die Sicherheit der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. Das ist auch der Fall. Ich bitte ausdrücklich um Vertrauen in die Sicherheitsorgane und in diejenigen, die die Sicherheit unseres Landes und damit auch der Menschen in unserem Land gewährleisten. ({14}) In der Debatte ist - ein bisschen durchsichtig - versucht worden, in der Frage nach den Ursachen Ursache und Wirkung zu verwechseln. Ich will mich zu dieser Frage aus guten Gründen nicht weiter äußern. ({15}) Aber darüber nachdenken sollten Sie schon noch einmal, Herr Westerwelle. ({16}) Denn ich halte es für absurd, Ursache und Wirkung in dieser Form zu verwechseln. Im Übrigen sollten Sie - auch das ist Ihnen eindrucksvoll vorgehalten worden - sich darum bemühen, das nachzulesen, wozu Sie die Bundesregierung noch im März und im Sommer vergangenen Jahres aufgefordert haben ({17}) und mit welcher Begründung Sie dies getan haben. ({18}) Dann würden Ihnen viele Ihrer Worte, die Sie so großspurig ausgesprochen haben, im Hals stecken bleiben. Dessen bin ich mir ganz sicher, meine Damen und Herren. ({19}) Im Übrigen rate ich Ihnen dringend, sich in diesen Fragen gelegentlich bei Herrn Genscher, dem früheren Außenminister, kundig zu machen. ({20}) Dann würden Sie auf erstaunliche Gedanken stoßen, die auch bereits öffentlich geäußert worden sind. ({21}) - Dass das heute Morgen geschehen ist, hat man aber nicht gemerkt. Das war das Problem. ({22}) Es ist dann auf die Situation in Europa hingewiesen worden. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn man nicht nur, aber auch in dieser Frage bereits eine Außenpolitik in Europa gehabt hätte. Natürlich wäre es gut gewesen, wenn es gelungen wäre, diese in Europa insgesamt zu verankern, gar keine Frage. Hier hat es gewiss Festlegungen gegeben, auch von uns, aber keineswegs nur von uns und keineswegs nur öffentlich, sondern auch hier. Ich finde, hierhin gehört es, oder etwa nicht? ({23}) Natürlich begann mit der offiziellen Erklärung der Fünf, der sich später viele der Beitrittsländer angeschlossen haben, eine erkennbare politische Differenz in der Bewertung der Sache, über die wir jetzt reden. Es ist doch gar keine Frage, dass das so war. Das gilt nicht nur für den Brief der Fünf, sondern auch für das, was von verschiedenen Regierungen der Beitrittskandidaten unterschrieben worden ist, gar keine Frage. Aber man sollte auch verstehen, dass es wenig Sinn macht, sich noch jetzt darüber zu beklagen. Es hat schon Sinn gemacht, das auszusprechen, was der französische Präsident gesagt hat, nämlich darauf hinzuweisen, dass Europa nicht nur Rechte materieller und immaterieller Art begründet, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Das war schon in Ordnung. Ich denke, dafür sollte man ihn nicht kritisieren. ({24}) Man muss auch verstehen, warum in bestimmten Ländern so und nicht anders gehandelt worden ist. Dort hat man größere Schwierigkeiten, als wir sie - Gott sei Dank in Deutschland haben, Souveränitätsrechte abzutreten, die man so lange so schmerzlich entbehrt hat. Wir hatten dazu 50 Jahre Zeit, die anderen noch nicht einmal zwölf. Diesen Zusammenhang muss man sehen, wenn man das bewertet, was in Polen, in Tschechien und in anderen Ländern geschehen ist. Deswegen bleibt die Aufgabe bestehen, während und erst recht nach einer militärischen Auseinandersetzung dafür zu sorgen, dass diese Differenzen geduldig, aber auch nachhaltig eingeebnet werden. Auch das ist ein Teil der europäischen Politik, die wir machen. ({25}) Zu dem heute Morgen hier angeklungenen Vorwurf, Deutschland habe es in letzter Zeit an europäischem Engagement gemangelt: Wenn ich gelegentlich Rückschau auf Debatten über Außenpolitik und speziell auf die Vorwürfe halte, die uns wegen mangelndem sorgsamem Umgang im deutsch-französischen Verhältnis gemacht worden sind, dann wundert mich schon gelegentlich die Debatte, die gerade jetzt auch von Ihnen, Herr Schäuble, geführt wird. ({26}) Ich erinnere mich noch an die Zeit, als Sie sich - so wurde das genannt - am Stottern des deutsch-französischen Motors im wahrsten Sinne des Wortes delektiert haben. Jetzt, wo er ganz rund läuft, passt es Ihnen auch wieder nicht. ({27}) Es ist schon etwas merkwürdig, wie Sie Außenpolitik nach jeweiliger Befindlichkeit zu formulieren versuchen. Ich jedenfalls kann nichts Schlechtes daran finden, dass wir zusammen mit unseren französischen Freunden und mit anderen intensivst dafür gearbeitet haben, eine militärische Auseinandersetzung im und um den Irak zu verhindern, ({28}) und dass wir weiter intensivst dafür arbeiten, dass das auch geschieht. ({29}) - Das Gegenteil haben wir erreicht? Was Europa angeht: Es gab eine Zeit, in der Sie durch das Land gezogen sind und behauptet haben, wir hätten uns in Europa und erst recht im Weltsicherheitsrat vollständig isoliert. Davon kann indessen wirklich keine Rede sein. ({30}) Es ist doch wohl eher Ihre Politik als unsere, die, so wie die Dinge liegen, im Weltsicherheitsrat keine Mehrheit finden würde. Auch das sollten Sie gelegentlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({31}) Ich kehre zum Thema Europa zurück. Man kann und man darf der deutschen Bundesregierung keine Vorwürfe machen, was ihr Engagement für Europa und speziell für die Erweiterung Europas angeht, die für die baltischen Staaten, für die Polen, für die Tschechen und für die anderen, die ich jetzt nicht alle aufführen will, so wichtig ist. Es sind Frankreich und Deutschland gewesen, die im Herbst in Brüssel mit dem schwierigen und gelegentlich auch kritisierten Agrarkompromiss dafür gesorgt haben, dass wir in Kopenhagen eine wahrhaft historische Entscheidung treffen konnten, die dazu führt, dass auch in Europa zusammenwächst, was zusammengehört. Das waren doch französische und deutsche Politik. ({32}) Natürlich wissen wir, dass diese beiden Länder auf dieser Basis eine besondere Verantwortung dafür haben, dass der Integrationsprozess, also insbesondere das, was im Konvent beraten wird, die Neuordnung der Beziehungen der Institutionen in Europa ein wirklicher Erfolg wird. Dafür werden wir ungeachtet der Schwierigkeiten, die es aktuell gibt, arbeiten. Es wird sich sehr bald zeigen, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit in diesem Fall wieder einmal im Zentrum dessen steht, worum es geht. Wenn Deutschland und Frankreich besonders eng zusammenarbeiten, dann werden wir - ich weiß das wohl gelegentlich von dem einen oder anderen Kollegen dahin gehend kritisiert, diese Zusammenarbeit bestimme in Europa zu viel voraus. Aber wenn wir nicht besonders eng zusammenarbeiteten - so sind jedenfalls meine Erfahrungen -, dann werden wir dafür kritisiert, dass wir es nicht getan haben. Insofern glaube ich, dass die französisch-deutsche Zusammenarbeit auch bezogen auf die europäische Einigung - ich erinnere an die bevorstehenden weiteren Schritte zur Integration - von riesigem Wert ist. Deswegen bin ich froh, dass diese Zusammenarbeit gerade zu Zeiten einer schweren Krise so gut gestaltet werden konnte. ({33}) Lassen Sie mich aus einem bestimmten Grund auf eine Frage zu sprechen kommen, die hier insbesondere am letzten Freitag eine Rolle gespielt hat und die in die eigentlichen Beratungen des Bundeshaushalts natürlich hineinragt. Ich möchte deutlich sagen: Die Inhalte dessen, was ich am letzten Freitag unter dem Motto Agenda 2010 vorgestellt habe, werden wir Punkt für Punkt umsetzen. Ich bin den und dem Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen für ihre Unterstützung sehr dankbar. Es kommt mir darauf an, dass klar wird: Wir lassen nicht zu, dass der Prozess der Umsetzung durch die - gegenwärtig so schwierige - internationale Lage infrage gestellt wird. Es ist gerade in einer schwierigen Zeit ganz wichtig, nicht aufzuhören, den Reformprozess voranzubringen. In einer solchen Zeit muss die Arbeit vielmehr eher noch verstärkt werden. Das begreife jedenfalls ich als unsere Aufgabe, als die gemeinsame Aufgabe von Regierung und Koalition. ({34}) Der drohende Irakkrieg darf nicht als Ausrede dafür benutzt werden, den Reformprozess, der skizziert worden ist, zu verzögern oder gar in Teilen nicht zu realisieren. Das Gegenteil ist richtig: Gerade in einer schwierigen Zeit brauchen wir diese Reformen und wir werden dafür sorgen, dass sie realisiert werden. ({35}) Es geht dabei um Strukturreformen. Was die Nachfrageseite betrifft, geht es um das, was unter dem Stichwort „öffentliche Investitionen“ deutlich geworden ist. Ich unterstreiche, was der Vorsitzende der SPD-Fraktion hier zu den kommunalen Investitionen gesagt hat: Es ist richtig, dass wir den Kommunen mit den 7 Milliarden Euro, die wir an zinsverbilligten Krediten zur Verfügung stellen wollen, helfen. Genauso richtig ist es, dass sie die Möglichkeit behalten oder erhalten müssen, diese Kredite auch in Anspruch zu nehmen; denn nur dann werden sie in Arbeit umgesetzt werden können. ({36}) Deswegen war es ein großer Fehler - ich unterstreiche das; übrigens: mehr und mehr wird das auch in den Ländern eingesehen, bei aller denkbaren Kritik an Einzelheiten des Steuerreformgesetzes, das dem Bundesrat vorliegt -, diesen Teil des Gesetzes nicht zu akzeptieren, sondern abzulehnen, weil das die Basis der Kommunen für die Realisierung ihrer Aufgaben nicht stärkt, sondern schmälert. Diese Verantwortung werden Sie auf sich nehmen müssen. ({37}) Wir haben deutlich gemacht - der Bundesfinanzminister hat es in der gestrigen Debatte gesagt -, dass wir diesen Prozess eben nicht durch mehr Verschuldung finanzieren. Zugleich haben wir aber auch klar gesagt, dass die Antwort auf eine sich möglicherweise verschärfende ökonomische Lage - niemand von uns hofft das nicht prozyklische Politik sein darf. Sondern für den Fall, dass sich Wachstumserwartungen, die wir im Einklang mit allen wichtigen und großen Instituten formuliert haben, so nicht realisieren lassen, aus welchen Gründen auch immer, müssen die automatischen Stabilisatoren wirken, damit es eben nicht zu einer Verschärfung der Situation kommt, die anderswo ihre Ursachen hat. Was der Finanzminister dazu gesagt hat, gilt. ({38}) Natürlich müssen wir sowohl im Kreis der Finanzminister im Ecofin-Rat - niemand kann ernsthaft etwas dagegen haben - als auch am Freitag - ich gehe jedenfalls davon aus - oder jedenfalls im April im Kreis der Staatsund Regierungschefs darüber reden, dass wir dann, wenn ein Krieg im Irak schwerwiegende ökonomische Folgen für die Wirtschaft in Europa und für die Wirtschaft der Mitgliedstaaten hat, auch eine faire Debatte mit der Kommission darüber führen müssen, was die Alternative ist. ({39}) Dabei geht es niemandem darum, den Stabilitätspakt einfach wegzudrücken, sondern es geht darum, auf seiner Basis unter Umständen nötige und vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die werden wir dann in aller Offenheit auch hier im deutschen Parlament diskutieren. ({40}) Bei all den Fragen, die die Sozialstaatlichkeit Deutschlands betreffen, ist deutlich geworden, was wirklich das Ziel dessen ist, was wir vorhaben. Auch da kann ich an das anschließen, was hier bereits diskutiert wurde. Es geht uns darum, unter radikal veränderten ökonomischen Bedingungen in Deutschland, in Europa und in der Welt, häufig zusammengefasst - nicht falsch zusammengefasst - unter dem Stichwort der Globalisierung, die Substanz von Sozialstaatlichkeit zu erhalten. Dem dienen diese Maßnahmen. Nichts anderem dienen sie. Das halten wir auch fest. ({41}) Deshalb kommt es darauf an, auf dem Arbeitsmarkt eine neue Balance zwischen der Sicherheit der Beschäftigten einerseits und der Notwendigkeit der Flexibilität der Unternehmen andererseits zu finden. Das werden wir mit den Maßnahmen, die der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zum Kündigungsschutz, zur Frage des Zusammenlegens von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sowie auch zur Frage der Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld dargestellt hat, anstreben und auch Positives erreichen. Ich bitte Sie darum, dies nicht aufzuhalten, sondern dabei mitzuhelfen. Das Gleiche gilt genauso für die anstehende große Reform, die wir im Gesundheitswesen brauchen. Dabei geht es darum, die Strukturen marktnäher zu machen. Dabei kann sich aber nicht jeder das heraussuchen, was er gern hätte, sondern da gilt es, die Marktnähe auch dann gemeinsam durchzusetzen, wenn die Klientel, die von mangelnder Marktnähe bisher etwas hatte, an der einen oder anderen Stelle einmal aufschreit. Es geht darum, auch dies gemeinsam durchzusetzen. ({42}) Natürlich wissen wir, dass wir im Leistungskatalog etwas verändern müssen. Das haben wir gesagt und das werden wir auch tun, genauso wie es am Freitag dargestellt worden ist. Ich habe sehr genau dem zugehört, was der bayerische Ministerpräsident, Herr Stoiber, dazu gesagt hat. Darüber müssen wir dann ernsthaft reden. Als es beim Thema Abbau von Überbürokratisierung, um mehr Bewegung zu schaffen, um die Handwerksordnung ging, war auf einmal nicht mehr die Rede vom Abbau der Bürokratie und von mehr Flexibilität, ({43}) sondern man hat sich eingegraben und gefordert, dass in diesem Bereich alles so bleibt, wie es ist. Dazu werden Sie etwas sagen müssen. Wir werden Sie dazu auffordern. ({44}) Mir kommt es darauf an, dass Folgendes deutlich wird. Bei der Reformdebatte hat sicher der eine oder andere Nachholbedarf, gar keine Frage. Aber das Ganze immer nur auf der einen Seite des Hauses abzuladen, das ist, wie sich an der Diskussion über die Handwerksordnung gezeigt hat und weiter zeigen wird, ein großer Fehler. Das geht Sie in gleicher Weise an und das wird sich sehr bald herausstellen. Schließlich und letztlich: ({45}) Es ist sehr interessant, sich anzuschauen, wie die unterschiedlichen Positionen zu dem, was wir am Freitag diskutiert haben, gestaltet worden sind, welcher Verband und welche Gewerkschaft sich zu welcher Frage wie geäußert hat. Man kann das kurz und präzise zusammenfassen: Den einen ging es nicht weit genug und den anderen ging es zu weit, und zwar in fast allen Fragen. Die Gefahr, die ich sehe und der wir gemeinsam entgegentreten müssen und werden, ist nun, dass eine Blockade dadurch entsteht, dass sich die unterschiedlichen Kräfte sozusagen gegenseitig aufheben. Das wäre fatal, meine Damen und Herren. ({46}) Meine herzliche Bitte an die, die es angeht, auch diejenigen, die Öffentlichkeitsarbeit betreiben, ist: Selbst wenn einem ein einzelner Schritt im Sinne des Ganzen und der notwendigen Bewegung nicht weit genug geht, sollte man sich einmal herablassen, diesen Schritt zu begrüßen und zu unterstützen. ({47}) Wenn nämlich die Gefahr der Selbstblockade durch die unterschiedlichen Maximalpositionen nicht überwunden wird, dann besteht in der Tat die Gefahr, dass am Ende weniger herauskommt, als unser Land braucht. Das müssen wir verhindern und das wird die Koalition verhindern. Deswegen können Sie sich vorstellen, dass ich für die Unterstützung dankbar bin, die in diesem Prozess sowohl am Freitag als auch heute deutlich geworden ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({48})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Angela Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte zum Etat des Bundeskanzlers findet in diesem Jahr in einer besonderen Zeit statt. Jeder vernünftige Mensch in diesem Lande und auch in diesem Hause hat ein Ziel: Er möchte Krieg und militärische Aktionen vermeiden. ({0}) Wir alle - mir geht es jedenfalls so, ebenso vielen Kolleginnen und Kollegen in unserer Fraktion und, wie ich glaube, auch in anderen Fraktionen - halten deshalb in diesen Stunden den Atem an. Wir sind betroffen, dass die Wege, die zu einer friedlichen Lösung hätten führen können, vielleicht in einer Sackgasse enden. Wir sind voller Sorge um die Menschen im Irak, um die Soldatinnen und Soldaten und um die Sicherheit. Wir sind auch unsicher, ob vielleicht andere Länder, ob unser Land von Anschlägen betroffen ist. Ich weiß genau wie Sie alle in diesem Hause, dass gerade die älteren Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande Sorge und Angst haben, weil sie persönlich, anders als ich, Krieg erleben mussten. Auch das Gefühl des Ärgers und der Fassungslosigkeit darüber, dass der Westen, dass die demokratischen Länder sich über diese Sache so haben zerstreiten müssen, kommt dazu. Es gibt die Hoffnung, dass, wenn der Krieg nicht zu vermeiden ist, er wenigstens wenig Opfer kostet und schnell vorbei ist. Ich glaube, wir Politiker können und dürfen uns - wir tun es ja auch nicht - niemals von diesen Emotionen freimachen. Aber wir müssen uns auch genau fragen: Was haben wir zu tun? Dafür tragen wir die Verantwortung. Wir tragen die Verantwortung genauso für das, was wir nicht tun. Deshalb ist heute die Stunde, in der wir bei aller Gemeinsamkeit der Gefühle ganz offen und ganz ehrlich, wie es auch der Bundeskanzler getan hat, über die Alternativen und über die Unterschiede sprechen. Die Fragen um Frieden und Freiheit können auf gar keinen Fall, auch nicht in Bezug auf den Irak, so beantwortet werden, dass man ausschließlich darüber spricht, wie viele Opfer es jetzt kosten könnte, wenn militärisch eingegriffen wird, sondern wir müssen uns auch - ich sage nicht ausschließlich - vor Augen führen, wie viele Opfer Saddam Hussein schon gekostet hat, wie viele Leute er auf dem Gewissen hat und wie viele es noch kosten könnte, wenn er weiter im Amt bleibt. ({1}) Wir debattieren in diesem Hause nicht zum ersten Mal über Krieg und Frieden. Wir haben es oft und leidenschaftlich getan. Vor allen Dingen mussten wir es tun, obwohl wir alle nach 1989 vielleicht gedacht haben, diese Debatten blieben uns nach dem Ende des Kalten Krieges erspart. Wir haben es im Zusammenhang mit dem Kosovo und auch im Zusammenhang mit Afghanistan getan. Ich weiß, dass es vielen damals gerade auch hier nicht leicht gefallen ist; es ist auch uns nicht leicht gefallen. Die Debatte hatte nur einen Unterschied: Damals war sich die große Mehrheit in diesem Hause darüber einig, wie wir uns zu entscheiden hatten. Diesmal gibt es mehr Uneinigkeit. Deshalb sage ich mit aller Überzeugung: Fangen wir nicht damit an - leider ist das in den letzten Wochen immer wieder und auch heute passiert, Herr Müntefering -, dass unterschwellig der Eindruck erweckt wird: Wer mit Ihrem Kurs nicht einverstanden ist, der wolle den Krieg; ({2}) Sie wollen den Frieden, wir wollen den Krieg. Wir werden diese Arbeitsteilung nicht mitmachen und sie wird auch bei der Bevölkerung nicht ankommen. ({3}) So wie Sie uns das nicht unterstellen ({4}) können, so werden Sie es auch nicht Ihren Kollegen in Europa unterstellen: Tony Blair, dem portugiesischen Ministerpräsidenten, dem spanischen Ministerpräsidenten ({5}) - passen Sie auf, dass Sie niemanden verächtlich machen! -, die alle aus ihrer Überzeugung und mit Leidenschaft dafür eintreten, dass Diktatur verschwindet und dies möglichst mit friedlichen Mitteln. Das ist das einigende Band. ({6}) Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass der Unterschied zwischen uns in diesem Hause nun wirklich nicht in der Frage besteht, ob wir Krieg oder Frieden wollen. ({7}) Der Unterschied in diesem Hause - ich wiederhole es gern - besteht nicht darin, ob wir Krieg oder Frieden wollen. Der Unterschied besteht vielmehr in der Frage, auf welchem Weg man glaubt, das, was man erreichen will, am besten zu erreichen. Dabei gibt es Unterschiede. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin Merkel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Volmer?

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. ({0}) Frau Sager, als Erstes müssen wir aufhören, einem Phantom hinterherzujagen. Im Falle des Iraks handelt es sich nicht um einen Präventivschlag, sondern um die Frage, wie die UNO und der UN-Sicherheitsrat ihre Beschlüsse auch wirklich durchsetzen können. ({1}) Es handelt sich nicht um die erste Resolution, sondern um die 17. Resolution. Es geht hier natürlich - ich komme noch darauf zu sprechen - um die Autorität des UN-Sicherheitsrates und darum, ob er in Zukunft in der Lage sein wird, wichtige Resolutionen auch durchzusetzen. Diese Durchsetzung muss uns gelingen, egal zu welchem Ergebnis wir im Zusammenhang mit dem Irak kommen. ({2}) Die Unterschiede zwischen Ihnen und uns im Zusammenhang mit dem Irak waren schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt sichtbar, als Sie nämlich militärische Mittel von vornherein ausgeschlossen haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass man das in diesem Falle niemals hätte tun dürfen, genauso wenig, wie man es in anderen Fällen getan hat. Die einzige Möglichkeit, einen Diktator zum Einlenken zu bringen, ist, dass man mit der letzten Konsequenz, also mit militärischen Optionen, droht. Es ist unsere Überzeugung, dass man so handeln muss, um 17 Resolutionen Nachdruck verleihen zu können. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie überhaupt Zwischenfragen?

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen. ({0}) Krieg ist niemals die Fortsetzung von Politik mit normalen Mitteln. Das darf Krieg niemals werden. Aber ich sage auch: So wie wir uns als Deutsche die Entscheidung, ob wir militärische Aktionen billigen, nicht leicht machen sollten, so dürfen wir es uns wegen unserer Geschichte auch nicht so leicht machen, sie von vornherein auszuschließen. ({1}) Paul Spiegel hat doch Recht gehabt, als er gesagt hat: Die KZs sind nicht von Zivilisten, sondern von Soldaten befreit worden. - Auch das ist Teil der deutschen Geschichte. ({2}) Wir sind der Überzeugung: Der erfolgreichste Weg, um militärische Aktionen zu vermeiden, wäre gewesen, dass wir, die Demokraten dieser Welt, also die Europäische Union und ihre Verbündeten, den Druck auf Saddam Hussein gemeinsam erhöht hätten. ({3}) Deshalb ist die Alternative, Herr Müntefering, vor die Sie uns stellen wollten, ({4}) vollkommen falsch. Es geht doch nicht um die Frage, ob man Frieden will oder ob man Soldaten in den Irak schicken will. Es geht vielmehr um die Frage - das ist die Alternative -, ob man es durch Einigkeit der Demokraten, die gemeinsam eine Resolution verabschiedet haben, oder ob man es durch Uneinigkeit besser schafft, dass diese Resolution durchgesetzt wird. ({5}) Dazu sage ich mit allem Nachdruck - so bedauerlich es ist; wir werden uns mit dieser Frage noch lange beschäftigen -: Sie haben durch Ihre Haltung, die Einigkeit nicht befördert hat, den Krieg im Irak wahrscheinlicher und nicht unwahrscheinlicher gemacht. ({6}) - Herr Poß, regen Sie sich nicht so auf! Sie können es nachlesen: Vor acht Wochen habe ich dies schon einmal gesagt. Da haben Sie sich nicht ganz so aufgeregt. ({7}) Jetzt ist die Sache leider sehr schwierig. Frau Sager, Sie haben von einem EU-Sondergipfel gesprochen. Wir aber hätten vorgeschlagen, ({8}) einen Gipfel nicht erst im Februar - auf diesem wurde von der Bundesregierung endlich das akzeptiert, was allgemein unsere Meinung ist, dass militärische Optionen das letzte Mittel sind -, sondern sehr viel früher abzuhalten. ({9}) Warum nicht im September? Warum nicht im Oktober? Dann hätte Europa in der Weltgemeinschaft noch etwas bewirken können. ({10}) Ich sage Ihnen, was wir auch anders gemacht hätten. Wir hätten bei der Verabschiedung der Resolution 1441 von Anfang an darauf geachtet, ({11}) dass die Inspektionen eine zeitliche Befristung haben. Eine solche zeitliche Befristung hätte uns die Möglichkeit zu einem koordinierten Aufbau von Inspektionen gegeben, die Hans Blix nur deswegen sehr erfolgreich durchführen konnte, ({12}) weil parallel dazu eine militärische Drohkulisse entstanden ist. Das sagt er selbst. Hören Sie ihm doch zu! ({13}) Eines ist doch klar: Diktatoren auf dieser Welt haben manchmal die Eigenschaft, dass sie auf gar nichts reagieren außer auf militärische Gewalt. ({14}) Wenn es gut läuft, dann reagieren sie auf gemeinschaftlichen Druck, aber eben nicht auf eine zerrissene Weltgemeinschaft. Hier gibt es eine unterschiedliche Wahrnehmung in unserer Welt. ({15}) Wir bedauern im Übrigen so wie Sie, dass die Lage im UN-Sicherheitsrat jetzt so ist, dass er - ich betone das - in keine Richtung handlungsfähig ist. Ich füge hinzu, dass an der Entwicklung des Zustandes, so wie er jetzt besteht, viele beteiligt gewesen sind. Da nehme ich die USA überhaupt nicht aus. ({16}) Wir sind hier im deutschen Parlament ({17}) und wir haben über die deutsche Position zu diskutieren. Ich bin ganz sicher, dass wir es anders gemacht hätten. Darüber müssen wir in diesem Hause sprechen. ({18}) Eine Entscheidung im UN-Sicherheitsrat ist bedauerlicherweise nicht möglich gewesen, weil ein Veto von Frankreich, eines von Russland und vielleicht auch eines von anderen gedroht hätten. Aber eine Entscheidung in die andere Richtung ist auch nicht möglich gewesen, weil sonst ein Veto von Amerika und Großbritannien gedroht hätte. Zur Wahrheit der Geschichte gehört, ({19}) dass das eine Veto nicht mehr wert ist als das andere, sondern dass beide ihre Berechtigung haben und die UNO deshalb leider nicht der Ort der Entscheidungen ist, wie ich es mir und wie wahrscheinlich auch Sie es sich gewünscht hätten. ({20}) Ich muss Ihnen sagen: Ich habe mir in diesen Wochen und Monaten oft die Frage gestellt, was richtig ist. Jeder von uns stellt sich diese Frage. Es besteht eine immens komplizierte Situation. Wenn Sie immer zu 100 Prozent davon überzeugt sind, dass alles richtig ist, was Sie tun, dann gehören Sie zu einer anderen Kategorie. Das, was den Irak anbelangt, wird uns noch lange beschäftigen. Denn dies ist ein Ereignis, das weit über den heutigen Tag hinausgeht ({21}) und über die Struktur der Welt und die sicherheitspolitische Ordnung viel aussagen wird. Der Bundesaußenminister, der heute nicht hier sein kann, hat oft auf die Risiken hingewiesen, die mit einer militärischen Aktion, mit einem Krieg im Irak verbunden sind. Das respektiere ich; darüber habe ich viel nachgedacht. ({22}) Aber ich muss Ihnen sagen: Denken Sie bitte auch darüber nach, was damit verbunden ist, wenn wir gar nichts tun, wenn wir die 18., 19. und 20. Resolution verabschieden und weitere zwölf Jahre im Irak nichts passiert. Lassen Sie uns auch über diesen Fall diskutieren, meine Damen und Herren. ({23}) Anfang der 90er-Jahre - die Außenpolitiker werden sich erinnern - haben wir in Europa eine leidenschaftliche Diskussion darüber geführt, dass Hans-Dietrich Genscher und die Bundesregierung damals dafür waren, Kroatien diplomatische Beziehungen anzubieten. Der Bundesaußenminister sagt in diesen Tagen oft: Passt auf, dass es in diesem Raum, im Irak, um den Irak und in Kurdistan, nicht zu einer Balkanisierung kommt. ({24}) Meine Damen und Herren, damals wurde gesagt: Wie könnt ihr diplomatische Beziehungen zu Kroatien aufnehmen? Das wird zu einer Zersplitterung und nicht zu mehr Frieden führen. Vor dem Kosovo-Krieg haben wir uns gefragt, welche Risiken damit verbunden sind. Das ist doch vollkommen klar. Trotzdem hat sich im Nachhinein erwiesen, dass diese Region weit entfernt ist von Stabilität; aber sie ist immerhin stabiler, als sie es früher war, und Menschenrechtsverletzungen finden in diesem Raum auch nicht statt. Über genau dieselben Fragen haben wir jetzt zu entscheiden und wir kommen an vielen Stellen zu anderen Meinungen als Sie. Das ist doch legitim. ({25}) Wir kommen zu dieser Meinung, genau wie der Bundesaußenminister, im Blick auf die Zukunft des Iran, im Blick auf die Stabilität der Region und der Länder um den Irak herum, die erkennbar unter dem Diktator Hussein leiden. Es stellt sich auch die Frage, wie Länder wie Saudi-Arabien und Jordanien in der Lage sind, Terrorismus zu bekämpfen, wenn sie von einem Machtmonopol Irak umzingelt werden. ({26}) Und es stellt sich die Frage, wie die Sicherheit Israels mit einem erstarkenden Irak und einem erstarkenden Iran zu gewährleisten ist. All diese Fragen treiben uns gemeinsam um. Diese Fragen haben wir zu beantworten und sie sind mit einem einfachen Nein und mit Nichtstun mit Sicherheit nicht zu beantworten. ({27}) Es stellt sich mir eine zweite Frage, die für mich genauso wichtig ist. Wir haben jetzt die Blockade des UNSicherheitsrates erlebt. So etwas muss für die Zukunft verhindert werden. ({28}) Aber wir sagen - und wir alle in diesem Hause sagen das -: Das Gewaltmonopol muss bei der UNO liegen. ({29}) - Meine Damen und Herren, ganz ruhig. - Aber die militärische Drohkulisse kann und wird auf absehbare Zeit von der UNO nicht aufgebaut werden, sondern sie wird durch Nationalstaaten erzeugt werden. Kommen wir noch zu den Fragen: Wie sieht es denn damit aus, mit deutschen, französischen und anderen Fähigkeiten einen wirklichen Beitrag zu einer solchen Drohkulisse zu leisten? Was können wir denn schaffen, wenn es um etwas geht? ({30}) Deshalb heißt unsere Schlussfolgerung angesichts der Lage und bedauerlicherweise: Es ist ein ziemliches Desaster, in dem wir uns befinden. Angesichts dieser Situation haben wir gesagt: Wir unterstützen als letzte Chance des Friedens das Ultimatum, das dem Diktator Saddam Hussein gestellt ist. ({31}) Es wäre gut - und ich sage das jetzt mit voller Leidenschaft -, wenn Sie sich wenigstens in diesen 48 Stunden dazu aufraffen könnten, gemeinsam mit uns dieses Ultimatum zu unterstützen und die letzte Chance zu nutzen, den Krieg im Irak wirklich zu verhindern. ({32}) Weil die Frage, wie es mit dem Irak weitergeht, eine Frage von zukunftsträchtiger Bedeutung ist, bin ich froh, dass der Bundeskanzler sich heute stark für eine Säule der deutschen Außenpolitik ausgesprochen hat, nämlich für die Integration Europas und für die politische Union. ({33}) Dass sie durch das, was in den letzten Wochen vorgefallen ist, nicht einfacher geworden ist, liegt auf der Hand. Aber wir, meine Damen und Herren, werden genauso weiterarbeiten, wie wir es bis jetzt getan haben: ({34}) durch eine Unterstützung der Konventsarbeit, durch die Unterstützung der Arbeiten an einem Verfassungsvertrag. Wir werden für eine ausbalancierte Politik sorgen, die Deutschlands Rolle auch im Hinblick auf alle seine Nachbarn wirklich gerecht wird. ({35}) Herr Bundeskanzler, ich habe Ihre Bemerkung zu den mittel- und osteuropäischen Ländern nicht ganz verstanden. Ich weiß nicht, was Sie meinten. Meinten Sie, sie seien noch nicht ganz erwachsen? ({36}) - Er hat sich ein bisschen kryptisch ausgedrückt. - Ich rate dazu, dass wir diese Länder ernst nehmen. Wir sollten unseren Nachbarn Polen genauso ernst wie unseren Nachbarn Frankreich nehmen. Damit fahren wir gut. ({37}) Die Europäische Union darf niemals ein Eliteklub ihrer Gründungsländer werden. ({38}) Die politische Union wird uns nur gelingen, wenn alle Mitgliedstaaten gleichermaßen akzeptiert und in diese Union einbezogen werden. ({39}) Meine Damen und Herren, in diesen Tagen hört man von Ihnen in Bezug auf die transatlantischen Beziehungen immer: Das sind unsere Freunde und Partner. Freundschaft beruht immer auf Gegenseitigkeit. ({40}) Das müssen die Amerikaner lernen, aber das müssen auch die Deutschen beherzigen. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Wenn schon der Besuch eines Oppositionsführers in Amerika inzwischen zum Gegenstand von wirklich absurden Bemerkungen der Regierungsfraktionen geworden ist, ({41}) dann stellen Sie sich selber in die Ecke, meine Damen und Herren. Man wundert sich außerhalb Deutschlands über Sie. ({42}) Herr Bundeskanzler, Sie haben heute kein Wort dazu gesagt, dass eine Achse Paris-Berlin-Moskau und ein Angebot russischer Politiker, Deutschland Sicherheitsbeistand leisten zu können, nicht das sind, was uns in die Zukunft führt. Dazu muss man doch ein Wort sagen. So etwas wird jetzt in deutschen Zeitungen geschrieben und bleibt hier völlig unwidersprochen. Für uns sind das transatlantische Verhältnis und die NATO der Sicherheitsverbund; darauf setzen wir und das wollen wir voranbringen. ({43}) Frau Sager, es ist doch vollkommen richtig, dass Herr Schäuble darauf hingewiesen hat, dass sich nach dem 11. September die Lage verändert habe, dass es eine neue Sicherheitsarchitektur geben werde, ({44}) dass es neue Bedrohungen geben werde und dass wir auf diese völlig anderen Bedrohungen anders antworten müssten. ({45}) Weil dies wahr ist, habe ich auch mit Interesse das Interview des Bundesaußenministers in der „FAZ“ vom Montag gelesen, in dem er sagt: Die militärische Überlegenheit Amerikas ist nicht das Ergebnis eines großen strategischen Masterplans finsterer Kräfte zur Beherrschung der Welt, sondern eine Tatsache, die sich aus dem Gang der Geschichte ergeben hat. Insofern geht es nicht darum, hier eine antiamerikanische Stimmung zu verbreiten, wenn ich sage, dass auch wir Europäer auf diesem Sektor stärker werden müssen … ({46}) Wir müssen unsere militärische Kraft verstärken, um auch in diesem Sektor als Faktor ernst genommen zu werden. ({47}) Meine Damen und Herren, hier sind wir richtig dabei. ({48}) Denn wenn Sie eine multipolare Welt wirklich wollen, dann muss Europa ein Pol in dieser Welt sein, der nach meinem Verständnis im Übrigen freundschaftlich mit den Amerikanern verbunden ist, und dann muss dieser Pol ökonomische, aber auch sicherheitspolitische Stärke aufweisen. Damit sind wir beim Thema der heutigen Debatte. Schauen Sie sich bitte Ihren Verteidigungsetat vor dem Hintergrund der Worte Ihres Außenministers an. ({49}) Er ist in diesem Jahr und er war im letzen und vorletzten Jahr das genaue Gegenteil dessen, was Sie als politische Notwendigkeit formulieren. Das ist die Aussage dieses Etats. ({50}) Deshalb kann ich nur sagen: Machen wir es dann doch wenigstens so wie Frankreich. Frankreich hat seinen Wehretat um 6 Prozent erhöht. Die französische Verteidigungsministerin läuft freudig umher. Herr Struck, Sie träumen von so etwas. ({51}) Sich damit, militärisch stark sein zu wollen, zu brüsten, aber nichts dafür zu tun, ist das, was diese Bundesregierung auszeichnet. Wort und Tat stimmen auf keinem Feld überein. ({52}) Deshalb ist dieser Haushalt kein Haushalt der Stabilität, sondern ein Haushalt der Stagnation und er ist eine Farce hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit. Am Ende dieses Jahres wird nichts stimmen, aber - um das gleich klar zu stellen - es wird nicht wegen des Irakkrieges nicht stimmen, sondern weil all Ihre Wirtschaftsdaten auf weniger als Sand gebaut sind, weil sie zum Teil erfunden, erhofft oder erträumt sind, aber mit der Realität nichts zu tun haben. ({53}) Herr Müntefering, Sie sprachen von Innovationen - ich bin doch dabei -, aber schauen Sie bitte einmal auf die Investitionen, die notwendig sind, damit es überhaupt Innovationen geben kann. Die Fluthilfe war einmalig und nächstes Jahr fehlen auch die Erlöse aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen. Dann sieht es ganz trübe aus. Schauen Sie sich einmal an, was bei den Wissenschaftsorganisationen los ist. Jetzt haben Sie wieder ein Versprechen auf das nächste Jahr verschoben. Meinen Sie, dass Ihnen in Deutschland noch irgendeine Wissenschaftsorganisation ein Versprechen für das nächste Jahr abnehmen wird? Ihr Problem ist, dass Ihnen in Deutschland innenpolitisch überhaupt kein Mensch mehr irgendein Wort glaubt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Jörg Tauss [SPD]: Die DFG hat sich gerade bedankt! - Die DFG hat sich bedankt, ({54}) weil sie nach langem Ringen überhaupt noch ein bisschen bekommen hat. Soll ich Ihnen sagen, was sie bekommen hat? Sie hat das bekommen, was Sie voriges Jahr versprochen haben und was die DFG bereits ausgegeben hat. ({55}) Die Max-Planck-Gesellschaft hat zum Teil noch überhaupt nichts ausgegeben und sitzt da wie Neese. Wenn sich in Deutschland herumspricht, dass man auf nichts hoffen kann, werden noch mehr Wissenschaftler weggehen. Sie wissen das viel besser, wenn Sie allein in Ihrem Kämmerchen sind. ({56}) Der gesamte Wissenschaftshaushalt ist ein einziges Betrübnis. ({57}) Herr Müntefering, er hat mit Innovation leider wenig zu tun. ({58}) Zu den Kommunen. Herr Müntefering hat heute die Katze aus dem Sack gelassen und gesagt: Na klar, die Schwachen bekommen nichts, aber die Starken bekommen etwas, denn sie können noch Kredite aufnehmen. Da habe ich wieder etwas dazugelernt, nämlich dass die neue sozialdemokratische Politik offensichtlich die Politik ist, die Starken stärker zu machen und die Schwachen schwächer zu machen. Das ist etwas ganz Neues. Wenn das zu Ihrem Prinzip wird, müssen wir uns mehr für die Schwachen einsetzen. ({59}) Tatsache ist, dass Herr Eichel eine Steuerreform im Jahre 2000 gemacht hat. Damals hatten Sie Angst vor dem Vermittlungsausschuss und haben sich die Mehrheit mehr oder weniger erkauft. ({60}) Diese Steuerreform hat fatale Folgen. Dann haben Sie den Kommunen noch die Gewerbesteuerumlage weggenommen und bezichtigen uns jetzt, dass wir Steuererhöhungen nicht zustimmen. Wir stimmen Steuererhöhungen nicht zu, sondern wir wollen, dass Sie die Gewerbesteuerumlage wieder auf ihr altes Niveau zurückführen. Dann wird es den Kommunen wieder besser gehen. Das können Sie völlig mühelos machen. ({61}) Ich wundere mich, dass Sie es nach dem Gegacker des Wochenendes im Blätterwald ({62}) überhaupt noch wagen, uns wegen kleiner Unterschiede in zwei Parteien überhaupt anzusprechen. ({63}) Schauen Sie doch lieber, dass Sie Ihre eigenen Mehrheiten zusammenbekommen. Worin liegt der Unterschied? Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Im Gegensatz zu Ihnen haben CDU und CSU ein Modell für den Kündigungsschutz vorgelegt. ({64}) Nach diesem Modell haben Arbeitnehmer bei Neueinstellung die Möglichkeit, zwischen zwei Optionen, einem normalen Kündigungsschutz oder einer Abfindung, zu wählen. ({65}) Herr Clement hat dieses Modell verworfen, obwohl er genau weiß, dass es richtig ist; denn es versetzt den Arbeitgeber in die Lage, bereits bei der Einstellung Rechtssicherheit darüber zu haben, wie es bei einer Kündigung laufen wird. Deshalb werden wir dieses Modell auch weiterhin vertreten. ({66}) Darüber hinaus hat die CSU zusätzlich einen Vorschlag bezüglich einer Mittelstandskomponente gemacht. Jetzt warten wir ab, welcher von Ihren drei Vorschlägen auf den Tisch kommt. ({67}) Wir haben - da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen - noch weiter gehende Vorschläge, die Deutschland besser tun würden als Ihre. ({68}) Wenn Ihre Vorschläge einigermaßen verträglich sein sollten, dann werden wir ihnen zustimmen. Aber ich vermute, dass Sie noch lange Zeit damit zubringen werden, um sich zu einigen, was Sie überhaupt wollen. ({69}) Herr Müntefering, da Sie ständig wiederholen, wie konkret Sie geworden sind, ({70}) muss ich Sie darauf hinweisen, dass der Bundeskanzler das, was er uns über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gesagt hat, schon seit drei Jahren verkündet. Aber wie immer liegt die Tücke im Detail. Sollen zum Beispiel die Jobcenter bei der Kommune angesiedelt sein? Wenn ja, welche zusätzlichen Aufgaben soll dann die Bundesanstalt für Arbeit bekommen? Unser Vorschlag lautet, den Kommunen mehr Geld zu geben, weil wir der Meinung sind, dass über die Vermittlung ortsnah entschieden werden muss. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die gut zu vermitteln sind, zur Bundesanstalt für Arbeit kommen und diejenigen, die schlecht zu vermitteln sind, bei den armen Kommunen verbleiben. Auf all diese Fragen habe ich von Ihnen noch keine einzige Antwort bekommen. Herr Gerster, die Kommunen und Sie in der Fraktion sind in diesen Fragen zerstritten und können uns deswegen nichts Konkretes sagen. Wir warten darauf, dass Sie uns endlich etwas vorlegen, was über allgemeine Bekundungen hinausgeht. Sie werden es nicht schaffen - das sage ich Ihnen voraus -, die Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammenzulegen, ohne die Fragen zur Gemeindefinanzreform zu klären. Doch davon sind Sie weit entfernt. Sie sind so weit wie am Anfang der ganzen Diskussion. Wir aber wollen auch hier Ergebnisse sehen. ({71}) Der Bundeskanzler hat einige richtige Maßnamen vor; das ist keine Frage. Diese hat er allerdings nur deshalb vorgelegt, weil er am Freitag nach Brüssel muss. Brüssel hat ihm nämlich Daumenschrauben angelegt: Wenn Anfang Mai nicht Konzepte auf dem Tisch liegen, wie Deutschland den Stabilitätspakt auch nur ansatzweise erfüllen will, dann wird Deutschland schwere Strafen zu erwarten haben. Weil Sie, Herr Bundeskanzler, dort rapportieren müssen, haben Sie endlich die Berichte der OECD und der Bundesbank in die Hand genommen und das getan, von dem wir seit Tag und Jahr wissen, dass es in Deutschland getan werden muss, jedenfalls ansatzweise. Das ist die Wahrheit. Ohne diesen Druck hätten Sie gar nichts gemacht. ({72}) Aber, Herr Bundeskanzler, Sie müssen zugeben: Wenn Sie in Ihrem Kämmerlein sitzen und darüber nachdenken, was Deutschland wirklich braucht, dann muss doch auch Ihnen klar werden, dass die Agenda 2010 angesichts der Aufgaben, die vor uns liegen, allenfalls einen kleinen Prolog bekommen hat, der bis zum Juli dieses Jahres reicht, aber doch niemals mit Maßnahmen aufgefüllt wurde, die bis zum Jahr 2010 reichen. Das Problem, das Sie haben, ist - das wird in den kommenden Wochen noch deutlicher werden -: Sie können den Menschen nicht sagen, wohin die Reise geht. ({73}) Ich möchte in diesem Zusammenhang Goethe zitieren, der gesagt hat: Die Teile habt ihr in der Hand, allein es fehlt das einig Band. - Sie haben keine Vorstellung von der Welt in dieser Zeit. ({74}) Sie sind eine Partei, die im Industriezeitalter stecken geblieben ist und die in Verbänden, Schichten und Klassen denkt. Sie haben nicht die Kraft, den Menschen in diesem Lande wirklich etwas zuzutrauen. Das unterscheidet uns. Das wird sich auch in den kommenden Monaten zeigen. Herzlichen Dank. ({75})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Es liegen zwei Wünsche nach einer Kurzintervention vor. Zunächst erhält der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Franz Müntefering, und danach der Abgeordnete Ludger Volmer das Wort. Frau Merkel, Sie können dann im Zusammenhang darauf antworten. ({0}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Worterteilung und die Beurteilung, ob sie korrekt wahrgenommen wird, ist immer noch Sache des Präsidiums. ({1})

Franz Müntefering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel, Sie haben mich an einer bestimmten Stelle angesprochen. Darauf möchte ich eingehen, denn ich habe mich ein wenig gewundert. ({0}) Diese Stunde, die Diskussion des Kanzleretats am Mittwochmorgen, ist immer die große Zeit des Parlaments. Das Parlament nimmt sein Recht wahr, die Bundesregierung zu kontrollieren. Das ist eine besondere Aufgabe der Opposition. ({1}) Ich habe vorhin mit Interesse erfahren, dass Sie nicht bereit waren, vor dem Bundeskanzler zu sprechen und die Regierungspolitik zu kritisieren. Sie haben darum gebeten, dass der Bundeskanzler als Erster spricht, damit Sie antworten können. Das haben wir akzeptiert, ({2}) weil wir uns vorstellen konnten, dass Sie ein Interesse daran haben, auch auf die außenpolitische Situation einzugehen. ({3}) Ich muss Ihnen aber sagen: Das, was Sie hier abgeliefert haben, war keine Antwort, es war eine vorbereitete Frechheit und nichts anderes. ({4}) - Es tut mir Leid für Sie. Sie behaupten, wir hätten durch unsere Politik dazu beigetragen, dass der Krieg im Irak wahrscheinlicher wird. ({5}) Ich sage Ihnen: Halten Sie an der Stelle ein! ({6}) Zerstören Sie nicht all das, was in diesem Land unter Demokraten miteinander gewachsen ist. Halten Sie ein! ({7}) Deshalb war Ihre Bitte, nach dem Kanzler zu reden, feige und die Art und Weise, wie Sie uns angegangen sind, frech. ({8}) Ich habe mich aber nicht um meinetwillen gemeldet. Die deutsche Geschichte zeigt, dass die Sozialdemokraten, seitdem es sie gibt, dazu beigetragen haben, dass Frieden in diesem Land und darüber hinaus herrschte. An Krieg und ähnlichen Dingen waren wir nie beteiligt. So etwas haben wir auch nie mit ausgelöst. Diese geschichtliche Tatsache merken Sie sich einmal! ({9}) Ich habe mich gemeldet, weil Sie durch die Art und Weise, mit der Sie hier agierten, Millionen Menschen in diesem Land beschimpft haben. ({10}) Es geht um die Menschen, die in den vergangenen Tagen unterwegs waren - und immer noch unterwegs sind -, um zu demonstrieren - Junge und Alte - und um uns Politikern zu sagen, dass sie Angst haben und dass wir dafür sorgen sollen, dass es diesen Krieg nicht gibt. Darum bemühen wir uns. Sie beschimpfen auch all diejenigen, die sich in diesen Tagen auf den Weg gemacht und uns alle miteinander darum gebeten haben, hier aktiv zu sein und alles Mögliche zu tun, damit weiterhin Frieden herrscht. Ihre Vorwürfe an diese Menschen und auch an uns weise ich zurück, Frau Merkel. ({11}) Solange es in Zukunft Menschen gibt, wird es auch Gewalt auf der Welt geben. Es wird in einer veränderten Welt immer komplizierter und schwieriger werden, mit dieser Gewalt klarzukommen. Ich sage Ihnen: Wir stehen vor einer großen Herausforderung, die am Beispiel Irak exemplarisch zu diskutieren und nachzuvollziehen ist. Der Bundeskanzler, diese Bundesregierung und diese Koalition werden mit ihrem Bemühen, bis zum letzten Augenblick dafür zu kämpfen und zu streiten, dass das Problem Irak friedlich gelöst werden kann, historisch Recht behalten. Dafür stehen die Sozialdemokraten, dafür steht diese Koalition. ({12})

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Merkel, ich wollte Ihnen vorhin gerne eine Zwischenfrage stellen. Da Sie sie abgelehnt haben, muss ich Sie nun in einer Kurzintervention mit dem konfrontieren, was Sie gestern Abend gesagt haben. Sie haben viel über das geredet, was Sie getan hätten, wären Sie an der Regierung gewesen. Ich will darüber sprechen, was Sie tun, während Sie in der Opposition sind. Sie haben gestern Abend erklärt, Sie unterstützten das Ultimatum von Präsident Bush. ({0}) Auf Nachfrage von Journalisten - das ist zum Beispiel in der heutigen Ausgabe der „Berliner Zeitung“ nachzulesen - haben Sie gesagt: „Wenn wir uns hinter das Ultimatum stellen, dann impliziert das alle Folgen, die sich mit dem Ultimatum ergeben …“ Folge eins: Die Inspektoren sind abgezogen worden. Damit ist die erfolgs- und hoffnungsträchtige friedliche Abrüstungsmission gescheitert. ({1}) Auch für diese Folge müssen Sie die Konsequenzen mittragen. Folge zwei: Just in diesem Moment geht die Meldung über die Ticker, dass amerikanische Truppen in die entmilitarisierte Zone im Irak eingerückt sind. Das heißt, der Krieg beginnt in dieser Minute. Sie, Frau Merkel, verantworten mit Ihrer Äußerung von gestern Abend diese fatale Entwicklung mit. ({2}) Frau Merkel, wenn heute oder morgen Nacht der größte militärische Erstschlag der Kriegsgeschichte verübt wird, dann mögen die 3 000 Waffen, die dort eingesetzt werden, noch so zielgenau sein und mancher Schlag noch so chirurgisch präzise sein. Es wird Tausende von Toten und Zehntausende von Verletzten sowie Millionen von Flüchtlingen geben. Diese Konsequenzen, Frau Merkel, implizieren Sie mit. ({3}) Dazu hätte ich mir von Ihnen eine klare Haltung gewünscht. Ich sage Ihnen: Ich wundere mich über den Stimmungswechsel in der Union. Zwei Jahre zuvor, im Frühjahr 2001, hatten wir in den Ausschüssen eine Debatte darüber - hören Sie gut zu -, ob nicht das Embargo gegenüber dem Irak aufgehoben werden müsse. Diese Debatte wurde von der CDU/CSU mit der Begründung angemahnt, der Irak sei doch gar nicht mehr gefährlich und von ihm gehe keine Gefahr mehr für den Weltfrieden aus. ({4}) Die Bundesregierung - das war teilweise meine Rolle - hat damals erklärt: Wir müssen über die Aufhebung der Sanktionen reden, aber bitte vergessen Sie nicht, dass der Irak Potenziale zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen besitzt, die unschädlich gemacht werden müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Volmer, Ihnen stehen für eine Kurzintervention nur drei Minuten Redezeit zur Verfügung. Diese sind jetzt vorbei.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sorry! Frau Merkel, Ihre Politik ist inkonsistent. Wie Sie versuchen, Ihre inneren Widersprüche - Herr Glos hat heute Morgen erklärt, er verstehe die Politik von Herrn Bush nicht - zu kaschieren, indem Sie diese Bundesregierung angreifen, ist schändlich.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Volmer, ich muss Sie jetzt bitten aufzuhören.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie betreiben ein schändliches Spiel mit all denjenigen, die eine friedliche Lösung suchen. ({0})

Dr. Angela Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001478, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Müntefering, ich weiß nicht, ob wir uns in diesem Hause mit Kindererziehungsmethoden beschäftigen sollten. Ich nenne nur die Stichworte „Kulleraugen“ - das war Freitag - und „frech“ von heute. ({0}) - Wofür soll ich mich denn entschuldigen? Herr Müntefering hat diese Äußerungen gemacht. Erstens. Ich möchte Sie nur daran erinnern, Herr Müntefering, dass uns der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland in einer seiner letzten Reden als die Koalition der Kriegswilligen bezeichnet hat. ({1}) Dies war eine nicht zu überbietende Äußerung, von der ich noch heute sage, dass sie völlig daneben und ungerechtfertigt war. Genau dazu äußern wir uns und das können Sie uns nicht verbieten. Das ist in diesem Parlament immer noch möglich. ({2}) Zweitens möchte ich, damit hier keine Missverständnisse bei den Menschen, die uns zuschauen, entstehen, sagen: Ich habe 35 Jahre lang in einem Land gelebt, in dem man nicht demonstrieren durfte. Deshalb werde ich die Letzte sein, die nicht respektiert, dass Menschen für das, was sie für richtig halten, in diesem Land demonstrieren. ({3}) Ich freue mich darüber, dass das möglich ist. Trotzdem erlaube ich mir, ab und zu eine andere Meinung zu haben. ({4}) Drittens. Herr Volmer, ({5}) es ist fatal: Die Bundesregierung hat die Resolution 1441 mit verabschiedet. ({6}) - Die Bundesregierung hat sie auf dem NATO-Gipfel in Prag ausdrücklich unterstützt, obwohl Deutschland damals noch nicht im UN-Sicherheitsrat war. Damit gilt sie als politisch mit getragen durch die Bundesregierung. Das wissen Sie doch auch. Stellen Sie es hier nicht infrage! ({7}) Wie auch immer die Diskussionen im Jahr 2000 gewesen waren: Irgendetwas muss alle in diesem Haus dazu veranlasst haben, zu sagen, dass der Irak unverzüglich und als letzte Chance abzurüsten hat, weil ihm ansonsten „serious consequences“, ernsthafte Konsequenzen, drohen. Das haben Sie und wir unterstützt. Dabei sollten wir auch am heutigen Tag bleiben. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt doch ein paar Worte sagen. Jeder merkt, dieses Thema ist für alle Seiten sehr aufwühlend. Ich finde aber, wir müssen unter uns - das sage ich an alle Seiten gerichtet klarstellen, dass der Krieg nicht in diesem Raum stattfindet, auch nicht in Worten. ({0}) Wir müssen auch morgen wieder zusammenarbeiten. Ich bitte, daran auch in Zukunft zu denken. ({1}) Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch sagen: In einer wirklich sinnvollen Regelung, die historische Ursachen hat, hat man festgelegt, dass die Leitung der Sitzungen nicht kritisiert werden darf. Es finden permanent Eingriffe statt. Ich kann Ihnen versichern: Ich kenne die Geschäftsordnung ziemlich gut und ich weiß, was ich darf und was nicht. Ich weiß auch, dass Kurzinterventionen drei Minuten dauern dürfen. Diese Zeit einzuhalten ist wirklich die leichteste Übung. Diese können Sie mir überlassen. ({2}) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gerhard Rübenkönig.

Gerhard Rübenkönig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002767, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Frau Merkel, das, was Sie heute von sich gegeben haben, bestätigt genau das, was Sie in der „Washington Post“ schon vor einigen Wochen gesagt haben. Sie haben dem Kanzler unterstellt, er habe Sie als Koalition der Kriegswilligen bezeichnet. Nach Ihrem heutigen Redebeitrag und Ihrem gestrigen Interview muss ich feststellen, dass der Kanzler damit völlig richtig liegt. Ich unterstütze von dieser Stelle aus die Position der Bundesregierung und der sie tragenden Koalition. Die Initiativen und die Aktivitäten für den Frieden im Irak gehen weiter. Wir geben die Hoffnung nicht auf, obwohl die Stunde der Wahrheit, wie Sie es bezeichnen, offensichtlich gekommen ist. Ich möchte als Haushälter auf das zurückkommen, was uns in dieser Woche berührt, und auf den Haushaltsplan eingehen. Ich möchte auch zu dem Thema reden, das der Kanzler am Freitag, dem 14. März, angesprochen hat, und darüber, was er von diesem Haus erwartet und was wir machen wollen. Wir stehen vor schweren Aufgaben. Das haben die Verhandlungen über den Haushalt in diesen schwierigen Wochen gezeigt. Die Wachstumsraten sind seit dem Ende des kurzen - hören Sie gut zu, meine Damen und Herren von der Opposition - Wiedervereinigungsbooms, spätestens jedoch seit 1992 maßgeblich zurückgegangen. Seit über zehn Jahren leidet die deutsche Volkswirtschaft an einer viel beschriebenen strukturellen Wachstumsschwäche. Bis 1998 ist diese Wachstumsschwäche durch eine steigende Staatsverschuldung unter Ihrem damaligen Kanzler Kohl und Bundesfinanzminister Waigel kaschiert worden. Deshalb wurden die Lasten und das ganze Ausmaß erst sehr spät erkannt und deutlich. Mit dem Bundeshaushalt 2003 leistet der Bund seinen Beitrag zum notwendigen Abbau des gesamtstaatlichen Defizits. Eine nachhaltige Finanzpolitik darf nicht nur von einer reinen Sparpolitik geprägt sein, sondern muss die Strukturen des Bundeshaushalts nachhaltig verbessern. Deshalb verbinden wir Konsolidierung mit gestaltender Politik. Alles in allem konnte als Ergebnis der Beratungen ein Gesamtvolumen von 247,9 Milliarden Euro und eine Nettokreditaufnahme von 18,9 Milliarden Euro beibehalten werden. Dies ist die geringste Neuverschuldung des Bundes seit der Wiedervereinigung ({0}) und eine Reduzierung gegenüber dem Ergebnis von 2002 um rund 13 Milliarden Euro. Dennoch - und das sei an dieser Stelle auch gesagt, weil ich gerade in den letzten Tagen andere Äußerungen gehört habe - werden die Investitionen mit 26,7 Milliarden Euro unverändert auf einem sehr hohen Niveau gehalten. Die Ergebnisse der Beratungen sind eine gute Voraussetzung dafür, das gesamtstaatliche Defizit dieses Jahres unter 3 Prozent zu halten. ({1}) Bedingung dafür ist natürlich auch - Ihr Zwischenruf macht es ganz deutlich -, dass die CDU/CSU-regierten Länder dem Steuervergünstigungsabbaugesetz in einigen Passagen zustimmen, damit wir die Kommunen und die Länder, was vorhin angedeutet worden ist, besser stellen können. ({2}) Ich glaube, dass Sie nicht in der Lage sind, die erforderlichen Maßnahmen zu beschließen. Frau Präsidentin, ich darf ganz kurz einen Ausschnitt mit der Überschrift „CDU/CSU - Zänkische Schwestern“ aus dem „Handelsblatt“ von gestern zitieren, der das deutlich macht: Für die Union neigt sich die bequeme Zeit des bloßen Neinsagens dem Ende zu. Seit der Kanzler mit dem Mut der Verzweiflung die Pläne zum Umbau des Sozialstaats in ungewöhnlicher Genauigkeit - hören Sie genau zu skizziert hat, müssen CDU/CSU ihrerseits Farbe bekennen. Kaum aber wird es bei den Konservativen konkret, kracht es auch schon mächtig im Gebälk. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel unterbreitet Alternativen, aber diese werden vom CSUVorsitzenden Edmund Stoiber verworfen. Das ist genau der Punkt, der immer wieder deutlich wird: dass wir bereit sind, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Wachstumskräfte wieder entfalten können. Ich denke allerdings, dass wir alle bereit sein müssen, diesen Rahmen auszufüllen, damit unser Land wieder nach vorne gebracht wird. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, dass Sozialstaat und wirtschaftliche Leistungskraft immer wieder aufs Neue austariert werden. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen und der wir uns stellen müssen. Dabei verbieten sich radikale Lösungen, wie sie derzeit täglich in vielen Zeitungen von neoliberalen Kommentatoren und auch von einigen von Ihnen angeboten werden. So können wir den Staat sicherlich nicht reformieren. ({3}) Wir wollen keine andere Gesellschaft in Deutschland. Wir wollen keine Gesellschaft des Hire and Fire, keine Entsolidarisierung und Ausgrenzung und keinen schwachen Staat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Maßnahmen, die der Kanzler in der Regierungserklärung mit der Agenda 2010 vorgestellt hat, die Deutschland voranbringen werden und deren Grundgedanken ich nochmals kurz darstellen möchte, setzen zu Recht an beiden Seiten an. Die Strukturreformen auf der Angebotsseite werden ihre positive Wirkung mittelfristig entfalten. Kurzfristig werden die Nachfrageimpulse über die Stärkung kommunaler Investitionen bereits in diesem Jahr positiv wirken. Eines steht unverändert fest: Ohne Strukturreformen verpufft jeder Nachfrageimpuls. Ohne konjunkturpolitisches Gegensteuern laufen die Reformen ins Leere. Deswegen verbessern wir die Investitionsbedingungen für die Kommunen und investieren mehr in die Forschung. Wir reformieren den Arbeitsmarkt über das Hartz-Konzept hinaus und senken dadurch die Lohnnebenkosten maßgeblich. Dieses Wachstums- und Beschäftigungskonzept ist in sich schlüssig und in die Zukunft gerichtet. Die Agenda 2010 wird zu mehr Investitionen führen. Die Bundesregierung und die sie tragende Koalition stellen die Gemeinden bereits in diesem Jahr um bis zu 2 Milliarden Euro besser. Im Interesse der Kommunen bitte ich für die notwendigen Gesetzgebungsvorhaben auch um Ihre Unterstützung. Die Besserstellung bringt die Gemeinden in die Lage, das Investitionsprogramm in Höhe von insgesamt 15 Milliarden Euro zu nutzen. Darüber hinaus werden die Kommunen ab 1. Januar 2004 von der Zahlung für die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger entlastet und die Gemeindefinanzen reformiert. Dadurch werden die Gemeinden in Milliardenhöhe entlastet. Sie gewinnen Gestaltungsspielraum, den sie zum Beispiel für Investitionen und Kinderbetreuung nutzen können. Zeigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, auch hier mehr Mut und seien Sie bereit, diese Reformen mit uns zu tragen! ({4}) Die Agenda 2010 wird auch zu mehr Beschäftigung führen. Wir werden die Rahmenbedingungen für den Mittelstand deutlich verbessern und das Arbeitsrecht an den Stellen flexibilisieren, an denen sich im Laufe der Jahre - in Ihrer Regierungszeit! - Beschäftigungshemmnisse gebildet haben. Eingeführt werden der gleitende Kündigungsschutz, das Optionswahlrecht, die Sozialauswahl und verbesserte Regelungen für Existenzgründer. Durch diese Neuregelungen wird die psychologische Hemmschwelle bei Neueinstellungen unseres Erachtens deutlich vermindert. Gleichzeitig wird aber auch die Handwerksordnung flexibilisiert. Auch dabei sind Sie gefordert, meine Damen und Herren. Denn bei diesem Konzept handelt es sich nicht um eine Sackgasse; vielmehr wird es zu einer deutlichen Zunahme der Existenzgründungen und Beschäftigungsverhältnisse führen. ({5}) Darüber hinaus erhalten Langzeitarbeitslose bessere Chancen, wieder Arbeit zu finden. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe werden zusammengelegt, um Zuständigkeit und Leistungen aus einer Hand sicherzustellen. Gleichzeitig werden Langzeitarbeitslosen, die eine Beschäftigung aufnehmen, für eine bestimmte Zeit deutlich mehr als die bisherigen 15 Prozent der Transferleistungen belassen. Wir setzen damit ein deutliches Signal für die Menschen in unserer Gesellschaft, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Die Agenda 2010 entlastet vor allen Dingen diejenigen, die mit ihrer Leistung in stärkerem Maße unser soziales System erhalten. Die Menschen, die in den Betrieben und in den Büros ihre Arbeit tun, erwarten, dass wir - auch Sie fordern das ja ständig - die Belastung durch Steuern und Abgaben senken. Wir werden wie geplant die Steuern zum 1. Januar 2004 und noch einmal zum 1. Januar 2005 senken. ({6}) Zu unseren Maßnahmen zur Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme: Wir erwarten von der RürupKommission ergänzende Vorschläge für eine Anpassung der Rentenformel. Wir werden, wie es der Bundeskanzler angekündigt hat, versuchen, durch Umsetzung ordnungs- und strukturpolitischer Maßnahmen die KrankenGerhard Rübenkönig versicherungsbeiträge auf unter 13 Prozent zu drücken. Des Weiteren werden wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für die unter 55-Jährigen auf zwölf Monate und für die über 55-Jährigen auf 18 Monate begrenzen. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Dies fällt uns Sozialdemokraten sicherlich nicht leicht. Aber es gibt keine andere Alternative. Deshalb ist unsere Entscheidung richtig. Ich denke, wir werden das auch umsetzen. ({7}) Die Agenda 2010 eröffnet Perspektiven für eine bessere Zukunft. Aus diesem Grund investieren wir in Bildung und Forschung, in Kinderbetreuung, in Ganztagsschulen, in neue Technologien wie zum Beispiel den Transrapid und in die Grundlagenforschung deutlich mehr als Sie während Ihrer Regierungszeit. Deshalb setzen wir in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation ein Zeichen und erhöhen im kommenden Jahr die Etats der Max-Planck-Gesellschaft und anderer Forschungseinrichtungen um 3 Prozent. Deshalb fördern wir auch - lassen Sie mich darauf kurz zurückkommen solche notwendigen Technologien wie den Transrapid mit 2,3 Milliarden Euro. Dies ist kein Unsinnsprojekt, wie Sie es gestern formuliert haben, Herr Austermann, und wie auch Ihr ehemaliger Zukunftsminister ständig behauptet hat. Wir stehen dazu. Wir brauchen solche neuen Technologien; denn wir sind der Meinung, dass so ein dringend notwendiger Ruck durch den Wirtschaftsstandort Deutschland geht. ({8}) Lassen Sie mich abschließend Folgendes feststellen: Wir halten an den Zielen fest, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und die Maastricht-Kriterien zu beachten, auch wenn der Weg - das sage ich sehr deutlich - schwieriger geworden ist und auch wenn das nur bei strikter Ausgabendisziplin und einer wirtschaftlichen Erholung zu meistern ist. Wir haben uns vorgenommen, das Land zu modernisieren, die Zukunftsfähigkeit Deutschlands zu stärken sowie die Politik der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzutreiben. Mit der Agenda 2010 und der Konsolidierung des Bundeshaushalts sorgen wir für mehr Investitionen im Bereich der Kommunen, der Wirtschaft und der privaten Haushalte. Wir schaffen damit die Voraussetzungen für mehr Beschäftigung, Wachstum und soziale Sicherheit in Deutschland. Der Bundeshaushalt 2003 trägt diesen Zielen Rechnung. Daher stimmen wir dem Einzelplan 04 wie auch dem Gesamthaushalt zu. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich habe noch einen Ordnungsruf zu erteilen. Herr Kollege Ramsauer hat in Bezug auf die Fraktionsvorsitzende des Bündnisses 90/Die Grünen gesagt: „Sie sind eine Dreckschleuder.“ ({0}) Ich rufe Sie dafür zur Ordnung. Außerdem rufe ich Sie dafür zur Ordnung, dass Sie der amtierenden Präsidentin gestern „Feigheit“ in der Sitzungsleitung vorgeworfen haben. ({1}): Das ist richtig! - Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Darf ich mich dazu äußern? - Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie werden gleich rausgetragen, Herr Ramsauer!) - Nein, Sie dürfen sich zu Ordnungsrufen nicht äußern. ({2}) - Herr Kollege Ramsauer, wenn ich Sie das dritte Mal zur Ordnung rufe, dann müssen Sie diese Sitzung verlassen. Sie wissen, dass es da einen berühmten Präzedenzfall gibt. ({3}) Bitte, lassen Sie das! ({4}) Jetzt hat der Kollege Kampeter das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Vortrag des Kollegen Rübenkönig zur Agenda 2010 muss man klar machen, dass dieses Programm auch „4711“ heißen könnte. ({0}) Dieses Programm ist ohne jedwede Perspektive für unser Land und es enthält keine tief greifende wirtschaftspolitische Analyse. Die Quintessenz der Agenda 2010 wird sein, dass man den Haushaltsansatz um 1 Million Euro verändert hat. Soll das ein Zukunftsprogramm mit Blick auf das Jahr 2010 sein? Das ist eher lächerlich als überzeugend. ({1}) Der Haushaltsentwurf der rot-grünen Bundesregierung ist letztlich ein Dokument wirtschafts- und finanzpolitischer Hilflosigkeit. Die Fakten liegen auf dem Tisch. Der Sachverständigenrat, die Bundesbank, die wissenschaftlichen Forschungsinstitute und der Internationale Währungsfonds, sie alle glauben, dass Deutschland vor drei zentralen Herausforderungen steht: Erstens. Unser Land hat eine tiefe Konjunkturkrise zu überwinden. Die Binnenkonjunktur liegt am Boden. Vom Export gehen leichte Impulse aus. Die Bundesregierung setzt im Wesentlichen darauf, dass die amerikanische Volkswirtschaft zur Lokomotive wird. Während diese Bundesregierung im außenpolitischen Bereich gegen die Amerikaner arbeitet, setzt sie im wirtschaftspolitischen Bereich Hoffnung auf sie. Zweitens: die Überwindung der hartnäckigen Strukturkrisen. Die Strukturkrisen treffen uns insbesondere auf dem verkrusteten Arbeitsmarkt. Man kann sie aber auch im überbordenden Steuersystem identifizieren. ({2}) Drittens - diese Herausforderung wird diese Bundesregierung mit der Agenda 2010 wahrscheinlich nicht bewältigen -: die Überwindung einer vielschichtigen, tief greifenden Vertrauenskrise in unserem Land. ({3}) Derzeit ist die Vertrauenskrise das Kernübel in der Bundesrepublik. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt es an Vertrauen; denn sie trauen den staatlichen Entscheidungsträgern nicht mehr und sie haben angesichts von 5 Millionen Arbeitslosen Sorge um ihren Arbeitsplatz. Sie verweigern sich dem Konsum. Als Ausdruck dieser enormen Vertrauenskrise steigt die Sparquote. Die Unternehmen reagieren auf diese Vertrauenskrise dadurch, dass sie Investitionen zurückstellen. Die Anleger bekommen diese Vertrauenskrise dadurch zu spüren, dass der DAX im internationalen Vergleich sehr viel stärker als die Aktienindizes der übrigen europäischen Volkswirtschaften zurückgegangen ist. ({4}) Auch unsere sozialen Sicherungssysteme, insbesondere das Rentensystem, spüren diese Vertrauenskrise; denn keiner glaubt, dass dieses soziale Sicherungssystem noch in der Lage ist, Jüngeren dauerhaft Alterseinkünfte zu sichern. Die Hauptursache für die vielfältige Vertrauenskrise in Deutschland hat gewissermaßen ein Gesicht: diese Bundesregierung. Die falsche Politik von Rot-Grün muss daher beendet werden. ({5}) Um Deutschland wieder nach vorne zu bringen - darüber diskutieren wir in dieser Woche -, ist es nötig, die vor uns liegenden Aufgaben entschlossen anzugehen. Leitlinie und Kompass der Union bleiben dabei die soziale Marktwirtschaft für das 21. Jahrhundert. Mehr Wettbewerb und weniger Bevormundung, das muss das Leitmotiv aller Reformschritte der nächsten Wochen, Monate und Jahre sein. Mehr Eigenverantwortung und weniger Bürokratie, daran müssen sich alle Gesetzgebungsvorhaben, die uns aus der Krise herausführen sollen, messen lassen. Im Hinblick auf das, was der Kollege Müntefering und der Kollege Rübenkönig heute hier vorgetragen haben, muss man feststellen, dass alle von Rot-Grün geplanten Maßnahmen die Vertrauenskrise in Deutschland eher verschärfen denn überwinden. Damit wird die falsche Richtung eingeschlagen. ({6}) Wenn der Kollege Müntefering hier die abenteuerliche Behauptung aufstellt, dass Rot-Grün etwas für die Gemeinden tut, dann zeigt das, dass er offensichtlich schon lange nicht mehr in einem Rathaus war. In den Rathäusern wird darüber geklagt, dass die falsche Wirtschaftsund Steuerpolitik die Kommunen in das finanzielle Aus treibt und dass jede Woche ein neues, dramatisches Steuerloch in den Haushalten entsteht. Kein Kämmerer in Deutschland freut sich eigentlich über Ihr Programm, mit dem Sie zinsverbilligte Kredite anbieten; denn die meisten Kommunen in Deutschland dürfen gar keine weiteren Kredite aufnehmen, weil sie schon überschuldet sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie ignorieren die Lage in Deutschland. Weil Sie die Wirklichkeit nicht wahrnehmen wollen, sind Ihre Rezepte völlig falsch. ({7}) Heute ist noch einmal gesagt worden, es würde zur Verbesserung der Lage in Deutschland beitragen, wenn wir das Steuererhöhungsgesetz, das am Freitag im Bundesrat abgelehnt worden ist, doch noch in Kraft setzen. Das ist eine Irreführung. Dahinter steht der alte sozialdemokratische und damit falsche Glaube, dass höhere Steuersätze zu Steuermehreinnahmen führen. ({8}) Das Gegenteil ist richtig. ({9}) Niedrigere Steuersätze werden unseren Staatshaushalt eher konsolidieren, weil sie wachstumsförderlich sind. Deswegen ist die Behauptung des Kollegen Müntefering, dass dieses Steuersatzerhöhungsprogramm den Kommunen hilft, irreführend. Das ist eine Täuschung. Das darf hier nicht unwidersprochen bleiben. Ebenso wenig darf unwidersprochen bleiben, dass die Forschungsinvestitionen in Deutschland auf einem guten Weg sind. Der Kollege Müntefering hat hier angeführt, dass Innovationen gesichert werden sollen und dass es darum geht, soziale Gerechtigkeit auf hohem Niveau zu gewährleisten. Ich glaube nicht, dass Innovationen das Ziel haben, soziale Gerechtigkeit zu garantieren. Vielmehr sollen sie wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es schon einigermaßen erstaunlich, dass die großen Forschungseinrichtungen in Deutschland - ich nenne die MaxPlanck-Institute, ich nenne die Fraunhofer-Gesellschaft und ich nenne die Deutsche Forschungsgemeinschaft entgegen der Zusage der Bundesregierung nicht die zusätzlichen Mittel bekommen, die sie für ihre Arbeit an sich benötigen. Das ist ein Schlag gegen den Forschungsstandort Deutschland ({10}) und das ist eine Aufforderung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dieses Land, das sich nicht mehr um seine Forscherinnen und Forscher kümmert, endlich zu verlassen. Das ist ein Signal, das von diesem Haushalt ausgeht. Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass wir den Haushalt ablehnen werden. ({11}) Das gilt auch für die hier bereits angesprochenen Strohfeuerprogramme mit Zinsvergünstigungen für den Baubereich. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland derzeit in einer Niedrigzinsphase. Investitionen werden durch Zinssubventionen nicht in dem Maß gefördert, wie das vielleicht bei den alten Beschäftigungsprogrammen von Rot-Grün noch der Fall war. Diese Strohfeuerprogramme sind so angelegt, glaube ich, dass es noch nicht einmal ein Strohfeuer geben wird. Die Programme werden verpuffen. Sie werden der Bauwirtschaft keinen wesentlichen Impuls geben. Was wir für die Bauwirtschaft brauchen, ist eine Veränderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, die es wieder attraktiv machen, im Baubereich zu investieren. Dazu hat die Regierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Kraft. ({12}) Noch nicht einmal das, für das sich die Regierung selbst rühmt, klappt, nämlich das Verkaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lesen in der Zeitung von heute, dass der Regierungssprecher schwer angeschlagen ist, weil die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Unterschlagung und anderer Delikte gegen ihn eingeleitet hat. ({13}) Ich wüßte nicht, dass es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen Regierungssprecher gegeben hat, der sich einer solchen Herausforderung gegenübergesehen hat. ({14}) Mit jedem Tag, an dem der Bundeskanzler weiter duldet, dass ein so Beschuldigter für die Regierung spricht - das mag ein Markenzeichen für schlechte Politik sein -, ({15}) übernimmt er mehr an Verantwortung für das, was der Grund für die Anklage ist, die offensichtlich vorbereitet wird. Deshalb fordert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Debatte über den Etat des Kanzleramts die Entlassung des Regierungssprechers durch den Bundeskanzler. ({16}) Herr Kollege Müntefering, auch wenn Sie glauben, im Augenblick der Parlamentsdebatte nicht folgen zu müssen, ({17}) sage ich Ihnen: Im Kern geht es darum, ob die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereit und in der Lage ist, sich der Herausforderung einer gemeinwohlorientierten Politik in Deutschland zu stellen. Es gibt in diesem Zusammenhang eine sehr intensive Diskussion darüber, ob der Staat nicht Opfer organisierter Interessen ist. Es gibt einige Hinweise darauf, dass es für Wachstum und Beschäftigung schädlich ist, wenn sich Fraktionen zu sehr bestimmten Partikularinteressen öffnen. ({18}) Es gibt zum Beispiel eine Analyse eines bekannten Ökonomen, von Mancur Olson, der das unter dem Titel „Aufstieg und Niedergang von Nationen“ belegt hat. Diejenigen, die sich nur den Interessengruppen widmen und ausschließlich deren Interessen im Gesetzgebungsverfahren einzubringen versuchen, wirken beim Niedergang von Nationen mit. ({19}) Die starke Verflechtung einer bestimmten Interessengruppe mit Ihrer Bundestagsfraktion ist, glaube ich, eine wesentliche Wachstumsbremse in der Bundesrepublik Deutschland. Das muss hier vor dem Forum der deutschen Öffentlichkeit deutlich ausgesprochen werden. ({20}) Wir sind sehr dafür, die Kompetenz von Verbänden oder Institutionen einzubeziehen. Aber man muss, wenn es Vorschläge gibt - wir haben ja in der Bundesrepublik kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsdefizit -, auch handeln. Ich will am Beispiel des Papieres der Bundesbank einmal aufzeigen, in welche falsche Richtung Ihre wirtschaftspolitischen Rezepte zum gegenwärtigen Zeitpunkt gehen. Die Bundesbank ist deswegen unverdächtig, eine besondere Nähe zu den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Opposition zu haben, weil an ihrer Spitze ein gestandener Sozialdemokrat steht. Sie genießt in der Bevölkerung ein hohes Maß an Vertrauen. Die Vorschläge, die sie vor wenigen Tagen unterbreitet hat, lassen an Klarheit nichts vermissen: Die Bundesbank fordert eine Konsolidierung auf der Ausgabenseite, insbesondere beim staatlichen Konsum, weil sich dies in der Vergangenheit als am erfolgreichsten für die Erreichung der Maastricht-Kriterien erwiesen hat. Das Gegenteil macht diese Bundesregierung: Der staatliche Konsum wird erhöht und die Investitionen werden gesenkt. Die Vorschläge der Bundesbank finden keine Berücksichtigung. Das schadet unserem Land, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({21}) Die Bundesbank fordert, dass die gesamtwirtschaftlichen Annahmen einer Konsolidierungsstrategie vorsichtig gesetzt werden. Zu optimistische Prognosen entsprechen nicht einem verlässlichen und vertrauensbildenden Konsolidierungskurs. Die Wahrheit aber ist, dass diese Bundesregierung das Wirtschaftswachstum in Deutschland beharrlich zu hoch angibt und die Arbeitslosigkeit zu niedrig einschätzt. Vor diesem Hintergrund schadet die Politik der Bundesregierung einem dauerhaften Konsolidierungserfolg in Deutschland. ({22}) Schließlich fordert die Bundesbank die Einbettung von Konsolidierungsmaßnahmen in erforderliche strukturelle Reformen, um die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsperspektiven zu verbessern. Die Wahrheit bei dieser Bundesregierung aber ist - das ist uns seit der angeblichen Ruckrede vom Freitag klar -, dass es hier nicht um richtige Reformen, sondern lediglich um Reförmchen geht. Die Reformen werden nicht entschlossen angegangen. Keine der notwendigen Strukturreformen, beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, wird vorangetrieben. Lediglich in Teilbereichen werden Rezepte angeboten. Es schadet unserem Land, dass der Ratschlag der Bundesbank auch in dieser Frage nicht entsprechend berücksichtigt wird und die Beschreibung von Problemen als Ersatz für Handeln dient. ({23}) Dies gilt leider auch für die Stabilität der gemeinsamen Währung, die wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durch die Politik der Bundesregierung eher gefährdet als gefördert sehen. In Maastricht haben sich die Partner des Euroraumes gegenseitig versprochen, die Stabilität der gemeinsamen Währung durch Haushaltsdisziplin zu sichern. Dem deutschen Finanzminister steht zwar zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Wasser bis zum Hals; aber er setzt sich nicht für die Einhaltung des Maastricht-Vertrages ein. Seine Bekenntnisse am gestrigen Tag waren windelweich. Der deutsche Finanzminister wird zum Weichmacher der europäischen Währung. Das ist gegen das deutsche Interesse. Deswegen werden wir diese Politik nicht weiter unterstützen. ({24}) Im Verlauf dieser Debatte ist auch einiges zur Privatisierung in Deutschland gesagt worden. Vor wenigen Tagen hat die Deutsche Telekom einen Jahresverlust bekannt gegeben, der mit 24,8 Milliarden Euro höher ist als die Nettokreditaufnahme des Bundes. Die Bundesregierung sitzt im Aufsichtsrat dieses Unternehmens. Wir werden im Verlauf der nächsten Wochen und Monate sehr genaue Auskunft darüber verlangen, ob sie ihre Eigentümerposition im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler so wahrgenommen hat, dass vom deutschen Steuerzahler Schaden abgewendet wird. Denn wir müssen aus unserem Beteiligungsbesitz bei der Telekom und den Postunternehmen die Postpensionskassen finanzieren. Der Beteiligungsbesitz liegt durch die miese Politik der Bundesregierung ({25}) deutlich unterhalb von den 580 Milliarden Euro, die wir in den nächsten Jahren zur Finanzierung der Postpensionen aufbringen müssen. ({26}) Wenn in diesem Zusammenhang auch noch immer wieder Diskussionen darüber aufkommen, dass große Banken schlechte Kredite mit Staatsgarantien absichern, dann ist das angesichts eines Pleitenrekordes im Mittelstand nur noch zynisch zu nennen. Diese Politik schadet Deutschland. Wir werden sie in umfassender Art und Weise ablehnen. Bei den anstehenden Reformarbeiten wird es entscheidend darauf ankommen, dass die Grundzusammenhänge erkennbar bleiben. Es ist dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage zuzustimmen, wenn er in seinem letzten Jahresgutachten schreibt, dass das Kurieren an den Symptomen nicht weiterhilft. Ich zitiere: Notwendig ist vielmehr eine schonungslose Diagnose, denn nur auf ihr lässt sich eine langfristig orientierte, ganzheitliche Therapie aufbauen. Nur durch grundlegende Strukturreformen kann Deutschland für die zunehmenden Herausforderungen des weltweiten Wettbewerbs... angemessen gerüstet werden. Entscheidend ist, Risikobereitschaft, Leistungswillen und Eigenverantwortlichkeit zu stärken. Die gerechte Verteilung der Anpassungslasten ist für die Akzeptanz der Reformen zwar ebenfalls wichtig, aber die Priorität muss bei Förderung von Wettbewerb und Wachstum liegen. In diesem Sinne werden wir die Politik der Bundesregierung weiterhin kritisch verfolgen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({27})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren seit gestern über den Bundeshaushalt. Ich finde, wir muten uns und unseren Nerven einiges zu. Während wir über Haushaltsposten und Einzelpläne streiten, läuft außerhalb dieses Hauses die Uhr in Richtung Krieg. Es ist ein Krieg, den Hunderte Millionen Menschen ablehnen, ein Krieg, der Hunderttausende Menschen treffen wird. Die PDS im Bundestag hat gestern den Bundestagspräsidenten ersucht, eine Sondersitzung des Bundestages zu diesem Thema einzuberufen. Herr Thierse hat das mit Verweis auf die Geschäftsordnung abgelehnt, zumal der Bundestag ja sowieso tage. Das tut er, allerdings nicht ausdrücklich zu diesem bedrückenden Thema. Insofern war ich froh, als heute Morgen mit dem Beitrag des Bundeskanzlers die Debatte eine andere Wendung zu nehmen schien. Allerdings hat sich das, wenn ich an meine letzten zwei Vorredner denke, schon wieder erledigt. ({0}) Herr Merz von der CDU hatte seiner Rede gestern ähnliche Gedanken vorangestellt. Der Unterschied ist nur: CDU/CSU könnten kraft Fraktionsstatus eine solche Debatte auf die Tagesordnung setzen lassen. Die PDS im Bundestag kann das nicht. ({1}) Dass die CDC/CSU-Fraktion das nicht getan hat, entlarvt die Worte von gestern als pure Polemik. ({2}) Dabei steht die gesamte Haushaltsdebatte unter Kriegsvorbehalt. Denn die Kriegskosten, die Kriegslasten und die Kriegsverluste werden auch uns heimsuchen. Das wäre übrigens ein Grund mehr - wenn auch nicht der wichtigste -, vehement gegen den drohenden Krieg zu sein. Der Bundeskanzler hat wiederholt, dass er, die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition einen Krieg gegen den Irak weiter ablehnen. Das unterstützen wir ausdrücklich und nicht nur im Bundestag. Deshalb möchte ich Klartext reden: Beginnen die USA, wie angekündigt, einen Feldzug gegen den Irak, dann wäre das Völkerrechtsbruch, Massenmord, ja Staatsterrorismus. Umso erregter höre ich heute von Frau Merkel, dass sie und ihre CDU diesen Kurs der USA-Führung unterstützen, und zwar mit allen denkbaren Folgen. Es tut mir Leid, ich stelle mir die Frage: Sind Sie wirklich von allen guten Geistern verlassen? ({3}) Mit diesem Kurs werden Sie, Frau Merkel, und wird die Union der Bundesrepublik ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. Denn mit diesen Äußerungen - da hat die SPD Recht - ist die CDU/CSU Teil der Allianz der Kriegswilligen. Ich möchte auch sagen - Frau Merkel hat ja vorhin auf ihre Biografie angespielt -: Das können Sie unmöglich in der DDR gelernt haben. ({4}) Wir haben den Bundestagspräsidenten im Übrigen nicht um die Debatte gebeten, um einmal so über Krieg oder Nichtkrieg zu reden, und auch nicht, um eine außenpolitische Debatte anzuregen, sondern wir haben darauf verwiesen, dass wir spätestens mit Kriegsbeginn ein gravierendes innenpolitisches Problem haben werden. Das Grundgesetz enthält in Art. 26 ein Friedensgebot und stellt mit diesem Artikel eine Beteiligung an einem Angriffskrieg unter Strafe. Auch eine indirekte Beteiligung der Bundesrepublik an Angriffskriegen muss ausgeschlossen werden. Darüber ist zu reden - nicht irgendwann, sondern schnell, und auch nicht irgendwo, sondern hier im Bundestag und da nicht etwa versteckt in der Haushaltsdebatte. Ich finde - das sagen auch Völkerrechtler -: Solange AWACS-Flugzeuge mit deutscher Besatzung in der Kriegsregion unterwegs sind, solange Kriegseinsätze von US-Basen auf deutschem Boden ausgehen und solange Bundeswehrkräfte in der Kriegsregion präsent sind, so lange haben wir es schon mit einer indirekten Beteiligung der Bundesrepublik an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu tun. ({5}) Ich stimme also der vom Bundeskanzler heute vorgetragenen Deutung ausdrücklich nicht zu. Genau bei dieser Frage liegt die Messlatte für die Grünen. Sie beklagen die Ohnmacht, die uns alle angesichts der Unbeirrbarkeit der US-Führung befällt. Das verstehe ich sehr gut; das geht sehr vielen Menschen so. Aber bitte: Nutzen Sie wenigstens die Macht, die Ihnen als Regierungspartei anheim gestellt wurde! Verhindern Sie, dass Deutschland durch die Hintertür mitschuldig wird! Sie würden sonst selbst mitschuldig. ({6}) Alles Recht der Welt stünde auf Ihrer Seite; denn kein Recht und kein Vertrag zwingt die Bundesrepublik, zum Helfershelfer zu werden. Sie waren bisher standhaft. Nun wagen Sie auch den Folgeschritt! ({7}) Ich habe heute das Argument gehört, wir hätten Rechte und Pflichten als NATO-Partner. Richtig! Auch Belgien als NATO-Partner hat Rechte und Pflichten und war trotzdem gestern in der Lage, die Häfen für die USFlottille zu sperren. ({8}) Nun noch ein Wort an die CSU. Ich habe in Debatten hier schon mehrfach gesagt, dass ich zwölf gute Gründe kenne, ja nicht CSU zu wählen, und dass der 13. Grund Beckstein heißt. Bayerns Innenminister hat bereits vor Wochen gewarnt - nicht vor einem Krieg gegen den Irak, sondern davor, dass Kriegsflüchtlinge aus dem Irak die deutschen Lande erreichen könnten. Sie sollten, so Beckstein, „menschenwürdig in der Kriegsregion untergebracht werden“. Heute lese ich, dass er außerdem irakische Bürger, welche auf dem Gebiet Bayerns leben, durch den Staatsschutz überwachen lassen will. Ich weiß nicht, was ein solcher Zyniker im Beichtstuhl erzählt. ({9}) Aber ich weiß: Als Politiker und Minister ist er eine kreuzgefährliche Fehlbesetzung. ({10}) Wir können jetzt gern über den Haushalt, auch über den Kanzlerhaushalt weiter debattieren. Die USA und die Allianz der Kriegswilligen verschieben derweil die gesamte Weltarchitektur. Stabiler wird sie dadurch nicht, auch nicht gerechter und demokratischer - im Gegenteil. Danke. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Staatsministerin Christina Weiss.

Not found (Gast)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicher könnte man mit einer zackigen Handbewegung die Frage parieren, ob einem in dem Moment, da der Krieg in die Welt zieht, der Sinn nach Kultur steht. Doch diese Geste wäre zu einfach; denn Kultur ist auch in Krisenzeiten kein Luxusgut, ({0}) sondern eine essenzielle Verständigung über die gemeinsamen Werte des Zusammenlebens der Völker. Darauf müssen wir pochen. ({1}) Wir haben gesehen, dass es gerade die kreativen und die kreativsten Köpfe waren, die dem Frieden laut und vernehmbar das Wort redeten. Die diesjährige Berlinale geriet zu einem manifesten Auftritt der Neinsager. Amerikanische Schauspielerinnen und Schauspieler wie Susan Sarandon, Martin Sheen, Dustin Hoffman oder George Clooney haben gemeinsam mit den deutschen Kollegen ihre Stimme erhoben. Das ist nicht folgenlos für sie geblieben. Sie wollten Anstoß geben, Anstoß, darüber nachzudenken, ob die Sprache der Waffen wirklich die letzte aller Verständigungsmöglichkeiten sein muss. Künstlerinnen und Künstler haben uns alle zur Kommunikation aufgerufen, weil sie selbst etwas davon verstehen. Der menschliche Geist wäre findig genug, Eskalationen zu verhindern. Der Umgang mit Kunst ist ein hervorragendes Wahrnehmungstraining, um zu neuen und ungewöhnlichen Lösungen zu gelangen, um aus alten Denkmustern auszubrechen. Das gilt auch für die Haushaltspolitik, um die es heute geht. Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau unserer Kulturlandschaft. Wir brauchen auch hier Mut zur Veränderung. Da wir nicht zulassen wollen, dass am Ende allein die Verwaltung überlebt, die Kunst aber weggespart wird, müssen wir Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Kultureinrichtungen flexibler und unternehmerischer geführt werden können. ({2}) Der Bund unterstützt daher jene Reformprojekte, die darauf angelegt sind, die kulturelle Arbeit wirkungsvoller und einfacher zu machen. Der Bund selbst wird mit gutem Beispiel vorangehen und Reformfreude zum Prinzip erheben. Ich erinnere an die bevorstehende Novelle zum Filmförderungsgesetz und an den neuen gesetzlichen Rahmen für die Deutsche Welle. Daran werden wir arbeiten. Dass es uns mit tragfähigen Reformen ernst ist, lässt sich am besten an der Rettungsaktion zugunsten des Deutschen Musikrates ablesen, der längst als Kulturdinosaurier verschrieen war. ({3}) Klare, flache Strukturen, ein gutes kaufmännisches Konzept und effiziente Kontrolle haben dem Musikrat eine neue Perspektive gegeben und die Projekte gerettet. ({4}) Es hat sich schon herumgesprochen, dass es der Druck des Bundes war, der die Berliner Opernstiftung ermöglichte. Zehn Jahre nach Schließung des SchillerTheaters, in denen nicht viel passierte, kann nun zum ersten Mal davon die Rede sein, dass die Berliner Bühnen an Haupt und Gliedern reformiert werden. ({5}) - Das hat sehr wohl etwas mit dem Haushalt zu tun. Ich habe diesen Prozess durch Moderation vorangetrieben. Wir haben dem Land Berlin verdeutlicht, dass wir die Probleme nicht durch einfaches Abkaufen lösen können, sondern nur dann Geld einsetzen können, wenn hier Eigenverantwortung übernommen wird. ({6}) Der neue Hauptstadtkulturvertrag ({7}) wird Innovationen fördern, Reformen unterstützen und den gesamtstaatlichen Aufgaben Rechnung tragen. Meine Damen und Herren, wenn ich davon gesprochen habe, dass man in schwierigen Zeiten besonders in die Köpfe investieren muss, dann gilt das in besonderem Maße für die neuen Bundesländer. Bei meiner Reise nach Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen konnte ich mich davon überzeugen, welche Bedeutung kulturelle Hilfe für die Identität der Städte hat, welche Hoffnung die Kultur den Menschen gibt und was sich damit bewegen lässt. Das Programm „Kultur in den neuen Ländern“ gehört zu den Leuchttürmen einer Bundespolitik, die die deutsche Einheit beim Wort nimmt. Neben den Fördermaßnahmen des Solidarpak-tes II und dem Investitionsförderungsgesetz werden in diesem Jahr 23 Millionen Euro in die neuen Länder fließen. ({8}) Die „FAZ“ schreibt über die Wirkung dieses Programms: Ein anderes Bild vom Osten Deutschlands scheint hier auf, ein selbstbewusstes und vor allem der eigenen Kraft zu Veränderungen bewusstes, das die allbekannten Katastrophenberichte aus der mecklenburgischen Provinz wohltuend konterkariert. Weiter heißt es, dass die Kulturmillionen „hier sehr gut und vor allem auf Dauer angelegt sind“. Das sind 12,5 Prozent mehr, als es ursprünglich im Finanzplanansatz vorgesehen war. Das ist ein Erfolg in schwieriger Haushaltszeit. Wir alle sollten gemeinsam dafür kämpfen, dieses wichtige, Hoffnung machende Programm in den nächsten Jahren zu verstetigen. ({9}) Der Kulturetat der Bundesregierung zeigt aber auch, dass wir uns zum Gedenkstättenkonzept zur Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen bekennen. Der Ansatz aus dem Vorjahr konnte um 10,4 Prozent auf insgesamt 8,5 Millionen Euro erhöht werden. ({10}) Hier zeigt sich, dass diese Regierung aufrecht und wachsam mit der Erinnerung an die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und mit der Chronik der SED-Verbrechen umgeht. ({11}) Wir sind nach wie vor bereit, den großartigen Entwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor für die „Topographie des Terrors“ in Berlin zu unterstützen. ({12}) Es bleibt dabei: Der Bund wird bis zu 50 Prozent der gedeckelten Gesamtkosten übernehmen. Wir hoffen sehr, dass der Berliner Senat endlich die notwendigen Voraussetzungen für den zügigen Weiterbau schafft. Ich unterstütze an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich den Vorschlag des Bundespräsidenten, in der Mitte Berlins eine Gedenkstätte für die Menschen einzurichten, die während der Zeit des Nationalsozialismus unter Einsatz ihres eigenen Lebens Verfolgten geholfen und Menschen gerettet haben. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Ministerin Weiss, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Not found (Gast)

Ja, ich erlaube eine Zwischenfrage.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatsministerin, ich würde gern eine Nachfrage zu Ihrem Hinweis auf die Position der Bundesregierung zur „Topographie des Terrors“ stellen. Nach meiner Erinnerung gab es neben der Absicht der Bundesregierung, bis zu einem gedeckelten Betrag 50 Prozent der Mittel zur Verfügung zu stellen, auch eine zwischen der Bundesregierung und dem Berliner Senat formell oder informell abgestimmte Vorstellung über die Höhe dieses gedeckelten Betrages. Darauf genau bezieht sich nun meine Frage: Hat die Bundesregierung den Eindruck oder die Erkenntnis, dass zu diesem damals von Bundesregierung und Senat vereinbarten gedeckelten Betrag die Realisierung des Zumthor-Bauwerkes überhaupt noch möglich ist?

Not found (Gast)

Das befindet sich in Prüfung. Es wird uns gesagt, die Prüfung könne noch ergeben, dass dieser Entwurf realisiert werden kann. Sollte das nicht der Fall sein: Wir können den gedeckelten Betrag der Finanzierung nicht erhöhen. ({0}) Mit der Osterweiterung der Europäischen Union geht die Nachkriegszeit auf diesem Kontinent ihrem Ende entgegen. Wir reden viel über die wirtschaftliche, viel zu selten aber über die kulturelle Dimension der neuen EUBewohner. Wenn die Grenzen zu Polen oder Tschechien abgebaut werden, wird das Interesse aneinander zunehmen müssen. Uns verbinden gemeinsame Wurzeln und gemeinsame Traditionen. Wir wollen sie nutzen, um einen gemeinsamen kulturellen Weg in die Zukunft zu finden. Es ist eine Aufgabe für uns alle, den Europagedanken nicht nur als rein wirtschaftliche Angelegenheit zu betrachten, sondern ihn mit kultureller Neugier auszufüllen. ({1}) Kunst kann dabei eine ideale Vermittlerin darstellen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Nooke von der CDU/CSU-Fraktion.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu Ihrer Vorbemerkung zu den Künstlern bei der „Berlinale“ nur festhalten: Es wäre natürlich gut gewesen, wenn die Menschen bei ihrer Meinung bleiben, egal, wo auf der Welt sie ihren Film verkaufen, weil so etwas manchmal auch Gefühle gegenüber Amerika weckt und der Eindruck entsteht, als sei es doch mehr Mittel zum Zweck als in der Sache begründet gewesen. ({0}) Insofern würde ich das nicht ganz so positiv sehen. Leider war das nicht ganz eindeutig; ich hätte es mir anders gewünscht. ({1}) Ich möchte zum Haushalt reden und noch einmal das Problem deutlich machen, dass wir es hier mit Haushaltsansätzen für Kultur und Medien zu tun haben, zu denen ich bei der Erstellung des Haushalts schon gesagt habe: Sie lassen vermuten, dass sie deshalb so schlecht sind, weil der bisherige Amtsinhaber nicht mehr anwesend war und die zukünftige Amtsinhaberin noch nicht voll im Amt stand. Die miserablen Zahlen, die wir jetzt haben, lassen leider die Vermutung zu, dass die persönliche Anwesenheit der Staatsministerin eher einen noch negativeren Einfluss gehabt hat; denn leider hat sich in den vergangenen Monaten an den Zahlen nichts zum Guten verändert. Ganz im Gegenteil, mittlerweile muss sogar der Eindruck entstehen, dass hier eher noch abgebaut wurde. Um es sehr konkret darzustellen: Der Entwurf vom Sommer sah noch einen Mittelrückgang um rund 24 Millionen Euro vor. Das ist vielleicht - wie schon im vergangenen Jahr - nicht ganz zufällig die Summe, die für die neu gegründete Kulturstiftung des Bundes zur Verfügung steht. Der neue Entwurf hingegen sieht eine Kürzung um weitere 12 Millionen Euro vor. Das ist eine reale Kürzung von über 4 Prozent bei unverändert laufendem Betrieb. Jetzt stehen für die Kultur weniger Mittel zur Verfügung, obwohl ein größeres Engagement des Bundes - zum Beispiel bei den Stätten des Weltkulturerbes und in Berlin - angekündigt war. Unter den vielen Sachverhalten des Koalitionsvertrages ist dies einer der wenigen Punkte, deren Nichteinlösen auch bei der Opposition auf Kritik stößt. Doch das eigentlich Anstößige ist nicht die überproportionale Kürzung bei der Kultur; viel schlimmer ist aus unserer Sicht der plan- und ziellose Umgang mit den Mitteln, die Ihnen zur Verfügung stehen, Frau Staatsministerin. Ich belege dies anhand zweier Beispiele aus jüngster Geschichte in Berlin, die sich auch auf das beziehen, was Sie gerade ausgeführt haben. Erstens. Für die kulturelle Nutzung des „Palastes der Republik“ werde man selbstverständlich keine öffentlichen Gelder ausgeben. So schreibt es auch die Expertenkommission vor. Doch plötzlich stehen im mit 100 Prozent vom Bund finanzierten Hauptstadtkulturfonds Mittel in erheblichen Ausmaß für ein Projekt im so genannten Palast zur Verfügung. Gleiches gilt für den Martin-Gropius-Bau: Der Bund übernimmt die Verantwortung für diesen exquisiten Ausstellungsort, ohne ihn allerdings mit einem ausreichendem Betrag für, salopp formuliert, Ausstellungsanbahnungen auszustatten. Also muss auch hier der Hauptstadtkulturfonds wieder herhalten. Hier greift sich der Bund in die eigene Tasche, und zwar nicht einmal besonders raffiniert. Es sieht beinahe wie Mundraub aus, ist aber einfach nur Betrug: Betrug am Zweck des Hauptstadtkulturfonds und Betrug an den Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Projekte nicht mehr durchführen können. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Berliner Stadtschloss. Ich habe es oft gesagt, wiederhole es auch heute und werde es noch öfter sagen: Dieses Parlament hat mit überwältigender, parteiübergreifender Mehrheit - das wiederhole ich besonders gern vor einem Dreivierteljahr beschlossen, das Schloss wieder zu errichten. ({2}) Die Bundesregierung hat diesen Beschluss zügig umzusetzen und sich nicht Gedanken über Probleme zu machen, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Zweitens. So verständlich und richtig das Anliegen der Sinti und Roma ist, ein Mahnmal zum Gedenken an ihre Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft zu errichten, so grundverkehrt ist auch hier der Weg zu dessen Realisierung. Berlin schafft Fakten, indem es ein Grundstück zur Verfügung stellt, und diktiert dem Bund mit dem Hinweis auf dessen originäre Zuständigkeit 2 Millionen Euro Baukosten plus jährliche Betriebskosten in Höhe von 300 000 Euro ins Ausgabenbuch. Nun beteiligt sich mit ihrer Zustimmung zu dieser Zumutung auch die Staatministerin für Kultur und Medien, Frau Weiss, an der Aktion: wohl zuständig, aber wie in der letzten Zeit immer öfter plan- und ziellos. Besonders schwer wiegt nämlich, dass der Entscheidung über dieses neue Mahnmal kein Gesamtkonzept zugrunde liegt. Völlig ungewiss ist nach wie vor, wie der anderen Opfergruppen gedacht werden soll. Exakt dies ist das Problem, das die beiden Beispiele illustrieren, auch wenn man es als Kulturpolitiker in diesem Hause nicht gern sagt: Mehr noch als an Geld fehlt es an seriöser und zukunftsfähiger Planung; mehr noch als an Geld mangelt es an belastbaren Konzepten. Dies ist besonders in einer Haushaltsdebatte eine ziemlich deprimierende Erkenntnis. Der erste Schritt hätte hier sein müssen, dass die Bundesregierung endlich ein Konzept vorlegt, aus dem ihre Vorstellungen für die Zukunft der Gedenkstätten hervorgehen. Das ist bis heute nicht geschehen, auch in Ihren Ausführungen nicht, Frau Staatsministerin. Bei dem, was Sie zum Zumthor-Bau gesagt haben, habe ich eher herausgehört, dass es wahrscheinlich billiger wäre, die Baustelle komplett zu schließen und das Geld, das sie an jedem Tag kostet, zu sparen. Dabei müsste die Gedenkstätten- und Erinnerungskultur längst ein wichtiges Thema für uns sein. Hier habe ich immer die konstruktive Mitarbeit der CDU/ CSU-Fraktion angeboten. Zum Beispiel ist jetzt die Gedenkstätte „Mittelbau Dora“ in den Haushalt eingestellt. Die Gedenkstätte in allen Ehren, aber warum wird sie plötzlich vom Bund finanziert? Welches Kriterium gilt für den Mittelbau Dora, das für Bautzen nicht gilt? Ich meine damit auch Folgendes: Der Bund muss sich nicht nur der NS-Zeit, sondern auch der SED-Diktatur annehmen. ({3}) Die von Ihnen angesprochenen Themen haben dies wieder deutlich gemacht. Es darf nicht der Eindruck entstehen, die NS-Zeit sei für die Koalition geschichtspolitisch wichtig und deshalb eine Angelegenheit des Bundes, während die SED-Zeit nicht Teil gesamtdeutscher Geschichte sei und daher bei den neuen Bundesländern angesiedelt bleiben könne. Deutschland hat bei dem Thema Diktaturgeschichte eine größere Verantwortung, aber ich will jetzt gar nicht die Summen, die wir im Zusammenhang mit der „Topographie des Terrors“ diskutieren und die wir für die Normannenstraße oder für Hohenschönhausen bräuchten, gegenüberstellen. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit eine konkrete Frage zum Haushalt 2003 stellen: Wo ist eigentlich der Haushaltsansatz für die anstehenden Feierlichkeiten anlässlich des besonderen Gedenkens zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni? Ich sehe nichts. Auch das zeigt, wie einseitig Sie Ihre Gedenkstättenpolitik betreiben. ({4}) Nun noch ein Wort zum FDP-Antrag, in dem es um die Mittel für die Kultur in den neuen Ländern geht. Das haben Sie dankenswerterweise angesprochen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass manches Geld, das dort ausgegeben wurde, vielleicht sinnvoller war als so manche Wirtschaftsförderung in Gewerbegebieten, die nicht genutzt werden. Insofern lautet meine Frage: Warum sprechen Sie davon, dass dafür Gelder zur Verfügung stehen, wenn der Etat um 10 Millionen Euro gekürzt worden ist? Den Mut, ihren eigenen Antrag auf Aufstockung der Mittel auch im Haushaltsausschuss zu stellen, den jetzt die FDP gestellt hat, hatten die Kollegen von der Koalition nicht. Das ist politisch furchtbar unglaubwürdig und für die Förderung der Kultur in den neuen Ländern einfach furchtbar. Wir haben jetzt die Chance, es gemeinsam besser zu machen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalition, nutzen Sie die einmalige Chance, diesem Antrag mit uns und der FDP gemeinsam zuzustimmen und damit etwas für die Kulturförderung in den neuen Ländern zu tun. Zum Schluss: Die Verunsicherung bei den Kulturschaffenden ist groß und wächst mit diesem Haushalt leider auch weiter. Erst steht die Spendenabzugsfähigkeit zur Disposition, dann der ermäßigte Mehrwertsteuersatz. Mit dem Steuervergünstigungsabbaugesetz, dessen Titel übrigens schon die Kulturverträglichkeitsprüfung nicht hätte überstehen dürfen, ({5}) geschweige denn sein Inhalt, wäre auch dem Handel mit Kulturgütern insgesamt ein Bärendienst erwiesen worden. Schon in diesem Gesetzesvorhaben sind mehr kulturunverträgliche Sachverhalte versteckt, als ein Staatsminister oder eine Staatsministerin für Kultur in einer vollen Legislaturperiode wiedergutmachen könnte. Mit Geld allein ist das nicht zu schaffen. Weil das so ist, hat Ihnen, verehrte Frau Staatsministerin, die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag schon zu Ihrem Amtsantritt konstruktive Mitarbeit angeboten. Ich wiederhole das Angebot ausdrücklich, aber irgendwann muss Schluss sein, ({6}) wenn Sie nicht bereit sind, darauf einzugehen. Es könnte helfen, eklatante Fehlentscheidungen, wie sie hier auch jetzt wieder getroffen wurden, zu vermeiden, und es könnte mehr konzeptionelle Verlässlichkeit in die Debatte bringen. ({7}) Danke, dass Sie hier zumindest dafür gesorgt haben, dass wir heute über Kultur reden konnten, aber wir müssen mehr daraus machen. Frau Staatsministerin, das war heute zu wenig. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Merkel von der SPD-Fraktion. ({0})

Petra Merkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003591, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe Kultur als Mittel, Bindung und Verbindung zu schaffen. Ich glaube, dass das in der Situation, in der wir uns im Augenblick befinden, ein ganz wesentlicher Vorteil von Kultur ist, den wir auch weiterhin fördern müssen. Ich bin davon überzeugt, dass Kultur als Bindung und Verbindung zwischen Menschen und Völkern unter der rot-grünen Regierung in Berlin eine erhebliche Stärkung erfahren hat, ({0}) weil die Kultur durch die Anbindung der Kulturpolitik im Bundeskanzleramt an die höchste Stelle angegliedert wurde. Mit Frau Dr. Christina Weiss hat die bundesdeutsche Kulturlandschaft eine Streiterin und Mitstreiterin gewonnen. Ich freue mich, dass ich als neue Abgeordnete mit Ihnen arbeiten kann, und bin sicher, dass der Kulturbereich von Ihrer Energie, Feinsinnigkeit und Durchsetzungsfähigkeit profitieren wird. ({1}) Bindungen und Verbindungen brauchen wir in unserem Land und für unser Land. Hätten wir die Bundeskulturstiftung, die erstmalig 1973 von Willy Brandt - der eine Anregung von Günter Grass aufnahm - vorgeschlagen wurde, nicht Anfang 2002 gegründet, müssten wir sie jetzt erfinden. Ich weiß, Herr Kampeter war damals überhaupt nicht von der Idee begeistert, in der Zwischenzeit hat aber auch er damit Frieden geschlossen. Die Bundeskulturstiftung - auch als Dach für kleinere Stiftungen gedacht - fördert sowohl national als auch international bedeutsame Vorhaben und wird durch unseren Haushalt eine Verdoppelung der Mittel, Herr Nooke, erfahren, nämlich von 12,5 Millionen Euro auf 25,565 Millionen Euro. ({2}) Die Bundesregierung und die rot-grüne Koalition haben hier einen Schwerpunkt gesetzt, und das trotz Haushaltssanierung. Das betone ich besonders, da die Maßnahmen zur Haushaltssanierung auch an diesem Haushalt nicht vorbeigehen konnten. ({3}) Ein weiterer Schwerpunkt ist das Programm „Kultur in den neuen Ländern“. Wir konnten die Zielsetzung der Koalitionsvereinbarung zwar nicht vollständig erfüllen, aber es ist uns gelungen, 2,5 Millionen Euro mehr einzustellen, als es im Regierungsentwurf vorgesehen war. Dem Programm stehen vom Bund nun 23 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden überregional bedeutende Kultureinrichtungen in den neuen Ländern und mit ihnen gefördert. Das bedeutet: Es wird die Infrastruktur verbessert. An dieser Stelle kann ich deswegen schon sagen: Wir lehnen den Antrag der FDP ab. Im Zusammenhang mit den neuen Ländern möchte ich auf einen anderen Haushalt verweisen. Ein neues kulturelles Angebot in Mecklenburg-Vorpommern wird durch den Haushalt des Ministeriums für Verkehr, Bau-, Wohnungswesen und Aufbau Ost von Manfred Stolpe finanziert, nämlich das Ozeaneum in Stralsund. Es wird zusammen mit dem Meereskundemuseum im Nordosten unseres Landes die dort bereits vorhandene Attraktivität steigern. ({4}) Die Aufgaben, die mit dem Kulturetat finanziert werden, sind vielfältig. Sie reichen vom Hauptstadtkulturvertrag - er wird in diesem Jahr neu verhandelt werden müssen - über die Bonn-Vereinbarung, die gerade abgeschlossen ist, die Förderung von Musik und Literatur bis zur Pflege von kulturellen Minderheiten und von Gedenkstätten. Bei dieser Aufzählung habe ich sicherlich noch viele Bereiche vergessen. Als Beispiele möchte ich nennen: Die Mittel für das Stasi-Museum „Runde Ecke“ in Leipzig wurden um 50 000 Euro auf 100 000 Euro erhöht und gesichert. In diesem Zusammenhang muss ich eine Bemerkung an Herrn Nooke richten: Sie sind doch Mitglied im Kulturausschuss. Dann müssten Sie eigentlich wissen, dass Frau Weiss eine Überarbeitung des Gedenkstättenkonzepts vorlegen wird. Sie werden mit unter den Ersten sein, mit denen das diskutiert werden wird. Eine Vielzahl von Projekten erhalten 2003 erstmalig Fördermittel. Dazu zählen zum Beispiel das Roma-Theater Pralipe e. V. in Mülheim/Ruhr - Herr Kampeter war davon nicht sehr begeistert, wir dagegen finden es wichtig, dass es existiert - oder die Unterstützung deutsch-russischer Begegnungen. Außerdem erhält die Zeche Zollverein in Essen als Weltkulturerbe der UNESCO einen Zuschuss, um das Industriedenkmal vielfältig nutzbar zu machen. Die Förderung beträgt übrigens 300 000 DM. ({5}) - Sie haben Recht: 300 000 Euro. 300 000 DM wäre zu wenig. Ein anderes Weltkulturerbe liegt direkt vor unserer Tür. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz leistet unter anderem den Wiederaufbau der Museumsinsel. Dort wird es eine der größten Baustellen in der Bundesrepublik Deutschland geben, die sicherlich über längere Zeit bestehen wird. Die Zuschüsse hierfür steigen weiterhin an. Ich kann Ihnen als Berliner Abgeordnete nur empfehlen: Nehmen Sie sich, falls Sie die Museumsinsel nicht schon kennen, eine halbe Stunde Zeit, laufen Sie hinter dem Reichstagsgebäude an der Spree entlang und überqueren Sie die Friedrichstraße. Dann kommen Sie genau auf die Museumsinsel. Dort können Sie erkennen, welch ein Schatz, welch ein Erbe der Bundesrepublik Deutschland im Augenblick mit handwerklichem Geschick gehoben wird. Christina Weiss hat formuliert, es handele sich wahrlich um eine Aufgabe von nationalem Rang. ({6}) Viele von Ihnen waren dabei, als wir in Versailles die deutsch-französische Freundschaft gefeiert haben. Diese Freundschaft spiegelt sich ebenfalls im Kulturetat wieder. Das Berlin-Brandenburgische Institut für deutschfranzösische Zusammenarbeit in Genshagen erhält 900 000 Euro. Das sind 750 000 Euro mehr, als im Regierungsentwurf vorgesehen. Durch Sanierung und Umbau des Schlosses Genshagen wird gemeinsam mit dem Land Brandenburg die Grundlage geschaffen, im Umfeld der Bundeshauptstadt ein deutsch-französisches Begegnungszentrum arbeitsfähig zu machen. Wichtig ist für mich - ich denke, das gilt auch für Sie -, dass mittelfristig auch Polen in die Kooperation einbezogen wird. ({7}) Eine weitere herausragende Institution im Kulturhaushalt ist die Deutsche Welle, die den Auftrag hat, als Stimme Deutschlands in der Welt durch unabhängigen Journalismus und pluralistische Programmgestaltung Kenntnisse über Deutschland zu verbreiten. Als Kulturträger vermittelt die Deutsche Welle im Ausland Deutschland als Kulturnation und wirbt für die deutsche Sprache. Dies ist außerordentlich wichtig, wenn man bedenkt, wie viele Menschen in autoritär und totalitär regierten Staaten leben, die ihren Bürgern das Recht auf Presse-, Informations- und Meinungsfreiheit verweigern. Die Deutsche Welle ist in diesen Ländern, insbesondere in Krisen- und Konfliktregionen, Garant für objektive, ungefilterte Information. Die Deutsche Welle war der erste Fernsehsender, der internationale Nachrichten nach Afghanistan bringen konnte. Seit August 2002 werden in den beiden Landessprachen Dari und Paschtu täglich zehn Minuten Weltnachrichten ausgestrahlt. Das Programm wird vom Auswärtigen Amt finanziert. In diesem Jahr wird die Deutsche Welle ein neues Haus beziehen, den Schürmann-Bau. Ich möchte jetzt von der Deutschen Welle, die für Deutschland wirbt, zu den Internationalen Filmfestspielen in Berlin kommen, die im Bundeshaushalt verankert sind und ebenfalls für Deutschland werben. Die Filmförderung nimmt mit 10,7 Millionen Euro im kulturellen Teil und mit 4,7 Millionen Euro im wirtschaftlichen Teil einen nicht unwesentlichen Platz ein. Mit diesen insgesamt 15,4 Millionen Euro wird Unterstützung für den Film geboten. Nach dem Umzug der Filmfestspiele an den Potsdamer Platz ist Deutschland für die internationale Filmwirtschaft wieder interessanter geworden. Auch der deutsche Film spielt wieder mit. Ich finde, der Kinoschlager „Good bye, Lenin!“ ist zu Recht ein Erfolg. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Leiter der Filmfestspiele, Dieter Kosslick. Er hat ein sicheres Gespür für die Auswahl der Filme und er ist eine Persönlichkeit, die den Internationalen Filmfestspielen in Berlin gut tut. ({8}) - Ich danke Ihnen, Herr Kampeter. Die internationalen und auch die nationalen Topschauspielerinnen und -schauspieler, -regisseure und -produzenten machen um Deutschland keinen Bogen mehr, sondern kommen gern hierher. Ich betone auch noch einmal: Wie politisch diese Berlinale sein kann, zeigte die beeindruckende Rede von Dustin Hoffman gegen einen möglichen Krieg im Irak. Das war kein Mittel zum Zweck. ({9}) Herr Nooke, wenn Sie sich angeschaut hätten, was sich im Vorfeld der Oscar-Verleihung in Amerika abgespielt hat, könnten Sie das nicht behaupten. Ich komme zum Schluss ({10}) noch einmal auf einige Anträge zurück. Herr Kampeter hat - das war, wie immer, eine Pflichterfüllung - einen Antrag gestellt, in dem es um die Erhöhung der Mittel im Bereich des kulturellen Eigenlebens fremder Volksgruppen geht. ({11}) - Ja, genau. ({12}) Ich sagte Ihnen ja: Das war Ihre Pflichtaufgabe. Das tun Sie immer; auch in den Vorgesprächen haben Sie dies gesagt. Wir warten also ab. Alle zwei Jahre gibt es einen Bericht der Bundesregierung, danach wird evaluiert. Ihren Antrag werden wir ablehnen. Den Antrag von Frau Lötzsch und Frau Pau von der PDS, in dem es um die Erhöhung des Betrages für die „Stiftung für das sorbische Volk“ geht, lehnen wir ebenso ab. Auch hier weise ich darauf hin, dass wir das Finanzierungsabkommen mit unseren Mitteln mehr als erfüllen. Wir haben diesen Bereich also gut bedient und die Mittel für die „Stiftung für das sorbische Volk“ nicht abgesenkt. Insofern wird auch dieser Antrag von uns nicht akzeptiert. Der Gesamtetat der Beauftragten für Kultur und Medien beträgt 883 Millionen Euro. Es war mein Anliegen, Ihnen aufzuzeigen, wie viele Anstöße und Initiativen und wie viel Bewegung mit diesem Etat ausgelöst werden. Herr Kampeter und Herr Rexrodt, vielleicht erreichen wir es ja, dass sich auch die CDU/CSU und die FDP bewegen und diesem Kapitel zustimmen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Merkel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor der namentlichen Abstimmung hören wir noch eine Rede. Der Kollege Jens Spahn von der CDU/CSU-Fraktion wird das Wort erhalten. Auch er hält seine erste Rede im Deutschen Bundestag. Ich bitte um Aufmerksamkeit. ({1})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der letzten Woche haben wir die 36. Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers gehört. Heute beraten wir über den Bundeshaushalt 2003, der uns spätestens jetzt wieder in die harte Realität Ihrer und seiner Politik zurückholt. ({0}) Als Vertreter der jüngeren Generation will ich an drei Punkten beispielhaft darlegen, wo ich mir deutlichere und mutigere Worte des Bundeskanzlers und mutigere Taten in dem uns vorgelegten Bundeshaushalt gewünscht hätte. Erstens. Deutschland braucht ein neues Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Wir müssen den Bürgern mehr Freiheit und Selbstverantwortung zutrauen. Gerade auch die jungen Menschen in diesem Land wollen ihr Leben eigenverantwortlich gestalten. Voraussetzung dafür ist, den Menschen den dafür nötigen Freiraum zu geben, auch den finanziellen Freiraum. Ich kenne viele gleichaltrige Handwerker aus meinem Wahlkreis, aus Gronau, Ahaus, Steinfurt oder Rheine, junge Maurer oder Zimmerleute, die beim Blick auf ihre Lohnabrechnung Monat für Monat mit der vollen Wucht der Sozialabgaben in Deutschland konfrontiert werden. ({1}) Sie sind natürlich frustriert und flüchten vielfach in die Schwarzarbeit. Es ist doch niemandem begreiflich zu machen, dass in diesem Land ein Handwerker sechs Stunden arbeiten muss, um sich am Ende von seinem Nettolohn selbst einen Handwerker für nur eine Stunde leisten zu können. ({2}) Nicht den Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, sondern dem System muss man einen Vorwurf machen. Nicht die Menschen zu ächten, wie es der Kanzler am Freitag in seiner Rede verlangt hat, ist der richtige Weg, sondern legale Beschäftigung attraktiver zu machen, das ist der richtige Weg. ({3}) Wir nehmen den Menschen zu viel von ihrem hart verdienten Geld weg. Parolen zum Konsumverzicht von Herrn Müntefering - Sie erinnern sich - weisen in die falsche Richtung; denn die Bürger erwirtschaften all das, was der Staat verbraucht, nicht umgekehrt. ({4}) In diesem Bewusstsein müssen wir das Verhältnis vom Staat zu seinen Bürgern neu justieren. Die Menschen wollen keine sozialistische Bevormundung und Rundumbetreuung. ({5}) Sie wollen eine eigenverantwortliche Teilhabe und Beteiligung. ({6}) Zweitens. Die Wahrung der Generationengerechtigkeit ist die größte sozialpolitische Aufgabe der vor uns liegenden Jahre. Seit Jahrzehnten - das sage ich ausdrücklich - lebt Deutschland über seine Verhältnisse und verschiebt die Lasten auf nachfolgende Generationen. Vor allem die jungen Menschen erwarten von der gesetzlichen Rente kaum noch einen nennenswerten Beitrag zu ihrer ganz persönlichen Alterssicherung. Ihre verfehlte Rentenpolitik - steigende Beiträge, Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und Abschaffung des demographischen Faktors - führt, wenn wir nicht umsteuern, automatisch in den Generationenkonflikt, spätestens dann, wenn jeder Erwerbstätige mit seinem Einkommen einen Rentner finanzieren muss. ({7}) Deutschland braucht eine ehrliche Rentenreform mit realistischen Annahmen für die Zukunft. Dass Ihre Annahmen für die Zukunft bei der „Jahrhundertreform 2001“ nicht realistisch waren, hat der Bundeskanzler am Freitag in seiner Rede selbst zugegeben. Deutschland braucht eine Reform, die neben der gesetzlichen Vorsorge die private und die betriebliche Vorsorge stärkt, eine Reform, die alle gemeinsam - Beitragszahler, Rentner und der Staat - tragen, eine Reform, die bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch eine Verkürzung von Bildungszeiten und eine Annäherung des tatsächlichen an das gesetzliche Renteneintrittsalter ansetzt. Ich hätte mich gefreut, wenn der Bundeskanzler am Freitag wie auch Ministerin Schmidt nicht bei nebulösen Andeutungen geblieben wären. Egal ob Rente, Pflege oder Gesundheit: Die Taktik dieser Bundesregierung ist immer die gleiche: beschwichtigen, abwiegeln und nur auf Druck von außen das Nötige zum Zustand der sozialen Sicherungssysteme in diesem Land zugeben. ({8}) Gehen Sie ehrlich mit den Menschen und insbesondere mit den jungen Menschen in diesem Land um. Sagen Sie ihnen offen, wie es um die sozialen Sicherungssysteme steht. Fassen Sie endlich den Mut, das Nötige anzugehen, statt den tatsächlichen Zustand immer wieder zu verleugnen. ({9}) Drittens. Bildung ist der Schlüssel für individuelle Lebenschancen und Motor für gesellschaftliche Entwicklungen. Bildung begründet Wohlstand, politische Mündigkeit, kulturelle Teilhabe und berufliche Perspektiven. Bildung ist damit die eigentliche und neue soziale Frage in Deutschland. Bildung ist die Schlüsselressource für die Zukunft dieses Landes. Wenn ich nach China oder Südostasien schaue, dann weiß ich, mit welchen Potenzialen wir in Zukunft werden Schritt halten müssen, um unsere Position in der Welt und unseren Lebensstandard zu erhalten und auszubauen. Sie verstehen Bildung in guter sozialdemokratischer Tradition als reine Geldfrage: Pumpen wir noch ein paar Milliarden ins System, dann wird es schon klappen. Mindestens genauso wichtig ist es aber, im föderalen Wettbewerb Leistungen von Lernenden und Lehrenden zu fordern, über Inhalte zu streiten und Werte zu vermitteln. ({10}) Sprechen wir zuerst darüber und dann über die Finanzierung. Alles andere ist Flickschusterei und beraubt uns unserer Möglichkeiten für die Zukunft. Als Vertreter der jungen Generation kann ich zusammenfassend von der Bundesregierung diese drei genannten Dinge für eine generationengerechte Politik einfordern: ein gesellschaftliches Klima, in dem Freiheit und Selbstverantwortung gedeihen können, eine ehrliche Rentenreform, die die Rentenhöhe mit der Lebenserwartung und der Lebensarbeitszeit verknüpft, und eine gemeinsam mit den Ländern gestaltete leistungsorientierte Bildungspolitik, die anerkennt, dass Bildung die neue soziale Frage in Deutschland ist. ({11}) Nirgendwo sind im vorgelegten Bundeshaushalt die notwendigen großen Neuerungen zu sehen, die unser Land so dringend braucht. Nun mögen einige der Dinge, die der Kanzler am Freitag hier angesprochen hat, punktuell in die richtige Richtung weisen. Das Schlimme ist, dass die jungen Menschen in diesem Land mittlerweile ein ironisch-gleichgültiges Verhältnis zu seiner unsteten Ankündigungspolitik haben. ({12}) Elmar Brandts Schröder-Song mit dem viel sagenden Titel „Alles wird gut“ mag dem Letzten als Beweis für diesen Ansehensverlust dienen. ({13}) Wenn wir hier im Deutschen Bundestag dazu beitragen wollen, den zukünftigen Generationen ein anständig bestelltes Land zu hinterlassen, brauchen wir zuallererst eines: einen verlässlichen, einen wirklich mutigen, einen durchsetzungsstarken und konfliktbereiten Kanzler. ({14}) Kurzum: Ein neuer Kanzler, wahlweise eine neue Kanzlerin, wäre ein wirkliches Zeichen des Aufbruchs. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Spahn, ich gratuliere auch Ihnen im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Hierzu liegen Ihnen drei Änderungsanträge vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/650? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/680? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksache 15/662. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der beiden fraktionslosen Kolleginnen abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 04 in der Ausschussfassung. Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003, hier: Einzelplan 04 - Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes -, bekannt. Abgegebene Stimmen 578. Mit Ja haben gestimmt 300, mit Nein haben gestimmt 278. Es gab keine Enthaltungen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 300 nein: 279 Ja SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Sabine Bätzing Ernst Bahr ({0}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Sören Bartol Uwe Karl Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Kurt Bodewig Gerd Friedrich Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Marco Bülow Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({5}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Hans Martin Bury Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Dr. Peter Wilhelm Danckert Karl Diller Martin Dörmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({6}) Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Angelika Graf ({7}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({8}) Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({9}) Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Monika Heubaum Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({10}) Walter Hoffmann ({11}) Iris Hoffmann ({12}) Frank Hofmann ({13}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Renate Jäger Jann-Peter Janssen Klaus-Werner Jonas Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h.c. Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Heinz Köhler Fritz Rudolf Körper Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Horst Kubatschka Ernst Küchler Dr. Uwe Küster Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({14}) Christine Lehder Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Gabriele Lösekrug-Möller Götz-Peter Lohmann Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Caren Marks Christoph Matschie Hilde Mattheis Markus Meckel Ulrike Mehl Petra-Eveline Merkel Ulrike Merten Angelika Mertens Ursula Mogg Michael Müller ({15}) Christian Müller ({16}) Dr. Rolf Mützenich Gesine Multhaupt Volker Neumann ({17}) Dietmar Nietan Dr. Erika Ober Holger Ortel Heinrich Paula Johannes Pflug Joachim Poß Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Karin Rehbock-Zureich Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({18}) Michael Roth ({19}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({20}) Thomas Sauer Anton Schaaf Axel Schäfer ({21}) Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Horst Schmidbauer ({22}) Ulla Schmidt ({23}) Dagmar Schmidt ({24}) Wilhelm Schmidt ({25}) Heinz Schmitt ({26}) Carsten Schneider Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Olaf Scholz Wilfried Schreck Ottmar Schreiner Gisela Schröter Brigitte Schulte ({27}) Reinhard Schultz ({28}) Swen Schulz ({29}) Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Christoph Strässer Rita Streb-Hesse Joachim Stünker Jörg Tauss Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Hans-Jürgen Uhl Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Ute Vogt ({30}) Dr. Eva Marlies Volkmer Hans Georg Wagner Hedi Wegener Andreas Weigel Reinhard Weis ({31}) Petra Weis Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({32}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Jürgen Wieczorek ({33}) Dr. Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({34}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben ({35}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Helmut Zöllmer Dr. Christoph Zöpel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({36}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Volker Beck ({37}) Cornelia Behm Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Jutta Dümpe-Krüger Dr. Uschi Eid Hans-Josef Fell Katrin-Dagmar GöringEckardt Anja Margarete Helena Hajduk Winfried Hermann Antje Hermenau Peter Hettlich Ulrike Höfken Michaele Hustedt Fritz Kuhn Undine Kurth ({38}) Dr. Reinhard Loske Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({39}) Christa Nickels Simone Probst Claudia Roth ({40}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({41}) Werner Schulz ({42}) Petra Selg Ursula Sowa Rainder Steenblock Silke von Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Marianne Tritz Hubert Wendel Ulrich Dr. Antje Vogel-Sperl Dr. Ludger Volmer Josef Philip Winkler Margareta Wolf ({43}) Nein CDU/CSU Ulrich Adam Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({44}) Veronika Maria Bellmann Dr. Christoph Georg Bergner Otto Bernhardt Dr. Rolf Bietmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen ({45}) Dr. Wolfgang Bötsch Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Helge Braun Paul Breuer Monika Brüning Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({46}) Verena Butalikakis Cajus Caesar Manfred Carstens ({47}) Peter H. Carstensen ({48}) Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Albert Deß Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Vera Dominke Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({49}) Georg Fahrenschon Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({50}) Dirk Fischer ({51}) Axel E. Fischer ({52}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({53}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Roland Gewalt Eberhard Gienger Georg Girisch Ralf Göbel Dr. Reinhard Göhner Tanja Gönner Josef Göppel Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Kurt-Dieter Grill Reinhard Grindel Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg Olav Gutting Holger-Heinrich Haibach Gerda Hasselfeldt Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Siegfried Helias Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Robert Hochbaum Joachim Hörster Klaus Hofbauer Martin Hohmann Hubert Hüppe Susanne Jaffke Dr. Dieter Peter Jahr Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Irmgard Karwatzki Bernhard Nikolaus Kaster Siegfried Kauder ({54}) Volker Kauder Gerlinde Kaupa Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Kristina Köhler Norbert Königshofen Manfred Kolbe Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Michael Kretschmer Günther Krichbaum Günter Krings Dr. Hermann Kues Werner Kuhn ({55}) Dr. Karl A. Lamers ({56}) Barbara Lanzinger Karl-Josef Laumann Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({57}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({58}) Dorothee Mantel Erwin Marschewski ({59}) Stephan Mayer ({60}) Conny Mayer ({61}) Dr. Martin Mayer ({62}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({63}) Doris Meyer ({64}) Maria Michalk Hans Michelbach Klaus Minkel Marlene Mortler Stefan Müller ({65}) Bernward Müller ({66}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({67}) Henry Nitzsche Michaela Noll Claudia Nolte Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Melanie Oßwald Eduard Oswald Rita Pawelski Dr. Peter Paziorek Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Christa Reichard ({68}) Katherina Reiche Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Hannelore Roedel Dr. Norbert Röttgen Franz-Xaver Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Volker Rühe Albert Rupprecht ({69}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({70}) Hartmut Schauerte Andreas Scheuer Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({71}) Andreas Schmidt ({72}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Kurt Segner Matthias Sehling Marion Seib Heinz Seiffert Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Christian von Stetten Gero Storjohann Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({73}) Michael Stübgen Antje Tillmann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Angelika Volquartz Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marko Wanderwitz Peter Weiß ({74}) Gerald Weiß ({75}) Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({76}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Willi Zylajew FDP Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Helga Daub Jörg van Essen Horst Friedrich ({77}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({78}) Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Christel Happach-Kasan Christoph Georg Hartmann ({79}) Klaus Haupt Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({80}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Andreas Pinkwart Dr. Günter Rexrodt Marita Sehn Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Jürgen Türk Dr. Claudia Winterstein Fraktionslose Abgeordnete Petra Pau Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Rauber, Helmut CDU/CSU Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe die Punkte I. 19 a und 19 b auf: a) hier: Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung - Drucksachen 15/563, 15/572 - Berichterstattung: Abgeordnete Waltraud Lehn Anja Hajduk Otto Fricke b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zum diagnoseorientierten Fallpauschalensystem für Krankenhäuser - Fallpauschalenänderungsgesetz ({81}) - Drucksache 15/614 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung ({82}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Michael Luther von der CDU/ CSU-Fraktion. ({83})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In diesen Tagen bewegt uns und die Menschen im Land die weltpolitische Lage mehr als die Innenpolitik. Das ist mehr als verständlich. Auch ich habe Sorge. Wir müssen alles dafür tun, die Krise und die Folgen für unser Land zu bewältigen. Trotzdem müssen wir als Bundespolitiker unsere Tagesaufgaben erledigen. Dazu gehört, dass wir über den Bundeshaushalt 2003 abschließend beraten. Vor einem Jahr hat Bundesfinanzminister Eichel gemeint, der Bundeshaushalt 2002 sei auf Kante genäht. Was heißt das? Ursprünglich waren 21,1 Milliarden Euro Neuverschuldung vorgesehen. Gelandet sind wir aber bei 31,8 Milliarden Euro Neuverschuldung. Auf Kante genäht heißt also 10 Milliarden Euro mehr Neuverschuldung. ({0}) Herr Eichel, wenn Sie für dieses Jahr wieder ein Bild gebrauchen wollen, dann sagen Sie bitte nicht wieder, dieser Haushalt sei auf Kante genäht. Ich sage Ihnen: Der jetzige Haushalt ist auf Sand gebaut. ({1}) Ich werde die Risiken des Bundeshaushalts anhand des Einzelplans für Gesundheit und Soziale Sicherung klar benennen. Der Einzelplan 15 hat ein Volumen von 82 Milliarden Euro. Er ist also mit Abstand der größte Einzelplan. Leider kann die Ministerin nicht in vollem Umfang über diese Summe verfügen; denn davon gehen 77 Milliarden Euro an die Rentenversicherung. Der Zuschuss an die Rentenversicherung macht mittlerweile 31 Prozent des Gesamthaushaltes aus. Diese dramatische Entwicklung wird noch deutlicher, wenn man die Entwicklung der letzten drei Jahre betrachtet: Der Zuschuss an die Rentenkasse belief sich im Jahre 2001 auf 69 Milliarden Euro, 2002 auf 72 Milliarden Euro und 2003, wie gesagt, auf 77 Milliarden Euro. Dahinter steckt eine folgenschwere Entwicklung in der gesetzlichen Rentenkasse. Heute erkennt der Bundeskanzler an, dass die Annahmen über die Rentenentwicklung - ich zitiere aus seiner Regierungserklärung vom letzten Freitag - „zu pessimistisch im Bezug auf die durchschnittliche Lebenserwartung“ waren. Was heißt das? Das heißt doch, dass der Bundeskanzler einen demographischen Faktor einführen will, dass er sich aber noch nicht traut, das dem deutschen Volk direkt zu sagen. Genau dies haben wir im Übrigen schon vor der Bundestagswahl 1998 auf den Weg gebracht. Aber Sie haben das - auf Ihrer so genannten Garantiekarte stand damals die Parole „Mehr soziale Gerechtigkeit“ und auch, dass Sie die Fehler der KohlRegierung beseitigen wollten - 1998 wieder zurückgeführt. Später sind Sie dann in die steuerfinanzierte Rente eingestiegen. Damit haben Sie - das ist heute festzustellen - überhaupt kein Problem gelöst. Wir brauchen nach wie vor - das ist mittlerweile allgemein anerkannt - eine nachhaltige Rentenreform, die wir als CDU/CSU schon vor 1998 vorausschauend begonnen hatten. ({2}) Jetzt gibt es zusätzlich ein katastrophales Haushaltsstrukturproblem. Das beschreibt allerdings noch nicht die ganze Wahrheit. Die Rentenbeiträge hätten 2002 versicherungsmathematisch steigen müssen. Die Steigerung für 2003 hätte noch höher ausfallen müssen, als es von der Koalition letztendlich beschlossen worden ist. Um ihr Ziel zu erreichen, hat die Koalition faktisch zweimal einen Kredit aus der Schwankungsreserve aufgenommen. Ich erinnere: 2001 betrug der Zielhorizont in Bezug auf die Schwankungsreserve noch eine Monatszahlrate. 2002 haben Sie diesen Zielhorizont auf 0,8 einer Monatszahlrate abgesenkt. Erreicht haben Sie 0,66. 2003 soll der Zielhorizont auf 0,5 sinken. Er wird wahrscheinlich wesentlich niedriger sein. Ich möchte denen, die nicht wissen, was das ist, kurz die Schwankungsreserve erklären. Sie ist nötig, um Schwankungen zwischen den Einnahmen der Rentenkasse, also den Beiträgen, und den Ausgaben, also den Rentenzahlungen, auszugleichen. Der Monat Oktober ist erfahrungsgemäß immer kritisch, weil die Schwankungsreserve im Jahresverlauf leicht abnimmt. Sie kann erst am Jahresende, beispielsweise durch Rentenabgaben auf das Weihnachtsgeld, wieder aufgefüllt werden. Der Bundesrechnungshof warnt uns in seinem Bericht vom 4. Dezember 2002, dass die - ich zitiere - „voraussichtlich verfügbaren kurzfristigen Mittel zeitweilig nicht ausreichen“ werden. Das heißt, die Aushöhlung der liquiden Mittel der Schwankungsreserve durch die Bundesregierung ist mittlerweile gefährlich für den Bundeshaushalt. Ich glaube, das sieht die Koalition inzwischen genauso. Warum sonst soll durch das Haushaltsgesetz plötzlich erlaubt sein, dass der Bundeszuschuss in Höhe von 77 Milliarden Euro nicht mehr in zwölf gleichen Monatsraten, sondern vorfristig an die Rentenkassen überwiesen wird? Damit wollen Sie eine - auch von Ihnen erwartete - Zahlungsunfähigkeit der Rentenkasse im Laufe dieses Jahres verhindern; sonst würde die Rentenkasse über die Bundesgarantie direkt auf den Bundeshaushalt zugreifen. Die Renten werden monatlich pünktlich gezahlt, weil der Bundeshaushalt gegebenenfalls einspringt. Durch diesen Passus im Gesetz wollen Sie jedoch verhindern, dass der Haushaltsausschuss, der Deutsche Bundestag und das deutsche Volk von den Hintergründen dafür erfahren. ({3}) Das können wir nicht mitmachen. Wir von der Union wollen diesen Verschleierungsparagraphen deshalb aus dem Haushaltsgesetz streichen. ({4}) Die momentane Rentenfinanzierung bringt aufgrund des dramatischen Anwachsens des Bundeszuschusses zunehmend enorme Haushaltsstrukturprobleme mit sich. Durch die Aushöhlung der Schwankungsreserve kommen auf den Bundeshaushalt erhebliche Risiken zu. Deshalb ist der Bundeshaushalt 2003 im Hinblick auf Einzelplan 15 eben nicht „auf Kante genäht“, sondern auf Sand gebaut. ({5}) Nun möchte ich ein Wort zur Gesundheitsreform sagen. Der Bundeskanzler hat in seiner Rede am letzten Freitag auch auf die Notwendigkeit einer Gesundheitsreform hingewiesen. Ich will nicht auf die einzelnen Vorschläge eingehen; das werden meine Fraktionskollegen im Folgenden sicherlich tun. Ich will etwas zur Haushaltsrelevanz sagen. Ich zitiere hier wiederum den Kanzler: Außerdem werden wir das tun müssen, was wir im Rahmen der Rentenstrukturreform vorgemacht haben: die Befreiung der gesetzlichen Krankenversicherung von einer Reihe so genannter versicherungsfremder Leistungen. ({6}) Das heißt, der Bundeskanzler will auch in diesem Bereich den Einstieg in die Steuerfinanzierung. Ich habe gerade versucht, eindrucksvoll aufzuzeigen, ({7}) welche Folgen diese Entwicklung hat. Wenn man glaubt, damit die Probleme einer Sozialversicherungskasse lösen zu können, dann ist man auf dem Holzweg. ({8}) Ich befürchte: Wegen des mangelnden Mutes der SPD und der Grünen zu Reformen wäre das Ergebnis einer Gesundheitsreform lediglich der Einstieg in die Steuerfinanzierung. Damit wäre eine Steuerspirale in Gang gesetzt. Das Ende dieser Entwicklung ist für mich nicht absehbar. Wir, die Haushälter, dürfen den eingeschlagenen Weg auf keinen Fall mitmachen. ({9}) Wir brauchen eine grundlegende Gesundheitsreform, die beitragssenkend wirkt. Wenn es dazu kommt, dann kann man sicherlich auch über andere Fragen nachdenken. Das darf aber erst dann und nicht vorher geschehen. Zu einer grundlegenden Gesundheitsreform gehören - das will ich ehrlich sagen - Ehrlichkeit und Mut; denn man muss den Bürgern sagen, was auf sie zukommt. Momentan verschieben Sie alle Entscheidungen auf Kommissionen. Frau Schmidt, Sie haben in Ihrem Ministerium gute Beamte. Die können eine Gesundheitsreform verfassen. Sie müssen ihnen nur klare Vorgaben machen. Legen Sie das Ergebnis dann bitte dem Parlament vor, lassen Sie die Experten im Parlament, im Gesundheitsausschuss, darüber beraten und lassen Sie ihnen Zeit dafür! Wenn Sie diesen Weg beschreiten, dann werden Sie feststellen, dass am Ende auch etwas Vernünftiges dabei herauskommt. ({10}) Ganz nebenbei - das will ich hier auch noch festhalten können Sie dann die 1 Million Euro, die die RürupKommission kostet, einsparen. ({11}) Frau Ministerin, Ihr bisheriges Stückwerkeln bringt nichts. Die Leute trauen Ihnen Reformen nicht mehr zu. Nur eines ist sicher: Rot-Grün ist für eine seriöse Haushaltspolitik ein Risiko. ({12}) Der Haushalt ist vor dem Hintergrund Ihrer Pläne zur Gesundheitsreform eben nicht auf Kante genäht, sondern auf Sand gebaut. ({13}) Lassen Sie mich dazu kommen, wie Sie letztlich weitere Haushaltsrisiken eingebaut haben. Ich will als erstes Beispiel die Versorgungsbezüge für Beschädigte nennen. 2002 betrug der Bedarf dafür 2,99 Milliarden Euro. Dabei hatten Sie sich um 50 Millionen Euro verschätzt; Sie hatten zu wenig etatisiert. Es geht hierbei um die Kriegsopferfürsorge, bei der die Fallzahlen altersbedingt sinken. Die Statistiker sagen, dass sie von 2002 auf 2003 um 8 Prozent sinken werden. Im Haushaltsentwurf haben Sie ein Minus von 9 Prozent zugrunde gelegt. Nach meiner Rechnung sind das also rund 26 Millionen Euro zu wenig. Es kommt ein neues Problem hinzu, die Beschaffung der Pockenimpfstoffe. Auch dafür musste der Haushalt herhalten. Was machen Sie? - Sie ziehen bei diesem Titel weitere 13 Millionen Euro ab. Am Jahresende werden wir feststellen - das prognostiziere ich -: In diesem Haushaltstitel werden mindestens rund 40 Millionen Euro fehlen. Zweites Beispiel: die Beteiligung des Bundes an der knappschaftlichen Rentenversicherung. Etatisiert waren 7,321 Milliarden Euro. Sie brauchen Geld für den Pockenimpfstoff. Was machen Sie also? - Sie runden den Ansatz bei diesem Haushaltstitel ab und schon haben Sie 21 Millionen Euro zur Verfügung, die für die Beschaffung von Pockenimpfstoff aufgewendet werden können. Ich frage Sie: Ist das ein seriöses Herangehen in der Haushaltspolitik? Ein drittes Beispiel: der zusätzliche Zuschuss des Bundes an die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. In § 213 des SGB VI war vorgesehen, dass aus dem Ökosteueraufkommen im Jahr 2003 9,51002 Milliarden Euro an die Rentenkasse fließen. Dann mussten Sie die Grundsicherung finanzieren. Was haben Sie gemacht? - Sie haben einfach 400 Millionen Euro dort weggenommen und an eine andere Stelle verschoben. Diese 400 Millionen Euro, die eigentlich als Zuschuss für die Rentenkassen gedacht waren, fehlen dort heute. Diese drei Beispiele zeigen, wie Rot-Grün Haushaltspolitik versteht. Deshalb sage ich noch einmal: Dieser Haushalt ist nicht auf Kante genäht, sondern - Frau Lehn lacht; sie weiß schon, was kommt - auf Sand gebaut. In dieser Woche wird vielen bewusst, in welch schwieriger Sicherheitslage wir uns befinden. Aber die Bedrohung in Deutschland durch terroristische Angriffe ist nicht erst seit dieser Woche bekannt, sondern bereits vor allem der Bundesregierung seit Sommer letzten Jahres. Deshalb hat die Bundesregierung richtigerweise zum Beispiel Pockenimpfstoff beschafft. Wie das Parlament darüber informiert worden ist und wie die Finanzierung erfolgte, ist ({14}) ein Kapitel für sich. Zu dem Thema hatten wir hier kürzlich auch eine Aktuelle Stunde. ({15}) Dabei - davon bin ich fest überzeugt - darf es nicht bleiben, sondern es muss weitergehen. Man muss die ÖfDr. Michael Luther fentlichkeit informieren. Man muss die Öffentlichkeit vorbereiten, und zwar offen und ehrlich. ({16}) Für alle Eventualitäten müssen Vorbereitungen getroffen werden. Wer wäre dafür zum Beispiel besser prädestiniert als die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung? Mir ist während der Haushaltsberatungen unklar geblieben, warum Sie der BZgA in dem Titel „Gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung“ 10 Prozent streichen. Ich finde, das ist falsch. Wir wollten die BZgA arbeitsfähig halten und sind deshalb der Meinung, dass gerade dieser Titel hätte aufgestockt werden müssen. An diesem Beispiel kann man zeigen, was man auch an vielen anderen Stellen im Haushalt zeigen könnte: Sie setzen die Schwerpunkte im Haushalt falsch. Ob der Plan das wert ist, was man von ihm sagt, wird man sehen. Ich vermute, am Jahresende wird vieles überhaupt nicht mehr stimmen. Meine feste Überzeugung als Haushälter ist: Dieser Haushalt ist nicht auf Kante genäht, sondern auf Sand gebaut. Meine Damen und Herren, ab diesem Jahr sind die Fachbereiche Gesundheit und soziale Sicherung zusammengelegt. Das ist ein richtiger Schritt, der große Chancen bietet. Das Ministerium muss sich erst finden; das ist mehr als verständlich. Deshalb habe ich als Haushälter meine konstruktive Unterstützung angeboten. Ich hoffe nun, dass Sie, Frau Schmidt, die großen Chancen, die dieses neue Ministerium bietet, im Interesse Deutschlands nutzen. Sie könnten als echte Reformministerin für die sozialen Sicherungssysteme in die Geschichte eingehen. ({17}) Wenn Sie es gut machen, dann haben Sie auch die Union hinter sich. Aber aufgrund dessen, was wir bislang wissen, kann man nur eines feststellen: Sie machen es zurzeit sehr schlecht. ({18}) Deshalb müssen wir das als Opposition entsprechend kritisieren. ({19}) Lassen Sie mich noch einen Satz anfügen. Es waren intensive Haushaltsberatungen und es gehört sich, dass man an dieser Stelle den Mitarbeitern des Ministeriums dankt, die uns aktiv begleitet haben. Das sei an dieser Stelle getan. ({20}) Mein Schlusssatz: Ob der Haushalt das wert ist, was das Papier gekostet hat, auf dem er gedruckt ist, ({21}) wird sich am Jahresende zeigen. Wir können diesen Haushalt nur ablehnen. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn von der SPD-Fraktion.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt 2003 des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung ist zweifellos ein wichtiger, aber er ist auch ein schwieriger Haushalt. Mit rund 82 Milliarden Euro ist der Einzelplan 15 der größte Einzeletat im Bundeshaushalt und er bindet immerhin rund 30 Prozent der gesamten Ausgaben. Diese Zahlen belegen, welche Bedeutung, aber auch welche Verantwortung diesem Einzelplan zukommt. Der größte Ausgabenblock ist hierbei mit 77,6 Milliarden Euro die Sozialversicherung. Allein 73,1 Milliarden Euro stehen dabei als Zuschuss zur Rentenversicherung zur Verfügung. Davon kommen 17,3 Milliarden Euro aus dem Aufkommen der Ökosteuer. Allein die letzte Stufe der Ökosteuer bringt der Rentenversicherung seit dem 1. Januar dieses Jahres 3 Milliarden Euro an Mehreinnahmen. ({0}) Nun kritisiert die Opposition nach wie vor heftig die Ökosteuer. Herr Stoiber hat am vergangenen Freitag hier zum wiederholten Male ihre Abschaffung gefordert. Wenn die Opposition das will, dann muss sie auch sagen, was das im Endeffekt bedeutet. Es bedeutet nämlich, dass sich der Beitragssatz in der Rentenversicherung um 1,7 Prozent auf über 21 Prozent erhöhen würde ({1}) oder - das ist die Alternative - die Rente um den entsprechenden Betrag bei allen Rentnerinnen und Rentnern gekürzt werden müsste. Das wäre die Folge. Aber vielleicht will die Opposition ja auch die Beiträge zur Kindererziehung, die inzwischen über 12 Milliarden Euro ausmachen, komplett einstampfen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lehn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bergner?

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, ehe Sie noch weitere Loblieder auf die

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich werde das noch ausweiten.

Dr. Christoph Bergner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003505, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- möchte ich Sie fragen, wie Sie es mit Ihrem Gerechtigkeitssinn vereinbaren können, dass eine große Zahl von Bürgerinnen und Bürgern Ökosteuer zahlen müssen, die von der gesetzlichen Rentenversicherung keine einzige Leistung erhalten. ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde, das ist wirklich eine außerordentlich gute Frage. Ich hatte mir schon überlegt, wie ich den Inhalt dieser Antwort in meine Rede einbaue. Insoweit kann ich Ihnen nur danken. Es ist so - das wissen auch Sie -, dass Sie seit vielen, vielen Jahren Lasten in die Sozialversicherungssysteme geschoben haben, die dort nichts zu suchen haben. Es hat in den letzten 16 Jahren insgesamt eine Zunahme der Fremdleistungen gegeben, die so gewaltig ist, dass man sagen muss, dass die Versicherten zu einem ganz erheblichen Teil den Aufbau Ost finanziert haben. Um die Ungerechtigkeiten zu beseitigen, wenn nur ein Teil und nicht die gesamte Bevölkerung diese Lasten trägt, haben wir die Ökosteuer eingeführt. Das eben ist ein beispielloser Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, unterstützt durch die Möglichkeit, Energieverbrauch selbst zu steuern, indem man zum Beispiel darauf achtet, ein Auto zu fahren, das weniger Benzin verbraucht, oder dafür Sorge trägt, dass durch den Schornstein nicht unnötig Energie verpufft. Dadurch, dass den Menschen solche Steuerungsmöglichkeiten gegeben sind, wird dem Gerechtigkeitsgedanken auch Rechnung getragen. ({0}) Ich muss sagen: Wenn die Koalition die Ökosteuer nicht eingeführt hätte - Sie müssten uns im Nachhinein eigentlich dankbar sein -, hätten wir heute eine noch verschärftere Diskussion darüber, wie schlimm und wie schädlich es gewesen ist, den Aufbau Ost über die Sozialversicherungssysteme zu finanzieren. ({1}) Ehrlich gesagt: Der Spaß, in diesen Zeiten Haushaltspolitik zu machen, hält sich durchaus in engen Grenzen. ({2}) Aber es überkommt mich geradezu ein Grauen, wenn ich mir vorstelle, dass die Opposition derzeit tatsächlich verantwortlich entscheiden müsste; ({3}) vor allem, wenn ich mir die Themen Irak sowie Krieg und Frieden und die Ausführungen von Frau Merkel dazu heute Morgen vor Augen halte. Aber das gilt auch für andere Themen: Fällt die Ökosteuer weg, müssten die Renten runter oder die Beiträge rauf. Weiterhin wurden wir mit Milliardenforderungen während der Etatberatungen in den Ausschüssen und auch im Haushaltsausschuss permanent konfrontiert. Dies hätte bedeutet: Schulden - wie zu Zeiten von Kohl und Waigel ({4}) rauf. Oder nehmen wir die Forderung nach 7 Prozent - Herr Austermann, da hat Ihnen ja Frau Merkel aus der Seele gesprochen - zusätzlich für Verteidigungsausgaben. Da frage ich Sie, Herr Austermann: Woher denn nehmen? ({5}) Diese Antwort sind Sie immer schuldig geblieben. Das ist eine unsaubere, unredliche und auch eine verlogene Politik, wenn man so agiert. ({6}) Nein, so geht es nicht. Die Zeit der Streudosengeschenke ist schon lange vorbei. Wer den Sozialstaat im Kern erhalten will, der darf heute weder Schulden machen noch darf er auf gerecht verteilte Einnahmen verzichten. Lassen Sie mich noch einmal auf die Rente zurückkommen. Ohne die Rentenreform und ohne die Ökosteuer würden die Beiträge zur Rentenversicherung, wie schon gesagt, auf 21,2 Prozent steigen. Die Rentenreform 2001 war richtig. Die ersten Zahlen zeigen: Wir sind mit dem Aufbau einer kapitalgedeckten privaten Vorsorge als zweiter Säule der Rentenversicherung auf einem guten Weg. Bis zum Ende letzten Jahres haben immerhin 5,4 Millionen Verträge zur individuellen Altersversorgung abgeschlossen werden können. Dabei hat vor allem die betriebliche Altersvorsorge einen starken Zulauf. Die Bundesregierung geht davon aus, dass in den nächsten Jahren circa zwei Drittel bis drei Viertel der Beschäftigten ihre zusätzliche Altersversorgung über eine Betriebsrente aufbauen werden. Die betriebliche Altersvorsorge steht, nachdem sie 16 Jahre unter der Kohl-Regierung praktisch vergessen worden ist, vor einer starken Wiederbelebung. Auch dies ist ein großer Erfolg der Riester-Rente, den die Opposition nach wie vor leugnet. ({7}) Die Rente, Herr Luther, ist sicher. ({8}) Ich finde es problematisch, dass Sie versuchen, die Menschen an dieser Stelle zu verunsichern. Denn zusätzlich zu der Bundesgarantie, die immer greift und die dafür sorgt, dass der Rentner und die Rentnerin jeden Monat pünktlich ihre Rente bekommen, hat der Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, dass auch ein Monat quasi im Vorgriff ausgezahlt werden kann. Dies ist eine weitere Möglichkeit, auf die bei Liquiditätsengpässen zurückgegriffen werden kann. Es liegt doch im Interesse von Haushaltswahrheit und -klarheit, wenn man das nicht als Spardose auffasst, sondern wenn man die vorgesehenen Möglichkeiten nutzt und nicht mehr Geld zurückstellt, als tatsächlich erforderlich ist. Der Rentenversicherungsträger bleibt stets uneingeschränkt handlungsfähig. Der Zuschuss zur Rentenversicherung unterliegt derzeit im Wesentlichen zwei großen Einflüssen, auf die ich eingehen möchte. Zum einen wirkt sich die Arbeitslosigkeit direkt auf den Zuschuss aus. Das muss uns durchaus Sorgen bereiten. Mit steigenden Arbeitslosenzahlen entstehen der Rentenversicherung Beitragsausfälle, die durch Bundeszuschüsse ausgeglichen werden müssen. Deshalb haben wir in der letzten Zeit einen permanenten und auch erheblichen Anstieg des Zuschusses. Zum anderen möchte ich angesichts der Tatsache, dass Herrn Luther und der CDU/CSU offensichtlich immer nur der demographische Faktor einfällt, wenn es um die Frage geht, wie man im Bereich der Rente zu sinnvollen Veränderungen kommen kann, Folgendes sagen: Wir haben bereits bewiesen, dass wir mit der Schaffung einer zusätzlichen Säule andere Wege gehen können. Aber lassen Sie mich auf eine Fehlentwicklung zu sprechen kommen. Für das Zusatzversorgungssystem Ost müssen inzwischen 2,5 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Wohlgemerkt, ich rede von einer Zusatzrente. Die Tendenz ist steigend. Die Anzahl der Rentner und Rentnerinnen, die nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, einem Gesetz aus der Kohl-Ära, und der Rechtsprechung des Bundesozialgerichtes Anspruch auf höhere Renten haben, nimmt weiterhin zu. Allein von 2002 auf 2003 sind hier 500 Millionen Euro zusätzliche Ausgaben erwachsen. Es kann meines Erachtens doch nicht richtig sein, dass wir 13 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Rentenformel Ost haben, die es vielen Rentenbeziehern in den neuen Bundesländern erlaubt, sich auf dem Klagewege höhere Renten als die Rentner in Westdeutschland zu erstreiten, nur weil es damals diese Zusatzversorgungssysteme gab, in die weder sie noch andere je eingezahlt haben. Wenn man diese Fehlentwicklung erkennt, dann muss man an dieser Stelle gegensteuern. Das kann nur durch die Politik erfolgen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lehn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luther?

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Luther, bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe Fragen zu Ihrer Bemerkung hinsichtlich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass das ursprüngliche Gesetz für viele eine niedrigere Rente vorgesehen hatte, dass aber das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis, dass es sich um eine Besitzstandswahrung aus DDR-Zeit handelt, alle Versuche, mehr Gerechtigkeit bei der Rente zu schaffen, letztendlich zunichte gemacht hat, was dazu führt, dass mehr Rente gezahlt werden muss? Sind Sie ferner mit mir einer Meinung, dass das nicht den Bundeshaushalt, sondern im Wesentlichen die Haushalte der neuen Länder belastet und dass man vor dem Hintergrund, dass man den Aufbau Ost nicht aus den Augen verlieren darf, hier Kompensationen schaffen muss, um die neuen Bundesländer nicht finanziell abzukoppeln? ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin davon überzeugt, Herr Luther, dass sicherlich niemand, als dieses Gesetz erarbeitet worden ist, damit gerechnet hat, dass sich nach und nach alle Gruppen der Rentenbezieher aus Ostdeutschland einklagen werden. Dieses Gesetz ist aber mit einer derart heißen Nadel gestrickt worden, dass sich die Sozialgerichte - jedenfalls im Moment - auf der Grundlage eines Urteils eines Bundesgerichtes in die Lage versetzt sehen - das entspricht dem bestehenden Recht -, so zu entscheiden, dass das quasi eine Öffnung für eine unbegrenzte Zahl von Betroffenen nach sich zieht. Diese Erkenntnis besteht inzwischen seit langer Zeit. Denn das, was Sie ansprechen, ist neun Jahre alt. ({0}) - Nein, das ist nicht neu. - In dieser Zeit musste man eingreifen. Das Genannte ist eine der Möglichkeiten, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Ich behaupte nicht, dass wir unterschiedlicher Auffassung sind, was die Behebung dieses Problemes angeht. Denn wir werden das gemeinsam lösen können und lösen müssen. Ich wollte darauf hinweisen, dass eine Korrektur bei den Ausgaben nicht zwangsläufig bedeutet, dass man den demographischen Faktor, so wie ihn Norbert Blüm angelegt hat, einführen muss. Meine Damen und Herren, neben der Sozialversicherung umfasst der Haushalt weitere Aufgaben, die zwar quantitativ nicht sehr umfangreich, dafür aber nicht weniger wichtig in ihrer Bedeutung sind. So haben wir im Haushalt 2003 22 Millionen Euro für Modellprogramme im Bereich der Rehabilitation und rund 14 Millionen Euro für Modellprogramme im Bereich der Pflege vorgesehen. Für das „Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen“ stehen 4 Millionen Euro zur Verfügung. Rund 153 Millionen Euro haben wir im Haushalt für die Beschaffung von Impfstoffen eingesetzt. Damit sind wir in der Lage, bis Ende des Jahres für 82 Millionen Bundesbürger, also für die gesamte Bevölkerung, 100 Millionen Dosen Impfstoffe in zentralen Depots vorzuhalten. Jeder von uns hofft, dass wir diesen Impfstoff nicht einsetzen müssen. Aber ich glaube, dass es wichtig und richtig war, angesichts einer nicht wahrscheinlichen, aber immerhin möglichen Bedrohungslage die Gefahrenabwehr im Sinne einer Vollversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Der Bundeskanzler hat am vergangenen Freitag in seiner Rede zur Vorstellung der Agenda 2010 betont, dass es zur Konsolidierung des Haushaltes und zum Abbau der Verschuldung überhaupt keine Alternative gibt. Sie bleiben wichtige Ziele der Bundesregierung. Der Bundeskanzler hat außerdem deutlich gemacht, welche Maßnahmen erforderlich sein werden, um in Deutschland mehr Wachstum und Beschäftigung zu erreichen und damit einen leistungsfähigen Sozialstaat zu sichern. Von diesen Maßnahmen ist auch und gerade der Sozial- und Gesundheitsbereich erheblich betroffen. Dies wird sich noch nicht in diesem Haushalt, aber zweifelsohne in den zukünftigen Haushalten, und dort überwiegend unmittelbar in den Sozialversicherungssystemen, niederschlagen. In der Gesundheitspolitik werden wir grundlegende Fragen zu beantworten haben. Unser Gesundheitssystem ist heute nicht mehr nur ein Sozialsystem, sondern auch ein großer, in einer alternden Wohlstandsgesellschaft wachsender Wirtschaftszweig mit einem Volumen von mehr als 200 Milliarden Euro pro Jahr. ({1}) Wir werden klären müssen, ob wir wie FDP ausschließlich mehr Geld in dieses System pumpen ({2}) und damit einen Selbstbedienungsladen für die Anbieter von Gesundheitsleistungen schaffen wollen oder ob wir durch Qualitätsverbesserungen und eine effektivere Steuerung mehr Wirtschaftlichkeit erreichen. ({3}) Wahrscheinlich liegt die Lösung in einem Mix. Im internationalen Vergleich hat das deutsche Gesundheitswesen immer noch Vorbildfunktion. ({4}) Zu seinen Stärken gehören nach wie vor eine Versorgung ohne Warteliste, ein umfassender Versicherungsschutz für alle und ein einheitlicher, vom persönlichen Einkommen unabhängiger Leistungsanspruch, der für alle gleichermaßen nur durch das medizinisch Notwendige definiert wird. Es gibt aber auch Bereiche, in denen wir unsere Vorbildfunktion längst eingebüßt haben. So liegt die Lebenserwartung in Deutschland mittlerweile unter dem Durchschnitt in Europa. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren schlechter entwickelt als in unseren Nachbarländern. Bei einem Vergleich der Sterblichkeitsraten nach einem Schlaganfall, bei Zuckererkrankung oder bei Darm- oder Brustkrebs mit Frankreich, Italien, England, Finnland, Schweden, den Niederlanden und auch mit den USA landet Deutschland immer auf einem der drei schlechtesten Plätze. Vom Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen wurden gravierende Qualitätsdefizite festgestellt, die zu dieser negativen Entwicklung beigetragen haben. Das deutsche Gesundheitssystem, so die ernüchternde Schlussfolgerung des Rates, leiste nicht, was es leisten könne. Auf der anderen Seite belegt Deutschland im Vergleich mit den erwähnten Ländern für die Zahl der Ärzte pro Einwohner, für die Zahl der Krankenhausbetten pro Einwohner und für die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus jeweils einen der ersten drei Plätze mit entsprechenden Auswirkungen für die Beitrags- und Kostenentwicklung. Der Sachverständigenrat kommt daher zu dem eindeutigen Urteil, dass die Kosten-Nutzen-Relation im deutschen Gesundheitswesen im internationalen Vergleich unbefriedigend sei. Die Qualitätsdefizite und die Quantitätsüberhänge im deutschen Gesundheitswesen müssen abgebaut werden, im Interesse der Finanzierbarkeit des Systems, im Interesse der Beitragsstabilität, aber vor allen Dingen im Interesse der Patientinnen und Patienten. Kein anderes europäisches Land überlässt den Wettbewerbern allein die Entscheidung über Leistungsmenge und Qualitätsanforderungen. Die Bestrebungen der Ministerin, gerade in diesem Bereich weiterzukommen, sind nicht nur der gebotene, sondern, wie ich finde, auch der einzig sinnvolle Weg.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren, weil wir sehr maßvoll eingespart haben, möchte ich zum Schluss auf ein Potenzial hinweisen, das wir genutzt haben. Durch die Zusammenlegung von drei zu zwei Bundesministerien haben sich Synergieeffekte ergeben, die auch einen entsprechenden Stellenabbau in der Zukunft ermöglichen werden. Ich möchte deshalb zum Schluss beiden Ministern, Frau Ministerin Schmidt ebenso wie Herrn Minister Clement, ausdrücklich meinen Dank und meine Anerkennung dafür aussprechen, in welch kurzer Zeit sie diese überaus schwierige Aufgabe der Zusammenlegung gemeistert haben. ({0}) In meinen Dank schließe ich ausdrücklich die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ({1}) aber auch die Verhandlungsführer beider Häuser ein, die mit sehr hoher Leistungsbereitschaft und mit großem Problemlösungswillen zu einem reibungslosen Gelingen beigetragen haben. Ihnen gegenüber stand ein Berichterstatterteam, das bisweilen ungeduldig, aber bis zur letzten Minute - ich denke, über alle Parteigrenzen hinweg - fair und konstruktiv gearbeitet hat. Auch bei ihm möchte ich mich herzlich bedanken. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Lehn, ich bin doch arg befremdet darüber, dass Sie die Haushaltsdebatte zu einem Angriff auf die Ostrentnerinnen und Ostrentner nutzen. Einmal abgesehen davon, dass Ihnen allen bekannt sein dürfte, dass der Rentenpunkt Ost noch immer wesentlich niedriger ist als der Rentenpunkt West, haben Sie, was die Zusatzversorgungssysteme betrifft, schlicht die Unwahrheit gesprochen. ({0}) Sie wissen, dass das bei Abschluss des Einigungsvertrages - ich sage es ganz neutral - übersehen wurde und die rechtlichen Konsequenzen nicht beachtet wurden. Vor allen Dingen finde ich es nicht fair und nicht redlich, zu behaupten, die Bürgerinnen und Bürger, die jetzt auf der Grundlage eines Urteils des Verfassungsgerichts ihre Rente erstreiten, hätten in diese Systeme nicht eingezahlt. Das stimmt einfach nicht. Sie können die verschiedenen Berufssparten durchgehen und sich zum Beispiel die Lehrerinnen und Lehrer oder Eisenbahnerinnen und Eisenbahner anschauen; von ihnen ist sehr wohl eingezahlt worden. Abschließend weise ich Sie darauf hin, dass immer gern versucht wird, die Durchschnittsrenten in Ost und West miteinander zu vergleichen. Insbesondere wird immer betont, dass ein Rentnerehepaar im Osten angeblich eine höhere Rente als ein Rentnerehepaar im Westen beziehe. Dabei wird aber häufig außer Acht gelassen, dass die Frauen im Osten ein langes und sehr intensives Berufsleben hatten. Ich bin also arg befremdet und von Ihnen, Frau Kollegin Lehn, auch enttäuscht, dass Sie nach 13 Jahren staatlicher Vereinigung derart wenig Realitätskenntnis besitzen. Schönen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Lehn, zur Erwiderung.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin enttäuscht, dass mir das Wort im Munde verdreht wurde. Mit keinem Wort habe ich die Renterinnen und Rentner in Ostdeutschland kritisiert. Sie haben Rechte wahrgenommen, was sie - das ist völlig klar auch dürfen. Aber hier gibt es eine Entwicklung, die niemand so gewollt hat und die dazu führt - hier würde ich mich an Ihrer Stelle einmal kundig machen -, dass wir mittlerweile ausschließlich Klagen von Leuten, zum Beispiel Technikern, haben, die nicht im öffentlichen Bereich, sondern in privaten Bereichen gearbeitet haben. Sie sagen, sie hätten zwar nie eingezahlt, hätten es aber getan, wenn das System sie damals gelassen hätte; da das System sie daran gehindert habe, sei es nicht ihre Schuld, weswegen sie erwarteten, dass sie jetzt so behandelt würden, als hätten sie damals eingezahlt. Dieser Entwicklung gilt es gegenzusteuern. Als unangemessen empfinde ich den Angriff auf die westdeutschen Frauen. Die Tatsache, dass es im Gegensatz zu Westdeutschland, wo Frauen für Familie und Kinder gesorgt haben und in der Regel nicht oder allenfalls auf Teilzeitbasis arbeiten konnten, in Ostdeutschland mehr Krippen und Ganztagsschulen gab, kann man den Frauen im Westen nicht vorwerfen. Eine Diskussion, die an dieser Stelle die Menschen in gute und böse, arbeitende und nicht arbeitende, profitierende und nicht profitierende unterteilt, empfinde ich als äußerst unglücklich; wir sollten alle miteinander die Finger von ihr lassen. Wenn aber Systeme dazu führen, dass zusätzliche Ansprüche, die unberechtigterweise geltend gemacht werden, auch befriedigt werden müssen, dann muss man sich die Frage stellen, ob dies Gerechtigkeit für alle bedeutet. Kommt man dann zu dem Ergebnis, dass dies nicht Gerechtigkeit für alle bedeutet, muss man die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae von der FDP-Fraktion.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat am Freitag festgelegt, dass der Gesundheitsbereich einer der entscheidenden Punkte im Reformkonzept der rot-grünen Regierung sei. Das ist gut so. Ich bin froh, dass er erkannt hat, dass die bisherige rot-grüne Gesundheitspolitik gescheitert ist. ({0}) Rot-Grün scheint festgestellt zu haben, dass mit Budgetierung ein modernes Gesundheitswesen nicht zu organisieren ist. Der Kanzler hat Konzepte auf den Tisch gelegt, die mir sehr bekannt vorgekommen sind. Ich glaubte, RotGrün lege Konzepte auf den Tisch, die die Liberalen seit zehn Jahren propagieren. ({1}) Sie haben sehr deutlich gesagt, es gebe keine Alternative dazu, den Mut aufzubringen, über das Leistungspaket zu reden. Ich war schon erstaunt, dass der Kanzler hier das Krankengeld genannt hat; das war ein mutiger Schritt. Noch mehr, meine Damen und Herren, haben mich die Ausführungen des Bundeskanzlers erstaunt, Selbstbeteiligung und Selbstbehalt einzuführen. Zum ersten Mal habe ich von der SPD-Seite gehört, dass die Selbstbeteiligung steuernde Wirkung hat. ({2}) Für diese Einsicht habe ich viele Jahre gekämpft. Ich hoffe, dass sich diese Einsicht bei der SPD insgesamt durchsetzt, damit eine vernünftige Reform auf den Weg gebracht wird. ({3}) Angesichts der ökonomischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der hohen Arbeitslosigkeit - wir alle wissen, es sind nicht 4,7 Millionen Arbeitslose, denn wenn man auch die Personen hinzurechnet, die sich in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen befinden, ist man ganz schnell bei 7 Millionen -, müssen Regierung und Opposition versuchen, ein Konzept auf den Weg zu bringen. ({4}) Dabei aber muss natürlich auch das berücksichtigt werden, für das wir schon viele Jahre eintreten: Die Liberalen sind der Auffassung, dass die Freiberuflichkeit eines der tragenden Elemente im Gesundheitswesen ist. ({5}) Die Freiberuflichkeit muss gesichert werden. In den Staaten, in denen die Freiberuflichkeit angegriffen oder beseitigt worden ist, ist das Gesundheitswesen erheblich teurer geworden und sind Wartezeiten und Altersgrenzen die Konsequenz. Schauen Sie sich einmal die Niederlande an, die von SPD und Grünen lange Zeit begeistert beobachtet worden sind! Sie stellen fest, dass heute viele niederländische Patienten über die Grenze nach Deutschland kommen, und zwar sowohl zur ambulanten als auch zur stationären Versorgung, weil es in ihrem Land nennenswerte Wartezeiten gibt. Die Niederlande können für uns kein Beispiel sein. ({6}) - Wir haben das nie gesagt. Sie haben doch keine Ahnung, hören Sie doch auf! ({7}) Wir haben nie das Wort „Niederlande“ in den Mund genommen. Der Erhalt der Freiberuflichkeit ist also wichtig. Sie glauben, dass Sie das Gesundheitswesen über Einzelverträge organisieren könnten. Wenn Sie die Wünsche der Patienten berücksichtigen wollen, gibt es im Grunde nur eine Möglichkeit: Sie müssen die Kostenerstattung einführen; denn dann steht der Patient im Mittelpunkt und kann entscheiden, welche Leistung er zu welchen Preisen und zu welchen Bedingungen in Anspruch nimmt. Das ist der entscheidende Punkt. ({8}) Dazu gehören natürlich auch vernünftige Honorare. Im Krankenhaus haben wir das mit den DRGs geschafft. ({9}) - Ja, die Bundesländer, in denen wir vertreten waren, haben mitgemacht. Die FDP hat im Bundesrat dafür gestimmt. ({10}) - Dann müssen Sie das beobachten. Neben den DRGs brauchen wir feste Preise in der ambulanten ärztlichen Versorgung. Wir haben nicht umsonst große Probleme, genügend Nachwuchs für den ambulanten Bereich zu finden. Viele wissen das, weil sie die Situation in den neuen Bundesländern kennen. Aber auch die Situation in den alten Bundesländern ist nicht viel besser. Die jungen Mediziner gehen aus Deutschland weg, vor allem - es geht nicht nur um die Ethik weil ihre finanzielle Situation nicht vernünftig organisiert ist. Das ist versäumt worden. ({11}) Neben dieser Freiberuflichkeit, der Kostenerstattung und der Selbstbeteiligung nenne ich einen letzten wichtigen Punkt: Wir müssen die Härtefallregelung neu definieren. Diejenigen, die die Härtefallregelung in Anspruch nehmen, müssen all ihre Einkommen offen legen. Erst dann haben wir eine vernünftige Härtefallregelung. Eine Quote von 50 Prozent bei der Inanspruchnahme der Härtefallregelung kann nicht der Wahrheit entsprechen. Bei Offenlegung aller Einkommensarten werden nur 15 Prozent unter eine Härtefallregelung fallen. Wenn wir die von mir angesprochenen Punkte berücksichtigen, haben wir die Voraussetzungen geschaffen, um ein freiheitliches System zu organisieren: ohne Planwirtschaft, ohne Dirigismus und ohne Budgetierung. Das wollen die Liberalen. Dann stehen wir gern zu Gesprächen bereit. Herzlichen Dank. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort der Abgeordneten Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit meinem Vorredner stimme ich überein - bis zum Ende seines ersten Halbsatzes. ({0}) Es ist wahr: Der Gesundheitsbereich ist eines der entscheidenden innenpolitischen Reformfelder. Das hat auch der Kanzler am Freitag festgestellt. Bis dahin besteht also Einigkeit. Doch dann hören die Gemeinsamkeiten leider schon auf, Herr Dr. Thomae. Sie wollen mehr Geld für die Ärzte und wollen dieses Geld von den Patienten nehmen. Bereits mit diesen wenigen Worten ist Ihr gesundheitspolitisches Konzept umschrieben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist nicht unser Weg. ({1}) Wir wissen, dass ein grundlegender Umbau des Hauses der Gesundheitsversorgung ansteht. Wir arbeiten an den Bauplänen. Sehen Sie es mir nach, dass ich mich nun mit den Vorschlägen der größeren Oppositionspartei auseinander setze. Denn letztendlich brauchen wir die CDU/CSU für ein gemeinsames Konzept; das wissen wir. ({2}) Auf der Suche nach Ihren Zielen habe ich im Beschluss des Fraktionsvorstandes CDU/CSU-Bundestagsfraktion gelesen, man wolle erreichen, dass die Beiträge auf 13 Prozent gesenkt werden. Das finde ich prima. ({3}) Der Kanzler hat sogar von einer Senkung auf unter 13 Prozent gesprochen. Nun schaue ich mir Ihre Maßnahmen hierzu an, Herr Kollege Storm. Gestern Abend, als wir zusammen bei Vertretern der Krankenhäuser waren, haben Sie das Füllhorn ausgepackt: Sie haben den Krankenhäusern zugestanden, dass sie mehr Stellen brauchen, ihnen 1,7 Milliarden Euro versprochen und gesagt, den Beitragssatzeffekt würden Sie in Kauf nehmen. Dieser würde - Herr Kollege Storm, rechnen Sie bitte mit 0,17 Beitragssatzpunkte zusätzlich ausmachen. ({4}) Das ist aber noch nicht alles. Eben war ich mit Herrn Seehofer bei Vertretern der Apotheker. Herr Seehofer hat den Apothekern versprochen, dafür einzutreten, dass das Beitragssatzsicherungsgesetz aufgehoben wird. ({5}) Auf meine ausdrückliche Nachfrage hin hat er gesagt, er meine nicht nur die Apotheker, ({6}) sondern alle, die durch das Beitragssatzsicherungsgesetz betroffen sind. Das würde bedeuten, dass der Einspareffekt von 2,8 Milliarden Euro verloren ginge. ({7}) Rechnen Sie mit, Herr Kollege Storm: Dadurch würde sich eine Erhöhung um 0,28 Prozentpunkte ergeben, die auf den Beitragssatz aufgeschlagen werden müssten. Wie Sie auf diese Weise jemals einen Beitragssatz von 13 Prozent und weniger erreichen wollen, ist mir vollkommen schleierhaft. ({8}) Heute Morgen hat Herr Seehofer wieder das Thema Zahnersatz angesprochen. Bei dem Thema sind Sie sich auch untereinander nicht einig. Erst habe ich gelesen, Sie wollten Zahnbehandlung als Ganzes herausnehmen. Dann haben Sie aus sozialen Aspekten Bauchschmerzen bekommen und davon Abstand genommen. Eine Herausnahme des Zahnersatzes aus dem Katalog - ich möchte nicht näher darauf eingehen, was dafür oder was dagegen spricht - würde eine Senkung um 0,4 Beitragssatzpunkte bringen. Das entspricht dem, wie Sie den Lobbyisten an Mehrausgaben versprochen haben. Dadurch erreichen Sie also nichts, außer dass Sie den Leistungskatalog ausdünnen. ({9}) Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition: Das ist kein Konzept. ({10}) Wir brauchen richtige Reformen. Diese gehen wir an. Wir werden den Leistungserbringern mehr zumuten, ihnen aber auch Chancen bieten. Ich will von Ihnen wissen: Machen Sie mit, wenn wir in einem solidarischen Rahmen mehr Wettbewerb organisieren? Machen Sie mit bei der Umstellung des Honorierungssystems für die ambulant tätigen Ärzte? ({11}) Machen Sie mit beim Hausarztmodell? Machen Sie mit bei der besseren Vernetzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung? Machen Sie mit beim Ausbau der integrativen Versorgung? Machen Sie mit, um mehr Rationalität bei der Arzneimittelverordnung zu erreichen? Machen Sie mit bei Deregulierung des Arzneimittelhandels? Machen Sie mit, um mehr Vertragsfreiheit für Kassen und Leistungserbringer zu erreichen und damit den Patienten mehr Wahlmöglichkeiten zu eröffnen? ({12}) Ich will wissen, ob Sie bei diesen Reformen dabei sind oder ob es Ihnen nur um die Themen Zahnersatz und Zuzahlung geht. ({13}) Ich will wissen: Machen Sie sich zum Sprachrohr aller Lobbyisten, die immer nur auf die jeweils anderen zeigen und in der Summe alles so lassen wollen, wie es ist? ({14}) Oder stellen Sie sich, wie es notwendig wäre, einer wirklichen Strukturreform? ({15}) Auch wir wissen, dass die gesetzliche Krankenkasse in der Tat ein Einnahmeproblem hat. ({16}) Dem werden wir uns stellen. ({17}) Uns geht es darum, den Faktor Arbeit zu entlasten. Es kann nicht dabei bleiben, dass wir die soziale Sicherung in der Gesundheitsversorgung allein über die Lohneinkommen finanzieren und damit den Faktor Arbeit verteuern. Die Perspektive der Grünen dazu heißt Bürgerversicherung. Wir wollen alle versichern, und zwar unabhängig von ihrem Erwerbstätigenstatus und ihrem Einkommen. Das wäre die Art von Versorgung, die die größte Gerechtigkeit beinhalten würde. Wir wissen aber auch, dass dies keine kurzfristige Perspektive ist. Deswegen reden wir jetzt zum Beispiel - der Kanzler hat es angesprochen - über versicherungsfremde Leistungen. Diese werden wir uns genau anschauen. Wir sehen dort Möglichkeiten des Einsparens, etwa beim Sterbegeld. ({18}) Leistungen wie das Mutterschaftsgeld oder die Beitragsfreiheit in der Elternzeit wollen wir aber nicht abschaffen, sondern steuerfinanzieren. Ein weiterer Vorschlag der Grünen auf der Einnahmeseite lautet, dass auch Vermögenseinkünfte verbeitragt werden; denn es ist nun einmal eine Gerechtigkeitslücke, wenn nur die Einkommen aus abhängiger Arbeit für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung herangezogen werden. ({19}) Der Sachverständigenrat hat dies jüngst noch einmal zum Thema gemacht und eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Das würde übrigens 0,4 Beitragssatzpunkte bringen. Man müsste sich auch die Familienmitversicherung genauer anschauen; denn es ist zu fragen, warum Frauen, die keine Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, durch die Gemeinschaft der Beitragszahlenden subventioniert werden sollen. Der Sachverständigenrat hat dazu ein Splittingverfahren vorgeschlagen. Das würde die Besserverdienenden in einer Alleinverdienerehe stärker belasten, die anderen aber nicht. Dieses Modell halten wir für äußerst diskussionswürdig. Es würde laut Sachverständigenrat übrigens 0,7 bis 0,9 Beitragssatzpunkte bringen. Auch hier will ich wissen, ob Sie dabei wären. ({20}) Meine Damen und Herren, auch das will ich deutlich sagen: Um das Ziel, auf unter 13 Prozent zu kommen, zu erreichen, wird ein Paket auch Zumutungen für Versicherte enthalten. Es wird mehr Zuzahlungen geben. Ich bin aber dagegen, dies als vorgebliches Allheilmittel anzupreisen und sich damit vor den Strukturreformen zu drücken. ({21}) Der Kanzler hat es angesprochen: Es gibt auch die Überlegung, einzelne Bereiche auszusteuern. Der Aussteuerung von Unfällen hat er - das finde ich richtig aber ausdrücklich eine Absage erteilt; denn letztlich hätte die Botschaft gelautet: Leute, hockt vor dem Fernseher und esst Erdnüsse; denn wenn ihr Sport treibt, kann euch etwas passieren. - So kann Gesundheitsförderung eben nicht aussehen. Wir wollen, dass sich die Leute bewegen, weil Bewegungsmangel eine der wesentlichen Ursachen unserer Volkskrankheiten ist. ({22}) Das Krankengeld ist von Gesundheitsvorsorgeleistungen klar abgrenzbar, weil es sich um eine Geldleistung handelt. Nur noch 39 Prozent der Versicherten haben überhaupt einen solchen Anspruch. Auch daran kann man erkennen, wie sich die gesetzliche Krankenversicherung verändert hat. Es ist kein Vergnügen, diese Leistung zu streichen, im Interesse der Entlastung des Faktors Arbeit treten wir dem aber näher. Kurz und gut: Wir brauchen ein Gesamtkonzept, das die Gesundheitsversorgung verbessert und den Faktor Arbeit entlastet. Ich will wissen, was die Opposition dazu beizutragen hat. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Andreas Storm, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben noch die Rede des Bundeskanzlers vom vergangenen Freitag im Ohr. Wie ein roter Faden zog sich die Forderung, die Lohnnebenkosten zu senken, durch die sozialpolitischen Teile der Rede. Umso verwunderlicher ist es, dass Sie die Hauptforderung in diesem Bereich, nämlich das Absenken der Sozialabgaben unter die 40-Prozent-Grenze, sang- und klanglos beerdigt haben. ({0}) Das war kein Zufall, sondern die logische Konsequenz. Wenn man nämlich unter all diese Maßnahmen einen Strich zieht, dann wird deutlich: Von einer Absenkung der Sozialabgaben sind wir trotz der Kanzlervorschläge meilenweit entfernt. Wenn alle Maßnahmen für das Gesundheitswesen, die der Kanzler am Freitag genannt hat, realisiert würden, dann würden wir im nächsten Jahr trotz allem nur mit Mühe unter die 14-Prozent-Marke kommen; denn der Beitragsdruck bei den Krankenkassen ist im Moment so hoch, dass der Löwenanteil der geplanten Einsparungen ausschließlich dafür verwendet werden muss, um ein weiteres Drehen an der Beitragssatzspirale im nächsten Jahr zu verhindern. ({1}) Von dem Ziel eines Beitragssatzes von 13 Prozent bleiben wir meilenweit entfernt. Es kommt aber noch viel schlimmer. Während bei den gesetzlichen Krankenkassen eine Trendwende zumindest in Reichweite ist, sieht es bei der Rentenversicherung wirklich desaströs aus. ({2}) Der Bundeskanzler hat zur aktuellen Finanzlage der Rentenkassen am Freitag kein Wort verloren. Einen Tag vorher, am letzten Donnerstag, hat die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte deutlich gemacht, dass nach ihrem Kenntnisstand im nächsten Jahr die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung auf 19,9 Prozent angehoben werden müssen. Dies würde heißen: Das, was den Menschen auf der einen Seite durch eine Absenkung der Krankenkassenbeiträge im Rahmen einer großen Gesundheitsreform gegeben würde, wird auf der anderen Seite bei den Renten wieder abkassiert. Bei einer solch dilettantischen Herangehensweise ist es klar, dass von dieser Rede am Freitag keine positive Signalwirkung ausgehen konnte. ({3}) Die Rentenversicherungsträger haben darauf hingewiesen: Aus heutiger Sicht droht im nächsten Jahr ein Beitragssatzanstieg auf 19,9 Prozent. Aber das ist keine pessimistische, eher eine optimistische Sicht der Dinge. Wenn infolge der Irakkrise oder etwa einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktlage die Beitragseinnahmen noch stärker einbrächen, als das in den ersten beiden Monaten dieses Jahres der Fall war, dann droht im nächsten Jahr sogar die Überschreitung der 20-ProzentMarke. Angesichts der massiven Warnungen der Rentenversicherungsträger ist es unverantwortlich, dass sich der Bundeskanzler des größten Sozialversicherungssystems nur am Rande angenommen hat. Aber immerhin hat er eingestanden, dass die angebliche Jahrhundertreform der Rente von Walter Riester nach 18 Monaten kläglich gescheitert ist. Er hat dazu Folgendes erklärt: Wir waren bei den Annahmen in Bezug auf die Arbeitsmarktentwicklung zu optimistisch und in Bezug auf die demographische Entwicklung zu pessimistisch. Deswegen brauchen wir eine neue Rentenformel. ({4}) Das ist nichts anderes als das Eingeständnis, dass die Rentenreform, die Sie noch im vergangenen Jahr mit Stolz verteidigt haben, kläglich gescheitert ist. ({5}) Man muss sich einmal überlegen, was das Herzstück der riesterschen Rentenreform war. Für die gesetzliche Rente galten insbesondere zwei Kernelemente. Die erste Aussage war: Wir haben die Beitragsentwicklung im Griff. In diesem Jahrzehnt werden die Beiträge unter 19 Prozent liegen. Bis zum Jahr 2020 werden sie nicht über die 20-Prozent-Marke steigen. Auch langfristig, bis zum Jahr 2030, werden sie nicht mehr als 22 Prozent betragen. - Heute müssen Sie eingestehen: Diese Beitragsziele sind für den gesamten Zeitraum nicht mehr erreichbar. In einem Interview mit der „Welt“ hat Ihr großer Sozialexperte Professor Bert Rürup bestätigt: Die Beitragsziele sind nicht mehr zu schaffen. Die 20-Prozent-Marke würde ohne Reformen wahrscheinlich im nächsten Jahr erreicht oder überschritten. Das zweite Kernelement bei der Reform der gesetzlichen Rentenversicherung war Ihr Versprechen im Hinblick auf das Leistungsniveau: Das so genannte Nettorentenniveau darf nicht unter 67 Prozent sinken. Bei den Verhandlungen über eine Rentenreform - bei denen seinerzeit kein Konsens erzielt werden konnte haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass es grob fahrlässig ist, eine Neuordnung der Rentenfinanzen vorzunehmen, ohne das wichtige Thema der Neuregelung der steuerlichen Behandlung der Altersversorgung anzugehen. ({6}) Nun haben Sie das Dilemma. Ich finde übrigens, dass es inakzeptabel ist, dass der Kanzler das Thema Neuordnung der Rentenbesteuerung am Freitag nicht erwähnt hat, obwohl die Vorschläge, die die Rürup-Kommission am Beginn dieser Woche vorgelegt hat, bereits überall bekannt waren. Denn die geplante Neuregelung der Rentenbesteuerung, der Übergang zu einer so genannten nachgelagerten Besteuerung, über den ja im Grundsatz Konsens besteht, betrifft das Nettorentenniveau in zweierlei Weise. Zum einen wird das Nettoeinkommen der jungen Generation durch die kommende Freistellung der Rentenversicherungsbeiträge höher ausfallen. Schon von daher sinkt rein rechnerisch das Rentenniveau. Zum anderen werden in Zukunft die Renten besteuert. Auch das hat natürlich Auswirkungen auf das Rentenniveau. Meine Damen und Herren, bei der Vorlage des RürupBerichts wurde zweierlei deutlich. Zum einen werden, wenn die Vorschläge zur Besteuerung umgesetzt werden, bereits im Jahr 2005 etwa 4 Millionen Rentnerhaushalte betroffen sein, nämlich diejenigen Rentnerhaushalte, die auch über andere Einkunftsarten verfügen. Zum anderen werden auch diejenigen Jahrgänge, die ab dem Jahre 2014 in den Ruhestand gehen und eine Standardrente also die berühmte Eckrente, die im Moment bei gut 1 000 Euro liegt - bekommen, voll von der Rentenbesteuerung erfasst, selbst dann, wenn sie keine zusätzlichen Einkommen haben. Jetzt muss man einmal überlegen, um welche Altersjahrgänge es sich handelt. Wer im Jahre 2014 in Rente geht, der ist heute Anfang 50. Das heißt, dies ist ein Thema, das nicht nur die ganz Jungen, sondern auch bzw. vor allen Dingen die mittleren Jahrgänge betrifft. Deswegen besteht bei der Umsetzung der Reform auf den steuerlichen Bereich noch erheblicher Diskussionsbedarf. Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass Sie, wie es das Ministerium noch in der letzten Woche getan hat, die Warnungen der Rentenversicherungsträger ignorieren und erklären: Wir warten bis November dieses Jahres, um absehen zu können, wie hoch der Beitrag im nächsten Jahr wird. ({7}) Dann wäre das Kind nämlich in den Brunnen gefallen. Dann könnten Sie nicht mehr handeln. Denn Sie können nicht, wie Sie das in den letzten beiden Jahren getan haben, noch einmal in die Rücklagen der Rentenkassen greifen. Da ist nichts mehr drin. Das werden wir schon in diesem Sommer merken. Auch können Sie nicht noch einmal die Beitragsbemessungsgrenze für die Rentenkassen anheben. Hoffentlich wird Ihnen Ihr grüner Koalitionspartner hier endlich einen Strich durch die Rechnung machen. Denn ein solches Vorgehen würde zu massiven Zusatzlasten für die künftige Generation führen. ({8}) Das heißt, meine Damen und Herren, dass wir rasch Klarheit über die tatsächliche Lage der Rentenfinanzen brauchen. Ich nehme die Ankündigung des Kanzlers vom Freitag ernst, dass Sie uns noch vor der Sommerpause reinen Wein einschenken und eine klare Bilanz vorlegen: Wie ist im kommenden Jahr die Situation bei den Rentenfinanzen? Von welchen Annahmen gehen Sie bezüglich der langfristigen Entwicklung der Rentenversicherung aus? ({9}) Frau Ministerin, wir sind bereit, mit Ihnen über die Probleme der Rentenversicherung und auch über eine neue Rentenformel zu sprechen, aber nur dann, wenn die Themen „Neuregelung der steuerlichen Behandlung der Alterseinkünfte“ und „neue Rentenformel“ gemeinsam angegangen werden. Denn eines ist klar: Wenn die Renten Zug um Zug voll in die Besteuerung fallen und eine neue Rentenformel gilt - im Klartext: dies bedeutet ja nicht, dass die Rentenerhöhungen größer, sondern dass sie kleiner werden -, dann wird auch das Leistungsniveau der Renten für die heute mittlere und die jüngere Generation sinken. Deshalb muss man wissen, wo die Grenze für ein akzeptables Niveau der Rente ist, sodass man mit gutem Gewissen sagen kann, dass man eine angemessene Gegenleistung für die eingezahlten Beiträge bekommt. Denn eines werden wir nicht mitmachen: eine Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung auf Raten. Es muss rasch Klarheit geschaffen werden. ({10}) Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen. Der Bundeskanzler hat stolz verkündet, die RiesterRente sei ein großer Erfolg und ein Einstieg in die kapitalgedeckte Vorsorge. In Wirklichkeit ist die RiesterRente einer der größten Flops aus der ersten Amtszeit von Gerhard Schröder. Er sagt selber, dass nur etwa 15 Prozent der Anspruchsberechtigten bislang entweder einen privaten oder betrieblichen Riester-Vertrag abgeschlossen hätten. Das bedeutet nichts anderes, als dass die große Mehrheit der Menschen in diesem Lande noch nicht ergänzend vorsorgt. Insofern ist es völlig inakzeptabel, dass bei der Vorlage des Berichts der Rürup-Kommission am letzten Montag vorgeschlagen wurde, in Zukunft sollten die traditionellen Vorsorgeformen wie etwa Lebensversicherungen nicht mehr steuerlich begünstigt werden. Wenn Sie ausschließlich Riester-Produkte begünstigen wollen, die die Menschen aus guten Gründen bislang nicht annehmen, aber die weit verbreiteten traditionellen Vorsorgeformen in Zukunft diskriminieren, dann wird das Ergebnis sein, dass die ergänzende Vorsorge bei der jungen Generation noch weniger verbreitet ist als bei der jetzigen Rentnergeneration. ({11}) Deswegen muss eine große Rentenreform auch beinhalten, dass wir von der untauglichen Riester-Rente ({12}) hin zu einer Förderrente wechseln, die attraktiv ist und von den Menschen angenommen wird, weil sie wissen, dass sie ihnen etwas bringt. ({13}) Wir sind zu einer gemeinsamen Rentenreform bereit, aber Sie müssen in Vorlage treten und bitte schön noch bis zur Sommerpause deutlich machen, wie Sie sowohl die gesetzliche Rentenversicherung als auch die ergänzende private Vorsorge in Zukunft neu ordnen wollen. Der jetzige Weg führt in der Rentenversicherung an die Wand. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat Frau Abgeordnete Kühn-Mengel von der SPD-Fraktion.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin schon sehr erstaunt darüber, was Sie, Herr Kollege Storm, gerade gesagt haben. Ganz deutlich: Wir haben die Riester-Reform gemacht und damit verhindert, dass Rentnerinnen und Rentner in die Sozialhilfe abgleiten. Wir haben das Rentensystem durch die Einführung einer kapitalgedeckten Säule stabilisiert. ({0}) Sie haben dagegen gestimmt. ({1}) Im Wege der Ökosteuer haben wir dazu beigetragen, das Rentenniveau überhaupt auf einem vernünftigen Niveau zu halten. Dort haben Sie genauso wenig zugestimmt wie beim Beitragssatzsicherungsgesetz und anderen Gesetzen, die dazu gedient haben, unser System zu stabilisieren. Ohne diese Maßnahmen wären wir in einer viel schwierigeren Situation. ({2}) Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass eine Legislaturperiode zu kurz ist, ({3}) um die Folgen einer über Jahrzehnte verfehlten Gesundheits- und Sozialpolitik zu beseitigen. ({4}) Sie stricken fortwährend an einer Legende, indem Sie so tun, als hätten Sie uns ein intaktes und blühendes Sozialund Gesundheitswesen überlassen. Dem ist nicht so. In Wahrheit leidet unsere Regierung nach wie vor an der Erblast, die Sie uns hinterlassen haben. Ordnungspolitisch gesehen hätten zum Beispiel die Steuerzahler und Steuerzahlerinnen die vereinigungsbedingten Lasten schultern müssen, die die Regierung Kohl den Sozialsystemen aufgebürdet hat. ({5}) Diese eklatanten Fehlentscheidungen haben die Arbeitskosten spürbar und nachhaltig in die Höhe getrieben. Daran kranken unsere Systeme heute noch. Hätten Sie die damals wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch gebotene Entscheidung anders getroffen, dann wäre der finanzielle Druck auf unsere Sozialsysteme, mit dem wir uns heute befassen müssen, wesentlich geringer. Stattdessen haben Sie nur die Vision der blühenden Landschaften kultiviert und sich daran berauscht. Der Rausch aber ist verflogen. Wir sind jetzt dabei, die Sozialsysteme zu ordnen, zu stabilisieren und zukunftsfest zu machen. ({6}) Das machen wir gemeinsam mit der Ministerin. Sie, Herr Kollege Thomae, haben doch gegen alles gestimmt, was das Gesundheitswesen transparenter und in der Qualität attraktiver gemacht hätte. ({7}) Wenn Sie Nachbarländer wie die Niederlande anführen, dann sollten Sie zum Beispiel auch erwähnen, dass dort etwa 150 Leitlinien für Patienten und Patientinnen in eine vernünftige Alltagssprache gebracht wurden. ({8}) Genau das wollen wir auch. Wir wollen, dass das von uns geplante Institut für Qualität in der Medizin die Aufgaben wahrnimmt, Leitlinien zu entwickeln, die Qualität zu verbessern und vor allem Transparenz herzustellen. Eines ist klar: Wir haben ein teures Gesundheitswesen. Es ist in vielen Bereichen zu teuer, wenig wirksam und erlaubt sich viele Doppelstrukturen. ({9}) Vor allem aber ist es zu wenig an den Patienten und Patientinnen orientiert. Das werden wir in der nächsten Zeit angehen und eine entsprechende Steuerung vornehmen, um unser Solidarsystem zukunftsfest zu machen. Wir wollen eine solidarische Finanzierung in der Krankenversicherung, aber dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Finanzierung zu stark konjunkturabhängig ist. Wir haben - darauf weisen wir immer wieder hin - ein Ausgabenproblem. ({10}) Denken Sie an die gestiegenen Arzneimittelausgaben, die trotz der Vereinbarung der Leistungserbringer in eklatante Höhen gestiegen sind und uns große Probleme bereiten. ({11}) Wir leisten uns Doppelstrukturen und Fachärzte auf ambulanter wie auf stationärer Ebene. Wir leisten uns geschlossene Sektoren und ein großes Maß an Überversorgung. Zugegebenermaßen gibt es auch eine Unterversorgung. Den genauen Umfang der Über-, Unter- und Fehlversorgung haben die Gutachter auf 1 200 Seiten festgehalten. ({12}) Wir sollten darangehen, die notwendigen Instrumente zu schaffen, die den Wettbewerb fördern, den Patienten dienen, Transparenz schaffen und vor allem die Qualität verbessern und die sektoralen Systeme aufbrechen. Das werden wir in der Strukturreform im Gesundheitswesen angehen. ({13}) Wir brauchen diese Strukturreform, um sie mit den Ergebnissen der Rürup-Kommission zu verbinden. Denn es geht nicht an, möglicherweise frisches Geld in ein System fließen zu lassen, das über viele Jahre hinweg Ineffizienzen aufgebaut hat. Richtig ist auch, dass die Krankenversicherungen nicht allein an die Löhne gebunden und damit konjunkturabhängig werden dürfen. Deswegen sollten wir in der nächsten Zeit gemeinsam prüfen, ob wir die Einnahmebasis verbreitern und andere Einnahmen zur Finanzierung der Krankenversicherung heranziehen können. Es wird auch über die versicherungsfremden Leistungen zu reden sein. Das Mutterschaftsgeld zum Beispiel ist eine familienpolitisch und gesellschaftspolitisch gewollte Größe und muss steuerlich finanziert werden. Das ist ganz selbstverständlich. Genauso wichtig ist es, dass wir gemeinsam mit allen Akteuren im Gesundheitsbereich nach Reserven suchen, die sich noch im System verbergen und die wir ausschöpfen können. Das ist uns Politikern nur gemeinsam mit den Akteuren im Gesundheitswesen und den Patienten und Patientinnen möglich. Dabei erwarten wir auch Ihre Mitarbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition. Ich höre nicht auf, zu betonen, dass wir im Prinzip über eine gute medizinische Infrastruktur und ein funktionstüchtiges System verfügen. Wir müssen aber gleichzeitig daran arbeiten, dass dieses System durchsichtiger und durchlässiger wird und zur Förderung des Wettbewerbs beiträgt. Wir werden aber auch gemeinsam mit der Ministerin an den anderen Säulen der Sozialpolitik zu arbeiten haben. Gesundheits- und Sozialpolitik sind nicht ein bloßes Anhängsel der Wirtschaftspolitik. Vielmehr sind sie ein wesentlicher Teil des Kitts, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Deshalb will ich noch kurz etwas zur Pflegeversicherung und zur Sozial- und Arbeitslosenhilfe ausführen. Die Pflegeversicherung hat sich in den acht Jahren ihres Bestehens bewährt. Sie ist und bleibt ein integraler Bestandteil der Sozialversicherung. Vor kurzem ist sie wegen ihres Defizits im Jahre 2002 ins Gerede gekommen und eine für ihre Vereinfachungen bekannte Zeitung hat sie flugs für pleite erklärt. Aber allen Unkenrufen und aller Panikmache zum Trotz wird sie ihre Leistungen auch in Zukunft erbringen. Wir werden uns vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der veränderten Struktur der Krankheitsfälle in der Pflegeversicherung den Herausforderungen stellen. Wir werden die Finanzierungsvorschläge der RürupKommission - diese werden noch in diesem Jahr vorliegen - mit unserer Politik verbinden. Wir werden natürlich auch dem dringenden Reformbedarf im Sozialhilfebereich nachkommen. Wir werden das - das ist ganz klar - gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Kirchen und den Wohlfahrtsverbänden sowie vor dem Hintergrund des Armuts- und Reichtumsberichts machen, den Sie im Übrigen über viele Jahre hinweg verhindert haben, weil Sie Ihre Umverteilungspolitik verschleiern wollten. ({14}) So werden wir auch in schwierigen Zeiten die Stränge der Kranken-, der Pflege-, der Renten- und der Unfallversicherung sowie der Sozialhilfe zusammenbinden. Ich denke, dass nur die deutsche Sozialdemokratie in der Lage ist, all diese großen Aufgaben gerecht zu erledigen. ({15})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke, FDP-Fraktion.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Werter Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Luther hat das schöne Beispiel mit dem Haushalt, der auf Kante genäht ist, erwähnt. Noch besser ist es, wenn man im Zusammenhang mit dem Einzelplan 15 sagt - ich weiß, dass die Ministerin das kann -, dass in diesem Haushalt sehr viele Luftmaschen gehäkelt sind. Lassen Sie mich als drittem Haushälter in dieser Runde ein paar Anmerkungen dazu machen, warum man davon sprechen kann, dass hier Luftmaschen gehäkelt worden sind. Ich will versuchen - auch wenn manches schon erwähnt worden ist, aber noch nicht von jedem -, das kurz an einzelnen Punkten darzustellen. Wir haben uns im Haushaltsausschuss - das ist für mich, der in diesem Bereich neu ist, bemerkenswert gewesen - regelmäßig mit der Schwankungsreserve und ihren illiquiden Mitteln auseinander gesetzt, obwohl wir das auch schon in den letzten Legislaturperioden getan haben. Aufgrund dessen, was ich nun auch durch die Berichte des Bundesrechnungshofs verstanden habe, bin ich mir ziemlich sicher - ich werde nicht wetten; denn das macht ein guter Jurist nicht -, dass wir hier erhebliche Schwierigkeiten bekommen werden, und zwar früher - das gebe ich gerne zu -, als Sie es hoffen. Auch wenn im Haushaltsgesetz die Möglichkeit geschaffen wird, Zuschüsse frühzeitig auszuzahlen, muss ich feststellen, dass es so viele Risiken für die Rentenversicherung gibt, dass wir nie und nimmer bis September damit klar kommen werden. ({0}): Wetten können Sie mit mir!) - Wetten können Sie also mit dem Kollegen Kolb abschließen; das ist auch in Ordnung. Schuld ist nicht nur die hohe Arbeitslosigkeit. Das ist - hier gebe ich Ihnen Recht - einer der Gründe. Ein weiterer Grund ist - das wissen auch Sie -, dass in allen Bereichen, zum Beispiel beim Weihnachtsgeld sowie beim 13. und 14. Monatsgehalt, eingespart wird, und zwar nicht nur im öffentlichen Dienst. Ich erwähne nur, dass die Kommunen - theoretisch - erst 2004 das Weihnachtsgeld für 2003 auszahlen können. Sie wissen, was das für die Schwankungsreserve bedeutet, die wesentlich auf den auf das Weihnachtsgeld erhobenen Beiträgen beruht. Ich erinnere auch daran, dass hier in vielen anderen Bereichen, in denen es - zum Glück - keine Tarifverträge gibt, eingespart wird, um Arbeitsplätze zu erhalten. Wenn es so kommt, wie ich es befürchte, dann wird das großes Misstrauen bei den Bürgern hervorrufen, die entweder in die Rentenversicherung einzahlen oder - für diese gilt das noch viel mehr - die Leistungen aus der Rentenversicherung bekommen. Selbst wenn die Bürger es nicht sofort an dem merken, was ausgezahlt wird, die Medien werden - wir alle wissen doch, wie sehr wir von diesen abhängig sind - darüber berichten, und zwar manchmal auch vereinfachend. Dagegen müssen wir angehen, sei es in der Regierungsverantwortung oder in der Funktion einer kontrollierenden Opposition. Die Rentenbesteuerung - dies ist auch im Zusammenhang mit der Riester-Rente zu sehen - wird für Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ein „wunderbares“ Problem werden, und zwar deswegen, weil Sie die Frage beantworten müssen, wie die Förderung des Eigentums in den Bereich der Besteuerung so hineingebracht werden kann, dass der Weg zum Eigentum, der ja wichtig ist, weiterhin offen bleibt. Ein weiterer Punkt, an dem man sehen kann, dass im Haushalt Luftmaschen gehäkelt worden sind, ist die Künstlersozialkasse. Der Zuschuss mag zwar nur - das ist ein kleiner Titel - 91 Millionen Euro betragen. Aber auch an dieser Stelle werden wir erleben, dass für den Zuschuss an die Künstlersozialkasse mehr Geld benötigt wird, als im Moment etatisiert ist. Das Gleiche wird im Bereich der Beteiligung an der Bundesknappschaft gelten, und das trotz ihrer zusätzlichen Aufgaben. Ich bin einmal gespannt, welche Zahlungen da notwendig sein werden. Frau Lehn, ich komme nun zum - bereits angesprochenen - AAÜG. Ich sehe diesen Bereich etwas anders als Sie. Es geht in diesem Zusammenhang einzig und allein um die Frage, was durch den Einigungsvertrag bestandsgeschützt ist. Der Einigungsvertrag und die entsprechenden Begleitgesetze haben das nicht ausdrücklich geklärt. Diese Klärung nehmen vielmehr die Gerichte in unserem Land vor. Man muss einmal ehrlich sein: Es war das Bundessozialgericht - dort sind viele Richter tätig, die vonseiten der SPD benannt worden sind; das ist keine Richterschelte -, das verkündet hat: Hier besteht ein Anspruch, da besteht ein Anspruch und dort besteht ein Anspruch. Ich kann nicht erkennen, dass die Abgeordneten aus den neuen Bundesländern zu einer Änderung des Bestandsschutzes bereit sind. Wir können den Bestandsschutz in diesem Punkt nicht ändern. Das heißt, wir müssen auch auf diesem Gebiet damit rechnen, dass dem Haushaltsausschuss auch weiterhin Vorlagen zukommen, die es mit sich bringen, dass aus dem Bundeshaushalt mehr Geld fließen muss. Die dafür notwendigen Entscheidungen werden wahrscheinlich mit den Stimmen der FDP herbeigeführt; das geht gar nicht anders. Meiner Meinung nach müssen in den Einzelplan 15 schon zwei Leerstellen eingebaut werden. Ich bin gespannt, ob das bereits im Entwurf für das Haushaltsgesetz 2004, der uns im Sommer dieses Jahres vorgelegt wird, der Fall sein wird. Die erste Leerstelle betrifft den Steuerzuschuss für das Mutterschaftsgeld; sofern es das überhaupt geben wird. Die zweite Leerstelle - das ist die letzte Luftmasche, die ich nennen will - betrifft den Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung. Zu einem solchen Zuschuss mag es im nächsten Jahr noch nicht kommen. Die Spezialisten sagen, ein solcher Zuschuss werde 2006 oder 2007 nötig sein. Aber in anderen Bereichen haben sich die Spezialisten, wie Sie selbst wissen, auch schon einmal geirrt. Warum sollten sie sich nicht auch in dieser Frage irren? Bei der Pflegeversicherung - das sage ich selbstkritisch auch in Richtung meiner eigenen Partei - haben wir Fehler gemacht. Wir haben damals die Kapitaldeckung der Pflegeversicherung gegen die CDU nicht durchsetzen können. ({1}) Ich bitte Sie: Gehen Sie in sich! Versuchen Sie wenigstens bei dieser Säule unseres sozialen Sicherungssystems auf die Kapitaldeckung umzuschwenken! Die Generation, zu der ich gehöre - sie wird oft als „Generation Golf“ bezeichnet -, ist wohlbehütet groß geworden. Das will ich gar nicht bestreiten. Es ist uns gut gegangen. Man hat wenig Bedrohung empfunden. Der Sozialstaat funktionierte weitgehend und man dachte, es gehe so weiter. Es geht so aber nicht weiter; es ist schwieriger geworden. Diese Generation trägt die Hauptlast. Sie muss nämlich dafür sorgen, dass die Rentenversicherung reformiert wird und dass die Schulden, die wir alle angehäuft haben, getilgt werden ({2}) unabhängig von der Frage, wer die Schuld daran trägt. Ich komme zum Schluss. Früher, meine Damen und Herren von der Opposition, galt die FDP, wenn sie gesagt hat: „Die Rente ist unsicher“, als böser Bube, der in die Ecke gestellt worden ist. Heute werden diejenigen in die Ecke gestellt, die sagen: „Die Rente ist sicher.“ Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat der Abgeordnete Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Fricke, Ihnen ist es vielleicht gut gegangen. Dass es der ganzen Generation, die Sie auch noch als „Generation Golf“ bezeichnet haben, gut gegangen ist, weise ich als Mitglied derselben Generation - ich bin Jahrgang 1966 zurück. Es ist durchaus nicht allen gut gegangen. Auf diejenigen, denen es nicht immer gut geht, konzentrieren wir uns trotz der jetzt notwendigen Reformen. Ich glaube, das ist der Unterschied zwischen uns beiden. ({0}) Nicht erst seit letztem Freitag war und ist klar: Die Sicherung der Zukunft der Sozialsysteme, die Entlastung des Faktors Arbeit und die Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven in den Sozialsystemen erfordern Schritte, die man nicht leichten Herzens geht. ({1}) Die Koalition hat Einzelmaßnahmen auf den Tisch gelegt und viele dieser Maßnahmen sind natürlich kein Anlass für Bravorufe und Begeisterung. Das haben der Kanzler und auch unsere Fraktionsvorsitzende Krista Sager ganz richtig festgestellt. ({2}) - Ja, Sie freuen sich darüber. Uns ist sehr wohl bewusst: Etwa die Ausgliederung des Krankengeldes aus der gesetzlichen Krankenversicherung oder die Kürzung des Niveaus der Arbeitslosenhilfe ist nur vermittelbar, wenn man sich erstens das Ziel dieser Schritte vor Augen hält und zweitens eine Perspektive konkreter Chancen für diejenigen eröffnet, die auf die Leistungen des Sozialstaats angewiesen sind. ({3}) Beides, Ziel und Perspektive, haben wir im Blick. Es ist unser Ziel, die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme nicht allein auf abhängige Beschäftigung zu stützen. Mit der Riester-Rente haben wir einen ersten Schritt getan. Neben der faktischen Inanspruchnahme darf man auch die Symbolwirkung des Einstiegs in dieses zusätzliche Sicherungssystem nicht unterschätzen. Wenn dieser Einstieg vorher gelungen wäre - Sie haben ihn in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft -, dann wären wir bei der Entwicklung und Entfaltung dieses Systems jetzt vielleicht insgesamt schon viel weiter. Diesem Zusammenhang sollten Sie sich einmal stellen. Wir müssen auch eine Perspektive bieten. Wir wollen denjenigen Menschen, die zuvor etwa als Sozialhilfebeziehende nur begrenzten Zugang zur Sozialversicherung, zur Arbeitsvermittlung und zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik hatten, Angebote machen. Klar ist: Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch die Schwächsten in unserem Land wieder eine Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auch auf Teilhabe am Erwerbsleben haben. Wir haben schon bei der Politik für Menschen mit Behinderungen, die ich hier bereits mehrfach als beispielhaft bezeichnet habe, erfolgreich auf Teilhabe statt auf Ausgrenzung gesetzt. Diese Philosophie des SGB IX, des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, muss meiner Ansicht nach auch in anderen Bereichen der Sozialpolitik als Richtschnur dienen. Ziel unserer Politik muss es sein, allen Menschen eine unabhängige Lebensführung zu ermöglichen. Staatliche Unterstützung hat sich in den Dienst genau dieser Aufgabe, der Ermöglichung einer unabhängigen Lebensführung, zu stellen. Transferleistungen - das sage ich an Ihre Adresse - sind auch im Dienst dieser Aufgabe zu sehen, und zwar nicht allein in der Höhe, sondern auch als Bestandteil eines kompletten Pakets von Angeboten, um Menschen zu aktivieren und ihnen eine unabhängige Lebensführung zu ermöglichen. Ansonsten sind Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, von denen immer so viel geredet wird, nur Worthülsen. ({4}) An dieser Stelle frage ich mich, welche Handlungsspielräume uns Sozialpolitikern noch bleiben, wenn einige Arbeitgeberfunktionäre oder auch Herr Stoiber der Debatte eine Reformlogik aufzwingen wollen, in der die Wirksamkeit einer Reform nur noch an der Schmerzhaftigkeit ihrer sozialen Einschnitte gemessen wird. Ich würde mir wünschen, der Exkanzlerkandidat der Union könnte mir einmal plausibel erklären, welches Ziel mit einer pauschalen Kürzung der Sozialhilfe für Arbeitsfähige um 25 Prozent erreicht werden soll, außer dem Ergebnis, dass damit ganze Familien unter die Armutsgrenze getrieben werden. Man muss sich einmal klar machen, was das bedeutet! Das Niveau der Sozialhilfe beschreibt das soziokulturelle Existenzminimum. Dessen Gewährung stellt meiner Auffassung nach den unantastbaren Kern des Sozialstaatsgebotes unserer Verfassung dar. Darüber, finde ich, sollten wir uns in diesem Haus schon einig sein. Ich bin auch sehr froh darüber, dass sich Herr Seehofer in dieser Frage klar gegen den bayerischen Ministerpräsidenten stellt und mit beiden Beinen auf dem Boden der Verfassung steht. Wenn Herr Stoiber schon die gezielte Verarmung als Sparstrategie empfiehlt, dann sollte er auch so ehrlich sein, in seiner Modellrechnung die gesellschaftlichen Folgekosten mit einzubeziehen. Ich kann Ihnen prophezeien: Lateinamerikanische Verhältnisse verkraftet unsere Gesellschaft ohne gleichzeitigen Zuwachs an Kriminalität oder an politischem Extremismus nicht. ({5}) Eine solche Entwicklung würde letztlich richtig teuer werden. Im Übrigen ist die Annahme, Sozialhilfe beziehende Personen seien arbeitsunwillig - dazu muss ich doch noch kurz ausholen -, empirisch nicht eindeutig belegt; denn immerhin sind bereits 15 bis 20 Prozent der erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger - das sind rund 150 000 Personen, zumeist Haushaltvorstände - regulär erwerbstätig und beziehen ergänzende Sozialhilfe. Wir müssen des Weiteren sehen, dass Familien mit Kindern im Durchschnitt weniger lange Sozialhilfe beziehen als Alleinstehende, und zwar ganz erheblich weniger lange. Unterstellt man aber die Logik der so genannten Sozialhilfefalle - Roland Koch und Edmund Stoiber bemühen diese gern -, dann müsste das genaue Gegenteil festzustellen sein. ({6}) - Den beziehe ich mit ein. - Von vielen wird vorgerechnet, gerade bei Bedarfsgemeinschaften mit Kindern würde sich die Arbeitsaufnahme nicht lohnen, weil für sie der Anspruch auf Transferzahlung so hoch sei. Wir sehen aber, dass sich diese bemühen, aus der Sozialhilfe herauszukommen. Diese Hängemattenideologie trägt bei Betrachtung der Realität also offensichtlich nicht sehr weit. ({7}) Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir unsere Debatte über die Schwächsten in unserer Gesellschaft endlich wieder sachlich führen. Nehmen wir uns die Freiheit und den Mut, einmal wieder positiv über eine Politik der sozialen Gerechtigkeit zu debattieren! Versuchen wir doch einmal, uns nicht gegenseitig mit Kürzungsvorschlägen zu überbieten, sondern machen wir uns die Mühe, die Politik von ihrem Ende her zu denken. Beantworten wir ehrlich die Frage, welche Gesellschaft wir durch unsere Politik schaffen wollen und in welchen Verhältnissen wir im Jahre 2010 leben wollen. Bündnis 90/Die Grünen übernehmen da Verantwortung. Danke. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bevor nun die Kollegin Widmann-Mauz die Aussprache fortsetzt, hat der Kollege Fricke um eine Kurzintervention gebeten.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kurth, ich fand es schon etwas platt, dass Sie bei der Frage, ob es einem gut gegangen ist oder nicht, auf das Materielle abgehoben haben. Aus meiner Lebensüberzeugung heraus ist auch das Materielle sicherlich ein nicht unerheblicher Punkt; aber ich glaube, dass bei der Frage, ob es einem gut geht oder nicht, das Immaterielle, das Seelische viel wichtiger ist. Sie wissen nicht, wie meine Zeit war; ich weiß nicht, wie Ihre Zeit war. Ich kann nur eines sagen: Ich befinde mich als junger Familienvater, wenn ich mir überlege, was die Zukunft für meine Kinder bedeutet, durchaus in einer Reflexion, die mich sehr unsicher macht. Ich glaube, dass das entsprechend für die Generation, die jetzt kommt, gilt. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung, bitte schön.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dass es um Ihre seelische Gesundheit ging, als Sie davon gesprochen haben, dass es Ihnen gut geht, wurde aus Ihren Ausführungen so nicht erkennbar. ({0}) - Es ging um den Golf, genau. - Es ging um Ihre zukünftigen bzw. jetzigen Belastungen. Sie haben versucht, die Generationen gegeneinander auszuspielen. ({1}) Genau auf dieses Spiel sollten wir uns nicht einlassen. Wir sollten neben der Gerechtigkeit zwischen den Generationen nicht die Gerechtigkeit innerhalb der verschiedenen Lebensalterskohorten vergessen. Ich glaube, wir kommen nur zu einer Gesamtbetrachtung, wenn wir die verschiedenen Komponenten von Gerechtigkeit - dazu gehören Verteilungsgerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit, Teilhabegerechtigkeit und Gerechtigkeit zwischen den Generationen ({2}) in ihrer Dimension gleichberechtigt betrachten. Ich habe ganz erhebliche Zweifel, dass Sie zu dieser gleichgewichtigen und übersichtlichen Betrachtung überhaupt in der Lage sind. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Kollegin Widmann-Mauz, CDU/CSUFraktion, das Wort.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn Hans Eichel einen Haushalt vorlegen will, der die Maastricht-Kriterien erfüllt, muss Ulla Schmidt endlich handeln. Die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein ganz wesentlicher Beitrag, um die Lohnnebenkosten zu senken, die Wirtschaft zu stärken, Menschen wieder in Arbeit zu bringen und den Haushalt zu entlasten. Frau Schmidt, Sie sind unser Maastricht-Problem. Gerhard Schröder hat dies erkannt, nur Sie ringen leider noch mit sich. Um ganz nüchtern die Bilanz aufzumachen, wo wir in der gesetzlichen Krankenversicherung stehen, ist es notwendig, noch einmal darzustellen, wie hoch die Verschuldung der Kassen eigentlich ist: Defizit im Jahr 2001 3 Milliarden Euro, im Jahr 2002 3 Milliarden Euro. Das ist also ein Minus von insgesamt 6 Milliarden Euro, und das trotz einer Welle von Beitragssatzanhebungen seit 2001 um mehr als 0,7 Beitragssatzpunkte auf aktuell 14,4 Prozent - Tendenz steigend. Hinzu kommt: Die Kassen sind massiv verschuldet. 2 Milliarden Euro Schulden in 2002; der Schätzerkreis hat es gerade bestätigt. Das ist die Bilanz Ihrer völlig verfehlten Wirtschafts-, Arbeits- und Gesundheitspolitik. ({0}) Die Leidtragenden sind uns ja bekannt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Patientinnen und Patienten. Sie alle zahlen immer höhere Beiträge und bekommen eine immer schlechtere Versorgung. Auch das Beitragssatzsicherungsgesetz hat mit den Minusrunden und Zwangsrabatten nicht zu stabilen Beiträgen geführt. Im Gegenteil, es hat desaströse Konsequenzen für die Versorgung in den Leistungsbereichen. Ursächlich für diese desolate Situation ist Ihre Politik. Das Ganze kam ja nicht über Nacht, sondern hat sich längst abgezeichnet, aber Sie wollten es nie wahrnehmen. Nach den Debattenbeiträgen, die wir von der SPD bisher gehört haben, scheint mir, dass Sie es nach wie vor nicht wahrnehmen wollen, obwohl der Sachverständigenrat ein neues Gutachten vorgelegt hat. Frau KühnMengel, ich empfehle Ihnen, dieses Gutachten zu lesen; denn es macht durchaus deutlich, dass wir das Problem in der gesetzlichen Krankenversicherung bei den konjunkturellen und strukturellen Wachstumsschwächen der Finanzierungsgrundlagen sehen müssen. Dies resultiert aus einem unterdurchschnittlichen Anstieg der Arbeitsentgelte und der steigenden Zahl von Arbeitslosen. Das heißt aber umgekehrt, ohne Reformmaßnahmen werden wir keine Stärkung der Finanzierungsbasis in der gesetzlichen Krankenversicherung erreichen. Dies verkennen Sie, Frau Schmidt, nach wie vor. Ihr Lachen zeigt es wieder deutlich. Es reicht eben nicht aus, nur besser zu wirtschaften. Sie müssen die Finanzbasis stärken, sonst haben Sie keine Chance. Der Sachverständigenrat sagt es Ihnen deutlich. Er schreibt es Ihnen ins Stammbuch. Der Hinweis auf bestehende Unter-, Über- und Fehlversorgung vermag die anstehenden Finanzierungsprobleme kurzfristig nicht zu lösen und auch mittelfristig lediglich abzumildern. Sie haben dies kontinuierlich ignoriert und bestritten. Sie verfolgen auch seit Jahr und Tag, seit Sie im Amt sind, eine allein auf die Ausgabenseite konzentrierte Politik. Wenn die wenigstens systematisch wäre, könnte man Verständnis haben. Aber mit Ihren Entscheidungen verschlechtern Sie die Versorgung und führen zu finanziellen Mehrbelastungen. Die Stichworte Bürokratie, DRGs, DMPs, Aut-idem-Regelung, Zwangsrabatte, Positivlisten und staatliche Anstalten, die Sie planen, sind die Fortsetzung und das Perpetuum Ihrer Politik. Der Bundeskanzler hat jetzt erkannt, dass es Zeit ist, umzusteuern. Er hat deutlich gemacht, dass Sie Ihren Aufgaben nicht gewachsen sind. Er hat Ihnen am letzten Freitag offensichtlich das Heft aus der Hand genommen. Zum wiederholten Mal hat er Ihnen am letzten Freitag ins Stammbuch geschrieben, was die Inhalte einer Gesundheitsreform sein müssen. Wir stellen fest: Beim Bundeskanzler ist ein Sinneswandel zu verzeichnen. Der Anfang ist angekündigt, das Ende aber mehr als offen. Es ist ja auch klar. Ottmar Schreiner bringt es so schön auf den Punkt, wenn er sagt: Die Maßnahmen, die vorgeschlagen sind, stehen im Widerspruch zu dem, was wir im Wahlkampf gesagt haben. - Deshalb tut es so unendlich weh und ist das Schweigen in Ihren Reihen teilweise so unendlich groß. Wir haben durchaus Zweifel an der praktischen Umsetzung. Manche von Ihnen bringen es auf den Punkt, indem sie sagen: Ja, was ist denn damals bei Hartz am Ende noch übrig geblieben? Oskar Lafontaine ruft bereits zum Generalwiderstand auf. ({1}) - Ja, Herr Dreßen, Sie bereichern die Debatte ja auch um nette Zitate. Sie, Frau Schmidt, ringen nach wie vor mit der Umsetzung. Bleiben Sie dabei, wie Sie einmal so schön gesagt haben, dass es eine Lebensgefahr für unseren Sozialstaat bedeute oder ökonomischer Unsinn sei, wenn ein Teil der Beiträge in kapitalgedeckte Zusatzversicherungen investiert wird. So haben Sie dies zuletzt beim Bundeskongress der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Dezember letzten Jahres gegeißelt. Man darf gespannt sein, ob die SPD ihrem Kanzler bedingungslose Gefolgschaft leistet. Wird denn eins zu eins umgesetzt oder wird der Kanzler von seiner eigenen Truppe wieder weich gespült? Dass Skepsis in Ihren Reihen herrscht, haben wir letzte Woche gemerkt. Da braucht man nicht einmal auf die Beiträge von Kollegen wie Herrn Dreßen oder Herrn Schösser näher einzugehen. Wir von der Union würden es begrüßen, wenn auch in der SPD eine echte Reformbereitschaft zum Durchbruch käme. Wir von der Union haben bereits vor Wochen unsere Vorschläge klar formuliert. Wir sind froh, dass der Kanzler erkannt hat, dass die Union die besseren Konzepte hat. Sie, Frau Schmidt, sind noch lange nicht so weit. Das wissen und spüren wir. Deshalb habe ich große Zweifel, ob aus Ihnen einmal ein echter Horst Seehofer werden wird. ({2}) Wir haben eine anspruchsvolle Aufgabe vor uns. Wir müssen ganze Leistungsblöcke aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgliedern. Wir müssen versicherungsfremde Leistungen umfinanzieren und eine stärkere Eigenbeteiligung der Versicherten und der Patienten einfordern. Nur so schaffen wir es, den Arbeitgeberbeitrag auf einem niedrigeren Niveau zu stabilisieren. Bei der grundsätzlich richtigen Auswahl der Instrumente, wie wir sie in der letzten Woche gehört haben, verhehle ich allerdings nicht, dass wir bei einzelnen Vorschlägen des Kanzlers doch ganz erhebliche Probleme haben. Lassen Sie mich das an dem Beispiel des Krankengeldes deutlich machen. Die Herausnahme des Krankengeldes aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung, so wie es der Kanzler vorgeschlagen hat, und eine private Absicherung führen an mehreren Stellen zu größeren Bedenken. Die private Krankenversicherung kalkuliert die Prämien risikoäquivalent, was zur Folge hat, dass ältere Menschen, chronisch Kranke und Personen mit Vorerkrankungen kaum einen bezahlbaren Versicherungsschutz finden werden. Will man diese Personengruppen in den Versicherungsschutz einbeziehen, müsste die Absicherung des Krankengeldes über Pauschalprämien verpflichtend gemacht werden. ({3}) Die Weigerung der privaten Krankenversicherungen, dem Ministerium entsprechende Angebote zu unterbreiten, zeigt deutlich, wie wenig Interesse an diesem Geschäft besteht. ({4}) Bliebe also die Absicherung des Risikos durch die gesetzliche Krankenversicherung, allerdings ausschließlich aus Mitteln der Versicherten. Da aber die Rentner nicht mehr mit Arbeitsunfähigkeit konfrontiert werden können, haben sie keinen Anlass, eine Zusatzversicherung zur Absicherung des Krankengeldes abzuschließen. Bisher sind aber die Beiträge der Rentnerinnen und Rentner auch in die Finanzierung des Krankengeldes geflossen. Sie könnten also mangels Leistungsanspruchs nicht mehr zur Beitragszahlung verpflichtet werden. Das heißt umgekehrt, dass die Absicherung insgesamt teurer wird, und zwar von 150 auf 218 Euro pro Mitglied, wie uns dieser Tage vorgerechnet wird. Darüber hinaus würden die gesetzlichen Krankenkassen gerne bei der Tarifausgestaltung auch die Leistungshöhe und die Bezugsdauer berücksichtigen. Das führt aber zu einer Benachteiligung der gewerblich Beschäftigten gegenüber den Angestellten im Dienstleistungsgewerbe. Wir haben nämlich keine einheitlichen Tarifverträge in unserem Land. Der Malocher, wie es so schön heißt, in der Metallindustrie müsste sein Risiko bereits ab der 42. und der Angestellte im Dienstleistungsbereich erst ab der 48. Krankheitswoche absichern. Der Malocher müsste also höhere Prämien zahlen als der Angestellte im Dienstleistungsbereich. ({5}) Sagen Sie uns einmal ganz offen, ob Sie sich wieder an einer Ungleichbehandlung der abhängig Beschäftigten im Vergleich zu den Beamtinnen und Beamten in unserem Land beteiligen wollen, wie Sie es beim Sterbegeld schon einmal getan haben? Die Beamtinnen und Beamten brauchen nämlich kein Krankengeld, weil sie nach dem Alimentationsprinzip davon nicht abhängig sind. Diese Probleme zeigen, dass es an dieser Stelle große Schwierigkeiten gibt. Die Frage wird sein, ob das Kanzlerwort, das letzte Woche gesprochen wurde, nicht schon jetzt in sich zusammenfällt. Oder hat er die Konsequenzen, als er hier am Rednerpult stand, einfach nicht gekannt? Diesem Spott müsste sich Gerhard Schröder gar nicht aussetzen, wenn er das täte, was bei den Fachleuten unumstritten ist. Warum bleiben Sie denn auf halbem Weg stehen? Oder anders gefragt: Warum können Sie nicht über Ihren Schatten springen? Sie selbst haben Hürden aufgebaut, die sachlich nicht gerechtfertigt sind. Entgegen der Behauptung des Bundeskanzlers hat die Absicherung des Zahnersatzes mit 5 DM weder zu einer Überforderung der Versicherten noch zu einer schlechteren Mundgesundheit der Kinder geführt. Im Gegenteil: Es war eine der erfolgreichsten Maßnahmen. Anders als bei der Herausnahme von Unfällen verhält es sich bei der Herausnahme der Zahnbehandlung. Hier gibt es keine Abgrenzungsprobleme, sondern eine klare Zuordnung der Zuständigkeiten. Verschiebebahnhöfe sind weitgehend ausgeschlossen. Zudem weist der Bereich der Zahnbehandlung ein Volumen von 11 Milliarden Euro auf. Das entspricht einem Entlastungsvolumen von 1,1 Beitragssatzpunkten. Die Herausnahme würde zu einer spürbaren Entlastung der lohnbezogenen Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung führen. Eigenverantwortung und Prävention sind in diesem Bereich am ehesten möglich. Die Versicherten können durch ein verantwortliches Verhalten die Beiträge entscheidend mit beeinflussen. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme damit zum Schluss. - Es ist doch im Grunde nicht länger einzusehen, dass wir unsere Kinder und Enkelkinder mit höheren Beiträgen belasten und damit ganz entscheidend zu Nachteilen in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragen, nur weil unsere Generation zu faul zum Zähneputzen ist. Es gäbe noch vieles zu erläutern; der Kollege Zöller wird dies nachher fortsetzen. Sie kommen insgesamt in der Kombination Ihrer Vorschläge, was die versicherungsfremden Leistungen anbelangt, nicht zu dem Entlastungsvolumen, das Sie brauchen, um das gesteckte Ziel eines Beitragssatzes von 13 Prozent überhaupt zu erreichen. Wir haben Ihnen Vorschläge vorgelegt. Diskutieren Sie darüber mit uns vorurteilsfrei und ideologiefrei! Bringen Sie einen schlüssigen Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag ein! Dann werden wir unsere Verantwortung wahrnehmen und Gespräche nicht verweigern. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung, Frau Schmidt, das Wort. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Widmann-Mauz, Sie machen mich manchmal sehr unsicher. Ich frage mich, ob Sie nicht heimlich Mitglied der SPD geworden sind. Es ist schon das zweite Mal, dass Sie aus SPD-internen Briefen mit der Überschrift „Liebe Genossen!“ usw. zitieren. Ich habe das, was Sie angesprochen haben, nicht gesagt. Man sollte Aussagen nicht aus dem Zusammenhang reißen. Es wäre also schön, wenn Sie mir das nächste Mal Ihre Informationen geben würden. Es kommt darauf an, was privat abgesichert werden soll. Das medizinisch Notwendige kann nicht ergänzend abgesichert werden. Denn die Privatversicherungen nehmen Menschen mit Vorerkrankungen nicht auf. Dass wir ein Gesundheitssystem haben, in dem alle Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel und ihren Vorerkrankungen sämtliche Leistungen erhalten, ist eine große Errungenschaft, die wir gemeinsam fortsetzen sollten. ({0}) Es geht nicht, einzelne Risiken, die auch medizinisch Notwendiges umfassen, aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen herauszunehmen und privat zu versichern. Denn diejenigen Menschen, die krank sind, oder diejenigen, die schon krank zur Welt kommen, hätten keine Chance, sich versichern zu lassen, bzw. müssten, weil Leistungen im Krankheitsfall kaum bezahlbar wären, sehr viel Geld haben. Wenn das mit dem von Ihnen Zitierte in Einklang steht, dann habe ich das gesagt; dazu stehe ich. ({1}) Lassen Sie mich aber an diesem Tag zunächst einmal Dank sagen für die gute Zusammenarbeit, die wir trotz einiger Differenzen mit den Mitgliedern des Haushaltsausschusses hatten. Am heutigen Tag gilt mein besonderer Dank den Berichterstattern im Haushaltsausschuss für meinen Geschäftsbereich: Frau Lehn, Frau Hajduk, Herrn Luther und Herrn Fricke. Wir haben zwar Kontroversen gehabt; wir haben uns aber immer wieder geeinigt. Ich glaube, dass der Haushalt, der heute vorliegt, eine sehr gute Grundlage für mein Ministerium und die Arbeit ist. ({2}) Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass wir uns im Moment in sehr schwierigen Zeiten befinden. Der Kollege Luther hat gesagt, wir seien heute in einer Situation, in der man sich manchmal frage, ob mancher Streit, den wir hier führen, eigentlich angemessen ist. Die Menschen - auch wir - sind unsicher, weil sie nicht wissen, was in den nächsten Stunden passiert. Trotzdem müssen wir unsere Aufgaben erfüllen; da haben Sie vollkommen Recht. Wir alle wissen, dass sich in der letzten Zeit die Prognosen zur Beschäftigung, zur Wirtschaftsentwicklung und zum Wachstum manchmal von Woche zu Woche verändert haben. Gerade angesichts der schwierigen Situation, in der wir uns befinden, kommt es, wenn wir die sozialen Sicherungssysteme erhalten, stärken und zukunftsfest machen wollen, darauf an, gemeinsam nach Wegen zu suchen, damit die Generation, die nach uns kommt, sich darauf verlassen kann, dass in diesen Zeiten des Wandels, in denen wir von den Menschen sehr viel Mobilität einfordern, Sicherheit besteht und niemand in diesem Staat allein gelassen wird, wenn er in Not ist. Ich glaube, darauf können wir uns alle verständigen. ({3}) Das wichtigste Ziel im Hinblick auf die Beitragssatzentwicklung und die Risiken in den sozialen Sicherungssystemen ist, Beschäftigung zu schaffen. Hierzu hat der Bundeskanzler am vergangenen Freitag eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht, zum Beispiel zur Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und der Sozialhilfe, zu Veränderungen im Zusammenhang mit dem Bürokratieabbau und der mittelständischen Wirtschaft sowie zum Gesundheitswesen und zur Rente. Die Sozialpolitik kann keine Arbeitsplätze schaffen. Aber wir müssen schauen, wie wir den Faktor Arbeit entlasten müssen, und wir bei der Neuorganisation der Systeme folgende Fragen beantworten: Was gehört zum paritätisch finanzierten Teil eines Sozialversicherungssystems? Was sind gesamtgesellschaftlich notwendige Aufgaben, die erledigt werden müssen? Wo kann man den Menschen zumuten, etwas individuell, privat abzusichern? Das muss nicht immer in einer privaten Versicherung erfolgen, Frau WidmannMauz, sondern man kann auch andere Wege gehen. Man könnte zum Beispiel das Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung belassen, es aber aus der paritätischen Finanzierung herausnehmen, sodass die Arbeitnehmer diesen Teil selber zahlen, weil auf der anderen Seite die Arbeitgeber die sechs Wochen Lohnfortzahlung auch allein zahlen. So etwa könnten wir es organisieren. Ich glaube, es wird darauf ankommen, das Solidarprinzip nicht außer Kraft zu setzen. Deshalb sind wir gefordert, Regelungen zu finden, die sehr nahe bei den Menschen sind. Das gilt für die Absicherung des Krankengeldes genauso wie für Leistungen aus der Unfallversicherung. Wir müssen eine Regelung finden, die risikounabhängig allen gleiche Chancen bietet, wenn sie auf Krankengeld angewiesen sind, auch Leistungen zu bekommen. Dasselbe würde für Leistungen nach einem Unfall und auch für die Zahnbehandlung gelten, um diese drei Blöcke einmal zu nennen. Die Menschen müssen unabhängig vom individuellen Risiko durch das Solidarsystem abgesichert sein. Sie müssen in diesen Fällen notwendige Leistungen unabhängig von der Frage der individuellen Leistungsfähigkeit bekommen. Das ist die Herausforderung, die wir annehmen. ({4}) Die Reform wird sich auch dadurch auszeichnen, dass wir schmerzhafte Einschnitte, die gemacht werden müssen, um die Lohnnebenkosten zu senken, so absichern, dass sie für die Menschen verkraftbar sind. Beim Krankengeld müssen wir selbstverständlich darauf achten, dass die Verkäuferin, die bei Aldi beschäftigt ist und nur sechs Wochen Lohnfortzahlung hat, nicht schlechter gestellt wird als der Beschäftigte im öffentlichen Dienst, der nach zehn Jahren Zugehörigkeit erheblich länger Anspruch auf Lohnfortzahlung hat. Deshalb kann der Weg nur sein, in der gesetzlichen Krankenversicherung nach solidarischen Regelungen zu suchen. Damit entlasten wir den Faktor Arbeit und sichern gleichzeitig die Menschen so ab, dass sie im Falle einer Krankheit nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, weil ihnen kein Krankengeld mehr gezahlt wird. Ich glaube, das ist der Weg, den wir gemeinsam gehen sollten. ({5}) Unser Ziel ist, den Beitragssatz in der GKV auf unter 13 Prozent zu senken. Sie wissen alle, dass das ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. Bei allen Entwicklungen in diesem Jahr und auch bei Veränderungen, die im Bereich von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe beschlossen werden, um mehr Beschäftigung zu schaffen, müssen wir immer beachten, dass sie auch zu Einnahmeausfällen in den sozialen Sicherungssystemen führen können. Das wissen Sie und das weiß ich auch. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dürfen wir nicht nur auf die nackten Zahlen sehen, sondern müssen ein Gesamtpaket auf den Weg bringen. Wir müssen über die Frage der Strukturreform diskutieren. Jeder weiß: Es kann in diesem System nicht mehr so weitergehen wie bisher. Wir müssen dafür sorgen, dass das Geld der Versicherten effektiv und effizient eingesetzt wird, dass es genau da ankommt, wo es eigentlich hingehört. ({6}) Dabei werden wir uns mit vielen Lobbyistengruppen in diesem Lande anlegen müssen; das haben wir heute Morgen gesehen. ({7}) Es wird schwierig, einen Beitragssatz von unter 13 Prozent zu fordern und gleichzeitig die Apothekerschaft und die Ärzte außen vor zu lassen und bei den Krankenhäusern alles zurückzunehmen nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Nach dieser Methode werden wir keine Gesundheitsreform auf den Weg bringen, sondern Belastungen fördern. ({8}) Wir müssen vielmehr jeden in diesem System verpflichten, zu fragen: Was kann ich dazu beitragen, dass wir mit den Geldern der Versicherten sparsam umgehen? Wenn ich „jeder“ sage, meine ich auch jeden: die Versicherten, die Patienten genauso wie die Ärztinnen und Ärzte sowie die Apotheker und andere, etwa die, die im Bereich von Heil- und Hilfsmitteln Leistungen erbringen. Wenn wir die Über-, Unter- und Fehlversorgungen konsequent abbauen und Strukturen, die dazu verleiten, dass etwas doppelt und dreifach gemacht wird, beseitigen, dann ist dies erst die Voraussetzung dafür, Herr Thomae, dass wir die Menschen, die in diesem System arbeiten, auch künftig für ihre Arbeit anständig und angemessen bezahlen können. Wir dürfen das Geld nicht mehr für Dinge ausgeben, die nicht nötig sind. ({9}) Diesen Weg müssen wir gehen. In diesem Zusammenhang müssen wir - da haben Sie völlig Recht - auch mit dem derzeitigen Honorarverteilungssystem Schluss machen. Man muss eine verlässliche, planbare Vergütung mit Pauschalen auf den Weg bringen; anderenfalls bleiben die Strukturen, wie sie sind, die Versorgungsbereiche weiterhin voneinander abgegrenzt. Das wollen wir nicht mehr. Ich hoffe auf Ihre Zustimmung, wenn wir dieses Thema angehen werden. ({10}) Der Kollege Spahn sprach vorhin davon, es müsste klar gesagt werden, wohin die Reise geht. Auch Sie wollen unter oder auf 13 Prozent kommen. Frau Widmann-Mauz, Sie haben einen Antrag vorgelegt, in dem es heißt, Sie wollten den Großhandelsrabatt wieder rückgängig machen; die 600 Millionen Euro Entlastung sollen also wegfallen. ({11}) Außerdem haben Sie einen Verzicht auf alle Nullrunden beschlossen. Drittens sagt der Kollege Seehofer, der heute nicht hier ist, man müsse bei den Glaspalästen der Krankenkassen etwas machen, während zugleich im Bundesrat eine Nullrunde auch für die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen blockiert wird. ({12}) Mit all diesen Forderungen kommen wir wieder auf eine Belastung von vielleicht 2 Milliarden Euro; das sind 0,2 Prozent. Dadurch würde es noch viel schwieriger, auf einen Beitragssatz von 13 Prozent zu kommen. Aber nachdem Sie jetzt erklärt haben, Sie wollten diesen Weg mit uns gemeinsam gehen, hoffe ich, dass Sie sich dafür einsetzen, dass wir einen Schritt nach vorn kommen. Dies gilt auch für die hochpreisigen Arzneimittel. Frau Widmann-Mauz, Sie sitzen lange genug im Gesundheitsausschuss und wissen, dass rund 70 Prozent neu eingeführter hochpreisiger Arzneimittel keine medizinischen Innovationen sind und nicht gegeben werden müssen, weil es vergleichbare, aber kostengünstigere Arzneimittel gibt. Nur rund 30 Prozent dieser Arzneimittel stellen wirkliche Innovationen dar. Wenn wir die Innovationen und den mit ihnen verbundenen zusätzlichen Nutzen auf Dauer für alle sicherstellen wollen, dann müssen wir verhindern, dass Arzneimittel ohne zusätzlichen Nutzen zu dreimal so hohen Kosten abgegeben werden. Anders werden wir nicht schaffen, was wir uns vorgenommen haben. Hier darf man es sich nicht zu leicht machen. ({13}) Der dritte Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Steuerfinanzierung, die vom Kollegen Luther kritisiert worden ist, wenn ich es richtig in Erinnerung habe. - Manchmal lese ich auch das, was meine Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU schreiben. - Ich dachte immer, dass wir uns in diesem Punkt einig sind, weil wir dies alles schon lange fordern. Ich bin sehr froh, dass uns jetzt der Einstieg gelingen wird, den wir bei der Rente bereits geschafft haben. Herr Kollege Luther, es geht nicht um eine Steuerfinanzierung der Rente. Was haben wir gemacht? ({14}) In den letzten zehn Jahren waren wir uns in diesem Hause immer einig, dass dies der richtige Weg ist. Wir haben gesagt: Es gibt Leistungen, die die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zahlen müssen, und es gibt Leistungen in unserem sozialen Sicherungssystem, bei denen es ungerecht wäre, sie nur von Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zahlen zu lassen. Solche gesamtgesellschaftlichen Leistungen müssen daher über Steuern finanziert werden. Zum Beispiel zahlen wir bei der Rente knapp 12 Milliarden Euro über Steuern, damit Mütter oder Väter - in der Regel sind es Mütter für die ersten drei Jahre der Kindererziehung Beitragszeiten in der Rentenversicherung anerkannt bekommen, sodass Kindererziehung nicht dazu führt, dass man im Alter Einbußen bei der Rente hat. Ich bin froh, dass wir dies für die jüngere Generation - die ältere profitiert nicht so sehr davon - haben sicherstellen können. Wenn wir alle Bereiche durchforsten, stellen wir fest, dass wir eine ganze Menge machen können. Bei der Rentenversicherung müssen wir die Einnahmeprobleme selbstverständlich berücksichtigen. Der Bundeskanzler hat hier richtigerweise gesagt, dass unsere Berechnungen der Beschäftigungs- und Wachstumsentwicklung etwas zu optimistisch waren. Das wissen wir heute alle. ({15}) - Ja, das waren wir. Das waren aber auch alle Institute. Herr Austermann, Sie sind Haushälter und wissen, dass alle Institute fast jede Woche etwas anderes sagen. Das macht es manchmal etwas schwierig. Die Annahmen waren optimistisch. Schließlich wollen wir alle, dass es vorwärts geht. Ich als optimistische Frau will, dass es immer vorwärts geht. ({16}) Wir mussten auf die Prognose, dass die Lebenserwartung - Gott sei Dank - höher ausfällt, reagieren. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir zu Beginn der Arbeit in der Rürup-Kommission all diejenigen, die diese Prognosen machen, einmal zusammenholen. Ich möchte, dass wir wissen, wie es wirklich aussieht, damit wir einen Standpunkt finden und entsprechend handeln können. Sie haben angesprochen, dass die Beitragsentwicklung in den kommenden Jahren höher sein wird, als wir sie prognostiziert haben. Dazu sage ich Ihnen: Wir haben im Gesetz vorgesorgt. Wir haben die private Säule der Rentenversicherung aufgebaut. Sie hatten dazu keinen Mut. ({17}) Wir haben vorgesorgt: Wenn sich in der in der Vorausschau zeigt, dass die Beiträge 2030 die 22-ProzentGrenze überschreiten, muss der Staat handeln. Der Staat wird handeln. Wir werden die Entwicklung beobachten und zur Nachjustierung der Rentenformel Vorschläge machen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Ministerin, sind Sie geneigt, nach Beendigung Ihrer Redezeit noch eine Zusatzfrage des Kollegen Storm aufzunehmen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wenn Sie es gestatten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Jetzt glaubt Herr Storm, ihr klatscht für ihn!

Andreas Storm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich zunächst einmal dafür, dass die SPD-Fraktion klatscht, wenn ich eine Frage stelle. Frau Ministerin, in der letzen Woche haben Sie noch erklären lassen, dass Sie mit der Beitragssatzfestsetzung bis November warten wollen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie noch vor der Sommerpause überlegen wollen, wie die Beitragssatzprobleme, die in der Rentenversicherung im nächsten Jahr drohen, gelöst werden können und nicht bis zum November warten wollen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Kollege Storm, Sie beschäftigen sich mit den Daten zur Rentenversicherung. Auf der Grundlage der Daten der Rentenversicherungsträger können wir immer erst im Herbst sagen, wie die Entwicklung im kommenden Jahr aussehen wird. Wir arbeiten aber - das wissen Sie - mit der Rürup-Kommission. Wenn die Entwicklungen anders sind, als wir sie prognostiziert haben, brauchen wir eine Nachjustierung der Rentenformel. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge. Ein Vorschlag geht beispielsweise dahin, auf der Einnahmeseite die Einkommen aller Beitragszahler, auch der Bezieher von Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld usw., einzubeziehen. Wir werden hier Vorlagen einbringen und im Parlament dann darüber beraten. Man kann aber noch nicht sagen, wie die Entwicklung im nächsten Jahr aussehen wird. ({0}) Es gibt Risiken. Es bestehen aber immer noch Chancen, dass das Wachstum in diesem Jahr ansteigt, weil die Gesetze, die wir hier zum Teil gemeinsam verabschiedet haben, greifen. Ich höre Sie noch sagen: Wenn wir die 400-Euro-Jobs regeln, entstehen 800 000 Arbeitsplätze. - Sie können doch nicht so wenig Vertrauen in Ihre eigenen Reformen haben. Wie die Entwicklung im kommenden Jahr aussehen wird, wissen wir im Herbst, ({1}) weil dann der VDR und die Rentenversicherungsträger - von denen stammen auch Ihre Zahlen - die Daten vorlegen. Der Präsident der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat am vergangenen Sonntag gesagt: Im kommenden Jahr können die Rentenbeiträge stagnieren, sinken, ({2}) aber sie können auch steigen. Das sage auch ich Ihnen, weil man zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr sagen kann. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das, was Sie als Letztes gesagt haben, wird so mancher schon vermutet haben. Nun hat die Abgeordnete Frau Dr. Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesrepublik ist auf dem Weg in die Ich-AG. Die Ich-AG wird zum Programm. Dabei geht es nicht nur um den Umbau des Arbeitsmarktes, sondern auch um den Umbau des Sozialstaates: weg von dem solidarischen System hin zu einem kommerziellen System. Jeder soll sich um seine Risiken selber kümmern, ob er kann oder nicht. Die Versicherungen müssen schließlich auch von etwas leben. Auf diese Weise - so hat uns am Freitag auch der Bundeskanzler seine Vorhaben verkündet - wird das solidarische Prinzip angegriffen und zerstört, das ein konstituierendes Element unserer Gesellschaft ist. Es wird sozusagen der Leim aufgelöst, der die Gesellschaft zusammenhält. Wir als PDS schätzen am bestehenden Gesundheitssystem vor allem drei Dinge: Erstens die solidarische Versicherung des Krankheitsrisikos, zweitens die paritätische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Unternehmen und Beschäftigte und drittens den umfangreichen Leistungskatalog, der für alle Menschen gilt, unabhängig von ihrem Krankenversicherungsbeitrag. ({0}) Unentwegt wird darüber geredet, dass unser Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar sei. Alle schauen wie gebannt auf die Ausgaben. Der Kanzler möchte, wie er am Freitag gesagt hat, das Krankengeld streichen. Die Gesundheitsministerin möchte Sportunfälle nicht mehr durch die Krankenkassen bezahlen lassen. So hat jeder Politiker eine nette Idee, wo man im Leistungskatalog noch streichen könnte. Das ist aber keine Strategie; es wirkt eher hilflos. Wir als PDS wollen uns in dieses Orchester der Kürzungsvorschläge nicht einreihen, obwohl man gerade hinsichtlich der explodierenden Medikamentenkosten Vorschläge machen müsste. Diese sind aus Ihren Reihen bisher leider noch nicht gekommen. Aber schauen wir einmal auf die Einnahmeseite. Wo sind Ihre Vorschläge zur Erhöhung der Einnahmen? Überall wird erklärt, dass das Gesundheitssystem nicht mehr finanzierbar sei sowie die angeblich hohen Lohnnebenkosten zum Abbau von Arbeitsplätzen führten und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verhinderten. Dies wurde uns schon bei der Diskussion um die Rentenreform erzählt und war Anlass für den Ausstieg aus der paritätisch finanzierten Rente. Im Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird festgestellt - das ist Heft 7/2003 -, dass das Verhältnis der Gesundheitsausgaben zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes relativ konstant ist. Das heißt, das System wäre auch unter den gegebenen Bedingungen finanzierbar. Das auffällige Ansteigen der Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung hat andere Ursachen. Es ist auf das Zurückbleiben der Bruttolohn- und -gehaltssumme zurückzuführen. Doch dieser Rückgang ist nicht von Gott gegeben, sondern durch die Bundesregierung teilweise selbst verursacht: Die Bundesregierung beklagt einerseits die Finanzprobleme der Krankenkassen, greift andererseits aber unentwegt in diese Kassen, um Geld für andere Zwecke locker zu machen. Das ist nicht in Ordnung. Ich habe kürzlich die Bundesregierung gefragt, welche Auswirkungen die Umsetzung des Hartz-Konzeptes - ich nenne nur die Minijobs und die Leiharbeit - auf die Kassen haben werde. Hierauf wollte man mir keine konkrete Antwort geben. Aber jeder kann sich doch an fünf Fingern abzählen, dass billige Leiharbeiter weniger in die Krankenkassen einzahlen werden als die teuren Stammbelegschaften der Betriebe. Ich kann noch weitere politische Entscheidungen benennen, die zu Einnahmeverlusten bei der Krankenversicherung führen. Ein Beispiel ist die Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger. Das führt pro Jahr zu mindestens 0,6 Milliarden Euro an Mindereinnahmen für die Krankenkassen. Für das Jahr 2001 haben die Spitzenverbände der Krankenkassen Einnahmeverluste allein durch politische Entscheidungen von insgesamt 2,5 Milliarden Euro errechnet. Aber die Bundesregierung greift auch an anderer Stelle kräftig in die Taschen der Versicherten. Ich hatte im Rahmen der Diskussion um die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Zahnersatz von 7 Prozent auf 16 Prozent den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt, die unterschiedlichen Steuersätze für Arzneimittel im europäischen Vergleich darzustellen. Ich hatte mich dafür interessiert, ob im Sinne einer Steuerharmonisierung im Rahmen der Europäischen Union die Steuern bei diesen Produkten angeglichen werden. Das Ergebnis war erstaunlich: In Europa wird außer in Deutschland nur in Dänemark und Österreich auf Arzneimittel der Standardmehrwertsteuersatz erhoben. In vielen Ländern wird auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gar keine Steuer erhoben, zum Beispiel in Großbritannien oder in Schweden. ({1}) - Diese Länder haben höhere Mehrwertsteuersätze. Aber da sie auf diese Produkte keine Mehrwertsteuer erheben, ist Ihre Zwischenbemerkung hinfällig. Sie ergibt keinen Sinn. Der Bundesminister saniert seine Haushaltskassen also über die Krankenversicherung und mithilfe der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. In dieser Frage kann ich nur sagen: Weniger Staat! Mit dem willkürlichen Zugriff des Staates auf die Beiträge der Versicherten muss endlich Schluss sein. ({2}) Wir als PDS fordern erstens die Stärkung der Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Wege habe ich dargestellt. Zweitens fordern wir die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen durch den Bund. Drittens fordern wir mehr Geld für die Gesundheitsprävention. Ich glaube, es würde allen in diesem Hause gut tun und wir würden uns wohl fühlen, wenn wir den Präventionsgedanken verwirklichen. Viertens fordern wir den Erhalt des Krankengeldes, damit die Leute nicht krank zur Arbeit gehen müssen, sondern etwas für ihre Gesundheit tun können. Ansonsten könnte man, wenn man krank zu Hause bliebe, seine Krankheit nicht mehr finanzieren. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner in der Aussprache zum Einzelplan 15 ist der Kollege Zöller, CDU/CSU.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Wenn hier jemand von Rot spricht, dann spricht er von einem Ausgabeproblem. Spricht jemand von Grün, dann spricht er von einem Einnahmeproblem. Ich bin der Auffassung, dass man daraus nur eine Schlussfolgerung ziehen kann: Das Problem ist Rot-Grün. ({0}) Was Sie in der letzten Zeit hier bewegt haben, muss man einfach mal Revue passieren lassen. Frau Kühn-Mengel, Sie stellen sich hier hin und sprechen von einer Erblast. Vielleicht war das noch die Rede von vor vier Jahren. Wenn Sie es wirklich ernst gemeint haben: Wie kann man von einer Erblast sprechen, wenn man in der Pflegeversicherung einen Überschuss von 10 Milliarden DM und in der gesetzlichen Krankenversicherung einen Überschuss von mehreren Milliarden bei gleichzeitig niedrigeren Beiträgen als jetzt übernimmt? Jetzt sind die Beiträge höher und gleichzeitig besteht ein Defizit. Es tut mir Leid: Es ist für mich schwer nachvollziehbar, dass Sie von einer Erblast sprechen. ({1}) Frau Ministerin, Sie sagen, dass Sie zum Beispiel bei den Apothekern etwas tun wollen. Können Sie mir erklären, wieso Sie generell eine Nullrunde verordnen und dabei einen Bereich herausgreifen, der fast 80 Prozent der Einsparsumme finanzieren soll? Es wird wohl Ihr Geheimnis bleiben, wie das sozial gerecht sein soll. Wir reden heute auch noch über einen weiteren Punkt, nämlich über die Gesetzgebung zum Fallpauschalenänderungsgesetz. Erst seit knapp drei Monaten besteht für die deutschen Krankenhäuser die Möglichkeit, ihre stationären Leistungen mit diagnoseorientierten Fallpauschalen abzurechnen. Gleichzeitig hat die Bundesregierung mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz allen Krankenhäusern, die nicht auf das neue Fallpauschalensystem umsteigen, eine Nullrunde verordnet. Die Zustimmung zum neuen Fallpauschalengesetz wollte man sich mit dem Versprechen der Etaterhöhung um 0,81 Prozent quasi erkaufen. Vergessen wir bitte nicht: In dem Fallpauschalengesetz werden die Vergütungen in einem Wirtschaftsbereich mit einem Jahresumsatz von weit mehr als 50 Milliarden Euro völlig neu geregelt. Dass bereits nach so kurzer Zeit Grundsätze dieses Regelungswerkes geändert werden müssen, bestätigt unsere damalige Ablehnung. Es besteht ein völlig unnötiger Zeitdruck und Sie ignorieren Fachargumente. Jetzt sollen plötzlich nicht zuzuordnende Fälle ausgenommen werden. Das sind genau die Fälle, bei denen wir seit jeher eine Abrechnung mit Fallpauschalen für nicht durchführbar hielten. Ein ernsthafter Dialog mit Fachverbänden, Selbstverwaltungen und Ländern war hier offenbar niemals beabsichtigt. Der Hauptfehler war, dass Rot-Grün ein Vergütungssystem zu 100 Prozent übernimmt, obwohl dessen Erfinder in seinem Heimatland nur 50 Prozent der Leistungen damit abrechnet. Dies geschieht nach dem Motto, egal, ob es funktioniert oder nicht. Dahinter kann doch nur der Gedanke in Richtung einer Staatsmedizin stecken; ({2}) denn wenn sämtliche Leistungen in Fallgruppen erfasst werden, genügt eine Senkung des Basisfallwertes, damit allen Krankenhäusern die Vergütung gekürzt wird. Dies geschieht unabhängig davon, ob die Krankenhäuser wegen der demographischen oder medizinisch-technischen Entwicklung, unabweisbarer Fallzahlen oder Kostensteigerungen mehr Geld benötigen. Das ist keine Gesundheitspolitik nach dem medizinisch Notwendigen, sondern nach staatlicher Kassenlage. ({3}) Ich sage Ihnen voraus, dass diese Reform des Gesetzes nicht die letzte Änderung sein wird. Sie haben nämlich die Rechtsprechung bezüglich der Arbeitszeitregelung nicht entsprechend berücksichtigt. Sie werden in sehr kurzer Zeit wieder nachbessern müssen. Hätten Sie etwas sorgfältiger gearbeitet und die Vorschläge der Sachverständigen und auch unsere Vorschläge gebührend geprüft, so hätten Sie gleich zu Beginn einen Gesetzentwurf vorlegen können, der allen Beteiligten weniger Verunsicherung, weniger Zeitverlust und bessere Kalkulierbarkeit beschert hätte. Aber späte Einsicht ist besser als keine. Ich empfehle Ihnen im Übrigen die Lektüre von Faust. Ich meine nicht den „Faust“ von Goethe, sondern Hans Georg Faust. Er hat in einer sehr guten Analyse die Probleme untersucht. ({4}) Lassen Sie mich einen zweiten Bereich ansprechen. In der Pflegeversicherung tickt eine demographische Zeitbombe. Der Altersaufbau der Bevölkerung wird unsere Sozialsysteme dramatisch verändern. Deshalb ist es mehr als bedauerlich, dass der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung das Thema Pflegeversicherung mit keinem Wort erwähnt hat. ({5}) Wollte der Sachverständigenrat wenige Tage zuvor die Solidargemeinschaft quasi abschaffen, so wäre es am Freitag eigentlich die Pflicht des Kanzlers gewesen, dieses Problem aufzugreifen und Stellung zu beziehen. Leider Fehlanzeige! Dabei sind viele Probleme im stationären Bereich ungelöst. Es ist ein falscher Ansatz, Qualitätsmängel dadurch beheben zu wollen, dass Sie Qualität von außen in das System hineinbringen, anstelle genügend ausgebildetes Personal zu finanzieren, damit Qualität geleistet werden kann. In diesem Ansatz unterscheiden wir uns ganz wesentlich. Auch Personalgewinnungsprobleme warten auf eine zukunftsweisende Antwort. Darüber hinaus dürfen wir die Probleme im ambulanten Bereich der häuslichen Krankenpflege nicht einfach unter den Tisch fallen lassen. Nicht sauber geklärte Zuständigkeiten führen zu Verschiebebahnhöfen von Leistungen häuslicher Krankenpflege in die Pflegeversicherung. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich eine Verbesserung der Pflegequalität auf Dauer nur durch mehr und besser aus-, weiter- und fortgebildetes Personal bewerkstelligen lässt. Dies bedeutet auch, dass wir bereit sind, mehr Geld zur Finanzierung von mehr Personal zur Verfügung zu stellen. ({6}) Da die Leistungen der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung im stationären Bereich 1996 unverändert sind, müssen derzeit die steigenden Kosten allein von den Heimbewohnern getragen werden. Dadurch werden immer mehr ältere Menschen zum Sozialfall. Das kann doch nicht unsere Antwort auf die bestehenden Probleme sein. Wir haben konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Ich darf an die Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegequalität mit Bürokratieabbau, Finanzierung von Personalmehrung und Personalgewinnung oder an die Bundesratsinitiativen erinnern, zum Beispiel das PflegeZukunftssicherungsgesetz, mit dem wir besonders die Situation von Demenzkranken verbessern wollten, das Gesetz zur Qualitätssteigerung in der Pflege und das Gesetz zur Personalstärkung in der Pflege. In der vorletzten Woche ging es um das Hilfsmittelsicherungsgesetz, mit dem wir verhindern wollen, dass weitere Fehlbuchungen der Krankenkassen bei den Hilfsmitteln im ambulanten Bereich zulasten der Pflegeversicherung vorgenommen werden. Gleichzeitig soll die Sicherstellung der Versorgung der Pflegebedürftigen mit Hilfsmitteln in Pflegeheimen geregelt werden. Dies dient der Rechtsklarheit und damit auch der Rechtssicherheit. Zielführende Vorschläge der Union hat die rot-grüne Mehrheit jedoch überwiegend abgelehnt und die Pflegekassen stattdessen zur Sanierung anderer Haushaltstitel missbraucht. An dieser Stelle nenne ich das Abschmelzen der Rücklagen der Pflegeversicherung bei gleichzeitigem Ansteigen des Jahresdefizits. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir wollten mit unseren Vorschlägen vor allem dafür Sorge tragen, dass den wirklichen Bedürfnissen der Menschen - sowohl den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen als auch denen der Menschen, die Pflege betreiben - Rechnung getragen wird und dass die Pflegesituation in den Einrichtungen insgesamt verbessert wird. Bei dem Versuch, diese Probleme zu lösen, kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass wir hin und wieder vergessen, dass es sich hier um Menschen handelt, die von den Auswirkungen unseres Paragraphenwirrwarrs im wahrsten Sinne des Wortes betroffen sind. Es handelt sich um Menschen, die unsere besondere Aufmerksamkeit und Anstrengung brauchen. Dies gilt ganz besonders für Demenzkranke. Wir als Politiker haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Verwaltungsaufwand in den Einrichtungen aufgrund neuer gesetzlicher Regelungen nicht noch größer wird und dass dadurch noch weniger Zeit bleibt, um die Pflege sinnvoll durchführen zu können. Wir haben als Politiker aber ebenso die Pflicht, zu verhindern, dass sich immer mehr in Pflegeheimen Beschäftigte mit dem Gedanken tragen, ihren erlernten Beruf aufzugeben, oder sich nicht mehr in der Lage sehen, so zu pflegen, wie es den fachlichen Anforderungen, ihrer Ausbildung und vor allem dem entspricht, was die pflegebedürftigen Menschen - worauf sie auch einen Anspruch haben brauchen. Deshalb fordern wir: weniger Bürokratie und mehr Mitmenschlichkeit. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat der Kollege Schmidbauer für die SPD-Fraktion das Wort.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, ein paar Sätze zu dem, was Herr Kollege Zöller eben angeführt hat, zu sagen. In nächster Zeit werden wir - zwar nicht im Rahmen des Haushalts, aber generell - noch genügend Gelegenheit haben, um über das Thema Pflege zu sprechen. Denn das ist uns ein Kernanliegen, zu dem wir auch inhaltlich stehen. Wir sind uns völlig klar darüber, dass wir immer wieder vor neuen Herausforderungen stehen werden. Herr Kollege Zöller, ich wäre Ihnen nur sehr dankbar gewesen, wenn Sie auch etwas dazu gesagt hätten, wie Sie die Frage nach der Finanzierung der Mehrkosten im Pflegebereich, die Sie eben aufgelistet haben, beantworten. Sind Sie denn der Auffassung, dass - nachdem die Pflegeversicherung bisher ausschließlich von den Arbeitnehmern dieses Landes finanziert wurde - in Zukunft auch die Arbeitgeber einen Beitrag dazu leisten sollten? Es wäre interessant, einmal zu hören, wie Sie sich die Zukunft der Pflegeversicherung vorstellen und auf welcher Basis sie aufgebaut werden soll. Ein weiterer Punkt: Sie sprechen immer von der Erblast. Aber ich finde, dass wir nur eine Erblast festzustellen haben: dass wir ein sehr teures Gesundheitssystem vorgefunden haben, zu dem der Sachverständigenrat sagt, dass es sich vor allem durch Überversorgung, Fehlversorgung und Unterversorgung auszeichne. Wenn dies keine Erblast ist, dann weiß ich nicht, was mit dem Begriff Erblast in Verbindung zu bringen wäre. ({0}) Wenn Sie dann noch davon sprechen, dass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung 2 Milliarden Euro von Ihnen geerbt hätten, so verschweigen Sie der Öffentlichkeit nach wie vor, dass ein Jahr bevor Sie abgewählt worden sind, 30 Prozent der Menschen in unserem Lande weniger Zahnersatzleistungen in Anspruch nehmen konnten, weil die Differenz zwischen Ihrer Privatregelung und dem, was die Krankenkassen erstatten durften, so groß geworden ist, dass sich ein Drittel der Menschen keinen Zahnersatz mehr leisten konnte. Das mussten wir in den nachfolgenden Jahren wieder ausgleichen. Ich darf Ihnen sagen: Es waren nicht 2 Milliarden Euro, sondern es war die doppelte Summe, die wir aufwenden mussten, um die Regelungen beim Zahnersatz, die Sie vorher kaputtgemacht hatten, wieder in Ordnung zu bringen. ({1}) Wir wollen im Gesundheitswesen mehr Effizienz, mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Ich will nun aber zu unserem zentralen Anliegen kommen, welches heute auch auf der Tagesordnung steht. Das ist die Einbringung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Fallpauschalengesetzes. Ich möchte mich zunächst herzlich dafür bedanken, dass es möglich war, dieses Gesetz ganz unbürokratisch auf die Tagesordnung zu setzen. Damit gewinnen wir natürlich Zeit. Ich hoffe, dass damit ein gutes Signal verbunden ist und wir mit diesem Gesetz schnell an das Ziel gelangen. Die Krankenhäuser in Deutschland verdienen es, dass wir ihnen in einer schwierigen Situation dabei helfen, Entwicklungen im Krankenhausbereich voranzubringen. ({2}) Wir werden noch öfter bei der Krankenhausvergütung zu einer Fortschreibung kommen müssen, weil das ein lernendes System ist. Bei einem lernenden System müssen alle Beteiligten aus dem Lernen Konsequenzen ziehen. ({3}) Wir haben aus dem Lernen die Konsequenz ziehen müssen, dass der Gesetzgeber in einigen Bereichen nachjustieren muss. Das ändert aber nichts daran, dass das im Endeffekt die Fortschreibung einer Erfolgsstory ist. Ich glaube, dass die Neuorientierung im Krankenhaussektor in Deutschland weniger als im internationalen Vergleich geschätzt wird. Wir sind endlich das 51. Land, das bei einem neuen Vergütungssystem im Krankenhauswesen angelangt ist. Es führt kein Weg mehr zurück, sondern es führt nur noch ein Weg in die Zukunft. Das ist wichtig. Viele haben der Koalition nicht zugetraut, dass sie den größten Ausgabenblock im Gesundheitswesen, nämlich den Krankenhausbereich, anpackt und ihn neu ordnet. Das lassen wir uns jetzt nicht kaputtreden. Jetzt wird endlich Leistung sachgerecht bezahlt und nach Leistung abgerechnet. Wir haben in diesem neuen Jahrhundert nicht mehr die Situation, dass die Krankenhäuser nach der Zahl der belegten Betten bezahlt werden, die Menschen also im Bett „festgehalten“ werden müssen, damit die Erträge des Krankenhauses stimmen. Mit solchen antiquierten Vorstellungen werden wir die Zukunft nicht meistern. ({4}) Horst Schmidbauer ({5}) Es müssen Systeme her, die die Leistung ordentlich abbilden. ({6}) Viel wichtiger dabei ist, dass endlich der Patient in den Mittelpunkt rückt. Wir sehen in den Krankenhäusern, die mit diesen Fallpauschalen arbeiten, dass sich die Strukturen des Krankenhauses ändern. Der Patient ist plötzlich Mittelpunkt des Betriebsablaufs, er wird intensiver betreut und versorgt. Man weiß, dass die Gewinner dieser Entwicklung diejenigen sind, die den Patienten in den Mittelpunkt stellen und den Betriebsablauf auf ihn ausrichten. Nur wenn das geschieht, haben die Krankenhäuser die Chance, Fortschritte zu erzielen. Wir sehen einen weiteren Fortschritt für den Patienten darin, dass endlich eine ganzheitliche Betrachtung der Krankengeschichte stattfindet. Wir wollen darüber hinaus den informierten Patienten, was Transparenz und Qualität erforderlich macht. Das werden wir mit dem Gesetz konsequent in die Tat umsetzen. Das Gesetz führt zu mehr Gerechtigkeit. Es stellte sich die Frage, welche Schlussfolgerungen wir aus dem Lernprozess ziehen. Es hat sich herauskristallisiert, dass wir eine weitere Differenzierung bei den Fallpauschalen brauchen. Die Gespräche mit den medizinischen Fachgesellschaften, mit Behindertenorganisationen und mit Selbsthilfeorganisationen haben gezeigt, dass wir wesentliche Elemente, die in Australien nicht in den Fallpauschalen geregelt sind, in Deutschland regeln müssen und auch regeln können. Deshalb öffnen wir nun das Gesetz und lassen die Regelung auch für neue Bereiche zu, wie zum Beispiel Epilepsie, Geriatrie, Pädiatrie und die Behandlung von schwerstbehinderten Menschen. Von der Öffnung des Gesetzes für diese wichtigen Personengruppen profitieren die Patienten und letztendlich auch die Krankenhäuser, weil sie eine sachgerechte Vergütung bekommen. Dafür wollen wir das Gesetz ändern. Wir müssen auch die Konfliktlösungsmechanismen im Gesetz ändern, weil wir gesehen haben, dass sich die Selbstverwaltung im vergangenen Jahr stark blockiert hat. Deswegen ist auch in diesem Bereich eine Änderung vorgesehen. Wir müssen leider auch einen Schritt gehen, der uns sicherlich allen wehtut. Zum 1. Januar 2004 hätte erstmals die Chance bestanden, eine neue Vergütungsform für Auszubildende in Krankenhäusern in dem Sinne einzuführen, dass endlich die ausbildenden Krankenhäuser belohnt würden, während die nicht ausbildenden Krankenhäuser Zahlungen leisten müssten. ({7}) Weil sich die Selbstverwaltungen, das heißt die Krankenhausgesellschaften auf Länderebene, und die Länder nicht auf ein Verfahren zur Bewertung einigen konnten, sind wir leider gezwungen, das Gesetz um ein Jahr auf 2005 zu verschieben. Das tut weh, aber wir müssen in der Anhörung nach Lösungsmöglichkeiten suchen, um uns in der Zwischenzeit so zu positionieren, dass die mit dem Gesetzesvorhaben verbundene Ausbildungsinitiative gut laufen kann. ({8}) Ich ärgere mich auch über einen weiteren Aufschub. Viele Krankenhäuser - 500 in der ersten Stufe, weitere 700 in der zweiten Stufe - wollen in diesem Jahr 2003 mit den neuen Fallpauschalen arbeiten. Die Krankenhäuser stellen sich derzeit mit all ihren Einrichtungen und allen Beschäftigten darauf ein. Wir hoffen, dass wir am Donnerstag die Blockade der B-Länder überwinden, weil sonst die 700 Krankenhäuser nicht die Chance haben

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- ja, Herr Präsident -, das Konzept umzusetzen. Ich bin der Meinung, wir dürfen diese 700 Krankenhäuser, die sich darauf eingestellt haben und motiviert sind, einen neuen Weg zu beschreiten, nicht gegen die Wand fahren lassen. Ich bitte die Opposition, ihren Einfluss geltend zu machen und den Krankenhäusern zu helfen, den neuen Weg unbeschadet gehen zu können. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 15 - Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung - in der Ausschussfassung. Wer für den Einzelplan 15 in dieser Fassung stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so angenommen. Wir kommen zum Fallpauschalenänderungsgesetz. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/614 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun Zusatztagesordnungspunkt 1 auf: 1 Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem EU-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses und zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersuchens des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 17. Januar 2003 und der Resolution 1371 Vizepräsident Dr. Norbert Lammert ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksache 15/696 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen. Interfraktionell wird die Überweisung des Antrages auf Drucksache 15/696 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Darüber besteht offensichtlich Einvernehmen. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun Tagesordnungspunkt I.15 auf: Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Drucksachennummer 15/562, 15/572 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Bartholomäus Kalb Dr. Elke Leonard Jürgen Koppelin Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der FDP-Fraktion vor. Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion vor, über den wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen. Erster Redner ist der Kollege Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zurzeit sind 9 000 Soldaten - darunter 1 700 Wehrpflichtige und zivile Mitarbeiter weltweit im Einsatz. Sie sind eingesetzt, um die Freiheit zu sichern und die Menschenwürde wiederherzustellen. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir von dieser Stelle aus für das ganze Haus und für das ganze Land den Soldaten für ihren schwierigen und gefahrvollen Dienst immer wieder danken. ({0}) Dies ist angesichts der gegenwärtigen Situation, der damit verbundenen Diskussion und beabsichtigter weiterer Einsätze besonders wichtig; denn die Debatte der letzten anderthalb Tage wird ja von dem außenpolitischen Problem überlagert, das sich mit den Stichwörtern „Irakkrise“, „Irakkrieg“ und „Irakeinsatz“ beschreiben lässt. Der Bundesverteidigungsminister fasst die Tätigkeit der Bundeswehr im Ausland unter der etwas plakativen Überschrift zusammen: „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt.“ Ich glaube, dass das durchaus eine angemessene Beschreibung für einen Teil des Auftrags der Bundeswehr ist, dass dies aber falsch wäre, wenn man damit den Gesamtauftrag der Bundeswehr definieren wollte; denn damit verengt man die Tätigkeit der Bundeswehr auf internationale Einsätze, also auf das, was künftig in stärkerem Maße als Verpflichtung auf die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr zukommt. Die jetzt angestrebte Neuausrichtung der Bundeswehr darf sich meines Erachtens nicht auf internationale Einsätze beschränken. Sonst müssen die verfassungsmäßigen Grundsätze über Bord geworfen werden. Schauen wir uns einmal die Entwicklung der Bundeswehr in den letzten Jahrzehnten an. Seit den Pariser Verträgen ist die Bundesrepublik verpflichtet, einen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten. Zur Verwirklichung dieser Verpflichtung und zur Einhaltung der Wehrgesetzgebung wurden entsprechende Gesetze geschaffen: Die Wehrhoheit wurde in Art. 17 a des Grundgesetzes festgeschrieben. Dann wurden ein Soldatenund ein Wehrpflichtgesetz in Kraft gesetzt. Die Verfassung wurde in Art. 87 a geändert, in dem der Auftrag der Bundeswehr genau umrissen wird. Danach werden - ich betone das - Streitkräfte zur Verteidigung aufgestellt. Diese Vorschrift macht deutlich, dass alle anderen Maßnahmen auch noch heute - denn Art. 87 a des Grundgesetzes gilt nach wie vor - die Ausnahme darstellen. Außer zur Verteidigung darf die Bundeswehr nur dort eingesetzt werden, wo es das Grundgesetz zulässt. Inzwischen ist es nicht mehr streitig, dass die Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der Beistandsverpflichtung des NATO-Vertrags auch außerhalb des NATO-Gebiets eingesetzt werden können. Aus der Beteiligung an dem kollektiven Sicherheitssystem der UNO und aus einer anderen Vorschrift des Grundgesetzes ergibt sich, dass Entsendeentscheidungen, die den Einsatz außerhalb des NATO-Gebiets betreffen, möglich sind - außer bei Gefahr im Verzug -, allerdings nur wenn der Bundestag zugestimmt hat. Das bedeutet, dass alles, was außerhalb des NATO-Gebiets stattfinden soll, egal ob es nun um AWACS-Flüge oder um eine Neuausrichtung der Bundeswehr jenseits der Landesverteidigung geht, ohne Änderung der Verfassung und ohne Zustimmung des Bundestags nicht möglich ist. Wir streiten gelegentlich darüber, wer die Zuständigkeit hat, ob der Minister - das ist für die Kollegen von besonderer Bedeutung - zum Beispiel die Schließung von Standorten par ordre du mufti anordnen kann oder ob es dazu eine Befassung des Parlaments bzw. zumindest eines Teils des Parlaments, des Verteidigungsausschusses und des Haushaltsausschusses, geben muss. Nach der Rechtslage - darin bin ich mir ziemlich sicher bedarf jede Veränderung der Struktur unserer Bundeswehr - das hat durchaus etwas mit den Finanzen und vor allem mit dem diesjährigen Haushalt zu tun -, die über das hinausgeht, was reiner Organisationserlass ist, einer Diskussion im Parlament. Sie darf also nicht einfach vom Minister verfügt werden. Das halte ich deshalb für wichtig, weil die Neuausrichtung der Struktur der Bundeswehr - die Diskussion hat erst begonnen - in absehbarer Zeit zur Schließung weiterer Standorte beispielsweise in Schleswig-Holstein - in den nächsten Tagen wird bekannt gegeben, um welche genau es sich handelt; auch andere Bundesländer werden betroffen sein - führen wird. Die Schließung von Standorten hängt damit zusammen, dass man der Meinung ist, die Bundeswehr solle einen völlig anderen Charakter haben. Ich habe Bedenken, ob das mit der Verfassung vereinbar ist. Nach meiner Meinung muss der Bundestag auch in dem sich abzeichnenden Fall der Bundeswehrsoldaten, die in AWACS-Aufklärern an einem internationalen Einsatz teilnehmen, beteiligt werden. Hier muss noch einmal unterstrichen werden, dass es ohne diese Zustimmung nicht geht. ({1}) In dieser Debatte über den Bundeswehretat muss man feststellen, dass die Verteidigungshaushalte, die RotGrün seit der Regierungsübernahme und damit seit der Übernahme der Verantwortung für die Bundeswehr vorgelegt hat, zwar unterschiedlich ausgestaltet waren, aber eigentlich immer das Gleiche zum Ziel hatten: Es wurde gekürzt, es wurde gestrichen. Die finanzielle Situation der Bundeswehr hat sich verschlechtert. ({2}) Die Finanzen der Bundeswehr sind zu knapp. Diesen Zustand hat man mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet. Man sprach von einem Nothaushalt, von einem Übergangshaushalt oder einem Brückenhaushalt. Herr Scharping - er hat die Verantwortung für die Bundeswehr jetzt erfreulicherweise nicht mehr; er hat aber viel Durcheinander angerichtet - war in dieser Angelegenheit - wie auch in anderen - sehr erfinderisch. Das hat nicht dazu beigetragen, dass sich die Situation der Bundeswehr verbessert hat. Eine Reform aus einem Guss hat es nicht gegeben und es wird sie auch nicht geben, solange die finanzielle Situation nicht konkret verbessert wird. Jetzt soll offensichtlich eine drastische Reduzierung erfolgen, um finanziellen Spielraum für notwendige Maßnahmen zu bekommen. Eine drastische Reduzierung bedeutet für mich, dass es nach der letzten Bundeswehrreform unter Scharping, die die Schließung von etwa 70 Standorten mit sich brachte, zu weiteren 40 bis 50 Standortschließungen und wahrscheinlich zur Auflösung einer Division kommen wird. Ich bin sehr gespannt, was der Verteidigungsminister heute dazu sagt. Man kennt das ja: An einem Tag werden von Regierungsmitgliedern Erklärungen abgegeben, die kurz danach - ich denke in diesem Fall an den 28. März, dann wird der Generalinspekteur seine konkreten Pläne vorlegen - möglicherweise nicht mehr gelten. Sparbeiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes werden zulasten der Investitionsmöglichkeiten geleistet. Die Bundeswehr ist unterfinanziert und das bleibt mit dem Etat für dieses Jahr auch so. Vor etwa einem Jahr hieß es aus dem BMF und aus dem Verteidigungsministerium noch übereinstimmend: Wir haben eine klare Größenordnung für den Verteidigungsetat gefunden, nämlich 24,4 Milliarden Euro. Es hieß, man sei froh darüber, dass das die nächsten Jahre so beibehalten werden könne. Wenn Sie sich den heutigen Etat anschauen, dann werden Sie feststellen: 250 Millionen Euro sind im Laufe der Etatberatungen verloren gegangen. ({3}) - Ja, eine halbe Milliarde. - Ein Grund dafür ist, dass man Einsparungen, die in einem Chefgespräch vereinbart wurden, zustimmen musste. Bisher war es so - so kenne ich es -, dass man zur Kürzung eines Etats entweder eine reale Kürzung - der Etat wird herabgesetzt oder eine globale Minderausgabe vornimmt, was bedeutet, dass an bestimmten Stellen noch Sparbeiträge erbracht werden müssen. Mittlerweile gibt es eine neue Form, wie man Etatkürzungen vornehmen kann: Gespräche zwischen einem Minister und dem Finanzminister. In diesen „Chefgesprächen“ wird zugestanden, dass man im Laufe des Jahres einen bestimmten Betrag einsparen muss. Das hat den Vorteil, dass ein Etat größer erscheint, als er ist, und dass die Verbündeten im Ausland, die die genauen Geheimnisse unserer Beratungen nicht kennen, glauben: Die Deutschen sind wacker und bleiben bei ihrer Linie. In Wirklichkeit sind im Laufe der Etatberatungen, wie gesagt, eben einmal 250 Millionen Euro verloren gegangen. Dass das für den Betrieb der Bundeswehr, für Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr sowie für Investitionen der Bundeswehr Konsequenzen hat, dürfte deutlich sein. Schon jetzt ist klar, dass außer den bereits bekannten Vorhaben in diesem Jahr und in den Jahren bis 2007 praktisch keine neuen Beschaffungen mehr getätigt werden können. ({4}) Was das für die Bundeswehr, die gezwungen ist, zu modernisieren, bedeutet, ist für jedermann ersichtlich. Ich wiederhole: Es werden bis zum Jahre 2007 praktisch keine neuen Beschaffungen getätigt werden können. Bis dahin besteht nämlich kein Finanzspielraum. Selbst wenn Sie die Hälfte der Standorte schließen würden, würde Sie das nicht in die Lage versetzen, von der eingeschlagenen Linie deutlich abzuweichen, es sei denn, man beabsichtigt tatsächlich, die Bundeswehr als Steinbruch anzusehen. Der Auftrag an den Generalinspekteur, nach Einsparmöglichkeiten zu suchen, ist nur dann zu erfüllen, wenn die Bundeswehr nicht behutsam reformiert, sondern weiter „durcheinander geschüttelt“ wird. Für Letzteres sprechen allerdings gewisse Ankündigungen. In Schleswig2788 Holstein zum Beispiel wurden falsche Standortentscheidungen getroffen: die Auflösung der Marinefliegereinheit, die Begrenzung der Luftabwehr, die Begrenzung der Anzahl der Hubschrauber und die Reduzierung der Anzahl von gepanzerten Fahrzeugen. Wenn man die Zahl der internationalen Einsätze steigern und die Bundeswehr stärker auf internationale Einsätze ausrichten will, dann muss man vor allen Dingen auf gepanzerte Fahrzeuge und nicht auf Holzgewehre oder andere Geräte setzen. Der Wunsch, weniger gepanzerte Fahrzeuge für das Heer bereitzustellen, steht auch im Widerspruch zur Bündnisverpflichtung; denn kein Einsatz im Rahmen einer Krisenreaktion ist ohne diese gepanzerten Fahrzeuge möglich. Der Verteidigungsminister weist immer wieder darauf hin, dass ein gesicherter Etat zur Verfügung steht. Die scheinbare Anhebung der Investitionssumme ist allerdings nur auf die Umbuchung der Mittel für Auslandseinsätze aus dem allgemeinen Etat in den Verteidigungsetat zurückzuführen. Im Laufe des Jahres dürfte es schwierig sein, die Mittel für internationale Einsätze aufzubringen, weil der Etatansatz in diesem Jahr rückläufig ist. In diesem Jahr steht die Entscheidung darüber an, wer in Afghanistan Lead Nation wird. Die Franzosen weigern sich bisher, einer Übernahme dieser Funktion durch die NATO insgesamt zuzustimmen. Das bedeutet, dass unter Umständen auch Deutschland weitere Kosten zu tragen hat. Von anderen internationalen Einsätzen, die sich in diesem Jahr ergeben werden, will ich gar nicht reden. Nun hat der frühere Verteidigungsminister, den man leider immer wieder erwähnen muss, weil er viele Stellschrauben im Etat gleichzeitig gedreht und damit viel Schaden angerichtet hat, aus ideologischen oder aus welchen Gründen auch immer geglaubt, man könne durch Privatisierungsmaßnahmen eine Fülle von effizienzsteigernden Maßnahmen einleiten. Es wurde die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, GEBB, gegründet. Sie sollte das Ganze verbessern und gewaltige Erträge erwirtschaften. Sie deckt nach zweieinhalb Jahren Tätigkeit noch nicht einmal ihre eigenen Kosten, die inzwischen in der Größenordnung von 60 Millionen DM liegen. Ich habe den Eindruck, dass sich auch die Genossen inzwischen von dem HurraPatriotismus gegenüber der GEBB verabschieden. Die Fuhrparkgesellschaft, die die gesamten Fahrzeuge der Bundeswehr übernehmen sollte, scheint erfolgreich zu sein, aber nur deshalb, weil offensichtlich nicht richtig gerechnet wird. Sie ist im Laufe der nächsten vier Jahre teurer, als es der herkömmliche Betrieb durch die Bundeswehr selbst wäre. Interessant ist: Inzwischen kümmert sich die EU um dieses Vorhaben. Sie prüft zurzeit die Mehrwertsteuerbefreiung für die Fuhrparkgesellschaft. Aber nur durch die Mehrwertsteuerbefreiung der privaten Gesellschaft, die die Bundeswehr einrichten wollte, gibt es überhaupt nur den Hauch einer Chance, dass sich diese Maßnahme rechnen könnte. Dass dann auch noch ein General im Aufsichtsrat dieser Fuhrparkgesellschaft sitzt, spricht nicht gerade dafür, dass man auf effektive Abrechnungskontrolle Wert legt. Das Bekleidungsmanagement ist nur deshalb günstig, weil man in den letzten Jahren so viel angeschafft hat, dass zur Zeit nichts anzuschaffen ist. Das Liegenschaftsmanagement liegt bisher auf Eis. Die Wunderwaffe Herkules dürfte in diesem Jahr nicht mehr gezündet werden; das hat inzwischen auch das Ministerium eingesehen. Effizienzgewinne sind wegen der tölpelhaften Art der Privatisierung in den letzten Jahren nicht zu erwarten. Trotzdem stürzt sich die GEBB jetzt auf neue Vorhaben: die Optimierung handelsüblicher Güter, die Neuordnung des Verpflegungswesens usw. Wir können Sie, Herr Minister, nur auffordern, diese Gesellschaft endlich aufzulösen und dem Spuk ein Ende zu machen. ({5}) Sie schadet der Bundeswehr. Sie verwischt Verantwortung. Das ist der größte Unfug, der im Bereich der Bundeswehr angerichtet worden ist. ({6}) Der Anteil des Verteidigungsetats am Bundeshaushalt sinkt weiter. Er liegt noch bei 9,8 Prozent. Dass das Istergebnis im letzten Jahr ein Plus aufgewiesen hat, ist nur auf die Verstärkung aus dem Antiterrorpaket zurückzuführen. Der Investitionsanteil wächst nur nominal. Wenn gleichwohl Finanzierungsspielräume zugunsten von Neuvorhaben aufgezeigt worden sind, dann betrifft das nur Vorhaben, die anfinanziert werden, aber nicht auf Dauer finanziert werden. Wir sind uns mit dem Ministerium über die Beschaffung der Großraumtransportflugzeuge einig. Ich glaube, dass Einigkeit im ganzen Hause besteht, nachdem inzwischen klar ist, dass die Zahl von 73 nicht mehr gilt, sondern die Zahl von 60 gilt. Wir haben allerdings Zweifel, ob die auch vom Vorgänger des jetzigen Ministers geplante Art der Finanzierung in Ordnung ist. Man möchte eine Zahlung bei Lieferung. Zurzeit grübeln Finanzministerium und Verteidigungsministerium darüber, wie man das machen kann, ohne dass es im Haushalt beim Bund oder in der Bilanz, des Unternehmens, das uns den Kredit vermitteln soll, erscheint. In beiden Fällen wäre das nämlich für die Beteiligten schädlich. Ich sage Ihnen: Kommen Sie auf die Rechtslage, die Haushaltsordnung, zurück! Machen Sie das Ganze nach einem ordentlichen Modell, zumal die Finanzierung durch Tabaksteuer und Versicherungsteuer längst geregelt sein sollte. Hinter diesem Thema versteckt sich aber auch noch etwas ganz anderes, nämlich dass durch die zu geringen Beschaffungen und den zu geringen Spielraum für die Modernisierung der Bundeswehr auch unsere deutsche wehrtechnische Industrie in gewaltige Probleme kommt. Wenn man das auffangen will, dann muss man endlich dazu übergehen, auf europäischer Ebene eine Harmonisierung des Exports anzustreben. Es kann nicht sein, dass wir neben der Tatsache, dass zu wenig Geld für die Modernisierung der Bundeswehr vorhanden ist, auch noch den Firmen die Möglichkeit versagen, innerhalb des NATO-Gebietes Geschäfte zu machen, die auch zur Aufrechterhaltung der Verteidigungsbereitschaft der NATO-Partner notwendig sind. Mir leuchtet überhaupt nicht ein, dass man sich hier noch vor Wochen mit Verve dafür eingesetzt hat, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen, und gleichzeitig sagt, Waffenlieferungen dürften nicht stattfinden. Die Harmonisierung des Exports auf europäischer Ebene scheint mir notwendig zu sein. Das schließt die Aufforderung ein - das sage ich auch als norddeutscher Abgeordneter -, die gewünschte Lieferung von U-Booten durch HDW an Taiwan zu prüfen. Interessanterweise hat sich der ehemalige Kollege Opel dafür ausgesprochen. Meine Damen und Herren, der einzige erfreuliche Faktor an dem Verteidigungsetat ist, dass die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Erprobung auf rund 1 Milliarde Euro angestiegen sind. Sie erreichen damit übrigens gerade einmal das Niveau des Jahres 1984. Wenn es richtig ist, dass dieser Ausgabenbereich die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr reflektiert, dann liegt der jetzigen Bundesregierung die Zukunft der Bundeswehr offensichtlich nicht sonderlich am Herzen; denn dieser Bereich hätte deutlich eher und mehr verstärkt werden müssen. Wie es ohne zusätzliche Finanzmittel gelingen soll, erstens den Reformprozess voranzubringen und die Betriebsstrukturen zu optimieren, zweitens Fähigkeitslücken in Ausrüstungen und Material zu schließen und drittens den Beitrag der Bundeswehr zur internationalen Krisenbewältigung in unverändertem Umfang aufrechtzuerhalten, bleibt unerfindlich, wenn man sich die Finanzplanung anschaut. Zunächst hieß es, der Generalinspekteur habe den Auftrag, durch Strecken, Schieben und Streichen Luft im Etat zu gewinnen. Inzwischen scheint dies zu den Akten gelegt worden zu sein. Kürzungen der Programmvolumina können erst in späteren Jahren Einsparungen bringen. Also bleibt nur der Eingriff in den Betrieb. Dies bedeutet eine neue Diskussion um Standorte, die sich über das ganze Bundesgebiet ausdehnen dürfte. Kein vernünftiger Haushälter wert sich gegen den Versuch, die Bundeswehr sparsamer zu machen. Eine Reform der Reform Scharpings ist geradezu geboten. Aber dies darf nicht mit der Brechstange geschehen. Lassen Sie mich mit einem Hinweis auf den Bericht des Wehrbeauftragten schließen, der feststellt, dass sich die Zahl der Beschwerden im letzten Jahr und auch in den ersten Monaten dieses Jahres erheblich gesteigert hat. Das hängt mit der Unterfinanzierung der Bundeswehr zusammen. Es hängt damit zusammen, dass immer mehr Material und Mittel aus dem täglichen Betrieb abgezogen und ins Ausland geschafft werden müssen und im Inland Lücken entstehen. Das macht deutlich, dass wir eine Umkehr brauchen. Deswegen haben wir als CDU/CSU in den Beratungen eine Erhöhung des Etats um 500 Millionen Euro beantragt. Verbal stützt die Bundesregierung diesen Kurs. Minister Fischer hat vor kurzem in der Zeitung gesagt, wir bräuchten eine stärkere Kraft der Militarisierung, die Europäer müssten sich stärker engagieren. Wenn das so ist, dann kann man dem Antrag, den wir heute stellen und in der dritten Lesung noch einmal stellen wollen, nämlich den Etat um 500 Millionen Euro - 100 Millionen Euro für die Truppe, 400 Millionen Euro für Beschaffungen - aufzustocken, zustimmen. Wir werden die Zustimmung zum Etat, die früher üblich war, von einer Rückkehr der Koalition zu einer soliden Verteidigungspolitik abhängig machen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Elke Leonhard, SPD-Fraktion.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der aktuellen Situation zwei Punkte vorweg: Wir sind gegenwärtig Augenzeugen zweier außenund sicherheitspolitischer Ansätze; zum einen der „Militarisierung der Außenpolitik“ und zum anderen einer „Renaissance der Diplomatie“, die - wenn auch gegenwärtig nicht erfolgreich - an Intensität und Dichte für Europa und die Vereinten Nationen Geschichte schreiben wird. Der Helsinki-Prozess dauerte 22 Jahre und die Umsetzung des Korbes III hat die Welt humaner und sicherer gemacht, trotz anfänglicher Skepsis. Der ehemalige Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt hat am 11. Dezember 1971 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo gesagt: Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Es geht darum, Kriege abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen! Lassen Sie mich zu Beginn ein aufrichtiges Danke an das Bundesministerium der Verteidigung aussprechen, stellvertretend seien Minister Dr. Struck und die Herren Staatssekretäre Wagner, Eickenboom, Biederbick und Kolbow namentlich genannt. Aber auch die Haushaltsabteilung hat die Bücher offen gelegt. Ebenso gilt mein Dank den Berichterstattern der CDU/CSU-Fraktion. Wir haben eben gesehen: Die Sorge ist berechtigt; da reden wir nicht darum herum. Wir streiten über begründete Ansätze. Ich werde auf diesen Punkt zurückkommen. Mein Dank geht auch in Richtung der FDP und natürlich an meinen Kollegen vom Bündnis 90/Die Grünen. Mit der gebotenen Sachlichkeit sind wir bemüht, die Investitionsquote von 24,6 auf 30 Prozent zu steigern. Ich sage das jetzt, weil viele der Fragen, die Sie aufgeworfen haben, damit beantwortet werden. Die Differenzen liegen eher im Grundsätzlichen und lassen sich auf die Termini Friedensumfang, Heimatschutztruppe, Wehrpflicht und Entsendegesetz reduzieren. Entschiedene Vorbehalte habe ich - wenn ich „ich“ sage, ist es nicht mit der Fraktion abgestimmt - bezüglich der Vorstellung der Opposition zur verfassungsrechtlichen Erweiterung der Aufgaben der Bundeswehr im Innern. Zur Optimierung der Zusammenarbeit von Bundeswehr, Polizei, Grenz-, Zivil- und Katastrophenschutz sage ich Ja, aber die bestehenden verfassungsmäßigen Grundlagen reichen dafür schon aus. ({0}) Sie müssen nur konsequenter umgesetzt werden. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen muss in gemeinsamen Übungen erprobt werden. Dennoch ist eines festzustellen: Wer das Papier der Union liest, erkennt, dass es durchaus eine tragfähige Grundlage für eine weiterführende Diskussion ist, weil es keine substanziellen Widersprüche gegen die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien erwarten lässt. Die Schaffung einer Nationalgarde, wie von der FDP vorgeschlagen, ({1}) ist nicht hilfreich. Eine Schattenarmee würde mehr Probleme schaffen, Herr Kollege, als sie zu lösen vorgibt. Dennoch - das muss auch gesagt werden - enthält das FDP-Papier klar artikulierte sozial-liberale Grundsätze sowie die Ablehnung eines Automatismus, der die deutschen Soldaten an allen denkbaren Missionen teilnehmen lässt. Gefordert - das ist besonders sympathisch - werden eine „Kultur der Zurückhaltung“ und ein stärkerer Einsatz - ich sagte es schon - von Politik und Diplomatie. Nun möchte ich zum Haushalt 2003 kommen. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat am 20. Februar 2003 den Regierungsentwurf des Verteidigungshaushaltes 2003 abschließend beraten. Unter Berücksichtigung der ab 2002 bereitgestellten Zusatzmittel des Antiterrorprogramms von rund 767 Millionen Euro hat der Verteidigungshaushalt unverändert ein Volumen von rund 24,4 Milliarden Euro. Der Anteil des Verteidigungshaushaltes an den Gesamtausgaben des Bundes beträgt im kommenden Jahr - es wurde schon gesagt 9,8 Prozent. Im Ergebnis ist dies eine Verstetigung der Ausgaben gegenüber dem Haushalt 2002. Innerhalb des Einzelplanes 14 sind eine angemessene finanzielle Vorsorge für die Fortführung der laufenden internationalen Einsätze, der geplante Aufwuchs bei den Zeit- und Berufssoldaten einschließlich der beschlossenen Attraktivitätsmaßnahmen und der sozialverträgliche Abbau von Zivilpersonal, der dazu beiträgt, dass die Personalausgaben mittelfristig bis auf maximal rund 51 Prozent der Verteidigungsausgaben eingefroren werden können, berücksichtigt. Über die Mittel für den notwendigen Ausbildungsund Übungsbetrieb der Streitkräfte und die Finanzierung laufender Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben, insbesondere auch der Großvorhaben, die Sie eben angesprochen haben - der Minister wird auf die Einzelheiten eingehen -, haben wir oft im Berichterstattergespräch beraten und mittels des Finanzstatuts gesehen, dass sie solide finanziert sind. Zu den einzelnen Ausgabenbereichen lässt sich Folgendes festhalten: Die Betriebsausgaben sind rückläufig, beanspruchen aber mit 18,3 Milliarden Euro immer noch über drei Viertel des Verteidigungsetats. Personalausgaben sind in Höhe von 12,4 Milliarden Euro veranschlagt. Die geltende Obergrenze von 12,5 Milliarden Euro wird trotz der inzwischen bekannten Einkommensverbesserungen voraussichtlich nicht ganz ausgeschöpft werden. Die Ausgaben für Materialerhaltung und die sonstigen Betriebsausgaben liegen auf der Höhe der Ausgaben des Vorjahres. Damit kann der Betrieb der Streitkräfte auch auf materiellem Gebiet sichergestellt werden. Die verteidigungsinvestiven Ausgaben betragen im kommenden Jahr rund 6 Milliarden Euro. Dies entspricht einer Investitionsquote von rund 25 Prozent. Herr Kollege Austermann, das Desaster gab es im Jahre 1997, als wir eine Quote von nur 21,4 Prozent hatten. Ich habe die Reden - damals waren die Rollen anders verteilt des Verteidigungsministers Rühe ({2}) - wenn Sie einen guten hatten, dann haben wir einen sehr guten Verteidigungsminister - und seiner Kollegen, die ihn unterstützt haben, nachgelesen. Jetzt liegt die Quote bei 25 Prozent. Wir werden sie weiter steigern. ({3}) Zum Personal: Auch im Haushalt 2003 wird das Bundesministerium der Verteidigung durch Planstellenverbesserung die Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften fördern. Im Rahmen des Attraktivitätsprogramms sind nahezu 5 000 Planstellenverbesserungen für Soldaten, im Wesentlichen für Mannschaften und Unteroffiziere, vorgesehen. Auf dieser Basis werden in diesem Jahr rund 13 000 Beförderungen möglich, davon rund 10 700 bei den Unteroffizieren und rund 2 100 bei den Mannschaftsgraden. Mit rund 200 Planstellenhebungen kann auch im Bereich der mittleren Besoldungsgruppen des Zivilpersonals ein erster Schritt zur Verbesserung der Beförderungsmöglichkeiten getan werden. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Konsolidierung sagen. Der Verteidigungshaushalt ist weiterhin in die von der Bundesregierung fortgesetzte Politik der Haushaltskonsolidierung eingebunden, um die aktuellen konjunkturellen Verwerfungen aufzufangen und die jährlichen Zins- und Tilgungsverpflichtungen zu begrenzen. Nur so können die notwendigen Gestaltungsspielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen auch für den Verteidigungshaushalt zurückgewonnen werden. Zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes trägt die Bundeswehr durch den Verzicht in Höhe von 94 Millionen Euro - ich sage das ganz deutlich - auf Einnahmen aus der Veräußerung von Wehrmaterial sowie auf einen Teil der Verstärkungsmöglichkeiten zugunsten der internationalen Einsätze bei. Hinzu kommen 151 Millionen Euro, die im Haushaltsvollzug im Einzelplan 14 zu erwirtschaften sind. Verstärkungsmöglichkeiten des Einzelplans 14 bestehen noch in Höhe von 192 Millionen Euro aus dem gesamten Bundeshaushalt zur Finanzierung der internationalen Einsätze im Zusammenhang mit der Übernahme der Funktion als Lead Nation in Afghanistan. Einige Worte zur Perspektive. Der Minister hat am 5. Dezember 2002 in groben Umrissen die Neuausrichtung der Bundeswehr skizziert und am 21. Februar mit elf Kriterien die Kerngedanken der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien konkretisiert. Er wird voraussichtlich im Mai dieses Jahres die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien erlassen. Erst auf der Grundlage dieser Richtlinien werden wir, wie er treffend formulierte, nicht nur die Leitplanken, sondern auch die Fahrbahnmarkierungen der qualitativen Anpassung an die neuen außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten erkennen. Die Etablierung eines gesellschaftlichen Diskurses scheint mir - ich sage „mir“, weil dieser Gedanke nicht mit der Fraktion abgesprochen ist - erforderlich. Aber wer will, dass die Soldaten für ihren verantwortlichen Auftrag auch weiterhin die Akzeptanz der Gesellschaft und damit die nötige Rückendeckung haben, muss einen Diskurs, der von den parlamentarischen Gremien und von den Plenardebatten in die Gesellschaft strömt, etablieren. Wer den Menschen draußen intensiv zuhört, der wird erfahren, dass sie Ängste haben. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Menschen hören, sehen und fühlen, dass alles dafür getan wird, die Bedrohung zu erkennen und zu minimieren. Ich bin sicher: Die gegenwärtigen Ängste der Menschen, die, wie Psychologen und Ökonomen sagen, auch ökonomische Folgen haben, werden in dem Maße reduziert, wie die Prozesse der Sicherheitspolitik transparent werden. Insofern steht eine große Aufgabe vor uns. Was muss transparent werden? Erstens. Europa ist nicht zuletzt aufgrund der Veränderungen der sicherheitspolitischen Bedingungen nach 1990 zu einem Stabilitätsraum geworden, der ohne existenzielle Bedrohung ist. Gleichwohl müssen wir gewahr werden, dass terroristische Bedrohungen und die zunehmende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen die internationale Staatengemeinschaft mit der Gefahr der Destabilisierung ihrer politischen Ordnungen konfrontieren. Zweitens. Sicherheit in und für Europa ist unteilbar. Kein einzelner Staat - auch nicht die USA - kann allein Frieden, Sicherheit und Stabilität für sich oder sein Umfeld garantieren. Moderne militärische Fähigkeiten bleiben daher Teil einer intelligenten, langfristigen und umfassenden Vorsorge im Hinblick auf unsere Sicherheit. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich komplexere und immer weniger berechenbare Herausforderungen. Das Aufgabenspektrum unserer Streitkräfte ist damit vielfältiger und differenzierter geworden. Wir lassen uns dabei von dem Prinzip leiten, dass gemeinsame Risiken und Bedrohungen eine gemeinsame Antwort erfordern. Kooperation mit Partnern und Verbündeten sowie das Zusammenwirken in internationalen Organisationen sind für eine effektive Sicherheitsvorsorge und für die Bewältigung von Krisen unerlässlich. ({4}) Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang ist der intelligente Umgang mit Ressourcen. Er ist ebenso bestimmend für unsere Reformüberlegungen wie der intelligente Umgang mit knappen Ressourcen. Sie werden künftig noch stärker als bisher vor allem zur Erfüllung der originär militärischen Aufgaben eingesetzt und - wo immer möglich und zweckmäßig - durch multinationale Kooperationen gebündelt werden. So ist es der Bundeswehr beispielsweise gelungen, die Ausgaben für internationale Einsätze seit 1995 zu verzehnfachen, ohne den Plafond wesentlich zu erhöhen. ({5}) Gleichzeitig ist der Verteidigungshaushalt weiterhin in die von der Bundesregierung fortgesetzte Politik der Haushaltskonsolidierung eingebunden. Wir haben also folgende Situation: Die Bundeswehr ist erstens zu einer Armee im Einsatz geworden. Derzeit befinden sich rund 10 000 Soldaten in sechs internationalen Einsätzen. Die Erfahrung aus internationalen Einsätzen zweitens, das mit wachsender Dynamik komplexer werdende sicherheitspolitische Umfeld drittens und schließlich viertens die Erfahrungen der Bundeswehr bei der Umsetzung der Reformen machen eine Weiterentwicklung der Reformen zwingend erforderlich. Dies ist eine ständige Aufgabe. Sie erfordert enorme Anstrengungen bei den Soldaten und den zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, die seit Jahren erbracht und auch weiterhin erforderlich sein werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle unseren Soldaten Dank und Respekt aussprechen. Sie sind gegenwärtig die besten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Sie sichern den Frieden und zivile Prozesse! ({7}) Um an die Rede des Bundeskanzlers vom vergangenen Freitag anzuschließen: Die Bundeswehr hat die Probleme nicht auf die lange Bank geschoben. Die Bundeswehr lässt Lösungen nicht an Einzelinteressen scheitern. Insofern vollzieht sich in der Bundeswehr seit Jahren beispielhaft, was anderen Bereichen der Gesellschaft, die weit mehr im Blickpunkt stehen, noch bevorsteht. Der Weg ist klar vorgegeben: Damit die Ausrüstung der Bundeswehr umfassend modernisiert und den neuen Fähigkeiten angepasst werden kann, müssen Freiräume für neue Investitionen geschaffen werden. Die Investitionsausgaben im Verteidigungshaushalt hatten 1997 einen Anteil von 21,6 Prozent; das sagte ich soeben. Für eine umfassende Modernisierung der Ausrüstung ist - das haben wir hochgerechnet - eine Investitionsquote von rund 30 Prozent erforderlich. Wir liegen im Übrigen mit unserer Quote von 25 Prozent durchaus in der oberen Spitze des mit vergleichbaren Nationen besetzten Feldes, müssen uns also nicht verstecken. Die rot-grüne Koalition hat die Investitionsquote auf 24,7 Prozent im Jahre 2002 angehoben und noch im Zeitraum des 36. Finanzplanes bis 2006 wird dieser Wert schrittweise auf über 27 Prozent angehoben. ({8}) Aufgrund des konstanten Plafonds müssen die Betriebsausgaben gesenkt werden. Der Verteidigungsminister beabsichtigt, bereits 2004 die Bundeswehrplanung an die voraussichtlich verfügbaren Finanzmittel anzupassen. Damit werden erstmals in der Geschichte der Bundeswehr die militärischen Planungen nicht nur an den militärischen Forderungen ausgerichtet, sondern zusätzlich mit betriebswirtschaftlichen Methoden und Prinzipien in Einklang gebracht. Das führt zu einer Optimierung der Leistung der Bundeswehr bei neuem Plafond. Was heißt das konkret? Bei der Suche nach der jeweils optimalen Lösung darf es grundsätzlich keine Tabus geben. ({9}) Umfang, Struktur und Ausstattung bedürfen ständiger, eingehender und kritischer Prüfungen sowie gegebenenfalls neuer Entscheidungen. Dies haben wir bereits in der Koalitionsvereinbarung deutlich gemacht. So ist beispielsweise die Umfangzahl von 285 000 Soldaten keine universelle Naturkonstante. Sie muss sich aus den angesprochenen Randbedingungen ableiten. Wer den Konsolidierungskurs fortsetzen und den investiven Anteil bis auf 30 Prozent steigern will, kommt nicht umhin, über die Umfangzahl von 280 000 Soldaten nachzudenken. Das ist meine Auffassung. ({10}) Ich habe immer wieder gesagt: Man muss redlich sein und sorgfältig zwischen dem, was schon Mehrheitsmeinung ist, und dem, was man selbst zu verteidigen gedenkt, trennen. Die Ökonomisierung der Reform - ich würde den Vorgang so bezeichnen - verlangt weitere intelligente Ansätze. Dieser Prozess ist in vollem Gange. Lassen Sie mich exemplarisch die Konzeption der Informationsund Kommunikationstechnologie erwähnen. Der Minister formulierte ebenso treffend wie bildhaft: Der Soldat der Zukunft wird über einen Laptop nicht nur mit seinen Vorgesetzten oder seinen Stäben, sondern mit allen Stellen verbunden sein. Er muss mit amerikanischen oder belgischen Kameraden, die im gleichen Auslandseinsatz sind, vernetzt sein können. ({11}) - Das ist noch lange nicht vorbei. - Hierfür haben wir das Projekt Herkules zur qualitativen Verbesserung der Infrastruktur und Kommunikation etabliert. ({12}) - Ich war 16 Jahre in Amerika und ich sage Ihnen: Es ist nicht vorbei. Wir haben bald wieder eine andere Regierung, dann geht es anders weiter. ({13}) - Nicht hier! Damit es keine Missverständnisse gibt: Nicht in der Bundesrepublik! Die nächsten Wahlen sind in den Vereinigten Staaten von Amerika!! ({14}) Entgegen den Ratschlägen des Bundesrechnungshofes, dessen Mitarbeitern für ihre Gründlichkeit zu danken ist, haben wir uns entschieden, grünes Licht für den nächsten Planungsschritt zu geben, damit nach drei Jahren Stillstand in diesem so wesentlichen Prozess kein weiteres Jahr durch unprofessionelle Experimentierschritte vertan wird. Die Lösung heißt: strategische Partnerschaft und Kooperation mit der Wirtschaft. Die Reform der Bundeswehr ist auf Effektivität und Nachhaltigkeit angelegt. Sie ist mit der strikten Ökonomisierung beispielhaft für die notwendigen Anstrengungen in anderen Bereichen wie Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Gesundheit und Rentenpolitik. Die Menschen in der Bundeswehr haben es verdient, dass wir ihre Leistungen und ihre Reformwilligkeit anerkennen. ({15}) Mit dem Bundeshaushalt 2003 wird ein ausgewogener Verteidigungshaushalt verabschiedet. Er leistet einerseits einen enormen Beitrag zur Konsolidierung und trägt andererseits zur konsequenten Forsetzung der größten Reform der Bundeswehr mit beispielhaften Reformschritten ohne zusätzliche Ansprüche an den Bundeshaushalt bei. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Günther Nolting, FDP-Fraktion.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Leonhard, wenn Sie im Zusammenhang mit den transatlantischen Beziehungen davon sprechen, wir hätten bald eine neue Regierung und dann werde alles besser, dann kann ich dem nur zustimmen. Wir werden Sie dabei tatkräftig unterstützen. Meine Damen und Herren, ich danke zu Beginn meiner Rede allen Soldatinnen und Soldaten sowie allen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr für ihre außerordentlich guten Leistungen, die sie im letzten Jahr erbracht haben, ({0}) und zwar, Herr Kollege Austermann, sowohl im Ausland als auch im Inland, zum Teil unter widrigsten Umständen. Wir können auf den Leistungswillen und die Leistungsfähigkeit der Bundeswehrangehörigen stolz sein. Stolz können wir allerdings nicht auf die Leistungen der Bundesregierung sein; ({1}) denn diese Bundesregierung gibt der Bundeswehr zwar immer wieder neue Aufgaben und Aufträge, nicht aber die dazu nötigen Mittel. Frau Kollegin Leonhard, als Sie heute den Haushalt bejubelt haben, haben Sie vergessen, aufzuzeigen, dass aus dem jetzigen Haushalt rund 1,2 Milliarden Euro für Auslandseinsätze bezahlt werden müssen und dass seit 1999 die Personalkosten um rund 1 Milliarde Euro gestiegen sind. Daher kann ich nur festhalten, dass es um diesen Haushalt schlecht bestellt ist. ({2}) Die Auswirkungen dieser verfehlten Politik sind im letzten Bericht des Wehrbeauftragten ungeschminkt dargestellt worden. Auch dazu haben Sie heute nichts gesagt. Daher zeige ich auf, wie es um die Bundeswehr wirklich bestellt ist. Wenn mit der Bundeswehr alles in Ordnung ist, wie Sie sagten, Frau Kollegin Leonhard, warum haben wir dann einen Anstieg der Eingaben beim Wehrbeauftragten um 32 Prozent? ({3}) Seit Bestehen des Amtes des Wehrbeauftragten, also seit 1959, hat es noch nie eine so hohe Zahl von Eingaben gegeben. Warum gibt es dann ein Fehl von circa 1 200 Offizieren und 20 000 Unteroffizieren? Diese Fragen möchte ich vom Minister beantwortet bekommen. Wer kann denn ernsthaft von einer hohen Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr sprechen, Herr Minister Struck, wenn im vergangenen Jahr von 12 000 Oberfeldwebeln, die die Voraussetzungen zur Beförderung zum Hauptfeldwebel erfüllten, nur 2 500 befördert wurden? Warum, Herr Minister Struck, würden mehr als die Hälfte der Berufssoldaten, die vom Personalanpassungsgesetz betroffen sind, die Bundeswehr vorzeitig verlassen, wenn sie denn könnten? Wenn mit der Bundeswehr alles in Ordnung ist, wie seitens der Bundesregierung immer wieder beteuert wird, warum war dann das Bewerberaufkommen bei den Offizieren im Jahre 2002 erneut rückläufig? Warum halbierte sich dann das Bewerberaufkommen bei den Sanitätsoffizieren in den fünf Jahren rot-grüner Regierung? Warum verweigerten dann im vergangenen Jahr fast 190 000 Wehrpflichtige, also rund 45 Prozent eines Jahrgangs, den Wehrdienst? Dieser Fragenkatalog ließe sich problemlos erweitern. ({4}) Die Hauptursache dieser Probleme ist die äußerst zögerliche Nachsteuerung der Reform der Bundeswehr durch Minister Struck, die wieder zu kurz greift und nicht den echten und längst überfälligen Strukturwandel bringt. ({5}) Der gordische Knoten der Bundeswehr heißt Wehrpflicht. Wird dieser nicht durchgeschlagen, gibt es keine auch nur mittelfristige Planungssicherheit für die Soldaten und ihre Familien. Meine Damen und Herren, die FDP hat bereits vor vier Jahren praktikable Vorstellungen zur Reform der Bundeswehr vorgelegt. Diese tragen sowohl den sicherheitspolitischen Anforderungen als auch den gesellschaftspolitischen Notwendigkeiten Rechnung. Lange Zeit wurden unsere Reformvorschläge entweder ignoriert oder als nicht realisierbar abgetan. Doch die Weizsäcker-Kommission und andere Institutionen mit Fachverstand griffen die Vorstellungen der FDP auf und schlossen sich diesen an. Vier Jahre sind nun vergangen, ohne dass sich für die Bundeswehr etwas zum Positiven verändert hat. Aber einige Sicherheitspolitiker aus der Union und auch der SPD sind allmählich aufgewacht und nähern sich wenigstens mit einigen wenigen ihrer zu Papier gebrachten Gedanken den FDP-Vorschlägen an. ({6}) Die Pläne des Verteidigungsministers jedoch hinken sogar den vorsichtigen Veränderungswünschen seiner eigenen Fraktionskolleginnen und -kollegen hinterher. Seine Reformvorstellungen sind mutlos und werden darüber hinaus nur halbherzig weiterverfolgt. ({7}) Herr Minister Struck, Sie sprechen von einer soliden finanziellen Grundlage für den weiteren Weg der Reformen. Sie behaupten, die Planung bis zum Jahr 2006 sei eine Weichenstellung, um den angeblich erfolgreichen Weg zu Ende gehen zu können. Herr Struck, vergessen Sie dabei eigentlich, dass die von Ihnen gelobte gleich bleibende Finanzausstattung in Höhe von 24,4 Milliarden Euro realwirtschaftlich eine Absenkung Ihres Haushaltes pro Jahr bedeutet? Ihre Haushaltslöcher werden von Jahr zu Jahr größer und mit ihnen die Unzufriedenheit der Bundeswehrangehörigen. ({8}) Angesichts der steigenden Verantwortung und der Ausweitung von Aufträgen ist das aus unserer Sicht unverantwortbar. Herr Minister Struck, völlig unverständlich ist für mich in diesem Zusammenhang - ich will nur ein Beispiel nennen - Ihre Entscheidung zum Transportflugzeug A400M. Mir ist schleierhaft, wie Sie bei Streichung der Evakuierungsoption auf eine Bestellung von 60 Transportflugzeugen kommen. Der reinen Logik der Mathematik folgend, ergibt sich für diesen Fall ein bedeutend geringerer Bedarf. ({9}) Ich empfehle Ihnen eine erneute Überprüfung dieses Sachverhaltes. Immerhin sind bei Berichtigung dieses Rechenfehlers weit mehr als 1 Milliarde Euro einzusparen. ({10}) Sie sehen, es gibt viele Möglichkeiten, Gelder einzusparen bzw. umzuschichten. Leider werden diese nicht genutzt. Jedoch gibt es Bereiche, in denen nicht gespart werden darf. Dazu gehört die Anhebung des Ostsoldes auf das Westniveau. ({11}) Die Soldaten, die uns seit Jahren die deutsche Einheit vorleben, werden immer wieder vertröstet. Dieser Zustand ist unhaltbar. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wären Sie bereit, sich alle zwei Jahre - häufig viel öfter - für ein halbes Jahr oder, wie es bei der Marine der Fall ist, für 180 Tage im Jahr zwecks Auslandseinsatzes von Ihrer Familie zu trennen? Wären Sie bereit, 100 Prozent Leistung im Auslandseinsatz unter harten Bedingungen zu erbringen, aber zu Hause mit 90 Prozent Gehalt abgespeist zu werden, nur weil Sie aus den neuen Bundesländern kommen? Das ist keine Armee der Einheit! ({12}) Die FDP hat ihre Vorstellungen zur Reform der Bundeswehr wiederholt dargelegt. Unsere Forderungen lassen sich kurz und klar zusammenfassen: Wir wollen nicht mehr Soldaten in der Gesamtheit, sondern eine höhere Zahl einsatzbereiter Soldaten. Wir fordern nicht mehr, sondern modernere Waffensysteme. Wir brauchen nicht mehr, sondern leistungsfähigere Großverbände. Wir brauchen keine gleichartigen, flächendeckenden Strukturen, sondern Einrichtungen und Standorte, die auf die militärischen Anforderungen und örtlichen Gegebenheiten ausgerichtet sind. Wir brauchen keine riesigen Depots und Lager, in denen Material aus Zeiten des Kalten Krieges verrottet, sondern Lagerkapazitäten, die den Bedarf decken. Herr Kollege Austermann, Sie haben hier das Entsendegesetz angesprochen. Ich würde lieber von einem Beteiligungsgesetz sprechen, denn wir wollen für die bewaffneten Einsätze deutscher Streitkräfte Rechtssicherheit schaffen. Ein entsprechender Antrag der FDP liegt vor. An dieser Stelle will ich gleich hinzufügen: Wir wollen die Entscheidung über Auslandseinsätze nicht auf die Bundesregierung übertragen. Wir haben eine Parlamentsarmee. Das Parlament muss in Gänze in der Verantwortung bleiben. Ich hoffe, dass auch die Union an diesem Grundsatz weiterhin festhält. ({13}) Herr Minister Struck, der Bundeskanzler hat erklärt, dass es keine Neubefassung des Parlaments mit dem Mandat für unsere Soldaten, die in Kuwait stationiert sind, und die Soldaten in den AWACS-Flugzeugen geben soll. Am letzten Mittwoch haben Sie erklärt, dass Sie das Parlament selbstverständlich beteiligen werden, wenn es zu einem Krieg kommen sollte. Ich fordere Sie auf, heute zu erklären, was nun gilt: Ihre Aussage vom letzten Mittwoch im Verteidigungsausschuss oder die Aussage des Bundeskanzlers von heute Morgen? In dieser schwierigen Situation brauchen wir rechtliche und politische Klarheit für unsere Soldatinnen und Soldaten. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst eine Vorbemerkung. Wir haben gerade den Antrag der Bundesregierung zur Veränderung des Mazedonienmandats an die Ausschüsse überwiesen. Gerade in den Stunden vor dem wahrscheinlichen Krieg im Irak ist es meiner Meinung nach wichtig, darauf hinzuweisen, dass es dieses Mazedonienmandat gibt. Denn der Einsatz in Mazedonien ist hervorragend dafür geeignet, zu zeigen, dass man in dieser Situation auch anders handeln kann. Er steht nämlich für eine Politik, die vorbeugend handeln und möglichst ohne Gewaltanwendung gewaltträchtige Konflikte entschärfen will und dabei erfolgreich ist. ({0}) Darüber hinaus zeigt dieser - wenn auch zurzeit noch sehr kleine - Einsatz die Bereitschaft und die Fähigkeit der Europäischen Union, durch die Erledigung ihrer sicherheitspolitischen Hausaufgaben so etwas endlich alleine zu bewältigen. Dies ist, wie ich finde, ein wichtiger Hinweis. ({1}) Anfang Dezember 2000 haben wir hier den Einzelplan 14 in erster Lesung beraten. Kurz danach gab der Minister die ersten Schritte zur Weiterentwicklung der Bundeswehrreform bekannt. Das waren die Überprüfung der Beschaffungsvorhaben und die Neujustierung bei den Aufgaben der Bundeswehr. Dabei wurde die Priorität auf die Krisenbewältigung im Dienste der gemeinsamen Sicherheit gesetzt. Inzwischen ist bereits der dritte Schritt erfolgt, nämlich die Reduzierung von Ausrüstung, um Betriebskosten zu sparen, damit dringend notwendige Investitionsmittel frei werden. Folgen wird in den nächsten Monaten die Überprüfung von Umfang, Struktur und Wehrform. Wir begrüßen ausdrücklich die Zusage des Ministers, dass die Überprüfung der Wehrform nicht erst, wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, am Ende der Legislaturperiode, sondern schon Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres erfolgen soll. Denn das entspricht der Konsequenz, bei den ersten Schritten der Weiterentwicklung der Bundeswehrreform. Vor vier Wochen hat die CDU/CSU ihren Alternativvorschlag zur Bundeswehrreform vorgelegt. Damals ging es in der öffentlichen Diskussion vor allem um die so genannte Heimatverteidigung - mir ist bis heute nicht klar, was das soll ({2}) und um die faktische Relativierung des Parlamentsvorbehalts. In der kurzen öffentlichen Diskussion um Ihre Alternativvorschläge wurde dagegen kaum wahrgenommen, dass in ihnen programmatisch die Grundlinie vorgezeichnet wird, die die Unionsführung in diesen Wochen hinsichtlich des Irakkonfliktes vertritt. Ich will das an drei Punkten deutlich machen: Erstens. Wirklich notorisch haben Sie von der Unionsführung - das betone ich ausdrücklich; denn etliche Kolleginnen und Kollegen in der Union denken anders - in den letzten Wochen die Arbeit der Rüstungsinspekteure im Irak kleingeredet und haben, um Worte von gestern aufzugreifen, den einseitigen Abbruch ihrer erfolgreichen Arbeit ausdrücklich unterstützt. ({3}) Dieses Verhalten steht im Einklang mit Ihrem Papier zur Bundeswehr. In ihm ist im Grunde genommen nicht mehr die Rede - man findet höchstens ein oder zwei Sätze dazu - von anderen Mitteln wie Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung. Kollege Raidel, Sie wissen selbst, welche wirksamen Maßnahmen und welche Erfolge es in diesem Bereich gegeben hat. Das ist also wirklich eine bewährte Politik. Aber das scheint programmatisch für Sie keine Rolle mehr zu spielen. Programmatische und reale Politik stehen in diesem Bereich bei Ihnen in einer Linie. Zweitens. In Ihrem Papier wird, wenn auch in verschlüsselten Formulierungen, deutlich, dass Sie die Tür nicht nur für präventive militärische Einsätze öffnen wollen, sondern auch für präventive kriegerische Militäreinsätze. Wenn Sie jetzt das Kriegsultimatum des amerikanischen Präsidenten mit all seinen Konsequenzen durch Ihre Vorsitzende mittragen, dann unterstützen Sie im Klartext genau einen solchen Präventivkrieg. ({4}) Und schließlich drittens. Es fällt schon auf, was Sie inzwischen alles schweigend hinnehmen. Gleichzeitig höre ich das Getöse Ihrer Kritik an der Politik der Bundesregierung. Sie nehmen die Ultimaten der USA gegenüber den Vereinten Nationen schweigend hin. Das hat es in der Geschichte der Vereinten Nationen und des Völkerbundes noch nie gegeben. ({5}) Sie schweigen zu den offenkundigen Pressionsversuchen eines ganz wichtigen Mitglieds des Sicherheitsrates gegenüber vielen anderen, sehr viel kleineren und potenziell erpressbaren Mitgliedern des Sicherheitsrates und dem deutlichen Übergehen der Mehrheitsmeinung im Sicherheitsrat. Dieser Krieg - wenn es zu ihm kommt - wird offenkundig jenseits der Charta der Vereinten Nationen stattfinden. Vor dem Hintergrund Ihres so genannten alternativen Bundeswehrpapiers ist das offensichtlich kein Zufall; denn dort - lesen Sie noch einmal nach ({6}) spielen die Vereinten Nationen und die VN-Charta praktisch keine Rolle. Dabei bilden die Vereinten Nationen und die VN-Charta den entscheidenden einhegenden Rahmen für den Einsatz von Militär. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Nachtwei, denken Sie bitte an Ihre Zeit. ({0})

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir verrechnen unsere Redezeiten innerhalb der Fraktion. Über Jahrzehnte hinweg hat gerade die CDU/CSU den Charakter des transatlantischen Bündnisses als Wertegemeinschaft und Partnerschaft demokratischer Rechtsstaaten betont. Zurzeit verlässt die Regierung der Vereinigten Staaten dieses Wertefundament und - das sage ich in dieser Deutlichkeit - verrät die große Tradition ihrer Vorgängerregierungen, ohne die die Vereinten Nationen und der Völkerbund wohl gar nicht entstanden wären.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Nachtwei, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, jetzt nicht. Ich bin bei meinen Schlusssätzen, da passt das nicht. Sie können meinetwegen eine Kurzintervention abgeben. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie schweigen nicht nur dazu, Sie unterstützen das jetzt auch. Wenn Sie an der Regierung wären, ({1}) würden nun auch Bundeswehrsoldaten in den Irakkrieg geschickt. ({2}) Wir kennen uns lange genug. Deshalb weiß ich, dass Sie keine Kriegstreiber sind und lieber Frieden wollen. Warum aber lassen Sie sich derart in den Krieg treiben? Warum brechen Sie in diesen Tagen mit der Politik der militärischen Zurückhaltung, die hier bisher Konsens war? Offenbar sind Ihnen die Werte einer Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik sein soll, abhanden gekommen. ({3}) Am Tag der Haushaltsberatung zum Verteidigungsetat ist das ein äußerst beunruhigendes und für mich auch äußerst bestürzendes Zeichen. Danke. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe der Kollegin Lenke das Wort zu einer Kurzintervention.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Nachtwei, wir haben heute den Verteidigungshaushalt zu beraten. Ich habe in Ihrer Rede nichts von Reformen der Bundeswehr und von Haushaltsansätzen gehört. Das bedauere ich außerordentlich, weil anlässlich dieser Haushaltsberatung gerade die Grünen eine Aussage in Bezug auf die Wehrpflicht und die Wehrgerechtigkeit hätten machen müssen. Ich wundere mich schon sehr, dass die grüne Fraktion die in dieser Republik bestehende Wehr- und Zivildienstungerechtigkeit zulässt. Von Ihnen gab es kein Wort zur Bundeswehrreform und zur Umgestaltung der Bundeswehr hinsichtlich der Wehrpflicht. Das bedauere ich. Daher möchte ich Sie fragen, ob Sie als Grüner noch dazu eine Aussage machen wollen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Nachtwei, bitte.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, Sie haben offenkundig nicht ganz zugehört. Ich habe mich nämlich im ersten Teil meiner Rede sehr wohl auf die laufende Bundeswehrreform bezogen. ({0}) Ich habe betont, dass die bisher eingeleiteten Schritte wie Überprüfung der Beschaffungsplanung, Neujustierung der Aufgaben und schließlich eine Abspeckung bei der Ausrüstung, erste konsequente Maßnahmen im Rahmen der Bundeswehrreform sind. Ich habe auch die nächsten Schritte genannt. In diesem Zusammenhang habe ich mich allgemein zur Wehrform geäußert. Ich habe hier oft genug unsere Haltung zu unserer Meinung nach legitimen und notwendigen Wehrform deutlich gemacht. Nach Auffassung der Grünen ist die Zeit der Wehrpflicht abgelaufen. Wir halten eine Freiwilligenarmee im Sinne einer modernen und effektiven Bundeswehr für die angemessene Form. ({1}) Dies brauche ich aber nicht bei jeder Rede notorisch zu wiederholen. Das möchte ich dann sagen, wann ich es für richtig halte. ({2}) Am heutigen Tag, der unter dem Vorzeichen des Krieges steht, nur wieder über das Wie der Bundeswehrreform zu reden - das ist oft das Kennzeichen dieser Debatte -, aber die ganz entscheidende Frage des Wofür außer Acht zu lassen, halte ich gerade zum jetzigen Zeitpunkt für unpassend. Die Tatsache, dass sich bei der CDU/CSU ein Paradigmenwechsel zeigt, muss klar angesprochen werden. Das wurde in dieser Deutlichkeit leider bisher noch nicht zum Ausdruck gebracht. Ich bedanke mich für Ihr Angebot, mich zu diesem Thema ergänzend zu äußern. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Christian Schmidt, CDU/CSU-Fraktion.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Winfried Nachtwei, irgendetwas ist heute mit Ihnen durchgegangen. Zur Bundeswehrreform möchte ich Folgendes sagen: Die Frage nach dem Wie ist der eine Punkt. Die Frage nach dem Wozu ist der andere Punkt. Auch wir stellen uns diese Fragen gerade im Hinblick auf die Reihenfolge, in der die Reform der scharpingschen Reform - das darf man inzwischen auch in Koalitionskreisen ungestraft sagen - vorgenommen wird. Wenn diese Reform dazu führt, dass die vorher festzulegenden Aufgaben und dazu notwendigen Fähigkeiten der Bundeswehr besser entwickelt werden können, Christian Schmidt ({0}) dann ist sie in Ordnung. Wenn sie nach den Vorgaben des Bundesministers der Finanzen gestaltet wird, dann ist sie sehr fragwürdig. Das muss man gerade bei den Haushaltsberatungen sagen. Kollege Austermann hat in seinen Ausführungen einen wichtigen Punkt angesprochen. Es ist nicht so, dass der Verteidigungsetat von der Opposition automatisch abgelehnt wird. Das ist nie so gewesen. Er muss aber dann abgelehnt werden, wenn er nicht den Herausforderungen entspricht, die ich gerade definiert habe. ({1}) Manchmal muss man dem Verteidigungsminister in diesen Kampflinien - um in dieser Sprache zu bleiben sogar helfen, um seinen Etat zu verteidigen, wenn es Aussicht auf Erfolg gibt. Kommen wir doch noch einmal auf die aktuelle Frage zurück. Herr Müntefering hat sich heute Vormittag in seiner Entgegnung auf Frau Kollegin Merkel in eine Behauptung verstiegen, die ich schlechterdings nicht nachvollziehen kann. Er hat die Gelegenheit nicht ungenutzt gelassen, die große Sozialdemokratische Partei als die Partei des Friedens darzustellen und zu suggerieren, alle anderen Parteien seien dies nicht. Dabei ist ihm eine kleine Unaufmerksamkeit passiert, indem er gesagt hat, die SPD habe noch nie für einen Krieg gestimmt. ({2}) Ich möchte nicht bis zum Ersten Weltkrieg und auf die Fragen, die damals in diesem Haus bzw. im kaiserlichen Reichstag beschlossen worden sind, zurückblicken. Ich frage Sie nur: Was war denn dann der KosovoKrieg? ({3}) Erfolgte er auf der Basis einer Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen oder nicht? Ich möchte nur, dass wir - bei allem Pathos - die Kirche im Dorf lassen. Bei jedem - ich schließe mich selbst sein - ist der Magen im Moment keine besonders ruhige Gegend. Man empfindet es als unangenehm und es schmerzt einen, dass wir in eine Situation gekommen sind, in der die Diplomatie versagt hat und der Ausdruck Ultima Ratio eine Rolle spielt. Frau Kollegin Leonhard, an dieser Stelle möchte ich Ihre Worte von der „Renaissance der Diplomatie“ aufgreifen. Ich glaube, es lohnt sich schon, den Blick auf uns Europäer zu richten, um zu klären, wo die Diplomatie versagt hat und wo sie bis heute unehrlich gewesen ist. Joschka Fischer ist unehrlich, wenn er sagt - ({4}) - Hört doch einmal zu! ({5}) - Gut, Herr Erler, wenn Sie nicht zuhören wollen, ist das Ihr Problem. Aber wenn sich Herr Nachtwei voller Pathos hier hinstellt und sagt, dass er an diesem Tag und in dieser Stunde nicht über die Wehrpflicht sprechen könne und über ein anderes Thema sprechen müsse, dann müssen Sie sich das, was ich sage, anhören. Die Lebenserfahrung zeigt uns, dass man Forderungen nur dann durchsetzen kann, wenn sie mit Sanktionen unterlegt sind. ({6}) Ich werfe Herrn Fischer vor, dass er unehrlich ist, wenn er so tut, als ginge es nur um die Bereitstellung von Inspektoren und die Möglichkeit, nach Waffen zu suchen, nicht aber um das politische und militärische Drohszenario. ({7}) Über all die anderen Fragen möchte ich gar nicht diskutieren. ({8}) Wenn man kurz vor Toresschluss sagt, dass man doch mitmacht und Blauhelme in den Irak schickt - wer auch immer das gesagt hat, es war nicht der Verteidigungsminister; er wusste, warum -, der muss sich vorhalten lassen, dass er diese Fragen unseriös, unpräzise und nicht tiefgehend behandelt hat ({9}) und dass er keine Ahnung von den Konsequenzen hatte, die zu verhindern gewesen wären. Auch Herrn Volmer mag manches im Halse stecken bleiben, wenn er daran denkt, was vor zwei oder drei Jahren im diplomatischen Bereich nicht getan worden ist. Wir waren schon einmal in einer solchen Situation. Übrigens haben wir alle uns bei der Kosovo-Entscheidung fragen müssen, ob wir nicht nach Dayton versagt haben. Über solche Fragen muss man über die Parteigrenzen hinweg diskutieren. Lieber Kollege Erler, ich bin allerdings nicht wie andere bereit, hier Zusammenhänge zu konstruieren. Ein Kollege meinte heute Nachmittag, kurz nachdem Herr Müntefering gesprochen hat, er müsse noch einmal das Wort, mit dem wir belegt worden waren, aufgreifen. Dagegen verwahre ich mich energisch. Wir streiten über vieles. Aber wenn es um meine Friedensgesinnung geht, lasse ich mir von niemandem etwas vorschreiben. Auch der großen sozialdemokratischen Bewegung muss klar sein, dass sie das zu respektieren hat. ({10}) Jetzt komme ich noch auf Ihre Vorlesung zu sprechen, Herr Kollege Nachtwei. Ich werde Ihnen sofort per Internet und E-Mail unser Papier zur Verfügung stellen. ({11}) Christian Schmidt ({12}) Darin steht - ich zitiere sozusagen uns selbst -: Prinzipiell wird angesichts denkbarer Szenarien und einer praktisch nicht gegebenen Vorwarnphase eine allein reaktive Handlungsweise nicht ausreichen. Politische Maßnahmen genießen prinzipiell Vorrang. Als Instrumentarium zur Risikominderung muss das gesamte völkerrechtliche Handlungsspektrum von diplomatischen Maßnahmen, Kontrolle und Verifikation bis hin zur militärischen Option als „ultima ratio“ politisch verfügbar sein. Entscheidungen von großer Tragweite müssen in den Foren der Weltgemeinschaft unter der Prämisse der Erhaltung des Weltfriedens getroffen und dann gemeinschaftlich umgesetzt werden. Das ist der Punkt, der uns jetzt eine unangenehme Situation kommentieren lässt. Alle, die wir hier sitzen, können leider nur kommentieren. Wir sind nicht Handelnde, wir sind nicht aktiv. Jetzt komme ich zur Bundeswehr. Kein Mensch in der CDU/CSU hat die Forderung erhoben, die Bundeswehr solle quasi die letzte verfügbare Heeresdivision, die sie noch hat, in den Irak entsenden. Nein, wir haben nur von den Anforderungen gesprochen, die heute zum großen Teil vom Bundeskanzler akzeptiert sind, zum Beispiel die Überflugrechte, aber auch die Unterstützung des türkischen Bündnispartners, die Frage der Zahl der Patriot-Raketen und derer, die sie bedienen, die AWACS-Flugzeuge und die ABC-Abwehrkräfte in Kuwait. Mehr ist übrigens nie gefordert worden. In diesen Punkten sollten wir uns einigen, damit kein Popanz entsteht, der von den wahren Fragen ablenkt. Die wahre Frage besteht darin, wie das Bündnis NATO, die Europäische Union und wir unter Wahrung unserer Interessen sicherheitspolitisch überleben, wenn dieser Konflikt, was immer wahrscheinlicher wird, nicht mehr friedlich zu lösen ist und Saddam Hussein militärisch entwaffnet worden ist. Damit bin ich bei der Reform der Bundeswehr. Die Reform, die momentan angedacht wird, muss durchgeführt werden. Sie muss uns befähigen, unsere Interessen im Bündnis zu vertreten. Das ist nichts Neues. Es ist eine alte Formulierung, die aber umso mehr Bedeutung hat, als wir merken, dass wir in Europa in den letzten Jahren noch nicht einmal in der Lage waren, die Konflikte in der Region mit europäischen Mitteln zu lösen, die man als geographischen Hinterhof bezeichnen könnte. Das Kosovo ist nicht größer als zwei Landkreise und es hat einer amerikanischen Intervention bedurft. Gott sei Dank herrscht dort - Sie haben Mazedonien angesprochen - einigermaßen Stabilität, ich will nicht von Frieden sprechen. Wir hoffen, dass wir nicht auf die Probe gestellt werden und mehr als die 70 Soldaten, die lobenswerterweise in Mazedonien im Einsatz sind, in eine Situation schicken müssen, die wir möglicherweise wieder nicht ohne die Amerikaner beherrschen können. Deswegen sei klug und überlege, wie man ein Bündnis halten kann, das nach wie vor die gemeinsame Werteorientierung zur Basis hat. Das ist das transatlantische Bündnis. Dazu gehört, dass wir die Aufforderung, die wir alle in Prag unterzeichnet haben, umsetzen. Herr Kollege Austermann war heute freundlich. Er hat über den A400M gesprochen und nicht die knifflige Frage gestellt - aber ich gebe dem Minister jetzt die Gelegenheit, darauf zu antworten -, wie es mit der Zwischenlösung aussieht. ({13}) Auch die muss finanziert werden. Ich habe den Eindruck, dass die Bündnispartner von uns erwarten, dass wir Lösungen anbieten und diese auch schnellstmöglich umsetzen. Das Gleiche gilt übrigens für die politisch äußerst schwierige Frage der NATO-Response-Force, diese Einheit, die 21 000 Soldaten umfassen, gemeinsam üben und nach kurzer Vorwarnzeit einsatzfähig sein soll. Herr Kollege Nachtwei, Sie werden nicht daran vorbeikommen, darüber reden zu müssen. Ich will nicht den Parlamentsvorbehalt aufheben. Im Gegenteil: Wenn man ihn neu strickt, käme man vielleicht zu einem Initiativrecht des Parlaments. Dann würden Sie allerdings gegenwärtig mit einem Antrag konfrontiert, der AWACS betrifft, über den Sie dann abstimmen könnten. Das können wir gegenwärtig nicht. Die Gründe dafür ergeben sich aus der Verfassungslage. Aber zurück zu der Frage des Parlamentsvorbehalts: Wie wollen Sie die NATO-Response-Force, die nicht nur innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit sein soll, sondern Kraft ihrer Funktion und Existenz auch ein Instrumentarium der nicht militärischen Sicherheitspolitik ist, als glaubwürdige Komponente darstellen, wenn davon auszugehen ist, dass sie in vielen Fällen sozusagen nur hinkend eingesetzt werden kann? Ich bin dafür, dass wir uns im Parlament grundsätzlich die politische Entscheidung darüber vorbehalten sollten. Aber wir sollten mit der Flexibilität nicht so weit gehen, dass Instrumente wie die NATO-Response-Force - sofern es zu ihrer Gründung kommt; aber sie wird notwendig sein, um die NATO zu erhalten - politisch und militärisch belastet werden. Über diese Themen werden wir reden müssen. Der Kollege Nolting hat das Entsendegesetz angesprochen. Zu dem Gesetz liegt ein Antrag der FDP vor. Ich habe nichts dagegen, wenn wir auch weiterhin wie bisher verfahren; wir haben das Thema nämlich sehr sachlich und nüchtern diskutiert. Wir sollten in dieser Frage, die das Parlament als Ganzes betrifft, durchaus versuchen, gemeinsame Wege zu gehen. Wir haben aus Karlsruhe bereits eine Grundlage erhalten. Über die Ausgestaltung können wir noch reden. Ob wir uns in allen Fragen einig werden, wird sich dann zeigen. Ich bin aber - das sage ich an die Bundesregierung gewandt - durchaus bereit, solche Fragen in einer konstruktiven und diskursiven Weise zu erörtern. Es geht nämlich darum, den Soldaten ein möglichst hohes Maß an Rechts- und Einsatzsicherheit zu bieten. Das haben die Soldaten verdient. Was die Änderung der Verfassung bei einer Ausdehnung im Zuge der Neuabgrenzung von Aufgabenbereichen angeht, bitte ich Sie: Machen Sie das Thema nicht Christian Schmidt ({14}) zum ideologischen Popanz! Versuchen Sie, nüchtern zu überlegen, welche Verpflichtungen wir unserer Bundeswehr auferlegen müssen! Denn letztlich handelt es sich um eine Frage der äußeren Sicherheit. Insofern geht es darum, zu prüfen, wo einerseits Fähigkeiten der Bundeswehr nutzbar gemacht werden müssen und wo andererseits die Grenze zur rein polizeilichen Aufgabe verläuft. Meiner Meinung nach kann es nicht darum gehen, Planstellen von der Polizei auf die Bundeswehr zu übertragen. Zwar könnte die Bundeswehr mehr Planstellen gut gebrauchen, aber die Polizei hat eine andere Aufgabenstellung als die Bundeswehr. Das wird auch so bleiben. Aber es gibt andere Fragestellungen, die vor 20, 30 oder 40 Jahren außerhalb unserer Vorstellungskraft lagen, die aber heute auf uns zukommen können, ({15}) zum Beispiel eine Bedrohung durch ABC-Waffen, andere Bedrohungslagen, so genannte Renegade-Situationen oder Luftangriffe und die bestimmter Regelungen bedürfen. Für mich ist die Verfassungsänderung kein Selbstzweck. Es geht vielmehr darum, nüchtern zu klären, wie wir Rechtssicherheit schaffen und uns sicherheitspolitisch optimal aufstellen können. ({16}) Darüber müssen wir reden. ({17}) - Ich denke, dass auch in der Innenpolitik diese Erkenntnis gewonnen werden muss. Ich kann diejenigen in der Koalition und in der Regierung, die bei den apodiktischen Äußerungen des Herrn Schily die Stirn gerunzelt haben, nur dazu ermuntern, bei ihrer Position zu bleiben. Wir aber werden Herrn Schily auch weiterhin sehr scharf beobachten. ({18}) Die verteidigungspolitischen Richtlinien, die angekündigt sind, werden sich mit der Neudefinition der Aufgaben beschäftigen. Sie werden sich auch mit der Frage beschäftigen müssen, wo die Bundeswehr zu welchen Zwecken eingesetzt werden kann. Es ist nicht von einer Bundeswehr auszugehen, die weltweit an allen Gefahrenherden eingesetzt werden kann. Das ist personell und materiell nicht zu schaffen und das ist auch nicht die Aufgabe unseres Landes. Im Verbund wird das allerdings bei einer gemeinsamen Interessendefinition notwendig sein. Daraus ergibt sich die Frage, wie die Bundeswehr verstanden wird. Wird sie als reine Interventionsarmee verstanden? Der Satz, dass die Landesverteidigung Deutschlands am Hindukusch beginne, hat schon etwas für sich; denn so halten wir Gefahren für unser Land auf Distanz. Um Landesverteidigung im verfassungsrechtlichen Sinne handelt es sich deswegen aber noch nicht. Herr Kollege Austermann hat kürzlich darauf hingewiesen, dass sich dann sehr schnell die verfassungsrechtlich relevante Frage stellen werde, wofür wir unsere Armee eigentlich aufstellten. Vielleicht muss zukünftig - auch darüber muss geredet werden - eine Bedrohungsanalyse erstellt werden, die genau darlegt, ob unser Land oder unser Bündnis bedroht wird. Ich denke, dies ist Anlass genug - das ist Ihre Aufgabe -, wieder einmal ein Weißbuch vorzulegen, in dem zu diesen Fragen Stellung genommen wird. Wenn wir zu dem Schluss kommen sollten, dass die Landesverteidigung schon am Hindukusch beginnt, dann brauchen wir die Bundeswehr auch in Hindelang. Das heißt, wir müssen die Verteidigung der Sicherheit in unserem eigenen Land nach wie vor als Aufgabe sehen. Ich glaube, dass diejenigen - das richtet sich nicht an Ihren kleinen Koalitionspartner, sondern an die FDP -, die die Wehrpflicht beibehalten wollen, dann ein Problem bekommen werden, wenn sie die Landesverteidigung überhaupt nicht mehr im Katalog haben. Wir können die Landesverteidigung zwar nicht deshalb in den Katalog aufnehmen, weil wir - das würde ich ablehnen - die Wehrpflicht beibehalten wollen. Wenn aber das Bedürfnis besteht, die Wehrpflicht beizubehalten - ich meine, es besteht noch zumindest bei einer latenten Problematik und bei dem akuten Problem der asymmetrischen Verteidigung in noch sehr viel stärkerem Maße -, dann heißt das, dass die Wehrpflicht weiterhin ihre Bedeutung hat. Die Bundeswehr darf dann aber keine reine Einsatzarmee sein. Daran müssen sich die verteidigungspolitischen Richtlinien und die daraus abgeleiteten Planungsweisungen orientieren. Herr Minister, ich warte darauf, dass Sie Richtlinien erlassen, damit der Generalinspekteur weiß, wie er die Bundeswehr umzubauen hat. Schon jetzt Fähigkeiten abzubauen und Standorte zu schließen -

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schmidt, schauen Sie bitte auf die Uhr an Ihrem Rednerpult. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich für diesen Hinweis. Ich finde, ich könnte noch länger über das sprechen, was notwendig ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schmidt, ich finde nicht, dass Sie noch länger reden können.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, dann werden wir das zu gegebener Zeit in den Ausschüssen und in diesem Hause fortsetzen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Peter Struck. ({0})

Dr. Peter Struck (Minister:in)

Politiker ID: 11002278

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur als ehemaliges Mitglied des Haushaltsausschusses, sondern auch aus fester Überzeugung gehört es sich, dass ich als Minister gleich zu Beginn den Berichterstattern für meinen Haushalt danke. Ich tue das auch, weil ich weiß, dass der Einzelplan 14 ein schwieriger, umfangreicher und in der Materie oft kontrovers diskutierter Haushalt ist. Ich bedanke mich besonders bei der Kollegin Elke Leonhard, die zum ersten Mal als Berichterstatterin mit dem Einzelplan 14 befasst war, bei Alexander Bonde, bei Dietrich Austermann, der sich als Berichterstatter schon länger mit dem Einzelplan 14 befasst, bei Bartholomäus Kalb und bei Jürgen Koppelin. ({0}) Wenn ich das Ergebnis der Beratungen im Haushaltsausschuss - auch nach den intensiven Vorbereitungen durch die Berichterstatter - bewerte, dann muss ich als Bundesminister der Verteidigung sagen: Ich kann mit dem zufrieden sein, was mir die Koalitionsfraktionen beschert haben. Ich wäre noch zufriedener, wenn auch das Realität werden würde, was die Oppositionsfraktionen beantragen. Allerdings muss ich als jemand, der auch etwas von Finanzen versteht, sagen: Ich bin natürlich froh, dass Sie mir mehr Geld geben wollen. Aber ich weiß ganz genau, dass das Geld nicht da ist. Insofern ist das nicht mehr als eine Geste. Deshalb verlasse ich mich lieber auf die handfesten Aussagen meiner Fraktion. ({1}) Ich möchte zuerst etwas zu dem Thema Auslandseinsätze sagen. Ich muss nicht betonen, dass ich als Bundesminister der Verteidigung meinen Soldatinnen und Soldaten danke, die im Ausland eingesetzt sind. Ich möchte aber wegen der aktuellen Situation meiner Sorge über die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten an den Standorten außerhalb des Bündnisgebiets Ausdruck verleihen. Wir wissen, dass die Situation in Afghanistan ohnehin nie ruhig und nie stabil war. Über dem Lager hat es häufiger Schüsse gegeben. Es ist allerdings überhaupt nicht auszuschließen, dass diejenigen Kräfte in Afghanistan, die die Präsenz der ausländischen Schutztruppe ohnehin ablehnen, einen Krieg im Irak zum Anlass nehmen, gegen die ISAF-Truppe verschärft vorzugehen. Was ich dargestellt habe, gilt auch für die Situation unserer Marinesoldaten am Horn von Afrika und für die Situation der Soldaten auf dem Balkan. Herr Austermann hat die Frage gestellt: Was wird eigentlich, wenn Deutschland und die Niederlande ihre bisherige Funktion in Afghanistan nicht mehr wahrnehmen? Wir, die Bundesregierung, arbeiten auf der Grundlage eines Bundestagsbeschlusses, der uns ermächtigt, bis zum 10. August die so genannte Lead-Nation-Funktion in Kabul wahrzunehmen. Wir versuchen - Herr Austermann, Sie haben das zu Recht angesprochen -, der NATO mehr Verantwortung in Afghanistan zu übertragen. Die NATO hat bei der Ausübung des Mandats, das das Deutsch-Niederländische Korps wahrnimmt, bei Force Protection, bei Force Generation, bei Kommunikationstechnologien usw. viel geholfen. Ich glaube allerdings, dass wir eine noch größere Beteiligung der NATO erreichen sollten. Ich habe am Wochenende in Athen mit George Robertson darüber gesprochen, der diese Linie durchaus unterstützt. Das gilt auch für den amerikanischen Präsidenten und den amerikanischen Verteidigungsminister, mit dem ich darüber in München gesprochen habe. Sie wissen, dass es bei unseren französischen Freunden noch Vorbehalte gibt. Neuerdings gibt es auch bei unseren belgischen Freunden Vorbehalte. Wir müssen spätestens im April Klarheit über die Nachfolge des Deutsch-Niederländischen Korps haben; denn wenn es schwierig wird, eine andere Nation als Nachfolger zu finden, dann müssen wir natürlich auch klären, wie sich Deutschland verhält. Nach den Gesprächen mit den niederländischen Kollegen ist ziemlich klar, dass die Niederlande ihren Beitrag dort nicht mehr leisten werden. In den Niederlanden wird eine neue Regierung gebildet. Das bedeutet, dass man über die bisherige Haltung noch einmal nachdenken wird. Ich strebe nicht an, dafür zu sorgen, dass das DeutschNiederländische Korps seine bisherige Funktion länger als vorgesehen wahrnimmt. Die Soldatinnen und Soldaten dieses Korps sind einer hohen Belastung ausgesetzt, auch in finanzieller Hinsicht. Wenn es nicht gelingt, der NATO eine federführende, zumindest eine größere Verantwortung zu übertragen, dann werden wir versuchen, eine Lösung zu finden, die unterhalb der NATO-Ebene angesiedelt ist. Das Wehen der NATO-Flagge in Kabul könnte ein Hauptproblem darstellen, allerdings nicht aus der Sicht der Afghanen. Präsident Karzai hat mir erklärt, er habe damit überhaupt keine Schwierigkeiten. Wir werden also versuchen, von unseren Bündnispartnern unterhalb der NATO-Ebene mehr Hilfe zu bekommen. Wir werden in diesem Parlament im Einzelnen zu klären haben, wie sich die Rolle Deutschlands künftig darstellt. Wir werden auch über die Zukunft des Einsatzes deutscher Soldaten in Mazedonien eine Entscheidung treffen. Eine meiner schwierigsten Aufgaben als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion war - viele erinnern sich noch an die entsprechenden Debatten -, eine einheitliche Beschlussfassung zu Mazedonien zu erreichen. Damit waren bittere Stunden verbunden. Diese Beschlussfassung war nicht nur in der SPD-, sondern auch in der FDP- und in der CDU/CSU-Fraktion heftig umstritten. Wenn man ein Fazit im Hinblick auf den Mazedonien-Einsatz zieht, dann muss man sagen: Es steht außer Frage, dass der Einsatz in Mazedonien ein Erfolgsmodell gewesen ist. Die Bedenken, die viele hatten, haben sich im Nachhinein als völlig unberechtigt erwiesen. Ich bin jetzt sehr froh darüber - ich denke, das Parlament wird der entsprechenden Vorlage am Donnerstag, also morgen, zustimmen -, dass die Europäische Union die Führung der internationalen Schutztruppe in Mazedonien übernimmt; denn es entspricht einer neuen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Verantwortung von der NATO zu übernehmen. Diese Verantwortungsübernahme ist ein Beweis für die Leistungsfähigkeit der Europäischen Union. ({2}) Darauf können wir, auch als Bürger eines wichtigen Staates in Europa, stolz sein. Ich will etwas zu dem Thema Standortschließungen sagen. Herr Kollege Austermann hat es angesprochen. Das, was er dazu gesagt hat, ist aus der Sicht SchleswigHolsteins - ich erinnere an die Debatten über das Marinefliegergeschwader 2 - vielleicht verständlich. Ich will den Hintergrund der Entscheidungen, die ich vom Generalinspekteur der Bundeswehr erbitte, erläutern. Es ist völlig klar, dass wir die Reform der Bundeswehr vorantreiben müssen. Wir müssen Stückzahlen weiterhin senken, wie wir es bei bestimmten Beschaffungsvorhaben getan haben. Die Reduzierung der Stückzahlen und die damit verbundenen Maßnahmen werden sich für meine Nachfolgerin oder meinen Nachfolger - ich vermute nicht, dass ich im Jahr 2010 oder 2012 noch Bundesminister der Verteidigung sein werde; man weiß es aber nicht ({3}) aber nicht finanziell auswirken. Wir müssen aber auch noch weitere Maßnahmen ergreifen. Wir wollen uns so schnell wie möglich von veraltetem und wartungs- und kostenintensivem Material trennen. Wir konzentrieren uns bei der Beschaffung auf das Material, das die Bundeswehr für den Einsatz heute und auch morgen braucht. Wir verfolgen multinationale Kooperationslösungen. Wir vermeiden unnötige Redundanzen und gestalten den Betrieb effizient. Das ist Grundlage für die Weisung des Generalinspekteurs, die bekanntlich ergangen ist. Das Heer wird eine ausgewogene Struktur mit in sich lebensfähigen und zu flexibler Truppeneinteilung befähigten Großverbänden entwickeln und realisieren, alles unter der Überschrift: Die Bundeswehr im Einsatz. Ich glaube nicht, dass wir darüber politischen Streit haben werden. Wir wollen zum Beispiel die Durchhaltefähigkeit von Fernmeldepionieren und ABC-Abwehrkräften verbessern. Vor allem die Soldaten sind es, die beim Wehrbeauftragten vorstellig werden. Von Christian Schmidt und auch von Günther Nolting ist die gestiegene Zahl von Eingaben beim Wehrbeauftragten angesprochen worden. Das hat natürlich auch etwas mit den Auslandseinsätzen zu tun. Wenn man mehr Auslandseinsätze durchführt, braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass es Soldaten gibt, die sich dadurch beschwert fühlen und das auch vortragen. Ich nehme das alles sehr ernst. Herr Nolting, Sie haben einige Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel zur Besoldungsanpassung Ost/West. Die Besoldungsanpassung Ost/West würde ich gern machen. Sie scheitert nicht an der Bundesregierung. Sie wissen, dass wir sie bis zum Jahr 2007 realisiert haben wollen. Es scheitert an den Ländern und an den Gemeinden in den neuen Ländern, weil sie das Geld nicht erwirtschaften können. Womit sollen sie das bezahlen? Was das Heer angeht, so werden wir auf das zweite Los „Tiger“, also 30 Hubschrauber, verzichten. Damit werden wir im Zeitraum von 2008 bis 2013 zusätzliche Mittel in Höhe von rund 700 Millionen Euro für Rüstungsinvestitionen freischaufeln. Die Luftwaffe wird ihre Flugabwehrraketenverbände „Hawk“ und „Roland“ außer Dienst stellen. Es ist klar, an welchen Standorten das sein könnte. Nachdem diese Weisung, mit meiner Zustimmung, ergangen war, hat es in den entsprechenden Standorten sofort Aufregung gegeben. Ich kann das nachvollziehen. Dazu muss ich Ihnen aber deutlich sagen, meine Damen und Herren: Man kann nicht einerseits vom Bundesminister der Verteidigung erwarten, dass er seine Aufgaben mit einem bestimmten Finanzrahmen erfüllt - diesen Finanzrahmen akzeptiere ich; ich bin mit dem Finanzminister gut befreundet; wir bekommen das auch einigermaßen hin; natürlich hätte ich gern ein bisschen mehr, aber er hat ja nichts -, und auf der anderen Seite von ihm verlangen, an Waffensystemen oder Standorten festzuhalten, obwohl sie nicht mehr in sein Konzept zum Betrieb der Bundeswehr passen. Das - diese Bemerkung muss erlaubt sein - passt nicht zusammen! ({4}) Wir werden die Situation an jedem einzelnen Standort noch einmal ausführlich diskutieren. Wir haben 304 Tornados. Inhalt der Weisung ist, 80 bis 90 Tornados - ich habe gestern zum ersten Mal öffentlich gesagt, dass es auch 100 sein können - außer Betrieb zu nehmen. Dadurch wird die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland überhaupt nicht beeinträchtigt. Wir sparen aber eine Menge Betriebskosten. Wir können umstrukturieren. Auch das wird natürlich zu Debatten führen. Es wird die Frage gestellt werden: Sind auch die 46 Marineflieger-Tornados aus Eggebek dabei? Um auch hier öffentlich etwas zu Schleswig-Holstein zu sagen, Herr Kollege Austermann: Der 28. März ist nicht das Fallbeildatum. Der 28. März ist das Datum, zu dem mir der Generalinspekteur den Vorschlag der Inspekteure der Teilstreitkräfte vorlegen soll. Ich bewerte ihn dann. Es ist eine politische Entscheidung zu treffen. Weil es massive Maßnahmen in der Region gibt - ich weiß von ihnen und sie beeindrucken mich auch -, wollte ich klarstellen: Das ist nicht der Tag der Entscheidung. ({5}) Bis zur Entscheidung wird es noch etwas länger dauern. Meine Damen und Herren, ich will Ihre Geduld nicht überstrapazieren, ({6}) aber ich will noch etwas zu den gestellten Fragen sagen. Zu Strategic Airlift ist, glaube ich, von Christian Schmidt gefragt worden. Das heißt, wir wollen Großraum-Lufttransportkapazität schaffen, bis der erste A400M bei uns steht. Sie wissen, dass wir uns in Prag verpflichtet haben, dafür die Federführung zu übernehmen. Es hat verschiedene Gespräche mit den anderen neun Staaten gegeben, die sich an diesem Projekt beteiligen wollen. Es hat Berechnungen gegeben. Das Ergebnis ist - darüber werden wir noch verhandeln und auf einer Verteidigungsministerkonferenz voraussichtlich im Juni entscheiden -, dass es auf ein Mixmodell zwischen Kaufen und Leasen wahrscheinlich von Antonow-Großraumflugzeugen hinausläuft, die in Konkurrenz zu den großen Boeings, den Galaxys, die Sie ja alle kennen, stehen. Aber wenn man die Daten zur Kenntnis nimmt, die uns bisher vorgelegt worden sind, dann muss man sagen, dass das Angebot, das wir da bekommen haben, in wirtschaftlicher Hinsicht das realistischste ist. Nun erheben die amerikanischen Freunde verständlicherweise einige Einwände. Wir sind aber bei dem Strategic Airlift, auf einem guten Weg. Dann ist angesprochen worden, wie weit ich mit dem Kollegen Otto Schily bin, was den Einsatz der Bundeswehr in bestimmten Situationen angeht. ({7}) Der Kollege Otto Schily hat in der Arbeitsgruppe, die wir eingerichtet haben, jetzt ein so genanntes Luftpolizeigesetz vorgelegt. Es geht um den Frankfurter Fall, den wir alle kennen. ({8}) Ich glaube, es ist klar, dass ein Eingriff jedenfalls bei einem solchen Fall nur mit einer klaren gesetzlichen Kompetenz für die Luftwaffe erfolgen kann. ({9}) Ob das Luftpolizeigesetz reicht oder ob man nicht vielleicht, wie die Verteidigungspolitiker der SPD-Fraktion dargelegt haben, auch noch andere Fälle im Kopf haben muss, zum Beispiel Gefährdungen unseres Landes terroristischer Art über Wasser, bei denen vielleicht nur die Marine helfen kann, werden wir klären. Aber die Antwort auf die Frage ist: Wir werden in Kürze innerhalb der Bundesregierung dazu eine abschließende Entscheidung herbeiführen und diese dann den Koalitionsfraktionen und den zuständigen Ausschüssen vorlegen. Mit Blick auf den bevorstehenden Irakkrieg will ich noch etwas zur Situation unserer Soldaten in Kuwait sagen. Das deutsche ABC-Abwehrkontingent besteht zurzeit aus knapp 100 Soldaten. Sie werden dort bleiben, und zwar ausschließlich im Rahmen des Mandates, das ihnen der Bundestag gegeben hat. Im Falle eines terroristischen Anschlages gegen die im Camp Doha stationierten US-Streitkräfte oder gegen die Zivilbevölkerung des Landes werden sie humanitäre Hilfe leisten. Die deutschen ABC-Abwehrkräfte werden auch im Falle eines Krieges gegen den Irak mit unverändertem Auftrag dort verbleiben. ({10}) Die Abkürzung für das ABC-Abwehrkontingent - ich musste als Verteidigungsminister auch erst einmal lernen, dass man viel in Abkürzungen denken muss - ist Combined Joint Task Force Consequence Management, was nichts anderes heißt, als dass deutsche, amerikanische und tschechische ABC-Abwehrkräfte in dieser Task Force zusammengefasst sind. Die Amerikaner haben ihre Abwehrkräfte teilweise abgezogen. Die Tschechen haben uns mitgeteilt, dass auch sie ihre Abwehrkräfte abziehen werden, wenn die Situation im Irak entsprechend ist. Wir erwarten also, dass die amerikanischen und tschechischen Einheiten vollständig verlegt werden. Vor diesem Hintergrund gilt es, den Eigenschutz, die Durchhaltefähigkeit und die Fähigkeit zur Eigendekontamination des in Kuwait verbleibenden deutschen Kontingents zu verbessern. Das heißt - um das dem Parlament konkret mitzuteilen -, dass wir dieses Kontingent so schnell wie möglich durch in Deutschland bereitgehaltene Kräfte - der Bereitstellungsbefehl ist gestern ergangen - auf etwa 200 bis 250 Mann verstärken. Das ist zur Erfüllung der Aufgabe und zum Schutz der deutschen Soldaten in Kuwait erforderlich. Das ist unsere Verantwortung, meine Damen und Herren, und wir werden sie im Interesse der Soldaten in Kuwait wahrnehmen. ({11}) Zuletzt ein kurzes Wort zum Thema Wehrverfassung. Ich weiß, dass es zwei Fraktionen in diesem Hause gibt, die die Auffassung vertreten, eine Berufsarmee könne die Aufgaben, die auf uns zukommen, besser bewältigen als die jetzige Wehrpflichtarmee. Sie wissen, ich als Bundesminister der Verteidigung vertrete eine andere Auffassung. Ich - genauso wie die Sicherheitspolitiker meiner Fraktion - bin aus verschiedenen Gründen für die Beibehaltung der Wehrpflicht. ({12}) Was ich aber nicht bestreiten will, ist der Umstand, dass man, wenn man die Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz macht, natürlich auch zu berücksichtigen hat, in welcher Weise der Wehrdienst dann ausgestaltet werden muss. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass diejenigen, die uns beraten, die Mitarbeiter meines Hauses, aber auch Berater von außerhalb, darüber nachdenken sollen, wie lange der Wehrdienst dauern soll und welche Aufgaben zu erfüllen sein werden. Ich schließe also ausdrücklich nicht aus, dass ich den Koalitionsfraktionen - wenn es geht, noch vor der Sommerpause, wenn nicht, dann danach - einen Vorschlag über die Ausgestaltung und über die Dauer des Wehrdienstes unterbreiten werde. Wenn der Vorschlag dazu führen sollte, Herr Kollege Schmidt, dass man das Gesetz über die Wehrpflicht ändern muss, werde ich die Koalitionsfraktionen darum bitten, das möglichst bald auf den Weg zu bringen. Denn wenn man zum Beispiel weniger als neun Monate Wehrpflicht festlegt, braucht die Bundeswehr eine gewisse Zeit, um das umzustellen. Insbesondere im Heer ist die Umstellung groß, wenn die Wehrpflicht um einige Monate gekürzt wird. In dieser Frage brauchen wir möglichst bald eine Entscheidung des Parlaments. Es ist sehr wichtig, wenn ich zum Schluss noch einmal betone: Ich bedanke mich sehr dafür, dass wir in den grundsätzlichen politischen Fragen, was die Aufgaben und auch die Fähigkeiten der Bundeswehr angeht, in diesem Hause einen breiten Konsens haben. Das ist im Sinne unserer Soldatinnen und Soldaten gut und sollte auch so bleiben. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Alex Bonde, Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zum Anfang meiner Rede kurz einen Zuhörer begrüßen. Ein herzliches Willkommen an den ehemaligen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Helmut Wieczorek. Schön, dass Sie uns auch zu später Stunde die Treue halten. ({0}) Rot-Grün hat hinsichtlich des Plafonds des Verteidigungsministeriums Wort gehalten. Der Plafond ist bei 24,4 Milliarden Euro stabil. Dennoch haben wir auch in diesem Bereich einen notwendigen Konsolidierungsbeitrag in Höhe von 94 Millionen Euro geleistet. Damit schaffen wir eine verlässliche Basis für weitere Reformen und für die Modernisierung der Bundeswehr. Die Opposition hat auch in diesem Feld durch Aufwuchswünsche auf Pump in Höhe von einer halben Milliarde Euro hier und von über 1 Milliarde Euro im Verteidigungsausschuss auf sich aufmerksam gemacht; nicht durch einen seriösen Umgang mit Finanzen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich heute, an einem Tag, an dem Befürchtungen und Meldungen die ganze Problematik des Einsatzes von Militär deutlich machen, meine Schwierigkeiten habe, hier nur auf einer Zahlenebene das Militär zu diskutieren. Ich finde dies auch schwierig in einer Situation, in der wir sehr deutlich sehen, welche unheilvollen Reize von militärischen Mitteln ausgehen können und wie hoch der Reiz des Einsatzes militärischer Mittel sein kann und das, obwohl zivile, friedliche Mittel zur Problemlösung noch nicht ausgeschöpft sind. In der Debatte heute Morgen hier im Plenum habe ich sehr unterschiedliche Kulturen im Umgang mit Militär erlebt. Ich muss sagen: Herrn Glos und Frau Merkel zuzuhören ist schon sehr beklemmend. ({1}) - Nein, es ist kein Genuss, Herr Schmidt. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Nach den Argumenten von heute Morgen - wenn Sie das jetzt noch bestätigen, macht mich das noch ein Stück weit bedrückter - hatte man zum Teil schon die Sorge, dass es auch hier im Hause Menschen gibt, die heute weniger gern über den Haushalt unserer Soldaten und stattdessen lieber über Marschbefehle für unsere Soldaten reden wollen. Herr Austermann, da Sie eben Außenminister Fischer zitiert haben, muss ich Ihnen sagen: Mir wäre viel wohler, wenn die Opposition in den letzten Wochen und Monaten sehr viel häufiger auf Fischer gehört hätte. Sie wäre dann jetzt nicht in der Situation, hier rumeiern zu müssen und nichts darüber sagen zu können, was denn eigentlich ihre Position zum amerikanischen Ultimatum ist. Sie wäre auch nicht in der Situation, hier - wenn sie aufrichtig wäre - zugeben zu müssen, dass sie mit ihrer Position den Kriegseinsatz, der heute, morgen oder in den nächsten Tagen stattfinden kann, legitimiert. Wenn Sie schon nicht auf Außenminister Fischer hören, dann hören Sie doch wenigstens auf Ihren Kollegen Gröhe, der in einem „Spiegel online“-Artikel von gestern, bezeichnenderweise mit der Überschrift „Müller rudert zurück, Merkel schlingert“, mit der Aussage zitiert wird, dass er die Unterstützung des Ultimatums durch die Fraktion nicht mittragen könne, da dies einen Militärschlag einschließt. Ich glaube, wir wissen damit, wer in dieser Frage auf welcher Seite steht. Da hilft Ihnen auch das Rumeiern und ein Beschönigen dieser Frage nichts. Ich finde es traurig, dass der jahrzehntelange Konsens in der Weltgemeinschaft bei der Frage des Einsatzes von Militär bedroht ist. Ich finde es auch sehr bedauerlich, dass dieser Konsens - trotz aller Beschönigungsreden - in diesem Hause offensichtlich nicht mehr existiert. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung. Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/668? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? ({0}) Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP abgelehnt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/669? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/670? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/ CSU und der FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/683? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 14 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Drucksachen 15/568, 15/572 Berichterstattung: Abgeordnete Brigitte Schulte ({1}) Antje Hermenau Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Über den Entschließungsantrag werden wir morgen nach der Schlussabstimmung abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Jochen Borchert, CDU/CSU-Fraktion. ({2})

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute einen Haushalt für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der finanziell eine völlig unzureichende Basis für die deutsche Entwicklungspolitik darstellt. ({0}) Daran ändert auch der Hinweis, der heute sicherlich wieder kommen wird, auf den Anstieg der ODA-Zahlen nichts, auch wenn dies immer als Erfolg der Regierungspolitik dargestellt wird. Der Anstieg um 11 Prozent seit 1998 ist fast ausschließlich auf den gestiegenen Schuldenerlass für Entwicklungsländer zurückzuführen. Trotz dieses Anstiegs werden Sie bei dieser mittelfristigen Finanzplanung auch bei einem noch höheren Schuldenerlass Ihr Ziel, bis zum Jahr 2006 0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungspolitik auszugeben, ganz sicher nicht erreichen. Die Notwendigkeit eines Schuldenerlasses für hoch verschuldete Entwicklungsländer möchte ich durchaus unterstreichen. Aber neben einem Schuldenerlass brauchen diese Länder vor allem eine weitere finanzielle Unterstützung. Der Vergleich der finanziellen Ausstattung des Einzelplans 23 von 1998 mit dem des Jahres 2003 wird von Ihnen verständlicherweise nicht so gern dargestellt. Der Einzelplan 23 für das Jahr 2003 hat nach Abschluss der Haushaltsberatungen ein Volumen von 3 768 000 000 Euro. Davon können vom BMZ 30 Millionen Euro nicht eingesetzt werden. Sie werden vielmehr vom AA, vom Auswärtigen Amt, bewirtschaftet. Das soll auch in den Jahren 2004 bis 2006 der Fall sein. Frau Ministerin, dies zeigt: Sie haben sich im Kabinett bei den Haushaltsberatungen nicht gegenüber Ihrem grünen Kollegen Fischer durchsetzen können. ({1}) Im nächsten Jahr, im Jahr 2004, sollen sogar weitere 50 Millionen Euro aus dem Einzelplan 23 durch das Auswärtige Amt bewirtschaftet werden. Diesmal sind sie für Südosteuropa vorgesehen. Frau Ministerin, bereinigt um diese 30 Millionen Euro, stehen Ihnen in diesem Jahr lediglich 3 738 000 000 Euro zur Verfügung. Im Vergleich zum Haushalt 1998, also zu dem im letzten Jahr vor dem Regierungswechsel - damals umfasste der Einzelplan 23 4 052 000 000 Euro -, stehen Ihnen in diesem Jahr 314 Millionen Euro bzw. knapp 8 Prozent weniger zur Verfügung. ({2}) Dies ist wahrlich kein Ruhmesblatt der rot-grünen Entwicklungspolitik. ({3}) Aber auch im Vergleich zum Haushalt 2002 ist die Bilanz negativ. Im vergangenen Jahr hatte der Einzelplan 23 ein Volumen von 3 699 000 000 Euro. Hinzu kamen 152 Millionen Euro aus dem Antiterrorprogramm und Mittel aus dem Einzelplan 60 für Afghanistan. Damit konnten Sie über insgesamt 3 851 000 000 Euro verfügen. Im Vergleich zum Jahr 2002 haben Sie in diesem Jahr 113 Millionen Euro bzw. knapp 3 Prozent weniger Mittel zur Verfügung. Während der Bundeshaushalt um rund 0,4 Prozent sinkt, sinkt der Einzelplan 23 um knapp 3 Prozent. Frau Ministerin, Sie und die Entwicklungspolitik sind die Verliererinnen der Haushaltsberatungen 2003. Die Debatte in diesen Tagen hat gezeigt: Der gescheiterte Versuch einer Haushaltskonsolidierung geht zulasten der Entwicklungshilfe. Die Haushaltskonsolidierung ist gescheitert; die schmerzhaften Einschnitte in die Entwicklungshilfe bleiben bestehen. Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Lesung des Haushaltes darauf hingewiesen, dass die Entwicklungspolitik weit mehr umfasst als die Maßnahmen des Einzelplans 23. Auch die Beiträge anderer Ressorts und anderer staatlicher Ebenen müssten berücksichtigt werden. Wenn man sich die Zusammenstellung der entwicklungspolitischen Ausgaben, die im Einzelplan 23 veröffentlicht worden sind, unter Zugrundelegung internationaler Richtlinien ansieht, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass wir uns gemeinsam fragen sollten, ob alle Mittel sinnvoll eingesetzt worden sind. Der Zusammenhang zwischen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit und den Ausgaben für humanitäre Hilfsmaßnahmen außerhalb der Entwicklungshilfe sowie den Ausgaben der Gemeinden gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz leuchtet sicherlich kaum jemandem ein. Bei dem Hinweis auf die Beiträge anderer Ressorts stellt sich aber auch die Frage, wie diese Maßnahmen koordiniert werden. Einer der zentralen Bereiche der Entwicklungspolitik ist die bilaterale technische Zusammenarbeit. Die Maßnahmen in diesem Bereich werden von der GTZ, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, durchgeführt. Die GTZ hat ihre Leistungsfähigkeit auch im internationalen Wettbewerb mit anderen Durchführungsorganisationen bewiesen. Welchen Sinn macht es da, dass 23 Millionen Euro der GTZ durch das Auswärtige Amt bewirtschaftet und in eigener Regie in Afghanistan eingesetzt werden? Das BMZ und das AA wollen die Maßnahmen durch monatliche Treffen eines Lenkungsausschusses koordinieren. Der Zugriff des AA auf die Mittel der TZ erfolgte nicht, um knappe Mittel möglichst effizient einzusetzen. Vielmehr ist auch dies die Auswirkung eines rot-grünen Streits innerhalb des Kabinetts um Einfluss auf die Entwicklungspolitik. Und in diesem Streit unterliegen Sie, Frau Ministerin, im Gegensatz zu all Ihren Ankündigungen. Das Auswärtige Amt macht Ihnen inzwischen sogar die Sprecherrolle bei der Geberkoordinierung streitig. Das war bisher ein herausragender Bestandteil des BMZ-Profils. Erhard Eppler muss sich grün ärgern, wenn er sieht, wie Sie sein Erbe aufs Spiel setzen und wie Sie hilflos nach Worten suchen, um Ihre Niederlage zu kaschieren. ({4}) Das Ergebnis der Verteilung der Mittel der Zusammenarbeit auf mehrere Etats ist in erster Linie ein Beschäftigungsprogramm in den Ministerien zulasten einer effizienten Entwicklungspolitik. Ich will dies am Beispiel eines anderen Ressorts ansprechen. Im Einzelplan 10, Bundesministerium für Verbraucherschutz, sind in diesem Jahr neu 10 Millionen Euro für die bilaterale Zusammenarbeit mit der FAO eingestellt worden. Das BMVEL will die Mittel unter anderem in Afghanistan einsetzen für den Aufbau staatlicher Strukturen zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung sowie zur Förderung von Organen der Zivilgesellschaft. Die Projektplanung will das BMVEL mit der FAO in enger Zusammenarbeit mit dem BMZ, der GTZ, dem AA und dem BMF vornehmen. Diese Abstimmung soll vorgenommen werden, um Kohärenz und Synergieeffekte der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeit sicherzustellen. Meine Damen und Herren, Kohärenz und Synergieeffekte wären sichergestellt, wenn diese Mittel und die Mittel der anderen Ressorts im Einzelplan 23 veranschlagt worden wären und durch die bewährten Instrumente der Entwicklungspolitik eingesetzt würden. Dann wären weder Lenkungsausschüsse noch Koordinierungsgespräche zwischen den Ministerien nötig. Hieran zeigt sich: Erfolgreiche Entwicklungspolitik ist nicht nur eine Frage des Inputs, des Umfangs der zur Verfügung stehenden Mittel, sondern auch eine Frage des Outputs, das heißt des effizienten Einsatzes im Rahmen einer konzeptionell überzeugenden Entwicklungspolitik. ({5}) Die Verlagerung der Mittel in andere Ressorts vergrößert die Probleme einer kohärenten Regierungspolitik und belastet die Glaubwürdigkeit der deutschen Entwicklungspolitik. Im Jahr 2002 wurde der Titel 687 05, Aktionsprogramm 2015, als deutscher Beitrag zur Armutsbekämpfung neu eingerichtet. Was verbirgt sich hinter diesem Titel? Hier wurden aus Gründen der Optik 40 Millionen Euro zusammengefasst und mit Deckungsvermerken wieder auf eine Vielzahl von Empfängern verteilt. Das BMZ weist darauf hin, dass die Erfahrungen positiv seien, da unter anderem der administrative Aufwand gering gehalten werde, weil keine zusätzlichen Projektbewilligungsverfahren eingeführt werden müssten. Ohne diesen Sammeltitel, bei einem Verzicht auf diese Optik, könnten die Mittel gleich für Kirchen, Stiftungen und andere Nichtregierungsorganisationen eingesetzt werden. Die Organisationen wüssten früher, wie viele Mittel ihnen zur Verfügung stehen, die Planung und Durchführung der Projekte würde erleichtert und der administrative Aufwand wäre für alle Beteiligten geringer. Dies wäre ein Beitrag zur immer wieder geforderten Stärkung der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit. ({6}) Aus der Sicht der Haushälter und auch aus der Sicht des Parlaments gehen die vielen Deckungsvermerke im Einzelplan 23 zulasten der Haushaltsklarheit. Auch nach Abschluss der Haushaltsberatungen bleibt aufgrund der vielen Deckungsvermerke offen, in welchem Bereich wie viele Mittel eingesetzt werden. Wenn die Politik der vergangenen Jahre, immer mehr Deckungsvermerke bei den einzelnen Haushaltstiteln anzubringen, fortgesetzt wird, werden wir in Kürze nur noch den Gesamtplafond für den Einzelplan 23 beschließen und es dann dem BMZ überlassen, wo die Mittel eingesetzt werden. Wenn wir das Haushaltsrecht des Parlaments ernst nehmen, dann kann diese Entwicklung weder im Interesse der Opposition noch im Interesse der Koalitionsfraktionen liegen. Der Haushaltsklarheit widerspricht es eben auch, dass in diesem Jahr 30 Millionen Euro im Einzelplan 23 ausgewiesen werden, die aber nicht dem BMZ, sondern dem Auswärtigen Amt zur Verfügung stehen. Insgesamt ist der Einzelplan 23 durch eine fehlende Gesamtkonzeption und eine Aufsplitterung der finanziellen Ressourcen auf verschiedene Ressorts geprägt. Der Einzelplan 23 wird in der vorliegenden Form den Herausforderungen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit weder konzeptionell noch finanziell gerecht. Deshalb lehnen wir den Einzelplan 23 ab. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Schulte, SPD-Fraktion.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Borchert, wir beide gehören zu den Abgeordneten - ich sehe unseren Ausschussvorsitzenden gerade nicht -, die schon lange in der Politik sind und deswegen auch Erinnerungen an Oppositions- und Regierungszeiten haben. Wir können uns daher sehr gut daran erinnern, dass der frühere Berichterstatter zum Einzelplan 23 - das waren Sie nämlich früher schon einmal - sehr viel Wünschbares vorschlug, aber bei der Regierung von Helmut Kohl leider nicht durchsetzen konnte. Ich war nun auch ein paar Jahre lang nicht ordentliches Mitglied des Haushaltsausschusses des Bundestages. Gleichwohl stelle ich heute fest, dass es die Bundesregierung zu Beginn der 90er-Jahre versäumte, die wohlgeordneten Finanzverhältnisse unter Herrn Kollegen Stoltenberg - er war der letzte Finanzminister, der den Haushalt halbwegs im Griff hatte - beizubehalten. In den 90er-Jahren ging die Struktur des Bundeshaushaltes völlig aus dem Leim, weil großzügig Geschenke an alle Welt gemacht worden sind. Deshalb haben wir heute das Problem, dass wir manches Wünschbare leider nicht bezahlen können. Mir macht es wirklich Spaß, die Welt einmal nicht nur aus der nationalen Sicht eines Regierungsmitglieds, eines Mitglieds einer Regierungspartei oder einer Oppositionspolitikerin, sondern im internationalen Kontext zu betrachten, weil man dann lernt, dass die Perspektiven andere sind. Allerdings hätte ich mir gewünscht, meine Damen und Herren, dass wir den Haushalt heute in einer anderen Situation beraten könnten. Ich weiß nicht, ob es Ihnen genauso geht. In den vielen Jahren meiner politischen Arbeit habe ich zwei besonders schreckliche Situationen erlebt: Ich meine die entsetzliche Erfahrung des Auseinanderbrechens Jugoslawiens, die damit verbundenen Bürgerkriege und schließlich das militärische Eingreifen bis hin zu Kampfeinsätzen, an denen auch die Bundeswehr im Jahre 1999 beteiligt war. Ich kann mich recht gut daran erinnern, wie viel Gewalt und Zerstörung ich bei den vielen Besuchen gesehen habe, die ich als Vorsitzende des Ausschusses für zivile Angelegenheiten der NATO-Parlamentarier ab 1995 auf dem Balkan und in Bosnien-Herzegowina gemacht habe. ({0}) Das Positive war, dass in den letzten Jahren durch zivile Hilfsorganisationen, durch internationale Organisationen und durch den bedeutenden Einsatz militärischer Kräfte einiges wieder aufgebaut worden ist. Es ist für mich schwierig, an dem Abend vor einer zweiten militärischen Eskalation um den Irak - über die auf uns zukommenden Ausmaße wissen wir relativ wenig - über die Erfolge deutscher Entwicklungspolitik zu sprechen. Frau Bundesministerin, liebe Heidemarie WieczorekZeul, ich bin völlig anderer Meinung als der Kollege Borchert. ({1}) Ich finde, Sie, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium, die Abgeordneten im Fachausschuss sowie die Außenpolitiker, Wirtschaftspolitiker und Haushaltspolitiker - das sind nicht zuletzt die Kolleginnen und Kollegen, die ich hier sehe und die an dieser Debatte teilnehmen - das UN-Ziel, die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren, mit viel Schwung und Engagement angegangen. Wenn der Finanzminister noch mehr Geld zur Verfügung gestellt hätte, dann wären wir schon ein Stück weiter. ({2}) Überlegen Sie einmal, was der militärische Einsatz im Irak kostet. Was könnte man mit dem Geld alles tun? Wie viele Waffen würden nicht eingesetzt? Wie viele Menschen, Soldaten und Zivilisten würden nicht ums Leben kommen? Wie viel Infrastruktur - die anschließend mit Beträgen in Milliardenhöhe wieder aufgebaut wird - würde nicht zerstört werden? Wie viele natürliche Lebensgrundlagen würden bewahrt bleiben? Dabei haben die Teilnehmer der 55. UN-Generalversammlung in ihrer Millenniumserklärung beschlossen, dass der Anteil der Bevölkerung, deren Einkommen weniger als 1 Dollar pro Tag beträgt, und der Anteil der Menschen, die Hunger leiden, halbiert werden solle. Sie hatten sich vorgenommen - die Bundesregierung und Heidemarie Wieczorek-Zeul waren dabei besonders beteiligt -, dass endlich möglichst vielen Leuten auf der Erde hygienisches Trinkwasser zur Verfügung stehen solle. Außerdem - das scheint mir persönlich das Wichtigste zu sein - sollten Jungen und Mädchen gleichberechtigten Zugang zu allen Bildungsgängen erhalten. ({3}) Diese Aufgaben zu lösen ist ein Wettlauf gegen die Zeit, an dem sich sehr viele engagierte Menschen auf der Welt beteiligen müssen. Ich bin mir sicher, dass Sie dabei auf meiner Seite sind. In diesem Punkt stehen wir alle beieinander. Eine hat in den letzten vier Jahren mit aller Kraft, mit ihrer Durchsetzungsfähigkeit, mit ihrer Zähigkeit und Brigitte Schulte ({4}) mit ihrem Namen viel geleistet. Frau Bundesministerin, ich finde, Sie haben der deutschen Entwicklungspolitik wieder einen Namen und ein Gesicht gegeben. Das sollte man in aller Deutlichkeit anerkennen. ({5}) Deshalb wollen die Mitglieder des Haushaltsausschusses und die Berichterstatter - Kollege Borchert bringt das in seinen Anträgen zum Ausdruck - helfen, damit die gesetzten Ziele von Deutschland realisiert werden können. Nicht alle Felder der nationalen und internationalen Politik haben für den Bürger nachvollziehbare Ziele. Anders ist das auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Im Jahr 2002 betrug die Weltbevölkerung 6,211 Milliarden Menschen. Davon lebten - man kann es auch den Bürgern in Deutschland nicht oft genug sagen - nicht einmal 1,2 Milliarden Menschen in den stärker entwickelten Regionen der Welt, also beispielsweise bei uns, im westeuropäischen und nordamerikanischen Teil der Welt, über 5 Milliarden lebten in weniger entwickelten Regionen und 700 Millionen in den ärmsten Ländern der Erde. Nur jemand, der an seiner eigenen Zukunft in Deutschland und der seiner Angehörigen nicht interessiert ist, der kann darüber hinwegsehen, wie die Lage bei unseren Nachbarn im südlichen und östlichen Mittelmeerraum bereits aussieht. Ich möchte Sie ein bisschen nachdenklich machen: Marokko hat heute schon eine Bevölkerung von 31 Millionen. Nach den Prognosen der UN wird sie bis 2050 auf über 50 Millionen anwachsen. Algerien hat 31 Millionen Einwohner. Ich kann mich noch an die Zahlen erinnern, die wir in der Schule gelernt haben; da lag deren Einwohnerzahl bei weit unter 20 Millionen. Sie wird bis 2050 auf 51 Millionen Menschen anwachsen. Ägypten liegt bei 70 Millionen Einwohnern. Als ich das Land vor zehn Jahren privat besucht habe, waren es 60 Millionen Einwohner. Ich empfand es schon damals als hoffnungslos übervölkert. Die Bevölkerungszahl Ägyptens wird bis 2050 auf 114 Millionen anwachsen. Die Einwohnerzahl von Palästina wird demnach von 3,4 Millionen auf 11,8 Millionen wachsen. Israel wächst von 6 Millionen auf 10 Millionen Einwohner. Der arabische Anteil der Bevölkerung ist daran ganz erheblich. Ich meine nicht die besetzten Gebiete; die habe ich Palästina zugerechnet. Der Irak, über den wir zurzeit häufig reden, hat eine Bevölkerung von 24 Millionen Einwohnern. ({6}) Sie wird bis 2050 auf 53,6 Millionen ansteigen. Die Bevölkerung Jordaniens wird sich von 5 Millionen Menschen auf 10 Millionen verdoppeln, die von Syrien von 17 Millionen Menschen auf 36 Millionen. Die Türkei, deren Zukunft uns besonders wichtig sein muss, hat heute 69 Millionen Einwohner - denken Sie an die Zahlen, die Sie in der Schule gelernt haben - und wird im Jahr 2050 auf etwa 100 Millionen Einwohner kommen. Die Bevölkerung im Iran - es kann uns nicht gleichgültig sein, wie es bei der Nachbarnation des Iraks aussieht wird von heute 72 Millionen Menschen auf 121 Millionen Menschen im Jahr 2050 anwachsen. In Afghanistan - dort leisten deutsche Soldaten im Moment einen schweren Dienst - leben heute 23 Millionen Einwohner, nach den Prognosen der UN sollen es im Jahr 2050 72 Millionen sein. Wir alle können uns vorstellen, welche Konflikte die Staaten untereinander um genügend sauberes Trinkwasser und ausreichend Nahrungsmittel aushalten und austragen müssten, wenn sie keine tatkräftige Hilfe - nicht nur Almosen - von ihren nördlichen Nachbarn erhalten würden. ({7}) Was für eine Herausforderung angesichts der Zahlen, die ich genannt habe! Die Milleniumserklärung zur Bekämpfung der Armut ist also keine Lyrik, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Bevölkerungen der von mir erwähnten Staaten - ich könnte noch mehr nennen mehrheitlich aus Analphabeten bestehen, von denen die Hälfte jünger als 20 Jahre ist. Dort können weder die meisten Jungen, geschweige denn die Mädchen auf einen Zugang zu Bildung hoffen. Um die Lage der Frauen in den von mir nur beispielhaft aufgrund ihrer Nähe zur EU genannten Staaten - ich sage immer, die Menschen könnten von dort fast zu Fuß, zumindest aber mit dem Schlauchboot kommen - darf sich der Deutsche Bundestag nicht nur im Entwicklungshilfeausschuss kümmern und nicht nur dann, wenn wir den Haushalt beraten. Er muss die Ministerin und die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Eid, die sich bereits darum kümmern, stärker als bisher unterstützen. ({8}) Über den Haushalt, den wir später verabschieden werden, kann ich nur sagen: Es stimmt, auch ich wünschte mir natürlich, er wäre höher. Den höchsten Anteil am Gesamthaushalt hat dieser Einzelplan 1982 unter der Regierung von Helmut Schmidt gehabt. Später haben Sie es versäumt, ihn auf die gewünschten Anteile zu bringen, und auch heute würde ich den Anteil gerne erhöhen. Deswegen haben wir auch kein Verständnis gehabt - das sage ich an die Haushälter, die in der vorangegangenen Legislaturperiode zuständig waren -, dass Sie ihn im Jahre 2000 mithilfe des Finanzministeriums um 8,5 Prozent gekürzt haben. Das ist angesichts der Zahlen, die ich Ihnen genannt habe, kontraproduktiv. Herr Kollege Borchert, auch wenn Sie heute nicht nett geredet haben - ich weiß, dass Sie das besser können -, muss ich Ihnen sagen: Ich hätte Ihnen bei der Forderung nach einer Anhebung der Verpflichtungsermächtigung gerne zugestimmt. Aber der Finanzminister hat keine Deckung gefunden. Wir könnten den Kollegen Diller bitten, dass er für den nächsten Haushalt auf jeden Fall einen entsprechenden Deckungsvorschlag vorbereiten soll. Brigitte Schulte ({9}) Zur FDP: Hat sich mein Kollege Jürgen Koppelin vorsichtshalber verflüchtigt? ({10}) Ich glaube, Ihr Vorschlag, das Ministerium aufzulösen und die Aufgaben in das Auswärtige Amt einzugliedern, ist angesichts der vor uns liegenden Aufgaben ein verspäteter Karnevalsscherz. ({11}) Die Bundesrepublik Deutschland hat erfolgreich darum gekämpft, dass Einrichtungen der UN nach Bonn kommen. Es sind schon einige dort, es könnten aber ruhig noch mehr werden. Das würden sie auch wollen. Besonders erfreulich ist, dass das United Nations Development Programme dabei ist und dass dessen Mitarbeiter nicht mehr nur am East River sitzen, sondern inzwischen auch am Rhein arbeiten. Wie ich festgestellt habe, fühlen sie sich dort auch wohl. Notwendig wäre es - ich hoffe auf Ihre Unterstützung -, dass wir die Mittel im nächsten Jahr und in den Jahren kräftig aufstocken, um gerade diese Programme zu fördern. Auch mir gefällt es nicht, dass viele Aufgaben, die im Einzelplan 23 gut aufgehoben sind, aufgeteilt werden auf verschiedene Einzelpläne. Wir haben deswegen den Auftrag an den Rechnungshof gegeben, zu überprüfen, ob diese Aufgaben nicht im Einzelplan 23 konzentriert werden müssten. Wer in der Weltliga mitspielen will - das wollen wir -, ({12}) der muss im eigenen Interesse mehr für die Entwicklungsarbeit tun, der muss Krankheiten und Analphabetentum, Armut, Familienplanung und Sexualaufklärung zu seinen Aufgaben machen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, auch wenn es mir schwer fällt, muss ich Sie an die Überschreitung der Redezeit erinnern.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig, Herr Präsident. Die anderen haben auch überzogen. Meine Damen und Herren, wir haben hervorragende Leute bei der UN - in Bonn und in New York. Wir haben aber auch hervorragende Mitarbeiter in unseren internationalen und nationalen Organisationen. Es würde sich lohnen, all diese hier einmal zu erwähnen. In der Kürze der Zeit kann ich das leider nicht. Herr Präsident, Sie gestatten, dass ich noch zwei letzte Zahlen nenne: Ich finde, es stünde der Bundesrepublik gut an, wenn sie die Zahl der jungen Akademiker, die sich auf Einladung der Bundesrepublik Deutschland - dies wurde mit Mitteln aus dem Haushalt finanziert nach ihrem Studium hier in Deutschland weiter qualifiziert haben - sie belief sich im letzten Jahr auf 1 395 -, und die Zahl der Fach- und Führungskräfte, die wir im letzten Jahr nach Deutschland geholt haben - es waren 6 446 -, in den nächsten Jahren erhöhen würde. Noch besser wäre es, wenn die deutschen Unternehmen im Ausland diese, nachdem sie in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, auch beschäftigen würden. Investitionen in Menschen zahlen sich für die Menschen vielfach aus. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, kämpfen wir gemeinsam weiter für eine Erhöhung dieses Haushalts! Ich danke Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Markus Löning, FDPFraktion.

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, Sie haben unseren Antrag zur Fusion von BMZ und AA als Karnevalsscherz bezeichnet. ({0}) - Lieber Herr Ströbele, dann müssten Sie Ihren geschätzten Herrn Außenminister eigentlich als Faschingsprinz bezeichnen; denn auch er wollte ja die Integration des BMZ in das AA. ({1}) Das war schon damals ein vernünftiger Vorschlag von ihm und daran hat sich - der Antrag liegt vor - nichts geändert. Kollege Borchert hat es dargestellt: Der Einzelplan wird zerfleddert und aus anderen Häusern dirigiert. Ein Großteil der Entwicklungshilfe - unter finanziellen Aspekten - findet in anderen Häusern statt. Noch sehr viel entscheidender aber ist: Zum Beispiel aus Afghanistan hören wir von Reibungsverlusten, die dadurch entstehen, dass die Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ nicht funktioniert. Geld, Effizienz und Einsatz gehen hier verloren. Wir setzen uns mit unserem Entschließungsantrag dafür ein, dass diese Effizienz wieder hergestellt und im Sinne der Entwicklungshilfe, zum Beispiel bei der Minenräumung und anderen sinnvollen Projekten - anstatt bei der Verwaltung -, genutzt wird. Frau Ministerin, ich habe gerüchteweise gehört, dass Sie unserem Entschließungsantrag nicht folgen wollen. Trotzdem möchte ich auf einige Strukturvorschläge für Ihr Haus eingehen, die Sie in letzter Zeit vorgebracht haben. Man hört das eine oder andere. Teilweise ist es begrüßenswert, teilweise aber auch nicht. Auf einen Punkt will ich hier besonders eingehen: Sie haben sich entschlossen, einen größeren Teil Ihres Hauses nach Berlin zu verlegen. Das begrüße ich ausdrücklich. Diesen Vorschlag finde ich sehr vernünftig. Leider konnten Sie sich nicht dazu durchringen, Ihr ganzes Haus hierher zu verlegen und ins AA zu integrieren. ({2}) - Ich kann und darf hier doch wohl Wünsche äußern, Frau Kollegin. Ich hoffe, das ist durchaus auch in Ihrem Sinne.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Herr Kollege, wir sollten der Bundesregierung aber in der Tat nicht vorwerfen, dass sie sich an geltende Gesetze hält. ({0})

Markus Löning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003583, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut, trotzdem möchte ich hier noch einmal den Wunsch äußern: Ich glaube allen Ernstes, dass es der Entwicklungspolitik gut täte, wenn wir die Kompetenz in diesem Bereich in Berlin - wo sich die ausländischen Gesprächspartner befinden und wo sich auch die entsprechenden Institutionen gruppieren - konzentrieren. Ich glaube, das würde der Entwicklungspolitik schlussendlich größere Durchschlagskraft und Effizienz verschaffen. Lassen Sie mich noch zu einem anderen Thema kommen, nämlich zu den Entschuldungsstrategien. Frau Ministerin, Sie tragen Ihr Engagement auf diesem Gebiet immer mit einem großen Stolz vor sich her. Den Weg, den die Bundesregierung hier geht, teile ich - wenn auch mit Abstrichen. In der letzten Woche aber mussten wir im Ausschuss in Sachen Bolivien einiges zur Kenntnis nehmen, das mich bezogen auf die Entschuldungsstrategien schon sehr nachdenklich gemacht hat. Bolivien hat vor knapp zwei Jahren seinen Completion Point erreicht und ist um 2 Milliarden US-Dollar entschuldet worden. Der deutsche Steuerzahler hat sich daran mit 380 Millionen Euro beteiligt. Die bolivianische Regierung bemüht sich nun darum - diese Situation muss man sich einmal vorstellen -, weitere 35 Millionen Euro als Budgethilfe zu erhalten, um auf dieser Basis einen nochmaligen Kredit in Höhe von 117 Millionen Euro zu bekommen. Das heißt, sie bemüht sich um einen Kredit von insgesamt 150 Millionen Euro, und zwar knapp anderthalb Jahre nach ihrer Entschuldung. Das ist ein ernstes Warnsignal. Ich habe in meiner Rede im Dezember des letzten Jahres an dieser Stelle auf ähnliche Probleme in Uganda hingewiesen. Auch aus Äthiopien kommen negative Signale. Dort scheint sich die Lage nicht so zu entwickeln, wie wir uns das wünschen. Wenn wir mit dem Geld der deutschen Steuerzahler entschulden, was die FDP - wie auch ich - im Prinzip richtig findet, können wir dann, wenn es schief geht, nicht einfach sagen: Die Kriterien waren vielleicht zu weich angelegt. Man muss sie ein wenig großzügiger auslegen. Möglicherweise haben wir nicht genügend entschuldet. Vielmehr muss man sehr kritisch nachfragen: Ist dies vielleicht nicht der richtige Weg gewesen? Haben wir an der einen oder anderen Stelle die Kriterien falsch ausgelegt? Haben wir zu wenig Druck ausgeübt und die Erwartungen an unseren Partner nicht deutlich genug gemacht? Ich glaube, diese Fragen muss man sich allen Ernstes stellen. ({0}) Ich möchte zum Schluss betonen, dass wir als FDP der Entschuldungsstrategie nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen. Aber ich habe oft den Eindruck - wir sehen die Diskussion über das internationale Insolvenzverfahren auf uns zukommen; zu diesem Thema wird in zwei Wochen eine Anhörung stattfinden -, dass es hier zwar sehr viel guten Willen gibt, aber mit zu wenig kaufmännischem und politischem Wissen vorgegangen wird, um überprüfen zu können, ob unsere Partner die gemachten Auflagen tatsächlich einhalten und ob wir diese Länder mit der Entschuldung in eine Lage versetzen, die besser ist als vorher. Ich habe an dieser Stelle meine Zweifel und möchte darauf hinweisen, dass wir das Thema Entschuldung weiter auf der Tagesordnung halten und kritisch begleiten werden. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun erteile ich dem Abgeordneten Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ruft schon sehr gemischte Gefühle hervor, am Vorabend eines Krieges über den Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu debattieren. ({0}) Es fällt schwer, eine Rede über die Fortschritte in der Entwicklungszusammenarbeit zu halten, die sich auch im Haushalt widerspiegeln, wenn man weiß, dass in wenigen Stunden die Bomben fallen, die das Elend nur noch größer machen. Es macht mich traurig und wütend, dass in den nächsten Tagen Milliarden für Krieg, Zerstörung und Tod ausgegeben werden, Geld, das dringend für einen ganz anderen Kampf benötigt wird, den Kampf gegen den Hunger. ({1}) Genaue Zahlen kann es jetzt natürlich noch nicht geben. Aber Schätzungen aller Experten gehen davon aus, dass allein in den nächsten beiden Wochen mehr Geld im Krieg verpulvert wird - im wahrsten Sinne des Wortes -, als alle Staaten dieser Welt in einem Jahr gemeinsam für die Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Dass sich die Bundesregierung mit allem Nachdruck für eine friedliche Lösung engagiert hat, ist allen Bürgerinnen und Bürgern bewusst. Im Rahmen einer entwicklungspolitischen Debatte möchte ich aber auch die Rolle der Entwicklungsländer in diesem Konflikt hervorheben. Besonders betonen möchte ich die Rolle der Entwicklungsländer im Weltsicherheitsrat, die Anerkennung und Respekt verdient, insbesondere die Haltung der afrikanischen Staaten. ({2}) - Natürlich, ebenso der lateinamerikanischen Staaten! Sie haben trotz massiven Drucks seitens der USA, der auch die Androhung der Streichung von Entwicklungshilfe beinhaltet haben soll, Rückgrat bewiesen und die deutsch-französischen Friedensvorschläge unterstützt. ({3}) Sie haben sich in dieser wichtigen Frage allen Unkenrufen zum Trotz als nicht käuflich erwiesen. Nach diesem Krieg wird nichts mehr so sein, wie es war - weder politisch noch wirtschaftlich. Der völkerrechtswidrige Präventivschlag gegen den Irak wird die Welt weiter entzweien, neue Konfliktherde schüren und den Glauben an Konfliktprävention und Friedenspolitik nachhaltig beeinträchtigen. Auch wird dieser Krieg über die Menschen im Irak unermessliches Leid bringen; nicht nur durch die Bomben, sondern auch durch die Unterbrechung der Nahrungsmittellieferungen und durch die Zerstörung der Infrastruktur, zum Beispiel der Wasserversorgung. Es ist Schlimmstes zu befürchten. Aber - auch wenn das paradox klingt - ich hoffe und bete, dass ich mit diesen Befürchtungen nicht Recht behalten werde, dass in letzter Sekunde noch ein Wunder geschieht bzw. dass der Krieg, wenn er nicht mehr verhindert werden kann, sehr schnell über die Bühne gehen wird. Wir müssen uns aber auch darauf einstellen, dass dieser Krieg die Not erheblich vergrößert und dass die internationale Gemeinschaft im Bereich der humanitären Hilfe und des Aufbaus großen Herausforderungen gegenüberstehen wird. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass die humanitäre Hilfe nicht instrumentalisiert wird, dass die Hilfsorganisationen freien Zugang haben und dass die Vereinten Nationen die humanitäre Hilfe nach wie vor koordinieren. Ich denke, in dieser Situation ist es auch für Deutschland sehr wichtig, die humanitäre Hilfe und den Aufbau unter dem Dach der Vereinten Nationen politisch, finanziell und mit Personal zu unterstützen. Das kann unter Umständen auch bedeuten, dass wir mit den Mitteln, die dafür im Haushalt eingestellt sind, nicht auskommen werden, und dass, zumindest was den Haushalt 2004 betrifft, sowohl im Einzelplan 23 als auch im Einzelplan 05 - ich meine den Bereich der humanitären Hilfe im Haushalt des Auswärtigen Amtes - nachgebessert werden muss. Vielleicht wird Sie das, was ich jetzt sage, wundern. Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die Kritik der Opposition in einem Punkt durchaus teile und unterstützen kann: Es wäre gut gewesen, sowohl im Einzelplan 23 als auch im Bereich der humanitären Hilfe des Auswärtigen Amtes insgesamt mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Auch mache ich keinen Hehl daraus, dass es uns Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikern von der SPD und vom Bündnis 90/Die Grünen nicht gelungen ist, den Einzelplan 23 von der globalen Minderausgabe auszunehmen und den Einzelplan 05 von 40 auf 53 Millionen Euro aufzustocken. Dennoch bin ich froh, dass das BMZ - zu diesem Ergebnis muss man kommen, wenn man die Budgets der verschiedenen Häuser miteinander vergleicht - noch recht glimpflich davongekommen ist und dass der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit unter dem Strich um 2 Prozent angehoben werden konnte. Das weist in die richtige Richtung. Auch die Schwerpunktsetzung ist richtig: mehr Geld für die Nichtregierungsorganisationen und die Kirchen, mehr für den zivilen Friedensdienst, mehr für die Nutzung der erneuerbaren Energien in den Entwicklungsländern und mehr für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit hier bei uns. Unter Letzteres fällt auch eine stärkere Förderung des FairTrade-Sektors mit einer neuen, pfiffigen und professionellen Öffentlichkeitsarbeit. Ich meine nicht, dass - wie dies von der CDU/CSU gemacht wird - die bilaterale gegen die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit ausgespielt werden sollte; denn beide Ebenen müssen sich ergänzen. Statt sich, trotz berechtigter Kritik an einigen multilateralen Organisationen, von der internationalen Ebene zurückzuziehen, wie Sie das empfehlen, sollte sich Deutschland auf dieser Ebene eher für Reformen einsetzen. Gerade im Hinblick auf die ernste Lage am Vorabend eines Krieges muss es darum gehen, die multilaterale Ebene und die internationale Zusammenarbeit zu stärken. Alles in allem kann sich der Einzelplan 23 sehen lassen. Er weist in die richtige Richtung. Aber - wie gesagt, hier gebe ich der Opposition Recht -: Es sind größere Anstrengungen - dies bedeutet: auch höhere Haushaltsansätze - nötig, damit wir im Jahre 2006 tatsächlich unser Etappenziel, 0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, erreichen. ({4}) Wenn ich den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU in diesem einen Punkt Recht gebe, dann möchte ich damit aber nicht sagen, dass ich Ihnen, wenn Sie an die Regierung gekommen wären, zugetraut hätte, dies auch umzusetzen. Ihre Haushälterinnen und Haushälter hätten Ihrem Finanzminister bei weitem weniger Geld für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt. Unter Kohl hatte die ODA-Quote einen historischen Tiefstand erreicht. Das wurde schon von Frau Kollegin Schulte gesagt. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass es in der Entwicklungspolitik nicht allein auf das Geld und den Haushalt ankommt. Seit 1998 verstehen wir Entwicklungspolitik auch als internationale Strukturpolitik, als Querschnittsaufgabe, als einen Beitrag für eine gerechte, soziale und ökologische Gestaltung der Globalisierung. Dazu wäre vieles zu sagen, was aber in der mir zur Verfügung stehenden Redezeit nicht unterzubringen ist. Exemplarisch möchte ich auf einen Antrag zu den laufenden WTO-Agrarverhandlungen hinweisen, der am letzten Donnerstag hier in diesem Haus von den Koalitionsfraktionen eingebracht wurde. Das ist ein Antrag, der auf mehr Kohärenz bezüglich der Agrar- und Entwicklungspolitik zielt, ein Antrag, der sich für den vollständigen Abbau der handelsverzerrenden Agrarexportsubventionen einsetzt und zugleich fordert, dass ein Teil der dadurch frei werdenden Mittel gezielt für die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt wird, insbesondere für den Aufbau der ländlichen Struktur und die Stärkung einer nachhaltigen Landwirtschaft. Auch so versteht die Koalition umfassende Entwicklungspolitik. Wenn wir auf diesem Weg weiter mutig vorangehen, dann bin ich optimistisch, dass wir einen nennenswerten, wertvollen Beitrag zur Verwirklichung der Millenniumsziele liefern werden, nämlich bis zum Jahr 2015 die Zahl der in Armut und Hunger lebenden Menschen zu halbieren. Ganz zum Schluss noch ein Wort zu dem Antrag der FDP: Rot und Grün lassen sich nicht auseinander dividieren. Sowohl das Auswärtige Amt als auch das BMZ haben ihre spezifischen wichtigen Aufgaben und ergänzen sich. Das ist auch gut so. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Hoppe, wir alle teilen Ihre Besorgnis über die aktuelle weltpolitische Lage. Ich respektiere auch die Selbstkritik, die Sie in Bezug auf die entwicklungspolitischen Anstrengungen und den BMZ-Etat hier zum Ausdruck gebracht haben. Man muss schon feststellen, dass der Kollege Borchert wie üblich Recht mit seiner Voraussage hatte, dass von Rot-Grün wieder wortreich der untaugliche Versuch unternommen wird, das Absenken der Entwicklungshilfe, das Zurückbleiben der entwicklungspolitischen Anstrengungen gegenüber Ihren eigenen Erwartungen und Ankündigungen zu kaschieren. ({0}) Sie haben eine merkliche Erhöhung des BMZ-Etats versprochen. Sie geben im Kernbereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - und das ist der BMZ-Etat weniger aus, als das noch vor fünf Jahren der Fall war. „Versprochen, gebrochen“ - was sich wie ein rot-grüner Faden durch Ihre Politik zieht, gilt leider auch für die Entwicklungspolitik. ({1}) Es ist schon von den Möglichkeiten gesprochen worden, die entwicklungspolitischen Anstrengungen, auch die berühmte ODA-Quote, zu erhöhen. Es ist angesichts des in weiter Ferne liegenden 0,7-Prozent-Ziels - das auch früher schon in weiter Ferne lag - durchaus konsequent, sich Zwischenziele zu setzen. Mit dem 0,33-Prozent-Ziel ist das auch EU-weit erfolgt. Angesichts Ihrer mittelfristigen Finanzplanung aber muss man feststellen, dass dieses Ziel auch nicht annähernd zu erreichen sein wird, jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass etwa 70 Prozent der ODA aus dem BMZ-Haushalt kommen. Eine andere Möglichkeit, die Erhöhung der ODAQuote zu erreichen, ist hier schon mehrfach angesprochen worden. Sie könnten theoretisch versuchen, den Schuldenerlass massiv zu verstärken. Ein Schuldenerlass, den wir grundsätzlich unterstützen, macht dann Sinn, wenn die durch die Entschuldung frei werdenden Mittel wirklich in die Armutsbekämpfung, die Bildung und andere entwicklungsfördernde Maßnahmen investiert werden. Wir sehen aber am Beispiel Boliviens, wie verheerend es sein kann, wenn stattdessen dieses Geld aufgrund der Haushaltsnot in den allgemeinen Haushalt eingestellt wird. Der entwicklungsfördernde Effekt einer solchen Entschuldungsinitiative ist damit verpufft. Das kann kein Königsweg in der Entwicklungspolitik sein. ({2}) Nun gibt es mit Recht Kritik an der ODA-Quote in früherer Zeit. Herr Kollege Hoppe, Sie haben es angesprochen, dass auch in unserer Regierungszeit die Zahlen nicht so ausfielen, wie wir sie uns selbst gewünscht hätten. Es gab aber einen Unterschied: Die ODA-Quote setzt sich aus der Höhe der öffentlichen Entwicklungshilfe im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt zusammen. Zu unserer Zeit gab es in Deutschland aber noch wirtschaftliches Wachstum, das zur Senkung der Quote beigetragen hat. Sie sind inzwischen bei einem Wirtschaftswachstum von 0,2 Prozent angekommen, Tendenz sinkend. Wenn Sie den BMZ-Etat bei 70 Prozent der ODA belassen, können Sie die ODA-Quote von 0,33 Prozent bis 2006 nur dann erreichen, wenn die Wirtschaft um fast 5 Prozent jährlich schrumpft. Diese Art entwicklungspolitischer Innovation stellen wir von der CDU/CSU uns allerdings nicht vor. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir stimmen in einem überein: Es geht nicht nur um die Quantität der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch um die Qualität. Dabei kommen wir nicht um die Feststellung herum, dass für uns ein entwicklungspolitisches Gesamtkonzept bei Rot-Grün nicht erkennbar ist. Ich will nur ein Beispiel nennen. Sie versuchen zurzeit, im Bundestag und im Bundesrat eine Vielzahl von Steuererhöhungen auf anderen Gebieten durchzubekommen. Das BMZ hat im vergangenen Jahr eine Studie über die Durchführbarkeit einer so genannten Devisentransaktionssteuer veröffentlicht, die jetzt im Raum steht. Bisher hat die Bundesregierung diese Steuer nicht gefordert. Wir fragen uns nun: Wollen Sie jetzt auch noch eine solche Devisentransaktionssteuer in die Debatte einbringen? Ist das Ihre Position und/oder die der gesamten Bundesregierung? Um es deutlich zu sagen: Wir wollen sie nicht, aber wir würden gerne Ihre Position kennen, damit wir uns mit Ihnen konzeptionell auseinander setzen können. Darauf warten wir noch. In der jüngsten Überprüfung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, die die OECD vorgenommen hat, kommt sie zu einem kritischen Ergebnis. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wird als ein wenig koordiniertes und untereinander unzureichend kooperierendes, unüberschaubares Instrumentarium dargestellt, das durch eine zentralistische Entscheidungsstruktur behindert wird. Es liegt uns fern, zu behaupten, dass alle diese Probleme völlig neu sind, aber wichtig ist für uns die Frage, in welche Richtung es weitergehen soll. Vor dem Hintergrund der bereits angesprochenen Probleme planen Sie nun in Ihrem Hause gegen den einstimmigen Willen der Personalversammlung eine Umstrukturierung im BMZ, die von Experten unter anderem mit den Begriffen „desaströses Management“ und „Geringschätzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ qualifiziert wird. ({4}) Daraus folgt für uns: Form und Inhalt Ihrer Planungen lösen die Strukturprobleme der deutschen Entwicklungszusammenarbeit nicht, sondern sie verschärfen sie. Unsere Vorstellungen einer modernen Entwicklungszusammenarbeit aus einem Guss gehen davon aus, dass Entwicklungspolitik ohne humanitäre Beweggründe nicht sinnvoll betrieben werden kann, dass aber Entwicklungspolitik sowohl im Interesse der Empfängerländer als auch in unserem eigenen nationalen Interesse liegt, wenn wir sie richtig gestalten. Ich will kurz ein paar Beispiele skizzieren. Ich denke, wir müssen den Sektor Bildung und Ausbildung wieder in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik stellen. Das ist zurzeit nicht der Fall. Die Verbesserung des Ausbildungsstandes gerade der jungen Menschen ist für die Zukunftschancen der Entwicklungsländer von herausragender Bedeutung. Denn um Hilfe zu einer wirksamen Selbsthilfe leisten zu können, ist es unerlässlich, Menschen zu qualifizieren und sie dadurch in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen. Ich denke, es ist darüber hinaus in diesem Haus auch unstrittig, dass verstärkte Anstrengungen zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen unternommen werden müssen und dass gleichermaßen verstärkte Anstrengungen notwendig sind, um die oft mangelhaften staatlichen Rahmenbedingungen in Entwicklungsländern zu verbessern. Herr Kollege Hoppe, Sie sprachen eben von den afrikanischen Ländern, die sich von den Vereinigten Staaten nicht haben korrumpieren lassen. Das mag zwar Ihrem Weltbild entsprechen, aber die Verhältnisse in den allermeisten afrikanischen Staaten zeigen, dass die internen Rahmenbedingungen alles andere als entwicklungsfördernd sind. Auch das sollten wir wenigstens in der Analyse gemeinsam zur Kenntnis nehmen. ({5}) Ich will noch etwas ansprechen, das unserer Ansicht nach zu einer Entwicklungspolitik aus einem Guss gehört. Es sollten Hilfen geschaffen werden, dass die Entwicklungsländer erfolgreich am internationalen Wirtschaftsleben teilnehmen können, weil dies nach unserer Überzeugung der Hauptgarant für Wohlstandsmehrung auch in den Entwicklungsländern ist. Deswegen habe ich das, was Sie gerade gesagt haben, sehr interessiert zur Kenntnis genommen; denn mein Eindruck in der Vergangenheit war, dass wir uns hier weitgehend einig waren. Wir haben in der letzten Legislaturperiode beispielsweise eine Anhörung zur Konsistenz von europäischer Subventionspolitik und Entwicklungspolitik durchgeführt. Ich stoße aber in letzter Zeit auf Veranstaltungen, an denen auch Vertreter der jetzigen Regierung teilnehmen, zunehmend auf Skepsis, wenn es um die Öffnung der Märkte geht, und höre häufig die Frage, ob eine Abschottung der Märkte nicht eher hilfreich für die Entwicklungsländer sei. Daher war es interessant, das heute so von Ihnen zu hören. Ich möchte für CDU und CSU ganz deutlich sagen: Es ist natürlich wichtig, dass die Früchte des Freihandels auch in den Entwicklungsländern gerecht verteilt werden. Aber es ist hier wie auch in anderen Bereichen: Es muss zuerst das erwirtschaftet werden, was anschließend gerecht verteilt werden soll. Deswegen betonen wir weiter - das ist unsere Überzeugung -: Handel ist der beste Entwicklungshelfer. ({6}) Bezogen auf einzelne Ländergruppen - ich denke, gerade in diesen Tagen sind wir uns hierüber einig - wird auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk auf die Intensivierung des Politik- und Kulturdialogs mit den islamischen Entwicklungsländern sowie auf die Intensivierung der Wirtschafts-, der Wissenschafts- und der Hochschulbeziehungen mit Schwellenländern zu legen sein. Auch dies ist im gemeinsamen Interesse von Geber- und Nehmerländern. Nun ist eben behauptet worden, CDU und CSU wollten die bilaterale und die multilaterale Hilfe gegeneinander ausspielen. Das ist mitnichten der Fall. Wir sind sehr wohl für multilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Aber multilaterale Entwicklungsinstitutionen müssen sich reformieren. Wir denken dabei natürlich auch an die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union. Es kann doch wohl nicht hingenommen werden, dass das Geld, das in die europäische Entwicklungszusammenarbeit fließt, in Brüssel nicht abfließt, auf Konten lagert und so für die Bekämpfung von Hunger und Not in den Entwicklungsländern nicht zur Verfügung steht. Das kann doch nicht die Lösung sein. ({7}) Ich möchte in diesem Zusammenhang eine, wie ich denke, aus Ihrer Sicht eher unverdächtige Zeugin zitieren: Die britische Entwicklungsministerin Claire Short erklärte erst jüngst, die europäische Entwicklungspolitik sei eine Schande, und drohte damit, wenn sich nicht bald etwas ändere, werde man die Beiträge streichen und das Geld wieder selbst ausgeben. Auch die Deutsche Welthungerhilfe denkt in diese Richtung. Uns ist natürlich klar, dass so etwas nicht von heute auf morgen möglich ist. Schließlich gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen, die es einzuhalten gilt. Aber zumindest mittelfristig muss es eine solche Perspektive geben und darf eine solche Maßnahme kein Tabu sein. Das Geld muss endlich den Armen zur Verfügung stehen und darf nicht irgendwo gelagert werden. Wir gehen als CDU und CSU eigentlich davon aus, dass es bei allen Differenzen, die wir hier haben, auch Themen von gemeinsamem Interesse gibt und auch in Zukunft geben wird. Eigentlich sollte es das gemeinsame Interesse von uns Parlamentariern sein, die schleichende Selbstentmachtung des BMZ zu verhindern, die ja schon in vollem Gange ist. Natürlich ist der BMZ-Etat und seine Höhe - im Gegensatz zum Etat des Auswärtigen Amtes - ein Instrument der politischen Auseinandersetzung. Sie stellen beispielsweise auch Mittel, die das Auswärtige Amt bewirtschaftet, in den BMZ-Etat ein, um den Eindruck zu erwecken, Sie täten mehr in diesem Bereich, als Sie tatsächlich tun. Im Bereich des Stabilitätspaktes Afghanistan und des Stabilitätspaktes Südosteuropa sind bis zum Jahr 2006 240 Millionen Euro vorgesehen, die Sie zum Schein beim BMZ-Etat einstellen, die Sie aber zur Bewirtschaftung an das Auswärtige Amt geben. Eben wurde gesagt, der Entschließungsantrag der FDP - auch wir weisen ihn mit Abscheu und Empörung zurück; ich sage das nur, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen - sei ein verspäteter Karnevalsscherz. Meine Damen und Herren von der Regierung, wenn Sie das so sehen, dann frage ich, warum Sie vorauseilenden Gehorsam leisten. Im Entschließungsantrag der FDP steht: „Die finanziellen Mittel aus dem Einzelplan 23 werden in den Einzelplan 05“ - das ist der Etat des Auswärtigen Amtes - „übertragen.“ Mit 240 Millionen Euro bis zum Jahr 2006 leisten Sie vorauseilenden Gehorsam. Lassen Sie das doch und handeln Sie stattdessen im Sinne der Haushaltstransparenz und aus inhaltlichen Gründen! ({8}) Das Auswärtige Amt hat eine andere Aufgabe.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Brauksiepe, ich muss Sie an die Redezeit erinnern.

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Es bleibt also dabei: Es ist nicht nur eine Frage der Haushaltstransparenz, sondern auch eine Frage unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunkte und unterschiedlicher Konzepte von AA und BMZ. Mit uns ist eine solche schleichende Selbstentmachtung nicht zu machen. Dafür ist uns die Entwicklungszusammenarbeit viel zu wichtig. Eigentlich sollte der Entwicklungszusammenarbeit doch unser gemeinsames Interesse in diesem Hause gelten. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Was die gut gemeinten Zwischenrufe angeht: Es geht hier mit einer freundschaftlichen Strenge zu. Zum Schluss der Beratungen des Einzelplans 23 hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Frau Wieczorek-Zeul, das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An diesem Abend richten sich unser aller Gedanken an die Menschen, die von diesem Krieg betroffen sein werden. Diejenigen, die diesen Krieg beginnen, tragen eine große Verantwortung und laden die Schuld für das Leid und den Tod von Hunderttausenden von Menschen auf sich. Die Entwaffnung dieses Landes, die Entwaffnung Saddam Husseins wäre dank der Arbeit der UN-Waffeninspekteure ohne Krieg möglich gewesen. ({0}) Dieser Krieg aber wird verheerende Folgen für die Zivilbevölkerung mit sich bringen. Bereits jetzt sind 60 Prozent der Bevölkerung von den Nahrungsmittelhilfen aus dem so genannten Food-for-Oil-Programm vollständig abhängig. Aufgrund des Krieges werden zukünftig etwa 10 Millionen Menschen versorgt werden müssen. Man schätzt, dass bis zu 3 Millionen Flüchtlinge entweder versuchen werden, in die Nachbarländer zu kommen, oder im Land selbst auf der Flucht sein werden. Eine entsprechende Entwicklung können wir zum Teil schon jetzt verfolgen. Ich sage an dieser Stelle: Dieser Krieg ist falsch. Er bedeutet eine Missachtung jeder moralischen, ethischen und christlichen Verantwortung. Ich danke den Kirchen, dass sie unser aller Gewissen dafür geschärft haben. ({1}) Dieser Krieg ist politisch wie im Übrigen auch wirtschaftlich für die gesamte Welt eine Katastrophe. Wenn Sie vernetzt denken würden - die Kollegen, die sich hier über die Entschuldung eines Landes wie Bolivien geäußert haben -, wäre Ihnen doch klar: Auf alle Länder wirkt sich die Kriegsangst in Form sinkender Wachstumsraten aus. Wenn ein Land, das selbst kaum exportieren kann, in einer solchen Situation in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, dann dürfen wir das nicht diesem Land vorwerfen, sondern wir müssen dazu beitragen, dass sich die Situation verbessert. Dass wir die Auswirkungen dieser Situation gesehen haben, war einer der Gründe dafür, dass wir gesagt haben: Ein solcher Krieg ist fatal für alle, aber vor allen Dingen für die schwächsten Entwicklungsländer. ({2}) Wir wissen uns mit den Millionen von Menschen in der Welt und auch in unserem Land, die gegen diesen Krieg sind, einig. Wir wollten - wie alle UN-Organisationen - diesen Krieg mit all unseren Möglichkeiten verhindern, weil wir eine humanitäre Katastrophe verhindern wollten. Ich sage aber auch: Gerade deshalb werden wir den betroffenen Menschen im Irak selbst und in den Nachbarländern humanitäre Hilfe und Nothilfe leisten; denn es geht um die Menschen. Wir fordern, dass alle Mittel, die noch im Food-for-Oil-Programm vorhanden sind, ausschließlich und umgehend für die Versorgung der irakischen Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und lebensnotwendigen Medikamenten verwendet werden. ({3}) Wir sind in enger Abstimmung mit der EU darauf vorbereitet, die UN-Hilfsorganisationen bei Ihrer Versorgung und Unterbringung von Menschen auch finanziell zu unterstützen. Das gilt sowohl für das Welternährungsprogramm als auch für das Internationale Rote Kreuz und für den UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. Dies habe ich gegenüber Ruud Lubbers, dem zuständigen UN-Hochkommissar, zum Ausdruck gebracht. Wir werden für diese Initiativen 10 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Der UN-Sicherheitsrat - das ist heute Morgen und auch jetzt mehrfach angesprochen worden - hat in seinen Beratungen mit seiner Mehrheit - das gilt auch für die große Mehrheit in den Vereinten Nationen - den Wunsch der Völker nach Frieden unüberhörbar artikuliert. Die Völker haben damit deutlich gemacht, dass sie eine Weltordnung wollen, die dem 21. Jahrhundert entspricht, eine Weltordnung von Partnern und Gleichberechtigten und nicht eine solche der Unterordnung. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle besonders den Entwicklungsländern im UN-Sicherheitsrat danken. Sie haben alle die beschämt, die meinen, Entwicklungsländer ließen sich ihre Zustimmung zu einem Krieg abpressen oder abkaufen. Sie haben deutlich gemacht, dass sie allen Pressionen zum Trotz eine Weltordnung der Gleichen wollen. Das ist ein ermutigendes Zeichen für die künftige Weltordnung. Um langfristig Stabilität und Frieden in der Welt zu schaffen, brauchen wir keine Koalition der Kriegswilligen, sondern wir brauchen eine multipolare Ordnung des Friedens und des Rechts; denn gerade sie schützt die Schwächeren in dieser Welt. ({5}) Viele Menschen aus Entwicklungsländern, die ich getroffen habe, und zwar aus allen Regionen der Welt, haben gesagt: Ihr von der Bundesregierung tut auch etwas für uns. Wir können uns schlechter zur Wehr setzen als ihr. Wenn ihr dafür kämpft, dass in dieser Welt gleichberechtigt entschieden wird, dann tut ihr auch etwas für uns. - Wir freuen uns darüber, dass wir das tun konnten. ({6}) Ich warne vor einer neuen Rüstungsspirale. Die Rüstungsausgaben weltweit - das muss man sich vor Augen halten - sind von 761 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 839 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 gestiegen. Die Finanzmittel dieser Welt werden aber viel dringlicher im Kampf gegen Hunger, Armut und Krankheit gebraucht. ({7}) Jedes Jahr sterben 10 Millionen Kinder unter fünf Jahren an vermeidbaren Krankheiten und viele Kinder haben nicht die Chance, in die Schule zu gehen. Ich halte es daher für obszön, Mittel in Kriegen zu verschwenden. Niedrig geschätzt betragen die Kosten eines Irakkriegs 200 Milliarden US-Dollar. Das ist viermal so viel, wie in der Welt in einem Jahr für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben wird. Das ist obszön. Wir müssen dazu beitragen, dass das so benannt und auch so erkannt wird. ({8}) Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um die Umsetzung der Resolution 1441 ({9}) mit nichtmilitärischen Mitteln. ({10}) Die Nummer dieser Resolution kennt jeder. Ich möchte, dass die Weltgemeinschaft mit der gleichen Leidenschaft für die Umsetzung der Resolution 55/2 kämpft. Das ist die UN-Resolution, die im Jahr 2000 auf der UN-Generalversammlung von der internationalen Gemeinschaft beschlossen wurde, in der sich die Gemeinschaft vorgenommen hat, eine drastische Reduzierung der weltweiten Armut und des Hungers, den Zugang zu sauberem Wasser für alle, den Zugang aller Kinder zum Schulunterricht zu erreichen und die Bekämpfung von HIV/Aids voranzutreiben. Das sind die Aufgaben. Die Nummer dieser Resolution muss jeder kennen. Die internationale Gemeinschaft muss alle Anstrengungen unternehmen, um das zu erreichen, so wie auch wir dies tun. ({11}) Ich möchte an dieser Stelle auch daran erinnern, dass wir über den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten nicht die Konflikte und den Wiederaufbau in anderen Regionen vergessen dürfen. Ich gedenke in dieser Debatte eines guten Freundes unseres Landes, eines Hoffnungsträgers für die Perspektiven des Balkans, Zoran Djindjic, der vor wenigen Tagen ermordet wurde und dessen Tod uns alle erschüttert hat. Er stand für den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und für das friedliche Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen. Wir danken ihm für das Engagement, das er für sein Land, für Frieden und Stabilität sowie gutes Zusammenleben erbracht hat. ({12}) Wir haben in dieser Situation aber auch alle zusammen gespürt, wie wichtig es ist, diese Ordnung in Südosteuropa weiter zu stabilisieren und den demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau mit mindestens so viel Engagement zu begleiten wie das Eingreifen während eines Konfliktes. Ich freue mich, dass wir in den zweieinhalb Jahren unsere Leistungen gegenüber Serbien und auch gegenüber Zoran Djindjic im Umfang von 100 Millionen Euro haben erbringen und damit einen Beitrag zur Unterstützung des Aufbaus haben leisten können. Ich habe zugesagt, dass ich in den nächsten Tagen weitere Gespräche führen werde, damit diese Hilfen auch für die Zukunft abgesichert und möglicherweise ausgeweitet werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Entwicklungspolitik muss sich aber trotz aller aktuellen Konflikte immer auch als Krisenprävention verstehen und einbringen. Übrigens ist - das sage ich denen, die sich da Sorgen machen, damit sie die Relationen sehen können - der Haushalt des BMZ, den natürlich auch ich gern finanziell noch besser ausgestattet sähe - das werden wir auch schaffen -, fast doppelt so groß wie der Haushalt des Auswärtigen Amtes. Uns geht es entwicklungspolitisch um die Stärkung regionaler Kooperation. Wir wollen, dass Krisenprävention in den Mittelpunkt gestellt wird. Wir müssen dazu beitragen, dass die Konkurrenz um natürliche Ressourcen entschärft und der Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglicht wird. ({13}) Das hat praktische Konsequenzen; denn täglich sterben fast 6 000 Kinder an Krankheiten, die durch verschmutztes Wasser übertragen wurden. Es ist doch jede Anstrengung von uns allen, und zwar in der internationalen Gemeinschaft, wert, ({14}) dass diesem Skandal entgegengewirkt wird und die notwendigen Investitionen, die wir in diesem Haushalt in einem Umfang von 350 Millionen Euro vorgesehen haben, tatsächlich realisiert werden. Das werden wir tun. ({15}) Wenn ich das sagen darf: Auch da gilt Kohärenz beim Handel. Da kann man gut von Freihandel reden. Aber man muss dann auch - Sascha Raabe hat das zusammen mit anderen in seinem Antrag getan - die Schlussfolgerungen ziehen. Die Entwicklungsländer werden sehr genau beobachten, ob die Versprechen von Doha nach dem 11. September 2001 zur Frage, ob die Welthandelsrunde eine Entwicklungsländerrunde wird, eingelöst werden oder nicht. Solange jährlich 350 Milliarden Euro zur Absicherung und Protektion der Agrarmärkte in den Industrieländern verwandt werden, so lange ist in dieser Welt etwas nicht in Ordnung. Wir müssen dazu beitragen, dass dieser Skandal beseitigt wird. ({16}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht uns um die weitere konsequente Reform der Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit. Ich bin ganz sicher, dass wir jenseits der einzelnen Formulierungen diese notwendigen Reformen im Interesse der Effizienz gemeinsam voranbringen werden. Es geht darum, zu verzahnen zwischen dem, was wir an bilateralen Fähigkeiten haben, was wir in den großen internationalen Organisationen leisten können und was wir in bestimmten Sektoren zum Beispiel über die Weltbank voranbringen können. Höhere Finanzmittel zu haben ist wichtig. Aber ich weise darauf hin: Während das Soll des Gesamthaushaltes gegenüber 2002 um 1,7 Prozent sinkt, steigt der Plafond des Einzelplans 23 um runde 2 Prozent auf 70 Millionen Euro. ({17}) Einige haben festgestellt, dass auch andere Ressorts beteiligt sind. Das ist eben das neue Denken. Wir wollen nicht, dass nur ein Ressort international und global denkt, sondern wir wollen, dass alle Ressorts mitdenken und zur Gestaltung der Welt beitragen. ({18}) Meine Güte, da sind Sie wirklich noch weit hinterher. ({19}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gehört, was der Bundeskanzler heute Morgen gesagt hat. Ich gestehe: Ich habe Angst vor diesem Krieg, Angst vor der Gleichgültigkeit einer Kriegsmaschinerie, in der das Menschenleben nichts mehr zählt; Angst vor den großen Kriegsstrategen, die in den nächsten Tagen und Wochen über der angeblichen Faszination von Taktik, militärischem Gerät und Strategie das Leid der Zivilbevölkerung verdunkeln; Angst vor der Gewöhnung an Krieg. ({20}) Aber ich will an dieser Stelle auch sagen: Diese Angst lähmt mich nicht. Als Mensch, als Politikerin und Entwicklungsministerin stehe ich hier, ({21}) weil ich dieses Gefühl der Angst umsetze in Entschlossenheit, in Handlungswillen und die Überzeugung, dass es einen Weg gibt, wie die Welt trotz alledem friedlich gestaltet werden kann. ({22}) Ich muss ehrlich sagen: Als wir Saddam Hussein schon als Verbrecher bezeichnet haben, da haben die USA und andere - vermutlich auch mit Ihrer Unterstützung und Kenntnis ({23}) Saddam Hussein noch militärisch ausgerüstet. Da wollen wir doch einmal ganz offen und ehrlich sein. ({24}) Ihre Heuchelei ist wirklich unerträglich. Ich will sagen: Wenn wir den Menschen eine Perspektive bieten, sich zu entwickeln, wird es Gerechtigkeit geben. Wenn wir andere Länder und Regierungen als gleichberechtigte Partner akzeptieren, ({25}) wird es eine multipolare Weltordnung geben, in der die Stärke des Rechtes gilt. Wenn wir diese Welt gerechter gestalten, wird es friedlichere Verhältnisse geben. Denn Frieden und Gerechtigkeit gehören untrennbar zusammen. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese gerechtere Weltordnung gemeinsam schaffen und voranbringen können. Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung mit ihrer Haltung im Irakkonflikt Frieden und Gerechtigkeit langfristig gestärkt hat. ({26}) Ich bin überzeugt, dass Frieden und Gerechtigkeit möglich sind. Für diese Art der Entwicklungszusammenarbeit stehe ich mit meiner politischen Überzeugung und mit unserer Regierung und Koalition. Ich danke Ihnen. ({27})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 23 - Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/672? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer für den Einzelplan 23 in der Fassung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Einzelplan mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition so angenommen. Ich rufe nun auf: Einzelplan 10 Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - Drucksachen 15/560, 15/572 Berichterstattung: Abgeordneter Jürgen Koppelin Ernst Bahr ({0}) Franziska Eichstädt-Bohlig Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU und neun Änderungsanträge der FDP-Fraktion vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Dazu höre ich keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Ilse Aigner für die CDC/CSU-Fraktion. ({1})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Wir beraten heute den Einzelplan Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Ich werde mich im Wesentlichen auf die Landwirtschaft beschränken. Die Kollegin Ursula Heinen wird sich dann um die Stellungnahme der Union zum Verbraucherschutz kümmern. Vorab möchte ich mich aber noch bei der Kollegin Eichstädt-Bohlig, beim Herrn Kollegen Koppelin und beim Herrn Kollegen Bahr für die gute Zusammenarbeit im Berichterstattergespräch genauso wie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerin und des Bundesrechnungshofes für die guten Vorlagen, die wir bekommen haben, bedanken. ({0}) Die deutsche Landwirtschaft wird derzeit von mehreren Seiten förmlich in die Zange genommen. Auf der einen Seite stehen die fordernden und teilweise auch sehr misstrauischen Verbraucher, die von unserer Landwirtschaft die höchste Qualität unter Einhaltung aller höheren nationalen Auflagen aus dem Bereich des Tier-, Landschafts- und Umweltschutzes verlangen. Dies allein ist an sich nicht zu kritisieren. Ein Problem wird es erst dann, wenn bei der konkreten Nagelprobe an der Ladentheke aus Preisgründen doch wieder die niedrigeren Standards akzeptiert und die entsprechenden Produkte gekauft werden. Auf der anderen Seite kommen auf die Landwirtschaft sowohl von der EU als auch von der WTO gravierende Einschnitte zu. Ich sehe nicht, dass die deutsche Ministerin hier eine vehemente Vorkämpferin für die deutschen Interessen ist und sich auch dafür einsetzt, dass die Bauern eine verlässliche Basis bekommen. ({1}) Die Agenda 2000 war für einen Zeitraum bis 2006 vorgesehen. Dieser sollte zwingend eingehalten werden. Frühzeitig vor 2007 sollten die neuen Rahmenbedingungen festgesetzt werden. Wie sollen denn sonst unsere deutschen Landwirte eine vernünftige Planung vornehmen können? Zurück zu der heutigen Beratung des Einzelplans 10, den Sie, Frau Ministerin, vollkommen allein zu verantworten haben. Sie können keine Schuld auf andere schieben. In diesem Haushalt sind wesentliche Veränderungen vorgesehen. Die Union hätte die Schwerpunkte anders gesetzt. Wir haben dies durch Anträge auch dokumentiert. Unter diesen Anträgen waren nicht nur Erhöhungsanträge, wie uns die Koalitionsseite immer vorwirft, sondern im Wesentlichen Kompensationsvorschläge, die von Ihnen rundum abgelehnt wurden. ({2}) Im Bereich der landwirtschaftlichen Sozialpolitik sind weitere Einschnitte durch eine globale Minderausgabe in Höhe von 20 Millionen Euro vorgesehen. Wenn ich die Statements beim gestrigen Parlamentarischen Abend richtig verstanden habe, sind sich die landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger mit der Regierung über diese Einschnitte einig. Dies kann ich nur so interpretieren, dass es bei der Verwaltung offensichtlich noch erhebliche Einsparpotenziale gibt. Eine erneute Anhebung der Unfallversicherungsbeiträge für die Bauern können wir mit Sicherheit nicht mittragen. Wir werden ganz genau hinschauen, ob diese Einsparung bei den Landwirten vorgenommen wird oder ob bei der Verwaltung eingespart wird. Darauf können Sie sich verlassen. ({3}) Dass die Gasölbeihilfe im letzten Haushalt deutlich gekürzt wurde und jetzt erneut gekürzt wurde, sei der Vollständigkeit halber nur noch einmal erwähnt und in Erinnerung gerufen. Diese und weitere Maßnahmen wirken sich eindeutig als Standortnachteil für Deutschland aus. Ein wohl einmaliges haushaltstechnisches Vorgehen ist die Einführung eines Titels ohne Haushaltsmittel. ({4}) Es ist nicht ein Cent im Haushalt dafür vorgesehen. Man rechnet allerdings mit Mitteln aus einem anderen Bereich, den man offensichtlich als Sparbüchse vorgesehen hat ({5}) - richtig, so ist es -, nämlich aus dem Bereich der Förderung von Investitionen im Bereich artgerechter Tierhaltung. Das muss man sich ebenfalls genau ansehen. Hier waren im Haushalt 2002 13 Millionen Euro vorgesehen. Abgerufen wurden 0 Euro. ({6}) Man könnte nun meinen, dass bei ordentlicher Haushaltsführung dieser Titel im Regierungsentwurf gekürzt worden wäre. Weit gefehlt! Dieser Titel wurde auf 50 Millionen Euro angehoben. In der Bereinigungssitzung hat die Koalition diesen Titel zwar auf 31 Millionen Euro gekürzt, ({7}) aber auch das ist nicht gerechtfertigt. Vertraglich gebunden sind ganze 860 000 Euro. Das ist wohl das komplette Gegenteil vom Grundsatz der Klarheit und Wahrheit in der Haushaltsführung. ({8}) Nun fragt man sich: Wofür das Ganze? Die Erklärung liegt eben in einem neuen Titel, dem so genannten Aktionsprogramm „Bäuerliche Landwirtschaft“, der deckungsfähig mit dem vorher genannten Titel sein soll. Im Gegenzug dazu werden die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ um 107 Millionen Euro auf 764 Millionen Euro gekürzt, obwohl praktisch alle Vorschläge aus diesem Programm über die GAK abgewickelt werden könnten. Dazu ein Beispiel. Im Aktionsprogramm waren die Förderung der Übernahme von bäuerlichen Betrieben und gegebenenfalls die Existenzgründung in Verbindung mit neuen Einkommensquellen vorgesehen. In der GAK wurden dagegen bis 2002 unter anderem gefördert: die Zuweisung zur Verbilligung von Zinsen für die Förderung der Wiedereinrichtung und Modernisierung bäuerlicher Familienbetriebe, die Zuweisung zur Verbilligung von Zinsen im Rahmen der Gewährung von Starthilfen zur Umstrukturierung von landwirtschaftlichen Unternehmen usw., usf. ({9}) - Genau. Über die eigentlichen Ursachen dafür, warum immer weniger Kinder von Landwirten den Betrieb übernehmen wollen, hat sich die rot-grüne Regierung offensichtlich keine Gedanken gemacht. Die Landwirtschaft andauernd von nationaler Seite zusätzlich zu belasten - zweistellige Einkommensrückgänge in den letzten Jahren, Arbeitszeiten von 60 bis 70 und mehr Stunden pro Woche und dann auch noch der Buhmann der angeblichen Ministerin für Landwirtschaft zu sein - ist für die Zukunft nicht sonderlich motivierend. Daran wird auch eine noch so schön klingende Existenzgründungsoffensive nichts ändern. ({10}) All diese Maßnahmen, die in dem so genannten Aktionsprogramm vorgeschlagen werden, sind problemlos über die Gemeinschaftsaufgabe auszuführen. ({11}) Warum ist aus unserer Sicht eine Förderung über die GAK besser? - Übrigens, Frau Ministerin, auch die Umweltverbände fordern dies. Der BUND, der Deutsche Naturschutzring, der NABU und der WWF haben langfristig eine Verstetigung und Absicherung der GAK gefordert. - Der entscheidende Vorteil für die Landwirtschaft selbst ist, dass die Bundesmittel um 60 Prozent durch Ländermittel aufgestockt werden. Deshalb verliert die Landwirtschaft durch die vorgesehene Kürzung nicht nur die Bundesmittel, sondern zusätzlich in diesem Haushaltsjahr die Förderung der Länder in Höhe von 160 Millionen Euro. Jetzt bleibt die Frage: Warum wird dieses Programm an der GAK vorbei neu aufgelegt? Ein gängiges Argument ist, dass die Länder die Mittel nicht abgerufen haben oder sie nicht mehr abrufen werden können. Schauen wir uns also die letzten Jahre an: In den Jahren 1999, 2000 und 2001 wurden die Mittel zu 98,5, zu 97,6 und zu 98,7 Prozent abgerufen. Als Ergebnis bleibt, dass die Mittel zwar kontinuierlich gekürzt wurden, die verbleibenden Mittel aber jeweils fast vollständig abgerufen wurden. Wer sagt denn eigentlich, dass die Mittel bei gleich hohem Ansatz nicht mehr abgerufen werden? ({12}) - Genau. Also scheint der Grund an anderer Stelle zu liegen. Man will damit wohl insbesondere diejenigen Länder fördern, die nicht dazu bereit sind, ihre landwirtschaftlichen Strukturen im Sinne der Umwelt zu fördern. Zufällig sind dies meist Länder, die der Couleur der Bundesregierung entsprechen oder ihr bis vor kurzem entsprochen haben. ({13}) Dass es hier gravierende Unterschiede gibt, zeigt die Förderung der Länder bei Agrarumweltmaßnahmen. Laut Agrarbericht förderte 2001 und 2002 BadenWürttemberg diese Maßnahmen mit 104 Euro pro Hektar, Bayern mit 64 Euro pro Hektar und - jetzt kommt es Nordrhein-Westfalen mit ganzen 11 Euro pro Hektar, Niedersachsen mit 4 Euro pro Hektar und SchleswigHolstein mit 1 Euro pro Hektar. ({14}) - So ist es. - Da freut man sich in diesen Ländern natürlich, dass man sein eigenes Nichtstun mit einer Bundesförderung vertuschen kann. Da sieht man wieder einmal den Unterschied zwischen rot-grünem theoretischen Anspruch und praktischem Handeln. ({15}) Dass durch die Bundesprogramme konkurrierend zu Länderprogrammen Parallelstrukturen aufgebaut werden und darüber hinaus zur Umsetzung eine zusätzliche Verwaltung im Ministerium aufgebaut werden muss, sei nur nebenbei bemerkt. Dies trifft praktisch auf alle Programme zu: auf den Ökolandbau, auf tiergerechte Haltungsverfahren, auf Modell- und Demonstrationsvorhaben und auf das so genannte Aktionsprogramm „Bäuerliche Landwirtschaft“. Dies ist aus Effizienzgesichtspunkten kontraproduktiv, sowohl was die verwaltungsmäßige Umsetzung als auch die Übersichtlichkeit der Förderprogramme betrifft. ({16}) Wir haben deshalb den Bundesrechnungshof gebeten, diesen Sachverhalt genauestens zu prüfen. Ich gehe davon aus, dass er dies auch tun wird. Ein Posten im Haushalt ist zwar sehr „gering“; aber er hat mich erheblich gestört: die einseitige Förderung des Zertifizierungssystems für Forstwirtschaft, FSC. ({17}) Die Bundesregierung hat laut Koalitionsvereinbarung beschlossen, allein diese Zertifizierung zuzulassen bzw. zu bevorzugen. Warum stört mich dies? Weil die Bundesregierung damit eindeutig gegen deutsche Interessen handelt. Der deutsche Forst und Privatwald ist zu über 60 Prozent der Fläche nach dem vollkommen gleichwertigen europäischen Zertifizierungssystem PEFC zertifiziert. Nur fünf von 16 Bundesländern haben ihren Staatsforst nach FSC zertifiziert, eines davon nur deshalb, weil es zu dem damaligen Zeitpunkt PEFC noch nicht gegeben hat. Worin besteht der Unterschied? FSC wurde in erster Linie für Länder mit großflächigen Waldbesitzen geschaffen. Kanada zum Beispiel ist solch ein Land. 95 Prozent der Waldflächen sind in staatlichem Besitz. Sie vergeben den Holzeinschlag über Konzessionen und man kann nicht immer davon ausgehen, dass die Nutzer auch die Nachhaltigkeit im Hinterkopf haben. Diese Struktur trifft mitnichten auf die deutsche Forstwirtschaft zu. Über die Hälfte der Flächen ist traditionell in Privathand, etwa ein Drittel in Staatshand, der Rest sind kommunale Flächen. Auf alle Fälle kennzeichnen wesentlich kleinere Flächen diese Struktur. Diese Besitzer haben seit Jahrzehnten auf eine nachhaltige Waldbewirtschaftung geachtet. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ kommt übrigens direkt aus der Forstwirtschaft. Hier gilt und galt die Regel, immer einen hundertjährigen Bestand zu haben, um sich selbst und der nachfolgenden Generation nicht das Wasser abzugraben. ({18}) Um die Verhältnisse in Deutschland noch einmal etwas deutlicher darzustellen: 6,33 Millionen Hektar sind nach PEFC zertifiziert, ganze 432 000 Hektar nach FSC. Das ist ein Verhältnis von 93,6 Prozent zu 6,4 Prozent. Was reitet also die Bundesregierung eigentlich, FSC zu fördern und auch noch die Verlagerung des Sitzes nach Deutschland mit 256 000 Euro zu fördern? ({19}) Sollte da vielleicht jemandem in eine Spitzenposition geholfen werden? Oder wollen Sie dadurch besonders den Import tropischen Holzes fördern? ({20}) Eine Entwicklung ist schließlich nicht nur in diesem Einzelplan zu hinterfragen: der Aufwuchs bei den Aushilfskräften. Im Jahr 1998 beliefen sich die Ausgaben für Aushilfskräfte noch auf 4,15 Millionen Euro, im Jahr 2003 beträgt der Ansatz 25,7 Millionen Euro, also fünfmal so viel allein in diesem Haushalt. Selbst wenn ich zwei Positionen herausrechne, die vorher nicht in diesem Titel enthalten waren, ist es ein gravierender Aufwuchs. ({21}) Sie können sicher sein, dass wir diese Entwicklung zusammen mit der rasant ansteigenden Summe für Sachverständigengutachten in den nächsten Haushalten äußerst genau unter die Lupe nehmen werden. Ich glaube, auch der Bundesrechnungshof wird das tun. ({22}) Zum Schluss: Sehr geehrte Frau Ministerin, sorgen Sie dafür, dass die Bauern verlässlich planen können. Sorgen Sie dafür, dass die Landwirte für die Erhaltung unserer Kulturlandschaft auch die Anerkennung erfahren, die sie verdienen. Eine staatliche Pflege unserer Landschaft ist nicht unser Ziel; ich hoffe, das ist auch nicht das Ziel der Bundesregierung. Sorgen Sie dafür, dass unsere Bauern gleiche Wettbewerbsbedingungen zumindest auf europäischer Ebene haben. ({23}) Sie können von einem 100-Meter-Läufer nicht verlangen, dass er dieselbe Zeit wie seine Konkurrenten läuft, wenn Sie ihm beide Beine zusammenbinden. Sehr verehrte Frau Ministerin, stellen Sie in der nächsten Zeit unter Beweis, dass Sie nicht eine Ministerin gegen Landwirtschaft, sondern eine Ministerin für Landwirtschaft sind. Ich glaube, unsere Landwirte haben das durchaus verdient. Vielen Dank. ({24})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ernst Bahr von der SPD-Fraktion.

Ernst Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002620, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich habe die Zusammenarbeit unter uns Haushaltsberichterstattern als angenehm empfunden. Ich denke, dass wir trotz der unterschiedlichen Auffassungen ganz gut zurechtgekommen sind. Ihre Aussagen bestätigen eigentlich eher unsere Auffassung. Die Betriebsübernahmen sind ein Problem, das nicht in der politischen Landschaft an sich liegt, sondern auch in der Struktur der Landwirtschaft. Bereits seit 40, 50 Jahren wollen die jungen Leute die Betriebe, die nicht mehr rentabel zu bewirtschaften sind, aus diesem Grund und auch aus anderen Gründen nicht mehr übernehmen. Wir versuchen seit 40 Jahren und länger, gegenzusteuern, aber diese Entwicklung wird sich wohl nicht aufhalten lassen. Zu dem, was Sie zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und Küstenschutzes“ gesagt haben, muss ergänzt werden, dass das eben so, wie Sie es hier vorgestellt haben, nicht möglich ist. Es ist eben nicht alles aus diesem Bereich bezahlbar und deshalb ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man die bäuerliche Landwirtschaft auf andere Weise fördert. Wir haben deshalb einen Leertitel eingerichtet, der mit dem Programm, das wir dazu erstellen, die Finanzierung dieser Förderung sichert. Dass das mit dem Titel „Tiergerechte Haltungsverfahren“ tauschbar ist, hat seinen Hintergrund darin, dass der Titel im vergangenen Jahr in der Tat nicht ausgeschöpft wurde, aber zum Teil eben nicht ausgeschöpft werden konnte bzw. man ihn nicht ausschöpfen wollte. Ein Grund ist wohl, dass manche Leute in dieser Republik, gerade unter denen, die diese Tiere, deren Haltung wir verbessern wollen, halten, gedacht haben, nach dem 22. September würde es keine solche Haltungsregelung mehr geben. Da haben sie sich aber geirrt, wie wir alle gesehen haben. Wir werden die Haltungsverfahren so ändern, wie wir es vorgesehen haben. Dies werden wir fördern müssen; die Deckungsfähigkeit scheint mir in Ordnung zu sein. ({0}) - So, wie Sie es sagen, ist es nicht. Zur EU-Agrarreform. Frau Aigner, fast zeitgleich mit unserer Regierungsübernahme im Jahre 1998 fand eine Reform der EU-Agrarpolitik statt, in die wir zugunsten der konventionellen Landwirtschaft stark eingebunden waren. Dass uns auch die konventionelle Landwirtschaft am Herzen liegt, haben wir mit unserer bisherigen Arbeit immer wieder gezeigt. Es ist uns auch gelungen, diese Landwirtschaft in ihrem Bestand zu sichern und zu stärken. Ernst Bahr ({1}) Ich werde heute auf die Bereiche etwas näher eingehen, die immer wieder in der Kritik stehen - Sie haben es zum Teil angesprochen, Frau Aigner - und die eine moderne Landwirtschaft ausmachen: die Stärkung des Verbraucherschutzes, Verfahren tiergerechter Haltung sowie die Förderung, Verarbeitung und Marktfähigkeit der nachwachsenden Rohstoffe. Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt, indem wir die Mittel dafür auf über 78 Millionen Euro erhöht haben. Dieser Aufwuchs kann sich sehen lassen. Ein großer Anteil kommt der Aufklärung der Verbraucher zugute. Allein in diesem Bereich haben wir die Mittel auf 21 Millionen Euro angehoben. Dies entspricht einem Zuwachs von 60 Prozent und ist auch notwendig. ({2}) Im Gegensatz zur Opposition haben wir erkannt, dass die Verbraucher zu Recht wissen wollen, was in den Lebensmitteln enthalten ist. Das zeigen nicht zuletzt die Lebensmittelskandale der Vergangenheit und leider auch der Gegenwart. Die Leidtragenden sind die Landwirte und die landwirtschaftlichen Betriebe, weil man in Zeiten der Verunsicherung seine Produkte nur schlecht absetzen kann. Es gibt keine bessere Werbung für die landwirtschaftlichen Produkte als eine offene und unvoreingenommene Aufklärung und Information der Verbraucher. Ich wünsche mir, dass sich diese Einsicht auch in den Reihen der Opposition durchsetzt und sie unsere politischen Maßnahmen unterstützt. Mit der Verabschiedung des Verbraucherschutzgesetzes haben wir den Verbraucherschutz gestärkt; in diesem Bereich können wir einiges vorweisen. Wir haben ein Bundesinstitut für Risikobewertung eingerichtet und jetzt mit fast 40 Millionen Euro ausgestattet. Dieses Institut soll die wissenschaftliche Beratung zum gesundheitlichen Verbraucherschutz intensivieren. Wir wollen damit erreichen, dass in Zusammenarbeit mit den europäischen Behörden der Verbraucherschutz auch über die Grenzen hinweg besser funktioniert. Damit stellen wir uns, wie ich glaube, einer wichtigen Aufgabe. Zusammen mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit werden wir die Qualität der Verbraucheraufklärung deutlich verbessern. Wichtig ist uns die wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit der prüfenden Instanzen; daran wollen wir mit allen politischen Kräften arbeiten. Hier geht es uns insbesondere um die Stiftung Warentest, für die wir eine finanzielle Ausstattung zu besorgen haben, die ihre Unabhängigkeit sichert. ({3}) - Das werden wir nicht tun, Peter Harry. Wir haben einen Zuschuss von 6,5 Millionen Euro für diese Stiftung bereitgestellt, mit dem die Stiftung sehr zufrieden ist. Aber euren Antrag kann man leider schon rein rechnerisch nicht nachvollziehen. Es sollen über fünf Jahre jeweils 12 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, die die Stiftung ansparen soll. Davon soll sie Zinsen einnehmen. Von diesen Zinsen soll sie sich jährlich finanzieren. Die Frage ist, wie das gehen soll: Sie soll fünf Jahre warten, den Betrag ansparen, um dann Zinsen zu bekommen. ({4}) Selbst wenn man einen Zinssatz von 6 Prozent zugrunde legte, würde man bei jährlich 3,3 Millionen Euro landen. Selbst wenn das möglich wäre, wäre das nur die Hälfte dessen, was wir der Stiftung zur Verfügung stellen. Insofern haben wir einen Schritt in die richtige Richtung getan. ({5}) Wir wollen der Landwirtschaft neue Impulse geben. Wir wollen ihr helfen, neue Wege zu gehen, und den bäuerlichen Betrieben eine weit reichende Perspektive geben. Deswegen gilt unsere Förderung verstärkt den nachwachsenden Rohstoffen. Allein in diesem Bereich haben wir 43 Millionen Euro bereitgestellt. Wir hoffen, dass die Entwicklung von neuen Technologien dazu beiträgt, dass wir in der Landwirtschaft und den nachfolgenden Bereichen Arbeitsplätze erhalten und neue Arbeitsplätze schaffen können. Weltweit zeigt sich, dass diese Produkte gute Zukunftschancen haben. Die Entwicklung im Bereich der ökologischen Landwirtschaft zeigt ebenfalls deutlich positive Zeichen. 2001 stieg die Anzahl der Betriebe in diesem Bereich auf 14 702. Das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Steigerung um 15 Prozent. Im Vergleich zu 1995 hat sich die Anzahl der Betriebe sogar verdreifacht und die bearbeitete Fläche verdoppelt. Das zeigt, dass es auf diesem Gebiet vorwärts geht. Das zeigt sich auch, wenn man das Einkommen betrachtet. 2001 erzielte jede Arbeitskraft im Ökolandbau ein Jahreseinkommen von 28 227 Euro. Das ist ein höheres Einkommen als in der konventionellen Landwirtschaft. Das belegt, dass die Zukunft der ökologischen Landwirtschaft gesichert ist. ({6}) Wir haben auch die Sicherung der sozialen Systeme ins Auge gefasst. Wir wollen, dass die Kosten für die soziale Absicherung der Landwirte weiterhin von uns mitgetragen werden. Sie wissen, dass das für die Alterssicherung genauso zutrifft wie für die Kranken- und die Rentenversicherung. Bei der Unfallversicherung haben wir eine leichte Absenkung vorgenommen. Frau Aigner, Sie sagten richtigerweise, dass wir diese Absenkung mit Zustimmung der Unfallversicherer vorgenommen haben. Insgesamt haben wir diesen Bereich aber um 25 Millionen Euro aufgestockt. Das heißt, dass die sozialen Sicherungssysteme der Landwirtschaft weiterhin gesichert sind. Dieser Bereich hat im Haushalt des Ministeriums ein Volumen von 3,8 Milliarden Euro. Man kann nicht übersehen, dass ein großer Betrag für die soziale Sicherung bereitgestellt wird. ({7}) Ernst Bahr ({8}) Ich bin damit leider am Ende meiner Redezeit angekommen. ({9}) - Peter Harry, ich denke, wir könnten uns noch eine Weile unterhalten; über andere Themen aber sicherlich mehr und besser. - Ich denke, ich habe deutlich machen können, dass wir den Verbraucherschutz stärken wollen. Wir wollen der Landwirtschaft durch die Neuausrichtung unserer Agrarpolitik eine Perspektive geben, sodass die Arbeitsplätze der Landwirte und im ländlichen Raum insgesamt gesichert werden. Wir wollen den Bestand der Landwirtschaft, auch der konventionellen Landwirtschaft, sichern. ({10}) Wir haben eine entsprechende finanzielle Ausstattung zur Verfügung gestellt. Unsere Ziele werden wir umsetzen. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen Koppelin von der FDP-Fraktion.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der deutschen Landwirtschaft herrscht Katastrophenstimmung. Die Landwirtschaft leidet nicht nur unter der schlechten Konjunktur in unserem Land, sondern auch - das ist bekannt - unter der rot-grünen Steuer- und Finanzpolitik, die die Einkommenssituation der Landwirte erheblich verschlechtert hat. ({0}) Für die Landwirte ist in den kommenden Jahren keine Einkommensverbesserung in Sicht. Auch das Höfesterben - das ist schon angesprochen worden - geht weiter: weitere 17 000 Landwirte haben ihren Hof stillgelegt. Das macht überaus deutlich, dass die rot-grüne Landwirtschaftspolitik keine Zukunftsperspektiven bietet. ({1}) Die Hoffnungslosigkeit der deutschen Landwirte zeigt sich auch darin, dass die Investitionen in den Betrieben ebenfalls erheblich zurückgegangen sind. Perspektiven - das ist das Problem - können die Landwirte von der Bundesministerin Künast nicht erwarten. Wenn man sich den Einzelplan 10 anschaut, kann man sehr schnell erkennen, dass für die Ministerin Künast - obwohl sie offiziell für die Landwirtschaft zuständig ist; das steht auf Seite 2 des Haushaltsplanes die Landwirtschaft überhaupt keinen Stellenwert hat. ({2}) Die Politik von Frau Künast ist auf einen einfachen Nenner zu bringen: Der konventionellen Landwirtschaft wird der Hals umgedreht. Dafür wird alles, was auch nur den Namen „Öko“ trägt, mit staatlichen Subventionen gefördert. Das ist Ihre Politik. ({3}) Als Strafe müssen allerdings alle Landwirte die Ökosteuer zahlen. Aus dem Munde der Ministerin heißt das: Neuausrichtung der Agrarpolitik. Würde Ministerin Künast einmal einen Betrieb besuchen, dann würde sie feststellen, wie sehr unsere Landwirte bemüht sind, Produkte von hoher Qualität auf den Markt zu bringen, und wie engagiert unsere Landwirte sind, was die Bereiche Umwelt- und Tierschutz angeht. Doch das alles zählt bei dieser Ministerin nicht, weil sie ihre ideologischen Scheuklappen aufgesetzt hat. ({4}) Während der bisherigen Haushaltsberatungen haben wir auch über die knappen Finanzmittel diskutiert. Wir müssen allerdings feststellen, dass das nicht für den Haushalt von Frau Künast gilt. Dort fließt der Finanzstrom, allerdings nur in die Bereiche, die sich in irgendeiner Weise „Öko“ nennen. So gibt es, um zwei Beispiele zu nennen, höhere Beiträge für Ökobetriebe und es sind üppige finanzielle Polster eingeplant, um Aufträge für Gutachten zu vergeben. Die Ergebnisse dieser Gutachten - das kennen wir schon - stehen eigentlich schon fest oder zumindest können wir erahnen, wie die Ergebnisse aussehen werden. Dafür ist unglaublich viel Geld vorhanden. Der Höhepunkt in diesem Haushalt ist, dass man Geld für nicht wissenschaftliche Gutachten, wie die Ministerin das bezeichnet, herausschmeißt. Ich weiß, was damit gemeint ist. ({5}) Frau Künast ist die Spitze der Bewegung und zeigt besonders deutlich, dass die Grünen eine reine Klientelpartei sind und nichts anderes. ({6}) Das macht die Ministerin natürlich auch deswegen, da bestimmte Bereiche der Landwirtschaft, nämlich die Ökobetriebe, eine noch schlechtere Ertragslage hätten als heute, wenn sie diese nicht in diesem Maße päppeln würde; das weiß sie ganz genau. Das ist zu bedauern; das muss ich ganz offen sagen. ({7}) Mit diesem Haushalt betreibt Ministerin Künast nach unserer Auffassung nur ein Ziel - das können Sie sehen, wenn Sie ihn intensiv lesen -: Sie will die Landwirtschaft spalten. Nichts anderes will sie mit diesem Haushalt erreichen. ({8}) Gerüchteweise hört man, dass die Ministerin auch für den Verbraucherschutz zuständig sein soll. Ich sage: gerüchteweise; denn es gibt kaum Aktivitäten des Ministeriums in diesem Bereich. Das wird zum Beispiel beim Thema BSE deutlich. Der Rechnungshof hat uns mitgeteilt, das Referat Fleischhygiene sei personell ausgedünnt worden, obwohl sich gerade dieses Referat mit BSE beschäftigt. Das müssen Sie uns erklären. Ein weiteres Beispiel betrifft die Stiftung Warentest. Diese Stiftung leistet hervorragende Arbeit. Damit das so bleibt, fordert die FDP, dass sie als unabhängige Stiftung etabliert wird. Wir wollen, dass diese Stiftung unabhängig von dem Einfluss aus der Politik wird und unabhängig arbeiten kann. ({9}) Ministerin Künast versteht unter Verbraucherschutz nicht den Schutz der Verbraucher, sondern allein den Schutz der Verbraucherverbände. Gegenüber den Verbrauchern steht sie mit leeren Händen da. Das ist ihre Politik. ({10}) Im Ministerium werden - auch das ist sehr interessant - mehr und mehr neue Stellen geschaffen. Wir bestreiten nicht, dass die eine oder andere dieser Stellen notwendig ist, aber die Zahl der in diesem Ministerium geschaffenen Stellen ist ein einziger Skandal. ({11}) Da diese Stellen nicht im Bereich des Verbraucherschutzes angesiedelt sind, muss ich fragen, wofür Ministerin Künast diese Stellen braucht. Der Haushalt gibt Aufklärung und der Bundesrechnungshof hat uns das bestätigt: Die Leitung des Ministeriums mit Frau Künast an der Spitze saugt sich mit Stellen voll. ({12}) - Es gibt Berichte des Rechnungshofes, in denen das geschrieben steht. Das können Sie nicht bestreiten. Sie müssen den Rechnungshof kritisieren und nicht mich. Der Bericht liegt vor. Wenn Sie ihn nicht kennen, dann stelle ich ihn Ihnen gerne zur Verfügung. Darin können Sie lesen, wie die Stellen angehoben wurden und wo sich diese Stellen befinden. Das alles ist vom Bundesrechnungshof kritisiert worden. Darüber haben wir im Haushaltsausschuss beraten. Frau Künast verfolgt mit der Schaffung dieser Stellen nur ein einziges Ziel, nämlich aus dem Landwirtschaftsministerium in der Wilhelmstraße die ideologische Zentrale für Bündnis 90/Die Grünen zu machen. Nichts anderes hat sie vor. ({13}) Die Sorgen der Landwirte interessieren diese Ministerin überhaupt nicht. Diese sind für sie Nebensache. Hauptsache, sie kann als Heilige für die Legehennen durch das Land ziehen. Das ist das Ergebnis dieser Politik. ({14}) Deswegen stellen wir fest - Herr Präsident, ich komme zum Schluss -: Unsere Landwirte haben von diesem Ministerium nichts zu erwarten. Frau Ministerin, Sie haben Vorgänger mit großen Namen gehabt. Ich nenne Josef Ertl, Ignaz Kiechle, Jochen Borchert, der in unseren Reihen sitzt, oder selbst Karl-Heinz Funke von den Sozialdemokraten. Deren Politik haben Sie in wenigen Jahren zerschlagen. Sie werden verstehen, dass wir Ihrem Haushalt nicht zustimmen können. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Eichstädt-Bohlig vom Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Aigner und lieber Kollege Koppelin, ich muss schon sagen, die Katastrophenstimmung, die Sie hier verbreiten, kann ich überhaupt nicht verstehen. ({0}) Es war Renate Künast, die die Agrarpolitik aus der Krise herausgeführt hat. ({1}) Sie wollen sich wohl überhaupt nicht mehr an den BSESkandal, die Maul- und Klauenseuche, den Tiermehlfutterskandal, die Schweinepest und den Nitrofen-Skandal erinnern. ({2}) Wir hatten enorme Probleme im Landwirtschaftsbereich. Im Endeffekt sagen Sie jetzt nichts anderes, als dass alles wieder dahin zurück soll, wo es bereits vor zwei bis drei Jahren war. ({3}) Das kann doch wirklich nicht das Ziel sein. Das, was Sie hier bieten, ist erbärmlich. ({4}) Sie haben überhaupt keine Reformperspektive, sondern handeln sowohl hier als auch da nur schlicht nach dem Motto: Rollback, Rollback, Rollback. Kollege Koppelin, ich muss wirklich sagen: Der Satz mit der ideologischen Zentrale war richtiger Stuss. Das sollten Sie sich einmal klar machen. ({5}) Es geht nämlich um ganz klare Inhalte, zu denen man ernsthaft Stellung nehmen muss; man muss über sie diskutieren. Insofern ist völlig klar: Renate Künast ist eine Ministerin für die Landwirtschaft, ({6}) die Reformen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft anstrebt. Mir ihr wird es kein Zurück in eine Zeit geben, in der es Skandale, Gift, Chemie und Pestizide gab. ({7}) Es ist also völlig richtig, dass es hier einen ganz klaren Unterschied gibt. Kollege Bahr hat eben auch schon darauf hingewiesen, dass wir zu diesen Reformen, für die wir in der Landwirtschaft zunehmend Unterstützung gewinnen, stehen. ({8}) - Das ist ziemlich klar. - Es geht eben nicht nur um den ökologischen Landbau, sondern auch um die konventionelle Landwirtschaft. Unser Haushalt enthält einige Reformbausteine. Diese haben wir gesichert, obwohl wir teilweise auch Kürzungen vornehmen mussten. Das war nicht immer ganz leicht. Obwohl wir unser Konsolidierungsziel erreichen wollen, war es uns wichtig, die Reformbausteine zu sichern. Zu den nachwachsenden Rohstoffen hat Kollege Bahr das Wichtigste schon gesagt. Hierfür haben wir 63,6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das ist ein wichtiger Baustein, um für die Landwirtschaft neue wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen, um dem Landwirt, der gleichzeitig Energiewirt ist, neue Chancen zu geben und um in den anderen Bereichen landwirtschaftliche Rohstoffe, beispielsweise Hanf, zu Stoffen zu verarbeiten, sodass hier ganz neue Perspektiven eröffnet werden, anstatt immer nur in dem Bereich zu wirtschaften, in dem bisher schon gearbeitet wurde. ({9}) Ich komme zum Bereich Ökolandbau. Ich muss ganz deutlich sagen, dass es nicht darum geht, einfach nur die Nische Ökolandbau auszuweiten. Das ist der eine Teil. Der andere Teil ist aber genauso wichtig. Die konventionelle Landwirtschaft muss mehr Chancen bekommen, naturnah zu produzieren. Deswegen haben wir das Biosiegel eingeführt, das eben nicht nur für den engeren Bereich des ökologischen Landbaus gedacht ist, sondern durch das auch die Chance eröffnet wird, im Zwischenbereich ein Siegel dafür zu erhalten, dass ökologisch, naturverträglich und gesund produziert wird, sodass entsprechende Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt werden können. ({10}) Eigentlich sollten Sie inzwischen so weit sein, dass Sie das unterstützen, anstatt hier einfach herumzupöbeln. Das trägt nichts Konstruktives zur Sache bei. ({11}) In meinen nächsten Sätzen komme ich ganz konkret zur artgerechten Tierhaltung. Im Haushaltsausschuss haben wir uns intensiv darum gestritten. Ich finde es richtig und wichtig, den Landwirten und dem landwirtschaftlichen Gewerbe - es geht ja nicht nur um die Bauern und Landwirte selbst, sondern auch um Gewerbestrukturen die Chance zu geben, ihre Ställe und Legehennenbatterien ({12}) Schritt für Schritt umzubauen, damit es zu einer artgerechten Tierhaltung kommt. Wir können den Tierschutz doch nicht ins Grundgesetz schreiben, entsprechende gesetzliche Regelungen und Verordnungen weiter befördern und es dabei belassen. Wir wollen eine Politik, in der wir fordern und in der wir das Geforderte dann auch fördern. ({13}) Das sollte eigentlich Ihre Unterstützung haben. Ich bin mir sicher, dass es gelingt, die Bauern und Landwirte schrittweise zu überzeugen, dass sie durch dieses Programm wirklich etwas für ihr eigenes Unternehmen und für die Tierhaltung in ihrem Bereich tun können. Ich möchte auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Ich bin erstaunt, dass Sie sich so sehr gegen das Aktionsprogramm „Bäuerliche Landwirtschaft“ stellen, wohingegen Sie sich gleichzeitig beschweren, es werde für die traditionellen Landwirte zu wenig getan. ({14}) - Wir warten darauf und werden das ebenso wie die Fachpolitiker von der Ministerin einfordern. Dann wird diskutiert und in die Praxis umgesetzt. ({15}) Auf der Grünen Woche hat sich herausgestellt, dass die Beteiligten genau an diesem Baustein der Reform zur Stabilisierung des ländlichen Raumes sehr interessiert sind. ({16}) Genauso verhält es sich mit dem Modellvorhaben und dem Projekt „Regionen aktiv“. ({17}) Sie sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin, die Landwirtschaft nicht nur separat, sondern zusammen mit der Natur zu sehen. Erzeuger sollen mit Verbrauchern zusammengebracht werden, um so die Landwirtschaft als integrierte Form wahrzunehmen. Wenn Sie immer nur jammern können und keine besseren Rezepte haben, ({18}) sollten Sie lieber still sein. Sie können nicht immer nur das Rollback fordern. Solange Sie keine guten Ideen haben, brauchen wir Ihr Gerede - ich hätte beinahe Geblöke gesagt - nicht ernst zu nehmen. Aber wir sind ja in der Landwirtschaftsdebatte. ({19}) Ein Wort zum Verbraucherschutz - Kollege Bahr hat schon einiges dazu gesagt -: Wir wollen und werden Verbraucherschutz und Verbraucherinformationen Schritt für Schritt ausweiten und intensivieren. Als Erstes werden wir uns den Nahrungsmittelbereich vornehmen; denn gesunde Ernährung ist sehr wichtig. Aber gesundheitlicher Verbraucherschutz geht noch weiter. Nicht nur die Nahrungsmittel, sondern auch die Produktsicherheit steht im Vordergrund. Danach werden wir uns Schritt für Schritt dem wirtschaftlichen Verbraucherschutz bis hin zu Finanzdienstleistungen zuwenden, bei denen der Verbraucher manchmal übers Ohr gehauen wird. Wir informieren darüber, was dagegen getan werden kann. Insofern habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen, dass wir dafür nicht nur Geld, sondern auch ein paar Stellen bereitgestellt haben. Kollege Koppelin, sagen Sie einmal konkret, was Sie dagegen haben, wenn wir diesen Bereich stärken. Ich verstehe die Bedenken der FDP nicht, aber offenbar braucht sie das, weil sie gegen alles ist. ({20}) Ich möchte ein paar Worte zur Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ sagen. Wir haben uns gegen Ambitionen gewandt, hier die Mittel zu kürzen; das wissen Sie ganz genau. Darüber haben wir intensiv miteinander diskutiert. Aber Sie wissen auch, dass sich inzwischen die Länder Zug um Zug - das sind nicht nur Schleswig-Holstein und Niedersachsen - aus der Finanzierung zurückziehen. ({21}) - Die Mittel werden immer geringer. Sie haben nicht gesagt, in welcher Höhe die Länder gegenfinanzieren. ({22}) Der Beitrag der Länder wird von Jahr zu Jahr immer geringer. Dem hat sich die Finanzplanung schrittweise angepasst. Aber wir halten die Mittel auf dem Level, den die Länder mittragen. Richtig ist aber, dass wir darüber hinaus den Landwirten Angebote zur Reform machen, wie wir sie eben dargestellt haben. ({23}) Zu den Einsparungen in der landwirtschaftlichen Sozialpolitik. Sie haben gestern erlebt, dass mit den Verbänden eine einvernehmliche Lösung erzielt wurde. Daher sollte es in diesem Punkt keine Kritik geben. Dass wir zum Gesamtvolumen der Konsolidierung auch in diesem Bereich unseren Beitrag zum Sparen erbringen müssen, sollte nicht weiter strittig sein. Ich möchte noch ein paar Takte zu Ihren Anträgen sagen. In ihnen spiegelt sich die Grundhaltung wider, gegen alles zu sein. Die CDU/CSU möchte die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe gerne erhöhen. Das wird praktisch nicht gelingen, weil die Länder nicht kofinanzieren können. Das ist also ein Luftantrag. ({24}) Zur FDP muss ich sagen: Sie hat in ihren vielen Anträgen - wir haben die rosa Anträge vorhin erhalten nach der Rasenmähermethode die Kürzung aller Mittel verlangt. Die Landwirtschaft der 80er-Jahre lässt herzlich grüßen. Wir wünschen Ihnen dabei viel Spaß. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Klöckner von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin neu im Bundestag und dachte immer, dass uns Polemik gegen die Regierung nicht weiterbringt. ({0}) Deswegen bin ich davon ausgegangen, dass eine sachliche Auseinandersetzung hilfreich sein würde. Aber man stößt sehr schnell an die Grenzen des guten Willens, wenn man sich anschaut, wie Sie Agrarpolitik betreiben und den Agrarhaushalt aufstellen. ({1}) Da bleibt wenig Raum für rationales Argumentieren. Hier wird ein negatives Bild von den Bauern gezeichnet und es wird ein Landwirtschaftstraum geträumt, der nicht mit den Bauern geträumt wird. Wenn Sie von Ökowiesen sprechen und sagen, dass es den Bauern gut gehe und wir nicht wüssten, wie es den Bauern gehe, dann weiß ich nicht, welche Pappmascheebauern Ihnen vorgestellt worden sind. ({2}) Glauben Sie mir: Unsere Bauern verlangen gewiss keine Wunder. Sie verlangen in ihrer Situation einfach nur Unterstützung. Liebe Frau Künast, mancher Bauer wünschte, einmal mit solcher Sorge bedacht zu werden, wie Sie sie den Blumen, Pflanzen und Tieren zukommen lassen. ({3}) Leider sind Sie in erster Linie Anwältin Ihrer Partei. ({4}) - Ja, aber das geschieht erst im Jahre 2005, dann sind wir alle gerettet. - Sie sind viel zu wenig Agrarministerin. Das ist schade. ({5}) Es heißt, auch die Landwirtschaft müsse ihren Beitrag zu den BSE-Folgekosten leisten. Das Gleiche wird gesagt, wenn es um die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder um die Ökosteuer geht. Überall sollen die Bauern also ihren Beitrag leisten. Aber Sie sollten wissen: Kühe kann man nicht ewig melken. ({6}) - Ja, ein bisschen Futter brauchen sie auch. Ärger erregend ist die Tatsache, wie und wo Sie die Kürzungen vornehmen. Wir erwarten mehr Fantasie und Verständnis für die Bauern. Landwirtschaft hat - das sagt das Wort - nämlich auch etwas mit Wirtschaften zu tun. Bauern sind auch da, um Einkommen zu erzielen. ({7}) Eines muss klar gesagt werden: Nur wirtschaftlich gesunde Betriebe können auf Dauer nachhaltig arbeiten und letztlich auch die Auflagen, von denen ihnen immer mehr gemacht werden, erfüllen. Das, was Sie noch für den Berufsstand der Bauern übrig haben, ist eine andere Art der Sterbehilfe. ({8}) Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe - GAK - werden um 107 Millionen Euro geringer ausfallen. Mit diesen Kürzungen und Umschichtungen setzen Sie in dieser Zeit gerade die falschen Zeichen. Sie verhalten sich innerhalb Ihres Agraretats übrigens sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite verlangen Sie von der EU den Ausbau der zweiten Säule. Auf der anderen Seite streichen Sie in Deutschland die Kofinanzierungsmittel dafür. Der Weg geht einfach in die falsche Richtung. ({9}) Den Bauern muss angst und bange werden, bedenkt man, dass mit den gestrichenen Mitteln das Bundesprogramm „Tiergerechte Haltungsverfahren in der Legehennenhaltung“ von 13 auf 50 Millionen Euro aufgestockt wird. Entfallen sind im Haushalt die Mittel für die Gasölverbilligung. Aber die Ökosteuerbelastung in Höhe von etwa 460 Millionen Euro dürfen die Bauern wiederum tragen. Ist Ihnen, liebe Frau Ministerin, eigentlich bewusst, dass die Landwirtschaft zwischen 1999 und 2002 gut die Hälfte des Rückgangs der Bundessubventionen, also 400 Millionen Euro, getragen hat? Mittlerweile hat Deutschland im EU-Vergleich neben dem Vereinigten Königreich die niedrigsten nationalen Beihilfen. Alle anderen Länder haben also mehr für ihre Landwirtschaft übrig als Sie. ({10}) Fatal ist, dass der Begriff Wettbewerbsfähigkeit in der derzeitigen Agrarpolitik der Bundesregierung gar nicht vorzukommen scheint. Deutlich wird dies an der belastenden Steuer- und Haushaltspolitik, an der einseitigen und ideologischen Ausrichtung Ihrer Agrarpolitik und an der untragbar gewordenen Bürokratisierung. ({11}) Denn Sie sollten wissen: Gute Produkte werden nicht am Schreibtisch gemacht. Das wäre nämlich ein Wunder. ({12}) In der jetzigen Zeit sagen Sie ja: Wunder brauchen manchmal etwas länger. Aber ich sage Ihnen: Wir brauchen keine Wunder. Wir brauchen Taten, die man aber - gerade wenn man in der Regierung ist - selbst angehen muss. ({13}) Die eigentumsfeindliche Naturschutzgesetzgebung und die nationalen Alleingänge zum Schaden der heimischen Landwirtschaft müssen endlich rückgängig gemacht werden. Wir müssen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit kommen. Es geht nicht, dass die Bauern dafür, dass sie gute Arbeit leisten, mit Abzügen, Lasten und letztlich auch Missachtung belohnt werden. Wie schon im Jahre 1998 wird die Schaffung leistungs- und wettbewerbsfähiger Betriebe als Ziel Ihrer Agrarpolitik hingestellt. Wenn Sie das tun wollen - das hört sich ja sehr gut an; Papier ist auch geduldig -, dann frage ich Sie: Warum haben Sie vier Jahre lang das Gegenteil gemacht? Jetzt beginnt das Gleiche von vorn. Der verhängnisvolle Irrweg, die moderne, nachhaltige Landwirtschaft und die ökologische Landwirtschaft gegeneinander auszuspielen, wird leider weiterhin beschritten. ({14}) - Schauen Sie sich doch einmal die einzelnen Haushaltspläne an. Schauen Sie sich doch an, wer gefördert wird. Fragen Sie die Biobauern, die Biomilch herstellen. Sie klagen und rüsten jetzt wieder auf konventionelle Produktion um, weil die Preise im Keller sind.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Klöckner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ostendorff?

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er kann jetzt mal entspannt sein. Das ist meine erste Rede. Ich habe ihm auch keine Zwischenfrage gestellt. ({0}) Sie haben vor, in den nächsten zehn Jahren den Anteil des Ökolandbaus auf 20 Prozent zu puschen. Das ist doch fern jeglicher Marktmechanismen, das ist Planwirtschaft. ({1}) Sagen Sie nicht, dass Sie nicht zwischen ökologisch wirtschaftenden und konventionell wirtschaftenden Betrieben unterscheiden. Durch diese Politik werden unsere einheimischen Ökolandwirte selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, weil ein höheres Angebot unweigerlich zu niedrigen Preisen führt. ({2}) Ökonomie durch Ökologie zu ersetzen, das ist der falsche Weg und nicht gerade sehr weise. Man kann zwar einmal die Worte vertauschen, weil sie beide mit Öko anfangen, aber das Nachsehen haben dann die Betriebe, weil sie bluten müssen. 2,5 Millionen Euro sollen für Anzeigen in Zeitschriften ausgegeben werden, hat Staatssekretär Thalheim uns in der vergangenen Fragestunde geantwortet. Ich habe gefragt, ob er uns sagen könne, ob die Nachfrage gestiegen sei und ob er eine Korrelation zwischen den geschalteten Anzeigen und der Nachfrage herstellen könne. Man hört und staunt und PR-Fachleute schütteln mit dem Kopf: Das könne man nicht nachvollziehen. Also wird hier Geld einfach in die Luft geblasen. Er sagte, Image könne man nicht nachvollziehen. Die Bauern pfeifen auf ein grünäugiges Image, das nur für eine Ministerin kreiert ist. ({3}) Nach Angaben Ihres Ministeriums wurden im vergangenen Jahr 13,56 Millionen Euro für den Posten Aufklärung der Verbraucher im Ernährungsbereich ausgegeben. Sage und schreibe 7,6 Millionen, also mehr als die Hälfte, wurden in das Biosiegel gebuttert. Dabei gilt selbst unter den Ökobauern das Biosiegel als Etikettenschwindel. Das ist bitter, eine Art Ökolight. ({4}) Bei Investitionen wird also gekürzt und in einem anderen Bereich, der gar nicht zu den Aufgaben der Bundesregierung gehört, wird plötzlich Geld für Werbung für Ökoprodukte ausgegeben. Da laufen Sie mit Spendierhosen herum. ({5}) Es kann doch nicht sein, dass einseitig Werbemaßnahmen forciert werden. Wenn ständig Reklame für Umweltschutz betrieben wird, dann sollte das konsequenterweise vom Budget des Herrn Trittin abgezogen werden. ({6}) Ein Auseinanderdividieren der so genannten biologischen und der konventionellen Landwirtschaft ist einfach nur Unsinn. Das tun die Marktteilnehmer nicht, das tun die Verbraucher nicht und das sollte auch die Politik bitte sein lassen. Manchmal ist die Welt einfacher, als man denkt. Gute Produkte sind gute Produkte, egal ob sie biologisch oder konventionell erzeugt worden sind, egal ob sie importiert sind oder hier produziert wurden. Schlechte Produkte bleiben schlechte Produkte. ({7}) Etwas weniger Ideologie und Feindbilder, dafür etwas mehr Verständnis und Fairness, das wünschen sich die Bauern. Wenn Sie mit ihnen sprechen würden, dann würde Ihnen das auch klar werden. Wir müssen dankbar sein, dass der Bundesrat das so genannte Steuervergünstigungsabbaugesetz abgelehnt hat. ({8}) Fragen Sie doch einmal Ihre Kollegen, warum sie Scheinänderungsanträge eingebracht haben. Gerade vor den Landtagswahlen haben sie gesagt, sie unterstützten die Gartenbauern und die Bauern, was die Pauschalierung und die Umsatzsteuer angeht. Als es so weit war, gab es überhaupt keine Änderungsanträge mehr. Wo bleibt die Logik bei den Umsatzsteuersätzen für landwirtschaftliche Vorprodukte und Futtermittel? Darf jetzt der Kampfhund zu einem Umsatzsteuersatz von 7 Prozent futtern, die arme Kuh aber zu einem Umsatzsteuersatz von 16 Prozent? Das kann es nicht sein. In Frankreich beträgt der Umsatzsteuersatz 5,5 Prozent. ({9}) Wenn Sie jetzt noch sagen, Sie unterstützten die deutsche Landwirtschaft, dann ist das blanker Hohn. ({10}) Mit dem, was Sie vorhaben, können Sie keine goldene Kuh gewinnen. Ich glaube, für ein lahmendes Ökokälbchen reicht es auch nicht mehr. Was müssen wir tun, um die Kuh vom Eis zu bekommen? Dringend erforderlich sind Maßnahmen zur Entbürokratisierung. Wir müssen auch Wettbewerbsbehinderungen der EU im Binnenmarkt unterbinden. Bei einem Blick in den aktuellen WTO-Antrag der Koalition wird einem angst und bange. ({11}) Wessen Regierung sind Sie eigentlich? Wen vertreten Sie? 99 Prozent des Antrags beschäftigen sich mit der Entwicklungshilfe. Das ist zwar sehr edel und gut, aber dem nationalen und dem europäischen Markt wird nur ein Satz gewidmet. Vielleicht verstehen Sie zu wenig von Entwicklungshilfe; denn die gut funktionierende Zuckermarktordnung hat sehr wohl die Entwicklungsländer im Blick. Ich möchte im Übrigen keine Produkte essen, die in Ländern hergestellt werden, in denen die Menschen verhungern müssen. ({12}) Verehrte Ministerin Künast, auch die Union tritt für gesunde Nahrungsmittel ein, die über jeden Zweifel erhaben sind. Auch die Union tritt für Tier- und Naturschutz ein. Aber die Union tritt auch für diejenigen ein, die sich der Arbeit in der Landwirtschaft widmen. Wir wollen keine Politik gegen die Bäuerinnen und Bauern, sondern wir wollen die Politik mit ihnen und für sie gestalten. Deshalb stimmen wir Ihrem Haushaltsplan auf keinem Fall zu. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Klöckner, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! ({0}) Ich erteile dem Kollegen Friedrich Ostendorff zu einer Kurzintervention das Wort.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin, auch von mir herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Es hat mir fern gelegen, Ihnen eine Frage zu stellen. Vielmehr wollte ich Ihnen nur helfen, zwei wichtige Irrtümer in Ihrer Rede zu korrigieren. Sie können das noch nicht wissen; Sie sind ja neu hier. Das bin ich zwar auch, aber ich habe es schon gelernt. ({0}) Das eine hätten Sie allerdings wissen können, nämlich dass wir alle rot-grünen Anträge zur landwirtschaftlichen Besteuerung durchbekommen haben. Das wissen Sie sicherlich auch. ({1}) Ihre andere Behauptung betrifft die Gasölverbilligung, die seit 1999 nicht mehr im Agrarhaushalt aufgeführt ist. ({2}) Das kann man nachlesen, wenn man sich vorbereitet. Diese Steuermindereinnahme befindet sich im Etat des Finanzministers. Das Agrarressort ist seit 1999 nicht mehr dafür zuständig. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Wollen Sie etwas erwidern, Frau Kollegin Klöckner? Bitte schön.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Gasölverbilligung war eindeutig bis 2001 im Agrarhaushalt aufgeführt. Wenn Ihnen das nicht bekannt ist, dann haben Sie sich nicht gut vorbereitet. ({0}) Ich unterhalte mich auch mit Kollegen von der SPD. Vielleicht informieren Sie sich auch einmal dort. ({1}) Auch wenn ein Titel nicht im Agrarhaushalt aufgeführt ist, kann man sich darüber austauschen, wenn es in diesem Zusammenhang etwas zu monieren gibt. ({2}) Man sollte den schwarzen Peter nicht anderen zuschieben. ({3}) - Vielleicht hören Sie zu, wenn ich Ihnen antworten soll. Ihrer Äußerung, Sie hätten alle Änderungsanträge durchbekommen, ist entgegenzuhalten: Wenn Sie den Gartenbauern kurz vor den beiden Wahlen, die kürzlich stattgefunden haben, versprechen, dass die Mehrwertsteuer für Blumen und Pflanzen nicht von 7 Prozent auf 16 Prozent erhöht wird, ist das zwar zu begrüßen, aber die Gartenbauern können sich schon langsam darauf vorbereiten, ihre Betriebe zu schließen, weil die Erhöhung 2005 doch erfolgen wird. Ob es besser ist, langsamer zu sterben als sehr schnell, weiß ich nicht. ({4}) - Das ändert nicht viel. Sie haben außerdem vielen Bauern versprochen - das haben wir nachgelesen; die Kopien haben uns im Ausschuss bzw. in der Arbeitsgruppe vorgelegen -, dass der Vorsteuerabzug für landwirtschaftliche Futtermittel nicht so umgesetzt wird wie vorgesehen. ({5}) - Es lag etwas Schriftliches vor; es war drin, nachher nicht mehr. Ich denke, hier steht Behauptung gegen Behauptung. Jeder kann sich selber sein Urteil bilden. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Fraktion.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Klöckner, auch von meiner Seite herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede. Wenn Sie aber Ihre Rede mit dem Hinweis beginnen, dass Sie die Polemik nicht fortsetzen wollten bzw. dass Sie kein Verständnis für Polemik hätten, dann sollten Sie sich selber daran halten und dürfen die Polemik nicht in diesem Maße überziehen. ({0}) Sie, die Sie als ehemalige Weinkönigin mit Sicherheit auf Anzeigen des Weinhandels und der Winzer angewiesen waren, dürfen eine derartige Aussage nicht machen, wenn es - Sie haben eine Anzeigenkampagne angesprochen - um Werbemittel geht. ({1}) So etwas wollen wir hier nicht haben. ({2}) - Nein danke, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Wir beraten heute über den Einzelplan 10, den Haushalt für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Ich muss leider feststellen, dass weder Sie, Frau Aigner, noch Sie, Frau Klöckner, mit einem einzigen Wort den Verbraucherschutz und den Verbraucherhaushalt angesprochen haben. Sie haben lediglich über den Landwirtschaftshaushalt geredet. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Teuchner, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Klöckner?

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein danke. Wir haben zu Beginn des Jahres 2001 die Kompetenzen für den Verbraucherschutz in einem Ministerium gebündelt und haben versprochen, dass wir dort einen Schwerpunkt unserer Politik setzen werden. Wer sich den Haushalt 2003 genau anschaut, wird erkennen, dass wir Wort gehalten haben. ({0}) Wir setzen also das fort, was wir schon im letzten Jahr begonnen haben: Trotz Haushaltskonsolidierung setzen wir Schwerpunkte und stellen die notwendigen Mittel - das ist eindeutig - zur Verfügung. Mit einem Plus von 18 Prozent bzw. 5,9 Millionen Euro gehört die Verbraucherpolitik dazu. Das ist notwendig. Mit dem Haushalt 2003 setzen wir das, was wir angekündigt haben, auch um. ({1}) Wir finanzieren mit diesen Mitteln eine Verbraucherpolitik, die weit mehr ist als nur eine Politik für sichere Lebensmittel. Verbraucherpolitik darf weder auf den gesundheitlichen Verbraucherschutz reduziert noch mit Wettbewerbspolitik gleichgesetzt werden. Mit den Mitteln für die Verbraucherpolitik stärken wir über die Zuschüsse für die „Verbraucherzentrale Bundesverband“ die Vertretung der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die rechtliche Vertretung kollektiver Verbraucherinteressen. ({2}) Wir bieten den Konsumenten außerdem über die Mittel für die Stiftung Warentest - im Gegensatz zu manch anderen haben wir lange Gespräche mit den Verantwortlichen dieser Stiftung geführt - und die Projektförderung Hilfestellung für eine bewusste Konsumentenentscheidung. ({3}) Wir wissen, dass zuverlässige Informationen eine wichtige Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentenentscheidungen sind. Mit diesen Mitteln bieten wir den Verbraucherinnen und Verbrauchern diese Informationen. Die Liste der geförderten Projekte zeigt, dass wir im Haushalt wichtige Impulse setzen. Sie zeigt aber auch, dass die Finanzierung von Informationen nur ein Teil der Verbraucherpolitik ist. Der Verbraucher ist ein aktiver Teilnehmer am Marktgeschehen, der als Einzelner das Recht auf Schutz hat und der die Möglichkeit zur Gegenwehr braucht. Stärkere Handelsverflechtungen, grenzüberschreitender Handel sowie komplexer werdende Produkte und Dienstleistungen bedingen eine Verbraucherpolitik, die verstärkt die Grundsätze des Verhältnisses von Verbrauchern und Anbietern regelt. Die Politik muss Regelungen schaffen, die einen vorsorgenden Verbraucherschutz und die Verantwortlichkeit der Anbieter über den Einzelfall hinaus sicherstellen. Wir werden uns weiterhin um den gesundheitlichen Verbraucherschutz kümmern. Wir werden die Produktsicherheitsrichtlinie so umsetzen, dass das Produktsicherheitsgesetz zu einer Auffangvorschrift für alle sicherheitsrelevanten Aspekte von Produkten wird. Dazu gehören verbesserte Kriterien für die Sicherheitsbeurteilung und ein besserer Zugang für die Öffentlichkeit zu Produktinformationen. Verbraucherpolitik ist eine Querschnittsaufgabe, die alle Ressorts betrifft. Es ist eine Aufgabe, die die Zusammenarbeit von EU, Bund und Ländern bedingt. Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, dieser Aufgabe ein stärkeres Gewicht innerhalb der Politik zu geben. ({4}) Wir haben ein hohes Verbraucherschutzniveau erreicht, sei es beim gesundheitlichen Verbraucherschutz, sei es beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz oder sei es bei der rechtlichen Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieses Verbraucherschutzniveau werden wir auch auf den sich wandelnden Märkten halten. Wir greifen dabei die Initiativen der Wirtschaft und der Verbraucherverbände gerne auf. Auch wir sehen in Selbstverpflichtungen eine Möglichkeit, Regelungen einvernehmlich zu treffen. Damit solche Selbstverpflichtungen Wirkung zeigen, müssen Regelungen für die Nichtumsetzung getroffen werden. Auch außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren, die von Verbrauchern und Unternehmen akzeptiert werden, können den Zugang zum Recht erheblich erleichtern und für schnelle und unbürokratische Lösungen sorgen. Eigeninitiative ergänzt in vielen Bereichen das bisherige staatliche Handeln. Gleichzeitig entsteht insbesondere durch das Zusammenwachsen Europas ein breiteres, aber auch ein unübersichtlicheres Angebot an Dienstleistungen und Waren. Die private Altersvorsorge gewinnt dabei genauso an Bedeutung wie die verschiedensten Angebote zur Aus- und Weiterbildung. Diese Herausforderung nehmen wir an. Wir geben den Verbraucherinnen und Verbrauchern Informationen und vor allem die Möglichkeit zur politischen Vertretung. ({5}) In den Haushalt 2003 wurden die dazu notwendigen Mittel eingestellt. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bevor ich der Kollegin Klöckner das Wort zur einer Kurzintervention erteile, will ich darauf hinweisen, dass ich wegen der fortgeschrittenen Stunde danach keine weitere Kurzintervention zulassen werde. ({0}) Ich bitte um Ihr Verständnis. Frau Kollegin Klöckner, bitte schön.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Teuchner, es ehrt Sie, dass Sie an den deutschen Wein denken. Aber es ist eigentlich schon eine Unverschämtheit, einen solchen Vergleich mit dem Deutschen Weininstitut zu ziehen. Das Deutsche Weininstitut - Sie haben dieses Thema angesprochen - hat einen Plan, aus dem genau hervorgeht, was es mit welcher Werbekampagne, also mit welchen Kaufanreizen, erreichen möchte. Letztlich wird es einen Bericht darüber geben, ob und wie das, was man erreichen wollte, erreicht worden ist oder nicht. Planwirtschaft hat nicht nur etwas mit dem Wort „Plan“ zu tun. Sie sollten sich einmal informieren, was Planwirtschaft wirklich bedeutet. Frau Teuchner, Sie haben mich vielleicht nicht richtig verstanden. Herr Thalheim antwortete auf eine Frage in der Fragestunde: Nein, es gibt keine nachweisbaren Korrelationen in dieser Sache; dabei geht es nur um das Image. Wenn die Bundesregierung Geld für Imagewerbung ausgibt, dann dürfen wir, die Oppositionspolitiker, schon fragen, für welches Image Geld ausgegeben wird. ({0}) - „Freiheit für das Ei“ ist für die Bauern wirklich zu wenig. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Teuchner hat das Wort zur Erwiderung.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Fakt ist doch wohl, dass Sie von dem Parlamentarischen Staatssekretär eine Antwort auf Ihre Frage nach der Anzeigenkampagne, die praktisch erst jetzt anläuft, bekommen haben. ({0}) Wenn man nicht weiß, ob eine Kampagne angelaufen ist oder nicht, dann kann man sich nicht in dem von Ihnen gewünschten Sinne äußern. Ich kann mich nur daran erinnern, dass seitens der CMA Anzeigen geschaltet werden, denen ein festgelegtes Konzept zugrunde liegt. Nachdem die entsprechenden Kampagnen gelaufen sind, kann man feststellen, welchen Effekt sie gehabt haben. ({1}) Ich gehe davon aus, dass Ihnen der Staatssekretär Thalheim nach Ablauf dieser Kampagne eine Antwort auf Ihre Frage geben kann. Ich denke, einen unmittelbaren Zusammenhang, wie Sie ihn andeuten, gibt es nicht.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Goldmann von der FDP-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen den Einzelplan 10 - Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - unter dem Gesichtspunkt prüfen, ob er die Weichen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft richtig stellt. Frau EichstädtBohlig, ich gebe Ihnen Recht: Wir müssen die Weichen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft stellen. Niemand von uns will, wie Sie es gesagt haben, zu den Skandalen zurück. Ich würde da auch sehr vorsichtig sein. Sehr viele Vorgänge, die mit dem Begriff „Skandal“ belegt sind, waren nicht zu Zeiten der Regierung von Schwarz/ Blau-Gelb, sondern zu Zeiten von Rot-Grün: ({0}) Nitrofen, Nitrofuran, Dioxin, Apolda, Acrylamid. Ich nenne das nicht „Skandale“, aber die Ereignisse werden von dem einen oder anderen Verbraucher als Skandal empfunden. All das ist unter Ihrer Regierung und nicht unter unserer Regierung in den Medien gewesen. ({1}) - Das ist nicht lange her. Liebe Frau Eichstädt-Bohlig, lassen Sie uns die Diskussion nicht so platt und so falsch führen nach dem Motto: Die blöken und stellen Anträge, die uns um Jahrzehnte zurückwerfen. - Lesen Sie sich die Anträge schlicht und ergreifend einmal durch! Wenn Sie das tun, werden Sie zu dem Ergebnis kommen, dass unsere Anträge darauf abzielen, unternehmerische Landwirtschaft im Markt zu halten. ({2}) Herr Ostendorff, da brauchen Sie gar nicht böse zu gucken. Für uns ist unternehmerische Landwirtschaft durchaus auch im ökologischen Bereich notwendig und richtig. Dort, wo es durch Kreativität und eigenes Tun des landwirtschaftlichen Betriebes eine unternehmerische ökologische Chance gibt, soll sie genutzt werden. ({3}) Wir sollten nur nicht so tun, als ob am ökologischen Wesen die deutsche Landwirtschaft genesen könnte; das ist der Fehler, der bei diesem Haushalt gemacht wird. ({4}) Frau Eichstädt-Bohlig, ich will nicht wieder unterstellen, dass Sie das nicht wissen, aber es ist doch so: Wir diskutieren im Moment über Cross Compliance. Es gibt von der europäischen Ebene 38 Vorschläge dazu, was eingehalten werden soll. ({5}) - 38. ({6}) - 38! - Wissen Sie eigentlich, dass schon jetzt 35 von diesen 38 Vorschlägen von deutschen Bauern in guter fachlicher Praxis eingehalten werden, weil sie selbst die Verantwortung für ihr agrarisches Tun wahrnehmen, ({7}) da sie ganz genau wissen, dass sie im internationalen Wettbewerb nur mit Qualitätsprodukten werden bestehen können? Tun Sie also nicht so, als ob wir den Bauern sagen müssten, was gut für sie ist! ({8}) Wir müssen die Weichen dafür stellen, dass die Bauern das umsetzen können, von dem sie wissen, dass es gut für sie ist. ({9}) Genau das passiert mit diesem Haushalt nicht. Ich bin in Sorge um diesen Haushalt. Ich habe mir das lange überlegt und mich gefragt, ob ich mit dieser Position falsch liege. Sie gaukeln den Ökobetrieben vor, dass es für sie eine Marktchance von 10, 12, 15, 20 Prozent gibt. Diese Marktchance gibt es schlicht und ergreifend nicht, weil der Qualitäts- und Sicherheitsunterschied zwischen dem konventionellen Produkt und dem ökologischen Produkt nicht so ist, wie es Ihrer Ideologiewelt entspricht. ({10}) Wir haben es doch vor kurzem bei der Präsentation einer ernst zu nehmenden Untersuchung der LohmannStiftung erlebt. Herr Ostendorff war dabei. Ich habe es als normal und richtig empfunden, dass Sie davon betroffen waren. Der Vergleich von Intensiv- und Freilandhaltung, der Vergleich zwischen Intensiv-, Freiland- und ökologischer Haltung war vernichtend für die ökologische Haltung. ({11}) - Herr Kollege Ostendorff, Sie können sich gern zu einer Zwischenfrage melden. Ich antworte Ihnen dann auch. Herr Professor Ellendorf hat eine wissenschaftliche Untersuchung vorgestellt. ({12}) - Sie könnten einen Ökobeitrag leisten, indem Sie nicht so furchtbar herumbrüllen. ({13}) Ich finde es unangenehm, wie Sie hier durch Lautstärke und Aggressivität ein Thema an sich reißen, bei dem Sie schlichtweg falsch liegen. ({14}) Es waren Kollegen von Ihnen da, die diese wissenschaftliche Untersuchung im Grunde genommen bestätigt haben. ({15}) Sie wissen genauso wie ich - ich kenne mich in der Geflügelwirtschaft aus -, dass dort, wo Geflügel frei läuft, besondere ökologische Belastungen für den Boden entstehen. ({16}) Reden Sie also nicht so an der Sache vorbei! ({17}) Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen. Frau Künast, Sie betreiben mit dieser grundökologischen Orientierung meiner Meinung nach eine Politik, die in die Sackgasse führt, die die ökologisch orientierten Betriebe an die Wand fährt. Die Menschen, die in dieser Glaubenshaltung - so muss ich fast sagen - wirtschaften, beuten sich selbst aus. Sie haben mit ihrer Produktorientierung im Regelfall keine Marktchancen. ({18}) - Herr Ostendorff, der Agrarbericht hat es dargelegt. Die Einbußen bei den konventionellen Landwirten waren erheblich, bei den ökologisch orientierten Landwirten waren sie dramatisch. ({19}) Nehmen Sie doch einfach mal zur Kenntnis, dass Sie dort auf dem falschen Weg sind. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Goldmann, kommen Sie bitte zum Schluss.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. Ich fordere Frau Künast sehr nachdrücklich auf: Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab. Ich sage das auch im Hinblick auf die Geflügelpest. Frau Künast, fordern Sie Ihre Kollegin Höhn in Nordrhein-Westfalen mit Nachdruck auf, einzustallen. Es ist eine Katastrophe, dass in Niedersachsen eingestallt werden muss und drei Kilometer südlich in Nordrhein-Westfalen nicht. Das versteht kein Mensch. Das ist unfachlich. Das ist in meinen Augen - das sage ich Ihnen ganz ehrlich - ein Verbrechen an der Geflügelwirtschaft und an den Tieren; ({0}) denn die kommen dabei zu Tode und sind die Leidtragenden einer ideologischen Politik, die meiner Meinung nach keinerlei Rechtfertigung hat. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Weisheit von der SPD-Fraktion. ({0})

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Goldmann, ich finde es immer wieder wunderschön, wenn auf der einen Seite der unternehmerische, selbstständige und wissenschaftlich gut ausgebildete Landwirt in den Himmel gehoben wird und man ihm auf der anderen Seite vorschreibt, er solle seine Hühner einstallen. ({0}) - Das ist so! Man braucht das den Leuten nicht vorzuschreiben, sondern sie machen das von allein. ({1}) - Ich lasse keine Zwischenfrage zu, denn ich habe überhaupt keine Lust, die Debatte heute Abend zu verlängern. Ich möchte auf einen zweiten Punkt eingehen, Herr Goldmann. ({2}) - Ihre Fachkenntnis bezieht sich natürlich auf das, was von Professor Ellendorf und von der Lohmann-Stiftung erzählt wird. ({3}) - Da gehe ich auch nicht mehr hin. ({4}) - Nein, ich habe mich gar nicht erst angemeldet, weil ich nicht mehr zu Lobbyveranstaltungen gehe, wo die Interessen von vornherein klar sind. ({5}) Der Name Ellendorf spricht für sich. Das wissen wir doch. Da gibt es eine Geschichte im Zusammenhang mit Hühnerhaltung in Celle, die ein paar Jahre zurückliegt. Über den Mann brauchen wir hier nicht zu reden. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Weisheit hat das Wort.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann kommt die nächste Geschichte, Herr Goldmann. Ich finde es ganz schön frivol, was Sie hier machen. ({0}) - Peter Harry, ich kann meine private Meinung in dem Zusammenhang durchaus äußern und sagen, dass der Name für sich spricht und dass ich zu Veranstaltungen mit ihm nicht gehe. Dann ist der Fall erledigt. ({1}) Ich halte Folgendes für frivol: Seit den BSE-Fällen ist die Öffentlichkeit wirklich aufmerksam, was Lebensmittel und Verstöße gegen die Lebensmittelsicherheit angeht. Vorher war diese Aufmerksamkeit nicht allzu groß, obwohl sie auch damals schon vorhanden war. Aber in den letzten Jahren sind eine ganze Reihe von Dingen aufgekommen und ruck, zuck aufgeklärt worden. ({2}) - Ja, das sind sie. Sie haben zwar in Fragestunden und durch endlose Debatten im Ausschuss versucht, das zu verdrehen, und behauptet, dass die Bundesregierung schuld sei, dass das nicht funktioniert. Aber was Sie in dem Zusammenhang probiert haben, war immer erfolglos. Die Arbeit auf Bundesebene funktioniert hervorragend. Es wäre auch ganz schön gewesen, wenn einmal ein lobendes Wort ({3}) über das Institut für Risikoabschätzung und über das Bundesamt für Verbraucherschutz gekommen wäre. ({4}) Sie arbeiten nämlich hervorragend. ({5}) Das wäre besser gewesen als die einseitige Polemik. Eigentlich wollte ich Sie heute loben. ({6}) Nachdem ich mir die Anträge angesehen habe, habe ich festgestellt: Da werden wenigstens keine Luftnummern gebaut. Ich meine, die Gesamtdiskussion über den Haushalt war ja schon eine kabarettreife Leistung. Auf der einen Seite wird geklagt, dass der Haushalt von den Einnahmen her sowieso nicht stimme. Auf der anderen Seite satteln Sie in jedem Ressort Milliarden drauf, ({7}) ohne dass irgendwo ein Ausgleich dafür da ist. ({8}) - Nein, nein, das war sehr kabarettreif, was heute und gestern geboten wurde. ({9}) Ich habe gesagt: Ich wollte Sie loben, dass Sie das mit Ihren Anträgen im Bereich des Einzelplanes 10 nicht gemacht haben. Auf der anderen Seite ist es mit dem Lob schon vorbei. Denn wie Sie einsammeln - das ist klar -, das ist die alte - ich sage es ganz deutlich - ideologische Linie gegen alles, was Öko heißt und in eine neue Richtung geht. ({10}) Mit der Linie werden Sie keinen Erfolg haben. Diese Koalition und die Ministerin werden dagegen Erfolg haben. Jetzt komme ich zu etwas, von dem Sie überhaupt nicht denken, dass mir das heute Abend noch einfallen würde. ({11}) - Ach Peter Harry, hör doch auf mit dem blöden Geschwätz. Das ist wirklich nicht mehr zu ertragen. ({12}) - Doch, natürlich ist sie erfolgreich, auch in der Landwirtschaftspolitik. Ich will jetzt die Ministerin loben. ({13}) - Ja, ja, jetzt lass mich doch einmal ausreden. Das macht keinen Sinn.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Also liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Rededuell, sondern das Wort hat der Kollege Weisheit.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir hatten vor über einem Jahr auch auf Druck der Opposition permanent und ständig Ärger. Es hieß, diese Bundesregierung verhindere Pflanzenschutz, sie mache die Obstbauern kaputt und so fort. In der Zwischenzeit hat diese Ministerin gemeinsam mit den Naturschutzverbänden, gemeinsam mit den Obstbauern, gemeinsam mit dem UBA, gemeinsam mit dem neuen Amt - die frühere BBA - eine Regelung erarbeitet, die den Einsatz von Plantomycin erlaubt, wenn es unbedingt notwendig ist, und mit der Lücken im Pflanzenschutz geschlossen wurden. Das ist eine hervorragende und gute Arbeit, die hier geleistet worden ist. Das nützt den Bauern sehr viel mehr; das erkennen sie übrigens auch an. Bei den Abstandsregelungen sind ähnliche Dinge auf dem Weg. Diese nützen sehr viel mehr als die ständige einseitige Polemik gegen die Ministerin, gegen die Regierung, gegen die rot-grüne Koalition und alles, was man neu machen will. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ursula Heinen von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg ein Wort zu Ihnen, Frau Teuchner: Ich fand es schon ein ganz schön starkes Stück, was Sie vorhin zu meiner Kollegin Julia Klöckner gesagt haben, als Sie kritisiert haben, wie wir bei uns die Reden inhaltlich aufteilen, zumal meine Kollegin Ilse Aigner von vornherein gesagt hat, worüber wir heute sprechen werden. Ich denke, es ist schon eine Entschuldigung dafür fällig, dass Sie so mit uns umgehen. Ich finde, das entspricht nicht dem Stil des Hohen Hauses. ({0}) Das Zweite. Herr Weisheit, es leuchtet doch ein - selbst dann, wenn man kein Agrarexperte oder Tierexperte ist -, dass die Übertragungsrate bei der Geflügelpest bei frei laufenden Hühnern wesentlich größer ist als dann, wenn die Tiere eingestallt sind. Ich denke, das ist eine Logik, die man nachvollziehen kann. Ansonsten hätte das Land Niedersachsen nicht so gehandelt, wie Herr Goldmann es uns eben gesagt hat. ({1}) Ich wollte eigentlich vor allem über Verbraucherschutzpolitik sprechen. Wir haben am vergangenen Samstag das 20-jährige Jubiläum des Weltverbrauchertags begangen. Dabei ist deutlich geworden, dass Verbraucherpolitik in den letzten 20 Jahren stetig an Bedeutung gewonnen hat. National und international ist die Verbraucherpolitik immer mehr zu einer Kernaufgabe des Staates geworden. Dies ist eine Meinung - ich bin heute gar nicht so sehr auf eine Auseinandersetzung mit Ihnen aus -, die von Ihnen geteilt wird. Schließlich ist das Ministerium im Jahre 2001 entsprechend aufgewertet worden und hat eine zusätzliche Bedeutung bekommen. Aber - das ist das Traurige -: Worte und Taten stimmen hier leider nicht mehr überein. Den Worten der Bundesregierung und der Ministerin folgen leider keine Taten. Heute, also zwei Jahre, nachdem das Verbraucherschutzministerium geschaffen wurde, haben wir es nur noch mit einer reinen Ankündigungspolitik der Ministerin zu tun. Deutliche Impulse und auch ein schlüssiges Konzept müssen wir heute vermissen. ({2}) Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen. Da ist einmal die auch von Herrn Weisheit vorhin angesprochene Reorganisation der Behörden. Dass wir dieser Neuordnung sehr skeptisch gegenübergestanden haben, haben wir hier im Hause und auch im Ausschuss hinlänglich diskutiert. Wir haben die Trennung, die vorgenommen worden ist, abgelehnt. Zudem kommt es gerade im Bereich des Risikomanagements entscheidend auf die Fähigkeit zur schnellen Reaktion an. Das zeigen auch die negativen Erfahrungen mit der Eistorte, die wir vor wenigen Wochen gemacht haben. Die Trennung hat eben nicht zu einer Vereinfachung der Kommunikationswege und der Entscheidungsprozesse geführt, sondern sie hat nur ein neues, ein ganz schwerfälliges System geschaffen, mit dem im Krisenfall nicht effizient reagiert werden kann. Die Zweiteilung führte im Fall der Eistorte zu einem heillosen Durcheinander, bei dem die eine Hand nicht wusste, was die andere Hand machte. Das Ergebnis waren ein erheblicher Imageschaden und Umsatzeinbußen für das betroffene Unternehmen. ({3}) Ich will in Erinnerung rufen: An ein und demselben Tag hat das Land A Entwarnung, das Land B eine zurückhaltende Bewertung gegeben und das Land C hat gar eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen. Wir müssen uns als mündige Verbraucher fragen: Was soll das eigentlich? Als Abgeordnete müssen wir sagen: Hier gibt es einen klaren Bedarf an Koordinierung zwischen den Ländern. Das ist eine Aufgabe, die doch eigentlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, jedenfalls nach dem Neuorganisationsgesetz, wahrnehmen sollte. ({4}) Sie, Frau Künast, haben in einem Interview - ich glaube, in der vergangenen Woche - selbst gesagt, dass dieses Amt über die „Defizite des Föderalismus hinweghilft“. Doch bei dem einzigen Fall, bei dem das tatsächlich in jüngster Zeit verlangt worden wäre, muss man sagen: Fehlanzeige. Die Regierung hat das Problem aber selber erkannt; denn anderenfalls wäre es nicht zu erklären, warum Sie bereits im September letzten Jahres ein Consultingunternehmen beauftragt haben, ({5}) eine exakte Aufgabenabgrenzung zwischen dem Bundesinstitut für Risikobewertung auf der einen Seite und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit auf der anderen Seite zu eruieren. In den Erläuterungen zu dem entsprechenden Haushaltstitel heißt es dieses Jahr: Bis zu diesem Zeitpunkt - sprich: bis das Gutachten vorliegt ist die Verlagerung von Stellen und Mitteln auf die neuen Einrichtungen … als vorläufig zu betrachten. So steht es im Haushaltsplan. Da frage ich mich: Heißt das, dass die Stellenverlagerung zwischen den beiden Instituten im Rahmen der Neuorganisation wieder zurückgenommen werden kann, wenn das Gutachten andere Erkenntnisse ergibt? Wo kommen wir da eigentlich hin! Wir sind gespannt auf Ihre Antwort. ({6}) Das Stichwort Sachverständige hat meine Kollegin Aigner schon netterweise angesprochen. Ich will nur noch einen Punkt hinzufügen. Wie kann man den Etatposten für Sachverständige um 650 000 Euro erhöhen - ursprünglich betrug die Erhöhung 751 000 Euro, von denen Sie 100 000 Euro wieder zurückgenommen haben -, wenn sich unter Ihrer Obhut zehn Bundesforschungsanstalten, eine Zentralstelle für Agrardokumentation, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das Bundesinstitut für Risikobewertung und schließlich die Wissenschaftlichen Beiräte zur Agrarpolitik - da läuft zurzeit die Neuberufung - und zur Verbraucher- und Ernährungspolitik befinden? Darüber hinaus gibt es die Lebensmittelbuch-Kommission und die Tierschutz-Kommission. Da fragen wir uns natürlich schon: Wozu brauchen Sie 650 000 Euro mehr für Sachverständige? ({7}) Um zur Stiftung Warentest zurückzukommen: In diesem Jahr erhält die Stiftung Warentest 6,5 Millionen Euro. Das ist in der Tat mehr, als sie im Vorjahr zur Verfügung hatte. Deshalb stimmen wir Ihrer Tendenz zu: Es ist löblich, dass Sie die Stiftung Warentest etwas besser ausstatten. Leider sind Sie aber immer noch nicht auf unsere Anregung eingegangen, die Stiftung Warentest tatsächlich in die Selbstständigkeit zu entlassen. Herr Bahr irrt nämlich, wenn er sagt, dass die Stiftung Warentest angesichts der 6,5 Millionen Euro, die sie nach wie vor aus dem Haushalt benötigt - dabei ist sie davon abhängig, wie die Haushälter konkret damit umgehen -, vollständig unabhängig von der Politik ist. Wir haben einen Sockelbetrag vorgeschlagen, damit die Stiftung Warentest in Zukunft weiter vernünftig arbeiten kann. Der sollte - Herr Weisheit, von wegen Gegenvorschläge, die ausgeblieben sein sollen! - über den Titel „Aufklärung der Verbraucher“ finanziert werden. Sie haben das abgelehnt, auch wenn Sie selbst im Ausschuss eine entsprechende Notwendigkeit gesehen haben. Ich denke, heute Abend werden CDU und CSU die Anträge der FDP unterstützen, die sich damit befassen, die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen. ({8}) Ein anderer Bereich, in dem falsch gespart wird, sind die Verbraucherzentralen. Sie machen einen hervorragenden Job. Aber sie haben zurzeit erhebliche finanzielle Probleme. In einigen Bundesländern bzw. in einigen Regionen drohen Schließungen. Das dürften Sie eigentlich nicht zulassen, wenn Sie es mit der Stellung des Verbraucherschutzes tatsächlich ernst meinen. Deshalb verlangen wir von Ihnen, dass Sie die Verbraucherzentralen besser ausstatten. ({9}) Denn, Frau Künast, sind die Informationskampagne zur Legehennenverordnung, für die 500 000 Euro vorgesehen sind, und die Informationskampagne zur Bekanntmachung des neuen Biosiegels, für die 6,5 Millionen Euro vorgesehen sind, tatsächlich so viel wichtiger als die Ausstattung der Verbraucherzentralen? ({10}) Oder wird es bei den Verbraucherzentralen so zugehen, wie Sie es auch in anderen Politikbereichen machen, nämlich dass Sie den Kommunen eine Mitfinanzierung aufs Auge drücken? Dazu ein Beispiel: In der Stadt Köln gibt es seit Mitte der 90-er Jahre die Verabredung, dass die Stadt mitfinanziert. Es sind mittlerweile fast 50 Prozent geworden, die wir der ansässigen Verbraucherzentrale geben müssen: 200 000 Euro pro Jahr. Das ist für die Kommunen heutzutage ein ordentlicher Betrag. Deshalb erwarten wir von Ihnen, dass Sie das ändern. ({11}) Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit dieser Bundesregierung Verbraucherpolitik in diesem Land nur noch unter dem Aspekt der Öffentlichkeitswirkung vollzogen wird. Anders ist die Diskussion, die Sie pünktlich zur Grünen Woche zum Thema Preisdumping ins Leben gerufen haben, nicht zu erklären. Der Bundeskanzler hat sie zum Glück kassiert. Aber diese Diskussion taucht immer wieder bei Ihnen auf. Wir sagen dazu: Jeder soll selbst entscheiden, ob er beim Discounter oder beim Einzelhändler einkauft. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Menschen heutzutage dank Ihrer Politik verdammt wenig Geld in der Tasche haben, um sich teure Nahrungsmittel leisten zu können. ({12}) Dann zu sagen: „Wir machen eine Initiative gegen das Preisdumping“, ist wirklich eine Verkennung der tatsächlichen Lebensverhältnisse in Deutschland. Mit dem Gehalt eines Abgeordneten bzw. einer Ministerin kann man das alles locker bezahlen. ({13}) - Herr Goldmann vielleicht nicht, aber alle anderen. ({14}) Schauen Sie sich aber einmal an, was die Menschen in diesem Lande wirklich verdienen. ({15}) Seit Beginn dieser Legislaturperiode besteht ein Initiativrecht für Fragen des wirtschaftlichen und rechtlichen Verbraucherschutzes. So weit, so gut! Das begrüßen und das unterstützen wir. Aber wir erwarten uns davon auch einiges. Es gibt eine ganze Menge Themen, die zurzeit wirklich auf der Straße liegen und die eine starke Verbraucherschutzministerin benötigen. Das sind zum Beispiel Fragen zum Thema Dialer, zur UWG-Novelle, zur Verbraucherkreditrichtlinie, zur Kennzeichnung von Lebensmitteln usw. usw. Ein anderes Thema ist die Deutsche Bahn, die Sie selber im letzten Winter in die Öffentlichkeit gerückt haben. Wir fordern Sie auf, dieses Initiativrecht wirklich zu nutzen und ein vernünftiges Verbraucherkonzept vorzulegen. Wenn Sie das tun, können wir eine vernünftige Politik machen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Klöckner, auf Ihre Rede würde ich gern ganz kurz zu sprechen kommen. Ich habe mich wirklich gefreut, als Sie hier sagten, Sie wollten keine Polemik, Sie hätten die Polemik im Ausschuss als sehr negativ empfunden. Mir geht es in diesem Ausschuss seit 1998 so und ich habe mich gefreut, dass es jemanden gibt, der das genauso erlebt. ({0}) Aber ich bin nun tief enttäuscht; ({1}) denn alle Reden der Opposition - das muss man auch einmal festhalten - haben vor Polemik gestrotzt. ({2}) Meine Damen und Herren, 2003 ist kein einfaches Jahr, auch global gesehen. Deutschland hat wirklich große wirtschaftliche Aufgaben zu meistern und wir haben niemals einen Hehl daraus gemacht, dass es ein steiniger Weg wird, 1,5 Billionen Staatsschulden abzubauen. Der Weltwirtschaft machen die Auswirkungen des 11. September 2001 noch immer zu schaffen. Der Zusammenbruch der New Economy und die Skandale an der Börse haben ihre Wirkung immer noch nicht verloren. Warum bringe ich das an dieser Stelle an? Ganz einfach, weil man die Lage des Bundeshaushaltes eben nicht isoliert betrachten kann, weil Deutschland eben nicht die Insel der Glückseligen ist und weil wir morgen mit großer Verantwortung den Haushalt 2003 beschließen werden: selbstbewusst, reformorientiert und sparsam. ({3}) Waltraud Wolff ({4}) Wir können und wollen nicht Geld verteilen, das nicht da ist. Meine Damen und Herren der Opposition, das war Ihre Gangart, unsere ist das nicht. Gerade in Bezug auf unseren Haushaltstitel ist es wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und da zu investieren, wo die Mittel zukunftsorientiert, verbraucherschutzorientiert, umweltschutzgerecht und dem Tierschutz entsprechend eingesetzt werden. Kurz gesagt: Der Einzelplan 10 ist Ausdruck einer nachhaltigen Agrarpolitik. ({5}) Nachhaltigkeit bedeutet auch Prävention. Ein Beispiel ist die Hochwasserkatastrophe an der Elbe. Alle drei Landkreise meines Wahlkreises waren betroffen. Ich nenne nur das Wörlitzer Gartenreich und das Dörfchen Gübs, das heute auch bundesweit bekannt ist. Die hochwassergeschädigten Landwirte in ganz Deutschland erhielten durch die Sofortmaßnahmen schnelle Hilfe. Probleme gab es nur, weil sich die Länderregierungen mit der Auszahlung so schwer getan haben. Mit dem Sonderprogramm Hochwasser stellte das Bundesministerium für Verbraucherschutz 30 Millionen Euro unter anderem zur Deichsicherung und Deichsanierung zur Verfügung. ({6}) In diesem Jahr ist im Bundeshaushalt ein Betrag von 320 Millionen Euro für den Hochwasserschutz eingestellt. Diese Präventivmaßnahmen sind für die Landwirtschaft von großer Bedeutung. - Es wäre schön, wenn die Opposition auch einmal zuhören würde. ({7}) Die hochwassergebeutelte Landwirtschaft wurde beispielsweise durch die erhöhte Flächenstilllegungsprämie und auch durch Ausgleichszahlungen von bis zu 50 000 Euro pro Betrieb umgehend direkt unterstützt. Ich will auch daran erinnern, dass Solidarität heute in Deutschland noch immer in beeindruckender Weise praktiziert wird. ({8}) Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die Menschen in unserem Land sehr gut verstanden haben, dass wir die nächste Stufe der Steuerreform um ein Jahr verschoben haben. Ich komme aus Sachsen-Anhalt, das ist nicht gerade das reichste Land. ({9}) Unsere Pflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern ist es, in extremen Situationen schnell zu helfen. Gegenüber den Steuerzahlern haben wir aber auch die Pflicht, einen von Verantwortungsbewusstsein geprägten Haushalt vorzulegen. Es gilt also, die Haushaltskonsolidierung weiter voranzubringen. Das heißt doch auf gut Deutsch, wie wir alle wissen: Wir kommen gar nicht umhin, Kürzungen und Einsparungen vorzunehmen. Das gilt auch für unseren Einzelplan. Uns war es wichtig, neben der Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme auch Spielräume für die aktive Gestaltung der Agrar- und Verbraucherpolitik zu eröffnen. Jeder hier im Hause weiß, dass die agrarsoziale Sicherung 71 Prozent des Haushalts ausmacht. Von daher sind die Optionen ziemlich begrenzt. Dennoch ist es uns gelungen, hier zukunftsorientierte Schwerpunkte zu setzen, die finanziell solide untersetzt sind. ({10}) Wir haben Raum für die Förderung von tiergerechten Haltungssystemen, für die weitere Ausweitung des Anbaus von nachwachsenden Rohstoffen und für den ökologischen Landbau geschaffen. Die Opposition bemängelt die Höhe der Ausgaben für die tiergerechten Haltungssysteme; das ist hier auch in mehreren Beiträgen zum Ausdruck gebracht worden. ({11}) Wir wollen die Einführung dieser Systeme unterstützen. Das Argument, im letzten Jahr sei aus diesem Titel recht wenig abgeflossen, ist vordergründig richtig. ({12}) - Ja, natürlich, vordergründig ist es richtig; das kann man auch so diskutieren. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass man neuen Programmen auch eine Chance geben muss, sich entwickeln zu können. ({13}) Man darf sich bei Neuerungen nicht sofort ins Bockshorn jagen lassen, wenn die erhofften positiven Auswirkungen nicht augenblicklich eintreten; dann würde eigentlich alles stagnieren. An dieser Stelle muss man auch ein bisschen Weitsicht zeigen. ({14}) Meine Damen und Herren, da es, wie gesagt, um 71 Prozent des Haushalts geht, sage ich noch etwas zur Sozialpolitik. Uns kommt es darauf an, dass die landwirtschaftliche Sozialversicherung nur in einem vertretbaren Maß von den Kürzungen in Mitleidenschaft gezogen wird. Deshalb haben wir uns auf die Glättung der Bundesausgaben für die Unfallversicherung auf 250 000 Euro verständigt. Diese Zuschüsse werden damit für die nächste Zukunft stabilisiert. Daneben wird für den Bereich der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in diesem Jahr - das ist auch schon angesprochen worden eine globale Minderausgabe von 20 Millionen Euro ausgebracht. Dies war keine Entscheidung vom grünen Tisch, sondern das haben wir mit dem Bundesverband der Berufsgenossenschaften besprochen. Hier ist Einvernehmen hergestellt worden, was sich gestern auch auf dem parlamentarischen Abend gezeigt hat. Waltraud Wolff ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss: Die Welt wächst immer mehr zusammen. Die Regierungskoalition meint es mit ihrem Bekenntnis zur Erweiterung der EU ernst. Wir meinen es auch mit unseren Ankündigungen zu einer fairen Ausgestaltung der nächsten WTO-Runde ernst. Dann allerdings werden wir nicht umhinkommen, die Zuweisungen zu den Marktordnungen weiter abzusenken. Daher bin ich der Auffassung, dass die Bundesregierung den eingeschlagenen Weg weitergehen muss, der durch Entkoppelung, die Stärkung der verbraucherorientierten Maßnahmen und eine umwelt- und tiergerechte Landwirtschaft gekennzeichnet ist. Die Schwerpunkte in diesem Haushalt sind richtig gesetzt. Deshalb können wir uns darauf freuen, morgen diesen Haushalt zu beschließen. Schönen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Bundesministerin Renate Künast hat jetzt ausnahmsweise als letzte Rednerin das Wort. Normalerweise sollen die Mitglieder der Bundesregierung nicht als letzte Redner das Wort haben. Aber es hat keinen Einwand dagegen gegeben. ({0})

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war nicht mein spezieller Wunsch; ich hatte das Gefühl, mich nur den Wünschen anderer gefügt zu haben. ({0}) - Das machen wir gerne. Wir können es noch zehn Jahre lang so machen, dass ich als Erste rede. ({1}) Das gilt insbesondere dann, Herr Goldmann, wenn das Vergnügen so wie jetzt ist, dass - ({2}) - Wir können es ja zu einer früheren Uhrzeit machen, dann wird auch diesem Gesichtspunkt entsprochen. Ist Ihnen aufgefallen, dass diese Debatte das Gegenteil einer Generaldebatte ist? Einige standen am Rednerpult, machten weit ausholende Bewegungen und sagten, es werde zu wenig gespart, man müsse vielmehr nach dem Rasenmäherprinzip - wahrscheinlich mit einem atombetriebenen Rasenmäher - vorgehen, damit man möglichst viele Subventionen auf einmal streichen kann. ({3}) Jetzt fordern Sie das Gegenteil. Sie emotionalisieren und sagen, wo man überall kein Geld kürzen dürfe, sondern mehr Geld ausgeben müsse. ({4}) Man muss feststellen - das muss ich Ihnen ehrlich sagen -, dass hier einiges gesagt wurde, was von mangelnder Sachkenntnis zeugt. Frau Heinen hat vorhin kritisiert, dass einige Kooperationen und Koordinationen durch das Bundesamt nicht stattgefunden haben. Sie kam auf das schöne Beispiel der Torten zu sprechen. Ich nehme ja gerne einiges auf meine Schultern; die sind tragfähig. Sie sollten aber zumindest das ABC der BundLänder-Zuständigkeiten kennen. Wenn Sie möchten, dass wir die Länderzuständigkeiten aufheben, dann müssen Sie das auch im Rahmen der Föderalismusreform unterstützen. ({5}) Dann kann kein Bundesland - egal ob es von Rot-Grün oder der CDU geführt wird - mehr sagen, es sei zuständig. Dann kann nicht jeder Landesvertreter zum Thema Torte jede Woche eine andere Aussage machen. ({6}) - Frau Heinen, ich weiß, dass Sie einen Satz, den ich geschrieben habe, ansprechen wollen. Ich sage Ihnen: Es stimmt, wir wollen mehr koordinieren. Wir wollen die Problemfälle und Auswüchse des Föderalismus mithilfe des Bundesamtes aufheben. Das haben wir an vielen Punkten - Stichworte: Acrylamid und Nitrofen - längst getan. Ich habe aber nicht geschrieben, dass ich die föderale Zuständigkeit aufheben möchte. Wenn Sie mich aber dazu animieren und mir zusagen, dass Sie zustimmen, dann tue ich das gerne, weil dann in den Bereichen Lebensmittelsicherheit und Agrarverwaltung manches besser wird. ({7}) Ich finde es komisch, dass Sie die Einsetzung eines Consultingunternehmens kritisieren. Das ist nun wirklich bar jeden Wissens über den Aufbau von Organisationen. Das ist nämlich völlig normal. Es gibt einige Schnittstellen in Bezug auf die Zuständigkeiten. Ich finde es besser, ein Consultingunternehmen zu beauftragen, das die Arbeitsabläufe bis zum letzten durchspielt, weil man dann alles sauber klären kann. Wir haben mit dem Föderalismus an dieser Stelle genug Probleme. Die Probleme habe im Übrigen nachher nicht ich, sondern die haben zum Beispiel die Landwirte und die Verbraucher. Die Verbraucher wissen nicht, wie sie sich bei einem Problem verhalten sollen, und die Landwirte haben Einkommenseinbußen. Ihre grundsätzlichen Aussagen, die über den Verbraucherschutzbereich hinausgingen, erinnern mich an die alte Weisheit „Wir selber schaffen unsere Zukunft und nennen sie Schicksal“. Nach diesem Motto haben Sie sich heute wieder verhalten. Das tun Sie immer wieder, und zwar auf Kosten der Landwirtschaft, zulasten der Bäuerinnen und Bauern. ({8}) Sie können so lange reden, wie Sie wollen. Die Post, die bei uns eingeht, klingt mittlerweile anders: Lieber unsere Politik, die der Zukunft zugewandt und an den Erfordernissen der Zukunft orientiert ist, als eine Politik, die immer nur erzählt, es würde sich nichts verändern. Mittlerweile verfügt jeder Bauer über einen Internetzugang und weiß, dass es demnächst WTO-Verhandlungen gibt. Es nützt ihm nichts, wenn Sie ihm Sand in die Augen streuen und so tun, als würde man dort zu keinem Ergebnis kommen. Wir bereiten die Bauern darauf vor und zeigen ihnen entsprechende Einnahmemöglichkeiten. ({9}) Der vorliegende Haushalt zeigt, dass wir die Modernisierungslinien zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erneuerung umsetzen. Das will ich Ihnen an einigen Punkten erläutern. Modernisierung - das muss man an dieser Stelle sagen - heißt Wohlstand für alle und nicht nur für einige wenige. Auf den Vorwurf, ich würde die Arbeit meiner Vorgänger zerstören, reagiere ich mit der Antwort: Ich habe noch gar nicht richtig angefangen, das alte System zu beenden, nach dem immer nur die Großen gewinnen und die kleine bäuerliche Landwirtschaft und die Familienbetriebe ziemlich leer ausgehen, nach dem die Grünlandstandorte und die Milchbauern bei der Verteilung der großen Prämien immer leer ausgehen. Natürlich werde ich das beenden. Daran werde ich arbeiten. ({10}) Sie wissen selbst, welch ungeheurer Preisdruck durch dieses System entsteht. Herr Deß, in Bayern spielen die vielen kleinen mittelständischen Molkereien die Milchbauern gegeneinander aus. Ich weiß, dass in diesem Bereich Gelder umgeschichtet werden müssen, und zwar auch aus dem Ackerbaubereich, wo die Bauern so viel verdienen, dass sie im Zweifelsfall im Winter mehrere Monate Urlaub machen können. ({11}) Ich will auch die kleinteilige Landwirtschaft und die Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten. Das ist das Ziel unseres Haushaltes. ({12}) Nachhaltige Landwirtschaft im Bereich des konventionellen und des ökologischen Landbaus heißt für uns, dass wir zu einer WTO-kompatiblen Produktion kommen und die WTO-Verhandlungen entsprechend beeinflussen müssen. Dann gilt es, eine Reihe anderer Themen weiterzuverfolgen, wie zum Beispiel nicht handelsbezogene Kriterien durchzusetzen und Verbraucherschutz zu verankern; auch das gehört in diesen Bereich. Darüber hinaus ist es richtig, auch wenn Sie das kritisiert haben, dass sowohl Programme zum Ökolandbau wie zur bäuerlichen Landwirtschaft in den Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft gehören, da wir die einen Betriebe erhalten und die anderen fördern müssen. Beide Formen machen Sinn; beide muss es in Deutschland geben. ({13}) - Frau Aigner, Sie haben Recht. Genau das möchte ich im Rahmen der GAK erreichen. Sie müssen mir dabei aber helfen. Die GAK ist nämlich nicht darauf ausgerichtet, den bäuerlichen Familienbetrieben zu helfen. Hier besteht eine Schieflage. Angesichts der Tatsache, dass die 16 Agrarminister, auch die der B-Länder, bei einer Sitzung des PLANAK-Ausschusses die Fördertatbestände für das nächste Jahr nicht umgeändert haben, brauche ich Ihre Hilfe, und zwar noch in diesem Jahr. Diese nehme ich gerne in Anspruch. Ihr Angebot werde ich nicht vergessen, Frau Aigner. Wenn wir das Aktionsprogramm „Bäuerliche Landwirtschaft“ in der GAK hätten - das will ich erreichen -, dann könnten wir viele andere Programme wie zum Beispiel zum Wegebau ersatzlos streichen; denn dieses Aktionsprogramm käme den Bauern wirklich zugute. Dazu reicht es allerdings nicht aus, hier nur Reden zu halten, sondern dann müssen Sie sich bei den Landwirtschaftsministern der Bundesländer dafür entsprechend engagiert einsetzen. ({14}) Angesichts der Kürze der Zeit will ich nicht mehr viel zum Ökolandbauprogramm sagen. Nur so viel: Bei einem Verhältnis von über 700 Millionen Euro zu 30 Millionen Euro - das eine ist eine dreistellige Zahl, das andere eine zweistellige - kann man nicht ernsthaft behaupten, dass die eine Gruppe die andere wirtschaftlich knebeln und aushungern würde. Ich glaube, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Es ist wissenschaftlich außerdem noch offen - das muss ich Ihnen an dieser Stelle sagen -, ob die Inhaltsstoffe der Produkte der beiden verschiedenen Sparten oder die Produkte selbst unterschiedlich sind oder welche besser sind. Darüber möchte ich jetzt auch nicht diskutieren. Für mich ist viel spannender, in diesem und dem nächsten Jahr eine Debatte über Preise zu führen, die für die Landwirte reell sind, egal ob in der konventionellen oder der ökologischen Landwirtschaft. Ich freue mich, dass die Bauern diese Debatte aufgenommen haben, auch wenn sie neidisch waren, dass sie gerade zur Grünen Woche begonnen hat. Aber ich bin der Meinung, dass sie in diesen Rahmen gehört hat. Ich freue mich, dass die Bauern, auch die in Bayern, das Heft in die Hand genommen haben, sich nun verbünden und sogar Kartelle bilden wollen, um gegen die ablehnende Haltung der Wirtschaft anzugehen. ({15}) Ich freue mich auch, dass selbst der Einzelhandel in dieser Frage Maßnahmen ergreift. Das werden wir auch gerne im Rahmen der Debatte um das UWG diskutieren. Die Reformierung des UWG ist längst beschlossene Sache, was bei einigen Ihrer Redebeiträge dagegen nicht zum Ausdruck gekommen ist. ({16}) Ich will nun ein Stichwort zum Thema Verbraucherinformation sagen. Dazu wurde hier viel geredet und es wurden viele Aspekte angesprochen. Ich kann Ihnen nur sagen: Daran arbeiten wir schon längst. Ich würde mir wünschen, wenn Sie in dieser Frage nicht nur an mir herummäkeln würden. Legen doch auch Sie hierzu einmal Vorschläge auf den Tisch. ({17}) Schon Ihre Fraktionsvorsitzende hat gesagt hat, die CDU/CSU habe in den Städten wegen eines mangelnden Verbraucherschutzes verloren. Ich fordere Sie auf: Legen Sie ein Programm vor. Von uns werden Sie noch in diesem Jahr ein Programm bekommen, nämlich einen Aktionsplan zum Verbraucherschutz. So etwas möchte ich auch von Ihnen gerne lesen. Und ich sage Ihnen: Machen Sie keine mittelalterliche Politik. Legen Sie endlich ein Angebot für ein Verbraucherinformationsgesetz vor. Das ist doch an Ihnen gescheitert, weil Sie - zulasten der Bauern und der Verbraucher - die Information nicht zulassen wollten. ({18}) Meine Damen und Herren, heute sind in dieser Debatte viele Details angesprochen worden, zum Beispiel auch zum Personalabbau im Bereich der Tierhygiene, der angeblich zulasten der Bekämpfung von BSE geht. Ich muss Ihnen empfehlen, sich kundig zu machen, wo die Stelle zur BSE-Bekämpfung bei uns ressortiert ist. Das ist nämlich nicht der Bereich der Tierhygiene. Wir haben nichts zu befürchten. Wir haben die Abteilungen 2 und 3, die nur 16 neue Stellen bekommen haben, trotzdem mit insgesamt 30 Stellen ausgestattet, weil wir umgeschichtet haben. Vielleicht könnten wir noch besser umschichten; Empfehlungen hierzu nehme ich von Ihnen gerne entgegen. Wir haben, dem Beschluss folgend, Bonn zu einer Stadt mit vielen internationalen Organisationen auszubauen, die FEC nach Bonn geholt. Ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Sie haben gedacht, wir würden Bonn zu einer internationalen Stadt machen und Jobs bieten, aber in einer Weise, die Ihnen passt. Dass das nicht immer geht, damit müssen Sie in einer Demokratie leben. Wir bemühen uns, die GAK zu halten. Ich bitte Sie von der Opposition, hier nicht nur Krokodilstränen zu weinen und ganze Stauseen damit zu füllen. Sorgen Sie dafür, dass die von Ihnen und Ihren Parteien regierten und geführten Bundesländer in der Föderalismusdebatte nicht sagen, dass sie die GA gänzlich zerschlagen wollen. Sie erzählen doch Unsinn: Sie heulen hier, machen und tun und die von Ihnen geführten Bundesländer praktizieren am Ende das genaue Gegenteil. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Künast.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Ich möchte Sie an dieser Stelle um eines bitten: Lassen Sie uns diese Hektik herausnehmen, diesen Haushalt verabschieden und wieder zu einer positiven und sachorientierten Debatte kommen. Die Bauern und Verbraucher werden es Ihnen danken. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Ich darf darauf hinweisen, dass der nächste Tagesordnungspunkt - er ist zugleich der letzte - zu Protokoll gegeben werden soll. Deswegen bitte ich Sie, noch ein wenig hier zu bleiben, damit wir das ordentlich abwickeln können. Wir kommen zur Abstimmung über Einzelplan 10 - Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und - in der Ausschussfassung. Es liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und neun Änderungsanträge der Fraktion der FDP vor, über die wir zuerst abstimmen. Ich bitte um Aufmerksamkeit. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/673? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/675? - Gegenstimmen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/677? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/678? - Gegenstimmen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/679? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/681? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/682? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/684? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit gleichem Stimmenverhältnis abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/686? - Gegenstimmen? - Das gleiche Ergebnis. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 15/697? - Gegenstimmen? - Gleiches Stimmenverhältnis. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 10 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 10 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksachen 15/564, 15/572 Berichterstattung: Abgeordnete Elke Ferner Albrecht Feibel Otto Fricke Es liegen drei Änderungsanträge der Fraktion der FDP vor. Mit Ihrem Einverständnis sollen alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 16 - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - in der Ausschussfassung. Zunächst stimmen wir über die Änderungsanträge der FDP-Fraktion ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/687? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/688? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung von CDU/CSU und FDP abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 15/689? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustimmung der FDP-Fraktion und Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Abstimmung über den Einzelplan 16 in der Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen von CDU/CSU und FDP angenommen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 20. März 2003, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.